Reformation auf der Kanzel: Martin Luther als Reiseprediger. Habilitationsschrift 9783161596902, 9783161596919, 3161596900

Roland M. Lehmann untersucht zunächst die Entwicklung Luthers als Prediger bis 1518 und konzentriert sich dann auf die P

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German Pages 615 [633] Year 2021

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Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhalt
Siglen und Abkürzungen
Einleitung
1. Einführung in das Thema
2. Konturen der Forschung
3. Überlieferung
4. Methoden
5. Quellen
6. Gliederung
Hinführung. Auf dem Weg zum Prediger der Reformation Luthers Predigten in den Jahren von 1510/11 bis 1518
Einleitung
1. Die Predigtausbildung in Erfurt und die zwei Übungspredigten 1510/11
2. Der Beginn als Prediger in Wittenberg und die Predigt über den Johannesprolog 1514
3. Der angehende Provinzialvikar als Prediger vor dem Gothaer Ordenskapitel 1515
4. Der kritische Prediger gegen den Ablass und seine zwei Kirchweihpredigten aus dem Jahr 1517
5. Luther als reformatorischer Prediger – Die Predigt über die Auferweckung des Lazarus vom 19. März 1518
Resümee
Erstes Kapitel. Ein Sermon als Summe der Leipziger Disputation. Luthers Streitpredigt gegen Eck im Jahr 1519 auf der Pleißenburg
Einleitung
1. Vorgeschichte und Verlauf der Leipziger Disputation
2. Die Unfreiheit des Willens im ersten Teil der Predigt
3. Die Primatsfrage im zweiten Teil der Predigt
4. Das Vorwort
Resümee
Zweites Kapitel. Der »Missionar« an den Zentren der frühen Gemeindereformation. Die Frühjahrsreise durch das ernestinisch-sächsische Gebiet im Jahr 1522
Einleitung
1. Der Verlauf der Frühjahrsreise
2. Borna
2.1 Gesetz, Evangelium und gute Werke (27. April, Vor- und Nachmittag)
2.2 Die Reliquien- und Bilderverehrung (3. Mai)
2.3 Luthers Gedanken zur Obrigkeit (4. Mai)
3. Altenburg
3.1 Wahre Frömmigkeit in der Predigt (28. April, Vormittag)
3.2 Die guten Werke (28. April, Nachmittag)
4. Zwickau
4.1 Der Glaube und die Arten guter Werke (30. April)
4.2 Vom falschen und wahren Weg zu Gott (1. Mai)
4.3 Die Kritik an den Zwickauer Propheten (2. Mai)
Resümee
Drittes Kapitel. Luthers Wirken als Prediger im Umland von Wittenberg. Die Kemberger Predigten 1519 bis 1537
Einleitung
1. Kemberg und Wittenberg
2. Luther und Kemberg
3. Überlieferung und Inhalt der Predigten
3.1 Die beiden vermeintlichen Predigten (5. Oktober 1516)
3.2 Luthers Verständnis der christlichen Nachfolge (27. Dezember 1519)
3.3 Evangelium, Buße, Vergebung, Messe und die Nimbscher Nonnenflucht (7. April 1523, Vor- und Nachmittag)
3.4 Leben und Lehre Jesu (2. April 1525)
3.5 Der gemeine Kasten und der Wert des Katechismus (11. Juli 1529, Vor- und Nachmittag)
3.6 Das christliche Leben – Vergleich zwischen Rörers Mitschrift und Poachs Ausarbeitung (19. August 1531)
3.7 Das Ausbleiben des Abendmahlgangs (15. Oktober 1531)
3.8 Der Rückblick auf Karlstadt (22. Oktober 1534)
3.9 Die Erziehung der Kinder (20. August 1535)
3.10 Die Warnung vor Täufern (27. Oktober 1537)
Resümee
Viertes Kapitel. Der »Hofprediger« vor den politischen Herrschern. Predigten in Weimar 1522, Wörlitz 1532 und Leipzig 1539
Einleitung
1. Luther und die politischen Machthaber
2. Die Weimarer Obrigkeitspredigten
2.1 Der »Wettbewerb der Systeme« in Weimar
2.2 Die Antithetik vom Reich Christi und dem Reich des Teufels (24. Oktober 1522)
2.3 Das Reich der Welt und das Reich Gottes (25. Oktober 1522)
3. Die Wörlitzer Predigt vor den drei anhaltinischen Fürsten
3.1 Die Reformation in Anhalt nach dem Tod Margaretes
3.2 Die »Summe des christlichen Lebens« (24. November 1532)
4. Die Leipziger Predigt zur Einführung der Reformation in Sachsen
4.1 Der Tod Georgs und die Reise Luthers
4.2 Die Leipziger Predigt über die wahre Kirche (24. Mai 1539)
Resümee
Fünftes Kapitel. Im Schatten des Augsburger Reichstages. Die Coburger Predigten aus dem Jahr 1530
Einleitung
1. Die religionspolitische Ausgangssituation
2. Die Predigten im Kontext der Coburger Reise
3. Die Leidensnachfolge im Konzept und in der Ausarbeitung (16. April)
4. Die Stärkung durch die Macht des Auferstandenen (17. April)
5. Vom standfesten Glauben (15. September)
6. Der Rückblick auf den Augsburger Reichstag (2. Oktober)
Resümee
Sechstes Kapitel. Luther als Kasualprediger. Die besonderen Anlässe Taufe, Hochzeit, Bischofseinführung und Kircheneinweihung
Einleitung
1. Die Kasualhandlungen Luthers im Überblick
2. Die Taufpredigten
2.1 Für das Kind der Familie von Löser in Pretzsch (15. Juli 1532)
2.2 Für das Kind der Familie Cordatus in Niemegk (8. August 1532)
2.3 Für das Kind Bernhard von Anhalt in Dessau (am 2. April 1540)
2.4 Zwischenfazit
3. Die Hochzeiten
3.1 Für Michael Stifel und seiner Gattin in Lochau (26. Oktober 1528)
3.2 Für Herzog Philipp von Pommern und Prinzessin Maria von Sachsen in Torgau (27. Februar 1536)
3.3 Für Caspar Cruciger und Apollonia Gunterrode in Eilenburg (24. April 1536)
3.4 Für Domdechanten Sigmund von Lindenau und seine Gattin in Merseburg (4. August 1545)
3.5 Zwischenfazit
4. Die Einführung des ersten evangelischen Bischofs Nikolaus von Amsdorf in Naumburg (20. Januar 1542)
4.1 Die Vorgeschichte
4.2 Die Wahl des Gegenbischofs
4.3 Der Ablauf des Gottesdienstes
4.4 Die Predigt über den Bischof als Vorbild der Gemeinde
4.5 Zwischenfazit
5. Die Einweihung der Torgauer Schlosskirche (5. Oktober 1544)
5.1 Die Schlosskirche im Kontext der protestantischen Sakralarchitektur
5.2 Die Bedeutung des Sabbats (vormittags)
5.3 Die Einheit des Glaubens (nachmittags)
5.4 Zwischenfazit
Resümee
Siebtes Kapitel. Abschiedspredigten. Die Eislebener Kanzelreden kurz vor Luthers Tod 1546
Einleitung
1. Die Situation in Eisleben und der Grafschaft Mansfeld
2. Die Reisen Luthers in die Grafschaft
3. Die »Vermahnung wider die Juden« – Luthers letzte Predigt?
4. Die zwei Naturen Christi und der Teufel (31. Januar)
5. Das Erstgeburtsrecht in der Predigt über Lk. 2, 22–32 (2. Februar)
6. Das Gleichnis vom Unkraut und Weizen (7. Februar)
7. Luthers letzte Predigt (14. oder 15. Februar 1546)
Resümee
Schluss. Luthers Predigten im Kontext. Reformatorisches Reden auf der Kanzel
1. Die kontextuelle Analyse der Predigten Luthers
1.1. Der überlieferungsgeschichtliche Kontext
1.2. Der agendarische Kontext
1.3. Der historische Kontext
1.4. Der theologische Kontext
2. Die inhaltlichen Eigenarten Luthers als Prediger
2.1 Die Predigt als apologetische Kritik an seinen Gegnern
2.2 Die Predigt als affektreiche Bildsprache
2.3 Die Predigt als virtueller Dialog
2.4 Die Predigt als schriftauslegende Erfahrungstheologie
Anhang. Übersicht der überlieferten Predigten außerhalb Wittenbergs
1. Chronologisch sortiert
2. Nach Orten sortiert
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Hilfsmittel
3. Sekundärliteratur
Register
Bibelstellen
Personen
Orte
Sachen
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 9783161596902, 9783161596919, 3161596900

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Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von

Albrecht Beutel

199

Roland M. Lehmann

Reformation auf der Kanzel Luther als Reiseprediger

Mohr Siebeck

Roland M. Lehmann, geboren 1973; 1994–2003 Studium der evangelischen Theologie und Philosophie in Halle (Saale); 2003–2009 Inspektor des Reformierten Convicts in Halle; 2009–2012 Vikariat in Naumburg (Saale)/Evangelische Kirche in Mitteldeutschland; 2011 Promotion in Halle; 2012 Ordination; 2012–2014 Pfarrer im Entsendungsdienst in Naumburg; 2016–2019 Dompfarrer in Naumburg; 2012–2013 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität Jena am Lehrstuhl für Systematische Theologie, seit 2013 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität Jena am Lehrstuhl für Kirchengeschichte; 2018 Habilitation; seit 2020 Wissenschaftlicher Koordinator des Jenaer Forschungsprojekts »Diskriminierung von Christen in der DDR«. orcid.org/0000-0003-4365-0209

ISBN 978-3-16-159690-2 / eISBN 978-3-16-159691-9 DOI 10.1628/978-3-16-159691-9 ISSN 0340-6741 / eISSN 2568-6569 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Für Sina

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2018 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Habilitationsschrift im Fach Kirchengeschichte angenommen. Für den Druck ist sie leicht überarbeitet und um das Register erweitert worden. Viele Menschen haben am Zustandekommen dieser Arbeit mitgewirkt und mich auf vielfältige Weise unterstützt. Mein aufrichtiger Dank geht zuallererst an Prof. Dr. Christopher Spehr, der mein Forschungsvorhaben mit steter Ermunterung, konstruktiver Kritik und großem Interesse über viele Jahre begleitete. Durch den wertvollen Austausch, aber auch die Freiheit, die er mir als langjähriger Mitarbeiter ließ, hat er die Arbeit maßgeblich gefördert. Neben ihm haben Prof. Dr. Katharina Bracht und Prof. Dr. Albrecht Beutel die Begutachtung der vorliegenden Studie übernommen. Allen dreien sei herzlich für ihre fachliche und kollegiale Begleitung gedankt. Hilfreiche Impulse erfuhr ich im Rahmen des Oberseminars am Jenaer Lehrstuhl für Kirchengeschichte in zahlreichen, lebhaft geführten Diskussionen. Dankbar bin ich auch meinen Kolleginnen und Kollegen in der theologischen Fakultät für den konstruktiven Dialog und das stets wertschätzende Miteinander. Für die kompetente Unterstützung bei der Drucklegung des Buches spreche ich meinen Dank Tobias Stäbler und dem professionellen Team des Verlags Mohr Siebeck aus. Korrektorat und Lektorat übernahmen Dr. Manfred Ecker von »korrekto«, Georg Schaaf vom Lektorat »text-balance«. Bei der Erstellung der Register und dem Umsetzen vieler kleiner Arbeitsschritte im Entstehungsprozess halfen Pia Martin, Julius Schwarz, Daniel Meyer, Markus Voss, Jasmin Schwarz, Jannick Schilcke und Nils Nestler. Für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe »Beiträge zur historischen Theologie« geht mein verbindlichster Dank an Prof. Dr. Albrecht Beutel als Herausgeber. Sehr gefreut habe ich mich über die Gewährung von Druckkostenzuschüssen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts, die für mich nicht nur in finanzieller, sondern auch in ideeller Hinsicht die Unterstützung widerspiegeln, die ich über die Jahre als Student, Vikar und Pfarrer in der Evangelischen Kirche erfahren durfte. Nicht zuletzt bin ich auch dem Kirchenkreis Naumburg-Zeitz und der Evangelischen Kirchengemeinde Naumburg dankbar, die mir das Forschen neben meiner umfangreichen Tätigkeit als Pfarrer ermöglichten. Genannt sei hier stellvertretend Domprediger Michael Bartsch, der mich in meinem Vikariat und später als Kollege begleitete.

VIII Welchen Dank ich meiner Frau schulde, lässt sich in Worten kaum ausdrücken. Am Zustandekommen der Arbeit hat sie wesentlich Anteil. Deshalb sei ihr dieses Buch gewidmet. Roland M. Lehmann

Naumburg, den 19. März 2021

Inhalt Einleitung 1. Einführung in das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Konturen der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3. Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 5. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 6. Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Hinführung Auf dem Weg zum Prediger der Reformation Luthers Predigten in den Jahren von 1510/11 bis 1518 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Die Predigtausbildung in Erfurt und die zwei Übungspredigten 1510/11 . 37 2. Der Beginn als Prediger in Wittenberg und die Predigt über den Johannesprolog 1514 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Der angehende Provinzialvikar als Prediger vor dem Gothaer Ordenskapitel 1515 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4. Der kritische Prediger gegen den Ablass und seine zwei Kirchweihpredigten aus dem Jahr 1517 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5. Luther als reformatorischer Prediger – Die Predigt über die Auferweckung des Lazarus vom 19. März 1518 . . . . . . . . . . . . . . . 82 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Erstes Kapitel Ein Sermon als Summe der Leipziger Disputation Luthers Streitpredigt gegen Eck im Jahr 1519 auf der Pleißenburg Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Vorgeschichte und Verlauf der Leipziger Disputation . . . . . . . . . . . 96 2. Die Unfreiheit des Willens im ersten Teil der Predigt . . . . . . . . . . . 104 3. Die Primatsfrage im zweiten Teil der Predigt . . . . . . . . . . . . . . . .111 4. Das Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

X

Inhaltsverzeichnis

Zweites Kapitel Der »Missionar« an den Zentren der frühen Gemeindereformation Die Frühjahrsreise durch das ernestinisch-sächsische Gebiet im Jahr 1522 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Der Verlauf der Frühjahrsreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Borna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2.1 Gesetz, Evangelium und gute Werke (27. April, Vor- und Nachmittag) . 133 2.2 Die Reliquien- und Bilderverehrung (3. Mai) . . . . . . . . . . . . . 141 2.3 Luthers Gedanken zur Obrigkeit (4. Mai) . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Altenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3.1 Wahre Frömmigkeit in der Predigt (28. April, Vormittag) . . . . . . 155 3.2 Die guten Werke (28. April, Nachmittag) . . . . . . . . . . . . . . . 156 4. Zwickau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4.1 Der Glaube und die Arten guter Werke (30. April) . . . . . . . . . . 159 4.2 Vom falschen und wahren Weg zu Gott (1. Mai) . . . . . . . . . . . 162 4.3 Die Kritik an den Zwickauer Propheten (2. Mai) . . . . . . . . . . . 163 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Drittes Kapitel Luthers Wirken als Prediger im Umland von Wittenberg Die Kemberger Predigten 1519 bis 1537 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Kemberg und Wittenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Luther und Kemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Überlieferung und Inhalt der Predigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die beiden vermeintlichen Predigten (5. Oktober 1516) . . . . . . . 3.2 Luthers Verständnis der christlichen Nachfolge (27. Dezember 1519) . 3.3 Evangelium, Buße, Vergebung, Messe und die Nimbscher Nonnenflucht (7. April 1523, Vor- und Nachmittag) . . . . . . . . . 3.4 Leben und Lehre Jesu (2. April 1525) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Der gemeine Kasten und der Wert des Katechismus (11. Juli 1529, Vor- und Nachmittag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Das christliche Leben – Vergleich zwischen Rörers Mitschrift und Poachs Ausarbeitung (19. August 1531) . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Das Ausbleiben des Abendmahlgangs (15. Oktober 1531) . . . . . . 3.8 Der Rückblick auf Karlstadt (22. Oktober 1534) . . . . . . . . . . . 3.9 Die Erziehung der Kinder (20. August 1535) . . . . . . . . . . . . . 3.10 Die Warnung vor Täufern (27. Oktober 1537) . . . . . . . . . . . . .

171 179 187 188 190 192 199 201 209 215 217 222 224

Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Inhaltsverzeichnis

XI

Viertes Kapitel Der »Hofprediger« vor den politischen Herrschern Predigten in Weimar 1522, Wörlitz 1532 und Leipzig 1539 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Luther und die politischen Machthaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Weimarer Obrigkeitspredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der »Wettbewerb der Systeme« in Weimar . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Antithetik vom Reich Christi und dem Reich des Teufels (24. Oktober 1522) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das Reich der Welt und das Reich Gottes (25. Oktober 1522) . . . . 3. Die Wörlitzer Predigt vor den drei anhaltinischen Fürsten . . . . . . . . 3.1 Die Reformation in Anhalt nach dem Tod Margaretes . . . . . . . . 3.2 Die »Summe des christlichen Lebens« (24. November 1532) . . . . . 4. Die Leipziger Predigt zur Einführung der Reformation in Sachsen . . . 4.1 Der Tod Georgs und die Reise Luthers . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Leipziger Predigt über die wahre Kirche (24. Mai 1539) . . . . .

229 238 238 245 253 261 261 267 279 279 283

Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Fünftes Kapitel Im Schatten des Augsburger Reichstages Die Coburger Predigten aus dem Jahr 1530 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Die religionspolitische Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Predigten im Kontext der Coburger Reise . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Leidensnachfolge im Konzept und in der Ausarbeitung (16. April) . 4. Die Stärkung durch die Macht des Auferstandenen (17. April) . . . . . . 5. Vom standfesten Glauben (15. September) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Rückblick auf den Augsburger Reichstag (2. Oktober) . . . . . . .

296 301 310 325 330 338

Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

XII

Inhaltsverzeichnis

Sechstes Kapitel Luther als Kasualprediger Die besonderen Anlässe Taufe, Hochzeit, Bischofseinführung und Kircheneinweihung Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 1. Die Kasualhandlungen Luthers im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Taufpredigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Für das Kind der Familie von Löser in Pretzsch (15. Juli 1532) . . . 2.2 Für das Kind der Familie Cordatus in Niemegk (8. August 1532) . 2.3 Für das Kind Bernhard von Anhalt in Dessau (am 2. April 1540) . . 2.4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Hochzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Für Michael Stifel und seiner Gattin in Lochau (26. Oktober 1528) . . 3.2 Für Herzog Philipp von Pommern und Prinzessin Maria von Sachsen in Torgau (27. Februar 1536) . . . . . . . . . . . 3.3 Für Caspar Cruciger und Apollonia Gunterrode in Eilenburg (24. April 1536) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Für Domdechanten Sigmund von Lindenau und seine Gattin in Merseburg (4. August 1545) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Einführung des ersten evangelischen Bischofs Nikolaus von Amsdorf in Naumburg (20. Januar 1542) . . . . . . . . . . 4.1 Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Wahl des Gegenbischofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Der Ablauf des Gottesdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Predigt über den Bischof als Vorbild der Gemeinde . . . . . . . 4.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Einweihung der Torgauer Schlosskirche (5. Oktober 1544) . . . . . 5.1 Die Schlosskirche im Kontext der protestantischen Sakralarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Bedeutung des Sabbats (vormittags) . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die Einheit des Glaubens (nachmittags) . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

350 355 355 360 368 378 380 382 389 396 400 410 412 412 418 420 426 433 435 435 437 445 448

Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

Inhaltsverzeichnis

XIII

Siebtes Kapitel Abschiedspredigten Die Eislebener Kanzelreden kurz vor Luthers Tod 1546 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 1. Die Situation in Eisleben und der Grafschaft Mansfeld . . . . . . . . . . 2. Die Reisen Luthers in die Grafschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die »Vermahnung wider die Juden« – Luthers letzte Predigt? . . . . . . 4. Die zwei Naturen Christi und der Teufel (31. Januar) . . . . . . . . . . . 5. Das Erstgeburtsrecht in der Predigt über Lk. 2, 22–32 (2. Februar) . . . 6. Das Gleichnis vom Unkraut und Weizen (7. Februar) . . . . . . . . . . . 7. Luthers letzte Predigt (14. oder 15. Februar 1546) . . . . . . . . . . . . .

452 457 461 465 473 478 485

Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Schluss Luthers Predigten im Kontext Reformatorisches Reden auf der Kanzel 1. Die kontextuelle Analyse der Predigten Luthers . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Der überlieferungsgeschichtliche Kontext . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Der agendarische Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Der historische Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Der theologische Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die inhaltlichen Eigenarten Luthers als Prediger . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Predigt als apologetische Kritik an seinen Gegnern . . . . . . . 2.2 Die Predigt als affektreiche Bildsprache . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Predigt als virtueller Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Predigt als schriftauslegende Erfahrungstheologie . . . . . . .

491 492 494 498 502 507 507 508 509 510

Anhang Übersicht der überlieferten Predigten außerhalb Wittenbergs 1. Chronologisch sortiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 2. Nach Orten sortiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

XIV

Inhaltsverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 2. Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 3. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 Register Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

591 596 602 605

Siglen und Abkürzungen Die Abkürzungen folgen Siegfried M. Schwertner: IATG3 – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 32014. Insbesondere gelten die folgenden – teilweise über Schwertner hinausgehenden – Kürzel:

AWA Benzing/Claus BSELK

BSELK.QM

BSLK

CR CCSL CSEL DDStA

DThA

Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers. Texte und Untersuchungen, Köln 1981ff. Josef Benzing und Helmut Claus (Hg.): Lutherbibliographie, 2 Bde, Baden-Baden 21989–1994. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-lutherischen Kirche, hg. von Irene Dingel im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland, Göttingen 2014. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien, 2. Bde, hg. von Irene Dingel, Bd. 1: Von den altkirchlichen Symbolen bis zu den Katechismen Martin Luthers, Bd. 2: Die Konkordienformel, Göttingen 2014. Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, hg. von Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, Göttingen 121998. Corpus Reformatorum, Berlin u. a. 1834ff. Corpus Christianorum Series Latina 1, Turnhout 1954ff. Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1866ff. Martin Luther: Deutsch-deutsche Studienausgabe, 3 Bde, hg. von Johannes Schilling mit Albrecht Beutel, Dietrich Korsch, Notger Slenczka und Hellmut Zschoch, Leipzig 2012–2016. Deutsche Thomas-Ausgabe. Vollständige, ungekürzte dt.lat. Ausgabe der Summa theologica, Salzburg [etc.] 1-36, 1934-1961 + ErgBd. 1–2, 1957–1960.

XVI GermSac

Abkürzungsvezeichnis

Germania Sacra – Abt. 1, Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg 1–4.2, Berlin 1929–1972. – Abt. 2, Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz 1.1–2, Berlin 1937–1966. – Abt. 3, Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln 1,1938 – Neue Folge 1, 1962–50, 2007 · 3. F. 1, Berlin 2009ff. LD Luther deutsch [Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart], hg. von Kurt Aland, Göttingen 1991. LDStA Martin Luther: Lateinisch-deutsche Studienausgabe, hg. von Wilfried Härle u. a., Leipzig 2006–2009. LStRLO Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Leipzig 1998ff. MBW.T Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe, Texte, Bd. 1ff, hg. von Heinz Scheible, Stuttgart-Bad Canstatt 1991ff. PL Patrologiae Cursus Completus, hg. von Jacques Paul Migne, Series Latina, Paris 1865. RE Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. Regesta Imperii Deutsche Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii e. V. bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz; Bayerische Staatsbibliothek, Mainz 2003. StA Martin Luther: Studienausgabe, 6 Bde, hg. von Hans-Ulrich Delius, Berlin u. Leipzig 1979–1999. VD 16 Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts [online]. D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer W1 Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften, hg. von Johann Georg Walch, Halle 1740–1753. W2 Dr. Martin Luthers sämmtliche Schriften, hg. von Johann Georg Walch, 2. Auflage, St. Louis 1880–1910. WA D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883–2009. WA B – Abt. Briefwechsel, 18 Bde, Weimar 1930–1985. WA DB – Abt. Deutsche Bibel, 15. Bde, Weimar 1906–1961. WA T – Abt. Tischreden, 6 Bde, Weimar 1912–1921.

Einleitung 1. Einführung in das Thema Als Luther von der Kanzel herab seinen Zuhörern in der übervoll besetzten Kirche den bislang verschlossenen Weg zu des Himmels Gütern zeigte, sind von der »Gewalt seiner Verkündigung die Herzen geschmolzen wie Schnee vom Hauch des Frühlings«.1 So urteilte der Humanist Eobanus Hessus in seiner dritten Elegie über den Wittenberger Reformator, nachdem er ihn auf dem Weg nach Worms am 7. April 1521 in der Erfurter Augustinerkirche predigen gehört hatte.2 Auch wenn es sich bei diesen Worten um eine poetisch-stilisierte Beschreibung handelt, so ist dennoch unstrittig: Wie kaum ein anderer Theologe vor ihm wirkte Luther durch sein öffentliches Auftreten auf der Kanzel.3 Die Predigt war für ihn das Mittel, die Menschen direkt anzusprechen, um sie von seinen reformatorischen Ansichten zu überzeugen und das Wort Gottes zu verbreiten. Im Unterschied zu Traktaten und Flugschriften war das gesprochene Wort auf der Kanzel dasjenige Medium, mit dessen Hilfe er die Schwelle zwischen Leser und Nichtleser überwinden und so alle sozialen Schichten – von der einfachen Landbevölkerung über die Stadtbürgerschaft bis hin zum niederen und hohen Adel – unmittelbar erreichen konnte. Somit ist die Kanzelrede für Luther ein wichtiger Multiplikator zur Ausbreitung seiner neuen reformatorischen Botschaften.4 Im besonderen Fokus der Öffentlichkeit stand Luther immer dann, wenn er die Stadtgrenzen von Wittenberg verließ und die Kanzeln der Kirchen außerhalb der Elbestadt betrat. Aufgrund der Besonderheit und Seltenheit waren jene Auftritte mit hohen Erwartungen seitens seiner Zuhörer verknüpft. Während er 1   »Horrida sic dulci liquefecit pectora lingua, Verna senescentes ut solet aura nives« (zitiert nach: Hans Rupprich (Hg.): Humanismus und Renaissance in den deutschen Städten, Leipzig 1935, Nachdruck Darmstadt 1964, 209–223, hier 215,44f. 2  Vgl. Reinhold Jauernig: Luthers Reisen und Predigten in Thüringen, Berlin 1952, 123–148, hier 124. Vgl. ferner Andreas Lindner: Die Bedeutung der Stadt Erfurt für die reformatorische Bewegung in Mitteldeutschland im 16. Jahrhundert, in: Evangelischer Kirchenkreis Erfurt (Hg.): Reformation in Bewegung. Erfurt zwischen 1517 und 2017, Leipzig 2017, 13–37; Ders.: Die Eigenheiten der Erfurter Stadtreformation, in: LuJ 84 (2017), 190– 207. 3  Vgl. Christopher Spehr: Art. ›Predigten Luthers‹, in: Volker Leppin/Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Das Luther-Lexikon, Regensburg 2014, 560–569. 4   Zur Debatte über den Begriff »Reformation« vgl. Berndt Hamm/Bernd Moeller/ Dorothea Wendebourg: Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation, Göttingen 1995.

2

Einleitung

in Wittenberg spätestens nach den Invokavitpredigten von 1522 zur maßgeblichen Autorität innerhalb der reformatorischen Bewegung avancierte, galt Luther außerhalb der Elbestadt noch lange entweder als rebellischer Ketzer oder prophetischer Heilsbringer einer neuen Zukunft.5 In Reaktion auf jene zwiespältigen Erwartungshaltungen suchte Luther durch seine Predigten die Menschen für seine Ansichten zu gewinnen. Die Vielseitigkeit und die Eigentümlichkeit Luthers als Prediger treten in seinen Reisepredigten deutlicher zutage als in seinen Wittenberger Kanzelreden. Drei Gründe sprechen für diese der Untersuchung zugrunde liegende These. Erstens die Besonderheit der Hörerschaft: Durch seine Reisepredigten trifft er auf eine ganz eigene, ihm mehr oder weniger fremde Gemeinde im Vergleich zur relativ gleichbleibenden und wohlvertrauten Gemeindesituation in Wittenberg. Daher ist zu vermuten, dass die wechselnde Hörerschaft Luthers Fähigkeit und Vielseitigkeit als Prediger vor außergewöhnliche Herausforderungen stellte. Zweitens die Einmaligkeit der Predigt: Luther hatte auf seinen Reisen lediglich ein- oder zweimal hintereinander die Gelegenheit, zur Gemeinde vor Ort zu sprechen. Eine solche Situation als Gastprediger führt zwangsläufig dazu, seine reformatorischen Ansichten in komprimierter Weise darzulegen. Insofern ist anzunehmen, dass die Reisepredigten viel stärker zu Verdichtungen seiner Kernbotschaften führten, als es in den Wittenberger Alltagspredigten der Fall ist, die Luther in der Regel mehrmals pro Woche hielt. Drittens die Eigentümlichkeit seiner Biografie: Zu berücksichtigen ist, dass sich wichtige Stationen in Luthers Leben – wenn nicht sogar die Mehrzahl – fern seines Wittenberger Wohnortes ereigneten. Entscheidende Wendepunkte seines Lebens vollzogen sich auf Reisen. Dabei pflegte er in der Regel auch zu predigen. Es liegt nahe, dass Luther in seinen Reisepredigten auch über seine eigene jeweilige Lebenssituation intensiver reflektierte und diese somit für seine Biografie, seine theologische Entwicklung und den jeweiligen zeitlichen Kontext von Interesse sind. Aufgrund dieser Erwägungen darf vermutet werden, dass Luthers Reisepredigten exemplarischen Charakter für seine Predigtpraxis haben. Sie dürften in herausgehobener Weise Gestalt gewordener Ausdruck seines reformatorischen Bemühens sein. Auf der einen Seite nahm er in ihnen für die jeweilige Gemeinde konkrete und situationsgebundene Auslegungen biblischer Texte vor und auf   Vgl. beispielsweise Bernd Moeller: Die frühe Reformation als Kommunikationsprozeß, in: Hartmut Bockmann (Hg.): Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich, Göttingen 1994, 148–164, hier 152. Vgl. ebenfalls die Charakterisierungen in den Luther-Darstellungen z. B. von Heinz Schilling: Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 42016, 18f; Willi Winkler: Luther. Ein deutscher Rebell, Berlin 2016, 8f; Horst Herrmann: Martin Luther. Ketzer wider Willen, München 1983; Volker Reinhardt: Luther, der Ketzer. Rom und die Reformation, München 2017. 5

2. Forschung

3

der anderen Seite bündelte er darin seine theologischen und persönlichen Überzeugungen wie unter einem Brennglas. Dabei wird zunächst von einem weiten Begriff »Reisepredigt« ausgegangen, der rein auf äußerlichen Kriterien beruht. Eine »Reisepredigt« ist eine von Luther selbst auf der Kanzel gehaltene Predigt außerhalb derjenigen Stadt, in der Luther seinen festen Wohnsitz hatte. Als Aufenthaltsorte, von denen aus er auf Reisen ging und währenddessen anderorts predigte, gelten bis August 1511 Erfurt und danach bis zu seinem Lebensende Wittenberg. Erst im Laufe der Untersuchung kann die Frage beantwortet werden, ob auch inhaltliche oder formale Eigentümlichkeiten von bestimmten Reisepredigten im Vergleich zu seinen Ortspredigten auszumachen sind, weshalb man in einem engeren Sinn auch von einem bestimmten Typus »Reisepredigt« sprechen kann.

2. Konturen der Forschung In seiner Tübinger Antrittsvorlesung hob Albrecht Beutel die Predigt programmatisch als exemplarisches Bewährungsfeld der Kirchengeschichte hervor. 6 Die wesentliche »Nahtstelle zwischen Theorie und Praxis«7 verdiene besondere Aufmerksamkeit. Aufgrund der Schwierigkeit, dass verschriftlichte Predigten die öffentliche liturgisch-religiöse Rede niemals exakt nachbilden können, forderte er, im Rahmen der historischen Predigtanalyse besonderen Wert auf die historische Kontextualisierung zu legen. Obwohl die Predigten Luthers in Einzelfällen bereits untersucht wurden, ist eine solche Kontextualisierung bislang zu wenig unternommen worden. 8 Nach bestimmten Kriterien erfolgte hierbei eine spezifische Auswahl, wobei Luthers 6  Vgl. Albrecht Beutel: Vom Nutzen und Nachteil der Kirchengeschichte. Begriff und Funktion einer theologischen Kerndisziplin, in: ZThK 94, (1997), 84–110; wieder abgedruckt in: Ders.: Protestantische Konkretionen. Studien zur Kirchengeschichte, Tübingen 1998, 1–27, hier 23f. 7   Beutel zitiert hierbei eine Formulierung von Rudolf von Thadden: Kirchengeschichte als Gesellschaftsgeschichte, in: Ders.: Weltliche Kirchengeschichte. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1989, 11–28, hier 16. 8   Vgl. zur Geschichte der christlichen Predigt exemplarisch die Überblicke mitsamt angegebener Literatur von Richard Rothe: Geschichte der Predigt von den Anfängen bis auf Schleiermacher, aus Rothe’s handschriftlichem Nachlass hg. von August Trümpelmann, Bremen 1881; Franz Hering: Die Lehre von der Predigt (SLPT 1.1), Bd. 1, Berlin 1897, 365; Martin Schian: Art. ›Geschichte der christlichen Predigt‹: in: RE3 15 (1904), 623–747, hier 658–661; Alfred Niebergall: Geschichte der christlichen Predigt, in: Karl Ferdinand Müller/Walter Blankenburg (Hg.): Leiturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, Bd. 2: Gestalt und Formen des evangelischen Gottesdienstes, I. Der Hauptgottesdienst, Kassel 1955, 181–353; Werner Schütz: Geschichte der christlichen Predigt, Berlin u. a. 1972, 89–106; Albrecht Beutel: Art. ›Predigt. VIII. Evangelische Predigt vom 16. bis 18. Jahrhundert‹, in: TRE 27, 296–311; Udo Sträter: Art. ›Predigt. III. Neuzeit. 1. Reformation bis Gegenwart: Protestantische Predigt‹, in: HWRh, Bd. 7, Tübingen 2005, 65–74; Albrecht Beutel: Art. ›Predigt. II. Geschichte der Predigt‹, in: RGG4 6, 1585–1591.

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Einleitung

Reisepredigten als Textkorpus nicht in den Blick genommen wurden.9 Die Forschung hat die Kanzelreden meist unter anderen Fragestellungen betrachtet.10 Seit dem 18. Jahrhundert wurde aus kirchengeschichtlicher Perspektive zunächst versucht, einen Überblick über die Reisetätigkeit Luthers zu gewinnen. Johann Theodor Lingke rekonstruierte im Jahr 1761 Luthers Reisen auf der Grundlage brieflicher Zeugnisse und anderweitiger Nachrichten.11 1871, über ein Jahrhundert später, verfasste Karl Friedrich Köhler12 ein ähnliches Werk, dessen Erkenntnisse durch Johann Karl Seidemann ergänzt und berichtigt wurden.13 Mittels der Sichtung weiterer archivalischer Bestände kam es zu erneuten Rekonstruktionen sowohl von Carl August Hugo Burkhardt14 als auch von Paul Flemming.15 Deren Erkenntnisse flossen in das von Georg Buchwald verfasste Luther-Kalendarium ein.16 Diese tagesgenaue Übersicht der Ereignisse, Briefe, Schriften und Predigten Luthers mitsamt der Angabe der jeweiligen Belegstellen gehört auch heute noch zu den unverzichtbaren Hilfsmitteln innerhalb der 9  Vgl. auch Arthur Richter: Luther als Prediger. Ein homiletisches Charakterbild, Leipzig 1883; Theodor Knolle: Luthers Predigt in ihrem Verhältnis zum Text, in: Monatsschrift für PTh 15 (1919), 361–372; Harry F. Baughman: Martin Luther, the Preacher, in: LCR 21 (1948), 21–49; Walther von Loewenich: Luther als Ausleger der Synoptiker (FGLP 10.5), München 1954; Hans-Martin Barth: Luthers Predigt von der Predigt, in: PTh 56 (1967), 481–489; Peter Meinhold: Luther und die Predigt, in: Horst Balz (Hg.): Das Wort und die Wörter, FS für Gerhard Friedrich, Stuttgart 1973, 113–126; Detlef Lehmann: Luther als Prediger, in: Oberurseler Hefte 17 (1983) 5–21; Eberhard Winkler: Luther als Seelsorger und Prediger, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers, Berlin/Göttingen 1983, Bd. 1, 225–239 und Anm., Bd. 2, 792–797; Peter Newman Brooks: Luther the Preacher, in: The Expository Times 95 (1983), 37–41; Dietrich Rössler: Beispiel und Erfahrung: Zu Luthers Homiletik, in: Hans Martin Müller/Dietrich Rössler (Hg.): Reformation und Praktische Theologie, FS für Werner Jetter, Göttingen 1983, 202–215; Walter Jens: Martin Luther: Prediger, Poet, Publizist, in: Ders.: Kanzel und Katheder. Reden, München 1984, 163–189; Fred W. Meuser: Luther the Preacher, Minneapolis 1983; Karl-Heinz Bieritz: Verbum facit fidem. Homiletische Anmerkungen zu einer Lutherpredigt. Gottfried Voigt zum 70. Geburtstag, in: ThLZ 109 (1984), 481–494; John T. Pless: Martin Luther: Preacher of the Cross, in: CTQ 51 (1987), 83–101; Eilert Herms: Das Evangelium für das Volk. Praxis und Theorie der Predigt bei Luther, in: LuJ 57 (1990), 19–56; Hellmut Zschoch: Predigten, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 3 2017, 358–364. 10   Auf die Forschungsergebnisse wird in den einzelnen Kapiteln ausführlich eingegangen. 11  Vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769. 12  Vgl. Karl Friedrich Köhler: Luthers Reisen und ihre Bedeutung für das Werk der Reformation, Eisenach 1872; vgl. ferner Ders.: Luther’s Leben dargestellt in seinen Reisen von der Kindheit bis zum Tode, Basel 1875. 13   Vgl. ferner Johann Karl Seidemann: Karl Friedrich Köhler: Luther’s Reisen, 1872 und seine Besprechung in: Sächsisches Kirchen- und Schulblatt 23 (1873), 45–48. 54–56. 57– 61. 73–79. 85–87. 14  Vgl. Carl August Hugo Burkhardt: Altes und Neues über Luthers Reisen, in: ZKG 19 (1899), 99–105. 15  Vgl. Paul Flemming: Zu Luthers Reisen, in: ThStKr 89 (1916), 513–528. 16  Vgl. Georg Buchwald: Luther-Kalendarium (SVRG 147), Leipzig 1929.

2. Forschung

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Luther-Forschung, auch wenn es überarbeitungsbedürftig ist.17 Allerdings kam es im Zuge dieser kirchengeschichtlichen Aufarbeitung von Luthers Reisen nicht zur Analyse der vor Ort gehaltenen Reisepredigten. Hinsichtlich der Überlieferungsgeschichte und der Quellenkritik der Predigten Luthers sind die Forschungsleistungen von Georg Buchwald18 und Paul Pietsch19 zu würdigen, die vornehmlich die Editionen insbesondere der Predigten in der Weimarer Ausgabe besorgt haben. Sie enthalten auch die zahlreichen Predigtmitschriften von Georg Rörer (1492–1557), Andreas Poach (1516–1585) und Anton Lauterbach (1502–1569). Am wichtigsten hierbei sind die Funde der zahlreichen Stenogramme Rörers. Seine Aufzeichnungen wurden Anfang der 17   Auf der Grundlage von Buchwalds Einsichten kam es zu weiteren Einzeluntersuchungen. Vgl. hierzu Wilhelm Schmitt: Luthers Reise zum Marburger Religionsgespräch 1529, in: ARG 28 (1931), 275–280; Reinhold Jauernig: Luthers Reisen und Predigten in Thüringen, Berlin 1952; Ralf Thomas: Luthers Reisen von Wittenberg nach der südlichen Region des kursächsischen Landesstaates. Territorialpolitische und verkehrsgeographische Beobachtungen im Raum Eilenburg – Wurzen – Grimma, in: HerChr 13 (1981/82), 47–65. 18   Neben seiner Mitarbeit an knapp der Hälfte der Bände der Weimarer Ausgabe sind auch seine weiteren zahlreichen Quellenausgaben und Beiträge hinsichtlich der Predigten Luthers zu nennen. Vgl. Georg Buchwald: Die Lutherfunde der neueren Zeit insbesondere in der Zwickauer Ratsschulbibliothek, Zwickau 1886; Ders.: Martin Luther: Handschriftliche Sammlung Ungedruckter Predigten D. Martin Luthers aus den Jahren 1528–1546. Andreas Poachs handschriftliche Sammlung ungedruckter Predigten D. Martin Luthers, 3 Bde, hg. von Georg Buchwald, Zwickau 1884; Ders.: Ungedruckte Predigten D. Martin Luthers im Jahre 1530 auf der Coburg gehalten, Zwickau 1884; Ders.: Versuch der Lösung eines chronologischen Rätsels bzw. zweier Predigten Luthers, in: ThStKr 60 (1887), 751; Ders.: Elf bisher ungedruckte Predigten von D. Martin Luther gehalten in der Trinitatiszeit 1539. Nach Zwickauer und Heidelberger Handschriften zum ersten Male veröffentlicht von Georg Buchwald, Werdau 1888; Ders.: Ein unbekanntes oberdeutsches Glossar zu Luthers Bibelübersetzung, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 22 (1889), 325–336; Martin Luther: Luthers Werke. Volksausgabe in acht Bänden, hg. von Georg Buchwald und Gustav Kawerau, Berlin 1889; Ders.: Jenaer Lutherfunde, in: ThStKr 67 (1894), 374–391; Ders.: Die letzten Wittenberger Katechismuspredigten vor dem Erscheinen des kleinen Katechismus Luthers, Gotha 1896; Ders.: Martin Luther: Ungedruckte Predigten D. Martin Luthers aus den Jahren 1537– 1540, zum ersten Mal veröffentlicht von Georg Buchwald, Leipzig 1905; Ders.: Martin Luther: D. Martin Luthers Predigten im Juli 1534 zu Dessau gehalten. Aus Georg Rörers Nachschriften zum erstenmale hg. von Georg Buchwald, Leipzig 1909; Ders.: Neues über Luthers Reisen. Aus den Predigtnachschriften Georg Rörers und Anton Lauterbach, in: Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier, Weimar 1917, 154–158; Ders.: Koburger Predigten Martin Luthers aus dem Jahre 1530, Leipzig 1917; Ders.: Martin Luther. Luthers Werke für das christliche Haus, hg. von Georg Buchwald, 3. Folge: Predigten und erbauliche Schriften, 2 Teile, Leipzig 41924; Ders.: Predigten. Vermischte Schriften. Dichtungen (Ausgewählte Werke 7), hg. von Georg Buchwald u. a., München 1925; Ders.: Predigten D. Martin Luthers auf Grund von Nachschriften Georg Rörers und Anton Lauterbachs, 2 Bde, Bd. 1: Vom 11. Oktober 1528 bis zum 3. April 1530, Gütersloh 1925; Bd. 2: Vom 16. Oktober bis zum 14. April 1532, Gütersloh 1926. 19  Vgl. Paul Pietsch: Über das Verwandtschaftsverhältnis der oberfränkischen Dialekte des IX. Jahrhunderts, Breslau 1875; Heinrich Rückert: Proben altschlesischer Sprache, hg. von Paul Pietsch, Paderborn 1878; Ders.: (Hg.): Schlesische Denkmäler des deutschen Schrifttums im Mittelalter, Breslau 1881; Ders.: Martin Luther und die hochdeutsche Schriftsprache, Breslau 1883.

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Einleitung

1890er-Jahre wiederentdeckt und regten die quellenkritischen Forschungen an.20 Es folgten jüngere Editionen durch Friedrich Gogarten 21 und Emanuel Hirsch 22 , welche die textkritischen Urteile überprüften und im Einzelfall korrigierten.23 Einer der ersten, die Luthers Predigten als eigene Quellengattung ansahen, war Eduard Albert Wilhelm Jonas, Pfarrer an der damaligen St.-Gertrud-Kirche in Stettin. Er untersuchte im Jahr 1852 die Kanzelberedsamkeit Luthers.24 Noch vor der Entdeckung der Predigtnachschriften in den 1890er-Jahren beschreibt er den Wittenberger als Reformator der evangelischen Verkündigung, der dem vermeintlichen »tiefen Verfall«25 der mittelalterlichen Predigtkultur entgegentrat. Seine Untersuchung rekonstruiert die Einflüsse von Luthers Predigtweise, die durch dessen humanistische, philosophische, naturwissenschaftliche und theologische Studien geformt wurden. Ihm zufolge sind die Kennzeichen seiner Predigtweise der mit Wärme und Lust verbundene Eifer, das Bestreben, das Innere einer Sache aufzudecken, ohne dabei zu anspruchsvoll zu werden, sowie die Wahrheits- und Freiheitsliebe.26 Der Form nach bestimmt Jonas die Kanzelreden entweder als »synthetisch«, »welche sich an ein aus dem Texte genommenes Thema lehnen und deren Teile aus diesem abgeleitet sind«, oder als »analytisch«, »in welchen der Text nach der Folge der ihm angehörigen Theile erläutert« werden.27 Die Inhalte ordnet er jedoch gemäß dem Aufbau einer Dogmatik, ohne dabei eine Kontextualisierung der Predigten vorzunehmen.28 20  Vgl. Hellmut Zschoch: Luthers Rede hören und bewahren. Georg Rörers Nachschriften der Predigten des Reformators, in: Stefan Michel/Christian Speer (Hg.): Georg Rörer (1492–1557). Der Chronist der Wittenberger Reformation (LStRLO 15), Leipzig 2012, 125–136; Stefan Michel: Sammler – Chronist – Korrektor – Editor. Zur Bedeutung der Sammlung Georg Rörers für die Wittenberger Reformation, in: aaO., 9–58; Ders.: Martin Luthers Galaterbriefvorlesung von 1531. Quellenkritische Beobachtungen an der Kollegmitschrift Georg Rörers (1492–1557), in: LuJ 77 (2010), 65–80; Ders.: Die Kanonisierung der Werke Martin Luthers im 16. Jahrhundert (SMHR 92), Tübingen 2016, 121–131. 21  Vgl. Martin Luther: Predigten, ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Friedrich Gogarten, Jena 1927. Vgl. hierzu die Kritik durch Emanuel Hirsch: Rez. ›Luther, Martin: Predigten‹, in: ThLZ 11 (1927), 254–256 und Gogartens Replik, Friedrich Gogarten: Zur Frage der authentischen Lutherpredigt. Theologische Blätter 8 (1927), 224f. 22   Vgl. BoA 7. Auf Hirschs Quellenauswahl basiert die Studie von Martin Doerne: Predigtamt und Prediger bei Luther, in: Heinrich Benckert (Hg.): Wort und Gemeinde, FS für Erdmann Schott, Berlin 1967, 43–54, hier 54, Anm. 1. 23   Vgl. auch die Herausgabe der ›Invocavitpredigten‹ von Helmar Junghans, Martin Luther: Acht Sermone D. M. Luthers von ihm gepredigt zu Wittenberg in der Fasten (StA 2; 520. 532–558). 24  Vgl. Eduard Albert Wilhelm Jonas: Die Kanzelberedsamkeit Luther’s nach ihrer Genesis, ihrem Charakter, Inhalt und ihrer Form, Berlin 1852. 25   AaO., V. 26   Vgl. aaO., 55–98. 27   AaO., 460. 28   Vgl. aaO., 99–441.

2. Forschung

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Der Rostocker Ordinarius für Praktische Theologie Hermann Werdermann konzentrierte sich 1929 auf Luthers Wittenberger Predigten um 1530.29 Er stützte sich hierzu insbesondere auf den zweiten Band der von Georg Buchwald herausgegebenen und verdeutschten Predigtnachschriften Luthers.30 Als einer der ersten versuchte er, auf der Quellengrundlage der Predigten ein Bild von der Wittenberger Gemeinde zu zeichnen. Hierzu stellt er fest, dass Luther sich der Unterscheidung seiner Zuhörerinnen und Zuhörer ständig bewusst war, wenn er beispielsweise die Kinder, Mütter, Väter, Knechte, Mägde, Bauern, Stadtbürger oder die Obrigkeit direkt ansprach.31 Außerdem stilisierte Luther seine Wittenberger Gemeinde. Er sprach sie an entweder als Menschen mit aufrichtigem Herzen, aber auch als Personen mit hartem Gemüt oder als bloße Teilnehmer mit einer gleichgültigen Haltung.32 Dabei zeige sich bei Luther in den 1530erJahren eine gewisse Freiheit gegenüber der damaligen Perikopenauswahl, die sich in der Zeit langsam einbürgerte.33 Entweder habe er einen anderen Text gewählt oder sich auf ein besonderes Thema konzentriert.34 Werdermann sieht Luther als Vorbild für eine »gemeinde-« und »zeitgemäße« Predigtweise.35 Trotz mangelnder kritischer Aufarbeitung der Quellenüberlieferung konnte Werdermann zeigen, dass die Predigten eine Fundgrube für historische Rückschlüsse auf die Gemeindesituation sein können. Einen besonderen Impuls setzte der Zürcher Theologe Gerhard Ebeling im Jahr 1942.36 In seiner Dissertation konzentriert er sich auf die hermeneutischen Grundlagen von Luthers evangelischer Evangelienauslegung.37 In Abgrenzung vom Urteil Søren Kierkegaards, Luther ziehe Paulus den Evangelien vor, weist Ebeling in seiner gattungsspezifischen Sichtung der Quellen nach, dass der Reformator sich in den Predigten auf die Auslegung der Evangelien mit Schwer29  Vgl. Hermann Werdermann: Luthers Wittenberger Gemeinde wiederhergestellt aus seinen Predigten, Gütersloh 1929, 3. Zu Werdermanns NDSAP-Mitgliedschaft und Mitarbeit am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben vgl. Folkert Rickers: Bewahrung des Evangeliums und Bewährung im Glauben. Die weltanschauliche Orientierung des Religionspädagogen Hermann Werdermann 1933–1945, in: Ders.: Zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Untersuchungen zur Religionspädagogik im »Dritten Reich«, Neukirchen-Vluyn 1995, 100–143. 30  Vgl. Georg Buchwald: Predigten D. Martin Luthers auf Grund von Nachschriften Georg Rörers und Anton Lauterbachs, Bd. 2: Vom 16. Oktober bis zum 14. April 1532, Gütersloh 1926. 31  Vgl. Hermann Werdermann: Luthers Wittenberger Gemeinde wiederhergestellt aus seinen Predigten, Gütersloh 1929, 12f. 232. 236. 32   Vgl. aaO., 14f. 33   Zur Geschichte der Perikopen siehe unten Seite 133. 34   Vgl. aaO., 172f. 35   Vgl. aaO. 227. 233. 36  Vgl. Albrecht Beutel: Gerhard Ebeling. Eine Biographie, Tübingen 2012, 56. 37  Vgl. Gerhard Ebeling: Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik (FGLP 10.1), München 1942; Tübingen 31991. Zitiert wird nach dem fotomechanischen Nachdruck der ersten Auflage, Darmstadt 1962, 11.

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punkt auf das Matthäusevangelium und hier wiederum auf die Bergpredigt konzentrierte.38 Die Kennzeichen von Luthers Predigttätigkeit sind ihm zufolge radikale Gebundenheit an die Heilige Schrift, Freiheit in der Predigtform, Bescheidenheit und Einfachheit der Sprache, eine gewisse Beschränkung und Einseitigkeit des Inhalts, aber auch eine von Christus erfüllte Gegenwärtigkeit und eine situativ bedingte Einmaligkeit seiner Worte.39 Außerdem stellt Ebeling im Anhang eine hilfreiche Systematisierung der einzelnen Predigtformen Luthers auf.40 Insbesondere in den 1950er-Jahren konzentrierte sich die Forschung aus systematisch-theologischer Perspektive auf die in Luthers Predigten enthaltene Dialektik von Gesetz und Evangelium.41 So beschreibt Emanuel Hirsch jene Antithetik als ein »Widereinandergekehrtsein des fordernden und drohenden und des verheißenden und schenkenden Gotteswillen«42 . Während die theologische Reflexion diesen antinomisch verfassten Gedanken zu begreifen imstande sei, ergäben sich aus dem Vollzugs­charakter der Predigt besondere Herausforderungen.43 Hirsch zufolge habe Luther jedoch mit der Gesetzes- und Evangeliumspredigt kein Gliederungsschema vor Augen gehabt, nach dem die Predigt streng in zwei Teile zerfalle.44 Vielmehr gehe es Luther um die ineinander verschränkte Wirkungsweise der Einzel­aussagen: Das Gesetz soll niederschlagen und in die Verzweiflung stürzen, das Evangelium aufrichten und trösten.45 Eine solche widerspruchsvolle Wirkungseinheit könne allerdings in ein und dersel  Vgl. aaO., 11. 14. 21.   Vgl. aaO., 26–28. 40   Vgl. aaO., 464–474. 41   Der Ursprung der Debatte geht auf Karl Barths Schrift »Evangelium und Gesetz« (München 1935) zurück. Vgl. André Demut: Evangelium und Gesetz. Eine systematisch-theologische Reflexion zu Karl Barths Predigtwerk (TBT 145), New York u. a. 2008. Vgl. bereits früher die Erwägungen von Paul Althaus: Luther auf der Kanzel. Beobachtungen über die Form seiner Predigt, in: Luther 3 (1921), 17–24. Vgl. ferner Otto Wolff: Gesetz und Evangelium. Erwägungen um die dogmatische Grundfrage in Auseinandersetzung mit Friedrich Gogarten, in: EvTh 3 (1936), 136–156; Ernst Sommerlath: Gesetz und Evangelium (Luthertum 17), Berlin 1955. 42  Vgl. Emanuel Hirsch: Gesetz und Evangelium in Luthers Predigt, in: Luther 25 (1954), 49–60, hier 50. Vgl. ebenfalls Ders.: Luthers Predigtweise, in: Luther 25 (1954), 1–23 und seine Zusammenstellung von Selbstzeugnissen Luthers als Prediger und dessen Predigten in BoA 7. Vgl. auch die Grundkonzeption von Hirschs Homiletik in Ders.: Predigerfibel, Berlin 1964, 3–140 und Ders.: Zwiesprache auf dem Wege zu Gott. Ein stilles Buch, Düsseldorf-Köln, 1960, 192–198. Vgl. ferner Wilhelm Gräb: Predigt als Mitteilung des Glaubens. Studien zu einer prinzipiellen Homiletik in praktischer Absicht, Gütersloh 1988, 115–167, hier 121. 154. 43   Die theologische Reflexion »kann den Sinnzusammenhang des wunderbaren göttlichen Waltens vom Evangelium her erfassen. Anders aber steht es, wenn es sich um die Verkündigung von Gottes Willen handelt« (Vgl. Emanuel Hirsch: Gesetz und Evangelium in Luthers Predigt, in: Luther 25 [1954], 49–60, hier 50). 44   »Ist dann nicht die Predigt von Gesetz und Evangelium durcheinander ein abwechselndes Einreißen und Aufbauen?« (aaO., 51). 45   Vgl. ebd. 38 39

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ben Aussage stattfinden. Auch könne ein und dieselbe Aussage je nach Einstellung des Adressaten entweder als Gesetz oder als Evangelium gehört werden. Wie nun die richtige Wirkung erzielt werden könne, darüber habe Luther selber geklagt und dies letztlich Gott anheimgestellt.46 Im Anschluss an Hirsch untersuchte Gerhard Heintze im Jahr 1958 das Verhältnis von Gesetz und Evangelium insbesondere in Luthers Predigten über den Dekalog, die Bergpredigt, über das doppelte Liebesgebot und die Passion Christi.47 Das Ergebnis seiner Untersuchungen besteht in der Einschätzung, dass Luther zwar niemals das Zugleich von Gesetz und Evangelium in der Predigt in Abrede gestellt habe; jedoch lasse sich in seinen späteren Äußerungen erkennen, dass Luther auch von einem Nacheinander sprechen konnte.48 Er datiert die Modifizierung von Luthers Auffassung auf das Jahr 1522.49 Heintze stützt sich hierbei auf frühe Aussagen zur Aufgabe der Predigt aus der ›Psalmenvorlesung‹

46   »All das kann natürlich die große Frage letztlich nicht wegnehmen, von der wir ausgegangen sind: wird die Gesetzespredigt nicht manchmal die betrübten Herzen schrecken, an denen aber, die sie eigentlich meint, vorübergehen? Die Antwort Luthers muß in einen weiten Zusammenhang gestellt werden; sie trifft die Predigt des Evangeliums mit. Es ist Gottes Sache, welche Wirkungen das Wort des Predigers hat. […] Das ist die einzige Auflösung, die Luther der Sorge gegeben hat, die jeden Prediger am tiefsten bedrückt: daß die Predigt so fruchtlos scheint oder ist. Er hat sein Lebtag unter dieser Fruchtlosigkeit gelitten« (aaO., 53). – Aus diesem Verständnis der Antinomie von Gesetz und Evangelium Luthers generiert Hirsch letztlich das zentrale Aufbauprinzip seiner gesamten Dogmatik. Vgl. § 76 »Offenbarung als Gesetz und Evangelium« – das Herzstück seines ›Leitfadens‹ – in Emanuel Hirsch: Christliche Rechenschaft, bearb. v. Hayo Gerdes, Neuausgabe v. Hans Hirsch, 2 Bde, Tübingen 1983, Bd. 2, 16–24; vgl. ebenfalls Bd. 1, 73f. 124f. 128–131. 157. Vgl. hierzu Arnulf von Scheliha: Emanuel Hirsch als Dogmatiker. Zum Programm der »Christlichen Rechenschaft« im »Leitfaden zur christlichen Lehre« (TBT 53), Berlin u. a. 1991, 287–295. 382. 438 und unübertroffen Ulrich Barth: Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problemgeschichtliche Darstellung ihrer geschichts­methodologischen, erkenntniskritischen und subjektivitätstheoretischen Grundlagen, Berlin u. a. 1992, 579–638. 47  Vgl. Gerhard Heintze: Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium (FGLP 10.11), Göttingen 1958. Zu Hirsch vgl. aaO., 32–34; vgl. außerdem den Überblick aaO., 49. 48   Heintze fasst die Veränderung mit folgenden Worten zusammen: »Während zuerst auf das grundsätzliche ›simul‹ der Verkündigung von der menschlichen Sünde und der göttlichen Barmherzigkeit in der Predigt des einen Evangeliums von Jesus Christus aller Nachdruck gelegt wurde, wird jetzt bei theologischem Festhalten des ›simul‹ doch vor allem das homiletisch-methodische Nacheinander der Predigt des Gesetzes und des Evangeliums hervorgehoben. Zuerst ist das Gesetz in aller Schärfe, so als gäbe es kein Evangelium, zu verkündigen zur Erschütterung des Gewissens. Und erst nach dem Eintritt dieser Erschütterung ist die Predigt des Trostes des Evangeliums anzuschließen. Der innere Zusammenhang der Predigt von Gesetz und Evangelium wird nur im Bewußtsein des Predigers festgehalten, der auch schon während der Predigt des Gesetzes deren eigentliches ›pädagogisches‹ Ziel fest im Auge behalten soll« (aaO., 93). 49   Vgl. die beiden Abschnitte über Luthers grundsätzlichen Äußerungen über die Aufgabe der Predigt von Gesetz und Evangelium »A. Bis 1522« und »B. Nach 1522«, aaO., 66. 67–79. 79–101.

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(1519/1521) 50 und der ›Wartburgpostille‹ (1522) 51 im Vergleich zu späteren Aussagen, wie denen aus der ›Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose sollen schicken‹ (1525) 52 , dem ›Unterricht der Visitatoren‹ (1528) 53 und der ›Antinomerdisputation‹ (1539) 54. Beim Vergleich mit Luthers Predigten kommt Heintze allerdings zum Ergebnis, dass der Wittenberger ein solches Nacheinander nur sehr begrenzt als Aufbauschema nutzte.55 Auch wenn er das Verhältnis von Gesetz und Evangelium in seinen Predigten selbst zum Thema macht und zuweilen ein Nacheinander betont, so verwendet er dies nicht als Gliederungsprinzip.56 Stattdessen ist zumeist der jeweilige Bibeltext für die Gliederung der Predigt von zentraler Bedeutung.57 Die Leistung von Heintze besteht insofern darin, ex negativo gezeigt zu haben, dass Luthers Predigtdispositionen nicht einfach dem Schema Gesetz und Evangelium folgen, sondern jede einzelne Predigt individuell betrachtet werden muss. Wenngleich keineswegs die Antithetik von Gesetz und Evangelium für Luthers Predigten in Abrede gestellt werden soll, so ist dennoch zu fragen, ob die Fokussierung auf diese Thematik in den Folgejahren nicht zu einer Verengung in der Erforschung von Luthers Predigten geführt hat.58 50   Vgl. Luthers Auslegung von Ps. 19 (deutsche Zählung) und Ps. 22 (deutsche Zählung) in den Operationes in Psalmos 1519–1521, WA 5; 541f. 657. 51   Vgl. hier vor allem die vorangestellte Schrift »Eyn kleyn unterricht, was man ynn den Euangelijs suchen und gewartten soll« (WA 10 I.1; 7–18; vgl. ferner die Einleitung WA 10 I.2; XLI–LXXXI). 52   Vgl. aus den Exoduspredigten die Predigt vom 27. August 1525 in WA 16; 363–393. 53   Vgl. WA 26; 175. 195–240, hier 202f. 54   Vgl. WA 39 I; 334–584, hier 385. 441. 55   »Aber die grundsätzliche Forderung des bleibenden pädagogischen Nach- und Nebeneinanders von gesonderter Gesetzes- und Evangeliumspredigt in der Entwicklung nach 1522 läßt sich tatsächlich schwer mit dem praktischen Verfahren in den Predigten auf einen Nenner bringen« (Gerhard Heintze: Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium [FGLP 10.11], Göttingen 1958, 262). Vgl. auch aaO., 146. 164f. 274. 56   So zeigt sich beispielsweise »über das doppelte Liebesgebot, daß Luther in ihnen zwar oft auf die Lehre vom Nacheinander von Gesetz und Evangelium und von ihrer Verschiedenheit eingeht, daß er aber in der praktischen Entfaltung dessen, was er als Predigt des Gesetzes bezeichnet, sich fortgesetzt direkt und indirekt auf das Evangelium bezieht« (aaO., 169). 57   »Wir haben in der Untersuchung der Predigten Luthers […] immer neu festgestellt, daß die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium im Vollzug der Predigt keine bestimmende Rolle spielt […]. Für die methodische Anlage und Durchführung der Predigten ist jeweils der zugrundeliegende Text, nicht ein prinzipielles Schema maßgebend« (aaO., 257). Siehe unten Seite 137. 58  Vgl. Manfred Josuttis: Die Predigt des Gesetzes nach Luther, in: EvTh 25 (1965), 586–604; Ernst Kinder/Klaus Haendler (Hg.): Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion (WdF 142), Darmstadt 1968; Bertold Klappert: Promissio und Bund. Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth (FSÖTh), Göttingen 1976, Albrecht Peters: Gesetz und Evangelium (Handbuch systematischer Theologie 2) Gütersloh 1981; Steffen Kjeldgaard-Pedersen: Gesetz, Evangelium und Buße. Theologiegeschichtliche Studien zum Verhältnis zwischen dem jungen Johann Agricola (Eisleben) und Martin Luther (AThD 16), Leiden 1983; Dietrich Korsch: Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein. Vier systematische Variationen über Gesetz und Evangelium (BHTh 76),

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Eine Sonderrolle nimmt die Studie des Göttinger Theologen Ulrich Nembach aus dem Jahr 1972 ein. Er untersuchte Luthers Predigten im Kontext rhetorischer Vorbilder.59 In Abgrenzung zu Werdermann ist er der Meinung, dass Luthers Predigten aufgrund der Überlieferungsproblematik nur sehr bedingt zur Erhebung seiner Homiletik nützlich seien und man stattdessen auf die Postillen zurückgreifen solle. 60 Deshalb verbiete sich auch anhand der Predigten die Rekonstruktion der Hörer in der Gemeinde. 61 Der theologischen Funktion nach konzentriere sich Luther auf den Aspekt der Lehre. 62 Der Form nach ähnelten die Predigten den Volksberatungsreden Quintilians. Man könne jenen vermeintlich quintilianischen Aufbau der Predigten anhand ihrer Teile »inventio«, »dispositio«, »elocutio«, »memoria« und »pronuntatio« nachweisen. 63 Allerdings haben sich die Behauptungen Nembachs in der Forschung nicht durchsetzen können. Zu Recht wurde hinterfragt, ob die zeitlich disparaten Beispiele ausreichen, um jene rhetorische Grundstruktur zu postulieren. Ferner ist zu bezweifeln, dass der rhetorische Hintergrund gar ein Kriterium zur Rekonstruktion des Wortlauts auf der Grundlage von Predigtnachschriften sein könne. Außerdem ist nicht nachzuvollziehen, warum das in den Predigten vorhandene Lokalkolorit völlig unberücksichtigt gelassen werden solle. Eine wichtige Bedeutung nimmt die Monografie von Susanne bei der Wieden aus dem Jahr 1999 ein. Sie gibt eine profunde und hinsichtlich der Überlieferungsgeschichte Maßstäbe setzende Rekonstruktion der Predigten von 1522. 64 Der Mehrwert jener Untersuchung besteht darin, dass sie ihre Rekonstruktion auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse der analytischen Druckforschung vornimmt. Damit zeigte sie anhand der Predigten von 1522 exemplarisch die ReviTübingen 1989, 214–279; Jörg Kailus: Gesetz und Evangelium in Luthers großem Galaterkommentar sowie bei Werner Elert und Paul Althaus. Darstellung in Grundzügen und Vergleich, Münster 2004. 59  Vgl. Ulrich Nembach: Predigt des Evangeliums. Luther als Prediger, Pädagoge und Rhetor, Neukirchen-Vluyn 1972. 60   »Da also die Kirchenpostille ursprünglich als eine Sammlung von Predigten galt, muß man sie auch als solche werten, um ihr gerecht zu werden, und darf sie nicht an modernen Kategorien messen. Damit nimmt die Kirchenpostille unter den Quellen für eine Betrachtung der Homilektik [sic!] Luthers eine besondere Stelle ein. Sie enthält für die Homiletik Luthers auswertbare Predigten im Gegensatz zu den meisten anderen nicht so gut überlieferten« (aaO., 18). 61  »Werdermanns interessanter Versuch, Luthers Wittenberger Gemeinde anhand von zwei Predigtjahrgängen Luthers darzustellen, ist darum homiletisch gesehen belanglos. Man kann nur feststellen, daß Luther den Hörer in seine Predigt einbezog und dies ein farbiges Bild ergibt. Ob Luther aber alle Hörer anspricht, ob er bewußt differenziert, welchen Ort es dem Hörer in der Predigt zuweist, alle diese Fragen bleiben ohne Antwort. Gerade diese Fragen interessieren aber den Homileten« (aaO., 16, Anm. 16). 62   Vgl. aaO., 120. 123f. 63   Vgl. aaO., 135. 141f. 172–174. 64  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999.

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sionsbedürftigkeit der Weimarer Ausgabe. Allerdings bemängelt Martin Brecht in einem Aufsatz zu Recht, dass von ihr der innovatorische und weiterführende Beitrag, der von den Predigten Luthers für dessen theologisches Denken ausgehe, »allenfalls angesprochen, nicht aber entfaltet« sei. 65 Insofern bedarf es weiterer Untersuchungen, die unter Berücksichtigung der Überlieferungsgeschichte auch den Gehalt der Predigten selbst stärker in den Blick nehmen. Schließlich sind noch jüngere Monografien zu nennen. So untersucht Vera Christina Pabst Luthers Mönchsverständnis in den Predigten aus den Jahren 1522/23. 66 Vor dem Hintergrund der Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 vollzieht Jon Ho Kwon christologische Erwägungen. 67 Jonathan Mumme rekonstruiert Luthers Amtsverständnis am Beispiel ausgewählter Ordinationspredigten. 68 Und Jonathan Reinert rekonstruiert Luthers Passionspostillen und deren kontroverstheologien Auswirkungen im 16. Jahrhundert. 69 Rückblickend ergeben die hier aufgezeigten Konturen der Forschung, dass auf der einen Seite die Predigten eine wichtige Quellengattung zur Erhebung der Theologie und Homiletik darstellen. Konzentriert man sich hierbei auf ein bestimmtes Thema und wählt dazu einige Predigten aus, so besteht allerdings die Gefahr, den spezifischen Kontext einer jeden Predigt aus dem Blick zu verlieren. Auf der anderen Seite gilt es, die überlieferungsgeschichtlichen und historischen Hintergründe der Predigten zu bedenken, ohne dabei die inhaltliche Analyse zu vernachlässigen. Die vorliegende Studie will in diesem Sinn beiden Ansprüchen genügen: Rekonstruktion der Kontexte und Interpretation der Predigtinhalte sollen in gleicher Intensität vorgenommen werden. Denn erst der Kontext führt zur Tiefenschärfe der Interpretation. Und umgekehrt: Erst durch die Interpretation lassen sich Rückschlüsse auf den Kontext gewinnen. Ziel ist es, das Spezifische und Eigentümliche jeder einzelnen hier analysierten Predigt zu erheben. Der besondere Reiz dieser Herangehensweise liegt darin, dass bei der primär historischen Untersuchung von Luthers außerhalb Wittenbergs ge Vgl. Martin Brecht: Die Entwicklung der Theologie Luthers aus der Exegese vorgeführt an der Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt (1522/1523), in: Notger Slenczka/ Walter Sparn (Hg.): Luthers Erben, FS für Jörg Baur zum 75. Geburtstag, Tübingen 2005, 1–24, hier 1f. 66  Vgl. Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«. Eine Analyse von Martin Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchtum in seinen Predigten des ersten Jahres nach seiner Rückkehr von der Wartburg 1522/1523, Diss. Hamburg 2005. 67  Vgl. Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008. 68  Vgl. Jonathan Mumme: Die Präsenz Christi im Amt. Am Beispiel ausgewählter Predigten Martin Luthers, 1535–1546 (Refo500 Academic Studies 21), Göttingen 2015. Vgl. hierzu meine Rezension in: LuJ 83 (2016), 288–290. 69  Vgl. Jonathan Reinert: Passionspredigt im 16. Jahrhundert. Das Leiden und Sterben Jesu Christi in den Postillen Martin Luthers, der Wittenberger Tradition und altgläubiger Prediger (erscheint in SMHR), Tübingen 2020, 23–117. Vgl. ferner Volker Mertens: Lebendige Stimme und tote Schrift – Erscheinungsform und Selbstverständnis von Luthers Predigt, in: Volker Mertens u. a. (Hg.): Predigt im Kontext, Berlin/Boston 2013, 257–280. 65

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haltenen Predigten auch systematisch-theologische, exegetische, homiletische und kasualpraktische Fragestellungen in einem interdisziplinären Sinn einbezogen werden, wodurch sich neue Perspektiven eröffnen. Mit der anvisierten Kontextualisierung der Kanzelreden sind in dieser Untersuchung insbesondere vier Dimensionen anvisiert. Das Hauptaugenmerk soll auf dem historischen Kontext liegen. Dabei sind die zeit‑, orts- und situationsspezifischen Fakten zu erörtern. Welche ereignis-, politik-, sozial- und frömmigkeitsgeschichtlichen Hintergründe spielen eine Rolle, die zum Verständnis der jeweiligen Predigten von Bedeutung sind? In welcher biografischen Situation befand sich Luther beim Halten der jeweiligen Predigt? Wie waren die ortsund regionalgeschichtlichen Verhältnisse der Gemeinden? Daneben ist eine zweite Dimension zu berücksichtigen. Sie betrifft den überlieferungsgeschichtlichen Kontext. Es soll eine erneute kritische Überprüfung der Urteile zu den Nachschriften und Drucken erfolgen, die insbesondere von den Editoren der Weimarer Ausgabe und anderen gefällt wurden. Denn trotz der Forschungsleistungen ist aus heutiger Sicht die Weimarer Ausgabe revisionsbedürftig. Die dritte Dimension zielt auf den agendarischen Kontext. Gemeint sind solche Fragen: Wann hat Luther sonst noch über den jeweiligen Text im Kirchenjahr oder das jeweilige Thema gepredigt? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es? Dabei werden Aufbau und Inhalt der Vergleichspredigten und Postillen zumeist in den Anmerkungen wiedergegeben. Bei Bedarf sind Aussagen einzelner Vergleichspredigten zur Interpretation heranzuziehen. Denn ein Vergleich mit verwandten Kanzelreden gibt Aufschluss über die Eigenheit der jeweils zugrunde liegenden Predigt. Schließlich ist ein vierter Aspekt von Interesse: der theologische Kontext. Welche theologischen Gedanken verarbeitet Luther in seinen Predigten? Inwiefern bietet ihm die Kanzel eine Art Werkstatt zum Nachdenken über seine eigene Theologie? Um die angesprochenen Themen in den Predigten sachgemäß interpretieren zu können, sollen hierzu auch weitere Schriften zu Rate gezogen werden.70 Mit einer solchen vierfachen Kontextualisierung möchte die vorliegende Studie einen kleinen Beitrag zur Entfaltung des Programms einer »Kontextuellen Reformation« leisten.71

70  Ein weiterer Aspekt der Kontextualisierung wäre die Wirkungsgeschichte. Gemeint sind Reaktionen der Zuhörenden festgehalten in Briefen oder anderweitigen Dokumenten, aus denen die unmittelbaren Folgen der Predigt – beispielsweise für die Reformation vor Ort – abgelesen werden können. Allerdings ist hier die Quellengrundlage zumeist recht begrenzt, weshalb dieser Aspekt – wenn es die Quellenlage zulässt – im Zuge der historischen Kontextualisierung berücksichtigt wird. 71  Vgl. Thomas Kaufmann: Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung, Tübingen 2012, 1–27.

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3. Überlieferung Die Predigten weisen im Einzelfall eine komplexe Überlieferungsgeschichte auf. Modellhaft lassen sich acht Stufen unterscheiden, die jedoch lediglich einen idealtypischen Verlauf markieren. Ein solches Stufenmodell verdeutlicht zunächst die Komplexität des Überlieferungsprozesses und ermöglicht einen Zugang, die Tradierung im Einzelnen kritisch zu beurteilen. Die erste Stufe betrifft Luthers eigene Vorbereitung. Nicht selten hat er Predigtentwürfe auf kleinen Notizzetteln festgehalten. Diese Notizzettel waren von ihm auf Latein verfasst und dienten als Gedankenstütze. Er selbst berichtet, dass Tag und Nacht unaufhörlich Gedanken auf ihn einstürmten, weshalb er sich aufgrund der Schwäche seines Gedächtnisses ständig kurze Notizen für künftige Ausarbeitungen gemacht habe.72 Bei einer Predigt hat er dieses Konzept auf die Kanzel mitgenommen. Die Originale von Luthers Predigtnotizen sind verlorengegangen. Wenige wurden jedoch überliefert, indem Freunde und Kollegen Abschriften erstellten. Dies ist die zweite Stufe. Luther selbst beklagt, dass manchmal seine eigenen Zettel wegkämen oder gar gestohlen würden. Er konnte sie aber auch bewusst an Freunde verschenken.73 Auf diese Weise wurden die beiden frühesten Predigten überliefert. Andreas Poach erstellte ein Manuskript von Luthers eigenhändig niedergeschriebenen Notizen.74 Außerdem hat Veit Dietrich 14 Präparationen Luthers gesammelt, die Predigten im Zeitraum von 1529 bis 1538 mit Schwerpunkt auf den Jahren 1531 und 1534 enthalten.75 Diese Originale oder Abschriften konnten in der dritten Stufe mit redaktionellen Bearbeitungen sogar in den Druck gelangen. Während Luthers Aufenthalt in Schmalkalden im Frühjahr 1537 wurden 22 Predigtentwürfe von Liborius Meydeburgk veröffentlicht, die Luther in den Jahren zuvor beim Mittagsmahl und beim Abendessen verfasst hatte.76 Anhand des Vergleichs der Notizzettel mit anderen Überlieferungsstufen lassen sich wertvolle Einblicke gewinnen, wie Luther seine Konzepte auf der Kanzel umsetzte. Exemplarisch soll dies erörtert werden, wenn die deutsche Übertragung des Notizzettels von Veit Dietrich mit dem Druck der Coburger Predigt vom 16. April 1530 verglichen wird.77 72   »[…] necesse est me dies & noctes e¸ sture & abundare cogitationibus mirabilibus, qüas memori¸e impotentia (infinit¸e enim sunt) cogit in chartam duobus aut tribus verbis signare velüt rude cahos, aliquando, si opus esset, formandum« (WA 45; 422,5–8). 73   »Has aütem, fürto aliquo vel dono ablatas, edere certe ingrati & inhumani ingenij esset« (WA 45; 422,8–10). 74   Siehe unten Seite 40. 75   Vgl. Vierzehn Predigtkonzepte Luthers, WA 48; 334. 335–349. 76  Vgl. Conciunculae quaedam D. Mart. Lutheri amico cuidam praescriptae, WA 45; XXXVIII, 421–464. Vgl. auch WA 30 III; 390. Eine Übersicht zu weiteren Abschriften von Predigtnotizen bietet WA 48; 334. 77   Siehe unten Seite 310.

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Damit ist bereits die vierte Stufe benannt. Gemeint ist das Predigtgeschehen selbst. Trotz seiner lateinischen Notizzettel predigte Luther in freier Weise auf Deutsch.78 Den Tischreden zufolge litt Luther selbst unter seiner Spontaneität auf der Kanzel. Nach dem Verlassen des Predigtstuhls habe er sich häufig darüber geärgert, nur wenig oder gar nichts davon gepredigt zu haben, was er sich ursprünglich vorgenommen hatte.79 Die fünfte Stufe bezieht sich auf die Mitschriften, die von den Anwesenden direkt beim Hören des Predigtwortes verfasst wurden. Das Mitschreiben war nicht nur eine Angewohnheit weniger Zuhörender. Insbesondere die Gruppe von Studenten und interessierten Stadtbürgern machte sich Notizen. 80 Am wichtigsten sind die Nachschriften Georg Rörers. Er fertigte Stenogramme an, die mittels einer deutsch-lateinischen Mischsprache erstellt wurden. Hierbei benutzte er die damalige Kurzschrift sowie Abbreviaturen und Ligaturen. Außerdem nutzte Rörer ein eigenes Abkürzungssystem, wodurch es ihm gelang, relativ viel vom Inhalt der Predigt festzuhalten. 81 Auf der sechsten Stufe wurde ein solches Stenogramm noch einmal redaktionell bearbeitet, in Reinschrift kopiert oder ins Deutsche übersetzt. Dies konnte vom Mitschreiber selbst oder von Dritten geschehen. Die siebte Stufe umfasst die Drucklegung. Die Grundlage bildeten zumeist eine oder manchmal auch mehrere Mitschriften, um eine ausformulierte Predigt in deutscher Sprache veröffentlichen zu können. Durch Redundanztechniken konnte so ein dreiseitiges Stenogramm auf gut fünfzehn Seiten anschwellen. Diese Techniken werden im Rahmen eines Vergleichs zwischen Rörers Mitschrift und Poachs Ausarbeitung der Kemberger Predigt vom 19. August 1531 exemplarisch erörtert. 82 Der Druckprozess war ein fließender Vorgang, in dem die Arbeitsschritte nicht sauber voneinander getrennt waren. Es konnte sein, dass Luther noch mit 78   Vgl. die irrtümliche Annahme, Luther hätte auch vor der Wittenberger Gemeinde auf Latein gepredigt, von Erwin Arndt: Luthers Stellung in der Geschichte der Deutschen Nationalsprache, in: BGDS 92 (1970), 6. 79   »Jch habe mich offte selbst angespeiet, wan ich vom predigstuel komen bin: Pfue dich, wie hastu gepredigt? Du hasts warlich wol ausgerichtet; nullum servasti conceptum! Vnd eben die selbige predigt haben die leute vfs hochste gelobet, das ich in langer zeit nicht so eine schone predigt gethan hette. Wan ich hinunter vom predigstuel gestiegen bin, so habe ich mich besonnen vnd befunden, das ich nichts oder gar wenig dauon geprediget habe, das ich bey mir concipirt habe« (WA T 4; Nr. 4719, 446, 23–447,1). 80  Vgl. Lutz Mahnke: Stephan Roth (1492–1546) – Zwickauer Schulrektor, Ratsherr und Stadtschreiber zum 450. Todestag, in: Sächsische Heimatblätter 5 (1996), 292–295; Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 118. 81   Vgl. die Zusammenstellung der Abkürzung in WA 29; XVI–XXIV. Vgl. ferner Stefan Michel: Sammler – Chronist – Korrektor – Editor. Zur Bedeutung der Sammlung Georg Rörers für die Wittenberger Reformation, in: Stefan Michel/Christian Speer (Hg.): Georg Rörer (1492–1557). Der Chronist der Wittenberger Reformation (LStRLO 15), Leipzig 2012, 9–58. 82   Siehe unten Seite 209.

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Einleitung

dem Verfassen von Texten beschäftigt war, während bereits die ersten Seiten in den Druck gingen und gleichzeitig Helfer im Zwischenschritt noch redaktionelle Angaben und Eingriffe in andere Manuskriptblätter eintrugen. 83 Hierbei kam es auch zu verbesserten Neuauflagen einzelner Druckbögen, wie es bei Luthers Wörlitzer Predigt vom 24. November 1532 vor den anhaltinischen Fürsten der Fall war. 84 Die achte Stufe betrifft die Umarbeitung der Nachschriften und -drucke zu Postillen. 85 Das Wort stammt aus dem mittellateinischen »postilla« und ist ein Syntagma der Einleitungsformel »post illa verba sacrae scripturae«, d. h. »gemäß jenem Wort der Heiligen Schrift«, was sich auf die Auslegung nach Verlesen des Bibeltextes bezieht. 86 Postillen sind für Luther eine gedruckte Sammlung von Modellpredigten. Sie sind gedacht als Hilfsmittel für Pfarrer auf der Kanzel und für Hausväter zur Verkündigung innerhalb der Familie. 87 Vermittelt durch Georg Spalatin regte Kurfürst Friedrich der Weise den Wittenberger zur Anfertigung von Postillen für Priester und Mönche an. 88 Luther stimmte dem Plan zu, was die Bedeutung der Predigt zur Ausbreitung und Durchsetzung der Reformation unterstreicht. Aus Luthers Feder stammt die lateinische Adventspostille mit dem Titel »Ennarationes epistolarum et evangeliorum, quas postillas vocant D.M. Lutheri« vom März 1521, 89 außerdem die sogenannte »Wartburgpostille«90 aus dem Jahr 1522, die aus zwei hintereinander erschienenen Teilen besteht, der sogenannten »Weihnachtspostille«91 und der deutschen Neubearbeitung der »Adventspostille«92 . In der zwischen März 1524 und Herbst 1525 entstandenen »Fastenpostille«93 bezog Luther erstmals auch bereits gehaltene Predigten bzw. Drucke seiner Predigten mit ein. Die letz83  Vgl. Johannes Luther: Die Schnellarbeit der Wittenberger Buchdruckerpressen in der Reformationszeit, in: ZfB, 31 (1914), 244–264; Stefan Oehmig: Buchdruck und Buchkultur im Wittenberg der Reformationszeit (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in SachsenAnhalt 21), Leipzig 2015. Zur Beschreibung des Druckprozesses im Allgemeinen vgl. Michael Giesecke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt am Main 4 2006. 84   Siehe unten Seite 267. 85  Vgl. zu den nachfolgenden Ausführungen den Überblick von Christopher Spehr: Art. ›Postillen‹, in: Volker Leppin/Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Das Luther-Lexikon, Regensburg 2014, 551–556. 86   Vgl. den Art. ›Postille‹ in: Jakob Grimm/Wilhelm Grimm (Hg.): Deutsches Wörterbuch, Bd. 13, Leipzig 1878, Nachdruck München 1999, 2009. 87  Vgl. Benedikt Jeßing: Neuere deutsche Literaturgeschichte. Eine Einführung, Tübingen 32015, 63f. 88   Vgl. den Brief Spalatins an Luther vom 16. Oktober 1519, WA B 1; Nr. 211, 538. 89   Vgl. WA 7; 458. 466–537. 90   Vgl. WA 10 I.2; XLI–LXXXVIII. 91   Vgl. WA 10 I.1; VII. 1–728. 92   Vgl. WA 10. I.2, IX. 1–208. 93   Vgl. WA 17 II; IX. 1–247.

3. Überlieferung

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ten drei Postillensammlungen wurden in einer Überarbeitung als Luthers »Winterpostille« 1525 neu veröffentlicht.94 Damit endete seine eigene Arbeit an den Postillen. Es folgten Postillenbearbeitungen auf der Grundlage von Mitschriften, Drucken sowie anderweitigen und sogar nicht von Luther stammenden Auslegungen. Von Stephan Roth bearbeitet erschien 1526 die Roth’sche »Sommerpostille«95 , ein Jahr später die »Festpostille«96 , die auch Texte von Melanchthon enthielt, und 1528 eigenmächtig eine sogenannte zweite »Winterpostille«.97 Diese wurden zwar von Luther durch Vorworte autorisiert, aber nicht eigens durchgesehen. Stattdessen lobte Luther die von ihm selbst angeregte »Sommerpostille«98 von Caspar Cruciger aus dem Jahr 1544, die er zu seinem geistigen Eigentum erklärte.99 Luthers »Winterpostille« und Crucigers »Sommerpostille« wurden 1547 zusammen unter der umfassenden Bezeichnung »Kirchenpostille«100 herausgebracht. Daneben erschien 1544 eine von Veit Dietrich bearbeitete »Hauspostille«101, eine Sammlung von Predigten, die Luther überwiegend im eigenen Haus im Zeitraum von 1531 bis 1534 gehalten hatte. Aufgrund Dietrichs freier Bearbeitung mit Einbeziehung eigener Predigten sowie Dokumenten von Melanchthon entschied sich Andreas Poach 1559 in der Jenaer Gesamtausgabe zu einer Neufassung der »Hauspostille«, die sich ausschließlich auf die Stenogramme Rörers stützte. Es ist bedauerlich, dass sich die Herausgeber der Weimarer Ausgabe dazu entschieden, nicht diese Ausgabe der Hauspostille eigens kritisch zu edieren, sondern stattdessen der Dietrichschen Hauspostille den Vorzug gaben.102 Denn es kann vorkommen, dass dort eine Nachschrift von Georg Rörer überliefert ist, deren Original nicht mehr existiert, wie es beispielsweise beim Stenogramm der Predigt Luthers vom 9. Dezember 1528 im Rahmen seiner Reihenpredigten zum Matthäusevangelium der Fall ist.103

94  Vgl. Hellmut Zschoch: Theologie des Evangeliums in der Zeit. Martin Luthers Postillenwerk als theologisches Programm, in: Albrecht Beutel/Reinhold Rieger (Hg.): Religiöse Erfahrung und wissenschaftliche Theologie, FS für Ulrich Köpf, Tübingen 2011, 575–599. 95   Vgl. WA 10 I.2; LXXXI. 209–441 und die Übersicht 10 I.2, LXXXII–LXXXV. 96   Vgl. WA 17 II; 249–516 und die Übersicht in WA 17 II; 517–523. 97   Vgl. WA 21; IX. 1–193 und die Übersicht in WA 21; XX–XXV. 98   Vgl. WA 21; 197–551 und WA 22; 1–424 und hierzu die Einleitung WA 22; IX–XXIX sowie die Übersicht in WA 22; XX–XXVIII. 99   Vgl. WA 21; 200,1–203,22. 100   Vgl. WA 22; XXX–XXXVI. 101   Vgl. WA 52; VII. 1–839 und die Übersicht in WA 52; XII–XXIX. 102   Darauf hat bereits Kurt Aland in seinem Predigtband hingewiesen (vgl. LD 9, 10. 457), der deshalb bewusst Predigten der Rörersche Hauspostille von 1559 abdrucken ließ. 103   Siehe unten Seite 478.

18

Einleitung

4. Methoden Ein solches überlieferungsgeschichtliches Stufenmodell ist hilfreich für das Verstehen des komplexen Entstehungsprozesses von Luthers Predigten. Freilich ist die Quellenlage zu dürftig, um auch nur bei einer Predigt alle acht Stufen rekonstruieren zu können. Je nach Predigt wird der Schwerpunkt entweder mehr auf der Analyse der Stenogramme Rörers bzw. weiterer Mitschriften oder auf den Predigtdrucken liegen. Durch das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena »Die Sammlung Georg Rörers (1492– 1557)« sind nun dessen Stenogramme digitalisiert und kodikologisch erschlossen.104 Hierdurch ist es möglich, online die Image-Dateien selbst einzusehen und mit den Anmerkungen der Weimarer Ausgabe zu vergleichen. Eine eigenständige Übertragung der Originale hätte Jahre gedauert und benötigt ein lebenslang geschultes Auge. Es wäre auch doppelte Arbeit gewesen, da man sich in der Regel auf die Urteile in der Weimarer Ausgabe verlassen kann. In den meisten stichprobenartigen Überprüfungen konnten nur selten – und letztlich unbedeutende – Lesefehler gefunden werden.105 Hinsichtlich der Drucke erfolgte in der neueren Forschung im Vergleich zur Weimarer Ausgabe ein methodischer Fortschritt. Allgemein dienen die Methoden dem Ziel, eine Druckreihenfolge zu bestimmen, um den ältesten Druck auszumachen. Da jedoch bei einer Predigt mehrere Mitschreiber zugegen sein konnten, war es möglich, dass neben der einen Mitschrift, aus der ein Druckerzeugnis erstellt wurde, auch parallel eine andere Nachschrift bzw. Ausarbeitung in einer anderen Druckerei zugrunde gelegt wurde. Hierdurch kann es zu verschiedenen Überlieferungszweigen kommen. Deshalb spricht Susanne bei der Wieden nicht nur, wie es die Weimarer Ausgabe macht, von dem »Erstdruck«, sondern unterscheidet terminologisch zwischen »Erstdruck« und »frühester Druck«.106 Unter »Erstdruck« wird der erste Abdruck eines bestimmten 104  Vgl. Christian Speer: Die Sammlung Georg Rörers (1492–1557). Ein interdisziplinäres und multimediales Erschließungsprojekt an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, in: Malte Rehbein u. a. (Hg.): Kodikologie und Paläographie im Digitalen Zeitalter – Codicology and Palaeography in the Digital Age (Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik 2), Norderstedt 2009, 25–34. 105   Beispielsweise ist bei den Stenogrammen das häufig vorkommene Wort »audistis« (»ihr hört« [nun im folgenden]) überprüft worden, da es sich hierbei auch um das Wort »audivistis« (»ihr habt gehört«) handeln könnte und davon abhängt, ob es ein Vorgriff auf das Kommende oder eine Rückblick auf eine bereits gehaltene Predigt beispielsweise am Vormittag ist. Die Übertragung durch die Herausgeber der Weimarer Ausgabe erfolgte m.  E. sorgsam. Überwiegend konnten sogar die durchgestrichenen Worte rekonstruiert werden, die in den Anmerkungen entsprechend aufgeführt wurden. 106  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 89. Diese Unterscheidung findet beispielsweise ihre Anwendung in der Wittenberger Predigt zum Jakobstag vom 25. Juli 1522 (vgl. aaO., 270–272). Vgl. hierzu die Tabellen D1 und D2, aaO., 394.

4. Methoden

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Überlieferungszweiges verstanden. Eine Predigt kann insofern auch mehrere Erstdrucke haben. Der »früheste Druck« hingegen ist derjenige, der unter den Erstdrucken der chronologisch älteste ist. Auch der Fall konnte eintreten, dass eine Druckerei einen Druck und eine davon unabhängige Abschrift besaß, aus der eine neue Fassung erstellt wurde. In der Forschung wurde hierbei die Frage nach der »ipsissima vox Lutheri« diskutiert.107 Freilich kann der unmittelbare Wortlaut nicht mehr rekonstruiert werden, da es damals keine technischen Möglichkeiten gab, das gesprochene Wort exakt festzuhalten. Das bedeutet aber nicht, dass vor dem Hintergrund moderner kritischer Methoden Rückschlüsse auf Aufbau und Gehalte der Predigten unmöglich wären. Mündlichkeit kann nicht zum einzigen Kriterium für Authentizität erhoben werden. Die neuere spätmittelalterliche Forschung spricht deshalb von einer »Quasiauthentizität«, ohne dabei den Transformationsprozess bei der Überlieferung außer Acht lassen zu wollen.108 Es wäre ein überzogener und anachronistischer Positivismus, auf diese dem Umfang nach größte Quellengattung verzichten zu wollen, nur weil sich das gesprochene Wort auf der Kanzel nicht mehr mit letzter Sicherheit rekonstruieren lässt.109 Die Methoden zur Bestimmung der Druckfolge sind vielfältig. Hierzu gehören auch die hilfswissenschaftlichen Vorgehensweisen wie die Analyseverfahren zur Herkunftsbestimmung des Papiers bzw. die Identifizierung des Papiermachers oder der Papiermühle,110 die Ermittlung des Wasserzeichens111, die Drucktypen-, Initialen- und Kolophonbestimmung112 , das Sammeln histori107   Zum methodischen Umgang mit den Predigten vgl. Georg Buchwald: Ein Beitrag zur Textkritik der Predigten Luthers, in: ZKWL 6 (1885), 470–479; Ders.: Zur Kenntnis der Predigt Luthers, in: LuJ 5 (1923), 19–28; Ders.: Zur Kritik des Textes der Predigten Luthers über das erste Buch Mose (1523–24), in: ThStKr 60 (1887), 737–749; Ulrich Bubenheimer: Unbekannte Luthertexte: Analecta aus der Erforschung der Handschrift im gedruckten Buch, in: LuJ 57 (1990), 238–241; Birgit Stolt: Martin Luthers Rhetorik des Herzens, Tübingen 2000. 108  Vgl. Paul Gerhard Völker: Die Überlieferungsformen mittelalterlicher deutscher Predigten, in: ZDA 92 (1963), 212–227, hier 213f; Kurt Ruh: Deutsche Predigtbücher des Mittelalters, in: VB 3 (1981), 11–30; Hans-Jochen Schiewer: Spuren von Mündlichkeit in der mittelalterlichen Predigtüberlieferung. Ein Plädoyer für exemplarisches und beschreibend-interpretierendes Edieren, in: Editio 6 (1992), 64–79; Ariane Czerwon: Studien zu den lateinischen Sermones Bertholds von Regensburg (SMHR 57), Tübingen 2011, 9. 109  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 26–32. 110  Vgl. Peter F. Tschudin: Grundzüge der Papiergeschichte (Bibliothek des Buchwesens 23), Stuttgart 22012; vgl. ferner Elke Sobek/Frieder Schmidt (Bearb.): Internationale Bibliographie zur Papiergeschichte, 4. Bde, München 2003. 111  Vgl. Gerhard Piccard: Die Wasserzeichenforschung als historische Hilfswissenschaft. in: ArZs 52 (1956), 62–115; Wisso Weiß: Historische Wasserzeichen, Leipzig 21988. Zur Bestimmung der Wasserzeichen vgl. online das Wasserzeichen-Informationssystem. 112  Vgl. die Typenbestimmung durch Abmessung und Formanalyse bei Konrad Haebler: Typenrepertorium der Wiegendrucke. Abt. I. Deutschland und seine Nachbarländer, Halle 1905; vgl. ferner online das Typenrepertorium der Wiegendrucke.

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Einleitung

scher Erkenntnisse über die Offizine und Buchhändler in den einzelnen Orten,113 die Erforschung der Para- und Transtextualität114 bis hin zu kunsthistorischen Betrachtungen der Illustrationen und Titeleinfassungen. Die Grenzen dieser Methoden liegen darin, dass der Papierhandel an die Rhythmen einer agrarischen Ökonomie gekoppelt war und die Druckerei aufgrund der saisonalen Umstände das Papier nicht unbedingt von der am nächsten gelegenen Papiermühle eingekaufte, ferner dass Wasserzeichen keiner Norm unterlagen und Veränderungen aufweisen konnten, dass außerdem gebrauchte Typensätze kurzfristig verliehen oder weiter verkauft werden konnten bzw. dass es einen »typographischen Kreislauf« gab115 , dass obendrein die Text- und Druckqualität sehr von der Erfahrung des jeweiligen Setzers abhing und dass schließlich Schablonen für Illustrationen gebraucht, ausgeliehen oder wiederverwendet werden konnten im Sinne eines intermedialen »Recyclings«.116 In der Regel gilt, dass große Druckereien leichter als kleinere und dass deutsche Drucktypen aufgrund ihrer Individualität einfacher als lateinische zu bestimmen sind. Drei weitere Methoden sind zur Bestimmung der Druckreihenfolge von besonderer Bedeutung: Die Auswertung des Impressums, die Textkritik und die neuere Druckanalyse. Sie sollen hier kurz vorgestellt werden. Bei der ersten Methode handelt es sich um die Begutachtung des Impressums, das sich zumeist am Fuß des Titelblatts befindet. Hierbei wird überprüft, ob Druckort, Druckjahr oder Drucker angegeben werden. Dabei spielt auch eine Rolle, wie weit die Druckerei vom Ort der gehaltenen Predigt entfernt ist. So ergibt sich, dass die zeitliche Abfolge der Drucke aus Leipzig, Nürnberg, Augsburg und Basel der Predigt vom 29. Juni 1519 auch eine fortschreitende Entfernung vom Ursprungsort Leipzig markiert. Freilich ist dies nicht immer der Fall. Eine Mitschrift oder ein Druck konnte auch schnell an weit entfernte Orte gelangen. So konnte Susanne bei der Wieden für den Predigtjahrgang 1522 überzeugend nachweisen, dass Jobs Gutknecht aus Nürnberg, Johann Schott aus 113  Vgl. exemplarisch Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels, München 21999; Reske, Christoph: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden 2007. 114  Vgl. Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Übersetzt von Dieter Hornig, mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Campus-Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1989; Ders.: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt am Main 2 1996. 115  Vgl. Martin Boghardt: Der Buchdruck und das Prinzip des typographischen Kreislaufs. Modell einer Erfindung, in: Ders.: Archäologie des gedruckten Buches, hg. von Paul Needham in Verbindung mit Julie Boghardt (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 42), Wiesbaden 2008, 50–74. 116  Vgl. Daniel Bellingradt: The Dynamik of Communication and Media Recycling in Early Modern Europe, in: Jeroen Salman/Massimo Rospocher/Hannu Salmi (Hg.): Crossing Borders, Crossing Cultures. Popular Print in Europe, 1450-1900 (Studies in Early Modern and Contemporary History 1), Berlin u. a. 2019, 9–32.

4. Methoden

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Straßburg sowie Silvan Otmar und Melchior Ramminger aus Augsburg überwiegend Erstdrucker waren, während kleinere Offizine ausschließlich Nachdrucke produzierten.117 Ebenso muss das Impressum keine Garantie für den exakten Ort oder den richtigen Verfasser sein. Da seit dem Wormser Edikt die Verbreitung von Luthers Schriften verboten war, konnte es hier zu Umdatierungen oder Auslassungen der Angaben kommen.118 Oder man wollte möglichst aktuell und zeitnah wirken, wodurch man das Druckjahr oder sogar das Ereignis selbst bewusst falsch angab. Dies lässt sich an der Bornaer Predigt des Augsburger Drucks von Melchior Ramminger zeigen, der Luthers Bornaer Predigten aus dem Jahr 1522 auf zwei Jahre später datierte.119 Die zweite Methode betrifft die Textkritik. Sie ist in Kombination mit der Auswertung des Impressums dasjenige Verfahren, welches vornehmlich der Weimarer Ausgabe zugrunde liegt. Durch den textkritischen Apparat und die vollständige Angabe des Impressums in der Einleitung kann man die Entscheidungen auch ohne Einblick in die Originale nachvollziehen. Da hier die textkritischen Urteile lediglich angegeben werden, wenn sie von denen der Weimarer Ausgabe abweichen, soll exemplarisch das Vorgehen an einer Textstelle aus den Drucken der Leipziger Predigt vom 29. Juni 1519 veranschaulicht werden. Diese Predigt eignet sich deswegen, weil alle Druckfassungen über das VD 16 online als Image-Datei einsehbar sind:

117  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 395f. 118  Vgl. Hans-Jörg Künast: »Getruckt zu Augspurg«. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555, Berlin 1997, 231f; Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 82, Anm. 31. 119   Siehe unten Seite 132.

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Einleitung

Text: WA 2; 247,24–26

Impressum

VD 16 L

das einer wiß / wie er von ym selbs nit mag frum werden odder wol thun: Drumb er musse an yn selbs verzweyfeln / hend vn˜ fuß gen lassen

A Stöckel 1519 Leipzig

6193 Bl. Aiiir

das einer wiß / wie er von ym selbs nit mag frum werden odder wol thun: Drumb er musse an ym selbs verzweyfeln / hend vn˜ fuß gen lassen

B Stöckel 1519 Leipzig

6194 Bl. Aiiir

das einer wiß wie er von im selbs nit mag frum ˜ werden oder wolthun. e Darumb er musse an im selbs verzweyfeln / e geen lassen hendt vnnd fuß

C (Gutknecht) (1519) (Nürnberg)

6195 Bl. Aiiir

das einer wiß wie er von im selbs ______________________________ _______________________verzweifeln. o geen lassen hendt und fuß

D (Froschauer) (1519) (Augsburg)

6191 Bl. Aiiir

dz ainer wiß e wie er von im selbs nit mag frumm werden oder wolthun· e Darumb er musse an im selbs verzweyfelen/ e geen lassen hendt vnd fuß

E Nadler (1519) Augsburg

6192

das eyner wiß/ wie ehr von ym selbs nit mag frum werden odder wolthun: e Drumb ehr musse an ym selbs verzweyfeln/ e gehn lassen hend und fuß

F Stöckel Leipzig 1520

6197

dz einer wiß wie er von im selbs nit mag frum ˜ werden oder wolthon. o an im selbs verzwyfeln/ Darumb er muß o gan lassen hend und fuß

G Petri Basel 1520

6196 Bl. aiiv

Bl. Aiiir

Bl. Aiiir

In der ersten Spalte sind die Textvarianten aufgeführt. Die zweite Spalte enthält die Angaben der Impressen. Die Informationen, die in Klammern gesetzt sind, fehlen auf dem Titelblatt und sind hier zur besseren Übersicht hinzugefügt worden. Die dritte Spalte verzeichnet die VD-16-Nummer mitsamt der Blattangabe des Originals. Aus der Kombination von Impressumsauswertung und Textkritik lassen sich mehrere Schlussfolgerungen ziehen: Der Leipziger Druck A enthält einen grammatischen Fehler (»yn/ym«), den B ausmerzt. Nach der Regel »lectio difficilior probabilior‹, die schwierigere Lesart ist die wahrscheinlichere, kann also A als die ursprünglichere Fassung gegenüber B eingestuft werden. Der Nürnberger Druck C weist eine leicht veränderte Orthografie aufgrund der anderen Rechtschreibung in den oberdeutschen Gebieten auf, woraus sich jedoch keine Rückschlüsse auf die Druckreihenfolge, wohl aber auf den Druckort ergeben. Der Augsburger Druck D besitzt eine Textlücke durch das Abirren des Setzers wegen des zweimaligen Vorkommens des Wortes »selbs«. Da D die gleiche Rechtschreibung wie C verwendet (»im«), kann es nahe liegen, dass D als Vorlage C verwendete. Im Ver-

4. Methoden

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gleich zu D weist E keine Auslassung auf. Deshalb hat E nicht D als Vorlage verwendet. Jedoch kann nicht daraus geschlossen werden, ob A, B oder C als Vorlage verwendet wurde. Die späte Datierung des Leipziger Drucks F ergibt sich aus der Angabe im Impressum (»1520«). Es handelt sich hier um eine Neuauflage. Allerdings hat sich in E wieder ein Druckfehler eingeschlichen (»ehr« statt »er«), da ansonsten dort immer »er« geschrieben wird. Bei Neuauflagen konnten insofern nicht nur Textverbesserungen, sondern auch Textverschlechterungen eintreten. Daraus lässt sich schließen, dass zumindest D nicht Grundlage für E, F und G war. Durch die Angabe 1520, der Ähnlichkeit in der Orthografie, jedoch einen völlig anderen Zeilen- und Seitenumbruch sowie der Tatsache, dass Basel am weitesten entfernt liegt, kann man annehmen, das G der jüngste Druck ist. Mit diesen exemplarischen Erwägungen gelangt man mit der Kombination von Textkritik und Impressumanalyse zu überlieferungsgeschichtlichen Ergebnissen. Doch nicht immer ist die schwierigere Lesart die frühere. Aufgrund der Verwendung einer kleineren Drucktype, eines schlechten Abzugs oder der Ungenauigkeit des jeweiligen Setzers konnten sich neue Fehler einschleichen. Neben der Berücksichtigung der orthografischen Anpassung120 hängt es jeweils vom Gutdüngen des Setzers ab, ob kleinere Druckfehler übernommen oder gar inhaltliche Fehler ausgemerzt wurden.121 120   Zur Sprachanalyse vgl. Anja Voeste: Orthographie und Innovation: Die Segmentierung des Wortes im 16. Jahrhundert (Germanistische Linguistik 22), Hildesheim u. a. 2008; Gerhard Kettmann: Zum Problemkreis Druckersprachen in der frühneuhoch-deutschen Forschung, in: Joachim Schildt (Hg.): Luthers Sprachschaffen. Gesellschaftliche Grundlagen, geschichtliche Wirkungen. Referate der Internationalen Sprachwissenschaftlichen Konferenz, Eisenach 21.–25. März 1983. Bd. 2 (Linguistische Studien, Reihe A, Arbeitsberichte 119). Berlin 1984, 70–79; Ders.: Zum Graphemgebrauch in der Wittenberger Druckersprache. Variantenbestand und Variantenanwendung, in: Joachim Schildt (Hg.): Zum Sprachwandel in der deutschen Literatursprache des 16. Jahrhunderts. Studien – Analysen – Probleme (Bausteine zur Geschichte des Neuhochdeutschen 63), Berlin 1987, 21–100; Frédérik Hartweg: Oberdeutsche, alemannische oder elsässische Schibboleths? Zur Frage der räumlichen Geltung von Besonderheiten der Straßburger Druckersprache, in: Gerhard Bauer (Hg.): Stadtsprachenforschung unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse der Stadt Straßburg in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Vorträge des Symposiums vom 30. März bis 3. April 1987 an der Universität Mannheim (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 488), Göppingen 1988, 393–411; Ders.: Buchdruck und Druckersprachen der frühneuhochdeutschen Periode, in: Hans-Joachim Köhler (Hg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposium 1980 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 13), Stuttgart 1981, 43–64; Hans Bickel: Dialekt – lokale Schreibsprache – überregionale Drucksprache. Sprachnormen in Basel am Ende des 16. Jahrhunderts, in: Edith Funk u. a. (Hg.): Bausteine zur Sprachgeschichte. Referate der 13. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie in Augsburg (Sprache – Literatur und Geschichte 19), Heidelberg 2000, 29–42, Michael Elmentaler: Struktur und Wandel vormoderner Schreibsprachen (Studia Linguistica Germanica 71), Berlin u. a. 2003. 121  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 387.

24

Einleitung

In den letzten Jahrzehnten hat sich neben Impressumsanalyse und Textkritik eine dritte Methode der textexternen Druckfolgebestimmung durchgesetzt. Bekannt wurde die Methode im englischsprachigen Raum unter dem Namen »analytical bibliography«.122 Das Hauptaugenmerk der »analytischen Druckforschung« liegt hierbei auf der Untersuchung des Druckes hinsichtlich der makro- und mikrotypografischen Eigentümlichkeiten wie Layout, Satzspiegel, Seiten- und Zeilenumbruch und Wortabstände. Ursprünglich geht die Methode auf die Erforschung des möglichst authentischen Textes auf die Beschäftigung mit Dramen Shakespeares zurück.123 Martin Boghardt124 und Lotte Hellinga125 haben gezeigt, dass dieses Verfahren auch bei Drucken des frühen 16. und Inkunabeln des 15. Jahrhunderts neue Perspektiven eröffnet. Susanne bei der Wieden hat schließlich die analytische Druckforschung auf Luthers Predigten aus dem Jahr 1522 angewandt.126 Als Voraussetzung für das Verfahren gilt die Regel, dass trotz verschiedenster Typen an Druckschriften das grundsätzliche Bestreben eines jeden Setzers war, den Zeilenumbruch oder wenigstens den Seitenumbruch zu wahren. Die Kalkulation der Drucke in Bezug auf den Papierverbrauch, die Optimierung des Typeneinsatzes und die Geschwindigkeit in der Herstellung waren überlebenswichtige ökonomische Faktoren einer Druckerei. Es bedeutete die zeitintensive Satzkalkulation einsparen zu können, wenn man als Vorlage einen bereits gut gesetzten Druck statt eines Manuskriptes besaß.127 Hoch war das finanzielle Risiko, wenn es bei einer schlechten Kalkulation am Ende zu einem textlichen Überschuss von wenigen Zeilen kam, die dann auf eine fast leere Seite gedruckt werden mussten oder gar einen Druckbogen überschritten.128 Um die Beziehungen der Drucke untereinander genauer zu erfassen, unterscheidet man drei kategoriale Abstufungen: Drucke, die fast vollständig in ihrem Satz übereinstimmen und nur ganz selten kleine optische Verbesserungen aufweisen, bezeichnet man als »satzidentisch«. »Satzanalog« hingegen sind solche Drucke, die überwiegend eine Satzidentität aufweisen, bei denen es jedoch gelegentlich zu Ausnahmen kommt. Schließlich werden solche Drucke, die 122  Vgl. den Forschungsbericht von Martin Boghardt: Analytische Druckforschung. Ein methodischer Beitrag zu Buchkunde und Textkritik, Hamburg 1977, 9–17. 123  Vgl. Alfred William Pollard: Shakespeare’s Folios and Quartos. A study in the bibliography of Shakespeare’s plays 1594–1685, London 1909, Neudr. New York 1979 124  Vgl. Martin Boghardt: Gegebenheiten deutschsprachiger Textüberlieferung seit dem Ausgang des Mittelalters. Der Buchdruck als Überlieferungsträger, in: Werner Besch u. a. (Hg.): Sprachgeschichte – ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, Berlin u. a. 1984, 223–228. 125  Vgl. Lotte Hellinga: Analytical Bibliography and the Study of Early Printed Books with a Case-study of the Mainz, in: GutJB 64 (1989), 47–96. 126  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 73. 127   Vgl. aaO., 82f. 128   Vgl. aaO., 83, Anm. 32.

5. Quellen

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zwar überwiegend einen unterschiedlichen Zeilen- sowie Seitenumbruch aufweisen, bei denen es jedoch teilweise zu Übereinstimmungen kommen kann, als »satzverwandt« bezeichnet.129 Liegt noch nicht einmal eine Satzverwandtschaft vor, so erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen eigenständigen Überlieferungszweig handelt. Gleichwohl ist auch hier der gestalterische Spielraum in der Textpräsentation zu erwägen.130 Durch Verwendung von kleineren Drucktypen, dem bewussten Setzen von logischen Sinneinheiten oder dem Markieren von Textauslassungen oder Textbrüchen konnten Zeilenabsätze in Form von Lücken zwischen den Worten gesetzt werden.

5. Quellen Nach der Zählung von Kurt Aland sind 2082 Predigten Luthers inhaltlich überliefert.131 Dies umfasst lediglich zwei Drittel seiner etwa 3000 tatsächlich gehaltenen Kanzelreden.132 Mit rund einem Drittel Umfang in der Weimarer Ausgabe und auf über 30 Bänden verteilt, bilden die Predigten somit eine große Quellensammlung und sind ebenso von Bedeutung wie Luthers Programm-, Streit- und Erbauungsschriften, Vorlesungen, Disputationen, Bibelübersetzungen, Katechismen, Dichtungen, Briefe oder Tischreden.133 Bedenkt man, dass im Vergleich zur weit verzweigten Verbreitung seiner Predigten, entgegen dem Druckverbot des Wormser Edikts vom Mai 1521, nirgends Mitschriften seiner Vorlesungen in Umlauf gingen, unterstreicht dies die Bedeutung der Predigt für die Ausbreitung der Reformation.134 Predigen gehörte zu den Haupttätigkeiten des Reformators. Wahrscheinlich nahm bei ihm auf sein gesamtes Leben gesehen keine andere Aufgabe mehr Zeit in Anspruch als die Vorbereitung und das Halten von Predigten.135 Seit 1509 predigte er in Erfurt und in Wittenberg im Kloster, seit 1514 in der Stadtkirche und in der Schlosskirche sowie im eigenen Haus.136 In der Regel betrat er zwei  Vgl. aaO., 76.  Vgl. Martin Boghardt: Hieronymus Hornschuch und seine ›Orthotypographia‹, in: Ders.: Archäologie des gedruckten Buches, hg. von Paul Needham in Verbindung mit Julie Boghardt (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 42), Wiesbaden 2008, 196–216, hier 205. 131   Vgl. hierzu Kurt Aland: Hilfsbuch zum Lutherstudium, Bielefeld 41996, 262. 132  Vgl. Christopher Spehr: Art. ›Predigten Luthers‹, in: Volker Leppin/Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Das Luther-Lexikon, Regensburg 2014, 560–569. 133  Zu den einzelnen Gattungen vgl. die Beiträge in Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 32017, 298–397. 134  Vgl. Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 34. 135  Vgl. Jonathan Mumme: Die Präsenz Christi im Amt. Am Beispiel ausgewählter Predigten Martin Luthers, 1535–1546 (Refo500 Academic Studies 21), Göttingen 2015, 27. 136  Vgl. Albrecht Beutel: Art. ›Predigen‹, in: Volker Leppin/Gury Schneider-Lu129 130

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Einleitung

bis viermal pro Woche die Kanzel. Zu den Hauptfestzeiten konnte diese Zahl erheblich ansteigen. Mit knapp zweihundert überlieferten Predigten verteilt auf 195 Tage bildet das Jahr 1528 den Höhepunkt seiner Predigttätigkeit, bedingt durch seinen Vertretungsdienst für den Wittenberger Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen vom 16. Mai 1528 bis zum 24. Juni 1529.137 Am 1. Januar 1530 kündigte er aus Protest gegen die Unwilligkeit seiner Wittenberger Gemeinde, ernsthaft Buße zu tun, einen Predigtstreik an, den er auch mehrere Wochen durchhielt.138 In Wittenberg war es üblich, in der Mette am Sonntag von 5 bis 6 Uhr über die Epistel, in der Messe von 8 bis 9 Uhr über das Evangelium und in der Vesper am Nachmittag über den Katechismus, über eine alttestamentliche Lesung oder über die vorangegangenen Lesungen zu predigen.139 Wochentags wurde am Montag der Katechismus, mittwochs das Matthäus- und samstags das Johannesevangelium ausgelegt.140 Von den gehaltenen Predigten außerhalb Wittenbergs sind 141 Predigten historisch eindeutig datier- und verortbar. Jedoch meint dies nicht, dass damit auch der Wortlaut bzw. der Gehalt tradiert wurde. Vielmehr berichten Briefzeugnisse oder andere Dokumente darüber, dass Luther zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gepredigt habe, ohne auf den Inhalt einzugehen. Textlich überliefert sind 99 Predigten.141 Sie reichen von Abschriften der Notizen Luthers über Stenogramme bzw. Mitschriften bis hin zu Drucken. Nicht berücksichtigt sind knappe Bemerkungen, die lediglich das Thema einer Predigt angeben, aus denen sich aber keine Möglichkeiten einer genaueren Rekonstruktion ergeben.142 Für eine Übersicht wurde eine Liste auf der Grundlage von Buchwalds »Luther-Kalendarium«143 unter Berücksichtigung der Einleitungen der Weimarer Ausgabe und weiterer Spezialuntersuchungen erstellt, die in dieser Studie als dorff (Hg.): Das Luther-Lexikon, Regensburg 2014, 558–560, hier 558. 137   Nach den Berechnungen von den Herausgebern der Weimarer Ausgabe lautet die »Gesamtzahl des Jahres 1528 […] 195 Predigten, d. h. mehr als das doppelte der unmittelbar vorhergegangenen Jahre (1526: 85; 1527: 81–83) und um ⁄₃ mehr als die höchste bisher festgestellte Zahl 137 (138) i. J. 1523« (WA 27; XXIV). 138   Vgl. WA 32; XVII–XXII. 139  Vgl. Alfred Niebergall: Geschichte der christlichen Predigt, in: Karl Ferdinand Müller/Walter Blankenburg (Hg.): Leiturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, Bd. 2: Gestalt und Formen des evangelischen Gottesdienstes, I. Der Hauptgottesdienst, Kassel 1955, 181–353, hier 37f. 140  Vgl. Jonathan Mumme: Die Präsenz Christi im Amt. Am Beispiel ausgewählter Predigten Martin Luthers, 1535–1546 (Refo500 Academic Studies 21), Göttingen 2015, 33. 141   Siehe unten im Anhang die Übersicht nach Zeit und Ort sortiert Seite 515. 142   Vgl. etwa die kurze Bemerkung über die Predigt Luthers vom 22. August 1524 um 7 Uhr in der Jenaer Michaeliskirche in der Schrift »Ein bericht der handlung zwischen Doctor Martino Luthero unnd Doctor Andreas Bodenstein von Karlstat« (WA 15; 333;12–30). Vgl. ferner WA 15; 326. 143  Vgl. Georg Buchwald: Luther-Kalendarium (SVRG 147), Leipzig 1929.

5. Quellen

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Anhang hinzugefügt wurde.144 Denn nimmt man das Predigtregister im Band 22 der Weimarer Ausgabe zur Hand, so findet man zwar alle Predigten sortiert nach Bibelstellen, gleichwohl fehlt aber die Angabe des vermuteten Predigtortes.145 Keine rechte Hilfe bietet auch das ausführliche Ortsregister der Weimarer Ausgabe im Band 62, da hier nicht ersichtlich wird, ob und wann Luther am besagten Ort gepredigt hat.146 Hinsichtlich der Anzahl von 99 Predigten mussten einige Male die Urteile der Weimarer Ausgabe revidiert werden. So sind die frühesten Predigten aus den Jahren 1510/11 berücksichtigt, die nicht in Wittenberg, sondern während des zweiten Aufenthalts in Erfurt gehalten wurden.147 Aufgenommen wurde ferner die im Schloss Ziesar gehaltene Predigt.148 Es handelt sich jedoch um eine Auftragspredigt für Abt Georg Mascov, wahrscheinlich vom 22. Juni 1512 oder vom 21. Mai 1515. Die Untersuchung zweier Predigten vom 5. Oktober 1516 hat ergeben, dass diese nicht in Kemberg, sondern in Wittenberg stattfanden.149 Gleiches gilt für den vermeintlich in Zerbst gehaltenen Sermon vom 18. Mai 1522.150 Nicht berücksichtigt sind die Predigten vom 3. April 1540 über Ps. 1151 und die Predigt vom 9. September 1542 über Ps. 27.152 Sie könnten in Dessau, jedoch wahrscheinlicher zu anderen Zeitpunkten in Wittenberg im Kontext von Luthers Reihenpredigten über den Psalter gehalten worden sein.153 Aufgenommen wurden die im Ziesarer Schloss gehaltene Kanzelrede vom 22. Juni 1512154 und die Naumburger Predigt zur Einführung von Nikolaus von   Siehe unten Seite 515.   Vgl. WA 22; XLI–LXXXIX. 146   Vgl. WA 62; passim. 147   Vgl. WA 4; 590–595. 595–604. 148   Vgl. WA 1; 10–17. 149   Vgl. WA 1; 87f. 447–460. Siehe unten Seite 188. 150   Vgl. WA 10 III; 123–133. 151   Vgl. WA 49; 223–228. 228–232. 152   Vgl. WA 49; 269f. 153   Die Weimarer Ausgabe kommt bei der Datierung der drei Psalmpredigten zu keinen einheitlichen Urteil. In der allgemeinen Darstellung der Reisen werden die Predigten ohne eigene Problematisierung nach Dessau (WA 49; XI) verortet. In der Einzelbesprechung ist das Urteil vorsichtiger formuliert (WA 49; XI. XXV). Hier gibt die Weimarer Ausgabe hinsichtlich der ersten beiden Predigten über Ps. 1 als Zeit »unbestimmt« an und erwägt die Möglichkeit, dass die beiden Predigten am 3. April 1540 über Ps. 1 in Dessau gehalten sein können. Allerdings könnte die Aufzeichnungen der ersten Predigt auch den Auftakt der Wittenberger Reihenpredigten über den Psalter am 2. Sonntag nach Epiphanias, dem 17. Januar 1541, markieren (ebd.). Die Predigt über Ps. 27 wird mit Hinweisen auf eine Reise nach Dessau in Verbindung gebracht (WA 49; XXX). Doch vorher kommt die Weimarer Ausgabe trotz der Tatsache, dass die Predigt über Ps. 27 die Überschrift »In Dessaw« (WA 49; 269) trägt, in Bezug auf die drei Predigten zum Schluss: »Ob Luther damit Reihenpredigten über den Psalter begann und ob er am 9. September 1542 mit der Predigt über den 27. Psalm […] gelegentlich seines Aufenthaltes in Dessau wieder in diese Reihenpredigten eintrat, muß dahingestellt bleiben« (WA 49; XXV). 154   Vgl. WA 1; 44–52. 144 145

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Einleitung

Amsdorf als erstem evangelischen Bischof vom 20. Januar 1540.155 Zwar existieren keine Mitschriften, doch lässt sich der Inhalt aus anderweitigen Dokumenten rekonstruieren. Hinsichtlich der von den Editoren der Weimarer Ausgabe verorteten Torgauer Predigten vom 16./17. April 1533 konnte Erich Vogelsang überzeugend nachweisen, dass die dritte Predigt des Druckes ursprünglich in Wittenberg gehalten wurde, weshalb sie nicht berücksichtigt wurde.156 Außerdem sprach Luther am 13. April 1525 in einem nahe an Wittenberg gelegenen Dorf, das allerdings nicht mehr genau bestimmt werden kann.157 Textlich überlieferte Predigten außerhalb Wittenbergs sortiert nach Jahren 20

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Sortiert man die 99 Predigten nach Jahren, so ergeben sich bis 1521 nur wenige Überlieferungen. Von besonderem Wert sind hierbei die beiden frühen Predigten aus den Jahren 1510/11. In der Untersuchung wird gezeigt, dass diese nicht in Wittenberg, sondern als Übungspredigten in Erfurt gehalten wurden. Für die theologische Entwicklung Luthers sind sie von kaum zu überschätzendem Wert, von der Forschung jedoch bislang noch nicht hinreichend gewürdigt. Hervorzuheben ist die Leipziger Predigt vom 29. Juni 1519. Sie fand im Rahmen der Leipziger Disputation statt und ermöglicht neue Einblicke in das Geschehen. In der obigen Tabelle sticht das Jahr 1522 mit 18 überlieferten Predigten ins Auge. Den Hintergrund, der zu diesem Anstieg führt, bilden die Erfahrungen Luthers mit der »Wittenberger Bewegung« (1521/22). Luther musste seinen Aufenthalt auf der Wartburg abbrechen, kehrte am 3. März nach Wittenberg zurück und hielt dort vom 9. bis 16. März seine berühmten Invokavitpredig-

Vgl. die Skizze in WA 49; XXVI–XXIX. Vgl. WA 37; 35–73. Vgl. ferner Erich Vogelsang: Luthers Torgauer Predigt von Jesu Christo vom Jahre 1532, in: LuJ 13 (1931), 114–130. 157 Vgl. WA 17 I; 173–177. 155

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5. Quellen

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ten.158 Aus jenen Unruhen in Wittenberg zog Luther die Konsequenz, bewusst durch Predigtreisen seine Reformanliegen im ernestinischen Territorium zu verbreiten. Diese Predigten liegen überwiegend in gedruckter Form vor. Stenogramme von Georg Rörer, der seit Frühjahr 1522 in Wittenberg weilte, sind erst ab Weihnachten 1522 erhalten.159 Nie wieder in seinem Leben hat Luther so viele Reisen unternommen, um sich in Form von Predigten ans Volk zu wenden.160 Im Zeitraum von 1524 bis 1528 sind nur vier Predigten erhalten. Statt Predigt­ reisen zu unternehmen, konzentrierte er sich auf die Predigtätigkeit in Wittenberg verbunden mit dem Strategiewechsel, bis 1525 selber Postillen auszuarbeiten, um so die Ausbreitung der Reformation zu unterstützen. Außerdem gilt der Band von Rörers Nachschriften aus dem Jahr 1527 als verloren und Poachs Abschriften beginnen erst mit Weihnachten 1528, so dass aus diesem Jahr lediglich die gedruckten Predigten vorliegen.161 Eine ist allerdings von besonderem Interesse, weil es sich um eine Hochzeitspredigt Luthers handelt, die er am 26. Oktober 1528 in Lochau zur Trauung von Michael Stifel und seiner Gattin hielt. Ab dem Jahr 1529 steigt die Zahl der Predigten außerhalb Wittenbergs wieder an. Luther befand sich zu 1529 auf dem Weg nach Marburg und predigte auf dieser Reise an vielen Orten. Aus dem Jahr 1530 sind zehn Predigten übermittelt, die er auf der Veste Coburg hielt, wo er während des Augsburger Reichstags verweilte und das Geschehen von dort aus verfolgte. In den Folgejahren kommt es zu Predigten vor allem auf Visitationsreisen zur landeskirchlichen Vereinheitlichung und aufgrund von Predigteinladungen an den Höfen im mitteldeutschen Raum. Aufgrund seines fortschreitenden schlechten Gesundheitszustandes wurden die Predigten in seinen letzten Jahren wieder seltener. Als gebrechlicher Mann machte er sich 1546 zu seiner letzten Reise in Richtung seiner Geburtsstadt Eisleben auf, wo er am 18. Februar 1546 verstarb.

158   Vgl. hierzu Natalie Krentz: Ritualwandel und Deutungshoheit. Die frühe Reformation in der Residenzstadt Wittenberg (1500–1533) (SMHR 73) Tübingen 2014, 141–242. 159   Vgl. WA 10 III; IX. XXXVI. 160  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 45–56. 161   Vgl. WA 23; 665.

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Ordnet man die 99 Predigten nach Orten, so ergeben sich weitere aufschlussreiche Perspektiven. Die meisten Predigtüberlieferungen existieren von den Orten Coburg, Kemberg und Torgau. Nach Torgau an den kursächsischen Hof reiste er rund vierzigmal, wo er der Fürstenfamilie als politischer Berater, Seelsorger und Erzieher sowie als herausragende Repräsentationsfigur der Reformation diente. Zu jenen Predigten am Hofe gehören auch die Kanzelreden in den Orten Weimar, Dessau, Wörlitz und Schmalkalden. Überraschenderweise sind vom kleinen 10 km südlich von Wittenberg gelegenen Ort Kemberg die meisten Predigten erhalten. Dort lebte sein Freund, der Kemberger Propst Bartholomäus Bernhardi, der 1521 in den Stand der Ehe trat und insofern das Leben in einem evangelische Pfarrhaus mitbegründete.162 Luther predigte hier im Zeitraum von 1519 bis 1539 immer wieder. Eine Landkarte gibt Aufschluss, in welchen Territorien Luther gepredigt hat.163

Vgl. Christopher Spehr: Priesterehe und Kindersegen. Die Anfänge des evangelischen Pfarrhauses in der Reformationszeit, in: Thomas A. Seidel/Ders. (Hg.): Das evangelische Pfarrhaus – Mythos und Wirklichkeit, Leipzig 2013, 13–35. 163 Die folgende Karte, die auf der Grundlage dieser Untersuchung erstellt wurde, ist ebenfalls mit einer Einleitung von mir abgedruckt bei Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Reformations-Atlas. Die Reformation in Mitteldeutschland, Wettin-Lobejün OT Dößel 2018, 88f. 162

5. Quellen

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Durch die Leipziger Teilung 1485 gab es zwei sächsische Territorien. Das ernestinische Sachsen verteilte sich längs einer Nord-Süd-Achse, das albertinische verlief in Ost-West-Richtung.164 Die meisten Predigten hielt Luther aufgrund der Reichsacht im ernestinischen Kursachsen. Erst mit der Einführung der Reformation in den benachbarten Gebieten konnte Luther seinen Wirkungskreis erweitern. So reiste er nach Leipzig, um zwanzig Jahre nach der Leipziger Disputation am 24. Mai 1539 zur Einführung der Reformation in Sachsen erneut auf der Kanzel stehen zu dürfen. Die Karte lässt ebenfalls erkennen, dass Luther vor allem im näheren Umland von Wittenberg durch Predigten wirkte. Darunter fallen die Orte, die er bequem an einem Tag besuchen konnte. Luther betreute insofern nicht nur das Vgl. André Thieme: Die Leipziger Teilung der wettinischen Lande – 1485, in: Reinhardt Eigenwill (Hg.): Zäsuren sächsischer Geschichte, Beucha 2010, 63–93. 164

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Einleitung

Wittenberger Zentrum, sondern versorgte auch dessen Peripherie. So reiste er außer nach Kemberg auch nach Niemegk, Schweinitz, Jessen und Pretzsch. Zu den Kanzelreden außerhalb Wittenbergs gehören außerdem Luthers Kasualpredigten. Darunter fällt zwar keine Beerdigung, jedoch Trauungen, Taufen, eine Bischofseinführung und eine Kircheinweihung. Sie umfassen den Hauptanteil aller überlieferten Kasualpredigten Luthers.165

6. Gliederung Vor dem Hintergrund der verschiedenen Sortierungen sowie mit Blick auf zeitliche, örtliche, thematische, historische und praktisch-theologische Erwägungen sind in dieser Untersuchung zur eingehenden Analyse 45 Reisepredigten ausgewählt worden. Hierzu zählt auch die Gothaer Reisepredigt vom 5. Mai 1512, die in der Hinführung verhandelt wird.166 Außerdem werden in der Hinführung zwei Erfurter und vier Wittenberger Heimatpredigten erörtert. Zählt man die zwei vermeintlichen Kemberger Predigten und die »Ermahnung wider die Juden« noch hinzu, so gelangt man zu insgesamt 54 ausführlicheren Quellenanalysen. Die Untersuchung ist in sieben Kapitel gegliedert. Die Predigtanalysen durchlaufen mehrere Schritte. In einem ersten gilt es, einen Überblick über die Forschung hinsichtlich des jeweiligen Themas zu gewinnen. Außerdem wird in das historische Umfeld eingeführt. Sodann erfolgen eine kritische Überprüfung der Überlieferungsgeschichte und der Vergleich mit anderen verwandten Predigten. Schließlich bildet die inhaltliche Interpretation den Schwerpunkt. Hierzu werden der Aufbau betrachtet und der Gedankengang eingehend rekonstruiert. Während im Haupttext auf Zitate aus den Predigten überwiegend 165   So berichtet Paul Pietsch erst im Bd. 27 der Weimarer Ausgabe: »Zum ersten Male hatten wir eine Kasualrede Luthers zu bringen« (WA 27; IV). Gemeint ist damit Predigt zur Hochzeit Michael Stifels am 26. Oktober 1528. 166   Nicht eigens erörtert wird aufgrund ihres Auftragscharakters die Zisaer Predigt vom 22. Juni 1512 (WA 1; 10–17). Die späteren Erfurter Predigten wurden bereits in Ansätzen anderweitig gewürdigt (vgl. die Beiträge sowie die Übersetzungen der Erfurter Predigten von Andreas Lindner/Steffen Raßloff: Reformation konkret. Luther auf Erfurter Kanzeln, hg. vom Evangelischen Augustinerkloster zu Erfurt und dem Tourismusverein Erfurt e. V., Erfurt 2011). Allerdings werden hier die frühen Erfurter Predigten von 1509/10 nicht berücksichtigt (vgl. aaO., 41). Die Marburger Predigt vom 5. Okt 1529 geht bedauerlicherweise nicht auf den dort verhandelten Abendmahlsstreit zwischen Luther und Zwingli ein (WA 29; 564– 582). Die Hallenser Predigten sind durch eine deutsche Übertragung leichter zugänglich gemacht worden (vgl. Gregor Heidbrink (Hg.): »Ey, küss mich aufs Heiligtum!«. Luthers Predigten in Halle, nebst seinen Briefen und einer Einführung, Halle 2011; vgl. ferner Heinrich Ernst Bindseil: Dr. Martin Luther’s Predigten in Halle in den Jahren 1545 und 1546 gehalten nebst zwei von ihm an dessen Bewohner gerichteten Trostschriften zur 300jährigen evangelischen Jubelfeier der Stadt Halle, Halle 1841). Die zahlreichen und thematisch weit verzweigten Torgauer Predigten erfahren exemplarisch ihr Würdigung durch die Analyse der Predigt vom 5. Oktober 1544 anlässlich der Einweihung der Torgauer Schlosskirche.

6. Gliederung

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verzichtet wurde, kommt in den Fußnoten Luther selbst ausführlich zu Wort. Bewusst wurde entschieden, keine verdeutschten Übertragungen des originalen Wortlauts vorzunehmen. Vielmehr soll man durch die Möglichkeit des ständigen Vergleichs zwischen Paraphrase im Haupttext und Zitat in den Anmerkungen dazu gelangen, ein Feingefühl für die Sprach- und Gedankenwelt der Predigten zu entwickeln. Selbst wenn man in deutscher Übertragung die Stenogramme und auch Drucke vor sich hätte, braucht es ein geübtes Auge, um den Aufbau, die Feingliederung des Gedankengangs, die versteckten Pointen, die verwendeten Bilder und den Rückgriff auf die christliche Tradition zu verstehen. Während ein Stenogramm wegen seiner Dichtheit durch Auslegung entfaltet werden muss, ist ein Druck aufgrund seines zirkulierenden und spiralförmig fortschreitenden Gedankengangs hinsichtlich seiner Redundanz zu verdichten. Es ist wohl keine Übertreibung zu behaupten, dass in der Lutherforschung insbesondere die Stenogramme Rörers zu den am schwierigsten zu interpretierenden Luther-Quellen zählen. Nach dieser Einleitung erfolgt eine Hinführung, in der die Entwicklung Luthers als Prediger bis 1519 untersucht wird. Die Hinführung legt hierbei das Augenmerk auf ausgewählte Predigten, die Luther in Erfurt, Gotha und Wittenberg gehalten hat. Ziel ist es anhand der Predigten die Stationen in der Veränderung Luthers als Kanzelredner zu identifizieren und zu charakterisieren. Die Hinführung ist von den weiteren Kapiteln abgegrenzt, da es sich mit Ausnahme des Aufenthalts in Gothaer nicht in dem Sinn um Reisepredigten handelt, da Erfurt vor Wittenberg Luthers Wohnort war. Das erste Kapitel setzt ein mit einem Sermon, den Luther selbst als »Summa« der Leipziger Disputation bezeichnet hat. Die Predigt fand unmittelbar nach dem Schlagabtausch zwischen Karlstadt und Eck statt, noch bevor Luther mit Eck disputierte. Wie ist die Predigt in das Geschehen der Leipziger Disputation einzubetten? In welcher Weise äußert er sich darüber auf der Kanzel? Ziel soll sein, den Inhalt vor dem Hintergrund jener Disputation auszuloten. Der Frühjahrsreise durch das ernestinisch-sächsische Gebiet im Jahr 1522 widmet sich das zweite Kapitel. Als Missionar reiste Luther zu den Zentren der reformatorischen Bewegung. Die Stationen Borna, Altenburg und Zwickau werden hierzu exemplarisch durchlaufen. Dabei gilt es zu klären, ob man von einem spezifischen Typus von Reisepredigt bei Luther sprechen kann. Im dritten Kapitel soll Luthers Wirken als Prediger im Umland von Wittenberg betrachtet werden. Hierzu erfolgt in exemplarischer Weise eine Konzentration auf den Ort Kemberg. Welche Themen und Probleme der Gemeinde hat Luther in der Zeit von 1519 bis 1537 auf der dortigen Kanzel angesprochen? Wie verknüpfte er dies mit dem jeweiligen Predigttext? Solche und andere Fragen werden anhand aller Predigten aus Kemberg analysiert. Während die Kemberger Predigten im Ansprechen diverser Themen eher die harte Alltagsarbeit eines Predigers, soll im viertes Kapitel das Augenmerk auf

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Einleitung

seine Kanzelauftritte an den Höfen der Region gelegt werden. Hier predigte Luther im Angesicht der politischen Herrscher. Zu fragen ist, wie er sich vor dem Adel auf der Kanzel verhielt. Ausgewählt wurden hierzu die Weimarer Obrigkeitspredigten der Herbstreise 1522, die Predigten vor den anhaltinischen Fürsten 1532 in Wörlitz und die Leipziger Predigt zur Einführung der Reformation in Sachsen 1539. Im fünften Kapitel stehen die Coburger Predigten im Schatten des Augsburger Reichstags im Zentrum der Analyse. Exemplarisch werden zwei Predigten unmittelbar vor und zwei kurz nach dem Reichstag betrachtet. Wie hat Luther durch die Predigt auf die Gesandtschaft Einfluss genommen? Und zu welchem Fazit gelangte er nach den Geschehnissen in Augsburg? Das sechste Kapitel ist am umfangreichsten. Hier wird Luther als Kasualprediger konturiert. Bislang ist in der Forschung zwar vielfach sein Verständnis der einzelnen Kasualien zur Sprache gekommen, jedoch wurde erstaunlicherweise fast nirgends seine eigene Kasualtätigkeit in ihrer Vielseitigkeit zum Thema erhoben. Während Traueransprachen und Ordinationsworte vor allem aus Wittenberg übermittelt sind, existieren zu den anderen Kasualhandlungen überwiegend Zeugnisse fern seiner Heimat. Deshalb wurden alle Kasualpredigten außerhalb Wittenbergs herangezogen. Die besonderen Anlässe der Taufe, Hochzeit, Bischofseinführung und Kirchweihe werden hierzu in den Blick genommen. Im siebten Kapitel werden die Predigten auf seiner letzten Reise in die Grafschaft Mansfeld betrachtet. Zu fragen ist, ob sich in ihnen die Beschäftigung Luthers mit seinem eigenen Sterben in Erwartung seines baldigen Todes widerspiegelt. Inwiefern thematisiert er in Eisleben die Themen Tod und Sterben? Wie hält Luther in seinen Eislebener Predigten vom Januar und Februar 1546 Rückblick auf sein eigenes Leben und seine Gegner? Dabei werden die Ereignisse um die Streitigkeiten der Mansfelder Grafen auf den Inhalt der Predigt bezogen. Der Schluss will die Ergebnisse bündeln, indem die kontextuellen Analysen von Luthers Predigten dargelegt und seine Eigenheiten als Kanzelredner hervorgehoben werden.

Hinführung

Auf dem Weg zum Prediger der Reformation Luthers Predigten in den Jahren von 1510/11 bis 1518 Einleitung Die Entwicklung der Theologie Luthers gehört zu den schwierigsten Problemen der Lutherforschung.1 Dabei kann von einem einmaligen »Durchbruch« der reformatorischen Erkenntnis bzw. von einer reformatorischen »Wende« bei Luther keine Rede sein.2 Vielmehr geht es darum, die vielfältigen Anfänge, Veränderungen und Fortschritte auf dem Weg Luthers zum Reformator zu identifizieren.3 Eine solche Aufgabe kann nur multiperspektivisch gelöst werden. Damit ist gemeint, einzelne Entwicklungslinien thematisch zu differenzieren, die verschieden Verläufe aufweisen und nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen: Luthers Prägung einer Gewissensreligion,4 sein Begriff der Gerechtigkeit Gottes,5 sein Verständnis des Wortes als Gnadenmittel, 6 seine Überlegun1   Vgl. exemplarisch die beiden Sammelbände von Bernhard Lohse (Hg.): Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther (WdF 73), Darmstadt 1968, IX–XXIII, sowie den Fortsetzungsband Ders. (Hg.): Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther. Neuere Untersuchungen (VIEG 25), Darmstadt 1988. Vgl. ferner Thomas Kaufmann: Die Frage nach dem reformatorischen Durchbruch. Ernst Bizers Lutherbuch und seine Bedeutung, in: Rainer Vinke (Hg.): Lutherforschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick (VIEG 62), Mainz 2004, 71–98; Berndt Hamm: Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 25–64; Alister E. McGrath: Iustitia Dei. A History of the Christian Doctrine of Justification, Cambridge 32005, 6–21. 218–223; Verena Mätzke: Gerechtigkeit und »formkeit«. Luthers Übersetzung von iustitia Dei für die Rechtfertigungslehre heute (MThSt 118) Leipzig 2013, 35–45; Christian Danz: Einführung in die Theologie Martin Luthers, Darmstadt 2014, 24–29. 47–51. 2   Zum Abschied vom Forschungskonstrukt der »reformatorischen Wende« vgl. Berndt Hamm: Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 26–31. 3   Zur neueren Debatte z. B. hinsichtlich des Emergenz-Modells von Berndt Hamm vgl. Ders.: Die Emergenz der Reformation, in: Ders./Michael Welker: Die Reformation. Potentiale der Freiheit, Tübingen 2008, 1–27. Kritisch hierzu Volker Leppin: Transformationen. Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation (SMHR 86), Tübingen 2015, 22f. 4  Vgl. Karl Holl: Luthers Auffassung der Religion, in: o. V.: Reformationsfeier der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 31. Oktober 1917, Berlin 1917, 3–33; Ders.: Was verstand Luther unter Religion?, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Bd. 1: Luther, Tübingen 61932, 1–110. 5  Vgl. Emanuel Hirsch: Initium theologiae Lutheri (1920), in: Ders. Lutherstudien, Bd. 2 (Gesammelte Werke 2), Waltrop 1998, 9–35; Erich Vogelsang: Die Anfänge von Luthers Christologie nach der ersten Psalmenvorlesung insbesondere in ihren exegetischen und systematischen Zusammenhängen mit Augustin und der Scholastik dargestellt, Berlin 1929. 6  Vgl. Ernst Bizer: Fides ex auditu. Eine Untersuchung über die Entdeckung der Gerech-

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gen zur Promissio als sakramental wirksame Zusage mit sofortiger Wirkung; 7 aber auch die Genese seines Verständnisses des christlichen Lebens, 8 der Ehe,9 des Konzils10 und der Kirche; 11 sodann die Themen Luthers Entwicklung als Mönch,12 als Humanist13 oder als Mystiker14. All diese Linien und Aspekte sind vor dem Hintergrund der spätmittelalterlichen Frömmigkeit im Einzelnen zu untersuchen, die innovatorischen Impulse für die Zukunft jeweils abzuwägen, um sie dann schließlich aufeinander zu beziehen. Es bringt keinen Vorteil, eine Perspektive verabsolutieren und darin die Mitte der reformatorischen Erkenntnis entdecken zu wollen. Vielmehr besteht die Aufgabe darin, die einzelnen Mosaiksteine zusammenzufügen, um letzten Endes ein Gesamtbild entstehen zu lassen. In dieser Hinführung soll es um eine ganz eigene Entwicklungslinie gehen, nämlich Luthers Werdegang als Prediger. Hierzu werden fünf biografische Stationen im Zeitraum von 1510/11 bis 1519 in den Blick genommen, indem exemplarische Predigten auf ihre Eigenarten untersucht werden. Ziel ist es, anhand des Vergleichs der Predigten die Veränderungen und Fortschritte Luthers als Prediger auszumachen. Zuerst sollen die frühesten Übungspredigten seiner Erfurter Zeit betrachtet werden. Danach folgt ein Blick auf den Beginn seiner Predigtpraxis in Wittenberg. Drittens ist seine neue Rolle bei den Augustinereremiten zu erörtern, wenn er als Subprior und angehender Distriktsvikar vor seinen Mönchsbrüdern auf der Kanzel spricht. Der Ablasshandel und seine Auswirkungen auf Luthers Predigten sollen in einem vierten Abschnitt analysiert werden. Und schließlich wird das Augenmerk auf eine Predigt zu legen sein, die eine gewisse Zäsur markiert und exemplarisch für seine Tätigkeit als

tigkeit Gottes durch Martin Luther, Neukirchen-Vluyn 21966. 7   Vgl. Oswald Bayer: Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie (FKDG 24), Göttingen 1971. 8  Vgl. Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben, Tübingen 2014. 9  Vgl. Christian Volkmar Witt: Martin Luthers Reformation der Ehe. Sein theologisches Eheverständnis vor dessen augustinisch-mittelalterlichem Hintergrund (SMHR 95), Tübingen 2016. 10  Vgl. Christopher Spehr: Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit (BHT 136), Tübingen 2010. 11  Vgl. Ulrich Barth: Sichtbare und unsichtbare Kirche. Die Tragweite von Luthers ekklesiologischem Ansatz, in: Ders.: Kritischer Religionsdiskurs, Tübingen 2014, 1–51; Roland M. Lehmann: Kirche glauben! Luthers Ekklesiologie nach seiner Schrift »Vom Papsttum zu Rom« (1520), in: LuJ 87 (2020), 87–124. 12  Vgl. Bernhard Lohse: Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters (FKDG 12), Göttingen 1963, 317–325; Christoph Bultmann/ Volker Leppin/Andreas Lindner (Hg.): Luther und das monastische Erbe (SMHR 39), Tübingen 2007. 13  Vgl. Helmar Junghans: Der junge Luther und die Humanisten, Göttingen 1985. 14   Vgl. Volker Leppin: Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2016.

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reformatorischer Prediger steht, ohne behaupten zu wollen, dass damit Luthers Entwicklung als Prediger zu einem Ende gekommen sei.

1. Die Predigtausbildung in Erfurt und die zwei Übungspredigten 1510/11 Luthers Predigttätigkeit begann nicht erst in Wittenberg, sondern in Erfurt. Seine Kanzelberedsamkeit erwarb er sich nicht als Autodidakt, sondern er wurde zum Prediger ausgebildet. Denn obwohl das Spätmittelalter von einer sakramentalen und rituellen Frömmigkeit geprägt war, verschwand die Predigt nie völlig aus dem kirchlichen Leben.15 Vielmehr kam es am Vorabend der Reformation zur Erneuerung der Predigtkultur insbesondere in den aufblühenden Städten, in denen das Bürgertum hohe Ansprüche an den Prediger stellte und nach Belehrung verlangte. Einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Qualität von Predigten leisteten hierbei die Augustinereremiten. Von ihrer Erfahrung profitierte auch Luther in seiner Ausbildung zum Prediger.16 Der zwischen 1244 und 1256 in der Toskana gegründete und bereits zehn Jahre später in Erfurt erstmalig erwähnte Augustinerorden erhielt durch Erzbischof Heinrich von Mainz am 5. Juli 1339 offiziell die Zulassung zur Predigt und zur Abnahme der Beichte.17 In Erfurt engagierten sich die Eremitenbrüder in der Seelsorge und wirkten durch ihre Predigten. Durch ihre Predigttätigkeit strahlten sie auf die circa 27 Pfarreien aus, die es zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Erfurt gab und unter denen die größeren Kirchen durch die Prädikanten Vgl. Johann Baptist Schneyer: Geschichte der katholischen Predigt, Freiburg 1969; Karin Morvay/Dagmar Grube: Bibliografie der deutschen Predigt des Mittelalters (Münchener Texte und Untersuchungen 47), München 1974; Jean Longére: La prédication médiévale, Paris 1983; Michael Menzel: Predigt und Predigtorganisation im Mittelalter, in HJ 111 (1991), 337–384; Isnard W. Frank: Art. ›Predigt VI. Mittelalter‹, in: TRE 27, 248–262; Martine de Reu: Divers chemins pour étudier un sermon, in: Jacqueline Hamesse/Xavier Hermand (Hg.): De l’homélie au sermon. Histoire de la prédication médiévale. Actes du Colloque international de Louvain-la-Neuve 1992. Louvain-la-Neuve 1993, 331–340. 16   Noch Anfang des 20. Jahrhunderts sah man die Entwicklung der Predigtpraxis im Spätmittelalter als Verfallsgeschichte, um sie als Negativfolie für die Aufwertung der Predigt im Zeitalter der Reformation zu verwenden. Vgl. beispielsweise Rudolf Cruel: Geschichte der deutschen Predigt im Mittelalter, Detmold 1879 oder Edwin Charles Dargan: A History of preaching, Bd. 1: From the Apostolic Fathers to the great reformers (70–1572), New York 1905, Bd. 2: From the Close of the Reformation Period to the end of the 19. century (1572– 1900), New York 1912. Zur Neubewertung der Predigt im Spätmittelalter vgl. etwa Ludger Grenzmann/Karl Stackmann (Hg.): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, Symposion Wolfenbüttel 1981, Stuttgart 1984. 17  Vgl. Adalbero Kunzelmann: Geschichte der deutschen Augustiner-Eremiten, Teil 1: Das dreizehnte Jahrhundert (Cass. 26.1) Würzburg 1969, 79; Kaspar Elm: Studium und Studienwesen der Bettelorden. Die »andere« Universität?, in: Alexander Demandt (Hg.): Stätten des Geistes. Große Universitäten von der Antike bis zur Gegenwart, Köln u. a. 1999, 112–126, hier 113. 15

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pfründe mit vielen Predigern ausgestattet waren.18 Die öffentlichen Bibelauslegungen wurden nicht nur in lateinischer Sprache gehalten. An den Pfarr- und Stiftskirchen predigte man in steigendem Maße in der Volkssprache. Auch in der Augustinerkonventskirche in Erfurt konnte man Predigten in der Landessprache hören.19 Seit Anfang des 14. Jahrhunderts gab es am Augustinerkloster das studium generale, das der theologischen Grundausbildung diente und durch Heinrich von Friemar, Hermann von Schilde und Jordan von Sachsen ein hohes Ansehen erreichte.20 Nach der offiziellen Eröffnung der Universität in Erfurt 1392 wurde das Generalstudium der Universität inkorporiert.21 Neben den anderen Mendikantenorden, die eine solche Ausbildung anboten, waren die Lehrkräfte der Augustiner zugleich in Personalunion Professoren an der Universität. Ihre akademische Eremitenausbildung verfolgte nicht nur den Zweck, aus den Mendikanten theologische Gelehrte zu machen, sondern sie auch auf die bevorstehende Seelsorge- und Predigttätigkeit vorzubereiten.22 Von anderen Klöstern ist bekannt, dass hierzu Übungspredigten verfasst wurden, die der Prädikant vorzutragen hatte.23 Auch Übungspredigten im Rahmen von Promotionen oder während der Feier von Stationsgottesdiensten sind überliefert.24 So verlangten die Statuten der Erfurter Universität für den Grad eines baccalaureus sententiae 18  Vgl. Ulman Weiß: Die frommen Bürger von Erfurt. Die Stadt und ihre Kirche im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, Weimar 1988, 112–167. 19   Vgl. Otto Scheel: Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation, Bd. 1: Auf der Schule und Universität, Tübingen 31921, 137. 20  Vgl. Robert Gramsch: Erfurt – Die älteste Hochschule Deutschlands. Vom Generalstudium zur Universität (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 9), Erfurt 2012, 32. 21   Bereits im Jahr 1379 stellte Papst Clemens VII. auf Antrag der Erfurter Bürgerschaft die Gründungsurkunde der Universität auf, zu deren Einrichtung es aber wegen des Abendländischen Schismas nicht kam. Die »Alma mater Erfordensis« wurde aufgrund einer Stiftungsurkunde Papst Urbans VI. vom 4. Mai 1389 errichtet und in der zweiten Woche nach Ostern 1392 offiziell eröffnet. Greift man auf die Urkunde von 1379 zurück, so müsste Erfurt als die älteste Universität Deutschlands vor Heidelberg (1386) und Köln (1388) angesehen werden. Vgl. Erich Kleineidam: Die Gründungsurkunde Papst Urbans VI. für die Universität Erfurt vom 4. Mai 1389, in: Ulman Weiß (Hg.): Erfurt 742–1990. Stadtgeschichte, Universitätsgeschichte, Weimar 1992, 135–153; Sönke Lorenz: Das Erfurter »Studium generale artium«, in: aaO., 123–134, hier 123. 133. 22   So zitiert Kaspar Elm eine auch auf die Augustiner zutreffende Aussage des Humbert von Romans: »Studium enim est ordanatum ad praedicationem, praedicatio ad animarum salutem, quae est ultimus fini« (Kaspar Elm: Mendikantenstudium, Laienbildung und Klerikerschulung im spätmittelalterlichen Westfalen, in: Bernd Moeller (Hg.): Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse, Folge 3, Nr. 137), Göttingen 1983, 586–617, hier 588. 23   Vgl. Isnard Wilhelm Frank: Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens (Vorträge des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 83), Stuttgar 1988, 9. 24  Vgl. Jacques-Guy Bougerol: Les sermons dans les »Studia« des mendiants: Le scuole

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formatus das Anfertigen von Predigten. Im § 48 wird gefordert, dass die Studenten ihre Predigten ihrem jeweiligen Lehrer oder dem Dekan der Fakultät darzulegen bzw. vorzulegen hätten, was mit einer Befragung bzw. einem moderierten Gespräch verbunden war.25 Wohl am 3. April 1507 wurde Luther in einer Kreuzgangkapelle des Erfurter Doms zum Priester geweiht.26 Am 2. Mai 1507, dem Sonntag Kantate, hielt er seine Primiz, in der er das erste Mal die Messfeier allein zelebrierte.27 Kurz danach begann er sein Theologiestudium. Da er das Philosophiestudium bereits absolviert hatte, war er ab dem Sommersemester 1508 als Lektor im Fach Philosophie tätig.28 Insofern besaß Luther in der Zeit eine Doppelfunktion als Lernender und Lehrender. Im Jahr 1508 wurde er kurzfristig nach Wittenberg versetzt, um dort Vorlesungen über die aristotelische Dialektik und die Nikomachische Ethik zu halten.29 Schneller als üblich, nämlich bereits am 9. März 1509 erlangte er den baccalaureus biblicus, der ihn dazu berechtigte, Vorlesungen über biblische Bücher zu halten.30 Im Herbst 1509 wurde ihm der Grad des baccalaureus sententiarius in Wittenberg verliehen, mit dem er sich nun in der Sentenzenauslegung des Petrus Lombardus zu üben hatte.31 Das Ziel dieser degli ordini mendicanti (secolo XIII–XIV), 1978 (Convegni. Centro di Studi sulla Spiritualità Medievale 17), Todi 1978, 249–280. 25   »§ 48. Item statuimus et ordinamus quod biblici et baccularii et licenciati suas posiciones determinaciones collocaciones et sermones ostendant magistro suo vel decano facultis et stent eius consilio et moderacioni, nec volumus quemquam de licenciatis bacculariis ac scolaribus in nostra facultate publicum actum facere de predictis, nisi es, que ducturus est, ostendat suo magistro« (Hermann Weissenborn [Hg.]: Acten der Erfurter Universitaet, hg. von der Historischen Commission der Provinz Sachsen, Teil 2, Halle 1884, 54,3–6). 26   Die genauen Termine sind umstritten. Vermutlich wurde er am 19. Dezember 1506 zum Subdiakon, am 27. Februar zum Diakon und am 3. April 1507 zum Priester geweiht. Vgl. Otto Scheel: Luthers Primiz, in: Studien zur Reformationsgeschichte und zur Praktischen Theolologie. Gustav Kawerau an seinem 70. Geburtstag dargebracht, Leipzig 1917, 1–14; Ders.: Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation, Bd. 2: Im Kloster, Tübingen 4 1930, 44; Georg Buchwald: Wann hat Luther die Priesterweihe empfangen?, in: ZKG 37 (1918), 215f; Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 78; Andreas Linder: Martin Luther im Erfurter Augustinerkloster 1505–1511, in: Lothar Schmelz/Michael Ludscheidt (Hg.): Luthers Erfurter Kloster. Das Augustinerkloster im Spannungsfeld von monastischer Tradition und protestantischem Geist, Erfurt 2005, 59–74, hier 64; Volker Leppin: Martin Luther, Darmstadt 2006, 48. 27   Vgl. »Quamobrem ad decretum Patrum meorum die Dominica quarta, quam Cantate vocamus, futura, hoc ipsum, patrona Dei gratia, encaeniare constitutum est. Is enim dies nostris primitiis Deo dicandis ob commoditatem patris mei addictus est« (WA B 1; 11,15–18). Vgl. ferner die Berichte von seiner Primiz in der Genesisvorlesung 1538/42, WA 43; 382,1–6; WA T 2; Nr. 1558, 133; WA T 3; Nr. 3556a, 411. 28   Vgl. den Brief Luthers an Johann Braun vom 17. März 1509, WA B 1; Nr. 5, 17,40–44. 29   Vgl. ebd. 30  Vgl. Carl Eduard Förstemann (Hg.): Album academiae Vitebergensis, Bd. 1, Leipzig 1841, 27f. 31   Vgl. den Brief Luthers an den Prior und die Senioren des Erfurter Augustinerkonvents, 16. Juni 1514, WA B 1; Nr. 8, 25,22–26; vgl. ferner den Brief Luthers an den Dekan und die theologische Fakultät zu Erfurt vom 21. Dezember 1514, WA B 1; Nr. 10, 30,13–18.

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Vorlesungen war der Titel des baccalaureus sententiarius formatus und damit die Lizenz zur Sentenzenauslegung. Hierzu hätte im November 1509 die feierliche Eröffnungsvorlesung in Wittenberg stattfinden sollen, um die Kommentierung zu eröffnen.32 Um diese Lizenz zu erwerben, musste er jedoch den Erfurter Statuten gemäß auch Predigten gehalten haben.33 Doch noch ehe er mit den Vorlesungen beginnen konnte, wurde er wahrscheinlich aufgrund eines Lehrermangels im November 1509 nach Erfurt zurückbeordert.34 Dies ist Luthers sogenannter zweiter Erfurter Aufenthalt. Entgegen der älteren Forschung wurde dieser Aufenthalt nicht durch die Romreise unterbrochen, sondern dauerte eineinhalb Jahre vom November 1509 bis Sommer 1511.35 Erst danach schloss sich die Romreise vom Herbst 1511 bis Frühsommer 1512 an. Aus Luthers eigener Feder sind aus dieser Zeit nur wenige Zeugnisse überliefert, wie seine Randnotizen in Büchern von Petrus Lombardus, Augustinus, Anselm, Bonaventura, Ockham, Giorgio Valla und Trithemius belegen.36 Von seinen Briefen sind lediglich drei erhalten.37 Jedoch existieren in der Zwickauer Ratsschulbibliothek Aufzeichnungen zweier Predigten.38 Dabei handelt es sich um Abschriften von Luthers Originalmanuskripten, die der Erfurter Prediger Andreas Poach anfertigte.39 Sie sind Auslegungen zum einen von Mt. 7, 12 und

32  Vgl. Hans Schneider: Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Sammelband 2, Berlin 2011, 1–158, hier 99f. 33   Der § 76 der Erfurter Statuten lautet: »Item statuimus quod quilibet talis baccularius formatus teneatur cuilibet magistro in Erffordia commoranti quolibet anno vacante post lecturam ad minus semel ordinarie respondere et sermones facere, prout superius rubrica septima fuit (facit D.) expressum« (Hermann Weissenborn (Hg.): Acten der Erfurter Universitaet, hg. von der Historischen Commission der Provinz Sachsen, Teil 2, Halle 1884, 58,1–4). Vgl. ferner Georg Oergel: Vom jungen Luther. Beiträge zur Lutherforschung, Erfurt 1899, 118f; Otto Scheel: Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation, Bd. 2: Im Kloster, Tübingen 41930, 553; Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben, Tübingen 2014, 15. 34   Vgl. aaO., 100f. 35  Vgl. Hans Schneider: Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Sammelband 2, Berlin 2011, 1–158, hier 104. Luther selbst spricht von eineinhalb Jahren (»sesquiannum«). Vgl. hierzu den Brief Luthers an den Dekan und die theologische Fakultät zu Erfurt vom 21. Dezember 1514, WA B 1; Nr. 10, 30,36. 36  Vgl. den von Jun Matsuura herausgegebenen Quellenband: Erfurter Annotationen 1509–1510/11 (AWA 9), Köln u. a. 2009. 37   WA B 1; Nr. 3–5, 10–17; vgl. ferner Jun Matsuura (Hg.): Erfurter Annotationen 1509– 1510/11 (AWA 9), Köln u. a. 2009, XV. 38   Vgl. Zwickauer Ratsschulbibliothek, Cod XXV, Ms. 25, Bl. 150–152 und Bl. 152–155a. Eine Kopie der Handschrift lag der Untersuchung zugrunde. 39   In Poachs handgeschriebener Predigtsammlung, die eigentlich Mitschriften des Zeitraums von Weihnachten 1528 bis zum 4. Advent 1529 bietet, ist hinten auf der Mitte des Blatts 150 beginnend die besagten Predigten angefügt, denen jeweils eine kurze Notiz vorangestellt ist: Zu Beginn der ersten Predigt »Ex a uv togra f, w| Lutheri, reperiebatur in Monasterio August-

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zum anderen von Joh. 3, 16.40 Erich Vogelsangs Urteil zufolge könnte es sich bei ihnen um die allerersten Predigten von Luther überhaupt handeln.41 Eine genauere Datierung der Predigt über Mt. 7, 12 ist nicht möglich. Jedoch herrscht in der Forschung ein Konsens darüber, dass Luther sie zeitlich vor der anderen Predigt gehalten haben muss.42 Da über Joh. 3, 16 üblicherweise am Pfingstmontag gepredigt wurde und Luther darin auch auf das Pfingstfest eingeht, dürfte die zweite Predigt wohl am 20. Mai 1510 oder am 9. Juni 1511 gehalten worden sein.43 Das erste Predigtmanuskript setzt unmittelbar mit der Angabe des Bibeltextes ein.44 Die Auslegung bezieht sich auf die Goldene Regel aus der Bergpredigt: inen: Erffurdiae« (WA 4; 590,2f) bzw. am Anfang der zweiten Predigt »Ex a uv togra f, w, quod inveniebatur in Monasterio Augustinen: Erffurdae« (WA 4; 595,12f). 40   Vgl. WA 4; 590–595 u. 595–605; BoA 5; 20–26 u. 26–37. Eine deutsche Übersetzung des ersten Textes liegt vor in Martin Luther: Das Matthäus-Evangelium, Kap. 3–25, hg. von Erwin Mühlhaupt (D. Martin Luthers Evangelien Auslegung 2), Göttingen 41973, 213–219. Vgl. ferner Vgl. BoA 5; 20–26 u. 26–37. 41   »Sie [die Predigten, d. Vf.] sind also so früh wie nur möglich anzusetzen, vermutlich überhaupt die allerfrühsten erhaltenen Predigten« (BoA 5; 20). Vgl. ferner Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 115f. 42   In einem Aufsatz aus dem Jahr 1944 bemerkt der Germanist Heinz Bluhm, dass beide Predigten von besonderem Wert seien, da sie einen unmittelbaren Einblick in die Entwicklung von Luthers Denken gäben (vgl. Heinz Bluhm: The Significance of Luther’s Earliest Extant Sermon, in: The Harvard theological Review 37 (1944), 175–184, hier 175). In Kontrast zur Römerbriefvorlesung (1515/16) interpretiert er die Predigten als ein Zeugnis von Luthers früherer Zustimmung zu einer moralischen Religion der Werkgerechtigkeit, in deren Zusammenhang der Glaubensbegriff eine untergeordnete Rolle spiele (aaO., 182). – Der franziskanische Historiker Reynold Weijenborg richtet seine Aufmerksamkeit auf die Verschiedenheit beider Predigten (vgl. Reynold Weijenborg: La Charité dans la première théologie de Luther, in RHE 59 [1950], 617–669, hier 636f. 642f; vgl. ferner Wilhelm Maurer: Rez. ›Reynold Weijenborg: La Charité dans la première théologie de Luther‹, in: ThLZ 77 [1952], 169f). Ihm zufolge lässt sich in der ersten Predigt bereits ein Entwicklungsschritt gegenüber Luthers Erfurter Annotationen in Büchern von Augustin, Anselm, Petrus Lombardus u. a. von 1509 bis 1511 erkennen. Er macht dies an der rigoroseren Interpretation des Gebotes der Feindesliebe fest (aaO., 666). – In seiner Verhältnisbestimmung Luthers zu Gabriel Biel streift Leif Grane am Rande beide Predigten. Sowohl im Aufbau als auch inhaltlich seien sie eng an die scholastische Tradition gebunden (vgl. Leif Grane: Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel Biel in der Disputatio Contra Scholasticam Theologiam 1517, aus dem Dänischen übersetzt v. Elfriede Pump [AThD 4], Kopenhagen 1962, 282). – Peter Iver Kaufman, der die beiden Predigten auf semipelagianische Einflüsse hin untersucht, hebt die Gemeinsamkeiten beider Predigten hervor (vgl. Peter Iver Kaufman: Luther’s »Scholastic Phase«. Revisited: Grace, Works, and Merit in the Earliest Extant Sermons, in: ChH 51 [1982], 280–289, hier 281f). Vgl. ferner Steven D. Paulson: »Deus absconditus« in Luther’s early sermons, in: LuJ 85 (2018), 198-240, 205–207. 43   »Die Wahl zwischen 1509/10 und 1512/16 für diese zwei Predigten bedeutet nun aber nichts anderes als die Entscheidung darüber, wann Luthers Predigttätigkeit überhaupt begonnen hat« (Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 113. 44   Zur Auslegung aus ethischer Perspektive vgl. die profunde Monografie von Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben, Tübingen 2014, 15–26.

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»Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!« (Mt. 7, 12).45 Zu Beginn gibt Luther einen Überblick über die folgende Auslegung und gliedert sie dann in drei Hauptteile.46 Die Abschnitte sind durch eine Nummerierung deutlich markiert. Den ersten Teil bezeichnet er als »Einführung« (introductio) und nimmt Bezug auf die aristotelische Güterlehre, die hinsichtlich des Menschen zwischen drei Gütern unterscheidet: den äußeren (bona externa) wie Besitztümern, den mittleren (bona media), worunter er die körperliche und geistige Ausstattung des Menschen versteht, und den inneren bzw. spirituellen Gütern des Menschen (bona interna, bona spiritualia).47 Bezogen auf diese Güter, so Luther, könne sich der Mensch auf zweierlei Weise verhalten. Er kann diesen schaden oder Gutes tun.48 Für beide Verhaltensformen gibt Luther säuberlich gegliedert jeweils ein Beispiel an.49 Im zweiten Teil zieht Luther eine »nützliche Schlussfolgerung« (conclusio utilis) aus dem Gesagten.50 Die Konklusio zielt auf die bewusst positive Formulierung der Goldenen Regel. Denn für Luther geht das Wort Jesu nicht in der antiken Rechtstradition auf, niemandem schaden zu wollen (neminem laede).51 45   »Qvaecunque vultis ut faciant vobis homines, et vos facite illis. Haec enim est lex et prophetae« (WA 4; 590,4–6; BoA, 5, 20,4f). 46   »Tres erunt partes huius sermonis. In prima dicam notabile aliquid pro introductione, in secunda dabo conclusionem utilem pro nostra informatione, in tertia solvam quantum pro dictorum declaratione« (WA 4; 590,6–10; BoA 5; 20,6–8). 47   Vgl. WA 4; 590,11–591,2; BoA 5; 20,9–21,14. Die Dreiteilung der Güter geht ursprünglich auf Aristoteles zurück. In der Nikomachischen Ethik unterscheidet er zwischen äußeren Gütern, Gütern der Seele und Gütern des Leibes (vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1, 1098b [Philosophische Schriften, Bd. 3, übers. v. Eugen Rolfes, Hamburg 1995, 11f]). In ähnlicher Weise differenziert Luther in seiner ersten Psalmenvorlesung (WA 3; 294,32–34; WA 3; 420,9f) und in seiner Römerbriefvorlesung (vgl. das Schema zu Röm. 8, 7 in WA 56; 361,25–362,8; Martin Luther: Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516. Lateinisch-deutsche Ausgabe, nach der Ausgabe von Johannes Ficker und der Übersetzung von Eduard Ellwein, Bd. 2, Weimar 1960, 76f). 48   »In his bonis potest se homo quilibet duobus modis habere ad proximum suum: primo, quod potest in ipsis ei nocere et malefacere, secundo, quod potest in ipsis ei prodesse et benefacere« (WA 4; 590,25–27; BoA 5; 21,4–6). 49   So könne ein Mensch Hab und Gut rauben, seinen Körper vergiften oder sein Inneres durch Irrtum angreifen. Ebenfalls könne ein Mensch seinem Nächsten Lebensmittel spenden, dessen Körper verteidigen oder ihn unterrichten, damit sein Inneres sich bessert (vgl. WA 4; 590,27–32; BoA 5; 21,6–12). Diese »duplex via virtutis«, die beispielsweise auch bei Bonaventura thematisiert wird, sieht Luther in der Bibel beschrieben, wobei er sich auf Ps. 34, 15 bezieht: »Lass ab vom Bösen und tu Gutes« (vgl. WA 4; 590,33–591,2). Vgl. ferner »Quia non solum qui male agunt peccant, sed etiam qui consentiunt: ergo peccat qui reddit, com consentiat« (Bonaventura: Commentaria in quatuor libros sententiarum Magistri Petri Lombardi, lib. IV, dist. 32, art. 3, qu. 1, ad 1 (Opera Omnia 4, Quaracchi 1889, 735). 50   Vgl. WA 4; 591,3–594,19; BoA 5; 21,15–25,15. 51   Zu denken ist hier beispielsweise an die Trias des Ulpian, wie sie in den Digesten im Corpus iuris civilis formuliert ist (Ulpian 1 reg. D. 1, 1, 10) »Lebe ehrenhaft« (honeste vive), »Schade niemandem« (neminem laede) und »Gib jedem das Seine« (suum cuique tribue). Vgl. die lateinisch-deutsche Ausgabe von Okko Behrends (Hg.): Corpus iuris civilis, Bd. 2: Di-

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Vielmehr habe Jesus dazu aufgefordert, sich aktiv für den Nächsten einzusetzen.52 Im Nachfolgenden begründet er diesen Hauptgedanken auf dreifache Weise: 53 Zum einen stützt er sich auf ein Vernunftsargument,54 zum anderen auf vier Autoritätsargumente, wobei er sich hierzu drei Bibelstellen heranzieht und sich einmal auf Augustin als Autorität beruft.55 Diese Gedanken werden durch Beispiele ergänzt, die Luther nicht ausformuliert, sondern anhand eines Schemas notiert hat.56 Schließlich werden noch zwei Erfahrungsargumente benannt.57 gesten 1–10, Heidelberg 1995, 94. Vgl. ferner Ada Neschke-Hentschke: Menschenrechte, in: Klaus Martin Girardet (Hg.): Menschenrechte und europäische Identität, Stuttgart 2005, 123–134, hier 126. 52   Diesen Aspekt der Aktivität hebt Luther auch in seiner späteren Auslegung des Verses im Rahmen der Wochenpredigten hervor (vgl. Reihenpredigten über Matthäus 5–7, 1530/32, WA 32; 498,31–35). 53   »Haec doctrina probatur triplici autoritate: ratione, autoritate et similitudine« (WA 4; 591,5f; BoA 5; 21,18f). Zum »argumentum ex similitudine« in der Rhetorik vgl. Josef Martin: Antike Rhetorik. Technik und Methode, München 1974, 114. 54   Das Vernunftargument lautet: Wenn man bereits selig werden kann, ohne zu schaden, dann müssten auch Holz aus den Wäldern und Steine aus dem Meer selig werden. Denn auch sie schaden ja ebenfalls niemand. Deshalb gleiche derjenige, der nicht schadet, dem Holz und dem Stein, was aber zur Erlangung der Seligkeit nicht ausreiche (WA 4; 591,7–10; BoA 5; 21,19–23) 55   Luther bezieht sich dreimal auf die Bibel als Autorität, indem er auf das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk. 16, 19–31), auf das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Mt. 25, 14–30) und auf Jesu Rede über das Weltgericht (Mt. 25, 31–46) eingeht (vgl. WA 4; 591,22–592,14; BoA 5; 21,36–22,33). Alle Textstellen kommen ihm zufolge darin überein, dass es nicht ausreiche, das Böse nicht zu tun, sondern man auch das Gute tun müsse: »Et ergo innocentia non sufficit, sed oportet etiam ibidem esse beneficentiam qui potest« (WA 4; 592,14f; BoA 5; 22,33f). Als vierte Autorität zieht er Augustin heran, der ihm zufolge das Nichtspeisen eines Hungrigen mit seinem Töten gleichgesetzt haben soll (vgl. WA 4; 592,15f; BoA 5; 22,34–23 und 22,2). Der Gedanke geht allerdings ursprünglich auf Ambrosius zurück und ist bei Gabriel Biel überliefert: »Ambrosii: Fame pasce morientem; si non pavisti, occidisti«. Vgl. Gabriel Biel: Collectorium circa quattuor libros Sententiarum, sent. III, disti. 30, qu. un. concl. 5 (hg. v. Wilfrid Werbeck u. Udo Hofmann, Tübingen 1979, 538,37f). Später verweist Luther auch auf Ambrosius. Vgl. Von den guten Werken, 1520, WA 6; 196. 202–276, hier 273,6f; Katechismuspredigten, 1528, WA 30, 37,1; Predigt vom 2. April 1531, WA 34 I; 183,13; Predigt vom 20. Juli 1533 im Haus, WA 37; 111–115, hier 113,22. 56   Vgl. im Original, Zwickauer Ratsschulbibliothek, Cod XXV, Ms. 25, Bl. 151a; WA 4; 592,20–27; BoA 5; 23,5–12. Das Schema mit acht Beispielen folgt der Logik: Wenn du einen Nackten nicht gekleidet hast, so ist es gleichsam, als ob du ihn beraubt hättest. Genauso verhalte es sich mit einem Fremdling, den man, weil man ihn nicht beherbergte, gleichsam fortgejagt habe. So habe man auch einen Durstigen, dem man nichts zu trinken gegeben habe, aktiv durstig gemacht, und einen Traurigen, den man nicht getröstet habe, aktiv traurig gemacht. So habe man auch einen Schüler, den man nicht belehrt habe, verführt, einen Sünder, den man nicht zurechtgewiesen habe, zur Sünde verleitet, einen Verleumdeten, den man nicht in Schutz nahm, selbst verleumdet und einen Kranken, den man nicht geheilt habe, in seiner Gesundheit geschwächt. 57   Das erste Erfahrungsargument lautet: Ein Acker sollte nicht nur frei von Disteln und Unkraut sein, sondern auch Frucht bringen, denn sonst sei er verflucht. Dieses Bild wendet er als Gleichnis auf die Christen an. Sie seien gleichsam der Acker Gottes und sollen gute Früch-

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Hinführung

Es folgen sechs Konsequenzen, die Luther aus seiner Interpretation zieht. Sie betreffen den praktischen Umgang mit der Goldenen Regel und betonen die Notwendigkeit, nach Jesu Willen aktiv Hilfe zu leisten, wolle man sich vor Gott nicht schuldig machen.58 Wer beispielsweise einen Nackten nicht bekleide, werde nicht selig bzw. errettet werden. Denn, wäre man selbst nackt, wolle man auch, dass jemand einen bekleide. Nichts zu tun und keine Nächstenhilfe zu leisten, setzt Luther insofern mit der Verdammung durch Gott gleich.59 Der dritte Teil geht auf mögliche Einwände bzw. Fragen ein, die Luther zu widerlegen sucht. 60 Der erste Einwand lautet: Reicht es nicht aus, jemand anderem im Herzen das Gute zu wünschen? 61 Er antwortet darauf mit der Gegenfrage, wer denn damit zufrieden sei, wenn einer einem nur das Gute wünsche, ohne auch tatkräftig etwas zu tun? 62 Der zweite Einwand betrifft die Furcht, durch die wohlmeinende Nächstenhilfe eher unbeabsichtigt Schaden anzurichten oder sich selber in Gefahr zu bringen. 63 Luther entgegnet mit dem Gedanken, dass der Herr das Herz eines jeden kenne. 64 Wenn man wolle, dass Gott einem Gutes zurückgibt, so müsse man auch dem Nächsten Gutes tun. Wer zu sich spreche: »Ich will dem anderen das Seine lassen«, zu dem spreche auch Gott: »Ich will dir das Deine lassen und dir darüber hinaus nichts geben noch nehmen«. 65 Der letzte Einwand bezieht sich auf die Haltung, die eigenen Handlungen seien Güter, über die man selbst herrsche und die man so einsetzen könne, wie man will. 66 Hierzu gibt Luther zu bedenken, dass alles Gute von Gott geschenkt sei und er befohlen habe, alles zu teilen, nichts für sich zu behalten

te bringen (vgl. WA 4; 592,36–593,3; BoA 5; 23,22–30). Das zweite Argument bezieht sich auf das Tierleben. Luther zufolge jaulen alle Tiere und zeigen damit aktiv Mitleid, wenn ein Artgenosse gefangen oder geschlachtet wird. Wenn dies bereits bei Tieren der Fall sei, dann müsse auch der Mensch aktiv helfen (vgl. WA 4; 593,4–11; BoA 5; 23,30–24,1). 58   »Ex ista doctrina possunt nunc multae spetiales et sequelae doctrinarum accipi« (WA 4; 593,17f; BoA 5; 24,8f). 59   Vgl. WA 4; 593,18–594,7; BoA 5; 24,9–25,2. 60  Vgl. WA 4; 594,20–595,10; BoA 5; 25,16–26,11. Im Gegensatz zu Kaweraus Lesart »quantū« mit Auflösung der Abbreviatur gibt Vogelsang die wahrscheinlichere Variante »quaestū m« für »quaestionem« an. Vgl. im Original, Bl. 150,23. 61   »1. ›Anne sufficeret, quod alteri bene vellem in corde?‹« (WA 4; 594,20f; BoA 5; 25,17). 62   »Quis autem est contentus sua voluntate bona, si quis opere potest? Ideo non sufficit« (WA 4; 594,28f; BoA 5; 25,25f). 63   »2. Sic dicunt multi: ›Ego volo eum dimittere in pace, sua expedire, nihil ei bene vel male facere‹« (WA 4; 594,22f; BoA 5; 25,18f). 64   »Ipse enim bene videt cor et causam, quam habemus« (WA 4; 594,39–559,1). 65   »Si autem sic ex mala voluntate dicimus: ›Volo eum dimittere sua expedire‹, quaero an velis etiam, quod tibi Deus dicat: ›Volo te dimittere tua expedire et nihil tibi dare vel aufferre‹? Quis hoc vellet?« (WA 4; 595,2–5; BoA 5; 26,3–6). 66   »3. Item dicunt: ›Nonne quae ego habeo, mea sunt? possum eis uti, sicut ego volo‹« (WA 4; 594,23f; BoA 4; 25,19–21).

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oder zu missbrauchen. 67 Die Predigt endet abrupt mit dem Gedanken, dass alle Menschen Diener Gottes seien. 68 Betrachtet man den klar strukturierten Aufbau, so lässt sich vor dem Hintergrund spätmittelalterlicher Predigtpraxis eine scholastisch geprägte Themenpredigt erkennen. 69 Luther rezipiert intensiv scholastische Traditionen. Schulmäßig wird das Thema benannt und argumentativ durch Distinktionen entfaltet, dann werden Gegenmeinungen aufgenommen, um sie wiederum zu entkräften. Im Vergleich zu anderen seelsorgerlichen Funktionen wie Tröstung, Erbauung oder Ermahnung steht der Lehrcharakter im Vordergrund. Bei der Lektüre des Manuskripts kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Luther in der Predigt zeigen will, wie belesen er ist. Die aristotelisch-thomistische Trias der menschlichen Güter, die säuberliche Trennung in Vernunftsargumente, biblische Belege und Berufung auf die kirchliche Tradition unter Heranziehung von Ambrosius, Gabriel Biel, Bonaventura und insbesondere dem Lombarden, machen nicht den Eindruck, als spreche er hier zu einer Volksgemeinde. Vielmehr hat er theologisch Gebildete unter den Zuhörern vor Augen, vermutlich seine Mitbrüder im Kloster. Dabei will Luther aber auch seine subtile Auslegungskunst der Bibel zeigen. Ein hoher ethischer Anspruch an sich selbst und an seine Zuhörer kommt zum Vorschein, indem die positive Fassung der Goldenen Regel hervorgehoben wird. Jede kleinste Unterlassung ihrer Anwendung ziehe bereits eine heilsrelevante Verdammung nach sich. Deutlich wird, wie fest Luther hier noch von der Relevanz guter Werke zur Erlangung der eigenen Seligkeit ausgeht. Zu Recht sieht Vogelsang diese Predigt als Zeugnis eines ungebrochen scholastisch geprägten Stadiums seiner Theologie an, in der eine vorreformatorische »Religion der Werkgerechtigkeit« vertreten werde. Zu Pfingstmontag predigte Luther über das vorgesehene Evangelium: »Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben« (Joh. 3, 16).70 In den folgenden Jahren wird er diesen Spruch immer wieder auslegen.71 Im Vergleich zur vorangegangenen Predigt folgt diese einem anderen 67   »Pro tertio dico, quod bona quaecunque sunt a Deo et non data ad retinendum vel abutendum, sed ad dispensandum« (WA 4; 595,6f; BoA 5; 26,7–9). 68   Vgl. WA 4; 595,9f; BoA 5; 26,11. 69  Vgl. Siegfried Wenzel: Medieval Artes Praedicandi. A Synthesis of Scholastic Sermon Structure (Mediaeval Academy books 114) , Toronto 2015. Vgl. ferner Ders.: The Art of Preaching. Five Medieval Texts & Translations, Washington 2013, XI. Vgl. ferner Marianne Briscoe: Artes Praedicandi (Typologie des sources du moyen âge occidental 61), Brepols 1992. 70   Vgl. WA 4; 595–605; BoA 5; 26–37. 71   Das Predigtregister macht 13 Angaben (WA 22; LXVIII): Vgl. die Predigt vom 9. Juli 1522, WA 10 III; CIX. 160–169, die Predigt wurde in Roths Sommerpostille aus dem Jahr 1526 aufgenommen (WA 10 I.2; 284–287); vom 25. Mai 1523, WA 11; 114–118; vom 5. Juni 1525, WA 17 I; XLI. 271–273; vom 21. Mai 1526, WA 20; 401–405; vom 1. Juni 1528, WA 27; 167– 180; vom 20. Mai 1532 im Haus, WA 36; XVIII. 180–184; vom 25. Mai 1534, WA 37; XXXIV. 409–414, diese Predigt wurde in Veit Dietrichs Hauspostille aus dem Jahr 1544 aufgenommen

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Hinführung

Aufbauschema. Statt einer Themenpredigt wählt Luther hier eine homilienartige Auslegung, bei der er einzelne Begriffe von Joh. 3, 16 der Reihe nach erläutert.72 Der erste bezieht sich auf das Wort »geben« in Joh. 3, 16 mit einem Exkurs über den dreifachen Zweck der gegebenen Welt.73 Der zweite kürzere Hauptteil ist eine Auslegung des Ausdrucks »ewiges Leben«.74 Der dritte Hauptteil handelt über den »Glauben« mit einem Exkurs über die Sünde.75 Es folgt ein Schlussteil, der vom Rest der Predigt durch Leerzeilen abgegrenzt ist und das Thema »Glauben« weiter ausführt.76 Danach werden fünf einzelne Gedanken mittgeteilt, die mit »Anhang« (corollarium) überschrieben sind.77 Am Ende sind noch drei Gedanken mit der Überschrift »Lehre« (doctrina) hinzugefügt.78 Luther geht in einer hermeneutischen Vorüberlegung zunächst auf das Pfingstfest im Rahmen des Kirchenjahres ein. Er rühmt die Präzision und Eigenart in der Beschreibung des Heiligen Geistes in Joh. 3, 16.79 Darin offenbarte sich ihm zufolge eine Kraft, die das Pfingstwunder anschaulich schildere. Denn bei diesem Ereignis wird der Heilige Geist bildlich als Zungen, zerteilt wie von Feuer beschrieben (Apg. 2, 3). 80 Die Feuerzungen stünden für die Energie, mit der sich die frohe Botschaft in die Herzen der Menschen brenne. Kein anderes Symbol bezeichne dieses Geschehen besser als das Bild vom Feuer der lebendigen Sprache. Die Feuerzungen überträfen alle anderen Symbole, mit denen der Heilige Geist verbildlicht werde, wie beispielsweise ein »digitus«81, ein Auge, eine körperliche Geste, ein Schreibrohr (Kalamos) 82 oder die Heilige (WA 52; 326–335); vom 21. Mai 1537, WA 45; XXIV. 84–89. Vgl. ferner Crucigers Sommerpostille, 1544, WA 21; 479–497 u. WA 22; XXIIf. 72   Zur Gliederung vgl. auch Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben, Tübingen 2014, 18, Anm. 19. 73   Vgl. WA 4; 595,28–600,21; BoA 5; 26,30–32,27 74   Vgl. WA 4; 600,19–601,6; BoA 5; 32,23–33,17. 75   Vgl. WA 4; 601,7–602,23; BoA 5; 33,18–35,7. 76   Vgl. WA 4; 602,24–603,5; BoA 5; 35,8–26. 77   Vgl. WA 4; 603,6–34; BoA 5; 35,27–36,28. 78   Vgl. WA 4; 604,1–30; BoA 5; 36,28–37,35. 79   »Mira est emphasis in istis verbis et proprietas, sicut est mos Spiritus [16] sancti« (WA 4; 595,15f; BoA 5; 26,16f). 80   »Quod bene in figura monstratum est, quod in linguis igneis apparuit: in lingua proprietas, in igne energia« (WA 4; 595,17f; BoA 5; 26,18–20). 81   »Digitus« kann in Anlehnung an Mt. 12, 28 und Lk. 11, 20 den Zeigefinger Gottes zur Symbolisierung des Heiligen Geistes meinen. Der Digitus bezeichnet auch den kleinen Zeigestab zum Lesen des Messbuches, an dessen Ende sich zumeist eine Hand mit einem ausgestreckten Zeigefinger befindet. Damit wurde dem Zelebranten deutlich gemacht, welcher Text zu lesen ist. In dem aus dem 9. Jahrhundert stammenden Hymnus »Veni, creator spiritus« wird der Heilige Geist als rechter Finger Gottes beschrieben: »Tu septiformis munere, dextrae Dei tu digitus«. Luther, der 1524 diesen Text ins Deutsche übertragen hat, übersetzt mit den Worten: »Du bist mit Gaben siebenfalt der Finger an Gotts rechter Hand«. Vgl. WA 35; 445; Wolfgang Braunfels: Art. ›Heiliger Geist‹, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 2, 228f. 82   Vgl. die Glosse zu Ps. 45, 2 »Meine Zunge ist ein Griffel eines guten Schreibers« (Psal-

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Schrift83. 84 Mit einer solchen Betrachtung über die Symbole des Heiligen Geistes bettet er den Bibelvers in das Pfingstfest ein und berücksichtigt damit den Kontext des Kirchenjahres. Nach dieser Vorüberlegung konzentriert sich Luther im ersten Hauptteil auf das Wort »geben« bzw. die Gaben Gottes. 85 In konzentrierter Form enthalte der Bibelvers alle notwendigen Aussagen in Bezug auf das Subjekt, das Objekt, den Beweggrund und den Zweck des Gebens. Alles werde auf das Schönste bzw. auf das Genaueste berührt. 86 Diese Darlegung strukturiert er in kurze Fragen und Antworten: »Wer gibt? Gott ist es. Kein Mensch, nicht die Welt, auch nicht tausend andere Welten, sondern der unvergleichliche Schöpfer«. 87 »Was gibt Gott? Seinen Sohn! Kein Gold, kein Silber, jedoch etwas, was man erkennen kann«. 88 »Warum gibt Gott der Welt seinen Sohn? Aufgrund seiner übergroßen Liebe!«89 »Was macht Gott? Er gibt«.90 »Wozu gibt Gott seinen Sohn aus Liebe zur Welt? Zum endgültigen seligen Ende des Menschen!«, weil im Vers Joh. 3, 16 angegeben werde, »damit wir nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben«.91 Er fährt fort, das Verlorengehen zu erläutern, indem er auf Bonavenmenvorlesung, 1513/15, WA 3; 456,3–32). Vgl. ferner Pekka Kärkkäinen: Luthers trinitarische Theologie (VIEG 208), Mainz 2005, 96. 83   »Sicut enim nullum est significantius signum, quam in lingua viva, quae magis proprie et signate rem indicat quam digitus, oculus et quicunque gestus corporis, quam etiam calamus vel scriptura, ita Spiritus sancti locutio emphaticoteros prae omnibus loquitur. Et hoc maxime in oratione Rhetores mirantur« (WA 4; 595,18–22; BoA 5; 26,20–24). 84   Im Hintergrund dieser Gedanken steht die Zeichentheorie Augustins, die dieser in seiner Schrift »De doctrina Christiana« entfaltet hat. Darin unterscheidet er zwischen natürlichen und gegebenen Zeichen (signa naturalia et data). Die letzteren sind Zeichen, die auch durch das Gesicht, durch Augenkontakt oder durch Handbewegungen zum Ausdruck gebracht werden können (vgl. Augustin: De doctrina Christiana, lib. 2, cap. 2 (CCSL 32, Turnhout 1962, 32f). Das Feuer ist Luther zufolge das beste Zeichen für das Wort des Heiligen Geistes, da Feuer das Aktivste unter allen Geschöpfen sei, weil es mit dem Maximum an Energie ausgestattet ist (vgl. WA 4; 595,22f; BoA 5; 26,24–26). 85   Vgl. WA 4; 595,28–600,21; BoA 5; 26,30–32,27 86   »Singula verba sunt ignis et lingua, quia Quis dat, quid datur, cui, quo motivo, ad quid? omnia pulcherrime tanguntur« (WA 4; 595,28f; BoA 5; 26,30–32). 87   »Quis? Deus, non homo, non totus mundus, non mille mundi, sed incomparabilis creator« (WA 4; 595,30f; BoA 5; 26,33f). 88   »Quid dat? Filium, non aurum, non argentum, non quicquid potest cogitari« (WA 4; 596,1f; BoA 5; 27,1–3). 89   »Quo motivo? propter nimiam charitatem, non propter nostram bonitatem, cum simus mali et solus Deus bonus: nec meritis nostris, quae non sunt« (WA 4; 596,9–11; BoA 5; 27,10– 12). 90   »Quid facit? Dat, non ostendit tantum: non mutavit, non vendidit, non commodavit, sed facit eum nostrum. Quia donatio, dicunt Iuristae, constituit possessorem recipientem stantibus conditionibus liberaliter et magnifice et gratis« (WA 4; 596,12–15; BoA 5; 27, 14–17). Zur Schenkung im römischen Recht vgl. Fritz Schwind: Römisches Recht. Bd. 1: Geschichte, Rechtsgang, System des Privatrechtes (Rechts- und Staatswissenschaften 8), Wien 1950, 330– 333. 91   »Ad quid? foelicissimo fine, scilicet ›ut non pereamus, sed habeamus vitam aeternam‹« (WA 4; 595,17f; BoA 5; 27,19f).

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Hinführung

turas Kommentar zur Sentenzenvorlesung von Petrus Lombardus verweist.92 Mit dieser Vorgehensweise, den Begriff »Gabe« dem Subjekt, Objekt, Beweggrund und Zweck nach zu erläutern, verwendet Luther die Zirkumstanzen-Methode (circumstantiae) der antiken Rhetorik.93 Im Folgenden weitet er das Thema aus und trägt zusammen, was man allgemein zu den Gaben Gottes aussagen kann.94 Dies entfaltet er zunächst mittels der juristischen Methodenlehre, indem er vom Großen auf das Kleine schließt (argumentum a maiore ad minus): Wenn Gott uns bereits eine solche übergroße Gabe schenkt, wie großzügig sollten wir dann erst gegenüber unserem Nächsten sein? 95 In umgekehrter Richtung zieht er den Schluss vom Kleinen auf das Große (argumentum a minore ad maius): Wenn bereits unter den Menschen Gaben verteilt werden, wie groß müsse dann erst die Gabe sein, die Gott den Menschen schenkt? 96 Danach geht Luther auf drei Gaben Gottes genauer ein. Über sie sei bereits viel gesprochen worden: Die gesamte Schrift, alle Propheten, Apostel sowie auch alle gelehrten Ausleger derselben bis hin zu den heutigen Predigern rede-

92   Luther referiert die Unterscheidung von drei Übeln: Erstens das Übel aufgrund der Natur des Menschen, das sich gegen das Sein richtet wie beispielsweise eine körperliche Schwäche oder eine Krankheit; zweitens das Übel aufgrund von Schuld, das sich gegen die Gnade stellt, und drittens das Übel aufgrund von Elend, welches die Ehre des Menschen angreift (vgl. WA 4; 596,18f; BoA 5; 27,20–22). Vgl. Bonaventura: Commentaria in quatuor libros sententiarum Magistri Petri Lombardi, lib. 2, dist. 25, qu. 2, dub. 1 (Opera Omnia 2, Quaracchi 1882, 606f). 93   Im Manuskript wird dieser Begriff auch als Notiz am Rand genannt: »Ista circumstantia est in omnibus donis eius consideranda« (WA 4; 596, Anm. zu Z. 19; BoA 5; 27, Anm. zu Z. 23f). Sie stammt ursprünglich aus der Nikomachischen Ethik von Aristoteles. Vgl. Aristoteles: Nikomachische Ethik, 1110b-1111a (Philosophische Schriften, Bd. 3, übers. v. Eugen Rolfes, Hamburg 1995, 45–47). Vgl. ferner Michael C. Sloan: Aristotle’s Nicomachaean Ethics as the Original Locus for the Septem Circumstantiae, in: Classical philology 105 (2010), 236–252). Augustin überliefert in seinem Werk »De rhetorica«, dass die Methode seines Erachtens von Hermagoras stamme (vgl. Augustin: De rhetorica, 7.2–3 [Studi Latini e italiani 4, hg. von Remo Giomini, Rom 1990, 7–82]). Unterschieden werden sieben Fragehorizonte bzw. Umstände zur Analyse eines Gegenstandes: wer, was, wann, wo, warum, auf welche Weise, mit welchen Hilfsmitteln (quis, quid, quando, ubi, cur, quem ad modum, quibus adminiculis). Vgl. hierzu ausführlich Johannes Gründel: Die Lehre von den Umständen der menschlichen Handlung im Mittelalter (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 39.5), Münster 1963, 10–65. 94   »Sed conferamus in unum documentum omnia breviter« (WA 4; 596,33; BoA 5; 28,8). 95   »Quod Deus pro nostra salute tot et tanta facit, debet nobis esse magna excitatio, ut et nos ipsi pro propria saltem salute faciamus aliquanta« (WA 4; 596,34f; BoA 5; 28,9–11). Zum argumentum a maiore ad minus vgl. Rupert Schreiber: Logik des Rechts, Berlin u. a. 1962, 54f. Ein solches Argument formuliert Luther beispielsweise auch in den Tischreden: »Der Herr Christus ist gestorben vnd begraben, ich auch. Er ist darnach erstanden vnd auff gefaren gen himell, ich auch« (WA T 5; Nr. 5775, 349,18–20). 96   »Quia autem hoc fit inter nos, verum quanto magis inter nos et Deum« (WA 4; 596,38; BoA 5; 28,13f). Vgl. Ulrich Klug: Juristische Logik, Berlin u. a. 31966, § 12, 132–137.

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ten über die Gaben Gottes. Sie stünden den Irrtümern entgegen, die bei den Heiden und Philosophen zu finden seien.97 Die erste Gabe Gottes an den Menschen beziehe sich auf die gesamte Welt.98 Dabei spielt Luther auf die scholastische Einteilung des Zusammenwirkens in der Welt (cooperatio mundi) 99 zu einem dreifachen Zweck an: zum Nutzen (ad usum), zur Vernunft (ad intellectum) und zur Leidenschaft bzw. zu den Affekten des Menschen (ad affectum).100 Diese drei Zwecke bilden ihm zufolge eine Einheit, wie die ontologische Trias vom Wesen, der Quantität und der Qualität einer Sache oder wie die Spuren der göttlichen Trinität (vestigia trinitatis) in der gesamten Schöpfung.101 Mit den Spuren der Trinität spielt Luther auf die mystisch gefärbten Betrachtungen von Augustin an, die dieser in seiner Schrift »De trinitate« formuliert hat102 und die dann in der scholastischen Tradition beispielsweise von Petrus Lombardus rezipiert wurden.103 Bevor Luther sich der nächsten Gabe zuwendet, erörtert er die drei Zwecke des Zusammenwirkens der Welt im Sinne eines Exkurses. Bezogen auf den Nutzen der Welt (ad usum) beklagt er, dass keiner mehr diesen in den alltäglichen Dingen bewundere, sondern das Augenmerk nur noch auf besondere Naturereignisse gelegt werde wie beispielsweise das Erscheinen eines Kometen.104 Hinsichtlich der Vernunft (ad intellectum) hebt Luther hervor, dass die Welt voller Weisheit sei, in der die Spuren der göttlichen Trinität mystisch verborgen seien. Deshalb sei derjenige, der die »Mysterien« Gottes nicht sehe, blind.105 Die Affekte (ad affectum) des Menschen dienten ihm zufolge dazu, nicht zum Stillstand zu kommen, sondern sich Stufe um Stufe weiterzuentwickeln. Das Leben   Vgl. WA 4; 597,9–15; BoA 5; 28,22–30.   »[…] sicut et Apostolus: ›Omnia cooperantur in bonum his, qui secundum propositum vocati sunt sancti« (WA 4; 598,18f; BoA 5; 28,24f). 99  Vgl. Martin Seils: Der Gedanke vom Zusammenwirken Gottes und des Menschen in Luthers Theologie, Berlin 1962, 31f. 100   »Dedit autem eum ad tria, scilicet ad usum, ad intellectum et ad affectum. In his enim stat cooperatio mundi« (WA 4; 597,23; BoA 5; 29,1f). Vgl. hierzu beispielsweise die Einteilung von Bonaventura rezipiert von Gabriel Biel: Collectorium circa quattuor libros Sententiarum, sent. II, disti. 15, qu. un. H (hg. v. Wilfrid Werbeck u. Udo Hofmann, Tübingen 1979, 354,29–38). Zu dieser Trias vgl. ferner Michael Plathow: Freiheit und Verantwortung. Aufsätze zu Martin Luther im heutigen Kontext, Erlangen 1996, 157. 101  »[…] secundum quod tria personarum vestigia in ipsis invenimus, scilicet essentia, quantitas, qualitas: haec tria insinuant s. trinitatem« (WA 4; 597,23–25; BoA 5; 29,2–4). 102  Vgl. Augustin: De trinitate Dei, Lib. VI, cap. 10, n. 12 (CCSL 50, Turnhout 2001, 242,45–47). Vgl. ferner Roland Kany: Augustins Trinitätsdenken. Bilanz, Kritik und Weiterführung der modernen Forschung zu »De trinitate«, Tübingen 2007, 177. 356. 382. 521. 103  Vgl. Petrus Lombardus: Sententiarum Libri Quatuor, Sent. I, dist. 3, cap. 6 (PL 1, Paris 1841, 20). 104   Vgl. WA 4; 597,26–34; BoA 5; 29,5–13. Luther nennt die Erscheinung eines Kometen exemplarisch für ein besonderes Naturereignis. Er hätte auch einen Regenbogen, Sternschnuppen oder eine Sonnenfinsternis wählen können. 105   »Ad hoc sunt vestigia Trinitatis etc. […] Qui non videt mysteria Dei, coecus est« (WA 4; 598,26–28; BoA 5; 30, Z 15–17). 97

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des Menschen sei ein Weg durch einen Wald voller teuflischer Frevel, auf dem Gott die Richtung zeige und Hinweise aufgestellt habe.106 Mit diesen Bildern übernimmt Luther mystisch gefärbte Aussagen Meister Eckharts, die er wohl den Sentenzen von Petrus Lombardus entnommen hat.107 Nach dem Exkurs thematisiert Luther die zweite Gabe Gottes an die Menschen, nämlich den Menschen selbst.108 Der Mensch sei viel größer als die Welt, weswegen – eingegeben vom Heiligen Geist – die Philosophen davon sprächen, der Mensch sei die Welt.109 Insofern seien alle Dinge am Menschen der Welt ähnlich.110 Nicht nur die Welt sei Abbild des Menschen, sondern auch der Mensch sei ein Abbild Gottes. Insofern hat Luther eine zweifache Analogie vor Augen, die zum einen die Kosmologie und zum anderen die Anthroplogie betrifft. Im Lichte der Kosmologie entspricht der Mikrokosmos der Welt dem Makrokosmos der göttlichen Trinität. Hinsichtlich der Anthropologie wiederum ist der Mikrokosmos des Menschen eine Analogie zum Makrokosmos der Welt.111 Ähnliche Gedanken hat Luther auch in den Randbemerkungen seiner Ausgabe der Sentenzen des Lombarden notiert.112

  »Vita est via nostra per sylvam latronum infernorum, in quibus istas directiones et monitoria Deus nobis posuit« (WA 4; 599,8f; BoA 5; 31,2f). 107   Vgl. exemplarisch Meister Eckhart: Expositio sancti evangelii secundum Iohannem, 299 (Die lateinischen Werke, Bd. 3, hg. von Karl Christ u. a., Stuttgart u. a. 1994, 250,13–15). Vgl. ferner Petrus Lombardus: Sententiarum Libri Quatuor, Sent. I, dist. 3, cap. 1, (PL 1, Paris 1841, 19). Vgl. ferner Sammeli Juntunen: Der Begriff des Nichts bei Luther in den Jahren von 1510 bis 1523 (SLAG 36), Helsinki 1996, 327. 108   »Secundo dedit pro salute nostra nos ipsos nobis ipsis« (WA 4; 599,10; BoA 5; 31,4). Das »Zweitens« bezieht sich zurück auf WA 597,7; BoA 5; 28,33. 109   »Hoc est adhuc maius, et est tot et tanta, quantus est totus mundus, unde quidam philosophi ex instinctu Spiritus Sancti concordant cum Domino dicentes hominem esse mundum« (WA 4; 599,10–13; BoA 5; 31,4–7). 110   »Omnia enim similia sunt in homine quae in mundo« (WA 4; 599,17; BoA 5; 31,12f). Er belegt dies biblisch zum einen mit dem Aufruf »Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur« (Mk. 16, 5), in dem »alle Welt« totum pro parte für alle Menschen stehe, und zum anderen mit der Vorstellung von der göttlichen Ebenbildlichkeit des Menschen (Gen. 1, 26f). Vgl. WA 4; 599,13–19; BoA 5; 31,7–14. 111   »Sic igitur homo est microcosmus« (WA 4; 599,35; BoA 5; 31,32). 112   Vgl. im Werk des Lombarden die Notiz zu sent. II., dist. 16, cap. 4: »Posset etiam optime dici, Quod homo sit imago dei quod imitetur deum in esse et agere, quia ipse regit minorem mundum i.e. corpus, Sicut deus maiorem. Deinde ipse format verba sicut deus; etiam vide alibi« (Martin Luther: Erfurter Annotationen 1509–1510/11, hg. von Jun Matsuura [AWA 9], Köln 2009, 445,24–26). Vgl. ferner Aristoteles: Physik, Buch VIII, Kap. 2, 252b (Philosophische Schriften, Bd. 6, hg. von Hans Günter Zekl, Hamburg 1988, 194f); Thomas von Aquin: S. th., lib. I.II, qu. 2, art. 8, ob. 2; Bonaventura: Commentaria in quatuor libros sententiarum Magistri Petri Lombardi, Sent. lib. III, dist. 2, art. 1, qu. 2 resp. I, (Opera Omnia 3, Quaracchi 1889, 39–42). 106

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Die dritte Gabe Gottes an den Menschen ist der eingeborene Sohn.113 Diesen habe Gott zu unserem Heil dahingegeben. Es sei das größte Geschenk, mit dem er dem Menschen alles vermacht habe.114 Der zweite Hauptteil konzentriert sich auf die Auslegung vom Halbvers »damit alle […] nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben« (Joh. 3, 16b). Dieser Versteil spannt Luthers Auffassung nach in extremer Weise zwei Pole auf: Das Verlorensein und das ewige Leben bzw. das größte Übel und das höchste Gut. Beide Extreme könnten jeweils dreifach als das Nichts, das Falsche oder das Übel (nihil, falsum, malum) auf der einen und als das Sein, das Wahre oder das Gute (ens, verum, bonum) auf der anderen Seite gedeutet werden.115 Diese Distinktionen hat Luther der scholastischen Lehre von den Transzendentalien entnommen.116 Auch hierbei leuchten ihm zufolge die Spuren der göttlichen Trinität wieder auf.117 Das Sein stehe für den Vater, das Wahre für den Sohn und das Gute für den Heiligen Geist.118 Der dritte Hauptteil bezieht sich in Rückgriff auf Joh. 3, 16 auf das Wort »Glauben«. Luther fragt danach, wie nun der Mensch im Sinne Gottes zu kooperieren habe. Eine solche Kooperation erfolge durch den Glauben. Er gebe dem Menschen erst die Möglichkeit, mit Gott zu kooperieren. Hierbei verweist er auf Joh. 3, 15: »damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben« und Mk. 16, 16: »Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden«.119 In einem virtuellen Gespräch nimmt er die Rolle seines Gegenübers ein, der die Meinung vertritt: Ich glaube, also ist dies für das ewige Leben hinreichend. Luther antwortet darauf, dass dies richtig sei. Aber es wäre auch notwendig zu wissen und zu glauben, dass man glaubt. Ohne äußerliche Zeichen bzw. ohne andere Medien, wie es die Philosophen behaupten, könne kein Wissen existieren. Eben so wenig könne auch der Glaube ohne äußere Zeichen sein.120 Um zu glauben, solle man auch den ande113   »Tertio dedit suum dilectum et unigenitum filium et fecit ipsum nasci pro nobis, cum ista omnia non nos provocaverint ad collaborandum Deo nostro pro nostra salute« (WA 4; 599,36–38; BoA 5; 31,33–32, 2). 114   »Hoc enim est maximum donum, in quo omnia nobis, dedit et pro nobis fecit« (WA 4; 599,38–600,1; BoA 5; 32,2f). 115   Vgl. WA 4; 600,22–28; BoA 5; 32,27–33. 116  Vgl. Bonaventura: Commentaria in quatuor libros sententiarum Magistri Petri Lombardi, lib. II, dist. 3, p. 1, art. uno, qu. 2 (Opera Omnia 4, Quaracchi 1889, 67). Vgl. ferner Jan A. Aertsen: Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Suárez (STGMA 107), Leiden 2012, 606. 117   »Et in hoc lucet vestigium sanctae trinitatis« (WA 4; 600,28; BoA 5; 32,33f). 118   Vgl. WA 4; 600,31–601,6; BoA 5; 33,1–17. 119   »Quid nunc igitur nobis cooperandum est Deo pro nobis tanta operanti? Respondet Dominus: ›Omnis qui credit in eum‹. Credere igitur sufficit: hoc est nostrum cooperari. Et alibi: ›Qui crediderit et baptisatus fuerit, salvus erit‹« (WA 4; 601,7–10; BoA 5; 33,18–23). 120  »Dicis autem: ›Ego credo, ergo sufficit‹. Respondeo tibi: Sufficit, sed oportet et nos scire et credere, quod tu credas. Nihil autem scitur, dicunt philosophi, nisi per aliquod signum et medium. Christus igitur factus homo iudicaturus vivos et mortuos libenter praemiabit

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ren den Glauben zeigen, wie es Mk. 16, 17 belegt: »Diese Zeichen aber werden denen folgen, die glauben«.121 Folglich könne man nur Sicherheit erlangen, das ewige Leben zu erhalten, wenn man dies anderen Menschen deutlich mache.122 Ein Söldner gäbe seinem Auftraggeber auch ein Zeichen, worum er sich verdient gemacht habe.123 Deshalb sei es notwendig, Gott anzuzeigen, an seinen Sohn zu glauben.124 Der Unglaube hingegen führe zum Verderben. Im Rückgriff auf die drei Zwecke der Welt, die er im Exkurs entfaltet hat, sieht er drei Stufen des Schadens für den Menschen durch Unglauben. Auf der ersten Stufe – in Bezug auf den Nutzen (ad usum) – könnten alle Kreaturen den Menschen nicht nur nützen, sondern auch schaden und somit in die Verdammung führen.125 Auf der zweiten Stufe – mit Blick auf den Intellekt (ad intellectum) – bestehe der Schaden des Menschen in Bezug auf seinen freien Willen. Aufgrund des freien Willens könne der Mensch ein schlechtes Gewissen bekommen. Dies ist für Luther eine der größten Strafen für den Menschen.126 Denn ein menschliches Gewissen könne nicht vor sich selbst fliehen.127 Die dritte Stufe des Schadens erzeuge – mit Bezug auf die Affekte (ad affectum) – einen sehr großen Schrecken. Das größte Übel für den Menschen bestehe darin, beim Endgericht vor seinem Richter zu stehen und keinen Fürsprecher zu haben.128 Der nächste Abschnitt ist im Manuskript mit ungefähr fünf Leerzeilen vom Vorhergehenden getrennt.129 Es scheint, dass hier weniger eine Zusammenfassung der gesamten Predigt geboten wird, sondern eher eine Vertiefung des dritten Hauptteils, da das Thema »Glaube« weiter entfaltet wird. Dabei handelt es sich nicht mehr um ausformulierte Gedanken, sondern wohl eher um flüchtig hingeworfene weitere Ideen, was man noch sagen könnte. Beispielsweise betuam fidem, si monstrare poteris aliquo signo ei te habere fidem« (WA 4; 601,10–14; BoA 5; 33,21–27). 121   »Quae autem sunt signa? Respondet Dominus: ›Signa autem eos, qui credunt in me, haec sequentur‹ Marci ultimo« (WA 4; 601,15f; BoA 5; 33,27f). 122   Vgl. WA 4; 602,16–18; BoA 5; 33,28–30. 123   »Mercenarius enim frustra sedet iuxta praemiantem, si non monefaciat et det ei signum per verbum vel alias, quod meruerit« (WA 4; 601,18–20; BoA 5; 33,31f). 124   »Sic oportet et nos Deo significare quod crediderimus in eius filium« (WA 4; 601,20f; BoA 5; 33,32f). 125   Er zitiert hierzu die Worte: »Gott wird die Schöpfung bewaffnen zur Abwehr der Feinde« (Weish. 5, 18) und »mit ihm zusammen aber wird die Welt kämpfen gegen die Toren« (Weish. 5, 21). Vgl. WA 4; 602,33–39; BoA 5; 34,10–16. 126   »Secundus est liberi arbitrii: quae erit maxima poena, quia nihil gravius conscientia mala« (WA 4; 602,4f; BoA 5; 34,21f). 127   »[…] quia non potest a se fugere conscientia« (WA 4; 602,8; BoA 5; 34,35f). 128   »Tertius et maximus horror et summum malum est iudicem habere, quem collaboratorem nolumus habere, qui quanto grandius nunc donum nobis est et omnia in omnibus, ita erit tunc gravissimum damnum: quia auferet omnem gloriam et maximam miseriam solo aspectu etiam inferet« (WA 4; 602,10–14; BoA 5; 34,28–32). 129   Vgl. Zwickauer Ratsschulbibliothek, Cod XXV, Ms. 25, Bl. 154b.

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zieht Luthers sich hierbei auf das Lied »Nun bitten wir den heiligen Geist, um den rechten Glauben allermeist«130 und auf die Glaubensdefinition aus Hebr. 11, 1.131 Vielleicht handelt es sich hierbei um Gedanken, die er für ein nachfolgendes Gespräch über seine Predigt notiert hat. Es folgen fünf Abschnitte, die mit »Anhang« (corollarium) überschrieben sind und weitere Ideen zum Thema »Glauben« enthalten.132 Danach findet man noch einige Gedanken, die mit »Lehre« (doctrina) überschrieben sind und der Frage nachgehen, ob der Mensch die Macht habe, die Gaben Gottes zu wollen, was Luther ausdrücklich bejaht,133 indem er auf die Lehre Augustins vom Nut-

130  Vgl. Gerhard Hahn/Jürgen Henkys (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 10, Göttingen 2004, 69–75. 131   »Cur quam maxime petimus veram fidem in ista oratione: Nu bitten wir den heiligen Geist? Respondetur: Quia est substantia rerum sperandarum. Et hoc declarat utrumque per multa patrum exempla Apostolus Hebr. 11: quod quis videt hic et videre potest, non est spes et monitorium spei« (WA 4; 602,24–27; BoA 5; 35,8–12). Der lateinische Text von Hebr. 11, 1 nach der Vulgata lautet: »est autem fides sperandorum substantia rerum argumentum non parentum«. 132   Vgl. WA 4; 603,6–34; BoA 5; 35,27–36,28. Im ersten Abschnitt erwägt Luther, dass nur wenige den wahren Glauben hätten. An ihren Zeichen bzw. Handlungen solle man sie erkennen, insbesondere am Ende ihres Lebens, wenn man eingestehen müsse, dass es nichts gebe, was man selbst gemacht habe und die Übel allein zurückblieben. Im zweiten Abschnitt geht Luther darauf ein, dass man lernen solle, die Geschöpfe nicht zu missbrauchen. Seine Notizen machen den Eindruck, dass er hier mit verschiedenen Ausdrücken spielen will, wenn er »explicare« und »implicare« oder »percurrere« und »incurrere« verwendet. Der dritte Abschnitt bezieht sich auf das irdische Leben, welches ein Exil und ein Tal der Tränen darstelle, womit er auf den biblischen Begriff »Jammertal« (Ps. 84, 6) und auf »Salve Regina«, eine marianische Antiphon, anspielt. Vgl. Warren Kirkendale: On the Marian antiphons ›Salve regina‹, ›Te decus virgineum‹, and Antonio Caldara. With a bibliography for the ›Salve regina‹, in: Studi musicali 1 (2010), 345–368; vgl. ferner Mary E. Frandsen: Salve Regina/Salve Rex Christe: Lutheran engagement with the Marian antiphons in the age of orthodoxy and piety, in: Musica disciplina 55 (2010), 129–218. Der vierte Abschnitt thematisiert das Heimweh nach Gott. Er zitiert hierzu Zeilen aus den »Briefen vom schwarzen Meer« Ovids: »Irgendetwas nimmt uns am süßen Heimatland gefangen, und erlaubt es uns nicht, es zu vergessen« (vgl. Ovid: Epistulae ex Ponto, I, 3, 35f (hg. von Arthur Leslie Wheeler, London 1939, 282). Vgl. Karin Florian: Ovids Jahre am Pontus. Eine diachronische Analyse der Tristien und Epistulae ex Ponto als ein frühes Beispiel europäischer Exilliteratur, Innsbruck u. a. 2007. Außerdem reflektiert er über die Verszeile »Wenn wir heimfahren aus diesem Elende« aus dem Lied »Nun bitten wir den Heiligen Geist«. Der letzte Abschnitt widmet sich der ersten Zeile aus dem Glaubensbekenntnis. Er fragt sich, wer wohl die Zeilen richtig bete: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde«. Mit dem Mund spreche man es, aber mit dem Herzen meine man mehr: »Ich glaube an Himmel und Erde«. Ebenso spreche man beim Vaterunser zwar »im Himmel«, aber man meine doch eher mit dem Herzen »Vater unser auf Erden«. 133   »[…] sic omnia sunt in potestate nostra« (WA 4; 604,11; BoA 5; 37,7).

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zen der Welt (uti) und Genießen Gottes (frui) anspielt.134 Zum Schluss hat sich Luther noch drei Schemata notiert.135 Rückblickend gewinnt man einen Eindruck von Luthers ersten Gehversuchen als Prediger. Statt einer Themenpredigt, wie er sie in seiner Auslegung der Goldenen Regel entfaltet hat, ist in dieser Predigt ein homilienartiger Aufbau mit Berücksichtigung des Kirchenjahres und der am Pfingstmontag vorgeschriebenen Perikope zu erkennen. Im Vergleich zur ersten Predigt nimmt Luther in der Pfingstpredigt neben scholastischen auch stärker mystisch geprägte Traditionen auf.136 Augustins Ausführungen über die Spuren der göttlichen Trinität, in deren Zusammenhang der Ausdruck »Mysterien Gottes« fällt; die mystische Lehre von den drei Stufen der Gotteserkenntnis, die man wie eine »Leiter« zu erklimmen habe; die Entsprechung von Mikrokosmos des Menschen und Makrokosmos der Welt; der Nihilationsgedanke im Gegenüber zur Vollkommenheit Gottes; die Vorstellung, dass Gott mit seiner Macht aus dem Nichts Etwas erschaffen kann: All dies weist auf eine reiche, durch Augustin, den Lombarden und andere scholastische Vertreter vermittelte Kenntnis der Mystik hin. Insofern ist diese Predigt eine bedeutende Quelle für die Mystikrezeption des frühen Luther. In der Forschung wurde diese Predigt jedoch kaum in diesem Zusammenhang berücksichtigt. In beiden Predigten rezipiert er intensiv die Bibel oder andere Autoritäten, um begrifflich scharfe Suppositionen zu gewinnen, die dann nach den Regeln der scholastischen Wissenschaft distinguiert werden. Die in sich mehrfach verschränkten Distinktionen führen zum Urteil, dass Luther manches Mal seine Begriffs- und Distinktionskunst übertrieben angewandt hat. Bei ihm lässt sich ein gewisser Druck spüren, seine Gelehrtheit vor anderen in den Predigten zur

134   »Sic dicit B. Augustinus, quod ›uti‹ est assumere aliquid in facultatem voluntatis propter aliud« (WA 4; 604,13f; BoA 5; 37,8f). Vgl. Augustin: De trinitate, lib. X, cap. 11, n. 17 (CCSL 50, Turnhout 1968, 329f). Das Zitat findet man auch bei Petrus Lombardus: Sententiarum Libri Quatuor, lib. I, dist. 1, cap. 3 (PL 1, Paris 1841, 13). 135   Vgl. WA 4; 604,15–30; BoA 5; 37,10–25. Das erste betrifft die großen und wunderbaren Werke, die von dem angenehmen und weiten irdischen Wohnort, vom Gebrauch und von der Lehre entwertet werden. Das zweite Schema bezieht sich auf den Missbrauch der Gaben, die zum Nachteil, zur Blindheit und zum Schlechten gegen Vater, Sohn und Heiligen Geist führe. Und schließlich notiert er hinsichtlich der Strafe, dass sie sich gegen die Welt und gegen sich selbst richte. Das eigene schlechte Gewissen werde aber die größte Strafe sein, denn der Geist könne nicht vor sich selbst fliehen. 136   Vgl. hier exemplarisch Artur Rühl: Der Einfluß der Mystik auf Denken und Entwicklung des jungen Luther, Diss. Marburg 1960; Bengt Hoffman: Theology of the Heart. The Role of Mysticism in the Theology of Martin Luther, Minneapolis 1998; Berndt Hamm: Wie mystisch war der Glaube Luthers?, in: Ders./Volker Leppin (Hg.): Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Mystik im Mittelalter und bei Martin Luther, FS für Gottfried Seebaß (SuR 36), Tübingen 2007, 237–287; Volker Leppin: Transformationen spätmittelalterlicher Mystik bei Luther, in: aaO., 165–185; Ders.: Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2016.

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Schau zu stellen.137 Beim Publikum kann es sich eigentlich nur um theologisch Gebildete aus seinem Kloster handeln. Insbesondere die Schemata und Anhänge spiegeln den Übungs- und Ausbildungscharakter beider Predigten wider. Jedoch gewähren die Erfurter Predigten auch einen besonderen Einblick in Luthers reiches theologisches Wissen mit Bezug auf die scholastischen und mystischen Traditionen. Von seiner Glaubens- und Gnadenlehre ist er in dieser Phase noch weit entfernt. Sein ethischer Rigorismus und seine Auffassung der Heilsrelevanz frommer Werke spiegeln noch einen – um den kontrovers diskutierten Ausdruck zu gebrauchen – »vorreformatorischen« Charakter. Insofern zählen die Erfurter Predigten zu den wohl wichtigsten Quellen zur Erhebung von Luthers frühestem Denken.

2. Der Beginn als Prediger in Wittenberg und die Predigt über den Johannesprolog 1514 Der endgültige Wechsel Luthers nach Wittenberg erfolgte in der zweiten Augusthälfte 1511.138 Jedoch währte sein Aufenthalt in der Elbestadt nicht lange, weil er von dort aus zur Reise nach Rom aufbrach, die von Oktober 1511 bis April 1512 dauerte.139 Da Johann von Staupitz ihn als Nachfolger für seine Professur vorgesehen hatte,140 erhielt Luther am 19. Oktober 1512 die Venia Legendi als Doktor der Theologie.141 137   Vgl. hierzu das positive Urteil von Emanuel Hirsch über Luthers frühe Predigten, von dem ich mich kritisch abgrenze. Hirsch ist der Meinung, dass Luther als junger Klosterpredigter sich durch drei Punkte auszeichnen würde: »[…] daß er 1. auf logische Feinheit und spekulative Kunst mehr Gewicht legt als auf gelehrte Fülle, daß er 2. als Autorität von Anfang an die Bibel bevorzugt und höchstens noch einen Kirchenvater und ein Kirchenlied danebenstellt; endlich 3., daß er zur Einfachheit der Form eine Neigung hat«. Die drei Urteile gelten m.  E . nicht für die Erfurter Predigten. Vgl. Ders.: Luthers Predigtweise, in: Luther 25 (1954), 1–23, hier 1. 138  Vgl. Hans Schneider: Martin Luthers Reise nach Rom – neu datiert und neu gedeutet, in: Studien zur Wissenschafts- und zur Religionsgeschichte, hg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Sammelband 2, Berlin 2011, 1–158, hier 114–116. 139  Vgl. Franz Posset: Luther’s Journey to Rome in 1511–1512. In Commemoration of its 500th Anniversary and in Search of the Historical Luther – A Sequel to The Real Luther, in: Luther Digest. An annual Abgridgment of Luther Studies, Supplement 20 (2012), 9–24. 140  Vgl. Christoph Burger: Tradition und Neubeginn. Martin Luther in seinen frühen Jahren (SMHR 79), Tübingen 2014, 26–28; Franz Posset: Luthers Inspiratoren und Sympathisanten. Von Professor Johann von Staupitz bis zu den Kreisen von Nürnberg und Augsburg, in: Alberto Melloni (Hg.): Martin Luther. Ein Christ zwischen Reformen und Moderne (1517–2017), Teil 1, Berlin/Boston 2017, 177–188. Vgl. ferner Lothar Graf zu Dohna/Richard Wetzel: Staupitz, theologischer Lehrer Luthers. Neue Quellen – bleibende Erkenntnisse (SMHR 105), Tübingen 2018. 141   Vgl. den Brief Luthers an den Prior und den Konvent der Augustiner zu Erfurt vom 22. September 1512, WA B 1; 18,1–32. Vom 9. Oktober 1512 ist eine Quittung erhalten, die den Empfang von 50 Gulden von der Hofkammer bestätigt, die Kurfürst Friedrich zur Begleichung der Promotionskosten bewilligt hat. Vgl. WA B 12; 405,1–5. Darin lädt er seine Ordensbrüder zu seiner Promotion ein. Zu den verschiedenen Akten im Promotionsverfahren

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Zeitgleich ernannte Staupitz ihn wohl auch zum Konvents- bzw. Ordensprediger.142 In den Tischreden berichtet Luther, dass sein Förderer und Seelsorger ihn bei einem Gespräch unter einem Birnbaum im Wittenberger Kloster regelrecht zum Amt als Prediger gezwungen habe, was sich zunächst auf seine Aufgabe als Konventsprediger vor seinen Augustinerbrüdern im Wittenberger Refektorium und in der Witten­berger Heilig-Geist-Kapelle bezog.143 Kurze Zeit später erhielt Luther einen Predigtauftrag in der Wittenberger Stadtkirche St. Marien.144 In den späteren Invokavitpredigten beruft er sich darauf, dass er hierzu eigens vom Rat zum Prediger gewählt worden sei.145 Aufgrund dessen erhielt er jährlich die bescheidene Summe von 9 alten Schock.146 Dies waren lange Zeit seine einzigen persönlichen Einkünfte.147 Erst später predigte Luther auch regelmäßig in der Schlosskirche.148 In seiner Schrift »Wider Hans Worst« erinnert er sich, auf der Kanzel in der Schlosskirche während des Ablassstreites gesprochen zu haben.149 Einen weiteren historischen Hinweis auf eine Predigt Luthers »in arce Vuittenberg« gibt eine Randbemerkung in Stephan Roths Mitschrift der Predigt »Christus caput Ecclesiae«, die Luther wohl am 18. Mai 1520 hielt.150 Die erste auch in den Druck gelangte vgl. Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 127; Otto Scheel: Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation, Bd. 2: Im Kloster, Tübingen 41930, 553–556. 142  Vgl. Christopher Spehr: Art. ›Predigten Luthers‹, in: Volker Leppin/Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Das Luther-Lexikon, Regensburg 2014, 560–569. 143   »Cogebar ad praedicationem. Muste erstlich im refectorio predigen fratribus. O, wie furchte ich mich vorm predigstul! Sed tu statim vis esse magister, vis esse doctior me et aliis exercitatis, vis fortassis laudem quaerere, et ita tentaris. Debes autem Deo praedicare, non respicere iudicia hominum. Kans jemandt baß, der mache es besser« (WA T 3; Nr. 3143 b, 188,3–7). Vgl. ferner WA T 1; Nr. 885, 442; WA T 2; Nr. 2255 a. b, 379; WA T 5; Nr. 5371, 98. 144  Vgl. Helmar Junghans: Wittenberg und Luther – Luther und Wittenberg, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 25 (1978), 104–119, hier 107; Ders.: Martin

Luther und Wittenberg, München 1996, 68f.

145   »[…] dann ich weyß jo, das ich von dem radt zu° predigen (wiewol ich mich gewert hab) ° geruffen bin« (WA 10 III; 10,12f). 146   »Denique ego pro meo stipendio annuo tantum 9 antiquas sexagenase habeo, pr¸eter has ne obolus quidem aut mihi aut fratribus e ciuitate accedit« (Brief Luthers an Spalatin vom 10. April 1523, WA B 3; 55,27f). Die Summe erhielt er bis 1523. So gibt er in einer Hausrechnung an: »Dofür mir ierlich abgebrochen vnd ynn den gemeinen kasten geschlagen sind ix alt ß vnd was mehr einem prediger geburt« (WA B 9; 580, 29f). Die Summe entsprach ungefähr 8 Gulden und 12 Groschen (vgl. WA B 12; 423), wovon man sich zur damaligen Zeit etwa 50 Liter Weizen oder 4 Fässer Bier leisten konnte. Vgl. Edith Eschenhagen: Beiträge zur Sozialund Wirtschaftsgeschichte, in: LuJ 9 (1929), 9–118, hier 31. 72 –78. 147  Vgl. Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 150. 148   Vgl. den Überblick von Georg Buchwald: Lutherana. Notizen aus den Rechnungsbüchern des Thüringischen Staatsarchivs Weimar, in: ARG 25 (1928), 1–98, hier 71–83. 149   Vgl. WA 51; 539,4–10. Hierzu siehe unten Seite 74. 150   Vgl. WA 4; 715f, hier 715, Anm. zu Z. 19. Erich Vogelsang zufolge hat Roths Mitschrift »durchgehend […] starke Berührungen« mit der Predigt vom 18. Mai 1520 (WA 9; 457–458). Vgl. Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 135 u. 144.

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Wittenberger Schlosspredigt stammt vom 25. Februar 1523, aus der Zeit, als Herzog Bogislaw X. von Pommern in Wittenberg weilte.151 Wenn der Kurfürst selbst oder Gäste aus dem Hochadel in Wittenberg residierten, hatten diese Gottesdienste für Luther Vorrang gegenüber denen in der Stadtkirche.152 So legte es die Ordnung für die Schlosskirche vom 16. Oktober 1525 fest.153 Jedoch wurde Luther nie eigens zum Hofprediger ernannt.154 Seit Anfang der 1530er-Jahren predigte Luther zudem auch noch in seinem Haus vor der Familie, den Bediensteten, Kostgängern und Gästen.155 Das Arbeitspensum als Prediger war sein Leben lang sehr hoch. Bereits in einem Brief vom 26. Oktober 1516 an Johannes Lang klagt er über die Belastung als Klosterprediger, Tischprediger und täglich auch Pfarrprediger.156 So hat Luther beispielsweise im Dezember 1528 über 34 verschiedene Predigten und somit mehr als eine pro Tag gehalten.157 Von seinen Wittenberger Anfangsjahren sind nur wenige Predigten überliefert. In der ersten Psalmenvorlesung verweist er beginnend mit einer Predigt vom 12. Juni 1513158 auf seine eigene Predigttätigkeit.159 Hierbei handelt es sich um den ersten sicher zu datierenden Hinweis auf eine Predigt Luthers in Wittenberg, allerdings ohne textliche Überlieferung. Außerdem existieren sieben überlieferte Predigten im Zeitraum zwischen Weihnachten 1514 und Ostern 1516 sowie eine Sammlung von 32 Predigtfragmenten der Exordien zu den De  Vgl. WA 11; LII. 33–35; WA 12; 427–435. Vgl. hierzu Georg Buchwald: Lutherana. Notizen aus den Rechnungsbüchern des Thüringischen Staatsarchivs Weimar, in: ARG 25 (1928), 1–98, hier 71. 152   Im Register über Luthers Predigten schreibt Rörer: »Item, da er zuweilen in der wochen, in der Schloskirchen ein oder mehr Sermon extraordinarie in gegenwertigkeit des Churfürsten &c. wenn er gen Wittemberg komen, Item wenn andere fürsten oder sonst frembde herrn ire Reise auff Wittemberg zu genomen, in angesprochen, vnd begert, predigt von im zu hören, gethan hat« (WA 10 III; XII,1–5). 153   »Wenn vnnser gnedigster Herr gen Wittenberg komet vnd sein gnade ader etlich aussem hoffe gesinde wollen Communieren, ists besser das sein churfurstliche gnade D. Martinum, denn pfarrhern ader ander, die hie das Euangelion predigen vnnd Diener des gottlichen Worts sein, anreden lasse, die messe nach der weys wie dem Euangelio gemes ym Schlos zcwhalten, das als denn do selbst die gantze Wittenbergische gemeyne vnnd der hauff hin kome« (WA 17 I; XIII). 154  Vgl. Helmar Junghans: Wittenberg und Luther – Luther und Wittenberg, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 25 (1978), 104–119, hier 108. 155  Vgl. Christopher Spehr: Art. ›Predigten Luthers‹, in: Volker Leppin/Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Das Luther-Lexikon, Regensburg 2014, 560–569, hier 562f. 156   »Sum concionator conventualis, ecclesiastes mensae, desideror quotidie et parochialis praedicator« (WA B 1; 72, 6f). 157  Vgl. Albrecht Beutel: Caput doctrinae Christianae. Zu Luthers Predigt vom 13. Dezember 1528, in: Ders./Volker Drehsen (Hg.): Wegmarken protestantischer Predigtgeschichte. Homiletische Analysen, FS für Hans Martin Müller, Tübingen 1999, 13–26, hier 16. 158   »[…] vide sermonem Dominica 4. post pentec. / misericordia et veritas« (WA 4; 511,7– 9); »Per diem sol non uret te. Serm. dominica 4 post Penthec.« (WA 4; 522,9). 159   Vgl. die Übersicht von Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 137–145. 151

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kalogpredigten vom Juni 1516 bis Februar 1517.160 Erst in den Jahren 1519 bis 1521 wird die Überlieferung durch die Sammlungen von Johann Poliander161, Stephan Roth162 und durch zwölf Einzeldrucke besser.163 Die erste sowohl historisch sicher zu datierende als auch inhaltlich überlieferte Wittenberger Predigt Luthers stammt vom 25. Dezember 1514.164 Zu diesem 1. Weihnachtsfeiertag legte Luther den Johannesprolog aus (Joh. 1, 1–17). Die Predigt hielt er in der Kapelle der Augustiner vor seinen Ordensbrüdern.165 Für eine solche Verortung spricht jedenfalls der Inhalt, der eigentlich mehr einer exegetischen Vorlesung ähnelt. Walther von Loewenich nimmt an, dass die Predigt vermutlich von Luther selbst für den Druck ausgeschrieben wurde.166 Überliefert ist sie durch eine nicht mehr vorhandene Handschrift, die Valentin Ernst Löscher in den Reformations-Acta abgedruckt hat.167 Gegliedert ist die Weihnachtspredigt des jungen Luther in zwei Teile und zwei Zusätze (corollaria).168 Im ersten Teil legt er die ersten beiden Verse des 160   AaO., 121–124. Vgl. ferner Martin Basse: Luthers frühe Dekalogpredigten in ihrer historischen und theologischen Bedeutung, in: Luther 78 (2007), 6–17; Ders. (Hg.): Martin Luthers Dekalogpredigten in der Übersetzung von Sebastian Münster (AWA 10), Köln 2011; Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben, Tübingen 2014, 258–285. 161   Vgl. WA 9; 314. 329–676. 162   Vgl. WA 4; 605–717. 163   Vgl. die Übersicht bei Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 145. 164   Vgl. BoA 5; 406–417; WA 1; 20–29. 165  Vgl. Heinrich Bornkamm: Das Wort Gottes bei Luther (1933), in: Ders.: Luther, Gestalt und Wirkungen, Gütersloh 1975, 147–186, hier 160; Oswald Bayer: Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie (FKDG 24), Göttingen 1971, 17– 31; Karl-Heinz zur Mühlen: Nos extra nos. Luthers Theologie zwischen Mystik und Scholastik (BHT 46), Tübingen 1972, 80–90; Walther von Loewenich: Die Eigenart von Luthers Auslegung des Johannes-Prologes (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Heft 8), München 1960, 31–35; Werner Führer: Das Wort Gottes in Luthers Theologie (GTA 30), Göttingen 1984, 33f; Ulrich Asendorf: Die Theologie Martin Luthers nach seinen Predigten, Göttingen 1988, 75–77; Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis (HUT 27), Tübingen 1991, 376–379; Theodor Dieter: Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie (TBT 105), Berlin u. a. 2001, 346–377. 166  Vgl. Walther von Loewenich: Die Eigenart von Luthers Auslegung des JohannesProloges (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Heft 8), München 1960, 31, Anm. 4. Er stützt sich hierbei auf die in Klammern gesetzte Bemerkung im zweiten Zusatz, bei der explizit der Leser angesprochen wird: »Berücksichtige, Leser [!], die Worte, die unwürdig sind zum Ausdruck einer so hohen Sache« (»parce, lector, verbis indignis tantae rei expressione«) (BoA 5; 415,35f; WA 1; 28,15). 167  Vgl. Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Documenta oder umständliche Vorstellung des Evangelischen Reformations-Wercks […]. Der erste Tomus, auf das Jahr 1517. Nebst angefügten 5. Jubel-Predigten, Leipzig 1720, 231–243. 168   Die Gliederung in zwei Teile wird zu Beginn benannt: »Quare literaliter ipsum principium videamus. […] Quod autem hoc faciat et quare faciat, postea videbimus« (BoA 5; 406, 6–9; WA 1; 20,7–11).

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Johannesprologs dem Literalsinn nach aus.169 Luther beginnt mit der Überlegung, dass er sich bemühen will, die Verse, so gut es geht, zu ergründen, obwohl sie »hoch und schwer« sind.170 Damit spielt Luther auf die exegetische Tradition an, von der er insbesondere durch Augustins Traktate zum Johannesevangelium, durch die Sentenzen des Lombarden und durch die von Luther verwendete »Glossa ordinaria« – dem im Mittelalter gebräuchlichsten exegetischen Handbuch – Kenntnis hatte.171 Der erste Vers des Johannesprologs verdeutlicht Luther zufolge drei Dinge, die er im folgenden erörtert: die Ewigkeit des Sohnes (1), den Unterschied zum Vater (2) und die bestehende Identität zwischen Vater und Sohn (3).172 Zum Ersten: Die Ewigkeit des Wortes macht er am Beginn des Prologs fest, der lautet »Im Anfang war das Wort« (Joh. 1, 1). Luther hebt hervor, dass dort nicht stehe »Vor dem Anfang«; denn der Evangelist habe bewusst jegliche zeitliche Relation ausschalten wollen, um die Ewigkeit des Wortes zu betonen.173 Nicht das Wort habe angefangen, sondern es habe bereits ewig im Anfang aller Dinge existiert. Zum Zweiten: Die Differenz zwischen Vater und Sohn sei aus dem zweiten Halbvers »das Wort war bei Gott« herauszulesen.174 Denn Gott und das Wort werden hier unterschieden. Doch grenzt er sich in Übereinstimmung mit den Sentenzen des Lombarden gegen die arianische Auffassung ab, nach der Gott und das Wort als zwei Prinzipien zu denken seien.175 Zum Dritten: Wenngleich Luther eine Differenz zwischen Gott und seinem Wort ausmacht, so schließt dies ihm zufolge nicht die Identität zwischen beiden aus. Dies belegt er mit dem Vers »und Gott war das Wort«, was er im folgenden erörtert.176

  Vgl. WA 1; 20,3–22,28.   »Licet enim sit arduum et difficile, faciamus tamen quantum possumus, ut aliquid de illo percipiamus« (BoA 5; 406,4–6; WA 1; 20,5–7). 171   Vgl. die Ausführungen zu Luthers Rezeption der Auslegungsgeschichte von Joh. 1, 1–3 bei Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis (HUT 27), Tübingen 1991, 210f; vgl. ferner Walther von Loewenich: Die Eigenart von Luthers Auslegung des Johannes-Prologes (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Heft 8), München 1960, 25f. 172   »Euangelista ostendere aeternitatem distinctionemque a Patre et identitatem cum patre filii« (BoA 5; 406,10–12; WA 1; 20,13f). 173   »Et tamen non ait ›ante principium erat‹, sed ›in principio‹. […] Principium rerum omnium itaque non erat in verbo, sed tunc coepit in seipso: sed verbum tunc iam erat, quando principium incipiebat« (BoA 5; 406,17–26; WA 1; 20,19–26). 174   »Deinde et verbum erat apud Deum: hic distinguunt Filitum a Patre« (BoA, 406, 28f; WA 1; 20, 29). 175   Vgl. BoA 5; 407,14–25; WA 1; 21,9–19. Vgl. Petrus Lombardus: Sententiarum Libri quatuor III. sent. dist. 11 c. 2 (PL 192, 779f). 176   »[…] et tamen, cum tunc nihil praeter Deum solum fuerit, necesse est quod ipse etiam Deus [33] fuerit, ut sequitur: et Deus erat verbum« (BoA 5; 404,2–4; WA 1; 20,31–33). 169

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Nach einer kurzen Rekapitulation177 grenzt er sich in einem Exkurs gegen die »modernen Logiker«178 ab. Er hat hierbei insbesondere Pierre d’Ailly vor Augen.179 Die Logiker im Kontext der Trinitätslehre haben Luther zufolge folgenden Schluss durchgeführt: Da Gott sowohl Vater als auch Sohn sei, wäre auch der Schluss zulässig, der Vater und der Sohn seien eins. Das würde jedoch zu einer Vermischung der Personen führen. Denn der Satz »Gott ist der Vater« meine eine essenzielle Relation (essentialiter), hingegen der Satz »Der Sohn ist Gott« eine personale Relation (personaliter), weshalb der Schluss »Vater und Sohn seien identisch« ein Trugschluss (fallacia figurae) sei.180 Mit diesen subtilen Gedanken zeigt Luther seinen an der scholastischen Logik geschärften Geist mit dem Anspruch, die scholastische Syllogismus-Lehre übertreffen zu wollen. Danach kehrt er wieder zu seinen Ausgangsfragen zurück und wendet sich im zweiten Teil der Predigt zwei weiteren Problemen zu, zum einen zur Feststellung, »dass«, und zum anderen zur Frage, »warum« Johannes den Sohn als Wort Gottes interpretiert.181 Bezogen auf den ersten Punkt weist Luther auf die Tatsache hin, dass in Joh. 1, 14 das Wort explizit mit dem »Eingeborenen« identifiziert wird.182 Damit ist für ihn die Gleichsetzung von Sohn und Wort bewiesen. Um danach das »Warum« zu klären, erörtert Luther zwei Gedanken.183 Zum einen habe der Evangelist mit dem Prolog auf den Schöpfungsbericht von Gen. 1 hinweisen wollen. Denn dort sei ebenfalls zu lesen, dass das Wort bei Gott war und dieser durch das Sprechen des Wortes die Erschaffung aus dem Nichts bewirkt habe.184 Hierzu führt er Bibelstellen an wie Ps. 32, 6: »Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht« oder Spr. 8, 22–33, die als Belegstellen auch in den Sentenzen des Petrus Lombardus angegeben werden.185 Zum anderen sei damit ein bequemer und vollkommener Weg der Erkenntnis und des

  »Quare repetamus omnia« (BoA 5; 407,26; WA 1; 21,20).   Vgl. BoA 5; 408,8; WA 1; 21,39. 179   Zur Auseinandersetzung Luthers mit Pierre d’Ailly vgl. Stefan Streiff: »Novis linguis loqui«. Martin Luthers Disputation über Joh 1, 14 »verbum caro factum est« aus dem Jahr 1539 (FSÖTh 70), Göttingen 1993, 41–114; Theodor Dieter: Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie (TBT 105), Berlin u. a. 2001, 391–401; Ders.: Luther as Late Medieval Theologian. His Positive and Negative Use of Nominalism and Realism, in: Robert Kolb/Irene Dingel/L’Ubomìr Batka (Hg.): The Oxford Handbook of Martin Luther’s Theology, Oxford 2014, 31–48, hier 39f. 180   Vgl. BoA 5; 408,5–33; WA 1; 21,35–22,21. 181   »Sequitur nunc videre, quod, ut praemisimus, per ›verbum‹ intelligat Iohannes Filium, et quare hoc faciat« (BoA 5; 409,4f; WA 1; 22, 29f). 182   Vgl. BoA 5; 409,6–9; WA 22;31–34. 183   »Secundo, quare appellet ›verbum‹, Multae sunt causae et optimae aliquae et profundae« (BoA 5; 409,13f; WA 1; 22,37f). 184   Vgl. BoA 5; 409,14–19; WA 1; 22,38–23,4. 185  Vgl. Petrus Lombardus: Sententiarum Libri quatuor, I. sent. dist. 2, c. 6 (PL 192, 527f); vgl. ferner I. sent. dist. 2, c. 8 (PL 192, 528f). 177 178

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Aufstiegs in das Geheimnis der Zwei-Naturen-Lehre bereitet.186 Damit spielt Luther allgemein auf mystisch geprägte Aufstiegsgedanken in der Erkenntnis Gottes an.187 Zur Vertiefung, warum die Kennzeichnung des Sohnes als Wort Gottes in die Lehre von den Zwei-Naturen hineinführe, unterscheidet Luther einen doppelten Sinn des Begriffs »Wort«.188 Das Wort kann innerlich – aus dem Herzen kommend – oder äußerlich – aus dem Munde kommend – verstanden werden.189 Die Unterscheidung ist ursprünglich stoisch geprägt und wird von Augustin und Thomas von Aquin verwendet.190 Beide Worte sind hierarchisch einander zugeordnet. Während das innere Wort bzw. der unausgesprochene Gedanke oder die Regung des Herzens vollkommen (perfectus) ist, wertet Luther das äußere, mit dem Mund ausgesprochene Wort als geringer und schwächer (minus et infirmus).191 Denn die mündliche Rede ist Luther zufolge nur ein defizitärer Modus des inneren Wortes. Er erläutert dies an den beiden Redensarten: »Mein Herz sagt mir das«, womit die Unerschütterlichkeit des inneren Wortes zum Ausdruck kommt, im Vergleich zu »Es geht ihm nicht zu Herzen«, womit die Schwäche deutlich wird, dass das äußere Wort nicht immer ins Innere des Menschen dringt.192 Hieraus entwickelt Luther eine Analogie zwischen Mensch und Gott: Inneres und äußeres Wort verhalten sich beim Menschen wie bei Gott.193 Diese Analogie wird genauer bestimmt, indem er das innere Wort des Menschen anhand von fünf Merkmalen bestimmt und sie dann auf das innere Wort Gottes anwen186   »Secunda, quod sic aptiorem et perfectiorem viam intelligendi et ascendendi in Deitatem Filii et pluralitatem Personarum cum identitate naturae nobis paravit« (BoA 5; 409, 35– 37; WA 1; 23,18–20). 187   Vgl. hierzu Karl-Heinz zur Mühlen: Mystik des Wortes. Über die Bedeutung mystischen Denkens für Luthers Lehre von der Rechtfertigung des Sünders, in: Ders.: Reformatorisches Profil. Studien zum Weg Martin Luthers und der Reformation, hg. von Johannes Brosseder u. Athina Lexutt, Göttingen 1995, 66–85. 188   »Quod [gemeint ist das Vorhergesagte] ut capiamus, notandum, quod duplex sit verbum« (BoA 5; 410,1; WA 1; 23,21). 189   »[…] primum est internum […]. Si cor tibi dicit, ergo verbum est, imo ita perfectum verbum […]. Nam nulli potes per verbum oris cor movere, quantum est cor tuum motum a verbo tuo interius […]. Moveret autem si ipsum internum verbum possemus in eorum cor mittere, nunc autem solum verbum externum mittimus in eorum cor« (BoA 5; 410, 1–14; WA 1;21–33). 190   Zur Tradition vgl. Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis (HUT 27), Tübingen 1991, 373–376; Walther von Loewenich: Die Eigenart von Luthers Auslegung des Johannes-Prologes (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Heft 8), München 1960, 10–30. 191   »Si cor tibi dicit, ergo verbum est, imo ita perfectum verbum, ut per tuam experientiam sentias, quod verbum oris incomparabiliter minus est et infirmius« (BoA 5; 410,6–9; WA 1; 23,26–28). 192   Vgl. BoA 5; 410,6.11f; WA 1; 23,25f.30f. 193  Vgl. Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis (HUT 27), Tübingen 1991, 377f.

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det: Beim Menschen sei erstens das innere Wort vollkommen, zweitens könne es nicht von außen erzeugt werden, drittens kenne nur derjenige es, der es habe, viertens sei es als Gedanke, Weisheit, Urteil, Wahrheit und Verstand je eigen und fünftens könne es nur durch ein gesprochenes Wort oder eine andere Wirkung des Leibes zum Ausdruck gebracht werden.194 Gleiches gelte auch bei Gott. Das innere Wort Gottes sei ebenfalls erstens vollkommen, zweitens bleibe es im Innern Gottes, drittens kenne allein der göttliche Vater das innere Wort, wie es in Mt. 11, 27 heißt: »Niemand kennt den Sohn denn nur der Vater«, viertens sei es als Gedanke, Weisheit, Urteil, Wahrheit und Verstand je eigen, weswegen Christus auch als Weisheit und Wahrheit Gottes bezeichnet werde, und fünftens könne dieses innere Wort nur offenbar werden, wenn Gott sein Wort inkarniere.195 Damit ist Luther zur eigentlichen Pointe gelangt, weswegen er die Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Wort eingeführt hat. Sie fungiert für ihn zur Veranschaulichung der Zwei-Naturen-Lehre Christi. Das innere Wort repräsentiere die göttliche, dagegen das äußere Wort die menschliche Natur Christi. Luther beschließt diesen Teil mit einem eschatologischen Ausblick.196 Auf Erden könnten wir als irdische Wesen lediglich durch die menschliche Natur Christi zu seiner Wahrheit und Weisheit in getrübter Weise gelangen. Dies erfolge durch die Betrachtung seiner menschlichen Natur bzw. – metaphorisch gemeint – durch die Betrachtung seiner Hände, Füße, Augen, Ohren und Seite.197 Es werde aber die Zeit kommen, in der Gott sein Wort nicht mehr ausgießen (effundere), sondern uns in sein Herz einführen (introducere) wird.198 Dann sei es möglich, sein inneres Wort bzw. seine reine Wahrheit und Weisheit   »Quae si notasset inter alia mirabilia, quae ex hoc sequuntur, ut infra dicendum est, hoc primum sequitur, quod hoc verbum est omnium verborum perfectissimum, secundo, quod manet intus nec potest perfundi foras, tertio, quod memo ipsum novit nisi ipse qui habet, quarto, quod hoc verbum est consilium, cogitatio, sapientia, iudicium, veritas, intellectus ipsius hominis, quinto, quod hoc verbum non citius foras mittitur seu manifestatur melius quam per verbum oris vel opus aliud corporis« (BoA 5; 410,16–23; WA 1; 23,34–40). 195   »Sic nunc cogita de Deo, quod et ipse solus secum loquitur et dicit in corde suo [primo] quod est verbum omnium perfectissimum, de quo hic Iohannes loquitur, [secundo] quod manet in Deo nec potest effundi foras et extra Deum, sed manet apud Deum et est Deus. Si enim non esset Deus, posset foras effundi et separari ac aliis misceri: Sed hoc non potest, sicut nec hominis verbum hoc potest. tertio, quod nemo ipsum novit nisi ipse Pater, sicut in Euangelio dicitur: nemo novit filium nisi pater. quarto, quod hoc verbum est consilium, sapientia, veritas, iudicium, cogitatio Dei, unde Christus vocatur sapientia et veritas Dei. quinto, quod hoc verbum non aliter mittitur foras nisi unitum carni seu humanitati, quae est velut verbum visibile vel opus Dei, in quo ostendit Deus, quid Christus sentiat et cogitet« (BoA 5; 410,23–35; WA 1; 23,40–24,11). 196   Vgl. BoA 5; 411,1–9; WA 1; 24,13–20. 197   »[…] interim enim manus et pedes, oculos quoque et aures ostendit et latus« (BoA 5; 411,5f; WA 1; 24,17f). 198   »Speramus autem in futuro inspicere in istud verbum, cum Deus cor suum aperuerit, imo cum non effuderit verbum, sed nos introducet in cor suum« (BoA 5; 411,1–4; WA 1; 24, 13–15). 194

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(pura veritas et sapientia) zu schauen.199 Dieses innere Wort werde dann nicht so gering sein wie das innere Wort des menschlichen Herzens – womit Luther die Sündhaftigkeit des Menschen im Vergleich zur Reinheit des inneren göttlichen Wortes vor Augen hat. Stattdessen werde das innere Wort Gottes unendlich und ewig sein, allen ein herrlicher Anblick und eine Freude.200 Mit dem eschatologischen Ausblick könnte Luther die Predigt beendet haben. Doch in den Aufzeichnungen folgen noch zwei Zusätze (corrolaria), in denen er die Unterscheidung von innerem und äußerem Wort weiter ausführt. Ob Luther auf diese Zusätze am Ende seiner gehaltenen Predigt noch eingegangen ist, ob er sie aus zeitlichen Gründen weggelassen oder sie lediglich als weiterführende Gedanken für spätere Anlässe notiert hat, lässt sich nicht mehr ermitteln. Der erste Zusatz beschreibt, dass auch der Teufel sein inneres Wort veräußerlichen könne.201 Dieses Wort konkretisiere sich im Innern des Menschen durch Neid, Schwelgerei oder Verzweiflung.202 Durch solche Anfechtungen richte der Teufel seine Angriffe auf das Herz des Menschen. Seine Versuchungen erfolgten aber nicht nur durch Gewalt (potentia), sondern auch durch List (astutia).203 Der Teufel könne die Augen des Menschen verblenden, so dass der Mensch Böses mit Gutem und umgekehrt Gutes mit Bösem verwechsele.204 Der zweite Zusatz besitzt einen in sich verschachtelten Aufbau.205 Zunächst beginnt Luther mit dem Gedanken, dass der eigentliche Unterschied zwischen 199   In Anspielung auf Ps. 27, 13 »Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Land der Lebendigen« formuliert Luther: »ut videamus bona Domini in terra viventium, cum puram veritatem et sapientiam videbimus« (BoA 5; 411,4–6; WA 1; 24,15f). 200   »Non erit autem angustum hoc verbum, sicut nostri cordis, sed infinitum et aeternum, laetissimum praebens omnibus spectaculum et gaudium« (BoA 5; 411,7–9; WA 1; 24,18–20). 201   »Diabolus vel angelus potest verbum suum mittere internum et illud vehementissime movere« (BoA 5; 411,11f; WA 1; 24,22f). 202   »Experimur enim, quam fortiter moveamur vel ad invidiam, luxuriam, desperationem« (BoA 5; 411,14f; WA 1; 24,25f). 203   »[…] quando per potentiam nos tentat, sed quando per astutiam tentat« (BoA 5; 411,22f; WA 1; 24,32f). 204   »Sic potest oculos nostros fascinare, ut in toto malo nullum malum videamus et in toto bono nullum bonum« (BoA 1; 411,30f; WA 1; 24,39–25,2). 205   Entgegen der Meinung von Oswald Bayer und Theodor Dieter, die den zweiten Zusatz verkürzen (BoA 5; 412,5–8; WA 1; 25,10–13) reicht dieser m.   E . tatsächlich bis zum Ende der Aufzeichnungen (BoA 5; 412,5–417,25; WA 1; 25–10–29,31). Es ist richtig, dass in stringenter Weise die im zweiten Zusatz formulierten Gedanken an den Hauptteil anknüpfen. Die fünf Merkmale des inneren Wortes im Hauptteil und die sechs Merkmale des äußeren Wortes sind parallel konstruiert. Doch lässt dies den Schluss zu, dass Luther deshalb wieder schnell vom Exkurs zum Hauptgedankengang wechselt? Es ist doch zu berücksichtigen, dass es sich um eine Predigt handelt! Aus dieser Perspektive kann die zweite Argumentationsreihe auch als Doppelung aufgefasst werden, weswegen Luther sie bewusst als Zusatz wertet. Vgl. Theodor Dieter: Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie (TBT 105), Berlin u. a. 2001, 352; Oswald Bayer: Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie (FKDG 24), Göttingen 1971, 17f.

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innerem und äußerem Wort in der Bewegung zu suchen sei, weil das äußere Wort als die Bewegung des inneren gefasst werden könne.206 Der Gedanke wird allerdings mit dem Hinweis beiseite geschoben, ihn weiter unten genauer ausführen zu wollen.207 Es folgt eine weitere Differenzierung zwischen innerem und äußerem Wort Das äußere Wort ist an eine andere Person gerichtet, das innere Wort hingegen an sich selbst.208 Jedoch auch diesen Gedanken bricht Luther unvermittelt ab.209 Stattdessen knüpft er an der Analogie an, die er im zweiten Hauptteil entfaltet hat. Dort bestimmte er fünf Merkmale am inneren Wort des Menschen und übertrug sie auf das innere Wort Gottes.210 Nun verfährt Luther ähnlich, geht aber vom äußeren Wort des Menschen aus, um es auf das äußere Wort Gottes zu übertragen. Sechs Merkmale nennt Luther: Das gesprochene Wort des Menschen könne erstens eine Weisheit, Wahrheit oder ein Urteil sein, zweitens gehe es auf unbegreifliche Weise aus dem Mund, drittens hülle es sich in die Stimme ein, viertens könne es auf viele Ohren treffen, fünftens werde das äußere Wort aber auch häufig lediglich in die Luft gesprochen, ohne dass es auf Ohren treffe, und sechstens könne es zu den Ohren gelangen, müsse aber deshalb noch lange nicht beherzigt werden. Genauso verhalte es sich auch mit dem gesprochenen Wort Gottes: Es sei erstens weise und wahr, zweitens komme es aus dem Munde Gottes, drittens verhülle es sich in die Stimme bzw. inkarniere sich, viertens werde es ausgestreut, fünftens gehe es aber auch in die Luft bzw. treffe auf Ungläubige und sechstens müsse es noch lange nicht zum Glauben führen, auch wenn es gehört werde. 211 Danach weitet Luther das Verhältnis von innerem und äußerem Wort auf alle Kreaturen und Dinge aus und stellt diese Gedanken durch ein Schema dar.212 206   »Videtur quod verbum internum sit nihil distinctum ab eodem, nisi velut quaedam motio: nam videtur esse eiusmodi motio« . (BoA 5; 412,6f; WA 1; 25,11f) 207   »Sed de hoc alibi et infra latius« (BoA 5; 412,7f; WA 1; 25,12f). Theodor Dieter ist der Meinung, dass Luther mit den Worten »Non invenitur […]« (BoA 5; 412, 34; WA 1; 25,36) zum Bewegungsthema zurückkehrt (vgl. Theodor Dieter: Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie [TBT 105], Berlin u. a. 2001, 352; Anm. 351). Doch die spezielle Erörterung beginnt erst ab »Videmus itaque […]« (BoA, 5, 414,34; WA 1; 27,18). 208   »Secundum verbum est externum, sed hoc est propter aliud, internum autem propter nos ipsos: nam per internum nobis, per externum aliis loquimur« (BoA 5; 412,9–11; WA 1; 25,14f). 209   Mit einem Kohortativsatz leitet er unvermittelt auf das nächste Thema über: »Videamus tamen et hic, quomodo verbum divinum significetur nobis« (BoA 5; 412,11f; WA 1; 25,16f). 210   Siehe oben Seite 61. 211   Vgl. BoA 5; 412,12–28; WA 1; 25,17–31. 212   Vgl. BoA 5; 413,7–11; WA 1; 28,4–8: Die intellektuelle Kreatur (creatura intellectualis) schafft als Akt das Wort, die rationale Kreatur (creatura rationalis) den Gedanken, die sinnliche Kreatur (creatura sensualis) die Sinneswahrnehmung, die belebte Kreatur (creatura animalis) das Leben und die leblose Kreatur (creatura inanimalis) kann eine von außen zugeführte Bewegung erfahren. Die Pointe dieses Schemas besteht für Luther darin, dass der Akt

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Als Nächstes merkt Luther an, dass er bewusst zwischen intellectus und ratio, unterscheide, da sich Ersteres auf die ewigen und Letzteres auf die irdischen Dinge beziehe.213 Er verweist hierbei auf Augustin, der im Geist (mens) ebenfalls einen oberen Teil von einem unteren Teil abgegrenzt habe.214 Mit seinen spekulativen Ausführungen versucht Luther die These zu plausibilisieren, dass zwischen den Kreaturen und deren Akten sowohl eine Identität als auch eine Vervielfältigung bestehe. Identität und Vervielfältigung schlössen sich insofern nicht aus. Analog zu den Kreaturen verhalte es sich auch bei Gott: Zwischen Gott und seinem Wort bleibe die Identität gewahrt, auch wenn sich Gott durch sein Wort vervielfältigt habe.215 Nun greift Luther wieder das Bewegungsthema auf, das er zu Beginn des zweiten Zusatzes vorerst zurückgestellt hat.216 Die folgenden Ausführungen haben die Funktion, seine These, dass Identität und Differenz nicht als Gegen­satz verstanden werden dürften, mit weiteren Argumenten zu stützen.217 Luthers Spekulationen treiben solche Blüten, dass er meint, sich für seine unge­schickten Formulierungen entschuldigen zu müssen.218 Zwar kann es sich hierbei um einen rhetorischen Topos handeln, jedoch geben die ausufernden Gedanken dazu Anlass, dass Luther seine Entschuldigung ernst meinte. Schließlich endet er damit, Aristoteles zu rühmen, da mit dessen Philosophie die Trinitätstheologie auf eine höhere Art verstanden werden könne.219 der niederen Kreaturen auch auf die höheren und umgekehrt angewendet werden kann. Das bedeutet, das Wort der intellektuellen Kreatur könnte zumindest metaphorisch auch als deren Gedanke, Sinneswahrnehmung, Leben oder Bewegung bezeichnet werden (vgl. BoA 5; 413,24–26; WA 1; 26,20f). Und umgekehrt könnte man das Bewegtwerden der leblosen Kreatur auch deren Leben, Sinneswahrnehmung, Gedanke oder Wort nennen (vgl. BoA 5; 413, 26f; WA 1; 26,22f). 213   Vgl. WA 1, 26,25–30. 214   »[…] apparet tamen cum secundum Deum vivimus, mentem nostram in invisibilia ejus tentam, ex ejus aeternitate, veritate, charitate, proficienter debere formari: quiddam vero rationalis intentionis nostrae, hoc est ejusdem mentis, in usum mutabilium corporaliumque rerum […] dirigendum« (Augustin: De trinitate, Buch XII, Kap 13 [PL 42, Paris 1865, 1008]). 215   Die These formuliert Luther wie folgt: Quocirca non sequitur: sese multiplicat vel profundit, ergo se deserit. Imo contrarium: dum se multiplicat, maxime idem manet et fit« (BoA 5; 414,32–34; WA 1; 27, 17–18). 216   Siehe oben Seite 63. 217   Hierzu verweist er auf Aristoteles, der den Träger der Bewegung und die Bewegung selbst als dem Wesen nach identisch interpretiert, wenngleich er beides auch unterschiedet (vgl. BoA 5; 414,49–415,2; WA 1; 27,22f; vgl. ferner Aristoteles: Physik, Buch III, Kap. 2, 202a [Philosophische Schriften, Bd. 6, übers. v. Hans Günter Zekl, Hamburg 1995, 54,11f]). Genauso ist auch für Luther der Sohn als Akt Gottes dem Wesen nach identisch mit Gott (vgl. BoA 5; 415,16–18; WA 1; 27,38f). Als weiteres Argument führt Luther an, dass mit der Bewegung einer Sache die Sache selbst sich noch nicht verdoppelt habe. Der Intellekt, die ratio, aber auch Gott, letztlich alle Instanzen, vervielfältigten sich durch deren Akte nicht im Sein, sondern würden lediglich eine Bewegung hervorbringen (BoA 5; 415,22–24; WA 1; 28,2f). 218   »[…] parce […] verbis indignis tantae rei expressione« (BoA 5; 415, 35f; WA 1; 28,15). 219   »Vide quam apte serviat Aristoteles in Philosophia sua Theologiae, si non ut ipse voluit, sed melius intelligitur et applicatur« (BoA 5; 416,3–5; WA 1; 28,19–21).

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Schließlich wendet Luther in einer tropologischen Auslegung die Gedanken auf die Lebensweise des Menschen an.220 Wie Gott Mensch wurde, so solle der Mensch auch Gott werden.221 Das bedeute aber nicht, dass der Mensch sich substanziell in Gott verwandeln könne; vielmehr habe er durch den Glauben Gott anzunehmen, um Gott gleich zu werden.222 Denn Gott wurde auch kein Sünder, sondern lediglich dem Sünder gleich (similis).223 Durch die Vereinigung (unio) mit Gott hätten die Menschen nicht nur das Wort, sondern seien es auch.224 Um das Wort aber anzunehmen, müsse der Mensch sich selbst verlassen, erniedrigen und ganz verleugnen (abnegare).225 Nachdem er sich ein weiteres Mal hinsichtlich der Unterscheidung von Objekt und Akt auf Aristoteles berufen, 226 und dessen schöne Philosophie, die nur von wenigen Intellektuellen verstanden werde, als nützlich für die allerhöchste Theologie gerühmt hat, 227 endet er unvermittelt mit den Worten: »Aber hiervon ein anderes Mal«.228 Betrachtet man im Rückblick die Predigt, so entsteht der Eindruck, dass sich Luther mit ihr auf dem Höhepunkt seiner spekulativ-philosophischen Kraft befindet. Er entfaltet seine Gedanken nicht einfach nur anhand von scholastischen Distinktionen oder verweist auf mystische Traditionen, um seine Belesenheit zur Schau zu stellen, sondern geht mit ihnen viel eigenständiger um. In scharfsinniger und teilweise spielerischer Weise entwickelt er eigene Gedanken.229 So   »Nunc ad mores veniendum est« (BoA 5; 416,9; WA 1; 28,25).   »Nam ideo verbum fit caro, ut caro fiat verbum« (BoA 5; 416,11; WA 1; 28,27). 222   »Ita nec nos qui sumus caro sic efficimur verbum, quod in verbum substantialiter mutemur, sed quod assumimus et per fidem ipsum nobis unimus« (BoA 5; 416,24–26; WA 1; 28,39– 41). 223   »Efficimur autem verbum vel verbo similes, i. e. veraces, sicut ipse homo vel homini similis, i. e. peccatori et mendaci, sed non peccator et mendax« (BoA 5; 416,17–19; WA 1; 28, 32–34). 224   »[…] qua unione non tantum habere verbum sed etiam esse dicimur« (BoA 5; 416,27; WA 1; 28,41). 225   »Oportet autem, quando verbum assumimus, nos ipsos deserere et exinanire, nihil de nostro sensu retinendo, sed totum abnegando, et sic sine dubio efficimur illud, quod assumimus« (BoA 5; 416,35–417,1; WA 1; 29,6–9). 226   Vgl. BoA 5; 417, 11–21; WA 1;29,18–27. 227   »Pulchra haec Philosophia sed a paucis intellecta altissimae Theologiae utilis est« (BoA 5; 417,21f; WA 1; 29,27f). 228   »Sed de hoc alias« (BoA 5; 417, 25; WA 1; 29,31). 229   Albrecht Beutel meint hierzu, Luther habe zwar »die Selbstmitteilung des inneren Wortes im Herzen ganz herkömmlich als Analogie für das innertrinitarische Hervorgehen des ewigen Wortes gedeutet. Interessant ist jedoch, daß er die Prävalenz dieses Wortes nicht ontologisch oder signifikationshermeneutisch bestimmt, sondern aus der Beschreibung des […] empirisch wahrnehmbaren Verhältnisses eines äußeren Wortes zum inneren Wort. […] Indem sich Luther nun ausdrücklich dem verbum externum zuwendet, ohne doch dessen ontologischer Defizienz besondere Aufmerksamkeit zu schenken, tritt die sich anbahnende Differenz zur Tradition noch deutlicher hervor. […] So lässt sich für diese erste überlieferte Prolog-Predigt festhalten, daß Luther, obschon noch ganz in traditionellen Schemata verhaftet, bereits ein anderes, eigenes Interesse zu verfolgen beginnnt« (Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis [HUT 27], Tübingen 1991, 376f). 220 221

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scheut er sich nicht, die scholastische Syllogistik der modernen Logiker nicht nur zu kritisieren, sondern beansprucht, sie auch überbieten zu wollen. In kreativer Weise entwickelt er eigene Analogien zwischen dem inneren und äußeren Wort Gottes und dem inneren und äußeren Wort des Menschen, um so die Zwei-Naturen-Lehre zu plausibilisieren. Dabei fällt auf, wie sehr er hier noch die Gedanken von Aristoteles rühmt, mit dessen Philosophie die Trinitätstheologie expliziert wird. Die Bewegungslehre wird in freier Weise rezipiert, um damit die These zu begründen, dass Identität und Differenz nicht als Gegensätze zu verstehen seien. Seine kreative Kraft treibt aber auch solche Blüten, dass er sich für die Unklarheit seiner Gedanken entschuldigen muss. Es scheint, als erahne er bereits, dass die Qualität einer Predigt nicht an der Subtilität ihrer Gedanken hänge, sondern daran, ob sie das Herz der Zuhörerinnen und Zuhörer erreiche. Wie sehr sich sein Verständnis als Prediger mit der Zeit verändern wird, zeigt der Blick auf seine 1522 veröffentlichte Weihnachtspostille über den Johannesprolog. Dort grenzt er sich von den »Schullehrern« mit ihren »erdichteten Subtilitäten« ab, die den einfachen Menschen abschrecken würden. Das Evangelium des Johannesprolog sei vielmehr auf »Klarheit« gegründet, die jeder Christ verstehen könne.230 Es scheint, als ob er bei seiner Distanzierung von allzu forcierter und selbstverliebter Gelehrsamkeit auch sich selbst und seine frühere Predigtpraxis vor Augen gehabt hat.231

3. Der angehende Provinzialvikar als Prediger vor dem Gothaer Ordenskapitel 1515 Bei den Augustinereremiten vollzog Luther eine rasante Karriere. Neben seinem Amt als Konventsprediger wurde er auf dem Kölner Ordenskapitel am 5. Mai 1512 zum Studienleiter des Wittenberger Generalstudiums und gleichzeitig zum Subprior des Wittenberger Konvents ernannt.232 Damit übte er die Funktion des Stellvertreters für Wenzeslaus Linck aus, der auf demselben Ordens-

230   »Ditz ist das hohist Euangelium unter allen, doch nitt, alß ettlich meynen, finster odder schwere: denn alhie der hohe artickel von der gottheyt Christi auffs aller klerist gegrundt ist, das billich alle Christen wissen sollen und auch wol vorstehen muegen, dem glawben ist nichts tzu hoch, drumb wollen wyrß, ßo viel wyr muegen, auffs deutlichst handelln unnd nit wie die schullerer mit yhren ertichten subtiliteten fur dem gemeynen man vorpergen oder nemand abeschrecken« (WA 10 I.1; 181,7–13). 231   Zu weiteren Unterschieden zwischen der Predigt 1514 und der Weihnachtspostille 1522 mit Blick auf die Entwicklung von Luthers Wortverständnis vgl. Oswald Bayer: Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie (FKDG 24), Göttingen 1971, 19f; Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis (HUT 27), Tübingen 1991, 383–406. 232  Vgl. Adolar Zumkeller: Luther und sein Orden, in: Analecta Augustana 25 (1962), 254–290, hier 268.

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kapitel zum Prior gewählt wurde. Aufgrund dessen musste sich Luther neben seinen zahlreichen Tätigkeiten auch um Finanzgeschäfte kümmern.233 Das Ordenskapitel tagte regelmäßig alle drei Jahre und fand 1515 turnusgemäß Anfang Mai in Gotha statt. Auf diesem Treffen wurde Luther zum Provinzialvikar (vicarius provincialis) ernannt.234 Damit unterstanden ihm zehn bzw. etwas später elf Konvente in den Gebieten Meißen und Thüringen.235 Als Ordensvikar unternahm Luther im Frühling 1516 mehrwöchige Visitationsreisen. Auf der ersten Reise Ende April bis Anfang Mai besuchte er Herzberg und Dresden, auf der zweiten Reise Ende Mai bis Anfang Juni kehrte er in Erfurt, Gotha, Langensalza, Nordhausen und möglicherweise auch in Eisleben ein.236 Auf dem besagten Gothaer Ordenskapitel hielt Luther die festliche Eröffnungspredigt am 1. Mai 1515. Dies war für ihn eine besondere Ehre, da er die Gelegenheit bekam, vor allen seinen Ordensbrüdern sprechen zu dürfen. Dieses Kanzelwort ist die erste überlieferte Predigt, die Luther in seiner Wittenberger Zeit außerhalb der Elbestadt zu einem besonderen Anlass hielt. Seine Predigt erregte solches Aufsehen, dass sich der in Gotha lebende Humanist Conradus Mutianus Rufus bei Johann Lang über den scharfzüngigen Prediger erkundigte. Daraufhin schickte ihm Johann Lang am 2. Mai die Predigt mit der Bemerkung,

233   Vgl. den Schuldbrief über eine dem Wittenberger Augustinerkloster geliehene Geldsumme, der im Juli 1514 oder April 1516 verfasst wurde, worin die Titel aufgeführt werden: »Wyr bruder Wentzißlaus Lincke, der heylgen Schrifft doctor, Prior, Martinus Luder, auch der heylgen schrifft doctor, Supprior« (WA B 12; Nr. 4317, 405,1f). 234   Den in der Forschungsliteratur verwendeten Begriff »Distriktvikar« (vicarius districtus) gebrauchte Luther eher selten (vgl. WA 1 47, 51). Er unterschrieb seine Briefe mit »Vicarius per Misnam et Thuringiam« (WA B 1; 39,27), »Vicarius particularis« (WA B 1; 49,24), »Decanus Vicarius« (Vikar über zehn Konvente) (WA B 1; 40,20), »Vicarius medius Augustiniensium« (WA B 1; 59,71) oder »Vicarius Augustinianus« (WA B 1; 76,17). Wenngleich die Titelbezeichnung nicht eindeutig festgelegt war, bestand der Unterschied beider Ämter darin, dass der Distriktvikar eher ein Gehilfe vom Provinzial war, den dieser benennen konnte, während der Provinzialvikar reformiert observanten Zuschnitts vom Kapitel selbst eingesetzt wurde. Vgl. hierzu Wilhelm Ernst Winterhager: Martin Luther und das Amt des Provinzialvikars in der Reformkongregation der deutschen Augustiner-Eremiten, in: Franz J. Felten/Nikolaus Jaspert (Hg.): Vita Religiosa im Mittelalter, FS für Kaspar Elm, Berlin 1999, 707–738, hier 708. 710. 718. 731. 235   Die Konvente waren in Wittenberg, Dresden, Erfurt, Gotha, Herzberg, Langensalza, Nordhausen, Sangerhausen, Magdeburg und Neustadt an der Orla, als elfter Konvent kam 1515 die Neugründung Eisleben hinzu. Vgl. Gottfried Wentz: Das Augustinerkloster in Wittenberg (Germania Sacra. Abt. 1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg, Bd. 3: Das Bistum Brandenburg, Teil 2), Berlin 1941, 440–499, hier 484; Julius Köstlin: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, 2 Bde, Berlin 51903, Bd. 1, 122. 236  Vgl. Wilhelm Ernst Winterhager: Martin Luther und das Amt des Provinzialvikars in der Reformkongregation der deutschen Augustiner-Eremiten, in: Franz J. Felten/ Nikolaus Jaspert (Hg.): Vita Religiosa im Mittelalter, FS für Kaspar Elm, Berlin 1999, 707– 738, hier 712f.

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dass Luther ein Prediger sei, der von seiner Sprache jede Schminke fernhalte, 237 womit Lang auf einen Gedanken in der Predigt Luthers anspielte.238 Die Überlieferung erfolgte durch Valentin Ernst Löscher und durch Stephan Roth.239 Eine Predigtmeditation aus der ersten Psalmvorlesung kann in gewisser Weise als vorbereitende Beschäftigung mit dem Predigttext angesehen werden, weicht aber inhaltlich erheblich von der Gothaer Predigt ab.240 Luther wählte als Thema der Predigt »Das Laster der Verleumdung« auf der Grundlage von Ps. 112 (111), in der konträr zum Thema die Redlichkeit vor Gott gepriesen wird. Die Predigt besteht aus einem Hauptteil und drei Zusätzen (corollarien). Im Hauptteil kennzeichnet Luther den Verleumder in fünffacher Weise. Um die Wirkung bei seinen Zuhörern zu steigern, verschärft Luther dabei die Beschreibungen der Verleumdung in einem rasanten Tempo. Die Bilder, die er gebraucht, werden zunehmend unappetitlicher. Nach einer kurzen Einleitung setzt er mit der These ein, dass der Verleumder erstens auf geheimnisvolle Weise ein Mörder sei und dass seine Taten viel schlimmer wögen als die eines leiblichen Mörders.241 Um dies zu erläutern, unterscheidet er allgemein die Ausrichtung des Menschen auf seinen Leib, seine geistliches Leben und seinen Ruf.242 Ein Verleumder töte dabei auf dreifache Weise: Zunächst den eigenen guten Ruf, dann die Seele des Verleumdeten, da der Verleumder ihn zu Feindseligkeit anstachele, und schließlich den Zuhörer der Verleumdung, der bereits mit dem Anhören der Verleumdung eine Todsünde begehe, was auch Gabriel Biel behauptet habe.243 237   »De acri illo oratore rogas, qui hesterno die in fratrum sanctulorum mores invectus est. Is Doctor Martinus est, quocum Erfurti perquam familiariter vixi, nec parum auxilii bonis in litteris olim mihi attulit. Eum ipsum ut Apollinem Spalatinus noster veneraturque et consulit. Dictionem eius fuco vacantem (quem ex industria fugit) una cum nostra mitto« (Karl Gillert: Der Briefwechsel des Conradus Mutianus, Bd. 2 [Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 18], Halle 1890, Nr. 490, 149f, hier 150,1–6). Vgl. ferner Jens Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522 (VIEG 187), Mainz 2002, 43; Eckhard Bernstein: Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 2), Köln u. a. 2014. 238   »Hi sunt Rhetores belli, qui colore Rhetorico id negant se dicere, quod maxime dicunt, et negant se eo modo dicere, quo tamen dicunt« (WA 1; 48,16f und WA 4; 679,19–21). 239   Vgl. WA 1; 44–52, WA 4; 675–683. 240   Vgl. WA 4; 221,27–224,25. Vgl. Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 117. Vgl. ferner die kritischen Bemerkungen zu Vogelsangs Datierung von Gerhard Ebeling: Lutherstudien, Bd. 1, Tübingen 1971, 186, Anm. 297. 241   »Sciendum itaque, quod omnis detractor primo est homicida mystice, i. e. peior quam corporalis« (WA 1; 44,6f). 242   »Probatur, quia homo vivit triplici vita, scilicet corporali, spirituali et opinione« (WA 1; 44,7f). 243   »Gladius autem detractatoris primo interficit […] vitam nominis, quam forte nunquam potest reddere. Secundo occidit animam eius cui detrahit, quoniam talis ad iram et invidiam seu odium aut aliud peccatum mortale seu vindictam per retaliationem detractionis provoca-

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Ein Verleumder sei aber nicht nur ein Mörder, sondern zweitens auch ein wütender Tyrann ohne Barmherzigkeit, der einem gleiche, der Tote ausgrabe und den Leichengestank verbreite.244 Daher könne man die Verleumder mit nichts anderem vergleichen als mit vergifteten Schlangen, Verrätern, »Verloffern« (Deserteure), Mördern, Dieben, »Strötern« (Wegelagerer), Tyrannen, Neidharden oder Hassern.245 Drittens ist Luther zufolge ein Verleumder ein unzüchtiger Vergewaltiger, der den Herzen Unschul­diger seinen verfluchten Samen durch die Zunge einflöße.246 Viertens gleiche er dem Teufel, der aus Bosheit die Seelen anderer verderbe, weshalb man den Teufel auch als »Herabwürdiger« (detractor) bezeichnen würde.247 Fünftens kennzeichnet Luther den Verleumder als Ungläubigen und Verzweifelten, der keine Liebe mehr habe.248 Im ersten Zusatz bezieht Luther die Verleumdung auf die Eitelkeit des Menschen. Der eitle Mensch verwende alles, um es für sich als Spiegel seiner selbst zu gebrauchen.249 Die Verleumdung geschehe dabei, indem der Verleumder Unwahres über einen anderen sagt, etwas Geheimes preisgibt oder etwas Wahres leugnet; Luther beruft sich hier wiederum auf Gabriel Biel.250 Im zweiten Zusatz vertieft Luther seine Gedanken zur Eitelkeit. Hierzu nimmt er Bezug zur paulinischen Unterscheidung von Fleisch und Geist (Gal.

tur, et si hoc non fit, tamen fieret quantum in illo fuit: misit enim iaculum in eum, gratia Dei erit si non occiderit. Videatur Gabriel de Restitut. L. iv. distinct. 15. Tertio occidit auditorem suum, quia quod audire detractionem sit peccatum mortale« (WA 1; 44, 9–16). Vgl. Gabriel Biel: Collectorium circa quattuor libros Sententiarum, Lib. 4, ps. 2, dist. 15, q. 16, De restitutione famae (hg. von Wilfrid Werbeck u. Udo Hofmann, Tübingen 1973, 334f). 244   »Secundo sunt furiosi tyranni sine misericordia […]. Quia praeceptum est, quod mortuos sepeliamus. Illi autem si sint sepulti effodiunt et foetorem eorum dispergunt per nares terrae« (WA 1; 44,22–24 und WA 4; 675,22–24). 245   Vgl. WA 1; 44,28–30 und WA 4; 675,28–30. 246   »Tertio sunt stupratores, quia violant sinceras mentes per infusionem maledicti seminis de lingua« (WA 1; 45,6f und WA 4; 676,6f). 247   »Quarto sunt verissimi Diaboli […]: vocatur Satan Hebraice, Diabolus Graece, detractor Latine« (WA 1; 45,13–18 und WA 4; 676,14–18). 248   »Quinto sunt infideles quia fidem, desperati quia spem, tumidi quia charitatem deserunt« (WA 1; 45,22f und WA 4; 676,23f). 249   »Sed tamen homo vivens est vanitas universa, cum ipse sit causa quare alia vana sint, quia ipse vanus vane iis utitur, vane intelligit, vane amat, tanquam sint res et ultimus finis, cum sint signa rerum et media tanquam via et specula« (WA 1; 45,30–33 und WA 4; 676,30–33). 250   »Detractio fit primo falsum imponendo, secundo verum occultum publice imponendo, tertio verum impositum negando. Videatur Gabriel« (WA 1; 45,33f und WA 4; 676,33–35). Gabriel Biel wiederum bezieht sich auf Duns Skotus: »Alio modo laeditur iniuste, et hoc secundum Scotum distinctione praesenti q. 3 contingit tripliciter: […] primo ›falsum crimen‹ proximo ›imponendo; secundo verum crimen‹, sed ›tamen occultum, in publico (ordine iuris non servato) proponendo; tertio verum crimen occultum impositum in publico negando, quia in hoc negans notat imponentem de calumnia‹« (Gabriel Biel: Collectorium circa quattuor libros Sententiarum, Lib. 4, ps. 2, dist. 15, q. 16, De restitutione famae [hg. von Wilfrid Werbeck u. Udo Hofmann, Tübingen 1973, 335,5–9]). Vgl. ferner Duns Scotus: IV d. 15 q. 4 n. 2 (Opera Omnia, Bd. 9, Lyon 1639, Nachdruck Hildesheim 1968, 230).

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5, 16; Röm. 7, 15).251 Ein nach dem Fleisch lebender Mensch sei ganz und gar von Eitelkeit geprägt und nicht besser als das Vieh. Dagegen bestehe die Aufgabe des Christen, seine fleischlichen Gelüste zu töten und nach dem Geist zu leben, womit er einem Engel gleiche.252 Luther fordert den Zuhörer direkt auf: »So stirb also und, lebendig gemacht im Geist, […] wirst du gerechtfertigt vor Gott«.253 Interessant ist dieser Aufruf, da hier die Vorstellung von der Rechtfertigung des Menschen vor Gott anklingt. Hierzu verweist er auf Ps. 143, 2 »denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht«254 und interptetiert dies in einem paulinischen Sinn, insofern der Mensch dem Fleische nach zu töten sei, um vor Gott gerechtfertigt zu werden.255 Im dritten Zusatz nimmt Luther die Zählung, die er im Hauptteil begonnen hat, wieder auf. Dort hat er den Verleumder fünffach – als Mörder, Tyrann, Vergewaltiger, Teufel und Ungläubigen – gekennzeichnet.256 Der Verleumder ist sechstens auch ein Zauberer, indem er die Ohren, Augen und andere Sinne seiner Zuhörer verkehre.257 Er verhalte sich siebtens wie eine Schlange, die still und heimlich ihr Werk tue. Deshalb ähnele er dem Otterngezücht, bei dem das Weibchen nach der Begattung dem Männchen den Kopf abbeiße und die Jungen sich bei der Geburt durch den Leib der Mutter fräßen.258 Der Verleumder sei aber achtens auch wie ein Richter, der sich zur eigenen Verdammnis verurtei  Zur Forschungsgeschichte und zur Interpretation des paulinischen Gegensatzes vgl. exemplarisch Jörg Frey: Die paulinische Antithese von »Fleisch« und »Geist« und die palästinisch-jüdische Weisheitstradition, in: Ders.: Von Jesus zur neutestamentlichen Theologie. Kleine Schriften II, hg. von Benjamin Schliesser, Tübingen 2016, 265–300, hier 265–274. 252   »Homo mortuus non est vanitas, sed vivens. Vivens est, qui secundum carnem vivit in sensibus sicut pecus, quia homo mortuus secundum carnem iam plus quam homo, taliter vivens est filius Dei et sicut Angelus« (WA 1; 45,36–38 und WA 4; 676,36–39). 253   »Morere ergo vivificatus spiritu […] et iustificaberis coram Deo« (WA 1; 46,3f und WA 4; 677,3f). 254   »Sic illud intelligitur: non iustificabitur in conspectu tuo omnis homo vivens, sed bene mortuus« (WA 1; 45,38–46,2 und WA 4; 676,39–677,1). 255   Zur Interpretation von Ps. 143, 2 (Vulgata Ps. 142, 2) im Rahmen von Luthers Rechtfertigungslehre vgl. Erich Vogelsang: Die Anfänge von Luthers Christologie nach der ersten Psalmenvorlesung insbesondere in ihren exegetischen und systematischen Zusammenhängen mit Augustin und der Scholastik dargestellt, Berlin 1929, 119; Reinhard Schwarz: Vorgeschichte der reformatorischen Bußtheologie, Berlin 1968, 232. Vgl. ferner Hannegreth Grundmann: Gratia Christi. Die theologische Begründung des Ablasses durch Jacobus Latomus in der Kontroverse mit Martin Luther (Arbeiten zur Historischen und Systematischen Theologie 17), Berlin 2012, 123–125. 256   Siehe oben Seite 69. 257   »Sexto sunt venefici, sicut ait Apostolus ad Galatas 5« (WA 1; 46,10 und WA 4; 677,9). Vgl. auch am Schluss des Hauptteils: »Item sunt etiam venefici ad Gal. 5« (WA 1; 45,24 und WA 4; 676,25). 258   »Est autem Natura viperarum quod foemella amputat viro caput in coitu, quando inserit caput masculus in os foemellae, et postea pulli erosis matris lateribus atque ita mortuae nascuntur seu excidunt. Sic detractor est vipera masculina, audiens est foemina, qui miscent mutua venena contra fratrem« (WA 1; 46,27–31 und WA 4; 677,26–28). 251

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le.259 Denn wenn einer etwas Unwahres erzähle, falle es auf ihn selbst zurück, 260 was Luther im folgenden anhand vieler biblischer Beispiele belegt, wobei er die Strafen und die vermeintlichen Entschuldigungsgründe der Verleumder beschreibt.261 Dabei beruft er sich auch auf die Ausführungen über das Thema »Verleumdung« bei Bernhard von Clairvaux.262 Zum Schluss überbietet sich Luther noch einmal in der Unappetitlichkeit der Bilder. Sein Ziel ist es, tatsächlich Ekel bei den Zuhörenden zu erzeugen. Ihm zufolge tue der Verleumder nichts anderes, als sich mit fremdem Kot die Nase und Zähne zu verunreinigen und den Unrat anderer mit den Zähnen wiederzukäuen, gleichwie ein Schwein mit der Nase im Dreck wühle oder wie der Wiedehopf sein eigenes Nest beschmutze.263 Die Verleumder, wenn sie sich zusammenrotten, gleichen stinkenden Hunden, die ausgegrabenes Aas von Menschen essen und in das stinkende, faulige und von Würmern durchsetzte Menschenfleisch beißen würden.264 Er selbst ist von seinen Worten angewidert und begleitet diese mit Ausrufen wie »ein schauerlicher Gedanke« oder »Pfui, pfui!«.265 Resigniert fragt er, was es denn für ein Mittel gegenüber diesem Laster gäbe, und antwortet darauf: »Ich weiß keins«.266 Denn kein Mensch könne seine Zunge zähmen, es sei denn, er bitte um Gottes Güte und befrage sein Gewissen, als ob es keine andere Sünden gäbe außer seinen eigenen.267 259  »Octavo sunt sui ipsius condemnatores et indices iustissimi eo ipso quo detrahunt« (WA 1; 46,34f und WA 4; 677,34f). 260   »Cuius ratio est, quia si falsum narrat, tunc convertitur super caput eius« (WA 1; 46,38f und WA 4; 677,38f). 261   Vgl. die Gliederungshinweise: »Iam videamus aliquas poenas eius« (WA 1; 47,25 und WA 4; 678,26) und »Sed nunc eorum excusationes videamus« (WA 1; 48,14 und WA 4; 679,17). 262   Vgl. WA 1; 49, 38 und WA 4; 681,4. Zu den umstrittenen Verweisen Luthers auf Bernhard in dieser Predigt vgl. Gerhard Ebeling: Lutherstudien, Bd. 1, Tübingen 1971, 186; Anm. 207; Franz Posset: Pater Bernhardus. Martin Luther and Bernard of Clairvaux. Collected Works, Bd. 2, Eugene (Oregon) 2018, 54; vgl. ferner Ulrich Köpf: Die Rezeptionsund Wirkungsgeschichte Bernhards von Clairvaux. Forschungsstand und Forschungsaufgaben, in: Kaspar Elm (Hg.): Bernhard von Clairvaux. Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 6), Wiesbaden 1994, 5–65. 263   »Nihil iustius est a Deo quam ut, qui propriam veritatem et stercus non volunt considerare ut purgentur, naribus et dentibus impingant in aliena. Nam omnis detractor nihil aliud agit nisi quod dentibus molit oleta hominum et naribus suis in lutis eorum obsonat sicut sus, unde stercus homimun maxime omnium foedat […]. […] sicut upupa […]. Est igitar immunda et ingrata avis, quae foedat propria strata« (WA 1; 50,10–28 und WA 4; 681,15–34). 264   Vgl. WA 1; 51,8–15 und WA 4; 682,17–24. 265   »[…] etiam cogitatu horrificum est« (WA 1; 51,14 und WA 4; 682,21f); »Phui, Phui, quam horrendum monstrum est detractor!« (WA 1; 51,15f und WA 4; 682,24). 266   »Quid igitur remedii est illis contra hoc vitium? Respondeo: nullum scio« (WA 1; 51,33f und WA 4; 683,4f). 267   »[…] quia est vehementissima pestis quod nullus homo potest domare linguam, nisi qui oret Dei bonitatem […], sic ut ita inter homines ambulet, quasi oculi, aures et sensus eius clausi sint nec aliquid fiat peccatum aut malum, quod se videre putet, solam conscientiam ante se statuat, ne incipiat sibi videri aut apparere ullum esse peccatum praeterquam suum« (WA 1; 51,34–52,1 und WA 4; 683,5–10).

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Im Vergleich zu den Predigten, die in den vorigen Abschnitten besprochen wurden, kommt bei seinem Gothar Kanzelauftritt eine ganz neue Seite Luthers als Prediger zum Vorschein. Statt eines ganz und gar in den scholastischen und mystischen Traditionen denkenden Intellektuellen inszeniert sich Luther hier als derb auftretender Moralerzieher. Sein Anspruch richtet sich nicht auf die Überbietung subtiler Gedanken, sondern auf die Erzeugung von Abscheu gegenüber der Verleumdung als Untugend. In Anbetracht seiner Zuhörerschaft, die vornehmlich aus Augustinerbrüdern bestand, erstaunt sein Mut, mit einer solchen Kompromisslosigkeit aufzutreten. Es scheint, als ob er bewusst die Grenzen des Angewidertseins durch seine ungeschminkten Worte ausloten will. Von einer erbaulichen Ansprache kann hier keine Rede sein. Vielmehr spielt Luther mit den Affekten seiner Zuhörer, indem er absichtsvoll die Unappetitlichkeit der Bilder immer weiter steigert. Vor dem Hintergrund seiner ethischen Radikalität, die dazu führt, dass letztlich vor ihr kein Mensch mehr bestehen kann, sondern notwendig zum Scheitern verurteilt ist, leuchtet aber ein Hoffnungsschimmer auf, nämlich die Rechtfertigung des Menschen durch Gott.

4. Der kritische Prediger gegen den Ablass und seine zwei Kirchweihpredigten aus dem Jahr 1517 Noch bevor der Leipziger Dominikaner Johann Tetzel als Generalsubkommissar für den Ablassvertrieb in der Magdeburger Kirchenprovinz – wohl vor dem 22. Januar 1517 – vereidigt wurde, 268 äußerte sich Luther auf der Kanzel kritisch über die Missstände im Ablasswesen.269 Hinweise ergeben sich aus den Überlieferungen seiner Dekalogpredigten, bei denen er bereits in der Predigt vom 26. Juli 1516 die Bischöfe dazu aufforderte, die Ablässe im Rahmen der Kirchenweihen zu widerrufen.270 Am 4. Januar 1517 kritisierte er die Fabelprediger über den Ablass und verlangte eine sehr große Reformation der Kirche.271 Wohl di268  Vgl. Hartmut Kühne/Enno Bünz/Peter Wiegand (Hg.): Johann Tetzel und der Ablass. Begleitband zur Ausstellung »Tetzel – Ablass – Fegefeuer« im Mönchenkloster und Nikolaikirche Jüterborg vom 8. September bis 26. November 2017, Berlin 2017, hier insbesondere der Forschungsbericht (aaO., 19–34), die Diskussion um die Datierung im Beitrag von Wilhelm Ernst Winterhager: Johann Tetzel und der Petersablass. Zur Personalrekrutierung als Problem der späten Ablasskampagnen (aaO, 215–231) und das Dokument zur Ernennung zum »gemeynen subcommissarius des St. Petersablasses durch Erzbischof Albrecht von Mainz und Magdeburg (aaO., 350f). 269  Zu den historischen Hintergründen des Ablassstreites vgl. exemplarisch Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 174–181. 270   »[…] det dominus Episcopis nostris aliquando gratiam, ut has indulgentias una cum dedicationibus revocent« (WA 1; 424,7–9). 271   »Et pastores non parum delectantur fabulis legendarum et indulgentiarum et omnium quae dici possunt, praeter euangelium, quia illa lucrosa sunt, dum populus a veritate auditum avertit, ad fabulas conversus. Sed ve, ve atque ve iterum talibus fabulatoribus! Opus hic esset

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rekt gegen den Petersablass ist bereits die Predigt vom 24. Februar 1517 gerichtet, wenn er darin kritisiert, dass die Ablassprediger das Volk lehren, allein die Strafen, aber nicht die Sünde zu fürchten.272 Am umstrittensten ist die am Vortag einer Kirchweihe gehaltene Predigt mit dem Titel »Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis« über Zachäus (Lk. 9, 1–19).273 Luther geht hier am ausführlichsten auf den Ablass ein, wobei sich viele Gemeinsamkeiten mit den 95 Thesen ausmachen lassen.274 Die ältere Forschung bezog die Kirchweihe auf die Wittenberger Schlosskirche und nahm an, dass sie an einem Allerheiligentag, am 1. November gefeiert wurde, weshalb Luther die Predigt am 31. Oktober entweder des Jahres 1516 oder 1517 gehalten haben müsse.275 Nikolaus Paulus wies jedoch darauf hin, dass aus dem Namen »Allerheiligenstift« nicht automatisch auf den Tag der Kirchweihe zu schließen sei.276 Vielmehr sei das Kirchweihfest der Schlosskirche am 17. Januar gefeiert worden, weswegen Paulus die Predigt Luthers auf den 16. Januar 1518 verleg-

maxima reformatione ecclesiae, ut prorsus nihil quantumcunque pium et bonum praedicari permitteretur, nisi quod authenticum et canonisatum esset« (WA 1; 509,35–510,2). 272   »Adhuc servilem iustitiam mire perficiunt ipsae effusiones indulgentiarum, quibus nihil agitur quam ut populus discat timere, fugere, horrere poenam peccatorun, non autem ita et peccata« (WA 1; 141,22–24). 273   Die Predigt ist im Abweichungen doppelt überliefert, zum einen durch Löscher (WA 1; 94–99) und zum anderen durch Roth (WA 4; 670–674), hier überschrieben mit »In die dedicationis templi sermo«. Insofern wäre die Predigt nicht am Vortag einer Kirchweihe, sondern an dem Kirchweihtag selbst gehalten. Allerdings ist hier gemäß der schwierigeren Lesart Löschers Datierung zu folgen. 274  Vgl. Karl Bauer: Das Entstehungsjahr von Luthers Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis, in: ZKG 43 (1924), 174–179, 178f; Nikolaus Paulus: Das Entstehungsjahr von Luthers Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis, in: ZKTh 48 (1924), 630–633, hier 630. Zum Vergleich der Kirchweihpredigt mit den 95 Thesen siehe unten Seite 81. 275   Löscher hat die Predigt auf den 31. Oktober 1517 datiert (vgl. Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Documenta, Bd. 1, 1720, 734–740, hier 734). Der Herausgeber des WA-Bandes Joachim Karl Friedrich Knaake setzte sie ein Jahr früher an, da in der »Auslegung und Deutung des heiligen Vaterunsers«, welche Luthers Fastenpredigten vom Jahre 1517 enthält, auf ein »Sermon von Zacheo« angespielt wird (vgl. WA 1; 94, Anm. 2). Vgl. ferner Hans Volz: Martin Luthers Thesenanschlag und dessen Vorgeschichte, Weimar 1959, 70f. Karl Bauer hingegen verteidigte die Datierung auf den 31. Oktober 1517, da er Luthers Bemerkung aus der Kirchweihpredigt, über den Ablass bereits vieles gesagt zu haben (»Dixi enim de iis [= indulgentes] alias plura« [WA 1; 98,17]), auf die kurz zuvor verfassten 95 Thesen bezog. Vgl. Karl Bauer: Das Entstehungsjahr von Luthers Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis, in: ZKG 43 (1924), 174–179, hier 177f. 276  Vgl. Nikolaus Paulus: Das Entstehungsjahr von Luthers Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis, in: ZKTh 48 (1924), 630–633, hier 630. Er verweist hierbei auf die Untersuchungen von Paul Kalkoff, der darauf hingewiesen hat, dass in der Ablassbulle vom 31. März 1516 von Leo X. und in einem Ablassbrief des Kardinals Raimund Peraudi vom 1. Februar 1503 neben dem Allerheiligenfest das Kirchweihfest gesondert genannt wird. Vgl. ferner Paul Kalkoff: Forschungen zu Luthers römischem Prozeß, Rom 1905, 185; Ders.: Ablaß und Reliquienverehrung an der Schloßkirche zu Wittenberg unter Friedrich dem Weisen, Gotha 1907, 9, Anm 1.

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te.277 Erwin Iserloh wiederum bezog sie auf das Kirchweihfest der Wittenberger Stadtkirche, ohne dies genauer zu datieren.278 Einen Fortschritt in der Diskussion brachte Norbert Flörken, da er den 31. Mai als Kirchweihe der Stadtkirche ausmachen konnte und die Meinung vertrat, dass Luther die Kanzel dort am 30. Mai 1517 betreten habe.279 Martin Brecht wandte demgegenüber ein, dass in den Vaterunserpredigten zur Fastenzeit 1517 (Aschermittwoch, 25. Februar, bis Karsamstag, 11.  April) auf die Kirchweihpredigt hingewiesen wird, weswegen er annimmt, dass Luther sie zu Beginn der Fastenzeit 1517 gehalten habe.280 Volker Leppin wendet dagegen ein, dass der Hinweis aus der Vaterunserauslegung, die erst 1518 gedruckt wurde, eventuell von Johann Agricola redaktionell hinzugefügt worden sein könnte.281 Aufgrund der Erinnerungen Luthers in seiner Schrift »Wider Hans Worst«, in der er explizit beim beginnenden Auftreten der Ablassprediger von einer Predigt in der Schlosskirche gegen den Ablass berichtet, durch die er bei Herzog Friedrich in Ungnade gefallen sei,282 plädiert Leppin für eine Datierung auf den 16. Januar 1517 am Vortag des Kirchweihfestes der Schlosskirche.283 In der Debatte bislang noch unberücksichtigt ist die Überlieferung einer zweiten Predigt, die Luther zu dieser Zeit am Vortag einer Kirchweihe hielt. Sie handelt von Zachäus und enthält ebenfalls Kritik am Ablass. Erich Vogelsang wies bereits darauf hin, dass diese Predigt mit dem Titel »Sermo in dedicatione templi habitus per D. M.« von der anderen Kirchweihpredigt zu unterscheiden 277   Wie Karl Bauer bezieht Paulus den Hinweis Luthers, bereits vieles zum Ablass gesagt zu haben, auf die 95 Thesen, weswegen er den 16. Januar 1517 ausschloss. Vgl. Nikolaus Paulus: Das Entstehungsjahr von Luthers Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis, in: ZKTh 48 (1924), 630–633, hier 631. 278  Vgl. Erwin Iserloh: Luther zwischen Reform und Reformation. Münster, 1966, 33. 279  Vgl. Norbert Flörken: Ein Beitrag zur Datierung von Luthers »Sermo de indulgentiis pridie dedicationis«, in: ZKG 82 (1971), 344–355. Der Datierung Flörkens angeschlossen hat sich Jared Wicks: Luther’s Reform. Studies on Conversion and the Church, Eugene Oregon 1992, 120. 280  Vgl. Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 478, Anm. 2; vgl. außerdem den Hinweis in der Vaterunserauslegung auf den »Sermon von Zacheo« (WA 9; 133,8). Hamm lässt die Datierung offen und spricht von einer Predigt im Frühjahr 1517 entweder vor oder nach der Fastenzeit. Vgl. Berndt Hamm: Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 108, Anm. 77. 281  Vgl. Volker Leppin: Das ganze Leben Buße. Der Protest gegen den Ablass im Rahmen von Luthers früher Bußtheologie, in: Andreas Rehberg (Hg.): Ablasskampagnen des Spätmittelalters. Luthers Thesen von 1517 im Kontext, Berlin 2017, 523–564, hier 546f, Anm. 116. 282   »Als nu viel Volcks von Wittemberg lieff dem Ablas nach gen Juetterbock und Zerbest, Vnd ich […] nicht wuste, was das Ablas were, wie es denn kein mensch nicht wuste, fieng ich seuberlich an zu predigen, man koendte wol bessers thun, das gewisser were, weder Ablas loesen. Solche predigt hatte ich auch zuvor gethan hie auffm Schlosse, wider das Ablas, Und bey Hertzog Friderich damit schlechte gnade verdienet, Denn er sein Stifft auch seer lieb hatte« (WA 51; 539,4–10). 283   Vgl. auch Timothy J. Wengert: The Ninety-Five Theses as a Literary and Theological Event, in: LuJ 85 (2018), 37–60, hier 40–44.

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sei.284 Die Weimarer Ausgabe hat die lateinische Mitschrift im Rahmen der Edition von Roths Festpostille aus dem Jahr 1527 überliefert, da Roth sie als Vorlage verwendete und eine Übertragung ins Deutsche vornahm.285 Aufgrund der Polemik gegen die Ablassprediger mit ihren pompösen Prozessionen könnte es sein, dass Luther diese Kirchweihpredigt am 16. Januar 1517 auf dem Schloss hielt und er dadurch für Unmut beim Herzog sorgte. Dann könnte auch der Hinweis »Sermon von Zacheo« aus den Vaterunserpredigten auf diese Predigt zu beziehen sein. Aufgrund der inhaltlichen Nähe zu den 95 Thesen wäre der »Sermo de indulgentiis« dann eher auf die Stadtkirchenpredigt vom 30. Mai 1517 zu beziehen. Auf beide Predigten soll mit besonderem Blick auf Luthers Ablasskritik eingegangen werden. Die Roth’sche Mitschrift »Sermo in dedicatione templi habitus per D. M.« gliedert sich nach einer kurzen Einleitung in zwei Teile.286 Zunächst konzentriert sich Luther darauf, wie Zachäus sich selbst und wie er Christus ansieht, 287 danach wechselt er die Perspektive, indem er danach fragt, wie Christus auf Zachäus und auf das murrende Volk blickt.288 In der Entfaltung seiner Gedanken wendet Luther die Zachäus-Geschichte immer wieder auf die aktuelle Situation an und spart dabei nicht mit seiner Kritik an der Reliquienverehrung, den Bischöfen und dem Ablasshandel. So zeige die Perikope, wie Jesus als allerhöchster Gott die allertiefsten Abgründe des Herzens (cordis abyssus) erkenne.289 Dadurch mache sich auch Jesus in den Augen der damaligen Priester und gelehrten Doktoren zum Ketzer.290 Die heutigen 284  Vgl. Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 136. 144. Er datierte sie gemäß der älteren Forschungsmeinung auf den Vortag des Allerheiligenfest als Kirchweihe der Schlosskirche und somit auf den 31. Oktober 1517 oder 1518. Aus späteren Jahren könne sie nicht stammen, da für Luther das Problem nicht mehr so akut gewesen sei. 285   Vgl. das WA 17 II; 507–514 und Roths Übersetzung WA 17 II; 496–507. Die Predigt steht zeitlich im Zusammenhang mit einer in der Forschung allerdings umstrittenen Vorlesung Luthers über das Richterbuch. Sie soll im Herbst 1516 begonnen und mit Unterbrechungen bis 1518 fortgeführt worden sein. Für die Predigt ist von Belang, dass sie in diesen Zeitraum gehalten worden sein muss. Vgl. WA 60; 325–329; WA 4; 527f. Vgl. ferner Bernhard Lohse: Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters (FKDG 12), Göttingen 1963, 317–325. 286   Zitiert wird zuerst das lateinische Manuskript und dann die deutsche Übertragung aus der Roth’schen Festpostille. 287   »Videamus ergo primum Zachaeum ipsum, quid senserit de seipso et de Christo« (WA 17 II; 508,12f); »Derhalben woellen wir erstlich ansehen disen Zacheum, was er von sich selbs, und was er von Christo gehalten habe« (WA 17 II; 498,15–17). 288   »Vigilanter quoque observandum erit, quis sit divinus cogitatus quisve delectus super humanis illis et externis rebus splendidulis et eminentibus« (WA 17 II; 508,31f); »Wir muessen hie auch fleissig acht haben, was da sind die Goetlichen gedancken« (WA 17 II; 499,5). 289   »Deus enim is est excelsissimus, qui penitissimos cordis abyssos scrutatur« (WA 17 II; 508,29f); »Denn Gott ist ein solch man, der der allerhoechste ist und erforschet doch die aller tieffesten abgrunde des hertzens« (WA 17 II; 499,2f). 290   »Quin tu Jhesu hereticus es et potestatis pontificiae contemptor, eo quod in Publicano

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Bischöfe und Stellvertreter Gottes seien nicht viel besser als die pharisäische Rotte, weil sie sich ihrer bischöflichen Titel rühmen würden.291 Jesus habe niemanden aus der schreienden Menge ausgewählt, sondern den verachteten Zachäus. Genauso würde er es heute wieder tun, wenn er den Klerus sähe, wie er mit goldenen und samtenen Kappen Monstranzen voller Heiligtümer, große Kerzen und brennende Fackeln vor sich hertrüge.292 Jesus wären die heutigen Lehren über die Reliquien und Weihungen ein Greuel. In der deutschen Übertragung von Roth kritisiert Luther an dieser Stelle auch den Ablass, was aber wohl als redaktionelle Hinzufügung gewertet werden kann.293 Zachäus habe lediglich das Bestreben, Christus sehen zu wollen gehabt. Heutzutage solle man daher nicht so töricht sein, mit erdichteten und prächtigen Zeremonien Gott gnädig und sanftmütig machen zu wollen (propitius et placatum facere).294 Explizit auf den Ablass geht Luther ein, wenn er behauptet, dass die ungläubigen Priester das Anliegen ihrer Ablässe besudelt (rem suis indulgentiis conspurcarunt) und damit die Seelen der Einfältigen mit Traumgebilden betrogen hätten.295 illo legis doctores irritas et contemptibiliores facis« (WA 17 II; 508,38–40); »Ey Christe du bist warlich ein ketzer und ein verachter der Bischoflichen wirde und gewalt, drumb dz du mitt disem zoellner die hochgelertten Doctores des gesatzs erpytterst und zornig machest, dartzue auch, das sie veraechttig sindt vor dem volcke?« (WA 17 II; 499,14–17). 291   »Qui enim hodie de titulis episcopalibus et dei vicariatu gloriantur, hi longe sunt deteriores vel saltem pares Cayphae, Annae et pharisaicae toti cohorti« (WA 17 II; 509, 2–4); »Denn die heüttigs tages sich groß ruemen uber den Bischoflichen titeln, und wie sie Gottes stathalter sind, die sind vil erger oder ye gleich dem Caiphas und Hannas und der gantzen Phariseischen rotte« (WA 17 II; 499,20–22). 292   »[…] quem autem eorum tam benigniter accepit? qui vel alta voce caneret aut purpureis casulis indutus reliquias ferret aut prelongas perticas preportaret aut candelas ardentes in manibus gestaret?« (WA 17 II; 509, 6–9); »Woelchen aber under sovil nimpt er so freündtlich an? villeicht den, der da seer schreyet? oder den, der in einer guldenen und Sammett Chorkappen daher geet? oder der eyne grosse Monstrantzen vol Hailigthumbs tregt? oder die, so grosse kertzen und prinnenden facklen tragen?« (WA 17 II; 499,25–29). 293   »Contra videmus Christum omnino abhorruisse tum exemplo tum doctrina pompas istas reliquiarum, dedicationum et aliarum rerum superbissimarum, quas hodie totus mundus commendat, pontifices confirmant et concionatores extollunt« (WA 17 II; 509,13–17); »Widerumb sehen wir, dz Christus gantz und gar, hayde mitt exempel und lere, ein eckel und greüel gehabt hat an dem ausserlichen koestlichem geprengt, damit yetz die welt unnder dem Bapstthum umbgeet und hoch lobet, wie da sind die Processionen und kirchenweihunngen, da man grossenn unnd unmessigklichenn bracht treibet, dartzue die Bischoffe aplaß geben und die prediger hoch rhuemen und außplasenieren« (WA 17 II; 499,36–500,1). »[…] derhalben sind wir alle thoericht, die wir uns understehen ein gnedigen guettigen Got zu° machen mit ausserlichem geprenge und sonderlich mit dem menschlichen erdichtten scheinenden gleissenden werckenn und satzungen« (Wa 17 II, 500,20–23). 294   »Frustra ergo insanimus omnes, qui deum propitium et placatum facere ceremoniis presumimus maxime humanis illis spetiosis et inventitiis« (WA 17 II; 509,30–32). 295   »Ita impii pontifices quo expeditius oscitantes nos et excordes in hoc perditionis bar-

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Die zweite Predigt mit dem Titel »Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis« beginnt mit einer dialektisch formulierten Aussage, die Luther als die Summe des Evangeliums bezeichnet: Für die Menschen, denen Christus alles ist, sind alle anderen Dinge nichts. Und umgekehrt: Für alle, denen Christus nichts bedeutet, sind alle anderen Dinge alles.296 Diesen Gedanken erörtert er vor dem Hintergrund der Zachäus-Geschichte, wobei er am Schluss auf das innere Gebet eingeht.297 Es folgt ein Abschnitt, der mit Anhang (corollarium) überschrieben ist und zwei Schlussfolgerungen (conclusiones) enthält. In der ersten geht Luther auf die Kirchweihe ein.298 Er unterscheidet hierbei zwischen dem Kirchengebäude als äußerem Tempel und dem Herz des Menschen als innerem. Das äußere Gebäude sei lediglich ein Zeichen und stehe für die Aufforderung, sich um den inneren Seelenzustand zu sorgen.299 Durch das Thema der Innerlichkeit gelangt Luther schließlich zum Ablassthema. Das Laster der Eigenliebe herrsche heutzutage umso mächtiger, da Verführer und Lügner den Ablass predigten. Da es viele begehrten, möchte er nur Weniges sagen, zumal er schon mehrere Male darüber gesprochen habe, insbesondere aber deswegen, weil dieses pompöse Treiben nun in aller Öffentlichkeit stattfinde.300

atrum inducerent, rem suis indulgentiis conspurcarunt, ut simplices animae istis simulachris delusi non cogitarent, quae salutis essent, hac enim industria oportuit nos ludere« (WA 17 II; 512,36–39). »Die Gotlosen Bischoffe das sie uns yhe unsinnig unnd unachtsam in disem yrrthumb fuereten, habenn sie das thun mit jrem ablaß beschmitzet, auff das die seelen der eynfeltigen mit solchem schein betrogen wurden und gedechten nichtt auff jre seligkeit. Mit solº chen griffen und behendigkaiten musten wir spilen« (WA 17 II; 505,13–17). 296   »Conclusio. Quibus Christus aliquid est, illis omnia nihil sunt quibus autem Christus nihil est, continuo illis omnia grandia sunt« (WA 1; 94, 94,8–10). »Summa huius Euangelii est: Quibus Christus magni ducitur, continuo illis omnia sunt nihil, quibus vero Christus nihil est, his continuo omnia sunt grandia« WA 4; 670,3–5). 297   Vgl. WA 1; 94,9–96,4 und WA 4; 670,5–671,33. Zu Luthers Ausführungen in dieser Predigt über die oratio mentalis vgl. Emanuel Hirsch: Luther über die oratio mentalis (1928), in: Ders.: Lutherstudien, Bd. 2 (Gesammelte Werke 2), Waltrop 1998, 99–103. 298   Vgl. WA 1; 96,9–98,36 und WA 4; 672,1–674,9. 299   »Sic Dedicationes Ecclesiarum in ceremoniis et externis operationibus signa sunt cordis dedicandi Deo. Quid enim Deus templum signi curat, quando templum signati non habet?« (WA 1; 96,27–29 und WA 4; 672,19–21). 300   »Regnat [amore sui] autem potissimum nostro tempore, ubi populus per seductores, fabulatores &c. in istud vitium ducitur, qui debuit potius reduci. Quales sunt qui indulgentias praedicant, de quibus ex. gr. et quia id multi petierunt, pauca dicam. Dixi enim de iis alias plura, maxime cum sit prae foribus pompa ista indulgentiarum« (WA 1; 98,14–18). Ab dieser Stelle weicht Löschers Fassung von Roth erheblich ab, wobei Löscher wohl die bessere Textvorlage gehabt hat. Vgl. WA 4; 674, 1–30 und WA 9; 766. Hans Volz bezieht »prae foribus pompa« nicht auf das Wirken der Ablassprediger, sondern auf die prunkvollen Umzüge zur Reliquienausstellung und nimmt an, dass, obwohl Allerheiligenfest und Kirchweihe hinsichtlich der Schlosskirche nicht zusammenfallen, in der Praxis die Kirchweihe dort am 1. November gefeiert wurde. Allerdings spricht dagegen der Kontext, da sich Luther bereits hier auf den Ablass und nicht auf die Reliquienverehrung konzentriert. Daher ist es wahrscheinlich, den

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In der zweiten Schlussfolgerung vertieft Luther seine Kritik am Ablass. Zunächst fragt er nach dessen Voraussetzung, Funktion, Grenze und Gefahr. Der Ablass setze Reue voraus, seine Funktion gehe darin auf, die Reue wahrhaftig zu machen, und seine Grenze liege darin, nichts anderes zu können als das, was dem Einzelnen zur Genugtuung auferlegt worden sei, womit Luther die in einer Beichte vom Priester verhängten Strafen vor Augen hat und damit der Meinung entgegentritt, der Ablass könne von Sünden befreien.301 Aufgrund dieser Fehldeutung sieht Luther die Gefahr, dass der Ablass der inneren Buße entgegenwirken könne. Denn die innere Buße ist ihm zufolge die wahre Reue, die wahre Beichte, die wahre Genugtuung im Geiste.302 Damit knüpft Luther in Ab­ grenzung zu einer sakramental-objektiven an eine subjektive Bußtheorie an, deren Konzepte in der Forschung als »Attritionismus« und »Contritionismus« bezeichnet werden.303 Luther fährt fort, indem er das Ideal eines Büßers bestimmt. Der wahre Büßer missfalle sich ganz aufrichtig selbst, bekehre sich tätig zu Gott, erkenne seine Schuld rein an, bekenne sie vor Gott von Herzen, kränke und verabscheue innerlich sich selbst, wolle, dass alle Welt seine Sünden sehe, und sei ferner bereit, sich von allen mit Füßen treten zu lassen.304 Seine Beschreibung gipfelt in dem Satz, dass ein wahrhaft Büßender nicht den Ablass bzw. den Erlass von Ausdruck auf die Umzüge Tetzels zu beziehen. Vgl. Hans Volz: Martin Luthers Thesenanschlag und dessen Vorgeschichte, Weimar 1959, 70f. 301   »Indulgentiae praerequirunt, imo ad contritionis veritatem debent prodesse aut sunt maxime: tollunt autem nihil aliud quam privatae satisfactionis impositiones. Et sic timendum, quod frequenter cooperentur contra poenitentiam interiorem« (WA 1; 98,37–99,1). Vgl. hierzu die textkritischen Anmerkungen in WA 4; 766. 302   »Nam poenitentia interior est vera contritio, vera confessio, vera satisfactio in spiritu« (WA 1; 99,1f). 303   Vgl. hierzu die Ausführungen bei Volker Leppin: Das ganze Leben Buße. Der Protest gegen den Ablass im Rahmen von Luthers früher Bußtheologie, in: Andreas Rehberg (Hg.): Ablasskampagnen des Spätmittelalters. Luthers Thesen von 1517 im Kontext, Berlin 2017, 523–564, hier 525f. Vgl. ebenfalls die prägnante Zusammenfassung der Position Luthers im Verhältnis zum Contritionismus und Attritionismus von Ulrich Barth: »Luthers reformatorische Position, hervorgegangen aus einem langem Ringen um Sinn und Zweck des Bußsakraments, läßt sich jenem Lehrgegensatz nicht eindeutig zuordnen. Er griff vielmehr aus beiden Traditionen auf, was ihm wesentlich erschien, und fügte es auf veränderter Basis neu zusammen: Mit dem Contritionismus pocht er auf die lebenslange Übung strenger Gewissensbuße, lehnt aber den Synergismus einer selbst gemachten Reue ab. Mit dem Attritionismus hält er an der sakramentalen Bedeutung des Absolutionswortes fest, verwirft aber dessen Einengung auf das priesterliche Handeln im Beichtstuhl« (Ulrich Barth: Theologischer und philosophischer Gewissensbegriff. Variationen eines lutherschen Grundgedankens: Wolff, Kant, Fichte, in: Ders.: Kritischer Religionsdiskurs, Tübingen 2014, 54f). Zu den Kohärenzlinien und den darin verlaufenden revolutionären Innovationen zwischen mittelalterlichem Ablassverständnis und reformatorischem Denken vgl. Berndt Hamm: Ablass und Reformation – Erstaunliche Kohärenzen, Tübingen 2016, 223–260. 304   »Quando poenitens vere purissime sibi displicet in omnibus quae fecit, et efficaciter convertuntur ad Deum pureque agnoscunt culpam et Deo confitentur in corde. Deinde per sui detestationem intus sese mordet et punit: ideo ibidem Deo satisfacit. Imo vere poenitens

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Strafen, sondern deren Vollzug suche.305 Demgegenüber bestehe das Zerrbild der inneren Buße darin, sich die Reue lediglich einzubilden. Vor diesem Hintergrund unterscheidet Luther zwei Seiten der inneren Buße.306 Die eine bezeichnet er als »Galgenreue«. Sie veranlasse den Menschen, nicht die Strafe zu suchen, sondern vor ihr zu fliehen. Dadurch vergifte der Büßer letztlich sein eigenes Gottesbild. Denn er konzentriere sich so sehr auf das göttliche Missfallen an der Sünde, vor der er jedoch aufgrund seiner Selbstliebe nicht fliehen könne, dass Gott nur noch als ungerecht wahrgenommen werde. Aus Furcht vor der Strafe beginne er Gottes seltsame Gerechtigkeit, die er in seinen Augen als Ungerechtigkeit empfindet, zu hassen.307 Die andere Seite der innerlichen Buße sei die wahre Reue. Der Büßer wünsche sich hier die Strafe seiner Sünden, damit der Gerechtigkeit Gottes genüge getan werde. Insofern konzentriere er sich auf die Vergebung Gottes, wodurch er eine Liebe zur göttlichen Gerechtigkeit entwickle.308 Die Pointe dieses Gedankens besteht darin, dass die Galgenreue gegenüber der wahren Reue nicht einfach verworfen wird, sondern als eine Seite der wahren inneren Buße in Abgrenzung zur äußeren expliziert wird. Die Galgenreue ist somit als Vorstufe zu verstehen, die zur wahren Reue führt. Genau an diesem Punkt zeigt sich der Unterschied im Bußverständnis zwischen Luther und seinem Beichtvater Johann von Staupitz.309 Dieser vertrat die Meinung, dass allein vellet, si fieri posset, ut omnis creatura suum peccatum videret et odisset, et paratus est ab omnibus conculcari.« (WA 1; 99,2–7). 305   »Non quaerit indulgentias et remissiones poenarum, sed exactiones poenarum« (WA 1; 99,7f). 306   In der Roth’schen Fassung verwendet Luther zur Bestimmung beider Seiten der Reue die augustinische Unterscheidung von res und signum (vgl. WA 4; 674,14–23; vgl. Augustin: De doctrina Christiana, lib. 1, cap. 2 [CCSL 32, Turnhout 1962, 7]). Der Sache nach ist die Reue eine Reue des Herzens. Auf diese Herzensreue ziele der Bußruf Jesu. Die äußerlichen Zeichen der Reue seien hingegen Genugtuung und Bekenntnis. Letzteres könne öffentlich und privat vollzogen werden, obwohl sich Luther unsicher ist, ob das private Bekenntnis überhaupt schriftgemäß sei. Vgl. hierzu Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 184. 307   »Unde duplex est contritio seu poenitentia interior, una scilicet ficta quae vocatur vulgo Galgen-Reue, quod facile videtur in iis, qui statim recidivant et saepius ita ruunt. Hi sic dolent de peccato, quod plus de poena peccati, Et nihil aliud displicet quam displicentia Dei in peccato: Mallet enim, ut peccatum placeret Deo, et sic Deum iniustum optat. Haec res perversissima est sed frequentissima, quia timore poenae et amore sui iustitiam Dei odit et suam iniquitatem diligit: poenam enim odit« (WA 1; 99,8–15). 308   »Alia est vera, de qua dixi, quod amore iustitiae et poenarum odit peccatum, quia cupit ulcisci iustitiam laesam. Ideo non petit indulgentias sed cruces« (WA 1; 99, 15–19). Im folgenden spielt er auf die Legende von der Heiligen Johanna an. Hieronymus wollte ihre Bußstrenge in Form von Selbstzüchtigungen beschwichtigen, was sie jedoch ablehnte und darauf entgegnete, lieber den Verlust der Gesundheit hinnehmen zu wollen. Hieronymus wird insofern mit den Beschwichtigungen der Ablassprediger gleichgesetzt, die den Ernst der Buße durch den Ablass relativieren. Vgl. WA 1; 99, 17–19. 309   Zur Orientierung vgl. Markus Wriedt: Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther (VIEG 141), Mainz 1991; Berndt Hamm: Johann

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die Gottesliebe durch die Kraft des stellvertretenden Leidens Christi den Weg zur Reue bahnen könne und die Galgenreue »gantz unnutz und on alle frucht«310 sei. Luther hingegen ist der Auffassung, dass der Büßer in den Strudel der angstvollen Galgenreue hineingeraten müsse, damit sie zu einer Liebesreue umgewandelt werden könne.311 Schaut man auf die weitere Entwicklung von Luthers Theologie, so lässt sich in der Gegenüberstellung von Galgenreue und wahrer Reue eine Vorfassung von Luthers Verständnis von Gesetz und Evangelium erblicken. Zum Schluss zieht Luther die Konsequenz aus seinem Ablassverständnis. Er warnt vor der Gefährlichkeit der Ablasspredigt, da sie die Gnade wegnähme und lehre, der Genugtuung und Strafe Gottes entfliehen zu können. Er parallelisiert die Ablassprediger mit den Widersachern Christi aus 2. Thess. 2, 1–12, die aufträten, um die Menschen zu belügen und zu verführen.312 Denn man könne nicht zugleich wahre Reue und Ablass predigen, da die Reue strenge Befolgung der Genugtuung fordere, der Ablass jedoch leichten Erlass der Sündenstrafen gewähre.313 Die wahre Reue gleichsam als Privileg allein der vollkommenen Christen anzusehen, lehnt Luther ab. Vielmehr seien alle zur wahren Reue zu ermahnen.314 Diese Gedanken weisen in vielem bereits voraus auf Luthers 95 Thesen.315 Dazu gehört die Frage nach der wahren inneren Buße als Voraussetzung des Ablasses, die einhergeht mit einer internen Differenzierung zweier Seiten der inneren Buße. So unterscheidet Luther in These 1–4 ebenfalls zwei Seiten der inneren Buße gegenüber der sakramentalen Buße, nämlich den inneren Selbstvon Staupitz (ca. 1468–1524). Spätmittelalterlicher Reformer und »Vater« der Reformation, in: ARG 92 (2001), 6–42; Lothar Graf zu Dohna/Richard Wetzel: Staupitz, theologischer Lehrer Luthers. Neue Quellen – bleibende Erkenntnisse (SMHR 105), Tübingen 2016. 310  Vgl. Johann von Staupitz: Predigt über die Reue zur Fastenzeit 1517, in: Johann von Staupitzens sämmtliche Werke, Bd. 1: Deutsche Schriften, hg. von Joachim Karl Friedrich Knaake, Potsdam 1867, 15–19, hier 16. 311   Zu diesem Unterschied zwischen Staupitz und Luther vgl. Berndt Hamm: Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 18f. 312   »Videte itaque, quam periculosa res sit indulgentiarum praedicatio, quae praecisa gratia docet, scilicet fugere satisfactionem et poenam, ita ut operatio erroris esse timenda sit, quam Apostolus praedixit« (WA 1; 99,20–22). 313   »Qua enim facilitate simul et semel possunt praedicari contritio vera et tam facilis largaque indulgentia, cum vera contritio rigidam exactionem cupiat et illa nimis laxet?« (WA 1; 99,22–24). 314   »An excusabimus, quod de contritione perfectorum ista intelligenda sint, Ac sic non esse necessarium homines ad perfectam ducere? At cur ergo meretrices et Publicani incipiunt ab hac contritione? Imo ad hanc omnes sunt exhortandi« (WA 1; 99,25–28). 315   Zur historischen Einbettung und Interpretation der 95 Thesen vgl. exemplarisch Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 187–197; Ulrich Barth: Die Geburt religiöser Autonomie. Luthers Ablaßthesen von 1517, in: Ders.: Aufgeklärter Protestantismus, Tübingen 2004, 53–95; Thomas Kaufmann: Luthers 95 Thesen in ihrem historischem Zusammenhang, in: Rainer Rausch (Hg.): Gnade – sonst nichts? Protestantische Positionen, Hannover 2014, 55–82.

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hass (odium sui) und die äußerlichen Abtötungen des Fleisches (carnis mortificationes).316 Zu nennen ist ferner die Funktionsbegrenzung des Ablasses, da der Ablass allenfalls von den sakramental verhängten Strafen entlasten könne, nicht aber von den Sünden. In These 4–5 spitzt er diese Grenzziehung zu, indem er sie auf den Papst anwendet und damit dessen Macht relativiert.317 In These 40 weist Luther auf die Gefahr hin, dass der Ablass dazu führe, die Strafen nicht mehr innerlich anzunehmen, sondern sie zu hassen.318 Die Einsicht schließlich, dass es auf der Kanzel nicht möglich sei, zugleich den Ablass und die Wahrhaftigkeit der Reue zu predigen, nimmt Luther in These 39 auf, wo er betont, dass es selbst für den gelehrtesten Theologen nicht möglich sei, diesen inneren Widerspruch aufzulösen.319 Vergleicht man beide Kanzelworte miteinander, so lässt sich die Entwicklung erahnen, die Luther als Prediger gegen den Ablass vollzogen hat. Während er bereits vor dem Auftreten Tetzels ab Januar 1517 die Glaubwürdigkeit des Ablasses in Frage stellte, steigerte sich im Laufe des Jahres seine ablehnende Haltung aufgrund der zur Schau gestellte Kommerzialisierung des Ablasshandels. Durch die Radikalisierung seiner Kritik wechselte jedoch immer mehr die Perspektive von den Missbräuchen der Ablassgeber zu den Auswirkungen auf den Seelenzustand der Ablassempfänger. Insofern nötigte ihn die Kritik zu einer konstruktiven Ausformulierung seines eigenen Bußverständnisses.

5. Luther als reformatorischer Prediger – Die Predigt über die Auferweckung des Lazarus vom 19. März 1518 Nachdem Luther am 31. Oktober 1517 die 95 Ablassthesen als Anhang eines Briefes an Erzbischof Albrecht von Mainz und Brandenburg versandt hatte,320 kam es in den nächsten Monaten zur massenhaften Verbreitung der Thesen durch die Druckereien in Nürnberg, Basel und Leipzig.321 Die Übersetzung ins   »Dominus et magister noster Iesus Christus dicendo ›Penitentiam agite &c.‹ omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit. 2 Quod verbum de penitentia sacramentali (id est confessionis et satisfactionis, que sacerdotum ministerio celebratur) non potest intelligi. 3 Non tamen solam intendit interiorem, immo interior nulla est, nisi foris operetur varias carnis mortificationes. 4 Manet itaque pena, donec manet odium sui (id est penitentia vera intus), scilicet usque ad introitum regni celorum« (Vgl. WA 1; 233,10–17; LDStA 2; 2,7–15). 317   »5 Papa non vult nec potest ullas penas remittere preter eas, quas arbitrio vel suo vel canonum imposuit. 6 Papa non potest remittere ullam culpam nisi declarando et approbando remissam a deo Aut certe remittendo casus reservatos sibi, quibus contemptis culpa prorsus remaneret« (WA 1; 233,18–20; LDStA 2; 16–20). 318   »[40] Contritionis veritas penas querit et amat, Veniarum autem largitas relaxat et odisse facit, saltem occasione.« (WA 1; 235,16f; LDStA 2; 6,26f). 319   »[39] Difficillimum est etiam doctissimis Theologis simul extollere veniarum largitatem et contritionis veritatem coram populo« (WA 1; 235,14f; LDStA 2; 6,24f). 320   »Si t[uae] […] placet, poterit has meas disputationes videre, vt intelligat, quam dubia res sit Indulgentiarum opinio, quam illi vt certissimam seminant« (WA B 1; Nr. 48, 112,66–68). 321  Vgl. Thomas Kaufmann: Die Mitte der Reformation. Eine Studie zu Buchdruck und 316

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Deutsche durch Kaspar Nützel in Nürnberg, die bis 1520 zweiundzwanzigmal aufgelegt wurde, erweiterte den Leserkreis zunehmend.322 In seiner Schrift »Wider Hans Worst« erinnert sich Luther, die Thesen »liefen […] durch ganz Deutschland«323. Diese Wirkung hatte er so nicht vorausgesehen.324 In einem Brief vom 5. März 1518 berichtet er, dass er nicht die Absicht hatte, die Thesen zu veröffentlichen. Vielmehr wollte er sie in einem kleinen Kreis aus seinem Umfeld zur Diskussion stellen. Doch nun würden sie weit über seine Erwartung gedruckt, sodass ihn dieses Erzeugnis sogar reue. Ihm sei zwar daran gelegen, dass die Wahrheit unters Volk komme, dieses hätte er auch im Sinn gehabt, jedoch sei das Verfahren nicht geeignet, um das Volk zu unterrichten.325 Aus den Monaten von der Versendung der 95 Thesen am 31. Oktober 1517 bis zum Beginn der Leipziger Disputation am 27. Juni 1518 sind nur wenige Predigten überliefert, obwohl Luther in dieser Zeit, wenn er nicht auf Reisen war, auch gepredigt hat. Die Weimarer Ausgabe zählt elf Überlieferungen, von denen vier genau datiert werden können.326 Zwei Fastenpredigten wurden 1702 von Gottfried Zeidler in Halle herausgegeben.327 Sie enthalten die Predigt vom 17. März 1518 über die Heilung des Blindgeborenen (Joh. 9, 1–41) und die vom 19. März 1518 über die Aufererweckung des Lazarus (Joh. 11, 1–45).328 Außerdem existieren zwei lateinische Mitschriften, vom Karfreitag, dem 2. April 1518, über die Passion (Jes. 53, 2) und eine Themenpredigt über die Ehe vom 16. Januar 1519.329

Publizistik im deutschen Sprachgebiet, zu ihren Akteuren und deren Strategien, Inszenierungs- und Ausdrucksformen (BHT 187), Tübingen 2019, 36f, Anm. 72 sowie 462–486. 322  Vgl. Johannes Luther: Vorbereitung und Verbreitung von Martin Luthers 95 Thesen, Berlin 1933, 38f; Heinrich Grimm: Luthers »Ablaßthesen « und die Gegenthesen von TetzelWimpina in der Sicht der Druck- und Buchgeschichte, in: GutJB 43 (1968), 139–150. 323   WA 51; 540,26f. 324  Vgl. Bernd Moeller: Das Berühmtwerden Luthers, in: Ders.: Luther-Rezeption. Kirchenhistorische Aufsätze zur Reformationsgeschichte, hg. von Johannes Schilling, Göttingen 2001, 15–41; hier 19. 325   »Primum, quod miraris, cur non ad vos eas [die 95 Thesen] miserim, respondeo, quod non fuit consilium neque votum eas evulgari, sed cum paucis apud et circum nos habitantibus primum super ipsis conferri, ut sic multorum iudicio vel damnatae abolerentur vel probatae ederentur. At nunc longe ultra spem toties excuduntur et transferuntur, ut me poeniteat huius foeturae, non quod veritatem non faveam cognitam fieri vulgo, imo id unice quaerebam, sed quod ille modus non est idoneus, quo vulgus erudiatur« (WA B. 1, Nr. 62, 152,6–10). 326  Vgl. Kurt Aland: Hilfsbuch zum Lutherstudium, Bielefeld 41996, 208. Vgl. die Angaben bei Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 140–144. Neben den vier einzeln gedruckt überlieferten Predigten gibt er folgende Angaben für diesen Zeitraum an: WA 1; 37–43 (WA 4; 659–666) (27. Dezemer 1517/18); WA 4; 608,17–609,30 (1519/20); WA 4; 610,38–611,16 (?); WA 4; 611,17–612,17 (?); 612,18–21–613,5 (1518–1520); WA 4; 655–659 (1518?). 327   Vgl. WA 1; 266. 328   Vgl. WA 1; 267–273 und WA 1; 273–278. 329   Vgl. WA 1; 336–340 und WA 1; 340–346.

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Im Folgenden soll auf die Wittenberger Predigt über die Auferweckung des Lazarus vom 19. März 1518 eingegangen werden. Sie spiegelt in exemplarischer Weise das reformatorische Profil in dieser frühen Phase wider.330 Luther befindet sich in dieser Zeit in der Vorbereitung auf die Heidelberger Disputation im April und denkt über den Rat nach, aufgrund möglicher Gefahren nicht dorthin zu fahren.331 Ihn beschäftigte zudem, dass Studenten die Gegenthesen von Tetzel verbrannt haben und ihm nun vorgeworfen werden könnte, er sei in diese Aktion verstrickt gewesen.332 Die Predigt gliedert sich nach inhaltlichen Themen in eine Einleitung, vier Hauptteile und einen zusammenfassenden Schluss.333 In der Einleitung, bei der er seine Gemeinde als »Liebe Freunde Christi« anspricht, verweist Luther auf den Grund, warum er vorher die Geschichte über die Auferweckung des Lazarus nacherzählt hat.334 Er will damit die Kernbotschaft Christi, die in allen Evangelien und Schriften der Apostel und Propheten zu finden sei, den Menschen nahebringen. Sie bestehe darin, im Herzen fest und zuversichtlich auf Christus zu vertrauen.335 Damit hat er zugleich das Thema der gesamten Predigt benannt. Im ersten Hauptteil greift Luther auf die Auslegung durch Augustin zurück, die dieser in seinen Traktaten über das Johannes-Evangelium entfaltet hat.336 Der Kirchenvater bemerkt darin, dass im Neuen Testament von drei Auferweckungen durch Christus berichtet werde: die der Tochter des Synagogenvorstehers (Mk. 5, 41f; Mt. 11, 18f), des Sohns einer Witwe (Lk. 7, 14f) und die von 330   Zu Luthers Auslegung der Lazarus-Geschichte vgl. Jakob Kremer: Lazarus. Die Geschichte einer Auferstehung. Text, Wirkungsgeschichte und Botschaft von Joh. 11, 1–46, Stuttgart 1985, 166–182; Gerhard Müller: Die Auferweckung des Lazarus in der Auslegung Martin Luthers und Rudolf Bultmann, in: Roland Gebauer/Otto Merk (Hg.): Die bleibende Gegenwart des Evangeliums, FS für Otto Merk (MThSt 76), Marburg 2003, 263– 279; Michael Theobald: Trauer um Lazarus. Womit die Juden Martha und Maria zu trösten trachten (Joh. 11, 19), in: Ders.: Studien zu Corpus Iohanneum (WUNT 267), Tübingen 2010, 429–442, hier 431. 331   Im Brief an Johann Lang vom 21. März 1518 beschreibt Luther seine gegenwärtige Situation. Tetzels Ablassprediger würden gegen ihn donnern und dazu aufrufen, ihn zu verbrennen. Deshalb wurde ihm geraten, nicht nach Heidelberg zu reisen, damit ihm die von den Ablasspredigern aufgestachelte Menge nichts antue. Vgl. WA B 1; 154,11–155,18. 332   Vgl. WA B 1; 155, 24–38. In einem Nachsatz am Schluss der Predigt erfolgt hierzu die Bemerkung, dass es Luther verdrießlich war, dass die Studenten auf dem Marktplatz Tetzels Thesen verbrannt haben: »Moleste tulit, quod positiones Tetzelinas in foro publico conbusserunt studentes &c.« (WA 1; 277,19). 333   Über die gesamte Lazarus-Perikope existieren ansonsten nur noch zwei Predigten aus späterer Zeit vom 29. März 1539 (WA 47; 712–715) und vom 14. März 1540 (WA 49; 50–54). 334   Vgl. WA 1; 273,8–13. 335   »Lieben Freunde Christi. Die Historien dieses Evangelii hab ich euch erzelet, das ir in ewer hertz bildet und wol behalten solt, wie Christus unser Gott in allen Evangelien durch und durch, auch in aller geschrifft der Aposteln und Propheten nichts anders von uns begeret, denn das wir ein sicher und trutzig hertz und zuversicht zu im haben« (WA 1; 273,8–13). 336   Vgl. WA 1; 273,14–274,18.

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Lazarus (Joh. 11, 41–44).337 Vor dem Hintergrund der augustinischen Gedanken beginnt Luther, die drei Auferweckungswunder miteinander zu vergleichen. Bei der gerade gestorbenen Tochter sei die Auferweckung im privaten Umfeld nur unter den Augen der Eltern erfolgt. Beim Sohn der Witwe sei die Leiche vor das Haus getragen geworden. Bei Lazarus schließlich habe die Leiche bereits drei Tage im Grab gelegen und die Auferweckung sei vor aller Augen nahe Jerusalem geschehen.338 Wiederum im Rekurs auf Augustin symbolisieren nach Luther die Auferweckten drei Arten der Sünde. Damit spielt Luther auf Augustins Lehre von den drei Sündenstufen an: die Verführung zur Sünde (suggestio), das Gefallen an der Sünde (delectatio) und die Zustimmung zur Sünde (consensus).339 Die tote Tochter stehe für die Menschen, die der Seele nach gesündigt haben. Gott schicke diesen eine heimliche Unterweisung, wodurch sie wieder leicht gesunden können. Der tote Sohn kennzeichne den Sünder, der an seinen Werken gestorben sei. Der Mensch werde durch diese Werke aufgrund ihrer Last ganz nach unten gezogen, sodass er sich nicht mehr bewegen könne, gleichsam wie der Sarg, indem der tote Sohn bereits gelegen habe. Lazarus schließlich stelle den Menschen dar, dessen Sünde in Gewohnheit übergegangen sei. Wie beim verwesenden Lazarus habe sich die Natur des Sünders zu verwandeln begonnen.340 Seine Leichentücher stünden für die Verhärtung der Sünde.341 Insofern habe Christus bei allen drei Toten unterschiedliche Mühen zur Auferweckung aufwenden müssen. Die Tochter habe er nur an die Hand nehmen müssen, um sie lebendig zu machen. Beim Sohn habe er den Sarg berühren und explizit den Befehl zum Erwachen erteilen müssen. Und bei Lazarus sei ein Gebet und sein Ruf mit lauter Stimme aus dem Grab nötig gewesen.342 Mit die337   »[S]i ergo dominus magna sua gratia, et magna sua misericordia animas suscitat, ne moriamur in aeternum, bene intellegimus tres illos mortuos quos in corporibus suscitauit, aliquid significare et figurare de resurrectionibus animarum quae fiunt per fidem: resuscitauit filiam archisynagogi adhuc in domo iacentem; resuscitauit iuuenem filium uiduae extra portas ciuitatis elatum; resuscitauit lazarum sepultum quatriduanum« (Augustin: In Iohannis euangelium tractatus, tract. 49, cap. 3 [CCSL 36, 420f]). 338   »Augustinus schreibet: Man findet in der geschrifft drey todten, die Christus dem Leben wider geben hat. Erstlich ein Jungfraw von 12 jaren, allein im Hause, verschlossner thor, und allein in beywesen der Eltern derselben verstorbenen Jungfrawen und seiner heimlichen Juenger. Zum andern den einigen Son der Widwe, der zur Pforten ausgetragen ward, in gegenwertigkeit alles Volcks. Zum dritten ist Lazarus, davon uns dis Evangelium sagt, nicht erweckt von Christo im Hause heimlich oder in der Pforten, sondern der 4 tage im grab gelegen was, und in versamlung viler Jueden und nahe bey Jerusalem &c.« (WA 1; 273,14–22). 339   Zur Sündenstufenlehre und ihrer mittelalterlichen Rezeption vgl. Friedrich Ohly: Metaphern für die Sündenstufen und die Gegenwirkungen der Gnade, Opladen 1990, 1–90. 340   Vgl. WA 1; 273, 23–274,9. 341   Vgl. WA 1; 274,17f. 342   »Das zeigt an das Meidlin, das Christus nur bey der hand nam, und ward lebendig alsbald. Der Juengling aber gesass auch, aber nicht als leicht als das Jungfrewlin, denn Lucas schreibt, das Christus erstlich hat den Sarg angerueret, und darnach, Ich sage oder gebiete dir,

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ser symbolischen Deutung der drei Auferweckten als Sünder steht Luther noch ganz in der mittelalterlicher Auslegungstradition. In der Lazarus-Predigt aus dem Jahr 1539 hingegen interpretiert er Lazarus nicht mehr als Sünder, sondern konzentriert sich ganz auf die Zuwendung Christi zu den Schwestern und seinem Freund Lazarus, was Friedrich Ohly als Bruch »mit der über tausendjährigen Tradition« deutet.343 Der zweite Hauptteil beginnt mit der Frage, warum in der Perikope davon gesprochen wird, dass Christus Lazarus lieb gehabt habe (Joh. 11, 3. 36), wenn er doch die schlimmste Form der Sünde symbolisiere? 344 Luther belegt diese Sichtweise mit Ps. 45, 8, wonach Gott die Gerechtigkeit liebe, aber die Bosheit hasse, und mit Ps. 5, 5, wonach Gott die Sünder verschmähe. Interessant an dieser Stelle ist, dass Luther hier eine Position referiert, die einen ethischen Rigorismus lehrt, den er selbst einmal vertreten hat. Ein solcher Rigorismus versteht Gott als rein strafende Instanz und Christus als denjenigen, der den Sünder nicht liebe.345 Es folgt jedoch sogleich die Korrektur dieser Sichtweise. Luther antwortet mit der Erkenntnis, dass nach Mt. 9, 13 Christus nicht um der Gerechten willen gekommen sei, sondern um die Ungerechten gerecht zu machen.346 Das Anliegen Christus sei es, die Bösen zur Buße zu führen, was als Anspielung auf den Anfang der 95 Thesen gedeutet werden kann, wonach dem Bußruf Jesu zufolge (Mt. 4, 17) das ganze Leben eine Buße sei.347 Diese Gedanken lassen das Profil eines reformatorischen Gnadenverständnisses erahnen. Gott liebe zwar nicht die Sünde, aber immer noch den Sünder.348 Was diese Erkenntnis bedeutet, vertieft Luther noch einmal, indem er die Gefühlslage des sündigen Menschen beschreibt. Aus der Betrachtung der Liebe

O Juengling, stehe auff, das muste mit einem gebot geschehen. Aber in diesem geschicht hat Christus auffgesehen gen Himel und gesagt: Vater, ich dancke dir, das du mich erhoeret hast, und schrey mit lauter stimme: Lazare, Lazare, kom erfuer &c.« (WA 1; 274,9–16). 343   Friedrich Ohly: Metaphern für die Sündenstufen und die Gegenwirkungen der Gnade, Opladen 1990, 74. 344   Vgl. WA 1; 274,19–275,37. 345   »Ein frag: Dieweil dem also, das die Suende durch Lazarum und die andern todten verstanden werden, wie wil das Evangelium bestehen, so der Evangelist sagt aus der rede Marthe: Herr, den du liebest, ist kranck, Und: Er hat in seer geliebet, Dieweil Christus den Suender nicht liebet, sondern die Warheit, als die Schrifft sagt: Du hast geliebet Gerechtigkeit und gehasset die bosheit, Item: In meinem Angesicht ist verschmehet der Suender &c.« (WA 1; 19–24). 346   »Antwort: Lieber Mensch, des Spruchs, Ich bin nicht komen umb der rechten willen, sondern das ich gerecht mache, was ungerecht ist und suendlich, und die boesen zu der busse fuere« (WA 1; 274,25–27). 347   »Dominus et magister noster Iesus Christus dicendo ›Penitentiam agite &c.‹ omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit« (WA 1; 233,10f; LDStA 2; 2,7f. 348   »Alles menschlich geschlecht was wirdig des hasses. Noch [im Sinne von dennoch] hat uns Christus geliebet« (WA 1; 274,28f).

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Christi erwachse im Sünder Zuversicht und Hoffnung.349 Denn ohne eine solche Hoffnung erhalte man ein »elendes, blödes und verzagtes Gewissen«.350 Wo das Gewissen nicht auf Gott hoffe und auf ihn vertraue, da erschrecke es und erzittere vor der Reinheit und der strafenden Gerechtigkeit Gottes.351 Erst durch Christus eröffne sich ein neuer Weg. Dies schmecke der frommen Seele wohl und führe zum Gloria, zum Lob und zur Preisung Gottes.352 Denn der Vater ergieße sich mit Christus in seiner Gnade, was dazu diene, auf Christus frei zu hoffen und unerschrocken auf ihn zu vertrauen.353 Eine solche Introspektion, in der Luther die Gefühlslage des Sünders und den Empfang der Gnade entfaltet, kann als der psychologische Prozess gedeutet werden, den Luther im Rechtfertigungsgeschehen vor Augen hat.354 Im dritten Hauptteil erläutert Luther die Konsequenzen, die eine solche neue Sichtweise beinhaltet.355 Es geht ihm dabei um ein neues Verständnis der Werke. Er fordert sein Publikum direkt dazu auf, die frommen Werke fahren zu lassen, wie Gebet, Gesänge und Geklappere im Sinne von Klimpern mit Geldmünzen.356 Es sei unmöglich, dass damit das Herz vor Gott gereinigt werden könne. Und wenn man sich erdreiste, solche Werke vor Gott auszubreiten, so solle sich der Teufel daran den Arsch daran abwischen.357 Deutlicher kann man sich von vermeintlich frommen Werken kaum abwenden. Im letzten Hauptteil358 wendet Luther seine Kritik an den frommen Werken konkret auf die Heiligenverehrung an.359 Er fordert dazu auf, die Predigten über 349   »So wir aber wissen, das Christus vom Himel gestiegen ist, geliebet hat die Suender aus gehorsam des Vaters, betrachtet das, erwechset ein kecklich [zuversichtliches] zu tretten [Auftreten] und festes verhoffen zu Christo« (WA 1; 274,39–41). 350   WA 1; 275,7. 351   »[…] wo das gewissen nicht in Gott hoffet und trawet, so erschrickt es und erzittert fuer der Reinigkeit, gerechtigkeit Gottes, kan keine suesse zuversicht haben, fleucht und kan doch niendert hin kommen, bis das es Christum erwischet, die rechte Pforte und Ancker« (WA 1; 275,10–13). 352   »Das schmeckt der fromen Seelen hertzlich wol, und gibt dem Vater durch den Son Christum Jhesum alle gloria, lob und preisung« (WA 1; 275,17–19). 353   »Denn der Vater ergeusst sich mit Christo in seiner gnaden. Und dis alles dienet dazu, das wir in Christum frey hoffen, unerschrocken in in trawen« (WA 1; 275,35–37). 354  Vgl. Thorsten Dietz: Der Begriff der Furcht bei Luther, Tübingen 2009, 174–251. 355   Vgl. 275,38–276,29. 356   »Lasset faren werck, wie gros sie sind, Gebet, Gesenge, geplerre, gekleppere. Denn es wird sicherlich keiner durch diese alle zu Gott komen. Es ist auch unmueglich« (WA 1; 275,38–40). 357   »Wenn wir aber unser werck erfuer ziehen, so sol der Teufel den Ars dran wischen« (WA 1; 276,4f). 358   Vgl. WA 1; 276,30–277,3. 359   Zur Kritik Luthers an der Heiligenverehrung vgl. exemplarisch Lennart Pinomaa: Luthers Weg zur Verwerfung des Heiligendienstes, in: LuJ 29 (1962), 33–43; Ders.: Die Heiligen bei Luther (SLAG 16), Helsinki 1977; Peter Mann: Luther und die Heiligen, in: Remigius Bäumer (Hg.): Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit, FS Erwin Iserloh, Paderborn u. a. 1980, 535–580; Jörg

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die Heiligen zu mäßigen.360 Denn auch sie wären Menschen gewesen, die gestrauchelt seien. Bildlich vergleicht er die Heiligen mit harten Knollen, die aufgrund ihrer Fehlbildungen ebenfalls abgeschabt und geputzt werden müssten.361 Luther sieht es als problematisch an, dass die Heiligen nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden. Vielmehr habe man sie so sehr von allen menschlichen Schwächen abgesondert, das man ihnen aufgrund der eigenen Fehlbarkeit nicht mehr nachfolgen könne.362 Doch selbst Petrus, der Christus als Sohn des lebendigen Gottes bekannte (Mt. 16, 16), sei voller Fehler gewesen und nach seinem Bekenntnis als Satan beschimpft worden (Mt. 16, 23).363 Mit den Heiligen verhalte es sich wie mit allen Menschen: »Ein jeglicher ist aus sich selber ein Teufel, aber aus Christo heilig«.364 Die Formulierung erinnert an Luthers Formel, die er in der Römerbriefvorlesung 1515/16 geprägt hat, um die anthropologische Seite der Rechtfertigung des Menschen vor Gott zum Ausdruck zu bringen. Gemeint ist seine Bezeichnung des Menschen als Sünder und Gerechter zugleich (simul iustus et peccator).365 Zum Schluss knüpft Luther an die in der Einleitung hervorgehobene Kernbotschaft des Evangeliums an, ein festes und zuversichtliches Herz zu haben.366 Zusammenfassend resümiert er, Christus gäbe nichts auf menschliche Verdienste.367 Vielmehr solle aus dem Evangelium gelernt werden, wie Christus den Menschen liebe, obwohl er zu Recht über sie erzürnt sei. Doch durch die Liebe Christi solle der Mensch befähigt werden, seinen Nächsten zu lieben.368 Diese Absage an menschliche Verdienste erinnert an Luthers Kritik am mittelalterli-

Haustein: Luthers frühe Kritik an der Heiligenverehrung und ihre Bedeutung für das ökumenische Gespräch, in: ThLZ 124 (1999), 1197–1204. 360   »Hierumb wolt ich, das man die Predigten von den Heiligen messigte« (WA 1; 276,30). 361   »Denn es wird nicht gefeilet haben, sie werden grosse knollen gestraucht und geschrapt haben« (WA 1; 276,32f). Vgl. ferner Renate Bebermeyer/Gustav Bebermeyer (Hg.): Wörterbuch zu Martin Luthers Deutschen Schriften, Hildesheim u. a. 2014, 1835. 362   »So haben wir sie so hoch gleich abgesondert von uns, das wir auch verzagen muessen inen nachzufolgen« (WA 1; 276,34f). 363   Vgl. WA 1; 276,35–40. 364   Vgl. WA 1; 277,1. 365   »Nunquid ergo perfecte Iustus? Non, Sed simul peccator et Iustus; peccator re vera, Sed Iustus ex reputatione et promissione Dei certa, quod liberet ab illo, donec perfecte sanet« (WA 56; 272, 16–19). Vgl. auch WA 56; 347,2–14; WA 57; 165,12. Vgl. ferner in der Galatervorlesung von 1531, WA 40 I; 368,28, und in der dritten Antinomerdisputation von 1538, WA 39 I; 523,1–9. Zur theologischen Bedeutung vgl. Karl-Heinz zur Mühlen: Simul iustus et peccator in der Theologie Martin Luthers, in: Ders.: Reformatorische Prägungen. Studien zur Theologie Martin Luthers und zur Reformationszeit, hg. von Athina Lexutt u. Volkmar Ortmann, Göttingen 2011, 145–163. 366   Vgl. WA 1; 277,4–18. 367   »Dis Evangelium drucket nichts aus denn Christi suessigkeit aus dem gehorsam des Vaters, und das er nichts gibt aus verdienst« (WA 1; 277,4f). 368   »Daraus sollen wir lernen, wie uns Christus liebet, so er von rechte wol moecht zuernen, das wir unser Brueder auch also lieben« (WA 1; 277,14–16).

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chen Verdienstbegriff (meritum).369 Und die Aussage, dank Christi Liebe Nächstenliebe üben zu können, ist in gewisser Weise eine Umschreibung seiner Gedanken über die Früchte der Glaubens (fructus fidei).370 Rückblickend weist die Lazarus-Predigt des Jahres 1518 in exemplarischer Weise ein reformatorisches Profil auf. Luther hat sein zentrales Thema gefunden, das er in den nächsten Jahren immer wieder – freilich in verschiedenen Situationen, in unterschiedlichen theologischen Kontexten und in Verknüpfung mit anderen Bibeltexten – entfalten wird. Es geht um das falsche Frömmigkeitsstreben, durch fromme Werke Heil bei Gott erlangen zu wollen, die Anfechtung, vor Gott als Sünder nicht bestehen zu können, die Erfahrung des Evangeliums, trotz allem von Gott gerechtfertigt zu werden und die daraus entspringenden Früchte des Glaubens. Um es mit den Worten Paul Tillichs auf den Punkt zu bringen: Es geht um das »Annehmen, das man angenommen ist« (accepting acceptance).371 Von diesem Punkt aus entfaltet er die weiteren theologischen Topoi wie die Lehre von der Offenbarung Gottes in der Antinomie von Gesetz und Evangelium, die Schrifthermeneutik, die Christologie, die Ekklesiologie und die Lehre von der Prädestination.

Resümee In den Tischreden äußerte sich Luther einmal über die mittelalterliche Predigtpraxis vor seiner Zeit. Seinem Eindruck zufolge sei sie ungereimt, man habe sich ihrer zu schämen, sie sei »weibisch« und nehme den Namen Jesus Christus nirgendwo in den Mund. Auch die Propheten und Apostel seien fast niemals zitiert worden. Vielmehr habe man lieber ein Thema von Duns Scotus aufgegriffen oder den heidnischen Meister Aristoteles rezipiert, das Thema distinguiert, um dann schließlich zu theologischen Distinktionen und Quaestionen zu gelangen. Solche Predigten seien – so Luther – noch die besten gewesen. Jedoch würden sie nicht beim Evangelium verweilen und meinten auch gar nicht, beim Evangelium bleiben zu müssen. Seiner Auffassung nach sei die heilige Schrift vor seiner Zeit noch zugedeckt und unbekannt gewesen.372   Vgl. hierzu exemplarisch Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben, Tübingen 2014, 217f. 370  Vgl. Gerhard Ebeling: Lutherstudien, Bd. 2, Teil 3, Tübingen 1989, 592–598. 371  Vgl. Paul Tillich: Offenbarung und Glaube. Schriften zur Theologie, Bd. 2 (Gesammelte Werke 8), Stuttgart 1970, 233. Zur Formel Tillichs vgl. Christiane Tietz: Freiheit zu sich selbst. Entfaltung eines christlichen Begriffs von Selbstannahme, Göttingen 2005, 16–26. 372   »Nomen Ihesu Christi absurdum erat et verecundum olim in contionibus nominare et quasi muliebre. Prophetarum et apostolorum nomina nunquam citabantur. 1. thema proponebant ex Scoto et Aristotele, der heydnischer meyster; 2. thema item illud distinguebant; 3. kam mhan in die distinctiones et quaestiones, vnd die selben waren die besten. In statu euangelii non perdurarunt nec unum locum scripturae tractandum putabant. Sacra scriptura plane erat tecta et ignota« (WA T 3; Nr. 3580b, 429,10–17). Vgl. ferner Eduard Albert Wilhelm 369

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Mit diesem abgrenzenden Urteil spiegelt Luther in gewissem Sinn seine eigene Entwicklung als Prediger wider. Durch die Analyse seiner Predigten von 1510/11 bis 1518 konnte eine solche Entwicklung konturenhaft nachgezeichnet werden. Sie lässt sich in fünf Phasen beschreiben. Die erste Phase betrifft seine Ausbildung als Prediger während seines Theologiestudiums in Erfurt 1508 bis 1511. Vor dem Hintergrund seines bereits absolvierten Philosophiestudiums unternimmt Luther seine ersten Schritte als Prediger, indem er entweder in Form einer Themenpredigt oder einer homilienartigen Bibelauslegung begrifflich scharfe Dispositionen entfaltet. Dabei weist er eine erstaunliche Kenntnis der scholastischen und mystischen Traditionen auf. Sein Eifer in der Begriffs- und Distinktionskunst erzeugt allerdings auch den Eindruck, dass Luther es zuweilen übertreibt. Auffällig ist sein ethischer Rigorismus, der gepaart mit der Vorstellung einer Heilsrelevanz frommer Werke noch einen vorreformatorischen Denk- und Glaubenshorizont zum Ausdruck bringt. Die zweite Phase beginnt mit seiner Predigttätigkeit in Wittenberg ab Oktober 1512. Sie bezieht sich zunächst auf die Predigten im Augustinerkloster, weitet sich dann aber schnell aus auf seine Aufgaben als Stadtkirchen-, Schlosskirchen- und Hausprediger. Zu dieser Zeit befindet sich Luther in gewissem Sinn auf dem Höhepunkt seiner spekulativ-philosophischen Kraft. Seine Orientierung bezieht sich weiterhin auf die scholastischen und mystischen Traditionen, doch nun geht er viel freier und kreativer damit um bis hin zum Anspruch ihrer Überbietung. Die dritte Phase umfasst den neuen Aufgabenbereich als Vorgesetzter seiner Augustinerbrüder ab 1515. Mit starkem Selbstbewusstsein betritt er die Kanzel, wobei ganz neue Seiten Luthers zum Vorschein kommen. Als Moralerzieher geht Luther in experimentierfreudiger Weise an die Grenzen seiner Predigtpraxis, indem er mit den Affekten, etwa Abscheu und Ekel, seiner Zuhörerschaft spielt. Seine Sprache ist hier angriffslustig, derb und ohne Schminke. In der Themenpredigt »Das Laster der Verleumdung« weist er nach, dass jeder Mensch dem Laster verfallen ist. Ernsthaft solle jeder Mensch sein Gewissen befragen und erkennen, dass er Sünder sei. Als Ausweg formuliert er: »So stirb also und, lebendig gemacht im Geist, […] wirst du gerechtfertigt vor Gott«. In dieser Aussage zeigt sich bereits Luthers Rechtfertigungsglauben. Die vierte Phase beginnt mit der Kampagne der Ablassprediger ab Januar 1517. Bereits vorher übte er Kritik am Ablasshandel und der spätmittelalterlichen Frömmigkeit. Doch nun greift er als Prediger in der Schlosskirche und Stadtkirche den Ablasshandel und den Reliquienkult direkt an. Zunächst bewegt sich seine Stellungnahme noch im Bereich harter Polemik. Doch daneben Jonas: Die Kanzelberedsamkeit Luther’s nach ihrer Genesis, ihrem Charakter, Inhalt und ihrer Form, Berlin 1852, VIII.

Ein Sermon als Summe der Leipziger Disputation

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setzt er sich immer stärker in Form einer Introspektion mit dem Gefühlsleben eines Gläubigen auseinander. Seine Kritik wandelt sich hin zur Konstruktion eines eigenen Bußverständnisses. Die letzte Phase ist auf das Jahr 1518 zu datieren und kann als Zäsur gedeutet werden. Luther hat nun seine persönliche Kernbotschaft gefunden. Sie wird Mitte und Zentrum seiner Predigttätigkeit in den nachfolgenden Jahren. Es geht ihm um das Verständnis der Rechtfertigung des Menschen vor Gott, das sich für ihn im Koordinatenkreuz der christologisch geprägten Offenbarung Gottes als Gesetz und Evangelium bewegt. Damit ist seine Entwicklung als Prediger jedoch noch längst nicht beendet, sondern steht vielmehr an einem neuen Anfang, bei dem es darum geht, diese Kernbotschaft auf alle theologischen Themen, aktuellen Herausforderungen und biblischen Predigttexte anzuwenden.

Erstes Kapitel

Ein Sermon als Summe der Leipziger Disputation Luthers Streitpredigt gegen Eck im Jahr 1519 auf der Pleißenburg

Einleitung Die Leipziger Disputation im Sommer 1519 gehört zweifellos zu den bedeutendsten Ereignissen der frühen Reformationsgeschichte. Man könnte gar von einem Ereignis mit »welthistorischer Bedeutung« sprechen.1 Denn das Streitgespräch auf der Pleißenburg führte aus theologischer Sicht zum »point of no return«2 und zur »Scheidung der Geister«3 zwischen der altgläubigen Partei und den reformatorischen Protagonisten aus Wittenberg. Luther vollzog auf dieser Station einen wichtigen Klärungsprozess zur Herausbildung seiner reformatorischen Theologie. Im Zuge des Wortgefechts wurde ihm immer deutlicher, dass hinter dem von ihm entfachten Streit über den Ablasshandel ein ekklesiologischer Grundkonflikt schwelte, dessen Glut der Zweifel an der göttlichen Legitimierung des römischen Papstes und dessen Primatsanspruch bildete. Trotz der anerkannten Bedeutung der Leipziger Disputation ist dennoch »die Forschungslage nach wie vor unzureichend«.4 In der neueren Forschung beschäftigte sich zuerst 1843 Johann Karl Seidemann mit dem Thema, der als Pfarrer in Eschdorf in der Nähe von Dresden die Möglichkeit besaß, die Quellen des königlichen Hauptstaatsarchivs intensiv zu nutzen.5 Nach wenigen ergänzen1   Kurt-Victor Selge: Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519, in: ZKG 86 (1975), 26–40, hier 26. 28. 2   Konrad Amann: Die Leipziger Disputation von 1519 und die Reformation, in: Ders. (Hg.): Bayern und Europa, FS für Peter Claus Hartmann, Frankfurt am Main u. a. 2005, 57– 73, hier 60. 3   Armin Kohnle: Die Leipziger Disputation und ihre Bedeutung für die Reformation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 25–46, hier 46. 4   Markus Hein: Die Leipziger Disputation in der Forschung, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 47–60, hier 60. Anselm Schubert fällt das Urteil, dass trotz »ihrer ikonischen Bedeutung für das evangelische Selbst- und Geschichtsverständnis […] die Leipziger Disputation gleichzeitig zu den am wenigsten erforschten Episoden im Leben Martin Luthers« gehöre (Ders.: Libertas Disputandi. Luther und die Leipziger Disputation, in: ZThK 105 (2008), 411–442, hier 441). 5  Vgl. Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843. Zur Bedeutung von Karl Seidemann als »Begründer der modernen Lutherforschung« Vgl. Georg Müller: Art. ›Seidemann, Johann Karl‹, in: ADB (1891), 627–630, hier 627. Vgl. ferner den Nekrolog von Franz Schnorr von Carolsfeld: Zur Erinnerung an Johann Karl Seidemann., in: NASG 1 (1880), 94–106.

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den Beiträgen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts6 begann eine neue Phase der Forschung infolge der kritischen Edition der Disputationsakten im Jahr 1903 durch Otto Seitz.7 Sie bildet die Grundlage für den in der Weimarer Ausgabe im Band 59 neu edierten Text. 8 Erst in den späten 70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgte eine genauere Rekonstruktion des historischen Hintergrunds durch die grundlegenden Studien von Joseph Lortz9, Kurt-Victor Selge10 und Leif Grane.11 Zu den neueren Veröffentlichungen zählen die Aufsätze von Ernst Kähler12 , Martin Kruse13 und Anselm Schubert14 sowie der sich intensiv der Konzilsfrage widmende Beitrag von Christopher Spehr.15 Im Jahr 2009 wurde von Armin Kohn6   Zu nennen ist die Studie von Seitz’ Schüler Felix Richard Albert: Aus welchem Grunde disputierte Johann Eck gegen Martin Luther in Leipzig 1519, in: ZHTh 43 (1873), 382–441, die sich kritisch auseinandersetzt mit der Biografie Ecks von Theodor Wiedemann: Dr. Johann Eck. Professor der Theologie an der Universität Ingolstadt, Regensburg 1865. Außerdem die ergänzenden Beiträge von Otto Clemen: Literarische Nachspiele zur Leipziger Disputation, in: BSKG 12 (1897), 56–83. Vgl. ferner Ders.: Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation, in: NASG 51 (1930), 44–57. Vgl. außerdem Theodor Brieger: Über die handschriftlichen Protokolle der Leipziger Disputation, in: Albrecht Otto (Hg.): Beiträge zur Reformationsgeschichte, D. Köstlin zum 70. Geburtstag, Gotha 1896, 37–48; Felician Gess: Leipzig und Wittenberg. Ein Beitrag zur sächsischen Reformationsgeschichte, in: NASG 16 (1895), 43–93; William Herman Theodore Dau: The Leipzig Debate in 1519. Leaves from the Story of Luther’s Life, St. Louis 1919. 7  Vgl. Otto Seitz (Hg.): Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519) aus bisher unbenutzten Quellen, Berlin 1903. 8   Vgl. WA 59; 427. 433–605. Die ältere auf Valentin Ernst Löscher und Johann Georg Walch basierende Edition ist abgedruckt in WA 2; 250. 254–383. Vgl. ferner Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta, Bd. 3, Leipzig 1729, 214–504. 508–558; W2 15; 802– 1379. 9  Vgl. Joseph Lortz: Die Leipziger Disputation (1919), in: Ders.: Erneuerung und Einheit. Aufsätze zur Theologie- und Kirchengeschichte (VIEG 126), Stuttgart 1987, 371–396. 10  Vgl. Kurt-Victor Selge: Normen der Christenheit im Streit um Ablaß und Kirchenautorität 1518 bis 1521, Habil. Heidelberg 1968; Ders.: Der Weg der Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519, in: Bernd Moeller/Gerhard Ruhbach (Hg.): Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte, FS für Hans von Campenhausen, Tübingen 1973, 169–210; Ders.: Das Autoritätengefüge der westlichen Christenheit im Lutherkonflikt 1517–1521, in: HZ 23 (1976), 91–617. 11  Vgl. Leif Grane: Martinus noster. Luther in the German Reform movement 1518–1521 (VIEG 155), Göttingen 1994, 81–113; Ders.: Gregor von Rimini und Luthers Leipziger Disputation, in: Ders.: Reformationsstudien. Beiträge zur Luther und zur dänischen Reformation (VIEG 49), Mainz 1999, 37–56. 12  Vgl. Ernst Kähler: Beobachtungen zum Problem von Schrift und Tradition in der Leipziger Disputation von 1519, in: Helmut Gollwitzer (Hg.): Hören und Handeln, München 1962, 214–242. 13  Vgl. Jens-Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522 (VIEG 187), Mainz 2002, 191–219. 14  Vgl. Anselm Schubert: Libertas Disputandi. Luther und die Leipziger Disputation, in: ZThK 105 (2008), 411–442. 15  Vgl. Christopher Spehr: Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit (BHT 136), Tübingen 2010, 138–163. 164–179.

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le und Markus Hein ein Aufsatzband herausgebracht, der zum 500. Jubiläums der Leipziger Disputation 2019 in erweiterter Form erschien und die neueren Forschungsergebnisse bündelt.16 Im Vordergrund der Untersuchungen standen bislang zwei Quellengattungen: zum einen die Protokolle, die wiederum in die offiziellen Notariatsprotokolle und die Mitschriften der Zuhörer unterschieden werden können, und zum anderen die Briefe der Disputanten sowie die der beteiligten Personen, die über jene Geschehnisse berichteten.17 Nur am Rande ist ein Ereignis berücksichtigt worden, das jedoch einen ganz eigenen Einblick in die Debatten der Leipziger Disputation wirft. Gemeint ist der nebenher laufende Predigtstreit zwischen Luther und seinem Kontrahenten Johannes Eck.18 Von besonderer Bedeutung ist hierbei die erhaltene Predigt Luthers vom 29. Juni 1519. Luther selbst hat jene Predigt als die »Summa der Disputation« angesehen.19 Für Axel Gyllenkrok bedeutet die Predigt den entscheidenden Wendepunkt von Luthers theologischem Denken.20 Armin Kohnle urteilt darüber, dass die Stadtbevölkerung »durch ihren enormen Zulauf zu seiner Predigt nicht nur Neugier auf, sondern zumindest in Teilen auch Sympathie für die Sache der Reformation gezeigt hat«.21 Die 16  Vgl. Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation 1519. 1. Leipziger Arbeitsgespräch zur Reformation (HerChr 18), Leipzig 2011 und Dies.: Die Leipziger Disputation von 1519. Ein theologisches Streitgespräch und seine Bedeutung für die frühe Reformation (HerChr 25), Leipzig 2019. Vgl. ferner Armin Kohnle: Luthers Leipziger Predigten, in: Luther 86 (2015), 128–134; Volker Leppin: Der Einfluss Johannes Ecks auf den jungen Luther, in: Luther 86 (2015), 135–147 und den Aufsatzband von Franz Xaver Bischof/Harry Oelke (Hg.): Luther und Eck. Opponenten der Reformationsgeschichte, München 2017. 17  Vgl. Christian Winter: Die Protokolle der Leipziger Disputation, in: Markus Hein/ Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 61– 72. 18  Vgl. Moritz Meurer: Luther’s Leben aus den Quellen erzählt, Leipzig 31870, 155f; Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, 64; Kurt-Victor Selge: Der Weg der Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519, in: Bernd Moeller/Gerhard Ruhbach (Hg.): Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte, FS für Hans von Campenhausen, Tübingen 1973, 169–210, hier 204; Armin Kohnle: Die Leipziger Disputation und ihre Bedeutung für die Reformation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 9–24, hier 38. 44. 19   »Est autem id Euangelium, quod utriusque disputationis rem apertissime complectitur disputationis summam coactus sum cunctis exponere« (Luthers Brief an Spalatin vom 20. Juli 1519, WA B 1; Nr. 187, 420–424, hier 423,130–424,132). Vgl. ferner WA 2; 241. 20  Vgl. Axel Gyllenkrok: Rechtfertigung und Heiligung in der frühen evangelischen Theologie Luthers (Uppsala Universitets årsskrift 1952.2), Uppsala 1952, 65f; vgl. ferner Ernst Bizer: Fides ex auditu. Eine Untersuchung über die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes durch Martin Luther, Neukirchen-Vluyn 21966, 173; auch abgedruckt in Auszügen bei Bernhard Lohse (Hg.): Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther (WdF 73), Darmstadt 1968, 115–162, hier 152. 21   Armin Kohnle: Die Leipziger Disputation und ihre Bedeutung für die Reformation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 18),

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Predigt war für Luther insofern die Gelegenheit, sich im Rahmen der Leipziger Disputation direkt an das Volk zu wenden. Aufgrund dieser Bedeutung soll im Folgenden die Predigt im Zentrum der Analyse stehen. Gefragt wird nach Inhalt und Funktion im Kontext der Leipziger Disputation. Hierzu soll in einem ersten Schritt die Vorgeschichte und der Verlauf des Zusammentreffens in Leipzig geschildert werden. Danach erfolgt die Interpretation des ersten und zweiten Teils der gedruckten Predigt. Zuletzt wird das Vorwort erörtert, das Luther dem Druck voranstellte.

1. Vorgeschichte und Verlauf der Leipziger Disputation Durch die rasante Verbreitung der 95 Thesen begann eine literarische Auseinandersetzung um die Causa Lutheri. Die erste akademische Reaktion erfolgte durch den hauptbetroffenen Ablassprediger Johann Tetzel, der am 20. Januar 1518 über 106 Gegenthesen disputierte, die der Frankfurter Theologe Konrad Koch, genannt Wimpina, für ihn verfasst hatte.22 Luther veröffentlichte daraufhin im Februar den ›Sermon vom Ablass und Gnade‹23 und als wissenschaftliche Erläuterung der 95 Thesen im August die ›Ablassresolutionen‹24. In der zweiten Phase schaltete sich die päpstliche Kurie ein. Der Dominikanermönch Silvester Mazzolini, nach seinem Geburtsort Priero auch »Prierias« genannt, verfasste im Juni 1518 eine Kritik der 95 Thesen, 25 auf die Luther im August mit seiner Schrift ›Ad dialogum Silvestri Prieratis de potestate papae responsio‹ antwortete.26 In der dritten Phase wurde der Ingolstädter Theologieprofessor, Johannes Eck, zum Hauptgegner Luthers.27 Vor der Veröffentlichung der 95 Thesen verLeipzig 2011, 9–24, hier 22; vgl. ferner in der überarbeiteten Auflage, Leipzig 2019, 25–46, hier 44. 22  Vgl. Johannes Tetzel: Frankfurter Thesen über Ablaß und päpstliche Gewalt, in: Peter Fabisch/Erwin Iserloh (Hg.): Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521), Teil 1: Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablaßthesen (1517–1518) (CCath 41), Münster 1988, 321–337. Vgl. ferner Heinrich Grimm: Luthers »Ablaßthesen« und die Gegenthesen von Tetzel-Wimpina in der Sicht der Druck- und Buchgeschichte, in: GutJB 43 (1968), 139–150. 23   Vgl. WA 1; 239. 243–246 und die Nachträge in WA 9; 171. 173–175. Gegen den ›Sermon‹ verfasste Tetzel im Mai 1518 die ›Vorlegung‹ (Peter Fabisch/Erwin Iserloh (Hg.): Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521), Teil 1: Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablaßthesen (1517–1518) (CCath 41), Münster 1988, 340–383) und ebenfalls im April oder Mai 1518 die ›50 Positiones‹ (aaO., 369–375). Vgl. ferner VD16 L 6269. 24   Vgl. WA 1; 522. 525–628 und die Nachträge in WA 9; 769. 25   Vgl. VD16 L 4458–4460. Vgl. die deutsche Übersetzung liegt in W2 18; 18–119. 26   Vgl. WA 1; 644. 647–686 und die Nachträge in WA 9; 782–786. Vgl. Heiko Augustinus Oberman: Wittenbergs Zweifrontenkrieg gegen Prierias und Eck. Hintergrund und Entscheidungen des Jahres 1518, in: Ders.: Die Reformation. Von Wittenberg nach Genf, Göttingen 1986, 113–143. 27   Zu Johannes Eck vgl. Joseph Greving: Johann Eck als junger Gelehrter. Eine literar-

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band Eck und Luther eine Humanistenfreundschaft, die vom Nürnberger Juristen Christoph Scheurl vermittelt wurde.28 Eck sandte Luther im Februar 1517 seine Wiener und Bologneser Disputationen.29 Im Sommer antwortete Luther mit der Sendung seiner Disputationsthesen gegen die scholastische Theologie30 an Scheurl und bat ihn, sie an Eck weiter zu reichen.31 Umso enttäuschter war Luther, als er im März 1518 Ecks kritische Anmerkungen zu den 95 Thesen in den Händen hielt, deren Verbreitung Eck jedoch nicht plante.32 Eck betitelte das Manuskript als ›Obelisci‹33 , womit Spießchen bezeichnet werden, die man zur Markierung verdächtiger Stellen in Handschriften und Büchern gebrauchte. Darin beschimpfte Eck den Wittenberger, dieser gieße böhmisches Gift aus, womit er unverhohlen den Vorwurf der Ket-

und dogmengeschichtliche Untersuchung über seinen Chrysopassus praedestinationis aus dem Jahre 1514 (RST 1), Münster 1906; August Brandt: Johann Ecks Predigttätigkeit an U. L. Frau zu Ingolstadt (1525–1542) (RST 27/28), Münster 1914; Erwin Iserloh: Johannes Eck (1468–1543). Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe (KLK 41), Münster 1985, 24–28; Jürgen Bärsch/Konstantin Maier (Hg.): Johannes Eck (1486–1543). Scholastiker – Humanist – Kontroverstheologe (Eichstätter Studien, Neue Folge 70, Regensburg 2014; Dieter J. Weiß: Johannes Eck und die Konfessionalisierungsdebatte, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 80 (2017), 71–85. 28   Scheurl, der von 1507 bis 1512 als Jurist in Wittenberg tätig war und dann nach Nürnberg wechselte, stand in der Zeit nicht in Kontakt mit Luther, weshalb er selber um Freundschaft zwecks Nachrichtenverkehr bat. Vgl. Scheurls Brief an Luther aus Nürnberg vom 2. Januar 1517, WA B 1; Nr. 32, 84,1–34. Vgl. ferner Wilhelm Graf: Doktor Christoph Scheurl von Nürnberg (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 43), Berlin 1930, Nachdruck Hildesheim 1972, 34f. 75–103. 29   Vgl. »Amicum meum Iohannem Eckium de virtute tua feci certiorem, unde amicitiae tuae percupidus nedum ad te literas dedit, sed et libellum cum disputationibus suismittit« (Brief Scheurls an Luther aus Nürnberg, 1. April 1517, WA B 1; Nr. 36, 91,2–4). 30   Vgl. Disputatio contra scholasticam theologiam, Thesen für Franz Günther vom 4. September 1517, WA 1; 221. 224–228 und die Nachträge in WA 9; 768f. 31   »Mitto insuper Positiones nostras prorsus paradoxas, et prout multis videtur kacistodoxas, quas poteris Eccio nostro, eruditissimo et ingeniosissimo viro, exhibere, ut audiam et videam, quid vocet illas« (Brief Luthers an Christoph Scheurl vom 11. September 1517, WA B 1; Nr. 46, 105f, hier 106,35–38). Scheurl antwortete sogleich, dass er dies tun werde und die Thesen auch an Kölner und Heidelberger Theologen weitersenden werde: »Eckio disputationem dudum nobis habitam communicabo; cupiebam quoque theologis Coloniensibus et Heidelbergensibus mittere; plerisque doctis notus sum« (Brief Scheurls an Luther vom 30. September 1517, WA B 1; Nr. 47, 107,22–24). 32   Eck hatte im Januar Kenntnis von den 95 Thesen erhalten. Bei einem Besuch des Eichstätter Bischofs Gabriel von Eyb bat dieser ihn, seine Kritik aufzuzeichnen. Vgl. Brief von Christoph Scheurl an Eck vom 14. Mai 1518, in: Franz Freiherr von Soden/Joachim Karl Friedrich Knaake (Hg.): Scheurl’s Briefbuch. Beitrag zur Geschichte der Reformation und ihrer Zeit, Bd. 2: Briefe von 1517–1540, Potsdam 1872, Nr. 165, 47f. 33  Vgl. Johannes Eck: Obelisci zu Luthers Thesen und dessen Erwiderung (Asterici 1518), in: Peter Fabisch/Erwin Iserloh (Hg.): Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521), Teil 1: Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablaßthesen (1517– 1518) (CCath 41), Münster 1988, 401–446.

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zerei erhob.34 Luther antworte sogleich mit seinen ›Asterisci‹35 , d. h. Sternchen zur Kennzeichnung von wertvolleren Textstellen.36 Als Luther zu Fuß vom 9. April bis zum 15. Mai nach Heidelberg hinreiste, schaltete sich im Mai Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, als Dekan der Wittenberger Theologischen Fakultät in die Auseinandersetzung ein, um Luther zu verteidigen.37 Ohne Luthers Wissen ließ er 406 Thesen gegen Ecks ›Obelisci‹ drucken und kündigte im Vorwort an, darüber disputieren zu wollen.38 Eck entgegnete ihm im August mit einer ›Defensio‹.39 Dort forderte er Karlstadt zu einer öffentlichen Disputation am besten in Rom, Köln oder Paris auf.40 Darauf antwortete Karlstadt mit seiner ›Defensio‹, die er als »Monomachie«41 bezeichnete. Inzwischen erhielt Luther die Vorladung nach Rom, die bei Luther Verunsicherungen auslöste.42 Beim Verhör vor Cajetan in Augsburg im Oktober 1518 traf sich Luther mit Eck im dortigen Karmelitenkloster und vereinbarte mit ihm den Austragungsort der Disputation.43 Während Eck eher an Rom, Köln oder Paris dachte, 34   »[…] quod nihil aliud est quam Bohemicum virus effundere« (WA 9; 302,15f); »[…] quod Bohemiam sapiant« (WA 9; 305,7). 35   Vgl. Asterisci Lutheri adversus obeliscos Ecii, März 1518, WA 1; 278. 281–314 u. Nachträge in WA 9; 770–779. 36  Vgl. Otto Hiltbrunner: Die Titel der ersten Streitschriften zwischen Eck und Luther, in: ZKG 64 (1952/53), 312–320. 37  Vgl. Hermann Barge: Andreas Bodenstein von Karlstadt. Teil 1: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, Leipzig 1905, 116–151. 38   Vgl. ›Apologeticae conclusiones‹ von Andreas Bodenstein, im Original einsehbar unter VD 16 B 6203, abgedruckt in: Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta und Documenta oder Umständliche Vorstellung des evangelischen Reformations-Wercks, Teil 2: Leipzig 1723, 78–104. Vgl. ferner W2 18; 590–633. Auf dem Titelblatt werden 370 Thesen angekündigt, hinzu kommen weitere 26 Sätze; jedoch sind es eigentlich 379 Thesen, womit man auf 405 Thesen käme. Am Ende des Druckes werden allerdings 406 angegeben. Vgl. Hannegreth Grundmann: Gratia Christi. Die Theologische Begründung des Ablasses durch Jacobus Latomus in der Kontroverse mit Martin Luther (Arbeiten zur Historischen und Systematischen Theologie 17), Berlin 2012, 45f. Der im Juli 1518 erschienene Sonderdruck ›Apologeticae propositiones‹ enthält eine auf 109 Artikel verkürzte Fassung der Thesen 102– 213. Vgl. die Baseler Ausgabe von 1518 im VD 16 B 6135, abgedruckt in: Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt, hg. von Thomas Kaufmann (QFRG 90, 2), Teilband 2: 1518, Gütersloh 2017, Nr. 87, 867. 869–870. 39  Vgl. Johannes Eck: Defensio contra amarulentas D. Andreae Bodenstein Carolstatini invectiones, hg. von Joseph Greving (CCath 1), Münster 1919. 40   Als Tag schlug er den 3. April 1519 vor (aaO., 81f). 41  Vgl. Andreas Bodenstein: Defensio Andreae Carolostadii adversus ecimii D. Joannis Eckii, in: Ders.: Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt, hg. von Thomas Kaufmann (QFRG 90, 2), Teilband 2: 1518, Gütersloh 2017, Nr. 90, 903. 907–994. 42   Vgl. Brief Luthers an Spalatin in Augsburg vom 8. August 1518, WA B 1; Nr. 85, 188; vgl. Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 237. 43   Zu den Geschehnissen in Augsburg vgl. Kurt-Victor Selge: Die Augsburger Begegnung von Luther und Kardinal Cajetan im Oktober 1518 – ein erster Wendepunkt auf dem Weg zur Reformation, in: JHKGV 20 (1969), 37–54.

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schlug Luther aufgrund der kürzeren Anfahrt, verbunden mit den geringeren Kosten, Erfurt oder Leipzig vor.44 Man einigte sich schließlich auf Leipzig.45 Zur Organisation mussten vier Instanzen einbezogen werden: Erstens Herzog Georg von Sachsen als Stadt- und Landesherr, zweitens die Universität Leipzig als Veranstalterin, drittens die Leipziger Theologische Fakultät und schließlich Bischof Adolf von Merseburg als zuständiger Diözesan und Kanzler der Universität.46 Während die Universität dem Treffen zuneigte, die Theologische Fakultät die Anfrage strikt ablehnte und Bischof Adolf von Merseburg entschieden davor warnte, das Theologengespräch abzuhalten, setzte sich schließlich Georg von Sachsen mit seiner Haltung durch, die Disputation in Leipzig stattfinden zu lassen. Zum einen steigerte ein solches Zusammentreffen das Ansehen seiner Landesuniversität und zum anderen wollte er sich selbst ein Urteil von den Anliegen der Wittenberger machen.47 Dabei blieb es unklar, ob Luther überhaupt gegen Eck antreten würde. Die zwölf Thesen, mit denen Eck die Themen festlegte, richteten sich an Karlstadt und erwähnten nirgends Luther, obwohl die Inhalte deutlich auch als Angriff auf den Reformator verstanden werden konnten.48 Deshalb reagierte Luther am 7. Februar mit zwölf Gegenthesen und gab den Thesen einen Brief von Karlstadt bei, der bestätigte, dass Luther der eigentlich Angesprochene sei.49 So wandte 44   »Zu Rom vor der Bäpstlichen Heiligkeit, oder vor den gelerten der vniuersitet Rom, Paryß oder Köln« (Brief Ecks an Georg von Sachsen vom 4. Dezember 1518, in: Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, 112f, hier 112,43f); »Mein Memori hats nit vergessen […], daß mir D. Ludder die zwo Universität Ertfurdt und Leypßig zu Augspurg fürgeschlagen hat bei den Carmeliten, und ich ihm befolhen, mit dem D. Bodenstain zu reden« (Brief Ecks an Kurfürst Friedrich vom 8. November 1519, WA B 1; Nr. 192, 479–501, hier 495,610–613). Vgl. ebenfalls die Vereinbarungen zwischen den Disputatoren Eck, Karlstadt und Luther in Leipzig vom 26. Juni, 4. und 14. Juli 1519, WA B 1; Beilage 1, 428–430, hier 429,36–40; ferner den Brief Luthers an Johann Eck vom 15. November 1518, WA B 1; Nr. 109, 231,4–7. 45  Vgl. Peter Fabisch/Erwin Iserloh: Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521), Bd. 2 (CCath 42), Münster 1991, 242; Kurt-Victor Selge: Der Weg der Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519, in: Bernd Moeller/Gerhard Ruhbach (Hg.): Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte, FS für Hans von Campenhausen, Tübingen 1973, 169–210, hier 179. 46   Vgl. hierzu Armin Kohnle: Die Leipziger Disputation und ihre Bedeutung für die Reformation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 25–46, hier 31. 47   Vgl. ebd. 48   Die zwölf Thesen, zuerst als Plakat in Augsburg gedruckt und mit dem Datum 29. Dezember 1519 versehen, trugen den Titel: ›In studio Lipsensi disputabit Eckius propositiones infra notatas contra D. Bodenstein Carlestadium Archidiaconum et Doctorem Vuittenburgen‹. Vgl. WA 9; 206. 207–210. 49   Die ursprüngliche Ausgabe der 12 Gegenthesen ›contra novos et veteres errores‹ existiert nicht mehr. Vgl. WA 2; 155. Datiert auf den 26. April veröffentlichte Karlstadt Anfang Mai seine eigene Reihe von siebzehn Thesen: Andreas Bodenstein: Conclusiones Carolstadii contra D. Joannem Eccum Lipsiae 27. iunii tuendae. Vgl. Valentin Ernst Löscher: Vollständige Reformations-Acta, Bd. 3, Leipzig 1729, 284–291; W2 15; 825–830. Vgl. Hermann

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sich Luther am 19. Februar 1519 an Herzog Georg mit der Bitte zur Zulassung als Disputant.50 Doch bis zur Ankunft in Leipzig erhielt er trotz Wiederholung der Bitte keine Antwort.51 Während er sich auf den Schlagabtausch vorbereitete, verblieb er im Ungewissen, ob auch er das Katheder betreten dürfe. Nachdem Eck im März mit einer weiteren Thesenreihe geantwortet hatte, in die er Luther direkt ansprach,52 reagierte der Wittenberger, indem er im Mai seine ›Disputatio‹ ebenfalls mit 13 Gegenthesen veröffentlichte.53 Noch vor dem Zusammentreffen mit Eck entschied sich Luther Anfang Juni zu einem besonderen Schritt. Er wandte sich an die Öffentlichkeit und legte seine Beweise für die Widerlegung der letzten These offen. Die Schrift trägt den Titel ›Resolutio‹ (Auflösung) der 13. These gegen den Primat.54 So vorbereitet reiste er nach Leipzig zunächst nicht als Teilnehmer, sondern lediglich als Begleiter Karlstadts. Erst einen Tag vor der Eröffnungsfeier erwirkte Eck die Bestätigung von Herzog Georg, dass Luther gegen ihn antreten dürfe.55 Während Eck bereits in der Frühe am 23. Juni in Leipzig ankam, trafen die Wittenberger Theologen erst am folgenden Tag ein.56 Unter ihnen befanden sich Barge: Andreas Bodenstein von Karlstadt. Teil 1: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, Leipzig 1905, 144–146. 50   Vgl. Brief Luthers an Herzog Georg vom 19. Februar 1519, WA B 1; Nr. 150, 341. 51   Vgl. Brief Herzog Georgs an Luther vom 4. März 1519, WA B 1; Nr. 158, 355; Luthers Brief an Herzog Georg vom 28. April 1519, WA B 1; Nr. 168, 373; Luthers Brief an Herzog Georg von Sachsen vom 16. Mai 1519, WA B 1; Nr. 177, 400f; Brief Herzog Georgs an Luther vom 23. Mai 1519, WA B 1; Nr. 180, 404. Vgl. Kurt-Victor Selge: Der Weg der Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519, in: Bernd Moeller/Gerhard Ruhbach (Hg.): Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte, FS für Hans von Campenhausen, Tübingen 1973, 169–210, hier 193–195. 52  Vgl. Johannes Eck: Disputatio et excusatio Domini Johannis Eccii adversus criminationes F. Martini Luter ordinis Eremitorum, in: Peter Fabisch/Erwin Iserloh (Hg.): Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521), Teil 1: Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablaßthesen (1517–1518) (CCath 41), Münster 1988, 247–253. 53   Vgl. Disputatio et excusatio F. Martini Luther adversus criminationes D. Iohannis Eccii, 1519, WA 2; 153. 155–161 u. die Nachträge in WA 9; 789. 54   Vgl. Resolutio Lutheriana super propositione sua decima tertia de potestate papae (per autorem locupletata), 1519, WA 2; 180. 183–240. Vgl. »Edo iam probationes super odiosissimam propositionem tertiamdecimam propter invidiam, quae hoc agit, ne Lipsiae admittar ad respondendum« Brief Luthers an Johann Lang vom 6. Juni 1519, WA B 1; Nr. 184, 415,8 55   »Volgender Weyße ist zwuschen Doctor Johann Eckio vnd doctor Martino Luter der Dusputation halben abgeredt vnd bewilligt« (Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, Beilage 28: Der Contract, 137f, hier 137,30–32. Vgl. ferner WA 2; 250f. Die öffentliche Ankündigung der aktiven Teilnahme Luthers brachte Herzog Georg in eine unbequeme Lage gegenüber der Theologischen Fakultät und Bischof Adolf von Merseburg, weshalb er Luther auch nach dessen dreimaliger schriftlicher Bitte nicht im Vorfeld offiziell als Disputant ernennen wollte. Vgl. Heiko Jadatz: Herzog Georg von Sachsen und die Leipziger Disputation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 109–124, hier 122f. 56   Eck wohnte wohl beim Bürgermeister Benedikt Beringershain an der Ecke Peterstraße/ Thomasgässchen. Vgl. Armin Kohnle: Die Leipziger Disputation und ihre Bedeutung für die Reformation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von

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neben Karlstadt und Luther auch Philipp Melanchthon, Nikolaus von Amsdorf, Johann Agricola und Herzog Barnim von Pommern in seiner Funktion als Rektor der Universität Wittenberg. Beim Einzug der Wittenberger brach am Kirchhof der Paulinerkirche das Rad am Wagen Karlstadts, weshalb dieser beim Aussteigen in den Schmutz fiel, während der Wagen Luthers vorbeifuhr, was die Umherstehenden als Omen deuteten.57 Die Disputation dauerte vom 27. Juni bis zum 16. Juli 1519 und wurde durch mehrere Feiertage unterbrochen. Als Austragungsort hatte Herzog Georg die Hofstube der Leipziger Pleißenburg bestimmt.58 Eröffnet wurde die Disputation im Schloss am frühen Morgen mit einer Rede des Juristen Simon Pistorius, der als Kanzler der Universität die Teilnehmenden begrüßte.59 Danach wechselte man in die Thomaskirche, um in einer Messe die Unterstützung des Heiligen Geistes zu erbitten, zu der Georg Rau als Thomaskantor eigens eine zwölfstimmige »Missa de sancto spiritu« komponiert hatte. 60 Nach Rückkehr in die Hofstube hielt der Gräzist Petrus Mosellanus die Eröffnungsrede, in der er die Teilnehmer zur ernsthaften Wahrheitssuche aufrief und sie bat, auf Verbissenheit und rhetorische Polemik zu verzichten. 61 Die Auseinandersetzung verlief in drei Phasen. In der ersten Phase trafen Karlstadt und Eck vom 27. Juni bis zum 3. Juli aufeinander. Danach folgte das Aufeinandertreffen Luther gegen Eck vom 4. bis zum 14. Juli. Schließlich kam es noch einmal zu einem Austausch zwischen Eck und Karlstadt am 14. und 15. 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 25–46, hier 25f. Sebastian Fröschel berichtet darüber: »Doktor Eck kam beizeiten nach Leipzig, noch vor dem Fest Corpus Christi (Fronleichnamsfest am 23. Juni 1519). Er ging am Festtage in der Prozession, die man abhielt […]. Am Freitag nach Corpus Christi kamen die Wittenberger eingezogen, was ich selber gesehen habe. Sie fuhren durch das Grimmsche Tor in die Stadt Leipzig ein« (Helmar Junghans [Hg.]: Die Reformation in Augenzeugenberichten, mit einer Einleitung von Franz Lau, München 21980, 68). 57   »Und als sie also zum Grimmschen Tor einzogen und vor die Tür am Kirchhof der Paulinerkirche kamen, zerbrach dem Doktor Karlstadt sein Wagen, so daß der Doktor in den Schmutz fiel. Doktor Martinus aber und Herr Philippus Melanchthon fuhren vorüber. Die Leuter aber, die das sahen, sagten: ›Dieser wird überlegen sein (sei meinten Doktor Martinus seligen), und der andere wird unterliegen.‹ Wie es auch geschah und bisher geschehen ist« (aaO., 69). Dieses Ereignis ist auf einem Gedenkblatt zum 300. Jubiläum festgehalten worden. Vgl. Doreen Zerbe: Bilder der Leipziger Disputation. Illustration und Interpretation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 219–236, hier 230. 58   Vgl. den Bericht von Sebastian Fröschel in: Helmar Junghans (Hg.): Die Reformation in Augenzeugenberichten, mit einer Einleitung von Franz Lau, München 21980, 68. Die Universität hatte auch das Gewandhaus oder die Barfüßerkirche vorgeschlagen. Vgl. Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, 48, Anm. und Beilage 30: Universität Leipzig an Herzog Georg, 17. Mai 1519, 145,10f. 59   AaO., 47. 60   Ebd. Vgl. ferner die Berichte in W2 15; 1191–1194. 1198. 1229. 61   Vgl. den Druck der Rede von Mosellanus mit dem Titel ›De ratione disputandi, praesertim in re Theologica‹ (VD 16 S 2173. E 2828. E 2859). Vgl. ferner W2 15; 844–858.

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Juli. Die Gespräche fanden jeweils vormittags von 7 bis 9 Uhr und nachmittags von 14 bis 17 Uhr statt. Hinsichtlich des Verfahrens brachen immer wieder Diskussionen auf. 62 Vier Streitpunkte standen im Vordergrund. Bezüglich der Disputierweise versuchte Eck im Widerspruch zur ursprünglichen Vereinbarung durchzusetzen, auf »italienische Weise« zu disputieren, d. h. in freier Gegenrede ohne Rücksicht auf die Protokollanten. Durch seine frühere Zusagen gebunden, musste er aber schließlich nachgeben, so dass in die Feder der vier notariell beglaubigten Protokollanten diktiert wurde. 63 Dabei opponierte abwechselnd der eine gegen die jeweilige These des anderen und respondierte hierbei gegen die vorgebrachten Einwände. Das verlangsamte zwar den Gang des Gesprächs, hatte jedoch den Vorteil, dass der genaue Wortlaut festgehalten wurde und so das spätere Urteil der Schiedsrichter erleichterte. Der zweite Streitpunkt betraf die Frage der Veröffentlichung der Protokolle. Luther und Karlstadt verlangten, dass die Protokolle der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. 64 Jedoch bewirkte Eck, jede Partei erhalte zwar Exemplare, aber solange der Urteilsspruch der Richter (determinatio) noch nicht ergangen sei, müssten die Protokolle unter Verschluss gehalten werden. 65 Der dritte Streitpunkt hing mit dem zweiten eng zusammen. Ursprünglich wollten Luther und Eck auf einen Schiedsrichter bzw. die Einholung eines Expertenurteils ganz verzichten, da vielmehr jeder Mensch sich sein eigenes Urteil durch die Veröffentlichung der Protokolle bilden sollte. Doch dann hätte die Absage der gesamten Disputation gedroht, da dies so von Herzog Georg festgelegt wurde. 66 Stattdessen musste die Frage geklärt werden, wer als Schieds62  Vgl. Anselm Schubert: Libertas Disputandi. Luther und die Leipziger Disputation, in: ZThK 105 (2008), 411–442, hier 422–427; Volker Leppin: Disputationen als Medium der Theologie- und Kirchenreform in der Reformation. Zur Transformation eines akademischen Mediums, in: Ders.: Transformationen. Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation (SMHR 86), Tübingen 2015, 419–428. 63   »Vocato seorsum Andrea Carlstadio multis egerunt (Eccio sic volente), ut disputatio fieret [iam] verbis, nec in literas referretur per Notarios. Sperabat enim clamore se praevalere posse & gestu (sicut vere longe praevaluit). Contra Carlstadius opponens, quod sic conventum esset« (Brief Luthers an Spalatin vom 20. Juli 1519, WA B 1; Nr. 187, 420–424, hier 421,14–18). 64   »Tandem, ut hoc obtineret, coactus est saltem hoc admittere, ut excepta disputatio per Notarios non ederetur in publicum, nisi Iudicium aliquorum audirent« (Brief Luthers an Spalatin vom 20. Juli 1519, WA B. 1, Nr. 187, 420–424, hier 421,19–21). 65   »[…] doch dergestalt, daß solche Disputationes und derselben Exemplar nicht sollen in Druck bracht adder sust publicieret werden, es sei dann, daß sich beide Teile eins Richters voreinigt und desselbigen Spruch darauf publicieret und eroffent werde« (Vereinbarungen zwischen den Disputanten Eck, Karlstadt und Luther, Leipzig vom 26. Juni, 4. und 14. Juli 1519, WA B 1; Nr. 187, 428–430, hier 429,18–21). 66   »[…] nec aliter voluerunt admittere disputationem« (Brief Luthers an Spalatin vom 20. Juli 1519, WA B. 1, Nr. 187, 420–424, hier 421, 23). Vgl. Kurt-Victor Selge: Der Weg der

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richter in Frage komme. Den Vorschlag, den Papst als Richter zu bestimmen, konnte Luther aufgrund des bereits angelaufenen Prozesses gegen ihn abwehren. Sodann standen die Universitäten Freiburg und Basel im Raum. Man einigte sich schließlich am 14. Juli, dass die Universitäten Paris und Erfurt die Disputation Ecks mit Luther untersuchen sollen und hinsichtlich des Wortgefechts Ecks mit Karlstadt die Universität Erfurt das Urteil abzugeben habe, allerdings unter Ausschluss der Stimmbeteiligung von Augustinern und Dominikanern. 67 Schließlich wurde viertens während des Verfahrens darüber gestritten, ob Bücher am Rednerpult erlaubt seien, um vermeintliche aus dem Gedächtnis wiedergegebene Zitate der Bibel oder der Kirchenväter zu überprüfen. Denn Karlstadt hatte nach Leipzig viele Bücher mitgebracht und blätterte, bevor er sich zu äußern wagte, in einem Zettelkasten, um sich dann durch einen Diener das entsprechende Buch holen zu lassen. 68 Aufgrund der dadurch entstandenen Verzögerungen und der Vorsicht Ecks, des ungenauen Zitierens überführt zu werden, konnte er schließlich durchsetzen, dass ohne Bücher weiter debattiert werden sollte. Die Argumentationen während der Disputation verliefen in weitschweifigen Verzweigungen. Zum Teil hatte man in jedem Gesprächsgang auf bis zu fünfzehn Argumente zu achten, die simultan disputiert wurden. 69 Folgende Hauptthemen spielten in der Disputation eine Rolle: In der ersten Phase der Debatte zwischen Eck und Karlstadt ging es um die Rolle des freien Willens im Zusammenhang des Rechtfertigungsprozesses. Das Hauptthema von Luther und Eck in der zweiten Phase vom 4. bis 8. Juli betraf zunächst die Begründung des römischen Primats durch das göttliche Recht. Erst danach ging man dazu über, andere Themen nacheinander zu debattieren wie die Lehre vom Fegefeuer, den Ablass und schließlich die Buße. Als Karlstadt in der letzten Phase wieder das Rednerpult betrat, wurde die Diskussion über den freien Willen fortgesetzt.70 Der Höhepunkt der Disputation zwischen Luther und Eck war erreicht, als Eck ihm im Zusammenhang mit der Interpretation von Mt. 16, 18 nachzuweisen trachtete, dass Luther Auffassungen vertrete, die auf dem Konzil zu Konstanz verworfen worden waren. Luther gab daraufhin zu, seinem Eindruck nach Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519, in: Bernd Moeller/Gerhard Ruhbach (Hg.): Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte, FS für Hans von Campenhausen, Tübingen 1973, 169–210, hier 200f. 67   AaO., 205f. Vgl. ferner Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, 72. 68   Vgl. den Brief Luthers an Spalatin vom 20. Juli 1519, WA B 1; Nr. 187, 420–424, hier 421, 42–47. Vgl. ferner Athina Lexutt: Die Reformation. Ein Ereignis macht Epoche, Köln u. a. 2009, 61f. 69  Vgl. Anselm Schubert: Libertas Disputandi. Luther und die Leipziger Disputation, in: ZThK 105 (2008), 411–442, hier 412. 70  Vgl. Kurt-Victor Selge: Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519, in: ZKG 86 (1975), 26–40, hier 28.

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gäbe es die Möglichkeit, dass Konzile sich auch irren könnten. Als Eck ihn fragte, ob sich das Konzil auch bei der Verurteilung des Jan Hus geirrt habe, schwang sich Luther zur These empor, dass nicht alle Artikel des Jan Hus irrig gewesen seien.71 Bevor es zu diesem Eklat jedoch kam und noch vor Beginn des Schlagabtauschs zwischen Luther und Eck, wurde am Mittwoch, dem 29. Juni die Disputation unterbrochen, weil der Festtag für St. Peter und St. Paul zu feiern war. An diesem Tag hielt Luther seine besagte Predigt. Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können, da bereits seit zwei Tagen die Disputation zwischen Karlstadt und Eck lief und seine eigene noch vor ihm lag. Der Anlass für jene Predigt war, dass der Kanzler der Universität, Herzog Barnim von Pommern, Luther darum bat, in der Schlosskapelle zu predigen, wobei Herzog Georg wohl nicht der Predigt beiwohnte.72 Auf das Gerücht hin strömte eine so große Menge aus der Stadt herbei, dass die Feier dann nicht in der Schlosskapelle, sondern im geräumigeren Disputiersaal abgehalten werden musste.73 Auch wenn jüngst Zweifel über den Umzug geäußert wurden, so bleibt der Ortswechsel immer noch wahrscheinlich.74 So trat Luther bereits, bevor er Angesicht zu Angesicht mit Eck zusammentraf, als Kanzelredner in der Hofstube auf. Der vorgesehene Predigttext Mt. 16, 13–19, also das Bekenntnis des Petrus und die Einsetzung Petri ins Schlüsselamt, boten eine willkommene Gelegenheit, auf die strittigen Fragen mit Eck im Vorfeld einzugehen.

2. Die Unfreiheit des Willens im ersten Teil der Predigt Ein Stenogramm der Leipziger Predigt existiert nicht.75 Von den Drucken sind sieben verschiedene Ausgaben überliefert.76 Drei erwähnen namentlich den 71   »[…] et hoc certum est, inter articulos Ioannis Huss vel Bohemorum multos esse plane christianissimos et evangelicos, quos non possit universalis ecclesia damnare, velut est ille et similis, quod tantum est una ecclesia universalis« (WA 59; 466,1048–1051). Vgl. hierzu Christopher Spehr: Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit (BHT 136), Tübingen 2010, 147–149. 72  Vgl. Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, 63. 73   »[…] cum ego in die Petri & Pauli vocatus essem a d[omino] Rectore nostro, duce Pomerano, ut Euangelium gratiae sue in Sacello Castri pronunciarem, repente fama huius meae Concionis civitatem implevit, convenitque uterque sexus copiose, ut cogerer in Aula disputatoria Concionari. Ibi dispositi & vocati Magistri nostri & observatores iniquissimi« (Brief Luthers an Spalatin vom 20. Juli 1519, WA B 1; Nr. 187, 420–424, hier 423,125–130). 74   Thomas Noack wendet kritisch ein, dass die Hofstube nicht räumlich größer gewesen sei als die Schlosskapelle, jedoch reicht m. E. diese Vermutung nicht aus, die Quellenbelege zu widerlegen. Vgl. Ders.: Der Ort der Disputation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 73–84, hier 76. 75   Vgl. WA 2; 241. 244–249 und die Nachträge in WA 9; 790. Vgl. auch die hilfreichen Anmerkungen in BoA 7; 356–362. 76  Vgl. Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Beiträge zu ei-

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Drucker Wolfgang Stöckel, der 1495 seine Druckerei von Erfurt nach Leipzig verlegt hatte und dort bis 1526 wirkte. Zwei von den Drucken Stöckels geben als Druckjahr explizit das Jahr 1519 an, der dritte Druck das Jahr 1520. Die anderen Drucke stammen von Jobst Gutknecht aus Nürnberg, Hans Froschauer aus Augsburg, Jörg Nadler aus Augsburg und Adam Petri aus Basel, von denen Letzterer als Druckjahr 1520 angibt.77 Stephan Roth nimmt die Predigt mitsamt Vorwort im Rahmen der Festtagspostille aus dem Jahr 1527 auf.78 Der früheste Druck 79 besitzt vorne den berühmt gewordenen Holzschnitt eines Mönchs mit der spiegelverkehrt gedruckten Umschrift in Großbuchstaben: »Doctor Martinvs Lvtter Avgvstiner: Wittenb« und seinem Wappen in der Kose. 80 Fälschlicherweise wird die Darstellung häufig als die »älteste bildliche Darstellung des Reformators«81 bezeichnet. Jedoch gilt es zu bedenken, dass es sich bei diesem Abbild um die Schablone eines Mönchs ohne individuelle Züge handelt. Neben dieser Predigt über Mt. 16, 13–19 ist lediglich eine weitere vom 29. Juni 1522 überliefert, die als Homilie den Text auslegt. 82 Die Leipziger Predigt beginnt mit dem Perikopentext in eigener Übersetzung. 83 Danach setzt Luther unmittelbar ohne einleitende Gedanken ein und macht gleich zu Beginn deutlich, dass jener Abschnitt aus dem Evangelium bereits die gesamte Materie der Disputation erfasse. 84 Somit macht Luther von Anfang an klar, dass er nicht nur als Ausleger des Bibeltextes auftreten will, sondern die Absicht hat, mit der Predigt einen Diskussionsbeitrag zur Leipziger Disputation zu liefern. Es folgt die Angabe der Gliederung. Luther will zwei Hauptthemen verhandeln. Im ersten Teil geht es um die Gnade Gottes und den freien Willen des Menschen. 85 Der zweite Teil betrachtet die Macht des Petrus und der Schlüs-

ner Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes, Bd. 5, 1908, 936–937. 77   Vgl. WA 2; 242f und die dort nach Buchstaben sortierten Ausgaben: A: Benzing, Nr. 398 = VD 16 L 6193; B: Benzing, Nr. 399 = VD 16 L 6194; C: Benzing Nr. 400 = VD 16 L 6195; D: Benzing, Nr. 401 = VD 16 L 6191; E: Benzing, Nr. 402 = VD 16 L 6192; F: Benzing, Nr. 403 = VD 16 L 6197; G= Benzing, Nr. 404 = VD 16 L 6196. Der Basler Druck G hat kein Vorwort und stammt vom Mai 1522. Von G abhängig ist der Straßburger Sammelband vom Oktober 1520 mit dem Titel »Martini Luthers der wahren göttlichen Schrifft Doctors Augustiner zu Wittenbergk mancherley Büchlin und tractetlin«. 78   Vgl. WA 17 II; 453f, an deren Stelle der Text nicht eigens abgedruckt wurde, sondern lediglich die Abweichungen im Vergleich zur WA 2; 244–249 verzeichnet sind. 79   Siehe oben Seite 21. 80   Vgl. Titelblatt in VD 16 L 6193. 81   Vgl. WA 2; 242. Vgl. ferner Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 303. 82   Vgl. WA 10 III; CXXVII. 208–216. Aufgenommen in Roths Festpostille vgl. WA 446– 453. Vgl. ferner die Hauspostille von Veit Dietrich aus dem Jahr 1544, WA 52; 654–664, deren Vorlage jedoch nicht nachgewiesen werden kann (vgl. WA 52; XXIVf). 83   Vgl. WA 2; 246,4–22. 84   »Das ewangelium begreifft alle materien der gantzen disputation« (WA 2; 246,23). 85   Vgl. WA 2; 246,27–248,29.

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sel. 86 Beide Themen zeigen, dass Luther sich offensichtlich nicht damit begnügen wollte, auf Ecks Angriff gegen ihn in der dreizehnten These zum Primat des Papstes einzugehen, worauf er in seiner ›Resolutio‹ geantwortet hatte. 87 Vielmehr beabsichtigte er, auch das Hauptthema, worüber Karlstadt und Eck miteinander gestritten hatten, aufzugreifen und eine Stellungnahme über den unfreien Willen abzuliefern. Insofern ist der erste Teil der Predigt eine Art kommentierender Rückblick auf den bereits erfolgten Schlagabtausch zwischen Karlstadt und Eck. Zunächst stellt er einen Bezug zwischen der Perikope und der Frage nach dem freien Willen her. Dem Petrusbekenntnis geht die Frage Jesu an die Jünger voraus, was die Menschen über ihn sagen würden. Nach den Aussagen der Jünger sprächen die Leute darüber, dass er Johannes der Täufer, Elia, Jeremia oder ein Prophet sein könne. Petrus antwortet mit seinem Bekenntnis: »Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!« (Mt. 16, 16b). Daraufhin spricht Jesus ihn mit der Begründung selig: »Fleisch und Blut haben ihm das nicht offenbart, sondern der Vater im Himmel« (Mt. 16, 17b). In dieser Aussage, dass man nur durch die Offenbarung Gottes und nicht durch Fleisch und Blut die Wahrheit über Christus erkennen könne, erblickt Luther den Beleg für die Unmöglichkeit des menschlichen Willens. 88 Luther identifiziert hier insofern den Ausdruck »Fleisch und Blut« mit dem menschlichen Willen, für den es unmöglich sei, zu einer solchen Erkenntnis zu gelangen. Außerdem sieht er in Jesu Rede zur göttlichen Offenbarung den theologischen Topos zur Gnade Gottes. Denn ohne die Gnade Gottes verbleibe der Wille des Menschen nach Luther wankend und in einem unbeständigen Wahn in seiner Meinung über Christus. 89 Dies belegt er mit den Worten Jesu, dass erst die Wahrheit den Menschen frei mache (Joh. 8, 32), dem paulinischen Gedanken, dass alle die Gnade benötigten (Röm. 3, 10f u. 24), und der Vaterunser-Bitte, den Willen des Vaters geschehen zu lassen (Mt. 6, 10).90 Blickt man auf die bereits geführte Debatte zurück, so hätten nicht nur Karlstadt, sondern auch Eck jener Aussage Luthers beipflichten können. Die Gnade 86   »[…] dan es von tzweyerley materien furnemlich redt: Zum ersten von der gnaden gottis [25] und unserm freyen willen, Zum andernn von der gewalt sanct Peters und der schlussell« (WA 2; 246,23–26). Vgl. ferner die Überschrift: »Das ander teyl von der gewalt sanct Peters« (WA 2; 248,30). 87   Vgl. Resolutio Lutheriana super propositione sua decima tertia de potestate papae (per autorem locupletata), 1519, WA 2; 180. 183–240. 88   Vgl. WA 2; 246,27–247,2. 89   Vgl. WA 2; 246,34. 90   »Als auch Christus sagt Johann. 8. Wann euch die warheyt frey macht, so seyd yr recht frey: Wer aber sund thut, der ist ein knecht der sunde. Alßo auch sanct Paulus sagt Ro. 3. Es ist kein mensch auff erden, der do frum sey und gottis vorstendig, wol thue, sundern sie dorffen alle gottis gnaden. Auch so wyr von uns selb gutes anfahen mochten: warumb heist uns dann Christus bitten umb gnad und leret uns ym Vater unsser sagen ›dein will gescheh, als ym hymel und auff der erden‹?« (WA 2; 247,7–13).

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ist für beide die notwendige Bedingung im Rechtfertigungsakt. Der Dissens bestand jedoch in der Frage, ob der menschliche Wille eine »tätige Ursächlichkeit« (causalitatas activa) innehabe und somit die Kraft besitze, das verdienstliche Werk zu bewirken, ohne dabei das Gnadenwirken auszuschließen.91 Insofern lautet die Frage, ob »sola gratia« in einem strengen Sinn nicht nur als notwendige, sondern auch als hinreichende Bedingung für das Tun guter Werke zu interpretieren sei, oder nur im weiteren Sinn als »gratia cooperans«, bei der dem menschlichen Willen eine Mitwirkung, wenngleich auch eine untergeordnete, eingeräumt werde.92 Luther gibt eine klare Antwort, wenn er die Schlussfolgerung zieht, dass der freie Wille des Menschen gar nichts aus sich selbst vermag.93 Damit vertrat Luther deutlicher als Karlstadt die Ablehnung jeglicher Einfallstore zur Befürwortung der Werkgerechtigkeit. Denn Karlstadt verzettelte sich im Laufe der Disputation immer mehr und wurde von Eck zu Zugeständnissen genötigt, wodurch Eck ihm am Ende bescheinigte, es gebe eigentlich gar keinen Dissens zwischen ihm und Karlstadt.94 Als zweite Schlussfolgerung zieht Luther die Erkenntnis, dass der Begriff »freier Wille« nur im uneigentlichen Sinn gebraucht werden könne. Vielmehr handele es sich um den »eigenen Willen«, da dieser, auch wenn er mit der Gnade Gottes »gezieret« sei, sich immer gegen Gott richte und niemals gut sei.95 Hierzu verweist er auf den Sündenfall Adams. Mag dieser auch davor frei gewesen sein, so sei er danach in seinen Sünden gefangen und sein Wille ganz verderbt. Weil Adam vor dem Sündenfall einen freien Willen besessen habe und sein Wille durch die Gnade wieder befreit werden könne, spreche man nur noch im uneigentlichen Sinn vom freien Willen.96 Damit bekräftigt er die Position Karl  So gibt Eck in der Leipziger Disputation sein erstes Beweisziel an: »intendo ergo probare ullud esse conveniens sacrae scipturae, sanctis patribus, fidei christianae, liberum arbitrium voluntatem humanam habere causalitatem activam, vim productivam, elicitivam operis meritorii, non excludendo gratiam et speciale adiutorium dei« (Otto Seitz [Hg.]: Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519), Berlin 1903, 15). Vgl. ferner W2 ; 15, 862. 92  Vgl. Jens-Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522 (VIEG 187), Mainz 2002, 208; Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben (BHT 175), Tübingen 2014, 116. 93   »Darauß folget, das der frey will des menschen, man lob und heb yn, wie man will, gar nichts vermag aus ym selbs, und nit in seiner wilkuere frey steht, guts zuerkennen adder thun, sundern allein in der gnaden gottis, die yn frey macht« (WA 2; 247,3–6). 94   »Quod si ab initio disputationis nostrae hoc idem dedisset, gratiam scil. et liberum arbitrium simul et mixtim operari, has nostras argumentationes omisissemus« (Otto Seitz [Hg.]: Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519), Berlin 1903, 31). Vgl. ferner W2 15; 88. 95   »Weyter folget, das man den freyen willen nymmer recht nennet odder versteht, er sey dann mit gottis gnaden getzieret, an welche er meer ein eygener dann freyer will heyssen soll: dann an gnad thut er nit gottis willen, sundern seinen eygnen willen, der nimmer gut ist« (WA 2; 247,15–18). 96   »Er [der menschliche Wille] ist wol frey gewesen in Adam, Aber nw durch seynen fall verterbet und in sunden gefangen, doch den namen des freyen willens behalten, darumb das er frey gewest und durch gnad widder frey werden soll« (WA 2; 248,18–21). 91

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stadts, der mit Eck auf der Disputation heftig darum gerungen hat. Luther selbst hat diese Position, dass der freie Wille bloß ein leerer »eitler Name« (solus titulus) sei, dessen Sinn abhandengekommen wäre, bereits in seiner dreizehnten These der Heidelberger Disputation verteidigt.97 Ferner wird deutlich, dass Luther hier das Problem der Freiheit und Unfreiheit des Willens allein im Rahmen der Sünden- und Gnadenlehre und nicht in einem ethischen Kontext thematisiert. Es geht ihm, wie er es auch in »De servo arbitrio« deutlich macht, nicht um das ontologische, handlungsbezogene oder willenstheoretische Determinismusproblem, sondern vielmehr im religiösen Sinn um die Frage nach der Gefangenheit des menschlichen Willens in der Sünde und dessen Befreiung durch Gnade.98 Im Anschluss daran geht Luther auf die Frage ein, wie man vor jenem bereits entfalteten Hintergrund des sündigen Willens überhaupt fromm werden könne. Er beantwortet dies mit der Aussage, hierzu müsse man einzig und allein wis-

97   »13. Liberum arbitrium post peccatum res est de solo titulo, et dum facit quod in se est, peccat mortaliter« (Disputatio Heidelbergaehabita, 1518, WA 1; 350. 353–374, hier 354,5f). In seiner Liste häresieverdächtiger Sätze hat Luther seine 13. These selbst mit den Worten verdeutscht: »Der frey wille nach dem fal Ade odder nach der gethanen sund ist eyn eytteler name, und wenn er thut das seine, szo sundigt er todlich« (Grund und Ursach aller Artikel, 1521, WA 7; 299. 308–457, hier 445,31–33) Vgl. hierzu Wolfgang Ebeling: Lutherstudien, Bd. 2: Disputatio de homine, Teil 3: Die theologische Definition des Menschen. Kommentar zu These 20–40, Tübingen 1989, 352f. Vgl. ferner Karl-Heinz zur Mühlen: Die Heidelberger Disputation Martin Luthers vom 26. April 1518, in: Wilhelm Doerr (Hg.): Semper Apertus. 600 Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386–1986, Bd. 1: Mittelalter und frühe Neuzeit 1386–1803, Berlin u. a. 1985, 188–212; Michael Plathow: Martin Luthers »Heidelberger Disputation« und das Reformations-Gedenken 2017, in: LuJ 82 (2015), 240– 265. 98   Vgl. die wichtige Textstelle in ›De servo arbitrio‹, in der Luther die Problematik des geknechteten Willens auf die Dinge beschränkt, die über dem Menschen stehen (respectu superioris rei), jedoch einen freien Willen zugesteht mit Bezug auf die Dinge, die ihm untergeben sind (respectu inferioris rei): »Quod si omnin[o] vovem eam omittere nolumus, quod esset tutissimum et religiosissimum, bona fide tamen eatenus uti doceamus, ut homini arbitrium liberum non respectu superioris, sed tantum inferioris se rei concedatur, hoc est, ut sciat sese in suis facultatibus et possessionibus habere ius utendi, faciendi, omittendi pro libero arbitrio, licet et idipsum regatur solius Dei libero arbitrio, quocunque illi placuerit. Caeterum erga Deum, vel in rebus, quae pertinent ad salutem vel damnationem, non habet liberum arbitrium, sed captivus, subiectus et servus est vel voluntatis Dei vel voluntatis Satanae« (WA 18; 638,4– 11; BoA 3; 128,20–129,8; W2 18; 1722f). Luther geht es nicht um die Frage, ob es einen freien Willen gibt oder nicht. Vielmehr lautet seine Frage, die er als Dreh- und Angelpunkt (cardo) bezeichnet, »was der freie Wille vermöge, was er leide, wie er sich verhalte zu der Gnade Gottes«: »hic est cardo nostrae disputationis, hic versatur status causae huius. Nam hoc agimus, ut disquiramus, quid nam possit liberum arbitrium, quid patiatur, quo modo se habeat ad gratiam Dei« (WA 18; 614,3–6; BoA 3; 106,28–31; W2 18; 1688f). Vgl. hierzu Dietrich Korsch: Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein. Vier systematische Variationen über Gesetz und Evangelium (BHT 76), Tübingen 1989, 227; Frank Dettinger: Radikale Selbstbestimmung. Eine Untersuchung zum Freiheitsverständnis bei Harry G. Frankfurt, Galen Strawson und Martin Luther, Tübingen 2015, 192.

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sen, dass man durch sich selbst nicht fromm oder gut werden könne.99 Die Bedingung, fromm zu werden, besteht allein in der Erkenntnis des eigenen Unvermögens. Aufgrund dessen müsse der Mensch an sich selbst verzweifeln, sich vor Gott als untüchtigen Menschen anklagen und seine Gnade anrufen.100 Diesen psychologischen Reflex der Verzweiflung coram deo bezeichnet Luther als Anfangspunkt des Gnadenempfangs. Wer etwas anderes lehre, der irre ihm zufolge und verführe andere.101 Er lehnt die Haltung ab, die dem Menschen einflüstere, er habe einen freien Willen, weswegen er so viel tun solle, wie er es vermöge. Denn Gott würde dann schon das Seine tun.102 Damit greift er implizit auch die Haltung Ecks an. Dieser machte in der Disputation gegen Karlstadt zwei Tage zuvor deutlich, dass er nicht vom freien Willen gänzlich ohne Mitwirkung der Gnade spreche, was auch für ihn pelagianische Ketzerei wäre. Jedoch sei er der Meinung, dass der freie Wille als vernünftige Kraft der Gnade beistehe (adiutare) und sie nicht um ihre Tugend, die auf natürliche Weise wirke und Gutes hervorbringe, betrogen werden dürfe. Deshalb sei der freie Wille auch kein leerer Name (solus titulus), weil er bei der Gnade mitwirke (cooperare).103 Luther gibt in der Predigt zu bedenken, dass eine solche Auffassung den Menschen in seiner Verzweiflung beschwichtige, und ihn somit dazu auffordere, so viel wie möglich für die Gnade Gottes zu tun. Vielmehr sollte man das Verzweifeln in rechter Weise hervorheben. Luther unterscheidet hierzu zwischen dem Zweifel gegenüber sich selbst, der nicht relativiert werden dürfe, und dem Zweifel gegenüber der Gnade Gottes. Den letzteren lehnte auch Luther ab. Vielmehr solle man sich ganz auf Gottes Gnade verlassen.104   »Wann man nu begeret zuwissen, wie man frum werden und wolthun soll, welchs dann die gemeyn frag ist, hab ich gesagt, das das erst und furnemist sey, das einer wiß, wie er von ym selbs nit mag frum werden odder wol thun« (WA 2; 247,22–25). 100   »Drumb er musse an ym selbs verzweyfeln, hend und fuß gen lassen, sich als einen untuechtigen menschen vor gottis augen clagen und aldo seine gotliche gnad anruffen, in welche er festiglich vertrawen soll« (WA 2; 247,25–27). 101   »[…] wer einen andernn anfang leret odder sucht dann nach dißer weis, der irret und vorfuret sich und andere« (WA 2; 247,27–29). 102   »[…] die do sagen ›Ey du hast einen freyen willen: thu so vil in dir ist, got wirt das sein thun‹ und meynen, man sol die leut nit verzweifeln heyßen« (WA 2; 247,29–31). 103   »Non enim induxi sapientis dictum ad hoc, ut liberum arbitrium posset in bonum sine gratia, quae fuit damnatissima Pelagianorum haeresis. Nam in hac re sicut Christianus et fidei christianae tenax libenter ei subscribo, verum hoc erat propositi nostri et hoc saxum volvebamus, ut liberum arbitrium vis nostra rationalis adiuta gratia naturali virtute productiva elicitiva non probaretur, hoc est quod voluntas non haberet se mere passive ad bonum nec liberum arbitrium esset res de solo titolo post peccatum, sed potius cooperaretur deo sua gratia adiuvante« (Otto Seitz [Hg.]: Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519), Berlin 1903, 18). Vgl. W2 18; 865. Vgl. Ronald J. Sider: Andreas Bodenstein von Karlstadt. The Development of his thought 1517–1525 (SMRT 11), Leiden 1974, 72. 104   »[…] das vertzweyfeln muest man recht außstreichenn. An gottis gnaden soll nymant verzweyfeln, ßundern wider alle welt und alle sund festiglich auff gottis hilff sich verlaßen« (WA 2; 247,31–34). 99

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In diesem Zusammenhang kommt Luther auf den Kirchenvater Hieronymus zu sprechen, der die Perikope ebenfalls kommentiert hat.105 Ihm zufolge vertrete Hieronymus folgende Meinung: Während die Menschen auf die Frage, wer Jesus sei, menschlich antworteten, habe Petrus gesprochen, als ob er kein Mensch wäre.106 Luther gibt der Auffassung des Hieronymus recht. Denn auch er ist der Meinung, dass die göttliche Gnade den Menschen zu mehr als einem Menschen mache.107 Vielmehr werde er durch sie »gottförmig« und »vergottet«, weshalb die Schrift einen jeden gläubigen Menschen auch als »Sohn Gottes« bezeichne.108 Die Berufung auf Hiernoymus erfolgt nicht zufällig. Denn neben der Auslegung von anderen Kirchenvätern ging es in der Debatte zwischen Karlstadt und Eck vornehmlich um die Interpretation von Hieronymuszitaten. Allein dreizehnmal in den eineinhalb Tagen vor der Predigt kamen beide auf Hieronymus zu sprechen. Eck berief sich unter anderem auf das dritte Buch von dessen Schrift ›Dialog wider Pelagius‹109, in der Hiernonymus ihm zufolge behaupte, dass es in der Gewalt des Menschen stehe, zu sündigen oder nicht zu sündigen bzw. das Gute oder das Böse zu tun.110 Während sich Eck auf Hieronymus zum Beweis des freien Willens stützte, macht Luther in seiner Predigt deutlich, den Kirchenvater auf seiner und Karlstadts Seite zu haben. Insofern ist der Verweis auf Hieronymus eine Replik auf Eck, um ihm zu zeigen, dass er gar nichts von Hieronymus verstanden habe. Nachdem Luther über den unfreien Willen und den richtigen Anfang auf der Suche nach Gottes Gnade gesprochen hat, leitet er zur Frage über, in welchem Verhältnis die guten Werke zum Gnadenempfang stehen.111 Luther verdeutlicht, dass für das Tun der guten Werke zwei Bedingungen erforderlich seien: zum einen die völlige Verzweiflung über sich selbst und zum anderen die Erlangung der Gnade. Erst dann folgen seiner Auffassung nach die guten Werke von selbst.  Vgl. Hieronymus: Commentariorum in Matheum (CCSL 77, Turnhout 1969, 140).   »Drumb spricht wol sanct Hieronymus uber ditz ewangelium, das zu merken sey, wie Christus seine juenger fragt, was die menschen von ym sagen, und darnach, was sie von ym sagten, sam [= als ob] sie nit menschen weren« (WA 2; 247,37–39). 107   »Dann war ist es, das der mensch mit gnaden beholffen mehr ist dann ein mensch« (WA 2; 247,39–248,1). 108   »Ja die gnad gottis macht yn gotformig und vergottet yn, das yn auch die schrifft got und gottis sun heist« (WA 2; 248,2f). 109  Vgl. Hieronymus: Dialogus contra Pelagianus III, 12 (PL 23, Paris 1845, 6089). 110  »Et clarius hoc b. Hiernoymus libro 3. adversus Pelagianos explicat, ubi Attikus ad Critobulum ait: hoc est, quod in principio diceram, in nostra esse positum potestate vel peccare vel non peccare et vel ad bonum vel ad malum manum extendere« (Otto Seitz [Hg.]: Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519), Berlin 1903, 16). Vgl. W2 ; 863. 111  »Also mus der mensch uber fleisch und blut außgezogen werden und meher dann mensch werden, soll er frum werden. Das geschicht nu anfenglich, wann der mensch das erkennet als ym selbs unmueglich und demuetiglich die gnad gottis darzu sucht, an ym selbs gantz verzweifelt. Darnach aller erst folgen die guten werck« (WA 2; 248,3–7). 105

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In diesem Sinne könne man dann auch von einem freien Willen sprechen.112 Jedoch müsse man sich erst des Bestrebens entledigt haben, gute Werke um der Gnade willen tun zu wollen. Erst dann sei man auf dem Weg, wirklich frei zu handeln. So habe es auch die Gottesmutter in ihrem Lobgesang ausgesprochen, wonach die Hungrigen und Durstigen mit allen Gütern erfüllt würden (Lk. 1, 53).113 Hierbei wirft er seinen Gegnern und damit implizit auch Eck vor, dass sie zwar viel von den guten Werken lehren, aber dabei den Anfang außer Acht ließen. Dieser liege aber allein in der Selbstverzweiflung.114 Zum Schluss geht Luther auf die Dauer des Suchens nach der Gnade ein. Er lehnt die Vorstellung ab, dass ein Verzweifeln über sich selbst nur punktuell sei und sich nur über eine kurze Zeitspanne erstrecke. Vielmehr sei das Suchen nach Gnade ein lebenslanger Akt.115 Das Leben vollziehe sich in der bleibenden Spannung zwischen Selbstverzweiflung und Gnadenempfang.116 Diese Sehnsucht nach Gott vergleicht er mit dem Hirsch, der nach frischem Wasser lechzt (Ps. 42, 1f).117 Ein solches Verlangen sei der Ursprung der Gnade und dauere bis zum Tod an.118 Damit geht Luther zum zweiten Teil der Predigt über.

3. Die Primatsfrage im zweiten Teil der Predigt Mit dem klaren Bewusstsein darüber, dass es in seiner Disputation mit Eck über die Primatsfrage zur Auseinandersetzung kommen werde, geht Luther im zweiten Teil der Predigt auf diese Frage ein. Die dreizehnte These von Eck, die den Hintergrund seiner Ausführungen bildet, lautet folgendermaßen: »Wir leugnen, dass die Römische Kirche vor der Zeit Silvesters nicht über den anderen Kirchen gestanden habe. Vielmehr haben wir den, der den Stuhl des heiligen Petrus innehatte und seinen Glauben besaß, immer als den Nachfolger Petri und allgemeinen Vicarius Christi anerkannt«.119 112   »[…] wann die gnad also erlanget ist, dann hastu ein freyen willen, dann thu was in dir ist« (WA 2; 248,7f). 113   »Das ist die best und nehst bereytung zur gnaden, wie dy mutter gottes in yrem lobsang leret und sagt: Er hat die hungerigen und durstigen erfuellet mit allen gueternn« (WA 2; 248,11–13). 114   »Das solt man predigen und die leut vor ledig machen von yrem eygnen falschen vortrawen und dann fullen mit guten wercken. So leren sie uns vil guter werck thun und gar wenig von dem anfang gute werck zu thun« (WA 2; 248,14–16). 115   »Dis verzweyffeln und gnad suchen soll nit ein stund odder eyne zeyt weren und dann auffhoeren« (WA 2; 248,20f). 116   »[…] das man alzeyt in sein selbs verzweyfeln und [!] in gots gnaden, begirde und sehnung bleybe« (WA 2; 248,22f). 117   Vgl. WA 2; 248,23–26. 118   »[…] ßolchs verlangen nach got und frum tzu sein hebt die gnad an und weret biß in todt« (WA 2; 248,27f). 119   »13. Romanam Ecclesiam non fuisse superiorem aliis ecclesiis ante tempora Sylvestri negamus. Sed eum, qui sedem beatissimi Petri habuit et fidem successorem Petri et vicarium Christi generalem semper agnovimus« (Johannes Eck: Disputatio et excusatio Domini Jo-

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Bei genauer Betrachtung ergibt sich eine zweifache Aussage zum Primat des Papstes. Zum einen stellt Eck hier die Behauptung auf, dass es zu keiner Zeit – auch nicht vor den Zeiten von Papst Silvester (gest. 335), der Legende nach Heiler und Bekehrer Konstantins des Großen – eine Gleichordnung der Kirchen gegeben habe, sondern die römische Kirche immer höher gewesen sei als die anderen. Hierdurch gewinnt die These eine kirchengeschichtliche Dimension. Zum anderen besagt die These, dass alle Päpste, die den römischen Stuhl und den Glauben an Petrus innehatten, als Nachfolger Petri und als allgemeine Statthalter Christi anzuerkennen seien. In dieser Aussage ist eine rechtstheologische Dimension enthalten, die auf der Grundlage der Bibel die Begründung des Papstprimats nach göttlichem Recht statuiert. Gegen diese Doppelaussage in der These respondierte Luther ebenfalls mit einer Doppelaussage, in der er auf die kirchengeschichtliche Dimension und die rechtstheologische Dimension einging. Er formulierte als Gegenthese: »Dass die römische Kirche höher sei, als alle anderen, wird aus den ganz kalten Dekreten der römischen Päpste, die in den letzten 400 Jahren entstanden sind, bewiesen. Gegen sie stehen aber die anerkannten Geschichtsdarstellungen von 1100 Jahren, der Text der göttlichen Schrift und das Dekret des Koncils zu Nicaea, welches von allen das heiligste ist«.120

Demzufolge entgegnete Luther Eck aus kirchengeschichtlicher Sicht, dass der Vorrang der römischen Kirche lediglich aus »kalten«, d. h. nichtssagenden Dekreten abgeleitet werde.121 Die rechtstheologische Dimension greift er auf, indem er die Behauptung aufstellt, dass sowohl die Heilige Schrift als auch das Konzil von Nizäa dem Primat widersprächen. Neben der Abstufung der Heiligkeit von Konzilien ist damit implizit ein weiterer Streitpunkt benannt, der auf der Leipziger Disputation intensiv diskutiert wurde, nämlich die Frage, in welchem Verhältnis die Bibel zu den Beschlüssen der Konzilien und in welchem Verhältnis die Konzilsbeschlüsse zueinander stehen. Deshalb war für Luther klar, dass die Auslegung von Mt. 16, 18 als biblischer Hauptbeleg für die Primatsfrage eine wesentliche Rolle für Eck spielen würde.

hannis Eccii adversus criminationes, in: Peter Fabisch/Erwin Iserloh: Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521), Bd. 2 (CCath 42), Münster 1991, 256). Vgl. W2 18; 715. 120   »XIII. Romanam Ecclesiam esse omnibus aliis superiorem, probatur ex frigidissimis Romanorum Pontificum decretis intra cccc annos natis, contra quae sunt historiae approbatae MC annorum, textus scripturae divinae et decretum Niceni Concilii omnium sacratissimi« (Disputatio et excusatio F. Martini Luther adversus criminationes D. Iohannis Eccii, 1519, WA 2; 161,35–38). Vgl. W2 18; 721. 121   Zum Ausdruck »ex frigidissimis Romanorum Pontificum decretis« vgl. ebenfalls Resolutio Lutheriana super propositione XIII. de potestate papae, 1519, WA 2; 185,9. 196,28 u. 283,1. Er erläutert diesen Ausdruck im Brief an Spalatin, dass sie die Schrift verzerren: »Quod autem frigidiss[ima] decreta vocavi, ideo feci, Quod Scripturas in hanc rem torquent« (Brief Luthers an Spalatin vom 24 (?) Februar, 1519, WA B 1; Nr. 157, 354,58–60).

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In der Predigt vollzieht Luther jedoch eine überraschende Wendung. Er setzt mit dem Gedanken ein, dass es für den gemeinen Mann nicht nötig sei, über Petrus oder die päpstliche Gewalt zu disputieren. Vielmehr sei es notwendiger zu wissen, wie jeder Mensch die päpstliche Gewalt in seliger Weise gebrauchen solle.122 Demzufolge grenzt Luther die Interessen des einfachen Menschen scharf von den Spezialfragen der Gelehrten im Rahmen von Disputationen ab. Für ihn soll im Folgenden insbesondere die Frage im Vordergrund stehen, wie der normale Mensch die päpstliche Gewalt für sich zu gebrauchen habe. Ihm geht es in der Predigt nicht um eine Begründung des Primats, sondern vielmehr um dessen Bedeutung für den Laien. Damit umgeht Luther in geschickter Weise eine direkte Bestreitung, in dem er auf den ersten Blick die Primatsfrage beiseiteschiebt und als Gelehrtenproblem abqualifiziert. Gleichwohl relativiert und kritisiert er damit in impliziter Weise die göttliche Begründung der Papstgewalt, indem er sich vordergründig auf die Funktion der päpstlichen Gewalt in Bezug auf den Laien konzentriert. Der Vorteil dieser Problemverlagerung besteht darin, dass er nun nicht mehr offen die Primatsfrage angreifen muss, sondern er sie indirekt einer Kritik unterzieht, indem er der Gemeinde seine eigene Interpretation von Mt. 16, 18 darlegt. Der Kern seiner Auslegung besteht darin, dass die Schlüsselgewalt nicht Petrus als Person übertragen wurde, sondern er stellvertretend für die christliche Kirche und damit zugleich für alle Christen die Schlüsselgewalt erhält.123 Die Gewalt über die Schlüssel in Bezug auf deren Anwendung liege somit nicht allein bei den Priestern, sondern auch bei den Laien. Insofern seien Petrus und alle anderen Priester lediglich Diener der Schlüsselgewalt.124 Jene Macht sei im täglichen Gebrauch und trete in Kraft, wenn der einfache Mensch sie begehre, wie es in der Buße der Fall sei.125 Später in der Disputation mit Eck wird er diese Erweiterung der Schlüsselgewalt auf alle Gläubigen auch verteidigen. Im Zusammenhang eines Ambrosiuszitats sagt er dort: »Deshalb lasse ich das Wort des Ambrosius gern zu, wenn er sagt, Petrus sei der Fels, da auch ein jeglicher Christ ein Fels ist um Christi willen, auf dessen Festigkeit er sich gründet und Eins mit ihm wird«.126 Dagegen   »Es ist dem gemeynen man nit not vil zu disputiren von sanct Peters odder pebstlicher gewalt: da ligt mer an, das man wisse, wie man der selben seliglich gebrauchen soll« (WA 2; 248,31–33). 123   »Es ist war, dy schluessel seind sant Peter geben, aber nicht ym alß seiner person, ßundern in person der christenlichen kirche, und seind eben mir und dir geben zu trost unßerm gewissen« (WA 2; 248,33–35). 124   »[…] sanct Peter odder ein priester ist ein diner an den schluesseln« (WA 2; 248,35f). 125   »Die kirch ist die fraw und brawt, der er sol dienen mit der schluessel gewalt, alß wir dann sehen in teglichem prauch, das die sacrament gereicht werden allen, die sie von den pristernn begeren« (WA 2; 248,36–38). 126  »Ideo illud Ambrosii dicentis, Petrum esse petram, facile admitto, cum et quilibet Christianus sit petra propter Christum, in cuius soliditate firmatur et unum cum eo efficitur« 122

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beharrt Eck auf der Auslegung, dass mit dem Fels Petrus als Person gemeint sei, dem allein die Gewalt übertragen werde.127 In diesem Zusammenhang knüpft Luther an den ersten Teil der Predigt an. Dort habe er die Spannung zwischen Selbstverzweiflung und Gnadenempfang beschrieben, in der sich der Mensch befinde.128 Der Zweifel an sich selbst dürfe jedoch nicht zum Zweifel an einem gnädigen Gott führen. Umgekehrt seien die Zweifel gegenüber Gott nur dann wahrhaft getilgt, wenn man an sich selbst verzweifele. Dabei hebt Luther scharf hervor, dass der Glaube allein selig mache. Wer an einen gnädigen Gott glaube, der habe auch einen. Wer nicht daran glaube, der sei verdammt.129 Es fällt auf, dass er erst an dieser Stelle den Glaubensbegriff einführt. Im ersten Teil wird lediglich von der Gnade gesprochen. Mit der Einführung des Glaubensbegriffs als notwendige Bedingung zum Empfang der Gnade relativiert er, bevor er zur Funktion der Schlüsselgewalt kommt, bereits implizit das Bußsakrament. Denn der Mensch solle die Absolution der Priester lediglich als Hilfsfunktion verstehen. Ihm zufolge sind die Priester lediglich dazu eingesetzt, dem Menschen Zuspruch zu erteilen. Wenn der Selbstzweifel gegenüber der Gnadengewissheit überwiege bzw. wenn das Herz ins Wanken gerate, dann werde es Luther zufolge höchste Zeit, zum Priester in die Buße zu gehen und die Absolution zu begehren. So suche man auf rechte Weise den Trost in der Schlüsselgewalt.130 Damit rekurriert Luther auf Jesu Worte, in denen er die Schlüsselgewalt auf Petrus überträgt: »Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein« (Mt. 16, 19). Vom Glaubensbegriff kehrt Luther wieder zur Ausgangsfrage zurück, die den seligen Gebrauch der Schlüsselgewalt thematisiert. Hierdurch wird der gedankliche Bogen geschlossen. Die Schlüsselgewalt bezieht Luther nicht auf weltliche oder geistliche Herrschaftsansprüche des Papstes, sondern lediglich auf die Übereinstimmung zwischen Priester und Gott in dem von Sünden befreienden Zuspruch an die Gläubigen. Luther hat dieses Verständnis der Schlüsselgewalt bereit in seiner ›Resolution‹ zur siebten These seiner 95 Thesen dar(Otto Seitz [Hg.]: Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519), Berlin 1903, 86). Vgl. ferner WA 2; 278,12–14; W2 15; 940. 127  Vgl. Otto Seitz (Hg.): Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519), Berlin 1903, 16. Vgl. ferner WA 2; 293,3–12; W2 15; 963. 128   »Nu, das man vernehme, wie man der schluessel seliglich brauch, hab ich droben gesagt, wann man frum sein begeret und durch unsers vormuegen vorzeihung uns der gnaden empfehig gemacht« (WA 2; 249,1–3). 129   »[…] darumb so mag nymant wissen, das er in gnaden sey und got ym guenstig sey, dan durch den glauben: glaubt er es, so ist er selig, glaubt er es nit, so ist er verdampt« (WA 2; 249,7–9). 130   »[…] wan du fuelest dein hertz, das es wanckt odder zweyfelt, du seyest nit in gnaden vor gottis augen, da ist hoche zeyt, das du tzum priester gehest und begerest ein absolution uber deine sund und suchst also die gewalt und trost der schluessel« (WA 2; 249,13–16).

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gelegt.131 In der Leipziger Predigt bekräftigt er sein Verständnis, in dem er betont, dass der Gläubige, der durch das Urteil des Priesters Absolution empfange, auch daran glauben dürfe, im Himmel von der Sünde losgesprochen zu sein.132 Der Priester übernehme demnach lediglich eine tröstende Sprachrohrfunktion, um den Willen Gottes zu übermitteln. Luther betont, dass es nur uneigentlich das Urteil des Priesters sei. Es handele sich vielmehr um das Urteil Gottes.133 Deshalb obliege die Schlüsselgewalt nicht dem Priester als Priester. Sie richte sich an das sündige Gewissen, um durch den Glauben die Gnade zu empfangen.134 Luther fordert daher seine Zuhörer dazu auf, nicht an jenem Wort des Priesters zu zweifeln, da es gleichsam das Urteil Gottes sei bzw. der Priester das Wort stellvertretend ausspreche. Das Ziel der Schlüsselgewalt ist Luther zufolge, die Gewissen zu trösten.135 Die Folge davon seien ein lachendes Herz sowie Lob und Dank an Gott und schließlich die Freude am Priester, der in seiner Funktion den Urteilsspruch Gottes ausgesprochen habe.136 An dieser Stelle beklagt Luther erneut, dass zu viel von den Werken und zu wenig über den Glauben gesprochen werde. Denn tausendmal wichtiger sei es, auf welche Weise der Mensch dem Urteil des Priesters glaube, als zu fragen, ob man genug dafür tue.137 Zum Schluss zieht Luther das Fazit, dass die Gewalt über die Schlüssel nicht dem Priester, sondern dem schwachen Gewissen helfen solle.138 Damit kehrt Luther die Funktionsweise der Schlüsselgewalt prinzipiell um. Sie diene nicht dem Priester oder dem Papst zur Begründung seiner Vorherrschaft, sondern dem gläubigen Menschen in seiner Bestätigung des Gnadenempfangs. Auch dies kann als indirekter Angriff auf Eck verstanden werden. Dabei führe der Empfang der Gnade durch den Glauben dazu, dass alles leicht werde, der Mensch 131   Vgl. Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute, 1518, WA 1; 522. 525–628, hier 540,38–541,11. Vgl. ferner Folkert Rickers: Das Petrusbild Luthers. Ein Beitrag zu seiner Auseinandersetzung mit dem Papsttum, Diss. Heidelberg 1967, 1–11; Christopher Voigt-Goy: Potestates und ministerium publicum. Eine Studie zur Amtstheologie im Mittelalter und bei Martin Luther (SMHR 78), Tübingen 2014, 104–123. 132   »[…] wann nu der priester schleust ein urteyl und absolvirt dich, so ist es also vil gesagt: dein sund sein vorgeben, du hast einen gnedigen got. das ist ein troestliche rede und sein wort gottis, der sich dahin verbunden hat: er wills lasen los sein ym hymel, wan der priester los gibt« (WA 2; 249,16–19). 133   »[…] dann es [das Urteil des Priesters] ist Christus und gottis urteyl« (WA 2; 249,21f). 134   »Alßo hilfft die gewalt der schluessel nicht die prister als prister, ßundern alleyn die sundliche und bloede gewissen, die da gnad durch den glauben empfangen« (WA 2; 249,31– 33). 135   »[…] so mus dein hertz […] got loben und dancken, das er durch menschen also dein gewissen troestet« (WA 2; 249,22f). 136   »Kanstu das also glauben, so mus dein hertz vor freuden lachen« (WA 2; 249,22f). 137   »[…] und ist ein gewiß zeichen, das du zu wenig unterricht bist ym glauben und zu vil in den wercken. taußent mal mer ligt daran, wie du festiglich glaubst« (WA 2; 249,27–29). 138   »Alßo hilfft die gewalt der schluessel nicht die prister als prister, ßundern alleyn die sundliche und bloede gewissen« (WA 2; 249,31f).

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seinem Gott mit Freuden dienen könne und dies als sanfte Bürde verstehe, womit er auf den Heilsspruch Jesu über das sanfte Joch und die leichte Last anspielt.139 Mit einem »Amen« und der Doxologie »Lob und Ehre sei Gott« endet die Predigt. Blickt man auf beide Teile der Predigt zurück, so erkennt man, in welch geschickter Weise Luther drei Aspekte miteinander verknüpfte: Erstens die Auslegung der Bibelstelle, durch die er zu den Hauptthemen »unfreier Wille« und »Primatsanspruch des Papstes« gelangt. Zweitens erfolgt eine kritische Stellungnahme zu Ecks Auffassung der päpstlichen Gewalt, in die er im Vorfeld bereits den rechtstheologischen Anspruch auf göttliche Begründung relativiert. Drittens verknüpft er dies auf elegante Weise mit seinem eigenen Verständnis der Rechtfertigungslehre. Das »sola gratia« aus dem ersten Teil wird hierbei vertieft und verschärft durch das »sola fide« im zweiten Teil. Die Unterscheidung des Zweifels vor dem Menschen (coram homine) und des Vertrauens vor Gott (coram deo) im ersten Teil erfährt insofern eine Anwendung auf den Akt der Rechtfertigung.

4. Das Vorwort In den Rahmenbedingungen der Disputation wurde vereinbart, wie oben dargestellt, dass keine Veröffentlichung erfolgen solle, solange der Schiedsspruch nicht ergangen sei.140 Luther wollte sich auch an dieses Abkommen halten. Jedoch war es für ihn von Beginn an ein Bedürfnis, auch die Öffentlichkeit an seinen Grundaussagen teilhaben zu lassen. Ob er einer vorzeitigen Publikation der Protokollakten zugestimmt hätte, ist schwer zu sagen. Wohl über Luthers Freund Johann Lang, der in Erfurt leicht an die offiziellen Protokollakten gelangen konnte, da auch die Universität in Erfurt das Urteil über die Disputation zwischen Eck und Luther fällen sollte, ist es zum vorzeitigen Druck der Akten im Dezember 1519 gekommen.141 Das konnte Luther kurz nach der Leipziger Disputation noch nicht ahnen. Der Druck seiner Predigt war deshalb für ihn eine willkommene Gelegenheit, auf der einen Seite seine Auffassungen hinsichtlich der Leipziger Debatten in seinem Namen zu verbreiten, ohne dabei auf der anderen Seite das Abkommen zu brechen. So konnte Luther die Vereinbarung geschickt umgehen. 139   »[…] daraus folget dann, das alles leben und leyden leicht wirt und der mensch mit freuden seinem gnedigen got dynen kan, der sunst vor unrhu seins hertzen nimmer keyn rechts werck thut. das heyst dann dy susse burde unsers herren Jesu Christi« (WA 2; 249,34– 37). 140   Siehe oben Seite 102. 141   Vgl. den Druck Disputatio Iohannis Eccii et Martini Lutheri Lipsiae habita, 1519, WA 2; 250. 254–383. 759, hier in der Einleitung 253. Vgl. ferner Disputatio inter Ioannem Eccium et Martinum Lutherum, 1519, WA 59; 427. 433–605.

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In seinem Vorwort blickt er auf die letzten zwei Jahre seit Erscheinen seiner 95 Thesen zurück. Er beklagt, dass viele Prediger das Volk mit dem vermeintlichen Schutz des Ablasses verführt hätten.142 Gemeint ist damit auch Johann Tetzel. Aufgrund seiner Kritik habe er zwei Jahre lang viel Schmach von Gelehrten und Predigern einstecken müssen.143 Er bedauere am meisten, dass durch solche Lästerungen der Prediger so viele Menschen zu Missgunst getrieben worden seien.144 Doch da nun die Wahrheit ans Licht gekommen sei, halte er es nicht mehr für nötig, anzugreifen, sondern nachzulassen, da ja auch Gott ihm so vieles nachgelassen habe.145 Jetzt aber, fährt Luther fort, nachdem dies Unwetter vorübergezogen sei, erhebe sich ein neues Spiel. Man werfe ihm vor, er wolle die Ketzer der Böhmen verfechten.146 Dies zielt auf den Eklat zwischen Luther und Eck während der Leipziger Disputation, bei der Luther behauptete, dass nicht alle Artikel der Böhmen bzw. von Johannes Hus unevangelisch seien.147 Für Eck war jene Äußerung der Hebel, um Luther als Vertreter ketzerischer Ideen dastehen zu lassen.148 Über diesen Vorwurf hinaus würden sich Luther zufolge noch weitere abergläubische Meinungen dazugesellen. Beispielsweise soll behauptet worden sein, er würde den Papst nicht anerkennen, er habe eine Perle aus dem Rosenkranz gerissen, er habe einen goldenen Ring getragen oder einen Kranz gehalten.149 Damit spielt Luther auf allerlei Legenden an, die im Zuge der Leipziger Dispu142   »Es ist an zweyffel fast yderman bewußt, wy das ich, d. Martinus Luther, zur zeyt den mißprauch Roemischs ablas angefochten, darzu […] das ich gesehen, wie […] etlicher Prediger das arm gemeyn volck umfuret wart und in seiner eynfeltickeyt unter dem schein des ablaß in ferliche yrthum, auch tzu schaden seiner notdurftigen narung kummen« (WA 2; 244,2–8). 143   »Aus welcher meiner guten meynung […] hab ich […] schwerliche schmach und lesterung meiner christlichen eehr von etlichen weissen und heyligen auff der cantzel, in winckeln, gassen und allen orten dulden mueßen, und das nw fast zwey jar lang an auffhoeren weret« (WA 2; 244,8–13). 144   »Doch ynn dem allen mich am meysten betruebt hat, das durch solch Predige und lesterungen ßo vil christen menschen bewegen und verursacht sein zu haß, neyd, nachreden, frevel urteyl« (WA 2; 244,14–16). 145   Vgl. WA 2; 244,20–28. 146   »So nw das wetter fast uber ist, erhebt sich ein new spill, unnd aus der nehsten gehalten disputation zu Leypßgk man furnympt, zu decken und schmucken alle vorige frevel und untugent, bringen andere stucklein auff die pan, unnd geben mir schult, ich woll der Behemen ketzerey vorfechten« (WA 2; 244,31–245,1). 147   »Secundo, et hoc certum est, inter articulos Ioannis Huss vel Bohemorum [1049] multos esse plane christianissimos et evangelicos, quos non possit universalis ecclesia damnare, velut est ille et similis, quod tantum est una ecclesia universalis« (Disputatio inter Ioannem Eccium et Martinum Lutherum, 1519, WA 59; 466,1048–1051). 148  Vgl. Christopher Spehr: Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit (BHT 136), Tübingen 2010, 147–153. 149   »[…] und […] setzen sie dazu vil andere leichtvertige kindische punct: dißem halt ich keinen pabst, dem hab ich pater noster koernlein abrißen, dem hab ich gueldene ring tragen, dißem ein krantz, und der gleichen, die nit wert sein vor redlichen leuten zurzelen« (WA 2; 245,1–5).

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tation entstanden sind. So wird überliefert, Luther habe zum Erstaunen Ecks einen silbernen statt eines goldenen Ringes, wie es Sitte war, getragen. Ebenfalls soll er bei der Disputation als arrogante Geste beim Reden des Gegners einen Blumenstrauß gehalten, diesen verträumt angeschaut und daran gerochen haben.150 Aufgrund dieser Vorwürfe will Luther mit dem Druck der Leipziger Predigt seine Unschuld bekunden. Er wolle damit die Menschen ermahnen, die Seele vor solchen Lästerungen zu beschützen, um sich nicht vor Gott schuldig zu machen.151 Denn ihm könne man keine ketzerische Aussage nachweisen, sei sie böhmisch oder anderweitig fremdländisch.152 Derjenige, der Luther zu Unrecht angreife, werde letztlich nicht ihn, sondern sich selbst schaden und vor Gott seinen Richter finden.153 Die Schrift solle jedoch nicht nur ihm selbst zur Verteidigung dienen, sondern auch dem Leser nutzen. Denn seiner Auffassung nach wäre damit fast wieder ein Feuer entfacht.154 Demzufolge war Luther wohl bewusst, welches Aufsehen er mit seiner Predigt erregt hatte. So äußerte sich Cäsar Pflug, der Ratgeber von Herzog Georg, über Luthers Predigt: »Ich wollte, Doktor Martinus hätte seine Predigt gen Wittenberg gesparet«.155 Anstoß erregte die Predigt auch bei Eck. Denn dieser betrat gleich darauf auch die Kanzel am 2., 3. und 25. Juli und hielt in der Nikolaikirche Gegenpredigten, die jedoch nicht überliefert sind. In einem Brief urteilt Eck, Luther habe eine ganz irrige hussitische Predigt gehalten.156 Luther beschließt sein Vorwort, indem er beteuert, nun keinen weiteren Zorn entfachen zu wollen. Deshalb möchte er die Aussagen lindern, die Verdruss bereitet hätten.157 Es ist zu fragen, in welchen inhaltlichen Punkten er tatsächlich die Predigt abgeschwächt hat. Einen Hinweis findet man in den Disputationsakten zur Nachmittagssitzung vom 5. Juli. Dort sagt Eck im Zusammenhang mit der Auslegung von Mt. 16, 18, dass Luther kürzlich – gemeint ist Luthers 150   Vgl. die Aufzählung der Legenden bei Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, 63. 151  »Es wil mir aber zymen, das ich das mein darzu thu und ein yglich frum christen mensch warne und vormane, seine seele zu behueten vor den lesterzungen, und sich mit frevel urteyl odder nachrede nit gegen got vorschulde« (WA 2; 245,17–19). 152  »Es ist auch keyn frum man, der mir zusagen muege, das ich eyniges ketzerischen puncts, er sey behmisch odder welsch [fremdartig, unbekannt], uberwunden sey« (WA 2; 245,26f). 153   »Darumb wil ich mich entschuldiget haben, wil yemand mir anders nach sagen, der wirt mir nit schaden thun, er wirt aber seinen richter wol finden« (WA 2; 245,29–31). 154   »Auff das ich mir nit alleyn diene, ßundernn auch ein nutz hab, der diß [33] liset, will ich den Sermon dargeben, den ich zu Leypßgk auffm Schloß than hab, von welchem fast das fewer auffgeplasen ist« (WA 2; 245,32–34). 155   Vgl. Brief Luthers an Georg Spalatin vom 20. Juli 1519, WA B 1; Beilage 1, 424,140f u. Anm. 44. Vgl. ferner W2 15; 1169, Anm. 6. 156   Vgl. Ecks Brief an Jakob Hoogstraten vom 24. Juli 1519, W2 15; 1224–1227, hier 1227. 157   »Doch alßo, das ich lindern will, was mich dunckt zu nahe sein dem vordruß, und weyter in den grundtlichen vorstand gehen« (WA 2; 245,34–36).

Ein Sermon als Summe der Leipziger Disputation

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besagte Leipziger Predigt – eine schwache Argumentation geliefert habe. Luther habe in der Predigt behauptet: Wenn die Kirche auf einem Fels gebaut sein solle, hätte dann Christus Petrus erwählen können? Denn dieser habe schließlich auf die Stimme einer geringen Magd gehört und Christus sowie den christlichen Glauben verleugnet.158 Luther muss in der gehaltenen Predigt wohl bezweifelt haben, dass Petrus aufgrund seiner dreifachen Verleugnung Jesu (Mt. 26, 69–74) überhaupt in Frage komme, auf ihn die Kirche zu bauen. Daher sei der Begriff »Fels«, der die lateinische Übersetzung vom Namen »Petrus« ist, nicht auf dessen Glaubensstärke bezogen. Eine solche Behauptung konnte leicht als Verunglimpfung des wichtigsten Jünger Jesu aufgefasst werden. In der Leipziger Disputation entgegnet Eck in diesem Zusammenhang, dass Luther nicht nur die aristotelische Philosophie verachte, sondern auch die Grammatik, d. h. die Auslegung der Bibel nicht beherrsche. Denn das Felswort stehe im Futur: »Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen«. Die zukünftige Zeitform mache deutlich, dass die eigentliche Übergabe der Vollmacht nicht bereits unmittelbar nach dem Petrusbekenntnis erfolgen würde, sondern erst später nach der Auferstehung, wenn Christus dem Petrus das Wort dreimal zuspräche: »Weide meine Schafe« (Joh. 21, 15–17).159 In jener Überbietung der Auslegungskunst Luthers hat Eck wohl tatsächlich einen wunden Punkt in der Argumentation des Reformators getroffen. Denn das Argument, Luther habe die Kirchenväter falsch ausgelegt, wurde nun noch einmal zugespitzt, indem Eck nun behauptete, Luther habe auf dem eigenen Terrain, nämlich der wahrheitsgemäßen Auslegung der Bibel, eine ungenaue Auslegung vorgenommen. Nach der Leipziger Disputation musste Luther also einsehen, dass der Verweis auf die Verleugnung Petri nicht weiterführte und im Rückblick nicht stichhaltig genug war. Deshalb verzichtete er beim Druck auf diesen Gedanken.

Resümee Die Leipziger Predigt vom 29. Juni 1519 bildet eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion der unmittelbaren Vor- und Nachgeschichte der Leipziger Disputation. Dabei kann die Kanzelrede in zwei Richtungen gedeutet werden. Auf der einen Seite ist sie ein Kommentar Luthers mit Blick auf die Debatte zwischen 158   »Ratiunculam adiecit etiam nuper in vulgari sermone disseminatam: Si super Petrum, quomodo super Petro ecclesia aedificari potuerit, qui ad unius ancillulae vocem Christum et fidem christianam negavit« (WA 59; 470,1186–1188). Vgl. ferner Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, 91; W2 15; 947. 159   »Parcat mihi reverendus pater, cum philosophiam Aristotelicam contemnatet grammaticam tanti faciat, cur hic lynceis suis oculis verbum ›Aedificabo‹ futuri temporis non respexit? Non enim sponso praesente, ubi filii laetabantur, opus erat vicario, neque tunc Christus ei potestatem dedit clavium, sed potius promisit. Ante ergo clavium et potestatis dationem ab ostiaria interpellatus fuit sanctus Petrus« (WA 59; 470,1189–471,1192). Vgl. ferner Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden 1843, 91; W2 15; 947.

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Erstes Kapitel

Karlstadt und Eck. Indem Luther jegliche Form der Mitwirkung des Willens am Gnadenempfang ablehnt, radikalisiert er die im Laufe der Disputation immer gemäßigter gewordene Position Karlstadts. Geschickt verknüpft Luther dieses Thema mit dem Perikopentext, indem er in der Heilsaussage Jesu (Mt. 16, 17b) das anvisierte Thema der Willensfreiheit entdeckt. Dabei lehnt er vollständig die Kooperationstheorie hinsichtlich des Gnadenempfangs ab. Luther hebt hervor, dass es ihm in Bezug auf den unfreien Willen nicht um einen ontologischen, handlungsbezogenen oder willenstheoretischen Determinismus geht, sondern um die religiöse Frage einer schicksalhaften Verstrickung der menschlichen Freiheit mit dem göttlichen Heilsempfang. In präziser Weise skizziert er die Grundgedanken seiner Lehre von der Rechtfertigung. Coram Deo bleibe dem Menschen nichts anderes übrig, als in seinem Gewissen an sich selbst zu verzweifeln. Ein solcher psychologischer Vorgang sei kein punktueller Akt, sondern dauere ein Leben lang an. Der Zweifel an sich selbst dürfe aber nicht zum Zweifel an Gott führen. Allein der Glaube könne den Menschen als Akt der geschenkten Gnade Gottes selig machen. Der Mensch benötige hierzu das externe Wort Gottes, um die Gnadenzusage für sich zu bestätigen. Dies werde im Rahmen der Beichte durch einen Menschen ausgesprochen, insbesondere durch einen Priester. In diesem Vermittlungsvorgang des Evangeliums relativiert er die sakramentale Funktion des Priesters. Dieser besitze lediglich eine Sprachrohrfunktion. Eine eigene an der Person des Priesters festzumachende Heilsbedeutung lehnt Luther ab. Neben Luthers Auftreten als Kommentator des Schlagabtauschs zwischen Karlstadt und Eck visiert er sein eigenes baldiges Zusammentreffen mit Eck an. Dabei umgeht er eine direkte Vorwegnahme des Disputs, indem er die Frage nach der göttlichen Begründung der Papstgewalt als ein für den Laien letztlich nicht relevantes Problem charakterisiert, da sie zu den Spezialfragen theologischer Gelehrter zähle. In gewisser Weise ist diese Strategie der vermeintlichen Relativierung in Wahrheit aber eine Verschärfung der Kontroverse. Kern seiner Auffassung ist es, dass die Übertragung der Schlüsselgewalt alle Christen betreffe, so dass daraus keine herausgehobene Stellung des Papstes abgeleitet bzw. keine besondere geistliche oder weltliche Macht zugrunde gelegt werden könne. Damit erfolgt eine Umdeutung der Begründungsfunktion. Die Schlüsselgewalt diene nicht dem Priester zur Begründung einer Vormachtstellung, sondern dem gläubigen Laien zur Bekräftigung und Bestätigung des göttlichen Gnadenempfangs. Der Blick in das Vorwort gibt Aufschluss darüber, an welchem Punkt Luther seine eigene Argumentation im Verlauf der Disputation modifiziert hat. Der Gedanke, Petrus komme aufgrund seiner Glaubensschwachheit im Rahmen der Verleugnung Christi als Stellvertreter Gottes gar nicht in Frage, revidiert er im Nachhinein.

Ein Sermon als Summe der Leipziger Disputation

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Die am 29. Juni 1519 gehaltene Predigt hat die Leipziger Disputation wesentlich beeinflusst. Im Vergleich zum akademischen Charakter der Disputation ist das Kanzelwort eine bewusste Hinwendung zum Volk, die Luther programmatisch vollzieht. Die Reaktionen Ecks, daraufhin Gegenpredigten zu halten und Luthers eigene Predigt beim darauffolgenden Schlagabtausch aufzugreifen, zeigen die Relevanz dieser Predigt. Luthers energisches Auftreten im Rahmen der Kanzelrede markiert die Kompromisslosigkeit in der Position Luthers. Eine friedliche Übereinkunft erwies sich bereits zu diesem Zeitpunkt als zum Scheitern verurteilt. Damit besitzt die Predigt einen nicht zu unterschätzenden Wert für das Geschehen in der Pleißestadt selbst. Sie zählt zu den wichtigsten Quellen zur Rekonstruktion der Vorgänge im Umfeld der Leipziger Disputation.

Zweites Kapitel

Der »Missionar« an den Zentren der frühen Gemeindereformation Die Frühjahrsreise durch das ernestinisch-sächsische Gebiet im Jahr 1522

Einleitung Das Jahr 1522 bedeutete für Luther eine strategische Neuausrichtung in der Durchsetzung und Verbreitung seiner reformatorischen Anliegen. Sie bestand in der bewussten Ausdehnung seiner Predigttätigkeit auf das gesamte Herrschaftsgebiet Friedrichs des Weisen. Nie wieder ist Luther in seinem Leben so viel gereist wie in diesem Jahr. Von den circa sechzig überlieferten Predigten aus dem Jahr 1522 ist gut ein Drittel außerhalb Wittenbergs gehalten worden. Seine Intention bestand darin, durch die öffentliche Präsenz in den Gemeinden der kursächsischen Landstädte die eigenen theologischen Vorstellungen persönlich bekannt zu machen. Dabei war er bestrebt, sich einerseits von altgläubigen Auffassungen abzugrenzen und sich andererseits gegenüber Andersdenkenden im eigenen Lager zu profilieren. Hinter ihm lagen die Auseinandersetzungen im Umfeld des Ketzerprozesses, die offiziell mit seiner Exkommunikation am 3. Januar 1521 endeten und zum endgültigen sowie unumkehrbaren Bruch mit der Papstkirche führten.1 Die Verhängung der Reichsacht durch das Wormser Edikt 2 vom 26. Mai 1521 enthielt zwar das Verbot, Luther zu beherbergen, Beistand zu leisten oder seine Schriften zu verbreiten,3 doch aufgrund von geheimen Absprachen zwischen 1  Vgl. Peter Fabisch/Erwin Iserloh: Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521), Bd. 2 (CCath 42), Münster 1991, 46. 457–467. 2   Zum Wormser Reichstag und Wormser Edikt vgl. die profunde Darstellung von Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (QFRG 72), Gütersloh 2001, 85–104; vgl. ferner den Sammelband zur Tagung in Worms von Werner Zager (Hg.): Martin Luther und die Freiheit, Darmstadt 2010 sowie den Sammelband von Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache, Worms 1971. Vgl. ebenfalls die älteren Studien von Paul Kalkoff: Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichstage 1521, Halle 21897; Ders.: Die Entstehung des Wormser Edikts. Eine Geschichte des Wormser Reichstags vom Standpunkt der lutherischen Frage, Leipzig 1913; Ders.: Zur Entstehung des Wormser Edikts, in: ARG 13 (1916), 241–276; Ders.: Das Wormser Edikt und die Erlasse des Reichsregiments und einzelner Reichsfürsten (HB 37), München 1917. 3   Das Wormser Edikt ist in drei Teile gegliedert. Vgl. Adolf Werde (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 2, Gotha 1896, Nr. 92, 640. 643–659. Die Narratio schildert das Verfahren und die Vergehen Luthers (aaO., 643,19–653,13). Der dispositive Teil enthält das Hausungs- und Hofungsverbot sowie das Verbot zur Hilfeleistung (aaO., 653,13–

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Zweites Kapitel

Karl V. und Kurfürst Friedrich über die Reichsacht kam es nicht zur offiziellen Versendung des Ediktes nach Kursachsen, was wohl der Rechtsgrund dafür gewesen sein mag, dass es dort im Vergleich zu anderen Gebieten nicht zur Anwendung kam.4 Dies hatte merkwürdigerweise zur Folge, dass die außerhalb Kursachsens lebenden Befürworter Luthers eher mit Strafen zu rechnen hatten als Luther selbst, der aufgrund des Edikts lediglich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war und von nun an für die kommenden Jahre lediglich im ernestinischen Gebiet gefahrloser umher reisen konnte.5 Die Neuausrichtung auf Andersdenkende im eigenen Lager begann während seines Wartburgaufenthaltes vom 4. Mai 1521 bis zum 1. März 1522 und fiel in die Zeit der Jahreswende. Der Anlass waren die Ereignisse in Wittenberg, die Luther zunehmend als religiöse Devianz gegenüber seinen eigenen Vorstellungen deutete. 6 Deshalb entschloss er sich gegen den Willen des Kurfürsten, nach 655,11). Im Edikt lautet die entscheidende Formulierung: »Und gebieten darauf euch allen, […] den vorgemelten Martin Luther nit hauset […] noch ime mit worten oder werken haimlich noch offentlich keinerlei hilf, anhang, beistand noch fürschub beweiset, sonder wo ir ine alsdann ankomen und betretten und des mechtig sein mügt, in fenklichen annemet und uns wolbewart zusendet […]. Ferner gebieten wir euch allen und eur insonders bei den vorgeschriben peenen, das eur kainer des obgenannten Martin Luthers schriften […] kauf, verkauf, lese, behalt, abschreib, druck oder abschreiben oder drucken lasse« (aaO., 654,7–655,19). Den dritten Teil bildet das Zensurgesetz (aaO. 655,12–659,2). 4   Vgl. die Kompilation der Mitteilungen über Versand und Veröffentlichung des Edikts, aaO., 595f, Anm. 1. Der Kurfürst berichtet in einer Handschrift vom 18. August 1524, er habe an den Kaiser noch in Worms die Bitte gerichtet: »ir Mt. wolle uns der sachen halben, sovil den Luther und sein handlung betrifft, gnediglich verschonen. Darauf dan ir Mt. uns derselben mandat keins zugeschickt, sondern uns in dem bisher gnediglich unberschwert gelassen« (Karl Eduard Förstemann (Hg.): Urkundenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirchen-Reformation, Bd. 1, Hamburg 1842, Nr. 92, 216f). In gewisser Weise führte der Kaiser damit seine Wormser Politik ad absurdum, da jener, der am wichtigsten für den Vollzug des Edikt gewesen war, faktisch seiner Pflicht entbunden wurde. Vgl. hierzu Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (QFRG 72), Gütersloh 2001, 103f. Die Gründe, warum der Kurfürst die schützende Hand über Luther hielt, sind wohl weniger in dessen lutherischer Gesinnung zu suchen, sondern vielmehr in dessen landesherrlicher Behauptung seines Machtanspruchs gegenüber der Kurie und in seiner Sorge um die Wittenberger Universität. Vgl. hierzu Karlheinz Blaschke: Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen und die Luthersache, in: Fritz Reuter (Hg.): Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache, Worms 1971, 316–335, hier 320f. 325f. 331. 5   Bereits am 12. Mai 1521 äußerte Luther die wohl auf Spalatin zurückgehende Vermutung gegenüber Melanchthon, dass die Reichsacht wohl im albertinischen Sachsen und in Brandenburg, aber nicht in Kursachsen rechtskräftig werden würde. Luther glaubte, dass das Edikt nirgends wüten werde als unter Rehabeam, womit Joachim I. von Brandenburg gemeint ist, und dem anderen Nachbarn, den die eitle Ruhmessucht plage, womit er wohl Georg von Sachsen vor Augen hatte: »Fore credo, ut edictum istud nusquam saeviat, nisi sub Roboam istoet altero vicino vestro, quos gloria vexat inanis« (WA B 2; Nr. 407, 333,30–33). 6   Zur den Wittenberger Ereignissen vgl. Natalie Krentz: Ritualwandel und Deutungshoheit. Die frühe Reformation in der Residenzstadt Wittenberg (1500–1533) (SMHR 73) Tübingen 2014, 141–242, hier 141, Anm. 2 (Lit.); Dies.: Auf den Spuren der Erinnerung. Wie die »Wittenberger Bewegung« zu einem Ereignis wurde, in: ZHF 36.4 (2009), 563–595, vgl. fer-

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Wittenberg zurückzukehren und als Person wieder an die Öffentlichkeit zu treten. Mit einem gesteigerten Selbstbewusstsein7 als »Evangelist«, »Prediger« und »Ecclesiast« wandte er sich neben seiner Kritik an die irreführenden Vorstellungen der Papstkirche von nun an entweder gegen eine neu aufkommende falsche Gesetzlichkeit oder gegen einen blinden libertinistischen Spiritualismus bei der Umsetzung evangelischer Gemeindereformen. 8 Neben einigen Untersuchungen zu Luthers Reisen im Jahr 15229 gab es auch die überlieferungsgeschichtliche Aufarbeitung der Predigten aus diesem Jahr ner: Ulrich Bubenheimer: Martin Luthers Invocativpredigten und die Entstehung religiöser Devianz im Luthertum. Die Prediger der Wittenberger Bewegung 1521/1522 und Karlstadts Entwicklung zum Kryptoradikalen, in: Günter Mühlpfordt/Ulman Weiß (Hg.): Kryptoradikalität in der Frühneuzeit, Stuttgart 2009, 17–37; Ders.: Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg 1520–1522 und die frühreformatorischen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 102 (1985), 147–217. 7  Zum Selbstverständnis Luthers und den von ihm selbst gewählten Titeln vgl. Karl Holl: Luthers Urteile über sich selbst (1903), in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 1: Luther, Tübingen 61932, 381–419, hier 382 (zum Titel »Prophet«), 394 (zum Titel »Prediger«); hilfreich hinsichtlich des Materials, nicht jedoch hinsichtlich der ideologischen Verzeichnungen ist Hans Preuß: Martin Luther. Der Prophet, Gütersloh 1933; vgl. ferner Hans Freiherr von Campenhausen: Reformatorisches Selbstbewußtsein und reformatorisches Geschichtsbewußtsein (1517–1522), Tübingen 1960, 318–342; 330–335; Rudolf Hermann: Luthers Theologie (Gesammelte und nachgelassene Werke, hg v. Horst Beintker), Bd. 1, Göttingen 1967, 19–22; Gerhard Ebeling: Lehre und Leben in Luthers Theologie (Vorträge der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaft G 270), Opladen 1984, 12f; Bernhard Lohse: Luthers Selbsteinschätzung (1985), in: Ders.: Evangelium und Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, FS, Göttingen 1988, 157–175, hier 169–172; Johannes Schilling: Geschichtsbild und Selbstverständnis, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 32017, 122–131. 8   Exemplarisch hinsichtlich seiner Selbstdeutung in dieser Zeit sei hier an zwei berühmte Äußerungen aus dem Jahr 1522 erinnert. Auf seiner Rückreise verfasste Luther von Borna aus am 5. März 1522 einen Brief an den Kurfürsten, worin er den Entschluss seiner Rückkehr begründet und sich vor dem Hintergrund von Gal. 1, 10f als apostolischen Gesandten Gottes stilisiert: »E[eure] K[urfürstlichen] G[naden] weiß, oder weiß sie es nicht, so laß sie es ihr hiemit kund sein, daß ich das Euangelium nicht von Menschen, sondern allein vom Himmel durch unsern Herrn Jesum Christum habe, daß ich mich wohl hätte mügen (wie ich denn hinfort tun will) einen Knecht und Euangelisten rühmen und schreiben« (WA B 2; 455,39–43). Eine weitere Stelle aus dem offiziellen Schreiben an Kurfürst Friedrich in Absprache mit Hieronymus Schurf vom 7. oder 8. März macht deutlich, dass für Luther das Evangelium in deutschen Landen Not leide, allerdings nicht deswegen, weil es nicht angenommen, sondern weil es falsch gebraucht werde, weswegen sich Luther berufen fühlt, dies richtig zu stellen: »[W]ir sehen, daß dies Euangelium fällt in den gemeinen Mann trefflich und sie nehmen’s fleischlich auf, sehen, daß es wahr ist, und wollen’s doch nicht recht brauchen […]. Es ist allzuviel an der, daß das Euangelium Not leidet« (WA B 2; Nr. 456, 461,52–81). Vor diesem Hintergrund ist das Urteil von Susanne bei der Wieden zu hinterfragen: »Luther selbst war sich der Bedeutsamkeit seines pastoralen Wirkens im Blick auf seine Anhänger außerhalb Wittenbergs offenbar weitaus weniger bewußt als seine Rezipienten« (dies: Luthers Predigten des Jahres 1522 [AWA 7], Köln u. a. 1999, 446). 9  Vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 128–138; Karl Friedrich Köhler: Luther’s Reisen und ihre Bedeutung für das Werk

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durch Susanne bei der Wieden.10 Was jedoch weiterhin ein Forschungsdesiderat darstellt, ist die umfassende Kontextualisierung und inhaltliche Analyse der Reisepredigten.11 Wie begegnet Luther in dieser kritischen Phase der frühen Reformation den Gemeinden vor Ort auf der Kanzel? Welches Ziel verfolgt Luther mit seinen Predigtreisen? Auf der Grundlage der neueren Erkenntnisse über den Entstehungs- und Überlieferungsprozess sollen in exemplarischer Weise Predigten vor dem Hintergrund der speziellen historischen Situation vor Ort beleuchtet werden. Zu fragen ist, ob homiletische oder theologische Eigentümlichkeiten in jenen Kanzelreden auszumachen sind, um die Frage zu beantworten, ob man hier von einem besonderen Typus von »Reisepredigten« sprechen kann.12 Dies geschieht, indem verwandte Wittenberger Predigten mit denen auf den Predigtreisen verglichen werden. Der Fokus liegt hierbei auf den überlieferten Kanzelreden seiner Frühjahrsreise. Im ersten Teil sollen Verlauf und Hintergründe der Predigtreise beleuchtet werden. Dann folgen die Analysen der Kanzelauftritte in den Orten Borna, Altenburg und Zwickau, verbunden mit einer ortsspezifischen Rekonstruktion der Situation, in die sich Luther hineinbegab.

1. Der Verlauf der Frühjahrsreise Nach seiner Rückkehr von der Wartburg erhielt Luther genauere Kenntnis über die Reformbestrebungen in den kursächsischen Ortsgemeinden. Aktionen wie Störungen während der Messe, Bilderentfernungen, Klosteraustritte, Priesterehen und Einführung des Laienkelchs erfolgten in nahezu allen Städten im Umland von Wittenberg, so in Kemberg, Lochau, Schlieben, Schmiedeberg, Herzberg, Altenburg, Borna, Zwickau, Torgau, Zerbst und Eilenburg.13 Aufgrund der Reformation, Eisenach 1873, 123–130; Ralf Thomas: Luthers Reisen von Wittenberg nach der südlichen Region des kursächsischen Landesstaates. Territorialpolitische und verkehrsgeographische Beobachtungen im Raum Eilenburg – Wurzen – Grimma, in: HerChr 13 (1981/82), 47–65. 10  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, zu den Reisepredigten in dem Jahr vgl. aaO., 45–61. 172–184. 337–348; Dies.: Predigt bei Luther. Überlegungen am Beispiel der Invokavitpredigten von 1522, in: Peter Zimmerling/ Wolfgang Ratzmann/Armin Kohnle (Hg.): Martin Luther als Praktischer Theologe, Leipzig 2017, 155–165. 11   Siehe oben Seite 11. 12   Heinz Schilling beispielsweise behauptet in seiner Lutherbiografie, dass Luther geradezu einen eigenen »Typus der Reisepredigt« entwickelt habe, »in der er sich auf die großen und grundsätzlichen Fragen seiner reformatorischen Theologie wie die zwei Regimente oder die göttliche und menschliche Gerechtigkeit konzentrierte« (Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 2012, 374). Vor ihm verwendet den Begriff »Reisepredigt« bereits: Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 2, Stuttgart 1994, 24. Vgl. ferner die Verwendung des Begriffs in der WA 10 III; XIV. XXXVII. XCIVf. CIX. 86. 341. 13  Die Ereignisse werden in einer aufschlussreichen Quelle geschildert mit dem Titel: »Nuwe gschicht von pfaffen vnd munche zu Wittenberg« (VD 16 B 6189. 6191 6193 ZV 2156),

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der Sorge um die Zustände in den Gemeinden plante Luther deshalb eine vierzehntägige Frühjahrsreise in der Zeit nach Ostermontag (21. April). In dem Brief vom 14. April an Wenzeslaus Linck berichtet er über sein Vorhaben: »Nach Ostern werde ich ausziehen, die Dörfer und Städte zu visitieren. Solches habe ich versprochen, so dass du mich danach kaum finden kannst [in Wittenberg] vierzehn Tage lang nach Ostern«.14 Luthers Andeutungen über gewisse Versprechen, die er einzulösen beabsichtigt, beziehen sich wohl auf die Predigteinladungen, wie sie der Rat von Altenburg15 und die Stadt Borna16 an Luther richteten und die den äußeren Anlass der Reise bildeten. Luther ist wohl am 25. oder 26. April in Richtung Borna aufgebrochen.17 Dort predigte er am 27. April, dem Sonntag Quasimodogeniti, zweimal am gleichen Tag, einmal morgens und ein weiteres Mal um 12.00 Uhr.18 Noch am selben Tag reiste er nach Altenburg weiter. Tags darauf hielt er dort zwei Predigten vor und nach der Mittagsmahlzeit. Im Anschluss daran reiste er noch am selben Tag nach Zwickau.19 Dort nächtigte er im Haus am Markt beim Stadtvogt Herdie in der Forschung aufgrund des Abdrucks zusammen mit Karlstadts »Sendbrief meldend seiner Wirtschaft« auch ihm zugeschrieben wurde, deren Verfasserschaft aber aufgrund der sprachlichen und stilistischen Unterschiede fraglich erscheint. Vgl. hierzu Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 45f; vgl. ferner Karl Pallas: Der Reformationsversuch des Gabriel Didymus in Eilenburg und seine Folgen (1521–1522), in: ARG 9 (1910/11), 347–362 und 10 (1910/1911), 51–69. 14   »Nam post Pascha egrediar visitaturus villas et oppida, sic promisi, ita ut vix me invenias post quindenam post Pascha« (WA B 2; Nr. 474, 496,7–9). 15   So richtete der Altenburger Rat am 15. April 1522 die Bitte an Luther: »Es wollten auch E. A. W., wo es derselbige nit eher zu tun wäre, uff diese osterliche Feiertage aber, wenns E. A. W. gelegen, uffs forderlichst sich selbst in eigener Person zu uns fugen und predigen, damit die gemeinen armen Leut des Argwohns der vermeintlichen Ketzerei, darein sie durch die andern abgeneigten Prediger täglich geleitet werden, entlediget und ihnen ihr unnutz Plaudern gestopft wurde« (WA B 2; Nr. 476, 503,22–28). 16   In einem Brief an Georg Spalatin vom 24. April 1522 schreibt Luther, dass er sich noch in dieser Stunde nach Borna aufmache, um ein Versprechen einzulösen: »Hac hora pergo versus Bornis satisfacturus promisso« (WA B 2; Nr. 481, 512,19). 17   Da Luther noch am 25. April einen weiteren Brief aus Wittenberg an Graf Ludwig zu Stolberg verfasste, verzögerte sich wohl die auf den 24. April geplante Abreise. Vgl. dort die Datierung: »Geben tzu Wittemberg am freytag nach ostern 1522« (WA B 2; Nr. 482, 514,35f). Über die unzureichend belegte Auffassung, Luther habe am 24. April in Sachau die Kirche eingeweiht und am 25. April in Belgern gepredigt. Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 48f, Anm. 24; Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 122–128. 18   So die Angaben in den Drucken der zweiten Bornaer Predigt: »Nachmittag umb des zeigers zwelffen predigt D. M. L.« (WA 10 III; 94,1f). 19   Anders die Meinung von Susanne bei der Wieden, die annimmt, Luther habe noch am Sonntagabend nach seiner Ankunft in Altenburg gepredigt. Ihre Vermutung beruht hierbei (wohl) auf der Angabe der alten Zwickauer Stadtchronik von M. Tobias Schmidt, Luther sei am Montags nach Qasimodogeniti von Altenburg in Zwickau angekommen (siehe nächste Anmerkung, vgl. ferner Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 49). Dagegen sprechen die Angaben der Altenburger Predigten, Luther habe am Montag nach Quasimodogeniti gepredigt (WA 10 III; XCIV. 99,6. 101,20). Um bei-

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mann Mülpfordt.20 Nach einem Erholungstag, in dem er wohl auch Erkundigungen über die Situation vor Ort eingeholt hatte, predigte er am Mittwoch, dem 30. April, zweimal entweder im Franziskanerkloster oder in der Marienkirche.21 Weil die Menschen in Scharen gekommen waren, um Luther zu hören, richtete er am Donnerstag, 1. Mai, vom Fenster des Rathauses aus sein Wort an die Zuhörenden. Abends predigte er wohl noch im Schloss Osterstein, wobei der Wortlaut nicht überliefert ist.22 Am Freitag schließlich sprach er ein weiteres Mal in Altenburg. Zwar ist die genaue Stätte nicht überliefert, die Predigt steht aber inhaltlich in enger Verbindung mit der Rede vom Fenster des Rathauses. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass ebenfalls das Rathausfenster in Frage kommt.23 Am selben Tag veranstaltete der Rat Luther zu Ehren ein Fest im Rathaus.24 Danach kehrte er nach Borna zurück, wo er am Samstag, am Tag der heiligen Kreuzauffindung, und am Sonntag, Misercordias Domini, predigte. den Angaben gerecht zu werden, ist es am wahrscheinlichsten, dass Luther noch am Sonntag in Altenburg ankam, am Montag predigte und dann im Anschluss nach Zwickau reiste, um dort am gleichen Tag anzukommen. 20   Luther hatte 1520 Hermann Mülpfordt sein Buch »Von der Freiheit eines Christenmenschen« gewidmet. Vgl. WA 7; 12 u. 20,3f; Julius Köstlin: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, 2 Bde, Berlin 51903, Bd. 1, 355 u. Bd. 2, 273. Zu Mühlpfort vgl. Stefan Oehmig: Hermann Mühlpfordt der Ältere (1486–1534). Reichtum, Nachlaß und Erbe des Zwickauer Bürgermeisters der Reformationszeit, in: Erich Donnert (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit, FS für Günter Mühlpfordt, Bd. 1: Vormorderne, 1997, Weimar u. a. 1997, 161–187. 21   So die Annahme von Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 130, Anm. 4. Dagegen nimmt Paul Pietsch in der WA an, dass er bereits am Dienstag, dem 29. April die zwei Predigten in der Marienkirche gehalten habe. Jedoch gibt es für diese Annahme keine Belege. Deshalb ist hier der Angabe des Drucks zu folgen: »Auf die Mittwoche, in Zwickau, der erste Sermon« (WA 10 III; 103,10) und »Am Mittwoche nach der Mittagsmahlzeit, in Zwickau« (WA 10 III; 106,18). 22   Zwei Berichte dienen als Grundlage für Luthers Aufenthalt in Zwickau. Zum einen berichtet Lorenz Wilhelm in seiner Stadtchronik: »Montag nach Quasimodogeniti ist D. Martin Luther alhier einkommen und bey H. Herman Mühlpfort Bürgermeistern einquartiret worden. Mittwoch hernach hat er eine Predigt in Paarfusser Closter gethan von Glauben, zur Vesper abermals eine in Closter von guten Wercken. Den 9. April hat er eine Predigt vom Rathhause getahn unnd Abends Inventionis Crucis eine auff dem Schlosse. Es ist sehr viel Volcks vom Lande herein kommen, welche ihn alle sehen und hören wolten, imgleichen viel Soldaten, daß das fremde Volck auff 14000 Mann geschäzet worden« (Lorenz Wilhelm: Descriptio urbis Cycneae. Das ist warhafftige und eigendliche Beschreibung der uhralten Stadt Zwickaw, Zwickau 1633, 218 [VD17 14:673125N]). – Nahezu inhaltsgleich ist der Bericht von Tobias Schmidt: Chronica Cygnea oder Beschreibung der sehr alten löblichen und churfürstlichen Stadt Zwickaw, Teil 1, Zwickau 1656, 385; vgl. ferner WA 10 III; XCIV. Zur Berichtigung des falschen Datums »9. Aprilis« und der falschen Datierung der Predigt auf den Tag der Kreuzfindung vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 130, Anm. 8 u. 9. 23   Am Freitag resümiert Luther noch einmal die Predigt vom Vortag. Deshalb ist anzunehmen, dass er die gleichen Zuhörer vor Augen hatte und auch vom selben Ort aus predigte. Vgl. WA 10 III; 111,23–28. 24  Vgl. hierzu die Zwickauer Stadtrechnungen über das Festbankett wiedergegeben bei Reinhold Hofmann: Bilder aus einer sächsischen Stadt im Reformationszeitalter. Aus den Kämmerei-Rechnungen der Stadt Zwickau, in: NASG 25 (1904), 31–67, hier 56; vgl. ferner

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Da ein Brief vom 5. Mai an Spalatin von Eilenburg erhalten ist, wird er wohl dort einen kurzen Zwischenstopp eingelegt haben, um dann aber sofort wieder nach Torgau aufzubrechen und dort am 6. Mai zu predigen.25 Diese Predigt ist textlich jedoch nicht überliefert. Vielleicht bereits am Dienstag, wahrscheinlicher am Mittwoch, dem 7. Mai, spätestens aber am Donnerstag war Luther wieder in Wittenberg, da vom 8. Mai drei Briefe aus seiner Feder erhalten sind, die er von Wittenberg aus schrieb.26 Nicht mehr zu dieser Reise zählt eine Predigt vom Sonntag Kantate, dem 18. Mai, 27 bei der die ältere Forschung annahm, dass er sie im Zerbster Augustinerkloster gehalten hat.28 Jedoch spricht die Angabe des Drucks »Geprediget durch D. M. L. zu Wittenberg« gegen eine solche Verortung.29

2. Borna Die Situation in der Gemeinde Borna war angespannt.30 Das Patronatsrecht über die Predigtstelle in Borna hatte seit 1307 das Benediktinerkloster St. Jakob Wilhelm Ernst Tentzel/Ernst Salomon Cyprian: Historischer Bericht vom Anfang und ersten Fortgang der Reformation Lutheri, Bd. 2, Leipzig 1718, 265f [VD 18 1042170X]. 25   Vgl. hierzu Georg Buchwald, der aus den Rechnungsbüchern des Weimarer Staatsarchivs ermittelt hat, dass Botenlöhne für die Ankündigung, Luther werde in Torgau predigen, gezahlt wurden: Ders.: Lutherana. Notizen aus Rechnungsbüchern des Staatsarchivs zu Weimar, in: ARG 25 (1928), 1–98, hier 2; vgl. ferner Ders.: Zwickau im Zeitalter der Reformation, in: Die christliche Welt 9 (1885), 922–926, hier 923f. Burckhard hingegen vermutete für den Zeitpunkt der Torgauer Predigt den 5. Mai aufgrund der fälschlichen Annahme, dass Luther Brief an den Bürgermeister und Rat zu Altenburg nach der Reise in Wittenberg bereits am 6. und nicht am 8. Mai geschrieben wurde. Vgl. WA B 2; Nr. 486, 522; Carl August Hugo Burckhardt: Altes und Neues über Luthers Reisen, in: ZKG 19 (1899), 99–105, hier 99. 26   Vgl. Brief Luthers an Kurfürst Friedrich vom 8. Mai 1522, WA B 2; Nr. 485, 520: »Geben tzu Vittemberg am donstag nach Johs. port. Lat. 1522«; Luther an den Bürgermeister und Rat zu Altenburg vom 8. Mai 1522, WA B 2; Nr. 486, 522; Luther an Gabriel Zwilling vom 8. Mai, WA B 2; Nr. 487, 523. 27   Vgl. WA 10 III; Nr. 25, 124–133. 28   Ohne nähere Datierung erwähnt die vermeintliche Zerbster Predigt Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 138), vgl. ferner die Angabe zu dem Kämmereiakten bei Ernst Neubauer: Geschichte der Zerbster Schützengesellschaft, FS zur Feier des 500 jährigen Jubiläums, Zerbst 1897, 116; zum ersten Mal erfolgte die Verknüpfung des Aufenthalts Luthers in Zerbst mit der Predigt vom Sonntag Kantate von 1522 bei Heinrich Becker: Luthers Beziehungen zu Zerbst, in: Studien und Kritiken. Beiträge zur Theologie und Religionswissenschaft 72 (1899), 582–609, hier 584; gefolgt ist ihn Otto Clemen: Zur Zerbster Reformationsgeschichte, in: ThStKr 84 (1911), 128–140; auch Buchwald geht von einer Verortung der Predigt nach Zerbst (Georg Buchwald: Luther-Kalendarium, Leipzig 1929, 25). Vgl. ferner Hermann Maenicke: Luther und Zerbst, in: Zerbster Heimatkalender 23 (1983), 28–35; Reinhold Specht: Die Kirchenbücher des Rates der Stadt Zerbst, in: Anhaltische Geschichtsblätter 3 (1917), 83f. 29   Vgl. die genaue Aufarbeitung bei Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 50–52; vgl. ferner WA 10 III; Nr. 25, IC und XXXVII. 30   Zur Geschichte der Reformation in Borna vgl. Johann Carl Heinrich von Zobel

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in Pegau inne und übte damit einen großen Einfluss auf die dortigen kirchlichen Verhältnisse aus.31 Nach dem Tod von Kaplan Bose wurde zunächst der päpstlich orientierte Johann Koch (Kochen) als Prediger und Kaplan eingesetzt. Die Bürger der Stadt waren mit dessen Amtsausübung jedoch höchst unzufrieden, sodass sich 1517 der Stadtrat beim Landesfürsten beschwerte.32 Als der seit 1492 tätige Propst Matthias Steuernagel aufgrund des energischen Vorgehens des Rates sein Amt aufgab, wurde Koch trotz seiner Unbeliebtheit zum neuen Nachfolger als Propst eingesetzt.33 Als Reaktion darauf entsandte Wittenberg im gleichen Jahr den evangelisch gesinnten Prediger Wolfgang Fusius (Fuß).34 Beide »stürmteten inn der Lehr wiedereinander«.35 Als Luther bei seinem langjährigen Freund, dem Geleitsmann Michael von Strassen, auf der Rückreise von der Wartburg am 5. März 1522 übernachtete, erhielt er wohl Kenntnis vom Konflikt.36 Luther und Michael von Strassen waren sich einig, dass die Stadt nun (Hg.): Das Leben und Wirken der Pastoren und Superintendenten der Stadt Borna, Borna 1849; Robert Wolfram: Chronik der Stadt Borna, Borna 1859; Clemen Otto: Die Einführung der Reformation in Borna, in: NASG 23 (1902), 330–336; Georg Buchwald (Hg.): Neue sächsische Kirchengalerie, Bd. 11: Ephorie Borna, Leipzig 1906, Philipp Mehlhose: Beiträge zur Reformationsgeschichte der Ephorie Borna, Leipzig 1917; Annemarie Engelmann: Von Abtei bis Zwiebelhaus. Ein Lexikon zur Geschichte der Stadt Borna, hg. vom Förderverein des Museums der Stadt Borna, Borna 2001. 31   Information zu den Äbten bietet Thomas Vogtherr/Thomas Ludwig: Die Äbterreihe des Benediktinerklosters St. Jakob in Pegau, in: NASG 69 (1998), 1–23, hier 21f; vgl. ferner Hans Patze: Die Pegauer Annalen, die Königserhebung Wratislaws v. Böhmen und die Anfänge der Stadt Pegau (1963), in: Ders.: Ausgewählte Aufsätze (VKAMAG 50), Stuttgart 2002, 319–374. 32  Vgl. Georg Buchwald (Hg.): Neue sächsische Kirchengalerie, Bd. 11: Ephorie Borna, Leipzig 1906, 50f. 33  Ebd. 34   Wolfgang Fuß wurde 1487 in Schleiz geboren, studierte zunächst in Leipzig, dann in Wittenberg und wurde am 9. Februar 1520 in Wittenberg promoviert. Danach wirkte er drei Jahre in Borna, bis er vor Ostern nach Colditz übersiedelte. 1532 wurde er Superintendent in Leisnig. 1539 wirkte er in Chemnitz, bis er 1551 verstarb. Vgl. Johann Carl Heinrich von Zobel (Hg.): Das Leben und Wirken der Pastoren und Superintendenten in der königl. sächs. Stadt Borna von der Reformation Luthers bis auf die gegenwärtige Zeit, Borna 1849; Robert Alexander Lempe: Mag. Wolfgang Fues nach urkundlichen Quellen dargestellt, Chemnitz 1877; Georg Buchwald (Hg.): Neue sächsische Kirchengalerie, Bd. 11: Ephorie Borna, Leipzig 1906, 51; Reinhold Grünberg: Sächsisches Pfarrerbuch, Abt. 1, Teil 2, Freiberg 1940, 218. 35  Das von 1586 von Bartholomäus Gernhardt zusammengestellte Pfarrbuch berichtet: 1520 schickte »der Apt von Pegau Herr Johann Kochen anher zum Pfarherrn, der war Päpstisch, M. Wolffgangus Fusius wardt von Wittenbergk zum prediger anher geschickt, die stürmeten inn der Lehr wiedereinander. M. Fusius war der erste Evangelische Prediger alhier, drey Jhar, kam gegen Leinick, darnach gegen Camniz, da starb er. Diaconi waren Herr Simon von Würken Herr Georgius, bede Evangelische Prediger«, zitiert nach Clemen Otto: Die Einführung der Reformation in Borna, in: NASG 23 (1902), 330–336, hier 332. 36   Michael von der Strassen stammte gebürtig aus Dresden. Er wurde als Michael von der Stroes im Jahr 1500 in Leipzig und 1503 in Wittenberg immatrikuliert. Dort studierte er Jura. Seit 1510 übte er das Amt des Geleitsmanns in Borna aus. Wann er Luther zum erstem Mal begegnete, ist unbekannt. Jedenfalls weilte Luther immer in seinem Haus auf dem Markt-

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mehr denn je Prediger benötigte, die in evangelischer Weise das Evangelium verkündeten. Der Bedarf wurde noch größer, nachdem der Kaplan, um eventuell einer zwangsweisen Entmachtung des Klosters zuvorzukommen, entschied, das Patronatsrecht am 30. März 1522 zu verkaufen.37 Diese Umstände führten Luther zur Entscheidung, Borna zu besuchen, um die Verhandlungen vor Ort zu führen, wobei er auch die Gelegenheit nutzte, dort zu predigen. Die vier Bornaer Predigten wurden gesammelt und erschienen viermal. Zwei Ausgaben wurden in Eilenburg bei Nikolaus Widemar, eine weitere in Augsburg bei Melchior Ramminger und die vierte in Straßburg bei Johann Schwan gedruckt.38 Auch wenn die letzten drei Drucke im Titel nur von drei Predigten sprechen, enthalten sie dennoch alle vier Kanzelreden.39 Susanne bei der Wieden hat die vier Drucke miteinander verglichen.40 Im Unterschied zur Weimarer Ausgabe kommt sie zu dem Ergebnis, dass nicht in Eilenburg durch Nikolaus Widemar, sondern in Straßburg durch Johann Schwan41 der Erstdruck erfolgte, platz, wenn er Borna besuchte und begleitete ihn auch auf einigen Reisen. Er zählte in den 20er-Jahre zu den vermögendsten Leuten in Borna, wobei seine Einkünfte im zunehmenden Alter schwanden. Von ihm ist bekannt, dass er anwesend war, als Gabriel Zwilling am Neujahrstag 1522 auf dem Schloss zu Eilenburg das Abendmahl in beiderlei Gestalt reichte (WA B 2; 457, Anm. 40). Auch brieflich stand Luther in Kontakt mit dem Dresdner. Luther wandte sich immer an ihn, wenn es um die Vermittlung von heiklen Aufgaben ging. Am 16. Oktober 1523 bat er ihn, einem schwärmerischen Prediger in Ölsnitz behutsam Einhalt zu gebieten (WA B 2; Nr. 669, 170–172; Nr. 693, 202). Als der Bischof von Merseburg 1524 Visitationsreisen veranstaltete, war Michael von der Strassen dabei und sorgte dafür, dass die Bürger in Borna sich nicht aufmüpfig, sondern untertänig verhielten. Weil sich ein Prediger aus Borna bei Luther über seine geringen Einkünfte beschwerte, formulierte Luther am 29. Juni an Michael von der Strassen in einem Brief die Bitte, in diesem Streit zu vermitteln. (WA B 5; Nr. 1440, 107). Am 8. Januar 1526 hielt er gemeinsam mit Spalatin die erste Visitation in Borna ab und überwachte auch weiterhin die dortigen Gemeinden (WA 26; 178). Sein Sohn Christoph von der Strassen übermittelte seinem Vater Trost und Fürbitte vonseiten Luthers, als dieser im Sterben lag und im Juni 1531 verstarb. Luther blieb später weiterhin in Kontakt mit der Familie. Am 16. April 1536 bat er den kurfürstlichen Kämmerer Johann Riedesel um Stipendien für dessen zwei Söhne (WA B 7; Nr. 3014, 396–398). Zu den Angaben vgl. Philipp Mehlhose: Michael von der Strassen, ein Freund Luthers, in: NASG und Altertumskunde 48 (1927), 226–235; Ders.: Beiträge zur Reformationsgeschichte der Ephorie Borna, Leipzig 1917. 37  Vgl. Georg Buchwald (Hg.): Neue sächsische Kirchengalerie, Bd. 11: Ephorie Borna, Leipzig 1906, 46f. 38   Vgl. Benzing, Nr. 1343 = VD 16 L 6965; Benzing, Nr. 1344 = VD 16 L 6966; Benzing, Nr. 1345 = VD 16 L 6964; Benzing, Nr. 1346 = VD 16 L 6967. 39   Vgl. WA 10 III; CXVf. 40  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 172–184. 387. 41  Susanne bei der Wieden nimmt an, dass der ehemalige Franziskanermönch Johann Schwan selbst die Mitschriften angefertigt habe, da er 1522 aus dem Kloster austrat und nach Wittenberg ging. Ein Jahr später eröffnete er in Straßburg seine Offizin. Vgl. aaO., 177f. Zu Johann Schwan vgl. Johannes Schilling: Gewesene Mönche. Lebensgeschichten der Reformation (Schriften des Historischen Kollegs 26), München 1990, 9; Eduard Wintzer: Hermann Schwan von Marburg. Ein Beitrag zur Geschichte Philipps des Großmütigen, Marburg 1909, 5f.

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der möglicherweise selbst bei den Bornaer Predigten zugegen war.42 Der Augsburger Druck von Melchior Ramminger weist hierbei die Besonderheit auf, dass das Impressum behauptet, die Predigten seien nicht 1522, sondern 1524 von Luther persönlich gehalten worden.43 Hierbei kann es sich eigentlich nicht um Unkenntnis handeln, sondern vielmehr geht es hier wohl um die verlegerische Kalkulation, besonders aktuell und zeitnah wirken zu wollen.44 Daneben existiert von jeder der ersten drei Bornaer Predigten noch eine Fassung, die in der WalchAusgabe abgedruckt ist.45 Sie beruhen nicht auf den Drucken, sondern stammen von einer lateinischen Mitschrift aus dem Jahr 1522, die verloren gegangen ist. Heinrich Wolfgang Graun hat sie übertragen und ins Deutsche übersetzt. Zwischen dem Erstdruck und seiner Bearbeitung der verlorenen Mitschrift gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Länge, des Stils und des Inhalts. Grauns Bearbeitung ist um ein Drittel kürzer als der Drucktext und besteht wesentlich aus theologischen Kernsätzen und Schriftsätzen, die durch Konjunktionen miteinander verbunden werden.46 Gerade deswegen ist hinter dessen Bearbeitung durchaus noch die frühere Mitschrift erkennbar.47 Trotz der neuen   In den Eilenburger und Augsburger Drucken ist im Vergleich zum Straßburger Druck ein Druckfehler in Form einer Auslassung zu finden. Der Straßburger Druck schreibt: »Darbum soltt ir wissen das die rechten Christen haben keyn forcht des todts« (Benzing, Nr. 1346 = VD L 6967, Bl. Bia,12f). Aufgrund des Bogenwechsels wurde eine Zeile ausgelassen, wodurch nun der Satz verkürzt wurde auf: »Daru[m]b solt ir wissen [Auslassung] forcht des Tods« (Benzing, Nr. 1343 = VD L 6965, B1a,4; Benzing, Nr. 1344 = VD L 6966, Bl. A4b,33Bia,1; Benzing, Nr. 1345 = VD L 6964, Bl. A4a,27f). Im Augsburger Druck fällt zudem auf, dass in den Überschriften statt »Born« für Borna aufgrund einer Verwechslung des Initialbuchstabens immer »Gorn« gedruckt wurde (Benzing, Nr. 1345 = VD L 6964, Bl. Aia; Bl. Biiia). Neben der textkritischen Beobachtung ergibt auch die druckanalytische Betrachtung, das der Straßburger Druck mit vier Bogen und einem Überschuß von zwei Seiten kostenintensiv im Vergleich zu den anderen Drucken mit drei Bogen gesetzt wurde, was für eine handschriftliche Vorlage spricht. Im Vergleich beider Eilenburger Drucke ist aufgrund des schlechten Zustands des Druckstockes davon auszugehen, dass Benzing, Nr. 1344 = VD L 6966 der jüngste Druck ist. 43   Vgl. »[…] gepredigt […] Im jar .MDXXIIII« (WA 10 III; XCV). 44  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 176. 387 45   Vgl. W1 12; 2338–2345. 2369–2373; W2 12; 1380–1387. 1854–1857. 46   Susanne bei der Wieden gibt ein aufschlussreiches Beispiel für die konjunktionalen Verbindungen der vorliegenden Sätze: »Weil das Gesetz sagt: Das hat GOtt bey Strafe der ewigen Verdamniß verboten; so folget auf die Suende der Stachel des Todes, nemlich des ewigen Todes. So haben sich die Apostel gefuerchtet, die annoch in Suenden waren; daher prediget ihnen Christus den Frieden. So heißt es […]« (WA 10 III; 89, 30–34). Bei der Wieden bezieht diese Verknüpfung allerdings ganz auf die Bearbeitung Grauns. Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 180. Meiner Erfahrung mit Predigtmitschriften zufolge ist eine solche konjunktionale Verknüpfung von Lehrsätzen jedoch durchaus auch typisch für die Mitschreiber selbst. Letztlich entscheiden kann man diese Frage nicht und sie wäre auch nur zu lösen, wenn noch mindestens eine Mitschrift existieren würde. 47   Walch schreibt in seiner Vorrede: Die Predigten »sind alle aus einem Manuscript von 1522 genommen und von dem Herrn M. Wolfgang Heinrich Graun des vorhin belobten Hn. 42

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überlieferungskritischen Erkenntnisse bleibt die Weimarer Ausgabe hilfreich, da die Textfassungen der Drucke und Grauns Bearbeitung untereinander gesetzt wurden und somit gut vergleichbar sind, da auch insbesondere der Straßburger Druck durch die Anmerkungen rekonstruiert werden kann.48 Alle Bornaer Predigten wurden später zu Postillen umgearbeitet. Stephan Roth bearbeitete die Bornaer Doppelpredigt und die Predigt vom Sonntag Misericordias Domini und veröffentlichte sie in der Sommerpostille des Jahres 1526.49 Die Predigt von der Kreuzauffindung diente als Vorlage für die Roth’sche Festpostille aus dem Jahr 1527.50

2.1 Gesetz, Evangelium und gute Werke (27. April, Vor- und Nachmittag) In der Vor- und Nachmittagspredigt legt Luther den für den Sonntag Quasimodogeniti üblichen Text Joh. 20, 19–31 aus. Jedoch konzentriert er sich ganz auf die Verse 19–23 und lässt die anschließende Erzählung vom Jünger Thomas außer Acht.51 Der Bibeltext berichtet von der Erscheinung des auferstandenen Christus vor den Jüngern, die sich aus Furcht vor den Juden zurückgezogen M. Müllers in Suhla werthesten Vollega mit vielem Fleis aus der lateinischen Sprache in die Deutsche übersetztet worden« (W1 12; 21). 48   Bei den folgenden Zitaten wird die Weimarer Ausgabe zur Grundlage genommen, wobei der Textapparat zu Hilfe genommen wird, um den Straßburger Druck D zu rekonstruieren. 49   Vgl. WA 10 I.2; 230–240 und WA 10 I.2; 242–249. 50   Vgl. WA 17 II; 423–427. 520f. Die Festtagspostille wurde hier auf den Bibeltext Joh. 3, 1–15 bezogen. Roth hat eine weitere Predigt auf den Festtag der Erfindung des Kreuzes bezogen, die allerdings nicht an dem Tag gehalten wurde, sondern zu Trinitatis am 27. Mai 1526. Vgl. WA 20; 413–432; WA 17 II; 422f. 51   Eine Perikopenordnung, an die sich Luther in seiner Frühzeit als Augustinereremit im Speziellen orientierte, ist nicht genau bekannt. Vermutlich gebrauchte er eine Ordnung, die bei den Augustinern verwendet wurde und im Jahr 1491 von diesen selbst in Nürnberg gedruckt wurde. Die Ordnung lautet »Missale Augustinianorum: Ordo missalis secundum consuetudinem romane curie (a. E.: pro fratrum heremitarum diui Augustini de observantia iussu et auspitio reverendi patris Andree Proles), Nurenb. 1491«. Zu dieser Ordnung vgl. WA 56; XXXV; Karl Schottenloher: Die Entwicklung der Buchdruckerkunst in Franken bis 1530 (Neujahrsblätter. Gesellschaft für Fränkische Geschichte 5), Würzburg 1910, 16; Ferdinand Geldner: Inkunabelkunde. Eine Einführung in die Welt des frühesten Buchdrucks, Wiesbaden 1978, 99; Ludovicus Hain: Repertorium bibliographicum, Teil 2, Stuttgart, Paris 1831, Nr. 11262, 426). Das älteste reformatorische Perikopenverzeichnis ist in der Wittenberger Ausgabe des Neuen Testaments aus dem Jahr 1526 enthalten (WA DB 7; 529–544). Die allgemein verbindliche Normierung in der Missale Romanum erfolgte erst auf dem Konzil von Trient 1562. Zu den genannten Angaben vgl. Herwarth von Schade/Frieda Schulz (Hg.): Gestalt und Wandel des gottesdienstlichen Bibelgebrauchs (RGD 11), Hamburg 1978, 23f; dort auch die hilfreiche Synopse der Perikopenordnungen aaO., 78–83; Gerhard Kunze: Die Lesungen, in: Karl Ferdinand Müller/Walter Blankenburg (Hg.): Leiturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, Bd. 2, Kassel 1955, 87–180, hier 156f; vgl. ferner Hedwig Vonschott: Geistiges Leben im Augustinerorden am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit, Berlin 1915.

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haben. Jesus tritt mit einem Friedensgruß mitten unter sie. Nachdem er ihnen zum Beweis seiner Lebendigkeit seine Hände und seine Seite gezeigt hat, werden die Jünger froh. Nach einem nochmaligen Friedenszuspruch erfolgt die Sendung der Jünger, ihre Bevollmächtigung durch den Heiligen Geist und die Übertragung der Binde- und Lösegewalt hinsichtlich der Sünden.52 Der Aufbau der Doppelpredigt folgt den drei Teilen der Perikope. Am Vormittag legt Luther den Schwerpunkt auf den emotionalen Wandel der Jünger von ihrer Furcht zur Freude. Dies bildet für ihn die Brücke zur Entfaltung des Schemas von Gesetz und Evangelium.53 Die Nachmittagspredigt greift die Sendung und Bevollmächtigung der Jünger auf, um über das Thema vom Nutzen guter Werke zu predigen.54 Die Kanzelrede am Vormittag ist somit als theologische Lehrpredigt, die am Nachmittag eher als ethische Ermahnungspredigt konzipiert. Luther beginnt mit der Frage, wie man als Christ fromm werden könne. Zumeist erfolge dies durch die Einhaltung von Gesetzen. Hierzu unterscheidet er zwischen menschlichen und göttlichen Gesetzen. Die menschlichen Gesetze dienten der Einhaltung der Ordnung. Sie können aber beim Menschen lediglich zu einer äußerlichen Frömmigkeit führen.55 Die göttlichen Gesetze hingegen, insbesondere die Zehn Gebote, sollen den Menschen nicht nur äußerlich ehrbar und fromm machen, sondern auch im Innern, nämlich im Gewissen.56 Das göttliche Gesetz habe das Ziel, dass wir uns lehren, selbst zu erkennen.57 Insofern gleiche das Gesetz, bildlich gesprochen, einem Spiegel, in dem der Mensch sich selbst erblicke und alsbald seiner eigenen Fehlbarkeit gewahr werde.58 Dies be52  Vgl. exemplarisch Udo Schnelle: Das Evangelium nach Johannes (Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament 4), Leipzig 1998, 304f. 53   Die beiden Teile der Vormittagspredigt sind deutlich abgrenzbar: Der Übergang vom ersten zum zweiten Teil der Predigt erfolgt im Druck WA 10 III; 90,24 auf 90,25, bei Graun WA 10 III; 90,32 auf 90,33. Vgl. ferner in der Roth’schen Sommerpostille WA 10 I.2; 235,26 auf 235,27. 54  Die drei Teile der Doppelpredigt werden zu Beginn der Nachmittagspredigt in der Graunschen Bearbeitung deutlich: »Heute frueh habe ich vom Gesetz und Evangelio geredet, wie das Gesetz uns zu Suendern, und das Evangelium hinwieder lebendig mache die an Christum glaeuben; welche Rechtfertigung aus dem Glauben koemmt, und nicht aus den Werken. Nun folget, worzu die Werke nuetzen« (WA 10 III; 94,25–28). 55   »Ir habt gehoert, und wirt gepredigt in der gantzen welt, das wenn mann fromm sol werden, heben sie an am gesetze der menschen. Es kommet wol darauß die eußerliche fromkeit, als wenn dem Eebrecher oder gerichten das haubt wirt abgeschlagen, aber vor got wirt er nit from noch from geachtet« (WA 10 III; 86,6–10, Druck D, Schwan). 56   »Die Gesetze machen das Gewissen nicht fromm, sondern helfen nur zu einer aeusserlichen Ehrbarkeit und Froemmigkeit. Gott aber thut viel ein anders« (WA 10 III; 86,24–26, Graun). 57   Vgl. WA 10 III; 86,11 und 87,3, Druck D, Schwan. Die späteren Drucke konjizieren und verändern das »leeren« zum gefälligeren »lern« (A) bzw. »lernen (C). 58  »›Du sollt nicht andere Goetter haben‹. Aus diesen Geboten erkennet der Mensch, gleichsam als aus einem Spiegel, worinnen er fehlet; und wenn er es auch nicht alsobald gewahr wird, so wird er es doch gewahr werden in seinem Tode« (WA 10 III; 87,28–31, Graun).

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zeichnet Luther als das eigene bzw. eigentliche Werk des Gesetzes.59 Damit thematisiert Luther seine Auffassung vom doppelten Gebrauch des Gesetzes. 60 Der »usus politicus« bzw. »usus civilis« des Gesetzes diene dem Menschen zur Regelung des Zusammenlebens. Daneben habe das Gesetz aber auch die Funktion, dass der Mensch sich vor sich selbst und vor Gott als Sünder erkennt. Dies bezeichnet Luther als »usus theologicus« bzw. als »usus elenchticus« im Sinne des überführenden Charakters des Gesetzes. 61 Im Kontext der im Jahr 1519 gestellten Frage nach Gebrauch und Nutzen der Sakramente entstand diese Unterscheidung vor dem Hintergrund der »Wittenberger Bewegung« (1521/22), 62 wobei Luther zunächst noch einen dreifachen Gebrauch differenzierte. 63 Hier erfolge jedoch bereits eine Darlegung der doppelten Funktion. Insofern ist die Bornaer Predigt eine wichtige Quelle in der Entstehung der Lehre vom doppelten Gebrauch des Gesetzes. 64 Luther fährt fort mit dem Gedanken, dass die Menschen verschieden auf die Selbsterkenntnis reagieren würden. Die einen versuchten umso mehr, mit äußerlichen Werken die Gebote zu erfüllen. Luther zufolge erlägen sie jedoch einer Illusion, wenn sie meinten, sie könnten mit ihren Werken die Gebote Gottes erfüllen. Zumeist handele es sich bei diesen Menschen um Geistliche, denen die Laien in jenem Streben folgen würden. 65 Die anderen Menschen hingegen würden aufgrund ihrer Selbsterkenntnis beginnen zu überlegen und nachzudenken. Sie fragen sich, was es eigentlich bedeute, nur einen Gott zu haben. Der Ernst dieser Frage treibe schließlich zur Einsicht, dass Gottes Gebote nicht durch eigenes Vermögen erfüllt werden könnten, sondern man auf die Hilfe Gottes angewiesen sei. 66 Aufgrund dieser Erfahrung beginne der Mensch, diejenigen –   »[…] so thut das gesetz recht sein eygen werck« (WA 10 III; 87,5, Druck D, Schwan).  Vgl. Gerhard Ebeling: Zur Lehre vom triplex usus legis, in: ThLZ 75 (1950), 235–245; wiederabgedruckt in: Ders.: Wort und Glaube, Tübingen 1960, 50–68. 61   Klassisch ausformuliert hat Luther die Unterscheidung in seinem Großen Galaterkommentar, 1531/35, WA 40 I; 479,17–481,16. Vgl. hierzu Max Josef Suda: Die Ethik Martin Luthers, 73–79. 62  Vgl. Bernhard Lohse: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, 287–291. 63   Vgl. in der Weihnachtspostille, 1522, WA 10.1.1; 449–463, hier 456,8, 457,14. 64   Vgl. dann die Aussage im Jahr 1523 im Rahmen seiner Dekalogpredigten, die Gebote seien »ad duplicem usum« (WA 11; 31,6). 65   »Die ersten seind die wenn sie es haben gehort, heben sie an den wercken an, die sprechen (Du solt einen got haben) ich wil einen got anbeten, die scheinen denn mit gleysenden wercken, gleich wie yetzo die geistlichen, das sehen dann die leyen und volgen nach, das seind die ersten die das fassen und meinen sie woellens halten, und haltens doch nit« (WA 10 III; 87,5– 10, Druck D, Schwan). 66   »Die andern seindt die, die sich darauß erkennen: Du solt einen got haben und anbeten. Was ist das? […] ein solchs hertz, das so grundtlich demuetig ist, das wil got haben, das gantz in sich erschrocken und zappeln ist worden auß dysen gepotten und fleugt nur zu got allein in seiner not und angst« (WA 10 III; 87,11–16, Druck D, Schwan). »[…] die sie [die Gebote] wahrhaftig erfuellen, denken in ihren Herzen, was heißt: keine andere Goetter haben?« (WA 10 III; 87,32–33, Graun). 59

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insbesondere die Geistlichen – zu kritisieren, die nur äußerlich sich fromm gäben, nach Rom oder Jerusalem pilgerten und Mönch oder Nonne würden. Denn die Frage komme auf, was jene Werke nützten. 67 Die Aufrichtigen würden erkennen, dass der Mensch verdammt, elend, schwach und krank sei, weshalb sie verzagen und fast verzweifeln würden. Luther bezeichnet dies als das erste Werk Gottes. 68 Jenes existenzielle Erschüttertsein im Herzen der Menschen erblickt Luther auch im Bibeltext, indem er jene Gefühlslage mit der im Text genannten Furcht der Jünger gleichsetzt. Er beschreibt eindrücklich, wie die Jünger in der Kammer bei verschlossenen Türen in Todesfurcht und in der Erkenntnis ihrer Sünden ausharrten. 69 Damit ist die Mitte der Vormittagspredigt erreicht, deren erste Hälfte ganz auf die Predigt des Gesetzes hin ausgerichtet ist. Die zweite Hälfte der Vormittagspredigt beginnt mit der Frage, was das Evangelium sei. Luther zufolge besteht das Evangelium aus der Botschaft, dass Christus in die Welt gekommen sei, den Tod überwinde und damit das Gesetz erfüllt habe. Luther bezeichnet Christus in diesem Zusammenhang als »Seligmacher«70 , der sich gegen die Todesangst stellte. Wer ihn ansehe und ihm vertraue, der entkomme auch seinem eigenen Verderben. Umso sinnloser erscheinen die Bemühungen der Menschen, durch Wallfahrten oder andere Bemühungen Gott zu gefallen. Was allein zähle, sei der Glaube und die wachsende Liebe zu Gott.71 Wiederum flechtet Luther den Bibeltext in den Gedankengang ein, indem er die Erfahrung des Evangeliums auf die Freude der Jünger bezieht, nachdem Christus ihnen erschienen sei und ihnen den Frieden zugesprochen habe.72 Zum Schluss führt Luther diesen Umschwung vom Gesetz zum Evangelium am Begriff der Gerechtigkeit Gottes aus.73 Er kritisiert hierbei Aristoteles und Thomas von Aquin, die meinen, die Gerechtigkeit Gottes könne durch Übung erlangt werden, wie wenn einer durch Übung ein besserer Harfenspieler werde.74 Doch durch Übung könnten Tugenden, Liebe, Keuschheit und Demut 67   »Widerumb auch so er wirdt angreyffen die geystlichen, die ein schoen [18] leben fueren fur der welt: […] Was ist nuetz, das sie die knie beugen […]. Also thun auch die andern unnd der vil, der laufft zu sant Jacob, der ander gen Rom, der gen Hierusalem, der wirdt ein Muenich, die eine Nonne. Warumb?« (WA 10 III; 87,17–24, Druck D, Schwan). 68   Vgl. WA 10 III; 88, 24–26, Druck D, Schwan. 69   »So sagt das Euangelium: als abent war, forchten sich die iunger. Was forchten sie? Den todt; hetten sie nit gesundigt, so hetten sie sich auch nit geforcht« (WA 10 III; 89,18–20). 70   WA 10 III; 91,15, Druck D, Schwan. 71   Vgl. WA 10 III; 91,11. 17–19, Druck D, Schwan. 72   »›Gavisi sunt discipuli. Die iuenger seindt erfreuet‹, so muß mit uns auch geschehen. Dann spricht er: Habt fride, wie er hat yn geweyst seine hendt und fusse, das sindt sein werck, was er hat das sol unser sein. So kommet er zu uns durch das Euangelium« (WA 10 III; 92,8– 11, Druck D, Schwan; WA 10 III; 92,28–30, Graun). 73   Vgl. ab WA 10 III; 92,15, Druck D, Schwan. 74   »Do irret Thomas mit den seinen, Das ist mit dem Aristotele, die do sagen, durch ubung

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nicht erlangt werden. Stattdessen habe Paulus recht gehabt, wenn er der Meinung sei: Allein der Glaube könne einen gerecht machen. Als Beleg zitiert Luther die für ihn so bedeutende Stelle aus dem Römerbrief Röm. 1, 16f: »›Ich schem mich nit des Euangeli, wann es ist die krafft gots zum heyl allen gläubende, die gerechtigkeit gots wirt in dem offenbart auß dem glauben inn dem glauben, als gschrieben ist: der gerechte lebt auß dem glauben‹«.75 Die Gerechtigkeit des Menschen sei nichts gegenüber der Gerechtigkeit Christi, die darin bestehe, den Glauben zu schenken.76 Die Ausführungen über die Gerechtigkeit Gottes erinnern an Luthers spätere Schilderung seiner reformatorischen Entdeckung in seiner Vorrede zu den lateinischen Schriften von 1545.77 Wenngleich der biografische Bezug zum umstrittenen und vielfach diskutierten »Turmerlebnis« nicht hergestellt wird, so ist dennoch der Predigtabschnitt eine interessante und in der Forschung kaum berücksichtigte Parallele zu Luthers Umdeutung des Begriffs »iustitia dei«.78 Der Aufbau der Vormittagspredigt ergibt somit eine klare Zweiteilung in die Abschnitte ›Gesetz‹ und ›Evangelium‹.79 In seiner Studie zum Verhältnis beider Begriffe hat Gerhard Heintze darauf hingewiesen, dass sich eine Veränderung in Luthers Aussagen bemerken lasse, die sich auf das Jahr 1522 datieren lässt. 80 wirt einer virtuosus, wie ein Harpffen spyler durch lange ubung wirt ein gütter Harpffen spyler« (WA 10 III; 92,19–21, Druck D, Schwan). 75   WA 10 III; 93,7–10, Druck D, Schwan. 76   »Die Gerechtigkeit, die vor GOtt gilt, wird im Evangelio, das dir Christus gegeben hat, nicht aus den Werken, sondern aus dem Glauben geprediget« (WA 10 III; 93,33–35). 77   Vgl. WA 54; 176–188, hier 185,12–186, 20; vgl. ferner den Abdruck und die Übersetzung der Vorrede in LDSt 2, 492–509. 78   Zur Forschungsdiskussion vgl. exemplarisch die beiden Sammelbände von Bernhard Lohse (Hg.): Der Durchbruch der Reformatorischen Erkenntnis bei Luther (WdF 73), Darmstadt 1968, IX–XXIII, sowie den Fortsetzungsband Bernhard Lohse (Hg.): Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther (WdF 73), Darmstadt 1968. Vgl. ferner Thomas Kaufmann: Die Frage nach dem reformatorischen Durchbruch. Ernst Bizers Lutherbuch und seine Bedeutung, in: Rainer Vinke (Hg.): Lutherforschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick (VIEG 62), Mainz 2004, 71–98; Berndt Hamm: Der frühe Luther. Etappen reformatorischer Neuorientierung, Tübingen 2010, 25–64; Alister E. McGrath: Iustitia Dei. A History of the Christian Doctrine of Justification, Cambridge 32005, 6–21. 218–223; Verena Mätzke: Gerechtigkeit und »formkeit«. Luthers Übersetzung von iustitia Dei für die Rechtfertigungslehre heute (MThSt 118) Leipzig 2013, 35–45; Christian Danz: Einführung in die Theologie Martin Luthers, Darmstadt 2914, 24–29. 47–51. 79   Zum Schema Gesetz und Evangelium vgl. Paul Althaus: Luther auf der Kanzel. Beobachtungen über die Form seiner Predigt, in: Luther 3 (1921), 17–24; Emanuel Hirsch: Gesetz und Evangelium in Luthers Predigt, in: Luther 25 (1954), 49–60; Ders.: Luthers Predigtweise, in: Luther 25 (1954), 1–23; Gerhard Heintze: Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium (FGLP 10.11), München u. a. 1958; Ulrich Asendorf: Die Bedeutung der Predigt für Luthers Theologie, in: Heinrich Kraft (Red.): Luther als Prediger (VLAR 9), Erlangen 1986, 89–101; Hans-Martin Barth: Luthers Predigt von der Predigt, in: PTh 56, 1967, 481–489; Eilert Herms: Das Evangelium für das Volk. Praxis und Theorie der Predigt bei Luther, in: LuJ 57 (1990), 19–56. 80  Vgl. Gerhard Heintze: Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium (FGLP 10.11),

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Luther habe stets den engen Zusammenhang von Gesetz und Evangelium betont, da in einer Aussage beides als Wirkungseinheit enthalten sein könne. Doch ab 1522 lasse sich ein Nacheinander in der Entfaltung beider Begriffe in den Predigten beobachten, wonach in einem ersten Teil dem Gesetz nach und in einem zweiten Teil dem Evangelium nach gepredigt werde.81 Die Wirkungseinheit sei insofern entschränkt worden und diene Luther vermehrt als Aufbauschema einer Predigt. Die Bornaer Predigt hat Heintze nicht berücksichtigt, obwohl mit ihr geradezu exemplarisch das Nacheinander in der Entfaltung von Gesetz und Evangelium veranschaulicht werden kann. In der Nachmittagspredigt geht Luther auf den Nutzen der guten Werke ein. Er distanziert sich von der Meinung anderer, dass er predigen würde, die guten Werke zu verbieten. Dies habe er niemals behauptet. 82 Damit greift Luther den zentralen Vorwurf gegen ihn auf, den er ausführlich im »Sermon von den guten Werken« widerlegt hat. 83 Genauso wie in seinem Sermon zwei Jahr zuvor betont er in der Bornaer Predigt, jeder Christ sei dazu verpflichtet, gute Werke zu tun. Sie dürfen allerdings nicht aus dem Motiv der Heilserlangung getan werden, sondern allein aus der Liebe zum Nächsten. In dieser Hinsicht solle man sich als Gläubiger ein Beispiel an Christus nehmen. Denn Christus habe nie ein Werk getan, um fromm zu werden, da er bereits von Geburt an fromm war. Dennoch habe Christus den Menschen stets geholfen. 84 Da im Bibeltext Jesus die Jünger gesandt und bevollmächtigt habe, gelte diese Beauftragung auch für alle Menschen. Dabei betont Luther, dass jene Vollmacht nicht allein auf die Kleriker wie Papst, Bischöfe und Priester beschränkt sei. Vielmehr habe auch jeder Laie, der glaube und den Heiligen Geist empfangen habe, die Vollmacht, zu predigen und die Sakramente einzureichen. 85 Allein aus dem Grund der Ordnung sei es ratsam, dass nicht alle das geistliche Amt ausübten. Wenn jeder predigen würde, ende es in einem Geplärre, wie es die Frösche täten. 86 Obwohl jeder die Gewalt habe, solle niemand so vermessen sein, München u. a. 1958, 66. 67–79. 79–101. Siehe oben Seite 9. 81   Vgl. aaO., 93. 82   »Mann spricht, wenn wir predigenn vom glauben, so verbieten wir gute werck, das haben wir nye gepredigt« (WA 10 III; 94,7f, Druck D, Schwan). 83  Vgl. Roland M. Lehmann: Der Sermon »Von den guten Werken« (1520). Eine Einführung in Martin Luthers reformatorisches Christentumsverständnis, in: Luther 92 (2021), 29–46, hier 35. 84   Vgl. WA 10 III; 94,8–11. 85   »Allen Christenn wirdt hye gebenn diser gewalt, wiewol etzliche unbillich ynen allein tzu geeygnet habenn, als Babst, Bischoffe unnd Pfaffen, die woellen die gewalt habenn unnd sagenn, diser Gewalt sey yhn allein geben und nit den leyhen« (WA 10 III; 96,15–18, Druck D, Schwan). 86   Luther hat den Vergleich mit den Fröschen wohl sogar lautmalerisch veranschaulicht, wie er es bisweilen gerne in den Predigten getan hat: »Wann yederman wolt beycht hoeren, sacrament reichen, wie wolt sichs schicken. Item so yederman wollet predigenn, wer wolt doch zuhoeren, wenn sie zugleich predigten, wird es ein geplerre, wie ytzt die froesche thun:

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öffentlich zu predigen, wenn er nicht von der Gemeinde erwählt sei. 87 Das schließe jedoch nicht aus, dass man seinem Nächsten privat bzw. »heimlich« im Sinne von »im Heim« die Absolution zusprechen dürfe. 88 Obwohl in der Predigt die programmatische Formel »Priestertum aller Getauften« nicht fällt, 89 lässt sich der Bezug zu den Hauptgedanken aus seiner Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« vom Jahr 1520 deutlich erkennen.90 Wie in der ›Adelsschrift‹ geht Luther hier auf die Einsetzung aller Christen ins geistliche Amt, die Unterscheidung in öffentliche und private Amtsausübung und die Wahl der öffentlichen Amtsträger durch die Gemeinden ein. Mit diesen Gedanken konkretisiert er die in der Perikope geschilderte Sendung und Bevollmächtigung der Jünger durch Christus. Liest man beide Predigten als Einheit, so ist eine klare Gliederung zu erkennen. In der Vormittagspredigt redet Luther über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium. In der Nachmittagspredigt geht es um den Nutzen der guten Werke. Einen solchen stringenten Aufbau hat Luther zuvor und danach für diese Perikope nie wieder verwendet.91 In seiner Erfurter Predigt ein Jahr zuvor, am Kar ker ker« (WA 10 III; 97,4–6, Druck D, Schwan). Vgl. beispielsweise das »purdi, purdi« in den Invocavitpredigten 1522, WA 10 III; 46,8; 53,5. 87   »Wir haben alle die gewalt, aber nyemandt sol sich der vermessenn offentlich zu predigen denn der dartzu durch die gemeine erwelt ist« (WA 10 III; 97,8–10, Druck D, Schwan). 88   »[…] heymlich aber mag ich solche gewalt wol brauchen, als wenn mein nechster kommet, sagende: lieber, ich byn beschwert inn meinem gewissen, sprich mir ein absolution, so mag ich das thun freylich, aber heymlich muß geschehenn« (WA 10 III; 97,10–13, Druck D, Schwan). »So soll auch hier die oeffentliche Verwaltung nicht ohne Wahl geschehen, obgleich in geheim ein jeder seinem Bruder, der ihn darum bittet, troestliche Worte zusprechen kann« (WA 10 III; 97,26–29, Graun). 89  Zur Geschichte des Begriffs vgl. neben dem Überblick von Harald Goertz/Wilfried Härle: Art. ›Allgemeines Priestertum‹, in: TRE 27, 402–410 (Lit.), die ausführliche Studie von Harald Goertz: Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther (MThSt 46), Marburg 1997; Jan Freiwald: Das Verhältnis von allgemeinem Priestertum und besonderem Amt bei Luther, Heidelberg 1993; Wilhelm Brunotte: Das geistliche Amt bei Luther, Berlin 1959; Hans Asmussen: Das Priestertum aller Gläubigen, Stuttgart 1946. 90   Vgl. BoA 1; 362. 363–425, hier 366–370; WA 6; 381. 404–469. 630–632, hier 407–411. Vgl. hierzu den Kommentar von Thomas Kaufmann: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (Kommentare zu Schriften Luthers 3), Tübingen 2014, 80–115; Roland M. Lehmann: Theologische Einführung zur Adelsschrift, in: Heiko Franke/Georg Raatz (Hg.): Befreit! Martin Luthers Hauptschriften von 1520, Leipzig 2020, 21–35 91   Das Predigtregister der Weimarer Ausgabe macht 16 Angaben zu Predigten über Joh. 20, 19ff (WA 22; XLI–LXXXIX, hier LXXIIIf). Am 7. April 1521 predigte Luther in Erfurt über diese Perikope (WA 7; 803. 808–813). In Form einer Mitschrift Rörers und eines Druckes existiert eine Predigt vom 12. April 1523 (WA 11; 94–97 und WA 12; 473. 517–524). Diese Predigt wurde mit wenigen Abweichungen in Roths Sommerpostille aufgenommen (WA 10 I.2; 228–230). Vom 8. April 1526 ist eine weitere Predigt in Form einer Abschrift Rörers vorhanden (WA 20; 363–368). Im Rahmen seiner Reihenpredigten über Joh. 16–20 sprach Luther am 30. März 1529 über diese Perikope, die durch Rörer mitgeschrieben und später durch Poach 1557 und 1566 gedruckt wurde (WA 28; 464–479). Außerdem existiert eine Hauspredigt,

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7. April 1521, sprach er zwar ebenfalls über die Frage, wie der Mensch fromm werden könne, und unterschied hierbei eigene und fremde Werke.92 Mit Bezug auf die eigenen Werke betonte er aber, dass sie zur persönlichen Frömmigkeit nichts beitragen könnten und diese abzulehnen seien. Die fremden Werke jedoch könne man annehmen, da sie von Christus stammten. Allerdings erfolgt hier noch keine begriffliche Ausdifferenzierung in Form der Entfaltung von Gesetz und Evangelium. Außerdem fehlt auch trotz der Ankündigung am Anfang der Predigt jegliche Verknüpfung mit dem Inhalt der Perikope.93 In seiner Kanzelrede ein Jahr später, am 12. April 1523, in Wittenberg unterlässt er eine solche ausführliche Thematisierung der Gesetzesfunktionen. Stattdessen bleibt Luther nun nah am Text und geht auf jeden Vers einzeln im Sinne einer Homilie ein.94 Gleichwohl ist zudem ein systematischer Aufbau erkennbar. Er ergibt sich durch die Erörterung der Begriffe Friede, Freude, Macht und Gewalt. Luther die Luther am 16. April 1531 gehalten hat. Zum einen hat sie Rörer mitgeschrieben, von der Poach eine Abschrift angefertigt hat, und zum anderen ist sie durch den Nürnberger Codex Solger 13 überliefert (WA 34 I; 318–328). Vgl. ferner die Einleitung zu den Predigten aus dem Jahr 1531 in WA 34 II; 569–611, hier 571f. 589. Diese Hauspredigt ist in bearbeiteter Weise in der Hauspostille von Veit Dietrich aus dem Jahr 1544 (WA 52; XVIf. 266–275) und in der Hauspostille von Andreas Poach aus dem Jahr 1559 (WA 52; VII) überliefert. Eine weitere Hauspredigt vom 12. April 1534 ist in einer Mitschrift von Rörer bruchstückhaft erhalten (WA 37; 379–381, vgl. ferner aaO., XXXIII). Von der Predigt vom 23. April 1536 existiert eine Mitschrift aus der Feder Rörers sowie eine Abschrift davon im Zwickauer Codex, Nr. XXX Bl. 38a–41b (WA 41; XXXII. 541–546). Im Jahr 1537 verfasste Luther für einen Freund kleinere Auszüge aus den Vorjahren mit dem Titel »Conciunculae quaedam amico cuidam praescriptae«, die ohne sein Wissen gedruckt wurden. Darin befinden sich auch Gedanken über Joh. 20, 19–31 (WA 45; XXXVIII. 460–462). In Dessau hielt Luther am 4. April 1540 eine Predigt, die als Mitschrift von Rörer (WA 49; 135–143) und als Druck überliefert ist, der aber vom Aufbau her wesentlich von Rörers Mitschrift abweicht (WA 49; XXI–XXIII. 143–160). Schließlich ist wohl eine Hauspredigt durch die Wolfenbütteler Handschrift (Cod. 863 Nov. 13) vom 1. April 1543 erhalten (WA 49; XXXI. 271–278). Für die Neubearbeitung der Sommerpostille durch Cruciger aus dem Jahr 1544 (WA 21; 289–297) wurden die Predigten vom 19. April 1523 (WA 21; 291,26–293,32 entspricht WA 12; 519,13–521,14) und vom 4. April 1543 (WA 21; 294,25–297,39 entspricht WA 49; 143,7–160,9) miteinander kombiniert (vgl. die Einleitung zu Crucigers Sommerpostille in WA 22; XI–XXIX, hier XXf). 92   »Nun stet dy rechte unnd warhafftige fruemickeit in zweyerley wercken: In frembden wercken, das seint dy rechten, und in eygenen wercken, das seint geringe« (WA 7; 808,12–14). 93   Zu Beginn der Predigt kündigt er an, die Thomas-Erscheinung auszulassen und stattdessen die Erscheinung vor den Jüngern auszulegen: »Ir lieben freund, dy history vom heiligenn Thome wil ich itzt stehen lassen und beruwen auff ein andere zeith, Sunder wil ansehen das woeertlein vonn Christo gesagt ›habt fried‹ und ›sehent mein hende und seiten‹ und ›wie mich mein vater gesand hat, also send ich euch‹ &c.« (WA 7; 808,3–7). Doch nirgendwo in der Predigt kommt er wieder auf die besagten Verse zu sprechen. 94   Hinzu kommt beispielsweise die allegorische Auslegung, dass Christi Stehen mitten im Raum als Stehen Christi im Herzen der Menschen gedeutet werden kann. In der Mitschrift gibt Rörer wieder: »Illud et significat figura, quae hic est, quod ianuis clausis et non laesis intravit. Illud stare nihil aliud est quam quod in corde nostro stet, sicut in medio discipulorum. Si ita in medio cordis stat« (WA 11; 95,11–14). Im Druck kann man lesen: »Das bedeutet nun die figur, das Christus durch verschlosne thuer hineyn kumpt und mitten under die junger trit und steet. Denn das stehen ist nichts anders, denn das er inn unserm hertzen stehet, da ist er

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bezeichnet sie in der Auslegung als Früchte des Glaubens. Gleichsam spiegeln sie den Handlungsablauf in der Perikope wider: Friedensgruß Christi, Freude der Jünger, Sendung und Bevollmächtigung.95 Vergleicht man die Predigten zu dieser Perikope miteinander, so gelangt man zu dem Schluss, dass die Bornaer Predigt am konsequentesten den Bibeltext mit Luthers eigener Theologie verbunden hat. Dabei ergibt sich die Trias Gesetz, Evangelium und gute Werke. Diese Trias bildet ebenfalls das Zentrum seiner reformatorischen Ansichten.

2.2 Die Reliquien- und Bilderverehrung (3. Mai) Der 3. Mai gilt in der Westkirche als Festtag der Kreuzauffindung Christi.96 Luther nimmt dies zum Anlass, seine Kritik an dem Reliquienkult und der Bilmitten ynn uns also, das er unser sey, wie er da stehet, und sie yhn bey sich haben« (WA 12; 518,19–22). 95   Den Aufbau verdeutlichte Luther zu Beginn der Predigt. So lautet es in Rörers Mitschrift: »In hoc Euangelio wirt gepreisset fructus fidei. Fructus fidei inter alios pax et gaudium […]. Eciam weyter die krafft und macht fidei« (WA 11; 95,2–6). Im Druck wurde dies wiedergegeben mit den Worten: »Auffs erste stehet Christus da under den jungern, die da ynn furcht und schrecken sitzen unnd yhr hertz gar nicht zu fride ist, muessen alle stund des tods warten, zu den kompt er, trostet sie und spricht ›habt fride‹, das ist ein frucht. Auffs ander uß dem suessen wort folget die ander frucht, das sie fro synd gewesen, das sie den herren sehen solten. Darnach gibt er weiter dem glawben macht und gwalt uber alles was yn himel und erden ist« (WA 12; 518,1–10). Diese Gliederung wird im Folgenden konsequent durchgehalten: 1. Abschnitt über den Frieden beginnt ab WA 11; 95,27 = WA 12; 519,13; der 2. Abschnitt über die Freude setzt ein mit WA 11; 96,6 = WA 12; 520,28; der 3. Abschnitt über die Macht bzw. Kraft hebt an mit WA 11; 96,15 = WA 12; 521,15 und der 4. Abschnitt über die Gewalt nimmt seinen Anfang ab WA 11; 96,26 = WA 12; 521,38. Die Predigt vom 8. April 1526 ähnelt jenem Aufbau, wenngleich sie auch in zwei Abschnitte gegliedert ist (WA 20; 366, 12–16). In der Predigt vom 26. April 1536 (WA 41; 541,3–5) und in der Dessauer Predigt vom 4. April 1540 (WA 49; 135,8) legt Luther den Fokus mehr auf die Ab- und Anwesenheit des Jüngers Thomas. Im Vergleich hierzu geht er in der Hauspredigt vom 16. April 1531 freier mit dem Text um und setzt den Akzent mehr auf das Predigtamt als Kern der Bevollmächtigung der Jünger (Vgl. WA 34 I; 318,15 u. 319,17f = WA 52; 266,4). Ähnlich auch in der Hauspredigt vom 12. April 1534, in der er zuerst auf den freundlichen Umgang Jesu mit Thomas und den Jüngern eingeht und danach auf das Predigtamt zu sprechen kommt (WA 37; 380,36–381,8). Mehr im katechetischen Stil bezogen auf den zweiten Artikel des Glaubensbekenntnisses gehalten ist schließlich die Hauspredigt vom 1. April 1543 (WA 49; 271,24–272,4). 96   Der Legende nach soll Gott Kaiserin Helena (248/250–330), Mutter von Kaiser Konstantin, im Traum befohlen haben, nach Jerusalem zu reisen. Dort fanden ihre Mitarbeiter um 325 das heilige Grab unter einem Venus-Tempel, der in ihrem Auftrag abgetragen wurde. Dabei wurden in einem Wallgraben drei angeblich gut erhaltene Kreuze gefunden, darunter auch das Kreuz Christi. Vgl. hierzu Karl Adolf Wiegel: Die Darstellungen der Kreuzauffindung bis zu Piero della Francesca, Köln 1973; Ewald Volgger: Die Feier von Kreuzauffindung und Kreuzerhöhung. Ursprung, Verbreitung und Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung als Hochfeste des Deutschen Ordens, in: Udo Arnold (Hg.): Beiträge zur Geschichte des Deutschen Ordnes (QSGDO 43), Marburg 1987, 1–50; Carla Heussler: De Cruce Christi. Kreuzauffindung und Kreuzerhöhung. Funktionswandel und Historisierung in nachtridentinischer Zeit, Paderborn u. a. 2006.

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derverehrung zu entfalten. Ihm zufolge sei es nicht verwerflich, dass Holzsplitter des Kreuzes Christi in Ehren gehalten werden. Jedoch kritisiert er deren Missbrauch.97 Der erste Missbrauch bestehe darin, dass allein die äußerlichen Zeichen mit dem Hintergedanken verehrt würden, die eigene Seligkeit zu finden. Die Menschen würden zu den Kreuzessplittern nach Torgau und Dresden pilgern, in der Hoffnung, je nach Ort spezifische Hilfe zu bekommen.98 Das sei jedoch abzulehnen und eine Form von Abgötterei. Genauso verhalte es sich, wenn man die Bildnisse von Heiligen verehre.99 Deswegen solle man dort, wo ein solcher Missbrauch geschehe, besser die Reliquien und Bilder sowie die ganze Kirche abreißen.100 Diese radikale Aussage relativiert er allerdings sogleich, indem er deutlich macht, dass die Bilder nicht gänzlich zu verwerfen seien. Er verweist hierbei auf die eherne Schlange Moses (Num. 21, 9), deren Anblick das Volk Israel wieder gesund gemacht habe. Eine solche Wirkung könnten Reliquien und Bilder auch gegenwärtig noch entfalten, wenn die Menschen jene im Glauben betrachteten, um in ihrer Seele gesund zu werden.101 In diesen Äußerungen spiegeln sich Luthers Erfahrungen wider, die er in Wittenberg aufgrund des Bilderstreits gemacht hat.102 Am 24. Januar 1522 wurde vom Wittenberger Rat eine neue Kirchenordnung beschlossen, die neben anderen Reformmaßnahmen das Entfernen von Bildern und Altären vorsah.103  »Zum ersten ist der gebrauch, das mann dem heyligen creutz grosse ehr anlegt: […] welchs ich nit verwirff, sonder den mißbrauch« (WA 10 III; 113,9–11, Druck D, Schwan). »Erstlich wisset ihr, daß das Holz des Creuzes in grossen Ehren gehalten wird: solches lobe ich, aber den Mißbrauch verwerfe ich« (WA 10 III; 113,30–32, Graun). 98   »[…] nemlich die do lauffen hyn und her, zum heiligen Creutz zu Dorgaw und tzu Dresen, auch zu solchen Creutzen, do Christus nit an geliden hat. Das lauffen heyst nit erfinden das heylig Creutz, sonder vil mehr tieff in die erde begraben, ursach: das Creutz zu Dorgaw thut das, das ander vermag es nit […] Das ist eytel irtumb und abtgoetterey« (WA 10 III; 114,1–6, Druck D, Schwan). 99   »[…] so auch in den bildniß unser lieben frawen, sant Lorentz, sant Niclaus .&c.. und ander mehr, do die menschen allein trost, hylffe suchen und zuvorsicht haben, welchs yrthumb und abtgoetterey ist« (WA 10 III; 114,7–9, Druck D, Schwan). 100   »Derhalben wo solch myßbrauch und hynweg geschicht inn anbetung der bilde, sollt mann die Creutz odder bilde wo sollich concursus geschicht, abreyssenn, weg thun, auch die kirche der selben einreyssen« (WA 10 III; 114,10–13, Druck D, Schwan). Diese polemische Spitzenaussage fehlt in Grauns Bearbeitung. 101   Vgl. 10 III, 114,13–16, Druck D, Schwan; WA 10 III; 114,25–30, Graun. 102   Zur Kritik an die Bilderverehrung vgl. den Forschungsüberblick von Olaf Mörke: Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (Enzyklopädie deutscher Geschichte 74), München u. a. 2005, 125–130, der zwischen dem theologischen Diskurs (Bilderverbot), den politischen Verordnungen durch die weltliche Obrigkeit (obrigkeitliche Kirchensäuberungen) und den sozialen Aktionen (Bildersturm) unterscheidet. Vgl. ferner Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann: Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2002, 82–89. 103   Vgl. Punkt 13 der Ratsordnung: »Item die bild ynd altarien in der kirchen so(e)llen auch abgethon werden, damit abgo(e)tterey zu vermeyden, dann drey altaria on bild genug seind« (Die Ordnung des Rates der Stadt Wittenberg vom 24. Jan. 1522, StA 2; 525–529, hier 527,20f. 97

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Am 26. Januar 1522 veröffentlichte Karlstadt zudem den Traktat »Von abthuung der Bylder«, in dem er dafür plädierte, die Kirchen zu räumen, um so der Idolatrie Einhalt zu gebieten.104 Die Entwicklung in Wittenberg nötigte Luther dazu, den Aufenthalt auf der Wartburg abzubrechen und in den Invokavitpredigten zur Bilderfrage Stellung zu nehmen.105 In Borna nutzt Luther nun die Kanzel, um der Gemeinde seine Haltung zu den Bildern in gebündelter Form darzulegen. Auf der einen Seite hebt er die Gefahren der Bilderverehrung hervor, aber auf der anderen Seite lehnt er die Heiligenbilder aufgrund ihrer pädagogischen Vorbildfunktion auch nicht gänzlich ab. Der zweite Missbrauch besteht Luther zufolge darin, dass die Reliquien in Gold und Silber eingefasst seien. Mit diesem Schmuck solle man lieber den Armen helfen.106 Deshalb wäre es besser gewesen, wenn das Kreuz nie gefunden worden wäre.107 Die Menschen würden zu den Kreuzesreliquien laufen und sie suchen, aber das wahre Kreuz dabei nicht finden. Statt die Reliquien zu küssen und dort Kerzen anzuzünden, solle man lieber seinem Nächsten helfen.108 Hierzu verweist er auf das Bibelwort Mt. 16, 24: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir«.109 Luther betont hierbei, dass man nicht das Kreuz Christi auf sich nehmen solle. Vielmehr spreche der Bibelvers davon, dass jeder sein eigenes Kreuz zu tragen habe. Damit sei bildlich gemeint, dass man um seines Glaubens willen Verfolgung und Schmach erleiden werde.110 Als Beispiel verweist er auf Jan Hus. Dieser habe wahrlich sein Kreuz auf sich genommen, als er vom Papst verfolgt, der 104   »Das ehrliche halthung der bildnis. wider das erste gebot ist sol keyner von mir sonder auß der schrifft lernen. Exo. am xx steht alßo geschriben. Du solt nit frombde gotter haben. id est. Du solt got-tis gütikeit hilff gnad / barmhertzikeyt / vnd endthaltung / nymand anderß / dan dem gerechten got tzu erkennen« (Andreas von Bodenstein [Karlstadt]: Von abtuhung der Bylder Und das keyn Betdler unther den Christen seyn soll, Wittenberg 1522, Bl. Aiii h; siehe im VD 16 B 6214, B 6215). Vgl. ferner die Textausgabe Andreas von Bodenstein (Karlstadt): Von Abtuhung der Bilder und das keyn Bedtler vnther den Christen seyn sollen (1522) und die Wittenberger Beutelordnung, hg. von Hans Lietzmann, Bonn 1911, 6. 105   Vgl. hierzu Luthers Äußerungen in der zweiten Invokavitpredigt, WA 10 III; XLVI. 1–64, hier 26–30. 106   Die zweite Form des Missbrauchs ist in Grauns Bearbeitung deutlicher zu erkennen: »Der andere Mißbrauch ist, daß hin und wieder Stuecklein vom Creuz in Gold eingefasset gezeiget werden. Allein es waere nicht noethig, dasselbe mit Gold und Silber zu zieren, sondern waere besser, wenn man dieses den Armen gaebe« (WA 10 III; 114,35–115,24). 107   Vgl. WA 10 III; 115,2–5, Druck D, Schwan. Auch diese Polemik wird in Grauns Bearbeitung übergangen. 108   »Es ist nicht, das du deinem nechsten etwas gibst und zu hilffe kommest dann so du das Creutz kuessest, vier liechter ansteckest .&c.. es ist eytel spygel fechten« (WA 10 III; 115,13– 15, Druck D, Schwan). 109   Vgl. WA 10 III; 115,6f; 117, Z 4f, Druck D, Schwan; WA 10 III; 115,27f; 117,27, Graun. Stephan Roth fügt in der Festtagspostille hier noch Hus’ Mitstreiter Hieronymus von Prag hinzu. Vgl. WA 17 II; 425,16. 110   Vgl. WA 10 III; 115,7–9, Druck D, Schwan; WA 10 III; 115,28–31.

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Ketzerei beschuldigt und hingerichtet worden sei, obwohl er kein Ketzer war.111 Jeder müsse sein eigenes Kreuz aufnehmen, indem er sich für seine Geschwister aufopfere, auch wenn er deshalb als Ketzer verfolgt werde.112 Die Bornaer Predigt ist die einzige erhaltene Predigt von Luther vom Festtag der Kreuzauffindung.113 Jedoch hat Luther ein halbes Jahr später in Wittenberg eine ähnliche Predigt gehalten. Es handelt sich um die Predigt vom 14. September, dem 13. Sonntag nach Trinitatis.114 An diesem Sonntag feierte man zugleich auch das Fest der Kreuzeserhöhung.115 Aufgrund der korrespondierenden Thematik ergeben sich viele Parallelen zwischen beiden Predigten. Wie in der Bornaer Predigt zur Kreuzauffindung geht Luther in einem ersten Teil zunächst auf den Missbrauch des Reliquienkultes ein und beschreibt dann in einem zweiten Teil den wahren Umgang mit dem Kreuz.116 Hierbei unterscheidet Luther wiederum zwei Missbräuche. Der erste bestehe darin, dass zu viel Geld für Reliquien gestiftet werde, statt es den Armen zu geben. Zwar lehnt er auch hier nicht die Ehrung von Reliquien generell ab, kritisiert jedoch den Kapitalbetrieb rund um den Reliquienkult.117 In diesem Zusammenhang formuliert Luther die polemische Aussage, dass man aus all den vermeintlich vorhandenen Kreuzessplittern wohl ein ganzes Haus bauen könne.118 Damit greift er einen Gedanken von Erasmus von Rotterdam auf, der schrieb, man könne mit all den überlieferten Kreuzessplittern wohl ein ganzes Lastschiff bauen.119   »So auch thut der Babst mit dest die da ketzer werden gescholten und verbrent und umbracht. Wie auch Johanni Huß und vil andern geschehen ist, welchen die welt vor einen ketzer helt, und darmit im gewalt vnd vnrecht geschehen ist, und vor got kein ketzerey war« (WA 10 III; 115,21–116,4, Druck D, Schwan). Bei Graun fehlt jener Verweis auf Hus. 112   Vgl. WA 10 III; 119,13–16, Druck D, Schwan. 113   Vgl. das Predigtregister in WA 22; LXXXIX. 114   Vgl. WA 10 III; CIVII–CIX, 332–341; WA 17 II; 483–485. Zur Überlieferungsgeschichte der Predigt vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 331–336. 115   Nachdem aufgrund der Suche durch Kaiserin Helena das Kreuz Christi in Jerusalem entdeckt worden war, ließ Kaiser Konstantin am Ort der Grabesauffindung eine Kirche aufrichten, welche 335 eingeweiht wurde. Zu diesem Anlass stellte man das heilige Kreuz feierlich zur Verehrung aus. Von Jerusalem aus verbreitete sich im Frühmittelalter der Kult, Kreuzreliquien und Kreuzdarstellungen dem Volk zur Verehrung zu zeigen und hochzuhalten, was noch heute zu besonderen Festtagen praktiziert wird. Vgl. Louis van Tongeren: Vom Kreuzritus zur Kreuzestheologie. Die Entstehungsgeschichte des Festes der Kreuzerhöhung und seine erste Ausbreitung im Westen, in: EL 112 (1998), 216–245. 116   Der Übergang vom ersten zum zweiten Teil erfolgt in WA 10 III; 336,20 auf 336,21. 117   »Das mannß Eeret ist wol feyn, Aber das man darauff fallen will, darauf kirchen stiften und das recht darneben nach lassen, das ist nit recht. Da ist der mißbrauch heer kommen, das wa man hat ain stücklen kinden überkommen, da ist vil sylber und gold zuº geflogen, da hat man jm kirchen gestifft und darneben die arme leüt lassen sytzen« (WA 10 III; 333,2–7). 118   »Da hat dann got seyn gnad auch zuº geben, das man etwenn von ainem galgen ain spon gehawen und für das hailig Creütz angebet, dann es seynnd der stuck in der welt sovil, das man ain hauß darvon pawen künd« (WA 10 III; 333,9–12). 119   So die Aussage von Erasmus, dass »vermutlich wohl ein ganzes Lastschiff zusammenkäme, wenn man alle Partikel auf einen Haufen zusammenbrächte« (Erasmus von Rotter111

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Der zweite Missbrauch werde durch die Praxis hervorgerufen, die Reliquien anzubeten. Die Begründung für eine solche Form der Anbetung von Reliquien habe Luther zufolge Thomas von Aquin formuliert, wenn er zwischen der Verehrung Gottes (latria), der Heiligen (dulia) und der besonderen Verehrung der Mutter Gottes (hyperdulia) unterscheidet.120 Der wahre Umgang mit dem Kreuz erfolge in der Erkenntnis des Herzens, das eigene Kreuz zu suchen und zu erheben.121 Wie in der Bornaer Predigt betont Luther mit Verweis auf Mt. 16, 24, nur das eigene Kreuz und nicht das Kreuz Christi auf sich nehmen zu können.122 Aufgrund der Übereinstimmungen lässt sich die Vermutung äußern, dass Luther die Bornaer Predigt als Vorlage ausgearbeitet hat, um sie zu einem ähnlichen Anlass in Wittenberg noch einmal zu halten. Was jedoch nicht in der Wittenberger, wohl aber in der Bornaer Predigt thematisiert wird, ist die Kritik an der Bilderverehrung. Rückblickend ergibt sich, dass Luther den Tag der Kreuzauffindung zum Anlass genommen hat, der Bornaer Gemeinde seine Kritik am Reliquienkult und an der Bilderverehrung in gebündelter Form zum Ausdruck zu bringen. Den Hintergrund bilden hierbei seine Erfahrungen im Kontext der »Wittenberger Bewegung«. Beeinflusst durch die Kultkritik des Humanismus äußerte Luther sich bereits seit 1516 auch öffentlich zu einer falsch verstandenen Verehrung der Reliquien.123 Wie in den Resolutionen zu den Ablassthesen von 1518 machte er hier deutlich, dass er den Reliquienkult nicht gänzlich ablehne, aber deutliche Gefahren sehe, vom wahren Glauben an Leiden und Kreuz Christi abgelenkt zu werden.124 Jedoch zeigt die Bornaer Predigt, dass er nun mit dieser dam: Vertraute Gespräche [Colloquiua familiaria], übers. v. Hubert Schiel, Köln 1947, 31f). Vgl. hierzu Stefan Laube: Von der Reliquie zum Ding. Heiliger – Wunderkammer – Museum, Berlin 2011, 207. 120   »Darnach ist noch ain ander mißbrauch kommen durch Thomam Aquinatum, dem man die tauben jnß or maldt (ja ich mayn es sey ain junger teüfel geweßt) das manß sol anbeten und º hat grosse klughait für geben mit Dulia, Hyperdulia: das manß sol anbeten« (WA 10 III; 335,9–11). Mit der Anspielung auf die Taube am Ohr von Thomas von Aquin hat Luther Darstellungen vor Augen, die den Scholastiker mit jener Symbolik als ikonografisches Heiligenattribut abbilden, um seine vom heiligen Geist inspirierte Weisheit zum Ausdruck zu bringen. Vgl. Engelbert Kirchbaum (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie, Rom 1994, 241– 244. Zur Unterscheidung von latria, dulia und hyperdulia Thomas von Aquin: S. th., II. II. q. 103a 3–4 (DThA 20, 33–39). 121 º   »Nun wellen wir die rechte erfyndung und erhebung des heiligen creützs auch suchen. […] du darffst nit ayn spaden in die hand nemen und tieff graben, nit reyten gen Jerusalem, sondern erfinden ist erkantnus. […] Finden ist erkennen, wann du das weißt das dirß got hat zuº gfuegt, so hasts funden mit dem hertzen« (WA 10 III; 335,21–29). 122   Vgl. WA 10 III; 335,22–24 und 332,20–23. 123   Vgl. die Predigt über das 6. Gebot vom 21. Dez. 1516, WA 1; 498,27–29; Predigt vom Andreastag am 30. Nov. 1516, WA 1; 101–104; Trostbrief an Georg Leyffer vom 15. April 1516, WA B 1; 37,13–15. 124   So macht Luther in der Auslegung der 58. These deutlich, dass er den Reliquienkult zwar nicht verdamme, jedoch darüber seufze, dass viele zu den Reliquien pilgerten, aber die wahre Verehrung Christi im Herzen nicht stattfinde: »Multi peregrinantur Romam aliaque

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Frage offensiv umging und auch in anderen Gemeinden auf die Gefahren der Reliquienverehrung hinwies. Später verschärfte sich noch einmal seine Meinung. Im Großen Katechismus sprach er von allen Reliquien dann nur noch als »alles tot Ding«.125

2.3 Luthers Gedanken zur Obrigkeit (4. Mai) Auf der Rückreise nach Wittenberg widmete sich Luther gemäß dem Sonntag Misericordias Domini dem Thema »Guter Hirte« nach der Perikope Joh. 10, 11–16. Er nutzte die Gelegenheit, der Bornaer Gemeinde an diesem Sonntag sein Verständnis von Amt und Obrigkeit darzulegen. Gegenüber den anderen Bornaer Predigten fällt bei dieser Predigt der vergleichsweise sowohl sprachlich als auch syntaktisch schlechtere Stil in der Überlieferung auf.126 Der Drucker Johann Schwan hatte wohl ursprünglich nicht vor, die vierte Predigt zu drucken, was erklären könnte, dass der Titel der Predigtsammlung lediglich von drei Predigten spricht.127 Möglicherweise hat Schwan erst im Zuge der Drucklegung diese Mitschrift erhalten, sie separat gedruckt und seiner Sammlung beigefügt.128 Susanne bei der Wieden erwägt, ob diese Predigt auf jener Reise nicht auch in Eilenburg gehalten worden sein könnte, da eine Verortung nach Borna im Vergleich zu den anderen Predigten fehlt.129 Jedoch spricht gegen diese Annahme, dass kein expliziter Hinweis auf Eilenburg zu finden ist. Ferner würde es verwundern, wenn Schwan alle Anstrengungen unternommen hätte, diese Predigt trotz der schlechten Mitschrift noch zusätzlich in die Sammlung aufzunehmen, wenn er nicht davon überzeugt gewesen wäre, sie sei in Borna gehalten worden. Außerdem nimmt bei der Wieden an, dass die ersten drei Predigten aus Borna womöglich von Schwan selbst mitgeschrieben wurden.130 Somit müsste er wohl auch wenigstens indirekt einigermaßen gute Kenntnisse von der vierten Predigt gehabt haben, weshalb er die

sancta loca, ut tunicam Christi, ossa martyrum, loca et vestigia sanctorum videant: quod non damnamus quidem, sed hoc gemimus, quod veras reliquias, scilicet passiones et cruces« (WA 1; 613,33–36). 125   »Denn ob wir gleich aller heiligen gebeine odder heilige und geweyhete kleider auff einem hauffen hetten, so were uns doch nichts damit geholffen, Denn es ist alles tod ding, das niemand heiligen kan« (WA 30 I; 145,17–20). 126  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 178f. 127   »Drey schon Sermo- gepredigt zu Born durch Doctor Martinum Luther. Alle- frommen Christglaeubigen menschen nützlich vnd fruchtbar zuº wissen. M. D. xxiiij« (WA 10 III; XCV u. Benzing, Nr. 1346 = VD L 6967). 128  Vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 179. 129  Ebd. 130   Siehe oben Seite 132.

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Mitschrift als Bornaer Predigt identifizieren konnte. Insofern bleibt die Verortung nach Borna am wahrscheinlichsten. Die Predigt setzt ein mit einer Kritik an der geistlichen Obrigkeit. Diese versuche, sich hoch über Christus emporzuheben.131 Dabei würde der Klerus verkennen, dass es eigentlich nur einen Hirten gebe. Von ihm sei den Geistlichen ihr Hirtenamt lediglich verliehen worden. Er verweist hierbei auf die Wortbedeutung von »Klerus«, was ihm zufolge »Erbgut« bzw. »Erbteil« bezeichne.132 Ein Geistlicher sei somit einer, der das Erbe Christi verwalte, wie es auch ein eigens dafür eingesetzter Hausknecht tue. Wie in der Perikope unterscheidet Luther zwischen Hirten, Mietlingen und Wölfen. Er bedauert es, dass viele Geistliche keine wahren Hirten mehr seien, sondern lediglich Mietlinge, die gegen Bezahlung den Hirtendienst übernommen hätten.133 Sie predigten lediglich um Lohn und Ehre willen und würden bei Gefahr ihre Schutzbefohlenen nicht verteidigen. Dieser Verfall habe Luther zufolge begonnen, als die Fürsten den Bischöfen Land und Gut gaben. Am gefährlichsten seien aber die Wölfe. Für Luther besteht ihr Kennzeichen darin, dass sie sich gegen das Evangelium stellen.134 Es könnten sowohl geistliche als auch weltliche Herrscher sein, die zu Wölfen werden, wenn sie Unschuldige gefangen nehmen, verbannen, bestrafen und verfolgen.135 Eine Obrigkeit allgemein benötige man Luther zufolge, weil viele Menschen böse seien. Gäbe es nur Menschen, die nach dem Evangelium lebten, so wäre weder eine weltliche noch eine geistliche Obrigkeit nötig.136 Hierbei unternimmt Luther den Versuch, das Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Obrigkeit zu klären und deren Aufgaben sowie Grenzen zu bestimmen. Dabei unterscheidet er bei beiden Obrigkeiten verschiedene Gewalten. Die weltliche Gewalt ist von Gott eingesetzt, wobei sich Luther zur Begründung auf die Worte aus Röm. 13, 1 beruft, nach denen jedermann der Obrigkeit untertan sein solle.137 Deshalb dürfe man sich der Obrigkeit nicht widersetzen, da man sich   Vgl. WA 10 III; 120,7.   »[…] clerus wirt nit genant ein geweichter, clerus heist erbgut, das ist: seyt als hawßknechte« (WA 10 III; 120,20f, Druck D, Schwan). 133   Die Mietlinge »nemen sich der schaff nit an, sie nemen tzeytlich lon, gut und ehre darvon und weyden sich selbst, wie ir ytzt sehet mit unsern hyrten« (WA 10 III; 120,26f, Druck D, Schwan). 134   »Wolff seint die regenten, die wider das Euangelium seint« (WA 10 III; 121,6f, Druck D, Schwan). 135   »Wer seint die wolffe? ytzt sehen wirß, es sind die geystlichen und weltlichen Tyrannen […]. Der Babst und die Officiel die stehen yetzt auch unnd nemen gefangen, vorbannen, vft vermaledeyen, stoecken und plöchen und verfolgen« (WA 10 III; 121,2–5, Druck D, Schwan). 136   »Dieweil nun wenig seint, die do hoeren oder gehorchen dem Euangelio, aber vil boese büben und schelcke bleyben, so ists von noeten, das wir oberkeit haben, so sie alle Euangelisch werenn, beduerfft mann jr nit« (WA 10 III; 121,15–18, Druck D, Schwan). 137   »Ich hab gesagt das zweyerley oebrigkeyte wir haben: Die weltliche und geystliche. Die weltliche gewalt ist von Gott eingesatzt, wie Paulus sagt zu den Roemern am 13. ca. ›Ein ytzliche seel sey unterthenig den hoehern gewalten, wann der gewalt ist nit dann alleine von got, 131

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damit gleichfalls gegen die Ordnung Gottes stellen würde.138 Ungehorsam sei allenfalls erlaubt, wenn die weltliche Obrigkeit ihre Macht missbrauche und sich gegen das Evangelium stelle.139 Damit formuliert Luther den Gedanken des Widerstandsrechts gegenüber der weltlichen Obrigkeit.140 Jedoch habe die weltliche Obrigkeit ebenso auf die geistliche zu schauen und ihr Einhalt zu gebieten, wenn sie versuche, den Seelen zu schaden.141 Insgesamt sei allerdings auch die beste weltliche Regierung eine, woran Gott nicht viel gelegen sei, da sie nicht die Seelen der Menschen betreffe. Dies komme allein der geistlichen Obrigkeit zu.142 Die geistliche Obrigkeit verfüge hierbei über mehrere Gewalten. Die eine bestehe in der Gewalt der Exkommunikation. Luther kritisiert, dass jene Macht allein vom Papst ausgeübt werde.143 Nach Mt. 18, 15 sei sie jedoch eher die Angelegenheit der Gemeinde. Deshalb sollten Bischöfe und offizielle Amtsträger nur im Einverständnis mit der Gemeinde den Bann aussprechen dürfen. wann die ding, die do seint, die seint geordent von got. Darumb der wider steht der gewalt, der widersteht der ordnung gots‹« (WA 10 III; 121,11–15, Druck D, Schwan). 138   Vgl. WA 10 III; 121,14f, Druck D, Schwan). 139   »Item wenn dir die weltliche oebrigkeyt gebeut: das soltu glauben, das soltu nit glauben, ist es wider das Euangelium, so soltu ir nit gehorsam sein, sonder sprechenn: du bist nit mer mein Furst, ich bin dir nit schuldig gehorsam zu leysten« (WA 10 III; 122,15–18, Druck D, Schwan). 140   Zum Widerstandsrecht vgl. Christian Peters: Das Widerstandsrecht als Problem reformatorischer Theologie. Stimmen lutherischer Theologien aus dem Umfeld des Bauernkrieges, in: Robert von Friedeburg (Hg.): Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich (ZHF, Beiheft 26), Berlin 2001, 113–140; Hermann Dörries: Luther und das Widerstandsrecht, in: Ders.: Wort und Stunde, Bd. 3, Göttingen 1970, 195–270; William D. J. Cargill Thompson: Luther and the right of resistance of the empereor, in: Studies in Church History. Ecclesiastical History Society, London 12 (1975), 195–202; Karl D. Hermann: Luther über Obrigkeit, Gehorsam und Widerstand, in: Hartmut Löwe/Claus-Jüngen Röpke (Hg.): Luther und die Folgen. Beiträge zur sozialgeschichtlichen Bedeutung der lutherischen Reformation, München 1983, 28–59; Arthur Kaufmann: Das Widerstandsrecht in der Luther-Zeit, in: Ders.: Vom Ungehorsam gegen die Obrigkeit. Aspekte des Widerstandsrechts von der antiken Tyrannis bis zum Unrechtsstaat unserer Zeit, vom leidenden Gehorsam bis zum zivilen Ungehorsam im modernen Rechtsstaat (Heidelberger Forum 72), Heidelberg 1991, 19–23; Diethelm Böttcher: Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben mittelalterlichen Widerstandsrechts in der Reformationszeit (1529–1530) (Historische Forschungen 46), Berlin 1991. Vgl. ferner die zusammengetragenen Hauptstellen über Luthers Äußerungen zum Thema bei Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben (BHT 175), Tübingen 2014, 457, Anm. 439; vgl. außerdem die Quellensammlung von Heinz Scheible: Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1523–1546 (TKTG 10), Gütersloh 21982. 141   »Die weltliche gewalt sol drauff sehen, wenn sich die geystliche gewalt außstreckt zu schaden der selen, sol mann sie gar weg nemen und nit zulassen« (WA 10 III; 122,3f, Druck D, Schwan). 142   »Weltliche gewalt ist ein solch ding, daran got nit vil gelegen ist: es hilfft nyemant an der sele, ob er auffs aller beste regir, es sey Fuerst oder wer es sey« (WA 10 III; 122,6–8, Druck D, Schwan). 143   »Die Geystliche oebrikeit haben sie getzogen auff den Babst« (WA 10 III; 121,20, Druck D, Schwan)

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Eine weitere Gewalt besteht Luther zufolge im Predigen des Evangeliums. Luther mahnt, dass die Geistlichen häufig nicht das Evangelium, sondern ihr eigenes Gesetz, wie das Kirchenrecht und den Ablass, predigten.144 Wenn dieses geschehe, solle man ihnen entgegnen, sie seien keine wahren Geistlichen, sondern nur deren Zerrbild.145 Die dritte Gewalt bestehe gemäß Mt. 16, 19 in der Binde- und Lösegewalt hinsichtlich der Sündenvergebung. Doch auch diese Gewalt sieht Luther dem Missbrauch unterworfen. Denn die geistliche Obrigkeit gehe damit willkürlich um und verwende sie vielmehr, um die Gewissen zu beschweren, statt sie zu erleichtern.146 Dem Menschen werden Bußleistungen wie das Beten von Rosenkränzen, das Pilgern zu Wallfahrtsorten oder das Kaufen von Ablässen auferlegt, was Christus niemals geboten habe. Deshalb solle man sich ganz auf das Evangelium konzentrieren. Nur dadurch werde das Herz froh und spreche: »Ich byn frey«.147 Zum Abschluss ruft Luther zum Gebet auf und bittet darum, Gott solle jedem helfen, nicht von den Wölfen verschlungen zu werden, die sich in dieser Zeit mitten unter den Menschen befänden.148 Die Bornaer Obrigkeitspredigt gehört unmittelbar in die Entstehung von Luthers Verständnis von den zwei Regimenten.149 Noch fehlen die begrifflichen Unterscheidungen in zwei »Regimente« bzw. »Reiche«,150 wie sie ein halbes Jahr 144   »Bischoff und Officiäl sein nit Bischoff, wann sie nit lauter das Euangelium predigen, sonder allein das geystliche recht, ir eygengesetz und ablaß« (WA 10 III; 122,24f, Druck D, Schwan). 145   Vgl. WA 10 III; 122,26–28. 146   »[…] nun kommen sie her und binden was sie woellen, sy machen gesetz, beschweren die gewissen und thun was yn nur trewmet und wol gefellet« (WA 10 III; 123,4–6, Druck D, Schwan). 147   Vgl. WA 10 III; 124,4, Druck D, Schwan. 148   »Nu laßen uns got anrueffen, das er uns wöl helffen in dyser ferlichen zeyt, die wir synd mitten unter den wolffen, das sie uns nit zerryßen und vorschlinden. Amen« (WA 10 III; 124,12–14, Druck D, Schwan). 149  Vgl. Volker Mantey: Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Martin Luthers Zwei-ReicheLehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (SuR, Neue Reihe 26), Tübingen 2005, 225f. Vgl. ferner Helmar Junghans: Das mittelalterliche Vorbild für Luthers Lehre von den beiden Reichen, in: Ders. u. a. (Hg.): Vierhundertfünfzig Jahre lutherische Reformation, FS für Franz Lau, Göttingen 1967, 135–153. 150   Während der erst in den 1940er-Jahren geprägte Begriff der »Zwei-Reiche-Lehre« den Akzent auf die Erstreckung der beiden Herrschaftsbereiche legt, betont der Ausdruck »ZweiRegimenten-Lehre« die beiden Herrschaftsweisen Gottes. Vgl. zum Überblick Rainer Anselm/Wilfried Härle: Art. ›Zweireichelehre‹, in: TRE 36, 776–793. Vgl. ferner als Auswahl an Sekundärliteratur Hans-Joachim Gänssler: Evangelium und weltliches Schwert. Hintergrund, Entstehungsgeschichte und Anlass von Luthers Scheidung zweier Reiche oder zweier Regimente, Wiesbaden 1983; Ahti Hakamies: »Eigengesetzlichkeit« der natürlichen Ordnungen (Untersuchungen zur Kirchengeschichte 7), Witten 1971; Heinz-Horst Schrey (Hg.): Reich Gottes und Welt, Darmstadt 1969; Franz Lau: Luthers Lehre von den beiden Reichen, Berlin 1952; Ernst Kinder: Geistliches und weltliches Regiment Gottes nach Luther (Schriftenreihe der Luther-Gesellschaft 12), Weimar 1940; Gustav Törnvall: Geistliches und weltliches Regiment bei Luther, in der Reihe: FGLP 10.2), München 1947.

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später in den Weimarer Obrigkeitspredigten entfaltet werden, die schließlich in Luthers Konzeption seiner Schrift »Von weltlicher Obrigkeit« münden.151 Jedoch werden bereits die Aufgaben und Grenzen beider Obrigkeiten genau beschrieben. Während er die Einsetzung der weltlichen Gewalt bereits mit Röm. 13 begründet, fehlt in augenfälliger Weise eine solche Begründung für die geistliche Obrigkeit. Der historische Hintergrund liege aus seiner Sicht in einem dreifachen Gewaltmissbrauch, den der Klerus ausübe. Er bestehe erstens in der eigenmächtigen Anwendung weltlicher Gewalt durch innerevangelische Gruppen, um geistliche Anliegen durchzusetzen, was in Wittenberg und Umgebung im Zuge der Einführung der Reformation der Fall gewesen sei; zweitens in der unerlaubten Übernahme weltlicher Gewalt durch die geistliche Obrigkeit, wie insbesondere der Papst sie beanspruche; und drittens in dem unerlaubten Verhalten der weltlichen Obrigkeit, wenn sie gegen das Evangelium agiere, wie im Fall der antireformatorischen Maßnahmen durch Herzog Georg von Sachsen. Denn dieser ging seit der Leipziger Disputation gegen Luther und sein Umfeld vor, indem er dessen Schriften verbot, die Kommunion sub utraque species unter Strafe stellte und Kurfürst Friedrich unter Druck setzte, das Wormser Edikt umzusetzen.152 Jene Schauplätze des Machtmissbrauchs führten dazu, dass Luther über die Verteilung der Gewalten nachdachte. In der Bornaer Predigt gibt Luther einen ersten Entwurf zur Bestimmung der Aufgaben und Grenzen weltlicher und geistlicher Herrschaft. Im Vergleich zur Bornaer Predigt stellt die Predigt am Pfingstdienstag in Wittenberg, dem 10. Juni, die wieder die Hirtenrede Jesu (Joh. 10) auslegt, eine ganz eigene Ausarbeitung dar.153 Am Schluss der Predigt lässt sich eine Weiter  Siehe unten Seite 238.   Zur antireformerischen Kirchenpolitik Georgs von Sachsen in den Jahren 1519 bis 1521 vgl. die profunde Darstellung von Christoph Volkmar: Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488–1525 (SMHR 41), Tübingen 2008, 446–486. 153   Vgl. WA 10 III; 170–175. Zur Überlieferung vgl. Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 218–223. Diese Predigt wurde auch aufgenommen in die Roth’sche Sommerpostille (WA LXXXII, 287–292). In den Folgejahren predigte Luther regelmäßig am Sonntag Misericordias Domini und am Pfingstdienstag über die Hirtenrede. Predigten von beiden Sonntagen vor 1522 sind jedoch nicht erhalten (vgl. das Predigtregister in WA 22; LXX). In den anderen Predigten am Sonntag Misericordias Domini geht er kaum mehr auf die Frage nach der Verteilung der weltlichen und geistlichen Macht ein, sondern konzentriert sich ganz auf das Thema Hirtenamt. Vgl. die Überlieferungen der Predigt vom 19. April 1523 (WA 11; 98–101; WA 12; 524–540; WA 10 I.2; 241f), vom 10. April 1524 (WA 15; 533–537), vom 15. April 1526 (WA 20; 368–371). Dabei geht er in unterschiedlicher Reihenfolge auf die Person Christi, dessen Amt und dessen Volk ein, wie man es an der Predigt vom 23. April 1531 (WA 34 I; 328–335, hier 329,22–24) ablesen kann. Oder er thematisiert die einzelnen Handlungsträger der Perikope (Christus, Mietlinge, Schafe und Wölfe), wie es beispielsweise in der Predigt vom 14. April 1532 (WA 36; 164–175, hier 164,22f) und in der Predigt vom 5. Mai 1538 (WA 46; 355–363 u. WA 21; 316–339) der Fall ist. Auch kann sich Luther mal ganz den Fokus auf die Bedeutung eines Handlungsträgers richten. So redet Luther in der Predigt vom 27. April 1533 (WA 37; 72–74) oder im Bruchstück der Hausandacht vom 19. April 1534 (WA 37; 386f) ausschließlich über die Bedeutung des Schafes. Auch an den 151

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entwicklung von Luthers Obrigkeitsverständnis erkennen. Sie besteht darin, dass Luther nun zur Unterscheidung der Gewalten den Begriff des »Schwerts« und des »Regiments« verwendet.154 Er unterscheidet hierbei zwischen dem geistlichen und weltlichen Schwert.155 Das geistliche ist eine metaphorische Umschreibung der freien Urteilskraft der Gläubigen in religiösen Dingen.156 In Anlehnung an die Perikope, dass die Schafe wohl zwischen der Stimme des Hirten und der Stimme eines Fremden (Joh. 10, 4f; Jes. 55, 11) unterscheiden könnten, kritisiert er an der Papstkirche, dass sie der Gemeinde das geistliche Schwert entwendet habe, um über die rechte Lehre allein richten zu wollen. Deshalb fordert er die Gemeinde dazu auf, sich das Schwert wieder zurückzuholen. Das dürfe aber nicht mit Gewalt, sondern allein mit dem Wort geschehen.157 Daneben existiere das weltliche Schwert, dass weiterhin geführt werden müsse. Es richte sich allerdings gegen die Bösen und nicht gegen die Frommen. In Glaubensdingen jedoch dürfe das weltliche Schwert nicht mit Zwangsmaßnahmen agieren.158 Zum Schluss der Predigt fasst er seine Gedanken zusammen: Das »seind die zwey Regiment, der frummen und boeßen, das man die frummen mit dem wort hol und die boeßen mit dem schwert zum ordenlichen wesenn tre-

Pfingstdienstagen in den Folgejahren liegt der Akzent weniger auf dem Obrigkeitsthema, sondern stärker auf dem angeblichen Unverständnis der Juden und der Aussage Jesu, er sei die Tür. So in den Mitschriften Rörers vom 26. Mai 1523 (WA 11; 118–122, hier 118,34–119,3; 121,16), vom 6. Juni 1525 (WA 17 I; 273–277, hier 273,26–274,1; 274,32f) und 22. Mai 1526 (WA 20; 408–412, hier 408,21). In der Predigt vom 2. Juni 1528, erhalten durch Rörer, und in der Kopenhagener Handschrift geht er darauf ein, dass es drei Arten von Lehrern gäbe: Die ersten wollten auf andere Weise als durch die Tür die Schafe in den Schafstall bringen, die zweiten seien Diebe und Mörder, die dritten seien diejenigen, die Christus als Tür nutzten (WA 27; 181–186, hier 181,5–7 u. 181,18). Für die Predigt in Crucigers Sommerpostille aus dem Jahr 1544 (WA 21; 497–508) gibt die WA an, dass die Vorlage unbekannt sei (WA 22; XXIIf). Weil jedoch dort die drei Lehrer unterschieden werden, wird wohl die Predigt vom 2. Juni 1528 auch als Vorlage gedient haben. Die gleiche Vorlage wurde wohl ebenso für die Predigtkompilation ›Conciunculae‹ aus dem Jahr 1537 verwendet, da hier drei Hirten unterscheiden werden (WA 45; 440f, hier 440,12–14), auch wenn dort die Predigt in den Sonntag Misericordias Domini eingeordnet wird. 154  Vgl. Volker Mantey: Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Martin Luthers Zwei-ReicheLehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (SuR, Neue Reihe 26), Tübingen 2005, 226. 155   Der Abschnitt beginnt ab WA 10 III; 172,29. 156   Das geistliche Schwert wird durch zwei Prinzipien beschrieben: »Libertas credendi und Auctoritates Judicandi, Ein freyheit des glaubens und gwalt zuurteylen« (WA 10 III; 173,17– 19). 157   »Nun bißher haben sie uns das schwert genummen, das wir nit haben kunnen auß schlahen, sonder haben sie alle mit gewalt lassen eingeen, darumb wenn wir yn das schwert ytzunder wider werden nemen, das wirt yn wee thun. Nun muß man yn es nemen nit mit gwalt, sunder mit dem wort« (WA 10 III; 174,6–10). 158   »Nicht wil ich aufgehoben haben das weltlich schwert, […] darumb muß es geen umb der boesen bueben willen, die sich an kein wort keren, aber das hertz khan es nicht zwingen und zum glauben bringen« (WA 10 III; 175, 24–27).

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yb«.159 Ohne dies genauer auszuführen, spricht Luther hier also bereits von den zwei Regimenten. Was hier im Vergleich zu späteren Äußerungen über die Obrigkeit fehlt, ist die ausführliche schöpfungstheologische Begründung beider Regimente, von Gott gestiftet zu sein.160 Rückblickend thematisiert Luther in dieser Predigt die Obrigkeit vor dem Hintergrund der biblischen Unterscheidung von Hirten, Mietlingen und Wölfen. Dabei klingen bereits wichtige Gedanken zur Unterscheidung der zwei Regimente an. Grenzen und Aufgaben werden bereits funktional unterschieden. Im Vergleich zu späteren Texten erfolgt jedoch noch keine begriffliche Fixierung beider Gewalten. Die Begriffe »Schwert«, »Regiment« und »Reich« werden hier nicht terminologisch gebraucht. Insofern ist die Bornaer Predigt ein wichtiges Dokument der Frühphase der Entstehung von Luthers Zwei-Regimente-Lehre bzw. Zwei-Reiche-Lehre.161

3. Altenburg Die Situation zu Beginn der Reformation in Altenburg ist trotz einiger Desiderate verhältnismäßig gut erforscht.162 Einen Überblick über die Quellenlage163 erlangt man durch die Sammlungen von Eduard Hase164 und Hans Patze165 . Die wichtigste Arbeit aus dem 19. Jahrhundert stammt von Julius Löbe166 und Ernst   WA 10 III; 175,30–32.   Lediglich nebenbei wird davon gesprochen, dass das geistliche Schwert als das Recht, in religiösen Dingen frei zu urteilen, von Gott gegeben ist: »Denn das urteyl ist heimgestelt einem itzlichen christen vor sich selbst, das ein solch gewalt nit menschlich sey, sunder goetlich ist uns gewalt geben, alles zu richtn und urteyln« (WA 10 III; 173,33–174,2). 161   Zu weiteren Ausführung siehe unten Seite 242. 162   Vgl. hierzu den informativen Forschungsbericht von Hartmut Kühne: Stadt, Residenz und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Altenburg, in: Joachim Emig/Volker Leppin/Uwe Schirmer (Hg.): Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (1470–1525/30) (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 1), Köln u. a. 2013, 273–305, hier 273–277. 163   Vgl. den Überblick bei Bert Meister: Sie sollen bruderschafft halden. Religiöses Engagement in den genossenschaftlichen Vereinigungen (Bruderschaften, Zünften, Gesellenvereinigungen) der Stadt Altenburg im Spätmittelalter, Beucha 2001, 34–36. 164  Vgl. Eduard Hase: Zur Geschichte der Bartholomäikirche zu Altenburg, in: Mittheilungen der Geschichts- und Althertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes 5 (1859– 1862), 224–330; Ders.: Weitere Urkunden zur Geschichte der St. Bartholomäikirche zu Altenburg, in: aaO., 478–492; Ders.: Ueber die ältesten Kämmereirechnungen der Stadt Altenburg vom Jahre 1437–1438, in: aaO., 3 (1850–1853), 461–498. 165  Vgl. Hans Patze: Altenburger Urkundenbuch 976–1350 (Veröffentlichungen der Thüringischen Historischen Kommission 5), Jena 1955. Im Staatsarchiv Altenburg existiert ein unveröffentlichtes Manuskript des zweiten Teils der Urkundensammlung für die Jahre 1351 bis 1507. Vgl. hierzu Hartmut Kühne: Stadt, Residenz und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Altenburg, in: Joachim Emig u. a. (Hg.): Vor- und Frühreformation in thüringischen Städten (1470–1525/30) (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 1), Köln u. a. 2013, 273–305, hier 277, Anm. 25. 166  Vgl. Julius Löbe: Mittheilungen über den Anfang und Fortgang der Reformation in 159

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Edler von Braun167, die durch die sozialgeschichtlichen Studien von Hans Joachim Kessler168 und Rosemarie Jäpel169 in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts ergänzt wurden. Flankiert werden diese stadthistorischen Forschungen von Arbeiten, die drei Themen betreffen: erstens die Studien über die Beratungen Luthers mit Karl von Miltiz170 Anfang Januar 1519 in Altenburg, zweitens die Arbeiten über Wenzeslaus Linck171, der von 1523 bis 1525 als Prediger in Altenburg wirkte, und drittens die Forschungsleistungen über den engen Freund Luthers und Fürstenberater Georg Spalatin172 , der von 1525 bis 1545 die Reformation in der Pleißestadt wesentlich beeinflusste. Altenburg nach gleichzeitigen Acten, Briefen, Nachrichten, in: Mittheilungen der Geschichts- und Althertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes 6 (1863–1866), 1–133 und 469–527. Vgl. auch die knappere Zusammenfassung von Arnd Löbe: Die Reformation in Altenburg und im Altenburger Land, Altenburg. Zu ihrem 400 jährigen Gedächtnis für die Gemeinde dargestellt, Altenburg 1917. Vgl. hierzu die Rezension von Otto Clemen, in: ThLZ 43 (1918), 211. 167   Hilfreich insbesondere durch die Beschreibung der damaligen kirchlichen Verhältnisse. Vgl. Ernst Edler von Braun: Die Stadt Altenburg in den Jahren 1350–1525, Altenburg 1872, 187–214. 168   Vgl. die Teilveröffentlichung seiner späteren Dissertation von Hans Joachim Kessler: Altenburg während der Zeit der frühbürgerlichen Revolution 1515–1525 (Altenburger Geschichtsblätter 2), Altenburg 1983; Ders.: Altenburg – eine kurfürstlich-sächsische Mittelstadt in der Entwicklung zur territorialfürstlichen Residenzstadt zwischen der Leipziger Teilung 1485 und der Wittenberger Kapitulation 1547, Diss. Leipzig 1991. 169  Vgl. Rosemarie Jäpel: Charakter, Verlauf und Ergebnisse der Reformation in Altenburg, Diss. Leipzig 1989; vgl. ferner Dies.: Zu ausgewählten Aspekten der Einführung der Reformation in Altenburg, in: Hartmut Zwar (Hg.): Leipzig, Deutschland und Europa, FS für Manfred Staube und Manfred Unger, Beucha 2000, 331–338. 170   Vgl. die alte Kontroverse zur Bedeutung der Rolle Karl von Miltiz in der Causa Lutheri zwischen Creutzberg und Kalkoff. Während Creutzberg die Meinung vertrat, dass die Kurie die Vermittlungsversuche des päpstlichen Gesandten durchaus ernst nahm, vertrat Kalkoff die Ansicht, dass die sogenannte »Miltiziade« von geringer Bedeutung war. Vgl. hierzu Heinrich August Creutzberg: Karl von Miltitz, 1490–1529. Sein Leben und seine geschichtliche Bedeutung (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte 6.1), Freiburg i. Breisgau 1907, 33; Paul Kalkoff: Miltiziade. Eine kritische Nachlese zur Geschichte des Ablaßstreites, Leipzig 1911, 1. Beide Auffassungen werden seither vertreten. Vgl. hierzu Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (QFRG 72), Gütersloh 2001, 32f, Anm. 68. 171  Vgl. Jürgen Lorz: Das reformatorische Wirken Dr. Wenzeslaus Lincks in Altenburg und Nürnberg (1523–1547), Nürnberg 1978; Ders.: Bibliographia Linckiana. Bibliographie der gedruckten Schriften Dr. Wenzelslaus Lincks (1483–1547) (Bibiotheca humanistica et reformatorica 18), Nieuwkoop 1977. Wichtig für die Altenburger Zeit ist vor allem Bernd Moeller: Wenzel Lincks Hochzeit. Über Sexualität, Keuschheit, und Ehe in der frühen Reformation, in: ZThK 97 (2000), 317–342; neu abgedruckt in: Ders.: Luther-Rezeption. Kirchenhistorische Aufsätze zur Reformationsgeschichte, hg. von Johannes Schilling, Göttingen 2001, 194–218. 172   Grundlegend die Biografie von Ingrid Höß: Georg Spalatin 1484–1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation, Weimar 1965, 21989. Vgl. ferner Gerhard Markert: Georg Spalatin (1484–1545), in: Ders.: Menschen um Luther. Eine Geschichte der Reformation in Lebensbildern, Ostfildern 2008, 92–97; Björn Schmalz: Georg Spalatin und

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Der Stadtrat bat Luther in seinem Schreiben vom 15. April, einen Prediger zu empfehlen und persönlich nach Altenburg zu kommen, weil nach seiner Auffassung die Stadt nur dürftig mit evangelischen Predigern versorgt sei und die Klage bestehe, dass sich die Geistlichen mehr um ihre Ländereien und Besitztümer als um das Seelenheil der Bevölkerung kümmerten.173 Deshalb entschied der Stadtrat, ab dem 1. Mai den unliebsam gewordenen Stadtprediger der Bartholomäuskirche Andreas Koler nicht mehr zu bezahlen.174 Die Prädikantenstelle besaß eine finanziell gut abgesicherte Ausstattung. Sie wurde 1465 vom Domherr am St. Georgenstift in Altenburg gestiftet, der dem Stadtrat eine Summe von 160 Schock Groschen175 überließ, womit die Stadt aus den Zinserträgen zweimal im Jahr die Versorgung des Prädikanten gewährleisten konnte.176 Die Wahl und Einsetzung des Predigers sollte dem Propst des Augustinerchorherrenklosters, des sogenannten Bergerklosters, obliegen. Jene Situation, dass die Verwaltung des Geldes und das Besetzungsrecht des Predigers in zwei Händen lagen, hatte bereits früher zu Konflikten geführt.177 Aufgrund der Meinungsverschiedenheit wandten sich sowohl Propst als auch Stadtrat an den Kursein Wirken in Altenburg 1525–1545, Markkleeberg 2009. Vgl. außerdem den Protokoll- und den Begleitband zur Spalatin-Ausstellung in Altenburg 2014 von Hans Joachim Kessler/ Jutta Penndorf (Hg.): Spalatin in Altenburg. Eine Stadt plant ihre Ausstellung, Halle 2012 und von Armin Kohnle u. a. (Hg.): Georg Spalatin. Steuermann der Reformation, Halle 2014. Vgl. zudem Martin Burkert/Karl-Heinz Röhlin: Georg Spalatin. Luthers Freund und Schutz, Leipzig 2015. Zum Briefwechsel vgl. Christine Weide: Der Briefwechsel zwischen Georg Spalatin und Philipp Melanchthon. Eine Bestandsaufnahme, in: Irene Dingel/ Armin Kohnle (Hg.): Philipp Melanchthon. Lehrer Deutschlands, Reformator Europas (LStRLO 13), Leipzig 2011, 35–42 und Dies.: Georg Spalatins Briefwechsel. Studien zu Überlieferung und Bestand (1505–1525) (LStRLO 23), Leipzig 2014. 173   Zu den Geschehnissen vgl. Martin Krarup: Ordination in Wittenberg. Die Einsetzung in das kirchliche Amt in Kursachsen zur Zeit der Reformation (BHT 141), Tübingen 2007, 41–49. 174   »[N]achdeme wir arme Leute mit Predigern, die uns und arme Gemeine christliche Wahrheit, darinnen unsre Selickeit stehet, unterweisen und lehren sollen, sehr ubel versorget seind, ob wir wohl eine große Mennige der Geistlickeit bei uns haben, die doch viel ehr und lieber mit Schatz sammeln und zusammenkoppeln Aecker und Grunde in eigen Nutz, denn unser Seelenheil nachtrachten […]; aus deme wir verursacht, unserm Probst des Klosters uffen Berge den Predigerstuhl zu kunftige Walpurge abgesagt, derhalben uns not, denselbigen wiederumb mit einem christlichen, evangelischen, gelahrten Prediger zu versorgen« (WA B 2; 503,3–12). 175   Zur Geldwährung siehe unten Seite 174. 176   Der Text der Stiftungsurkunde ist abgedruckt bei Eduard Hase: Zur Geschichte der Bartholomäikirche zu Altenburg, in: Mittheilungen der Geschichts- und Althertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes 5 (1859–1862), 224–330, hier Nr. 19, 259f. Vgl. ferner das Bekenntnis des Altenburger Rats über den Kauf eines jährlichen Zinses von 8 Schock aaO., Nr. 18, 257–259. 177   Im Jahr 1490 entstand ein Streit zwischen Propst und Rat hinsichtlich der Besetzungsfrage, weil der Propst die Stelle mit einem Bruder seines Ordens besetzt hatte, der jedoch nicht wie vom Stifter gewollt Magister, sondern nur Baccalaureus decretorum war. Daraus folgte, dass der Rat das Recht erwirkte, sich bei Missfallen des Predigers an den Landesherrn zu wenden, der durch neutrale Personen die Angelegenheit untersuchen sollte. Vgl. Martin

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fürsten, der daraufhin am 10. April eine Kommission zur Vermittlung ernannte, die am 29. April zusammenkommen sollte. Luther, der bestrebt war, Gabriel Zwilling als Prediger zu etablieren,178 kam einen Tag zuvor an, um zu predigen und die Verhandlungen zu begleiten.179

3.1 Wahre Frömmigkeit in der Predigt (28. April, Vormittag) Die Altenburger Predigten vom Vor- und Nachmittag des 28. Aprils sind lediglich durch Grauns Bearbeitung verlorener Mitschriften zugänglich, die in der Walch-Ausgabe zum ersten Mal veröffentlicht und in der Weimarer Ausgabe wieder abgedruckt wurden.180 Graun hat beide Predigten mit einem Thema überschrieben und eine Gliederung vorangestellt, welche in der zweiten Auflage der Walch-Ausgabe jedoch nicht mehr abgedruckt wurden. Der Vormittagspredigt gab Graun den Titel »Von der wahren Frömmigkeit und guten Werken«, sie ist ihm zufolge in drei Teile gegliedert.181 Der Eingangsteil handelt von der wahren Frömmigkeit; der Hauptteil vertieft das Thema, weil dort ausgeführt wird, dass die wahre Frömmigkeit nicht mit Werken, sondern mit dem Glauben beginne. Der Schlussteil leitet dazu über, die guten Werke zu thematisieren, die notwendig aus dem Glauben folgen. Die Nachmittagspredigt trägt den Titel »Von den guten Werken« und gliedert sich in fünf Teile, in denen Luther auf Fragen und Vorwürfe seiner Kritiker eingeht.182 Bereits anhand der Gliederung lässt sich die Nähe zur Bornaer Doppelpredigt vom Vortag erkennen, die ebenfalls am Vormittag bei der Frage ansetzt, worin die wahre Frömmigkeit bestehe,

Krarup: Ordination in Wittenberg. Die Einsetzung in das kirchliche Amt in Kursachsen zur Zeit der Reformation (BHT 141), Tübingen 2007, 41, Anm. 21. 178   Vgl. die Empfehlung Gabriel Zwillings in der Antwort Luthers an den Altenburger Rat (WA B 2; Nr. 477, 505) und die Bitte an Gabriel Zwilling, nach Altenburg zu gehen (WA B 2; Nr. 479, 506), die Luther am 14. April 1522 verfasste. Luther gelang es letztlich nicht, den umstrittenen Gabriel Zwilling beim Kurfürsten durchzusetzen, obwohl dieser aufgrund seiner Predigt am 3. Mai Wohlgefallen beim Rat gefunden hatte, wie der Rat Luther im Brief vom 6. Mai 1522 (WA B 2; Nr. 484, 517, 13–16) zurück meldete. Aufgrund von weiteren Beschwerden jedoch erließ der Kurfürst schließlich einen Verweis gegen Zwilling am 16. Juni. Acht Tage später schrieb Spalatin Wenzeslaus Linck mit der Bitte, er solle in Altenburg die Predigtstelle übernehmen. Vgl. Hans Joachim Kessler: Altenburg – eine kurfürstlich-sächsische Mittelstadt in der Entwicklung zur territorialfürstlichen Residenzstadt zwischen der Leipziger Teilung 1485 und der Wittenberger Kapitulation 1547, Diss. Leipzig 1991, 88–91. Zu Gabriel Zwilling vgl. Detlef Metz: Zwilling (Didymus), Gabriel, in: BBKL 14, 672–674. 179   Hierzu setzte Luther eigens am 28. April eine Instruktion für den Altenburger Rat auf. Vgl. WA B 2; 507–509. 180   Zur Vormittagspredigt vgl. W1 12; 2344–2348; W2 12; 1834–1838; WA 10 III; 99–101 und Nachmittagspredigt vgl. W1 12; 2349–2353; W 2 12, 1839–1841; WA 10 III; 101–103. 181   Vgl. WA 10 III; 99,8–12. 182   Vgl. WA 10 III; 101,21–28.

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dann das Verhältnis von Gesetz und Evangelium klärt und am Nachmittag die guten Werke thematisiert.183 Luther hat wohl zu Beginn die Verknüpfung mit dem Sonntag Quasimodogeniti hergestellt, an dem auf die nachösterliche Erscheinung Jesu vor den Jüngern eingegangen wird. Zumindest spricht er von den »Früchten der Auferstehung«, die er dann mit den Bibelstellen Röm. 10, 9–11 und Jes. 18, 16 veranschaulicht.184 Danach ist der Überlieferung zu entnehmen, dass sich Luther von den Predigern abgegrenzt hat, die behaupten, man könne durch gute Werke fromm werden. In einem virtuellen Gespräch mit einem Gegenüber, der bei der Frage nach der wahren Frömmigkeit auf das Tun guter Werke verweist, entgegnet Luther mit einer Vielzahl von Bibelstellen, die den Glauben als hinreichende Bedingung zur Erlangung der Frömmigkeit hervorheben.185 Der Teufel habe versucht, Christus zu verschlingen, wie ein Fisch den Wurm. Er konnte aber nicht ahnen, dass der Wurm an der Angel Gottes befestigt sei, der damit den Teufel gefangen habe.186 Luther beendet seine Vormittagspredigt mit dem Gedanken, dass man ungeachtet dessen dennoch gute Werke zu tun habe. Denn wer glaube, dem werde das Herz fröhlich gemacht und der werde dazu ermuntert, dem Nächsten willig zu helfen.187

3.2 Die guten Werke (28. April, Nachmittag) In der Nachmittagspredigt führt Luther aus, was die Altenburger Gemeinde unter dem Tun guter Werke zu verstehen habe. Dabei geht es ihm insbesondere darum, dass die Liebe, die Christus gezeigt habe, durch Werke der Nächstenliebe fortgesetzt werden solle. Er verweist hierzu auf zwei Bibelstellen, zum einen auf Gal. 6, 2, wonach der eine die Last des anderen zu tragen habe, und zum anderen auf das Gebot aus Joh. 13, 34, zu lieben, wie Christus einen geliebt habe.188 Beide Bibelstellen kombiniert Luther miteinander, sodass sie sich gegenseitig auslegen. Wie Christus die Last aller Menschen auf sich genommen habe, so solle der Christ auch die Last des Nächsten auf sich nehmen und ihm vergeben. Hierbei geht er wie in der Bornaer Predigt vom Vortag auf den Vorwurf

  Siehe oben Seite 133.   »Von der Frucht der Auferstehung Christi spricht Paulus Roem. 10. v. 9. 11: ›So du mit dem Munde bekennest und von Herzen glaeubest, daß JESUS sey von den Todten auferstanden, so wirst du selig‹. Denn ›wer an ihn glaubet, der wird nicht zu Schanden‹. Esa. 18, 16: ›Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewaehrten Stein, einen koestlichen Eckstein, wer an ihn glaeubet, der wird nicht zu Schanden werden‹« (WA 10 III; 99,14–18). 185  Vgl. WA 10 III; 99,24–101,9. Interessanterweise wird hier auch die Bibelstelle »Der Glaube ohne Werke ist tot« (Jak. 2, 17) angeführt. 186   Vgl. WA 10 III; 100,24–29. 187   Vgl. WA 10 III; 101,8–15. 188   Vgl. WA 10 III; 101,30–102,13. 183

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ein, er würde alle guten Werke verbieten.189 Er verneint dies vehement. Was er lediglich ablehne, seien die scheinheiligen bzw. »gleisnerische[n] Werke«.190 Christus frage nicht danach, ob man Mönch, Nonne oder Priester sei oder ob man Wallfahrten unternehme, sondern er frage einen jeden, was er seinem Nächsten getan habe.191 Hierbei entgegnet er dem Einwurf, was einem selbst bleiben würde, wenn man verpflichtet sei, alles dem Nächsten zu geben. Seine Antwort besteht darin, dass alles ordentlich zugehen müsse und man niemandem etwas schuldig sein dürfe.192 Danach fügt Graun eine schematische Darstellung des weiteren Verlaufs der Predigt ein. Dieser ist zu entnehmen, dass Luther auf die Wirkungsweisen des Glaubens im Einzelnen eingeht.193 Am Ende gibt Graun eine Anmerkung wieder, die er ebenfalls der Mitschrift entnahm : »Hier hat D. Martinus noch dieses hinzugefüget, daß nun die Bürger zu Altenburg die Wahl hätten, sich einen Prediger zu erwählen, nachdem sie sehen, daß die, so sie nun schon lange gehabt, irreten«.194

Leider ist der genaue Wortlaut nicht überliefert. Jedoch lässt sich der Anmerkung entnehmen, dass Luther insbesondere die Nachmittagspredigt dazu benutzt hat, die lokalen Probleme um die Absetzung von Andreas Koler und die Neuwahl eines evangelischen Predigers anzusprechen und die Gemeinde in seinem Sinne zu beeinflussen. Rückblickend ergibt die Analyse, dass Luther in ähnlicher Weise wie in der Bornaer Predigt am Tag zuvor seine reformatorischen Grundanliegen anspricht und die Themen wie die Frage nach der wahren Frömmigkeit, die Ablehnung der Werkgerechtigkeit, die Rechtfertigung allein aus Glauben und das Tun guter Werke als Früchte des Glaubens der Gemeinde erläutert. Die Anmerkung Grauns lässt erkennen, dass er dabei auch auf die Probleme der Gemeinde vor Ort einging und ganz konkret die aktuelle Diskussion über die Neubesetzung der Predigtstelle ansprach.

4. Zwickau Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung durch den Silberbergbau und die Tuchweberei gehörte Zwickau mit seinen damalig ungefähr 7000 Einwohnern zu den bedeutendsten Städten im südlichen Teil Kursachsens.195 Bereits früh   Siehe oben Seite 138.   WA 10 III; 102,16. 191   Vgl. WA 10 III; 102,17–21. 192   Vgl. WA 10 III; 29–32. 193   Vgl. WA 10 III; 102,34–40. 194   WA 10 III; 102,7–9. 195  Einen Überblick der kirchlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen Zwi189

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gab es in der Stadt Sympathien für Luthers neue Auffassungen. Johannes Wildenauer, der sich nach seiner Geburtsstadt Eger auch Sylvius Egranus nannte und Prediger an der Marienkirche war, zählte früh zu seinen Parteigängern.196 Außerdem stand Luther in Kontakt mit dem damaligen Stadtvogt Hermann Mühlpfort197, dem er sein Traktat »Von der Freiheit eines Christenmenschen« aus dem Jahr 1520 widmete.198 Wohl auf Empfehlung Luthers wählte der Stadtrat im Mai 1520 Thomas Müntzer als Prediger in Sankt Marien, der dann ab Herbst bis zu seiner Absetzung im April 1521 auch Prediger der Katharinenkirche wurde.199 Doch dessen Predigten führten zu Konflikten mit den Franziskanermönchen auf der einen Seite und dem Stadtrat auf der anderen Seite, die noch verschärft wurden, nachdem Müntzer Kontakt mit dem visionären Tuchweber Nikolaus Storch und seinem Umfeld erhielt und von deren Ansichten beeinflusst wurde.200 Aufgrund des Drucks der Obrigkeit reiste Storch mit zwei weickaus zu Beginn der Reformation bietet die Darstellung von Paul Wappler, die zuerst 1908 in der wissenschaftlichen Beilage zum Jahresbericht des Realgymnasiums in Zwickau veröffentlicht wurde, und dann neu bearbeitet erschien: Ders.: Thomas Müntzer in Zwickau und die »Zwickauer Propheten« (SVRG 182), Gütersloh 1966, 7–19. Einen Zugang zu den stadthistorischen Quellen erhält man durch Emil Herzog: Chronik der Kreisstadt Zwickau, Teil 1: Topographie und Statistik, Zwickau 1839; Teil 2 in zwei Bänden, Zwickau 1845. Beide Teile sind 1999 als Reprint-Ausgaben erschienen; vgl. ferner Michael Löffler/Norbert Peschke: Chronik der Stadt Zwickau. Vorgeschichte, Mittelalter, Neuzeit, Neueste Geschichte, Zwickau 1993. 196  Vgl. Alfred Eckert: Die deutschen evangelischen Pfarrer der Reformationszeit in Westböhmen, Teil 3, Bad Rappenau-Obergimpern 1976, 117; Georg Buchwald: Die Lehre des Johann Sylvius Wildenauer Egranus in ihrer Beziehung zur Reformation, in: BSKG 4 (1888), 163–202; Otto Clemen: Johannes Sylvius Egranus, in: Mitteilungen des Altertumsvereins in Zwickau 6 (1899), 1–39 und 7 (1902), 1–32; Hubert Kirchner: Johannes Sylivius Egranus, Diss. Berlin 1960 (teilweise unter dem gleichen Titel abgedruckt, Berlin 1961); Dieter Demandt: Die Egerer Pfründe des Johannes Sylvius Egranus, in: Bohemia 28 (1987), 131–134. 197  Vgl. Stefan Oehmig: Hermann Mühlpfordts der Ältere (1486–1534). Reichtum, Nachlass und Erbe des Zwickauer Bürgermeisters der Reformationszeit, in: Erich Donnert (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit, FS für Günter Mühlpfordt, Bd. 1: Vormoderne, Weimar u. a. 1997, 161–187; vgl. ferner Otto Clemen: Hermann Mühlpfort, in: Alt-Zwickau 5 (1922), 20 und 12 (1922) 46–48. 198   Vgl. WA 7; 20,3–23; Reinhold Rieger: Von der Freiheit eines Christenmenschen. De libertate christiana (Kommentare zu Schriften Luthers 1), Tübingen 2007, 4. 199   Nach Paul Wappler unternahm Egranus von Mai bis Oktober 1520 eine Studienreise nach Süddeutschland. Als Vertretung schlug Egranus dem Stadtrat Thomas Müntzer vor, den Luther ihm während der Leipziger Disputation empfohlen hatte. Vgl. Paul Wappler: Thomas Müntzer in Zwickau und die »Zwickauer Propheten« (SVRG 182), Gütersloh 1966, 19f. 24f. 200   Hierzu grundlegend die Untersuchung von Thomas Kaufmann: Thomas Müntzer, »Zwickauer Propheten« und sächsische Radikale (Thomas-Müntzer-Gesellschaft, Veröffentlichungen 12), Mühlhausen 2010, hier 22–26; vgl. ferner Anne-Rose Fröhlich: Die Einführung der Reformation in Zwickau, in: Mitteilungen des Altertumsvereins für Zwickau und Umgegend 12 (1919), 1–19; Harold S. Bender: Die Zwickauer Propheten, Thomas Müntzer und die Täufer, in: ThZ 8 (1952), 262–278; Helmut Bräuer: Zwickau zur Zeit Thomas Müntzers und des Bauernkriegs, in: Sächsische Heimatblätter 20 (1974), 193–223;

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teren Anhängern nach Wittenberg. Die als »Zwickauer Propheten« bezeichnete Gruppe beeindruckte Melanchthon und Amsdorf aufgrund ihrer biblisch begründeten Endzeitvisionen und ihrer Kritik an der Kindertaufe.201 Noch während seines Aufenthaltes auf der Wartburg erhielt Luther Kenntnis von jener Gruppe.202 In einem Brief an Hausmann vom 17. März drückte Luther seine Ablehnung gegenüber den Zwickauer Propheten aus und befürchtete, dass diese mit ihrem trügerischen Geist viel Schaden anrichten könnten.203 Er äußerte gegenüber Hausmann die Befürchtung, dass in Zwickau ähnlich wie in Wittenberg durch Zwangsverordnungen oder durch ungestümes Verhalten auf Seiten der Gemeinde Reformen durchgesetzt würden.204 Anfang April 1522 kam es zu einer Begegnung zwischen Luther und dem Storchianer Markus Thomae, was sein Unbehagen gegenüber den »Zwickauer Propheten« bestätigte.205 Deshalb entschied er sich, im Zuge seiner Frühjahrsreise nach Zwickau zu reisen, um dort die Situation vor Ort kennenzulernen und durch seine Predigten Einfluss zu nehmen.

4.1 Der Glaube und die Arten guter Werke (30. April) Auch bei den Zwickauer Predigten kann lediglich aus Grauns Bearbeitung der verlorenen Mitschrift ein ungefährer Eindruck gewonnen werden, was Luther der Zwickauer Gemeinde auf der Kanzel sagte. Ähnlich wie in der jeweils ersten Ders.: Der politisch-ideologische Differenzierungsprozess in der Zwickauer Bürgerschaft unter Unter dem Einfluss des Wirkens Thomas Müntzer (1520/21), in: Max Steinmetz (Hg.): Der deutsche Bauernkrieg und Thomas Müntzer, Leipzig 1976, 105–111; Ders.: Luther und der Zwickauer Rat (1527–1531), in: Günter Vogler (Hg.): Martin Luther. Leben – Werk – Wirkung, Berlin 21983, 223–233; Ders.: Zwickau und Martinus Luther. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die städtische Kirchenpolitik in Zwickau (1527–1531), KarlMarx-Stadt 1983; Ders.: Wider den Rat. Der Zwickauer Konflikt 1516/17, Leipzig 1999; Susan Karant-Nunn: Zwickau in Transition, Columbus Ohio 1987; Siegfried Hoyer: Die Zwickauer Storchianer – Vorläufer der Täufer?, in: Jean-Georges Rott/Simon Leendert Verheus (Hg.): Anabaptistes et dissidents au XVIe siècle (Bibliotheca dissidentium 3), Baden-Baden 1987, 65–83; zugleich in: JbRG 13 (1986), 60–78; Reiner Groß: Zwickau in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Ders. (Hg.): 500 Jahre Ratsschulbibliothek Zwickau 1498–1998, Zwickau 1998, 160–175; Michael Löffler (Hg.): Zwickau (Orte der Reformation 19), Leipzig 2015. 201  Vgl. Thomas Kaufmann: Thomas Müntzer, »Zwickauer Propheten« und sächsische Radikale (Thomas-Müntzer-Gesellschaft, Veröffentlichungen 12), Mühlhausen 2010, 61–74. 202   Vgl. den Brief Luthers an Georg Spalatin vom 17. Januar 1522, WA B 2; Nr. 452, 443. 203   Vgl. WA B 2; Nr. 459, 474f, hier 474,8–12. 204   »Tu vero vide, ne quicquam sinas nouari communi decreto aut impetu. Verbo solo impugnanda sunt, verbo prosternenda sunt, verbo delenda sunt, qu¸e nostri vi & impetu tentauerunt« (WA B 2; 474,14–16). 205   Vgl. den Brief Luthers an Georg Spalatin vom 12. April 1522, WA B 2; 472, 492f, hier 493,17–30 und den Brief Luthers an Johann Lang vom gleichen Tag, WA B 2; Nr. 473, 494f, hier 495,41–45. Vgl. ferner Thomas Kaufmann: Thomas Müntzer, »Zwickauer Propheten« und sächsische Radikale (Thomas-Müntzer-Gesellschaft, Veröffentlichungen 12), Mühlhausen 2010, 77–79, Anm. 254.

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Predigt in Borna und Altenburg beginnt Luther in seiner ersten Predigt mit dem Gedanken, dass die wichtigste Frage darin bestehe, wie der Mensch gerecht und selig werden könne. Viele würden darüber nach Menschensatzungen lehren, doch man solle allein auf den himmlischen Lehrer hören.206 Wie in der Altenburger Predigt geht er hierzu neben weiteren Bibelstellen auf Röm. 10, 10 ein, wonach man von Herzen zu glauben habe, wenn man fromm werden wolle.207 Allein der Glaube könne einen fromm machen. Kein Werk des Gesetzes mache ohne den Glauben gerecht.208 Hierbei wehrt er sich wiederum gegen den Vorwurf, er würde das Tun guter Werke verbieten. Er entgegnet dem Vorwurf, indem er die Werke, die man ausübe, um fromm zu werden, von denen unterscheidet, die aus dem Glauben heraus geschehen.209 Auf die Frage, woher der Glaube eine solche Kraft habe, die Sünde zu überwinden, antwortet er damit, dass die Heilstat Christi Tod, Sünde und Hölle besiegt habe.210 Danach geht Luther nacheinander auf diese drei Siege Christi ein, was den weiteren Aufbau der Predigt markiert.211 Hierbei polemisiert er weiterhin gegen fromme Werke. Wer pilgere oder einen Ablass kaufe, versuche lediglich, das sündige Gewissen zu befriedigen.212 Wie sich ein Kind nach der Geburt immerfort bewege und nicht stillliegen könne, so sei es ganz natürlich, dass der Gläubige in Bewegung bleibe, indem er mit Freuden gute Werke tue.213 Die Nachmittagspredigt folgt dem gleichen Schema wie die Predigten in Borna und Altenburg. Nachdem Luther am Vormittag über das Verhältnis von 206   »Alle Reden sollten zuvoerderst dazu gehalten werden, daß man zeigete, wie die Menschen gerecht und selig werden muessen. Allein es ist hier gar unterschiedlich geprediget worden. Einer hat allerley Menschensatzungen gelehret; ein anderer hat dieselben aufgerichtet und bestaetiget. Aber der wahrhaftige himmlische Lehrer hat den rechten Weg gelehret, welcher ist der Glaube« (WA 10 III; 103,19–23). 207   Vgl. WA 10 III; 103,14f. Siehe oben Seite 156. 208   Vgl. WA 10 III; 104,15f. 209   »Aber du verbeutest [= verbietest] die Werke, derohalben so will ich keine Werke thun. Ich antworte: Ein anders ist, gute Werke thun; ein anders, durch gute Werke fromm werden. Denn Werke die machen nicht fromm; sondern, bist du fromm, so thust du gute Werke« (WA 10 III; 104,21–24). 210   »Fragest du nun: Woher hat der Glaube solche Kraft, daß er so grosse Dinge thun kann, als da ist die Suende ueberwinden &c..? Ich antworte: durch Christum, auf welchen sich der Glaube gruendet: Der ist ein HErr ueber Tod, Suende und Hoelle« (WA 10 III; 104,33–36). 211   Zuerst legt Luther das Augenmerk auf den Sieg Christi über die Sünde, indem er auf Jes. 43, 21–25 und weitere Bibelstellen eingeht (WA 10 III; 104,38–105,12), danach wird der Sieg über den Tod thematisiert (WA 10 III; 105,12–25), schließlich geht er auf den Sieg über die Hölle ein, wobei auch der Gliederungshinweis gegeben wird: »So ist es auch bewandt mit dem dritten Siege, nemlich ueber die Hoelle« (WA 10 III; 105,36f). 212   »Daher ists gekommen, daß einer nach Rom gelaufen, der andere nach St. Jacob; ein anderer hat Ablaß gekauft, damit er nur das suendige Gewissen befriedigen moechte. Allein sie haben nichts damit ausgerichtet. Denn das kann nicht anders denn allein durch den Glauben an Christum geschehen« (WA 10 III; 105,17–21). 213   »Denn wie ein Kind, das geboren ist, nicht ohne Bewegung seyn kann, also auch ein Wiedergeborner, der thut mit Freuden gute Werke« (WA 10 III; 106,11–13).

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Glauben und Werke gesprochen hat, vertieft er nun die Thematik, indem er die Werken der Nächstenliebe erörtert. Wie einen Tag zuvor in Altenburg geht der Wittenberger auf das Gebot ein, den Nächsten so zu lieben, wie Christus einen geliebt habe (Joh. 13, 34).214 Die Bornaer Nachmittagspredigt dient ihm als Vorlage, insbesondere wenn er auf das Priestertum aller Getauften zu sprechen kommt.215 Dabei lässt sich im Vergleich zur Bornaer Predigt eine Modifikation des Themas entdecken. Luther unterscheidet nun zwischen geistlichen und leiblichen Werken.216 Die geistlichen sind nicht nur den Priestern, sondern allen Gläubigen auferlegt worden. Zu den geistlichen Werken bzw. Pflichten zählt er die Lehre, das Gebet, die Beichte und die Erteilung der Absolution. Das Austeilen der Sakramente Taufe und Abendmahl, was man hier hätte auch erwarten können, fehlt in der Mitschrift. Allerdings könnte er darauf auch eingegangen sein. Dafür spricht, dass der Text bei der Beichte abbricht, wie Graun es in einer Anmerkung erwägt.217 Wie in der Bornaer Predigt betont er hierbei den Unterschied zwischen öffentlicher und privater Amtsausübung. Die erstere erfolge lediglich durch Pfarrer, die von der Gemeinde gewählt wurden. Die private Amtsausübung hingegen müsse jeder leisten. Die leiblichen Werke veranschaulicht Luther durch Gal. 6, 2, wonach ein jeder die Last des anderen tragen solle. Dies ist eine Parallele zur Altenburger Predigt.218 Alle Werke dienen dem Nutzen des Nächsten und der Übung des Leibes. Man dürfe nicht die Gebote brechen, dies gelte insbesondere für das Gebot der Ehe. In einer Anmerkung deutet Graun an, dass Luther an dieser Stelle wohl Gedanken zur Ehe darlegte.219 Männer und Frauen seien dazu geschaffen, den Bund der Ehe einzugehen, während der Zölibat etwas sei, was aus besonderer Gnade geschehe und über der Natur stehe.220 Einer weiteren Anmerkung Grauns ist zu entnehmen, dass Luther danach wohl über die Liebe der Mutter predigte, die ihrem Kind zunächst weiche Speisen wie Milch gebe und erst später härtere Speisen.221 Dieses Beispiel verwendete Luther frei nach 1. Kor. 3, 2 auch in der ersten Invokavitpredigt, um damit seine Auffassung gegenüber den

  Vgl. WA 107,7–10 mit WA 10 III; 101,8–15. Siehe oben Seite 156.   Siehe oben Seite 161. 216   Der Abschnitt über die geistlichen Werke beginnt mit WA 10 III; 107,11: »Doch will ich um der Einfaeltigen willen von etlichen Werken reden«. 217   »Hier hat er ebenfalls von der Beichte geredet, wie er oben von der oeffentlichen Beichte geschrieben, daß auch jemand einen andern privatim koenne absolviren« (WA 10 III; 107,27f). 218   Vgl. WA 10 III; 107,34f. Siehe oben Seite 156. 219   »Hier hat er den Irrthum vom Ehestande abgehandelt« (WA 10 III; 108,4). 220   »Christus, der die Menschen geschaffen, hat sie geschaffen ein Maennlein und ein Fraeulein. Die aber Jungfrauen blieben sind, das ist aus besonderer Gnade und ueber die Natur geschehen« (WA 10 III; 108,5–7). 221   »Hierbey gab er ein Exempel von einer Mutter und einem Kinde, dem sie erstlich Milch, und darnach haertere Speisen gibt« (WA 10 III; 108, 17f). 214

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Wittenbergern zu begründen, aus Rücksicht vor den Schwachen keine Reformmaßnahmen per Zwang durchzusetzen.222

4.2 Vom falschen und wahren Weg zu Gott (1. Mai) Der Gedenktag für die Apostel Philippus und Jakobus bildet den Hintergrund der Predigt über Joh. 14, 1–6. In der Perikope hält Jesus seine Abschiedsrede vor den Jüngern. Aufgrund seiner Bemerkung, dass die Jünger den Weg wissen, den er gehen werde, fragen ihn Thomas und Philippus, welchen Weg er meine und ob er ihn den Jüngern zeigen könne, worauf Jesus schließlich antwortet: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich« (Joh. 14, 6). Aus der Zeit vor 1522 ist keine Predigt Luthers über diese Perikope erhalten. Erst aus dem Jahr 1528 existiert eine Mitschrift Rörers von einer Predigt über Joh. 14, 6, die am 15. Februar gehalten wurde.223 Am ausführlichsten ist Luther zwischen Ostern und Pfingsten 1537 im Rahmen seiner Reihenpredigten über Joh. 14–16 auf den Bibeltext eingegangen.224 Der Mitschrift zufolge beginnt Luther mit dem Gedanken, dass die Menschen bemüht seien, den richtigen Weg zu Gott zu erkennen. Jedoch erlägen die meisten der Gefahr, dieses Ziel mit Mitteln der Vernunft und nicht mit Glauben erreichen zu wollen. Bei der Suche nach Gott könnten sie entweder rechts oder links vom Weg abkommen. Mit dem Abdriften links vom Weg hat Luther den Versuch vor Augen, Gott derart vernunftgemäß zu erkennen, dass man letztlich in Verzweiflung stürzt.225 Die Erkenntnis seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit erschüttere den Menschen und ängstige ihn aufgrund seiner Strafe durch Sünde, Hölle und Tod.226 Das Abkommen vom Weg zur Rechten bezieht sich auf den Versuch, Gott leiblich erkennen zu wollen. Als Beispiel hat Luther das Unverständnis von Johannes und Philippus vor Augen. Sie stünden zwar Jesus leiblich 222   Vgl. WA 10 III; 6,4–7,8; WA 10 III; 6,26–7,20. Vgl. ferner Neil R. Leroux: Luther’s rhetoric. Strategies and style from the Invocavit sermons, St. Louis 2002, 156. 223   Vgl. WA 28; 485–488. 224   Vgl. WA 45; 465–733, hier 465–519. Die Predigt über Joh. 14, 1–6 am Heiligentag zu Ehren von Philippus und Jakobus für den 1. Mai, die in Roths Festpostille aus dem Jahr 1527 (WA 17 II; 410–421) zu finden ist, beruht auf einer Bearbeitung von Melanchthons ›Annotationes in euangelium Iohannis‹ (Corp. Ref. XIV, 1170,5–1177,10; vgl. hierzu WA 17 II; 520f). Die Quelle zur Predigt in Veit Dietrichs Hauspostille aus dem Jahr 1544 (WA 52; 634–654) ist nicht nachzuweisen (WA 52; XXIVf). 225   »Denn das heißt nicht GOTT erkennen, wenn ich durch Lesen seine Weisheit, Allmacht und alle seine Wunder erkenne. Den eine solche Erkenntniß stuerzet in Verzweifelung« (WA 10 III; 109,33–35). 226   »Die ganze Welt bemuehet sich darum, daß sie GOTT und den Weg zu ihm erkennen moege. Allein es begegnen dem, der ihn durch menschlichen Fleiß und Vernunft erforschen will, zweyerley. Die GOtt aus der Vernunft in der Schrift erkennen wollen, weichen entweder zur Rechten aus oder fallen zur Linken in Verzweifelung« (WA 10 III; 109,9–13).

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gegenüber und sprächen mit ihm, aber würden ihn dennoch nicht als Christus erkennen. Genauso verhalte es sich, wenn man eine Person erkenne, sie aber nicht als Kaiser identifiziere, weil dieser einem in einfacher Kleidung gegenüberstehe.227 Das wahre Erkennen erfolge allein durch das gläubige Betrachten Christi im Herzen des Menschen. Daher spreche Christus auch davon, dass er allein der Weg, die Wahrheit und das Ziel sei. Luther verknüpft diesen Gedanken mit dem Traum Jakobs von der Himmelsleiter (Gen. 28, 12), indem er die Leiter mit Christus gleichsetzt, durch die es möglich sei, zu Gott zu gelangen.228 Die Predigt endet schließlich mit der Aufforderung, Gott durch den Glauben und nicht mit der Vernunft erkennen zu wollen und seinem Nächsten durch Werke der Liebe beizustehen.229 Auch wenn in der Überlieferung die Worte Luthers nur lückenhaft erhalten und ansonsten keine Hinweise zu finden sind, ob Luther an diesem Tag auf die spezifische Situation in Zwickau einging, so ist dennoch bemerkenswert, wie er den Predigttext mit seiner theologischen Auffassung der Erkenntnis Gottes allein durch Glauben verknüpft. Er beschreibt hierbei die Grenzen und Gefahren der Vernunfterkenntnis und setzt demgegenüber eine christologisch begründete Gotteserkenntnis. Glaube und Werke stehen wieder als Kerngedanken im Zentrum der Betrachtung. Die Frage, wie man fromm werden könne, wird hier modifiziert gestellt, indem Luther das Augenmerk nicht auf das Thema »Werkgerechtigkeit« legt, sondern auf die Gefahren einer intellektuell motivierten Gottesschau eingeht.

4.3 Die Kritik an den Zwickauer Propheten (2. Mai) Wahrscheinlich predigte Luther, wie am Vortag, vom Fenster des Rathauses, wenngleich dies nicht sicher belegt werden kann. Auffällig ist jedenfalls, dass seine Predigt direkt mit einem Resümee der Gedanken vom vorangegangenen 227   Der Übergang erfolgt mit den Worten: »Es fallen aber auch durch diese Erkenntniß auf einem andern Wege zur Rechten diejenigen, die GOtt mit ihrer Vernunft begreifen wollen« (WA 10 III; 110,3f). Im weiteren Verlauf ist zu lesen: »Daher folgt nun: ›Den Weg kennet ihr‹, spricht Christus, das ist mich. Thomas antwortet: Nein; weil sie CHristum, ob sie ihn schon sahen, dennoch nicht als den Weg erkannt hatten. Denn wer den Kaeyser siehet in geringer Kleidung, der siehet zwar den Kaeyser; allein er hat ihn nicht gesehen als Kaeyser, weil er ihn nicht dafuer angesehen hat. Derohalben hilft dieses leibliche Sehen nichts, sondern das Sehen des Herzens, so durch den Glauben geschieht: Daher sagt er auch zu Philippo: ›Wer mich siehet‹, nemlich im Glauben, ›der siehet auch den Vater‹ &c.« (WA 10 III; 110, 33–40). 228   Vgl. WA 10, III, 110, 13–15. Vgl. hierzu auch die Kombination der Himmelsleiter mit dem Ich-bin-Wort in der Predigt wohl vom 16. Dez. 1520: »De scala Iacob. 1. Scala Christus est, quia Christus est via. Ex Iohanne: querentibus Thoma et Philippo de via ad patrem, Christus negat, aliam esse viam nisi sese. 2. Et in hac scala, in hoc Χριστῷ oportet herere, constanti et forti fide. Defigendi oculi, defigenda fides in Χριστόν.«(WA 9; 494,16–20). 229   Vgl. WA 10 III; 111,8–13.

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Tag einsetzt.230 Im Vergleich zu den vorigen Predigten ist die Predigt vom 2. Mai die am schlechtesten überlieferte. Luther muss wohl an diesem Tag verschiedene Themen aufgegriffen haben: Priesteramt, Vorsehung, Kindertaufe, Gebet für die Verstorbenen. Erst im Rückblick wird sich erschließen, warum Luther genau diese Themen ausgewählt hat. Er beginnt mit der Frage, was das Amt des Priesters ausmache. Es bestehe im Predigen und Beten.231 Graun überliefert in diesem Zusammenhang drei Bibelstellen, auf die Luther wohl einging: 1. Kor. 4, 20, 2. Thess. 2, 11 und Eph. 6, 12. Betrachtet man alle drei Stellen und deren Kontext, so stimmen sie darin überein, dass sie vor Irrlehrern und Verführern in der Gemeinde warnen. So kritisiert Paulus im Brief an die Korinther die Gemeinde, dass einige sich aufgebläht hätten und lediglich mit Worten, aber nicht aus Kraft predigen würden. Im Brief an die Thessalonicher prophezeit Paulus der Gemeinde, dass Gott kräftige Irrtümer senden werde, auf dass sie der Lüge glauben werden. Und im Epheserbrief wird aufgefordert, die geistliche Waffenrüstung anzulegen, um sich gegen die Herren der Welt, die in der Finsternis herrschten, und die bösen Geister unter dem Himmel zu wappnen. Danach leitet Luther zum Thema der Vorsehung über.232 Dort drängt er darauf, die Vorsehung getrost Gott zu überlassen. Man solle sich keine Sorgen um die Zukunft machen, denn Gott wolle es nicht, dass sich der Mensch zu seinem Ratgeber erhebe. Im nächsten Abschnitt legt Luther das Augenmerk auf die Kindertaufe. Den Angaben Grauns zufolge muss Luther eine Fassung des Kinderevangeliums vollständig vorgelesen haben (Mk. 10, 13–16; Mt. 19, 13–15, Lk. 18, 15–17).233 Er spricht hierbei vom »Glaube[n] der Kirche«234 , der den kleinen Kindern zu Hilfe komme, da ein jeder verbunden sei, dem anderen zu dienen. Als Beispiel führt er die Heilung des Gelähmten an, der auf einer Trage über das Dach zu Jesus hinab gelassen wurde (Mk. 2, 1–12; Mt. 9, 1–8; Lk. 5, 17–26). Seiner Interpretation zufolge sei der Glaube der anderen der Auslöser dafür, dass Jesus dem Gelähmten die Sündenvergebung erteilt habe.235 Angewendet auf die Kindertaufe bedeutet der Verweis, dass der Glaube der Taufpaten und der Gläubigen dem 230   »Gestern habt ihr im Evangelio gehoeret vom Glauben und von der Liebe. Der Glaube bestehet darinnen, daß wir erkennen, Christus sey allein unser Weg zum Vater, und kein anderer. So schreibet der Apostel dem Glauben eine rechtfertigende Kraft zu. Das andere ist, daß auch wir eben die Werke thun, die Christus uns gethan hat. Und so viel vom gestrigen Evangelio« (WA 10 III; 111,23–28). 231   Vgl. WA 10 III; 111,29–34. 232   Vgl. WA 10 III; 112,1–4. 233   »Hier hat er das Evangelium von denen Kindlein gelesen, die Christus hat heissen zu sich kommen« (WA 10 III; 112,12f). 234   »Von der Taufe sagen wir, daß der Glaube der Kirche denen kleinen Kindern zu Huelfe komme, nach dem Exempel der Schrift, da ein jeder verbunden ist dem andern zu dienen« (WA 10 III; 112,5–7). 235   Luther hat hierbei wohl Mk. 2, 5 (par. Mt. 9, 2; Lk. 5, 20) vor Augen: »Als nun Jesus

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Säugling beim Taufakt zugutekomme. Damit spielt er auf seinen Gedanken des fremden Glaubens (fides aliena) an.236 In seiner Schrift »Ein Sermon von dem heiligen hochwürdigen Sakrament der Taufe« aus dem Jahr 1519 sah Luther das Verhältnis von Glaube und Kleinkindtaufe noch nicht als Problem an, obwohl er den Glauben im Taufakt betonte.237 Erst ein Jahr später nahm er hierzu in seiner Schrift »De captivitate babylonica« ausführlicher Stellung und entfaltete den Gedanken des fremden Glaubens, der besagt, dass Gott dem Säugling den Glauben aufgrund des Gebets der gläubigen Gemeinde eingießen könne (fides infusa) und der Säugling damit verändert, gereinigt und erneuert werde.238 Daher plädiert er entschieden für das Taufen der Kinder.239 Schließlich ist der Mitschrift zu entnehmen, dass Luther das Gebet für Verstorbene thematisiert hat. Prinzipiell ist er der Meinung, dass jeder die Freiheit habe, für die Toten zu beten. Jedoch warnt er einerseits vor Totenbeschwörungen und andererseits vor dem Halten von Seelenmessen im Sinne der Papstkirche. Denn den Lebenden sei gänzlich unbekannt, wie es mit den Toten stehe. ihren [der Träger] Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben«. 236   Zur Entwicklung des Taufverständnis vgl. hierzu die grundlegende Studie von Lorenz Grönvik: Die Taufe in der Theologie Martin Luthers (Acta Academiae Aboensis 36.1), Abo 1968, hier speziell zur Frage des Kinderglaubens (fides infantium), 164–172; vgl. ferner Jürgen Bommgaarden: Können Säuglinge glauben? Luthers Begründung der fides infantium als Lehrstück über den Glauben, in: KD 59 (2013), 45–64; Eero Huovinen: Fides infantium. Martin Luthers Lehre vom Kinderglauben (VIEG 159), Mainz 1997; Karl Brinkel: Die Lehre Luthers von der fides infantium bei der Kindertaufe, Berlin 1958; vgl. hierzu die Rezension von Paul Althaus, in: ThLZ 84 (1959), 866–869; vgl. ferner Paul Althaus: Die Theologie Martin Luthers (1962), Gütersloh 1983, 303–317; Karl-Heinz zur Mühlen: Luthers Tauflehre und seine Stellung zu den Täufern, in: Ders.: Reformatorisches Profil. Studien zum Weg Martin Luthers und der Reformation, hg. von Johannes Brosseder u. Athina Lexutt, Göttingen 1995, 227–258; Dorothea Wendebourg: Taufe und Abendmahl, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 32017, 462–471. 237   Vgl. WA 2; 724–738; vgl. auch den von Andreas Stegmann übertragenen Text in der deutsch-deutschen Studienausgabe, hg. von Johannes Schilling aus dem Jahr 2015, DDStA 2; 1–27. Vgl. hierzu auch aus der Predigt vom 7. September 1522 in Wittenberg: »Also auch wenn man taufft, so sehen wir das an der kinder glauben: Die kindlin steen do bloß und nackend an leib und seel, haben keinen glauben, kein werck. Do tritt her die christlich kirch und bitt, gott woell jn den glauben yngiesszen. Nit das unser glaub oder werck das kindt helffen soll, sonder das das kindt einen eygnen glauben gewinn. So es den hat überkommen, darnach alles was es thut, das ist wol gethon« (WA 10 III; 304–312, hier 310,15–21). 238   Vgl. WA 6; 538, 538,4–11. Neben den genannten Schriften seien hier ferner die wichtigsten Stellen zur Kindertaufe genannt: Hebräerbriefvorlesung, 1517/18, WA 57; 170,10–13; Grund und Ursach aller Artikel, 1521, WA 7; 321,9–18; Brief Luthers an Melanchthon vom 21. Januar 1522, WA B 2; 425,41–427,128; Vom Anbeten des Sakraments, 1523, WA 11; 452,29–33; Fastenpostille, 1525, WA 17 II; 78,30–88,7; Taufbüchlein, 1526, WA 19; 537–541; Von der Wiedertaufe zweier Pfarrherrn, 1528, WA 26; 144–174; Kleiner Katechismus, 1529, WA 30.1, 212–222; Großer Katechismus, 1529, WA 30.1, 379–383; Von der heiligen Tauffe predigten, 1535, WA 37; 627–672. 239   »GOtt will also, daß sowol Grosse als Kleine sollen getauft werden, gleichwie er will, daß sein Wort allen und jeden geprediget werde« (WA 10 III; 112,19–21).

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Zweites Kapitel

Aus den verhandelten Themen lässt sich erkennen, dass Luther gezielt die Streitpunkte aufgegriffen hat, von denen er im Vergleich zu den Zwickauer Propheten abweicht.240 Er warnt vor Irrlehrern unter den Geistlichen, fordert dazu auf, die Vorsehung Gott zu überlassen, womit er die Endzeitvisionen der sogenannten Storchianer indirekt kritisiert, plädiert entgegen der Auffassung der Zwickauer Propheten entschieden für die Kindertaufe und lehnt jede Form von spiritualistischer Totenbeschwörung ab.

Resümee Die Predigten aus dem Jahr 1522 ermöglichen einen Einblick in Luthers Reaktion auf die »Wittenberger Bewegung«. In Form von Predigtreisen versucht Luther, seine Auffassungen in dieser kritischen Phase der Reformation nicht nur schriftlich in Traktaten, sondern auch mündlich auf der Kanzel zu verbreiten. Das Ergebnis eröffnet zwei neue Perspektiven auf seine Predigten außerhalb Wittenbergs aus diesem Jahr. Auf der einen Seite weisen die Predigten eine hohe Aktualität hinsichtlich der Situation vor Ort auf. In Borna geht Luther konkret auf den Missbrauch der dort herrschenden Reliquenverehrung ein, in Altenburg nimmt er Stellung zur Frage nach der Besetzung des Predigtamts durch Gabriel Zwilling und in Altenburg und in Zwickau scheut er sich nicht, die Streitfragen der Zwickauer Propheten zu verhandeln und diese anzugreifen. Luther reflektiert auf der Kanzel insofern das aktuelle Zeitgeschehen an den jeweiligen Orten. Auf der anderen Seite nutzt Luther die Kanzelauftritte je nach Dauer seines Aufenthalts, um in wiederkehrender Weise die Zentralthemen seiner reformatorischen Theologie darzulegen: Rechtfertigungslehre, Gesetz und Evangelium, gute Werke, Amtsverständnis und das sich im Entstehen befindende Obrigkeitsverständnis werden in gebündelter Form den Zuhörern präsentiert. Dabei wird im Rahmen der Doppelpredigten zumeist am Vormittag eine theologische Lehrpredigt mit einer ethischen Ermahnungspredigt am Nachmittag verknüpft. Seine immer wiederkehrende und je nach Ort modifizierte Ausgangsfrage lautet hierbei: »Wie kann der Mensch fromm werden?«. Die Antwort »allein aus Glauben« erfolgt in polemischer Abgrenzung zur Auffassung von der Werkgerechtigkeit auf Seiten der Papstkirche. Insofern lässt sich ein wiederkehrendes Muster bei seinen Kanzelauftritten auf seinen Reisen im Jahr 1522 erkennen. Bei den verhandelten Themen wird aber keineswegs der Perikopentext des Kirchenjahres außer Acht gelassen. Vielmehr ist Luther bemüht, eine angemessene Verbindung zu den Aussagen der Bibel zu finden. In diesem Sinn sind seine 240   Zu den Auffassungen der Zwickauer Propheten vgl. die bei Wappler zitierten acht Artikel Storchs nach Markus Wagner: Paul Wappler: Thomas Müntzer in Zwickau und die »Zwickauer Propheten« (SVRG 182), Gütersloh 1966, 81–86.

Der »Missionar« an den Zentren der frühen Gemeindereformation

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Kanzelreden »schriftauslegende Predigt«.241 Dies bedeutet: Freiheit im Umgang mit der Bibel gepaart mit gleichzeitiger Gebundenheit an die Heilige Schrift. Aufgrund dieses Charakters kann zumindest speziell für die Predigten aus diesem Jahr von einem Typus »Reisepredigt« gesprochen werden, wenngleich dies von den übrigen Predigten eher nicht behauptet werden kann, da diese viel zu spezifisch und themenreich sind.

241   Vgl. den ursprünglich von Emanuel Hirsch geprägten Begriff in seinem Aufsatz: Ders.: Luthers Predigtweise, in: Luther 25 (1954), 1–23, 2. Vgl. ferner Gerhard Ebeling: Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, München 1942, Tübingen 31991, 26–28. Zum Verhältnis von Hirsch und Ebeling vgl. Albrecht Beutel: Gerhard Ebeling. Eine Biographie, Tübingen 2012, 318–320.

Drittes Kapitel

Luthers Wirken als Prediger im Umland von Wittenberg Die Kemberger Predigten 1519 bis 1537

Einleitung Luthers Predigttätigkeit führte ihn in die nahegelegene Dörfern und Städte im Umland von Wittenberg. Das sind Orte in einer Entfernung, die es erlaubte, am selben Tag bequem anzureisen und wieder zurückzukehren. Ein Aufenthalt konnte gleichwohl länger dauern. Die Predigten in den Wittenberger Nachbarorten sind überwiegend aus den 1530er-Jahren überliefert. Dazu zählen Niemeck1, Schweinitz2 , Jessen 3 , Pretzsch4 , Lochau5 und Prettin Lichtenburg6 . Eine besondere Bedeutung kommt hierbei dem Ort Kemberg zu. Aus diesem Ort 1   Aus Niemeck ist eine Predigt überliefert, die Luther am 8. August 1532 über die Taufe gehalten hat (WA 36; Nr. 36, 228–232). 2   In Schweinitz hielt Luther am 12. September 1533 eine Kanzelrede über Jesu Weherufe (Lk. 10, 13–16), bei der er in der Einleitung auf die Bedeutung der Predigt einging und sie über das Gebet stellte. Denn beim Gebet gehe das menschliche Wort von der Erde gen Himmel, bei der Predigt hingegen fahre das göttliche Wort vom Himmel gen Erde (WA 37; Nr. 35, 141– 149). 3   In Jessen predigte Luther am 12. Juli 1533 zu Jesu Worten aus der Feldrede über die Stellung zum Nächsten und über das Gleichnis vom Baum und seinen Früchten (Lk. 6,36–45) (WA 37; Nr. 26, 103–108). 4   Dem Ort Pretzsch werden zwei Predigten zugeordnet. Am 15. Juli 1532 predigte er dort über Ps. 65 (WA 36; Nr. 29, 217–219). Die zweite Predigt ist datiert auf den 27. Juli 1533 und thematisiert nach einer kurzen Einleitung über die Bedeutung des Sabbaths Jesu Wunder von der Speisung der Viertausend (Mk. 8, 1–9) (WA 37; Nr. 29, 115–123). 5   Aus Lochau sind fünf Predigten überliefert. Am 26. Oktober 1528 heirateten Luthers Weggefährte Michael Stifel und die Witwe des Lochauer Pfarrers M. Franciscus Günther. Hierzu hielt Luther die Traupredigt über das Gleichnis von der königlichen Hochzeit (Mt. 22, 1–14) (WA 27; Nr. 77, 383–390). Vom 1. bis 3. Oktober hielt Luther jeweils einmal am Tag eine Predigt. Er legte dreimal Jesu Worte über den Größten im Himmelreich und über die Warnung vor Verführung zugrunde (Mt. 18, 1–9). Begleitet wurde er von Melanchthon. Der Anlass war, dass Michael Stifel für Aufsehen sorgte aufgrund seiner waghalsigen Berechnung der Wiederkunft Christi auf den 19. Oktober 1533 am frühen Morgen um 8 Uhr (WA 37; Nr. 39, 154–158; Nr. 40, 159–163; Nr. 41, 163–167). Luther mahnt in den Predigten zur Nüchternheit. Nachdem die Wiederkunft Christi ausgeblieben war, wurde Stifel seines Lochauer Pfarramtes enthoben. Eine weitere Predigt ist vom 2. Oktober 1537 überliefert (WA 45; Nr. 30, 157–161). Luther predigte dort im ersten Teil über die Frage nach dem höchsten Gebot (Mt. 22, 34–40) und im zweiten Teil über die Frage Jesu, wessen Sohn er sei (Mt. 22, 41–46). 6   Luther kam mit seiner Doppelpredigt am 15. September 1536 über Ps. 4 einem Wunsch der Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg nach (WA 41; Nr. 34, 668; 675; Nr. 50 736–739). Sie war die Schwester des Dänenkönigs Christian II. und lebte nach ihrer Flucht aus Berlin 1528 auf Schloss Lichtenberg (jetzt Lichtenburg). Unwahrscheinlich ist eine Datierung der

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Drittes Kapitel

sind dem älteren Forschungsstand zufolge dreizehn Predigten überliefert.7 Von keinem anderen Ort außerhalb Wittenbergs sind so viele Kanzelreden des Reformators erhalten. Die Untersuchung jener Predigten aus regionalgeschichtlicher und theologischer Perspektive hat bislang noch kein Interesse gefunden. Aus dem Jahr 1751 stammt eine Darstellung der Kemberger Pröpste von Gottlieb Müller. 8 Rudolf Reichhardt-Rotta referierte 1928 in einem kurzen Vortrag über Luthers Beziehungen zum Kirchenkreis Kemberg.9 Die älteren Darstellungen zur Geschichte Wittenbergs nahmen dessen Umland kaum in den Blick, sondern konzentrierten sich weitestgehend auf die Stadt und die Universität. Zu nennen sind hier die verdienstvollen Arbeiten von Richard Erfurth,10 Walter Friedensburg11 und Edith Eschenhagen.12 Erst in den vergangenen Jahren hat sich die neuere Forschung bemüht, die Beziehungen zwischen Wittenberg und seinen Filialstädten genauer zu erkunden. Zu nennen sind die Studien von Karlheinz Blaschke13 , Manfred Straube14 , Helmar Junghans15 und Heiner Lück16 . Die folgende Betrachtung ist in drei Abschnitte gegliedert. In einem ersten Schritt soll Kemberg und dessen Vernetzung mit dem Zentrum Wittenberg bezweiten Predigt auf den 21. Dezember 1536, da es sich eindeutig um die Fortsetzung der ersten Vormittagspredigt am Nachmittag handelt. 7   Siehe unten Seite 187. 8  Vgl. Gottlieb Müller: Kurzgefaßte Lebensgeschichte derer Pröbste zu Kemberg, Wittenberg 1751. 9  Vgl. Rudolf Reichhardt-Rotta: Luther im Kirchenkreise Kemberg. Vortrag gehalten auf dem 2. Kirchentag zu Kemberg am 22. April 1928 (Jahresgabe für die Freunde der Geschichte der Stadt Kemberg 21), Wittenberg 1928, Nachdruck Wittenberg 2003, vgl. ferner Ders.: Kemberg und die Reformation, in: o. V.: Bilder aus der Geschichte der Stadt Kemberg. Festschrift zum Heimatfest 1910, Kemberg 1910, 8–11. 10  Vgl. Richard Erfurth: Geschichte der Stadt Wittenberg, 2 Teile, Wittenberg 1910 u. 1927. 11  Vgl. Walter Friedensburg: Geschichte der Universität Wittenberg, Halle 1917. 12  Vgl. Edith Eschenhagen: Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Wittenberg zur Reformationszeit, Diss. Halle 1927, abgedruckt in: LuJ 9 (1927), 9–118. 13  Vgl. Karlheinz Blaschke: Wittenberg vor 1547, in: Stefan Oehmig (Hg.): 700 Jahre Wittenberg. Stadt – Universität – Reformation, Weimar 1995, 29–38. 14  Vgl. Manfred Straube: Soziale Struktur und Besitzverhältnisse in Wittenberg zur Lutherzeit, in: JbGF 9 (1984), 145–188; vgl. ferner Ders.: Zur wirtschaftlichen Stellung Wittenbergs in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: JbRG 10 (1983), 49–69; Ders.: Wittenberg in den Anfangsjahren der Universität und der Reformation. Wirtschaftliche Herausforderungen und soziale Probleme am Beginn einer neuen Stadtentwicklung, in: Stefan Oehmig (Hg.): 700 Jahre Wittenberg. Stadt – Universität – Reformation, Weimar 1995, 431–448. 15  Vgl. Helmar Junghans: Martin Luther und Wittenberg, München 1996. 16  Vgl. Heiner Lück: Wittenberg, in: Wolfgang Adam/Siegrid Westphal (Hg.): Handbuch kultureller Zentren der frühen Neuzeit, Bd. 3: Nürnberg – Würzburg, Berlin 2012, 2201–2248; Ders.: Die Universität als Verwaltungs- und Wirtschaftsfaktor. Zur Ausstrahlung der Leucorea auf die Stadt Wittenberg und deren Umland – Ausgewählte Beispiele in: Erich Donnert (Hg.): Europa in der frühen Neuzeit, FS für Günter Mühlpfordt, Bd. 7: Unbekannte Quellen, Aufsätze zu Entwicklung und Vorstufen, Grenzen und Fortwirken der Frühneuzeit in und um Europa, Köln u. a. 2008, 95–111.

Luthers Wirken als Prediger im Umland von Wittenberg

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trachtet werden. Danach richtet sich das Augenmerk auf die persönlichen Beziehungen Luthers zu Kemberg. In einem dritten Schritt sind die Predigten im Einzelnen zu untersuchen und zu kommentieren. Dabei werden Probleme diskutiert, der zeitgeschichtliche Kontext erläutert und durch Vergleiche mit anderen Quellen die Eigentümlichkeit der jeweiligen Predigt herausgearbeitet.

1. Kemberg und Wittenberg Die Stadt Kemberg liegt circa 10 Kilometer südlich von Wittenberg zwischen dem Urstromtal der Elbe und dem Endmoränengebiet der Dübener Heide.17 Der Name Kemberg geht wohl auf den flämischen Namen »Cambray« (deutsch »Kamerick«) zurück.18 Die Gründung des Ortes erfolgte durch flämische Siedler in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.19 Seit dem Jahr 1391 sind Bürgermeister und Rat nachgewiesen, was auf eine Ausbildung der Ratsverfassung im 14. Jahrhundert schließen lässt.20 Im Jahr 1513 lebten in Kemberg 112 ansässige Bürger, davon 69 Brauberechtigte; 1555 zählte man in Stadt und Vorstädten 250 Hauswirte, wodurch man schätzungsweise auf circa 1.200 Einwohner kommt.21 Damit gehörte Kemberg zu den damaligen Kleinstädten der Region. Der Ort war eng mit dem nahegelegenen Wittenberg als dem Zentrum der Region vernetzt. Im Laufe der Zeit bildete sich ein komplexes Gefüge aus wirtschaftlichen, politischen, kirchlichen, universitären und persönlichen Beziehungen, worauf im Folgenden in aller Kürze eingegangen werden soll, da sie den Ort Kemberg als Kontext für Luthers Predigten verdeutlichen. Wirtschaftlich zeichnete sich die Region um Wittenberg durch eine verkehrspolitisch günstige Lage aus.22 Zwei der wichtigsten europäischen Handels- und

17   Ein Bild der Stadtsilhouette Kembergs aus dem Jahr 1536/37 findet man bei Angelika Marsch (Hg.): Die Reisebilder Pfalzgraf Ottheinrichts, 2 Bde, Weißenhorn 2001, Faks.-Bd., Reisebild 40, Albumblatt 18, Kommentarband, 335–339. Weitere Informationen in: Erich Keyser (Hg.): Deutsches Städtebuch, Bd. 2, Stuttgart 1941, 559–562; o. V.: Festschrift zum Heimatfest der Stadt Kemberg, 7.-10. Juni 1910, Kemberg 1910, Reprint Kemberg 2002. 18   Als älteste Namensform ist aus dem Jahr 1313 die Schreibweise »Kamerick« überliefert. Weitere Schreibweisen sind »Camerik«, »Cemerik«, »Kamerigk«, »Kemmarckgt« »Kenberg«. Vgl. Berent Schwineköper (Hg.): Provinz Sachsen Anhalt (Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 11), Stuttgart 21987, 237f; Gottlieb Müller: Kurzgefaßte Lebensgeschichte derer Pröbste zu Kemberg, Wittenberg 1751, 46. 19   Zum ersten Mal urkundlich erwähnt wird »Kameryk« in der Urkunde vom 31. August 1290, in der Kaiser Rudolf dem Sohn des Herzogs Albrecht von Sachsen die Grafschaft Brehna übereignet, in der auch Kemberg liegt. Vgl. Regesta Imperii, VI.1, Nr. 2365, 511; vgl. ferner O. V.: Bilder aus der Geschichte der Stadt Kemberg. Festschrift zum Heimatfest 7.–10. Juni 1910, Kemberg 1910, Reprint Kemberg 1910, 6. 20   Vgl. aaO., 237f. 21   Vgl. ebd. 22  Vgl. Klaus Vinzens: Fernhandel in Mitteldeutschland. Über beschwerliche Straßen auf ferne Märkte, Halle 2012, 64–90.

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Drittes Kapitel

Pilgerstraßen im Mittelalter kreuzten sich auf diesem Gebiet.23 Längs der WestOst-Achse verlief südlich von Kemberg die Via Regia, die Santiago del Compostela mit Moskau verband und die über Frankfurt am Main, Erfurt, Leipzig, Görlitz, Breslau und Krakau führte.24 Auf der Nord-Süd-Achse erstreckte sich die Via Imperii, die von Rom bis nach Stettin reichte. Wollte man damals auf jenem Weg von Hof über Zwickau, Leipzig, Wittenberg, Treuenbrietzen, Spandau bis nach Berlin (Spandau) reisen, so kam man auch am Ort Kemberg vorbei.25 Da Kemberg südlich, Wittenberg jedoch nördlich der Elbe liegt, war man auf eine Überquerung der Elbe angewiesen, die zunächst durch einen Fährbetrieb und ab 1455 sicher nachweisbar durch eine Holzbrücke gewährleistet wurde.26 Während von Norden die Händler Nahrungsmittel und Felle mitbrachten, trafen vom Süden eher Kleidung, Gewürze und Wein ein.27 Außerdem gab es einen regen Verkehr von Massenbedarfsgütern, die insbesondere in der Region produziert wurden.28 Um diesen Handel wirtschaftlich zu kontrollieren, wurden um Wittenberg mehrere Geleitsorte eingerichtet, in denen es die Möglichkeit gab, die Zölle für den Wittenberger Raum zu entrichten. Neben Schmiedeberg und Ogkeln war Kemberg der Ort, in dem insbesondere der Tierhandel kontrolliert wurde.29 Kemberg war insofern in wirtschaftlicher Hinsicht die letzte größere Transitstadt vor der Überquerung der Elbe aus südlicher Richtung.

23   Vgl. die Karte von Otto Schlüter/Oskar August (Hg.): Atlas des Saale- und mittleren Elbegebietes, Teil 3, Leipzig 21959, Karte 40. 24   Vgl. hierzu den Katalog- und Essayband zur 3. Sächsischen Landesausstellung von Roland Enke/Bettina Probst (Hg.): Via Regia – 800 Jahre Bewegung und Begegnung. Katalog zur 3. Sächsischen Landesausstellung »Via Regia – 800 Jahre Bewegung und Begegnung«, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Görlitz, 21. Mai bis 31. Oktober 2011, Dresden 2011; Winfried Müller/Swen Steinberg (Hg.): Menschen unterwegs. Die Via Regia und ihre Akteure, Essayband zur 3. Sächsischen Landesausstellung »Via Regia – 800 Jahre Bewegung und Begegnung«, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Görlitz, 21. Mai bis 31. Oktober 2011, Dresden 2011. 25  Vgl. Georg Landau: Beiträge zur Geschichte der alten Heer- und Handelsstraßen in Deutschland (HFGLV 1), Kassel 1958, 78–88. 26  Vgl. Manfred Niemeyer (Hg.): Deutsches Ortsnamenbuch, Berlin 2012, 698f. 27  Vgl. Manfred Straube: Zur wirtschaftlichen Stellung Wittenbergs in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: JbRG 10 (1983), 49–69, hier 52. 28   Die vor Ort produzierten Güter waren Rohstoffe wie Salz, Getreide und die Nutzpflanze Waid, die zur Herstellung der Farben Blau und Kupfer verwendet wurde. Vgl. Klaus Vinzens: Fernhandel in Mitteldeutschland. Über beschwerliche Straßen auf ferne Märkte, Halle 2012, 91–172. 29  Im Beigeleit zu Schmiedeberg und Kemberg (Staatsarchiv Magdeburg, Rep. D, Amt Wittenberg Nr. 2, II v. 1550) wird festgehalten: »Das vihe, so zu Wittenbergk nicht vorgeleitet, mus in diesen zweien stedlein vorgeleitet werden und wirdet genommen wie das zu Wittenbergk, traget ungefehrlichen zu gemeinen jaren 24 gr.« Vgl. ferner Manfred Straube: Zur wirtschaftlichen Stellung Wittenbergs in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: JbRG 10 (1983), 49–69, hier 68 u. 53. 57.

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Die politische Vernetzung intensivierte sich einhergehend mit dem Ausbau Wittenbergs als territorialpolitisches Zentrum des ernestinischen Gebiets nach der Leipziger Teilung 1485. Infolgedessen kam es zu einer verwaltungspolitischen Neustrukturierung der Region. Das frühere kleinere Amt Wittenberg wurde erweitert, zunächst durch Zusammenlegungen mit dem Amt Trebitz nach 1480 und dann mit dem Amt Zahna zwischen 1486 und 1490.30 Das Amt verwaltete die Gebiete links- und rechtsseitig der Elbe und reichte im Norden ungefähr bis zur Ortschaft Schwabeck, im Osten bis Bösewig, im Süden bis Bleddin und im Westen bis Seegrehna.31 Ihm oblagen Ende des 15. Jahrhunderts verschiedene Verwaltungsaufgaben, wie die Aufstellung des Heeresgebots aus der Region, die Sicherung und Pflege der Dämme, die Einnahme von Zöllen und Wegegeldern, die Sammlung der regelmäßigen Abgaben aus der Region, die Pflege der kurfürstlichen Besitzungen sowie die Überwachung aller dörflichen Lustbarkeiten wie Hochzeiten, Kirchweihfeste und das Gemeindebier.32 Die Oberaufsicht hatte der aus der Ritterschaft stammende Vogt, später auch Amtmann oder Schlosser genannt, dem allmählich die Aufgaben des früher unabhängiger agierenden Schreibers übertragen wurden. Hinzu kam ein Gefolge aus Landsknechten, Richtern, Bauern, Hirten und weiteren Knechten.33 Die Stadt Kemberg hatte neben weiteren Leistungen hierbei an Geldwerten 71 Schock (=

30   Zum ursprünglichen Amt Wittenberg vgl. im Anhang die Karte »Herzogtum SachsenWittenberg. Besitzverhältnisse ca. 1350–1422« von Lorenz Friedrich Beck: Herrschaft und Territorium der Herzöge von Sachsen-Wittenberg (1212–1422) (Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 6), Potsdam 2000. 31   Eine genaue Auflistung der Orte auf der Grundlage des Erbbuches aus dem Jahr 1513, das im Staatsarchiv Dresden (Loc. 38129, Rep. XLVII) aufbewahrt wird, findet man bei Otto Oppermann: Das sächsische Amt Wittenberg im Anfang des 16. Jahrhunderts dargestellt auf Grund eines Erbbuches vom Jahre 1513 (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 4, Heft 2), Leipzig 1897, 1f. 32  Vgl. Gerlinde Schlenker: Die Lage der Bauern in den Dörfern des Amtes Wittenberg, in: Stefan Oehmig (Hg.): 700 Jahre Wittenberg. Stadt – Universität – Reformation, Weimar 1995, 449–456, hier 450. 33  Vgl. Otto Oppermann: Das sächsische Amt Wittenberg im Anfang des 16. Jahrhunderts dargestellt auf Grund eines Erbbuches vom Jahre 1513 (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 4, Heft 2), Leipzig 1897, 6–16.

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Drittes Kapitel

213 Florentiner Gulden bzw. 4260 Groschen) abzugeben,34 was ungefähr 4,25% der Gesamteinkünfte des Wittenberger Amtes ausmachte.35 Die kirchlichen Bindungen zwischen Wittenberg und Kemberg reichen bis zur Jahrtausendwende zurück. Mitte des 10. Jahrhunderts gründete König Otto I. auf seinem Eigengut zwischen Oder und Elbe das Bistum Brandenburg.36 Linksseitig der Elbe erstreckte sich das Bistum Magdeburg.37 Aufgrund 34   Vgl. aaO., Tabelle A, 36f. Zu den Wittenberger Maßeinheiten, Löhnen und Preisen vgl. Heiner Lück/Enno Bünz u. a. (Hg.): Das Ernestinische Wittenberg (Wittenberg-Forschungen 1), Bd. 1, Petersberg 2013, 241–244 u. Bd. 2, Petersberg 2013, 361–368. Zum besseren Vergleich sei diesen Tabellen entnommen, dass das Jahresgehalt einer Viehmaid im Wittenberger Schloss 75 Groschen mit freier Kost und Logis betrug, der Propst des Allerheiligenstifts 4762 Groschen Jahreseinnahmen erhielt, der Kurfürsten um 1500 Einnahmen von 62.000 Florentiner Gulden bzw. 1.320.000 Groschen erzielte, ein Schwein um 1500 etwa 25– 30 Groschen kostete und ein Scheffel Korn auf dem Markt für 3 bis 3½ Groschen verkauft werden konnte. Vgl. ferner Reinhold Jauernig: Münzen, Maße und Gewichte in Thüringen. Hilfsmittel zu den Beständen des Thüringischen Staatsarchivs Rudolstadt (Thüringisches Staatsarchiv Informationsheft Rudolstadt 7), Rudolstadt 1929, Nachdruck Rudolstadt 1997; Otto Brandt: Urkundliches über Maß und Gewicht in Sachsen, Dresden 1935. 35   Die ungefähren Gesamteinkünfte im Jahr 1513 betrugen an Geldwerten 1668 Schock (= 5004 Florentiner Gulden bzw. 100.080 Groschen), 4622 Scheffel Korn, 4679 Scheffel Hafer, 1730 Scheffel Gerste, 529 Scheffel Weizen, 60 Scheffel Erbsen, 7 Scheffel Mohn, 1825 Hühner, 1825 Eier, 50 Hammel, 6 Ziegen, 71 Gänse und weitere Naturalien. Vgl. Otto Oppermann: Das sächsische Amt Wittenberg im Anfang des 16. Jahrhunderts dargestellt auf Grund eines Erbbuches vom Jahre 1513 (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 4, Heft 2), Leipzig 1897, Tabelle C, 38f. 36   Vgl. die Gründungsurkunde des Bistums Brandenburg mit Angabe des Inkarnationsjahres 948 in Theodor Sickel (Hg.): Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I. (Monumenta Germaniae historica, Diplomata 1), Hannover 1879–1884, Nachdruck München 2004, Nr. 105, 187–189; Adolph Friedrich Riedel (Hg.): Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften, Bd. 8, Berlin 1847, Nachdruck Berlin 1997, Nr. 2, 91f. Vgl. die Übersetzung und Kommentierung der Akte durch Wolfgang Schößler: Die Urkunde über die Grund des Bistums Brandenburg im Jahr 948, in: Domstift und vom Historischen Verein Brandenburg (Havel) (Hg.): 1050 Jahre Brandenburg. Beiträge zur Geschichte und Kultur, Brandenburg 1998, 14–31. Zur Frage der Datierung und Echtheit der Urkunde vgl. Peter Neumeister: Die Brandenburg im 10. Jahrhundert. Überlegungen zur Bistumsgründung von 948, in: JBLG 54 (2003), 51–91; Helmut Assing: Zum Streit um die Gründungsurkunde des Bistums Brandenburg, in: Jahresbericht des Historischen Vereins Brandenburg (Havel) 12 (2003), 17–29; Ders.: Wurde das Bistum Brandenburg wirklich 948 gegründet?, in: JBLG 49 (1998), 7–18; Dietrich Kurze: Otto I. und die Gründung des Bistums Brandenburg: 948, 949, 965?, in: JBLG 50 (1999), 12– 30. 37   Keimzelle des Bistums Magdeburg war das 937 von Otto I. in Magdeburg gegründete Benediktinerkloster des heiligen Mauritius, auch Moritzkloster genannt. Otto I. stattete das Kloster mit umfangreichen Besitzungen und zahlreichen Reliquien aus. Das Kloster war ein wichtiger Ausgangspunkt der ottonischen Slawenmission. Vgl. Theodor Sickel (Hg.): Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I. (Monumenta Germaniae historica, Diplomata 4), Hannover 1879–1884, Nachdruck München 2004, Nr. 14–16, 101–105. Vgl. ferner Gottfried Wentz/Berent Schwineköper (Hg.): Das Domstift St. Moritz in Magdeburg (Germania sacra, Alte Folge, Abt. 1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg, Teil 1: Das Erzbistum Magdeburg), Berlin 1972, 81–85.

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des Bestrebens Ottos, die Bistümer im Osten aus der Metropolitanverbindung mit Mainz herauszulösen, erfolgte 968 die Erhebung des Bistums Magdeburg zum Erzbistum.38 Infolgedessen wurde das Bistum Brandenburg dem Erzbistum Magdeburg als Suffraganbistum unterstellt.39 Wittenberg lag somit an der südlichen Grenze des Bistums Brandenburg, während Kemberg dem Bistum Magdeburg angehörte.40 Ursprünglich war Kemberg seit 1201 der Propstei Pratau unterstellt. Wegen der dort häufig vorkommenden Elbüberschwemmungen und des wirtschaftlichen Aufblühens der Stadt Kemberg im 14. Jahrhundert wurde der Sitz der Propstei um 1331 jedoch nach Kemberg verlegt.41 So wurde der Ort zu einem kirchlichen Zentrum südlich der Elbe mit einer relativen Selbstständigkeit im Vergleich zu Wittenberg. Im Zuge der Reformation kam es zur Neustrukturierung der Pfarrämter. Ausgangspunkt war der Wunsch, ab den 1520er-Jahren die Pfarrstellen mit evangelischen Predigern zu besetzen. Die Reformatoren vermittelten Kandidaten und nahmen durch Vorschläge und Empfehlungen direkt Einfluss auf kirch38   Papst Johannes XIII. bestätigte im Herbst 968 auf der Synode in Ravenna die Gründung des Erzbistums Magdeburg, die er ein Jahr zuvor auf der Ostersynode in Ravenna bereits verfügt hatte. Vgl. hierzu im Einzelnen Helmut Beumann: Entschädigungen von Halberstadt und Mainz bei der Gründung des Erzbistums Magdeburg, in: Klaus Herbes/Hans-Henning Kortüm (Hg.): Ex ipsis rerum documentis, FS für Harald Zimmermann, Sigmaringen 1991, 383–398. 39   Noch im Oktober 968 verfügte Otto I., dass dem Erzbistum Magdeburg die Bistümer Brandenburg und Havelberg unterstellt werden sollen, sowie die neu eingerichteten Bistümer Merseburg, Zeitz und Meißen. Vgl. Theodor Sickel (Hg.): Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I. (Monumenta Germaniae historica, Diplomata 1), Hannover 1879–1884, Nachdruck München 2004, 1, Nr. 366, 502f. Vgl. Dietrich Claude: Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert, Bd. 1: Die Geschichte der Erzbischöfe bis auf Ruotger, Köln u. a. 1972, 87–95. 40   Die Verwaltung des Bistums Brandenburg, dessen bischöfliche Residenz Ziesar wurde, erfolgte nach drei Gesichtspunkten. Hinsichtlich der Jurisdiktionsgewalt war das Bistum seit dem Ausgang des 13. Jahrhunderts in sechs Archidiakonate gegliedert, wobei Wittenberg dem Archidiakonat Leitzkau unterstellt war. Die Besteuerung der Laien hingegen wurde im Zehntvertrag von 1237 derart organisiert, dass im sogenannten »Alten Lande«, westlich von Havel und Spree, der Zehnte und im sogenannten »Neuen Lande«, östlich der beiden Flüsse, das Hufengeld erhoben wurde. Für die Einziehung der Abgaben, die der Klerus an den Bischof zu leisten hatte (die Prokurationen und das »subsidium charitativum«) wurde das Gebiet in 18 Sitze (»sedes«) eingeteilt, darunter auch der Sitz Wittenberg. Vgl. Germania sacra, Alte Folge, Abt. 1, Bd. 1, Teil 1, Berlin 1929, 14f. 18; Teil 2, Berlin 1941, 514. Zu den Einkünften aus dem Hufegeld aus den Jahren 1526–1529 vgl. in Wolfgang Schößler: Regesten der Urkunden und Aufzeichnungen im Domstiftsarchiv Brandenburg, Teil 2: 1488–1519/1545, Berlin 2009, Nr. B 48. 2–8, 355–365. 41   Zuletzt wurde ein Propst aus Pratau in einer Urkunde vom 13. Juli 1330 erwähnt. Der erste Hinweis auf einen Propst in Kemberg ist in einer Urkunde vom 30. Dez. 1331 zu finden. Vgl. hierzu Fritz Bünger/Gottfried Wentz: Das Bistum Brandenburg, Teil 2 (Germania sacra, Alte Folge, Abt. 1, Bd. 3.2), Berlin 1941, 81. Bis zur Reformation umfasste die Propstei Kemberg die Pfarrdörfer Bergwitz, Dabrun, Dorna, Eutsch, Gommlo, Pratau, Rackith, Radis, Rotta Seegrehna, Wartenburg. Vgl. Franz Winter: Umfang und Eintheilung der Diöcese Magdeburg, in: GBSLM 2 (1887), 56–71, hier 70.

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liche Entscheidungen. So erlangte Wittenberg zentrale Bedeutung für die Besetzung kirchlicher Stellen in Kursachsen.42 Das Amt Wittenberg hatte hierbei in den Anfängen im Vergleich zu den übrigen Ämtern des Kurkreises, in denen zumeist eine Superintendentur errichtet wurde, die Besonderheit, dass zwei Superintendenturen bestanden. Während die Superintendentur Wittenberg den rechtselbischen Teil des Amtes umfasste, wurde der Superintendentur bzw. der Propstei Kemberg die Aufsicht über den linkselbischen Teil zugewiesen. Beide Superintendenturen waren ursprünglich koordiniert gedacht. Sowohl der Pfarrer von Wittenberg als auch der Propst zu Kemberg 1528 waren mit der Superattendenz (Superintendenz) in ihrem jeweiligen Bezirk beauftragt.43 Ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung der Reformation wurde hierbei die Wiederbelebung und Erneuerung des Visitationswesens.44 Eine Kommission, bestehend aus beauftragten Theologen und Räten des Kurfürsten als juristische Berater, nahm die Visitation der Kirchenbezirke vor. Grundsätzlich lassen sich zwei Formen voneinander unterscheiden. Bei der Mittelpunktsvisitation wurde ein zentraler Ort gewählt, zumeist der Sitz des Superintendenten, an dem sich die Visitanden einzufinden hatten. Bei der Gemeindevisitation wurde jedes Kirchspiel vor Ort besucht. Auf der Grundlage einer Visitationsinstruktion befragte man Pfarrer, Diakone, Lehrer, Küster, Kirchenpatrone, Lehns- und Gerichtsherren, gegebenenfalls auch Vertreter des Stadtrates und Kirchenälteste der Haupt- und Filialgemeinden. Der Zweck lag in der Sicherstellung der Pfarrerbesoldung, der Bestandsaufnahme kirchlicher Güter, der Neuordnung der Pfarrstellenbezirke, der Klärung aktueller Fragen sowie der katechetischen Befragung und Unterweisung der Geistlichen und Gemeindemitglieder hinsichtlich der evangelischen Lehre.45 Am 22. Oktober 1528 begannen die ersten Visitationen im Amt Wittenberg, die bis Ostern 1529 andauerten. Bei diesen war auch Luther tätig, der dann allerdings Anfang 1529 von dieser Aufgabe abgezogen wurde.46 Am 29. Oktober 1528 erfolgte im Beisein von Luther die Visi  Zur Ordinationspraxis und zum Ordinationsverständnis der Wittenberger vgl. den Forschungsüberblick von Martin Krarup: Ordination in Wittenberg. Die Einsetzung in das kirchliche Amt in Kursachsen zur Zeit der Reformation (BHT 141), Tübingen 2007, 3–15. 43  Vgl. Karl Pallas: Die Registraturen der Kirchenvisitationen, Abt. 2, Teil 1: Die Ephorien Wittenberg, Kemberg und Zahna (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 41), Halle 1906, VI. 44   Zur Forschungsgeschichte und Kirchenvisitationsakten als Quellen vgl. Heiko Jadatz: Wittenberger Reformation im Leipziger Land. Dorfgemeinden im Spiegel der evangelischen Kirchenvisitationen des 16. Jahrhunderts (HerChr 10), Leipzig 2007, 16–26. Vgl. ferner die Beiträge in Dagmar Blahar/Christopher Spehr (Hg.): Reformation vor Ort. Zum Quellenwert von Visitationsprotokollen. Beiträge der Tagung des Projektes »Digitales Archiv der Reformation« und des Lehrstuhls für Kirchengeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena am 26. und 27. November 2014 in Jena, Leipzig 2016. 45   Vgl. die Einführung bei Karl Pallas: Die Registraturen der Kirchenvisitationen, Abt. 2, Teil 1: Die Ephorien Wittenberg, Kemberg und Zahna (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 41), Halle 1906, 1–48. 46   Neben Luther gehörten der Visitationskommission vom Oktober 1528 bis Ostern 1529 42

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tation der Kemberger Gemeinde.47 Eine weitere – noch zu Lebzeiten Luthers durchgeführte – Visitationsreise fand am 17. August 1533 statt.48 Von der vorreformatorischen bischöflichen Verwaltungstruktur und den Umstrukturierungsmaßnahmen während der Reformation zu unterscheiden ist der Einfluss des Allerheiligenstifts Wittenberg auf das Umland. Entstanden in der askanischen Zeit um 1340, erwarb das Stift im Laufe der Zeit durch Schenkungen der Herzöge zahlreiche Dörfer, die auch linksseitig der Elbe lagen, darunter auch Besitztümer in Kemberg.49 Eng verknüpft mit dem Allerheiligenstift war die Universität Wittenberg, wodurch ein eigenes Beziehungsgeflecht zwischen Kemberg und Wittenberg auf universitärer Ebene entstand.50 Seit der Leipziger Teilung 1485 lag die wettinische Landesuniversität Leipzig, die 1409 gegründet worden war, auf albertinischem Gebiet. Nicht allein aus Repräsentationsgründen, sondern auch aufgrund des konkreten Bedarfs an Pfarrern, Juristen und Ärzten verfolgte Friedrich der Weise den Aufbau einer neuen Universität in Wittenberg, wobei sich diese auch als wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Region erweisen sollte. Das Privileg zur Gründung einer Volluniversität durch König Maximilian I. ist datiert auf den 6. Juli 1502.51 Laut dem Einladungsschreiben Friedrichs des Weisen und seines Bruders Johann vom 24. August erfolgte die feierliche Eröffnung der

auch Hans Metzsch, Dr. Benedikt Pauli und Hans von Taubenheim an. Vgl. Emil Sehling (Hg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 1 = Abt. 1, Hälfte 1: Die Ordnungen Luthers. Die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete, Leipzig 1902, 41. 47   Aus der Angabe »Anno domini 1528 donnerstags nach Simonis und Judae« lässt sich schließen, dass damit der 29. Oktober gemeint ist, da der genannte Festtag (28. Oktober) 1528 auf einen Mittwoch fiel. Vgl. Karl Pallas: Die Registraturen der Kirchenvisitationen, Abt. 2, Teil 1: Die Ephorien Wittenberg, Kemberg und Zahna (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 41), Halle 1906, 177; vgl. ferner Emil Sehling (Hg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 1 = Abt. 1, Hälfte 1: Die Ordnungen Luthers. Die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete, Leipzig 1902, 584 u. 40f. 48  Vgl. Carl August Hugo Burkhardt: Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen im Zeitalter der Reformation (1524–1545), Leipzig 1879, 149, Anm. 3. 49  Vgl. Gottfried Wentz: Das Kollegiatstift Allerheiligen in Wittenberg (Germania sacra. Abt. 1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg, Bd. 3: Das Bistum Brandenburg, Teil 2), Berlin 1941, 75–164; eine Liste der Dörfer aaO., 84. 50   Vgl. die klassische Darstellung von Walter Friedensburg: Geschichte der Universität Wittenberg, Halle 1917. 51   Das Original liegt im Universitätsarchiv Halle, Urkunden II, Nr. 83. Vgl. Walter Friedensburg (Bearb.): Urkundenbuch der Universität Wittenberg, Teil 1 (1502–1611) (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistates Anhalt, Neue Reihe 3), Magdeburg 1926, 2. Vgl. ferner Friedrich Israel: Das Wittenberger Universitätsarchiv, seine Geschichte und seine Bestände nebst den Regesten der Urkunden des Allerheiligenstiftes und den Fundationsurkunden der Universität Wittenberg, Halle a. d. Saale 1913, 66–68. Eine deutsche Übertragung der Stiftungsurkunde erfolgte durch Anton Blaschka: Der Stiftsbrief Maximilians I., in: Kurt Aland u. a. (Hg.): 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bd. 1: Wittenberg 1502–1817, Halle 1952, 69–101, hier 78–80.

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fortan so genannten Leucorea im selben Jahr am 18. Oktober.52 Die päpstliche Bestätigung ist datiert auf den 2. Februar 1503.53 Um die Finanzierung und den Dozentenbedarf abzusichern, inkorporierte der Kurfürst die Universität in das oben bereits erwähnte Allerheiligenstift Wittenberg. Eine päpstliche Urkunde vom 20. Juni 1507 bestätigt jenes Inkorporationsverhältnis.54 Durch die Verbindung wurde nominell die Universität eigentlich dem Stift unterstellt. Jedoch gestaltete sich das Verhältnis schon wenige Jahre später umgekehrt.55 Aufgrund des Zusammenschlusses erweiterte der Kurfürst das Stiftskapitel von sieben auf zwölf Mitglieder. Acht der Kanonikate waren in jener Zeit mit einer Professur an der Universität und mit bestimmten Lehrverpflichtungen und Predigtdiensten in der Stadt und Umgebung verbunden.56 Bei Vakanzen der Kanonikate erfolgte die Nomination zwar vom Stiftskapitel, doch ein Besetzungsvorschlag wurde in der Regel vom Senat der Universität unterbreitet.57 Eine Urkunde vom 24. November 1537 belegt, dass die Universität in Verbindung mit dem Allerheiligenstift die Gerichts- und Eigentumshoheit über zahlreiche Dörfer im Umkreis von maximal elf Kilometern besaß.58 Zum inkorporierten Gebiet zählte auch die Propstei Kemberg, deren ­Propst zugleich dem Allerheiligenstift als Stiftsherr angehörte und der auf universitärer Ebene zumeist das kanonische Recht lehrte.59 52   Vgl. das Einladungsschreiben, abgedruckt bei Walter Friedensburg (Bearb.): Urkundenbuch der Universität Wittenberg, Teil 1 (1502–1611) (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistates Anhalt, Neue Reihe 3), Magdeburg 1926, 4. 53   AaO., 5. 54  Vgl. Friedrich Israel: Das Wittenberger Universitätsarchiv, seine Geschichte und seine Bestände nebst den Regesten der Urkunden des Allerheiligenstiftes und den Fundationsurkunden der Universität Wittenberg, Halle a. d. Saale 1913, 24–95 u. 66–68. Die Urkunde ist aufbewahrt im Universitätsarchiv Halle, Urkunden II, Nr. 83. 55  Vgl. Natalie Krentz: Ritualwandel und Deutungshoheit. Die frühe Reformation in der Residenzstadt Wittenberg (1500–1533) (SMHR 74), Tübingen 2014. 98f. 56   Vgl. die Übersicht des Stiftungspersonals bei Gottfried Wentz: Das Kollegiatstift Allerheiligen (Germania sacra, Abt. 1, Bd. 3, Teil 2) Berlin 1941, 75–164, hier 92–93. 114–140. 57  Vgl. Gottfried Wentz: Das Kollegiatstift Allerheiligen in Wittenberg (Germania sacra. Abt. 1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg, Bd. 3: Das Bistum Brandenburg, Teil 2), Berlin 1941, 75–164, hier 90f. 58   Hier zählen die Dörfer Pratau, Pollensdorf (= Apollensdorf), Bischtritz (= Priesteritz), Teuchel (heute zählend zur Stadt Wittenberg), Ditterichsdorf (= Dietrichsdorf), Meltzwick (= Melzwig), Reuden (heute gehörend zu Rotta), Euutzsch (= Eutzsch), Köpenick (= Köpnick) und Apsdorf (Abtsdorf). Vgl. die Urkunde, abgedruckt bei Friedrich Israel: Das Wittenberger Universitätsarchiv, seine Geschichte und seine Bestände nebst den Regesten der Urkunden des Allerheiligenstiftes und den Fundationsurkunden der Universität Wittenberg, Halle a. d. Saale 1913, 116–117; vgl. ferner Heiner Lück: Die Universität als Verwaltungsund Wirtschaftsfaktor. Zur Ausstrahlung der Leucorea auf die Stadt Wittenberg und deren Umland – Ausgewählte Beispiele, in: Erich Donnert (Hg.): Europa in der frühen Neuzeit, FS für Günter Mühlpfordt, Bd. 7: Unbekannte Quellen, Aufsätze zu Entwicklung und Vorstufen, Grenzen und Fortwirken der Frühneuzeit in und um Europa, Köln u. a. 2008, 95–111, hier 106f. 59  Vgl. Gottfried Wentz: Das Kollegiatstift Allerheiligen in Wittenberg (Germania sa-

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2. Luther und Kemberg Luther pflegte Zeit seines Lebens einen engen Kontakt mit der Kemberger Gemeinde, wenngleich er sich wohl manches Mal bei seinen Reisen über den unbefestigten Weg geärgert haben muss. Denn in einem Brief an Spalatin schließt er sich dem Unmut der Wittenberger Bürger über den schlechten Zustand der Straße an. Deren Klagen würden ihm zufolge bis in den Himmel reichen und hätten bereits zu übler Nachrede gegenüber dem Fürsten geführt. Daher bittet er Spalatin, dem Fürsten die Bitte zu überbringen, die Straße befestigen zu lassen. 60 Trotz des schlechten Weges besuchte Luther häufig Kemberg. Sein Verhältnis zur Stadt lässt sich anhand dreier Personen veranschaulichen, die mit dem Ort Kemberg historisch verbunden sind. Gemeint ist erstens der nicht mehr genau zu identifizierende Propst von Kemberg bis zum Jahr 1518, zweitens Bartholomäus Bernhardi und drittens Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt. Über den Propst von Kemberg, dessen Nachfolger Bernhardi wurde, ist so gut wie nichts bekannt. In der Forschungsliteratur wird zumeist der Name Ziegelheim von Spremberg angegeben, über den jedoch keine weiteren Informationen überliefert sind. Diesen Namen hat Johann Theodor Lingke in seinem Buch über »Luthers merkwürdige Reisegeschichten« eingeführt. 61 Die Weimarer Ausgabe hat diese Information übernommen. 62 In der neueren Studie über Bartholomäus Bernhardi ist Dorothea McEwan der Meinung, dass es sich bei dem besagten Propst allerdings nicht um Ziegelheim handele. 63 Sie verweist auf die biografische Darstellung Bernhardis von Johann Heinrich Feustking. Dieser gibt an, dass der Propst der Kathedrale zu Kemberg Heinrich Edel von List geheißen habe. Sein Bruder Christoph (von List), der bis 1506 Propst zu Kemberg war, habe zuvor die Propstei mit Wäldern, Äckern und anderen jährlichen Einkünften reich ausgestattet. 64 Vor ihm war dessen Vetter Dietrich List Propst zu cra, Abt. 1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg, Bd. 3: Das Bistum Brandenburg, Teil 2), Berlin 1941, 75–164, hier 92. 60   »Ce¸terum apud nos omnia salua adhuc vt fuerunt, nisi quod via ista ad Kembergenses a Wittemberg clamore multo & magno in vsque accusatur, & eo nomine princeps quoque male audit; vtinam hoc testamento suo vitam suam relinqueret testatam, & hanc viam muniret, cum id facile possit« (Brief an Georg Spalatin vom 18. Januar 1524, WA B 3; Nr. 706, 235f,10– 14). 61  Vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 57. Vgl. auch Rudolf Reichhardt-Rotta: Luther im Kirchenkreise Kemberg. Vortrag gehalten auf dem 2. Kirchentag zu Kemberg am 22. April 1928 (Jahresgabe für die Freunde der Geschichte der Stadt Kemberg 21) Wittenberg 1928, Nachdruck Wittenberg 2003, 4: »Im Jahr 1517 war Ziegelheim Propst in Kemberg«. 62   Vgl. WA B 1; 261, Anm. 6; 270, Anm. 12; WA B 15; 291. 63  Vgl. Dorothea McEwan: Das Wirken des Voralberger Reformators Bartholomäus Bernhardi, Dornbirn 1986, 21. 64   McEwan beruft sich hierbei auf die lateinische Ausgabe: Johann Heinrich Feustking: Disputatio Historico-Theologica de Primo Sacerdote marito Lutherano Bartholomaeu

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Kemberg. 65 Auch Luther nennt in einem Brief vom 24. November die »Listani«, die das Recht für sich beanspruchen, abwechselnd mit dem Stadtrat die dortige Priesterstelle besetzen zu dürfen. 66 Trotz dieser Indizien gibt es keinen hinreichenden Beleg dafür, dass das Adelsgeschlecht, das in die Propstei so viel eigenes Hab und Gut investiert hatte, im Jahr 1506 seine Dynastie fortgeführt hat. 67 Zur Legendenbildung gehört die Erzählung, dass im Oktober 1517 Luther und Melanchthon nach Kemberg reisten. Dort im stillen Garten der Propstei sei dann ihr Zorn über Tetzels Ablasshandel entbrannt, weshalb sie gemeinsam beschlossen hätten, die 95 Thesen zu verfassen und sie öffentlich anschlagen zu lassen. 68 Jedoch entspricht diese Auffassung, Kemberg sei die ›Wiege der 95 Thesen‹ nicht den Tatsachen. Luther hatte bereits seit Juli 1516 damit begonnen, den Ablass in seinen Predigten zu kritisieren. 69 Außerdem war Melanchthon zu Bernhardi, Kemberg 1703 (VD 18 14953811). Dort wird auf S. 19 berichtet: »Interea Henricus, Nobilis de List, apud Kembergenses Cathedralis Templi, quod Divae Mariae Virgini sacrum erat, Praepositus, senio officiisque confectus, vitam, quam a natura mutuaverat, naturae, eandem repetenti persolvit, cujus morte primaria in ea urbe docendi provincia, quam Henrici frater, Christophoros, sylvis, agris, aliisque magnis reditibus, & annuis vectigalibus, auxerat, suo antistite caruit«. Außerdem wird angegeben, dass Christophorus von List am 6. Juli 1506 verstorben war (aaO., 24). Vgl. ebenso Ders.: Historia Clerogamiae Evangelicae, sive de primo Sacerdote marito Lutherano, Bartholomaeo Bernardi, schediasma historico-theologicum, Wittenberg 1703, 19 (VD 18 10943048). Vgl. ferner die deutsche Gedächtnisrede, in der Christophorus List aus Rackith angesprochen wird, der 1500 das Propstamt bekleidete: Ders.: Das Leben des ersten verehlichten Predigers Bartholomaei Bernhardi von Feldkirchen in einer Gedächtnis-Predigt am Tage Bartholomaei Anno 1704. Samt einem Anhang derer von Zeiten der Reformation an daselbst gewesenen Pröbste, Wittenberg 1705, 22. 47. 49 (VD18 11398566) . 65   Vgl. mit Verweis auf AWei, Reg. Kk 1354 Gottfried Wentz: Das Kollegiatstift Allerheiligen in Wittenberg (Germania sacra, Abt. 1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg, Bd. 3: Das Bistum Brandenburg, Teil 2), Berlin 1941, 457f. 66   Im Zusammenhang mit der Einrichtung des gemeinen Kastens in Kemberg schreibt Luther: »Nunc Listani obsistunt, qui vicario iure cum senatu Kembergensi alternis collationem exercent eius sacerdotioli. id autem contulerunt cuidam, qui alias tribus parochis potitur, deinde non residet, nec quicquam facit, nisi quod redditus nec merito nec necessario consumit, interim neglecto opere, quod his fieri promoueri potest, praesertim cum sit ciuium substantia« (WA B 3; Nr. 789, 390f, hier 390,10–15). 67   Für die hilfreichen Hinweise zur Kemberger Ortsgeschichte bedanke ich mich bei Günter Böhme. 68  Vgl. Rudolf Reichhardt-Rotta: Luther im Kirchenkreise Kemberg. Vortrag gehalten auf dem 2. Kirchentag zu Kemberg am 22. April 1928 (Jahresgabe für die Freunde der Geschichte der Stadt Kemberg 21) Wittenberg 1928, Nachdruck Wittenberg 2003, 4. 69   Vgl. die Predigt vom 27. Juli 1516 (WA 1; 421–426), die Predigt vom 4. Januar 1517 (WA 1 505–510), die Predigt vom 2. Februar 1517 (WA 1; 130–132), die Predigt vom 24. Februar 1517 (WA 1; 138–141), außerdem die in der Vorfastenzeit oder beginnenden Fastenzeit 1517 gehaltene sogenannte Kirchweihpredigt (WA 1; 94–97), sowie die Auslegungen der 4., 5., und 7. Bitte in der Predigtreihe über das Vater-Unser (WA 9; 123–159), die von Agricola ausgearbeitet und Anfang 1518 veröffentlicht wurden, jedoch ursprünglich während der Fastenzeit 1517 in Wittenberg gehalten wurden. Vgl. hierzu Ulrich Barth: Die Geburt religiöser Autonomie. Luthers Ablaßthesen von 1517, in: Ders.: Aufgeklärter Protestantismus, Tübingen 2004, 53–95, hier 55, Anm. 8. Durch Lingke sind die geflügelten Worte überliefert, die jedoch ebenso zu den Legenden, die sich um Luther ranken, zählen. Lingke berichtigt, dass er in ei-

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dieser Zeit noch nicht in Wittenberg, sondern nahm dort erst 1518 seine Lehrtätigkeit auf.70 Die Legende bildete sich wohl auf der Grundlage einer Tischrede der Sammlung Lauterbachs aus dem Jahr 1538. Dort wird die Szene berichtet, dass Luther gemeinsam mit Hieronymus Schurf, allerdings erst nach Allerheiligen, also nach dem 1. November 1517, in Kemberg weilte. Bei dieser Gelegenheit soll Luther Schurf anvertraut haben, gegen den Irrtum des Ablasshandels geschrieben zu haben, worauf dieser ihn warnte und ihn an der Veröffentlichung hindern wollte.71 Doch auch diese Überlieferung ist nicht eindeutig belegt. Was jedoch für historisch wahrscheinlich gehalten werden kann, ist die Annahme, dass Luther zum Propst von Kemberg in engerer Beziehung stand. In einem Brief vom 2. Dezember 1518 an Spalatin berichtet er vom Tod des Propstes und spricht sich zunächst dafür aus, dass dessen Neffe das Amt erhalten solle, da er ein guter Mensch sei und auch die Schwester des Verstorbenen viel zur Wohlfahrt der Propstei beigetragen habe.72 Neben jener Fürsprache für den Neffen, an dessen Stelle jedoch Bernhardi rückte, gibt ein weiterer Brief vom 18. Dezember an Wenzeslaus Linck darüber Auskunft, dass der Propst an der Pest gestorben und voller Vertrauen auf Gott sanft entschlafen sei.73 Jene mit Bedauern verfasste Beschreibung über das Ableben des Propstes hat Lingke dazu veranlasst, anzunehmen, dass Luther den Sterbenden noch kurz vor dem Tod am Krankenbett besucht haben muss.74

ner Chronik aus Grimma die Nachricht gefunden habe, Luther habe bei einem allerdings nicht eindeutig nachzuweisenden Aufenthalt in Grimma im Frühjahr 1516 von Tetzels Ablasshandel gehört, woraufhin der Wittenberger folgende Worte an Tetzel gerichtet ausgesprochen haben soll: »Nun will ich der Pauke ein Loch machen«. Vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 27. 70  Vgl. Jens Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522 (VIEG 187), Mainz 2002, 144. 71   »Nu, Gott hat uns wunderbarlich heraus gefuhrt, und mich doch unwissentlich ins Spiel gefuhrt nu uber 20 Jahre. Wie gar schwächlich ging es in der erste an, da wir Anno 17. nach Omnium Sanctorum gegen Kemberg kamen. Und da ich mir furgenommen hatte, zu schreiben wider die groben, offentlichen Jrrthum vom Ablaß, da widerstund mir D. Hieronymus Schurf und sagte: ›Wollt Jhr wider den Papst schreiben? Was wollt Jhr machen? Man wirds nicht leiden.‹ Darauf sprach ich: ›Wie, wenn mans müßte leiden?‹« (WA T 3; Nr. 3722, 565, 29–34 = 565,22–30). Vgl. hierzu Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 196. 72   »D. praepositus Kembergensis obiit. Et instetit eius Nepos, ut pro eo apud Illustrissimum principem agerem, ut nominatur universitati commendaretur. Est enim bonus homo. Deinde & soror relicta praepositi multum cooperata ad profectum eiusdem praepositur. Ego, qui principem invitus molesto, per te quaeso, sine me levari hac intercessione, ut possim respondere me intercessisse« (WA B 1; Nr. 116, 260f, hier 261,28–33). 73   »Dominus praepositus Cameracensis animam reddidit in peste, sed tam quieta et suavi morte, ut nunquam de alicuius morte fuerim magis gavisus; omnia christianissime et dixit et egit usque in finem, plenus fide et fiducia cupivit dissolvi« (WA B 1; Nr. 121, 270f, hier 270,22– 24). 74  Vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 57.

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Anstelle des Neffen wurde Luthers Weggefährte Bartholomäus Bernhardi aus Feldkirchen Propst zu Kemberg. Dieser zählte zum engsten Freundeskreis Luthers.75 Bernhardi hatte 1509 die Professur für Physik an der Wittenberger Universität erhalten, war wohl im selben Jahr in den Augustinerorden eingetreten und hatte sich daraufhin dem Studium der Theologie gewidmet. 1513 bis 1516 war er Subdiakon in Brandenburg an der Havel und Diakon in Halberstadt, bis er in der Metropolitankirche Chur zum Priester geweiht wurde. 1516 kehrte er nach Wittenberg zurück, um dort mit der Disputation »Quaestio de viribus et voluntate hominis sine gratia« unter Vorsitz Luthers den »Baccalaureus sententiarius« zu erlangen. 76 Jene ›Bernhardi-Thesen‹, die wohl am 19. September 1516 disputiert wurden, enthalten inhaltlich zentrale Gedanken aus der Römerbriefvorlesung Luthers und dessen Kritik an der scholastischen Theologie.77 Da die Disputationsthesen zumeist die Anschauungen des Disputationsleiters wiedergeben, gelten Leif Grane zufolge die ›Bernhardi-Thesen‹ als »erster öffentlicher Vorstoß für Luthers Theologie«.78 Luther war hocherfreut, als er hörte, dass Bernhardi, der seit dem Wintersemester 1518 Rektor der Universität Wittenberg war, nun Propst zu Kemberg wurde,79 wenngleich daraus folgte, dass dieser ein halbes Jahr später den Antrag stellte, aus dem Professorenkollegium auszuscheiden, um sich ganz seinen Pflichten als Pfarrer zu widmen. 80 Durch die Neubesetzung gelangte ein einflussreicher Prediger und Mitstreiter Luthers an eine strategisch wichtige Stelle in der Nähe Wittenbergs, um dort im reformatorischen Sinn zu wirken. Insofern gehört Kemberg zu den ersten Städten, in denen reformatorisches Gedankengut verbreitet wurde. 81 75  Vgl. Julius Wagenmann: Art. ›Bernhardi, Bartholomäus‹, in: ADB, Bd. 2, Leipzig 1875, 459f; Karl Heinz Burmeister: Der Vorarlberger Reformationstheologe Bartholomäus Bernhardi, in: Zeitschrift für Geschichte, Heimat- und Volkskunde Vorarlbergs 19 (1967), 218–238; Friedrich Wilhelm Bautz: Art. ›Bernhardi, Bartholomäus‹, in: BBKL 1, 539f; Dorothea McEwan: Das Wirken des Voralberger Reformators Bartholomäus Bernhardi, Dornbirn 1986; Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen, Bd. 1, Leipzig 2003, 314–315. 76   Vgl. WA 1; 142. 145–151. Zum Lebenslauf vgl. Dorothea McEwan: Das Wirken des Voralberger Reformators Bartholomäus Bernhardi, Dornbirn 1986, 16. 77  Vgl. Volker Leppin: Zuspitzung und Wahrheitsanspruch – Disputationen in den Anfängen der Wittenberger reformatorischen Bewegung, in: Herman J. Selderhuis/ErnstJoachim Waschke (Hg.): Reformation und Rationalität (Refo500. Academic Studies 17), Göttingen 2015, 43–59, hier 45–49. 78  Vgl. Leif Grane: Modus loquendi theologicus. Luthers Kampf um die Erneuerung der Theologie (1515–1518), Leiden 1975, 111. 79   »Benedictus Deus. In locum eius suffectus est M. Bartholomaeus Feldkirchius, Rector Universitatis nostrae. Nihil aliud novi apud nos. Studium nostrum more formicarum fervet« (Brief an Wenzeslaus Linck vom 18. Dezember 1518, WA B 1; Nr. 121, 270,25–271,28). 80   »D. Rector quoque optat a lectura sua absolvi, ut rem suam domesticam (que¸ absente eo periclitatur) & pastoris officium curare possit« (Brief an Spalatin vom 13. März 1519, WA B 1; Nr. 161, 359f, hier 360,39–41). 81  Vgl. Rudolf Reichhardt-Rotta: Luther im Kirchenkreise Kemberg. Vortrag gehal-

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Bernhardi erlangte Berühmtheit, als er im Mai 1521 inspiriert durch Luthers Kritik am Mönchtum in der ›Adelsschrift‹ 82 sein Gelübde brach und sich vermutlich mit der Kembergerin Gertrude Pannier vermählte. Aus deren Ehe gingen sieben Kinder hervor. 83 Jene Vermählung wurde im kleinen Kreis in der Kirche nach altem Brauch vollzogen. 84 Doch die Eheschließung sollte als offizieller Akt mehr Aufmerksamkeit erlangen. Deshalb wurde seine Ehe in der Kemberger Kirche am 24. August in einem öffentlichen Rahmen eingesegnet. 85 Mag es auch frühere Eheschließungen von evangelisch gesinnten Geistlichen gegeben haben, 86 so war Bernhardi doch aufgrund seiner engen Beziehung zu Luther und seines Ranges als Propst die bedeutendste Gestalt zu jener Zeit in der Region um Wittenberg, da er im strengen Sinn gleich zweimal, zum einen als Priester und zum anderen als Ordensmitglied, mit der römischen Kirche brach, indem er die Eheschließung öffentlich vollzog. 87 Luther war zunächst erstaunt über den Mut Bernhardis, der sich damit der Gefahr der Amtsenthebung und Gefangennahme aussetzte. 88 In dem Brief vom 26. Mai 1521, am Tag ten auf dem 2. Kirchentag zu Kemberg am 22. April 1928 (Jahresgabe für die Freunde der Geschichte der Stadt Kemberg 21) Wittenberg 1928, Nachdruck Wittenberg 2003, 5. 82   »[…] szo were es besser, das kein kloster da were« (Adelsschrift [1520], WA 6; 439,28f). Vgl. ferner Christopher Spehr: Priesterehe und Kindersegen. Die Anfänge des evangelischen Pfarrhauses in der Reformationszeit, in: Thomas A. Seidel/Ders. (Hg.): Das evangelische Pfarrhaus. Mythos und Wirklichkeit, Leipzig 2013, 13–35, hier 18f; Ders.: Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit (BHT 136), Tübingen 2010, 179–200. 83  Vgl. Dorothea McEwan: Das Wirken des Voralberger Reformators Bartholomäus Bernhardi, Dornbirn 1986, 22–31. 84   In der Maidenberger Schrift wird die Eheschließung als »zu Straß und Kylch [= Kirche] noch gemeinem bruch« (aaO., 67; VD 16 B 6107, Bl. aii a). 85   Vgl. aaO., 28f. Der 24. August 1521 gilt seitdem als »dies liberationis Pastorum«, eine Bezeichnung, die wohl bereits Wolfgang Franz, der um 1605 Propst in Kemberg war, verwendete. Vgl. hierzu Josef Bergmann: Art. ›Bartholomäus Bernhardi‹, in: Österreichische Blätter für Literatur und Kunst, Geschichte, Geografie, Statistik und Naturkunde 1 (1844), 451f. Vgl. ferner Johann Karl Seidemann: Erläuterungen zur Reformationsgeschichte durch bisher unbekannte Urkunden, Dresden 1844, 13. 86   Vgl. hierzu die Karte und Tabelle über die Eheschließungen bei Marjorie Elizabeth Plummer: From priest’s whore to pastor’s wife, Ashgate 2012, 93. 115 . 87   Daneben sind noch Heinrich Fuchs, Pfarrer in Hersfeld, Balthasar Zeiger, Pfarrer in Vatterode, und Jakob Seidler, Pfarrer in Glashütte zu nennen. Bis Ende 1523 kann man von über 100 Mönchen und Nonnen ausgehen, die eine Ehe eingingen, auch wenn sie nicht in direktem Kontakt zu Wittenberg standen. Vgl. Marjorie Elizabeth Plummer: From priest’s whore to pastor’s wife, Ashgate 2012, 51–90; Erik Margraf: Die Hochzeitspredigt der Frühen Neuzeit. Mit einer Bibliographie der selbstständig erschienenen Hochzeitspredigtdrucke der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg und der Universitätsbibliothek Augsburg, Diss. 2005, München 2007, 126–133; vgl. ferner Stephen E. Buckwalter: Die Priesterehe in Flugschriften der frühen Reformation (QFRG 68), Gütersloh 1998, 79f; Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 2, Stuttgart 1994, 30; Jens Martin Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522 (VIEG 187), Mainz 2002, 293. 88   So wurde Bernhardi von Erzbischof Albrecht von Mainz vor das bischöfliche Gericht

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nach der Achterklärung des Reichsediktes, schrieb er von der Wartburg aus an Melanchthon: »Ich bewundere den neu verheirateten Propst von Kemberg, da er nichts fürchtet und sich so beeilt hat in diesem Tumult, der Herr möge ihn leiten«. 89 Jene Heirat entfachte eine breite Aufmerksamkeit und gab Anlass zu publizistischen Reaktionen. Karlstadt veröffentlichte sogleich mehrere Schriften zu Priesterehe und Klostergelübden, deren deutsche Fassungen in elf Ausgaben mit insgesamt zwischen 9.000 und 16.500 Exemplaren verbreitet wurden.90 Daraufhin arbeitete auch Luther an einer eigenen ausführlichen Stellungnahme zu den Mönchsgelübden und zur Priesterehe. Diese Auseinandersetzung mündete schließlich in sein Gutachten »De votis monasticis iudicium« vom November 1521.91 Im Dezember kamen mehrere Schriften heraus, deren Autorenschaft allerdings nicht eindeutig geklärt ist, die im Namen von Bernhardi dessen Eheschließung verteidigten.92 Neben Bernhardi ist schließlich auch Karlstadt zu nennen, der sich ebenfalls für kurze Zeit in Kemberg aufhielt. Das Verhältnis zwischen Luther und dem »Querdenker der Reformation«93 ist komplex und wandelte sich im Laufe der geladen, und Jakob Seidler wurde von Herzog Georg gefangen genommen und dem Bischof von Meißen übergeben. Vgl. August Franzen: Zölibat und Priesterehe in der Auseinandersetzung der Reformationszeit und der katholischen Reform des 16. Jahrhunderts KLK 29), Münster 31971; Heinz-Meinolf Stamm: Luthers Stellung zum Ordensleben (VIEG 101), Wiesbaden 1980, 38–57. 89   »Cameracensis novus maritus mihi mirabilis, qui nihil metuiti, atque adeo sic festinavit in tumultu isto; regat eum Dominus« (WA B 2; Nr. 413, 346–352, hier 447,30f). 90  Vgl. Alejandro Zorzin: Karlstadt als Flugschriftenautor (Göttinger theologische Arbeiten 48), Göttingen 1990, 109. 273–308. Am 20. Juni 1521 veröffentlichte Karlstadt Thesen, die dann am 28. Juni 1521 in Wittenberg disputiert wurden. Vgl. Andreas Bodenstein (Karlstadt): De coelibatu, monachatu et viduitate, Wittenberg 1521 (VD16 B 6123). Vgl. ferner Bernhard Lohse: Luthers Kritik am Mönchtum (1961), in: Ders.: Evangelium in der Geschichte, Göttingen 1988, 80–96, hier 92. 91   Vgl. WA 8; 564. 573–669. 92   Darunter zählen die sogenannte ›Apologie‹: »Contra Papistica leges sacerdotibus prohibentes hatrimonium apologia pastoris Cembergensis, qui nuper, suae Ecclesiae consensu, uxorem duxit« (VD 16 B 6100), enthalten auch im Corpus Reformatorium Epistolarium, Bd. 2, 1521, Nr. 120; ferner der ›Maidenberger-Text‹: »An Maidenbergers ertzbischof herforderung uber Eelichs stantz handel aines ersamenn Priester, barth. Bernhardi leyppfarrer Kembergerkirchen enschulidung und antwort« (VD 16 B 6107. VD 16 ZV 2155); die ›Schutzrede‹: »Schutzrede von Magister Bartholomeo Probst zu Kemmerig der ein eehweib so er priester ist genumen hat« (VD 16 B 6104); ferner: »Das Die Priester Eeweyber nemen mögen und sollen« (VD 16 B 6103. B 6105. B 6105. B 6108) und die hochdeutsche Version der ›Apologie‹: »Gegen die päpstlichen Gesetze, die die Priesterehe verbieten. Die Entgegnung des Propstes von Kemberg, der unlängst mit Einwilligung seiner Kirche, in den Ehestandt trat« (VD 16 B 6108) Alle Quellen sind als Transkriptionen abgedruckt in: Dorothea McEwan: Das Wirken des Voralberger Reformators Bartholomäus Bernhardi, Dornbirn 1986, 57–102. Zur Autorenschaft vgl. aaO., 37–43. 93   Vgl. die Beiträge im Sammelband von Ulrich Bubenheimer/Stephan Oehmig (Hg.): Querdenker der Reformation. Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine frühe Wirkung, Würzburg 2001. Zur Forschungsgeschichte vgl. Martin Kessler: Das Karlstadt-Bild in der Forschung, Tübingen 2014; Günter Schmidt: Austreibung eines Dissidenten. Andreas

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Zeit. Dabei kam es zu einer Umkehrung des Kräfteverhältnisses der Kontrahenten. Fünf Phasen lassen sich unterscheiden: erstens die Zeit des gemeinsamen Kampfes (1511–1521), zweitens Karlstadts Wirken im Zuge der Wittenberger Bewegung (1521–1522), drittens seine Zeit in Orlamünde (1523–1524), viertens Karlstadts Exil, Not und Rückkehr nach Sachsen (1524–1528) und schließlich sein Aufenthalt in Ostfriesland und seine Übersiedlung in die Schweiz (1529–1541). In die vierte Phase fällt der Aufenthalt in Kemberg. Anfang September 1525 bat der aus Orlamünde ausgewiesene Karlstadt in einem unterwürfigen Schreiben Luther darum, beim Kurfürsten Fürsprache zu halten, um die Erlaubnis zu erlangen, wieder nach Kursachen zurückkehren und in Kemberg wohnen zu dürfen.94 Er erinnert hierbei an die Armut seiner Frau und »deines und meines Sohnes«, die all ihr Hab und Gut verloren hätten.95 Aus der Formulierung lässt sich schließen, dass Luther wohl der Taufpate dieses Sohnes gewesen war. Luther kam schließlich jener Bitte nach und verfasste ein Schreiben an den Kurfürsten. Darin bat er, Karlstadt in Kemberg oder in der Nähe zu belassen, allerdings unter der Bedingung, dass diesem untersagt werde, zu predigen und zu publizieren.96 Diesem Brief lag eine Supplik aus Karlstadts Feder bei, die eine Karlstadt (1486–1541), in: Matthias Steinbach/Michael Ploenus (Hg.): Ketzer, Käuze, Querulanten. Außenseiter im universitären Milieu, Jena/Quedlinburg 2008, 27–39; Wolfgang Simon: Karlstadt neben Luther. Ihre theologische Differenz im Kontext der »Wittenberger Unruhen« 1521/22, in: Gudrun Litz/Heidrun Munzert/Roland Liebenberg (Hg.): Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie. Contributions to European church history, FS für Berndt Hamm, Leiden u. a. 2005, 317–334; Sigrid Looß: Andreas Bodenstein von Karstadt (1486–1541) in der modernen Forschung, in: Dies./ Markus Matthias (Hg.): Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation., Wittenberg 1998, 9–23; Hans-Georg Roth: Lebensweg und theologische Entwicklung des Professors Andreas Karlstadt, in: Herbert von Hintzenstern (Hg.): Fundamente. 30 Beiträge zur thüringischen Kirchengeschichte, Berlin 1987, 121–131; Karl Friedrich Müller: Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis, Tübingen 1907. 94   Karlstadt beginnt das Schreiben mit der Bemerkung, dass er Luther nicht aufwecken wollte, deshalb richte er an ihn nun schriftlich die Bitte, die er tags zuvor mündlich ausgesprochen habe, ihm zu helfen, die Verbannung aufheben zu lassen: »Nolui Reverendam Dominationem tuam a dulci somno excitare, id que tuam in rem, quare rogo, ne aegre feras. Beneficium tuum et agnosco et pro mea virili vel conabor compensare. Praeterea, ut hesterno die T. R. D. rogavi, sic iterum supplex rogo atque obsecro, ut unius Dei contemplatione, qui te innumeris eximiisque dotibus locupletavit et hominem hominibus anteposuit, exilio huic medearis« (WA B 3; 565,1–6). 95   »Si denique te mea non multum adficit calamitas, adficiet, confido, uxoris miserae et aerumnosi filii tui atque mei paupertas, quorum substantia eiusmodi tempestate diripitur« (WA B 3; 565,6–9). 96   Bezogen auf Karlstadt schreibt Luther: »Er mochte zu Wittemberg verhoret werden, vnd wo er vnschuldig funden vnd seyn widderspruch gnügsam, das yhm E. C. f. g. zu kemberg odder auff eym dorffe ynn der nehe bleyben liesse, weyl er doch on das fest furgenomen hat, seyn lebenlang nymer mehr zu predigen nach zu schreyben, sondern ewiglich schweygen vnd sich seyner erbeyt neeren« (WA B 3; Nr. 920a, 572,11–16).

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Entschuldigung hinsichtlich des Aufruhrs enthielt, der zu Unrecht mit seinem Namen verbunden worden sei.97 Der Kurfürst schließlich verfügte, dass Karlstadt sich im Umkreis von Wittenberg aufhalten dürfe, allerdings verbot er ihm zunächst, sich in Kemberg eine Bleibe zu suchen. Denn er sah die Gefahr, Karlstadt könnte die Gelegenheit nützen, seine Lehren in Kemberg und somit an einem wichtigen Handels- und Verkehrsknotenpunkt erneut zu verbreiten.98 Daher versuchte sich Karlstadt zunächst in Seegrehna als Bauer und Krämer von ungefähr August 1525 bis Februar 1526. Dort ließ er im März 1526 einen weiteren Sohn taufen, wobei auch Luther anwesend war.99 Doch nach Konflikten mit den ortsansässigen Bauern verließ er Seegrehna und wohnte von Februar bis Dezember 1526 in Bergwitz.100 Am 17. November des gleichen Jahres teilt dann Karlstadt Luther mit, dass er seinen Hof in Bergwitz aufgrund zunehmender Verarmung verkaufen musste. Er scheint dort in dürftigen und kümmerlichen Verhältnissen gelebt zu haben.101 Deshalb bittet er Luther erneut um Fürsprache beim Kurfürsten.102 Luther kam dieser Bitte kurz darauf am 22. November nach.103 Der Kurfürst genehmigte   Das Original befindet sich im Staatsarchiv Weimar und ist abgedruckt bei Hermann Barge: Andreas Bodenstein von Karlstadt, Bd. 2: Karlstadt als Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus, Nieuwkoop 21968, 580, Nr. 24. 98   In der Instruktion verordnete der Kurfürst: »Aber umb Witenberg auf ein halbe, ganze, zwo bis in die dritte Meil davon mag er sich in Flecken oder Dorfern nach seiner Gelegenheit setzen ader niedertun, allein Kemberg ausgeschlossen. Und daß wir Doctor Carolstad zu Kemberg zu dulden nit geneigt, geschicht aus dem, daß daselbst ein Landstraß auf Leipzigk, die Mark, Pomern und ander Ende durchgienge, die von manichen und zum Teil seltzamen Leuten gebauet und gewandert wirdet, do wir ihnen aus bewegenden Ursachen so wenig wie zu Witenberg mit Wesen wissen wollen« (Brief von Kurfürst Johann von Sachsen an Georg Spalatin vom 17. September 1525, WA B 3; Nr. 920b, 573–574,34–41). 99   »Heri Carolstadio filium baptisavimus, vel baptisma potius rebaptisavimus. Compatres sunt Ionas, Philippus, Ketha mea; ego hospes cum aliis fui. Segrenae haec facta sunt trans Albim, ubi Carolstadius est habitans« (Brief an Nikolaus von Amsdorf vom 9. März oder kurz vorher 1526, WA B 4; Nr. 984, 36,5–8). 100   »Ce¸ terum ipse Carlstadius apud nos degit in vicinio Wittemberge, & rusticatur in Berquitz miliario ab vrbe nostra; Hoc impetraui ego vix magnis & assiduis precibus a principe contra totam aulam« (Brief an Nikolaus Hausmann in Zwickau vom 3. Juli 1526 (WA B 4; Nr. 1027, 98,7–9. Vgl. Ulrich Bubenheimer: Art. ›Karlstadt, Andreas Rudolff Bodenstein von (1486–1541)‹, in: TRE 17, 649–657. 101   »Mein Herr, E. Achtbarkeit seind ungezweifelt wohl indächtig, weß ich mich vielmals beklagt und warumb ich das Baursgut zu Bercktzaw muß gelassen. Weil denn kein Aufhoren ist des Abgangs meiner Pferde, sondern mir kurzlich hievor ein großer starker Wagenhengst zusampt ein ander Hengst, welche ich fur 15 fl. nicht gern verkauft hätt, beide in einer Wochen abgestorben, hab ich mich gefurdert und solichs Gut wohlfeil verkauft, uf daß ich nit zum Bettler wurd« (WA B 4; Nr. 1051, 131,4–11). 102   Karlstadt bittet zu »erläuben, daß ich zu Kemberg mog und dorf einkommen, mich nebend andern Burgern nähren und meinen armen Kindern, wie ich pflichtig, Futter und Gewand erwerb« (WA B 4; Nr. 1051, 132,42–44). 103   »Doctor Carlstad hat mich seer gebeten, an E. C. f. g. zu schreyben vmb gnade, das er mocht zu kemberg wonen, Denn er sonst auff den dorffern fur der baurn bosheit nicht bleiben kan« (WA B 4; Nr. 1052, 134,52–54). 97

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den Aufenthalt in Kemberg am 26. des Monats mit der Ermahnung, weiterhin nicht öffentlich Aufmerksamkeit zu erregen und betraute den Propst damit, auf Karlstadt achtzugeben.104 Da Karlstadt sich aber an dieses Abkommen nicht hielt und sich später in den Abendmahlsstreit einmischte, erfolgte Februar 1529 seine endgültige Ausweisung aus Kursachsen.105 Aus den Anweisungen des Kurfürsten wird ersichtlich, welche Bedeutung Kemberg für Wittenberg besaß. Einerseits sollte Karlstadt zwar in der Nähe bleiben, um ihn unter Beobachtung zu halten. Andererseits aber erwies sich Kemberg doch als ungeeignet, weil der Ort so nah an Wittenberg gelegen war, dass Karlstadt Informationen über die Ereignisse in der Reformationsstadt einholen konnte.

4. Überlieferung und Inhalt der Predigten Nach Georg Buchwalds »Luther-Kalendarium« sind insgesamt dreizehn Predigten überliefert, die Luther in Kemberg gehalten haben soll.106 Häufiger findet man in der Literatur die Erwähnung von lediglich zwölf Kemberger Predigten.107 Diese Zahl geht zurück auf die Darstellung von Rudolf Reichhardt-Rotta aus dem Jahr 1528, der vermutlich die Doppelpredigt vom 7. April 1523 als eine 104   »Zum andern, so haben wir auch vernommen, was Jhr uns Doctor Carolstats halben geschrieben […]. Solchs zeigen wir Euch gnädiger Meinung darumb an […] und wollen darauf Eur Fürbitt nach beschehen lassen, daß er sich gein Kembergk wenden moge, welchs Jhr ihme auch von unserntwegen also anzeigen moget. Wir begehrn aber, Jhr wollet den Probst zu Kembergk und andern, den Jhr darzu dienstlich achtet, anzeigen und befehlen, auf des Manns Wesen und Handlung, auch was vor Leute zu ihme kommen werden, gut Achtung zu haben« (WA B 4; Nr. 1054, 137,29–51). 105   Vgl. Luthers Brief an Karlstadt vom 29. Januar 1528, WA B 4; Nr. 1214, 361–363, vgl. ferner Luthers Brief an Nikolaus von Amsdorf vom 8. Juni 1528, Nr. 1279, 474,12–14: »Carolstadius meditatur discessum, est, fuit, erit manebitque Carolstadius semper«. Vgl. außerdem den Brief von Kanzler Brück an Luther Mitte September 1528, WA B 4; Nr. 1324, 56f; Luthers Antwort an Kanzler Brück vom 24. September 1528, WA B 4; Nr. 1328, 568–570 und die Supplik von Karlstadt vom 17. Mai 1528, WA B 4; Nr. 1328b, 571–573. Später, als er in Ostfriesland Zuflucht gefunden hatte, versuchte er, Luther erneut zu bewegen, ihm bei der Rückkehr nach Kursachsen zu helfen. Vgl. Brief an Nikolaus von Amsdorf vom 10. Juli 1529, WA B 5; Nr. 1445, 112; vgl. ferner den Brief an Kanzler Christian Beyer vom 18. Juli 1529, WA B 5; Nr. 1450, 118. 106  Vgl. Georg Buchwald: Luther-Kalendarium, Leipzig 21929, 4 (5. Okt. 1516, zwei Predigten), 13 (27. Dez. 1519), 30 (7. April 1523, zwei Predigten), 39 (2. April 1525), 66 (11. Juli 1529, zwei Predigten), 82 (19. Aug. 1531), 83 (15. Okt. 1531), 99 (22. Okt. 1534), 103 (20. Aug. 1535), 115 (27. Okt. 1537). Siehe hierzu auch die Tabelle nach Orten sortiert im Anhang Seite 521. 107  Vgl. Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008, 118; Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 311, Anm. 352; Vgl. ferner Reinhard Schulz: Zwölfmal predigte Martin Luther von der Kanzel der Kemberger Kirche, in: Mitteldeutsche Zeitung, Ausgabe Gräfenheinichen, Bd. 4, 1993, Nr. 209, 211, 214, 219, 220, 226, 229, 235, 241, 243, 246.

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Predigt zählte.108 Darüber hinaus berichtet der Reformator selbst von einer Predigt, die er am 8. Januar 1520 gehalten haben muss, von deren Inhalt man allerdings keine Kenntnis mehr hat.109 Die Einzelentscheidungen, die zu einer Verortung der Predigten nach Kemberg geführt haben, sind jedoch kritisch zu hinterfragen. Im Folgenden wird eine erneute Überprüfung der Überlieferung ergeben, dass man in einigen Fällen berechtigte Zweifel an der Ortszuschreibung anmelden kann. Außerdem werden bei dieser Untersuchung einige Überlieferungszusammenhänge zutage treten, die bislang noch nicht entdeckt wurden. Schließlich will die Untersuchung über die Weimarer Ausgabe hinausgehen, indem nach der Eigenständigkeit des jeweiligen Predigtinhalts gefragt wird: Hat Luther hinsichtlich seiner Kemberger Kanzelreden auf frühere Predigten zurückgegriffen oder sind die Predigten eher speziell für die Kemberger Gemeinde konzipiert worden? Welche theologischen Grundgedanken kommen hierbei zum Vorschein, die er mit der jeweils spezifischen Situation der Gemeinde verbindet? Inwiefern reflektiert der Reformator seine eigene Situation vor den Hörern der Kemberger Gemeinde? Diese Fragen können nur beantwortet werden, wenn nicht nur überlieferungskritisch, sondern auch inhaltlich die Abhängigkeiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich zu früheren Predigten über dieselbe Perikope untersucht werden.

3.1 Die beiden vermeintlichen Predigten (5. Oktober 1516) Die ersten beiden Mitschriften stammen aus einer Reihe von Doppelpredigten, die Luther an verschiedenen Sonntagen vom 29. Juni 1516 bis zum 24. Februar 1517 in Wittenberg hielt.110 Hierbei predigte er am Vormittag zumeist über einen neutestamentlichen Text und am Nachmittag über ein Gebot aus dem Dekalog. Die Doppelpredigten sind thematisch eng miteinander verknüpft. Die erste Predigt diente zumeist als Exordium für die zweite.111 Der genaue Hergang der Überlieferung ist in der Forschung kontrovers diskutiert worden.112 108  Vgl. Rudolf Reichhardt-Rotta: Luther im Kirchenkreise Kemberg. Vortrag gehalten auf dem 2. Kirchentag zu Kemberg am 22. April 1928 (Jahresgabe für die Freunde der Geschichte der Stadt Kemberg 21) Wittenberg 1928, Nachdruck Wittenberg 2003, 5. 109   In einem Brief an Spalatin vom 14. Jan. 1520 entschuldigt sich Luther nachträglich, dass er am Sonntag zuvor nicht in Wittenberg den Gottesdienst gehalten hat, obwohl der Kurfürst anwesend war. Er habe zwar Spalatin gefragt, ob der Kurfürst zum Gottesdienst kommen würde. Da dieser jedoch unsicher war, entschloss sich Luther, nach Kemberg zu reisen, weil er bereits zuvor versprochen hatte, dort zu predigten. Vgl. WA B 1; 612,65–70. Vgl. ferner Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 74. 110   Vgl. WA 1; 87–94 und 447–460. 111  Vgl. Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 121–124. 138–140; Martin Basse (Hg.): Martin Luthers Dekalogpredigten in der Übersetzung von Sebastian Münster (AWA 10), Köln 2011, IXf. 112   Einem Brief an Johann Lang vom 4. September 1517 ist zu entnehmen, dass Luther seinem Freund eine Erklärung der Gebote zugesandt hatte: »Misi ad te […] praecepta ex me ex-

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Aufgrund der chronologischen Reihenfolge lassen sich die zwei Predigten auf den 5. Oktober 1516 datieren.113 Die Mitschriften Rörers enthalten jedoch keinen Hinweis darauf, dass Luther beide Predigten nicht wie üblich in Wittenberg, sondern in Kemberg gehalten habe. Vielmehr basiert die Verortung nach Kemberg auf der Notiz eines kurzen Briefes, den Luther am selben Tag an Johann Lang verfasst hat.114 Darin macht er die Angabe, dass er den Brief »Ex Cameraco« verfasst habe, womit Kemberg gemeint sei.115 Über den Anlass der Reise ist ansonsten nichts weiter bekannt. posita […]. Praecepta ideo tibi utraque lingua misi, ut, si quando volueris ad populum de iis praedicare (sic enim ego illa docui, ut mihi videor, ad euangelicum morem) haberes« (WA B 1; Nr. 45, 103f). Aus dieser Nachricht wurde geschlossen, dass es sich hierbei um eine Bearbeitung der Dekalogpredigten aus der Reihe von Doppelpredigten handeln könnte, weshalb man neben den ursprünglichen Predigtmanuskripten von Bearbeitungen in lateinischer und deutscher Sprache ausging (WA B 1; 103f, Anm. 3). Jedoch lassen sich Zweifel anmelden, ob es sich bei den Beigaben des Briefes tatsächlich um die besagten Dekalogpredigten in zweifacher Ausfertigung handelt, da auch andere Schriften den Dekalog betreffend damit gemeint sein könnten. So ist Theodor Brieger (Kritische Erörterungen zur neuen Luther-Ausgabe, in: ZKG 11 [1890], 101–154. hier 143f) der Auffassung, dass es sich bei den genannten »praecepta ex me exposita« eher um verschollene Drucke der ›Kurzen Erklärung der 10 Gebote‹ (WA 1; 247–256) und der ›Instructio pro confessione peccatorum‹ (WA 1; 257–265) handeln könnte. Bei dem lateinischen Manuskript wäre auch an die Predigt »Sermo contra vitium detractionis« zu denken, welche Luther am 1. Mai 1515 auf dem Ordenskapitel der deutschen Augustinerkongregation in Gotha gehalten hat, wo Lang auch zugegen war (WA 1; 19). Fest steht, dass am 20. Juli 1518 jene Dekalogpredigten bei Johannes Grünenberg in Wittenberg auf Latein unter Weglassung der neutestamentlichen Einleitungspredigten gedruckt wurden (vgl. Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo, 1518, WA 1; 394. 398–521 u. VD 16 L 4321; Benz. Luth. 27, Nr. 192). Kurz danach erscheinen weitere Drucke in Leipzig und Basel. Daher ist es fraglich, warum Luther seine Überarbeitungen aus der Hand gegeben haben soll, wenn er sie doch für den geplanten Druck gut hätte gebrauchen können. Ferner gibt es keine weiteren Hinweise auf ein deutsches Manuskript oder gar Belege für einen verschollenen Druck auf der Grundlage von Luthers Bearbeitung der deutschen Fassung aus dem Jahr 1517. Wahrscheinlicher ist von einzelnen Predigtmanuskripten auszugehen, die Luther dann zur Veröffentlichung auf Latein vollständig ausarbeitete. Eine solche handschriftliche Ausarbeitung lag noch Ernst Löscher vor, der die Dekalogpredigten und zum ersten Mal mit den neutestamentlichen Einleitungspredigten im Jahr 1720 herausgab (vgl. Valentin Ernst Löscher [Hg.]: Vollständige Reformations-Acta und Documenta, Bd. 1, Leipzig 1720, Exordien, 277–299 u. Dekalogpredigten, 577–729; die vermeintlichen Kemberger Predigten aaO., 291–293 u. 643– 659). Er selbst gibt an, dass er sich hierbei auf ein Manuskript stützt, dass er jedoch nicht wortgetreu abdrucken ließ, sondern lediglich in redaktioneller Weise gebrauchte (aaO., 728). Außerdem schreibt er über das Manuskript, dass es »oft kürzer, oft aber viel reicher ist als das [später] gedruckte, und im stylo sehr unterschieden« ist (aaO., 578). Die Weimarer Ausgabe legte für die Vormittagspredigten Löschers Fassung zugrunde. Für die Dekalogpredigten am Nachmittag wurde der Erstdruck von 1518 verwendet, bei dem die Abweichungen der Ausgabe von Löscher in den Fußnoten vermerkt wurden, um mit deren Hilfe zumindest in einigen Fällen auf das handschriftliche Manuskript schließen zu können (vgl. WA 1; 398–522). 113  Vgl. Erich Vogelsang: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 50 (1931), 112–145, hier 121–124. 138–140. 114   Vgl. WA B 1; Nr. 24, 61–62. 115   WA B 1; Nr. 24, 62,38.

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Drittes Kapitel

Aus dem Befund wurde der Schluss gezogen, dass Luther die Predigten, die auf den 5. Oktober datiert sind, von Wittenberg nach Kemberg verlegt habe. Diese Vermutung ist jedoch zu hinterfragen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er wie gewohnt in Wittenberg gepredigt hat und anschließend am späten Nachmittag oder frühen Abend nach Kemberg reiste. Dort angekommen verfasste er dann noch am Abend die wenigen Zeilen des Briefes. Für diesen Verlauf spricht ferner, dass jene Predigtreihe ansonsten ausnahmslos in Wittenberg gehalten wurde. Außerdem gibt es auch keine textinternen Hinweise, die für eine Verortung nach Kemberg sprechen würden. Denn es wäre zu vermuten, dass Luther, wenn er gedachte, jene Reihe in Kemberg weiterzuführen, sie mit einigen erläuternden Sätzen eingeleitet hätte. Jedoch knüpft die Vormittagspredigt nahtlos an die vorhergehende an.116 Schließlich ist es unwahrscheinlich, dass Rörer als Mitschreiber, der insbesondere die Predigtorte außerhalb von Wittenberg in der Regel extra vermerkte, in diesem Fall auf eine Ortsangabe verzichtet haben sollte. Aufgrund dieser Erwägungen liegt der Schluss nahe, dass Luther beide Predigten vom 5. Oktober 1516 nicht in Kemberg, sondern in Wittenberg gehalten hat.

3.2 Luthers Verständnis der christlichen Nachfolge (27. Dezember 1519) Die kurze Mitschrift einer Predigt, die als Ortsangabe »in Kembergk« enthält, stammt aus einer Sammlung von eigenhändig foliirten Blättern Johann Polianders, der vom Herbst 1519 bis Sommer 1520 in Wittenberg weilte.117 Dem Manuskript ist zu entnehmen, dass Luther die Predigt am Tag des Johannes, also am Dienstag, dem 27. Dezember 1519, hielt.118 Luther konzentriert sich auf das Bibelwort »Folge du mir« (Joh. 21, 18. 22), welches im Kontext der dreimaligen 116   In der ersten Predigt (WA 1; 87–94) legt Luther die Perikope über die Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten aus (Joh. 4, 46–53). Anhand des Textes unterscheidet er drei Grade des Glaubens: den anfänglichen Glauben (fides incipiens), der durch Wunder und Zeichen entsteht, den zunehmenden Glauben (fides proficiens) , wenn der Mensch dem bloßen Wort glaubt, und den vollkommenen Glauben (fides perfecta), welcher unabhängig von Worten und Werken ist. Jene Fortentwicklung vom äußeren zum inneren Charakter des Glaubens findet ihre Konkretion in der Elternverehrung. Darin besteht der Bezug zur Predigt über das vierte Gebot (WA 1; 447–460). Denn für Luther reicht eine äußere Ehrerbietung gegenüber den Eltern nicht aus. Vielmehr solle man die Eltern in geistlicher Weise mit Herzenshingabe ehren. 117   Vgl. WA 9; Nr. 24, 443,3f: »[…] sermonem accommodavit auditoribus popularibus in Kembergk«. Vgl. ferner WA 9; 314–328, hier 316. 324. Die Originalhandschrift Polianders, die in der Stadtbibliothek Königsberg (Signatur: S. 22 Quart) aufbewahrt wurde, wird seit 1945 vermisst. Zum Codex Poliander vgl. ferner Susanne bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 91–97; Paul Tschackert: Unbekannte handschriftliche Predigten und Scholien Martin Luthers, Berlin 1888, 6. 67; Ders.: »Wer hat die Königsberger Lutherpredigten Polianders ursprünglich nachgeschrieben?«, in: ZKWL 10 (1889), 307–357. 118   »In die Iohannes« (WA 9; 443,2).

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Anfrage Jesu an Petrus, ob er ihn lieb habe, zweimal fällt. Was die Herausgeber der Weimarer Ausgabe nicht berücksichtigt haben, ist die berechtigte Vermutung, dass jene Predigt wohl teilweise als Vorlage für die 1522 erschienene Wartburgpostille bzw. Weihnachtspostille diente.119 Im Vergleich beider Überlieferungen, der Kemberger Predigt und der Postille, lassen sich zahlreiche Übereinstimmungen feststellen. Beide Predigten handeln über das gleiche Thema. Luther entfaltet seine Auffassungen von der rechten Nachfolge des Christen. Sie bestehe in der Ausübung der standesgemäßen Pflichten.120 Er kritisiert hierbei die Leute, die sich die herausgehobenen Taten der Heiligen zum Vorbild nähmen und aus diesem Grund auf Wallfahrten gingen. Stattdessen sei es richtiger, seine alltäglichen Aufgaben je nach Stand zu erfüllen.121 Pilgern, Messe lesen oder andere äußerliche Werke führten dazu, den Dienst am Nächsten zu vernachlässigen. Doch allein die Taten der Nächstenliebe machten den rechten Gottesdienst aus.122 Soweit zu den Grundgedanken, in denen die Kemberger Predigt mit der Postille übereinstimmt. Was in der Kemberger Predigt im Vergleich zur ausgearbeiteten Postille fehlt, sind die Ausführungen über die Bedeutung des Johannesjüngers im zweiten Hauptteil der Postille.123 Gleichwohl ergibt der Vergleich, 119   Vgl. WA 10 I.1; 305–324. Auf diese Verbindung weist Gustav Bossert hin. Vgl. Ders.: Die Entstehung von Luthers Wartburgpostille, in: ThStKr 2 (1897), 271–378, hier 303. Vgl. ferner Sören Widmann: Von der Wartburgpostille bis zum Septembertestament 1522. Luther als Übersetzer des Neuen Testaments, Beobachtungen zu seiner Methode unter Einbeziehung von Glossenmaterial der Stuttgarter Vulgata 1519 (VB 21), Berlin 1999, 61–93; Ders.: Die Wartburgpostille. Untersuchungen zu ihrer Entstehung und zu Luthers Umgang mit dem Text, 2 Bde, Diss. Tübingen 1968. 120   Die Kemberger Predigt lässt sich in zwei Abschnitte gliedern. Zunächst thematisiert Luther die rechte Berufung des Christen (WA 9; 443,2–23) und geht dann dazu über, die Gefahren bei der Vernachlässigung jener Berufung zu erörtern (WA 9; 443,23–35). 121   »[…] ubi docuit cuiquam in sua vocatione deo militandum et sedulo serviendum« (WA 9; 443,6). »Aber eyn trefflich und mercklich lere hatt er uns hyrynn geben, umb wilcher willen auch Christus mitt solchenn wortten hatt abeweyßet, und ist die: Unangesehen aller heyligen exempell unnd leben soll eyn iglicher wartten, was yhm befolhen ist, unnd warnhemen seynis beruffis« (WA 10. I.1, 306,15–18). »[…] sic maritus uxori et liberis, servus domino, Magistratus civibus« (WA 9; 443,7) . »Szo mochstu sprechen: Wie aber, wenn ich nit beruffen bynn, was soll ich denne thun? Anttwortt: wie ists muglich, das du nit beruffen seyest? du wirst yhe ynn eynem stand seyn, du bist yhe eyn ehlich man odder weyb odder kind odder tochter odder knecht odder magt« (WA 10. I.1, 308,6–9). 122 »Modo si quis legitimum sue vocationis opus diligenter et sedulo atque ex animo curaverit, deo in hoc obediens et proximo serviens, is quasi iactis fundamentis ei per hoc comparata substantia bonae vitae, quicquid preterea facit operum humane electionis seu inventionis, omnia bona sunt et in bonum cooperantur, ut ieiunare, peregrinari, rosaria et psalteria legere, missas redimere, cereolos accendere, templa ornare et similia« (WA 9; 443,18–23). »Darumb ists keyn tzweyffell, das alleyn des ergisten teuffells getrieb sey, das man gottisdienst nur auff kirchen, alltar, meß, singen, leßen, opffer unnd dergleychen gespannen hatt, als weren alle andere werck vorgebens oder gar keyn nutz« (WA 10. I.1, 311,21–312,3). 123   Der erste Hauptteil über die Berufung gliedert sich zudem deutlicher in zwei Gedankenkreise. Der erste konzentriert sich darauf, die eigene Berufung nicht in falschen Vorbil-

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dass zumindest der erste Hauptteil sowie der Skopus der Postille auf die Kemberger Predigt zurückgeht.124 Wie Christoph Burger in seiner Analyse der Postillenpredigt hervorhebt, besteht die Bedeutung jener Predigt darin, dass in ihr Luthers Verständnis der Nachfolge präzise entfaltet wird. Genau dies aber trifft uneingeschränkt auch bereits auf die Kemberger Predigt vom Dezember 1519 zu.125

3.3 Evangelium, Buße, Vergebung, Messe und die Nimbscher Nonnenflucht (7. April 1523, Vor- und Nachmittag) Eine verlässlichere Überlieferung liegt hinsichtlich der Doppelpredigt vom Dienstag nach Ostern, dem 7. April 1523 vor.126 In dieser Predigt wird das Erscheinen Jesu vor den Jüngern in Jerusalem ausgelegt (Lk. 24, 36–49). In seiner Mitschrift gibt Rörer für die erste Predigt explizit den Ort Kemberg an.127 Bei der zweiten Predigt, die am Nachmittag (»post Prandium«) gehalten wurde,128 enthält zumindest ein späteres Predigtverzeichnis die Angabe des Ortes.129 Vera Christina Papst hat den Versuch unternommen, die Verbindung zwischen beidern bzw. äußeren Taten zu suchen (WA 10 I.1; 306,15–313,9). Im zweiten Gedankenkreis (»Die ander lere auß dißem Euangelio«) geht es darum, seine eigene Berufung nicht mit der anderer zu vergleichen (WA 10 I.1; 313,10–318,6). Danach setzt der zweite Hauptteil ein, in dem es um die Beschreibung des Lieblingsjüngers geht. Luther beschreibt ihn durch vier Kennzeichen. Demnach sei Johannes derjenige Jünger, den erstens Christus lieb hatte, der zweitens an der Brust Christi liegen durfte, drittens den rechten Glauben besaß und viertens beim Abendmahl Jesus fragte, wer den Verrat ausüben werde (WA 10 I.1; 318,7–324,11). 124   Daneben existiert eine Predigt in Roths Festpostille über Joh. 21, 19–24 (WA 17 II; Nr. 14, 345), deren Vorlage in der WA als »nicht nachzuweisen« angegeben wird. Hier könnte auch die Kemberger Predigt zumindest als Teilvorlage eine Rolle gespielt haben (WA 17 II; 518f). Denn auffällig ist, dass auch die Postille sogleich mit der Aufforderung »Folge du mir« (vgl. Joh. 21, 22) beginnt und sich dann auf die Ausübung der Berufspflichten gemäß des eigenen Standes konzentriert (WA 17 II; 346,15–19). Vgl. ebenso die Predigt über das gesamte 21. Kapitel des Johannesevangeliums vom Ostermittwoch am 20. April 1530, in der Luther in auffälliger Weise entgegen der Reihenfolge der Perikope zuerst das Fischeramt Petri und die Aufforderung der Nachfolge und dann erst die Auferstehung thematisiert (WA 32; Nr. 10, 66–76). 125  So lautet das Urteil von Christoph Burger über die Weihnachtspostille (WA 10 I.1; 305–324), das auch für die Kemberger Predigt gilt, wobei er zudem darauf hinweist, dass das Verständnis von Nachfolge auch 1520 in Luthers Schrift ›Von den guten Werken‹ entfaltet wird. Vgl. Ders.: Tradition und Neubeginn. Martin Luther in seinen frühen Jahren (SMHR 79), Tübingen 2014, 89–92, hier 90. 126   Vgl. WA 11; 87–91. 92–94. 127   »Die martis in feriis paschalibus in Kemberg« (WA 11; 87,21). 128   Die Angabe »Post prandium«, mit der die zweite Predigt überschrieben ist (WA 11; 92,1), diente zur Bezeichnung der Hauptmahlzeit am Mittag mit nachfolgender Mittagsruhe. 129   Bei den Mitschriften Rörers und im Predigtverzeichnis A und B fehlt die Ortsbezeichnung. Doch das Predigtverzeichnis C (WStA, Aktenstück 6, Nr. 777, alte Bezeichnung Reg. 6. pag. 311–317. GG. 4 des Sächs. Ernestinischen Gesamtarchivs zu Weimar) gibt den Ort Kemberg explizit an (vgl. WA 11; IL; WA 10, XI).

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den Predigten damit zu begründen, dass die ersten Zeilen der Nachmittagspredigt eine Art Rückblick auf den Inhalt der Predigt vom Vormittag enthalten.130 Doch dies leuchtet bei genauerem Hinsehen nicht ein. Vielmehr handelt es sich nicht um einen Rückblick, sondern um einen Vorausblick, bei dem kurz das Thema der nachfolgenden Auslegung benannt wird.131 Ungeachtet dessen kann man inhaltlich von einem engen Zusammenhang ausgehen, der beide Predigten miteinander verbindet.132 Zum einen verweist die zweite Predigt mehrere Male direkt auf die erste,133 zum anderen führt Luther die Auslegung des am Vormittag behandelten Perikopentextes fort.134 Jedoch allein die Vormittagspredigt hat eine weitere Überlieferung erfahren. Sie wurde in der Predigtsammlung ›Ordenung vnd Bericht‹ im Jahr 1523 veröffentlicht.135 Mit einer kurzen vorangestellten Zusammenfassung und einigen Veränderungen fand sie schließlich Eingang in die von Stephan Roth bearbeiteten Sommerpostille von 1526136 und die von Kaspar Cruciger zusammengestellte Sommerpostille von 1544.137 130  Vgl. Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 310. Ihr im Urteil gefolgt ist Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008, 57, Anm. 88. 131   Die Einleitung beginnt nicht mit einem Perfekt »audivimus«, sondern dem Präsens »audimus«: »Liebe Freunde, heute hören wir, dass im Namen Christi wegen Reue und Vergebung von Sünden gepriesen werden sollte und dass das so zu verstehen ist, dass ohne unsere Werke die Vergebung für die Sünden geschieht; aber durch Christus, wenn wir an ihn glauben« (WA 11; 92,2–4). Genau dieses Thema, Vergebung der Sünden durch den Glauben und nicht durch Taten, die im einzelnen konkretisiert werden, wie Pilgerfahrten, Stiften von Messen und Keuschheit, wird dann in den nachfolgenden Zeilen entfaltet. 132   Gegen Paul Pietsch, der behauptet, dass die Nachmittagspredigt »nur äußerlich an die vorhergehende« anknüpfe (WA 11; 92). 133   Die Bemerkungen in der Nachmittagspredigt »quia pauci Euangelium capiunt« (WA 11; 92,18) und »Qui vult Euangelio credere, oportet das er sich des ergeb, ut multi offendantur et pauci credant« (WA 11; 93,22) können als Anspielung auf den ersten Teil der Vormittagspredigt gelesen werden (WA 11; 87,24–90,25; WA 12; 506,9–513,40), in der darüber reflektiert wird, wie selbst die Jünger, die in Jerusalem um Christi trauern, nicht das Evangelium begriffen haben. In diesem Zusammenhang fällt in der Vormittagspredigt fast wortwörtlich auch die Wendung »si pauci sequuntur Euangelium« (WA 11; 88,25; WA 12; 508,28). 134   Mit der Wendung »Euangelium dicit ›In nomine meo‹« (WA 11; 92,22f) wird Lk. 26, 47 zitiert. Ebenfalls bildet Lk. 24, 46f den Hintergrund bei der Wendung: »Ita habet Euangelium ›Oportuit Christum mori et praedicari poenitentiam in nomine‹« (WA 11; 93,6f). Entgegen der Auffassung von Vera Christina Papst, die in der Nachmittagspredigt keinen Bezug auf einen bestimmten Predigttext entdeckt, ist vielmehr durch die zahlreichen Rückbezüge auf Lk. 24, 46–49 davon auszugehen, dass die Nachmittagspredigt denselben Bibeltext zur Grundlage hat. Vgl. Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 311. 135   Vgl. WA 12; 506–517; Benzing, Nr. 13 = VD L 5572, Blatt Eijr bis Giiijv. Die Sammlung enthält drei Osterpredigten des Jahres 1523, in denen Luther auf die Austeilung der Sakramente, den Umgang mit der Beichte und in Form einer katechetischen Unterweisung auf die Hauptstücke des christlichen Glaubens eingeht. 136   Vgl. WA 10 I.2, 227. Vgl. ferner die Einleitung in WA 21; IX–XII. 137   Vgl. WA 21; 238–241.

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Luther beginnt am Vormittag mit der Feststellung, dass die Gemeinde bereits an den Osterfeiertagen viel über die Auferstehung gehört habe. Dennoch sei es eine Empfehlung des Herrn, darüber ohne Unterlass weiter zu predigen.138 Die Kanzelrede ist in zwei Hauptstücke gegliedert. Der erste Teil handelt vom rechtschaffenen Hören des Evangeliums.139 Darin schildert Luther anschaulich die Situation der Jünger, die sich verängstigt in einem Raum in Jerusalem zurückgezogen haben, nachdem ihr Heiland begraben worden war.140 An jenen Jüngern, so Luther, könne man lernen, dass das Evangelium nicht bei allen, die es hören, sogleich Frucht bringe. Vielmehr nähmen nur diejenigen das Evangelium wahrhaft auf, die zuvor die Sünde und die eigene Fehlbarkeit gefühlt haben.141 Allein den Verzagten bringe das Evangelium Trost.142 Deshalb solle man dessen Kraft nicht am äußerlichen Erfolg messen.143 Denn nicht nur damals in Jerusalem, sondern auch heutzutage noch gebe es derer viele, die das Evangelium zwar hören, aber nur wenige, die es fassen.144 Das zweite Hauptstück widmet sich der Bibelstelle Lk. 24, 46–49, in der Christus die Jünger als Zeugen einsetzt.145 Ihr Zeugnis bestehe Luther zufolge darin, Buße und Vergebung zu predigen.146 Im Folgenden werden beide Begriffe genauer erläutert. Hinsichtlich der Buße unterscheidet er die wahre von der falschen. Die wahre Buße im Namen Christi sei eine Besserung,147 Die falsche Buße hingegen bestehe darin, mit eigenen Werken die selbst begangenen Sünden sühnen zu wollen.148 Da jedoch Gott dies nicht leiden könne, bestehe die rechte 138   »Opinor satis vos audisse de resurrectione Christi« (WA 11; 87,22). Vgl. ferner WA 12; 506,4–8. 139   »Primo indicatur […]« (WA 11; 87,24). Vgl. ferner WA 12; 506,9–15. 140   »Discipuli timent Iudeos et in todes far, et sunt plod et propter peccata et mortem terrentur« (WA 11; 87, 27f). Vgl. ferner WA 12; 506,16–507,1. 141   »[…] ergo nemo ad hanc venit, nisi qui sentiunt peccatum et defectum: iis qui peccatum non sentiunt, non prodest Euangelium nec sapit« (WA 11; 88,5–7). Vgl. ferner WA 12; 507,17– 22. 142   »Euangelium ergo et ressurrectio est consolatoria timidis« (WA 11; 87,29f). Vgl. ferner WA 12; 507,5–7. »Conclusio: Euangelium est praedicatio Christum resurrexisse, ut consoletur miseras conscientias in morte et afflictione, tum opus erit hac consolatione et Euangelio« (WA 11; 88,15–17). Vgl. ferner WA 12; 508,5–7. 143   »Nemo igitur mirabitur, si pauci sequuntur Euangelium« (WA 11; 88,25). Vgl. WA 12; 508,28–29. 144   »Non debet iudicari Euangelium per hos, qui audiunt, sed qui fassen« (WA 11; 88,33f). Vgl. WA 12; 509,12–15). Vgl. die Zusammenfassung des ersten Hauptstücks in WA 12; 513,16– 40. 145   »2. stuck est in fine. ›Ita resurgere a mortuis tertia die et praedicari.‹« (WA 11; 90,26). Vgl. ferner WA 12; 514,1–5. 146   »Huiusmodi Euangelium, quod annunciat remissionem peccatorum et poenitentiam, debet praedicari omnibus, capiat vel non« (WA 11; 90,27f). Vgl. ferner WA 12; 514,6–8. 147  »Poenitentia quid? heist Christus pesserung« (WA 11; 90,30). Vgl. ferner WA 12; 514,15f. 148   »[…] quae non in nomine suo est, quae venit ex operibus nostris et omnium religiosorum quae proprie est diaboli poenitentia, quia voluimus per merita nostra peccata delere« (WA 11; 90,34–36). Vgl. ferner WA 12; 515,25–29.

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Buße allein im Glauben, wodurch der Mensch Besserung erlange. Eine solche Besserung geschehe aber nicht in einem Moment, sondern dauere ein Leben lang.149 In Anspielung auf 2. Kor. 4, 16 erinnert Luther daran, dass der äußere Mensch abnehmen müsse, hingegen der innere zunehmen.150 Diese Gedanken bilden eine komprimierte Zusammenfassung seines Bußverständnisses, das er in den 95 Thesen prominent entfaltet hatte. Danach widmet sich Luther dem Begriff der Vergebung. Vergebung sei nichts anderes als das Evangelium selbst.151 Doch auch der Glaube daran bedürfe einer lebenslangen Übung. Dies wird belegt mit 2. Kor. 3, 18, wonach die Klarheit des Herrn sich in jedem Menschen widerspiegele. Denn durch den Glauben verkläre sich der Mensch fortschreitend zum Abbild Gottes. Das Evangelium, das sich im Herzen des Menschen spiegele, bleibe zwar noch bis zum Ende der Welt getrübt, werde jedoch mit der Zeit klarer und klarer, bis der Mensch am Ende der Zeiten vollständig durchklärt sei.152 Die Ausbreitung des Evangeliums wird insofern als ein Prozess der inneren Durchklärung beschrieben und auf die Eschatologie bezogen. Daran zeigt sich, mit welchem hohen theologischen Anspruch Luther seinen Zuhörern in der Kemberger Gemeinde am Vormittag begegnete. Die Nachmittagspredigt knüpft daran an, indem sie den Gedanken der Vergebung vertieft und ihn in Zusammenhang mit konkreten Reformvorschlägen zur Deutschen Messe und zur Ehe bringt.153 Zunächst grenzt Luther in Rückbezug auf Lk. 24, 47 die Sündenvergebung »in Christi Namen«, von derjenigen »in meinem Namen« ab.154 Während die wahre Vergebung im Namen Christi so verstanden werden solle, dass sie ohne eigene Werke allein durch den Glauben geschehe, führe der Versuch, durch die eigenen Werke Sündenvergebung zu er-

149   »In Christi nomine: qui credunt resurrexisse pro peccatis, ista fides gibt besserung, non durabit momentum, sed totam vitam. Vita Christiana non statim mutatur in melius, sed quamdiu vivimus,« (WA 11; 90,36–39). Vgl. ferner WA 12; 514,29–32). 150   »[…] quamdiu igitur vivimus, habemus penitentiam in nomine Iesu. ›Vetus homo corrumpitur, Internus renovatur de die in diem‹« (WA 11; 91,1f). Vgl. ferner WA 12; 515,2–5. 151   »2. Remissio in nomine praedicanda, hoc est Euangelium est praedicandum« (WA 11; 91,13). Vgl. WA 12; 515,29f. 152   »Et hoc fit usque ad finem mundi. Paulus 2. Cor. 3. ›Nos revelata facie‹ &c.. ›de claritate in‹: hoc est Christus resurrexit a mortuis und wirt uns furgestelt, ut eum cognoscamus. Hoc speculum wirt unß furgehalten per Euangelium. Cum credo, tum illa claritas exit ex eo in me. Futurum tandem est, ut veniamus in eandem claritatem« (WA 11; 91,18–22). In der Postille wird der Gedanke verstärkt, indem dort der Prozess der Klärung gleichgesetzt wird mit der täglichen Übung, die solange andauert, bis der Mensch mit Christus gleich wird. Vgl. WA 12; 516,3–15. 153   Vgl. hierzu die Interpretation von Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 310f. Vgl. ferner Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008, 56–58. 154   »[…] in nomine Christi et meo« (WA 11; 92,6f).

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langen, in die Irre. Als Beispiel nennt er die Wallfahrt zu Ehren von St. Jakob.155 Hierbei bemerkt Luther, dass er sich durchaus bewusst sei, etwas Neues zu lehren. In Analogie zum Bibeltext, in dem die Jünger zunächst auch nicht das Ostergeschehen begriffen hätten, sei es nicht verwunderlich, dass auch heutzutage zwar viele das rechte Evangelium hörten, aber nur wenige es verstünden. Sodann formuliert er in Form eines Beispieldialogs Fragen, die man denjenigen stellen könne, die noch den eigenen Taten vertrauen. Diesen Menschen sollte man mit folgenden Nachfragen begegnen: Müsstest du nicht vielmehr Gutes tun, als vermeintlich fromme Werke zu verrichten?156 Was richtest du mit deinen Taten schon aus, wenn bereits ein solch bedeutender Mensch wie Christus alles zur Genüge geleistet hat?157 Wozu eigentlich die Vielzahl der Messen?158 Bringst du mit deiner Haltung nicht zum Ausdruck, dass du nicht willst, dass Christus alles allein zu vollbringen vermag?159 In dieser Stelle deutet Luther an, wie eine evangelische Messe auszusehen habe. Man solle in ihr beide Testamente auf Deutsch lesen. Denn Bibeltexte in lateinischer Sprache zu lesen, die von der Gemeinde nicht verstanden werden, habe dazu geführt, dass die Bibel geheim geblieben sei, obwohl sie Jahrhunderte lang öffentlich verlesen wurde. Die Umstellung der Lesung auf die deutsche Bibel begründet er dabei mit Paulus’ Kritik an der Zungenrede in 1. Kor. 14. Bereits Paulus habe die unverständliche Verkündigung und die falschen Riten aufheben wollen.160 Danach geht er dazu über, Kritik am Zölibat und an den Keuschheitsgelübden zu üben. Aufgrund der direkten Anrede in der Predigt ist zu vermuten, dass Luther auch mit Ordensangehörigen unter seinen Zuhörern rechnete. Belegt ist in Kemberg beispielsweise ein Terminierhaus des Wittenberger Franziskanerklosters, wenngleich es als unsicher gilt, ob der Ableger zu diesem Zeitpunkt noch existierte.161 155   Aus der Perspektive eines Pilger schildert Luther seine Motivation, um sie sogleich zu befragen: »Se enim spero me vacuum peccatis propter transitum Iacobi, non est in nomine domini, sed non opus est, ut pluribus dicatur« (WA 11; 92,8–10). 156   »Hinc potestis respondere omnibus his qui obiiciunt nova doceri. Opus est, audistis, non convenire, ut missae celebrentur &c.. dum clamatis ›nonne debemus bona opera facere?‹« (WA 11; 92,11–13). 157   »Si [Christus] enim ipse satisfecit, et tu nihil poteris. Quid enim tu efficies, si tantus vir satisfecit? (WA 11; 92,21f). 158   »›Si quaeris, ad quid valet numerus missarum?‹« (WA 11; 92,26f). 159   »Non audis poenitentiam et remissionem peccatorum, non in tuo opere, sed meo esse, sed si niteris, dicis nihil aliud quam ›nolo, ut Christus solus faciat‹« (WA 11; 92,27–29). 160   »Bonum esset, ut loco missae vel novum vel vetus testamentum legeretur. Ita Paulus et apostoli fecerunt, postea diaboli instinctu mutatum, ut latine legeretur Euangelium et Epistola. Nunc fecimus ex hoc opus et occulte Euangelium et Epistola legitur, cum palam et germanice legi debeant, sed haec occulta sunt« (WA 11; 93,12–18). 161  Vgl. Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 314f; vgl. ferner Lucius Teichmann: Die Franziskanerklöster in Mittel- und Ostdeutschland 1223–1993, (SKBK 37) Leipzig 1995, 200.

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In der Kemberger Predigt legt Luther nun den Akzent auf die Schöpfungsgemäßheit der christlichen Ehe. Hierbei verweist er auf den Schöpfungsauftrag des Menschen aus Gen. 1, 28: »Seid fruchtbar und mehret euch«.162 Wie ein Baum Früchte trage, so sei es die Veranlagung der Frau, Kinder zu gebären. Deswegen stehe die Schöpfung Gottes gegen bzw. über allen Gelübden und Regeln von Orden. Denn einer Nonne sei es aufgrund ihres Keuschheitsgelübdes unmöglich, dem Schöpfungsauftrag nachzukommen, fruchtbar zu sein und sich zu mehren.163 Jene schöpfungstheologische Kritik an der Keuschheit hat Luther bereits in seinem Gutachten »De votis monasticis iudicium« vom November 1521 entfaltet. Dort macht er im Abschnitt über die Vernunftgründe ebenso mit Verweis auf Gen. 1, 28 deutlich, dass es gegen die göttliche Naturordnung sei, in Ehelosigkeit zu leben.164 In diesem Zusammenhang erörtert Luther auch den Fall einer Scheidung. Diese akzeptiere er nur dann, wenn die Menschen nicht dem Christenstand angehörten. Unter Christen hingegen sollte es keine Trennung zwischen Mann und Frau geben, es sei denn aufgrund eines offensichtlich bekannt gewordenen Ehebruchs.165 Wenn beispielsweise eine Frau ihren Mann und ihren Heimatort verlasse, auch selbst nach einigen Jahren nicht zurückkehre, und zudem es dem Mann schwerfalle, sich zu enthalten, dann sei es richtig, dass er sich eine neue Frau suche.166 In bestimmten Fällen hinsichtlich des Bruchs der Keuschheit dürfe man sich auch nicht vor einem Skandal fürchten, der in der Menge entstehen könnte; denn es sei wichtiger, ein wankendes Gewissen zu befreien.167 Wohl nicht ohne Grund kritisiert Luther hier die Skandalisierung des Bruchs mit der Keuschheit. Denn vermutlich genau an diesem Tag trafen neun der 162   »Deus facit, ut copulentur duo. Operi dei non resistendum […]. Non est igitur in manu dei mulierem virum non habere, quod mulier parit filios, et naturale est ut arbori fructus ferre […]. Monialis non potest non esse mulier, igitur sui non compos est, eciam deus dicit ›Crescite et multiplicamini‹« (WA 11; 93,23–29). 163   Luther zieht schließlich das Fazit: Wenn ein Mensch merke, dass die Schöpfung bei ihm in Sachen Keuschheit eine Ausnahme gemacht habe, dann soll er im Stande des Zölibats bleiben; wenn nicht, könne er in dieser Hinsicht auf alle Regeln und Vorschriften des Papstes verzichten: »Si sentis te non esse außzogen, mane in vocatione tua. Sin non, dic ›deus meus et eius praeceptum est super omnia vota et Papae instituta‹ et illud fac ut habeas mulierem« (WA 11; 93,37–39). 164   Vgl. WA 8; 564. 573–669, hier 631,11–15: »Hac ratione docebis nos omnes coelibatum vovere et postea orare, ne sit impossibilis, ac per hoc illud statutum divinum naturae ›Crescite et multiplicamini‹ coges deum mutato suo verbo, quo creavit omnia, revocare. Stulta et puerilia sunt ista«. 165   »Ubi Christiani non sunt, velim haec lex servaretur, ut dirimerentur vir et mulier, sed inter Christianos non vult Christus, ut dirimantur huismodi, nisi causa stupri, quod admittit (WA 11; 94,8–10). 166   »Si mulier abit et non revertitur post aliquot annos, et ille vir est et tamen continere se non potest &c.. num iniuste facit, si vir alteram ducit? Imo hoc faciendum« (WA 11; 94,19–21). 167  »In causis necessariis scandalum non curandum, sed conscientia infirma liberanda« (WA 11; 94,24f).

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zwölf Nonnen in Wittenberg ein,168 die in der Osternacht vom 4. zum 5. April aus dem Zisterzienserinnenkloster Marienthron (Nimbschen) bei Grimma geflohen waren, um dort Zuflucht zu finden, darunter auch Luthers spätere Frau Katharina von Bora.169 Denkbar ist, dass sich die Gerüchte über die Flucht bereits bis zur Kemberger Gemeinde verbreitet haben oder dass die Nonnen sogar selbst über Kemberg nach Wittenberg gereist sind und sie deswegen dort bereits gesehen wurden. Vielleicht ist auch von Wittenberg aus die bevorstehende Ankunft der Nonnen nach Kemberg gemeldet worden.170 Wie auch immer es gewesen sein mag, Luther hat wohl bereits am Wochenende von der Flucht Kenntnis gehabt. Denn seine Bemerkung, dass in bestimmten Fällen der Skandal nicht zu fürchten sei, wenn es um die Befreiung von Gewissen gehe, kann als Anspielung auf die Flucht der Nonnen aus Nimbschen gelesen werden. Das Ereignis als solches ist brisant, da im Fall einer Beihilfe zur Klosterflucht nach weltlichem und geistlichem Recht schwere Strafen bis hin zur Todesstrafe drohten.171 Deshalb widmete Luther drei Tage später dem angesehenen Torgauer Ratsherren Leonhard Koppe, der Hauptorganisator der Flucht war, einen offenen Sendbrief mit dem Titel »Ursach und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen«.172 Darin fasst er seine Argumente gegen den weiblichen Ordensstand zusammen und entfaltet insbesondere mit schöpfungstheologischen Argumenten, warum das keusche Nonnenleben der 168   Im Brief vom 8. April 1523 an Wenzeslaus Linck in Altenburg berichtet Luther, dass er gestern die Nonnen empfangen habe: »Ego heri ex Nimpschen monasterio novem moniales ex captivitate accepi, inter quas ambae Zessavienses [oder Zessatienses] et Staupitia« (WA B 3; Nr. 599, 53,7f). Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass Luther noch am Abend des 7. April wieder von Kemberg nach Wittenberg gereist ist. Vgl. ferner Martin Treu, der allerdings ohne Angabe von Belegen die Ankunft der Nonnen in Wittenberg auf den 9. April datiert: Ders.: Das Leben der Katharina von Bora – eine biografische Skizze, in: Ders. (Hg.): Katharina von Bora, die Lutherin. Aufsätze anläßlich ihres 500. Geburtstages (Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Katalog 5), Wittenberg 1999, 12f; vgl. ferner Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 316, Anm. 4. 169   Über die Flucht informiert Luthers Brief an Spalatin vom 10. April 1523 (WA B 3; Nr. 600, 54f). Vgl. Antje Rüttgardt: Klosteraustritte in der frühen Reformation. Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524 (QFRG 79), Gütersloh 2007, 14. 21. 256; Anne-Katrin Köhler: Geschichte des Klosters Nimbschen. Von der Gründung 1243 bis zu seinem Ende 1536/1542 (AKThG 7), Leipzig 2003. Zur Forschung über Katharina von Bora vgl. die profunde Studie von Sabine Kramer: Katharina von Bora in den schriftlichen Zeugnissen ihrer Zeit (LStRLO 21), Leipzig 22017, vgl. ebenfalls den Literaturbericht von Ders.: Katharina von Bora – »Eine Frau mit deutlichem Profil und eigener Kraft und Würde«. Literatur anläßlich ihres 500. Geburtstages, in: HerChr 24 (2000), 53–74. 170   Diese drei Fälle erwägt Vera Christina Pabst: »... quia non habeo aptiora exempla«, Diss. Hamburg 2005, 315f. 171  Vgl. aaO., 318. Zum Forschungsstand hinsichtlich der Klosteraustritte vgl. Antje Rüttgardt: Klosteraustritte in der frühen Reformation: Studien zu Flugschriften der Jahre 1522 bis 1524 (QFRG 79), Heidelberg 2007, 13–17. 172   Vgl. WA 11; 381. 394–401.

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göttlichen Aufgabe der Frau widerspreche. Denn diese bestehe darin, eine Ehe zu führen, Kinder zu gebären und sie zu erziehen. Fast wörtlich tauchen dort die Gedanken auf, die Luther bereits in der Kemberger Predigt dargelegt hat.173 Insofern ist die Kemberger Predigt eine wichtige Vorstufe zum ›Sendbrief‹ und ist zu berücksichtigen, will man die Entwicklung von Luthers Kritik am Klosterleben nachzeichnen.

3.4 Leben und Lehre Jesu (2. April 1525) Nach den Angaben Rörers wurde eine weitere Predigt am Sonntag Judika, dem 2. April 1525, über Joh. 8, 46–59 in Kemberg gehalten.174 Über die Reise ist weiter nichts bekannt, als dass es sich wohl um einen Kurzaufenthalt handelte, da Luther am Tag zuvor und am Tag danach Briefe von Wittenberg aus verfasste.175 Vergleicht man die Mitschriften mit den anderen Predigten zum Sonntag Judica aus den Jahren zuvor,176 zu denen auch eine einzelne in Nürnberg gedruckte Predigt vom 6. April 1522 zählt,177 so erkennt man einen ähnlich wiederkehrenden Aufbau. Das Grundgerüst wird von der doppelten Frage abgeleitet, die Jesus im Streitgespräch mit den Juden um seine Ehre in Joh. 8, 46 stellt: »Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? So ich aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?«. Anhand jener Fragen entfaltet er zwei Gedankengänge, die miteinander verschlungen sind. Der erste Gedankengang bezieht sich im Bibeltext auf die Mahnung der Juden, in rechter Weise zu glauben. Die Nachfrage Jesu, ob die Juden ihn einer Sünde bezichtigen könnten, nimmt Luther zum Anlass, die Tadellosigkeit des Lebens Jesu herauszustellen. Der zweite Gedankengang hingegen würdigt ausgehend von der Frage Jesu, warum man ihm nicht glaube, die Wahrheit seiner Lehre.178 Insofern ist die Predigt eine knappe Ausdeutung des Lebens und der Lehre Jesu Christi.

173   Vgl. »Denn eyn weybs bild ist nicht geschaffen, jungfraw tzu seyn, sondern kinder zu tragen wie Gen. 1. Gott sprach nicht alleyne tzu Adam, sondern auch zu Heva ›seyt fruchtbar und mehret euch‹« (WA 11; 398,4–6). 174   Vgl. WA 17 I; 167–170. 175   Vgl. Luthers Brief vom 1. April an die Innung der Goldschmiede in Nürnberg, WA B 3; Nr. 851, 467f und Luthers Brief vom 3. April an Georg Spalatin, WA B 3; Nr. 853, 468f. 176   Vgl. Predigt im Jahr 1514 oder 1516 (WA 4; 614–616), vom 17. März 1521 (WA 9; 616– 622), vom 6. April 1522 (WA 12; 453–457; WA 10, LXXXVI; WA 11; 5), 22. März 1523 (WA 11; 67–70), 13. März 1524 (WA 15; 471–476). Vgl. ferner das Predigtregister in WA 22; LXIX, in dem irrtümlich statt Joh. 8 »Joh. 18« angegeben wird. 177   Vgl. WA 12; 453–457; VD L 6082 = Benzing, Nr. 1749. 178   Die Kemberger Predigt vom 2. April 1525 beginnt sofort ohne Einleitung mit der Angabe der Gliederung: »In 2. partiemur Euangelium. 1. tantum monet Iudaeos, ut credant, 2. quid credant, docet. 1. dicit se culpa vacare, 2. se vera docere« (WA 17 I, 167,12f). Im Anschluss daran wird der erste Teil entfaltet. Der zweite Teil beginnt dann mit den Worten: »Deinde loquitur de sua doctrina dicens« (WA 17 I, 168,7f).

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Die Kemberger Predigt stellt jedoch mit diesen Gedanken keine völlig neue Auslegung des Bibeltextes dar. Mit Ausnahme seiner ersten Judika-Predigt aus dem Jahr 1516 oder 1517, die sich dem Verhältnis zwischen Glaube und natürlicher Erkenntnis widmet,179 prägen beide genannten Gedankenreihen in den folgenden Predigten ab dem 17. März 1521 das Grundgerüst seiner Kanzelreden.180 Eigentümlichkeiten, die auf die Kemberger Situation Bezug nehmen, lassen sich in dieser Predigt nicht erkennen. Allenfalls hinter der Polemik gegen die »Pseudopropheten« und seinem Gedanken, dass die Ruhmsucht die Mutter aller Häresien sei,181 lässt sich ein leises Anklingen seiner Kritik an Karlstadt erahnen, wie er sie in seiner Schrift ›Wider die himmlischen Propheten‹ entfaltet hat.182 Ungeachtet dessen ist das Ergebnis nicht minder interessant, dass Luther in diesem Fall mehr auf eine von ihm früher ausgearbeitete Predigt zurückgegriffen hat, deren Gedanken sich bis ins Jahr 1521 zurückverfolgen lassen.

179 Luther legt hier den Schwerpunkt darauf, die Gemeinde davor zu warnen, die natürliche Erkenntnis über den Glauben zu stellen: »Cuius iste scopus est: ›Summe esse periculosum fidere lumini naturae in rebus fidei asserendis« (WA 4; 614,10). 180   Dort beginnt der erste Teil mit den Worten: »Zcum ersten macht er sein person rein und sagt ›wer ist under euch der mich darff umb einer sund wegen straffen‹. Als wolt er so sagen: wenn ich were eyner, dem ir kondt sein leben taddeln und ein mackel an mir finden« (WA 9; 616,34–36). Der zweite folgt dann, wenn er schreibt: »[Z]cum Anderen. Die Ander vormanung ist ßo: ›ßo ich die warheyt predige, warumb glaubt ir mir nicht?‹« (WA 9; 617,21f). Beide Gedankengänge – allerdings weniger, um die Predigt in zwei Abschnitte einzuteilen – kehren in der Predigt vom 22. März 1523 wieder: »Hoc est primum stuck, quod faciat Christianus, ut vita eius sit inculpata et doctrina vera. Doch ist mer dran gelegen, ut doctrina sit vera, quam vita sit mala« (WA 11; 67,22–24). Wiederum eine Gliederung lässt sich in der Predigt vom 13. März 1524 erkennen. Zuerst stellt er beide Gedanken voran (»Ergo dicit Christus: propter personam non habetis occasionem, quod offendamini. 2. non potestis doctrinam reprehendere«, WA 15; 472,10f). Danach beginnt der erste Teil über die Untadeligkeit der Person Jesu (»Quid est ex deo esse?«, WA 15; 472,14), worauf der zweite Teil über die Wahrheit der Lehre folgt (»2. pars ghet die ler an«, WA 15; 473,17). In der gedruckten Predigt, gehalten am 6. April 1522, werden beide Gedankengänge kunstvoll miteinander verschlungen. Statt nacheinander, werden sie hier parallel zueinander entfaltet. Dennoch lassen sich beide Gedankenstränge eindeutig identifizieren und entlang der ganzen Predigt verfolgen. So beispielsweise, wenn Luther in Abgrenzung zu den Juden bzw. den Feinden des Glaubens schreibt: »[D]as thuen unnser widerpart stets, das sie uns zway ding zu fuegen. Zum ersten, das sie unser leben tadeln und, so sie das nit tadeln koennen, so tadeln sie das wort« (WA 12; 453,7–9). 181   »Et hoc duellum sequitur, quando coeli enarrant gloriam dei et pseudoprophetae suam querunt (neque enim aliud possunt) gloriam, quemadmodum dicitur in Iohanne: ›Quomodo potestis credere, qui gloriam ab invicem accipits?‹ Gloriae cupido est mater omnis heresis« (WA 17 I; 168,11–14). 182   Vgl. WA 18; 37. 62–125 (1. Teil), 126. 134–214 (2. Teil), hier 62,14–18. 63, 31–33. Die Schrift erschien Ende Januar, der erste Teil wurde vielleicht bereits als eigenständiger Druck in den letzten Dezembertagen des Jahres 1524 veröffentlicht. Vgl. die Einleitung zur Schrift in WA 18; 37–61, hier 43f.

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3.5 Der gemeine Kasten und der Wert des Katechismus (11. Juli 1529, Vor- und Nachmittag) Zwei Predigten vom 11. Juli 1529, dem 7. Sonntag nach Trinitatis, die eine am Vormittag über die Speisung der Viertausend (Mk. 8, 1–9), die andere am Nachmittag über das 1. Gebot in Form einer Katechismuspredigt, sind mit der Ortsangabe Kemberg im Codex Solger 13 erhalten.183 Der Anlass für den Aufenthalt Luthers ist nicht bekannt.184 Der Codex Solger 13 aus der Nürnberger Stadtbibliothek, eine Sammlung von Handschriften wohl ungefähr aus dem Jahr 1536,185 ist deshalb wertvoll, weil der Mitschreiber der Predigten sich nicht nur auf den allgemeinen Inhalt der Kanzelrede konzentriert, sondern auch die speziellen Ermahnungen an die Gemeinde und die Fürbitten mitgeschrieben hat, die beispielsweise bei Rörer überwiegend fehlen.186 Aus ihnen lassen sich Informationen zur konkreten Situation der Gemeinde gewinnen, weshalb beide Predigten in diesem Rahmen von besonderem Interesse sind. Luther beginnt mit einer Erläuterung, was ein rechter Christ sei. Denn viele rühmten sich dieses Namens, jedoch nur den wenigen, die wahrhaft glauben, gebühre dieser Titel.187 So habe es auch nur wenige gegeben, die daran glauben, dass Christus die Macht besaß, 4.000 Menschen zu speisen. Jedoch könne durch dessen Finger Korn und Brot wachsen auch dann, wenn Not und Mangel an

183   Vgl. WA 29; Nr. 53, 468–471 (Cod. Solger 13 Bl. 115v–117v) und WA 29; Nr. 54, 471–473 (Bl. 117v–118r). 184   Paul Pietsch nimmt an, dass Luther womöglich den Kurfürsten auf seiner Reise ab dem 10. Juli von Wittenberg nach Torgau bis nach Kemberg begleitete, um dort die Predigten zu halten. Vgl. WA 29; 468. 185   Der Codex war ursprünglich im Besitz des Nürnberger Geistlichen Adam Rudolf Solger (1693–1770), der 1766 seinen Bestand (6750 Drucke und 96 Handschriften) für 15.000 Gulden an die Stadtbibliothek Nürnberg verkaufte (vgl. Renate Jürgensen: Norimberga Literata, in: Klaus Garber (Hg.): Stadt und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit, Bd. 1, Tübingen 1998, 425–490, hier 473, Anm. 328; WA 27; XVII–XVIII. XX– XXII; WA 14; 323). Die Solgersche Bibliothek lässt sich erschließen durch einen dreibändigen Katalog: Adam Rudolf Solger (Hg.): Bibliotheca Sive Svpellex Librorvm Impressorvm, In Omni Genere Scientiarvm Maximam Partem Rarissimorvm, Et Codicvm Manvscriptorvm […], 3 Bde, Norimbergae 1760–1761. Der Codex ist als Sammlung von Friedrich Mykonius ursprünglich aus der Bibliothek von Johannes Aurifaber stammend unter der Nummer 13 aufgeführt im Bd. 1, 1760, 240. 186  Vgl. Georg Buchwald: Luthers Exhortationes post concionem. Ein noch unbeachtetes Stück seiner Kanzelthätigkeit, in: ThStKr 72 (1899), 118–135; Ders.: Die letzten Wittenberger Katechismuspredigten vor dem Erscheinen des kleinen Katechismus Luthers, in: Otto Albrecht (Hg.): Beiträge zur Reformationsgeschichte, FS Julius Köstlin, Gotha 1896, 49–59; Ders.: Die Entstehung der Katechismen Luthers und die Grundlage des großen Katechismus, Leipzig 1894, IX. Vgl. ferner Bernhard Klaus: Veit Dietrich. Leben und Werk (EKGB 32), Nürnberg 1958, 100. 187   »Nam plures gloriantur nominis Christiani, nullius fidei. Eyn rechter Christ sol gar und gancz rundt an got hangen, alle ßeyne sorge uff yhn werffen eciam pro iumentis (WA 29; 468,6–8).

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Geld aufgrund von Ernteausfällen herrschten.188 Mit dieser Bemerkung und Übertragung auf die Gegenwart spielt Luther auf konkrete Ereignisse in Kemberg an. Zu bedenken ist, dass es in den Jahren 1527 bis 1529 starke Regenfälle gab, die dazu führten, dass in Mitteldeutschland und Mitteleuropa eine allgemeine Getreideknappheit entstand. Die Folge davon war, dass die Lebensmittelpreise merklich anstiegen und es deswegen auch zu Hungersnöten kam.189 Insofern verknüpft Luther hier den Glauben an die Macht Gottes in konkreter Weise mit den Sorgen und Nöten, die in der Kemberger Gemeinde vorhanden waren. Luther spitzt die Botschaft des Speisungswunders dahingehend zu, dass für alles Lebensnotwendige durch Christus gesorgt sei, wenn man nur an ihn glaube.190 Damit geht er auf einen möglichen Einwand der Gemeinde ein. Denn ihm zufolge waren viele aus Kemberg der Meinung, dass sie sich ärmer fühlten als noch unter der Herrschaft des Papstes.191 Auffällig ist, dass Luther dieser Haltung nicht gänzlich widerspricht. Vielmehr räumt er indirekt ein, dass für viele die Lage momentan tatsächlich nicht günstig sei und Mangel (penuria) und Hunger (fames) herrschen würden.192 Deswegen gibt er drei Erklärungsversuche zur Deutung der Not. Erstens könnte die Situation entstanden sein, weil Gott die Menschen versuchen will.193 Er hebt allerdings hervor, dass es sich dann nur um vorübergehende Drangsale handeln könne. Denn auch beim Speisungswunder sah es zunächst so aus, als wollte alles »zerrinnen«.194 Zweitens könne die Not auch eine Vorgehensweise des Satans sein, der die Frommen dazu bringen wolle, vom Glauben abzufallen. Deshalb ermunterte er die Gemeinde, sich umso mehr um das Wort zu bemühen.195 Drittens könne die Ursa  »Hie ist eyn wunderlicher ackerboden und kornhaus. Aus Christi und seyner fynger note wechset korn und brot. Ibi in necessitate annonae et pecuniae Christi digiti fiunt ager et horreum« (WA 29; 486,14–16). 189  Vgl. Georg Sticker: Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 1, Teil 1: Die Pest. Gießen 1908, 90. Allgemein zur Geschichte des Klimas vgl. Franz Mauelshagen: Klimageschichte der Neuzeit 1500–1900, Darmstadt 2010, hier 63–76; Christian Pfister: Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen (1496– 1995), Bern 1999, 66f. 190   »Summa huius Euangelii: Dw solst alles gnug haben, bistw eyn Christ, eciam si ex digitis Christi omnia oriri deberent. Omnis annonae charitas, fames, bella, Muncze, haec omnia sunt praemia nostrae incredulitatis. Pius autem eciam in diebus famis non peribit« (WA 29; 469,8–11). 191   »Dicet aliquis: Nos pauperiores Euangelii temporis sumus quam olim sub Papa« (WA 29; 469,29f). 192   »Ideo in penuria allicimur […]. Ideo adveniente penuria et fame ita dic: Jch weys, das es nicht des Euangelii schult sey« (WA 29; 470,11–14). 193   »Got wyll uns alßo versuchen« (WA 29; 470,5f). 194   »In textu est ›Nec habent quod manducent‹. Es lest sich ansehen, als wolde als zurynnen« (WA 29; 469,32f). 195   »Secundo scito Sathanae stratagema esse, ut nobis imponat, ut a fide in avariciam cadamus acciditque impio […]. Et ego vobis pronuncio: si non studueritis verbo dei et credideritis, accidet super vos fames aut bellum« (WA 29; 470,16–20). 188

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che auch darin liegen, dass die Kemberger der falschen Haltung verfallen seien, keine Abgaben mehr geben zu wollen.196 Er erinnert in diesem Zusammenhang daran, welchen finanziellen Aufwand die Gemeinde bis vor kurzem Jahr für Jahr betreiben musste, um den Forderungen der Papstkirche entgegenzukommen. Einst seien die Kemberger Bürger den Fristen und Abgaben von Halsabschneidern unterworfen gewesen. Da sie aber jetzt davon befreit seien, müssten sie eigentlich umso mehr helfen.197 Heutzutage gebe jedoch niemand auch nur irgendetwas.198 Mit der Erinnerung an frühere Zustände kann Luther noch die Bittschrift vor Augen haben, die der Kemberger Stadtrat an den Kurfürsten gerichtet hatte. Zeugnis davon gibt ein Brief Luthers vom 31. Dezember 1519 an Spalatin, worin er dessen Anliegen unterstützt. In der Bittschrift beklagen sich die Kemberger beim Fürsten über die ungerechte Zinslast.199 Luther bringt hierbei gegenüber Spalatin zum Ausdruck, dass, wenn auch der Fürst die Situation nicht mit einem Mal oder mit Gewalt ändern könne, da er gar nicht der rechte Ansprechpartner für dieses Problem sei, 200 so könne er aber wenigstens zum Ausdruck bringen, dass er auf der Seite der Stadt stehe: 201 »Denn das Volk wird dort auf das Elendste ausgesogen durch den allerärgsten Wucher«.202 Hierbei bedauert es Luther, dass durch diese unfrommen Räubereien auch Priesterstellen, der gottesdienstliche Kult und die Bruderschaften erhalten würden.203 An dieser Stelle wird Luther noch konkreter, wenn er Kritik am Umgang mit dem gemeinen Kasten übt. Er wirft den Kembergern vor, dass sie niemandem mehr etwas geben würden, aber erwarten, dass alles daraus bezahlt werde.204 Neben seinen Bemühungen um die Leisniger Kastenordnung im Jahr 1523 war Luther auch bei der Einrichtung des gemeinen Kastens in Kemberg beteiligt.205 196   »Tercio […] Wyr wollen nichts geben, ßo wyrdt uns nicht geben […]. Das ist die ursache ewers unglawbens« (WA 29; 470,25–31). 197   »Olim nostrae substanciae non eratis domini, sed subiectae erant terminariis et seductoribus, dem musstet yrs geben. Nunc secundum promissionem dei alio debes subvenire« (WA 29; 470,33–35). 198   »Considerate, quantos sumptus quotannis terminariis et aliis impostoribus dederitis et effuderitis. Hodie autem nemo aliquid dat« (WA 29; 470,26–28). 199   »Mittit hic Senatus Kembergensis supplicationem ad principem, Mi Spalatine, qua queritur opprimi per census iniquissimos« (WA B 1; Nr. 326, 604,4–6). 200   Vgl. Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 1, Stuttgart 1981, 340. 201   »Quod si illustriss[imus] princeps nollet toto sese negocio immergere (quod nec opus est), ut subito & vi rem mutet, saltem id impetraria adiuva, ut intelligant homines illi sese in hoc habere principis favorem & consensum« WA B 1; 604,7–9). 202   »Miserrime enim populus exugitur illic usura ista pessima« (WA B 1; 604,10f). 203   »Nam & sacerdotia & officia cultus divini tum fraternitates quasdam sacrilegis his censibus & impiis rapinis aluntur, que¸ minime omnium oportuit« (WA B 1; 604,11–13). 204   »Jr gebt niemandes nicht, yr lasts alles uber dem gemeynen kasten gehen, schliesset ewer handt zw« (WA 29; 470,31f). 205   Zu Luthers Begutachtung der Leisniger Kastenordnung aus dem Jahr 1523 (WA 12;11– 30) vgl. Christopher Spehr: Armut und Armenfürsorge im Kontext der Reformation, in:

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In einem Brief vom 24. November 1524 an Spalatin berichtet er darüber.206 Ihm zufolge wird das kleine Priesteramt nun zum größten Teil durch die materielle Unterstützung der Bürger erhalten werden. Da die römischen Messen abgeschafft worden seien, würden sich die Kemberger überlegen, die Gelder in einen gemeinen Kasten zu legen, womit sie auch das Gehalt des Schulmeisters bezahlen wollten. Er würdigt in diesem Zusammenhang das Bestreben, Schulen einzurichten.207 Dass solche Umstrukturierungsmaßnahmen umgesetzt wurden, wird ersichtlich aus den Visitationsakten vom 29. Oktober 1528, also gut ein halbes Jahr vor dieser Predigt.208 In der Kemberger Predigt stellt sich die Situation wiederum anders dar. Hier kritisiert Luther die Haltung der Gemeinde, die darin besteht, keine Hilfe mehr über die Abgaben des gemeinen Kastens hinaus leisten zu wollen. Doch es sei unfromm, wenn man einen Mangel leidenden Bruder sähe und ihm nicht mehr helfen würde. Denn der gemeine Kasten befreie einen nicht von der konkreten Hilfe für den Nächsten.209 Luther veranschaulicht dies durch ein Wortspiel mit den Namen »Gebhart« und »Nehmhart«.210 Die Namen sind personalisierte Eigenschaften und stehen für diejenigen, die entweder gerne geben oder auf harte Weise nehmen. Hierbei erzählt er die Geschichte der beiden Klosterbrüder »Gebhart« und »Nehmhart«. Wenn »Gebhart« nicht mehr im Kloster weilt, würde auch sein Bruder Ralf Koerrenz/Benjamin Bunk (Hg.): Armut und Armenfürsorge. Protestantische Perspektiven, Paderborn 2014, 51–73. Vgl. ferner Heinrich Bornkamm: Martin Luther in der Mitte seines Lebens. Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag, Göttingen 1979, 115–117; Gerhard Ulhorn: Die christliche Liebestätigkeit, Stuttgart 2 1895, Nachdruck Darmstadt 1959, 594f. Zur sozio-ökonomischen Lage in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vgl. Hans-Jürgen Prien: Luthers Wirtschaftsethik, Göttingen 1992, 31–49. Vgl. ferner Sebastian Kreiker: Armut, Schule, Obrigkeit. Armenversorgung und Schulwesen in den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bielefeld 1997. 206   Vgl. WA B 3; Nr. 798,390f. 207   »Causam Kembergensem etiam commendo tibi. Sacerdotiolum est maiore parte ex ciuium bonis constitutum, Nunc, collapsis missis, cogitant id in cistam communem conferre, inde Salarium ludimagistri prouisuri. Pia est cogitatio, sanctum & necessarium opus, Scholas constituere, vt nosti (WA B 3; 390,6–10). 208   In den Visitationsakten wird angeordnet, dass sechs fromme Männer, zwei vom Stadtrat und vier von der Gemeinde, den Kasten beaufsichtigen sollen. Neben der Armenfürsorge solle der Kasten für die Versorgung des Kaplans, des Schulmeisters und Kantors dienen. Der Lohn des Schulmeisters wurde auf 25 Gulden und der des Kantors auf 20 Gulden festgelegt. Vgl. Karl Pallas: Die Registraturen der Kirchenvisitationen, Abt. 2, Teil 1: Die Ephorien Wittenberg, Kemberg und Zahna (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 41), Halle 1906, 177–179. 209   »Si videris fratrem egentem et illi non succurreris, eris fur et impius. Darumb solstws thun und nicht darvon frey seyn« (WA 29; 470,35–471,2). 210   Vermutlich spielt Luther hier auf das mittelalterliche Sprichwort an: »swâ her Gebhart kumt in dschranken, dâ her Nemhart rihter ist, dâ ist gar ein ungenist armer liute«. Vgl. den Art. ›Gebhart‹ in: Jakob Grimm/Wilhelm Grimm (Hg.): Deutsches Wörterbuch, Bd. 4, Leipzig 1878, Nachdruck München 1999, 1746f. Vgl. auch die Verwendung des stilisierten Namens »Gebhart« in WA 52; 326,27.

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»Nehmhart« nicht mehr länger bleiben. Damit will Luther verdeutlichen, dass, wenn man nicht mehr gebe, man auch nichts mehr zurückbekomme bzw. einem auch alles andere genommen werde.211 Vor dem Hintergrund vom Bibelwort Lk. 6, 38 »Gebt, so wird euch gegeben«, das Luther kurz zuvor zitiert, bildet die Geschichte in gewisser Weise die Umdeutung, demzufolge nach Luther auch gilt: Wer nicht mehr gibt, dem wird alles genommen.212 Am Nachmittag predigt Luther über den ersten Artikel des Katechismus. Er hält sich damit an die Ordnungen der Kemberger Gemeinde, den Katechismus an Feiertagen nachmittags auszulegen.213 Da man zuletzt mit der Auslegung des Dekalogs ans Ende gekommen sei, wolle er sich nun der ersten Zeile des Apostolikums zuwenden: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen«. Zuvor würdigt er in einer längeren Einleitung den allgemeinen Wert und Nutzen des Katechismus. Wer ihn nicht kenne, solle nicht Christ genannt werden. Sowohl die Zulassung zum Abendmahl als auch die Rolle des »Gevatters« habe man jenen Unkundigen zu verwehren.214 Mit letzterem ist die Patenschaft sowohl der Männer als auch der Frauen bei einer Taufe gemeint.215 Deswegen werde der Katechismus der Gemeinde immer von Neuem nahegebracht und sowohl zu Hause als auch in der Kirche ist er, wie er darlegt, »abgemalt«, auf dass sein Inhalt gelernt werde.216 Vermutlich spielt Luther hier auch auf die »Katechismustafeln« an, die bereits im Spätmittelalter zur Unterweisung der Chris211   »Exemplum crassum dabo von eym kloster. Date Gebhart, Dabitur Nemhart. Evanescente monasterio quaerebant causam illius ruinae. Dixit quidam: Vos habuistis duos fratres nomine Date, Dabitur, yr hat Date verjagt, ßo wolde Dabitur ouch nicht bleyben. Ita nobis accidet. Si non dederitis mensuram bonam et repletam, tunc eciam non dabitur vobis a deo« (WA 29; 470,13–17). 212   »Verum est Christi verbum ›Date et dabitur vobis‹. Econtra: Non dantibus non dabitur« (WA 29; 470,29f). Der Spruch ist Luther noch in guter Erinnerung, da er einige Tage zuvor am 20. Juni 1529 darüber gepredigt hat. Vgl. WA 29; Nr. 45, 402–412, hier 409,33 u. 412,11. 213   »Vos ordinem habetis Cathechismi feriis diebus pomeridianis« (WA 29; 471,21). Vgl. hierzu auch die Akten der Kirchenvisitation von 1528, worin festgehalten wird: »ire gewonheit zu predigen ist und soll sein: zwene sermon am suntag, den ersten von den evangelien nach der zeit, den andern aus dem alten testament; montags, mitwochs und freitags, iedes der dreien tag einen sermon oder lection eines evangelisten, wie sie ermessen dem volk nutz und gut sein, und daruber den catechismum zu lernen: dobei habens die visitatores gelassen und bevolen, des catechismi zuforderst und die sunderheit umb der iugent willen in der wochen nimer zu vergessen« (Karl Pallas: Die Registraturen der Kirchenvisitationen, Abt. 2, Teil 1: Die Ephorien Wittenberg, Kemberg und Zahna (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 41), Halle 1906, 179). 214   »Ideo scitote, qui hanc cognicionem non habuerit, is non Christianus appelletur, non admittendus ad Sacramentum. Er sol ouch nicht gevatter werden« (WA 29; 471,21–23). 215  Vgl. den Artikel ›Gevatter‹ in: Philipp Dietz: Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers deutschen Schriften, Bd. 2, Lieferung 1, Leipzig 1872, 110. Vgl. ferner Jakob Grimm/Wilhelm Grimm (Hg.): Deutsches Wörterbuch, Bd. 6, Leipzig 1878, Nachdruck München 1999, 4641. 216   »Er sol ouch nicht gevatter werden, ideo vobis describitur, depingitur domi et in ecclesia, ut discere debeatis« (WA 29; 471,23f).

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ten verwendet wurden.217 Dabei handelt es sich um Holztafeln, die in der Kirche an der Wand hingen, um die Worte des Katechismus immer vor Augen zu haben.218 Luther erkannte früh den pädagogischen Wert solcher Katechismustafeln. Seit 1516 predigte er aufgrund seiner häufigen Vertretungsdienste für den Stadtpfarrer Simon Heinz über den Katechimus.219 Durch die Kirchenvisitationen wurde den Wittenbergern die Dringlichkeit bewusst, den regelmäßigen christlichen Elementarunterricht auf der Grundlage des Katechismus zu fördern.220 Deshalb konzentrierte sich Luther seit dem 18. Mai 1528 infolge seiner Predigtvertretung für Johannes Bugenhagen darauf, in drei Reihen Katechismuspredigten zu halten.221 Zwischen Januar und Mitte März 1529 ließ Luther die Vorstufe des Kleinen Katechismus in Form von Plakaten drucken.222 April 217   So beispielsweise die noch erhaltene Katechismustafel in der Hildesheimer Lambertikirche, die 1451 auf Veranlassung von Nikolaus von Kues dort angebracht wurde und den Wortlaut des Vaterunser, des Ave Maria, des Glaubensbekenntnisses und die zehn Gebote in deutschen Reimen enthielt. Vgl. hierzu Hans-Jürgen Rieckenberg: Die Katechismus-Tafel des Nikolaus von Kues in der Lamberti-Kirche zu Hildesheim, in: DA 39 (1983), 555–581. Vgl. ferner hierzu Ruth Slenczka: Wandmalereien in spätmittelalterlichen Kirchen als Medium der Laienunterweisung, in: Carsten Kretschmann (Hg.): Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel, Berlin 2003, 127–140; vgl. ferner Hartmut Boockmann: Über Schrifttafeln in spätmittelalterlichen deutschen Kirchen, in: DA 40 (1984), 210–224; Ders.: Über Ablaß-«Medien«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 34 (1983), 709–721; Ders.: Wort und Bild in der Frömmigkeit des späteren Mittelalters, in: Pirckheimer-Jahrbuch 1 (1985), 9–40; Chrisitane Laun: Bildkatechese im Spätmittelalter. Allegorische und typologische Auslegung des Dekalogs, München 1979; Johannes Geffcken: Der Bildercatechismus des fünfzehnten Jahrhunderts und die catechetischen Hauptstücke in dieser Zeit bis auf Luther, Teil 1: Die zehn Gebote, Leipzig 1855. 218  Vgl. Georg Buchwald: Die Entstehung der Katechismen Luthers und die Grundlage des Großen Katechismus, Leipzig 1894, XII. Vgl. Albrecht Peters (Hg.): Kommentar zu Luthers Katechismen, Bd. 1: Die Zehn Gebote, Göttingen 1990, 19. 194. 219  Vgl. Hans-Jürgen Fraas: Katechismustradition. Luthers kleiner Katechismus in Kirche und Schule, Göttingen 1971, 12. 220   Vgl. die Instruktion des Kurfürsten vom 16. Juni 1527 abgedruckt in Emil Sehling (Hg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 1 = Abt. 1, Hälfte 1: Die Ordnungen Luthers. Die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete, Leipzig 1902, 142– 148, hier 145 »unterrichtung der jugent«; vgl. ferner den um den 22. März 1528 zum Druck gekommenen ›Unterricht der Visitatoren‹ (StA 3; 402. 406–462, hier 417,23; 458,14; 460,29f = WA 26; 175. 195–240, hier 203,6; 237,7; 238,38–40). Vgl. Stefan Michel: Der »Unterricht der Visitatoren« (1528) – Die erste Kirchenordnung der von Wittenberg ausgehenden Reformation?, in: Irene Dingel, Armin Kohnle (Hg.): Gute Ordnung. Ordnungsmodelle und Ordnungsvorstellungen in der Reformationszeit. Leipzig 2014, 153–168. Vgl. das DFG-Projekt von Joachim Bauer und Stefan Michel »Der Unterricht der Visitatoren (1528). Entstehung, Bedeutung und Wirkungsgeschichte des ersten normativen Gruppentextes der Wittenberger Reformation«. 221   Vgl. WA 29; 1. 2–122. Die erste Reihe erfolgte im Zeitraum vom 26. bis zum 30. Mai; die zweite Reihe vom 14. bis 25. September und die dritte Reihe vom 30. November bis 19. Dezember 1529. Einen Überblick über seine Wittenberger Katechismuspredigten gibt Georg Buchwald: Die Entstehung der Katechismen Luthers und die Grundlage des Großen Katechismus, Leipzig 1894, V–XV, hier Xf. 222   Vgl. WA 30 I; 561–568.

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oder Anfang Mai 1529 wurden diese Tafeldrucke mit Voranstellung einer Vorrede als Kleiner Katechismus zum ersten Mal in Buchform in Wittenberg gedruckt.223 Parallel arbeitete er am Großen Katechismus, der Ende März die Druckerpresse verließ.224 Die Erwähnung des gemalten Katechismus bezieht sich wohl auf eben diese Tafeldrucke und ist ein Hinweis darauf, dass sie in Kemberg verteilt worden sind sowie als Plakate an den Wänden vieler Häuser gehangen haben dürften.225 Auch hebt Luther hervor, die Kemberger besäßen bereits den kleinen und großen Katechismus. Insofern liefert die Kemberger Predigt im Juli einen der frühesten Belege für die Verbreitung von Luthers Katechismusauslegungen im Umland von Wittenberg. Luther beklagt in dieser Predigt, dass einige Gemeindemitglieder aus Gier und Gewinnsucht ihre Kinder und ihr Gesinde nicht zum Katechismusunterricht schicken würden.226 Schlimm genug sei, wenn man als Älterer nichts mehr lernen wolle. Denn allgemein gelte ja, dass es für jede Arbeit und jede Zunft abwegig sei, das eigene Handwerk nicht zu kennen. Dies gelte umso mehr auch für Christen, die Kenntnisse über Christus haben sollten.227 Ganz und gar verheerend sei es aber, wenn man es versäume, die eigenen Kinder zu bilden, und sie stattdessen vom Unterricht fernhalte.228 Vielmehr habe Gott den Eltern Kinder geschenkt, die zum Besten zu erziehen seien.229 In diesem Zusammenhang erwähnt er die erste Visitation der Kemberger Gemeinde vom 29. Oktober 1528. Er erinnert daran, dass noch weitere folgen würden, bei denen auch die Hausväter und Bauern auf Fortschritte in der Kenntnis des Katechismus geprüft werden sollten und ob sie die Fähigkeit besäßen, Familie und Hausgenossen im Katechismus zu unterweisen.230 Daraus wird er223   Vgl. in der Weimarer Ausgabe die Vorbemerkungen zu den beiden Katechismen (WA 29; 426–474, hier 427) und die Einleitung zum Kleinen Katechismus (WA 29; 537–665, hier 539. 559f. 572f). Vgl. ferner Robert Kolb: Einleitung. Der Große und der Kleine Katechismus Martin Luthers, in: Irene Dingel (Hg.): Die Bekenntnisschriften der EvangelischenLutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, Göttingen 2014, 841–850. 224   Vgl. WA 29; 432, vgl. ferner die Einleitung zum Großen Katechismus (WA 29; 475–498, hier 484. 486). 225   So spricht Rörer in einem Brief an Stephan Roth vom 20. Januar 1529 auch davon, dass er in seiner Kammer die Katechismustafeln befestigt hat (WA 30 I; 428f). Und in seiner Vorrede zum Kleinen Katechismus bittet Luther die Pfarrer, sie sollten diese Tafeln verwenden (WA 30 I; 348,5; 350,1; 563). 226   »Valeant avari qui pueros et servos suos avariciae caussa ab illa abalienant« (WA 29; 472,1f). 227   »Nam absurdum est omni labori und zunfft nescire quae ad opificium suum pertineant, ita absurdissimum est Christianis ignorare quae Christi sunt« (WA 29; 471,27–29). 228   »Tu cogeris ad illius cognicionem omnes tuos allicere. Er wyrdt dyr an deynem vorseumen gnugßam widerstatten« (WA 29; 472,3–5). 229   »Got hat dyr kynder darumb geben, das dw sie zum besten zcihen sollest. Ergo liberos tuos et servos tuos ad Catechismum hunc erudias« (WA 29; 472,14–16). 230   »[…] habuistis visitatores habetisque deinde qui examinabunt vos patresfamilias et familiam vestram, das sie sehen, wie yr euch gebessert habt« (WA 29; 472,23–25).

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sichtlich, dass in Kemberg der Volks- und Jugendunterricht nicht getrennt voneinander abgehalten wurde, sondern auf eine generationsübergreifende Unterweisung abzielte. Nach diesen einleitenden Bemerkungen wendet sich Luther dem ersten Artikel des Kleinen Katechismus zu und ließt ihn zunächst vor.231 Es ist möglich, dass er dabei auf einen Tafeldruck zeigte, der in der Kirche hing.232 Oder die Gemeinde las den Text mit, weil die Gewohnheit bestand, den Kleinen Katechismus mit in den Gottesdienst zu bringen.233 Insofern lässt sich an dieser Kemberger Predigt exemplarisch ablesen, wie ein solcher Katechismusunterricht zu der Zeit praktiziert wurde. Nach der Verlesung des Textes hebt Luther hervor, was man mit Fleiß zu lernen habe. Dies bestehe in der Erkenntnis, dass alles von Gott geschenkt sei. Nicht nur die Augen, Hände und Glieder, sondern auch Kleidung und Besitz seien ein Geschenk Gottes, wofür man Gott zu danken habe.234 Dabei spricht er wechselweise mal die Kinder, mal aber auch die Älteren an und erzeugt so eine erhöhte Aufmerksamkeit bei seinen Zuhörern.235 Danach betont Luther, dass nicht nur die bloße Existenz, sondern auch die Erhaltung und Bewahrung aller Dinge als Geschenk Gottes anzusehen seien.236 Diesen Gedanken unterfüttert er wiederum mit Beispielen aus dem Alltag, wenn er in lebendiger Weise die Zuhörer direkt anspricht und verdeutlicht: Gott habe »nicht allein deinen Acker und deine Saat, Hopfen und Haus geschaffen, sondern er behütet es auch«.237 Interessant ist, dass er bei der Zusammenstellung der Güter den »Hopfen« hervorhebt. Georg Buchwald macht in seinen Anmerkungen darauf aufmerksam, dass es sich hierbei um einen Hörfehler handeln könnte und Luther eigentlich zur Umschreibung des gesamten Besitzes von 231  »[N]unc Simbolum audiemus ›Credo in deum patrem omnipotentem‹« (WA 29; 472,30f). Bezogen auf Luther wird dann mitgeteilt, dass er die Worte über diesen Artikel vorlas: »Legit verba in Cathecismo supra hunc articulum« (WA 29; 472,34). Vgl. ferner den ersten Artikel von der Schöpfung in WA 30 I; 247f. 232   Ein Faksimile als Beispiel für einen solchen Tafeldruck ist abgedruckt in WA 30 I; 241. 233   Von der Praxis, den Kleinen Katechismus in die Kirche mitzubringen, berichtet Johannes Bugenhagen. Vgl. Martin Luther: Der Kleine Katechismus D. Mart. Luthers nach der Ausg. v. J. 1536, hg. von Albrecht Otto, Halle 1905, 94. 234   »Das sol eyn kyndt lernen, das got sey schopper sey, das er alles, das er hat, sey yn von got bescheret, das sol er ouch myt fleyß behalten. Oculi duo, manus duae et omnia membra, consideres: dei donum est, vestes et omnem substanciam, consideracione cum graciarum accione. Deyn kue, deyn gans, schoff, vihe hat dyr got geben. Haec inspicies cum graciarum accione« (WA 29; 472,34–473,4). 235   »Wen man das die jungen kynder von jugent het gelernet, ßo wurden Cristen draus. Ita bene fecerunt patres, qui liberos in inducione novarum vestium ad graciarum accionem dei allexerunt. Ita et vos senes facite, Ut sciatis hoc donum dei esse, non nostrorum meritum« (WA 29; 473,4–8). 236   »Secundo scias tibi non solum esse creata, sed eciam servata a deo« (WA 29; 473, 11). 237   »Der got hat nicht alleyne deyn ecker und saat, hopfen und hawß geschaffen, ßonder behuts ouch« (WA 29; 473,12f).

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»Hof und Haus« gesprochen habe. Allerdings wäre es auch denkbar, dass Luther bewusst den Hopfen genannt hat, um auf den spezifischen Landanbau in der Region anzuspielen.238 Schließlich rundet Luther die Predigt mit der Beobachtung ab, dass die Menschen immer nur ein Auge für die schlechten Dinge hätten, die Fülle an Gaben, die Gott einem schenkt, aber nicht wahrnähmen.239 Es sei aber noch allezeit mehr Gutes als Böses auf Erden, dessen man gewahr werden solle.240 Diese Predigt ist von Bedeutung, da in ihr die Nöte und Belange der Kemberger Gemeinde zum Vorschein kommen, wie beispielsweise die Armut infolge der Getreideknappheit. Außerdem lässt sich der Predigt entnehmen, welche Folgeprobleme aus der Einführung des gemeinen Kastens entstanden. Denn hierdurch kam in der Gemeinde die Haltung auf, gar nicht mehr freiwillig zu helfen, sondern alles der Armenkasse überlassen zu wollen. Die Predigt zeigt schließlich, wie Luther den Katechismus auslegt und ihn in Bezug auf die Nöte und Belange der Gemeinde anwendet. Als Prediger agiert Luther hier als Katechismuslehrer mit ganz konkretem Ortsbezug.

3.6 Das christliche Leben – Vergleich zwischen Rörers Mitschrift und Poachs Ausarbeitung (19. August 1531) Durch eine Mitschrift Rörers ist eine Predigt überliefert, die Luther am Samstag, dem 19. August 1531, in Kemberg hielt.241 Von dieser Notiz Rörers existiert eine Abschrift von Andreas Poach, der sie später ausarbeitete und 1560 als einzelne Schrift bei Georg Baumann in Erfurt drucken ließ.242 Da die Weimarer Ausgabe die Mitschrift Rörers und den Erfurter Druck untereinander gesetzt hat, lässt sich an dieser Predigt exemplarisch studieren, wie Poach vorging, um aus Rörers Aufzeichnungen, die knapp 2.300 Worte umfassen, wieder eine Predigt zu gestalten, die auf ungefähr 10.100 Worte kommt und damit im Vergleich zur Mitschrift mehr als viermal so lang ist. In Rörers Manuskript beginnt Luther mit einem Rückblick, womit er an die vorangegangene Predigt anknüpft. Die Gemeinde habe bereits gehört, wie man   Vgl. hierzu die Anmerkung zu Seite 473,12 in WA 29; 709.   »Haec sunt maxima dona dei omnia dare, custodire et filios educare, omnia pace securissima uti, das gibt uns got alleyne, das wollen wyr nicht vornemen und nicht vorstehen« (WA 29; 473,19–21). 240   »Es ist noch allzceyt meher guts uff erden den boßes« (WA 29; 473,25f). 241   Vgl. WA 34 II; Nr. 76, 108–137; Rörers Manuskript ist in Bos. q. 24e, Bl. 182b–185b erhalten und dessen Abschrift durch Poach ist einsehbar in der Zwickauer Handschrift Nr. XXVI, Bl. 108a–109b. 242   Vgl. ohne Nummerierung bei Benzing/Claus VD 16 ZV 10087 (1560), VD 16 L 7307 (1561), VD 16 L 7308 (1565): »Von vnser seligen Hoffnung, Aus der Epistel S. Pauli, Tit. 2. Cap. Durch D. Martinum Luther, gepredigt zu Kemberg, xix. Augusti, Anno M. D. XXXI. Vnd jtzt allererst aus M. Georgen Roerers, seligen, geschriebenen Buechern, zusamen bracht vnd zugericht«. 238 239

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als Christ in der Welt leben müsse.243 Damit spielt Luther auf die Anweisungen im Titusbrief (Tit. 2, 1–9) für jüngere und ältere Männer sowie für Frauen und Sklaven an. Aufgrund des Rückblicks kann gefolgert werden, dass es sich hierbei um eine Reihenpredigt handelt.244 Diese Reihe bezieht sich jedoch nicht auf Luthers eigene Kanzeltätigkeit in Wittenberg, da von ihm eine solche Reihe gar nicht überliefert ist.245 Vielmehr muss sich Luther zuvor erkundigt haben, welcher Predigttext an jenem Tag vorgesehen war, um ihn mit Rücksicht auf die Kemberger Gemeinde zur Grundlage seiner eigenen Auslegung zu machen. Im Vergleich zu Rörers Mitschrift übergeht Poach den Rückblick und entkontextualisiert damit die Predigt, um die Worte besser als gesonderten Druck veröffentlichen zu können.246 In Fortsetzung der Reihe liegt der Predigt das Wort aus Tit. 2, 13 zugrunde: »Wir sollen warten auff die selige Hoffnung und erscheinung der herrligkeit des grossen Gottes und unsers Heylandes Jhesu Christi«.247 Luther grenzt hierbei das christliche Leben von einem diesseitig orientierten Leben ab, dass sich lediglich darum kümmere, wie ein unvernünftiges Tier seinen Bauch zu füllen.248 Denn ein Christ sei dazu berufen, nicht auf das weltliche Leben fixiert zu sein, sondern auf ein anderes Leben zu hoffen.249 Im Vergleich zu Rörers Mitschrift führt Poach diesen Gedanken in einem eigenen Absatz aus. Hierbei fügt er zunächst eine christologische Begründung an. Denn in der Inkarnation Christi, seinem Tod am Kreuz, seiner Auferstehung und Himmelfahrt werde deutlich, dass der Mensch auf Erden nicht im Elend und auf ewig tot unter der Erde bleibe: »Denn Christus ist nicht darumb vom Himel kommen und Mensch worden noch darumb fuer uns am Creutz gestorben, auch nicht darumb vom Tod wider aufferstanden 243   »Audistis in Tito sic vivendum in hoc mundo, ut expectemus &c.« (WA 34 II; 108,5). Vgl. hierzu das Faksimile Bos. q. 24 e Bl. 182b, einsehbar auf der Internetplattform Urmel der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek. 244   Vgl. WA 34 II; 597f. 245   Von Luther existiert lediglich die Vorlesung vom 11. Nov. bis 14. Dez. 1527 über die Briefe an Titus und Philemon (WA 25; 6–78). Vgl. ferner die Gesamtliste der Predigten in WA 22; LXXXI. 246   Vgl. WA 34 II; 108,13–15. Der Rückblick lässt sich jedoch noch erahnen durch die Wendungen: »S. Paulus hat kurtz vor diesem Text, wie ewer liebe gehoeret, geleret, was die Predigt des Euangelij in uns schaffen und wircken solle« (WA 34 II; 108,20f). »Nach dem nu der Apostel das Christlich Leben also gefasset hat und angezeiget, wie eines Christen wesen und wandel gestalt sein solle, setzet er hinzu ein soenderlich stueck«(WA 34 II; 109,9–11). 247   Vgl. WA 34 II; 108,17–19. 248   »Christiana vita, audistis, sic sol gerichtet sein, ut non cogitetis hic tantum vivere, ut sew und unvernunfftiges thier, quod non weiter gedenckt quam bauch fullen« (WA 34 II; 108,6–109,1). Luther könnte mit seiner Wortwahl über das Bestreben, sich lediglich den Bauch füllen zu wollen, das biblische Schimpfwort im Hinterkopf gehabt haben: »Alle Kreter sind Lügner, wilde Tiere und faule Bäuche« (Tit. 1, 12). 249   »[…] sed ad hoc vocati et erkeufft, ut ex weltlichem leben sollen komen ynn ein solch wesen, quae expectet auff ein ander leben« (WA 34 II; 109,2f).

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und gen Himel gefaren, das er uns hie nidden auff Erden im Elend und Jamer, viel weniger unter der Erden im Grab und Tod, Stanck und Wuermen ewig bleiben lasse, Sondern das er uns von dem allem erloese und zu sich in sein ewig Reich neme in den Himel«.250

Eher untypisch für Luthers Predigtweise – wenngleich hier freilich keine randscharfen Urteile gefällt werden können – ist die auf Vollständigkeit zielende Aufzählung der dogmatischen Topoi im Rahmen der Lehre von der Erniedrigung und Erhöhung Christi (Inkarnation, Kreuzestod, Auferstehung, Himmelfahrt) sowie die Ausschmückung des im Tod verfangenen Menschen (unter der Erde, im Grab, Tod, Gestank, Würmer). Außerdem hätte Luther wohl, wenn er an dieser Stelle zu einer christologischen Begründung übergegangen wäre, jenen Gedanken weiter ausgeführt und inhaltlich vertieft. Stattdessen fügt Poach sogleich eine weitere Begründung hinsichtlich der Ewigkeitsdimension des christlichen Lebens hinzu, indem er nun den Gedanken ins Sakramentale wendet. Ihm zufolge ist die Taufe als Zeichen und das Evangelium als Wort gegeben, um über die Diesseitigkeit des Lebens hinauszugelangen. In diesem Kontext fällt wiederum auf, dass Poach eine mehrgliedrige Aufzählung von Lebenssituationen hinzufügt. So ist in seiner Version der Gedanke, dass durch Taufe und Evangelium der Mensch in ein anderes Leben gekommen sei, dadurch veranschaulicht, dass es nun nicht mehr allein darum gehe, zu essen, zu trinken, Mühe und Arbeit zu haben, zu leiden, traurig zu sein, zu sterben und zu verwesen. »Auch sind wir nicht darumb getaufft und Christen worden, hoeren auch nicht darumb das Euangelium, das wir den onmechtigen, stinckenden Bauch fuellen und hie in dieser argen, betruebten Welt ewig bleiben sollen, Sondern das wir in ein ander Leben und wesen komen, da wir nicht mehr duerffen essen, trincken, muehe und erbeit haben, leiden, trawrig sein, sterben und verwesen &c.«.251

Anhand dieser Belege kann exemplarisch bereits eine Eigentümlichkeit der Poachschen Ausarbeitung aufgezeigt werden: Er neigt dazu, durch Aufzählungen und Aneinanderreihungen die Predigt zu strecken und wortreicher zu machen. Im Anschluss daran greift Poach in wiederholender und zusammenfassender Weise die christologische und die sakramentale Aussage auf und unterlegt beide mit einem Bibelwort (1. Petr. 1, 1), das in Rörers Mitschriften nicht genannt wird. »Weil wir nu durch das thewre Blut Christi erkaufft, durch seine froeliche Aufferstehung von den Todten in der heiligen Tauffe widergeboren und durchs Euangelium beruffen sind ›zu einer lebendigen Hoffnung, zu einem unvergenglichen, unbefleckten und unverwelcklichem Erbe‹, (Wie S. Petrus sagt 1. Pet. 1.), ›das uns behalten wird im Hi-

  Vgl. WA 34 II; 109,24–29.   Vgl. WA 34 II; 109,28–34.

250 251

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mel‹, So sollen wir auch auff dieselbige selige Hoffnung froelich und getrost hoffen und warten.252

Durch diese erweiterte Wiederholung der christologischen und sakramentalen Begründung kommt es zu einer summarisch anmutenden Verdichtung der Gedanken. Solche Kulminationen sind für Luther eher ungewöhnlich, der trotz aller Zusammenfassungen, Rückblicke und Wiederholungen eher bestrebt ist, jeden Gedanken in gebührender Weise zu würdigen und ihm den entsprechenden Platz einzuräumen. Gleichwohl hätte Luther wohl gegen den Inhalt der hinzugefügten Aussagen nichts einzuwenden gehabt. Der Bezug zur Taufe und zum Evangelium wird auch von Luther hergestellt, allerdings erst später.253 Die Ausarbeitungen von Poach sind in diesem Sinn keine Verfälschungen des Predigtanliegens Luthers. Die Unterschiede liegen eher in der redundanten Weise der Darstellung, die Poach durch Aufzählungen und Wiederholungen in Form gedanklicher Verdichtungen vornimmt. In Rörers Mitschriften fährt Luther fort, die Kunst zu rühmen, das vergängliche Leben vom ewigen unterscheiden zu können. Nur wenige gäbe es, die gewissenhaft auf das ewige Leben warten, und viele, die mehr dem irdischen Leben vertrauen.254 Poach formuliert diesen Gedanken aus Rörers Manuskript in durchaus angemessener Weise aus. Danach kehrt er jedoch wieder zum Ausgangsgedanken zurück, dass man auf ein besseres Leben als das im Diesseits zu hoffen habe. Auch dies ist für Poachs Ausarbeitung eigentümlich. Nachdem er einen Gedanken von Luther aufgegriffen und entfaltet hat, kehrt er wieder zum vorhergehenden zurück und führt ihn erneut aus, bevor er mit der Entfaltung des nächsten Gedankens aus Rörers Notizen fortfährt.255 Poach geht somit häufig einen Schritt nach vorne, macht dann einen Schritt zurück und geht danach wieder zwei Schritte vorwärts. Im Vergleich zu den Aufzeichnungen Rörers, in denen die Gedanken Luthers zielstrebig voranschreiten, ergibt sich bei der Ausarbeitung Poachs also eine spiralförmig kreisende Gedankenführung, wodurch die Predigt erheblich an Redundanz gewinnt. Häufig, wenn Luther einen Bibelvers in der Predigt andeutet, nimmt Poach dies zum Anlass, diesen nicht nur ausführlich zu zitieren, sondern noch auf weitere Bibelstellen zu verweisen und sie angepasst an das Thema der Predigt auszuführen. So spielt Luther, um das christliche Leben zu veranschaulichen,   Vgl. WA 34 II; 109,35–110,8.   »Sed jens, da hin wir das Euangelium empfangen und getaufft, des sollen wir gewarten und sicher sein et nostri oculi defixi &c.. Non ideo baptizati et non ad hoc Euangelium praedicatum, ut hic edificem vitam« (WA 34 II; 111,3–112,3). 254   »Das ist christlich kunst, ut homo discernat hanc vitam und jenes. Pauci plane sunt, qui jens lebens so gwis warten, ut hanc non habeant so gwis. Istam vitam inspiciunt durch ein gmalt glas und jens mit klaren augen« (WA 34 II; 110,1–3). Mit dem letzten Satz spielt Luther auf 1. Kor. 13, 12 an. 255   Vgl. WA 34 II; 110,10–111,7. 252 253

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auf 1. Kor. 7, 29 an, wonach ein Christ sein eigenes Leben in der Welt führen solle, als hätte er dieses weltliche Leben nicht mehr. Poach fügt dieser Stelle noch 2. Kor. 5, 1f. 6–8, Phil. 3, 20f, 1. Petr. 2, 11, Ex. 22, 21, Hiob 1, 21 und Gen. 47, 9 hinzu und geht hierbei immer auf die jeweilige Textstelle ein.256 Luther fährt mit seiner Predigt fort, indem er bemerkt, dass es genügend Instanzen gebe, die einen lehren, die Pflichten des diesseitigen Lebens zu erfüllen. So lehre der Kaiser seine Untertanen, die Pflichten als Bürger zu erfüllen. Hausherr und die Hausfrau haben ihre Knechte anzuweisen, den Acker zu bestellen; und Vater und Mutter sollen ihre Kinder zur Vorbereitung auf das Leben in der Welt unterrichten. Denn schließlich sei auch dem Verstand die Orientierung auf das Leben im Diesseits eingepflanzt. Im Gegensatz hierzu unterrichte das Evangelium, wie sich der Mensch zum höheren Leben zu verhalten habe.257 Wer sein Herz nicht auf das höhere Leben ausrichte, der wisse nicht, was Glaube und Evangelium sei.258 Poach schmückt jenen Gedanken wortreich aus, ohne allerdings dabei die Hauptintentionen Luthers, die man Rörers Aufzeichnungen entnehmen kann, zu verändern. Vielmehr gelingt es Poach, in kreisender Weise die gleichen Gedanken immer wieder zu umschreiben.259 Eine gewisse Zäsur lässt sich in Rörers Mitschriften an der Stelle erkennen, als Luther zum Bibelvers Tit. 2, 13 zurückkehrt und die Frage stellt, wie lange man zu hoffen habe. Luther antwortet darauf in Anspielung auf Kol. 3, 4, dass das Warten aufhören werde, wenn Christus erscheine. Während das vergängliche Leben auf Erden mit allen Sinnen und dem Verstand erfasst werden könne, bliebe das zukünftige Leben verborgen und unsichtbar; dass es offenbar werde, darauf habe man zu warten.260 Um die Verborgenheit des jenseitigen Lebens zu veranschaulichen, zieht Luther den Vergleich mit einem Samenkorn, das in die Erde gesät wurde. Jenes Samenkorn ist ebenfalls verborgen, wird aber dereinst sichtbar aus der Erde emporwachsen und grünen werde.261 Dabei erinnert er an das Pauluswort aus 1. Kor. 15, 42: »Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich«.262 Auch hier nutzt Poach wieder die Gelegenheit, die Bibel  Vgl. WA 34 II; 111,8–114,20.   »Das wird mich der kayser, pater et mater, dominus, domina et ratio docet regere hanc vitam. Dominus servum docet agrum colere, mater filiam &c.. Das ist in rationem plantatum. Ideo Euangelium loquitur de hohern vita, quam ratio non begreifft, ideo hoc Euangelium datum« (WA 34 II; 112,3–114,2). 258   »Wer sein cor nicht richtet in yhenes leben, non scit, quid fides, Euangelium, putat se hic edere und sauffen und gelt samlen« (WA 34 II; 115,1f). 259   Vgl. WA 34 II; 114,21–117,28. 260   »[…] haec vita, sed est spes, quae est beata et salvos faciet, quando? ›cum apparuerit‹. Interim dum hic vivimus, illa altera vita occulta, ista praesens offenbar« (WA 34 II; 117,5– 118,1). 261   »Vides ob oculos granum iaci in agrum und wechst ein fein gruner halben &c.« (WA 34 II; 120,4f). 262   »Bene dicit Paulus 1. Cor. ›seminatur in corruptionem‹, dicit, ut wenn man eine bone steckt in einem garten, sed non respiciens, quid man begrebt (WA 34 II; 121,2–4). 256 257

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stellen, die in Rörers Mitschriften lediglich angedeutet sind, ausführlich zu zitieren, und fügt weitere Bibelstellen hinzu.263 Im Folgenden spricht Luther die einzelnen Stände an, indem er die Bauern, Knechte und Mägde sowie die weltliche Obrigkeit dazu auffordert, neben der Verrichtung der alltäglichen Arbeit das unvergängliche Leben nicht zu vernachlässigen.264 Konkret äußert sich ihm zufolge diese christliche Hoffnung in den guten Werken der ganz alltäglichen Arbeit, die besser seien als jedes lediglich fromm erscheinende Werk eines seine Stundengebete verrichteten Kartäusers.265 Poach fügt hier weitere Ausdeutungen hinzu, die jedoch nicht thematisch fremd erscheinen, sondern eher die vorhandenen Gedanken weiter ins Dogmatische ausziehen. So illustriert Luther mit Beispielen aus der Natur das Warten eines Christen auf das höhere Leben. Wie der Bauer seine Bohnen, Schoten und Kornsamen in die Erde stecke und dann warte, in der Hoffnung dass sie wachsen, so solle auch der Christ auf das unvergängliche Leben warten.266 Poach nimmt diese Beispiele zum Anlass, schöpfungstheologische Aussagen über den Herrschaftsauftrag des Menschen und Verweise auf die Schöpfungstaten Gottes einzuflechten.267 Luther rundet die Predigt nach Rörers Manuskript ab, indem er sie in zwei Punkten zusammenfasst. Zum einen solle der Christ auf das zukünftige Leben ausgerichtet sein und zum anderen mit dieser christlichen Hoffnung auf die Zukunft seine alltäglichen Pflichten im Diesseits erfüllen.268 Rückblickend ergibt der Vergleich, dass Poach in eigenständiger Weise auf der Grundlage von Rörers Stenogramm die Predigt Luthers ausarbeitete. Seine Arbeitsschritte lassen sich deutlich nachvollziehen: Erstens die zirkuläre Entfaltung der überlieferten Gedanken, zweitens die Anreicherung und Ausschmückung der vorhandenen Aufzählungen, drittens das Einarbeiten von passenden   Vgl. die zusätzlichen Bibelstellen 1. Joh. 3, 2; Mt. 25, 31 und 2. Thess. 1, 10 in WA 34 II;

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  »Sic Rusticus ex suo agro posset ein solch bibel machen, ut Euangelium legeret in agro« (WA 34 II; 124,4f). »Servus habet sua bona opera, quando incedit in obedientia heri, et tamen prius fide iustificatus« (WA 34 II; 132,1f). »Item Ancilla habet sua bona opera, quanda facit &c.« (WA 34 II; 132,6). »Econtra magistratus straffe boeßen und schuetze die frommen. Optima bona opera« (WA 34 II; 133,1f). 265   »Item Ancilla habet sua bona opera, quanda facit &c.. scheinet nicht, hat keine larven gegen eim Cartheuser, qui habet cilicium et 5 horas noctu, sed non bonum opus. Sic Rusticus, Civis: vide, wo du kanst proximo huelfflich sein« (WA 34 II; 132,6–9). 266   »Rusticus non dicit, quando seminat: ego iam video die bonen, et tamen videt. Non videt die bonen, quam in manu habet, non tam bene videt quam sperat schoten. Sic avertit oculos a korn in manu und sihet viel vleissiger auff das korn und bonen. […] Rusticus habet auff seine bonen in horto und wartet auff das gewechst« (WA 34 II; 122,9–123,8). 267   Vgl. den Verweis auf den Herrschaftsauftrag (Gen. 1, 28) in WA 34 II; 114,22–25 und die Aufzählung der Schöpfungen Gottes in WA 34 II; 120,15–24. 268   »Ista bona opera wolt Paulus gerne haben bey den Christen, 1. ut agnoscerent Christianum statum, quod factus ein Erbe in alia futura […] [2.] post alterius vitae expectationem faciam meum officium« (WA 34 II; 133,6–134,4). 264

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Bibelstellen und viertens das Ausziehen der im Manuskript angelegten dogmatischen Linien. Hierdurch gelingt es Poach, die Gedanken Luthers in die Form einer druckbaren Predigt zu bringen. Damit soll freilich nicht behauptet werden, dass Poach mit seiner Ausarbeitung in der Lage gewesen wäre, die Worte Luthers originalgetreu zu rekonstruieren. Vielmehr stellt Poachs Ausformulierung eine kreative Eigenleistung dar. Jedoch ist zu bemerken, dass Poach die Gedanken Luthers, wie Rörer sie festgehalten hat, nicht verfälscht. Inhaltlich werden alle Gedanken ohne Auslassungen aufgenommen. Auch werden die Aussagen zumindest in dieser Predigt weder dem Inhalt noch der Polemik nach abgeschwächt oder gesteigert. Deutlich zu erkennen ist das Bemühen Poachs, die Gedanken Luthers ihrem Kern nach zu bewahren, auch wenn er ihnen hierzu eine neue Hülle verleihen muss. Die »Quasi-Authentizität« blieb insofern erhalten.

3.7 Das Ausbleiben des Abendmahlgangs (15. Oktober 1531) Im gleichen Jahr, am 15. Oktober 1531, dem 19. Sonntag nach Trinitatis, besuchte Luther erneut die Gemeinde, um dort über die Heilung des Gelähmten (Mt. 9, 1–8) zu predigen.269 Rörer war bei der Predigt wohl nicht zugegen, sondern fertigte nachträglich eine Abschrift von einer unbekannten Mitschrift an.270 Dies erklärt die Ausführlichkeit im Vergleich zu ansonsten knapper ausfallenden Aufzeichnungen Rörers.271 Im Unterschied zu Luthers Predigten über diese Perikope ist der Kemberger Predigt dem Aufbau und Inhalt nach durchaus Eigenständigkeit zu bescheinigen, und so spricht viel dafür, dass Luther sie eigens für die Gemeinde konzipiert hat.272 Dem Handlungsverlauf der Heilungsge  Vgl. WA 34 II; Nr. 93, 329–336. Vgl. WA 34 II; 601. Rörers Mitschrift ist in Bos. q. 24e Bl. 226b–230b erhalten. Von Poach wurde dann der Text erneut abgeschrieben, überliefert in der Zwickauer Handschrift Nr. XXVI Bl. 129b–132a. 271   Zudem weist Buchwald auf eine Konjektur Rörers hin, die dafür spricht, dass Rörer selbst von jemandem abgeschrieben hat (WA 34 II; 601). Die Textstelle lautet: »Ego praedico remissionem peccatorum, non dei blasphemiam, sed honoro et confirmabo per hoc: ›Surge et tolle‹« (Ich verkünde die Vergebung der Sünden, nicht die Verleumdung Gottes, aber ich ehre und werde es bestätigen durch folgendes: ›Erhebe dich und steh auf‹ (WA 34 II, 323, Anm. 23). Da Rörer den adversativen Sinn durch das »aber« unpassend fand, hat er darüber die Worte »vel et« geschrieben, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass man auch ein »und« schreiben könnte. Dies weist nach Buchwald daraufhin, dass er seine Kopie der nicht von ihm stammenden Mitschrift bei einer zweiten Durchsicht redaktionell verbesserte. Vgl. Bos. q. 24e Bl. 226a –230a. 272 In der Predigt vom 20. Okt. 1519 (WA 9; 415f) wird die Sündenvergebung allein durch Gott und nicht durch die Priester hervorgehoben. Vom 25. Okt. 1522 stammt eine Doppelpredigt über Mt. 9 in der Pfarrkirche zu Weimar gehalten (WA 10 III; 386–393. 394–399). Hier betrachtet er am Vormittag zuerst mehr den Glauben des Gichtbrüchigen und dann die Liebe seiner Träger (WA 10 III; 389,20–23) und am Nachmittag zunächst die Aufhebung des Unterschieds zwischen Klerus und Laien (WA 10 III; 394,25–27. 396,11–14), worauf eine allegori269

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schichte folgend ist die Predigt in drei Abschnitte gegliedert.273 Im ersten bezieht sich Luther auf die Krankheit des Gelähmten und den Zuspruch der Sündenvergebung durch Christus. Er hebt dabei hervor, dass die Sünde im Vergleich zur Lähmung die eigentliche Hauptkrankheit sei, die ohne jede Leistung durch den Menschen vom Arzt Jesus Christus geheilt werden könne.274 In diesem Zusammenhang polemisiert er gegen die Papstkirche, die lange Zeit mit ihrer Ablasspraxis wie die Schriftgelehrten im Text eine andere Lehre verfolgt hätte.275 Der zweite Teil geht vom Streitgespräch zwischen Jesus und den Schriftgelehrten aus, die ihm Gotteslästerung vorwerfen. Diesen Vorwurf verknüpft Luther mit seiner Biografie: Auch er kenne den Vorwurf der Häresie nur allzu gut.276 Der dritte Abschnitt bezieht sich auf die Reaktion der Menschen nach dem Wunder, die erschraken und Gott priesen. Luther nimmt dies zum Anlass, um die aufkommende Haltung einiger in der Gemeinde zu kritisieren, die über sieben Jahre hinweg nicht mehr zum Abendmahl gegangen seien und die Kirche mieden.277 Auch wenn man den Katechismus auswendig aufsagen sche Deutung des Bibeltextes folgt (WA 10 III; 399). Die Predigt vom 11. Okt. 1523 (WA 11; 191–193) unterteilt eher in zwei Teile: die Lehre und die Einschärfung des Evangeliums (WA 11; 191,33–192,7). In der Predigt vom 2. Okt. 1524 (WA 15; 969–712), die später als Einzelpredigt (ebd.) und danach als Postille gedruckt wurde (WA 10 I.2; 410–412), geht Luther zunächst auf den Bibeltext ein, dann auf den falschen Glauben im Zusammenhang mit der Kindertaufe und drittens auf den Unterschied der Sündenvergebung durch Gott und deren Verkündigung durch den gläubigen Christen. Am 5. Oktober 1529 predigte Luther über die Heilungsgeschichte in Marburg (WA 29; 562–581); die Predigt fand später Eingang in die Sommerpostille (WA 22; 322–324). In der Themenpredigt entfaltet Luther seine Unterscheidung der doppelten Gerechtigkeit, indem er zum einen die äußerliche Gerechtigkeit in der Welt und zum anderen die innere Gerechtigkeit vor Gott auslegt (vgl. WA 29; 562,24. 569,25). Das Thema wird in drei Abschnitten entfaltet, zuerst wird darüber gesprochen, was die christliche Gerechtigkeit sei (vgl. WA 29; 575,37f), danach, woher sie komme (vgl. WA 29; 575,38f), und schließlich, wie solche Gerechtigkeit erlangt werden könne (vgl. WA 29; 578,38f). 273   Ein Gliederungshinweis vom Ende des zweiten und Beginn des dritten Abschnitts erfolgt durch die Formulierung: »Hoc secundum est, quod suam doctrinam tuetur. 3m, quod laudant deum, qui potestatem dedit« (WA 34 II; 333,23f). 274   »Es mangelt aber dar an, quod ipse in peccatis ligt, welches die rechte heubtseuche ist, quae omnibus anligt, Si illa abesset, so wer der sach wol zuraten, Et all plage, quae nobis imposita, hinc fluit, quod ynn sunden sind und die heubtkranckheit haben. Dieser medicus Christus greifft dieser kranckeit nach dem hals non sanaturus a paralysi, nisi prius a peccatis sanarit« (WA 34 II; 329,22–27). Ebenso: »Morbus et mors nostra ist allein ein plag und straffe umb der sunde willen. Ablato autem peccato omnis morbus ablatus est« (WA 34 II; 330,7f). Ebenso aus der Perspektive Christi gepredigt: »Iuvabo te a morbo, sed prius causam morbi tui, hoc est peccatum, oportet remitti, tolli« (WA 34 II; 330,15–17). 275   »Papa et quicunque sapientes, qui mundum regunt, et potentes dicunt damnatam doctrinam. Nolunt audire, videre hominem iustificari per fidem et remissionem peccatorum eum consequi per fidem. Permittunt quidem remitti peccata, sed oportere eam prius mereri, musse ein sack anziehen, ieiunare […]. Sic troddelkremer deus fit« (WA 34 II; 331,12–17). 276   »Sic ego ridere debeo, quando arguor haereticus« (WA 34 II; 332,3f). 277   »Et fit, ut per 7 annos ad Sacramentum non accedant, sehen die kirchen an et praetereunt« (WA 34 II; 334,30f).

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könne, würde das Herz kalt bleiben, wenn man das Wort und Sakrament nicht an sich heranlasse.278 Auch Luther, obwohl er Doktor sei, gehe es so, dass er jeden Tag den Katechismus durchgehen müsse, um kein kaltes Herz zu bekommen.279 Deshalb fordert er die Gemeinde auf, Gottes Wort zu hören, das Sakrament anzunehmen, das Evangelium zu verbreiten, mit den Kindern vor dem Essen zu beten und dem Nächsten zu helfen.280

3.8 Der Rückblick auf Karlstadt (22. Oktober 1534) Einen tieferen Einblick in die Situation der Kemberger Gemeinde gewinnt man aus der Predigt vom 22. Okt. 1534, einem Donnerstag, über den Fischzug des Petrus (Lk. 5, 1–11). Die Predigt ist durch eine Mitschrift Rörers überliefert.281 Da Luther damit beginnt, dass die Gemeinde bereits vier Kapitel aus dem Lukasevangelium gehört habe und nun das fünfte folge, kann von einer Reihenpredigt ausgegangen werden, in deren Rhythmus sich Luther einfügte.282 Das wird wohl auch der Grund gewesen sein, warum Luther im Vergleich zu seinen anderen Predigten über diese Perikope hier in ganz eigener Weise den Predigttext auslegt und dabei direkt auf die aktuellen Probleme innerhalb der Kemberger Gemeinde zu sprechen kommt.283 278   »Quanquam scis verbatim catechismum, tamen cor nondum calidum est, imo si hodie calidum, cras frigidum erit« (WA 34 II; 336,22f). 279   »Ego doctor sum et tamen oportet me accedere, nisi velim plane frigidus fieri. Oportet me mane recensere catechismum verbatim et opus mihi facere, et tamen tam bene scio ac tu, et tu per annum sine Sacramento ghest da hin et contemnis audire verbum. Jch werde nicht warm noch hab lust zum Sacrament, nisi semper in ore habeo verbum, quia wens ex ore weg ist, tum cor fit frigidum« (WA 34 II; 335,18–23). 280   »Sic tu, quando audis verbum dei, Sacramentum accipis, dei verbum honore afficis, oras cum liberis tuis ante mensam, deinde proximum iuvas, non ad iusticiam, sed ad dei honorem, Et non ein geitziger wanst bist, Haec sunt bona opera, quae sequuntur, et laus dei« (WA 34 II; 336,15–18). 281   WA 37; Nr. 62, 555–560, Erhalten in Rörers Nachschrift Bos. q. 24n Bl. 127b –131a. 282   »Audistis 4 capita in Luca. Sequitur 5« (WA 37; 555,2). 283   In der Predigt vom 20. Juli 1522 (WA 10 III; 228–234), die später gedruckt wurde, thematisiert Luther den Glauben zunächst hinsichtlich der zeitlichen und dann hinsichtlich der ewigen Güter, wobei er die gefangenen Fische im Bibeltext (Lk. 5, 6) allegorisch als Früchte des Glaubens deutet (WA 10 III; 228,4–8; 231,5. 27). Der rote Faden der Predigt vom 5. Juli 1523 (WA 11; 144–147; WA 12; 617–619), in der das Problem der Austritte aus den Klöstern und der Heirat von Klerikern berührt wird (WA 11; 145,8f; WA 12 618,18–23), ist hingegen der Unterschied zwischen dem »Milchglauben« vieler und dem »großen Glauben« weniger (WA 11; 144,24. 29. 32; WA 12; 617,5f. 24). Am 19. Juni 1524 (WA 15; 637–640) knüpft Luther wieder mehr an die Predigt vom 20. Juli 1522 an und legt den Schwerpunkt auf die Sorge um die Seele einerseits und Sorge um den Körper andererseits (WA 15; 637,12–14. 20). Eine ähnliche Disposition zeigt die Predigt vom 12. Juli 1528 (WA 27; 253–259, hier 253, 22f. 26f). In der Predigt vom 27. Juni 1529 (WA 29; 436–443) geht Luther zunächst auf das äußere Geschenk Gottes ein, indem die Fische exemplarisch als materielle Güter gedeutet werden, und dann auf das Evangelium als inneres Geschenk, welches Petrus als Menschenfischer weitertragen soll (WA 29; 442,18f. 34f). Einen ähnlichen Aufbau verwendet er in der Predigt vom 9.

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Ausgehend vom Bibeltext bemerkt Luther, dass dort, wo das Evangelium nicht leuchte, Nacht sei und alle Werke, wie die des Petrus, der die Netze ausgeworfen hat, sinnlos seien.284 Luther überträgt dies auf die Gemeinde in der Zeit vor den reformatorischen Veränderungen. Damals habe man die Heiligen verehrt, man pilgerte nach Regensburg, Santiago de Compostela, Rom oder Jerusalem, habe strenger Disziplin unterlegen und Ablass erworben. Dennoch seien all diese Mühen vergeblich gewesen. In Anspielung auf den Bibeltext seien sie alle in der Nacht erfolgt.285 Er beklagt hierbei, dass zum einen die Jüngeren diese Zustände gar nicht mehr kennen würden, zum anderen die Älteren die Mühen schnell vergessen hätten.286 Er beobachtet bei den Älteren eine gewisse Abstumpfung gegenüber dem Evangelium und wirft ihnen vor, dass sie nichts tun, damit die Jugend etwas von den früheren schlimmen Zeiten und den Wohltaten durch das Evangelium erfahre.287 Jene Situation vergleicht er mit dem Volk Israel, das sich zwei Jahre nach der Befreiung aus der Knechtschaft nicht mehr an die schlimmen Zustände in Ägypten sowie an die Fürsorge Gottes in der Wüste erinnerte.288 Deshalb habe Gott seinem Volk gegen das Vergessen die Zehn Gebote gegeben. Geholfen habe es jedoch nichts, denn es habe sich erneut Juli 1531 (WA 34 I; 570–576, hier 570,20f. 25f; 576,32) und ausführlicher in der Predigt vom 30. Juni 1532 (WA 36; Nr. 26, 201–206, hier 201,20f 28f; 202,11). Daran anknüpfend unterscheidet er in der Hauspredigt vom 13. Juli 1533 zwischen leiblichem Trost und Lehre und geistlichem Trost und Lehre (WA 37; Nr. 27, 108–111, hier 108,11f). Einen anderen Akzent setzt Luther in der Predigt vom 5. Juli 1534 (WA 37; Nr. 46, 476–480). Hier konzentriert er sich ganz auf das Volk, das so begierig war, Jesu Worte zu hören, dass dieser vom Boot aus predigen musste. Jene Haltung, Gottes Wort gern zu hören, sieht er als vorbildhaft an (WA 37; 476,28–477,5; 478,7f). 284   »Quando Euangelium non adest, et illa lux non lucet in mundo, tum est eitel nacht et in illa labor inanis et nullum lucrum darbey« (WA 37; 555,8–10). 285   »Cum in tenebris ambulabamus, faciebamus multa, et totus mundus laborabat, itum est ad Sanctos, peregrinatum und verzeret viel gelt, und seer streng wesen, gros ablas, ut homines currerent ad S. Iacobum, Rom, Jerusalem, Wolfgang« (WA 37; 555,14–17)«. Die Erwähnung Wolfgangs von Regensburg (um 924–994) ist hierbei wohl nicht zufällig, da es in Kemberg auch eine Wolfsgangkapelle gab. Sie wurde um 1200 als eine der ersten Kirche in Kemberg gebaut. Um das Jahr 1575 wurde die Kirche säkularisiert und das Grundstück mit dem Gebäude ging in Bürgerbesitz über. Sie diente als Pilgerkirche, damit die Menschen Kraft für den bevorstehenden Marsch durch den Wald nach Düben sammeln konnten. Vgl. Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt II, Regierungsbezirke Dessau und Halle, München 1999, 351. Vgl. ferner WA 37; 555, Anm. 4. 286   »Nos vero et praecipue iuventus nihil meminit de labore nostro, et senes obliviscuntur, quasi semper habuissemus istud ocium, ut non quaesissemus apud Sanctos, peregrinationes et plures molestos labores« (WA 37; 555,22–556,1). 287   »Iam so faul und verdrossen, ut maximum gaudium et thesaurum non possimus, non sapit. Quid sequetur? Et praesertim qui iam obliviscuntur, et iuvenes, qui non noverunt, Wenn man nicht considerat beneficia? Ex isto contemptu et ingratitudine sequitur &c.. Nullus vestrum, quem non iuvat Euangelium« (WA 37; 556,10–14). 288   »Ubi Moses venit et educit ex miserrima captivitate, erat from, postea, ubi per mare rubrum et non habuerunt Pharaonem, qui trucket &c.. rein vergessen das alls in 2 annis, ut non semel recordarentur, wie ubel es in gangen« (WA 37; 556,23–26).

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unter die Hände der Könige begeben.289 So ähnlich verhalte es sich jetzt auch in der Kemberger Gemeinde. Luther erinnert daran, dass so mancher aus Kemberg sein ganzes Gut an das Kloster abgegeben habe und dass die Bürger früher sehr geplagt worden seien mit dem Ablass. Jedoch seien jene Werke unnütz gewesen.290 Wie Gott aufgrund des Ungehorsams des Volkes Israel feurige Schlangen geschickt habe, so könne es auch der Gemeinde in Zukunft ergehen: Jetzt säßen sie noch »im Rosengarten«291. Damit meint Luther einen glücklichen und sorglosen Zustand. Doch bald könne den Kembergern das Schicksal Augsburgs und Straßburgs drohen, die durch »Rotten«292 und falsche Predigern bereits vor sechs Jahren das Evangelium wieder verloren hätten. Luther spielt hier auf die ab der Mitte der 1520er-Jahre aufkommenden, radikalreformerischen Bestrebungen in den oberdeutschen Städten und in der Schweiz an.293 Ein Anführer der Täuferbewegung in Augsburg war beispielsweise der apokalyptisch geprägte Missionar Hans Hut.294 In Straßburg wirkte Melchior Hofmann 1529/1530 in Straßburg, der sich in dieser Zeit der täuferischen Bewegung anschloss, 295 sowie Pilgram Marpeck‚ der sich von 1530 bis 1532 dort aufhielt und in Auseinandersetzung mit Martin Bucer geriet.296 Solche 289   »Ideo lies ers schreiben in 10 praecepta, ut nunquam oblivisceretur […]. Sed es halff nicht […]. Er gab sich widder hin ynn die hende Regum, quia ipsi non curabant eum« (WA 37; 556,35–557,6). 290   »Mancher hat sein gantz gutt ins kloster zur kirchen geben. Vos, qui seculares, seid wol geplagt mit Ablas, seelmessen. Eitel geben, beutel und keller, kasten semper offen, et tamen als muhe und eitel« (WA 37; 557,7–9). 291   »Vos sedetis adhuc im Rosengarten videte in aliis maximis Civitatibus, Auspurg, Strasburg, quid iam habent? scilicet Rottas, qui auferunt et abstulerunt Euangelium. Es mussen luegen horen ut prius und hoch zu halten, ut schier anbeten. Hoc fit ob oculos nobis viventibus. Die habens schon 6 jar verloren« (WA 37; 557,14–18). 292  Ebd. 293   Fünf Tage vor der Kemberger Predigt beschäftigte sich Luther mit den Verhältnissen in Oberdeutschland. In einem Brief an Landgraf Philipp von Hessen wünscht er sich hinsichtlich des Abendmahlverständnisses eine beständige Einigkeit mit den oberländischen Predigern und bedauert, dass nur wenige Martin Bucer folgen (vgl. Brief vom 17. Okt 1534, WA B 7; Nr. 2142, 110). 294  Vgl. Gottfried Seebaß: Der Prozeß gegen den Täuferführer Hans Hut in Augsburg 1527, in: Ders.: Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, Göttingen 1997, 227–244. Zur Augsburger Reformationsgeschichte vgl. Andreas Gößner: Weltliche Kirchenhoheit und reichsstädtische Reformation. Die Augsburger Ratspolitik des »milten und mitleren weges« (Colloquia Augustana 11), Berlin 1999, vgl. ferner die klassische Darstellung von Friedrich Roth: Augsburgs Reformationsgeschichte, 4 Bde, München 1901–1911, Nachdruck 1974, hier Bd. 2, 1974, 13–15. Auf Hans Hut in einem Atemzug mit Thomas Müntzer, Ludwig Hätzer, Balthasar Hubmeier und Huldrych Zwingli verweist Luther in dem Brief vom 21. Dezember 1532 an den Rat zu Münster (WA B 6; Nr. 1983, 400f, hier 400,14f). 295  Vgl. George Huntston Williams: The Radical Reformation (Sixteenth century essays and studies 15), Kirksville 2000, 387–393, vgl. ferner Klaus Deppermann: Melchior Hoffman. Soziale Unruhen und apokalyptische Visionen im Zeitalter der Reformation, Göttingen 1979, 139–193. 296   Zur Wirksamkeit Marpecks in Straßburg vgl. Stephen B. Boyd: Pilgram Marpeck. His

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Prediger habe die Gemeinde in Kemberg auch erlebt. Er verweist hierbei auf Karlstadt und seine Anhänger, die das Evangelium verfälschten und beinahe die Gemeinde dazu gebracht hätten, die erfahrenen Wohltaten zu vergessen.297 Luther hat hier den Aufenthalt von Andreas Bodenstein vor Augen, der von ca. Dezember 1526 bis Februar 1529 in Kemberg wirkte und durch seine Predigttätigkeit Unruhe erregte, sodass er schließlich in die Schweiz fliehen musste.298 Solche unruhigen Zustände sollten in der Gemeinde nicht wieder entstehen. Diejenigen, die jene Zeit erlebt hätten, sollten sich ihres Entsetzens erinnern, die Jüngeren aber sollten sich davor fürchten und Gott die Ehre erweisen, indem sie das Evangelium gern hören und lesen würden.299 Denn ansonsten kehre der Teufel zurück und hole sieben andere Geister, die noch schlimmer seien. Damit spielt Luther auf die Rede Jesu von der Rückkehr der unreinen Geister in Mt. 12, 45 an.300 In prophetischer Weise deutet er die Zeit als die Enthüllung des Antichristen. Denn die Menschen seien böse und würden keinen Gott mehr kennen.301 Wer in diesen Zeiten nicht das Evangelium annehmen wolle, der verachte nicht den Pfarrer, sondern Christus.302 Er ermuntert die Gemeinde, auf die evangelischen Prediger zu hören und ihnen nicht mit Ungehorsam zu begegnen. Denn zunächst freute sich die Gemeinde über die Befreiung aus der Knechtschaft der Papstkirche und hörte gern die Verkündigung des Evangeliums, aber später wurde sie der Worte überdrüssig und hegte Misstrauen gegenüber allen Pfar-

Life and Social Theology (VIEG, Abt. Religionsgeschichte 47) Mainz 1992, 63–68; Neal Blough: Christologie Anabaptiste. Pilgram Marpeck et l’humanité du Christ, Genf 1984, 28–32, 36f., 97–105; William Klaassen: Covenant and community. The life, writings and hermeneutics of Pilgram Marpeck, Grand Rapids 1968, 25–32. 36–45, Ders./Walter Klaassen (Hg.): The writings of Pilgram Marpeck, Kitchener 1978, 23–36; Camill Gerbert: Geschichte der Straßburger Sectenbewegung zur Zeit der Reformation 1524–1534, Strassburg 1889, 97–106. Vgl. ferner Stephen B. Boyd: Pilgram Marpeck, Martin Luther and the Humanity of Christ, in: Mennonite Quarterly Review 61 (1987), 203–212; Jan J. Kiwiet: Pilgram Marbeck. Ein Führer in der Täuferbewegung der Reformationszeit, Kassel 21958. 297   »Es war nicht weit davon, quando Karlstad hie, suum semen. Unser Herr Gott schickt gifftig, feurig i. e. prediger, ut meriti, quando nolunt recordari malorum et beneficiorum corporalium et spiritualium, tum recte facit, quod aufert beneficia und lesst schaden per luegen et externe geschunden« (WA 37; 557,19–23). 298   Siehe oben Seite 184. 299   »Nos, qui drinn gewest, qui non solum audimus, sed experti, sollen druber entsetzen, et iuvenes furchten und libenter facere die Ehr, ut libenter audiremus et legeremus, praesertim cum nihil kostet, sed tantum orhen hin leihen« (WA 37; 557,26–29). 300   »Et horribilis res supra modum, quia Christus dicit Matth. 12. Ubi expulsus diabolus, redit rursus et accipit secum 7 spiritus nequiores se &c.. Et horribiliter concludit: wird mit dem menschen 7. erger &c« (WA 37; 558,2–5). 301  »Mich duencket, quod iam sit tempus, de quo ab inicio Christianitatis praedictum, quando Antichristus revelatus, tum homines so bos, quasi non habeant deum« (WA 37; 558, 8–10). 302   »Qui non vult audire, ille non pfarrherr contemnit, sed Christum«(WA 37; 558,27f).

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rern.303 Deshalb solle jeder aus der Kemberger Gemeinde – so die erneute Anspielung auf die Perikope – aufpassen, dass er als Fisch ins Netz des Menschenfischers gehe und nicht weiterhin im Meer schwimme, wo andere Fische ihn fressen könnten.304 Insofern zeichnet Luther bewusst ein Horrorszenario, um zu zeigen, was passiere, wenn die Gemeinde nicht mehr auf das Evangelium höre: Pest und Krieg würden kommen, Soldaten würden nicht nur Bücher vernichten, auch Geld und Gut werde man verlieren, Kirchen würden zerstört und den Männern Frauen und Töchter genommen werden.305 Hierbei beruft er sich auf Ereignisse in Italien, bei denen sich viele erhängt hätten, weil sie jene Gräueltaten nicht mit ansehen konnten.306 Deshalb formuliert er zum Schluss der Predigt einige Gebetsanliegen. Er fordert die Gemeinde dazu auf, darum zu beten, dass die Not der Welt aufhöre, dass die Gemeinde vor den falschen Rotten bewahrt werde, dass der Kaiser die Tyrannen abwehre, dass die Könige und Fürsten nach Frieden und guter Herrschaft strebten, dass die Verwalter der Stadt mit Ernst ihrer Pflicht nachkämen, dass Bürger und Bauern Gott ehrten und fromm werden und dass schließlich alle Gottes Beistand erlebten, die geistlich und leiblich geplagt seien.307

303   »[O]mnes gaudent, quod omnes erepti ex tenebris, nocte, ut hodie plures sub Principibus et Episcopis libenter essent las &c.. Si los wurden, schlugen zu mit haufen, ut nos. Sed ubi liberati, gratias agunt, Euangelii praedicationem audiunt. Postea cogitant: est pfaffen wort, quomodo possum semper audire? und werden uberdrussig, faul und vergessen &c.« (WA 37; 559,5–10). 304   »Ideo dicit, quod rete fractum und fissch fallen hin aus. […] Et da sperst du dich. Si Petrus te non capit, invenies […] im meer, qui te fengt, vel walfisch […]. Ideo sitis admoniti et cogitate, ne veniatis in loch, ubi netz zureist« (WA 37; 559,10–15). 305   »Veniet tempus, wol wirs haben, et faciet quod mussen leiden cum Ablas. Postea pestis et krig, et uno veniente ist das Euangelium da hin. Ubi milites zuhacken bucher und weib, tochter, gelt und gut dazu, kirch dazu, ut concionem zerstoren und frawen, tochter« (WA 37; 560,9–12). 306   »Sic in Italia, quod plures sich erhenckt, qui non potuerunt videre istam indignationem« (WA 37; 560,12f). Die genauen Ereignisse, die Luther vor Augen hat, können nicht mehr ermittelt werden. In jener Zeit gab es eine Vielzahl an kriegerischen Auseinandersetzungen in Italien. Höhepunkt war die Plünderung Roms durch die deutschen, spanischen, und italienischen Truppen von Kaiser Karl V. am 6. Mai 1527 (vgl. Volker Reinhardt: Blutiger Karneval. Der Sacco di Roma 1527. Eine politische Katastrophe, Darmstadt 22009). Am 25. Nov. 1534 starb Clemens VII., worauf am 13. Okt. Paul III. folgte, sodass es beim Machtwechsel zu Unruhen gekommen sein kann. Vgl. Gerhard Müller: Die Römische Kurie und die Reformation 1523–1534. Kirche und Politik während des Pontifikates Clemens’ VII. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 38), Gütersloh 1969, 308–310. 307   »Orandum pro necessitatibus totius mundi. 1. das gottes reich venire velit, ut sanctificemur und heilig behalten per suum nomen et ut nos crescamus in fide et bona vita, und behut fur falschen Rotten et det veros, qui mit trew meinen, pro unsern lieben Herrn keiser &c.. und were allen Tyrannen, pro omnibus aliis Regibus et principibus, ut nach frid und gut regiment trachten, et praecipue pro principe et pro magistratu huius Civitatis, ut mit ernst suum officium, und burger und baur, ut Gott ehren und from werden, et pro omnibus, qui geplagt geistlich und leiplich« (WA 37; 560,32–40).

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3.9 Die Erziehung der Kinder (20. August 1535) Von Rörer ist eine weitere Predigt erhalten, die aus Kemberg stammt.308 Luther hielt sie am Freitag, dem 20. August 1535. Vom 15. bis 19. August war er mit Melanchthon am Hof des Kurfürsten,309 um dort die Bitte des Freundes zu unterstützen, ihn von seinen Lehrverpflichtungen zu beurlauben, damit er nach Paris reisen könne, um über Glaubensfragen mit dem französischen Hof zu verhandeln.310 Auf der Rückreise nutzte Luther die Gelegenheit, in Kemberg einen Zwischenhalt einzulegen, um dort von der Kanzel zu sprechen. Zu Beginn erinnert Luther die Gemeinde daran, dass sie bereits neulich eine Auslegung über Kapitel 6 des Epheserbriefes gehört habe.311 Daher ist zu vermuten, dass es sich hierbei um eine Reihenpredigt der Kemberger Gemeinde handelt, an die Luther mit seinen Gedanken anknüpft. Weil Luther sich auf die christliche Haustafel (Eph. 6, 1–3) bezieht, in der das Verhältnis zwischen Eltern und Kinder thematisiert und das vierte Gebot zitiert wird, kann man die Kanzelrede auch als Dekalogpredigt bzw. Katechismuspredigt über das Gebot der Elternliebe auffassen. Ihr Thema ist die rechte Erziehung der Christen. Zunächst verdeutlicht Luther, dass ohne jenes Gebot Haus, Hof, Stadt und Land nicht bestehen könnten. Die Pflicht, die Eltern zu ehren, sei ein Gebot der   Vgl. Bos. q. 24k Bl. 178a –182a; WA 41; Nr. 45, 404–410.   Im Brief Johann Friedrichs an Doctor Brücken vom 19. Aug. 1535 berichtet der Kurfürst: »Euch wollen wir gnädiger Meinung nicht bergen, dass Magister Philippus Melanchton am nächst vergangenen Sonntag [15. Aug.] zu Torgau bei uns gewesen […]. Nachdem aber Dr. Martinus bei uns zu Torgau auch gewest« (CR 2, Nr. 1305, 907–910, hier 907f). Vgl. ferner den Brief vom 17. Aug. 1535 an Kurfürst Johann Friedrich (WA B 7; Nr. 2221, 226. 229f) und den Brief an Justus Jonas vom 19. Aug. 1535 (WA B 7; Nr. 2223, 232f) sowie Melanchthons Briefe vom 15./16. Aug. 1535 an die Räte des Kurfürsten Johann Friedrich (CR 2, Nr. 1304, 907– 910). 310   Die Reise steht im engen Zusammenhang mit Melanchthons Bemühen, zusammen mit Frankreich eine Schlichtung zwischen Glaubensparteien zu erreichen. König Franz I. strebte eine Allianz mit den protestantischen Fürsten an und versuchte daher, Glaubensgegensätze zu überwinden. Im Juli 1534 erhielt Melanchthon eine offizielle Anfrage Frankreichs, überbracht durch den Pforzheimer Ulrich Geiger, Annäherungspunkte zwischen Alt- und Neugläubigen aufzulisten. Daraufhin verfasste er das Ausgleichsdokument ›Consilium ad Gallos‹ (CR 7, 741), in dem er der Gegenseite in Glaubensfragen sehr weit entgegenkam, wie beispielsweise hinsichtlich der Heiligenverehrung und der Anerkennung des Papsttums. Am 28. Juni 1535 wurde Melanchthon nach Paris eingeladen, um über die Einheit der Kirche an der Pariser Universität zu disputieren. Luther bestärkte ihn, diese Reise anzutreten. Dafür bedurfte es aber der Beurlaubung durch Kurfürst Johann Friedrich, weshalb Luther und Melanchthon nach Torgau reisten. Der Kurfürst war darüber verärgert, dass hinter seinem Rücken mit dem französischen König verhandelt worden war und erteilte dem Anliegen eine scharfe Abfuhr. Vgl. Beate Kobler: Die Entstehung des negativen Melanchthonbildes (BHT 171), Tübingen 2014, 284–290; Stefan Rhein: Melanchthon und Europa. Eine Spurensuche, in: Jörg Haustein (Hg.): Philipp Melanchthon. Ein Wegbereiter für die Ökumene (BenshH 82), Göttingen 1997, 46–61, hier 55–59; Karl Josef Seidel: Frankreich und die deutschen Protestanten. Die Bemühungen um eine religiöse Konkordie und die französische Bündnispolitik in den Jahren 1534/35 (RST 102), Münster 1979, 16–28. 311   »Nuper audistis textum Pauli ad Eph. 6« (WA 41; 404,20). 308

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Vernunft, an das alle Völker zu ihrem eigenen Überleben gebunden seien.312 Luther interpretiert somit das Gebot auf naturrechtlicher Ebene, in einem allgemein rationalen Sinn. Doch ihm zufolge deutet Paulus das Gebot auch im spezifisch christlichen bzw. spirituellen Sinn, da dieser nicht nur den Gehorsam gegenüber den Eltern, sondern auch gegen Christus fordere.313 Luther bedauert, dass viele ihre Kinder wie die heidnischen Völker nur dahingehend erzögen, dass sie später mal ein Haus besitzen und zu Ehre kommen, während sie die Erziehung zum Gehorsam gegenüber Gott vernachlässigten.314 Eine verfehlte Erziehung, die Luther als Inzucht bezeichnet, bestehe darin, dass in dem Kind eine angstvolle Scheu entstehe und es das Vertrauen zum Vater verliere.315 Dies sei lediglich ein papierner oder hölzerner Gehorsam im Vergleich zu dem wahren, goldenen Gehorsam.316 Gegenüber den Eltern, aber auch gegenüber Gott solle jedoch die Furcht immer mit Liebe gepaart sein. Beides dürfe nicht voneinander getrennt werden.317 Furcht und Liebe seien wie die Farben Rot und Weiß bzw. wie Blut und Milch, womit er wohl auf das Hohelied (Hld 5, 10) und die Klagelieder (Klgl 4, 7) anspielt, in denen die beiden Farben als Sinnbild für Schönheit und Lebensfrische stehen.318 Deswegen lobt er diejenigen, die Schulen gestiftet haben, in denen die 312   Bezogen auf Paulus äußert sich Luther: »Discrimen facit inter Christianos et gentes, qui etiam docent, ut filii et familia obediant parentibus et dominis. Si hoc non, stunde wedder hause, hoff, stad, land« (WA 41; 405,4–6). 313   »Sed Paulus facit spirituale hoc praeceptum et dicit: Non solum debetis obedire ut gentium filii, Sed ›in Christo‹. Gentes tantum obedientiam servarunt, ut kunden das leiblich leben erhalten. Huc ipsi gezogen obedientiam, de Christo nihil sciverunt. Vos autem, qui baptizati et Christiani, debetis vestram kindlichen gehorsam erzeigen in Christo« (WA 41; 405,9– 13). 314   »Quidam ex gentibus haben zogen ir kinder nach irem mutwillen, et hodie multi nihil curant, quomodo educentur, tantum, ut habeant domos, reich werden, zw ehren komen. Sic gentiles &c.. quando auffs hochst gezogen, Ein hubsch frawen geben. Das ist welt. Sed dw, Christiane, vide, ut tuus puer erzogen werde ›in der zucht und vermanung domini‹« (WA 41; 406,8–13). 315   »›Jnn zucht.‹. Hactenus eytel heidenisch ding, quia gentes etiam sic castigant. Sed hic dicit: Christlich ziehen« (WA 41; 407,20f). Vgl. ferner: »Ein vater sol kind so ziehen, ut kind behalt ein zuversicht ad patrem, ne so grawsam cum eo umbghe, ut amittat fiduciam ad patrem et ad alios plus quam ad patrem. Ex his wird nichts guts aus, quando blode ist und sych schewet vor dem vater, Alibi quaerit huelff und rat et contemnit patrem et matrem« (WA 41; 406,14–16). 316   »Das ist aurea obedientia et dinste, illa prior papyracea und hultzerene gehorsam« (WA 41; 405,14); vgl. ferner: »Ideo vos parentes estis inn gulden herrschafft, ubi gentes tantum habent papyraceam et ligneam potestatem« (WA 41; 409,29f). 317   »Das ist 1, ut sit gemengt furcht mit lieb, das beydes bey samen sey. Sic ad deum debemus habere ista duo« (WA 41; 407,14–16). 318   Die Farbsymbolik durchzieht die gesamte Predigt: »Rote sol sein furchte coram patre et tamen sthe inn der milch« (WA 41; 407,1). »Ibi utrumque: rot und milch« (WA 41; 407,18). In Rörers Handschrift steht über »milch« das Wort »weis«. Vgl. hierzu die Handschrift Bos. q. 24k Bl. 180a. »Quod Christum diligo, ist weis farb, et timeo tamen, das ist rot farb« (WA 408,15f). Hld 5, 10 lautet: »Mein Freund ist weiß und rot, auserkoren unter vielen Tausenden«.

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Drittes Kapitel

Kinder unterrichtet werden und lernen, den Katechismus aufzusagen.319 Er bittet die Eltern, alle ihre Kinder zur Schule zu schicken, und wendet sich gegen diejenigen, die dies nur mit einem Kind täten, weil sie die anderen für die tägliche Arbeit nutzen wollten.320 Da alle in Furcht und Liebe vor Gott erzogen werden sollen, sei es eine große Sünde, wenn man nicht allen Kindern Erziehung an den Schulen gewähre.321 Denn, wenn die Eltern versäumten, ihre Kinder zu erziehen, dann könne die Obrigkeit sie für das Versäumnis zwar nicht bestrafen, jedoch sündigten sie um so mehr vor Gott.322 Deswegen gebühre den Eltern, die für die christliche Erziehung sorgen, ein Heiligenschein wie einst den Heiligen.323 Ihre Aufgabe sei es, den Kindern das Fürchten und Vertrauen gegenüber Gott beizubringen,324 und es so zu tun, wie es St. Nikolaus getan habe, nämlich mit der Rute und dem Apfel zugleich.325 In dieser Hinsicht habe man für die Not der gesamten Welt zu beten.326

3.10 Die Warnung vor Täufern (27. Oktober 1537) Die letzte Predigt Luthers aus Kemberg stammt von Samstag, dem 27. Oktober 1537 und ist von Rörer mitgeschrieben.327 Auf der Grundlage dieser Mitschrift

In Klgl 4, 7 steht: »Ihre Fürsten waren reiner denn der Schnee und klarer denn Milch«. Vgl. ferner in der Vorlesung Luthers zum Hohelied über Hld 5, 10: »Ein schoner man, der ist weis und rot, das er sihet wie milich und blut« (WA 31 II; 713,25). Zur Bedeutung der Farben vgl. Gillis Gerleman: Ruth. Das Hohelied (BK.AT 18), Neukirchen-Vluyn 1965, 26. 99. 319   »Ideo bene fecerunt, qui 1. erdacht und stifftet scholas supra predigampt, quia multi haben so viel zuthun, ut des junges volcks nicht kunnen gewarten. Ideo hat man gemacht knaben und meidlein schulen, ut legitur de Martyribus, qui ad scholas adhibuerunt pueros. Es ist ein loblich stifft, qui 1. erdacht. Hinc catechismus a ›catecheo‹ verhoeren. Agnetem, Agatam parentes haben inn die schule geschickt. Ibi fuerunt, die sie verhoreten, quid in Christiana fide, Ut adhuc die kinder verhoret werden. Ideo schul verhoerung kinder et megdlein, das sie mussen auff sagen pater noster &c.. Et der loblichsten werck eins in Christianitate, quia leit dran, ut iuventus educetur« (WA 41; 408,17–26). 320   »Du gibst da zw 1 […], et alius facit laborem, ut educetur puer. Si vero putas liberorum curam nihil esse, tantum tuum laborem magni facis, so bistu ein saw, grobiane« (WA 41; 409,10–12). 321   »Ideo non lasse es gering sunde sein, quando negligis puerum et non ziehest &c.« (WA 41; 409,16f). 322   »Si pater verseumet, nemo eum strafft, burgermeister, princeps. Ideo parentum peccatum multo maius quam puerorum« (WA 41; 409,20–22). 323   »Verum du kanst dich ewig da von frewen. Ideo ein Christlicher vater, muter sol ein schemen haben circum caput ut olim Sancti« (WA 41; 410,1–3). 324   »Christlich ausrichtest, ut discat puer got furchten und im vertrawen« (WA 41; 410,3f). 325   »[…] ut servetis kindliche zuversicht neben der furchte, ut sit apfel und rut simul« (WA 41; 410,21f). 326  »Debemus orare iuxta praeceptum Christi fur die not der gantzen welt« (WA 41; 410,25f). 327   Vgl. WA 45; Nr. 37, XXXI. 190–194. Rörers Nachschrift ist aufbewahrt in Bos. q. 241 Bl. 99a –102a.

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existieren eine von Andreas Poach angefertigte Abschrift328 und eine von Johannes Aurifaber verfasste deutsche Bearbeitung.329 Da die Predigt mit den Worten einsetzt, dass die Gemeinde bereits eine Auslegung über Mt. 17, 27 gehört habe und nun Mt. 18 folge, ist davon auszugehen, dass in Kemberg gerade das Matthäusevangelium in Form von Reihenpredigten vergegenwärtigt worden war und nun Luther mit der Auslegung über den Rangstreit der Jünger in Mt. 18, 1–5 fortfuhr.330 Für Luther war dies ein willkommener Text, da er selbst gerade in seiner Wittenberger Gemeinde jeweils am Mittwoch Reihenpredigten über das Matthäusevangelium ab Mt. 18 hielt. Ungefähr dreieinhalb Monate vor der Kemberger Predigt, wohl am 4. Juli des gleichen Jahres, predigte er über Mt. 18, 1 und am 11. Juli über Mt. 18, 2–5.331 Vergleicht man die Wittenberger mit der Kemberger Predigt, so ergibt sich der Eindruck, dass Luther beide Wittenberger Predigten zu einer Predigt in Kemberg zusammenfasste, bei der er jedoch eigene Akzente mit Blick auf die Kemberger Gemeindesituation setzte. Die Kemberger Predigt ist der Gattung nach eine Homilie, die in zwei Teile gegliedert ist, die inhaltlich den beiden Wittenberger Predigten ähneln. Ausgehend von Mt, 1, 1 legt er im ersten Teil 328   Poachs Abschrift des Rörer’schen Manuskripts ist aufbewahrt im Maihingener Kodex (Signatur: I 3, 40, 11), Bl. 59b–61a. Der Maihingener Kodex ist eine Sammlung, aus der fast 1.600 Handschriften umfassenden Oettingen-Wallersteinschen Bibliothek, gegründet von Ernst II. von Oettingen-Wallerstein (1594–1679), die heute in der Universitätsbibliothek Augsburg aufbewahrt wird. Zu jener Handschrift vgl. WA 45; X; vgl. ferner Georg Grupp: Öttingen-Wallersteinische Sammlungen in Maihingen. Handschriften-Verzeichnis, 1. Hälfte, Nördlingen 1887, Nr. 390, 14. Vgl. ferner die Ausgabe der Poach-Abschriften von Georg Buchwald: Andreas Poachs handschriftliche Sammlung ungedruckter Predigten D. Martin Luthers aus den Jahren 1528–1546, Bd. 3, Leipzig 1885, 145–149. 329   Aurifabers deutsche Bearbeitung der Nachschrift Rörers existiert in der Heidelberger Handschrift, Nr. 41, Bl. 232b –239b und in den Münchner Handschriften, Nr. 1322, Bl. 1a–6b, sowie Nr. 5954, Bl. 2a –8a. Eigenartigerweise bricht bei der näheren Erläuterung zur Nr. 1322 und Nr. 5954 der Einleitungstext in der WA regelrecht ab (WA 45; XI). Aurifabers deutsche Bearbeitung wurde auch abgedruckt bei Georg Buchwald: Ungedruckte Predigten D. Martin Luthers aus den Jahren 1537–1540, Leipzig 1905, 179–186. Zur Heidelberger Handschrift vgl. Jakob Wille: Die deutschen Pfälzer Handschriften des XVI. und XVII. Jahrhunderts der Universitäts-Bibliothek in Heidelberg (Katalog der Handschriften der Universitäts-Bibliothek in Heidelberg 2), Heidelberg, 1903, (Cod. Pal. Germ. 10), 7. Die 555 Blätter umfassende Münchner Handschrift Nr. 1322 stammt aus dem Nachlass von Wolfgang Waldner. Vgl. Johann Andreas Schmeller: Die deutschen Handschriften der K. Hof- und Staatsbibliothek zu München, Teil 1 (Catalogus Codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis 5), München 1866, Nr. 1322, 198. 330   »Audivimus, quomodo Christus didrachma dedit inventum in ore piscis. Sequitur 18. cap.« (WA 45; 190,12f). 331   Vgl. WA 47; IX. 232–241 (Mt. 8, 1). 241–251 (Mt. 18, 2f). Das genaue Datum vom Beginn der Wittenberger Reihenpredigten über Mt. 18, 1–4 ist nicht eindeutig zu bestimmen. Sie fanden zeitgleich mit Luthers Reihenpredigten über das Johannesevangelium statt (vgl. WA 47; X; WA 46; XXXII). Buchwald nimmt in seinem Luther-Kalendarium an, dass die Wittenberger Predigt über Mt. 18, 1–4 am 4. Juli 1534 gehalten worden sein könnte. Vgl. Georg Buchwald: Luther-Kalendarium, Leipzig 1929, 113.

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Drittes Kapitel

der Kemberger Predigt die Frage der Jünger an Christus aus, wer der Größte im Himmelreich sei.332 Hierbei grenzt er die weltliche Herrschaft von der Herrschaft Christi ab. Die weltliche Obrigkeit habe gerade darin ihre Aufgabe, den Untergebenen übergeordnet zu sein und dafür zu sorgen, sie zu bessern und im Land Frieden zu halten.333 Die geistliche Herrschaft hingegen bestehe darin, dass Christi Apostel, Bischöfe und alle in der Nachfolge stehenden Geistlichen dazu berufen habe, sich den Menschen unterzuordnen und ihnen zu dienen.334 Im Vergleich zur Wittenberger Predigt fällt auf, dass hier die Polemik gegenüber dem Papst und der römischen Kirche deutlich geringer ausfällt.335 Der zweite Teil geht auf Mt. 18, 2–5 ein, worin beschrieben wird, wie Christus ein Kind zu sich ruft, die Jünger dazu auffordert, so zu werden wie die Kinder, und erklärt, dass derjenige, der ein solches Kind aufnehme, eigentlich ihn aufnehme.336 Während Luther sich in Wittenberg mehr auf Mt. 18, 5 konzentrierte und darüber reflektierte, was es bedeutet, dass sich Jesus hier mit einem Kind gleichsetzt,337 legt er in Kemberg den Akzent darauf, dass die Eltern und alle anderen Erzieher ihre Kinder geistlich auszubilden hätten.338 Luther betont die Wichtigkeit der Erziehung und erinnert daran, dass er und die Gemeinde auch falsche Prediger hätten aushalten müssen, wie beispielsweise die Täufer.339 Vermutlich hat Luther hier beispielsweise Marcus Thomae, genannt   Vgl. WA 45; 190,12–30   Luther verdeutlicht die Absicht Christi mit den Worten: »Non emisit ut weltliche regenten und samlen weltliche guter. Ad hoc multi sunt, qui leiblich regiern, ut land, leute gebessert und friede halten« (WA 45; 190,17–19). 334   »Sed in meo regno, qui minimus, est maximus. Qui am meisten dienet et novissimus diener, est grost« (WA 45; 190,30f). 335   In der Kemberger Predigt bemerkt er lediglich mehr im historischen Sinn, dass die späteren Verkündiger Christi zunehmend politische Ämter übernahmen: »Tunc etiam inceperunt hoc sentire, quod essent futuri reges, principes, Consules in diversis regnis. Sed non. Aliud officium, das nicht mit leib und gut umbgehet, sed die seele furet, quando weltlich regiment, parentes nicht helffen kunnen« (WA 45; 190,23–27). Am Ende des ersten Teils wird dann auch beiläufig der Gedanke erwähnt, dass das Amt des Papstes und der Bischöfe gefallen ist: »[H]oc officium Babst et Episcoporum. Das ist gefallen« (WA 45; 191,7). Vgl. ferner die Papstpolemik im zweiten Teil WA 45; 193,27–194,3. Dagegen setzt Luther in der Wittenberger Predigt gleich zu Beginn mit der Papstpolemik ein: »Dan ehr hat sein reich nicht zu einer weltlichen herrschafft gemacht, wie es den der Bapst sampt den ketzern darzu missbraucht hatte, der sich ins Teuffels namen hehrfhur gethan hat und uber alle keiser und konige auff erden erhaben« (WA 47; 232,10–13). 336   Der zweite Teil beginnt mit: »2. quod dicit: ›qui se humiliaverit, qui susceperit talem‹« (WA 45; 191,9f). 337   Allein fünf Mal zitiert Luther Mt. 18, 5 in der Wittenberger Predigt. Vgl. WA 47; 242,31f; 243,29–30; 244,17f; 245,33f; 247,31f. 338   So entfaltet Luther im folgenden den Gedanken, dass »man sich der kinder geistlich anneme, ut recte discant et vivant non falsch. Hoc praecipue doctoribus, quibus doctrinae officium commissum, tum omnibus patribus familias, consulibus, principibus« (WA 45; 191,21–23). Damit soll freilich nicht behauptet werden, dass die Gedanken der Wittenberger Predigt in Kemberg gar nicht anklingen (vgl. z. B. WA 45; 191,16f; 191,36f). 339   »Vide, quid nobis contigit, passi Anabaptistas et alios, fallen uns rein prediger dahin, 332 333

Luthers Wirken als Prediger im Umland von Wittenberg

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Stübner, und Martin Borrhaus Cellarius vor Augen, die den Zwickauer Propheten nahestanden und sich nach 1522 einige Zeit in Kemberg aufhielten.340 Am Ende seiner Predigt ermutigt Luther die Zuhörer, in der Gemeinde zu verbleiben, da Gott sie als Weizen unter den Disteln und Dornen gesät habe.341

Resümee Von den in der älteren Forschung angenommenen dreizehn Kemberger Predigten sind die ersten zwei vom 5. Oktober 1516 aus der Zählung auszuschließen, da sie in Wittenberg gehalten wurden. Die restlichen geben im Laufe der achtzehn Jahre eine Vielzahl von theologischen Themen zu erkennen, die Luther auf der Kanzel reflektierte: christliche Nachfolge, das Hören des Evangeliums, Buße, Vergebung, die Lehre Jesu und vieles mehr werden verhandelt. Musterpredigten wie im Sinne der Reisepredigten aus dem Jahr 1522 liegen hier nicht vor. Auch kann nicht davon gesprochen werden, dass Luther bereits gehaltene Predigten aus Wittenberg einfach noch einmal in Kemberg wiederholte. Freilich lässt sich beim Vergleich mit den Wittenberger Predigten ein Substrat an Gedanken erkennen. Dies jedoch sind Kerngedanken seiner Auslegung einzelner Schriftstellen. Auch in den Kemberger Predigten kommen diese wiederholt vor. Die Kanzelrede über die christliche Nachfolge vom Dezember 1519 ist hierbei von besonderer Bedeutung, da sie Luther als Vorlage für die Wartburgpostille verwendete, woraus sich wiederum wertvolle Rückschlüsse auf das Verhältnis von Predigt und Luthers eigenem Postillenwerk ergeben. Darüber hinaus liefern die Kemberger Predigten interessante Einblicke in konkrete gemeindepolitische Probleme. Praktische Fragen werden vor Ort erörtert wie die Messe, die Nimbscher Nonnenflucht, der gemeine Kasten, das Ausbleiben des Abendmahlgangs, die Kritik an Karlstadt, die katechetische Erziehung der Kinder und die Warnung vor den Täufern. Luther tritt hier weniger als einmalig predigender Gastredner auf, sondern vielmehr als einflussreicher und regelmäßig wiederkehrender Betreuer der Gemeinde des Wittenberger Umlands. tum alii impii« (WA 45; 194,3f). 340  Vgl. Heinrich Wilhelm Erbkam: Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation, Hamburg 1848, 509, Anm. 1; Joachim Camerarius: Das Leben Philipp Melanchthons (De Philippi Melanchthonis vita narratio), übers. von Volker Werner; mit einer Einführung von Heinz Scheible, Leipzig 2010, 64–68; vgl. ferner mit Angabe der wichtigsten Quellen- und Sekundärliteratur Thomas Kaufmann: Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung (SMHR, 67), Tübingen 2012, 467, Anm. 8. 341   »Es falle mein koch, haus, hof et corpus in sepulchrum, tantum, ut Ecclesia maneat et anima conservetur. […]. Multi hodie, qui libenter cuperent, ut funditus officium praedicandi. Ideo grati Christo, quod auditis redemptionem animarum, non inspiciat ingratitudinem et non dran kere, quod der ander bose hauffe so verzweifelt, weil wir unter disteln, dorn geseet, ut deus conservet triticum. Das wolt ich euch auff dis mall ermanen« (WA 45; 194,9–20).

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Drittes Kapitel

Neben der thematischen Vielfalt ist die Predigt vom 19. August 1531 aus überlieferungsgeschichtlicher Perspektive von besonderem Wert. Da sowohl Rörers Stenogramm als auch Poachs Ausarbeitung existieren, lassen sich wertvolle Erkenntnisse über das Verhältnis von Predigt und Druck gewinnen. Poach arbeitete mit spezifischen Redundanztechniken, die das ursprüngliche Manuskript um das Vierfache an Länge im Druck erweiterten: Die zirkuläre Entfaltung der Gedanken, die Anreicherung von Aufzählungen, das Einarbeiten von passenden Bibelstellen und das Ausziehen der dogmatischen Linien kennzeichnen dieses Vorgehen. Zwar handelt es sich um redaktionelle Umgestaltungen, jedoch gelangt man bei der Überprüfung der redaktionellen Eingriffe zur Erkenntnis, dass keine Gedanken verfälscht und auch nichts ausgelassen wurde. Trotz des Transformationsprozesses bleibt die »Quasiauthentizität« erhalten.

Viertes Kapitel

Der »Hofprediger« vor den politischen Herrschern Predigten in Weimar 1522, Wörlitz 1532 und Leipzig 1539

Einleitung Die Kontakte, die Luther zu den einzelnen Landesherren pflegte, waren nicht selten von seinen persönlichen Auftritten als Prediger beeinflusst. In vielen Fällen waren der niedere und höhere Adel bei seinen Predigten in Wittenberg zugegen. Doch häufig erhielt er auch gezielte Einladungen zu den Fürstenhöfen seiner Umgebung, um dort seine Lehren auf der Kanzel vorzustellen. Diese Predigten sind von besonderer Bedeutung. Zum einen nutzt Luther die auswärtigen Auftritte, um seine reformatorischen Anliegen dem Hofadel vorzustellen. So konnten diese sich ein eigenes Bild von seiner Persönlichkeit und seinem Denken machen. Zum anderen spiegelt sich in seinen Predigten in exemplarischer Weise sein Verhältnis zur Obrigkeit im Einzelnen wider. Aus ihnen lassen sich die verschiedenen Funktionen ablesen, die Luther als Prediger an den Höfen innehatte. Diese Kanzelreden wurden bisher noch nicht als Gruppe aus dieser Perspektive ausgewertet. Um die Predigten besser in ihrem zeitlichen Kontext einordnen zu können, soll vorab ein Überblick gegeben werden, in dem das Verhältnis Luthers zu den einzelnen Herrschern und die Einführung der Reformation in den jeweiligen Territorien der Machthaber skizziert wird. Danach werden drei Auftritte an verschiedenen Höfen außerhalb Wittenbergs betrachtet. Hierbei soll zunächst jeweils die historische Situation dargelegt werden, die Luther am jeweiligen Ort vorfand. Im Anschluss daran erfolgt die Untersuchung der Überlieferung und die genaue Analyse seiner Worte. In exemplarischer Weise werden hierzu die Weimarer ›Obrigkeitspredigten‹ aus dem Jahr 1522, die Einladung nach Wörlitz 1532 und schließlich die Einladung nach Leipzig anlässlich der Einführung der Reformation in Sachsen 1539 untersucht.

1. Luther und die politischen Machthaber Das Verhältnis Luthers zu den politischen Machthabern im mitteldeutschen Raum wird in der Forschung kontrovers diskutiert.1 Die Einschätzungen rei  Vgl. hierzu die beiden klassischen Aufsätze von Günter Wartenberg: Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin 1

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Viertes Kapitel

chen vom einflussreichen Revolutionär bis hin zum gehorsamstreuen Fürstenknecht.2 Freilich sind die Kontakte des Reformators zum Hochadel je nach Person und jeweiliger Zeitumstände differenziert zu betrachten. Zu Lebzeiten Luthers regierten nacheinander drei Landesherren über das ernestinische Kursachsen.3 Obwohl Friedrich der Weise für die Reformation von entscheidender Bedeutung gewesen war, hatte der Kurfürst den direkten Kontakt zum geächteten Luther vermutlich aus taktischen Gründen und aufgrund des Standesunterschieds gemieden.4 Wohl mit Ausnahme einer flüchtigen Begegnung auf dem Wormser Reichstag kam es zu keinem persönlichen Austausch von Angesicht zu Angesicht.5 Der Kontakt kam über Georg Spalatin zustande, Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, Bd. 1, Göttingen 1983, 549– 571 und Gerhard Müller: Luther und die evangelischen Fürsten, in: Erwin Iserloh/ Gerhard Müller (Hg.): Luther und die politische Welt. Wissenschaftliches Symposion in Worms vom 27. bis 29. Oktober 1983 (Historische Forschungen 9), Wiesbaden u. a. 1984, 438– 456. Vgl. ebenfalls Wolfgang Sommer: Christlicher Glaube und Weltverantwortung – Martin Luthers Beziehung zu seinen Landesherren, in: Ders.: Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze (FKDG 74), Göttingen 1999, 54–73; vgl. ferner Uwe Schirmer: Die ernestinischen Kurfürsten bis zum Verlust der Kurwürde 1485–1547, in: Frank-Lothar Kroll (Hg.): Die Herrscher Sachsens. Markgrafen, Kurfürsten, Könige (1089–1918), München 2004, 55–75; Hermann Kunst: Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seines Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens, Stuttgart 21979. 2  So der Titel des Aufsatzes von Gerhard Müller: Vom Revolutionär zum Fürstenknecht? Martin Luther und Friedrich der Weise, in: Ders.: Zwischen Reformation und Gegenwart, Bd. 2, Vorträge und Aufsätze, Hannover 1988, 9–20; vgl. ferner den Aufsatz- und Katalogband zur Torgauer Ausstellung »Luther und die Fürsten« von Dirk Syndram u. a. (Hg.): Luther und die Fürsten. Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation, Dresden 2015; vgl. ferner Ders.: Luther und die Fürsten in Torgau. Der Reformator auf Dienstreise, in: Sächsische Heimatblätter 61 (2015), 133–139. 3  Vgl. Christopher Spehr: Die Ernestiner und Martin Luther, in: Siegrid Westphal/ Hans-Werner Hahn/Georg Schmidt (Hg.): Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, Köln u. a. 2016, 23–31. 4  Vgl. Ingetraut Ludolphy: Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463–1525, Göttingen 1984; Bernd Stephan: Beiträge zu einer Biographie Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, des Weisen (1463–1525), 3 Bde, Leipzig 1980; Paul Kirn: Friedrich der Weise und die Kirche. Seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517. Dargestellt nach den Akten im Thüringischen Staatsarchiv zu Weimar, Berlin 1926, Nachdruck (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 30), Hildesheim 1972. 5   Luther selbst versichert in seiner Schrift ›Wider die himmlischen Propheten‹ 1525 bezogen auf Friedrich: »ia ich habe meyn leben lang mit dem selben fursten nie keyn wort geredt noch hören reden, dazu auch seyn angesicht nie gesehen denn eyn mal zu Worms fur dem Keyser« (WA 18; 85,16–18; vgl. ferner ›Wider Hans Worst‹, 1540, WA 51; 537,25–28; Bericht über Luthers Auftreten vor dem Wormser Reichstag [1521] WA 7; 832,8; WA T 5; 68,2f). Auch von anderer Seite wird diese Auskunft bestätigt. Im Jahr 1520 berichtet Hieronymus Aleander, päpstlicher Nuntius am Kaiserhof, dass Friedrich zu ihm gesagt habe, er habe keine zwanzig Worte mit Luther gewechselt (vgl. Adolf Wrede [Bearb.]: Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe, Bd. 2, Göttingen 1896, 461,22). In der 1526 begonnenen Schrift über Friedrich berichtet Spalatin, dass Friedrich bezogen auf Luther »nicht mit ihm jemals umging« (Georg Spalatin: Friedrich des Weisen Leben und Zeitgeschichte, in: Christian Gotthold Neudecker/Ludwig Pressler [Hg.]: Georg Spalatins historischer Nachlaß

Der »Hofprediger« vor den politischen Herrschern

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der zwischen beiden am Hofe vermittelte. 6 Friedrich der Weise pflegte im Schloss Torgau zu residieren oder mit seinem gesamten Hof durch sein Land zu reisen.7 Kurfürst Friedrich regierte gemeinsam mit seinem Bruder Johann dem Beständigen das ernestinische Gebiet. 8 Die Verwaltungsteilung im Jahr 1515 führte jedoch dazu, dass sich Friedrich stärker auf die Außenpolitik konzentrierte, während Johann mehr und mehr für die inneren Verhältnisse des Landes und insbesondere für das ernestinische Thüringen sowie für das Vogtland und Franken zuständig war. Deshalb besaß er eine eigene Kanzlei mit separater Finanzverwaltung. Sein Hauptsitz was Schloss Hornstein in Weimar. Im Vergleich zu seinem Bruder Friedrich war Johann in den frühen 1520er-Jahren ein Befürworter reformatorischer Maßnahmen, was jedoch keiner ausschließlichen Parteinahme für Luther gleichkam. Denn in dieser Zeit gab es mit Jakob Strauß9 in und Briefe, Bd. 1, 1851, 19–75, hier 34). Vgl. Ingetraut Ludolphy: Haben sie tatsächlich nie miteinander gesprochen? Luther und sein Landesfürst Friedrich der Weise, in: Luther 53 (1982), 115–121; Dies.: Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463–1525, Göttingen 1984, 384–386. 6   Neben der über 300 Briefe umfassenden Korrespondenz zwischen Luther und Spalatin sind 37 Briefe von Luther vom November 1517 bis zum 4. März direkt an den Kurfürsten adressiert, während aus der Feder Friedrichs vier Antworten an Luther bekannt sind. Vgl. Hermann Kunst: Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seines Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens, Stuttgart 21979, 35. 41, Anm. 2. 7   Kurfürst Friedrich hatte keine feste Residenz. Jedoch wurden die Reisen von Burg zu Burg bzw. von Schloss zu Schloss aufgrund des umfangreichen Aktenwesens immer aufwendiger. Neben Torgau und seinem Lieblingsaufenthalt Lochau sind hier u. a. Wittenberg, Eilenburg, Neu-Lochau, Liebenwerda, Coburg, Grimma, Weimar, Colditz, Altenburg, Belzig und Herzberg zu nennen. Vgl. aO., 120–136; vgl. Klaus Neuenfeld: Streifzüge durch Thüringer Residenzen. Ludowinger, Ernestiner, Henneberger, Reußen, Schwarzburger, Langenweißbach 2012, 92–144; Roswitha Jacobsen (Hg.): Die Residenz-Schlösser der Ernestiner. Kulturhistorische Porträts (Mitteldeutsche Miniaturen 8), Jena 2008. 8   Eine wissenschaftliche Biografie über Herzog Johann von Sachsen fehlt in der Forschung. Zum Verhältnis zu Luther vgl. Günter Wartenberg: Zum Verhältnis Martin Luthers zu Herzog und Kurfürst Johann von Sachsen, in: Günter Vogler (Hg.): Martin Luther. Leben – Werk – Wirkung, Berlin 51986, 169–177; Siegfried Bräuer: Die Vorgeschichte von Luthers »Ein Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist«, in: LuJ 47 (1980), 40–70; vgl. ferner Johannes Becker: Kurfürst Johann von Sachsen und seine Beziehungen zu Luther, Teil. 1, 1520–1528, Leipzig 1890; Carl August Hugo Burckhardt: Die Vermählung des Herzogs Johann von Sachsen 1. bis 5. März 1500, in: NASG 15 (1894), 283– 298. 9   Zu Jakob Strauß vgl. den Sammelband von Joachim Bauer/Michael Haspel (Hg.): Jakob Strauß und der reformatorische Wucherstreit. Die soziale Dimension der Reformation und ihre Wirkungen, Leipzig 2018. Vgl. ebenfalls Joachim Rogge: Der Beitrag des Predigers Jakob Strauß zur frühen Reformationsgeschichte (ThA 6), Berlin 1957, 24f; Hermann Barge: Jakob Strauß. Ein Kämpfer für das Evangelium in Tirol, Thüringen und Süddeutschland (SVRG 162), Leipzig 1937 sowie dessen Zusammenstellung der 18 Veröffentlichungen von Strauß Ders.: Die gedruckten Schriften des evangelischen Predigers Jakob Strauß, in: ARG 32 (1935) 100–121. 248– 252. Vgl. ferner Bernd Moeller/Karl Stackmann: Städtische Pre-

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Viertes Kapitel

Eisenach oder dem Hofprediger Wolfgang Stein10 in Weimar durchaus andere evangelisch gesinnte Führungspersönlichkeiten, die Einfluss auf Herzog Johann nahmen.11 Erst mit dem Jahr 1525, als Friedrich der Weise starb und sein Bruder die Alleinherrschaft mit Hauptsitz in Torgau übernahm, intensivierte sich das persönliche Verhältnis zu Luther.12 Durch Johann gefördert, kam es zu einer von der Obrigkeit gelenkten, administrativen Neuordnung des Kirchenwesens in Kursachsen, bis auch Johann im Jahr 1532 starb.13 Auf ihn folgte Johann Friedrich, der Großmütige.14 Als Residenzen wählte er u. a. die Schlösser in Wittenberg, Torgau und Lochau.15 Im Zuge des Schmalkaldischen Krieges 1547 verlor er die Kurwürde und herrschte nach seiner fünfjährigen Gefangenschaft bis zu seinem Tod 1554 als Herzog über die verbliebenen ernestinischen Gebiete. Das Verhältnis zwischen Johann Friedrich und Luther war von gegenseitigem Wohlwollen geprägt, gestaltete sich nach Johann Friedrichs Regierungsantritt 1532 lediglich etwas förmlicher.16 digt in der Frühzeit der Reformation. Eine Untersuchung deutscher Flugschriften der Jahre 1522 bis 1529, Göttingen 1996, 178–182. 351–360. 10  Vgl. Otto Clemen: Wolfgang Stein aus Zwickau. Hofprediger in Weimar und Superintendent in Weißenfels, in: ZKG 45 (1927), 555–562; auch abgedruckt in: Ders.: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1904), hg. von Ernst Koch, Bd. 5 (1922–1932), Leipzig 1984, 305–312. 11  Vgl. Günther Wartenberg: Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, Bd. 1, Göttingen 1983, 549–571, hier 549f. 12   Aus dem Zeitraum vom 15. Mai 1525 bis 12. August 1532 existieren 121 Briefe, die Luther an Johann verfasst hat, und 50 Antwortschreiben von Johann. Vgl. Hermann Kunst: Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seines Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens, Stuttgart 21979, 35. 41, Anm. 2. 13  Vgl. Eike Wolgast: Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa (QFRG 89), Gütersloh 2015, 31f. 14   Vgl. den Sammelband von Volker Leppin/Georg Schmidt/Sabine Wefers (Hg.): Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst (SVRG 204), Gütersloh 2006; Georg Mentz: Johann Friedrich der Großmütige (1503–1554), 3 Bde, Jena 1903–1909, zu seiner theologischen Einstellung vgl. aaO., Bd. 3, 261–271; August Beck: Johann Friedrich der Mittlere. Herzog zu Sachsen. Ein Beitrag zur Geschichte des 16. Jahrhunderts, Teil 1, Weimar 1858. 15   Vgl. hierzu Uwe Schirmer: Residenzen und Hofhaltung der ernestinischen Kurfürsten (1525–1547), in: Sächsische Heimatblätter 55 (2009), 312–323; Ingetraut Ludolphy: Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463–1525, Göttingen 1984, 120–136; zum Hofleben in Kursachsen vgl. Gerrit Deutschländer: Dienen lernen, um zu herrschen. Höfische Erziehung im ausgehenden Mittelalter (1450–1550) (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit 6), Berlin 2012, 292–308. 16   So das Urteil von Hermann Kunst: Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seines Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens, Stuttgart 21979, 267. Die Briefkorrespondenz zwischen beiden ist umfangreich. Luther verfasste 201 Briefe, Johann Friedrich antwortete ihm 114-mal. (aaO., 41, Anm. 2). Bereits als Siebzehnjähriger schrieb Johann Friedrich am 20. Dezember 1520 nach Wittenberg und bezeichnete Luther als »geistlichen Vater« (WA B 2; 237,2 und 238,17). Günther Wartenbergs Urteil zufolge wurde die Aufgeschlossenheit gegenüber den reformatorischen Anliegen beim jungen Johann Friedrich insbesondere durch dessen Erzie-

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Auf Seiten der Albertiner erlebte Luther ebenfalls drei Herrscher.17 Herzog Georg von Sachsen, genannt der Bärtige, regierte das albertinische Sachsen in den Jahren 1500 bis zu seinem Tod 1539 von seiner Hauptresidenz Dresden aus.18 Anfänglich hegte Herzog Georg durchaus Sympathien für Luthers Kritik am Ablass. So förderte er das Zustandekommen der Leipziger Disputation 1519 gegen den Widerstand der Universität und des Merseburger Bischofs. Jedoch fühlte er sich durch Luthers positive Äußerungen über Jan Hus provoziert. In den weiteren Jahren wuchs bei Georg die Ablehnung Luthers zunehmend. Dennoch kam es auch zu einer reformorientierten Religionspolitik, die jedoch in altgläubigen Bahnen verlief und bis zu seinem Tod andauerte.19

her Alexius Chrosner und Veit Warbeck beeinflusst. Vgl. Günther Wartenberg: Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, Bd. 1, Göttingen 1983, 549–571, hier 554. Zu den beiden Erziehern vgl. ferner Otto Clemen: Alexius Chrosner. Herzog Georgs von Sachsen evangelischer Hofprediger, Leipzig 21908; Klaus Graf: Veit Warbeck. Der Übersetzer der »Schönen Magelone« (1527) und seine Familie, in: Einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 13 (1986), 139–150; Georg Mentz: Die Briefe G. Spalatins an V. Warbeck nebst ergänzenden Aktenstücken, in: ARG 1 (1903/04), 197–246. 17   Vgl. hierzu den Abschnitt über Sachsen im grundlegenden Buch von Eike Wolgast: Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa (QFRG 89), Gütersloh 2015, 133–142; vgl. ferner Ders.: Luther und die katholischen Fürsten, in: Erwin Iserloh/Gerhard Müller (Hg.): Luther und die politische Welt. Wissenschaftliches Symposion in Worms vom 27. bis 29. Oktober 1983 (Historische Forschungen 9), Wiesbaden u. a. 1984, 37–63; Helmar Junghans: Die Ausbreitung der Reformation von 1517– 1539, in: Ders. (Hg.): Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen. Festgabe zum 450-jährigen Bestehen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Berlin 1989, 33–66. 18   Eine umfassende wissenschaftliche Biografie über Georg von Sachsen stellt derzeit immer noch ein Forschungsdesiderat dar. Vgl. stattdessen den Artikel mit Angaben zur Sekundärliteratur von Helmar Junghans: Art. ›Georg von Sachsen‹, in: TRE 12, 385–389, vgl. ferner Heribert Schmolinsky: Albertinisches Sachsen, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 2: Der Nordosten (KLK 50) Münster 1990, 8–33. 19   Vgl. den Forschungsüberblick zur Religionspolitik Georgs von Christoph Volkmar: Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488–1525 (SMHR 41), Tübingen 2008, 2–19. Vgl. ferner Siegfried Hoyer: Georg, Herzog von Sachsen. 1530 bis 1539, in: Yves Hoffmann/Uwe Richter (Hg.): Herzog Heinrich der Fromme 1473–1551, Beucha 2007, 131–146; Ludwig Cardauns: Zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen vornehmlich in seinen letzten Regierungsjahren, in: QFIAB 10 (1907), 101–151; Otto Vossler: Herzog Georg der Bärtige und seine Ablehnung Luthers, in: HZ 187 (1957), 272–291; Luise Schorn-Schütte: Luther und die Politik, in: LuJ 71 (2004), 103–114, hier 107–110; einen Zugriff auf die Quellen erhält man durch die vierbändige Ausgabe der Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen (ASSKG), Leipzig 1905–2012, hier auch die Einleitung in Bd. 1, XXI–LXXXVIII; Paul Arras: Regestenbeiträge zur Geschichte Georgs des Bärtigen von Sachsen, in: Neues Lausitzisches Magazin 87 (1912), 280–294; Woldemar Goerlitz (Hg.): Staat und Stände unter den Herzögen Albrecht und Georg 1485–1539 (Sächsische Landtagsakten 1), Leipzig 1928.

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Sein jüngerer Bruder Herzog Heinrich von Sachsen, genannt der Fromme, 20 war schon seit den 20er-Jahren evangelisch gesinnt und führte bereits 1536 die Reformation in seinem Territorium ein, welches er vom Schloss Freudenstein in Freiberg aus regierte.21 Nachdem sein Bruder verstorben war, übernahm der 66-Jährige die Herrschaft des gesamten Herzogtums. Sogleich ordnete er 1539 die Neuordnung des Kirchenwesens an und führte die Reformation in Sachsen ein, zu welchem Anlass Luther am 24. Mai 1539 in Leipzig predigte. Auf ihn folgte 1541 sein Sohn Herzog Moritz von Sachsen, der die Reformation in Sachsen zielbewusst weiter vorantrieb.22 Eine Krise in dem auch sonst distanzierten Verhältnis Luthers zu Moritz war die sogenannte »Wurzener Fehde« im Frühjahr 1542. Hier eskalierte ein Konflikt zwischen Moritz und Johann Friedrich um das Kollegiatstift Wurzen, bis es beinah zu einem militärischen Zusammenstoß gekommen wäre, wenn Landgraf Philipp von Hessen und Luther nicht vermittelt hätten. Einer Schlichtung erfolgte im sogenannten »Oschatzer Vertrag« vom 10. April.23 20  Vgl. hierzu den Sammelband von Yves Hoffmann/Uwe Richter (Hg.): Herzog Heinrich der Fromme 1473–1551, Beucha 2007; vgl. ferner die älteren Studien von Karl Friedrich August Nobbe: Heinrich der Fromme. Ein Beitrag zur Sächsischen Reformationsjubelfeier im Jahre 1839, Leipzig 1839; Erich Brandenburg: Herzog Heinrich der Fromme von Sachsen und die Religionsparteien im Reiche (1477–1541), in: NASG 17 (1896), 121–200. 241–303. 21  Das Heinrich 1505 überlassene Gebiet, das sogenannte »Freiberger Ländchen«, erstreckte sich auf die Ämter und Städte Freiberg, Wolkenstein, Geyer, Ehrenfriedersdorf sowie Thurm. Dort agierte er als Sekundogeniturfürst wie ein Landesherr mit eigener Finanzverwaltung, Gerichtsbarkeit und eigenständiger Bündnispolitik. Vgl. hierzu Walther Hellriegel: Die Reformation im Freiberger Ländchen, Leipzig 1937; Reiner Groß: Geschichte Sachsens, Leipzig 2002, 36f; Ders.: Die Wettiner, Stuttgart 2007, 106–111. 22  Vgl. Günther Wartenberg: Landesherrschaft und Reformation. Moritz von Sachsen und die albertinische Kirchenpolitik bis 1546 (QFRG 55), Gütersloh 1988; Ders.: Die albertinische Kirchen- und Religionspolitik unter Moritz von Sachsen, in: Karlheinz Blaschke (Hg.): Moritz von Sachsen – Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich. Internationales wissenschaftliches Kolloquium vom 26. bis 28. Juni 2003 in Freiberg (Sachsen) (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 29), Stuttgart 2007, 163–172; Ders.: Martin Luther und Moritz von Sachsen, in: Ders. (Hg.): Wittenberger Reformation und die territoriale Politik. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Jonas Flöter und Markus Hein, Leipzig 2003, 55–67; Winfried Müller: Herzog Moritz und die Neugestaltung des Bildungswesens nach der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen, in: aaO., 173–201. 23   Einen Einblick in die Quellen erhält man durch Erich Brandenburg (Hg.): Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 1: Bis zum Ende des Jahres 1543 (Aus den Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte 4), Leipzig 1900, Nachdruck Berlin 1982, 344f. 357–411, worin auch der Vertrag von Oschatz zu finden ist (aaO., 407–411). Vgl. auch Luthers Sendbrief an beide Parteien in WA B 10; Nr. 3733, 31–37. Vgl. ferner Carl August Hugo Burckhardt: Die Wurzener Fehde, in: Archiv für Sächsische Geschichte 3 (1865), 57–81; Georg Meyer: Martin Luther und Wurzen, in: Mitteilungen des Wurzener Geschichts- und Altertumsvereins 3 (1918), 4–8; Hermann Kunst: Martin Luther und der Krieg. Eine historische Betrachtung, Stuttgart 1968, 43–50; Erdmann Neuß: Luthers Stellungnahme zu den Kriegsfällen seiner Zeit. Luthers Seelsorge und Parä-

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Die askanisch-anhaltinischen Gebiete teilten sich zur Zeit Luthers in die beiden Landesteile Bernburg-Köthen und Dessau.24 Im ersteren regierte von 1508– 1562 Fürst Wolfgang, genannt der Bekenner, der sich ab 1524/25 der reformatorischen Bewegung anschloss.25 Wohl bereits seit 1515 hat Wolfgang als Rektor der Universität Wittenberg von Luther Kenntnis genommen.26 Die Beziehung war durchaus von Wohlwollen geprägt. Nachdem er von Luthers Tod am 18. Februar 1546 erfahren hatte, eilte Fürst Wolfgang an dessen Sterbelager, um seine Trauer zu bekunden.27 Eine andere Situation ergab sich im Dessauer Landesteil. Dort hatte Regentin Margarethe von Anhalt, geborene Herzogin von Münsterberg, nach dem Tod ihres Mannes Fürst Ernst von Anhalt 1516 strikt am alten Kirchenwesen festgehalten.28 Obwohl ihre drei Söhne Johann IV.29, Georg III.30 nese in den politischen Auseinandersetzungen der Reformationszeit und ihre Bedeutung für das Verständnis der Zwei-Reiche-Lehre, Diss. Halle 1971, 233–241. 24   Vgl. insbesondere Bd. 2 der grundlegenden Darstellung von Hermann Wäschke: Anhaltische Geschichte, 3 Bde, Dessau u. a. 1912f, vgl. ferner Anton Schindling/Walter Ziegler (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Bd. 2: Der Nordosten, Münster 31993, 88–101. 25  Vgl. Michael Thomas: Wolfgang von Anhalt-Köthen, in: Dietrich Löffler/Matthias Tullner (Hg.): Frauen und Männer aus Deutschlands Mitte. Persönlichkeiten der Geschichte Sachsen-Anhalts, Halle 1998, 498–502. Zu den wenigen Kenntnissen hinsichtlich der Einführung der Reformation in Bernburg-Köthen vgl. Hermann Wäschke: Wolfgang, Fürst zu Anhalt, in seinen Jugendjahren, Dessau 1917, Nachdruck Dessau 2005, 216. 26  Vgl. Wilhelm Große: Fürst Wolfgang der Standhafte von Anhalt. Geschichtsbild zur dreihundertjährigen Gedächtnisfeier des Augsburger Religionsfriedens, Dessau 1855, 83. 27   Vgl. aaO., 46. Vgl. ferner Christof Schubart: Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis. Texte und Untersuchungen, Weimar 1917, Nr. 46, 45f; Julius Leopold Pasig (Hg.): Dr. Martin Luthers letzte Lebenstage, Tod und Begräbnis. Eine Denkschrift zur dritthundertjährigen Gedächtnisfeier des Todestages Luther’s, Leipzig 1846, 52. Die Briefkorrespondenz war mit Wolfgang nicht besonders intensiv. Luther wandte sich vor allem in offiziellen Belangen an Wolfgang. Vgl. Luthers Briefe an Fürst Wolfgang: Brief vom 30. Juni 1528, WA B. 4, Nr. 1289, 488; Brief vom 15. Mai 1533, WA B 6; Nr. 2020, 467f; WA B 7; Nr. 3012, 394, WA B 8; Nr. 3212, 191; Brief vom 12. März 1541, WA B 9; Nr. 3580, 335–337; Brief vom 28. April 1542, WA B 10; Nr. 3744, 53; Brief vom 18. September 1542, WA B 10; Nr. 3793, 147f; vgl. ferner die Zusammenstellung von Heinrich Lindner: Luther’s Briefe an die Fürsten von Anhalt, Dessau 1830. 28  Vgl. Gerrit Deutschländer: Fürstin Margarethe von Anhalt, geb. von Münsterberg (1474–1539), in: Ders.: Dienen lernen, um zu herrschen. Höfische Erziehung im ausgehenden Mittelalter (1450–1550) (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit 6), Berlin 2012, 128–140. 29   Eine grundlegende Quelle zum Lebenslauf von Johann ist Johann Christoph Beckmann: Historie des Fürstenthums Anhalt, Teil 5, Zerbst 1710, 151. 170–176; vgl. auch den knappen Überblick über den Lebenslauf von Johann bei Walter Schmidt: Ein Brief von Dr. Johann Eck an den Fürsten Johann von Anhalt, in: ZVKGS 28 (1932), 146–149; hier 148f. 30   Zu Georg III. vgl. den Sammelband von Achim Detmers/Ulla Jablonowski (Hg.): 500 Jahre Georg III., Fürst und Christ in Anhalt, Köthen 2008. Vgl. ferner Oswald Gottlob Schmidt: Georg’s des Gottseligen, Fürsten zu Anhalt, Leben, in: Moritz Meurer (Hg.): Das Leben der Altväter der lutherischen Kirche, Bd. 4, Leipzig u. a. 1864, 63–160; Friedrich Westphal: Fürst Georg der Gottselige zu Anhalt. Sein Wesen und Wirken. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte, hg. von Fritz Blachny, Dessau 21922; Ders.: Zur Erinne-

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und Joachim I.31 bereits früh zu Luther Kontakt hatten,32 trauten sie sich erst nach dem Tod ihrer Mutter am 28. Juni 1530, die Reformation in ihren Gebieten einzuführen.33 Von den Nachbarländern um die wettinischen Gebiete herum zählte die Landgrafschaft Hessen mit den Residenzen Marburg, Kassel und Gießen zu den wichtigsten Territorien. Bereits 1524 wurde hier durch obrigkeitliches Handeln die Reformation offiziell eingeführt.34 Durch eigenständige Bibellektüre geprägt, bekannte sich Philipp von Hessen, genannt der Großmütige, in einem Schreiben vom 18. Januar 1525 öffentlich zu den reformatorischen Prinzipien sola gratia und sola scriptura.35 Die Beziehung zu Luther verschlechterte sich rung an Fürst Georg den Gottseligen zu Anhalt zum 400jährigen Geburtstag (SVRG 25), Leipzig 1907; Peter Gabriel: Fürst Georg III. von Anhalt als evangelischer Bischof von Merseburg und Thüringen (1544–1548/50). Ein Modell evangelischer Episkope in der Reformationszeit (Evangelische Hochschulschriften 23), Frankfurt am Main 1997; Ders.: Evangelischer Bischof von Merseburg. Fürst Georg III. von Anhalt, in: Werner Freitag (Hg.): Mitteldeutsche Lebensbilder. Menschen im Zeitalter der Reformation, Köln u. a. 2004, 119– 141; Franz Lau: Georg III. von Anhalt (1507–1553). Erster evangelischer »Bischof« von Merseburg, in Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl Marx Universität 3 (1953/54), 139–152. Einen Einblick in sein Denken erhält man durch den Quellenband von Achim Detmers (Hg.): Georg III. von Anhalt (1507–1553). Reichsfürst, Reformator und Bischof. Ausgewählte Schriften, Leipzig 2007. 31  Vgl. Franz Schrader: Auf dem Weg durch die Zeit. Beiträge zur Geschichte der Kirche in Sachsen-Anhalt, Paderborn 1994, 95; Gerhard Heine: Geschichte des Landes Anhalt und seiner Fürsten, Köthen 1866, 58. 32  Vgl. Max-Friedrich Hahn: Luther, Georg III. und die Reformation in Anhalt, Dessau 2000. 33  Vgl. Ulla Jablonowski: Der Regierungsantritt der Dessauer Fürsten Johann, Georg und Joachim 1525/1530, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 15(2006), 24–59; Eike Wolgast: Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa (QFRG 89), Gütersloh 2015, 72–76. 34   Zur Forschung vgl. Holger Thomas Gräf/Anke Stösser: Philipp der Großmütige Landgraf von Hessen (1504–1567). Eine Bibliographie zu Person und Territorium im Reformationszeitalter, Marburg 2004. Vgl. ferner Friedrich Küch: Landgraf Philipp von Hessen und die Einführung der Reformation in Hessen, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde, Neue Folge 28 (1904), 210–242, hier 219; Walter Sohm: Territorium und Reformation in der hessischen Geschichte (1526–1555), Marburg 1915, (VHKV 11.1) 21957; Heinrich Steitz: Geschichte der Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, Marburg 1977; Hans Schneider: Die reformatorischen Anfänge Landgraf Phillips von Hessen im Spiegel einer Flugschrift, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 42 (1992), 131–166; Ders.: »Das heißt eine neue Kirche bauen«. Die Formierung einer evangelischen Landeskirche in Hessen, in: Inge Auerbach (Hg.): Reformation und Landesherrschaft (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 24.9), Marburg 2005, 73–99, hier 74f. 35  Vgl. das Schreiben an den Franziskanerguardian Ferber vom 18. Januar Günther Franz (Hg.): Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, Bd. 2, Marburg 1954, 1–3. Zur Person Philipp von Hessen vgl. Gerhard Müller: Art. ›Philipp von Hessen, Landgraf (1504–1567)‹, in: TRE 26, 492–497; Walter Heinemeyer: Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen – politischer Führer der Reformation, in: Uwe Schultz (Hg.): Die Geschichte Hessens, Stuttgart 21984, 72–81; Ders.: Das Zeitalter der Reformation, in: Ders.

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allerdings, als Philipp – verheiratet mit Christina von Sachsen – eine zweite Ehe mit dem Hoffräulein Margarete von der Saale eingehen wollte.36 Zögerlich stimmte der Beichtrat, bestehend aus Luther, Melanchthon und Martin Bucer, als Ausnahme einer solchen Doppelehe zu, die Philipp am 4. März 1540 einging.37 Im welfischen Fürstentum Braunschweig-Lüneburg war Ernst I., genannt der Bekenner, ab dem Jahr 1525 bestrebt, die Reformation einzuführen.38 Zusammen mit seinem älteren Bruder Otto wurde er von 1512 bis 1518 in Wittenberg erzogen und in dieser Zeit von Luther beeinflusst, wohl auch durch den Besuch von dessen Vorlesungen.39 Im hohenzollerischen Kurbrandenburg leitete Kurfürst Joachim II. 1539, zeitgleich mit dem Herzogtum Sachsen, die Reformation ein, was mit Abendmahlsfeiern am 1. und 2. November 1539 in Cölln offiziell bekundet wurde.40 Seine Begegnung mit Luther im Rahmen eines Gottesdienstes am Gründon(Hg.): Das Werden Hessens (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 50), 1986, 225–266. 36   Zur Doppelehe Philipps von Hessen vgl. Jan Martin Lies: Zwischen Krieg und Frieden. Die politischen Beziehungen Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen zum Haus Habsburg 1534–1541, Göttingen 2013, 473–488. Vgl. ferner William Walker Rockwell: Die Doppelehe des Landgrafen Philipp von Hessen, Marburg 1904, Neudruck Münster 1985; Wilhelm Maurer: Luther und die Doppelehe Landgraf Philipps von Hessen, in: Luther 24 (1953), 97–120; Friedrich Knöpp: Landgraf Philipps weltgeschichtliche Bedeutung, in: JHKGV 14 (1963), 457–485; Gerhard Ebeling: Luthers Seelsorge. Theologie in der Vielfalt der Lebenssituationen an seinen Briefen dargestellt, Tübingen 1997, 78–103; Stephan Buchholz: Philippus Bigamus, in: Rechtshistorisches Journal 10 (1991), 145–159; Ders.: Rechtsgeschichte und Literatur. Die Doppelehe Philipps des Großmütigen, in: Heide Wunder u. a. (Hg.): Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen und seine Residenz in Kassel, Marburg 2004, 57–73. 37   Bereits 1526 dachte Landgraf Philipp daran, eine Doppelehe einzugehen, welches Luther noch vehement ablehnte (Brief vom 28. November 1526, WA B 4; Nr. 1056, 140). Ausgestattet mit einer Instruktion (WA B 8; Nr. 3422b, 631–636) wurde Martin Bucer aufgetragen, das Anliegen einer Zweitehe den Wittenbergern vorzutragen. Luther und Melanchthon antworteten am 10. Dezember 1539, grundsätzlich sei aufgrund der Schöpfungsordnung an der Monogamie festzuhalten, wenngleich es in Ausnahmefällen zu einem Dispens kommen könne (WA B 8; Nr. 3423, 639–644). 38  Vgl. Markus Vollrath: Welfische Klosterpolitik im 16. Jahrhundert. Ein Spiegelbild der Fürstenreformation im Reich?, Hannover 2012, 33–50; Vgl. ferner Adolf Wrede: Die Einführung der Reformation im Lüneburgischen durch Herzog Ernst den Bekenner, Göttingen 1887; Ders.: Ernst der Bekenner, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Halle 1888; Hans-Walter Krumwiede: Kirchengeschichte Niedersachsens, Bd. 1, Göttingen 1995, 1–33. 130–133. 174–178; Hans-Jürgen Vogtherr: Herzog Ernst der Bekenner und seine Zeit (Uelzener Beiträge 14), Uelzen 1998. 39  Vgl. Ingeborg Klettke-Mengel: Fürsten und Fürstenbriefe. Zur Briefkultur im 16. Jahrhundert an geheimen und offiziellen preußisch-braunschweigischen Korrespondenzen (Studien zur Geschichte Preußens 38), Köln 1986, 7. Vgl. ferner Otto Heinemann: Geschichte von Braunschweig und Hannover, Gotha 1882, 441. 40  Vgl. Adolf Laminski: Die offizielle Einführung der Reformation in Brandenburg begann am 1. November 1539 zu Berlin-Cölln, in: HerChr 19 (1995), 107–109. Vgl. ferner Paul Steinmüller: Einführung der Reformation in die Kurmark Brandenburg durch Joachim II.,

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nerstag 152141 sowie der Einfluss seiner lutherisch gesinnten Mutter Elisabeth von Dänemark hinterließen zwar einen bleibenden Eindruck, jedoch führte die antilutherische Haltung seines Vaters Joachim I., seines Onkels Kardinal Albrecht und seiner Schwiegerväter Georg von Sachsen sowie Sigismund I. von Polen bei seinem Amtsantritt 1535 zunächst zu einer vermittelnden Politik hinsichtlich der Neuordnung des Kirchenwesens.42

2. Die Weimarer Obrigkeitspredigten 2.1 Der »Wettbewerb der Systeme« in Weimar Nach der Frühjahrsreise in das ernestinisch-sächsische Gebiet unternahm Luther vom 16. bis 31. Oktober 1522 eine längere Herbstreise nach Weimar und Erfurt.43 Von dieser Reise berichtete insbesondere Melanchthon in einem Brief an Spalatin vom 3. November, der Luther gemeinsam mit Jakob Propst und Johann Agricola begleitete.44 Bereits im Frühling hatte Luther eine Einladung von

Halle 1903; Karl Themel: Was geschah am 1. und 2. November 1539 in Berlin und Spandau?, in: JBBKG 40 (1965), 24–85. 41   In seinem Bekenntnis von 1563 erinnert sich Joachim II. mit irrtümlicher Jahres- und Ortsangabe an die Begegnung mit Luthers: »Anno 1519 gewesen, da er vom Reichstage gezogen« (Paul Steinmüller: Das Bekenntnis Joachims II., in: Forschungen zur brandenburgischen und preussischen Geschichte 17 [1904], 237–246, hier 239). Er meint hiermit wohl Luthers Predigt vom 23. März 1521, deren Zeuge er auf der Reise zum Wormser Reichstag in Wittenberg war. Vgl. Sermon vom würdigen Empfang des heiligen wahren Leichnams Christi, 1521, WA 7; 689. 692–697. 42  Vgl. Albrecht Pius Luttenberger: Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530–1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 20), Göttingen 1982, 185–199 43  Zu Luther und der Weimarer Reformation vgl. den Sammelband von Christopher Spehr/Michael Haspel/Wolfgang Holler (Hg.): Weimar und die Reformation. Luthers Obrigkeitslehre und ihre Wirkungen, Leipzig 2016, dort insbesondere der einschlägige Aufsatz von Christopher Spehr: Luthers Weimarer Obrigkeitspredigten im Jahr 1522, aaO., 13–30. Vgl. ferner Karl Arper: Die Reformation in Weimar, in: Aus Weimars kirchlicher Vergangenheit. Festschrift zum vierhundertjährigen Jubiläum der Stadtkirche in Weimar, Weimar 1900, 1–46; Ernst Müller: Martin Luther und Weimar (Tradition und Gegenwart. Weimarer Schriften 6), Weimar 1983, 25f; Ders.: Martin Luther und sein Einfluß auf die reformatorische Entwicklung in Weimar in den Jahren 1518 bis 1525, in: Günter Vogler (Hg.): Martin Luther. Leben – Werk – Wirkung, Berlin 21986, 179–192. 44   Vgl. MBW.T 1, Nr. 240, 496–501; in diesem Brief ist auch das Gedicht von Melanchthon über die letzte Predigt überliefert: »Conveniat quales in plebem esse inque senatum Reges, in mulcta quique sit usque modus. | Aque deo pscant rationem artemque regendi; | Non satis ad iustum lec favit imperium. | Et fas esse piis gladio cohibere scelestos, | Haec tuus, o noster, sermo, Luthere, docet« (aaO., 498,54–59). Vgl. die weiteren Angaben über die Reise im Brief Luthers an Spalatin vom 3. November 1522, WA B 2; 613.

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Johann Lang nach Erfurt erhalten. Jedoch konnte er damals dieser Bitte nicht nachkommen, da eine Reise als Gebannter und Geächteter zu riskant war.45 Im Herbst entschied sich Luther dann doch, seinen früheren Studienort zu besuchen. Der Anlass war wohl die bevorstehende Ernennung des Oberhofpredigers Wolfgang Stein als Prediger bei St. Michael in Erfurt, nachdem der Vorgänger Georg Petz Anfang Juli überraschend verstorben war.46 Weil Stein befürchtete, mit der Annahme der Wahl bei Herzog Johann in Ungnade fallen zu können, unterstützte ihn Luther in einem Schreiben an den Kanzleisekretär Johann Riedesel vom 29. Juli 1522, indem er versicherte, dass Steins anderweitige Verpflichtungen gegenüber Herzog Johann durch jene Berufung nicht in Mitleidenschaft gezogen würden.47 So reiste Luther nach Erfurt, wohl auch um über jene Personalie am Ort zu verhandeln. Allerdings stellte sich am Ende der Verhandlungen heraus, dass Stein diese Stelle doch nicht antreten wollte. Dem Wunsch des Herzogs Johann und seines Sohnes Johann Friedrich entgegenkommend und auf Drängen von Wolfgang Stein gastierte Luther auf dieser Reise auch am Weimarer Hof.48 Am Donnerstag, dem 16. Oktober, brach Luther von Wittenberg nach Weimar auf, wo er am Samstag ankam.49 Dort hielt er am 19. Oktober, dem 18. Sonntag nach Trinitatis,50 zwei Predigten, am Vormittag in der Schlosskirche 45   Im Brief Luthers an Johann Lang vom 28. März 1522 schreibt er ihm, dass er nicht kommen kann, da es für ihn noch zu gefährlich sei, als Gebannter und Geächteter nach Erfurt zu reisen: »Ad vos venire non licet, neque enim tentare Deum phas est et pericula quaerere ultro, cum hic satis periculorum exspectandum sit mihi, qui papali et imperiali anathemate exclusus prorsus omnibus sum ad caedem expositus, nullo praesidio tutus nisi coelesti« (WA B 2; 488,18–21). 46  Vgl. Otto Clemen: Wolfgang Stein aus Zwickau, Hofprediger in Weimar und Superintendent in Weißenfels, in: ZKG 45 (1927), 555–562, hier 557. 47   »Es hat mich M. Wolfgangus, itzt bei uns gebeten, nachdem er sich besorgt, es mocht ihm Verdacht bringen bei meim gn. Herrn, Herzog Johanns, daß er von den zu Erfurt Pfarrer erwählt ist zu St. Michael, daß ich E. G. schreiben und ermahnen wollt, guter Mittler und Ausleger zu sein fur meim gn. Herrn; denn das ist je wahr, daß er darnach weder gesonnen noch gerungen hat. Nu aber die gute Leute zu Erfurt, Aufruhr und Verlust zu vorkommen und das Euangelion zu fodern, daß nicht ein Wolf nach dem verfallen Hirten eingedrungen wurd, seine Person erwählet haben, dermaßen, daß er’s nur annehme und Pfarrers Namen habe und doch daneben sein und schaffen mag, wo er will, bis Gott die Sach anders schicke, hat’s ihm nicht gebuhren wollen, solchen Dienst christlicher schuldiger Liebe abzuschlagen, hab ihm auch dazu geraten, sintemal ihm selbs und meim gn. Herrn kein Feil noch Abbruch und den Leutlin zu Erfurt ein großer Dienst und Hulf geschicht« (WA B 2; Nr. 525, 583,4–17). 48   »Wolfgangus illustrissimi ducis Saxoniae Iohoannis conscionator […] perpulit Martinum, ut una Wimariam iret. Id quod voluisse principes videbantur« (MBW.T 1, 496,7–497,10). 49  »Ventum est Wimariam sabbato ante diem Severi proximo« (Carl August Hugo Burckhardt: Altes und Neues über Luthers Reisen, in: ZKG 19 (1899), 99–105, hier 99f). Der St. Severus-Tag am 22. Oktober lag auf dem Mittwoch, der Samstag war somit der 18. Oktober. 50   Die Rekonstruktion der Reise bei Susanne Bei der Wieden ist nicht ganz korrekt. Sie verwechselt vermutlich den 19. Oktober mit dem 18. Sonntag nach Trinitatis und schreibt irrtümlich Luther habe »am ersten Sonntag (18.10) zwei Predigten in Weimar« gehalten. Der

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und am Nachmittag in der Stadtkirche.51 Tags darauf reiste Luther weiter nach Erfurt, wo er am Dienstag, dem 21. Oktober in St. Michael und einen Tag später am Vor- und Nachmittag in der Kaufmannskirche predigte.52 Entweder noch am selben Tag oder wohl eher am nächsten Morgen fuhr er mit seinen Begleitern nach Weimar zurück.53 Dort predigte er drei Tage hintereinander jeweils einmal von Freitag, dem 24. Oktober, bis zum Montag, dem 26. Oktober, in der Schlosskirche54 und zusätzlich am letzten Tag noch einmal am Nachmittag in der Sonntag lag jedoch auf dem 19. Oktober. Dieser Irrtum setzt sich fort, wenn sie nachfolgend schreibt: »Am Montag, dem 19. 10., reiste Luther nach Erfurt weiter«. Der Montag jedoch war bereits der 20. Oktober. Die Angaben im Rahmen ihrer Predigtanalysen sind dann jedoch wieder richtig. Vgl. Susanne Bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 55. 337–348. Vgl. hierzu die korrekte Datierung bei Georg Buchwald: Luther-Kalendarium, Leipzig 1929, 27 und bei Karl Arper: Die Reformation in Weimar, in: Aus Weimars kirchlicher Vergangenheit. Festschrift zum vierhundertjährigen Jubiläum der Stadtkirche in Weimar, Weimar 1900, 26. 51   Vgl. WA 10 III; Nr. 50, 341–346 und Nr. 51, 347–352. Die ersten beiden Weimarer Predigten verhandeln die Frage nach dem höchsten Gebot (Mt. 22, 34–40). Zum Aufbau und Gliederung dieser Predigten am Vor- und Nachmittag siehe unten Seite 242, Anm. 64. In seinem Brief über die Reise an Georg Spalatin vom 3. November 1522 berichtet Luther, dass er während der Reise nichts als Glauben und Liebe gelehrt habe: »Omnia ante nosti & habes, cum nihil aliud quam fidem & charitatem vbique docuerim« (WA B 2; Nr. 546, 613,8f). Vom Weimarer Schloss sind aufgrund der zwei Brandkatastrophen 1618 und 1774 und der mannigfachen Um- und Neubauten noch kaum Relikte des alten Hauswerks sichtbar. Vgl. hierzu Gerhard Müller: Das Weimarer Schloss als historischer Ort der Reformation in: Christopher Spehr/Michael Haspel/Wolfgang Holler (Hg.): Weimar und die Reformation. Luthers Obrigkeitslehre und ihre Wirkungen, Leipzig 2016, 41–43. Allgemein zur Weimarer Stadtkirche vgl. Eva Schmidt: Die Stadtkirche zu St. Peter und Paul – Herderkirche zu Weimar, Weimar 1953; Dies.: Evang.-Luth. Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche) Weimar, Regensburg 72019. 52   Vgl. WA 10.3, Nr. 52, 352–361 und Nr. 53, 361–371. Von der Nachmittagspredigt ist keine Überlieferung erhalten. Vgl. hierzu den insbesondere von Stefan Raßloff und Andreas Lindner verfassten Band, in dem auch Luthers Erfurter Predigten ins Hochdeutsche übertragen abgedruckt sind: Evangelisches Augustinerkloster zu Erfurt Tourismusverein e. V. (Hg.): Reformation konkret. Luther auf Erfurter Kanzeln, Erfurt 2011, 41–47. 54–62. 73–86 (Predigt vom 21. Oktober 1522). 87–100 (Predigt vom 22. Oktober 1522). Zu Luthers Aufenthalt in Erfurt vgl. ferner Ulman Weiß: Die frommen Bürger von Erfurt. Die Stadt und ihre Kirche im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, Weimar 1988, 144f. 53   Auf der Grundlage der Rechnung über Luthers Aufenthalt, überliefert im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar, schließt Burckhardt auf den 23. Oktober als Reisetag von Erfurt nach Weimar. Der Rechnung ist zu entnehmen, dass Luther sieben Nächte bei dem Kammerschreiber Sebastian Schade in Weimar wohnte, der im alten Vorwerk nahe des Schlosses ansässig war. Vgl. Carl August Hugo Burckhardt: Altes und Neues über Luthers Reisen, in: ZKG 19 (1899 ), 99–105, hier 99f. 54   Vgl. WA 10.3, Nr. 54, 371–379; Nr. 55, 379–386; Nr. 56, 386–393; Nr. 57, 394–399. In der fünften und sechsten Weimarer Predigt legt Luther die Heilung des Gelähmten (Mt. 9, 1–7) aus. Die Vormittagspredigt ist in drei Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil bezieht sich Luther auf den Glauben der Menschen, die den Gelähmten vor Jesus bringen, und thematisiert anschließend, was der wahre Glauben sei. Der zweite Teil (WA 10.3, 387, ab Z. 16) kritisiert das falsche Verständnis der Werke und erörtert die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Hierbei greift er in aller Schärfe die Mönchsorden an, die er als »Teufelsschulen« be-

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Stadtkirche.55 Am 30. Oktober wurde die Rückreise angetreten, um einen Tag später in Wittenberg wieder anzukommen.56 Die Situation in Weimar war angespannt, weil der »Wettbewerb der Systeme«57 in dieser Phase noch keineswegs entschieden war. Zwei Parteien standen sich gegenüber: auf der einen Seite die evangelisch Gesinnten am Weimarer Hof sowie Teile der Bürgerschaft und auf der anderen die Franziskaner in Weimar, die sich gegen reformerische Gedanken vehement wehrten.58 Dieser Streit war bereits am 20. Januar 1522 in einer Disputation zwischen dem Leipziger Franziskaner Augustin von Alveldt und Luthers Freund, dem Augustinerprior von Erfurt, Johann Lang, über die christliche Freiheit in der Weimarer Marienkapelle der Franziskaner vor dem Frauentor zum Ausdruck gekommen.59 Die Situation für die Franziskaner wurde schwieriger, als aus ihrer eigenen Bruderschaft der spätere Superintendent in Gotha, Friedrich Myconius, und der spätere Pfarrer in Ronneburg, Johann Voit, offen die reformatorischen Ideen bejahten. 60 Beide lasen heimlich seit 1518 die Schriften Luthers und vertraten zunehmend in ihren Predigten auch öffentlich reformatorisches Gedankengut. Dabei wurden sie von Herzog Johann Friedrich und den Bürgern der Stadt unterstützt. Die Gegenwehr vonseiten der Franziskaner erfolgte, indem man Myconius noch vor Luthers Reise in Klosterhaft nahm und man kurz nach dessen Abreise Voit Predigtverbot erteilte. 61 Die sieben Weimarer Predigten sind durch eine Wolfenbütteler Handschrift überliefert. 62 Melanchthon erwähnte in seinem Brief an Spalatin, dass der kurszeichnet (WA 10.3, 390,10). Der dritte Teil (WA 10.3, 390, ab Z. 30) erörtert die Marien- und Heiligenverehrung sowie das falsche Verständnis des Messopfers. 55   In der letzten Predigt am Nachmittag geht Luther darauf ein, dass Jesus Christus allen Gläubigen die Macht gegeben habe, Sünden zu vergeben (WA 10.3, 394, 14–20), und konkretisiert dies in Bezug auf die drei Sakramente Taufe, Abendmahl und Beichte, wobei er hier die Beichte noch zu den Sakramenten zählt (WA 10.3, 395, 10f). 56   Am 1. November, dem Festtag Allerheiligen, predigte Luther wieder in Wittenberg. Vgl. WA 10.3, Nr. 58, 400–407. 57  Vgl. Peter Merseburger: Mythos Weimar. Zwischen Geist und Macht, München 2000, 21. 58   Zur Beschreibung der Situation in Weimar vgl. Christopher Spehr: Luthers Weimarer Obrigkeitspredigten im Jahr 1522, in: Ders./Michael Haspel/Wolfgang Holler (Hg.): Weimar und die Reformation. Luthers Obrigkeitslehre und ihre Wirkungen, Leipzig 2016, 13–30. 59  Vgl. Gitta Günther/Lothar Wallraf: Geschichte der Stadt Weimar, Weimar 21976, 141. 60  Vgl. Otto Clemen: Johann Voit, Franziskaner zu Weimar, erster evangelischer Pfarrer in Ronneburg, in: ZKG 30 (1909), 434–443, hier 437f. 61  Vgl. Ernst Müller: Martin Luther und sein Einfluß auf die reformatorische Entwicklung in Weimar in den Jahren 1518 bis 1525, in: Günter Vogler (Hg.): Martin Luther. Leben – Werk – Wirkung, Berlin 21986, 179–192, hier 184. 62   Die in Pergament gebundene Handschrift, die 76 Blätter in Quart zählt, von denen 68 beschrieben sind, befindet sich in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel unter der Signatur Cod. Guelf. 762 Helmst. Der Titel auf der äußeren Vorderdecke lautet »Die sermon

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ächsische Beamte Anarg von Wildenfels alle Predigten besäße, die »aufs sorgfältigste mitgeschrieben« wurden. 63 Nach Ausweis des ersten Blattes gehörte die Sammlung Herzog Johann, dem Wildenfels sie wohl als Geschenk vermacht hatte. 64 Es kann jedoch nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass jene Wildenfelser Mitschrift mit der Wolfenbütteler Sammlung identisch ist, auch wenn man wahrscheinlich von einer Abhängigkeit ausgehen kann. Da in der Wolfenbütteler Handschrift die Predigten in ausformulierter Gestalt vorliegen, die unmöglich während des Gottesdienstes entstanden sein konnte, muss es sich wohl um eine überarbeitete Reinschrift einer verloren gegangenen Vorlage handeln. 65 Unabhängig davon gab es jedenfalls für die erste Predigt eine weitere Mitschrift, die vielleicht von Johann Agricola oder Jakob Propst stammte und dann von Philipp Roth als Grundlage genommen wurde, um die Predigt in der Sommerpostille aus dem Jahr 1526 – allerdings mit erheblichen Veränderungen – abdrucken zu lassen. 66 Von besonderer Wirkung waren die dritte und die vierte Weimarer Predigt. 67 In ihnen formuliert Luther seine Auffassung von den zwei Reichen bzw. von den zwei Regimenten. 68 Die Weimarer Obrigkeitspredigten dienten ihm als Martini Lutheris zu Weimar gethan Anno Domini 1522«. Vgl. Otto von Heinemann (Hg.): Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 1: Die Helmstedter Handschriften, Bd. 2, Wolfenbüttel: 1884, Nr. 853, 196,7. Vgl. WA 10.3, CLXI. Vgl. ferner Wilhelm Hoeck (Hg.): Martin Luthers ungedruckte Predigten. Aus den Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Teil 1: Predigten, zu Weimar gehalten im Jahre 1522, Berlin 1846, 23f. 63   »Conciones omnes diligentissime conscriptas habt Willefels« (MBW.T 1, 496,60). Bezogen auf die erste Predigt schreibt Melanchthon: »Concionem satis diligenter scriptam habet Willefels, aulicu ille Wimariensis, nosti enim hominem« (MBW.T, 497,16f). 64   Vgl. die Einleitung in der Ausgabe Martin Luther: Dr. Martin Luthers vermischte Schriften, hg. von Ernst Ludwig Enders, Bd. 1, Frankfurt 21877, 421. 65  Vgl. Susanne Bei der Wieden: Luthers Predigten des Jahres 1522 (AWA 7), Köln u. a. 1999, 338. 66   Vgl. WA 10 1.2, 399–409. 67   Vgl. WA 10 III; Nr. 50, 341–346 und Nr. 51, 347–352. Die ersten beiden Predigten haben als Perikope die Frage nach dem höchsten Gebot (Mt. 22, 34–40) zur Grundlage. Die Mitschrift vom Vormittag gliedert sich in zwei Teile. Der erste, kürzere Teil widmet sich der Frage, was das höchste Gebot sei, das die Gottes- und Nächstenliebe zum Ziel habe. Der längere Teil (WA 10.3, 342, ab Z. 11) erörtert, was das Gebot erfordere. In der folgenden Darlegung verschränkt Luther seine Unterscheidung von äußerer Erfüllung des Gesetzes durch Werke und der inneren Erfüllung durch Liebe, was nur durch den Glauben möglich sei. Die Nachmittagspredigt knüpft an die Perikope an und beginnt mit der Frage, was ein rechter Christ sei. In Kritik an falschen Predigern, die das Erfüllen von äußerlichen Werken fordern, könne das wahre Christsein allein im Glauben bestehen. Dabei ist die Predigt durchzogen von einer scharfen Kritik am Mönchtum mit der Spitzenaussage: »Nein, mein muenchsorden ist nichts, er mus vor Cristo zu bodem gehen« (WA 10.3, 350,26). Luther greift hierbei auch direkt die Franziskaner an (WA 10.3, 350,35), womit er auf das scharfe Vorgehen der Franziskaner gegen Friedrich Mykonius und Johann Voit anspielt. 68   Aus der Fülle der jüngeren Literatur zur ›Obrigkeitsschrift‹ vgl. exemplarisch Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben (BHT 175), Tübingen 2014, 402– 414; Volker Leppin: Grenzen und Möglichkeiten der Obrigkeit. Zu Entstehung und Kon-

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Vorlage für seine im März 1523 gedruckte Schrift ›Von weltlicher Obrigkeit‹. 69 Über den Hofprediger Wolfgang Stein bat Herzog Johann den Wittenberger um die Veröffentlichung der ›Weimarer Obrigkeitspredigten‹.70 Luther erwähnt in einem Schreiben an Spalatin vom 3. November 1522, dass er zwar keine Abschriften der Predigten besäße, sie jedoch bald mit einer Widmung an Herzog Johann unter dem Titel »de regno dei & potestate dei« veröffentlichen wolle, da er schon lange den Plan gehegt habe, über dieses Thema eine Schrift zu veröffentlichen.71 Dieses Vorhaben fasste er schon vor den Weimarer Predigten, weil zum einen Georg von Sachsen die Verbreitung von Luthers Septembertestament in seinem Territorium verboten72 und zum anderen Luther im Sommer vom Bamberger Juristen Johann Freiherr von Schwarzenberg ein Manuskript erhalten hatte, in der es ebenfalls um die Obrigkeitsfrage ging.73

text von Luthers Zwei-Reiche-Lehre, Schrift, in: Irene Dingel/Christiane Tietz (Hg.): Die politische Aufgabe von Religion. Perspektiven der drei monotheistischen Religionen, Göttingen 2011, 247–258; Ders.: Luthers so genannte Zwei-Reiche-Lehre und der Kampf zwischen Gott und Teufel, in: Andreas Holzem (Hg.): Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens (Krieg in der Geschichte 9), Paderborn 2009, 403–414; Christiane Tietz: Die politische Aufgabe der Kirche im Anschluss an die Lutherische »Zwei-Regimenten-Lehre«, in: Irene Dingel/Dies. (Hg.): Die politische Aufgabe von Religion. Perspektiven der drei monotheistischen Religionen, Göttingen 2011, 259– 273; Albrecht Beutel: Biblischer Text und theologische Theoriebildung in Luthers Schrift »Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« (1523), in: Ders.: Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, Tübingen 2007, 21–46; Volker Mantey: Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Martin Luthers Zwei-Reiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund, (SuR, Neue Reihe 26), Tübingen 2005, 233–259; Ders.: Art. ›Zwei-Reiche-Lehre‹, in: Das Luther-Lexikon, hg. von Volker Leppin und Gury SchneiderLudorff, Regensburg 2014, 788–792; Heinrich Bornkamm: Luthers Lehre von den zwei Reichen, Gütersloh 1958; Ulrich Duchrow: Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichelehre (FBESG 25), Stuttgart 21983. 69   Vgl. DDSTA 3; 221–289; StA 3; 27. 31–71; WA 11; 229. 245–281. Vgl. ferner Roland M. Lehmann: Luthers Naturrechtsverständnis, in: ZEvKR 60 (2015), 369–408, hier 391–393. 70   Vgl. hierzu Volker Mantey: Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Martin Luthers Zwei-Reiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (SuR, Neue Reihe 26), Tübingen 2005, 233–236. 71   »De sermonibus Vimari¸e & Erffordie habitis nihil habeo […] neque opus est. Omnia ante nosti & habes, cum nihil aliud quam fidem & charitatem vbique docuerim. Nisi Vimarie semel de regno dei & potestate s¸eculari dixi, quod rogatus sum edere, alioqui iam diu edendi cupidus & studiosus eiusdem. Exibit autem sub nomine principis Iohannis Senioris statim« (Brief Luthers an Georg Spalatin vom 3. November 1522, WA B 2; Nr. 546, 613,7–12). 72  Vgl. Felician Gess (Hg.): Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, Bd. 1: 1517–1524), Leipzig 1905, Nr. 400f, 386–388. 73   Am 21. September 1522 antwortet Luther auf Schwarzenbergs Manuskript, das jedoch verschollen ist: »Es ist, meine ich, einmal Zeit, gnädiger Herr, daß ich mich gegen E. Gn. ein wenig erzeige auf das Buch Herr Philipps von Feilitzsch mir zugeschickt« (WA B 2; Nr. 538, 600,3–5). Zu Schwarzenberg vgl. Willy Scheel: Johann Freiherr von Schwarzenberg (Bibliothek des Deutschen Strafrechts 128), Berlin 1905; Erik Wolf: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, Tübingen 41963, 102–137.

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In einem Brief an Wolfgang Stein schreibt er, dass der Sermon von der Gewalt des Schwertes bald fertiggestellt sei,74 und in einem weiteren Brief bezeichnet er die Schrift vorläufig als »sermo de utraque potestate«.75 Im März 1523 kommt es dann schließlich zur Veröffentlichung unter dem Titel »Von welltlicher Uberkeytt, wie weyt man yhr gehorsam schuldig sey«.76 Da ihr Widmungsschreiben im Erstdruck das Datum »am newen iars tag 1523« trägt, ist es wahrscheinlich, dass Luther wohl noch am Ende des Jahres 1522 zum Abschluss seiner Neubearbeitung der Weimarer »Obrigkeitspredigten« gekommen ist.77 Um die Eigentümlichkeit der ›Obrigkeitspredigten‹ zu erfassen, soll zunächst das Augenmerk auf die ›Obrigkeitsschrift‹ gelegt werden. Nach dem Widmungsschreiben gliedert sich diese in drei Hauptteile. Der erste entfaltet die Begründung der weltlichen Obrigkeit,78 der zweite thematisiert deren Grenzen79 und der dritte Hauptteil ist der sogenannte Fürstenspiegel, indem Luther einem christlichen Fürsten vier Ratschläge erteilt. 80 Zum Schluss erfolgt eine Zugabe, in der Luther auf einen konkreten Fall eingeht.81 Dabei geht es um die Restitutionsansprüche im Falle unrechtmäßig erworbenen Guts. Der historische Grund für diesen Zusatz ist nicht genau bekannt. Vermutlich geht er auf eine Anfrage von Herzog Johann an Luther zurück. 82 In der folgenden Analyse sollen die Aussagen der Weimarer Obrigkeitspredigten insbesondere mit denen der ›Obrigkeitsschrift‹ verglichen werden, um die Entwicklung in Luthers Denken zu markieren. Damit wird ein Thema fortgesetzt, das bereits im Rahmen der Bornaer Obrigkeitspredigt vom 4. Mai 1522 erörtert wurde. 83

74   »[…] tamen tuo obsequio et Principis sermonem digeram« (Brief Luthers an Wolfgang Stein vom 11. Dezember 1522, WA B 2; Nr. 552, 624,112–114). Vgl. auch: »superest questio de potestate gladii« (Brief Luthers an Georg Spalatin wohl vom 12. Dezember 1522, Nr. 556, 630,11). 75   »Vale et ora pro me! Finito Mose iam respirans sermonem de utraque potestate in manus accipio, simul tamen effecturus tuum votum (Brief Luthers an Wolfgang Stein vom 20. Dezember 1522, WA B 2; Nr. 560, 638,14–16). Vgl. auch den Titel »de regno dei & potestate s¸eculari« (Brief Luthers an Georg Spalatin vom 3. Nov. 1522, WA B 2; 613,9f). 76   Vgl. DDSTA 3,221–289; StA 3; 27. 31–71; WA 11; 229. 245–281. 77   Vgl. WA 11; 246,13. Vgl. ferner in VD 16 L 7315, Benzing 1508, Bl. Aii a. 78   Vgl. WA 11; 246,17–261,24. 79   Vgl. WA 11; 261,25–271,26. 80   Vgl. WA 11; 271,27–278,26. 81   Vgl. WA 11; 278,27–281,19. 82   Vgl. StA 3; 69, Anm. 468. 83   Siehe oben Seite 146.

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2.2 Die Antithetik vom Reich Christi und dem Reich des Teufels (24. Oktober 1522) Am Freitag, dem 24. Oktober, nahm Luther als Evangeliumstext den Bußruf von Johannes dem Täufer. 84 Den Bibeltext wählte er aus ohne Bezug zum Kirchenjahr oder besondere Vorgaben aus Weimar. 85 In der Predigt gab er den Bußruf mit den Worten wieder: »Bekehrt und bessert euch, denn das Reich Gottes ist nahe« (Mt. 3, 2). 86 Es ist die einzige Predigt über den Bußruf, sei es vom Täufer oder von Jesus (Mt. 4, 17 par. Mk. 1, 15), die Luther jemals gehalten hat. 87 Während in Weimar der Bußruf den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet, wird er in der ›Obrigkeitsschrift‹ lediglich am Rande als Schriftbeleg für den Reich-Gottes-Begriff erwähnt. 88 Bedenkt man, dass Luthers 95 Thesen mit dem Bußruf Jesu begonnen haben, 89 so ist es zumindest auffällig, dass die ›Obrigkeitspredigten‹, die ja eine Weiterentwicklung der Theologie Luthers bedeuten, ebenfalls wieder programmatisch mit dem Bußruf einsetzen. Nur liegt dieses Mal sein Augenmerk nicht auf den Themen Buße und Ablass, sondern auf dem Reich-Gottes-Begriff. Zu Beginn beschreibt Luther die Aufgabe des Predigers. Sie bestehe darin, allein das Reich Gottes zu verkündigen. Wer dieses nicht berücksichtige, der predige sein eigenes Reich.90 So gelangt er zur Frage: »Wer ist aber das Reich Gottes?«.91 Die Formulierung ist ungewöhnlich, da man eher die Frage erwarten würde: »Was ist das Reich Gottes?«. Luther personalisiert damit den ReichGottes-Begriff. Seine Antwort lautet, das Reich Gottes sei im Gegensatz zum

84   Zur Analyse vgl. Christopher Spehr: Luthers Weimarer Obrigkeitspredigten im Jahr 1522, in: Ders./Michael Haspel/Wolfgang Holler (Hg.): Weimar und die Reformation. Luthers Obrigkeitslehre und ihre Wirkungen, Leipzig 2016, 13–30, hier 25–27. 85  Vgl. Andreas Stegmann: Luthers Auffassung vom christlichen Leben (BHT 175), Tübingen 2014, 398. 86   »Das Euangelium beschreibt Matheus am 3 und lautt ›Bekertt und bessertt euch, dan das reich gottes ist nahe‹« (WA 10 III; 371,10f). 87   Vgl. das Fehlen von Predigten zu den entsprechenden Textstellen im Weimarer Predigtverzeichnis (WA 22; XLVI. LIV). Die Kasualpredigten zur Taufe Bernhards von Anhalt am 1. und 2. April 1540 haben zwar Mt. 3, 1–15 zur Grundlage, legen aber nicht den Schwerpunkt auf den Bußruf, sondern auf die Taufe (WA 49; 111–124). Zu den beiden Predigten siehe unten Seite 368. Genauso verhält es sich mit der Predigt vom 16. Januar 1541 (WA 49; 215–220), vom 13. Januar 1544 (WA 49; 308–317) und vom 11. Januar 1545 (WA 49; 675–681). 88   Vgl. WA 11; 249,32. 89   »Dominus et magister noster Iesus Christus dicendo ›Penitentiam agite &c.‹ omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit« (Disputatio pro declarationen virtutis indulgentiarum, 1517, WA 1; 229. 233–238, hier 233,10). Vgl. ferner LDStA 2; 2–15 und StA 1; 176–185. 90   »In disem Euangelio trueckt got aus unnd wil haben, das man allein sein reich predigen soel und kein anders, wer nun das nit predigt, der predig sein und nit Christi reich« (WA 10 III; 371,12–14). 91   Vgl. WA 10 III; 317,14.

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Reich des Papstes allein das christlich gläubige Volk. Predige man das Reich Gottes nicht, so wäre es das Reich des Teufels.92 Damit ist das Thema der ersten ›Obrigkeitspredigt‹ benannt: Das Reich Gottes in Abgrenzung zum Reich des Teufels. Im Hintergrund steht Augustins Lehre von der Bürgerschaft93 Gottes (civitas dei) und der Bürgerschaft auf Erden (civitas terrena) bzw. der des Teufels (civitas diaboli).94 Im Vergleich zur ›Obrigkeitsschrift‹ fällt auf, dass dort der Gedanke vom Reich des Teufels deutlich zurücktritt. Der Ausdruck »Reich des Teufels« fällt nirgends.95 Gleichwohl liefert das Böse im Menschen die entscheidende Begründung zur göttlichen Stiftung des Reiches der Welt. Denn die Obrigkeit hat die Aufgabe, durch Zwang für Sicherheit und Frieden zu sorgen.96 Das wilde Tier im Menschen muss gezähmt werden. Ansonsten würden die von ihren Stricken befreiten Tiere sich gegenseitig zerfleischen.97 Diese Bosheit wird jedoch nur noch implizit mit dem Reich des Teufels identifiziert.98 Insofern lässt sich bei Luther in der ›Obrigkeitsschrift‹ eine größere Entfernung zur augustinischen Civitates-Lehre feststellen. Im Folgenden gibt Luther an, das geistliche und das weltliche Reich Christi voneinander sondern zu wollen.99 Das weltliche Reich begründet er in der Weimarer Predigt noch mit der christologischen Figur des präexistenten Christus. Ihm zufolge hat dieser bis zu seiner Inkarnation ein weltliches Reich durch äußerliche Gesetze wie Speise- und Kleidungsvorschriften eingesetzt.100 Erst 92   »Das ist das Cristlich glaubig volck Cristi. Also mus allein des himlischen vatters und nit des Bapsts reich gepredigt werden […], predigt man das nit, so ists nicht ein reich gottes, suender [sondern] des teufels« (WA 10 III; 371,14–18). 93   Der Begriff »civitas« ist schwierig ins Deutsche zu übersetzen. Er kann »Bürgerrecht«, »Bürgergemeinde« oder »Stadt« bedeuten. Bei Augustin bezeichnet er die Gesamtheit der Bürger als organisierte Einheit. Vgl. Wilhelm Kamlah: Christentum und Geschichtlichkeit. Untersuchungen zur Entstehung des Christentums und zu Augustins »Bürgerschaft Gottes« Stuttgart 21951, 155. 94   Zu Genese von Augustins Lehre in den Frühschriften bis »De civitate dei« vgl. Ulrich Duchrow: Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichelehre (FBESG 25), Stuttgart 21983, 229–298. 95   Der Begriff des »Teufells« fällt eher beiläufig an einigen Stellen (WA 11; 246,3; 262,33; 269,21. 24. 27). 96   »Alßo das gewiß und klar gnŮg ist, wie es Gottis will ist, das welltlich schwerd und recht handhaben zur straff der boeßen und zŮ schutz der frumen« (WA 11; 248,29–31). 97   Ein christlicher Herrscher, der auf das weltliche Recht und Schwert verzichten würde, »wuerde den wilden boeßen thieren die band und keten auffloeßen, das sie yderman zŮ ryssen und zŮ byssen, und daneben furgeben, es weren feyne zame korre thierlin« (WA 11; 251,25– 28). 98   So beispielsweise im Satz: »Was hatt der teuffel sonst zŮ schaffen auff erden denn das er mit seynem volck also gauckele und faßnacht spiel treybe?« (WA 11; 270,3f). 99   »Nun woellen wir das geistlich unnd weltlich reich Cristi von einander suendern« (WA 10 III; 371,19f). 100   »Das weltlich reich hat Cristus in den kindern von Israel von Mosi an biß auff Jesum gebraucht, da er in die gesecz gab, als in cleydung, essen, trincken, cerimonien und andern dingen« (WA 10 III; 371,20–22).

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nachdem Christus Mensch geworden war, habe er ein geistliches Reich aufgerichtet und das weltliche fallengelassen.101 Da Luther aber die letzte Aussage vom Niedergang des weltlichen Reiches zu stark ausfällt, muss er sich sogleich selbst korrigieren: Christi Reich sei zwar nicht von dieser Welt, gleichwohl aber sei Christus immer noch Herr über das weltliche Reich. Denn dieser habe die Obrigkeit eingesetzt, um mit dem Volk angemessen umzugehen.102 Dieser Gedankengang zeigt, wie Luther noch damit ringt, eine angemessene Begründung für das weltliche Reich zu finden. In Weimar geht er noch von der Einrichtung der Reiche durch den präexistenten Christus aus. Für eine solche rein christologische Begründung fehlen ihm jedoch eindeutige Belege durch die Bibel. Außerdem stehen die beiden Aussagen in Spannung zueinander, wenn Christus einerseits verkündigt, sein Reich sei nicht von dieser Welt, er andererseits aber dennoch Herr darüber sein solle.103 Dabei hat er bereits ansatzweise eine andere Herleitung der weltlichen Obrigkeit in der Bornaer Predigt vom 4. Mai 1522 formuliert, in deren Kontext er sich auf die Worte von Röm. 13, 1 berufen hat, nach der jedermann der Obrigkeit untertan sein solle.104 Allerdings war er ein halbes Jahr zuvor auch noch der Meinung, dass Gott wenig an der weltlichen Regierung gelegen sei, und sei sie auch die beste, da sie nicht die Seelen der Menschen betreffe. Außerdem fehlt in der Bornaer Predigt völlig eine Begründung der geistlichen Obrigkeit.105 Erst in der ›Obrigkeitsschrift‹ ist er zur endgültigen Überzeugung gelangt, die Einsetzung beider Reiche nicht christologisch zu begründen, sondern sie als Einsetzung von Gott her zu denken und sich hierzu auf Röm. 13, 1f und 1. Petr. 2, 13f zu berufen.106 101   »Aber do Cristus ist mensch worden, hat er das geistlich angenommen und das weltlich lassen fallen« (WA 10 III; 371,22–23). 102   »Nicht das er kein herre mer darueber wil sein, suender das er fuersten, keyser und amptleutt darueber etwas zu thun, mit dem armen volck auch getrewlichen uembzugehen geseczt hat, und er wil gleich wol das regiren und ein herre darueber sein« (WA 10 III; 371,23– 26). 103   Im Rahmen seiner ekklesiologischen Hauptschrift ›Vom Papsttum zu Rom‹ aus dem Jahr 1520 hat Luther eine ähnliche Unterscheidung zwischen Christus als Haupt und Herr vorgenommen. Während Christus lediglich Haupt aller Gläubigen sei, bleibt er dennoch Herr über alle Dinge: »[…] er [Alsfeld] arm mensch wil schreybenn von dem heubt der Christenheit, und vor grosser dolheit meynet er, heubt und her sey ein ding. Christus ist wol einn her aller dinge, der frumen und der boszen, der engel unnd der teuffel, der junpfrauen und der hurn, aber er ist nit ein heubt, dan allein der frumen, gleubigen Christen« (WA 6; 301,29– 302,3). Vgl. Johann Simon Schöffel: Christus »Herr« und Haupt. »Herr der Welt« und »Haupt der Kirche«, in: Luther 22 (1940), 7–21; Konrad Hammann: Ecclesia spiritualis. Luthers Kirchenverständnis in den Kontroversen mit Augustin von Alveldt und Ambrosius Catharinus (FKDG 44), Göttingen 1989, 89–96; Roland M. Lehmann: Kirche glauben! Luthers Ekklesiologie nach seiner Schrift »Vom Papsttum zu Rom« (1520), in: LuJ 87 (2020), 87–124, hier 114f. 104   Siehe oben Seite 147. 105   Siehe oben Seite 150. 106   In Luthers Übersetzung: »Eyn igliche seele sey der gewallt und uberkeyt unterthan, Denn es ist keyn gewallt on von Gott; die gewallt aber, die allenthalben ist, die ist von Gott

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Nach der christologischen Herleitung beider Reiche kündigt Luther an, sich im Folgenden auf das Reich Christi konzentrieren zu wollen.107 Allerdings werden in diesem Zusammenhang auch wichtige Aussagen zum Reich der Welt gemacht. Wie das weltliche Regiment auf Gesetzen beruhe, so gründe sich auch das geistliche Reich auf spezifische Gesetze. Diese dürften jedoch nicht allein auf Papier geschrieben sein und in einem »Kasten« ruhen, sondern müssten von Gott ins Herz geschrieben sein.108 Dagegen stehe das vermeintliche geistliche Reich der Sophisten, womit er die Papstkirche vor Augen hat. Diese würden die Menschen verführen. Denn sie lehrten, dass man mit guten Werken fromm werden könne.109 Wenn hingegen ein »vernünftiger« Mensch ein weltliches Regiment führe, sei er König oder Fürst, dann regiere in Wahrheit Gott.110 Gleiches gelte auch hinsichtlich des geistlichen Regiments, wenn es von »vernünftigen« Mönchen oder Nonnen geführt werde. Jedoch würden sich diese rühmen, durch gute Werke fromm werden zu können. Mit einer solchen Haltung könne aber das geistliche Regiment nicht im Sinne des Reich Gottes regiert werden. Vielmehr wäre ein solches schädlich, böse und sogar teuflisch.111 Deshalb sei auch das Reich des Papstes nicht im Sinne Gottes.112 Bei diesem Gedankengang ist nicht leicht ersichtlich, ob Luther nur das geistliche oder auch das weltliche Regiment vor Augen hat. Er fordert, dass die Gesetze ins Herz geschrieben sein sollen. Wenn die Obrigkeit vernünftig regiere, sei dies auch ein Zeichen, dass sie ihrerseits von Gott regiert werde. Erst im weiteren Verlauf wird deutlich, dass er dies für beide Regimente in Anschlag bringt.113 Von der ›Obrigkeitsschrift‹ aus gesehen, würde ein ins Herz geschriebenes Gesetz eher auf das geistliche Reich bezogen sein, während das weltliche verordnet. Wer nu der gewalt widderstehet, der widdersteht gottis ordnung; wer aber gottis ordnung widdersteht, der wirt yhm selb das verdamnis erlangen« und »Seyd unterthan allerley menschlicher ordnung, es sey dem koenige als dem furnemisten oder den pflegern, als die von yhm gesand sind zur rach der boesen und zŮ lob den frumen« (WA 11; 247,23–30). 107   »Das weltlich reich woellen wir nun sparen und sagen vom geistlichen« (WA 10 III; 371,29f). 108   »[…] dise gesecz und das reich gottes ist nit gnug, das sie ins papir geschriben sein ader im kasten leit, Nein sie muessen ins hercz geschriben sein von got dem hern« (WA 10 III; 372,1–3). 109   »Der Sophisten reich ist gar nichts gegen disem reich. Dan dasselbig reich (als mit guten wercken frum zu werden) ist ein verfuerung der Cristen« (WA 10 III; 372,3–5). 110   »Ist er aber ein vernuenfftiger man, so regirtt er nit, suendern gott: […] Ist er nit gutt und vernuenfftig, er sey kuenig ader fuerst, hoch ader nider, so ist nichts von im zu halden, sein regimentt ist und wuert nimmer mer gut, und wen er gleich alle gesecz hett« (WA 10 III; 372,8–13). 111   »Also secht ir an den muenchen und nunnen die do […] woellen gute geistliche regirer sein, und keiner ist vor hin gutt und mit dem geistlichen reich verfast […], wen das geistlich Regiment nit aus dem reich gottes geregirt wuert, so ist es schedlich, gancz boeß und teufflisch« (WA 10 III; 372,13–24). 112   »So mus gewis das reich des Bapsts kein recht reich sein« (WA 10 III; 372,28f). 113   Vgl. den Rückblick in der vierten Weimarer Predigt einen Tag später, in der er explizit vom geistlichen und vom weltlichen Regiment spricht (WA 10 III; 379,12–16).

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Reich auf Vernunft und dem positiven Gesetz gegründet ist. Die Fragen nach göttlicher Regierung im Falle nichtchristlicher Herrscher und nichtchristlicher Untertanen werden in den Weimarer Predigten nicht angesprochen.114 Was Luther 1522 noch aus systematischer Sicht zur besseren Differenzierung fehlt, ist die spezifische Umdeutung und Anwendung der Lehre von den zwei Schwertern auf sein eigenes Obrigkeitsverständnis. Damit soll freilich nicht behauptet werden, dass Luther nicht bereits vorher über diese Unterscheidung mehrfach nachgedacht habe.115 Kurz zuvor, am 21. Oktober, predigte Luther in Erfurt, dem Papst sei das geistliche und weltliche Schwert abzusprechen.116 Die Frage jedoch lautet, ob er bereits vorher die Unterscheidung der beiden Schwerter als eigenes Theorieelement passgenau in sein System eingefügt hat. Auffällig ist zumindest der Befund, dass in der dritten Weimarer Predigt nicht ein einziges Mal auf die Schwerterlehre angespielt wird. Erst einen Tag später, in der vierten Predigt, geht Luther auf das geistliche und weltliche Schwert ein.117 Man könnte vermuten, dass das Fehlen der Schwerterlehre thematische Gründe haben könnte, da die dritte Weimarer Predigt das Augenmerk insbesondere auf das Reich Gottes legt. Dennoch bleibt das Fehlen der Schwertertheorie bedenkenswert. Es scheint, dass Luther von der dritten zur vierten Predigt die Unterscheidung der Schwerter, mit der er bereits zuvor gearbeitet hatte, nun endgültig als Theorieelement in sein Obrigkeitsverständnis eingefügt hat. Dies lässt sich als Entwicklungsschritt seiner Obrigkeitslehre deuten. Mit Bezug auf die Schwertermetaphorik ist die Entwicklung von der vierten Weimarer Predigt zur ›Obrigkeitsschrift‹ darin zu sehen, dass er noch beim Weimarer Aufenthalt begrifflich weniger streng zwischen »Regiment« und »Schwert« unterschieden hat.118 In der ›Obrigkeitsschrift‹ schließlich entfernt sich Luther immer weiter vom der spannungsvollen Metapher »geistliches Schwert«. In den siebzig Stellen, in denen Luther vom »Schwert« spricht, meint er bis auf eine einzige Ausnahme im  Auf dieses Problem geht er in der ›Obrigkeitsschrift‹ explizit ein: »Zum reych der wellt oder unter das gesetz gehören alle, die nicht Christen sind« (WA 11; 251,1f). 115   Volker Mantey formuliert die Beobachtung in ähnlicher Weise, wobei m. E. der entscheidendende Fortschritt zwischen der dritten und vierten Weimarer Predigt liegt: »Luthers Predigten nehmen die Gewaltenunterscheidung zunehmend anhand des Schwertbegriffes vor. War in Borna zunächst nur von den Gewalten die Rede, ist im Juni in Wittenberg neben dem weltlichen auch (wenn nicht direkt ausgesprochen) das geistliche Schwert thematisiert. Vollends ist Luthers Erörterung zu den beiden Schwerten dann im Herbst in Erfurt zu sehen« (Volker Mantey: Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Martin Luthers Zwei-Reiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund [SuR, Neue Reihe 26], Tübingen 2005, 228). 116   »Wo her kommen nu unser heilyg vetter und wirdig hern, die do haben das geystlich schwert und das weltlich dartzw inn yrem gewalt, wellen unser fursten und hern sein? Es ist offentlich, das sy daß geystlich schwert nit haben, so hat in got das weltlich auch nie gegeben« (WA 10 III; 360,28–32). 117   Vgl. WA 11; 247,21–261,12. 118   Vgl. die Formulierung in der vierten Weimarer Predigt: »Soellen wir den nun ein Regimentt ader schwertt haben« (WA 10 III; 381,28). 114

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mer »das weltliche Schwert«.119 Mit anderen Worten: Luthers Kritik an der traditionellen Zwei-Schwerter-Lehre wandelt sich zu einer »Ein-Schwert-Theorie«, die sich auf Fragen nach der Begründung und der Auslotung der Grenzen des weltlichen Schwertes konzentriert. Nach diesen Aussagen richtet Luther sein Augenmerk auf die Bestimmung des Gesetzes im göttlichen Reich. Ein solches Gesetz ist ihm zufolge nichts anderes als der Heilige Geist, der das menschliche Herz zu regieren habe.120 Dabei verweist er auf Ez. 36, 26 und Joel 3, 1f. Beiden Stellen gemein ist der Gedanke, dass der Geist Gottes diejenige Instanz sei, die das Gesetz ins Herz des Menschen schreibe.121 Dass der tote Buchstabe lebendig werde, stehe nicht in der Macht des Predigers. Allein Gott könne eine solche Verinnerlichung bewirken.122 Luther zieht daraus die Schlussfolgerung, dass der durch den Heiligen Geist gelenkte Mensch über dem weltlichen Gesetz stehe. Denn Gottes Reich und seine Gebote sind dem Reich der Welt übergeordnet. Insofern werde ein solcher Mensch zum Herrn und Beurteiler des weltlichen Gesetzes.123 Jemand, der sich allein nach dem menschlichen Gesetz richte, sei kein Christ, sondern gehorche dem Teufel.124 Vor dem Hintergrund der ›Obrigkeitsschrift‹ erscheint die letzte Aussage missverständlich. Denn dort gibt er dem menschlichen Gesetz durchaus eine positive Funktion und spricht ihm eine teuflische Herkunft ab.125 Die Aussage der Predigt kann lediglich dadurch relativiert werden, dass man sie streng auf das Reich Gottes bezieht. Luther meinte damit: Hinsichtlich des Reich Gottes wäre es geradezu teuflisch, sich allein auf den Buchstaben verlassen zu wollen. Hier müsse der Heilige Geist regieren. Dafür spricht auch der 119   Die eine Stelle lautet: »Denn sie [die Apostel und alle, die das geistliche Regiment innehaben] haben an dem geystlichen schwerd, dem wortt Gottis, wol ßo viel zŮ schaffen, das sie solch yhr handwerck recht treyben, das sie des welltlichen schwerds wol muessen muessig gehen und andern lassen, die nicht zŮ predigen haben« (WA 11; 258,25). 120  »Nun muessen wir wissen was das gesecz soel sein, dadurch wir regirt und gefuert werden: das gesecz ist nichs anders dan der heilig geist, der mus in uns regirn und das gesecz in uns vorbrengen, den geist mus uns gott geben« (WA 10 III; 372,29–32). 121   Vgl. WA 10 III; 373,32–37. 122   »Das mus uns auch widerfaren, uff das wir fuelen muegen, das wir Cristum entpfangen haben, das er auch in uns wirckt, das die lebendige und nit tode Buchstaben in unserm hercz geschriben sein, […]. Und dise buchstaben stehen nit in des Predigers gewalt, Nein, got mus uns das ins hercz schreyben, sein geist und eigner finger« (WA 10 III; 373,5–10). 123   »[…] daraus folgt, wer nun also das gesecz und reich gottes in im hat, der ist aller anderer gesecz ein urteiler und herre« (WA 10 III; 373,10f). 124   »Der mensch so nit mit dem reich und gesecz Cristi wuert regirtt, der ist kein Crist nicht, der sich nun gibt in menschlich gesecz, der ist nit gottes, suendern des teufels« (WA 10 III; 373,13–15). 125   »Darumb hatt Gott die zwey regiment verordnet, das geystliche, wilchs Christen unnd frum leutt macht durch den heyligen geyst unter Christo, unnd das welltliche, wilchs den unchristen und boeßen weret, daß sie eußerlich muessen frid hallten und still seyn on yhren danck« (WA 11; 251,15–18).

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darauffolgende Satz, der sich gegen die Mönche und Nonnen wendet. Ihm zufolge berufen sich diese allein auf Dekrete und verleugnen damit Christus.126 Jedoch könnten Dekrete Christus nicht ersetzen. Dies wäre so, als ob man eine Sau zu einem König machte.127 Im Folgenden treibt er den Gegensatz zwischen dem Reich Christi und dem Reich des Papstes auf die Spitze. Das eine sei das Reich der Finsternis, das anderes das des Lichts.128 Da der Papst versuche, sich an Christi Stelle zu setzen und Gott gleich sein zu wollen, müsse man ihn nach 2. Thess. 2, 4 als den Endchrist deuten.129 Damit ist der polemische Höhepunkt der Predigt erreicht. In der ›Obrigkeitsschrift‹ hingegen wendet Luther deutlich weniger Polemik gegen den Papst an. Sie kommt lediglich in der Einleitung zum Vorschein, wenn er indirekt den Papst als Teufel malt. Dort greift er die altgläubigen Fürsten an und bezeichnet sie als die »Schuppen« und »Wasserblasen« des Papstes.130 Wenn der göttliche Geist im Christenherz allein regiert, so Luther, handelt der Mensch nicht mehr aus seinem eigenen verdorbenen Vermögen heraus. Denn gute Werke könne keiner aus seinem eigenen freien Willen tun. Allein Gott vermag es, dass der Mensch gute Werke vollbringe.131 Deshalb seien alle, die anderes lehren und sich dabei auf Dominikus oder Franziskus berufen, Narren. Holzschuhe zu tragen oder sich den Kopf zu scheren seien noch keine frommen Werke. Äußerlich betrachtet könne auch das Werk eines Henkers ein gutes und Gott wohlgefälliges Werk sein.132 Vielmehr würden alle Vorstellungen von frommen Werken getilgt, wenn das Evangelium wie ein Blitz in das 126   »Ir secht, das die geistlichen und muenchen ir Decrett, geistlich recht und andere buecher gutt und heilig nennen und schenden damit Cristum« (WA 10 III; 373,15–17). 127   »Wers nit gar ein schentlich ding, wen man ein kuenig von einem stul abseczt und seczt ein Saw an sein Statt? Also auch das man den Bapst mit ganczem seinem Decret wil zu Cristo seczen, wie man bißher gethan hat, das ist schendlich und teuffellisch« (WA 10 III; 373,18– 21). 128   »[…] des Bapsts ist finsternus, Cristi ist das licht« (WA 10 III; 374,18f). 129   »[…] so mus ia des Bapsts nichs sein, das sein reich ist wider Cristi reich, Er wuerfft sich auff got gleich zu sein, der Endecrist, Wie Pau: sagt, Das der Endecrist wuert siczen in der kirchen gottes, wuert sich hoch erhoehen und ueber alles das do gott ist, wil er geertt sein« (WA 10 III; 374,26–30). 130   »Und hab ich yhren [des fehlgeleiteten Fürsten] goetzen den Bapst nicht gefurcht, der myr die seelen unnd den hymel drawet zŮ nemen, muß ich mich auch sehen lassen, das ich seyne schupen und wasserblaßen nicht fuerchte, die myr den leyb und die erden drawen, zŮ nehmen« (WA 11; 247,15–18). Der Ausdruck »Wasserblase« als Bild für eine vorübergehende bzw. platzende Tyrannei ist eine Anspielung auf das Verbot des Septembertestamentes durch Herzog Georg von Sachsen. Luther verwendet dieses Bild auch in seiner ›Missive‹ an Hartmut von Kronberg. Vgl. WA 10 II; 53–60, hier 55,22 und Brief Luthers an Hartmut von Kronberg vom 26./27. März 1522, WA B 2; Nr. 466, 484f. 131   »Da folgt das der frey wille zu boden gehen muß, das er hie nichts ist. Sol Cristus in uns regirn, so ist ia gewis das wir das nit thun koennen« (WA 10 III; 375,6f). 132   »Was ists mer, das sant Franciscus ein kutten hat angehabt und ist uf holczschuchen gangen? Es koent ein hencker gleich so wol ein gutt werck Cristo thun, so er einem den kopff abhieb, als das ein muench ein platten ader kutten tregt« (WA 10 III; 375,21–24).

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Herz des Menschen einschlage.133 Da Jesus selber gesagt hat, dass die Pforte zum Himmel eng sei (Mt. 7, 14), dürfe man sich nicht mit großen Werken beschweren, wie es die Kartäuser tun, wenn sie sich Hopfensäcke umbinden, um demonstrativ für Christus zu leiden.134 Stattdessen müssten ihre vermeintlich frommen Werke wie das Korn in einem Mühlstein zerrieben werden.135 In diesem Zusammenhang spielt Luther auf die Legende des Einsiedlers an, der lehrte, man solle jeden Mönch, der mit einem Bein den Himmel betreten wolle, am anderen Bein packen, um ihn wieder auf die Erde zu ziehen.136 Wahrscheinlich hat der Wittenberger hier eine Legende vom Säulenheiligen Simeon Stylites im Hinterkopf. Demnach habe der Teufel Simeon versucht, indem er als Engel mit glänzendem Wagen um seine Säule herum schwebte und ihm vorgaukelte, seine Zeit sei gekommen und er könne nun gen Himmel fahren. Als Simeon begierig den Wagen betreten wollte, habe er jedoch ein Kreuzeszeichen gemacht. Dies habe die Macht des Teufels gebrochen, weshalb er verschwunden sei.137 Auch der Heilige Bernhard von Clairvaux habe sich so sehr gemartert, bis er schließlich erkannt habe, dass seine Werke nichts bewirkten und er ein einfaches Leben führen müsse.138 Daher solle man im Glauben Gott um den Geist bitten. Ihm gebühre zu entscheiden, welches Werk das richtige sei. Der Frau habe er geboten, Kinder groß zu ziehen, und dem Mann, über die Knechte zu regieren. In dieser Hinsicht käme dem Schlagen von Brennholz für ein Feuer oder dem Einheizen der Stube dem Beten eines Rosenkranzes gleich.139 133   »Das Euangelium wuert daruemb gepredigt, das es die menschen mit iren wercken zu boden schlagen soel: wie der plix [= Blitz] in einem augenblick vil verderbtt, Also auch das Euangelium schlecht schwindt die leutt nider, das das unser thun und werck nichts sein« (WA 10 III; 375,33–36). 134   »[…] die pfortt ist eng (Mathei: 7:), wir muessen nit mit grossen wercken hinein gehen. Darueber machen die narren ein Comment unnd sagen, die pfortt eng sein, das sey im we thun mit peiczschen, fasten, ein muench ader Cartheuser werden […]. Daruemb behengen sie sich gleich mit grossen hopffen secken voller werck, so kummen sie dester weniger durch die engen pfortten« (WA 10 III; 376,4–11). 135   »Nein, es hilfft sie [= Kartäuser] nicht, Sie muessen mit iren wercken gedemuetigt und zu riben werden wie das mel, und wie der muelstein zu reibt das korn« (WA 10 III; 376,13–15). 136   »Also list man von einem altten Einsidel, der lernt seine kinder, wen sie sehen wuerden einen muenchen mit einem pein in den himel trettende, so soelden sie in mit dem andern beyne herab reissen, wie in den leben der altvetter gefunden wuert« (WA 10 III; 376,19–22). 137  Vgl. Philipp Loos: Geschichte der ältesten christlichen Einsiedler in den Wüsten des Morgenlandes. Nach den bewährtesten gleichzeitigen Schriftstellern gesammlet und im Auszug herausgegeben, Bd. 1, Leipzig 1787, 161. Vgl. ferner WA 54; 110,30. 138   »Also list man von sant Bernhardo: der war also ser darauff kommen, das er sich so gros marttert, das er im hindennach feindt wartt. Mit den wercken hat er nichts aus gericht, sein glaub hat im geholffen« (WA 10 III; 376,25–27). Vgl. ferner Theo Bell: Divus Bernhardus. Bernhard von Clairvaux in Martin Luthers Schriften (VIEG 148), Mainz 1993, 97. 179; Ulrich Köpf: Bernhard von Clairvaux im Werk Martin Luthers. Bemerkungen zur neueren Forschung, in: RoJKG 18 (1999), 225–233. 139   Vgl. WA 10 III; 376,29–377,3.

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Nach dieser Bewertung frommer Werke kehrt Luther zum Reich-Gottes-Begriff zurück. Fromme Werke hätten nicht über Gottes Reich zu stehen, sondern seien ihm unterworfen.140 An dieser Stelle greift er am schärfsten die Ordensbewegungen an, indem er konstatiert: Am Hochmut der Mönche und Nonnen könne man erkennen, wie böse das Leben derjenigen Menschen sei, die in Klöstern wohnen.141 Sie seien der Meinung, mit ihren frommen Werken wären sie mehr wert als die anderen. Doch sie würden verkennen, dass andere genauso Christen seien, die ihrem eigenen Gottesdienst nachgingen.142 Sich in ein Kloster zu sperren, sei so absurd, wie wenn man den Wirt in eine Kammer einschließen würde, weswegen er nicht mehr seiner eigentlichen Aufgabe nachgehen könne.143 Man solle aber allein durch das Reich Christi selig werden und kein anderes suchen.144 Jesus habe den Jüngern lediglich geboten, den Esel für seinen Einzug nach Jerusalem zu holen; nicht aber, sich auf den Esel zu setzen. Vielmehr solle man zu Fuß gehen und dem reitenden Christus nachfolgen.145 Dies sei das rechte Predigen des Reiches Christi. Das Reich des Papstes dagegen müsse fallen.146 Denn wer das Reich Gottes nicht verkündige, sondern nur um des Geldes willen predige, der sei des Teufels.147 Daher solle Gott den Menschen regieren. Mit einem »Amen« beendete Luther seine Kanzelrede.148

2.3 Das Reich der Welt und das Reich Gottes (25. Oktober 1522) Am Samstag, dem 25. Oktober, betrat Luther erneut die Kanzel und begann mit einem Rückblick auf seine Predigt vom Vortag.149 Gestern habe er über das 140   »Dan die kappen ist nit ueber dem reich gottes, Nein, deine werck sein dem reich gottes unterworffen« (WA 10 III; 377,9f). 141   »Da koent ir nun sehen, Wie boeß der menschen leben ist die in Cloestern sein, dan sie sagen das ir leben besser sey dan unsers« (WA 10 III; 377,21f). 142   »Meinstu das du fruemmer seyest, ob du gleich ein platten ader kappen tragst? Nein, unser leben ist gleich so vil […]. Soelt unser leben nit gottes dinst sein, wie kemen wir dazu? Wir sein ia auch so wol Cristen als sie« (WA 10 III; 377,23–26). 143   Vgl. WA 10 III; 377,26–29. 144   »Nein, Cristus wil, mir soellen durch sein reich selig werden und soellen kein anders suchen« (WA 10 III; 377,30f). 145   »Sie soellen Cristo den esel zu fueren, dan Cristus wil es haben und sagt: ›Geht zur Castellen, fuertt mir den esel her und seczt euch nit darauff‹« (WA 10 III; 377,35–37). Vgl. auch WA 10 III; 378,35–37. 146   »Wer nun ein guter Regentt wil sein, der muß aus dem reich Cristi unnd seinem gesecz regirn und nit aus des Bapsts reich, dan dasselb mus zu bodem gehen« (WA 10 III; 378,13–15). 147   »Wer nun das Reich Cristi nit predigt, er sey muench, bischoff und ein pfarner, So ist er ein teuffel, da wuertt nit anders aus. Man soel nit predigen uembs gelts willen, wie man biß her gethan hat, wir soellen allein der guetter Cristi begern« (WA 10 III; 379,2–5). 148   »Daruemb gebe uns gott sein gnade und sein reich, das es uns regiren mueg. Amen« (WA 10 III; 379,8f). 149  Vgl. Christopher Spehr: Luthers Weimarer Obrigkeitspredigten im Jahr 1522, in: Ders./Michael Haspel/Wolfgang Holler (Hg.): Weimar und die Reformation. Luthers Obrigkeitslehre und ihre Wirkungen, Leipzig 2016, 13–30, hier 27–29; Volker Mantey:

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Reich Gottes gepredigt und dabei zum einen thematisiert, worin es bestehe, und zum anderen, dass es allein vom Heiligen Geist regiert werde. Dies gelte sowohl für das geistliche als auch das weltliche Regiment.150 Nun formuliert er an sich selbst gerichtet den Einwand, ob er damit auch meine, dass man gar nichts von der Obrigkeit halten solle. Denn wenn allein Gott regiere, dann seien ja alle Herrscher nutzlos.151 Dabei wird es sich wohl nicht nur um ein rhetorisches Stilmittel handeln. Luther muss durch seine Predigt am Vortag heftige Diskussionen ausgelöst haben, in denen man gegen ihn wohl auch den Vorwurf erhob, er würde die Obrigkeit gänzlich negieren wollen. In Reaktion auf diese Anfragen bekräftigt er jedoch zunächst seine aufgestellten Behauptungen: Allerdings regiere im Reich Gottes allein Gott, weshalb dort kein Schwert oder Gesetz vonnöten sei.152 Vielmehr würden durch Gottes Regiment in Anspielung auf Jes. 2, 3 alle Schwerter zu Pflugscharen.153 Jedoch habe der Teufel unter seinem Regiment viele Menschen versammelt, weshalb ein drittes Regiment notwendig werde. Hierzu benötige man alle Fürsten und politischen Ämter, um die bösen Menschen zu strafen und die Christen zu schützen. Während Luther am Vortag eine scharfe Antithese zwischen dem Reich Gottes und dem Reich des Teufels formulierte, schaltet er nun die positive Funktion der weltlichen Obrigkeit dazwischen. Dabei kann er auf die Gedanken zurückgreifen, die er bereits in der Bornaer Predigt vom 4. Mai entfaltet hatte, wo er die Aufgaben und Grenzen der weltlichen Obrigkeit zu klären versuchte.154 Im Vergleich zur Bornaer Predigt betont er jedoch vor den Zuhörern in Weimar, dass es ihm nicht darum gehe, allgemein über die Funktion der weltlichen Obrigkeit zu sprechen. Denn warum solle er einem Schneider sagen, wie er einen Rock zu nähen habe? Vielmehr wolle er danach fragen, wie ein christlicher Herrscher seine Macht zu gebrauchen habe.155 Für alle anderen HandlunZwei Schwerter – Zwei Reiche. Martin Luthers Zwei-Reiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (SuR, Neue Reihe 26), Tübingen 2005, 230f. 150   »Gestern habt ir gehoertt was das reich gottes sey, worinnen das stett, und das soelchs niemants anders regirn kan dan got durch seinen heyligen geist, Das in dem auch soellen geistlich und weltlich regiment regirtt werden« (WA 10 III; 379,12–14). 151   »Nun sagen etliche: Was sagt ir da? Soel man den nichts von oeber herren halden? wens allein got mus regirn, Was doerffen wir der herren?« (WA 10 III; 379,16–18). 152   »Darzu antwortten wir: Ja freylich, halts dafuer, got mus es allein regirn, dan wo nun das reich und Regiment gottes ist, da darff man keines schwerts unnd gesecz, das ader anders so zur oeberkeit gehoerett« (WA 10 III; 379,18–21). 153   Vgl. WA 10 III; 379,23–27. 154   Siehe oben Seite 147. 155   »Nun woellen wir anzeigen von der weltlichen Oberkeit, worinnen die iren schwanck haben soel, das man die auch recht haltten moeg. Ich wil nit anzeigen, wie der in allen dingen zu halden sey, Ich wil das der vernunfft lassen und heym geben, Suendern ich wil sagen, Wie darinnen soel die lieb gegen dem nechsten erzeigt werden soel. Was doerff ich dem schneyder sagen und in lernen einen rock zu machen? er weis es vor hin, Daruemb soel ich im allein sagen sein hantwerck wol und cristlich zu gebrauchen. Also gebuertt mir auch nit einen fuersten in dem zu unterweisen, Ich soel im allein sagen, das er Cristlich handel. Unnd also soellen die

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gen gebe es die Vernunft. Spätestens hier relativiert Luther die Antithetik vom Vortag, ohne es explizit zu machen. Während er zuvor noch betonte, dass Gottes Geist bei allen christlichen Herrschern regieren solle, so erfolgt nun im weiteren Verlauf eine Ausdifferenzierung der Thematik in drei Abschnitten, nach denen sich die Predigt gliedert. Sie entsprechen einerseits dem dritten Teil der ›Obrigkeitsschrift‹, in der Luther einen Fürstenspiegel entfaltet. Andererseits klingen auch Gedanken an, die Luther in den ersten beiden Teilen dieser Schrift verhandelt, worin er die weltliche Obrigkeit begründet und deren Grenzen auslotet. Der erste Aspekt betrifft das Führen des weltlichen Schwerts durch den christlichen Herrscher aus Gründen der Nächstenliebe, ohne sich dabei in die geistlichen Angelegenheiten einzumischen. Hierzu greift Luther zunächst auf seine Predigt vom Vortag zurück. Dort habe er gefordert, dass das geistliche Regiment allein durch Gottes Geist geführt werden müsse. Dies solle auch von der weltlichen Obrigkeit geachtet werden.156 Keine Zwangsmaßnahme könne verhindern, dass Gottes Geist in einem Menschen wirke. Übergriffe der weltlichen Herrscher auf die geistlichen Angelegenheiten seien sinnlos, da man mit Zwang keinen Menschen fromm machen könne. Selbst wenn ein Fürst befehlen würde, zehn Personen zu köpfen, könne er die Zuschauenden in ihren Gedanken nicht lenken.157 Daraus folgt für Luther, dass sich der weltliche Herrscher bei Zerwürfnissen unter den Geistlichen neutral verhalten solle. Jeder Mensch könne glauben, was er will.158 Wenn Prediger Verschiedenes behaupten und man nicht recht wisse, was Gottes Wort entspreche, so erinnere man sich an das Gleichnis vom Unkraut und Weizen (Mt. 13, 24–30). Dort habe der Herr dem Knecht ebenfalls gesagt, er solle das Unkraut nicht ausjäten, sondern mit dem Weizen wachsen lassen und bis zur Ernte warten.159 Auch Paulus habe davon gesprochen, dass Ketzerei bis zum Ende der Welt herrsche (1. Tim. 4, 1).160 Und selbst Christus habe behauptet, er sei nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert (Mt. 10, 34).161 hern und weltlichen Regentten das schwertt gancz Cristlich annemen und haben, damit sie den andern dienen, schueczen und hanthaben« (WA 10 III; 380,5–15). 156   »Zum ersten hab ich gestern gesagt, wie gar die geistlichen sich nit unterstehn soellen das geistlich regiment zu regirn und fueren, Dan got mus das regirn, wir vermuegen es nit, also ists mit dem weltlichen auch« (WA 10 III; 380,18–20). 157   »Dan wen mir gleich ein fuerst ließ zehen kopff herab hawen, ˘ so kontt er mir dennoch mein mutt nit nemen und etwas guts aus mir machen, Gott mus es in mir wircken, Und dise sein narren, die do plagen und peynigen die leutt frum zu werden« (WA 10 III; 380,20–24). 158   »Daruemb so glaubt ein iczlicher was er wil« (WA 10 III; 380,25f). 159   Vgl. WA 10 III; 380,28–381,1. 160   »Dan Pau: sagt ›Es muessen verfuerung und keczerey in der welt biß an das ende sein‹« (WA 10 III; 381,1f). 161   Vgl. WA 10 III; 381,5–11.

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Demgegenüber bestehe die Funktion der Obrigkeit darin, die Bösen zu strafen und die Frommen zu beschützen.162 Dies begründet er mit Röm. 13, 1 und 1. Petr. 2, 13.163 Dabei setzt er hier die besondere Pointe, dass, wenn jeder Mensch der weltlichen Obrigkeit untertan sein solle, dies auch für den Papst gelte.164 Ohne die weltliche Herrschaft würden die Menschen einander auffressen, ein Gedanke, den er ebenfalls in der ›Obrigkeitsschrift‹ äußern wird.165 Die Regierung der weltlichen Herrschaft im Sinne Gottes bedeutet, Henker und »Stockbloecher« Christi zu sein.166 Das Letztere bezeichnet einen Holzblock, der aus zwei Hälften gearbeitet ist, um die Hände oder Füße eines Menschen zu fixieren.167 Gegen Christus würde man handeln, wenn man durch das weltliche Schwert versuchen würde, den Bürgern ihr Geld und Gut wegzunehmen.168 Zwar könne Gott auch durch einen König strafen, wie man es an Nebukadnezar sehen könne, der auf Befehl Gottes eine Stadt angegriffen hat (Ez. 26, 7). Ein guter Fürst aber unterdrücke seine Untertanen nicht, sondern diene ihnen.169 Dies sei die spezifische Aufgabe des Fürsten. Damit stehe er auf derselben Ebene wie ein Handwerker, der seinem Handwerk nachginge, um dem Nächsten zu dienen.170 Als zweites gibt Luther den Fürsten den Ratschlag, sich nicht allzu sehr auf ihre Berater zu verlassen.171 Dieser Abschnitt entspricht inhaltlich dem zweiten Ratschlag des Fürstenspiegels in der ›Obrigkeitsschrift‹.172 Seine Weimarer Zuhörer warnt er vor untreuen Räten, denn diese können viel Unheil in einem Land anrichten. Mit der Treue sei es bei ihnen meistens nicht weit her, was man 162   »Waruemb ist den nun die oeberkeit geben? Daruemb das sie straff die boesen, beschuecz und hanthabe die frummen« (WA 10 III; 381,19f). Vgl. auch WA 10 III; 382,1f. 163   »Von dem gewalt sagt auch Pau: ad Roma: 13. Das ein iczlicher mensch der oeberkeit soel unterthan sein, dan es sey sunst kein gewalt dan von gott. So sagt auch Petrus darvon, das wir unterworffen soellen sein einer iczlichen Creatur uemb gottes willen, dem fuersten als dem kuenig« (WA 10 III; 381,20–24). 164   »[…] das auch alle Bepst unnd Bischoeff soellen den fuersten unterthan sein« (WA 10 III; 381,25). 165   Vgl. WA 10 III; 381,27f mit WA 11; 251,8–11. 166   »Die fuersten sein auch hencker und Stockbloecher Cristi, die im sein volck straffen und richten muessen« (WA 10 III; 381,31f). , 167  Vgl. Jakob Grimm/Wilhelm Grimm: Art. ›Stockblock‹, in: Deutsches Wörterbuch, Bd. 19, Leipzig 1889, Nachdruck München 1999, 55 und Art. ›Stock‹, aaO., 31. 168   »Wie man list von Nabuchodonosor, Dem gebott got, er soelt die Stadt Tirum zerbrechen und zerstoeren […]. Also strafft gott die Statt durch den kuenig seinen Regentten, das thut er auch noch heutt zu tag« (WA 10 III; 381,34–382,1). 169   »Also soel der fuerst gedencken: Cristus hat mir gedienett […], also wil ich auch meinem nechsten dienen […]. Das wer ein fuerst und guter Regentt. Wen ein fuerst also sicht seinen nechsten unterdruecken« (WA 10 III; 382,2–8). 170   Der Fürst »mus regiren im reich gottes. Also soel auch thun ein Schuster, schneider, schreiber ader leser« (WA 10 III; 382,11f). 171   »Zum andern soel ein fuerst auch wissen sich wol zu halden gegen seinen Rethen, wie er den vertrawen soel« (WA 10 III; 382,19f). 172   Vgl. WA 11; 274,7–276,5.

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an ihrem Verhalten erkennen könne, wenn beispielsweise ein Herrscher gefangen genommen wird.173 Daher solle ein Fürst ein gesundes Misstrauen gegenüber seinen Räten haben, auch wenn diese darüber zürnen würden.174 Als ständige Gefahr kennzeichnet Luther, dass sich die Räte zu den eigentlichen Herrschern des weltlichen Reiches erheben und damit die Stelle des Fürsten einnehmen würden.175 Als Beispiel für eine solche Machtergreifung der Räte verweist Luther auf Ahitofel (2. Sam. 16, 23–17, 23). Er war der Ratgeber Davids, der Davids Sohn Absalom dazu geraten hatte, seinen Vater ermorden zu lassen.176 Stattdessen rät Luther den Fürsten, sie sollten sich David zum Vorbild nehmen, der sich stets um seine Leute gesorgt habe.177 Auch ein Mensch von geringerer Herkunft könne einen guten Rat geben. Hierbei komme es nicht auf den Stand an. So habe Gott sogar durch einen Esel Bileam in rechter Weise beraten (Num. 22, 28).178 Umgekehrt könne Gott auch aus einer Person mit hohem Ansehen einen Narren machen. Daher solle sich ein Fürst vor stolzen Ratgebern hüten und eher auf sich selbst vertrauen.179 Drittens schließlich rät Luther seinen Hörern, des Öfteren auch »durch die Finger zu sehen«.180 Mit dieser von ihm gern gebrauchten Redewendung ist der Akt gemeint, Gnade vor Recht ergehen zu lassen.181 Im Hintergrund steht 173   »Wuert der herre irgents gefangen […], So sicht man wol wie getrewlichen sie im helffen und raten« (WA 10 III; 382,24f). 174   »Wen sie den nun woellen zuernen und sagen: Gnediger her, wil ewer gnade mich nit hoeren und mir vertrawen? ˘ Ich bin ewer ˘ gnaden retig unnd huelffig, So soel der fuerst antwortten: Ich thu dir nit unrecht, Ich verschmehe dich nit, du bist mein radt, das weis ich wol. Aber soel ich dir vertrawen ˘ und darff mir nit vertrawen? ˘ got hat mir geboten, Ich soel allein mich auf in verlassen und im vertrawen« (WA 10 III; 382,29–34). 175   »[…] also soel sich der fuerst vor den selben Rethen hueten die do woellen, man sal in vertrawen. Dan sie woellen regirer sein« (WA 10 III; 382,36–38). 176   »Also list man von kuenig Dauid, der het einen radt der hies Achitosel, gar ein cluger man, den nennet die schrifft, das er also clug sey gewest, Wen in einer uemb ratt hat gefragt, als hett er got gefragtt: er wardt dennoch zu leczt zu einem narren und wolt seinen eigen hern ermorden« (WA 10 III; 383,1–5). 177   »Also weis ich kein feiner exempel und fuerbild den fuersten, dan kuenig Dauidem« (WA 10 III; 383,5f). 178   »Es kan ein armer geringer mensch so wol ein guten radt geben als ein grosser hans, Man mus nit die person ansehen. So findt man auch das gott durch den esel Balaams redt« (WA 10 III; 383,7–10). 179   »Daruemb huett euch vor den selben stolczen ratt geben […], machen […] vil wortt und ueberreden den frummen fuersten, aber er mus fest halden […], In ia nit zuvil vertrawen, ˘ sie soellen selber mit zu sehen« (WA 10 III; 383,14–18). 180   »Zum dritten So soellen die fuersten auch wissen, wie sie sich soellen halden gegen den dieben, moerdern, frummen und boesen […]. Also mus man iczundt auch handeln, zeiten ein mal lassen gehen und das schwertt also fueren. Aber es begibt sich offt, wen ein fuerst wol wil regiren, so stoest er zu zeiten an und fuertt das schwertt nit wol unnd sicht zu und durch die finger« (WA 10 III; 383,22–30). 181   Vgl. Luthers Handschrift des Sermons von den guten Werken (1520), WA 9; 289,4; Von den guten Werken (1520), WA 6; 263,32; Auf des überchristlich, übergeistlich und überkünstlich Buch Bock Emsers zu Leipzig Antwort (1521), WA 7; 635,30; Predigt über Mt. 5, 20 vom

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Lev. 20, 4.182 Damit ist gemeint, dass man die Hand mit leicht gespreizten Fingern vor Augen hält, um so teilweise die Fehler des anderen bewusst zu verdecken, ohne jedoch vollständig für sie blind zu sein.183 Der Ausdruck »durch die Finger sehen« ist im übrigen gleichzusetzen mit den juristischen Fachtermini, die ursprünglich aus dem antiken Recht stammen und ins kanonische Recht aufgenommen wurden, nämlich den Begriffen ἐπιείϰεια, aequitas bzw. »Billigkeit«.184 Sie bezeichnen die Modifikation einer gegebenen Rechtsregel zum Zweck ihrer vernünftigen Anpassung an einen konkreten Fall.185 So habe auch David Gnade vor Recht gegenüber seinem Knecht Joab ergehen lassen, der Abner erschlug (2. Sam. 3, 27). Dagegen sei es häufig die Schuld der Räte, wenn diese kluge Handlungsmaxime nicht befolgt werde: Sie raten ihrem Fürsten, genauestens das Gesetz zu befolgen, obwohl es besser wäre, ein kleines Unrecht zu übersehen, um schlimmere Folgen zu vermeiden, beispielsweise keinen Krieg auszulösen, wodurch viele Tausende Unrecht erleiden würden.186 Wer nicht durch die Finger sehe, der könne nicht wohl regieren.187 Deshalb rät Luther, ein

27. Juli 1522, WA 10 III; 248, Z 18; Predigt über Lk. 10, 38ff vom 15. August 1522, WA 10 III; 270,28; An die Herren deutschen Ordens (1523), WA 12; 237,4; Reihenpredigten über 1. Petr. (1523), WA 12; 346,27; Predigt vom 2. April 1523, WA 12; 478,5; Luthers Fastenpostille (1525), WA 17 II; 45,9; Vom Greuel der Stillmesse, WA 18; 22,35 u. 36,31; Crucigers Sommerpostille (1544), WA 21; 225,32; Reihenpredigten über 1. Mose (1523/24), WA 24; 195,35 u. 208,10; Vorrede zu Ps. 82 (1529–32), WA 31 I; 190,9 u. 214,36; Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe (1533), WA 38; 222,7; Reihenpredigten über Mt. 18–24 (1537), WA 47; 317,15. 25 u. 365,27–29; Predigt über Phil. 4 vom 20. Dezember 1545, WA 51; 104,16. 182   In der Bibelstelle geht es um die Strafe Gottes, wenn ein Israelit dem fremden Gott Moloch folgt und für ihn sein Kind töten lässt. Die Strafe Gottes wird auch dann erfolgen, wenn das fremde Volk den Vater begnadigt bzw. in seinem Fall »durch die Finger sieht«: »Und wenn das Volk im Lande bei dem Menschen durch die Finger sehen würde, der eins seiner Kinder dem Moloch gegeben hat, daß es [das Volk] ihn [den Mann] nicht tötet, so will doch ich mein Antlitz wider denselben Menschen setzen und wider sein Geschlecht und will ihn und alle, die mit ihm mit dem Moloch Abgötterei getrieben haben, aus ihrem Volke ausrotten« (Lev. 20, 4f). Zuweilen setzt er den Ausdruck auch gleich mit dem neutestamentlichen Begriff der Menschenliebe (φιλανθρωπίαν). Vgl. hierzu die Predigt vom 28. November 1537 über Mt. 20, 20: »Sanct Paulus nennets mit seinen wortten φιλανθρωπίαν und ἐπιείκιαν. Dann ἐπιείκια heist, das man durch die finger sehen kan unnd niht nach der scherff handelt, tregt, duldet« (Reihenpredigten über Mt. 18–24 (1537), WA 47; 365,27–29). 183  Vgl. Ludwig Göhring: Volkstümliche Redensarten und Ausdrücke, München 1937, 61. Dort wird vermerkt, dass die Redewendung dem genauen Sinn nach »zwischen den Fingern sehen« lauten müsste. 184   Vgl. hierzu Luthers Schrift ›Von den Konziliis und Kirchen‹, WA 50; 612,25. 185  Vgl. Gustav Wingren: Art. ›Billigkeit‹, in: TRE 6, 643–645; vgl. ferner Ferdinand Elsener: Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, in: Tübinger Juristenfakultät (Hg.): Summum ius, summa iniuria (Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 9), Leipzig 1963, 168–190. 186   »So kommen den die redt, heczen die hern zu krieg und woellen ia ein clein unrecht weren und gedencken nit ein clein unrecht zu uebersehen ader lassen bleyben« (WA 10 III; 383,30–32). 187   Vgl. WA 10 III; 383,37f.

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Fürst solle sich einige Tage Zeit nehmen, bevor er einen neuen Ratsherren einsetzt, um sich zuvor eine eigene Meinung zu bilden.188 Eine solche Klugheit zeige sich in einem besonderen Fall, den Luther im Folgenden erläutert: Ein Edelmann hatte einen anderen Edelmann gefangen genommen. Die Frau des Gefangenen bat um Gnade für ihren Ehemann. Dies bewilligte der andere, unter der Bedingung, dass sie sich seinem Willen beuge, womit der Beischlaf gemeint ist. Als sie dies mit Zustimmung ihres Ehemannes tat, hielt sich der andere jedoch nicht an die Abmachung, sondern ließ den Gefangenen köpfen. Daraufhin beklagte sich die Ehefrau beim König. Dieser zwang den Täter, die Witwe zur Ehefrau zu nehmen, da er sie geschändet hatte. Kurz danach ließ der König dem Schänder ebenfalls den Kopf abschlagen, wodurch die Frau wieder zu Ehren kam.189 Eine solche Handlungsweise sieht Luther als Vorbild für einen Herrscher an. Um ebenso zu regieren, solle sich ein christlicher Herrscher immer wieder in seine Kammer zurückziehen und Gott gegenüber demütig eingestehen, dass er seine Gnade zum Regieren benötige.190 Zum Ende hin wechselt Luther die Perspektive und versucht die Frage zu beantworten, wie sich ein Christ im weltlichen Bereich zu verhalten habe bzw. wie geistliches und weltliches Regiment zueinander stünden.191 Um jenes Verhältnis zu klären, greift er auf Mt. 5, 39 zurück. Er macht deutlich, dass man als Christ in der Welt, wenn jemand einem auf die linke Backe schlage, auch die rechte hinhalten solle, fügt aber sogleich hinzu: »das mus sein, wiewol es unmueglich ist«.192 Hier deutet er das Problem an, dass man als Christ zwar nach dem christlichen Maßstab des Vergeltungsverzichts zu leben habe, dies in der weltlichen Sphäre aber unmöglich realisieren könne. Ohne jedoch darauf einzugehen, warum jenes Verhalten unmöglich sei, fährt er fort, dass man als Christ alles geduldig zu ertragen habe. Deshalb solle man nach Mt. 5, 40 auch jedem den Mantel reichen, der den Rock verlange.193 An dieser Stelle erinnert Luther an ein Streitgespräch zwischen Augustin und einem Heiden, in dem beide über Mt. 5, 40 debattieren.194 Dabei wirft der Heide Augustin vor, dass eine solche Handlung im Prinzip nicht rechtens sei. Damit verschärft sich für Luther das 188   »Daruemb soel ein fuerst alle acht ader vierzehen tage einen newen amptman und regentten haben, die alle probiern, welcher im dan gefelt, den neme er an« (WA 10 III; 384,16– 18). 189   Vgl. WA 10 III; 384,22–33. 190   »Und mus gehen in sein kammern und sagen: O mein gott, Ich bin ein kindt und ungeschickt zu regirn dein volck, daruemb gib mir dein gnade« (WA 10 III; 385,1–3). 191   »Unnd also mus das geistlich Regiment darnach bey dem weltlichen stehen« (WA 10 III; 385,7). 192   »Schlecht einer einen uff den backen, soel er im den andern auch dar geben, das mus sein, wiewol es unmueglich ist« (WA 10 III; 385,8f). 193   »[…] wen einer aber im geistlichen regimentt ist, so leidt ers alles gedueldig: nimpt im einer den rock, so lest er im auch den mantel, Also mus im sein« (WA 10 III; 385,9–11). 194   »Umb den spruch stritt auch ein heyde mit Augustino und meynet es wer nit recht« (WA 10 III; 385,11f).

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Problem, da nun das christliche Verhalten sogar in die Sphäre des Unrechts rückt. Ohne das Problem zu vertiefen, unternimmt er deshalb einen erneuten Anlauf und gibt zu bedenken, dass man zwar als Christ unter der weltlichen Gewalt stehe, aber dennoch die linke Wange hinzuhalten habe.195 Gleich darauf räumt er jedoch ein, dass man, wenn man frevelhaft geschlagen werde, nach dem weltlichen Regiment zu handeln habe. Denn in einem solchen Fall müsse die Obrigkeit eingreifen. Eben dafür sei das weltliche Schwert da, um bei Unrechtshandlungen einzuschreiten.196 Ungeklärt bleibt aber die Frage, wie sich der Christ zu verhalten hat, wenn er vorsätzlich geschlagen wird. Soll dann die Obrigkeit eingreifen oder die Tat geduldig hingenommen werden? Bei kritischer Betrachtung dieses inkohärenten Gedankengangs gewinnt man den Eindruck, dass Luther auf eine Frage gestoßen ist, die er in jener Predigt nicht eindeutig klären konnte. Der Eindruck verstärkt sich, wenn man jene Überlegungen mit denen in der Zugabe der ›Obrigkeitsschrift‹ vergleicht. Dort erörtert er in einer Fallstudie die innerweltliche Ausübung der christlichen Nächstenliebe und differenziert das Problem in funktionaler Weise aus.197 Insgesamt sind die Weimarer ›Obrigkeitspredigten‹ in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Zum einen gewähren sie wertvolle Einblicke in Luthers Umgang mit den politischen Herrschern, wenn er auf der Kanzel zu ihnen sprach; zum anderen bieten sie wichtige Erkenntnisse in Bezug auf Luthers Obrigkeitsverständnis. Luther scheut sich nicht, im Beisein der politischen Herrscher den Führungsstil der Fürsten zu kritisieren. Zwar will er ihnen keine Vorschläge hinsichtlich ihrer tagespolitischen Aufgaben machen, jedoch gibt er ihnen auf der Kanzel allgemeine Ratschläge, um als christliche Herrscher angemessen zu regieren – und das bedeutet für ihn, sich ganz auf die Aufgabe zu konzentrieren, Sicherheit nach innen und Frieden nach außen zu schaffen. Dabei spielt für Luther die christliche Haltung im Ausüben ihres Amtes eine Rolle. Bei geistlichen Angelegenheit haben sie sich eher neutral zu verhalten und sich vor Zwangsmaßnahmen zu hüten. Vor allem aber greift Luther explizit die fürstlichen Räte an, offenbar ohne Angst zu haben, sich am Hofe unbeliebt zu machen. Deren Machtdrang müsse von den Herrschern kontrolliert werden. Als Kompass für die Regierungstätigkeit rät er der Obrigkeit, nicht dem Buchstaben des weltlichen Gesetzes, sondern der eigenen Vernunft zu folgen. Das »durch die Finger Sehen« fungiert als Umschreibung der politischen Urteilspraxis, Gnade vor   »Wer aber ein Crist ist, der gibt sich under den weltlichen gewalt: schlecht in einer an rechten backen, so heltt er im auch den lincken, und der spruch Cristi helts mit dem geistlichen regiment und gehoeret auch zum selbigen« (WA 10 III; 385,12–15). 196   »Das man aber einen mit frevel schlaen woelt, das muest man nit gestehen, da mus die oberkeit zu sehen, daruemb ist das schwertt da« (WA 10 III; 385,15–17). 197  Vgl. hierzu Roland M. Lehmann: Luthers Naturrechtsverständnis, in: ZEvKR 60 (2015), 369–408, hier 393–396. 195

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Recht ergehen zu lassen, um damit schlimmere Folgen zu verhindern. Kluges politisches Handeln bedeutet für den Wittenberger insofern, die Folgen der eigenen Tat zu reflektieren und in einem pragmatischen Sinn Kompromisse einzugehen, ohne dabei das eigene Machtstreben vor Augen zu haben. Auf diese Weise agiert hier Luther auf der Kanzel als politischer Berater der Machthabenden. Andererseits gibt Luther in den Weimarer ›Obrigkeitspredigten‹ auch Rechenschaft über sein eigenes Obrigkeitsverständnis. Hierbei befindet er sich im Vergleich zu den ›Obrigkeitspredigten‹ in Borna vom 4. Mai 1522, der Wittenberger Pfingstpredigt vom 10 Juni 1522 und seiner ›Obrigkeitsschrift‹ aus dem Jahr 1522 noch im Klärungsprozess. Von der in Weimar versuchten christologischen Begründung der Reiche durch den präexistenten Christus nimmt er später Abstand und bevorzugt in Kombination von Röm. 13, 1f und 1. Petr. 2, 13f den schöpfungstheologischen Gedanken von der Stiftung der Reiche durch Gott. Zudem lässt sich im Vergleich zur ›Obrigkeitsschrift‹ ein stärkerer Augustinismus den Weimarer Predigten erkennen. Die Rede vom Reich des Teufels tritt in der ›Obrigkeitsschrift‹ in den Hintergrund, ohne Luther freilich völlig von ihr Abstand nimmt. Die Metapher »geistliches Schwert« verschwindet nahezu völlig. In der Abfolge der Weimarer Predigten ist eine Entwicklung in Luthers Denken zu erkennen. Zwischen der ersten und zweiten ›Obrigkeitspredigt‹ kam es zu einer Klärung des Verhältnisses zwischen beiden Reichen, auch wenn er bereits früher über die beiden Reiche und deren Schwerter nachgedacht hatte. Doch erst in der Obrigkeitsschrift erfolgt die spezifische Umdeutung und Anwendung der Schwerterlehre als passgenaues Theorieelement für sein späteres System. Aufgrund dieser Erwägungen stellen die Weimarer Obrigkeitspredigten eine wichtige Quelle zur Genese von Luthers Lehre von den zwei Regimenten bzw. zwei Reichen dar und gehören zur unmittelbaren Vorgeschichte der ›Obrigkeitsschrift‹.

3. Die Wörlitzer Predigt vor den drei anhaltinischen Fürsten 3.1 Die Reformation in Anhalt nach dem Tod Margarethes Nach dem Tod ihrer Mutter Margarethe von Münsterberg am 28. Juni 1530 begannen Johann IV., Georg III. und Joachim I. sogleich mit der Neuorganisation des Herrschaftsgebiets, verbunden mit intensiven Baumaßnahmen an den fürstlichen Residenzen.198 Zum Zeitpunkt des Todes waren die Söhne zwar noch re198   Ihre Herrschaft Dessau erstreckte sich über die Stadt Dessau, die Städte und Ämter Roßlau, Lindau, Wörlitz, Plötzkau und die Vogtei, über die Klöster Hecklingen und Kölbigk, die Hälfte von Zerbst und Bernburg und die Vogtei über das Kloster Nienburg sowie die Anwartschaft auf bisher versetzte, wieder einzulösende Landesteile wie Warmsdorf und anteilig Harzgerode und Güntersberge. Die Bevölkerungszahl lag ungefähr bei 18.000 Personen. Vgl.

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lativ jung – der älteste Sohn Johann 25, der mittlere 22 und der jüngste Sohn Joachim 17 Jahre –, doch die Mutter hatte dafür gesorgt, dass sie bereits von Jugend an schrittweise auf die Regentschaft vorbereitet wurden.199 Johann wuchs gemeinsam mit dem Kurprinzen und späteren Kurfürsten Joachim II. am Hofe zu Berlin-Cölln auf; die beiden jüngeren Söhne wurden zunächst am Hof ihres Onkels, Bischof Adolf von Merseburg, und ab 1518 an der Leipziger Universität erzogen, bis Joachim am Hofe Herzog Georgs von Sachsen (1507– 1553) aufgenommen wurde.200 Dem mittleren Sohn Georg war eine geistliche Laufbahn beschieden. Er erhielt am 16. Februar 1516 die Tonsur, trat 1518 eine Kanonikerstelle im Merseburger Domkapitel an, wurde am 6. März 1520 Koadjutor und nach seiner Priesterweihe im September 1524 am 9. Mai 1526 Dompropst des Magdeburger Doms.201 Bereits als Zwölfjähriger erlebte Georg Luther und die Wittenberger Reformatoren während der Leipziger Disputation.202 In den Jahren 1522 und 1523 setzte er sich kritisch mit Luthers Schriften auseinander und wurde 1528/29 im Zuge seines Studiums der Jurisprudenz in Leipzig insbesondere von seinem Mentor Georg Helt 203 beeinflusst, der den reformatorischen Ansichten in der Zeit zunehmend offen gegenüber stand.204 Großen Eindruck hinterließ bei Ge-

Ulla Jablonowski: Fürst Georg III. von Anhalt als Landesherr, in: Achim Detmers/Ulla Jablonowski (Hg.): 500 Jahre Georg III., Fürst und Christ in Anhalt. Beiträge des Wissenschaftlichen Kolloquiums anlässlich des 500. Geburtstages von Fürst Georg III. von Anhalt, Köthen 2008, 34–63, hier 37–39. 199  Vgl. Ulla Jablonowski: Der Regierungsantritt der Dessauer Fürsten Johann, Georg und Joachim 1525/1530, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 15(2006), 24–59, hier 25f. 200  Vgl. Gerrit Deutschländer: Dienen lernen, um zu herrschen. Höfische Erziehung im ausgehenden Mittelalter (1450–1550) (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit 6), Berlin 2012, 132. 201  Vgl. Peter Gabriel: Fürst Georg III. von Anhalt als evangelischer Bischof von Merseburg und Thüringen (1544–1548–50). Ein Modell evangelischer Episkope in der Reformationszeit (Evangelische Hochschulschriften 23), Frankfurt am Main 1997, 73f. 202  Vgl. Johann Karl Seidemann: Die Leipziger Disputation im Jahre 1519, Dresden u. a. 1843, 69; Otto Clemen: Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation 1519, in: NASG 44 (1930), 44–57, hier 51. 55. 203   Zu seiner Person vgl. die Einleitung bei Otto Clemen (Hg.): Georg Helts Briefwechsel (ARG.E 2), Leipzig 1907, 1–7. Vgl. ferner Gerrit Deutschländer: Hofgeistlichkeit, Fürstenerziehung und Briefkultur. Georg Helt und die Fürsten von Anhalt im 16. Jahrhundert, in: Matthias Meinhardt u. a. (Hg.): Religion, Macht, Politik. Hofgeistlichkeit im Europa der Frühen Neuzeit (Wolfenbütteler Forschungen 137), Wiesbaden 2014, 195–209. 204   Zu den Quellen seiner Hinwendung zur Reformation vgl. Volker Leppin: Anknüpfung und Neuansatz. Fürst Georg III. auf dem Weg zur Reformation, in: Achim Detmers/ Ulla Jablonowski (Hg.): 500 Jahre Georg III., Fürst und Christ in Anhalt. Beiträge des Wissenschaftlichen Kolloquiums anlässlich des 500. Geburtstages von Fürst Georg III. von Anhalt, Köthen 2008, 23–33.

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org die Lektüre der Confessio Augustana.205 Ab diesem Zeitpunkt kam es auch zum Briefkontakt Georgs mit Luther und Melanchthon.206 Trotz der wohlwollenden Haltung gegenüber der reformatorischen Bewegung war im Jahr 1532 noch keineswegs eindeutig erkennbar, welche Richtung die drei Fürstenbrüder hinsichtlich ihrer offiziellen Kirchenpolitik einschlagen würden. Ihre Vormünder Kardinal Albrecht, Kurfürst Joachim I. von Brandenburg und Herzog Georg von Sachsen waren entschiedene Gegner Luthers und übten Druck auf die jungen Herrscher aus. Auf der einen Seite war Fürst Wolfgang mit seinen Landesteilen Bernburg und Köthen ein Förderer der Reformation. Als günstig erwies sich, dass sich Georg Helt sich ab dem Sommersemester in Wittenberg aufhielt und so zwischen den Anhaltinern und Wittenbergern vermitteln konnte.207 Auf der anderen Seite war besonders prekär, dass Kardinal Albrecht bestrebt war, Georg als Vertrauten um sich haben zu wollen. Bereits im Frühjahr 1529 wollte ihn der Kardinal als erzbischöflichen Rat einsetzen, was er jedoch zu dem Zeitpunkt noch ablehnte.208 Doch weitere persönliche Bemühungen Albrechts führten im September 1531 schließlich zur Einwilligung Georgs. Er wurde erzbischöflicher Rat und für die Dauer der Abwesenheit des Kardinals von Ende Oktober 1531 bis 15. Dezember 1532 sogar Statthalter in den östlichen Stiftsbezirken. Das Dienstverhältnis wurde im Mai 1533 noch  Vgl. Hermann Wäschke: Anhaltische Geschichte, Bd. 2: Geschichte Anhalts im Zeitalter der Reformation, Köthen 1913, 349f; Oswald Gottlob Schmidt: Georg’s des Gottseligen, Fürsten zu Anhalt, Leben, in: Moritz Meurer (Hg.): Das Leben der Altväter der lutherischen Kirche, Bd. 4, Leipzig u. a. 1864, 63–160, hier 90–92. Eine kurze Darstellung seiner Theologie gibt Franz Lau: Georg III. von Anhalt (1507–1553). Erster evangelischer »Bischof« von Merseburg, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl Marx Universität 3 (1953/54), 139–152. 206   Von Georgs Briefen an Luther sind neun Schreiben, von Joachim an Luther ein Brief erhalten. Luthers erhaltene Briefkorrespondenz mit den Anhalter Grafen umfasst 43 Briefe an Georg, 26 an Joachim und 25 an Johann von Anhalt. Von Melanchthon existieren 185 Briefe an Georg. Davon sind 37 zu Lebzeiten Luthers und 148 nach dessen Tod geschrieben. Insgesamt sind 17 Briefe von Georg an Melanchthon bekannt, 25 Gutachten haben Georg und Melanchthon gemeinsam mit anderen zumeist an den Landesherrn Moritz von Sachsen verfasst. Vgl. Heinz Scheible: Melanchthons Verhältnis zu Georg von Anhalt, in: Achim Detmers/Ulla Jablonowski (Hg.): 500 Jahre Georg III., Fürst und Christ in Anhalt. Beiträge des Wissenschaftlichen Kolloquiums anlässlich des 500. Geburtstages von Fürst Georg III. von Anhalt, Köthen 2008, 81–107, hier 81. Vgl. außerdem WA B 16; 117. 139 und im Personenverzeichnis von MBW 11, 72–74. 207   Eine wichtige Quelle dieser Zeit bietet sein Tagebuch, veröffentlicht von Georg Buchwald: Georg Helt’s Wittenberger Predigttagebuch, in: ARG 17 (1920), 183–208. 271–276. 208   In einem im Original verlorenen Brief äußerte sich Georg nach seinem Besuch beim Kardinal am 7. Mai 1531 über die Anwärterschaft auf den Ratsposten: »Er [Kardinal Albrecht] hat sehr vertraulich darüber gesprochen; er hat von mir dasselbe, wie vor drei Jahren in Leipzig gefordert« (zitiert nach Hermann Wäschke: Anhaltische Geschichte, Bd. 2: Geschichte Anhalts im Zeitalter der Reformation, Köthen 1913, 358). Vgl. ferner Ulla Jablonowski: Der Regierungsantritt der Dessauer Fürsten Johann, Georg und Joachim 1525/1530, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 15(2006), 24–59, hier 40, Anm. 27. 205

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einmal erneuert und erst am 4. April 1534 mit sichtlichem Bedauern von Seiten Albrechts gekündigt.209 Die noch zögerliche Haltung Georgs zur Reformation wird in seinem Brief an Helt vom 21. Februar 1532 deutlich. Er bezieht sich auf eine Anfrage Helts, ob er als Mitregent dem Dessauer Stadtpfarrer Georg Peschel die Erlaubnis erteilen könne, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt auszuteilen, da viele Gemeindeglieder darum gebeten hätten. Georg teilte ihm mit, dass er lange darüber nachgedacht habe, jedoch hinsichtlich der bevorstehenden Festzeit, in der viele das Abendmahl einnehmen werden, eine Veränderung eher ablehne, weil die Verschiedenheit der Darreichung nur Unruhe hervorbringen würde.210 Vielmehr solle der Pfarrer genau prüfen, wer ein solches Abendmahl begehre. Falls er keinen anderen Grund des Begehrens feststellen würde außer der aufrichtigen Überzeugung, dann dürfe er diesen speziell das Abendmahl in der gewünschten Form darreichen, ohne aber die anderen zu nötigen oder zu verletzen.211 Gleichwohl waren die drei Herrscher der Reformation nicht abgeneigt. Am Gründonnerstag, dem 28. März desselben Jahres, hatte der reformationskritische Dominikaner und Hofprediger Petrus Rauch aus Ansbach scharf das Reichen des Abendmahls unter beiderlei Gestalt kritisiert.212 Als die Fürsten ihn deswegen zur Rede stellten und für seine rigorose Haltung kritisierten, gab er   Vgl. den im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau erhaltenen Dienstvertrag vom Mai 1533, der auf drei Jahre angelegt war und neben Sachleistungen 300 Gulden in bar enthielt (LHSA, DE, GAR.NS Anhalt: F. Georg III, Nr. 20, fol. 88) und die Vertragsaufhebung (LHSA, DE, GAR.NS, Nr. 924, fol. 20). 210   »Decreueram […] quidem […] ea, que scribenda erant, coram tibi referre, quandoquidem me breui isthic apud vos, uti tibi a Rodero concreditum est, futurum Deo donante spero. Sed cum inter cetera indicaueris Dominum pastorem Dessauianum a prelisque pro Eucharistia sub v[traque] s[pecie] exhibenda sollicitatum ac tempus iam instet, quo catholicus sacram sinaxim percipere consueuit, duxi et in hac re meam pro mea tenuitate sententiam praehabita aliquali deliberatione aperiendam. Nosti, quantae turbae forsitan excitande forent a quibusdam non sine multorum nondum instructorum infirmarum conscientiarum detrimento, si quibusdam sub vna, quibusdam sub vtraque specie porrigeretur hoc sacramentum« (Otto Clemen (Hg.): Georg Helts Briefwechsel (ARG.E 2), Leipzig 1907, Nr. 24, 29). 211   »Hoc faciendum existimo, vt parochus, quos bene examinatos cognouerit non ob aliud vtranque postulare speciem quam quod illis certissime persuasum est hanc christi institutionem esse, non quod fortassis in hoc aliud spectant, vt vel sic sacram communionem contemnendo eam euitent, […] eos moneat, vt multis de caussis iam a sacra communione patienter abstineant nihilomonius cupientes ipsam percipere, si absque aliorum lesione illis obtingere posset, futurumque Christo propitio, vt porro illis non sit deneganda, minime autem eos inducat, ut contra conscientiam alteram dumtaxat sumant.« (ebd.). Vgl. ferner Hermann Wäschke: Anhaltische Geschichte, Bd. 2: Geschichte Anhalts im Zeitalter der Reformation, Köthen 1913, 359f. 212   Zu Petrus Rauch vgl. Nikolaus Paulus: Die deutschen Dominikaner im Kampfe gegen Luther (1518–1563) (Erläuterungen und Ergänzungen zu Jannsens Geschichte des deutschen Volkes 4 Heft, 1/2), Freiburg im Breisgau 1903, 45f; Michael Höhle: Universität und Reformation. Die Universität Frankfurt (Oder) von 1506 bis 1550 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 25), Köln 2002, 154–157. 209

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sein Amt auf,213 sodass die Hofpredigerstelle frei wurde.214 Am 24. April erhielt Georg Helt in Wittenberg den Auftrag, sich nach einem Ersatz umzusehen.215 Luther brachte seinen Freund und Vertrauten Nikolaus Hausmann für die Nachfolge ins Gespräch, der sich jahrelang für die Reformation in Zwickau eingesetzt, schließlich den Ort 1531 verlassen hatte, um im Hause Luthers zu wohnen.216 Aufgrund der Fürsprache Luthers durfte Hausmann im Sommer vor den beiden fürstlichen Brüdern Johann und Joachim in Dessau predigen,217 worauf er als Prediger angenommen wurde.218 Ausgestattet mit Empfehlungsschreiben von Luther und Melanchthon trat Hausmann die Stelle im September an.219 Relativ kurzfristig, am 23. November 1532, erreichte Luther die Einladung, zusammen mit Philipp Melanchthon und Caspar Cruciger an den Wörlitzer Hof zu reisen.220 So entstand eine günstige Gelegenheit, mit den Herrschern ins Gespräch zu kommen und auf die reformatorischen Bestrebungen positiv Ein213   Am 24. April 1532 schrieb Georg an Helt, dass Petrus Rauch sein Amt niedergelegt habe: »Obtinuisse se dimissionem scribit D. Petrus« (Otto Clemen (Hg.): Georg Helts Briefwechsel (ARG.E 2), Leipzig 1907, Nr. 40, 33). 214   Vgl. die Beschreibung des Vorfalls aus der Sicht Georgs in dessen Brief an Helt vom 26. April 1532, in dem er von »absurdissima argumenta« spricht, die Petrus Rauch zur Verteidigung angeführt haben soll. Vgl. aaO., Nr. 41, 33f. Aus der Sicht Rauchs war eher entscheidend, dass sein Vorgänger, der ehemalige Hofprediger Johann Mensing, der Ende April 1529 Prediger und Professor in Frankfurt wurde, ihn bat, nach Frankfurt zu kommen: »Dar auff ich dan E. F. G. zu wissen thue, wye mich dye hern von franckfort iezundt ezum tritten mall haben angelangt vnd begert solchen dyenst, so vormals von mir mitt vnterscheid ezu gesagt, von myr gewerdt, welchen ich dan mit wissen meyner obrikeit, so solchen vormals an meynen beruf bewilligt, nitt hab konnen abschlagen« (Brief Rauchs an Fürst Johann von Anhalt vom 7. Mai 1532 bei Otto Clemen (Hg.): Briefe von Hieronymus Emser, Johannes Cochläus, Johann Mensing und Petrus Rauch an die Fürstin Margarete und die Fürsten Johann und Georg von Anhalt, Münster 1907, 36–39, hier 36f). 215  Vgl. Otto Clemen (Hg.): Georg Helts Briefwechsel (ARG.E 2), Leipzig 1907, Nr. 40, 33. 216   Vgl. das Empfehlungsschreiben abgedruckt in: Gerhard Heine: Geschichte des Landes Anhalt und seiner Fürsten, Köthen 1866, 89. 217   Die genauen Termine der Vorstellungspredigten weichen in den Darstellungen voneinander ab. Hausmann predigte wohl am 29. und 30. Juni vor den beiden fürstlichen Brüdern Johann und Joachim in Dessau und auch in den Tagen zwischen dem 18. und 24. August. WA B 6; 355. Nach Bobbe predigte er am 29. Juni und am 3. Juli vor den Fürsten Johann und Joachim in Dessau und am 8. September vor allen drei Fürstenbrüdern. Vgl. Ders.: Hausmann und die Reformation in Dessau (Neujahrsblätter aus Anhalt 2), Dessau 1905, 16. 218   Im Brief an Helt vom 28. Juli kündigt Georg an, sich in der kommenden Woche mit seinen Brüdern über die Anstellung Hausmanns zu beraten, und Helt solle daran teilnehmen. »Tum quoque de D. Magistro Hausmanno a multis non parum apud me commendato forsitan in proximam dominicam [4. Aug.] [… ] accersendo, quo et ego audiam ipsum, conveniemus« (Otto Clemen [Hg.]: Georg Helts Briefwechsel [ARG.E 2], Leipzig 1907, Nr. 46, 36). 219   Vgl. WA B 6; Nr. 1957, 355; MBW.T 5, Nr. 1277, 342. 220   »Principes de Anhalt 23. Nouembris Martinum Lutherum, Philippum Melanthonem, Casparum Crucigerum Woleuizium vocarunt praesente marchione iuniore in venatione« (WA T 2; Nr. 2802b, 671,1–3). Vgl. ferner WA T 3; Nr. 2869b, 42,17–19; WA T 1; Nr. 397, 172,21f.

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fluss zu nehmen.221 Der Anlass war, dass der junge Kurprinz Joachim II. von Brandenburg als Jagdgast zugegen war. Luther stand mit dem Kurprinzen in engem brieflichen Kontakt. So vertraute der Kurprinz drei Monate zuvor Luther in einem Brief an, dass er beabsichtige, als Hauptmann gegen die Türken zu ziehen, und deswegen Rat und Fürbitte bitte.222 Luther antwortete ihm fürsorglich, indem er versicherte, dass ihn stets ein Vaterunser bei seinem Vorhaben begleiten werde.223 Jedoch ermahnte er ihn und alle anderen beteiligten Herrscher, mit dem Feldzug gegen die Türken allein Gott die Ehre zu erweisen und nicht nach eigenem Ruhm zu streben.224 Nach Erhalt der Einladung brach die Wittenberger Gruppe unverzüglich auf, um sich an den Wörlitzer Hof zu begeben, der ungefähr zwei Stunden entfernt lag. Dort predigte Luther am Sonntagvormittag, dem 23. November, vor den anhaltischen Fürstenbrüdern und dem Kurprinzen. Den Nachmittag verbrachte er mit Gesprächen bei der Jagd, bevor die Gruppe am Abend wieder nach Wittenberg zurückreiste.225 Den Tischreden zufolge war Luther von den Persönlichkeiten sowie der Bibelkenntnis der Fürsten beeindruckt.226   »Dies redet D. M. L., da er mit M. Philipp und D. Creuziger wieder von Werlitz kam und in Gegenwart des jungen Markgrafen mit den Fürsten von Anhalt auf der Jagd war gewesen« (WA T 2; Nr. 2802b, 671,25–27). Jedoch hat Luther wohl nicht aktiv an der Jagd teilgenommen, sondern begleitete die Fürsten lediglich, da er die Jagd als ›sauersüßes Vergnügen der Heiden‹ auffasste und eher Mitleid mit den Tieren hatte. Über Luthers Einstellung zur Jagd vgl. Julius Köstlin: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, fortgesetzt von Gustav Kawerau, Bd. 1, Berlin 51903, 438; vgl. ferner WA 31 I; 427. 222   »Dur[ch]leuchtiger, hochgeborner Fürst, gnädiger Herr! Wir haben E. F. G. Schrift empfangen, und vernommen, wie E. F. G. personlich als ein Hauptmann des Sächsischen Kreis wider den leidigen Tyrannen, den Türken, ziehen wollen. Darumb dann E. F. G. unser Gebet, und ein christenlichen Bericht zu schreiben begehret« (Brief Luthers an Kurprinz Joachim von Brandenburg am 3. August 1532, WA B 6; Nr. 1950, 344,2–6). Unter Sultan Süleyman I. rückten die osmanischen Truppen 1532 gegen Wien vor. Joachim wollte mit seiner Entscheidung an die Tradition der Hohenzollern anknüpfen, sich im Kampf gegen Ungläubige zu bewähren. Vgl. Mathis Leibetseder: Kurfürst im Harnisch. Rittertum und Repräsentation am Hofe Joachims II. von Brandenburg, in: Martin Wrede (Hg.): Die Inszenierung der heroischen Macht. Frühneuzeitliches Königtum zwischen ritterlichem Erbe und militärischer Herausforderung, München 2014, 76–106, hier 89–91; Martin Brecht: Luther und die Türken, in: Bodo Guthmüller u. a. (Hg.): Europa und die Türken in der Renaissance (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 54), Tübingen 2000, 9–28, hier 18; Malte van Spankeren: Luther und die Türken, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, 32017, 262-269. 223   »Derhalb wir auch nit lassen wöllen, E. F. G. mit unserm Pater nost[er], so best wir vermügen, Gesellschaft zu leisten« (WA B 6; Nr. 1950, 344,8f). 224   »So wünsche ich nun vor allen Dingen und bitte Gott durch Jesum Christum, unsern Herrn, daß er dem frommen Kaiser und allen Fürsten und allen, so jetzo wider den Türken streiten sollen, erstlich verleihe ein freidiges Herz, das sich auf seine Hilf trostlichen verlasse, und behüte sie gnädiglichen, daß sie ja nicht, wie der Türk, sich auf ihre Macht und Stärk verlassen, denn solchs Verlassen wär schädlich« (WA B 6; Nr. 1950, 344,16–21). 225   Vgl. WA 36; XXVII. 226   »[Luther] sagte […], ›wie es so feine geschickte Herren wären, gelehrt, züchtig mit Worten und Geberden, freundlich und schamhaftig wie Jungfrauen, in lateinischer Sprache wol 221

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3.2 Die »Summe des christlichen Lebens« (24. November 1532) Die Predigt hielt er in einem kleinen Rahmen. Luther spricht von drei Fürsten, deren Hofbediensteten und nicht mehr als zehn Bauern in der Kirche.227 Da er in seiner Erinnerung dem Kontext nach über die anhaltischen Fürsten redet, ist damit jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch der junge Kurprinz Joachim von Brandenburg bei der Predigt zugegen war. Darüber hinaus hörte wohl Georg Helt der Predigt zu.228 Nikolaus Hausmann hingegen war an diesem Tag nicht in Wörlitz. Luther antwortete ihm noch kurz vor der Abreise aus Wörlitz auf einen hinterlegten Brief, dass er und die anderen Wittenberger von den Fürsten »aufs freundlichste und köstlichste aufgenommen« worden seien.229 Die Predigt wurde von Caspar Cruciger mitgeschrieben. Mit dessen Überarbeitung war Luther derart zufrieden, dass er nach der Lektüre urteilte, »er hats besser gemacht, denn ichs gepredigt habe«.230 Daher kommt Kurt Aland zu dem Schluss, dass sich trotz einiger Glättungen und Hinzufügungen Luther das Ergebnis Crucigers zu eigen machte, weil die Gedanken treffend wiedergegeben wurden.231 Von der Predigt existieren zwei deutsche Drucke und eine lateinische Fassung. Die deutschen Versionen stammen aus der Werkstatt von Joseph Klug in Wittenberg und von Kunigunde Hergotin aus Nürnberg. Die lateinische Fassung ist in einer Predigtsammlung über Mt. 5–7 enthalten, die bei Joseph Erben in Hagenau gedruckt wurde.232 Alle drei Exemplare enthalten 1533 als Datum. Da Luther ein Druckexemplar bereits am 2. Januar 1532 nach Wörlitz zu Hausgeübet und in der Bibel wol bekannt, also daß sie drinnen weit uberlegen wären allen Papisten‹ &c.. Und sagte, ›er hätte ganz und gar ein theologisch Mahl mit E. Gnaden gehalten; denn uber Tische hätten sie von nichts mehr denn von Gottes Wort geredet mit großer Demuth, Bescheidenheit, Gütigkeit &c.. Sümma, es wären feine, gottfürchtige, vernünftige, verständige und holdselige Herrn, die da ohn Zweifel einen Schatz im Himmel würden sammlen, so sie beständig würden bleiben in der Lehre des Euangelii. Alle drey Brüder, Fürst Johannes, Georgius, Joachim, sind aufrichtige Fürsten, fürstliches und christliches Gemüths […]‹« (WA T 2; Nr. 2802b, 671,26–672,7). Vgl. ferner Friedrich Westphal: Fürst Georg der Gottselige zu Anhalt. Sein Wesen und Wirken. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte, hg. von Fritz Blachny, Dessau 21922, 16. 227   »Da ich die Predigt thät, waren nicht zehen Bauern in der Kirche, ohn [nicht mitgerechnet] die drei Fürsten und ihr Hofgesinde« (WA T 3; Nr. 2869b, 43,15f). 228   Im Rückblick auf das Wörlitzer Treffen schreibt Georg Helt an Fürst Georg in einem Brief vom Dez. 1532 : »[…] dum essemus Worlitii« (Otto Clemen (Hg.): Georg Helts Briefwechsel, Leipzig 1907, Nr. 53, 41). 229   »Literas tuas, Sed non tete, Quod maxime sperabamus, inuenimus, Mi Hausmanne. deo reddimus literas, sed breues, quia colloquiis impediti iam discedimus, vt non possimus latius scribere. Narrabunt tibi optimi principes omnia. Nam tractauerunt nos humanissime & splendide. Alias alia. Iam festini ascendimus currum« (WA B 6; Nr. 1973, 385,3–7). 230   Vgl. WA T 3; Nr. 2869b, 43,30f; 44,14f. 231   Vgl. LD 6, 331. 232   Vgl. WA 36; XXVIII. Vgl. zum Wittenberger Druck Benzing/Claus, Nr. 3040 = VD 16 L 6713; zum Nürnberger Druck Benzing/Claus, Nr. 3041 = VD 16 L 6712, zur lateinischen Ausgabe Benzing/Claus, Nr. 20 = VD 16 L 4757.

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mann schickte, ist zu vermuten, dass der Erstdruck bereits im Dezember in Wittenberg erfolgte.233 Dafür spricht nicht nur die geografische Nähe, sondern auch der textkritische wie druckanalytische Vergleich.234 Allerdings ergibt der Vergleich verschiedener Exemplare des Wittenberger Drucks, dass unter ihnen noch einmal eine Feinunterscheidung vorzunehmen ist. Wahrscheinlich wurden während des Druckvorgangs Verbesserungen vorgenommen.235 So vermerken die Herausgeber der Weimarer Ausgabe, dass beispielsweise in einigen Exemplaren an gleicher Stelle die Wortwendung »mit der wird sichs zeit wol finden« stehe, während andere Wittenberger Ausgaben richtig schreiben »mit der zeit wird sichs wol finden«.236 Insofern wäre es ratsamer gewesen, die verschiedenen Fassungen des Wittenberger Drucks entsprechend mit A und B usw. zu unterscheiden. Als Bibelwort wählte Luther in freier Weise 1. Tim. 1, 5–7, da der damals so gezählte 26. Sonntag nach Trinitatis eher selten vorkam und nicht eindeutig einer Perikope zugeordnet war.237 Dem Bibeltext entlehnt ist auch der Titel des Drucks »Summa des christlichen Lebens«, da in 1. Tim. 1, 5 die Worte zu lesen sind: »Die Hauptsumme aller Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben«. Der Titel für den Druck ist durchaus treffend gewählt, selbst wenn in den Tischreden überliefert wird, dass Luther über das Thema »Vom wahren Gottesdienst« sprach.238 Bereits im Jahr 1525 predigte Luther vor der Wittenberger Gemeinde über diese Perikope im Rahmen seiner vier Reihenpredigten über den Anfang des Timotheusbriefes.239 Die am 17. März gehaltene Predigt, die von Rörer überlie233   Vgl. »Sermo Wurlicii a me habitus excusus est, quem hic mitto« (WA B 6; Nr. 1989, 410,14f). 234   Der Wittenberger Druck enthält viele Fehler, die zum Teil im Nürnberger Druck ausgemerzt wurden. So wurde in der Wittenberger Fassung »hetz« (Bl 4b,13) durch »hertz« (Bl. 1b,31) in der Nürnberger Fassung verbessert. Druckanalytisch ergibt sich keinerlei Satzverwandtschaft. Der Nürnberger Druck verwendet eine viel kleinere Type, weshalb er nur auf 16 Quartblätter im Vergleich zu den 24 Blättern im Wittenberger Druck kommt. 235   Vgl. WA 36; XXVIII. 236   Vgl. WA 36; 356,26 mit Druck Benzing/Claus, Nr. 3040 = VD 16 L 6713 B 36, Bl. B 2a,2 v. u. Aus dem Fußnotenapparat der WA wird ersichtlich, dass die Wittenberger Drucke, die sich in der Universitätsbibliothek Leipzig (Signatur Kirchg.930/5) und in der Staatsbibliothek Berlin (Signatur 6551a und 6551b) befinden, als frühere Exemplare einzustufen sind. Die Berliner Ausgaben sind aufgrund des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen. 237   So das Perikopenverzeichnis in der Wittenberger Ausgabe des Neuen Testaments aus dem Jahr 1526, in dem der 26. Sonntag nach Trinitatis fehlt (vgl. WA DB 7; 542). Vgl. ferner die Synopse der Perikopentexte von Herwarth von Schade/Frieda Schulz (Hg.): Gestalt und Wandel des gottesdienstlichen Bibelgebrauchs (RGD 11), Hamburg 1978, 82. 238   Den Tischreden zufolge bemerkte Veit Dietrich (= Magister Vitius), der die gedruckte Predigt gelesen hatte, dass sie »ein sehr gute, schöne Vermahnung zu dem höhesten und furnehmesten Gottesdienst« sei (WA T 3; Nr. 2869b, 43,3f). Darauf bestätigte ihm Luther, er habe »in dieser Predigt […] die Vermahnung gerichtet zu dem höhesten und größten Gottesdienst, als Gottes Wort hören« (WA T 3; Nr. 2869b, 43,9f). 239   Vgl. die Einleitung in WA 17 I; Nr. 18. 19. 21. 24, XXV–XXIX.

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fert ist und ein Jahr später mehrfach gedruckt wurde, gestaltete er damals als Homilie. Insbesondere die Auslegung von 1. Tim. 1, 5 bildete hierbei trotz aller Unterschiede die Vorlage für das Gedankengerüst, welches auch in der Wörlitzer Predigt zum Tragen kommt.240 Demnach ist die Predigt gegliedert in eine Vorrede über Pflicht und Nutzen des Gottesdienstes und eine Einleitung mit der Exposition des Bibelverses, worauf der Hauptteil folgt, der in drei Abschnitte aufgeteilt ist, in denen er die Begriffe aus 1. Tim. 1, 5 auslegt, nämlich »reines Herz«, »gutes Gewissen« und »ungefärbter Glauben«, woran ein kurzer Schlussteil angehängt ist.241 Die Idee, die Predigt entlang der drei Begriffe zu entfalten, lässt sich bereits in der Wittenberger Predigt ausmachen.242 In der Vorrede setzt Luther mit dem Gedanken ein, dass Gott nicht nur geboten habe, sein Wort zu hören und zu verbreiten, sondern dies dem Menschen auch von Nutzen sei, der darin bestehe, sich täglich zu bessern.243 Dabei unterscheidet er einen doppelten Begriff von Gottesdienst.244 Im weiten Sinn diene jeder Mensch Gott, indem er seinen alltäglichen Pflichten je nach Stand nachkomme und Gehorsamkeit gegenüber der Obrigkeit leiste. Im Haus habe das Kind sowie das Gesinde dem Hausherrn Gehorsam zu leisten. Im Staat gelte dies für Bauern und Bürger gegenüber dem politischen Herrscher.245 Niemand könne sich entschuldigen, nicht zu wissen, wie er in diesem Sinne auch Gott zu   Vgl. WA 17 I; 102–120, hier insbesondere 110–119.   Nach der Vorrede beginnend mit WA 36; 352,31 setzt die Einleitung bei WA 36; 352, 356,28 (»Das sey zur Vorrede gesagt«) ein. Danach folgt die Auslegung des Begriffs »reines Herz« WA 36; 358, ab Z. 10 (»Zum Ersten«), »gutes Gewissen« WA 36; 362, ab Z. 37 (»Folgt nu da ander stuck«) und »ungefärbter Glaube« WA 36; ab 364,16 (»da gehoret noch ein Stück«). Die Predigt endet schließlich mit einem kurzen Schlussteil WA 36; 375, ab Z. 3 (»Darumb lasst uns diesen text behalten«). 242   Vgl. den ersten Abschnitt in WA 17 I; 110, ab Z. 10 (»Purum cor«) bzw. ab Z. 33 »Das wollen wir nacheinander sehen. Ein rein hertz […]«), den zweiten Abschnitt WA 17 I; 112, ab Z. 6 (»2. […] Bona conscientia«) bzw. ab Z. 22 (»Wenn nu«) und den dritten Abschnitt WA 17 I; 114, ab Z. 2 (»Quid ergo […]. Secundum fidem«) bzw. ab 114,18 (»Wie sol man denn […]. Aber da gegen koempt der glaube«). 243   »Lieben freunde, ihr wisset, wie Gott hat ernstlich jderman befolen sein liebes wort zu horen und zu lernen« (WA 36; 352,31f). »Nu lesst ers nicht da bey bleiben und wils uns nicht allein als ein gebot auff gelegt haben odder foddern als einen schuldigen dienst, Sondern verheisset auch grosse fruechte und nutz« (WA 36; 353,8–10). Erst später in der Vorrede wird der Nutzen genauer beschrieben: »Denn es [= Gottes Wort zu hören] gehet nimermehr on grosse frucht abe, wo es mit ernst gemeinet wird, das du nicht soltest besser da von werden, ob du es gleich jtzt nicht sihest, aber mit der zeit wird sichs wol finden und erzeigen« (WA 36; 356,24– 26). 244   Zum allgemeinen und besonderen Gottesdienst bei Martin Luther vgl. Jochen Arnold: Theologie des Gottesdienstes. Eine Verhältnisbestimmung von Liturgie und Dogmatik, Göttingen 2004, 231–287. 245   »Denn wo jrgend ein fromer bawr odder burger und unterthan seinem Herrn dienet, so dienet er auch Gott, Des gleichen ein kind odder knecht und magd jm hause, wenn sie gehorsam sind und treulich thuen, was sie schuldig sind, Also auch wenn fursten und Herrn, Vater und muter wol regiren und jres ampts warten, Das heisset alles Gotte gedienet« (WA 36; 353,14–19). 240 241

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dienen habe, da es jedermann bekannt sei.246 Diesem Gottesdienst der alltäglichen Pflichterfüllung übergeordnet ist der Gottesdienst im engeren Sinn. Er bestehe darin, Gottes Wort zu hören und zu predigen. Er übertreffe alle anderen Dienste an Gott, wie die Sonne über allen anderen Sternen leuchte.247 Dafür habe Gott den Sonntag als besonderen Tag auserkoren, die Kirchen als herausgehobene Orte auserwählt und den Priesterstand eingesetzt, damit der Mensch sich ganz dem höheren Gottesdienst widmen könne.248 Luther zufolge wäre es besser, statt zu sagen, man gehe zur Messe, lieber davon zu sprechen, man gehe zum Gottesdienst.249 Denn seiner Auffassung nach stammte der Begriff »Messe« aus dem Hebräischen und bedeutete soviel wie einen »Dienst« bzw. einen »Frondienst« ableisten.250 Was Luther hier nur kurz andeutet, hat er in seiner Schrift »Wider die himmlischen Propheten« aus dem Jahr 1525 genauer ausgeführt.251 Er formuliert dort eine Mittelposition zwischen Karlstadt und den Altgläubigen. Mit Karlstadt lehnt Luther das spätmittelalterliche Verständnis der Messe als Opferung Christi ab, was er bereits 1520 noch vor Karlstadts Schriften im »Sermon von dem Neuen Testament«252 und in »De captivitate Babylonica«253 ausgeführt hat. Jedoch geht er nicht soweit, wie 246   »Denn wir sind ja seine eigen [= Gottes] leute und hats so geordnet, das sein dienst allenthalben gehen sol und niemand sich zu entschuldigen habe, das er nicht wisse, wie odder wo mit er Gott dienen solle« (WA 36; 353,22–25). 247   Gottes Wort zu hören ist »der hoheste, liebste dienst, den wir jm thun konnen, und so weit uber alle ander dienst leuchtet, als die sonn uber alle sterne« (WA 36; 354,28–30). 248   »Aber weit uber und vor diesem allen hat er diesen dienst sonderlich gepreiset und auff gemutzet [hervorgehoben] beide, dere, die sein Wort horen und predigen […] Darumb hat er auch einen sonderlichen tag jnn der wochen dazu geordnet […]. So hat er auch sonderlich stete dazu geordnet, als bey uns die Kirchen odder heusser, da wir zu samen komen, Ja, er hat den gantzen Priesterstand dazu gestifftet« (WA 36; 353,28–39). 249   »Ich wil eine Messe horen, Und heisset eigentlich so viel als zu Gottes dienst gehen und predigt odder Gottes wort horen, Welchs das beste und noetigste stuck ist, so zur Messe gehoret« (WA 36; 354,12–14). 250  »Denn das wortlin Mess, so von den Aposteln her genomen scheinet, heisst auff Ebreisch soviel als einen zins odder frondienst, wie ein bawr odder lehenman seinem Herrn seine Mess, das ist seinen geburlich zins oder dienst bringet odder seinem fursten froenet, damit er jn erkennet fur seinen Herrn und seinen gehorsam ausrichtet« (WA 36; 354,17–21). 251   Vgl. WA 18; 101–125. 252   »Czum vier und zwentzigsten. Fragistu denn ›was bleybt denn nu yn der meß, davon sie mag ein opffer heyssen, Seyntemall sovill wort yn dem ampt von dem opffer geschehen?‹ Antwort: Ich sag, das nichts bleybt, dan stracks unnd kurtz umb, wir muessen die messen lassen bleyben ein sacrament und testament, wilch nit sein, noch muegen ein opfer sein, ßo wenig, als die ander sacrament, tauf, fermel, puß, oelung &c. wir vorloeren sonst das Evangelium, Christum, trost und alle gnade gottis«. (Ein Sermon von dem Neuen Testament, das ist von der heiligen Messe, 1520, WA 6; 349. 353–378, hier 367,13–19). 253   »Tertia captivitas eiusdem sacramenti Est longe impiissimus ille abusus, quo factum est, ut fere nihil sit hodie in Ecclesia receptius ac magis persuasum, quam Missam esse opus bonum et sacrificium« (De captivitate Babylonica ecclesiae, 1520, WA 6; 484. 497–573, hier 512,7–9 u. LDStA 3; 174–375, hier 212,21–23). Zur Forschung und zu weiteren Äußerungen Luthers vgl. die umfangreiche Monografie von Wolfgang Simon: Die Messopfertheologie Martin Luthers. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption (SuR, Neue Reihe 22),

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es Karlstadt fordert, den Begriff »Messe« gänzlich fallen zu lassen. Dies begründet er mit der Annahme, »Messe« leite sich aus dem Hebräischen Wort »‫ «מס‬ab, was »Gabe« oder »Tribut« bedeute.254 In der Wörlitzer Predigt übernimmt Luther diese mittlere Position, wobei er zwar den Gottesdienstbegriff favorisiert, weiterhin aber auch von der »Messe« spricht.255 Luther hat dabei seine Zuhörerinnen und Zuhörer fest im Blick. Die Bauern ermahnt er in polemischer Weise, den Kirchgang nicht zu vernachlässigen. Wenn sie schon Tag und Nacht in den Bierschänken sitzen, so sollten sie doch wenigstens für eine Stunde in der Woche Zeit haben, das Wort Gottes zu hören.256 Denn auch früher hätten sie den »falschen Gottesdienst[]« im Sinne der Papstkirche betrieben und seien von Kirche zu Kirche gelaufen, umso eher müssten sie nun zum Gottesdienst gehen, wo das Wort Gottes in rechter Weise verkündet werde.257 Aber auch die Fürsten spricht Luther an, wenn er den besonderen Gottesdienst zum Reich Gottes zählt, das höher ist als das weltliche Regiment.258

Tübingen 2003, und die Kritik an dessen uneindeutigem Begriff von Messe in Dorothea Wendebourg: Essen zum Gedächtnis. Der Gedächtnisbefehl in den Abendmahlstheologien der Reformation, Tübingen 2009, 55f, Anm. 117. 254   »Inn meyner Ebreischen sprache finde ich, das ›Mas‹ heysse zinse odder schos, den man ierlich der oberkeyt gibt« (WA 18; 104,9f). Er beruft sich hierbei auf Gen. 49, 15, Dtn. 16, 10 und Dtn. 26, 10. Heutzutage wird der Begriff vom Lateinischen »mittere« bzw. »missum« abgeleitet im Sinne von »senden«. Es ist hervorgegangen aus der liturgischen Entlassungsformel: »ita, missa est (concio)«. Mit dieser Aufforderung: »Geht, das ist die Entlassung« bzw.: »Geht, die gottesdienstliche Versammlung ist entlassen«, forderte der Geistliche vor dem Abendmahl diejenigen auf, die Feier zu verlassen, die nicht zum Abendmahl zugelassen waren. Ursprünglich wurde sie wohl auch als Abschlussformel bei Audienzen verwendet. In der deutschsprachigen Fassung kommt der Entlassungsruf auch heutzutage im Gottedienst vor in der antiochenisch-byzantinisch geprägten Formel »Gehet hin in Frieden«. Zur Debatte über die Wortbedeutung des Begriffs »Messe« im Sinne von »dimittere«, »oblatio« oder »oratio« vgl. Klaus Gamber: Missa Romensis. Beiträge zur frühen römischen Liturgie und zu den Anfängen der Missale Romanum (SPLi 3), Regensburg 1970, 170–186. 255  Charakteristisch wird dies an der Gleichsetzung: »Also das man Mess horen nichts anders heisse denn Gottes wort horen und Gott damit dienen« (WA 36; 354,24f). »So soltestu jtzt viel mehr thun, weil du weissest, das dis die einige rechte Messe und Gottes dienst ist« (WA 36; 355,23f). 256   »Kanstu tag und nacht sitzen jm bierkrug odder sonst mit guten gesellen wasschen und plaudern, singen und schreyen, und nicht muede wirst noch die erbeit fulest, so kanstu ja auch eine stunde jnn der kyrchen sitzen und zu horen, Gotte zu dienst und gefallen« (WA 36; 356,7–10). 257   »[…] so soltestu ja nicht muede noch uberdrus werden doch des tages odder der wochen eine stunde lang zu Gottes dienst zu gehen, wie du zuvor nicht bist muede worden des falschen Gottes diensts teglich jnn der kyrchen zu ligen, ja von einer kyrchen und altar zum andern zulauffen […]. So soltestu jtzt viel mehr thun, weil du weissest, das dis die einige rechte Messe und Gottes dienst ist« (WA 36; 355,16–24). 258   Gottes Wort hören und zur Predigt gehen ist der höchste Dienst, »soviel Gottes reich ubertrifft der welt regiment« (WA 36; 354,31f).

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In der Einleitung greift Luther 1. Tim. 1, 6–7 auf, worin sich Paulus vom unnützen Geschwätz judaisierender Irrlehrer abgrenzt.259 Luther nimmt die Kritik zum Anlass, um gegen diejenigen Prediger zu polemisieren, die sich selbst als Meister der Schrift rühmen und Lehren aufstellen, wie man fromm werden könne. Luther hat hierbei zwei Gruppen von Irrlehrern vor Augen. Die einen sind die neu ernannten »Meister der Schrift«.260 Sie treten auf, wenn das Wort Gottes nicht mehr recht gepredigt wird. Denn dann kommt es schnell dazu, dass die Zuhörer verdrossen, die Prediger faul und die Kirchen wüst und leer werden. Diese Situation werde von den neuen falschen Lehrern ausgenutzt, um den Pöbel wieder an sich ziehen, ohne dabei eine rechte Ahnung zu haben, was sie eigentlich lehren.261 Die andere Gruppe bezeichnet er als die »Traumprediger unter dem Papsttum«.262 Jene würden in ihren Lehren nie die rechte Mitte treffen, sondern Stückwerk von den Menschen fordern, wie ihr Drängen, ins Kloster zu gehen oder eine Wallfahrt zu unternehmen. Erfülle man diese Forderungen, kämen neue hinzu, sodass ihre Lehre unbeständig sei.263 Zwar verwenden sie die gleichen Worte wie die wahren Lehrer, aber den richtigen Sinn verfehlen sie, sodass sie »zum Kirchfenster hinaus und zur Tür hinein predigen«.264 Viel wichtiger sei es deshalb, das Hauptstück zu lehren und sich nicht in Nebensächlichkeiten zu verlieren, so wie Paulus es beschreibe. Denn nach ihm sei die Hauptsumme aller Unterweisung die »Liebe von reinem Herzen«, »das gute Gewissen« und »der ungefärbte Glaube«, womit Luther zum Hauptteil übergeht und die Worte der Reihe nach auslegt. Die Liebe definiert er als das Gefühl, einem Menschen von Herzen zugeneigt zu sein.265 Laut Luther reden viele Prediger über die Liebe, jedoch würden diese   »Davon sind einige abgeirrt und haben sich hingewandt zu unnützem Geschwätz, wollen die Schrift meistern und verstehen selber nicht, was sie sagen oder was sie so fest behaupten« (1. Tim. 1, 6f). Vgl. Jürgen Roloff: Der erste Brief an Timotheus (EKK 15), Zürich 1988, 58–83. 260   »Wollen der Schrifft und jdermans meister sein« (WA 36; 356,35); »der Schrifft meister« (WA 36; 357,2). 261   »Denn dis ist eben die plage, die da folgt, wo man Gottes wort nicht mit ernst und vleis treibet und die schuler verdrossen, die prediger faul werden, da mus das handwerck bald fallen und die kirchen wust werden, Darnach mussen denn folgen solche falsche geister, die da was newes furgeben, den pobel widder an sich zu zihen, und sich rhumen der Schrifft meister, und doch alweg solche leut sind, die selbs nicht wissen noch jhe erfaren haben, was es ist, das sie leren« (WA 36; 356,36–357,3). 262   Vgl. WA 36; 356,28f. 263   »Und komen doch nimer dazu, das sie etwas gewis und rechtschaffens leren, treffen weder mittel, anfang noch ende, Furen allein diese wort, man sol from sein, gute werck thun, Gott dienen &c.. Verstehen aber die selben selbs nicht, was es heisse, Und wenn man sie fragt, wie man jm thun solle, Stueckeln und tropffeln die hie ein werck, dort ein werck, hie las dich beschneiden, dort opffer soviel auff den Altar, da lauff jnns Closter, hie zur Walfart, dort stiffte Messe &c.. Und wenn das geleret und gethan, darnach aber ein anders und jmer was newes, Das sie doch niemand bestendiglich« (WA 36; 357,10–18). 264   Vgl. WA 36; 357,26. 265   »Liebe aber heisset auff deudsch (wie jderman weis) nichts anders, denn von hertzen 259

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nur eine begrenzte Form der Liebe vor Augen haben, die sich lediglich auf diejenigen Menschen bezieht, die einem selbst wohlgesonnen sind. Luther bezeichnet jene eigennützige Art der Liebe als »Schalksliebe« oder als »Partekenliebe« im Sinne von eigennütziger oder zerstückelter Liebe.266 Vielmehr solle man Liebe jedem Menschen zuteil werden lassen, auch dem Nächsten, vor dem man in Ungnade gefallen ist. Schließlich lasse Gott auch die Sonne über Dankbaren wie Undankbaren aufgehen.267 Gott habe selbst Judas, welcher Christus verriet, alles an Gutem gegeben.268 Deshalb solle man seine Feinde zwar zurechtweisen und für sie beten, die Liebe ihnen gegenüber dürfe aber nicht verlöschen.269 Eine aus dem Herzen geschöpfte Liebe könne nur erreicht werden, indem man sich an Gottes Wort halte und je nach Stand Gottes Wort befolge.270 Der Knecht solle seinem Herrn nicht um des Lohnes willen dienen, sondern weil Gottes Wort, wie es in Eph. 6, 5 geschrieben steht, den Gehorsam seinem Herrn gegenüber einfordere.271 Als Fürst dürfe man nicht auf seinen eigenen Ruhm schauen, sondern habe in frommer Weise sein Amt auszuüben, das Gott einem aufgetragen habe.272 Der geistliche Stand habe nicht um seiner Einkünfte willen einem guenstig und hold sein und alle gute und freundschafft erbieten und erzeigen &c.« (WA 36; 358,11–13). 266   »Es heisset eine parteken liebe, dic nicht von reinem hertzen gehet, sondern ein lauter unflat ist« (WA 36; 358,21); »Die ander ist eine schalcks liebe, wenn jch des gut freund bin, der mir dienet und helffen kan und helt mich jnn ehren, Und den hasse, der mich verachtet und nicht mit mir helt« (WA 36; 358,35–37). Der Begriff »parteke« ist ein von Luther in die Schriftsprache eingeführtes Wort, das von den Protestanten im 16. und 17. Jahrhundert häufiger gebraucht wurde. Es leitet sich vom Deminutiv des niederdeutschen Wortes »part« (= teil) ab im Sinne von »kleines Stückchen« und ist eine Anlehnung an den Bettelruf »Partem«, um ein Stückchen Brot zu erbitten. Vgl. Jakob Grimm/Wilhelm Grimm: Art. ›Parteke‹, in: Deutsches Wörterbuch, Bd. 13, Leipzig 1889, Nachdruck München 1999, 1476f. 267   »Gleich als der selbige unser himlischer Vater thuet, seine Sonne lesst auffgehen und scheinen, beide uber bose und gute« (WA 36; 358,25f). 268   »Kan nu Gott Juda dem verreter odder Caipha alles guts geben, so wol als seinen fromen kindern« (WA 36; 359,8f). 269   »Aber darumb sol meine liebe nicht verleschen noch auff hoeren, das er boese und der selben unwerd ist. […] wo ich durch die liebe jn kan straffen, vermanen &c.. odder fur jn bitten, das er besser werde und der straffe entgehe, das sol und wil ich gerne thun, Aber das ich noch wolt zufaren und dazu jm feind werden und boeses thun, das gilt nicht« (WA 36; 359,14– 19). 270   »Womit wird aber das hertz rein? Antwort: Es kan nicht besser rein werden denn durch die hoeheste reinigkeit, welchs ist Gottes wort« (WA 36; 359,31f). 271   »Ein knecht, wenn er erbeitet und nicht ferner sihet noch dencket denn also: Mein herr gibt mir mein lohn, darumb diene ich jm, sonst sehe ich jn nicht an &c.. Der hat nicht ein rein hertz odder meinung […]. Ist er aber from und ein Christ, so ist er also gesinnet: Ich wil nicht darumb dienen, das mir mein herr gibt odder nicht gibt, from odder boese ist &c.. Sondern darumb, das Gottes wort da stehet und zu mir spricht: Ir knechte, seid ewern herrn gehorsam als Christo selbs &c.« (WA 36; 360,41–361,7). Der Text in Eph. 6, 5 lautet: »Tut euren Dienst mit gutem Willen als dem Herrn und nicht den Menschen«. 272   »Also ein Herr odder Furst und wer zu regiren hat, der also dencket: Das regiment hat mir Gott befolhen, das ich sol herr sein, Aber wenn ich allein darnach sehe, das ich mein ehre, gut und gewalt habe, so ist mein hertz nicht rein […]. Wenn aber sein hertz also stehet: Weil

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zu predigen, sondern er solle auf der Kanzel sprechen zu Gottes Lob und zum Heil der Menschen.273 Als Zusammenfassung des ersten Abschnitts hält Luther fest, Gottes Wort sei Ursache, Grund, Boden, Born und Quelle der Liebe von Herzen und aller guten Werke.274 Im zweiten Teil unterscheidet Luther zwischen dem guten Gewissen vor den Menschen und dem vor Gott.275 Vor dem Menschen solle sich ein Christ rühmen, dass jedermann ihn nur lieben und niemand Klage gegen ihn erheben könne.276 Eine solche Form von Selbstruhm zeuge nicht von Hochmut. Vielmehr finde man ihn auch in der Bibel in der Weise, wie es Paulus im Neuen Testament und Mose, Jeremia und Salomo im Alten Testament taten.277 Klagen durch andere sollten das Gewissen nicht erschrecken oder entmutigen.278 Das gute Gewissen sollte daher nicht nur »vor allen Menschen«, sondern auch »wider allen Menschen« Bestand haben.279 Trotz allem Widerstand in der Welt solle man so leben, dass man sich mit gutem Gewissen vor den Menschen verantworten könne, gut gelebt, geredet und gehandelt zu haben.280 Geschehe jedoch eine Verfehich jnn dem ampt bin, dahin mich Gott gesetzt hat […], so wil ich dem selbigen mit allen trewen furstehen, Gotte zu dienst und gefallen, Da gehet und quillet sein regiment aus einem feinen, reinen, lautern hertzen« (WA 36; 361,13–25). 273   »Also sage darnach weiter jnn geistlichem stand und emptern, Wenn ich odder ein ander predige umb einer gutten fetten pfarr willen, […] da mag ich auch wol das Euangelion predigen, Aber mein hertz ist nicht rein, sondern ein lauter unflat, […]. So ist aber das hertz rechtschaffen, wenn es also stehet: Ob ich wol narung sol dafur haben, doch nicht dabey geblieben, sondern weil mich Gott zu dem ampt berueffen und befolhen hat, das selbige trewlich und vleissig aus zurichten zu seinem lob und der seelen heil, so thue ichs von hertzen gerne umb des worts willen« (WA 36; 361,37–362,6) 274   Vgl. WA 36; 362,11f. 275   »[…] das ein frolich, sicher gewissen habe, beide, gegen menschen und Gott« (WA 36; 362,38f). 276   »Sihe, solchen rhum und trotz sol ein jglicher Christ auch haben, das er so lebe gegen jderman und seine liebe ube und beweise, das niemand ein klage auff jn bringen moege, damit er sein gewissen moege erschrecken odder verzagt machen« (WA 36; 363,10–13). 277   Vgl. WA 36; 362,39- 363,9. Angespielt wird auf den Selbstruhm des Paulus in seiner Narrenrede in 2. Kor. 11, 16: »Nun gut, ich bin euch nicht zur Last gefallen. Aber bin ich etwa heimtückisch und habe euch mit Hinterlist gefangen?«. Außerdem wird die Verteidigungsrede Moses gegen Dathan und Abimelech zitiert: »Ich habe nicht einen Esel von ihnen genommen und habe keinem von ihnen ein Leid getan« (Num. 16, 15); das Gebet Jeremias gegen seine Feinde: »Gedenke doch, wie ich vor dir gestanden bin, um für sie zum Besten zu reden und deinen Grimm von ihnen abzuwenden!« (Jer. 18, 20); Samuels Rede, als er sein Richteramt niederlegt: »Ich bin vor euch hergegangen von meiner Jugend an bis auf diesen Tag. Hier stehe ich. Nun tretet gegen mich auf vor dem HERRN und seinem Gesalbten! Wessen Rind oder Esel hab ich genommen, wem hab ich Gewalt oder Unrecht getan? Aus wessen Hand hab ich ein Geschenk angenommen, um mir damit die Augen blenden zu lassen?« (1. Sam. 12, 2–3). 278   Vgl. WA 36; 363,12f. 279   »Das heisset ein Gut gewissen fur den leuten odder widder die leute« (WA 36; 363,16). 280   »Denn wer solchs nicht achtet, wie er sein leben fure, das er jderman das maul stopffen und fur den leuten verantworten und beweisen konne, das es wol gelebt, gered odder gethan sey, der ist noch kein Christ« (WA 36; 363,25–28).

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lung gegenüber einem Menschen, so habe man voller Demut um Verzeihung zu bitten, um das gute Gewisse zu behalten.281 Insofern lebt der Christ im Zusammenleben mit anderen Menschen in der Spannung zwischen Selbstruhm und Demut. Während Luther zufolge die Liebe aus reinem Herzen und das Leben in einem guten Gewissen gegenüber den Menschen möglich seien, müssten jedoch Liebe und Gewissen gegenüber Gott scheitern. Mit diesem Gedanken leitet Luther zum dritten Teil der Predigt über, in dem es um den »ungefärbten Glauben« geht.282 Da alle Menschen Sünder seien, könne kein Mensch vor Gott trotz aller noch so vorbildlichen Lebensführung bestehen. Deshalb habe der Glaube zur Summe des christlichen Lebens hinzutreten müssen. Insofern kommt es an dieser Stelle zu einem Perspektivenwechsel in der Predigt. Während die ersten beiden Teile aus der Sicht des Menschen (coram homine) die Begriffe »Liebe« und »Gewissen« ausgelegt haben, rückt nun mit der Thematisierung des Glaubens die Perspektive Gottes (coram deo) in den Vordergrund. Der Christ befindet sich Luther zufolge vor Gott immer in einem Gewissenskampf.283 Mit Verweis auf Paulus strebe der Geist nach Vollkommenheit, doch gelinge es ihm nicht, diese zu erreichen, da das Fleisch zu schwach sei.284 Niemand könne von sich behaupten, dass er alles getan habe und Gott nichts schuldig geblieben sei. Vielmehr müsse selbst der Allerheiligste zugeben, vor dem Angesicht Gottes fehlbar zu sein.285 Da bleibe allein der Glaube, dass Jesus Christus durch sein Leiden und Sterben den Menschen mit Gott versöhnt habe. Jener Glaube dürfe jedoch nicht vermischt sein mit Heuchelei. Die Trübung des Glaubens erfolge immer dann, wenn man auf seine eigene Heiligung vertraue. Daher habe man, das Werk Christi und das eigene Werk genau zu unterscheiden.286 Nur dann könne der Glaube rein und ungefärbt sein. 281   »Und also das leben doch fur den leuten unstrefflich bleibe und ein gut gewissen behalte, Wo nicht durch volkomene lieb und reinigkeit des hertzens doch durch die demut, das er vergebung begeret und bittet von jderman, wo er nicht rein und vollig gnug than hat odder noch thun kan« (WA 36; 363,40–364,3). 282   »Aber das solch alles fur Gott gelte und bestehe, da gehoret noch ein stuck zu, nemlich, das da folget: ›Und von ungeferbtem Glawben‹. Denn, wie ich gesagt habe, Ob ich gleich fur den leuten ein gut gewissen habe und die liebe aus reinem hertzen ube, So ist und bleibt dennoch der alte Adam, das sundige fleisch und blut jnn mir, das jch nicht gar heilig und rein bin« (WA 36; 364,16–22). Vgl. ferner WA 36; 369,5–20; 370,11–24). 283   »Also bleibt ein ewiger kampff und widderstand jnn uns, das jmer viel unreines mit unter leufft« (WA 36; 364,29f). 284   Mit Verweis auf Gal. 5, 17 und Röm. 7, 15–20 wird hervorgehoben: »Der geist wolt wol gerne rein und volkomen leben nach Gottes wort, aber das fleisch jst da und weret und fichtet uns an« (WA 36; 364,25f). 285   »Denn hie ist niemand auff erden, der solchs konne sagen: Ich weis, das jch alles gethan habe und fur Gotte nichts schuldig blieben, Sondern so mussen auch die aller heiligsten sagen: Ich hab wol gethan, was jch thun kund, aber viel mal mehr gefeilet, denn jch selbs weis« (WA 36; 365,33–36). 286   »[…] solcher glawbe, der nicht heuchley sey und gemengt mit zuversicht eigner heilig-

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Mit der Einführung des Gedankens vom Richter- und Gnadenstuhl Gottes erreicht die Predigt ihren Höhepunkt. Luther unterscheidet zwischen dem weltlichen und göttlichen Richterstuhl auf der einen Seite und dem göttlichen Gnadenstuhl auf der anderen. Wenngleich es vor dem weltlichen Richterstuhl möglich wäre, zu bestehen, so müsse sich der Mensch vor dem Richterstuhl Gottes schuldig bekennen. Deshalb bleibe dem Menschen nichts anderes übrig, als sich im Glauben auf Christus als den Gnadenstuhl Gottes zu berufen.287 Die Metaphorik entnimmt Luther hierbei seiner speziellen Übersetzung von Röm. 3, 25, in der er den Deckel der Bundeslade (propitiatorium) als Gnadenstuhl bezeichnet.288 Die Bildsprache vom Richter- und Gnadenstuhl Gottes bezieht Luther auf die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.289 Durch das Gesetz werde der Mensch vor den Richtstuhl gestellt. Die Verantwortung vor Gott treibe das menschliche Gewissen in tiefe Verzweiflung, wenn der Mensch nicht wisse, wie zum Gnadenstuhl Gottes zu fliehen sei.290 Die Papstkirche vor Augen kritisiert Luther diejenigen, die in ihrem Glauben den göttlichen Gnadenstuhl nicht kennen würden, da sie nicht hinreichend zwischen Gott als Richter und als Erbarmer unterschieden.291 Ihr Fehler sei es, das eigene Werk mit dem Werk Christi zu vermengen.292 Daher hätten sie keinen reinen, sondern einen getrübten Glaukeit« (WA 36; 365,12f). »Denn wenn der glawbe sol rein, lauter und ungeferbt sein, so mus man die zwey wol scheiden, Christum und mein werck« (WA 36; 369,19f). 287   »Darumb kan ich mit dir nicht handeln, wenn es sol rechtens gelten, Sondern wil stracks appelliren und mich beruffen von deinen Richt stul zu deinem Gnadenstul, Fur der welt Richtstul las ich wol geschehen, das man mit mir von recht handle, da wil ich antworten und thun, was ich sol, Aber fur dir wil ich kein Recht wissen, sondern zum Creutz kriechen und Gnade bitten und nemen, wo ich kan« (WA 36; 366,32–37). Vgl. hierzu Theodosius Harnack: Luthers Theologie mit besonderer Beziehung auf seine Versöhnungs- und Erlösungslehre, Bd. 1, Erlangen 1862, 288. 288   Luther übersetzt Röm. 3, 25 »ὃν προέθετο ὁ θεὸς ἱλαστήριον« (LXX) bzw. »quem proposuit Deus propitiationem« (Vulgata) mit »wilchen [gemeint ist Christus] gott hat furgestellet zu eynem gnade stuel« (WA B 7; 38,25). Vgl. Sönke Hahn: Luthers Übersetzungsweise im Septembertestament von 1522. Untersuchungen zu Luthers Übersetzung des Römerbriefs im Vergleich mit Übersetzungen vor ihm (Hamburger philologische Studien 29), Hamburg 1973, 109–120. Vgl. ferner Reinhard Schwarz: Martin Luther – Lehrer der christlichen Religion, Tübingen 2015, 5, Anm. 9. 289   »Dem nach mus man nu wol lernen unterscheiden die zwey stuck, die da heissen: das Gesetz und Euangelion, davon wir allzeit leren, Das gesetz bringt uns fur den Richtstul« (WA 36; 368,1–3). »Wir aber leren also, das man jn so sol lernen kennen und ansehen, als der da sitze fur die armen bloden gewissen, so an jn glewben, nicht als ein Richter, der da zurne und straffen wolle, sondern als ein gnediger, freundlicher, trostlicher Mitler« (WA 36; 368,23–26). 290   »Da mustu denn verzweiveln und ist dir keine hulffe noch rat, wenn du nicht weisst vom Richtstul zum Gnaden stul zu fliehen« (WA 36; 368,11–13). 291   »[…] das er kein unterscheid weis zwisschen Rechtstul und Gnaden stul, ja den gnaden stul gar nicht kennet und also sein feilen und unter dem Rechtstul bleiben mus« (WA 36; 368,20–22). 292   »Denn wenn der glawbe sol rein, lauter und ungeferbt sein, so mus man die zwey wol scheiden, Christum und mein werck« (WA 36; 369,19–20).

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ben, wie wenn man durch ein getöntes Glas schaue, wodurch die Welt rot oder blau erscheint, obwohl dies nicht der Realität entspreche.293 Sie glichen den Wirten, die den Wein bewusst mit Wasser vermischen und damit andere Menschen täuschen wollen.294 Zuletzt wendet Luther die Unterscheidung von Richter- und Gnadenstuhl auch auf sich an. Er könne von sich behaupten, dass er nun über zwanzig Jahre gepredigt, geschrieben und gelesen habe, doch immer noch fühle er in seinem Leben den Unflat anhaften. Deshalb könne auch er nur auf die Gnade Gottes hoffen.295 Wer mit einem solchen Glauben lebe und gewiss sei, einen gnädigen Gott zu haben, obwohl er Zorn verdiene, der könne fröhlich handeln.296 Darin bestehe die höchste Sicherheit, Haupt und Grund der Seligkeit.297 Deshalb solle man, wie der Schluss die Gedanken zusammenfasst, den Text im Gedächtnis behalten, da er die vollkommene Lehre enthalte, in der die drei Stücke, »reines Herz«, »gutes Gewissen« und »ungefärbter Glauben«, zusammenbringe.298 Betrachtet man rückblickend die Predigt, so lässt sich erkennen, wie sehr Luther auf die Situation seiner Hörer eingeht. Man halte sich vor Augen, dass die drei Anhaltiner Fürsten und der brandenburgische Kurprinz Luthers Ideen gegenüber einerseits aufgeschlossen waren, sie aber andererseits in einem antireformerischen Umfeld groß geworden waren. Ihre altgläubigen Verwandten, Georg von Sachsen, Joachim von Brandenburg und Albrecht von Mainz, übten Druck auf sie aus, sich nicht der Bewegung anzuschließen, seitdem sie erfahren hatten, dass die Fürsten sich für den Lutheraner Nikolaus Kaufmann als Hofprediger entschieden hatten.299 293   »Darumb heisst es wol ein geferbter odder gemalter glawbe, dadurch das hertz als durch ein gemalet glas sihet, durch welches ein ding scheinet rot odder blaw (wie das glas ist) und doch nicht also ist« (WA 36; 370,22–24). 294   »Denn alle ander gehen mit eitel geferbten glawben umb, rhumen wol viel vom glawben, mengen aber unternander, wie die kretzmer [= Wirte], wasser unter wein« (WA 36; 371,9–11). 295   »Ich habe es nu selbs schir zwentzig jar gepredigt und getrieben mit lesen und schreiben, das ich billich solt sein eraus komen, noch fule ich jmerdar der alten anklebischen unflat, das ich gerne mit Gott so handlen wolt und etwas mit bringen, das er mir sein gnade fur meine heiligkeit muste geben, Und wil mir nicht ein, das ich mich so gar solt ergeben auff die blosse Gnade, Und sol doch und mus nicht anders sein, Der Gnaden stul mus allein gelten und bleiben« (WA 36; 372,28–34). 296   »Denn wer durch den glauben sicher ist jm hertzen, das er einen gnedigen Gott habe, der nicht mit jm zorne, ob er wol zorn verdienet hette, der gehet dahin und thuet alles frolich« (WA 36; 371,24–26). 297   »Das ist die hoheste sicherheit, heubt und grund unser seligkeit« (WA 36; 371,31). 298   Vgl. WA 36; 375,3–13. 299   Wäschke berichtete, dass im Zuge der Einstellung von Nikolaus Hausmann als Prediger in Dessau Abmahnungen von allen Seiten erfolgten, die sich vornehmlich an Fürst Johann richteten, der von den dreien noch innerlich am unsichersten war. Außerdem erwähnte er das Gespräch Georgs von Sachsen mit Joachim von Anhalt am 6. Dezember 1532 in Leipzig kurz nach der Wörlitzer Predigt. Dort versuchte Georg auf den anhaltischen Fürsten energisch einzuwirken und appellierte, das Andenken an die Mutter nicht durch die Übernahme von Irrlehren, wie Hausmann sie ihnen nun versuche einzuflößen, zu schmälern. Gleichzeitig

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So redete auch der ehemalige Dessauer Hofprediger und Dominikaner Johann Mensing in seinem Brief vom 10. Juli 1532 auf Fürst Johann vehement ein, er solle sich um seiner eigenen Seligkeit willen bloß nicht auf die lutherische Lehre einlassen. Er appellierte, im Gedächtnis an die verstorbene Mutter nicht der »törichten«, »unbeständigen«, »widerwärtigen« und »verdammungswürdigen« evangelischen Lehre zu verfallen.300 Diese bedrängnisvolle Situation gibt sich ebenso in Luthers Brief an die Anhaltiner Fürsten vom 5. oder 6. April 1534 zu erkennen. Dort beglückwünschte er sie zu ihrem Mut, das Abendmahl offiziell in beiderlei Gestalt eingeführt zu haben, was am 2. April 1534 in Dessau erfolgte. Rückblickend gibt er dort seine Freude zum Ausdruck, dass von »den ungöttlichen Missbräuchen in der Religion Abschied genommen wurde«, und dieses »nicht ohne große Gefahr« erfolgte, da »mächtige Fürsten dagegen rieten, ja auch dagegen drohten«.301 Die jungen Herrscher befanden sich insofern zur Zeit der Wörlitzer Predigt in einer kritischen Phase ihres Emanzipationsprozesses von ihren Vormündern, worauf Luther in seiner Predigt erzieherisch und seelsorgerlich einging. Anhand von vier Gedanken lässt sich diese Rolle Luthers auf der Kanzel veranschaulichen. schrieb Georg von Sachsen an Georg von Anhalt mit denselben Appellen. Vgl. Hermann Wäschke: Anhaltische Geschichte, Bd. 2: Geschichte Anhalts im Zeitalter der Reformation, Köthen 1913, 361–364. Vgl. ferner Oswald Gottlob Schmidt: Georg’s des Gottseligen, Fürsten zu Anhalt, Leben für christliche Leser insgemein aus den Quellen erzählt, in: Moritz Meurer (Hg.): Das Leben der Altväter der lutherischen Kirche, Bd. 4, Leipzig u. a. 1864, 63–160, hier 96. Als Quellengrundlange zu diesen Ereignissen dienen der Brief Joachims an Georg III. kurz nach dem Gespräch, der Brief Georgs von Sachsen an Georg III. vom 9. Dezember 1532 und dessen Replik am 10. Januar 1533 im Sammelband der Schriften Georgs III. aus dem Jahr 1555 (VD 16 G 1325). Vgl. Georg III.: Des Hochwirdigen Durchleuchten Hochgebornen Fürsten vnd Herrn, Herrn Georgen Fürsten zu Anhalt […] Predigten vnd andere Schrifften, Wittenberg 1555, 324–326. 326f. 328 (VD16 G 1325). 300   »[…] alleyne bidte ich E[ure]. F[ürstlichen]. [Gnaden]. vmb gottes vnd E.F.G. eygen seelen ßeligkeit vnd auch vmb E.F.G. gutes geruchte vnd ewigen loblichen namen, E.F.G. wil sich ia hüten vor die falsche luterschen lehre vnd ia keyns wegens lassen eynreißen. Dan ich hab es vorezeiten E.F.G. wol gepropheceit vnd geweißagt, das etliche E.F.G. nach absterben E.F.G. allerliebste fraw mutter wurden hefftig vorsuchen in die toerichte vnd vnbeständige widderwertige vnd verdampliche lere zu verfuhren […]. Aber Gott weiß, wie ich E.F.G. vnd herrschafft getreulich meyne, vnd die liebe, ßo ich zu E.F.G. ßeliger gedechtniß fraw mutter gehabt« (Otto Clemen: Briefe von Hieronymus Emser, Johann Cochläus, Johann Mensing und Petrus Rauch an die Fürstin Margarete und die Fürsten Johann und Georg von Anhalt, Münster 1907, Nr. 29, 40f). 301   »Audivi, clarissimi et optimi principes, tandem sic cooperante Spiritu Christi valefactum esse ab impiis abusibus religionis in ditione vestra, et feliciter inchoatum christianae communionis usum, etiamsi id factum sit non sine magno periculo, scilicet magnis principibus contrarium suadentibus, insuper etiamsi minantibus« (WA B 7; Nr. 2105, 56,4–8). Der Brief wurde von der älteren Forschung auf Anfang September 1532, also noch vor der Wörlitzer Predigt Luthers, datiert, da am Ende »Amen. 1532« zu lesen ist. Vgl. W2 ; Nr. 1924, 1774–1776. Weil aber auf die Einführung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt angespielt wird, ist der Brief wohl eher kurz nach dem 2. April 1534 geschrieben worden. Vgl. ferner Christof Römer: Evangelische Landeskirchen der Harzterritorien in der frühen Neuzeit (Harz-Forschungen. Forschungen und Quellen zur Geschichte des Harzgebietes 15), Berlin 2003, 15.

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Wenn Luther erstens betont, nicht auf Ruhm und Ehre zu achten, sondern in Liebe Gottes Wort zu folgen, so will er damit die jungen Herrscher ermutigen, sich nicht vom Streben nach Anerkennung durch andere leiten zu lassen. Dieser Gedanke muss in den Ohren der Fürsten wie eine Aufforderung geklungen haben, sich aus der Bevormundung durch ihre Verwandten zu befreien und ihren eigenen Weg zu gehen. Zweitens gibt Luther zu bedenken, dass man auch diejenigen zu lieben habe, die einem nicht wohlgesonnen seien. Die Fürsten konnten dies nur verstehen als den Rat, trotz allen Widerstandes keinen Bruch mit ihrem familiären Umfeld zu provozieren. Drittens, hat wohl auch Joachim von Brandenburg, der bestrebt war, am Kreuzzug teilzunehmen, einige Male in der Predigt aufgehorcht, als Luther davor warnte, nicht nach Ruhm und Ehre zu streben, sondern aus reiner Liebe zu handeln, wobei er in diesem Zusammenhang auffällig oft auf den Kaiser anspielte.302 Schließlich ermutigt Luther mit seiner Rede über das gute Gewissen ein weiteres Mal die Fürsten, ihren eigenen Weg zu gehen und voller Demut hinzunehmen, wenn sie gegenüber anderen Fehler begingen, da sie letztlich Gnade vor Gott finden dürfen. Daran zeigt sich exemplarisch, wie Luther es verstand, auf die spezifische Situation seiner Hörer am Hof trotz der Formulierung allgemeiner Gedanken einzugehen. Dies verknüpfte er mit einer theologisch tiefsinnigen Auslegung des Predigttextes. In Wörlitz stärkte Luther das Emanzipationsbestreben der Fürsten gegenüber ihren altgläubigen Vormündern und wirkte insofern am Anhaltinischen Hof durch seine Predigt als evangelischer Erzieher und Seelsorger.

4. Die Leipziger Predigt zur Einführung der Reformation in Sachsen 4.1 Der Tod Georgs und die Reise Luthers Seit Luthers Auftreten im Rahmen der Leipziger Disputation 1519 war Herzog Georg einer der entschiedensten Gegner der Reformation. Erst nach seinem Tod am 17. April 1539303 ordnete sein reformatorisch gesonnener Bruder Herzog Heinrich von Sachsen im Zuge seines Regierungsantritts unverzüg302   Luther erwähnt den Kaiser insgesamt viermal. Vgl. WA 36; 361,17 u. 33; 361,15f; 369,24. Vgl. WA 36; 362,15–17. 303   Herzog Georg musste vor seinem eigenen Tod mehrere persönliche Schicksalsschläge hinnehmen. Seine Tochter Magdalene starb im Jahr 1534, kurz darauf seine Frau Barbara nach schwerer Krankheit. Sein älterer Sohn Johann, der mit Elisabeth, der Schwester des hessischen Landgrafen Philipp, verheiratet war, erlag 1537 seiner Krankheit. Der jüngere Sohn Friedrich war geistig behindert und konnte trotz des Bemühens seines Vaters nicht die Regierung übernehmen, zumal er auch am 26. Februar 1539 verstarb. Vgl. Oswald Hekker: Religion und Politik in den letzten Lebensjahren Herzog Georgs des Bärtigen von Sachsen, Leipzig 1912, 4–16; Gustav Wolf: Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, in: NJKA 9 (1906), 413–438. Zum Tod Herzog Georgs vgl. Wilhelm Loose: Die Reformationsurkunden der Stadt Meißen, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Meißen 2 (1887/91), 357–404, hier 359.

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lich die Einführung der Reformation an.304 Die Entschlossenheit lässt sich exemplarisch daran veranschaulichen, dass bei der Beisetzung Georgs in der errichteten Begräbniskapelle im Meißner Dom 305 ein Tag nach seinem Tod sein Bruder während der Vigilienfeier demonstrativ aufstand und den Dom verließ, als er wahrnahm, dass die Feier nach altgläubigem Ritus vorgenommen wurde. Stattdessen ging er in die Albrechtsburg hinüber, um sich eine Predigt seines lutherischen Hofpredigers Paul von Lindenau anzuhören, und blieb auch den folgenden Zeremonien fern.306 Die zur Beerdigung versammelten Landstände versuchten noch, Heinrich auf Georgs kurz vor seinem Tod geändertes Testament festzulegen, worin er anordnete, das Herzogtum an den Kaiser als Reichslehen zurückzugeben, falls sein Bruder nicht zum alten Glauben zurückkehre, was Heinrich aufgrund seiner legitimen Nachfolgerschaft ignorierte.307 Auf seiner nachfolgenden Huldigungsreise wurde er von evangelischen Predigern wie seinem Hofprediger Paul von Lindenau und vom Gothaer Generalsuperintendenten Friedrich Myconius begleitet, an deren Orten die ersten evangelischen Gottesdienste und Abendmahlsfeiern mit Brot und Wein offiziell gefeiert wurden.308 Den Höhepunkt der 304  Vgl. Heiko Jadatz: Herzog Heinrich von Sachsen als Förderer der Wittenberger Reformation und als evangelischer Landesherr, in: Yves Hoffmann/Uwe Richter (Hg.): Herzog Heinrich der Fromme 1473–1551, Beucha 2007, 75–94. Zur reformatorischen Einstellung des sächsischen Adels vgl. ferner Christian Winter: Evangelischer Adel – altgläubiger Landesherr. Anhänger der Reformation im albertinischen Adel vor 1539 und ihr Konflikt mit Herzog Georg von Sachsen, in: NASG 81 (2010), 249–262. 305   Zur Begräbniskirche und Grabplatte vgl. Hans-Joachim Krause: Die Grabkapelle Herzog Georgs von Sachsen und seiner Gemahlin am Dom zu Meißen, in: Franz Lau (Hg.): Das Hochstift Meißen. Aufsätze zur sächsischen Kirchengeschichte, Berlin 1973, Tafel 26–41, 375–402; Matthias Donath (Hg.): Die Grabmonumente im Dom zu Meißen, Leipzig 2004, Nr. 162, 409–412. 306   Berichtet wird die Szene von Johann Cochläus, der die Vigilienfeier selbst gehalten hat, in einem Brief vom 19. April an den päpstlichen Nuntius Aleander. Vgl. Walter Friedensburg (Bearb.): Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533–1539 nebst Actenstücken, Bd. 4: Legation Aleanders 1538–1539, 2. Hälfte, Gotha 1893, Nr. 51, 540f. Vgl. hierzu Enno Bünz: Die Reformation in Meißen. Zum Zusammenhang von Stadt- und Fürstenreformation im Herzogtum Sachsen, in: Joachim Bahlcke u. a. (Hg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, FS von Winfried Eberhard, Leipzig 2006, 263–286, hier 270; Johann Ludwig Rüling: Geschichte der Reformation zu Meißen in den Jahren 1539 und den folgenden Jahren, Meißen 1839, 3f. 307  Vgl. Heiko Jadatz: Herrschaftswechsel als kirchenpolitische Zäsur. Das albertinischsächsische Herzogtum und die Wittenberger Reformation, in: Hartwin Brandt u. a. (Hg.): Genealogisches Bewusstsein als Legitimation. Inter- und Intragenerationelle Auseinandersetzungen sowie die Bedeutung von Verwandtschaft bei Amtswechseln (BaHS 4), Bamberg 2009, 213–224. Das am 30. März 1539 verlesene Testament ist abgedruckt in Heiko Jadatz (Bearb.): Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen (ASSKG), Bd. 4, Leipzig 2012, 717f. 308  Vgl. Günther Wartenberg: Die Entstehung der sächsischen Landeskirche von 1539 bis 1559, in: Helmar Junghans (Hg.): Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 2005, 69–92, hier 69.

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Huldigungsreise bildete das Pfingstfest in Leipzig.309 Die Bedeutung Leipzigs als Universitätsstadt und als wirtschaftliches Zentrum des Herzogtums sowie die Schwächung der altgläubigen Gegner im Stadtrat veranlassten Heinrich dazu, dort die Feier zur Einführung der Reformation im Herzogtum am Pfingstsonntag, dem 25. Mai, zu begehen.310 Zu diesen Feierlichkeiten waren als Regenten Kurfürst Johann Friedrich, Herzog Johann Ernst von Sachsen, Herzog Franz zu Braunschweig sowie Herzog Heinrichs Kinder, darunter Moritz und August, geladen.311 Von theologischer Seite aus nahmen Philipp Melanchthon, Friedrich Myconius, Justus Jonas, Caspar Cruciger und Johann Pfeffinger teil.312 Am 22. Mai traten die Wittenberger ihre Reise an, übernachteten in Eilenburg313 und trafen am 23. Mai am Pfingstfreitag in Leipzig ein. Dort wurden sie in Auerbachs Hofe, dem neuerbauten Hause des Doktors Heinrich Stromer von 309   Zur Situation in Leipzig vor und nach 1539 vgl. die im Sammelband zum religiösen Leipzig erschienen Aufsätze von Christoph Volkmar: Ein zweites Sodom? Leipzig in der frühen Reformation, in: Enno Bünz/Armin Kohnle (Hg.): Das religiöse Leipzig. Stadt und Glauben vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig 6), Leipzig 2013, 143–163 und Armin Kohnle: Zwischen Luthertum und Calvinismus. Leipzig im konfessionellen Zeitalter (1539–1648), in: aaO., 165–178. 310   Zur Verordnung vgl. Carl Wilhelm Hering: Geschichte der im Jahre 1539 im Markgrafthume Meißen und dem dazu gehörigen thüringischen Kreise erfolgten Einführung der Reformation nach handschriftlichen Urkunden des königlich sächsischen Haupt-Staatsarchivs, Großenhain 1839, 30. Bereits in einer Verordnung vom 11. Mai 1539 befahl Heinrich, dass alle, die durch Herzog Georg aus Leipzig aufgrund ihres evangelischen Glaubens vertrieben wurden, wieder zurückkehren dürften. Vgl. Karl Christian Gretschel: Leipzig vor und während der Reformation im Jahre 1539. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte der sächsischen Lande, so wie eine Gedenkschrift zur 300 jährigen Jubelfeier der Leipziger Reformation größtenteils nach ungedruckten Quellen, Leipzig 1839, 245–248. 311  Vgl. Karl Christian Kanis Gretschel: Leipzig vor und während der Reformation im Jahre 1539. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte der sächsischen Lande, so wie eine Gedenkschrift zur 300 jährigen Jubelfeier der Leipziger Reformation größtenteils nach ungedruckten Quellen, Leipzig 1839, 250; Ders.: Die Reformation in Leipzig. Leipzig zur 400 jährigen Geburtstagsfeier Dr. Marin Luthers, Leipzig 1883, 160–175. 312   »22. Maii Doctor Martinus Lutherus cum Doctore Iona et Philippo, Crucigero abierunt Lipsiam consilio electoris. Ibi in itinere in uno curru laetissimi carminibus recitandis secundum alphabetum certabant« (WA T 4; Nr. 4615, 403,25–27; vgl. ferner WA T 4; Nr. 4751, 467,1–7); »D. Lutherus ad Pentecosten proficiscetur cum illusst. electore principe Lipsiam et quidam alii, de quibus secretario Cel. V. dixi« (Brief von Justus Jonas an Fürst Georg von Anhalt vom 20. Mai 1539, in Justus Jonas: Der Briefwechsel des Justus Jonas, 1. Hälfte, hg. von Gustav Kawerau [Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Geschichtliche Vereine der Provinz Sachsen 17], Halle 1884, Nr. 425, 319f). Vgl. ferner Georg Buchwald: Zur Wittenberger Stadt- und Universitätsgeschichte in der Reformationszeit. Briefe aus Wittenberg an Stephan Roth in Zwickau, Leipzig 1893, 142; CR 4, 1054. 313   In den Tischreden ist überliefert, dass man Luther am 23. Mai in Eilenburg die Frage gestellt habe, wie das Wort »Ostern« etymologisch abzuleiten sei: »23. Maii fiebat quaestio in Eylenbergk, quae esset etymologia Paschatis, Ostern, unde diceretur?« (WA T 4; Nr. 4618, 404,21f). Vgl. ferner die Zusammenstellungen aus den Rechnungsbüchern des Weimarer Staatsarchivs in Georg Buchwald: Lutherana. Notizen aus Rechnungsbüchern des Thüringischen Staatsarchivs zu Weimar, in: ARG 25 (1928), 1–98, hier 19f.

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Auerbach gastfreundlich aufgenommen.314 Ursprünglich hatte Luther vor, zum Hauptgottesdienst am Pfingstsonntag die Kanzel zu betreten. Doch aufgrund seiner gesundheitlichen Schwäche entschied er sich, am Samstagabend vor dem Herzog und dessen Gästen in der Hofkapelle des Schlosses Pleißenburg zu predigen.315 Den Hauptgottesdienst am Pfingstsonntag in der Thomaskirche übernahm stellvertretend für Luther Paul Lindenau. Wohl aus Pflichtgefühl gegenüber den zahlreichen Gästen und aufgrund einer kurzfristigen Besserung seiner Gesundheit entschloss sich Luther dann doch, am Nachmittag in der Thomaskirche über die Ausgießung des Heiligen Geistes vor der großen versammelten Menge zu predigen, deren Wortlaut jedoch nicht überliefert ist.316 Legendarisch sind die überlieferten Berichte zu werten, nach denen der Andrang des Volkes so groß gewesen sein soll, dass man mehrere Leitern von außen an die Fenster gestellt und die Fenster zerschlagen habe, um Luther hören zu können. Ebenfalls legendarisch ist die Aussage, dass Menschen tränenreich auf die Knie gegangen und aus Dankbarkeit vom alten Glauben abgefallen seien.317 Ein Tag 314   Im Brief an Fürst Georg von Anhalt vom 25. Mai 1539 berichtet Georg Forchheim: »Peracta coena invisi d. d. Martinuum, Jonam, Crucigerum, Philippum et reliquos dominos nostros diversantes in aedibus d doctoris Aurbachii, ubi recepti sunt hospitio iussu principis electoris etc. […]. Hodie ante prandii tempus insigniter piae contiones tres habitae sunt a. d. d. Iona apud moniales, a magistro Paulo concionatore illustris principis Henrici ad S. Thomam a Friderico Mecum apud D. Nikolaum, in quibus omnibus frequentissima hominum multitudo affuit« (Justus Jonas: Der Briefwechsel des Justus Jonas, 2. Hälfte, hg. von Gustav Kawerau [Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Geschichtliche Vereine der Provinz Sachsen 17], Halle 1885, Nr. 425a, 366). Vgl. ferner Gustav Wustmann: Aus Leipzigs Vergangenheit, Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, Leipzig 1885, 12. 58. 93–98. 315   Zu Beginn seiner Predigt verwies er auf seine aktuelle »Leibesschwachheit« (WA 47; 772,25) an. Am Ende der Predigt brach er wohl sichtlich geschwächt mit den überlieferten Worten ab: »Das sey heute die Vorrede oder FrueePredigt, Und Gott der HErr helffe ferner, ich kan jetzt nicht weiter &c.« (WA 47; 779,21f). Zu welchem Zeitpunkt er genau entschieden hat, nicht am Sonntagvormittag zu predigen, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. 316   Von den Sonntagspredigten in Leipzig berichtet Justus Jonas: »In die Pentecostes [25. Mai] ad S. Thomam concionatus est ecclesiastes illuss. principis Henrichi Paulus [= Paul Lindenau] qui Freibergensi praeest ecclesiae, ego iussu et ordinatione principum in templo sanctimonialium extra portam [gemeint ist das Kloster der Benedictinerinnen zu St. Georg], d. Friderichus Myconius ad S. Nicolaum. A prandio d. doctor Martinus Lutherus implevit prophetium suam, qua ante biennium praedixit, tum nescio quae crudelia consilia agitante duce Georgio, se adhuc Lipsiae concionaturum, et coram maxima multitudine populi praedicavit apud S. Thomam« (Brief von Justus Jonas an Fürst Georg von Anhalt vom 3. Juni 1539, abgedruckt in Justus Jonas: Der Briefwechsel des Justus Jonas, 1. Hälfte, hg. von Gustav Kawerau [Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Geschichtliche Vereine der Provinz Sachsen 17], Halle 1884, Nr. 429, 325f, hier 326). Vgl. Friedrich Seifert: Wo hat Luther am Pfingstsonntage 1539 in Leipzig gepredigt?, in: BSKG 2 (1883), 45– 53. 317   Noch in der Einleitung der Ausgabe von 1839 wird die Predigt Luthers in der Thomaskirche folgendermaßen beschrieben: »wo der Zudrang des Volkes so außerordentlich war, dass man sogar Leitern anlegte und durch die Fenster zuhörte« (Martin Luther: Predigt gehalten am 24. Mai 1539 auf dem Schlosse Pleißenburg zu Leipzig, Leipzig 1839; vgl. auch Karl Christian Kanis Gretschel: Leipzig vor und während der Reformation im Jahre

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später reiste Luther wieder zurück und wurde bis Eiche und Grimma in der Kutsche von Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Heinrich mitgenommen.318

4.2 Die Leipziger Predigt über die wahre Kirche (24. Mai 1539) Luthers Predigt vom Samstag erschien erst 1618 als Einzeldruck 319 durch den Leipziger Drucker Justus Jansonius.320 Wovon die Weimarer Ausgabe nicht berichtet, ist die Zuschrift, die der Predigt vorangestellt ist.321 Daraus geht hervor, dass der Magister theol. Jacob Andreas Graul322 die Predigt herausbrachte, die er seinem Schwager, dem Ratsfreund und Händler Peter Heintzen, widmete. Außerdem schrieb er: »Und in solcher betrachtung hab ich zu dieser zeit dem Druck untergeben diese geistreiche Predigt, so vor etlich 70. Jahren unsere liebe Vorfahren allhier von dem hocherleuchteten Wundermannn, D. Martino Luthero gehöret, auff daß auch wir ihre Nach-

1539. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte der sächsischen Lande, so wie eine Gedenkschrift zur 300 jährigen Jubelfeier der Leipziger Reformation größtenteils nach ungedruckten Quellen, Leipzig 1839, 252). Noch pathetischer fällt der Bericht von Zacharias Schneider in seiner Leipziger Chronik aus: »Man kan nicht genugsam beschreiben mit was Eiffer und Andacht beyde Predigten [am Pfingstsonntag] von der meisten Bürgerschaftt besuchet worden: Wie sie auff ihre Knie gefallen und mit Thränen Gott for die väterliche Erlösung aus den Banden des Papbstthumbs und aus der so gestrengen Verfolgung und Geissens Tyranney mit Mund und Hertzen Danck gesagt haben« (Zacharias Schneider: Chronicon Lipsiense. Das ist: Gemeine Beschreibung der Churfürstlichen Sächsischen Gewerb- und Handels Stadt Leipzig, Leipzig 1655, 184). 318   »26. elector et dux Henricus recesserunt Doctorem Martinum Lutherum in curru secum ducentes usque in Grimma ubi dux Henricus mirabilia de suo fratre conquestus est, qui hostilissimo animo eum semper sit persecutus, das er seine lebetage keinen großern feind gehabet dan seinen eignen bruder« (WA T 4; Nr. 4623, 406,16–19, hier auch Anm. 9). Vgl. ferner Georg Buchwald: Lutherana. Notizen aus Rechnungsbüchern des Thüringischen Staatsarchivs zu Weimar, in: ARG 25 (1928), 1–98, hier 19f. 319   Der Titel lautet: »Eine Geistreiche Predigt, Herrn D Martini Lutheri, seliger gedaechtnues. Gethan auff dem Schloß Pleissenburgk zu Leipzig, als Hertzog Heinrich zu Sachsen das Land einnam, Anno 1539«. Das Exemplar der Universitäts- und Landesbibliothek SachsenAnhalt (Signatur: Pon Vg 2434, QK) ist digital einsehbar im VD 17 23:245827F. Vgl. WA 47; Nr. 23, 772–779. 320  Vgl. Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 51), Wiesbaden 2007, 532. 321   Vgl. WA 47; Nr. 23, XXIIf u. 772–779. 322   Jakob Andreas Graul (Graulius) wurde 1582 wohl in Borna geboren und im Wintersemester 1600 in Leipzig immatrikuliert. Am 28. Oktober 1628 erwarb er den baccalaureus artium, am 29. Januar 1607 wurde er zum Magister und am 16. Juni 1613 zum baccalaureus theol. promoviert. Seit 1618 Professor war er Professor für Hebräisch in Leipzig und starb im Jahr 1633. Vgl. Markus Hein: Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409–2009, Leipzig 2009, 196; Otto Clemen: Luther in Schmalkalden 1537, in: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1944), hg. von Ernst Koch, Bd. 6: 1933–1944, Leipzig 1985, 60.

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kommen dieselbe hören und lesen könten, dieweil man sie sonst in offenen Schriften nicht findet«.323

Da Graul von Vorfahren spricht, könnte es sich hierbei statt um eine allgemeine Titulierung auch um einen Familienvorfahren handeln, der bei der Predigt anwesend war und mitschrieb, sodass dessen Mitschrift später im Familienbesitz blieb.324 Jedoch bleibt dies lediglich eine Vermutung und kann nicht endgültig geklärt werden. Es ist nicht verwunderlich, dass Luther als Predigttext Joh. 14, 23–31 aus den Abschiedsreden Jesu auswählte. Er gehört zu den Kerntexten, die zu Pfingsten gepredigt wurden. Während am Sonntagvormittag zumeist der Bericht vom Pfingstereignis im Zentrum stand (Apg. 2), predigte man am Nachmittag über die Deutung des Heiligen Geistes als Tröster im Johannesevangelium.325 Auch Luther hat in den Vorjahren häufig zu Pfingsten über diesen Text gepredigt. Sechzehn dieser Predigten aus zehn verschiedenen Jahren sind textlich überliefert.326 Um die Eigentümlichkeit seiner Worte im Jahr 1539 besser verstehen zu können, lohnt sich ein Blick auf einige der Predigten in den Jahren zuvor. Die erste überlieferte Doppelpredigt über Joh. 14, 23–31 stammt aus dem Jahr 1520, die Johann Poliander zu Pfingsten mitschrieb.327 Dort erläutert Luther in der ersten Predigt den Zusammenhang zwischen Apg. 2 und den Abschiedsreden Jesu, indem er Jesu Rede von der Entsendung des Trösters als Grund und Ursprung von Pfingsten deutet.328 Hierbei vergleicht er die Bedeutung der Feste bei den Christen und Juden. Während ihm zufolge die Juden zum Passahfest die Herausführung aus Ägypten und 50 Tage später die Offenbarung des Gesetzes   Vgl. in dem Originaldruck »Eine Geistreiche Predigt«, Bl. AIIr. Vgl ferner den Abdruck der Zuschrift in W1 12; 1832–1835 und W2 12; 1410f. 324   Vgl. hierzu die Einladung zur Akademischen Trauerfeier für Prof. Jacob Graul in der Sächsische Landesbibliothek sowie Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (Biogr.erud. D. 210, 104), digital einsehbar unter VD17 14:082918H: Dort werden Grauls Vater und Mutter erwähnt: »[…] patre, Amplisimo et consultismo Viro Dn. Vito Graul, J. U. D. et Ducum Megapolensium Consiliario fideli, et matre Justina, itidem Consultissimi et Excellentissimi Viri Dn. Andreae Funckens«. 325   Vgl. hierzu das Perikopenverzeichnis WA DB 7; 529–544, hier 539. Zur Entstehung der Perikopen siehe oben Seite 133. 326   Vgl. die Zusammenstellung der Predigten über Joh. 14, 23–31 des Predigtregisters in WA 22; LXXf. Mitgezählt wurde die Hauspredigt vom 19. Mai 1532 (WA 36; 177–180), die in Veit Dietrichs Hauspostille aufgenommen wurde (WA 52; XVIII. 320–325). Hinzugezählt werden könnte noch eine Predigt, die in Crucigers Sommerpostille von 1544 abgedruckt wurde (WA 21; 444–477), deren ursprüngliche Vorlage jedoch nicht nachweisbar ist und durch Cruciger sehr stark umgearbeitet wurde (WA 22; XXII). 327  Vgl. die beiden Aufzeichnungen der Predigten aus dem Polianderkodex zur Predigt vom Pfingstsonntag, dem 27. Mai (WA 9; 316. 461–465) und vom Pfingstmontag, dem 28. Mai (WA 9; 465–470). 328   »Quid et quomodo gestum sit die pentecostes, narrat Lucas actorum primo. Eam historiam antequam explicemus, pauca prelibare de ratione et origine pentecostes visum est opere precium« (WA 9; 461,35–37). 323

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auf dem Berg Sinai lediglich dem Fleische nach feierten, zelebrierten die Christen an den gleichen Festtagen zu Ostern und Pfingsten geistlich.329 Denn für die Juden sei das Gesetz in Stein gehauen worden, Christus aber habe ein neues Gesetz ins Herz geschrieben.330 Im zweiten Teil der Predigt beginnt Luther eine versweise vorgehende Auslegung des Predigttextes, die er in der zweiten Predigt fortführt.331 Bereits in dieser Predigt konzentriert sich Luther auf die Aussage Jesu: »Wer mich liebt, der wird meine Worte halten« (Joh. 14, 23) und deren Negation: »Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht« Joh. 14, 24). Luther hebt hervor, dass die Liebe dem Einhalten von Geboten vorgeordnet sei und jeder daran scheitere, der danach trachte, ohne die Liebe zu Christus das Gesetz zu befolgen.332 Insofern bildet für Luther Joh. 14, 24 einen Hauptbeleg für die Bestimmung des Verhältnisses der Liebe zu Christus und der Erfüllung des Gesetzes Christi. Die Predigt vom 8. Juni 1522333 ist dem Aufbau nach eine Homilienpredigt. Im Unterschied zur Doppelpredigt zwei Jahre zuvor gibt Luther eine präzisere Deutung, was in Joh. 14, 23 mit dem Halten der Worte gemeint ist, indem er diese Aussage auf die Liebe zum Nächsten bezieht.334 Insofern interpretiert Luther den Vers im Kontext von Gottesliebe und Nächstenliebe. In polemischer Abgrenzung zur Papstkirche verdeutlicht er hierbei, dass mit Gewalt, Zwang und Schwert keine göttliche Liebe im Menschen gestiftet werden könne. Deshalb habe Gott jeglichen Zwang hinsichtlich des Glaubens für immer aufgehoben.335   Vgl. WA 9; 462,1–7.   Vgl. WA 9; 462,13–16. Er verweist hierbei auch auf Jeremias Rede vom neuen Bund und dem neuen Gesetz, dass Gott in die Herzen der Menschen schreiben wird (Jer, 31, 33), die er als Weissagung auf das Evangelium deutet: »Hinc clamant prophetae ›Dabo legem meam in visceribus eorum et in corde eorum scribam eam, dicit dominus‹. Et plane huc tendunt omnes promissiones Christi per totum Euangelium« (WA 9; 462,28–31). 331   Die Homilie beginnt ab WA 9; 463,27. Vgl. ebenso den Beginn der zweiten Predigt: »Quae reliqua sunt in Euangelio, quod heri recitavimus, nunc explicabimus, ut plenius huius Euangelii sententiam intellectu assequamur« (WA 9; 465,18–20). Hier geht er auch noch einmal kurz auf Joh. 14, 23 (WA 9; 465,35–466,9) ein und fährt dann mit der Auslegung der Verse fort. 332   »Quibus verbis [Joh. 14, 23f] annon clarissime ostendit: Quicquid humanae vires, humanus conatus moliantur, ut legem impleant, id omne in irritum cadere« (WA 9; 463,29–31). 333   Die Predigt ist in Einzeldrucken ohne Angabe des Jahres überliefert (WA 10 III; CVII. 155–160). Als zweiter Sermon fand sie 1526 Eingang in Roths Sommerpostille (WA 10 I.2; 278–278). 334   »Nun was ist sein wort? das wir uns under ainander lieben wie er uns geliebt hat und an in glauben« (WA 10 III; 157, 1–3). 335   »[…] es hilft weder brennen noch bullen oder bannen: also ist alle straff auffgehaben, allain das man mit dem Wortt treiben sol. Dann wann man alle schwertt in die hand neme, so bringt man kainen ketzer zum glauben, man stellt sich wol als nem mans an, aber es ist jm grund des hertzen nichs. Darum hat got das schwert in der sach auffgehaben und sein regiment will das hertz haben und gebeüt das seinen bischoffen, das sy vor das hertz gfangen nemen« (WA 10 III; 156,11–17). 329 330

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Die ein Jahr später, am 24. Mai 1523 gehaltene Predigt kann der Mitschrift und der Drucke nach als Ausarbeitung der zuvor gehaltenen Predigten angesehen werden.336 Luther beginnt mit einer Nacherzählung des Pfingstgeschehens337, erläutert im Anschluss den Unterschied des schriftlichen Gesetzes bei den Juden im Vergleich zum geistlichen Gesetz bei den Christen 338 und leitet dann zur Auslegung von Joh. 14, 23–31 in Form einer Homilie über.339 Zur Deutung von Vers 23 kommt ein neuer Aspekt hinzu, indem er die Reihenfolge der Versteile problematisiert: »Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben«. Demzufolge könnte man zur Interpretation gelangen, dass der Mensch zuerst das Werk erfüllen müsse, Christus zu lieben, damit dann der Vater beginnen könne, den Menschen zu lieben.340 Dem entgegnet Luther, dass die Liebe des Vaters immer den Anfang bilde und erst nachfolgend der Mensch zur Erfahrung komme, die Vaterliebe zu fühlen. Die Reihenfolge der Aussagen entspreche insofern nicht der sachlichen Logik von vorausgehender Vaterliebe und nachfolgender menschlicher Gegenliebe, nach der sich die Reihenfolge der Aussagen geradezu umkehre.341 Damit sind die Gedanken der Auslegung von Joh. 14, 23 an den Pfingsttagen in den Grundzügen skizziert, die in den folgenden Predigten 342 in variierender Form unter Berücksichtigung des aktuellen Zeitgeschehens wiederkehren.343 336   Vgl. die Mitschrift Rörers (Bos. o. 17A, Bl. 79a –81a) in WA 11; 111–114 und die Drucke in WA 12; 568–578. 337   »Antequam Euangelium tractabimus, antea concionem hodiernam dicemus Lu. 2. c. l. 2. [gemeint ist Apg. 2]« (WA 11; 111,2f u. WA 12; 568,4–6). 338   »Scripta lex est ›unum deum dilige‹ &c.. quae est scripta, non intrat cor neque probum facit, sed hypocritam. Altera lex spiritus« (WA 11; 111,10f u. WA 12; 569,13–15). 339   »Hoc videbimus in Euangelio« (WA 11; 113,13f u. WA 12; 574,19–21). 340  »Parit magnam quaestionem, debere nos diligere priores, tum futurum, ut Christus quoque nos diligat« (WA 11; 113,15f). »Also spricht Christus ›Wer mich liebet, der wirtt meyn wortt hallten und meyn vatter wirt yhn lieben‹. Dißer text gepyrt eyn frage, Warumb Christus also redet, Als muessen wyr anfahen zu lieben« (WA 12; 574,22–24). 341   Vgl. WA 11; 113,15–23. »Diße frag hab ich vor mehr auch auffgeloest, Also, das ettliche spruech lautten, als heben wyr es an, Die andern, das es Gott anfahe. Nu muß Gott yhe den ersten steyn legen, der fehet am ersten an und nympt mich zŮ gnaden, das ich ynn seyner huld stehe. Aber darumb fulh ichs noch nicht so bald, Wiewol seyn werck schon da ist […]. Darumb redt er nicht von dem werck das wyr anheben, Sondern davon das wyr hernach fulhen, unnd von der liebe die auß dem fulhen folget« (WA 12; 574,25–575,2). 342   Vgl. die Predigten vom 15. Mai 1524 (WA 15; 563–567), 4. Juni 1525 am Vormittag (WA 17 I; 264–267) und am Nachmittag (WA 17 I; 268–271), 20. Mai 1526 am Nachmittag (WA 20; 398–401), 31. Mai 1528 (WA 27; 155–158) und 1. Juni (WA 27; 159–174), 16. Mai 1529 am Nachmittag (WA 29; 351–358), 17. Mai am Vormittag (WA 29; 359–365) und am Nachmittag (WA 29; 366–373), die Hauspredigt vom 19. Mai 1532 am Nachmittag (WA 36; 177–180) und die Predigt vom 16. Mai 1535 (WA 41; 248–252). 343   So geht Luther in der Predigt vom 15. Mai 1524 (WA 15; 563–567) auf die am 31. Mai 1523 durch Papst Hadrian VI. in der Bulle »Excelsus Dominus« erfolgte Heiligsprechung von Bischof Benno (um 1010–1105/6) ein, um die sich das Meißener Domkapitel und Herzog Georg von Sachsen jahrelang bemühten und zu der Luther Anfang Juni 1524 in seiner Schrift ›Wider den neuen Abgott und alten Teufel, der zu Meißen soll erhoben werden‹ (WA 15; 170.

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Für Luther muss der Gottesdienst in der Hofkapelle der Pleißenburg 1539 ein besonderer Moment gewesen sein. Denn genau dort predigte der Wittenberger Mönch zwanzig Jahre zuvor im Rahmen der Leipziger Disputation.344 In der Forschung blieb die Predigt zwar nicht unerwähnt, wurde aber kaum einer genaueren Analyse unterzogen.345 In der Einleitung bemerkt Luther, dass er sich aufgrund der körperlichen Verfasstheit seines Kopfes und damit seiner Gedächtniskraft nicht gewiss sei, weshalb er beim Evangeliumstext für Pfingstsonntag, Joh. 14, bleiben will.346 Tatsächlich aber bildet die Auslegung des Predigttextes lediglich den Rahmen der Predigt. Der Mittelteil ist eine zusammengefasste Darlegung seines Kirchenbegriffs. Eine solche Entfaltung seiner Ekklesiologie hat er in den Auslegungen von Joh. 14 niemals zuvor unternommen. Obwohl Luther also eigentlich vorhatte, auf die Gedanken seiner früheren Predigten zurückzugreifen und den Bibeltext wahrscheinlich der gewohnten Weise nach Vers für Vers zu erläutern, muss er sich während der Predigt umentschieden haben und von seinem Konzept abgewichen sein. Oder seine einleitenden Worte sind als bewusstes Understatement zu verstehen, da er von Beginn an eine ganz eigene Predigt für diesen historisch denkwürdigen Anlass vor Augen hatte. Denn seine Erläuterung des Bibeltextes in den Rahmenteilen der Predigt und der ekklesiologische Hauptteil stehen nicht völlig unverbunden nebeneinander, sondern sind auf kunstvolle Weise miteinander verknüpft. In der Erläuterung von Joh. 14 exponiert Luther zunächst den Kontext des Bibelwortes. Den Anlass zu Jesu Worten habe Judas, der Sohn des Jakobus, gegeben, der ihm die Frage stellte, warum er sich lediglich den Jüngern und nicht der ganzen Welt offenbaren wolle (Joh. 14, 21). Luther sieht hierin eine kleingeistige Frage, die von den »jüdischen und fleischlichen Gedanken« des Apostels herrühre und sich auf ein weltliches Reich Christi beziehe.347 Judas sei bei 183–198) Stellung genommen hat. Nach Luthers Leipziger Pfingstpredigt von 1539 ließ Herzog Heinrich im Zuge der Einführung der Reformation in Sachsen am 15. Juli um 3 Uhr in der Frühe das Grabmal Bennos abbrechen. Vgl. hierzu Christoph Volkmar: Die Heiligenerhebung Bennos von Meißen (1523/24). Spätmittelalterliche Frömmigkeit, landesherrliche Kirchenpolitik und reformatorische Kritik im albertinischen Sachsen in der frühen Reformationszeit (RST 146), Münster 2002. 344   Siehe oben Seite 93. 345   Vgl. neben der bereits genannten Literatur Armin Kohnle: Luthers Leipziger Predigten, in: Luther 86 (2015), 128–134; Christopher Spehr: Art. ›Predigten Luthers‹, in: Volker Leppin/Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Das Luther-Lexikon, Regensburg 2014, 560–569, hier 564; Heinz Schilling: Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München 22013, 378; Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 3, Stuttgart 1987, 283f; Julius Köstlin: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, fortgesetzt von Gustav Kawerau, Bd. 2, Berlin 21903, 415. 346   »Djeweil ich meines Heupts wegen Leibesschwachheit nicht so gewiß bin die Lehre gaentzlichen zu erklaeren, so wil ich durch Gottes Gnade bey dem Text bleiben des Evangelij, so man morgen in der Kirchen zu handeln pfleget« (WA 47; 772,25–28). 347   »Und man sihet allhier den fleischlichen und Juedischen Gedancken der Apostel, daß

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dieser Frage von einem politischen Machtinteresse in der Hoffnung geleitet, als Stellvertreter Christi ein Herrscheramt innehaben zu dürfen. Luther deutet damit den Bibeltext vor dem Hintergrund des Rangstreits der Jünger (Mt. 18, 1; Mk. 9, 34; Lk. 9, 46; ferner Lk. 22, 24) und der Bitte von Jakobus und Johannes, zur Rechten und zur Linken im Reiche Christi sitzen zu dürfen (Mt. 20, 21; Mk. 10, 37).348 Statt eines weltlichen Reiches habe Christus jedoch ein geistliches Reich vor Augen, wenn er Judas antworte, dass die Liebe zum Sohn zur Gegenliebe des Vaters und der Offenbarung des Sohnes führe (Joh. 14, 21b). Zur Steigerung der Aufmerksamkeit inszeniert er hierzu einen kurzen virtuellen Dialog zwischen Judas und Jesus.349 Er will damit die Verwirrung von Judas verdeutlichen, der irritiert zurückfragt, warum der Sohn sich nur den Liebenden offenbare und nicht der ganzen Welt. Auch darin entdeckt Luther den »falschen jüdischen Wahn«350 , der bei allen Jüngern in der Zeit geherrscht habe, Jesus im Rahmen eines traditionellen Messiasverständnisses als politischen Revolutionär deuten zu wollen. Doch Luther zufolge geht es für Jesus nicht um die Errichtung eines weltlichen Reiches, sondern um des »Herren Christi Reich«, wenn Jesus dem Jünger antwortet, dass, wer ihn liebe, bei dem werden Vater und Sohn »Wohnung […] machen«.351 Luther deutet insofern den Bibeltext vor dem Hintergrund seiner Unterscheidung der zwei Reiche. Das Stichwort »Wohnung Gottes« (Joh. 14, 23) bildet für Luther den Übergang zum ekklesiologischen Hauptteil. Er deutet den Begriff als das neue Jerusalem im Vergleich zum alten, dessen Tempel lediglich aus Steinen und Holz gebaut worden sei.352 Jesus aber wolle in den Herzen der Menschen ein neues sie hoffeten auff ein Weltliches Reich des HErrn Christi, und sie wollen die Obersten darinnen seyn, wie sie sich denn darumb zancken, wer der Groeste darinnen sol sein, und da haben sie sich bereit in die Laender getheilet. Also seynd noch heutiges Tages die Jueden gesinnet und hoffen auff einen Weltlichen Messiam« (WA 47; 772,35–773,3). 348   Dabei unterstellt er in polemischer Weise, dass ein solches Denken auch heutzutage noch bei den Juden vorläge: »Also seynd noch heutiges Tages die Jueden gesinnet und hoffen auff einen Weltlichen Messiam« (WA 47; 773,2f). 349   »Judas spricht: Sollen wirs denn alleine seyn? Sol es so eine duenne Revelation und Offenbarung seyn? Sol sie nicht aller Welt offenbar werden, zu gleich Jueden und Heyden? Was sol das seyn? Sollen wir dich alleine erben, und die Heyden sollen nichts wissen?« (WA 47; 773,4–9). 350   WA 47; 773,9. 351   In der Rolle Jesu verdeutlicht Luther dessen Reaktion mit den Worten: »Nein, es hat die Welt viel ein ander Reich, lieber Judas, ich rede also darvon: ›Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und ich werde bey jhme seyn mit meinem Vater und dem heiligen Geiste, und werden Wohnung bey jhm machen« (WA 47; 773,11–14). Damit rezipiert Luther in freier Weise Joh. 14, 23, wobei er hier seiner Bibelübersetzung folgt und vom »Wohnung machen« und nicht von »Wohnung nehmen« (μονὴν παρ’ αὐτῷ ποιησόμεθα, et mansiones apud eum faciemus) spricht. Vgl. hierzu WA DB 6; 387. 352   »Diese Wohnung heisset Gottes Wohnung, Als Jerusalem ward Gottes Wohnung genant, das er jhm selber erwehlet hatte: Hier ist mein Herdt, Hauß und Wonung: wie noch heutiges tages die Kirchen genant werden Gottes Wohnungen umb des Worts und Sacraments willen. Jch meyne ja, Christus thut allhier einen scharffen Spruch, weissaget allhier und ver-

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Jerusalem und eine neue Wohnung schaffen. Da auch seinerzeit der Volksmund die Kirchen als Wohnung Gottes bezeichne, spreche Jesus insofern von der »wahren Kirche«.353 Damit ist das zentrale Stichwort genannt, worum es im Hauptteil geht, der in acht Sinnabschnitte gegliedert werden kann.354 Der Begriff der »wahren Kirche«355 ist Luther zufolge der größte Streitpunkt und die eigentliche »Hadersache« zwischen den altgläubigen Papisten und den Vertretern eines neuen Kirchenverständnisses im Sinne der Worte Jesu.356 Luther begibt sich hierbei in die Rolle der Papisten, die sich immer wieder selbst rühmen und sprechen: »Die Kirche, die Kirche«.357 Auf diese Redewendung nimmt Luther insgesamt drei Mal in der Predigt Bezug, wobei er die Dramatik jedes Mal steigert, da nicht mehr vom Sprechen, sondern vom Geschrei und danach gar vom Gespeie der Papisten die Rede ist.358 Man könnte vermuten, dass Luther mit diesem Ausruf ein konkretes Ereignis im Kontext des Leipziger Kirchenmilieus vor Augen hatte. Doch vielmehr handelt es sich um eine allgemeine Redewendung, die Luther häufiger gebraucht hat.359 In diesem Zusamgisset der Wohnung Jerusalem, da alle Propheten sagen: Hier wil ich wohnen von ewigkeit zu ewigkeit. Diese Wohnung reisset der HErr Christus ein und macht und bawet eine newe Wohnung und new Jerusalem, nicht von Steinen und Holtz« (WA 47; 773,14–23). 353  »Damit gibt Christus antwort der Hadersachen von der wahren Kirchen« (WA 47; 773,24f). 354   Vgl. hierzu Armin Kohnle: Luthers Leipziger Predigten, in: Luther 86 (2015), 128– 134. 355   Zum Ausdruck wahre Kirche vgl. Michael Beyer: Luthers Ekklesiologie, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Bd. 1, Göttingen 1983, 93–117, hier 114–117. 356   Vgl. WA 47; 773,23f u. »Was ist aber der Zwiespalt zwischen den Papisten und uns? Antwort: Uber der wahren Christlichen Kirchen« (WA 47; 773,39f). 357   »Denn jhr hoeret noch heutiges tages, wie sich unsere Papisten ruehmen und sprechen: die Kirche, die Kirche« (WA 47; 773,25f). 358   »Und ob man gleich auch viel Geschwätz macht außerhalb Gottes Wort, so noch ist die Kirche in dem Plaudern nicht, und sollen sie toll werden, sie schreien nur: ›Kirche, Kirche, man soll den Papst und die Bischöfe hören« (WA 47; 774,11–13); »Hieraus kanstu nu antworten den Schreyern und Speyern, die nichts denn Kirche, Kirche im Maule haben« (WA 47; 778,21). 359   Vgl. die Stichworte »Kirche, Kirche«, »die Kirche, die Kirche« bzw. »ecclesia, ecclesia« in: De abroganda missa privata Martini Lutheri sententia, 1521, WA 8; 433,1; 448,12; Vom Missbrauch der Messen, 1521, WA 8; 507,25; 526,3; De instituendis ministris Ecclesiae, 1523, WA 12; 192,20; Praelectiones in prophetas minores, 1524–1526, WA 12; 276, Anm. zu Zeile 26; In Esaiam Scholia ex D. Martini Lutheri praelectionibus collecta, 1532/34, WA 25; 120,25; 197,13; Ein Bericht an einen guten Freund von beider Gestalt des Sakraments aufs Bischofs zu Meißen Mandat. 1528, WA 26; 592,3; 603,6; Vermahnung an die Geistlichen, versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg, 1530, WA 30 II; 321,17 u. 35; Widerruf vom Fegefeuer, 1530, WA 30 II; 372,19; Auslegung der 25 ersten Psalmen, 1530, WA 31 I; 298,15; In Esaiam Prophetam, 1527, WA 31 II; 568,9; Wochenpredigten über Joh. 6–8, WA 33; 614,23; Verantwortung der aufgelegten Aufruhr von Hertzog Georgen, 1533, WA 38; 127,29; Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe, 1533, WA 38; 206,16; 210,16; Vorrede zu Antonius Corvinus, Quatenus expediat aeditam recens Erasmi de sarcienda Ecclesiae concordia Rationem sequi, 1534, WA 38; 277,24; Vorrede zu Urbanus Rhegius, Widerlegung des Bekenntnisses der Münsterischen

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menhang verdienen drei Stellen besondere Aufmerksamkeit, weil sie mit Herzog Georg und den Leipziger Bürgern in Verbindung stehen. So hat Luther im März 1531 die Schrift »Glosse auf das vermeinte kaiserliche Edikt« verfasst.360 Jenes Pamphlet enthält die Reaktion Luthers auf den Religionsabschied vom 19. November 1530, in dem Kaiser Karl V. die Augsburger Konfession nach den Evangelien für widerlegt erklärte und Luther mit schärferem Vollzug der Reichsacht drohte.361 Luther fühlte sich durch die Behauptung provoziert, die Augsburger Konfession auf der Grundlage der Evangelien widerlegen zu können. In diesem Kontext geht er auf die altgläubige Meinung ein, die Kirche sei heilig und könne nicht irren.362 Obwohl Luther die Heiligkeit der Kirche gar nicht bezweifeln wolle, könne dennoch von einer Irrtumslosigkeit der Kirche nicht die Rede sein.363 An dieser Stelle verwendet Luther den besagten Ausruf: »Das wil ich gesagt haben widder die halstarrigen rhuemer, die jmer plaudern: Die kirche, Die kirche, Die kirche, Wissen nicht, weder was kirche, noch heiligkeit der kirchen sey, faren daruber zu und machen die kirche so heilig, das Christus drueber mus jhr luegener sein, und sein wort gar nichts gelten. Da gegen wir mussen auch rhuemen widderumb: Kirche hin, Kirche her, sie sey, wie heilig sie wolle, So mus Christus drumb kein luegener sein, Die kirche selbs bekennet beide mit leren, beten und gleuben, das sie eine sunderin sey fur Gott und viel mals jrre und sundige«.364

Für Luther bildet insofern der Ausruf »die Kirche, die Kirche« das Kennzeichen eines falschen Kirchenverständnisses, in dem im Kontext der Unfehlbarkeitsfrage die leitenden Vertreter die sichtbare Gestalt der Kirche dem Worte neuen Valentinianer und Donatisten, 1535, WA 38; 340,4; Annotationes in aliquot capita Matthaei, 1538, WA 38; 470,24; 539,20; Zirkulardisputation über das Recht des Widerstands gegen den Kaiser (Mt. 19, 21), 1539, WA 39 II; 50,38; In epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius ex praelectione, 1531/35, WA 40 I; 55,17; Genesis-Vorlesung, 1535–1545, WA 44; 749,16; Auslegung Joh. 1–2 in Predigten, 1537/38, WA 46; 776,35; Predigt vom 12. Oktober 1538 über 1. Tim. 5, 21, WA 46; 512,11; Reihenpredigt über Matth, 18–24, 153–1540, dort zur Perikope über den Rangstreit der Jünger (Mt. 18, 1), WA 47; 240,41; Von den Konziliis und Kirchen, 1539, WA 50; 513,20; Die angebliche ›Vorrede D. M. Luthers, vor seinem Abschied gestellet‹ zum zweiten Band der Wittenberger Gesamtausgabe seiner deutschen Schriften. 1548, WA 54; 473,33. 360   Vgl. WA 30 III; 321. 331–388. Vgl. auch den Notizzettel zu den Schriften ›Warnung an sein geliebten Deutschen‹ und zur besagten ›Glosse‹ WA 30 III; 390. 398–390 und dem von Georg Rörer abgeschriebenen Entwurf zur Glosse WA 30 III; 583. 361   Vgl. zu den Hintergründen des Religionsabschiedes Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (QFRG 72), Gütersloh 2001, 389–394. 362   Vgl. WA 30 III; 341,20f. Vgl. Gudrun Neebe: Apostolische Kirche. Grundunterscheidungen an Luthers Kirchenbegriff unter besonderer Berücksichtigung seiner Lehre von den notae ecclesiae (TBT 82), Berlin u. a. 1997, 153f. 363   »Heilig ist die kirche, das ist war, Aber heilig sein heisst nicht on sunde und jrthum sein hie auff erden« (WA 30 III; 342,3f). 364   WA 30 III; 342,18–25.

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Jesu überordnen.365 Die indirekte Verbindung zu Georg von Sachsen ergibt sich durch dessen Brief an den Kurfürsten Johann. Darin beschwert sich Georg am 13. April 1531 über zwei Bücher, die Luther kurz zuvor verfasst hatte.366 Gemeint sind damit die wohl bereits im Oktober 1530 verfasste, aber erst im April 1531 erschienene Schrift ›Warnung an sein lieben Deutschen‹367 und die besagte ›Glosse‹. Die Verbreitung der Glosse erfolgte insofern auch bis nach Sachsen, wodurch Georg von Sachsen von ihr Kenntnis nahm.368 Der Ruf »Kirche, Kirche« fällt ebenfalls in der Schrift ›Verantwortung der aufgelegten Aufruhr von Herzog Georgen‹ aus dem Jahr 1533.369 Herzog Georg verordnete am 9. und 23. März 1533 die Vertreibung evangelisch gesinnter Bürger Leipzigs. Aufgrund der Bedrängnisse wandten sich die Leipziger an Luther mit der Bitte um Rat.370 Infolge der Antwort Luthers kam es zu einem Briefwechsel zwischen Herzog Georg, der durch den Stadtrat darüber in Kenntnis 365   Den Ausruf verwendet Luther auch in der Glosse seiner Bibelübersetzung aus dem Jahr 1532 und 1545 zu Jer. 18, 18, in der Luther auch biblisch die Kritik an der Lehre von der Unfehlbarkeit entdeckt. Dort grenzt sich Jeremia von der falschen Meinung der Bürger in Juda und Jerusalem ab: »Aber sie [die Bürger] sprechen, Denn die Priester koennen nicht jrren im gesetze, Vnd die alten koennen nicht feilen mit raten, Vnd die Propheten koennen nicht vnrecht leren« (WA DB 11 I; 253). Zur Erläuterung des Wortes »feilen« bzw. »fehlen« schreibt Luther in der Glosse: »Das heist, Sie sind von Gott im ampt, Wie die vnsern sagen, Die Kirche, die Kirche, kan nicht jrren« (ebd.). Insofern parallelisiert Luther hier die von Jeremia kritisierten Bürger Judas und Jerusalems mit den päpstlichen Vertretern der Unfehlbarkeitsidee. 366  Vgl. Helmar Junghans (Hg.): Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, Band 3: 1528–1534, hg. von Heiko Jadatz und Christian Winter, Köln u. a. 2010, 375f; Johann Karl Seidemann, Beiträge zur Reformationsgeschichte, Bd. 1: Die Reformationszeit in Sachsen von 1517 bis 1539, Dresden 1846, 208. 367   WA 30 III; 252. 276–320. 368   Das große Interesse an der ›Glosse‹ spiegelt sich in dem Brief von Urban Balduin in Wittenberg an Stephan Roth in Zwickau vom 14. April 1531: »Es ist die glosa von Martino vber das edict des keysers außgangen, die Exemplar sein alle verkaufft, wen es wydder gedruckt, [will] Jchs euch auch schicken« (Georg Buchwald: Stadtschreiber M. Stephan Roth in Zwickau in seiner literarisch-buchhändlerischen Bedeutung für die Reformationszeit, in: Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels 16 (1893), Nr. 342, 121; vgl. ferner WA 30 III; 321). 369   Vgl. WA 38; 86. 96–127. 370   So weigerte sich der angesehene Leipziger Jurist Dr. Augustin Specht aus Zerbst als todkranker, sich das Abendmahl nach altem Brauche reichen zu lassen. Herzog Georg verordnete daraufhin am 9. März, solches nicht zuzulassen, »sie seien Doctores oder was andern Standes«, ansonsten drohe den Geistlichen die Auslieferung an den Bischof von Merseburg, wie er es bereits am 27. August 1529 angeordnete habe. Als Specht verstarb, wurde untersagt, ihn in einer »Schindgrube« außerhalb des christlichen Friedhofs zu begraben, bei dessen Begräbnis ein große Menge der Leipziger Stadtbevölkerung aus Protest das Geleit gab. Am 23. März schärfte Herzog Georg noch einmal dem Rat ein, dass die Geistlichen genau darauf zu achten hätten, wer an Beichte und Kommunion teilnehme. Als zweiten Vorfall ist der Kaufmann Peter Gengenbach zu nennen, der am 4. April trotz seiner Krankheit von zwei Ratsherren besucht wurde, und aufgrund seiner evangelischen Haltung verurteilt wurde, sein Hab und Gut verkaufen, welches mit einer Zwangsvollstreckung am 25. April durchgesetzt wurde. Vgl. WA 50; 86f; Ernst Kroker: Leipzig (Stätten der Kultur. Eine Sammlung künstlerisch ausgestatteter Städte-Monographien 5), Leipzig 1908, 43f; Friedrich Seifert: Die Reforma-

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gesetzt wurde, und Kurfürst Johann, weswegen sich Luther veranlasst sah, die Schrift zu verfassen. Dem Schreiben ist ein Trostbrief angehängt, der sich an alle richtet, die um Christi Willen aus Leipzig verjagt wurden.371 Zum Schluss fordert er die Leipziger Freunde auf, getrost die Papisten »Kirche, Kirche« schreien zu lassen, da es ihnen nichts nütze.372 Außerdem fällt die Redewendung an einer weiteren prominenten Stelle in seiner Schrift »Von den Konziliis und Kirchen«.373 Luther hat sie kurz vor der Pfingstpredigt im März 1539 vollenden können.374 Zu Beginn der Schrift geht er in polemischer Weise auf falsche Bischöfe ein. Während sich früher die wahren Bischöfe als Märtyrer selbst gemartert und zugrunde gerichtet hätten, um die Kirche zu erhalten, richteten heutzutage die falschen Bischöfe eher die Kirche zugrunde, um sich selbst zu erhalten. Obwohl sie ständig »Kirche, Kirche« riefen, womit sie die reformatorisch Gesinnten plagten und jagten, seien sie dennoch der ärgste Feind der Kirche.375 Im dritten Teil seiner Schrift nimmt er diesen Ausruf wieder auf.376 In jenem Teil entfaltet Luther seinen Kirchenbegriff, der auffällige Parallelen zum ekklesiologischen Hauptteil der Pfingstpredigt aufweist. Am Ende der Leipziger Predigt leitet Luther wieder auf den Bibeltext zurück. Wiederum kritisiert er die weltlich-politischen Träumereien der Jünger Jesu. Sie sähen Jesus als zukünftigen Kaiser an und hofften, ebenfalls große Herrscher zu werden. Jedoch irrten sie darin, da Jesu Reich nicht von dieser Welt sei.377 tion in Leipzig. Zur 400 jährigen Geburtstagsfeier Dr. Martin Luthers, Leipzig 1883, 105. 115–118. 371   Vgl. WA 50; 108,1–127,35. 372   »Darumb, lieben freunde […], seid und bleibt jr feste und lasset euch niemand jrre machen und keret euch an kein geschwetz, wenns auch gleich jemand von den unsern thet, Sondern halt euch an unser Bekentnis und Apologia und an unsern brauch und that jnn unsern kirchen, so werdet jr uns nicht lassen bey euch verunglympffen noch anderm geschwetz widder uns gleuben. Aber jnn der sachen selbs des Sacraments halben haltet fest an dem Euangelio und Sanct Paulus lere, an welchen auch sich unser Apologia und unser kirchen brauch halten, Und lasset die Papisten rhuemen und schreien: Kirche, kirche, kirche« (WA 38; 127,22–30). 373   WA 50; 488. 509–653; StA 5; 488. 456–617. Vgl. hierzu Christopher Spehr: Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit (BHT 136), Tübingen 2010, 506–539. 374   Vgl. den Brief von Luther an Melanchthon vom 14. März 1539: »Ego meum scriptum de Ecclesia absolvi« (WA B 8; Nr. 3310, 391,23f). 375   »Sie schreien (sage ich) hiemit uber sich selbs, das sie nicht wollen die Kirche, noch in der Kirchen sein, Sondern wollen der Kirchen ergeste feinde sein und helffen, das sie zu grund gehe. Haben sie uns doch bisher so wol geplagt und geiecht mit dem wort Kirche, Kirche, und ist des schreiens und speiens kein mas noch ende gewest, Man solle sie fur die Kirchen halten, und haben uns jemerlich zu Ketzert, verflucht, ermordet, das wir sie nicht als die Kirchen haben wollen hoeren« (WA 50; 513,17–23; StA 5; 460, 12–18). 376   »Das sey gnug von den Concilien, woellen nu von der Kirche am ende auch reden. […] Gleich wie sie von den Vetern und Concilien schreien und nicht wissen, was Veter und Concilia sind, allein mit den ledigen buchstaben uns uberteuben wollen, Also schreien sie auch von der Kirchen« (WA 50; 624,2–7; StA 5; 584,34–585,4). 377   »Es wil aber Christus auch dem Apostel Judae mit diesen worten beantworten, der sich

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Rückblickend ist die Leipziger Predigt hinsichtlich ihres Inhalts und ihres historisch denkwürdigen Anlasses von Bedeutung. Luther entfaltet hier Grundgedanken seiner Ekklesiologie in kunstvoller Verknüpfung mit dem Bibeltext. Anhand der Frage des Jüngers Judas (Joh. 14, 21) thematisiert er den Begriff der falschen Kirche vor dem Hintergrund der Zwei-Reiche-Lehre. Der Ausruf »Kirche, Kirche« steht für ein verweltlichtes Kirchenverständnis, womit er indirekt auch den verstorbenen Georg von Sachsen kritisiert. Demgegenüber bildet Jesu Rede von der Wohnung Gottes (Joh. 14, 23) die Brücke zur Entfaltung seines Verständnisses von der wahren Kirche. Seine eingangs gesprochenen Worte, er wolle lediglich über den vorgesehenen Perikopentext predigen, kaschieren, dass Luther sich durchaus des besonderen Anlasses bewusst war. Trotz seiner gesundheitlichen Schwäche lässt er es sich nicht nehmen, die Kanzel zu betreten, wenngleich er auch in der kleineren Hofkapelle der Pleißenburg und nicht in der Thomaskirche predigt. Als würdiges Thema zur offiziellen Einführung der Reformation in Sachsen wählt er sein Kirchenverständnis. Dabei spart er nicht mit Kritik an den altgläubigen Vertretern und an den Anhängern Georgs. Insofern tritt Luther in der Leipziger Predigt seinem Selbstverständnis nach als herausragende Repräsentationsfigur der reformatorischen Bewegung auf.

Resümee Die ausgewählten Predigten geben Aufschluss über Luthers Rolle als Prediger an den Höfen der weltlichen Herrscher. Vier Funktionen konnten hier veranschaulicht werden: Luther als politischer Berater, als Erzieher, als Seelsorger und als Repräsentationsfigur der reformatorischen Bewegung. Als politischer Berater tritt er im Rahmen der Weimarer Obrigkeitspredigten auf. Hier nimmt Luther auf die aktuelle Situation vor Ort kaum Bezug, sondern entfaltet die grundsätzlichen Aufgaben und Grenzen der politischen Obrigkeit. Er gibt ihnen im Sinne eines Fürstenspiegels allgemeine Ratschläge zum Gelingen einer Regierung nach christlichen Maßstäben: Bewahrung von Sicherheit und Frieden, Vorsicht vor den eigenen Räten und das verantwortliche Handeln bilden die Kernthemen. Als bahnbrechende Neuerung aus predigtgeschichtlicher Perspektive ist der Sachverhalt hervorzuheben, dass Luther den ansonsten mehr im Kontext von Lehrbüchern entfalteten Fürstenspiegel auf die Kanzel brachte. Die Unterweisung erfolgt hier nicht schriftlich, sondern mündlich. Auch wenn dies in Ansätzen wohl zur Rolle eines damaligen Hofpredigers gehörte, ist die Grundsätzlichkeit, mit der Luther sich diesem Thema auf der Kanauch trewmen liesse, Christus wuerde ein grosser Weltlicher Keyser und sie, die Apostel, solten grosse Herren in Laendern werden, wenn er sich wuerde offenbahren. Aber weit gefehlet, hie sagets jhnen Christus frey heraus, daß sein Reich nicht sey von dieser Welt« (WA 47; 779,7–11).

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zel widmet, doch von besonderer Bedeutung. Die Weimarer Predigt markiert insofern den Beginn einer noch wenig in der Predigtgeschichte erforschten Reihe von evangelischen Fürstenpredigten. Der Begriff »Fürstenprediger«, der negativ konnotiert die Gehorsamstreue des Predigers gegenüber dem Herrscher bezeichnet, erhält somit eine ganz neue Bedeutung. In der Wörlitzer Predigt nimmt Luther die Rolle des Erziehers und Seelsorgers ein. Das Emanzipationsbestreben der jungen Anhaltiner mit Bezug auf ihre altgläubigen Vormünder, ihre zögerliche Haltung als junge Herrscher, die Reformation in ihrem Gebiet einzuführen, und das Streben des Kurprinzen Joachim II. von Brandenburg, in den Krieg gegen die Türken zu ziehen, sind Luther vor Augen, wenn er die Hofkanzel in Wörlitz betritt. Ohne die Dinge beim Namen zu nennen, werden die verschiedenen Gefühlslagen der Herrscher indirekt durch die Auswahl der Themen und durch die Interpretation des Bibeltextes aufgenommen. Insofern ist die Wörlitzer Predigt Ausdruck von Luthers bewusster Hörerorientierung in seinen Kanzelreden. Als Hauptrepräsentant der reformatorischen Bewegung tritt Luther in der Leipziger Predigt aus dem Jahr 1539 auf. Der historisch denkwürdige Anlass, die Einführung der Reformation in Sachsen, bildet den Rahmen für seine Auslegung. Trotz gesundheitlicher Schwäche betritt Luther die Kanzel und thematisiert bewusst den Kirchenbegriff. Innerlich hält er dabei Rückblick auf sein Verhältnis zu Georg von Sachsen. Seine Predigt weist insofern auf seine zahlreichen Repräsentationsaufgaben hin, die Luther nicht nur in mündlichen Beratungen, sondern auch auf der Kanzel ausgeübt hat.

Fünftes Kapitel

Im Schatten des Augsburger Reichstages Die Coburger Predigten aus dem Jahr 1530

Einleitung Der Augsburger Reichstag bildete für die Reformation eine besondere Wegmarke. Vom 2. April bis zum 5. Oktober 1530 begleitete Luther die evangelischen Politiker und Theologen. Da er aufgrund des Banns nicht selbst am Reichstag teilnehmen durfte, hielt sich der Reformator fünf Monate lang vom 15. April bis zum 5. Oktober 1530 auf der Veste Coburg auf. In dieser spannungsvollen Zeit versuchte Luther nicht nur durch Gespräche, Briefe und Schriften, sondern auch durch Predigten Einfluss zu nehmen. Die zehn überlieferten Coburger Predigten bieten ein ganz eigenes Bild von den Ereignissen der Zeit. Die ersten sechs Predigten hat er zu Ostern gehalten, also noch vor dem Augsburger Reichstag. Die weiteren vier stammen aus dem September, also aus der Zeit nach den Ereignissen auf dem Reichstag. Zu den Predigten im Vorfeld des Augsburger Reichstags schreibt Theodor Knolle, sie seien »Bekenntnispredigten ersten Ranges«, »die vor der Stunde wichtigster Entscheidungen in Augsburg das reformatorische Programm noch einmal in seinen großen Linien umreißen«.1 Luthers Ziel war es, seine Mitstreiter zu stärken und sie zur Standhaftigkeit hinsichtlich der gemeinsamen reformatorischen Überzeugungen zu bewegen. »Ich kann nicht genug bewundern die ausnehmende Standhaftigkeit, die Heiterkeit, den Glauben und die Hoffnung dieses Mannes in so herber Zeit«.2 So beschreibt Veit Dietrich, der mit Luther auf der Coburg während des Reichstags weilte, die Haltung des Reformators treffend, die sich auch in seinen Predigten erkennen lässt. Freilich geht Luther in diesen ersten Kanzelreden kaum direkt auf den Augsburger Reichstag ein. Dennoch können sie nicht losgelöst von den bevorstehenden Herausforderungen interpretiert werden. Am genauesten formulierte dies Wolfgang Schanze: »Nur selten redet Luther in diesen Predigten von den Ereig  Theodor Knolle: Luthers Coburger Predigten, in Luther 12 (1930), 10–15. 105–114, hier S. 11. Vgl. ferner Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008, 89– 96. 2   »Non possum satis mirari singularem hominis in his acerbissimus temporibus constantiam, hilaritatem, fidem, spem« (Brief Veit Dietrichs an Melanchthon vom 30. Juni 1530, CR. 2, Nr. 755, 158–160, hier 159,2–5). 1

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Sechstes Kapitel:  Im Schatten des Augsburger Reichstages

nissen der Zeit, von der bevorstehenden Entscheidung in Augsburg. Er predigt das Evangelium des Tages scheinbar ganz objektiv, ohne direkte Anwendung auf das, was unserer Meinung nach damals allen am Herzen lag. Und doch spürt man aus diesen Predigtworten den Hauch der großen Zeit heraus«.3 Aufgrund dieser Beobachtung ist zu fragen: Wie spiegelt sich jene Großwetterlage in den Predigten wider? Wie legt Luther die Predigttexte aus, um seine reformatorischen Ansichten zu bekräftigen, um die Zuhörenden seelsorgerlich zu stärken und um sie auf das Kommende vorzubereiten? Nach Beendigung des Reichstages reisten die Vertreter wieder von Augsburg zurück auf die Veste Coburg. Zunächst traf der Kurprinz ein, der vom Kurfürsten vorausgeschickt worden war. Aus diesem Anlass begann Luther wieder seine Predigttätigkeit. In jenen Kanzelreden im September und Anfang Oktober nahm Luther rückblickend Stellung zu den Ergebnissen der Verhandlungen. Gerade die letzte Predigt kurz vor der Rückreise in Gegenwart des sächsischen Kurfürsten enthält in eindrücklicher Weise eine Bewertung des gerade zu Ende gegangenen Reichstags in Verbindung mit der Auslegung des Sonntagsevangeliums. Wie genau diese Bewertung im Rahmen der Predigt aussieht, soll im Folgenden betrachtet werden. Um die Coburger Predigten in ihrem historischen Kontext besser zu verstehen, wird in einem ersten Abschnitt die religionspolitische Ausgangssituation betrachtet. Hierbei soll gezeigt werden, inwieweit die Zeit von Hoffnung und Enttäuschung geprägt war und welche innerevangelischen Konflikte sich bereits im Vorfeld anbahnten, die Luther auch in seinen Predigten reflektiert. Im zweiten Teil sind die Hinreise, Luthers Coburger Aufenthalt und die Rückreise zu beschreiben, um die Predigten in ihrer zeitlichen Abfolge genauer zu erfassen. Dabei wird auch bereits die Überlieferung der Predigten in den Blick genommen. In exemplarischer Weise werden vier Predigten ausgewählt, in denen Luthers Stellungnahmen zum Augsburger Reichstag besonders deutlich werden. Die ersten hielt Luther vor und die beiden anderen nach dem Reichstag.

1. Die religionspolitische Ausgangssituation Zwei Jahre vor dem Augsburger Reichstag wurde die Lage für die evangelischen Reichsstände gegenüber den Altgläubigen denkbar ungünstig.4 Insbesondere drei Ereignisse führten zu einer Verschlechterung der Situation. Durch die so  Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 12.   Allgemein zum Thema vgl. Herbert Immenkötter (Hg.): Im Schatten der Confessio Augustana. Die Religionsverhandlungen des Augsburger Reichstages 1530 im historischen Kontext (RST 136), Münster 1997; Rolf Decot (Hg.): Vermittlungsversuche auf dem Augsburger Reichstag 1530. Melanchthon – Brenz – Vehus (VIEG, Supplement 26), Wiesbaden 1989; Rainer Wohlfeil: Das Schicksal der Reformation vor und nach dem Augsburger Reichstag, in: Bernd Lohse/Otto Hermann Pesch (Hg.): Das »Augsburger Bekenntnis« von 1530 damals und heute, München u. a. 1980, 79–98; Heinrich Bornkamm: Martin Lu3 4

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genannten »Packschen Händel« wäre es beinahe zu einem Krieg zwischen den evangelischen und altgläubigen Herrschern gekommen.5 Otto Pack, der Vizekanzler des sächsischen Herzogs Georg, gewährte am 18. Februar 1528 Philipp von Hessen Einblick in eine Urkunde über ein angeblich in Breslau geschlossenes Geheimbündnis zahlreicher katholischer Fürsten unter der Führung Ferdinands von Österreich. 6 Diese Urkunde besiegelte angeblich ein militärisches Vorgehen gegen die evangelischen Reichsstände. Daraufhin ließ Philipp von Hessen seine Truppen bis an die Grenzen der fränkischen Bistümer vorrücken, um den vermeintlichen Angreifern durch einen Präventivschlag zuvorzukommen.7 Philipp suchte nach Bündnispartnern für dieses Vorgehen. Jedoch verweigerte Kurfürst Johann die Unterstützung, nachdem er sich auch mit den Wittenberger Theologen beraten hatte. Hier deuteten sich bereits die ersten Unterschiede in der hessischen und kursächsischen Religionspolitik an. 8 Da zahlreiche Altgläubige mit Gegenrüstungen begannen, drohte im Frühjahr 1528 ein Krieg. Dessen Ausbruch wurde jedoch verhindert, als sich herausstellte, dass es sich bei Packs Dokumenten um Fälschungen handelte.9 ther in der Mitte seines Lebens. Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag, aus dem Nachlaß hg. v. Karin Bornkamm, Göttingen 1979. 5  Vgl. Jan Martin Lies: Zwischen Krieg und Frieden. Die politischen Beziehungen Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen zum Haus Habsburg 1534–1541, Göttingen 2013, 67–83; René Hauswirth: Landgraf Philipp von Hessen und Zwingli. Voraussetzungen und Geschichte der politischen Beziehungen zwischen Hessen, Strassburg und Konstanz, Ulrich von Württemberg und reformierten Eidgenossen 1526–1531 (Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte 35), Tübingen 1968, 27–50; Johannes Kühn: Landgraf Philipp von Hessen. Der politische Sinn der sogenannten Packschen Händel (1528–1928), in: Staat und Persönlichkeit, FS für Erich Brandenburg, Leipzig 1928, 107–129; Georg Mentz: Zur Geschichte der Pakschen Händel, in: ARG 1 (1903/04), 172–191. – Einblick in die Quellen erhält man durch Kurt Dülfer: Die Pack’schen Händel. Darstellung und Quellen (Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landgrafen Philipp des Großmütigen 3), Marburg 1958; Karl Schottenloher: Die Druckschriften der Pack’schen Händel, in: ZfB 25 (1908), 296– 220 u. 255–259. Vgl. ferner die ältere Debatte, ob Philipp von der Falschheit der Dokumente gewusst habe oder er sogar Urheber der Gerüchte gewesen sei. Diese Auffassung vertreten Ehses, Schwarz und Niemöller. Vgl. Joseph Niemöller: Ein Wort über die sogenannten Pack’schen Händel und ihre Behandlung in der Geschichte, in: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 104 (1889), 1–24; Hilar Schwarz: Landgraf Philipp von Hessen und die Pack’schen Händel. Mit archivalischen Beilagen (Historische Studien 13), Leipzig 1884; Stephan Ehses: Landgraf Philipp von Hessen und Otto von Pack. Eine Entgegnung, Freiburg im Breisgau 1886; Ders.: Geschichte der Pack’schen Händel. Ein Beitrag zur Geschichte der Deutschen Reformation, Freiburg im Breisgau 1881. 6  Vgl. Kurt Dülfer: Die Pack’schen Händel. Darstellung und Quellen (Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landgrafen Philipp des Großmütigen 3), Marburg 1958, Teil 2, Nr. 106, 131–139. 7  Vgl. Georg Mentz: Zur Geschichte der Pakschen Händel, in: ARG 1 (1903/04) 173– 180. 8  Vgl. Eike Wolgast: Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen (QFRG 47), Gütersloh 1977, 114–125. Vgl. ferner WA 30 II; 1–23. 9   Philipp von Hessen übersandte am 17. Mai 1528 Georg von Sachsen zur Begründung

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Ein weiterer Nachteil für die evangelische Seite entstand, als der seit 1521 geführte Kampf um die Vorherrschaft über Norditalien zwischen Kaiser Karl V. und Papst Clemens VII. auf friedliche Weise gelöst werden konnte.10 Wegen des Konflikts war in den Vorjahren ein Machtvakuum entstanden. Hierdurch ergab sich für die evangelischen Reichsstände ein größerer Freiraum, die Reformation voranzutreiben. Am 29. Juni 1529 kam es zum Friedensschluss von Barcelona und am 3. August zum Frieden von Cambrai, wodurch sich Karl V. wieder stärker der Religionsfrage in den deutschen Landen zuwenden konnte.11 Die Annäherung von Kaiser und Papst bekamen die evangelischen Reichsstände bereits auf dem zweiten Reichstag zu Speyer im Frühjahr 1529 schmerzlich zu spüren.12 Auf diesem Reichstag, bei dem der Kaiser durch seinen Bruder Ferdinand I. vertreten wurde, erfolgte die Aufhebung des für die Evangelischen günstigen Formelkompromisses vom ersten Reichstag zu Speyer 1526.13 Der Formelkompromiss enthielt für die evangelische Partei zwei vorteilhafte Bestimmungen.14 Zum einen sollte eine Klärung der Glaubensfragen bis zu einem seiner Aufrüstung den vermeintlichen Breslauer Bündnisvertrag. Dieser entlarvte sofort die Fälschung und veröffentlichte dies am 21. Mai, worauf sich Philipp in Form eines Flugblattes öffentlich entschuldigte. Pack floh in die Niederlande, wurde aber auf Herzog Georgs Verlangen verhaftet und 1537 hingerichtet. Vgl. hierzu die Quellen in: Adolf Laube (Hg.): Flugschriften gegen die Reformation (1525–1530), Bd. 1, Berlin 2000, 610–669. 10  Vgl. Horst Rabe: Befunde und Überlegungen zur Religionspolitik Karls V. am Vorabend des Augsburger Reichstags 1530, in: Erwin Iserloh (Hg.): Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche (RST 118), Münster 2 1981, 101–112, hier 104f. 11  Vgl. Gerhard Müller: Die Römische Kurie und die Reformation 1523–1534. Kirche und Politik während des Pontifikates Clemens’ VII. (QFRG 38), Gütersloh 1969, 76–79. 288; Kurt Kaser: Das Zeitalter der Reformation und Gegenreformation von 1517–1660, Gotha 1922, 27–30; Ludwig Pastor: Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 4, Abt. 2, Freiburg 1923, 356–361. 12  Vgl. Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (QFRG 72), Gütersloh 2001, 365–380; Johannes Kühn: Die Geschichte des Speyrer Reichstages 1529 (SVRG 146), Leipzig 1929. Vgl. ferner Wolfgang Eger: Reformation und Protestation in Speyer, Speyer 1990; Reiner Wohlfeil/Hans-Jürgen Goertz: Gewissensfreiheit als Bedingung der Neuzeit. Fragen an die Speyerer Protestation von 1529 (BenshH 54), Göttingen 1980; Wolfgang Sommer: Konfession und Toleranz. Im Gedenken an den Reichstag zu Speyer 1529, in: Luther 50 (1979), 128–134. 13  Vgl. Walter Friedensburg: Der Reichstag zu Speyer 1526. In Zusammenhang der politischen und kirchlichen Entwicklung Deutschlands im Reformationszeitalter (Historische Untersuchungen 5), Berlin 1887, Neudruck Nieuwkoop 1970, 469–487. Zu den Reichstagen und der Stadtgeschichte vgl. Anette Baumann/Joachim Kemper (Hg.): Speyer als Hauptstadt des Reiches. Politik und Justiz zwischen Reich und Territorium im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin 2016. 14   Einen Zugang zu den Quellen erhält man durch Wolfgang Steglich (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., Bd. 8/1: Die protestierenden Reichsstände und Reichsstädte zwischen den Reichstagen zu Speyer 1529 und Augsburg 1530 (Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe), Göttingen 1970; vgl. ferner die editorisch allerdings ungenügende Zusammenstellung der Quellen durch Julius Ney (Hg.): Die Appellation und Protestation

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nächsten Generalkonzil oder einer Nationalversammlung verschoben werden. Damit gewannen die evangelischen Gebiete Zeit, ihre Reformen in Schulen, Gottesdiensten und Universitäten durchzusetzen. Zum anderen wurde die Durchführung des Wormser Ediktes, welches Luther unter Reichsacht stellte, in die Verantwortung der einzelnen Reichsstände gelegt. Das bedeutete für Luther, dass er weiterhin in Wittenberg unter der Obhut des Fürsten tätig sein konnte. Diese Bestimmungen, die den Reformbewegungen Freiraum verschafften, wurden nun auf dem zweiten Reichstag zu Speyer zurückgenommen. Außerdem verbot man der evangelischen Partei, kirchliche Änderungen, insbesondere die Umgestaltung der Messe und Neuerungen in der Lehre, einzuführen. Die Reformwilligen konnten gegen diese Verordnungen nichts bewirken, weshalb ihnen lediglich die Möglichkeit blieb, eine Protestation einzureichen, eine Rechtsverwahrung, welche die Verpflichtung auf den Reichstagsbeschluss verhindern sollte, woraus der Name »Protestanten« entstand.15 Angesichts der bedrohlichen Lage kam die Frage auf, wie man sich in Zukunft gegenüber Papst und Kaiser verhalten solle.16 Philipp von Hessen und Kurfürst Johann von Sachsen waren sich einig, dass man für einen besseren Zusammenhalt unter den Evangelischen sorgen müsse. Jedoch gab es divergierende Ansichten hinsichtlich der Frage, wie weit ein solches Bündnis reichen solle. So strebte insbesondere Philipp ein umfassendes politisches Bündnis in Deutschland und in der Schweiz an.17 Ebenso führte Philipp Verhandlungen mit Dänemark, Frankreich und Venedig, die zu der Zeit Gegner Karls V. waren. Der politisch-territoriale Grund Philipps für eine solch groß angelegte Bündnispolitik war die Überlegung, dass Hessen bei einem Angriff des Kaisers viel stärker in Mitleidenschaft gezogen worden wäre als die nördlicher gelegenen Regionen Kursachsens. Um jedoch ein solches Großbündnis zu erreichen, war eine Beilegung der Lehrstreitigkeiten zwischen Luther und Zwingli dringend erforderlich. Deshalb veranstaltete Philipp von Hessen vom 27. September bis 4. Oktober 1529 die Marburger Religionsgespräche, an denen Luther, Melanchthon, Zwingli u. a. teilnahmen, woraus die ›Marburger Artikel‹ entstanden, die in 14 Artikeln die Gemeinsamkeiten zwischen Lutheranern und Zwinglianern gegenüber der römischen Kirche dokumentierten und in einem Artikel die Unterder evangelischen Stände auf dem Reichstage zu Speier 1529 (Quellenschriften zur Geschichte des Protestantismus 5), Leipzig 1906, Neudruck Darmstadt 1967. 15   Zur Protestation als Rechtsfigur vgl. Klaus Schlaich: Die »protestatio« beim Reichstag in Speyer 1529 in verfassungsrechtlicher Sicht, in: ZEvKR 25 (1980), 1–19. 16   Eine Zusammenfassung bietet Heinrich Bornkamm: Martin Luther in der Mitte seines Lebens. Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag, aus dem Nachlaß hg. von Karin Bornkamm, Göttingen 1979, 558–585. 17  Vgl. René Hauswirth: Landgraf Philipp von Hessen und Zwingli. Voraussetzungen und Geschichte der politischen Beziehungen zwischen Hessen, Strassburg und Konstanz, Ulrich von Württemberg und reformierten Eidgenossen 1526–1531 (Schriften zur Kirchenund Rechtsgeschichte 35), Tübingen 1968, 100–117.

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schiede.18 Jedoch konnte der wichtigste Konflikt hinsichtlich des Abendmahlsverständnisses letztlich nicht überwunden werden. Im Gegensatz zur offensiven Bündnispolitik Philipps vertrat Kurfürst Johann von Sachsen eine eher defensive Strategie. Noch vor den Marburger Religionsgesprächen Anfang Juli teilte er den Wittenbergern seine Absicht mit, kein großes Bündnis mit den Anhängern Zwinglis anzustreben, was Luther und Melanchthon auch unterstützten.19 Aufgrund dieser Überlegungen begannen beide die Arbeit an Bekenntnisartikeln, die sich gegen die Abendmahlslehre insbesondere Zwinglis richteten.20 So kam es direkt im Anschluss an das Marburger Treffen zur Versammlung in Schwabach vom 16. bis 19. Oktober, auf der Philipp von Hessen die Marburger Artikel zur gemeinsamen Bekenntnisgrundlage eines politischen Bündnisses machen wollte. Doch der Plan scheiterte, weil Johann die eigenen sogenannten »Schwabacher Artikel« vorstellte, die aufgrund ihrer antizwinglianischen Prägung von Hessen und der oberdeutschen Richtung unmöglich angenommen werden konnten.21 Damit war der Versuch eines Großbündnisses aus religionspolitischen Erwägungen zerschlagen. In jener – auch innerevangelisch gesehen – spannungsreichen Zeit wurde bekannt, dass Karl V. einen Reichstag in Augsburg plante. Am 21. Januar 1530 erfolgte das Reichstagsausschreiben, welches jedoch überraschend milde gestimmt war. Die Glaubensgegensätze sollten angehört und erwogen werden.22 Der Grund für diese angebotene Verständigungsbereitschaft lag vor allem darin, dass Karl V. einen Krieg mit der evangelischen Partei vermeiden wollte, da er auf deren finanzielle Hilfe angewiesen war, um gegen die türkische Bedrohung vorzugehen. So forderte Johann von Sachsen am 14. März die Wittenberger auf, sich auf den kommenden Reichstag mit einer Reihe eigener Gutachten

18   Vgl. hierzu umfassend Wolf-Friedrich Schäufele (Hg.): Die Marburger Artikel als Zeugnis der Einheit, Leipzig 2012. 19  Vgl. Hans von Schubert: Bekenntnisbildung und Religionspolitik 1529/30 (1524– 1534). Untersuchungen und Texte, Gotha 1910. 20   Luther stützte sich bei der Verfassung dieser Artikel auf seine Schrift »Vom Abendmahl Christi« von 1528. Zeitgleich zum Marburger Religionsgespräch einigten sich Sachsen und Brandenburg-Ansbach bei einem Treffen in Schleiz auf diese Artikel. 21   Vgl. BSELK.TM 1, 38–42. 22   »Furter wie der irrung und zwispalt halbe[n] in dem hailigen glauben und der Christlichen Religion gehandelt und beschlossen werden mug und solle: und damit solchs […] zwitrachten hinzulegen: widerwillen zulassen: vergangne Irsal unserm seligmacher zuergeben: und vleis anzukeren: alle ains yeglichen gutbeduncken: opinion und maynung zwischen uns selbs in liebe und gutligkait zuhoren: zuverstehen: und zuerwegen: die zu ainer ainigen Christlichen wahrhait zubrengen und zuuergleichen. alles so zu baide[n] tailen nit recht ist ausgelegt oder gehandelt abzuthun: durch uns alle ain ainige und ware Religion anzunemen und zuhalten: und wie wir alle unter ainem Christo sein und streiten: also alle in ainer gemainschaft kirchen und ainigkait zuleben« (Eduard Förstemann [Hg.]: Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Bd. 1, Halle 1833, Nr. 1, 1–8, hier 7f).

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vorzubereiten.23 Darin sollte die Differenz zu den Altgläubigen in Glaubensfragen und Kirchengebräuchen gerechtfertigt werden. Aus diesem Gutachten entstanden die »Torgauer Artikel«, die insbesondere die Position bezüglich des Laienkelchs, des Zölibats, des Gottesdienstverständnisses und des Bußsakraments thematisierten.24 Die ursprüngliche Absicht, mit der man sich auf den Weg zum Reichstag begab, war insofern die Rechtfertigung und kaiserliche Anerkennung von eher kursächsisch geprägten Kirchenriten.

2. Die Predigten im Kontext der Coburger Reise Nach der Frühpredigt am 2. April brach Luther mit Philipp Melanchthon, Justus Jonas und Veit Dietrich auf, um sich in Torgau dem Gefolge des Kurfürsten anzuschließen.25 Ein Tag später am Montag begann die Reise nach Coburg mit Übernachtungen in Grimma (3./4. April), Altenburg (4./5. April), Eisenberg (5./6. April), Jena (6./7. April), Weimar (7. oder 8. bis 12. April), Saalfeld (12./13. April), Gräfenthal (13./14. April) und Neustadt an der Heyde (14/15. April). Die Ankunft auf der Veste Coburg erfolgte abends am 15. April.26 Neben den Wittenbergern sowie den Mitreisenden Georg Spalatin, Johann Agricola und Andreas Osiander begleiteten Kurfürst Johann dessen Sohn Johann Friedrich, Herzog Franz von Lüneburg, Fürst Wolfgang von Anhalt und Graf Albrecht von Mansfeld. Ferner reisten die beiden Kanzler Gregor Brück und Christian Baier sowie der Leibarzt Caspar Lindemann neben weiteren 70 Adligen mit.27 Mit der Dienerschaft soll der gesamte Tross auch etwa 160 Pferde umfasst haben.28 Weil die Reise in die Zeit vor Ostern fiel, predigte Luther am Palmsonn »[…] daß wir aller der Artikel halben, darumb sich angezeigter Zwiespalt, beide im Glauben und auch in andern äußerlichen Kirchenbräuchen und Ceremonien, erhältet, zum furderlichsten dermaßen gefaßt werden […], auf daß Jhr hier zwuschen und nächst kunftigem Sonntags Oculi [20. März 1530] domit fertig werden und auf demselbigem benanntem Sonntag sämptlich allher jegen Torgau damit kommen muget« (Brief des Kurfürsten Johann an Luther, Jonas und Bugenhagen vom 14. März 1530, WA B 5; Nr. 1538, 264f,24–40. Vgl. Gunter Wenz: Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirchen. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch, Bd. 1, Berlin u. a. 1996, 419–429. 24  Vgl. Eduard Förstemann (Hg.): Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Bd. 1, Halle 1833, Nr. 27, 66–108. 25   »Ego cum Principe Coburgum vsque vado, vna & Philippus & Ionas, donec notum fiat, quid Auguste tentetur« (Brief Luthers an Nikolaus Hausmann vom 2. April 1530, WA 5; Nr. 1543, 271,10f). 26  Vgl. Georg Buchwald: Luther-Kalendarium, Leipzig 21929, 70f; Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 190–207; Carl August Hugo Burkhardt: Altes und Neues über Luthers Reisen, in: ZKG 19 (1899), 99–105, hier 102. 27   Eine genauere Auflistung der Reisebegleiter erfolgt bei Johann Gottfried Pressel: Die augsburgische Confession mit einer ihre Jubelfeyer erläuternden Einleitung und mit Anmerkungen über ihren Inhalt und seine Gegensätze, Tübingen 1830, XXI. 28  Vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 23

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tag (10. April) sowie an den Folgetagen in Weimar, in der Karwoche wohl am Mittwoch in der Johanniskirche in Saalfeld, am Gründonnerstag in Gräfenthal und am Karfreitag in dem nahe Coburg gelegenen Neustadt an der Heyde.29 Die Inhalte dieser Predigten sind nicht überliefert. Seit 1485 war Coburg unter ernestinischer Herrschaft.30 Von seiner Sprache und Siedlungsgeschichte her eher mit dem fränkischen Bereich verbunden, bildete die Burg die südlichste Aufenthaltsmöglichkeit auf ernestinischem Boden. Ungefähr 30 Mann Besatzung lebten gewöhnlich auf der Burg, darunter zwölf Nachtwächter und zwei Türmer.31 Bereits auf der Hinreise war sich Luther bewusst, dass er nicht bis ganz nach Augsburg mitreisen durfte.32 Zum einen war es zu heikel, den unter der Reichsacht stehenden Anführer der Reformation mitzubringen. Dies hätte den Kaiser unnötig provoziert. Zum anderen gab es Bedenken gegen Luthers Eignung als diplomatischer Unterhändler. In einem Brief an Eobanus Hessus nimmt Luther darauf scherzhaft Bezug, jemand habe zu ihm gesagt: »Schweige, du hast eine schlechte Stimme«.33 Zum Dritten war die Entscheidung endgültig gefallen, als der Augsburger Geleitbrief ausdrücklich keinem Geächteten Schutz zusicherte.34 Der Kurfürst hatte ursprünglich überlegt, Luther in der Reichsstadt Nürnberg unterzubringen. Während der Hinreise schrieb er einen Brief an den Nürnberger Bürgermeister mit der Bitte, ihn dort zu beherbergen.35 Damit wäre 1769, 191. Er zitiert Johann Sebastian Müller: Des Chur- und Fürstlichen Hauses Sachsen Ernestin- und Albertinischer Linien. Annales von Anno 1400 bis 1700, Leipzig 1700, 84. 29   In Müllers Sächsischen Annalen wird berichtet: »Unterweges predigte D. Luther an vielen Orten« (ebd.). Vgl. ferner Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 10. 30  Vgl. Horst Gehringer/Heinrich Schepers: Coburg, in: Wolfgang Adam/Siegrid Westphal (Hg.): Handbuch kultureller Zentren der frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum, Bd. 1, Berlin u.   a. 2012, 239–273. 31   »Dicuntur ultra 30 homines hic panem comedere, intra quos sunt 12 nocturni vigiles et duo speculatores drometarii in diversis turribus« (Brief Luthers an Melanchthon vom 24. April 1530, WA B 5; Nr. 1552, 286,21–23). 32   Im Brief an Cordatus vom 2. April rät Luther ihm ab, nach Coburg zureisen: »Primum, quod ego non sum eo vocatus, sed cum Principe itinere sui dominii tantum ibo certis de causis« (WA B 5; Nr. 1544, 273,18f). 33   »Quatuor epistolas ad te mitto simul, mi Eobane, easque viventes et loquentes, imo eloquentissimas, Iustum, Philippum, Spalatinum et Agricolam; fuissem ego libens quinta, sed erat, qui diceret mihi: tace, tu habes malam vocem« (Brief Luthers an Eobanus Hessus vom 23. April 1530, WA B 5; Nr. 1550, 283,3–6). 34   Im Geleitbrief der Stadt Augsburg wird allen Sicherheit mit folgender Ausnahme gewährt: »Doch nemen wir hier Inne aus, Ob sein Churfurstlich gnad Jemant bej sich hetenn vnnd alher bringen wurden, Der oder die Eegerurter kaiß[erliche]n M[aiestät] vnnd des hailigenn Reichs Aufgerichtenn Landfriedenn verbrochen vnd Inn straff vnnd peenfall desselbenn gefallen weren, Die wir Zuuerglaiten nit Macht habenn, Alles sonder gefarde« (Karl Eduard Förstemann [Hg.]: Urkundenbuch zur Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Bd. 1, Halle 1833, Nr. 61, 160f). 35   »Wollen wir euch […] nicht bergen, das wir doctor Lutherum sambt etlichen mehr gelerten aus vnser vniuersitet zu Witenberg mit vnns auf die Raisze genomen, vnnd ob wir inen

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eine Briefsendung durch einen reitenden Boten innerhalb von zwei Tagen statt innerhalb von drei bis vier Tage möglich gewesen.36 Doch die Anfrage brachte die Stadt in große Verlegenheit. Die Befürchtung war, wie es Lazarus Spengler in einer Instruktion formulierte, dass der Rat aufgefordert werden könnte, Luther dem Kaiser auszuliefern.37 Um den Kurfürsten von den Nachteilen persönlich zu überzeugen, schickte der Stadtrat den Unterhändler Michael Kadan, der am 16. April in Coburg eintraf und den Kurfürsten erfolgreich vom Plan abbringen konnte, sodass Coburg Luthers Aufenthaltsort wurde.38 Für die Stadtkirche St. Moritz sind sechs Osterpredigten im Beisein des kurfürstlichen Reisezugs überliefert.39 Die erste hielt Luther am Samstag vor Ostern, dem 16. April.40 Sie thematisiert das Leiden Jesu als Vorbild für das eigene Leiden.41 Für den Ostersonntag sind zwei Predigten überliefert. Am Vormittag sprach er in einer Themenpredigt über die Ursache und den Nutzen der Auferstehung.42 Am Nachmittag legte er den Auferstehungsbericht (Mk. 16, 1–8) aus woll nachdem die ausschreibung dauon nichts meldet Jegen Augspurg, nicht mut vnns nehmen durffen, wolten wir doch […] inen in gehaim gern dermaaßen an ein gelegen sicher ort, neher dann inn vnnsern landen wisßen, domit wir vnns nach gelegenhait der frufallendenn hendel, vnnd derselbigen sachen, seins rate dester fruderlicher erholennn mochten, wenn wir dann kaynen ort wißsen ugen, do ehr sicherer vnndneher zuerraichenn, dann zu Nurmberg« (Vgl. Brief des Kurfürsten Johann an den Nürnberger Bürgermeister, Eisenberg, 7. April 1530 in: Theodor Kolde: Nürnberg und Luther vor dem Reichstage zu Augsburg, in: Theodor Brieger u. a. (Hg.): Kirchengeschichtliche Studien. Hermann Reuter zum 70. Geburtstag mit einer Beigabe, Leipzig 1888, 251–263, hier Nr. 1, 256f). 36  Vgl. Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 11. 37   »Sollten nun die verhinderer gottes wort ausz luthers herusz Raisen, vnd wo sie den zu Nurmberg wessten, wie es dann haimlich zu hallten nit wol möglich were, vrsach schöpfen, dester beschwerlicher vnd hitziger zu hanndeln vnd die kays[serliche] M[ajestä]t zu uberantworten, oder aber Rechts zu gestatten mit anzaig, […] das auch ain Rate nit macht gehabt hetten, ine irer kays[serliche] M[ajestä]t dem heiligen Reich vnnd allen desselben glidern zuwider […] zugegen, zuuerglaiten« (Vgl. Theodor Kolde: Nürnberg und Luther vor dem Reichstage zu Augsburg, in: Theodor Brieger u. a. [Hg.]: Kirchengeschichtliche Studien. Hermann Reuter zum 70. Geburtstag mit einer Beigabe, Leipzig 1888, 251–263, Nr. 4, Instruction von Lazarus Spengler für Michael von Kadan, 257–261, hier 259). 38   »Ego mandatus sum a Principe (vbi alii abierint ad Comitia) Coburgi manere, nescio qua causa« (Brief Luthers an Nikolaus Hausmann vom 18. April 1530, WA B 5; Nr. 1547, 277f, hier 277,17f). 39  Vgl. Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008, 89–96; Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 12. 74–76; Georg Buchwald: Koburger Predigten Martin Luthers aus dem Jahre 1530, Leipzig 1917; Ders.: Ungedruckte Predigten D. Martin Luthers im Jahre 1530 auf der Coburg gehalten, Zwickau 1884. 40   Vgl. WA 32; XXVIII. 28–39. 41   Siehe unten Seite 310. 42   Vgl. WA 32; XLIV. 39–47. In der Einleitung weist Luther darauf hin, man solle nicht denken, bereits alles von den Historien der Auferstehung zu wissen. Vielmehr sei es wichtig, immer wieder die Berichte zu lesen (WA 32; 39, 13–19). Der Hauptteil gliedert sich in zwei Teile: »[…] warumb solche historien geschehen und wa[s] zu sie uns nutz sey« (WA 32; 39,20f). Die Ursache bestehe im Triumph über Sünde, Tod und Teufel. Er veranschaulicht diesen Triumph in Form einer Gerichtsszene, in der Jesus den Teufel ins Verhör nimmt (WA

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und konzentrierte sich hierbei auf die Frauen am Grab sowie das Wort des Engels.43 Am Ostermontag predigte er wahrscheinlich nur am Nachmittag.44 Außerdem sprach er in der Woche nach Ostern am Mittwoch, dem 20. April, über die Erscheinung Christi am See Tiberias (Joh. 21, 1–14).45 Einen Tag später predigte er über die Begegnung Maria Magdalenas mit dem Auferstandenen (Joh. 20, 11–18).46 Diese Predigten wurden von Veit Dietrich in deutscher Sprache 32; 40,26–41,6). Der Teufel dachte, er könne den kleinen Regenwurm Christus verschlingen, doch wurde er als Fisch selber von der Angel der göttlichen Natur Christi gefangen (WA 32; 41,17–26). Im zweiten Teil beschreibt Luther den Nutzen der Auferstehung (WA 32; 43, ab Z. 37). Christus habe dies nicht für sich, sondern für den Menschen getan. Luther betont hier das existenzielle Erlebnis von Sündenerkenntnis und Rechtfertigung, wodurch Christi Auferstehung zu einem Geschenk pro nobis wird. In indirekter Anspielung auf den Augsburger Reichstag zitiert er Mt. 24, 5, dass viele falsche Propheten kommen werden und behaupten, sie seien Christus (WA 46;34–47,6). Zum Schluss bittet er die Gemeinde, den Karfreitag und Ostertag immer wieder neu zu durchleben (WA 32; 47,7–30). Zum weiteren Inhalt der Predigt vgl. Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten biszum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008, 93–96. 43   Vgl. WA 32; XLIV, 47–54. 44   Vgl. WA 32; XLIV. 55–65. Paul Pietsch in der Weimarer Ausgabe nimmt an, dass Luther am Ostermontag auch vormittags gepredigt habe. Er schließt dies aus der Beobachtung, dass die Nachmittagspredigt eine Fortsetzung einer Predigt über die Emmausjünger (Lk. 24, 13– 35) darstellt (WA 32; XXIII). In der Tat beginnt Luther mit den Worten: »Lieben freunde, yhr habt aus dem heutigen Euangelien drey stucke gehort […]. Nu zu diesen dreyen stucken wollen wir ein wenig hin zu setzen« (WA 32; 55,2 u. 56,2; ). Im Folgenden geht Luther auf die drei Stücke ein: Erstens das sanftmütige Verständnis Christi für die Emmanusjünger, zweitens die Bedeutung des äußeren Wortes in Abgrenzung zu dessen Abwertung durch die Rottengeister und drittens das Reich Christi. Jedoch ist es ungewöhnlich, dass Luther den gleichen Aufbau nimmt und hierzu erneut Gedanken ergänzt. Außerdem ist zu fragen, warum Veit Dietrich bzw. einer seiner anderen Wittenberger Kollegen gerade zur Hauptpredigt am Ostermontag nicht mitgeschrieben haben sollte. Schließlich gibt es keine textexternen Hinweise, dass Luther auch am Vormittag gepredigt haben soll. Diese Predigt könnte ebenso Johann Langer als Superintendent von Coburg übernommen haben, an die Luther am Nachmittag anknüpfte und Ergänzungen vornahm. 45   Vgl. WA 32; XLV, 66–76; Georg Buchwald: Koburger Predigten Martin Luthers aus dem Jahre 1530, Leipzig 1917, 13–27. Luther gliedert die Predigt in zwei Teile. Der erste Teil thematisiert das Fischeramt der Jünger (WA 32; 66,9–73,22). Zum einen betont Luther, dass die Jünger nach der Kreuzigung Jesu richtig gehandelt hätten, fischen zu gehen. Daran zeige sich, dass man, obwohl man Jünger Jesu sei, dennoch weiterhin sein Amt auszuüben habe (WA 32; 66,14f). Christus bekräftige ja auch deren Fischfang (WA 32; 67,11). Zum anderen hebt Luther hervor, dass die Jünger die ganze Nacht fischten, erst aber auf Jesu Verheißung etwas fingen (WA 32; 70,23). Er nutzt diesen Anknüpfungspunkt, um Kritik an die Hofleute zu üben, die versuchen, ihre Stellung zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen (WA 32; 71,4). Der zweite Teil handelt von dem Erscheinen Jesu (WA 32; 73,23–76,7). Der Artikel der Auferstehung habe das jüdische Reich umgestoßen (WA 32; 74,5), erhebe Christus vor allen irdischen Herrschern zum Herrn (WA 32; 74,10), erfülle die Verheißungen der Heiligen Schrift (WA 32; 74,13) und stehe über aller Weisheit der Welt (WA 32; 74,18. 23). 46   Vgl. WA XLV. 32, 76–93. Die Predigt beschreibt im ersten Teil Maria Magdala als Vorbild und Exempel des Glaubens (WA 32; 77,8–79,2). Aus Liebe sei sie noch einmal allein zum Grab gegangen (WA 32; 77,12), beim Anblick der Engel sei sie nicht erschrocken gewesen (WA 32; 77,15), wütend habe sie den Gärtner angesprochen (WA 32; 77,22), habe den toten Körper sogar wieder alleine zurücktragen wollen (WA 32; 78,4). All dieses zeige, wie ihr Herz

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ausgearbeitet, von ihnen sind die ursprünglichen Mitschriften nicht erhalten.47 Die drei letzten wurden zudem wahrscheinlich von Johann Agricola in lateinisch-deutscher Fassung unabhängig von jenen Mitschriften mitgeschrieben.48 In Wittenberg nahm Rörer die Ausarbeitung Dietrichs in sein Heft des Jahrgangs 1530 auf, Johann Stoltz erstellte eine Abschrift.49 Die Ostersamstagpredigt und die Predigt vom 21. April wurden wohl zunächst in Nürnberg und ein Jahr später in Wittenberg gedruckt.50 Am 22. April erhielt der Kurfürst die Nachricht vom Kaiser, dass er vorhabe, Ende April in Augsburg einzutreffen.51 Für Johann war der richtige Zeitpunkt des Eintreffens nicht unwichtig. Käme er zu früh an, wären damit hohe Lebenshaltungskosten verbunden gewesen.52 Eine zu späte Ankunft hätte jedoch Vorverhandlungen unterbunden und zu einem peinlichen Eindruck beim Kaiser hinterlassen. So entschied der Kurfürst, am 23. April aufzubrechen. Nach mehreren Aufenthalten erreichte der Tross am 2. Mai Augsburg. Der Kaiser lies jedoch auf sich warten und ritt mit seinem Gefolge erst am 15. Juni ein.53 Nach dem Streit um die Fronleichnamsprozession tags darauf eröffnete Karl V. am 20. Juni den Reichstag, auf dem sogleich die Glaubensfrage in den Mittelpunkt gerückt wurde.54 an Jesus hänge. Der zweite Teil thematisiert die Worte des Auferstandenen (WA 32; 79,3– 93,19). Er reflektiert darüber, warum Jesus noch nicht angerührt werden wolle, obwohl er ja auch nach der Himmelfahrt nicht mehr angerührt werden könne (WA 32; 79,11). Damit habe sich Christus von der Auferstehung des Lazarus abgrenzen wollen, da seine Auferstehung ewig sei (WA 32; 79,17). Das andere Wort an Maria, zu ihren Brüdern hinzugehen, deutet er als wahre Form von Bruderschaft gegenüber den vielen Bruderschaften und Orden im Papsttum (WA 32; 80,9). 47  Vgl. WA 32; III–V. Vgl. ferner Bernhard Klaus: Veit Dietrich. Leben und Werk (EKGB 32), Nürnberg 1958, 104–110. 48   Zum Inhalt der sogenannten »Eislebischen Handschrift«, Nr. 409 der Bibliothek der Andreaskirche vgl. WA 32; X. 49   Vgl. WA 32; XV; WA 29; XXVII. 50   Vgl. WA 32; XXIX. XLVIf. 51   Vgl. den Brief Kaiser Karls V. an den Kurfürsten Johann von Sachsen vom 8. April 1530, in: Eduard Förstemann (Hg.): Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Bd. 1, Halle 1833, Nr. 45, 143; W1 16; Nr. 915, 793). 52   Luther berichtet, dass der Aufenthalt in Augsburg wöchentlich 100 Gulden allein für das Brot und insgesamt 2000 Gulden kostet: »Magna est annonae caritas Augustae ut Princeps noster singulis septimanis 100 florenos pro solo pane expendat et hebdomatim 2000 florenos absumat« (Brief Luthers an Jakob Propst vom 1. Juni 1530, WA B 5; Nr. 1577, 339,18–20) . 53  Zum Empfang des Kaisers an der Lechbrücke mit Tausenden von Schaulustigen vgl. Maximilian Liebmann: Urbanus Rhegius und die Anfänge der Reformation. Beiträge zu seinem Leben, seiner Lehre und seinem Wirken bis zum Augsburger Reichstag von 1530 mit einer Bibliographie seiner Schriften (RST 117), Münster 1980, 204–207. 54   Zum äußeren Verlauf vgl. Herbert Immenkötter: Der Reichstag zu Augsburg und die Confutatio. Historische Einführung und neuhochdeutsche Übertragung (KLK 39), Münster 2 1979, 20–43; Klaus Rischar: Johann Eck auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 (RST 97), Münster 1968, 24–40; Johannes Walter: Der Reichstag zu Augsburg, in: LuJ 12 (1930), 1–90.

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Die Ereignisse auf dem Augsburger Reichstag, die hier nur angedeutet werden können, lassen sich in drei Phasen gliedern.55 Die erste reicht bis zur Verlesung der Confessio Augustana vor dem Kaiser in deutscher Sprache am 25. Juni, die zweite Phase steht im Zeichen der Debatten um die Confutatio, die Antwort der Altgläubigen auf das protestantische Bekenntnis, welches am 3. August verlesen wurde.56 Die dritte Phase umfasst die Einigungsverhandlungen und Kompromissversuche beider Parteien mit der Abfassung der Apologie durch Melanchthon, und dauerte bis September.57 Coburg war für Luther keine unbekannte Stadt.58 Vermutlich war er das erste Mal auf seiner Romreise durch das Itztal gekommen.59 Auf dem Weg nach Heidelberg gastierte er dort vom 14. bis 16. April 1518 60 sowie im selben Jahr vom 2. zum 3. Oktober auf seiner Reise zum Augsburger Verhör wie auch am 24. Oktober auf seiner Rückreise nach Wittenberg. 61 Wahrscheinlich dachte Luther nicht daran, für die gesamte Dauer des Reichstags auf der Veste Coburg zu verweilen. Wohl eher hoffte er darauf, bald wieder allein nach Wittenberg zurückreisen zu können. Doch der Kurfürst wollte ihn als Berater in seiner Nähe behalten, was er in einem Brief an Nikolaus Hausmann beklagte. 62 Immer wieder äußerte er sich darüber, dass er den Aufenthalt in Coburg als unnütz empfände. 63 Während er noch im Beisein der Kurfürsten in der Stadt weilte, sollte der Aufenthaltsort in der Zeit des Augsburger Reichs55  Vgl. Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 45–60. Beate Kobler gliedert in vier Phasen, bei der sie die Verhandlungen auf Initiative König Ferdinands ab September als eigene Phase zählt. Vgl. Dies.: Die Entstehung des negativen Melanchthonbildes. Protestantische Melanchthonkritik bis 1560 (BHT 171), Tübingen 2014, 128–185. 56  Zur Quelle vgl. Herbert Immenkötter: Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530 (CCath 33), Münster 21981; Ders.: Der Reichstag zu Augsburg und die Confutatio. Historische Einführung und neuhochdeutsche Übertragung (KLK 39), Münster 2 1979, 44–100. Vgl. ferner die evangelischen Mitschriften in BSELK, Quelle und Materialien, Bd. 1, 226–255. 57   Zur Entstehung der Apologie vgl. BSELK, Neuedition, 229–235. 58   Zu Luthers Aufenthalt auf der Veste Coburg vgl. Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 2, Stuttgart 1986, 359–397; Hans von Schubert: Luther auf der Koburg, in: LuJ 12, 1930, 109– 161; Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927; Ernst Pfeilschmidt: Luther in Coburg, Dresden 1853; Ernst Zitzlaff: Luther auf der Koburg. Ein Lebens- und Characterbild nach Luthers eigenen Briefen gezeichnet, Wittenberg 1882. 59   Vgl. aaO., 1. 60   Er übernachtete dort mit seinen Begleitern im Wirtshaus zu Judenbach. Vgl. den Coburger Brief Luthers an Spalatin vom 15. April 1518, WA 1; Nr. 72, 166. 61   Von seiner Rückreise erzählt er in den Tischreden: »[…] ego de emittor per porticulam cum satellite et eques veni Coburgam« (WA T 5; Nr. 5349, 77–80, hier 80,10f). 62  Vgl. Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 11, Anm. 51. 63   »[…] neque ignoro me prorsus inutilem esse in hac profectione, et domi fortasse plus profecissem docendo, sed resistere non licuit vocanti« (Brief Luthers an Wenzeslaus Linck vom 8. Mai 1530, WA B 5; Nr. 1563, 309,16–18). Vgl. auch die häufigen Äußerungen, in Coburg müßig zu sein und zu feiern: »Igitur iam plane otior et ferior« (Brief Luthers an Melanchthon vom 12. Mai 1530, WA B 5; Nr. 1566, 316f, hier 316,18f).

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tags unbekannt bleiben. 64 Deshalb stieg Luther bei der Abreise des Kurfürsten am 23. April um vier Uhr früh gemeinsam mit Veit Dietrich und seinem Neffen Cyriacus Kaufmann zur Veste hinauf, um dort die zwei fürstlichen Zimmer in der »Hohen Kemenate« zu bewohnen. 65 Weil er immer noch ein Geächteter war, lebte er dort – ähnlich wie einst auf der Wartburg – anonym, ließ sich einen Bart stehen und machte mit seiner Lesebrille66 wohl eher den Eindruck eines Gelehrten denn eines Junkers. Er vermied öffentliche Auftritte in der Stadt und nahm keinen Kontakt zu Unbekannten auf. 67 In seinen Briefen ist zumeist kein Ort angegeben. Manchmal verschleierte er den Aufenthalt durch das Anagramm »Grubok« oder »Gruboc«, als Umkehrung des Namens »Coburg«. 68 Trotz seiner schlechten körperlichen Verfassung69 und einiger Schicksalsnachrichten70 war Luther schriftstellerisch sehr aktiv.71 In dem halben Jahr verfasste er insgesamt sechzehn Schriften,72 darunter die Auslegungen von Psalmen, einzelnen Propheten, dem Dekalog sowie die Übersetzung von Aesops Tierfabeln und die Schriften »Von den Schlüsseln«,73 »Eine Predigt, dass man

  Luther wohnte wohl, solange der Reisezug noch in der Stadt war, entweder im Franziskanerkloster in der Steingasse oder in der Propstei zu St. Moritz bei Johann Langer. Vgl. Georg Buchwald: Koburger Predigten Martin Luthers aus dem Jahre 1530, Leipzig 1917, 5f. 65  Vgl. Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 13. 66   Luther beklagte sich bei seiner Frau über die Brille, die ihm der Wittenberger Goldschmied Christian Düring angefertigt hatte: »Sage meister Christannus, das ich mein tage schendlicher brillen nicht gesehen habe, denn die mit seinem briefe komen. Jch kund nicht ein stich dadurch sehen« (Brief Luthers an Katharina von Bora vom 5. Juni 1530, WA B 5; Nr. 1582, 348,14–16. Seit dem 14. Jahrhundert ist der Gebrauch der Brillengläser bekannt. Sie wurden insbesondere in Venedig, Paris, Nürnberg, London und Haarlem in den Niederlanden hergestellt. Vgl. Stefan Michel: Art. ›Brille‹, in: Das Luther-Lexikon, hg. von Volker Leppin u. Gury Schneider-Ludorff, Regensburg 2014, 124; Otto Hallauer: Die Brille 100 Jahre vor und 100 Jahre nach der Erfindung der Buchdruckerkunst, in: Carl Mellinger: Universitäts- und Augenklinik und Augenheilanstalt Basel 1864–1914, Basel 1915, 121–139. Ferner siehe unten Seite 481. 67   Vgl. aaO., 25. 68   Vgl. Brief Luthers an Lazarus Spengler, WA B 5; Nr. 1628, 445,22. 69   Luther litt in der Zeit an einer Wunde am Schienbein, an Kopfbeschwerden mit Ohrgeräuschen, Ohnmachtsanfällen, Verdauungsproblemen, Zahnschmerzen und an einer Halsentzündung. Vgl. Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 2, Stuttgart 1986, 363. 70   Am 5. Juni 1530 erfuhr Luther, dass sein Vater Hans am 29. Mai um ein Uhr verstorben war (WA B 5; Nr. 1583, 349,19f; Nr. 1584,20–33; Nr. 1595b, 379,16–24; WA T 2; Nr. 1388, 81). Noch am 15. Februar 1530 hatte Luther einen Trostbrief an seinen kranken Vater geschrieben (WA B 5; Nr. 1529, 239–241). Außerdem musste er Justus Jonas und Wenzeslaus Linck wegen des Verlusts ihrer neugeborenen Kinder trösten. Vgl. Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 2, Stuttgart 1986, 364f. 71  Vgl. Rainer Axmann: Ein Workaholic in sicheren Mauern: Martin Luther in Coburg (1530), in: Edmund Frey/Reinhard Heinritz: Coburg aus dem »Dintenfass«. Literarische Streifzüge durch vier Jahrhunderte, Bucha bei Jena 2006, 32–34. 72   Vgl. neben den Coburger Schriften im Band WA 30 II und 30 III auch die Inhaltsangaben bei Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 61–73. 73   Vgl. WA 30 II; 428. 435–507. 64

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Kinder zur Schule halten sollte«,74 die »Vermahnung zum Sakrament des Leibes und Blutes Christi«75 und der »Sendbrief vom Dolmetschen und Fürbitte der Heiligen«.76 Immer wieder versuchte er, auch mit öffentlichen Schriften Stellung zu den Ereignissen auf dem Augsburger Reichstag zu nehmen.77 Am 14. September traf Kurprinz Johann Friedrich mit Graf Albrecht auf der Burg ein, der von seinem Vater vorausgeschickt worden war.78 Vor ihm predigte er am Donnerstag, dem 15. September, auf der Burg über die Perikope vom vorangegangenen Sonntag, den Jubelruf Jesu (Lk. 10, 23f). Von dieser Predigt existieren mehrere Überlieferungen.79 Der Kurprinz erlaubte Luther, mit ihm sofort weiterzureisen. Doch der Wittenberger wartete lieber die Ankunft der anderen ab. 80 Vor dem Ankommen des Kurfürsten Johann predigte Luther weitere drei Male. Am Tage des Evangelisten Matthäus, dem 21. September, sprach er über die Berufung des Zöllners Matthäus (Mt. 9, 9–12). 81 Da auf dem Augsburger Reichstag die Frage nach der Verehrung der Heiligen und Engel verhandelt wurde und er auch vorhatte, eine Schrift über Engel zu verfassen, 82 predigte er   Vgl. WA 30 II; 508. 517–588.   Vgl. WA 30 II; 589. 595–626. 76   Vgl. WA 30 II; 627. 632–646. 77   Vgl. die Vermahnung an die Geistlichen, versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg, WA 30 II; 237. 268–356; Widerruf vom Fegefeuer, WA 30 II; 360. 367–390; Brief an den Kardinal Erzbischof zu Mainz, WA 30 II; 391. 397–412. Vgl. ferner die Schrift »Auf das Schreien etlicher Papisten über die 17. Artikel« (WA 30 III; 172. 183–197) als Antwort auf die ungewollte Veröffentlichung der Schwabacher Artikel mit dem Titel »Ein Bekenntnis christlicher Lehre und christlichen Glaubens« (WA 30 III; 178–182). 78   »Venit ˆ heri princeps noster Iunior vna cum D[omino] Alberto Comite, satis insperati & subiti hospites« (Brief Luthers an Melanchthon vom 15. September 1530, WA B 5; Nr. 1719, 622f, hier 622,3f). 79   Vgl. WA 32; LVI. 94–105. Veit Dietrich hat sie, wie die anderen Coburger Predigten, mitgeschrieben, die Rörer und Stoltz übernommen haben. Außerdem existiert eine kurze lateinische Zusammenfassung in Dietrichs Nürnberger Tischredenhandschrift, welche auch die Ortsangabe »Coburgi in arce XV septembris« enthält (WA 32; 104,30). 80   Im selben Brief an Melanchthon berichtet er von der Erlaubnis des Kurprinzen und seiner Reaktion, den anderen lieber den Schweiß vom Angesicht nach diesem heißen Bade abwischen zu wollen: »Volebat idem mihi co[piam facere] domum redeundi, secumque ducere, Sed ego rogaui, vt m[e hic permitte]ret vos reduces excipere & sudorem vestrum post h[oc balneum] extergere« (WA B 5; 623,37–39). 81   Vgl. WA 32; LVII. 105–111; Georg Buchwald: Koburger Predigten Martin Luthers aus dem Jahre 1530, Leipzig 1917, 27–38. Die Predigtausarbeitung Dietrichs ist ebenfalls durch Rörer und Stoltz überliefert. In der Einleitung vergleicht Luther die göttliche mit der menschlichen Weisheit. Die Vernunft versuche dabei immer, Lehrmeister über Gottes Weisheit zu sein und scheitere daran (WA 32; 105,1–106,6). Es folgt eine Auslegung von Jesu Wort »Geht aber hin und lernt, was das heißt: ›Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer‹« (Mt. 9, 13). Luther hebt hervor, dass Christen ein Leben lang Schüler seien. Außerdem betont er, dass Christus hier Barmherzigkeit den Opfern gegenüberstelle (WA 32; 105,12). Barmherzigkeit sei in zweifacher Hinsicht zu verstehen (WA 32; 106,37): Zum einen als Gnade Gottes, die einem widerfährt (WA 32; 107,11) und zum anderen als Gnade, die man als Dienst in seinem jeweiligen Stand leistet (WA 32; 108,35). 82   In seinem am 12. September fertiggestellten »Sendbrief vom Dolmetschen« (WA 30 II; 74

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am Michaelistag, dem 29. September, über Amt und Stand sowohl der bösen als auch guten Engel. 83 Aufgrund des Scheiterns der Verhandlungen reiste der Kurfürst am Tag nach der Verkündigung des Reichtagsabschieds am 22. September84 von Augsburg ab, obwohl der Reichstag noch bis zum 19. November andauerte. 85 Mit dem überwiegenden Teil seines Gefolges kam er am 1. Oktober in Coburg an. 86 Tags darauf, am 16. Sonntag nach Trinitatis, predigte Luther vor dem Gefolge über den Jüngling zu Nain (Lk. 7, 11–16). 87 Die Rückreise erfolgte mit Übernachtungen in Neustadt an der Heyde (4./5. Oktober), Leihsten (5./6. Oktober), Schleiz (6./7. Oktober), Weida (7./8. Oktober), Altenburg (8./9. Oktober), Grimma (9./10. Oktober) mit Ankunft in Torgau am 10. Oktober. 88 Auch auf dem Rückweg soll Luther nach Spalatins ›Geschichte der Sachsen‹ täglich gepredigt haben, bis er Altenburg erreichte. Diese Predigten sind jedoch nicht überliefert. 89 Am 13. Oktober kehrte Luther wieder nach Wittenberg zurück. 627. 632–646) schreibt er: »[…] ich gedenck einen sermon von den lieben Engeln auszulassen, darinn ich diß stueck weitter (wils Gott) handeln werde« (WA 30 II; 643,15–17). Zu einer Ausführung kam es jedoch nicht. 83   Vgl. WA LVII. 111–126. Neben der Rörer’schen und Stoltze’schen Überlieferung von Dietrichs Ausarbeitung enthält die Nürnberger Handschrift Solger (Nr. 13, Bl. 133a) eine kurze Zusammenfassung. Zu Beginn äußert Luther, dass es gut sei, Ampt und Stand der Engel zu wissen. Es lässt keinen Zweifel daran, dass es gute und böse Engel gäbe. Im ersten Teil konzentriert er sich auf die bösen Engel (WA 32; 112, ab Z. 10). Die Taten der bösen Engel sind Krankheit, Pestilenz, Hunger, Leid, Krieg und Mord (WA 32; 114,12), mit denen ein Christ zu rechnen habe (WA 32; 114,24). Im zweiten Teil (WA 32; 114, ab Z. 33) geht er auf die guten Engel ein. Jeder Mensch habe einen solchen Engel (WA 32; 116,6). Jedoch solle man die Engel nicht anbeten, sondern ihren Schöpfer (WA 32; 117,28). 84   Vgl. die erste Fassung des Reichstagsabschieds bei Eduard Förstemann (Hg.): Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Bd. 2: Von der Übergabe der Augsburgischen Confession bis zu dem Schlusse des Reichstages, Halle 1835, Nr. 206, 474–478. 85   Vgl. die Berichte über den verlesenen Reichtstagsabschied, aaO., Nr. 305, 839–841; Nr. 306, 841–843. Vgl. ferner Armin Kohnle: Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (QFRG 72), Gütersloh 2001, 389–394. 86   Kurfürst Johann ließ noch einige Räte zurück, die dann erst am 24. November abreisten. Vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 204. Das Datum der Ankunft variiert in den älteren Darstellungen vom 3. bis 4. Oktober (vgl. aaO., 204; Wolfgang Schanze: Luther auf der Veste Coburg, Coburg 1927, 76). Vgl. allerdings WA 32; XVIII, in der vom 1. Oktober ausgegangen wird. 87   Vgl. WA 32; LXIX. 121–126. Die Predigtausarbeitung Dietrichs ist ebenfalls bei Rörer und Stoltz überliefert. Zum Inhalt siehe unten Seite 338. 88  Vgl. Carl August Hugo Burkhardt: Altes und Neues über Luthers Reisen, in: ZKG 19 (1899), 99–105, hier 102. 89   »Denique Johannes Elector etc. Torgaviam feliciter rediit, in quo itinere Doctor Martinus Lutherus, tum promissa barba instructus, inde a Coburgo usque ad Aldenburgum, quotidie coram Electore concionatus est« (Georg Spalatin: Vitae aliquot electorum et ducum Saconiae inde a Friderico I. usque ad Io. Fridericum, in: Johann Burkhard Mencke (Hg.):

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3. Die Leidensnachfolge im Konzept und in der Ausarbeitung (16. April) Die Coburger Kanzelrede vom 16. April 1530, am Tag vor Ostern, gehört zur Gruppe der Passionspredigten.90 Es handelt sich um eine Themenpredigt ohne Bibeltext. In ihr wird die Frage nach der rechten Nachfolge vor dem Hintergrund des Leidens Christi am Kreuz aufgeworfen.91 Predigten für den Samstag der Karwoche sind aus den Vorjahren lediglich für 1526, 1528 und 1529 überliefert.92 Aus überlieferungsgeschichtlicher Perspektive ist interessant, dass neben der bereits erwähnten deutschen Ausarbeitung von Veit Dietrich auch der Inhalt des Konzeptpapiers erhalten ist, das Luther womöglich mit auf die Kanzel nahm. Zum ersten Mal wurde jener Inhalt in der Jenaer Ausgabe von 1557 unter dem Titel »Feine Christliche gedancken der alten heiligen Peter und Lerer der kirchen, von D. M. L. angezogen und gebessert, Das ein Christ das Creutz, so jm von Gott auffgelegt ist, mit Gedult tragen sol« abgedruckt.93 Gustav Koffmane hat diese Gedanken in Verbindung mit der Coburger Predigt gebracht. Ihm zufolge habe Luther ein lateinisches Konzept für die Predigt vielleicht noch auf der Hinreise erstellt. Nach der Predigt hat dann wahrscheinlich Dietrich den Zettel an sich genommen und den Inhalt ins Deutsche übersetzt. Das Original ist im Laufe der Zeit verloren gegangen.94 Zwischen Predigtkonzept und Ausarbeitung bestehen viele Übereinstimmungen, aber auch einige Abweichungen, die einen Einblick gewähren, wie sehr sich Luther von seinen ursprünglichen Gedanken während der Predigt entferScriptores Rerum Germanicarum, Praecipue Saxonicarum, Bd. 2, Leipzig 1728, Sp 1067–1150, hier 1120). Vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 204f, Anm. 9. 90   Vgl. das Verzeichnis von Luthers Passions- und Osterpredigten in Martin Luther: Die Passions- und Ostergeschichten aus allen vier Evangelien, hg. v. Erwin Mühlhaupt (D. Martin Luthers Evangelien-Auslegung 5), Göttingen 41969, 9–26. 91   Das Predigtregister der WA ordnet die Predigt keiner Textstelle zu und fügt sie auch nicht unter das Thema »Passion« (WA 22; LXXXIII), sondern verleiht ihr unter der Rubrik »Allerlei« den Titel »Kreuz und Leiden« (WA 22; LXXXVIIII) gemäß ihrer überlieferten Überschrift »Ein Sermon vom leiden vnd Creutz« (WA 32; 28,10). 92   Im Predigtregister wird der Samstag vor Ostern verschieden bezeichnet, mal als »Ostersonnabend« (WA 22; LXXXVIIII), als »Karsonnabend« (LXXXIII) oder als »Tag vor Ostern« (LXX u. LXXIII). Folgende Predigten werden dort aufgeführt: 31. März 1526 über Joh. 13, 21ff (WA 20; 312–316); 11. April 1528, Themenpredigt am Vormittag (WA 27; 108–112) und am Nachmittag (WA 27; 112–115); die Themenpredigten vom 27. März 1529 am Vormittag (WA 29; 240–248) und am Nachmittag (WA 29; 248–253), die dann in Poachs Ausgaben der Johannespredigten verarbeitet wurden (27. März 1529 über Joh. 19, 23f, WA 28; 396–406 und ebenso 27. März 1529 über Joh. 19, 31–37, WA 28; 406–417). Nach der Coburger Predigt 1530 betrat Luther am 8. April 1531 mit einer Themenpredigt am Vormittag (WA 34 I; 248– 258) und am Nachmittag (WA 34 I; 258–271) die Kanzel; es folgte am 12. April 1533 eine Predigt über Joh, 19, 31ff (WA 37; 24f), 20. April 1538, Themenpredigt (WA 46; 298–304) und 27. März 1540, Themenpredigt (WA 49; 92–97). 93   WA 32; XXVIII. 545. 547f, hier 547,1–3. 94   Vgl. WA 32; 545.

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nen konnte.95 Freilich kann man nicht immer letztgültig entscheiden, ob Veränderungen bereits auf der Kanzel durch Luther erfolgt sind oder ob Dietrich nachträglich bei seiner Ausarbeitung Umstellungen vornahm. Jedoch spricht einiges dafür, dass bei Gedanken, die im Konzept vorhanden sind, in der Ausarbeitung jedoch fehlen, eher davon auszugehen ist, dass Luther selbst von seinem eigenen Konzept abgewichen ist. Denn ansonsten hätte Dietrich diese Gedanken zur Vervollständigung seiner Ausarbeitung verwenden können. Insofern gilt die Regel, dass Inhalte, die im Konzept stehen, nicht aber in der Ausarbeitung, wohl eher auf Luthers spontane Entscheidung zurückgehen, sie auf der Kanzel nicht zu predigen. Das Konzept ist nach einer längeren Einleitung in drei Teile mit den Überschriften »Notwendigkeit« (necessitas), »Grund« (causa) und »Lohn« (precium) gegliedert und schließt mit einer »summa« ab.96 Luther hatte ursprünglich vor, in der Einleitung mit einer Allegorie über den Kreuzesstamm und den Paradiesbaum zu beginnen. Er muss aber wohl diese Einleitung spontan verändert haben, da in der Predigtausarbeitung ganz anders begonnen wird. Der eher verwirrende Gedankengang im Konzept, wie im Folgenden gezeigt wird, macht auch die Gründe für das Weglassen deutlich. Ihm zufolge haben die Väter und Lehrer der Kirche oftmals das grüne Holz des Paradiesbaumes und das dürre Holz des Kreuzes miteinander verglichen. Er hat hierbei die Allegorie beispielsweise von Irenäus in ›Contra Haereses‹ vor Augen, der diesen Vergleich vor dem Hintergrund von Lk. 23, 31 vornimmt.97 Während das dürre Holz aufgrund des Sündenfalls für Sünde und Tod steht, kommen vom Holz des Kreuzes Gerechtigkeit und Leben.98 Soweit ist die Gegenüberstellung klar verständlich. Nun aber wird das Bild überstrapaziert. Der Mensch sei versucht, vom grünen Baum zu essen, doch vom dürren Baum habe man zu essen, der eigentlich ein voller Baum sei, den man auch gar nicht abessen könne.99 Der Paradiesbaum habe die Gestalt des Lebens, der Lust und des Guten; der Kreuzesstamm jedoch die Gestalt des Todes, des Leidens und der Trübsal. Im menschlichen Herz sei es tief verwurzelt, dass man das Leben beim Pa-

  Vgl. WA 32; 546.   WA 32; 547,20 u. 31; WA 32; 548,1 u. 22. 97   Vgl. Irenäus in ›Contra Haereses‹, 16, 3, in: Patrologia cursus completus accurante, ed. von Jacques Paul Migne, Series Graeca, Bd. 7, Paris 1882, 433–1224, hier 1168. Vgl. hierzu den Revisionsnachtrag von WA 32; 121. 98   »Die alten heiligen Veter und Lerer der Kirchen haben das gruene und duerre Holtz gegennander gehalten, und also damit gespielet. VOm gruenen Holtz ist Suende und Tod herkomen, Vom duerren Holtz, Gerechtigkeit und Leben, Derhalben also gesagt: Iss dort nicht (vom gruenen Baum) du stirbst sonst, Hie aber jss (vom duerren) oder du bleibest Tod« (WA 32; 547,4–8). 99   »DU wilt ja essen und nasschen von einem Baum, Jch wil dir einen vollen zurichten, den du nimermehr kanst abessen« (WA 32; 547,9f). 95

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radiesbaum suche, wo eigentlich der Tod sei, und das man vor dem Tod des Kreuzesbaums fliehe, wo eigentlich Leben sei.100 Betrachtet man die Gedanken, so ergibt die Dialektik auf den verschiedenen Ebenen zwar eine logische Gegenüberstellung, doch kann die Gemeinde hierdurch leicht verwirrt werden. Denn der Paradiesbaum ist grün und erzeugt Lust, weshalb der Mensch davon gerne isst, um zu leben, doch eigentlich führt er zum Tod. Der dürre Baum hat die Gestalt des Todes, vor dem der Mensch flieht, soll jedoch voller Früchte sein, durch dessen Genuss man lebe. Gerade der Gedanke eines dürren Baums, der jedoch voller Früchte sein soll, enthält eine konträre in sich widersprüchliche Assoziation. Wahrscheinlich hat Luther diesen Einstieg auf der Kanzel bewusst übersprungen aus Sorge, sich beim Spiel mit der Allegorie verhaspeln zu können. Außerdem ist die Komplexität der Analogie für eine Einleitung denkbar ungeeignet. Schließlich wäre zu fragen, was der Einstieg mit den drei nachfolgenden Teilen eigentlich gemein hat. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass Dietrich in seiner Ausarbeitung ganz eigenständig eine Einleitung verfasst hat. Vielmehr zeigt sich hier die Spontaneität Luthers, von seinem eigenen Konzept abzuweichen. Das Konzept enthält jedoch in seinem Einleitungsteil auch einen Gedanken, den Luther in der Predigt aufgreift. Ihm zufolge bringe das Kreuz auch Leiden für den Menschen mit sich. Das Leiden solle aber nicht vom Menschen selbst erwählt werden, wie es die Täufer und die Werkheiligen fälschlicherweise tun, sondern ein solches Kreuz werde den Menschen von Christus auferlegt.101 Auf jene Kritik an die »Rottengeister« bezüglich der Selbsterwählung des Leides geht Luther sowohl in der Einleitung als auch in mehreren Stellen der Predigtausarbeitung ein.102 Der erste Teil des Konzepts (necessitas) besteht lediglich aus fünf Bibelversen.103 Als einer dieser Verse kommt Joh. 16, 33 in der Predigtausarbeitung auch

100   »Aber wie schweer es war, von jenem gruenen Baum sich enthalten, So schweer ists hie (vom duerren) niessen oder essen. Denn dort war gestalt des Lebens, lust und gutes, Hie aber ist gestalt des Todes, leidens und truebsals, weil dieser Baum gruenet, jener duerr ist, daher bleibts noch tieff ins Hertz gewurtzelt, das der Mensch daher das Leben suche, da der gewisse Tod ist, und fliehe da den Tod, da das gewisse leben ist« (WA 32; 547, 10–16). 101   »DAs Creutz aber sol also gethan sein, das es wehe thue, sol nicht selbs erwelet sein (wie die Widerteuffer und alle Werckheiligen leren) sondern auffgelegt sein« (WA 32; 547,17–19). 102   Vgl. WA 32; 28,20; 29,22f. 33; 30,5. 103   Röm. 8, 29: »DEnn wir muessen gleich sein dem Ebenbilde des Sons Gottes, Rom. 8«; 2. Tim. 3, 12: »ALle die gottselig leben woellen, in Christo Ihesu, muessen verfolgung leiden, 2 Timo. 3«; Joh. 16, 33.20: »Jn der Welt habt jr angst, Jtem Jr werdet trawrig sein, weinen und heulen, Aber die Welt wird sich frewen, Johan. 16«; Röm. 8, 17: »LEiden wir mit, so werden wir auch mit zur Herrligkeit erhaben werden, Rom. 8«; Hebr. 12, 8: »SEid jr on Zuechtigung, welcher sie alle teilhafftig sind worden, so seid jr Bastarte und nicht Kinder, Ebr. 12. Wo zu dienen sonst so viel Trostsprueche in der Schrifft?« (WA 32; 547,21–28).

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explizit vor.104 Es scheint, dass Luther diese Bibelverse nicht aufgeschrieben hat, um sie alle der Reihe nach in der Predigt zu nennen und sie als Schriftbelege anzuführen. Denn ihm kam es weniger auf Genauigkeit und Vollständigkeit der Zitate an, die er wahrscheinlich in der Vorbereitung auch auswendig auf Papier gebracht hatte. Vielmehr stehen die einzelnen Bibelverse wie auch deren Kombination exemplarisch für spezifische Probleme, die in der Predigt eine zentrale Rolle spielen, auch ohne dabei die Schriftbelege eigens zu nennen. So steht der Gedanke aus Röm. 8, 29, gleich dem Bild des Sohnes zu werden, für das Syndrom der »Gleichförmigkeit mit Christus«.105 Der ursprünglich angedachte Bibelvers 2. Tim. 3, 12 über das Leid in der Verfolgung steht für den gesamten Komplex der »Leidensnachfolge«, weswegen Luther selbst oder Dietrich in eigenständiger Weise den locus classicus von der Aufnahme des Kreuzes eingefügt hat (Mt. 10, 38).106 Und Joh. 16, 33 wie Röm. 8, 18 stehen für das Thema »Trost im Leid«.107 Da der letzte Vers in einem Konzept (Hebr. 12, 8), in dem es um die Züchtigung von »Bastarden und Kindern« geht, zu weit vom Thema wegführt und schlecht als Überleitung zum nächsten Teil dient, hat Luther wohl auf weitere Ausführungen hierzu verzichtet. Der zweite Teil ist mit dem Titel »Ursache« (causa) überschrieben, bezogen auf die Entstehung von Leiden. Hierbei handelt es sich um eine Aufzählung von Gründen: der Teufel als Urheber, das Leiden zur Übung des Glaubens, zur Bestätigung der verheißenden Worte und zur Dämpfung der eigenen Hochmütigkeit. Er fügt den Vergleich hinzu, dass jeder Christ das Kreuz wie Nahrung benötige.108 In der Predigtausarbeitung wird als erste Ursache wieder der Gedanke aufgegriffen, dass Gott den Menschen gleichförmig mit Christus machen möchte. Erst an zweiter Stelle wird der Teufel genannt, an dritter Stelle die pädagogische Funktion des Leidens und an vierter die rechte Heiligung durch Leiden, wie es Gott verheißen hat. Also hält sich Luther auch hier nicht ganz an das Konzept. Falls die Wiederholung des Gleichförmigkeitsthemas nicht auf Dietrich zurückgeht, greift Luther den Gedanken wieder auf und zieht die verwandten Themen »Übung des Glaubens« und die »Dämpfung des Hochmuts« 104   Verwendet werden im ersten Teil: Mt. 10, 38; Kol. 1, 24; 2. Kor. 4, 17; 1. Petr. 1, 6 und Joh. 16, 16. 105   »[…] sollen wir dennoch Christo nachleiden, das wir jhm gleichformig werden« (WA 32; 29,5f). Zur »Gleichförmigkeit« vgl. ferner WA 32; 29,5. 27 u. 30,11, sowie im dritten Teil 36,23 u. 39,4. 106   »[…] wie ers denn klerlich anzeigt an viel orten jnn den Euangelien; ›wer sein Creutz nicht auff sich nimpt‹, spricht er, ›und mir nach folget‹« (WA 32; 29,8f). 107   Der Angstbegriff aus Joh. 16, 33 kommt beispielsweise vor: »[…] wenn du nu das also kanst gleuben, so magstu frey auch ynn der grosten angst und not sagen […]« (WA 32; 30,24f). 108   »CAUSA. DEnn der Teufel, ein mechtiger boeser listiger Geist, hasset die kinder Gottes. Zu dem dienet das heilige Creutz zu ubung des glaubens, zur krafft des Worts. Jtem die ubrige Suende und Hoffart zu dempffen, Ja ein Christ kan so wenig des Creutzes als essen und trincken emberen« (WA 32; 547,31–35).

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zu einem Punkt zusammen. Auch der Gedanke der Notwendigkeit des Leidens für den Christen findet sich in der Ausarbeitung wieder.109 Der erste Gedanke des dritten Teils aus dem Konzept klingt in der Ausarbeitung im vierten Punkt der Ursachenbeschreibung an. Im Konzept wird hier das Leid als rechte Form der Heiligung des Menschen ohne Polemik gegenüber dem Versuch der Selbstheiligung durch Wallfahrten genannt.110 Demgegenüber gebe derjenige, der nicht leiden wolle, zu verstehen, dass für ihn das Leiden nicht von Gott komme. Dabei betont Luther, dass kein Mensch gezwungen werde, das Kreuz auf sich zu nehmen. Nur müsse derjenige sich im Klaren sein, dass er dann keine Gemeinschaft mit Christus und seinen Gütern habe.111 Danach folgen im Konzept die Beispiele vom Kaufmann, Jäger und Kriegsmann. Sie alle haben gemein, dass sie für die gute Sache einstehen.112 Auch in die Ausarbeitung flechtet Luther die Beispiele ein, allerdings an anderen Orten und teilweise mit anderen Pointen. Denn in der Ausarbeitung wird das Kaufmannsbeispiel verwendet, um deutlich zu machen, dass dieser bei Geschäften Risiken eingehe und keine Verheißung für seinen Lohn habe. Dem Christen jedoch sei ein solcher Lohn für sein Leiden verheißen.113 Und auf den Kriegsmann seien Spieße, Hellebarden und Büchsen gerichtet ohne die Verheißung, weiterzuleben. Der Christ jedoch könne aufgrund seiner Verheißung Trost erfahren.114 In diesem Zusammenhang werden im Konzept mehrere Bibelverse aufgeführt, die allesamt die Vergänglichkeit betonen, insofern man als Christ leiden müsse (Joh. 16, 16; 1. Petr. 1, 6; 2. Kor. 4, 17).115 Diese Verse klingen auch in der Ausarbeitung an.116   »Wer nicht leiden wil, der fare hin« (WA 32; 38,27).   »CHristus heiliget mit seinem anrueren alle leiden und truebsaln seiner Gleubigen« (WA 32; 548,2f). 111   »Wer nicht leidet, gibt zuverstehen, das er nicht gleube, das Christus jm sein leiden geschenckt habe. So aber jemand das Creutz (so im Gott aufflegt) nicht tragen wil, den zwingt niemand, der mag jmer hinfaren und Christum verleugnen, Doch das er daneben wisse, das er mit Christo kein Gemeinschafft noch teil an jrgend einem seiner Gueter habe« (WA 32; 548,3–7). 112   »Jhe ein Kauffman, Jeger, Kriegsman thar so viel leiden umb ungewisses Guts und Siegs willen« (WA 32; 548,8f). 113   »Kan sich doch ein kauffman also schicken, das er umb gelt und guts willen zugewinnen, zeucht von hause und hofe, weib und kind und waget umb des schendlichen gewins willen sein leib und leben und hat doch keine gewisse verheissung oder zusage, das er gesund werd widder heim komen zu weib und kind« (WA 32; 34,31–35). 114   »Kan sich doch ein kauffman also schicken, das er umb gelt und guts willen zugewinnen, zeucht von hause und hofe, weib und kind und […] hat doch keine gewisse verheissung oder zusage, das er gesund werd« (WA 32; 34,31–34). 115   »Also thut jm auch Reuter, der gibt sich dahin jnn krieg, da so viel spiesse, helleparten und buchsen auff ihn gericht sind, hat auch keine verheissung, der er sich trosten kund denn allein seinen tollen synn, noch gehet ers hin an« (WA 32; 35,5–7). 116   »Sihe also wuerde das leiden suesse und leicht und wuerde nicht mehr ein ewiges leiden, sondern nur ein Modicum sein, das ein kleine Zeit weret und bald widder vergehet, wie es denn S. Paul und S. Peter, auch Christus selb jm Euangelio heisst« (WA 32; 30,27–30). 109 110

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In der Ausarbeitung folgen Sätze über die Widersacher, die als Marterer des Teufels die Menschen fehlgeleitet haben. Ihre Hoffnung, durch selbst auferlegtes Leid und künstliche Selbstbestrafung Heil zu erlangen, sei vergebens.117 Hiermit hat Luther monastische Selbstpeinigungsriten vor Augen. Sie klingen ebenfalls in der Ausarbeitung an.118 Die im Konzept titulierte »Summa« enthält die Aufforderung, dass man als Christ trotz allem Leid am Glauben festhalten solle.119 Hierbei kommt er auf Eva zu sprechen. Sie habe sich den sichtbaren Dingen zugewandt; der Christ jedoch solle sich den unsichtbaren Dingen zuwenden.120 Wahrscheinlich wollte er damit wieder an den Anfang zurückkehren, in dem er die Allegorie vom Paradiesbaum und Kreuzesstamm entfaltete. Dies ergäbe einen Rahmen um den Hauptteil der Predigt. Wie er jedoch bereits die Allegorie ausließ, so machte er es auch mit der Summa, während er predigte. In den letzten zwei Sätzen erfolgt noch eine Anspielung auf die gegenwärtige Situation im Vorfeld des Augsburger Reichstags. Statt sich an das ewige Wort Gottes zu halten, hängten sich die Gottlosen an den Kaiser, dessen Worte zeitlich seien. Doch weil diese Gottes Wort verachteten, würden sie zugrunde gehen. Auch dieser Gedanke klingt in ähnlicher Weise in der Ausarbeitung an, wenn er dazu auffordert, irgendwelchen Päpsten und türkischen Kaisern zu trotzen, wobei das Adjektiv »türkisch« hier wohl eher eine Verunglimpfung des deutschen Kaisers im Sinne von »feindlich« und »falsch« bedeutet und nicht konkret einen damals regierenden türkischen Herrscher meint.121 Blickt man auf das Konzeptpapier zurück, so lässt sich erahnen, wie frei und spontan Luther mit seiner ursprünglichen Disposition umgegangen ist. Er konnte Umstellungen vornehmen, Gedanken auslassen und neue hinzufügen. Die Bibelverse dienten ihm weniger als Schriftbelege, die er in der Predigt zitieren wollte, sondern vielmehr als Stellvertreter für bestimmte Themen. Vor diesem Hintergrund soll der Vergleich zwischen Konzept und Ausarbeitung weitergeführt werden, indem nun die Ausarbeitung genauer analysiert wird. Die Einleitung ist in der Ausarbeitung ganz anders gestaltet. Zu Beginn spricht Luther die Gemeinde direkt an und räumt ein, dass sie bereits häufig Worte über die Passion gehört haben.122 Ein solcher Anfang könnte als »captatio   Vgl. WA 32; 548,13–21.   »So thun jm die Papisten auch, die lassen sich keiner muhe noch erbeit gerewen, nur das sie jhren grewel und Abgotterey widder auffrichten« (WA 32; 35,9f). 119   »Summa, weils eben derselbe Gott und die selbe Sach ist, darin Er allen Heiligen glauben gehalten, das Er warhafftig erfunden wuerde, wird Er […] gewislich helffen« (WA 32; 548,22–26). 120   »Heva lies das Wort faren, und hielt sich an das sichtbare, Dagegen lesst ein Christ das fuer augen ist, faren, und helt sich ans Wort« (WA 32; 548,28–30). 121   »[…] das wir billich also trotzen und sagen kunnen: wenn gleich .X. Bebst oder Turckische Keiser weren« (WA 32; 35,24f). 122   »Lieben freunde, jr wisset, das man diese Zeit die passion pfleget zu predigen, so zwei117 118

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benevolentiae« gedeutet werden, um Wohlwollen bei den Zuhörenden zu erzeugen. Jedoch gilt es zu bedenken, dass im Spätmittelalter gerade in der Passionszeit sehr lange Predigten gehalten wurden. Luther kritisierte zu anderen Gelegenheiten auch jene ausgedehnten Predigten, die bis zu acht Stunden dauern konnten.123 Insofern kann er beim Formulieren der Worte jene Predigtpraxis noch im Hinterkopf gehabt haben. In der Ausarbeitung fährt er fort, dass zum einen bereits häufig darüber gesprochen worden sei, was die Passion sei, und zum anderen, wozu Gott sie verordnet habe. Denn nicht Christus bedurfte solchen Leidens, sondern eigentlich der Mensch. Deshalb habe er sich aus lauter Barmherzigkeit als Geschenk an uns hingegeben.124 Damit sind zwei Themenkomplexe benannt, die Luther häufiger in den Passionspredigten aufgriff.125 Zum einen ging er – meistens kürzer – auf die »historia« ein, in welcher der Hergang der Ereignisse geschildert wurde.126 Hierbei grenzte er sich häufig kritisch von einer dramatisch-sentimentalen Betrachtung und Nachahmung des Leidens Christi ab, wie es teilweise in der mittelalterlichen Passionsfrömmigkeit geschehen ist.127 Er kritisierte das überschwängliche Bemitleiden Jesu im Sinne einer falsch verstandenen »compassio« als »träumende Andacht«, die in Gefahr stünde, die Heilsbedeutung zu entleeren.128 Als Hauptbeleg für eine solche Form von »compassio« diente ihm felt mir auch nicht daran, yhr werdet viel mal gehort haben« (WA 32; 28,12f). Vgl. ferner die Karfreitagspredigt vom 10. April 1528, WA 27; 103,15f. 123   »Denn jr wisset, das wir die lange Predigte, da man im Bapstum am Karfreitag die Passion sieben oder acht stunde lang gepredigt hat, nidergelegt, also verwandelt und geendert haben« (Reihenpredigt über Joh. 16–20, 1528/29, WA 28; 201,12–27). Vgl. ferner WA 27; 103,15f. 124   »[…] was es fur ein Passion und leiden gewesen sey, Auch wo zu es Gott der Vater verordnet habe, nemlich das er dadurch hat wollen helffen, nicht der Passion Christj, denn Christus bedurffte solches leidens gar nicht, wir aber […] bedurfften solches leidens, Das es also sol ein geschenke sein und uns hingeben und aus lauter gnad und barmhertzigkeit geschenckt ist« (WA 32; 28,14–19). 125   Zu den Passionspredigten bei Luther vgl. Gerhard Heintze: Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium (FGLP 10.11), München u. a. 1958, 212–256. 126   Vgl. den Aufbau der Karfreitagspredigt vom 29. März 1521: »Darumb wil ich von erst sagen, wie man das leyden Christi brauchen sol, und was es vor nutzs bring. Darnach wollen wir dem blossen Text und die Historien, wie er geliden hat auß dem euangelio von worth zu worth horen« (WA 9; 649,17–20). Vgl. ferner die Karfreitagspredigt vom 10. April 1528: »1. nudum textum audiemus, ut sciant homines historiam, postea fructum passionis« (WA 27; 103,17f). 127  Vgl. Martin Elze: Das Verständnis der Passion Jesu im ausgehenden Mittelalter und bei Luther, in: Heinz Liebing/Klaus Scholder (Hg.): Geist und Geschichte der Reformation. Festgabe Hanns Rückert zum 65. Geburtstag, Berlin 1966, 127–151. Vgl. ferner Ulrich Köpf: Art. ›Passionsfrömmigkeit‹, in: TRE 27, 722–764. 128   WA 10 I.1; 87,6–88,5. Zur »compassio« vgl. Philipp Stoellger: Passivität aus Passion. Zur Problemgeschichte einer »categoria non grata« (HUT 56), Tübingen 2010, 144–181, hierzu Alois Maria Haas: Gottleiden – Gottlieben. Zur volksprachlichen Mystik im Mittelalter, Frankfurt am Main 1989, 130. 146f; Gerhard Ebeling: Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, München 1942, Tübingen 31991, 231;

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die Bibelstelle Lk. 23, 27f, in der Christus die Frauen anweist, nicht über ihn, sondern über sich selbst zu weinen.129 Zum anderen legte Luther in den Passionspredigten den Schwerpunkt insbesondere auf den »usus«, womit der Nutzen und Gebrauch von Christi Leiden für den Menschen gemeint war.130 Doch von beiden Themen wollte Luther in der Coburger Predigt gar nicht sprechen.131 Es ginge ihm weder um die Historie noch um den Gebrauch, sondern vielmehr um das »Exempel« der Passion.132 Damit spielt Luther auf eine Unterscheidung an, die er bereits in seinen frühesten Aufzeichnungen vorgenommen hatte und die sein gesamtes Passionsverständnis prägte. Sie betrifft die Unterscheidung von »sacramentum« und »exemplum«.133 Bereits in den Randbemerkungen von 1509 war er auf diese Unterscheidung gestoßen. In »De trinitate« differenziert Augustin hinsichtlich des Todes und der Auferstehung zwischen Geheimnis und Beispiel. Dem Geheimnis nach müsse der innere Mensch gemäß dem Herrn sterben und auferstehen, jedoch dem Beispiel nach müsse er äußerlich im Leben leiden, bis durch den Tod die Auferstehung erfolge.134 Luther rezipierte Augustin derart, dass er unter »sacramentum« den im Bußkampf errungenen Glauben und unter »exemplum« die Nachfolge verstand.135 Insofern machte Luther in der Coburger Predigt deutlich, dass er im Folgenden nicht vom Geheimnis, sondern allein vom Beispiel der Passion für den Menschen sprechen wollte. Er begründete seine Entscheidung mit den »Rottengeistern«, die ihm vorgeworfen hätten, er spräche nur noch vom Glauben und nicht mehr von den guten

Paul Keppler: Zur Passionspredigt des Mittelalters, in: HJ 3 (1882), 285–315 u. 4 (1883), 161–188. 129   Vgl. beispielsweise die Schrift »Ein Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi« von 1519: »Zcum dritten haben sie eyn mit leyden mit Christo, yhn zu clagen und zu beweynen alß eynen unschuldigen menschen, gleych wie die weyber, die [Christo von Jerusalem nach folgeten, und von yhm gestrafft wurden, sie solten sich selb beweynen und yhre kinder« (WA 2; 131. 136–142, hier 136,21–24). 130  Vgl. Gerhard Heintze: Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium (FGLP 10.11), München u. a. 1958, 215–220. 131   »Von diesem stucke wollen wir itzt nicht handeln. Denn ich habe sonst offt da von gesagt« (WA 32; 28,19f). 132   »[…] wollen wir itzt allein von dem Exempel dieser Passion sagen« (WA 32; 28,25). 133  Vgl. Erwin Iserloh: Sacramentum et exemplum. Ein augustinisches Thema lutherischer Theologie, in: Reformata Reformanda, FS für Hubert Jedin, Bd. 1 (RST 1.1), Münster 1965, 247–264. Vgl. ferner Reinhard Schwarz: Martin Luther – Lehrer der christlichen Religion, Tübingen 2015, 89f; Erich Vogelsang: Der angefochtene Christus bei Luther (Arbeiten zur Kirchengeschichte 21), Berlin u. Leipzig 1932, 55, Anm. 11. 134   »Huic ergo duplae morti nostrae Salvator noster impendit simplam suam: et ad faciendam utramque resuscitationem nostram, in sacramento et exemplo praeposuit unam suam. […] cum in ea fierit interioris hominis sacramentum, exterioris exemplum« (Augustin: De trinitate, Buch IV, Kap 3.6 [PL 42, Paris 1865, 891]). 135   Vgl. WA 56; 321,23–322,1; WA 9; 18,19–23; Martin Luther: Erfurter Annotationen 1509–1510/11, hg. von Jun Matsuura (AWA 9), Köln u.  a. 2009, LVII. 576f.

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Werken.136 Auffällig ist, dass sich Luther mehrfach in seinen Coburger Osterpredigten gegen die Rottengeister und Täufer polemisch äußerte.137 Der Grund liegt darin, dass er sich in dieser Zeit mit dem Entwurf einer Schrift vom Eisenacher Superintendenten Justus Menius »Der Wiedertäufer Lehre« auseinandersetzte.138 Nach dem Bauernkrieg verbreiteten sich in Thüringen aufrührerische Bewegungen, deren Anführer Melchior Rinck war, der 1528 in der Nähe von Hersfeld Anhänger um sich scharte.139 Von Menius und dem Gothaer Superintendenten Friedrich Mykonius ging Anfang des Jahres 1530 die Idee aus, eine Schrift gegen diese Bewegungen zu verfassen.140 Wahrscheinlich erhielt Luther noch kurz vor der Reise nach Coburg das Manuskript. Am 12. April schrieb Luther Menius aus Eisenach, dass ihm der Entwurf sehr gefalle.141 Im Zeitraum der Coburger Osterpredigten war Luther damit beschäftigt, eine Widmung für dieses Werk zu schreiben, die dann Ende September gedruckt wurde.142 In der Widmung verteidigt er sich, wie in der Coburger Predigt, gegen den Vorwurf, er würde die guten Werke vergessen.143 Um diesen Vorwurf zu widerlegen, konzentrierte sich Luther in der Predigt ganz auf das Exempel der Passion bzw. auf die Leidensnachfolge. Der Hauptteil der Predigt ist in drei Teile gegliedert.144 Im ersten Teil thematisiert Luther die Frage, was für ein Kreuz man tragen solle, im zweiten Teil, wie es zu tragen sei, und im dritten Teil, warum Gott solches Leid zulasse.145 Ver  »Die weil aber viel jrriger Rottengeister hin und widder sind, welche das Euangelion nur schenden und uns schulde geben, das wir nichts mehr wissen zu leren und predigen denn allein vom glauben, als liessen wir die lere von guten wercken und dem heiligen Creutz und leiden anstehen« (WA 32; 28,20–24). 137   Vgl. auch Predigt vom Ostersonntag, 17. April 1530 nachmittags, WA 32; 47–54, hier 50,14; 51,19; Predigt vom Ostermontag, 18. April 1530 nachmittags, WA 32; 55–65, hier 55,16. 138   Vgl. VD 16 M 4604. M 2431. L 7241. Zur Biografie vgl. Gustav Lebrecht Schmidt: Justus Menius, der Reformator Thüringens. Nach archivalischen und anderen gleichzeitigen Quellen, 2 Bde, Gotha 1867, Nieuwkoop 21968. 139  Vgl. Werner O. Packull: Art. ›Rinck, Melchior‹, in: TRE 29, 215–218. Vgl. ferner John S. Oyer: Lutheran Reformers against Anabaptists. Luther, Melanchthon and Menius and the Anabaptists of Central Germany, Den Haag 1964, 179–210. 140   Vgl. Brief Luthers Ende Februar 1530 an Justus Menius, WA B 5; 244,1–11. 141   »Perplacet scriptum tuum in Anabaptistas« (WA B 5; 274,4). 142   Vgl. WA 30 II; 209. 211–214. 143   »Zum vierden, sihe, wie fein sie von guten wercken leren […]. Wir leren also, das Gott versunen […] sey so hoch, gros, herrlich werck, das allein Christus Gottes Son thun muesse […]. Aber das darumb gute werck solten nichts sein odder eines grosschen werd sein, Wer hat das jhre geleret odder gehoeret? on jtzt aus dem luegen maul des teuffels« (WA 30 II; 214,1– 13). 144   Vgl. WA 32; 28,28–30,20; 30,21–36,20; 36,21–38,20. Zur Gliederung vgl. Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008, 90. 145   »[…] wollen wir itzt allein von dem Exempel dieser Passion sagen, was fur ein Creutz wir tragen und leiden, auch wie wir dasselbige tragen und leiden sollen« (WA 32; 28,25–27). »Zum dritten wollen wir auch sehen, warumb doch unser Herr Gott uns solches leiden zuschicket« (WA 32; 36,21f). 136

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gleicht man diesen Aufbau mit der Gliederung des Konzepts (necessitas, causa, precium), so erkennt man eine Umstellung. Der erste Teil des Konzepts, der das Gleichförmigkeitsthema behandelt, entspricht in etwa dem ersten Teil der Ausarbeitung.146 Der zweite Teil des Konzepts rückt in der Ausarbeitung nach hinten. Der letzte Teil des Konzepts fließt in den mittleren Teil der Ausarbeitung ein, ist aber mit diesem nicht deckungsgleich. Im ersten Teil räumt Luther ein, dass man durch das eigene Leiden zwar selig werden könne, dennoch habe man aber die Aufgabe, Gott gleichförmig zu werden.147 Damit ist vor dem Hintergrund von Röm. 8, 29 der Gedanke der Gleichförmigkeit im Leiden (conformitas passionis) bzw. der Gleichförmigkeit mit Christus (conformitas Christi) angedeutet. Bereits früh verwendete Luther diesen Ausdruck, dem er in der mystischen Tradition148 und bei Johann Staupitz begegnet war.149 In der Coburger Predigt kommt es ihm auf den Unterschied an, dass der Mensch nicht nur an den Gekreuzigten glauben, sondern mit ihm auch leiden und gekreuzigt werden solle.150 In Rückgriff auf Mt. 10, 38 und Kol. 1, 24 macht Luther deutlich, dass das Kreuz nicht außen vor bleiben dürfe.151 Damit stellt er die Zuhörenden vor die Alternative, entweder als Christ zu leiden oder Christus zu verleugnen.152

  Zur »necessitas« passend vgl. auch im ersten Teil der Ausarbeitung die Wendung »Es sol aber und mus ein solch Creutz und leiden sein« (WA 32; 29,18). 147   »Und wiewol unser leiden und Creutz nicht also sol auffgeworffen werden, das wir dadurch selig werden […], sollen wir dennoch Christo nachleiden, das wir jhm gleichformig werden« (WA 32; 29,3–6). 148   Beispielsweise Taulers Predigt über Joh. 1, 7. Vgl. Ders.: Predigten. Aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften, hg. von Ferdinand Vetter (Deutsche Texte des Mittelalters 9), Berlin 1910, Neudruck Hildesheim 2000, 334, 13–18. 149   Zum Gedanken der »conformitas« in der mittelalterlichen Mystik bei Staupitz und Luther vgl. Volker Leppin: Transformationen. Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation (SMHR 86), Tübingen 2015, 294–296; Markus Wriedt: Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther (VIEG 141), Mainz 1991, 146–152; Olavi Tarvainen: Der Gedanke der Conformitas Christi in Luthers Theologie, in: ZSTh 22 (1953), 26–43; Martin Elze: Das Verständnis der Passion Jesu im ausgehenden Mittelalter und bei Luther, in: Heinz Liebing/Klaus Scholder (Hg.): Geist und Geschichte der Reformation. Festgabe Hanns Rückert zum 65. Geburtstag, Berlin 1966, 127–151; Gerhard Rost: Der Gedanke der Gleichförmigkeit mit dem leidenden Christus in der Frömmigkeit des jungen Luther, in: LRb 11, 1963, 2–12; Erich Vogelsang: Der angefochtene Christus bei Luther (Arbeiten zur Kirchengeschichte 21), Berlin u. Leipzig 1932, 52–62. 150   »[…] das wir nicht allein an den gecreutzigten Christum gleuben, sondern auch mit jm gecreutziget werden und leiden sollen« (WA 32; 29,6–8). 151   »Also mus sich ein iglicher Christ erwegen, das das Creutz nicht werde aussen bleiben« (WA 32; 29,16f). 152   »[…] das es auch nicht anders kan und mag sein, es mus ein iglicher sein Creutz und Leiden haben. […] Es mus gelitten sein« (WA 32; 29,28–32). 146

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Den »Rottengeistern« wirft er drei Dinge vor. Sie machten erstens den Fehler, dass sie sich ihr Kreuz selbst erwählten.153 Gemeint sind damit asketische Übungen. Aufschluss darüber gibt die neunte Passionspredigt der Hauspostille, die von Dietrich herausgegeben wurde.154 Dort geht Luther auf Simon von Kyrene als Kreuzträger Christi ein (Lk. 23, 26). Er hebt hervor, dass Simon das Kreuz nicht selbst erwählt habe, sondern dazu genötigt worden sei.155 Eine Selbsterwählung des Kreuzes sei es aber, wenn nicht nur Mönche und Nonnen, sondern auch die Täufer ein asketisches Leben führen wollten.156 Insofern wendet Luther hinsichtlich der Täufer die gleiche Kritik an, die er bereits in seiner Ablehnung des Mönchtums formuliert hat. Der Unterschied zu den Mönchen bestehe jedoch darin, dass sie aufgrund ihrer Unwilligkeit auch zur Faust greifen und Gewalt anwenden würden.157 Der zweite Kritikpunkt lautet, dass die »Rottengeister« sich ihrer Leidensnachfolge rühmten und – bildlich gesprochen – ihr selbsterwähltes Kreuz in einer Monstranz zur Schau stellen würden, um damit die Seligkeit zu erlangen.158 Luther wirft ihnen insofern Werkgerechtigkeit vor.159 Dass dieser Vorwurf nicht ganz von der Hand zu weisen ist, ergibt eine Vernehmung des Täufers Melchior Rinck durch Pfarrer Balthasar Raid im Auftrag des hessischen Landgrafen, in der die Auffassungen Rincks beschrieben sind. Dazu zähle auch die Auffassung, dass sich der Mensch durch seine natürliche Kraft zum Glauben bereiten könne.160 Im zweiten Teil geht Luther auf die Frage ein, wie man leiden solle. Hierzu unterscheidet er zwischen zeitlichem und ewigem Leben. Als Christ dürfe man an die Verheißung glauben, dass einem Christus samt seinem Leiden geschenkt wurde und man hierdurch ewiges Leben erhalte. Angesichts eines solchen Geschenkes verkleinere sich das Leiden im diesseitigen Leben und verwandele sich 153   »Uber das sols ein solch leiden sein, das wir uns nicht selbs erwelet haben, wie denn die Rottengeister yhnen selbs ein eigen leiden erwelen« (WA 32; 29,22f). 154   Vgl. WA 52; 792–800. 155   »Zum andern merck, das Simeon nit allein des Herrn Christi creutz tregt, sonder er wirt dazu genoetigt« (WA 52; 796,10f). 156   »Solchs ist auch ein feynes stuecklein, dabey man lernen kan, was creutz oder nicht creutz sey. Muenchen und Nonnen […] fueren ein hartes leben und lassen jns trefflich saur werden. Aber solches heyst nit Christus creutz, das Simeon tregt, ursach: sie legen es jnen selb, on Gottes befelh, auß eigner wal auff. Die Widertauffer thun schier auch also« (WA 52; 796,14–18). 157   »Dis konnen die Rottengeister nicht thun, welche jnen yhr eigen Creutz erwelen, sondern werden unwillig daruber und wehren sich mit der faust« (WA 32; 29,33f). 158   »Aber sie yrren nicht allein ynn dem stuecke, das sie ein erweltes Creutz haben, sondern auch ynn dem, das sie yhr so hoch auffwerffen und geben yhm grossen verdienst und lestern also Gott […], wir aber sagen also, Das wir mit unserm leiden nichts verdienen, und fassens nicht also ynn schone Monstrantzen, wie sie jres fassen« (WA 32; 30,5–10). 159   »[…] weil sie [die Rottengeister] jr eigen leiden verdienstlich machen« (WA 32; 30,14). 160  Vgl. Gustav Lebrecht Schmidt: Justus Menius, der Reformator Thüringens. Nach archivalischen und anderen gleichzeitigen Quellen, Bd. 1, Gotha 1867, Nieuwkoop 21968, 142.

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in ein süßes und leichtes Leid und sogar in Freude auf die Zukunft.161 Denn viele Stellen in der Bibel verwiesen darauf, dass das irdische Leid nur eine kurze Zeit dauere und »ein Kleines« sei (modicum). Damit spielt er auf die Textstellen an, in denen in der Vulgata das Wort »modicum« fällt.162 Speziell auf dieses Wort geht er auch in seinen Predigten über Joh. 16, 16 ein.163 Neben der Verkleinerung des Leids angesichts des ewigen Lebens dürfe sich der Christ gewiss sein, dass ihm sein Leid zum Besten diene.164 Wie man bittere Gewürze ins Labwasser mische, um es zu verbessern, so diene auch das Leiden der Besserung des menschlichen Herzens.165 Auch in der schlimmsten Anfechtung könne man sich dessen gewiss sein, dass Gott dem Einzelnen im Leid helfe und ihn nicht allein lasse, wie er es seit Anbeginn der Welt getan habe.166 Als Vorbild für das Ertragen eines solchen Leids wählt Luther den frühchristlichen Märtyrer Christophorus.167 Dieser werde in vielen Bildern als starker Mann dargestellt, der Christus als Kindergestalt auf den Schultern trage.168 In Luthers Konzept fehlt dieses Beispiel, welches in der Ausarbeitung einen ziemlich großen Raum einnimmt. Es ist unwahrscheinlich, dass Dietrich diesen Abschnitt eingefügt hat. Stattdessen liegt es nahe, dass Luther zuvor eine bildliche Darstellung des heiligen Christophorus bemerkt hatte, etwa an der Nordwestecke des Erdgeschosses der Coburger St. Moritzkirche oder, ebenfalls in Coburg, in den Rechteckerkern des spätgotischen Steinbaus der heutigen Hof-

161   »Wiltu leiden, wolan, so ist der schatz und trost, der dir verheissen und geschenckt wird, so gros, das du billich gern und mit freuden soltest leiden, nemlich das Christus also gar sampt seinem leiden dir geschenckt und zu eigen geben wird, wenn du nu das also kanst gleuben, so magstu frey auch ynn der grosten angst und not sagen also: wenn ich gleich lang leide, was ist es denn gegen solchem schatz, welchen mir mein Gott zu eigen geben hat, das ich sol ewiglich mit yhm leben?« (WA 32; 30,21–27). 162   Vor dem Hintergrund von 2. Kor. 4, 17; 1. Petri 1, 6 und Joh. 16, 16 formuliert er: »Sihe also wuerde das leiden suesse und leicht und wuerde nicht mehr ein ewiges leiden, sondern nur ein Modicum sein, das ein kleine Zeit weret und bald widder vergehet, wie es denn S. Paul und S. Peter, auch Christus selb jm Euangelio heisst« (WA 32; 30,27–30). 163   Vgl. Reihenpredigten über Joh. 16, 1533/34, WA 46; 68,15–69,21. Vgl. auch die Predigt nach dem 30. April 1542, WA 49; 263,5 u. 25; 268,1 u. 28. 164   »Weiter sol sich ein iglicher Christ so schicken, das er gewis sey, das solches leiden im zum besten sol kummen« (WA 32; 31,5f). 165   »[…] das unser lieber Gott uns so viel gewuertz und labwasser wil jnn unsere hertzen geben, das wir alle unsere anfechtung und kummernis mugen tragen« (WA 32; 31,9–11). 166   »Das ist aber war, wenn das leiden und anfechtung am hefftigsten ist, so dringt und druckt es also, das sich einer lesst duncken, er kunne nicht mehr […], Aber kanstu denn an Christum dencken, so wird der trewe Gott komen und wird dir helffen, wie er denn den seinen geholffen hat von anbegin der welt« (WA 32; 31,14–18). 167   Vgl. WA 32; 31,18–32,1. Zum Gebrauch der Christophorus-Legende bei Luther vgl. Jin Ho Kwon: Christus pro nobis. Eine Untersuchung zu Luthers Passions- und Osterpredigten bis zum Jahr 1530 (Kieler Theologische Reihe 7), Berlin 2008, 91. 267f. 168   Siehe unten Seite 386.

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apotheke an der östlichen Seite des Marktplatzes, entstanden um 1510.169 Wahrscheinlich deswegen entschied er sich spontan, auf den Heiligen einzugehen. Dabei grenzt sich Luther von der Vorstellung ab, Christophorus habe tatsächlich das Christuskind getragen.170 Vielmehr solle damit sinnbildlich das Exempel und Ebenbild eines christlichen Lebens dargestellt werden.171 Denn jeder Christ sei letztlich ein »Christophorus«, ein Christusträger.172 Für den starken Christophorus sei ein solches kleines Kind zunächst eine leichte Last auf den Schultern gewesen. Doch als er ins Wasser gestiegen sei, wo es am tiefsten sei, habe er erkannt, wie schwer es sei, das Kind zu tragen und habe vor dem Ertrinken Angst bekommen.173 So ergehe es auch den Gläubigen. Solange das Evangelium in kindlicher Weise verstanden wurde, habe es viele gegeben, die evangelisch sein wollten. Doch als es zu Angriffen durch den Papst, die Bischöfe, Fürsten und das Gesindel gekommen sei, da habe man beweisen müssen, wer im rechten Glauben sei.174 Auch jetzt noch wollten diese Widersacher durch Trug und List das Wort angreifen. Jedoch könne man sich trösten, dass man mit Christus durch das tiefste Wasser hindurch komme. Denn wie Christophorus habe man einen Baum, an dem man sich festhalten könne, und das sei die Verheißung.175 Um diese Gefahrensituation zu verdeutlichen, wählt Luther drei weitere Beispiele. Als Christ sei man in einer besseren Situation als ein Kaufmann. Denn dieser ziehe aus dem Haus und gehe ein Risiko ein, ohne eine Verheißung auf Lohn zu erhalten.176 Und auch ein Reiter ziehe in den Krieg, sehe Spieße, Helle169  Vgl. Peter Morsbach/Otto Titz: Stadt Coburg (Denkmäler in Bayern. Ensembles, Baudenkmäler, Bodendenkmäler IV. 48), München 2006. 170   »Jr solt aber nicht gedencken, das jhe ein man gewesen sey, der also geheissen habe oder leiblich das gethan, das man von S. Christoffel sagt« (WA 32; 32,21f). 171   »[…] der die selbige Legend oder Fabel gemacht hat, ist on zweifel ein feiner vernunfftiger man gewesen, der hat solch bild dem einfeltigen volck wollen fur malen, das sie hetten ein Exempel und ebenbild eins Christlichen lebens« (WA 32; 32,23–26). 172   »Denn ein Christ ist wie ein grosser Rise, hat grosse starcke bein und arm, wie man denn den Christoffel malet, denn er tregt auch ein solche last, welche die gantze wellt, kein Kayser, konig noch furst mocht ertragen, Daher heisst auch ein iglicher Christ Christoferus, das ist ein Christtreger, darumb das er den glauben annimpt« (WA 32; 32,27–31). 173   »Es gieng eben zu wie mit dem Christoffel, der erfuere nicht ehr, wie schwer das kindlein war, bis er ynn das wasser kam, da es am tieffesten war« (WA 32; 33,5f). 174   »Also auch mit dem Euangelio, da es einrisse, giengen die wellen daher, Bapst, Bischoff, Fursten und das toll gesind setzten sich da widder: da fuelet man allererst, wie das kindlein so schwere zu tragen were« (WA 32; 33,7–9). 175   »Wie jr sehet, das es itzt auch gehet, das auff jener seitten die dem wort entgegen sind, so viel pracktiken, fundlein, trug und list ist, alles dahin gericht, das sie uns jm wasser erseuffen mochten […]. Jch sehe es auch wol, das der liebe Christofel sinckt, dennoch kompt er er aus, denn er hat einen baum, da helt er sich an, Dieser baum ist die verheissung« (WA 32; 33,10–33). 176   »Kan sich doch ein kauffman also schicken, das er umb gelt und guts willen zugewinnen, zeucht von hause und hofe, weib und kind und waget […] sein leib und leben und hat doch keine gewisse verheissung oder zusage, das er gesund werd widder heim komen zu weib und kind« (WA 32; 34,31–35).

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barden und Büchsen auf sich gerichtet und bekomme im Gegensatz zum Christen keine Verheißung auf Rettung.177 Schließlich würden auch die Papisten tollkühn in den Kampf gegen Christus ziehen, um das Evangelium niederzuschlagen. Doch wie häufig, so Luther, seien sie zu Asche geworden.178 Für den Christen jedoch sei das Leid auf der einen Seite verordnet, auf der anderen Seite aber genieße er die Verheißung auf Rettung.179 Auch wenn man selber einen schwachen Glauben habe, würde Gott sein Wort gegenüber Päpsten und falschen bzw. »türkischen« Kaisern verteidigen.180 Vertraue man jedoch nicht auf Gottes Wort, so ergehe es einem wie Eva, wenn das Kreuz in Form von Leid komme. Sie habe durch den Biss in den Apfel gesündigt und das Gebot Gottes missachtet, nicht vom Baum zu essen. Wenn man sich aber am Wort Gottes orientiere, werde man trotz des Leids gerettet werden.181 Es lässt sich wohl nicht mehr endgültig klären, ob Luther spontan auf der Kanzel den Verweis auf Eva vorgenommen oder Dietrich hier nachträglich den Einleitungsteil des Konzepts verwendet hat, um dieses Beispiel einzuflechten. Der dritte Teil thematisiert die Ursachen des Leidens.182 Vier Gründe werden genannt. Die erste Ursache bestehe im Willen Gottes, den Menschen gleichförmig mit Christus zu machen.183 Ein solches Leiden diene dem Menschen und solle ihn auch nicht unnötig plagen. Doch hinzu komme die zweite Ursache des Leidens, die der Teufel verursache.184 Er sei für das übermäßige Leid verantwortlich und ziele insbesondere darauf ab, das Wort Gottes zu verunglimpfen. 177   »Also thut jm auch Reuter, der gibt sich dahin jnn krieg, da so viel spiesse, helleparten und buchsen auff ihn gericht sind, hat auch keine verheissung« (WA 32; 35,5f). 178   Vgl. WA 32; 25,9–16. Der Absatz könnte auch so verstanden werden, dass die Papisten diejenigen sind, die Waffen auf den rechten Christen richten. Doch dagegen spricht der Vergleichspunkt der Tollkühnheit und die folgende Aufzählung der Beispiele (Kaufleute, Reiter und Papisten). 179   »So wir doch wissen Auffs erste, das es Gott also geordnet hat, das wir sollen leiden und das es nicht anders sein kan, Zum andern, so wissen wir unser verheissung und zusage auch« (WA 32; 35,19–21). 180   »[…] ob wir gleich nicht so gute Christen sind, […] wil er dennoch sein wort verteidigen, […]: wenn gleich .X. Bebst oder Turckische Keiser weren« (WA 32; 35,21–25). 181   »Thut man es aber nicht und lesst die troestlichen spruche faren, wenn das creutz kompt, so wird es uns eben gehen wie der Eva jm paradis, die hatte Gottes gepot, mit dem selbigen solt sie des Teufels eingeben und anreitzung hinder sich geschlagen haben, Aber was thet sie? Sie lest das wort faren und bekummert sich mit den gedancken, wie es so ein feiner apffel sey, es were an dem geringen ding nicht viel gelegen, So gieng sie es dahin, und wenn man das wort faren lest, so kan es nicht anders zugehen, Wenn wir aber bey dem wort bleiben und uns dran halten, so werden wir gwis erfaren, das wir fein eraus komen und obligen werden« (WA 32; 36,7–15). 182   »Zum dritten wollen wir auch sehen, warumb doch unser Herr Gott uns solches leiden zuschicket« (WA 32; 36,21f). 183   »So ist nu dis die ursach, das er uns also seinem lieben Son Christo wil gleichformig machen, das wir jm gleich werden« (WA 32; 36,22f). 184   »Die ander ursach ist diese, das ob gleich Gott uns nicht wolt angreiffen und plagen, so wils doch der Teufel thun« (WA 32; 36, 28f).

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Hierzu verführe er die Fürsten und Bischöfe.185 Doch gerade in diesen Zeiten könne man sich sicher sein, dass einen Engel beschützen würden.186 Man selbst habe einen Schatz, doch trage man ihn in irdischen Gefäßen, die leicht zerbrechen könnten. Der Teufel versuche, die irdischen Gefäße zu zerbrechen.187 Er wolle das Schloss stürmen, doch treffe auf den Felsen Christus.188 Luther beschreibt hier die Anfechtungen des Teufels in bildlicher Weise. Diese kraftvollen Bilder könnten die Zuhörenden auch auf die Situation kurz vor dem Augsburger Reichstag bezogen haben. Luther zielt damit darauf ab, seine Reisegenossen in ihrer Haltung angesichts der bevorstehenden Herausforderungen zu stärken. Die dritte Ursache bestehe darin, dass man ohne Leid schnell hochmütig werden könne.189 So sehe man derzeit viele, die das Evangelium missbrauchen. Damit spielt er wohl wieder auf die »Rottengeister« an.190 Die letzte Ursache des Leidens sei die Absicht Gottes, dass die Menschen ihre selbstgewählten Leiden aufgeben sollten. Die Menschen seien lieber nach Trier und Rom gepilgert, um dort Heiligtümer zu besuchen, als das Kreuz Christi als das wahre Heiligtum zu begreifen.191 Im Schlussteil wird die Predigt noch einmal zusammengefasst. Mit den Lehren vom Kreuz sollte gezeigt werden, dass erstens zwischen himmlischen und irdischen Leiden zu unterscheiden sei, zweitens Christi Leiden alles, das selbst erwählte Leid des Menschen jedoch nichts bewirke und drittens Christi Leid

185   »Da wehret er [der Teufel] und sperret sich und hengt die fursten und Bischoffe an einander« (WA 32; 36,1f). 186   »Und wenn uns unser lieber Gott nicht durch seine Engele schuetzte und wir des Teufels list, anschlege und trug sehen koendten, so must einer von dem anblick allein sterben« (WA 32; 37,5–7). 187   »Denn das wort das wir fueren, ist ja ein schwach elendes wort und wir die es haben und treiben, sind auch schwache und elende menschen und tragen den schatz jnn jrdischem gefesse, wie Paulus sagt, welches man leichtlich zuschlagen und zubrechen kan« (WA 32; 37, 13– 16). 188   »Das Schlos sollen sie sturmen, der Teufel mit seinem anhang, Aber las sie nur stuermen, sie sollen etwas da finden, das jn den schweis sol austreiben, und dennoch nicht gewinnen, denn es ist ein fels, wie es Christus nennet, der nicht zu gewinnen ist« (WA 32; 37,23–26). 189   »Zum dritten ists auch hoch von noten, das wir leiden […] darumb, das uns der treffliche schatz den wir haben, wenn er ausser der nott und leiden ist, nur schnarkend und sicher macht« (WA 32; 37,29–32). 190   »[…] wie wir denn sehen und leider allzugemein ist, das itzt viel des heiligen Euangelien so misbrauchen« (WA 32; 37,32–34). 191   »Wir sind gelauffen gen Rom. Trier und an andere oerter, das heiligthum zu besuchen, warumb lassen wir uns auch das Creutz und leiden nicht lieb sein […]. Derhalben sollen wir alles leiden nicht anders annehmen denn heiligthum, denn es ist auch warlich heiligthum« (WA 32; 38,13–20).

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befreie, das menschliche Leiden jedoch verknechte.192 Die Predigt endet schließlich mit einem Gebet: »Gott gebe, dass wir es recht fassen und lernen, Amen«.193 Rückblickend ermöglicht die besondere Überlieferungssituation der Predigt einen Einblick in die Spontaneität Luthers als Prediger. Das Konzept diente ihm weniger, um den Aufbau und Ablauf der Predigt festzuhalten. Vielmehr war es für ihn eine Gedankenstütze in Form einer Zusammenschau, aus der er in freier Weise zum Teil schöpfte, aber auch anderes wegließ. Vergleicht man die Abweichungen der Ausarbeitung vom Konzept, so fällt auf, dass er insbesondere das Bild vom heiligen Christophorus aufnahm und entfaltete. Dabei ermutigte er, mit Blick auf den bevorstehenden Augsburger Reichstag allen Gefahren zu trotzen und als Christusträger zu agieren. Seine Beispiele vom Kaufmann und Reiter sind dabei nicht zufällig gewählt. Wie diese ihre Heimat verlassen, Risiken eingehen und sich Gefahren aussetzen, so müssen sich auch seine Mitstreiter angesichts der bevorstehenden Situation gefühlt haben. Dabei flankiert er seine Ermutigung durch die Kritik an den Schwärmern auf der einen Seite und den Altgläubigen auf der anderen. Mit diesen Abgrenzungen versucht er, ein Abgleiten in die eine oder andere Richtung zu verhindern.

4. Die Stärkung durch die Macht des Auferstandenen (17. April) Nachdem Luther am Vormittag des Ostersonntags thematisch über den Nutzen der Auferstehung gepredigt hatte, legte er in seiner Nachmittagspredigt das Augenmerk stärker auf den Auferstehungsbericht (Mk. 16, 1–8).194 Die Predigt ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten konzentriert sich Luther auf den inneren Gemütszustand der Frauen, die zum Grab gehen. Der zweite Teil betrachtet die Worte der Engel.195 Im Vergleich zu seinen Predigtdispositionen über die Auferstehungsberichte in den Jahren zuvor ist dieser Aufbau neu.196 192   »Sihe auff diese weise leren wir vom Creutz und jr solts auch gewonen, das jr vleissig unterscheidet das leiden Christi von allen andern leiden, das jenes ein himelisch, unser ein weltlichs leiden sey, das sein leiden alles thue, unsers nichts thue […], das also das leiden Christi ein herrn leiden sey, unsers ein knecht leiden« (WA 32; 39,1–5). 193   Vgl. WA 32; 39,10f. 194   Vgl. WA 32; XLIV, 47–54. 195   »Ynn dem heutigen Euangelio haben wir von zweien stucken gehoeret, Das erst ist, wie die weiber zum grabe komen, Das ander, wie die Engel mit yhnen geredt haben und durch yhre predigt die aufferstehung ausgeteilet. Diese zwey stucke wollen wir auff dis mal fur uns nemen und davon handeln« (WA 32; 47,32–35). 196   Nach dem Predigregister (WA 22; LV) predigte Luther vier Mal vor der Coburger Predigt über Mk. 16, 1–8. Am 31. März 1521 sprach er vormittags über die Bedeutung des Sakraments und über den Nutzen der Auferstehung (WA 9; 314. 657–661). Nachmittags predigte er über die Freiheit des Christen und über den Sabbat im Herzen (WA 9; 662–665). Von der Predigt vom 15. April 1523 ist lediglich der Schluss erhalten, weshalb man keine Aussagen über den Aufbau treffen kann (WA 11; 5. 80f). Am 16. April 1525 thematisierte er zunächst die Historie der Auferstehung und danach deren Kraft, Nutzen und Frucht (WA 17 I; XXX. 178–192). Zu jenen Predigten könnte man noch die beiden Predigten vom 27. März 1524 vor-

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Im ersten Teil hebt Luther die Vorbildfunktion der Frauen am Grab hervor. Sie stünden exemplarisch für einen rechtschaffenen christlichen Glauben.197 Obwohl das Grab von Römern und Juden bewacht worden sei, hätten sie sich in Gefahr gebracht und seien zum Leichnam gegangen.198 Luther hat hier wohl auch die Erzählungen des Petrusevangeliums vor Augen, worin berichtet wird, dass nicht nur die Römer, sondern auch Schriftgelehrte und Pharisäer das Grab bewacht hätten.199 Doch mutig seien die Frauen an den Wachen vorbeigegangen. Mit einer Frage wendet sich Luther an die Gemeinde: Wer treibt die Frau so blind hinaus? Seine Antwort: Es ist der Glaube, der allein auf Christus schaut.200 So kommt Luther auf die Bedrohungen der Zeit durch die Türken und den Papst zu sprechen. Er beklagt, wie weit die Christen seinerzeit doch vom Vorbild der Frauen entfernt seien. Gegenüber den Frauen besäße man heute lediglich einen schwachen Glauben.201 Dabei bringe Vertrauen auf Gott trotz aller Anfechtungen Trost. Genauso wie es beinahe eine närrische Idee gewesen sei, das bewachte Grab aufzusuchen, so habe man auch heute allen Anfechtungen zu trotzen.202 Die Schilderung der Frauen, die wegen ihres Glaubens ihr Haus verlassen und sich aufgrund der Wachen in Gefahr begeben hätten, weist indirekt eine Parallele mit der Situation vor dem Augsburger Reichstag auf. Wie die

mittags (WA 15; 404,11–13; 516–519) und nachmittags (WA 15; 519–522) zählen, die lose die Perikope auslegen. Vgl. ferner die Predigten über die Auferstehungsberichte in den anderen Evangelien, wie vom 14. März 1525 über Mt. 28, 1–10 (WA 17 I; XXV. 86–91) und die Reihenpredigt vom 12. Juni 1529 über Joh. 20, 1–10 (WA 28; 31. 425–447). 197   »Auffs erst sehen wir ynn den weibern ein fein exempel des glaubens und der lieb und wird uns ym Euangelio ein rechtschaffene art des Christlichen glaubens furgehalten« (WA 32; 48,3–5). 198   »So stunden nu bey dem grabe mit einander Romische und Judische gewalt« (WA 32; 48,11f). 199   »28. Als sich aber die Schriftgelehrten und Pharisäer und Ältesten miteinander versammelten und hörten, dass das ganze Volk murre und sich an die Brust schlage und sage: ›Wenn bei seinem Tode diese überaus großen Zeichen geschehen sind, so sehet, wie gerecht er war!‹, 29. da fürchteten sie sich und kamen zu Pilatus, baten ihn und sprachen: 30. ›Gib uns Soldaten, damit wir sein Grab drei Tage lang bewachen, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und das Volk glaube, er sei von den Toten auferstanden, und uns Böses antue.‹ 31. Pilatus aber gab ihnen den Hauptmann Petronius mit Soldaten, um das Grab zu bewachen. Und mit diesen kamen Älteste und Schriftgelehrte zum Grabe. 32. Und alle, die dort waren, wälzten zusammen mit dem Hauptmann und den Soldaten einen großen Stein herbei und legten ihn vor den Eingang des Grabes 33. und legten sieben Siegel an, schlugen ein Zelt auf und hielten Wache« (Petrusevangelium 28–33). 200   »Wer treibt nu die fromen kinder also blind hinaus? niemand anders denn der glaube und liebe zu dem manne der Christus heisst« (WA 32; 48,17f). 201   »Wenn wir itzt horen vom Turcken, vom Pabst oder anderm ungluck, […] Da bey mercken wir denn, das wir entwedder gar keinen glauben haben oder ya gar einen schwachen. O wir sind noch ferne von diesen weibern« (WA 32; 48,32–36). 202   »Aber las dich nur nichts anfechten, du solt sehen und erfaren, das ein solcher gedanck [wie der Glaube], ob er gleich nerrisch scheinet, den grosten troest mit sich sol bringen« (WA 32; 49,10f).

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Frauen wird der Reisezug bald weiterziehen und sich in Gefahr bringen, um vor den selbsternannten Hütern Christi ihren Glauben zu verteidigen. Im zweiten Teil konzentriert sich Luther auf die Botschaft der Engel: Christus ist nicht mehr hier.203 Er sei nicht mehr unter den Toten zu suchen, sondern auferstanden.204 Er belegt dies mit weiteren Bibelversen, die dazu auffordern, den Blick vom Irdischen auf das Ewige zu wenden.205 Er kritisiert dabei diejenigen, die Christus immer wieder in das irdische »Hier« hineinziehen wollten. Ein Christ gehöre aber allein Christus und sei von allen irdischen Ansprüchen, die der Papst und der Kaiser erhöben, befreit.206 Die irdischen Hüllen weltlicher Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Weisheit und Gesetze habe der Christ abgelegt.207 Bei den Mönchen, Juristen und Gelehrten werde er Christus nicht finden.208 Diese Freiheit missverstünden jedoch die Rottengeister. Sie behaupteten fälschlicherweise, man dürfe nun Aufruhr erzeugen sowie Schlösser und Klöster plündern.209 Doch weder die frommen Werke der Mönche noch der Aufruhr der Rottengeister machten einen Menschen zum Christen.210 Doch es gehe nicht um die äußerliche Freiheit, sondern um die Freiheit des Heiligen Geistes.211 Luther vertritt damit eine Mittelposition. Er grenzt sich sowohl von der altgläubigen Partei als auch von den revolutionären Strömungen ab. Sowohl die Forderung nach frommen Werken von Seiten der römischen Kirche als auch den Libertinismus der Schwärmer lehnt er ab. In diesem Zusammenhang kommt er direkt auf den Augsburger Reichstag zu sprechen. Die Grundgefahr dort werde

203   »Die lieben Engele predigen seer wol […]: Er ist aufferstanden von todten und ist nicht hie« (WA 32; 49,14–18). 204   »Hie, das ist ynn dem tod, mus man Christum nicht suchen, es mussen ander augen, finger, fusse sein, die den Christum sehen, greiffen oder zu yhm gehen wollen« (WA 32; 49,20–22). 205   Vgl. WA 32; 49,18–26. Er zitiert hier das Wort der Engel in Lk. 24, 25: »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?« und Paulus: »Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist« (Kol. 3, 2). 206   »Das heisst denn ein Christen fein rein ausgeschelet und gehaben aus dieser welt, das er nicht ynn das leben gehore, widder unter den Pabst noch unter den Kaiser noch unter einicherley creatur« (WA 32; 49,26–29). 207   »Die hulssen hat er hie nidden gelassen, weltlich gerechtickeit, fromkeit, weisheit, gesetz und was des dings mehr ist, alles rein ausgezogen« (WA 32; 50,32–34). 208   »Darumb wirstu yhn nicht finden ynn einer Carthausen oder sonst ynn einer Munchs kappe […]. Desselbigen gleichen allte gewonheiten und breuche, vetter, Juristen, weise leute, frome leut […], sind eitel huelssen« (WA 32; 49,35–50,1). 209   »Da faren nu die Rottengeister zu und sprechen: weil nu dem also ist, das wir uber alles sind […] so last uns thun, […] wie die Bauern thetten ynn der auffrhur, zerrissen Schloesser und kloester« (WA 32; 50,15–19). 210   »[…] wenn dich das nicht zu einem Christen macht, das du ein Munch wirst, bettest, fastest, wenig schlaffest &c.. So wird dich warlich dis auch zu keinem Christen machen, das du die Cloester einreisst, Oberkeit verachtest« (WA 32; 50,24–27). 211   »Sie [die Rottengeister] aber suchen nur die eusserlichen freyheit, die hat sie der Teufel geleret, der heilig Geist hats nicht than« (WA 32; 51,20f).

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darin bestehen, dass man Irdisches und Himmlisches miteinander vermische.212 Die Gegner der evangelischen Partei hätten keine rechte Ahnung davon, was in Wahrheit ein Christ sei. Sie wären der Meinung, fromme Werke machten einen Christen aus. Doch der Engel sage immer wieder, Christus sei darin nicht zu finden.213 Auf dem Parteitag, so Luther, würden sich die Gegner ihrer eigenen Taten rühmen. Doch sollten sich seine Kollegen dagegen mit den Worten wehren: »Er ist nicht hier«.214 Alle Kappen, Tonsuren, liturgischen Gewänder einerseits und alles Fasten, Beten und Einhalten von Regeln andererseits seien irdische Dinge.215 Deshalb sei die menschliche von der göttlichen Gerechtigkeit zu trennen. Die erste fordere von jedem, seinem Stande gemäß zu dienen und gehorsam zu sein. Sie könne auch als bürgerliche Gerechtigkeit bezeichnet werden. Zu ihr gehöre auch die pädagogische Gerechtigkeit, womit er das Setzen von Regeln meint, um Kinder zu erziehen.216 Eine solche Pädagogik für Kinder sei im Ordenswesen fälschlicherweise auf Mönche übertragen worden.217 Doch sie diene vielmehr der Jugend in allen Ständen. Es sei richtig, bereits im Kindesalter alle Schichten – von den Landwirten bis hin zum Edelmann – zu erziehen.218 Die aufgestellten Regeln dürften jedoch nicht als starr einzuhaltende Gesetze angesehen werden. Sie könnten jederzeit aufgehoben werden, wenn es der Erziehung diene.219 So habe der Papst jene pädagogische Gerechtigkeit aus dem Haus in die Kirche getragen, und fromme Werke über alles gestellt.220 Au  »[…] ynn diesem Reichstage der itzt verhanden ist, wird man nichts anders fur nehmen denn das man diese zwey ynn ein ander werffe« (WA 32; 52,4f). 213   »[…] denn sie wissen nicht, was ein Christen ist, Sie halltens da fur, ein Christ fey, der dis oder das furnimpt und thut, der sich also mit essen, mit trincken, mit kleider, mit schlaffen &c.. hellt, Aber der Engel redet hie anders davon, der spricht schlechts von solchem allem ›Er ist nicht hie‹« (WA 32; 52,6–9). 214   »So werffen sie es ynn ein ander nur darumb, das sie sagen konnen: Jch lebe also, Jch faste, ich bette also, lieber herr, du wolst doch solch mein thun ansehen &c. Da mussen wir arbeiten und uns wehren und sagen: Unser namen ist also ›Non est hic‹« (WA 32; 52,9–13). 215   »Diese ding aber davon du sagst und rhumest, sind hie, die kappe, die platte, das messegewand, die Casel, das fasten, das betten, der orden, die Regel heisst alles ›hie‹, Es ist ein yrdisch, menschlich ding« (WA 32; 52,13–16). 216   »Über diese gerechtigkeit [gemeint ist Gehorsam] ist nu ein andere die man heisset pedagogiam, das ist ein grobe und kindische heiligkeit, […], wie wol sie ein menschliche und weltliche gerechtigkeit ist« (WA 32; 52,32–34). Die pädagogische Gerechtigkeit bezeichnet er zuweilen auch als dritte Form der Gerechtigkeit: »Die dritte nu ist die pedagogia, ein kinder zucht« (WA 32; 52,38f). 217   »Alls das man vorzeiten die jungen kinder zu einem gelerten man gethan und daselben mit zimlicher kost und kleidung gehalten hat, darnach ist es ynn einem misbrauch komen, da hatt man Munch und pfaffen draus gemacht« (WA 32; 52,39–53,2). 218   »Und solche zucht gehort nicht allein fur die kinder, sondern auch fur die baurn, burger und zwar auch wol fur die edelleut« (WA 32; 53,7f). 219   »So sol nu diese kinderzucht nicht ein gesetz sein, Ein hausvater sol des macht haben, das er sein gesind heute also, morgen anders speise« (WA 32; 53,20f). 220   »Zu diesem handel hat der Babst wol gedienet, allein das er […] solch Zucht und Ceremonien aus den heusern ynn die kirchen gebracht hat und hatt sie beide den weltlichen und Gottlichen rechten fuergezogen« (WA 32; 53,11–13). »Also hat es sich gehaben, sie haben die 212

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ßerdem wehrt sich Luther gegen den Vorwurf, eine solche pädagogische Gerechtigkeit gänzlich verworfen zu haben. Man dürfe aber nicht denken, dass man dadurch heilig werden könne.221 Dies bewirke allein die zweite Gerechtigkeit, die durch Christus geschenkt worden sei. Diese sei jedoch im Hier des Irdischen nicht zu finden.222 Mit diesem Gedanken endet die Predigt.223 Luther unterscheidet insofern zwischen menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit, wobei die erstere noch einmal in bürgerliche und pädagogische Gerechtigkeit differenziert wird. Bereits in seinen Sermonen über die dreifache und zweifache Gerechtigkeit erfolgt auf verschiedene Weise eine Ausdifferenzierung des Gerechtigkeitsbegriffs.224 Dabei grenzt er die eigene Gerechtigkeit (iustitia proprium) von der fremden Gerechtigkeit Christi (iustitia aliena Christi) ab, wobei letztere sich zum einen in Gottes geschenkter Gnade und zum anderen in Werken der Nächstenliebe äußere.225 Neu in der Coburger Predigt ist, dass er auf die Pädagogik als besondere Form der menschlichen Gerechtigkeit eingeht. Rückblickend zeigt sich, wie geschickt Luther den Predigttext mit der Situation kurz vor dem Augsburger Reichstag verknüpft, ohne dabei seine anderen Zuhörer zu vernachlässigen. Auch diejenigen, die nicht zum Reisezug gehören, können Mut und Trost aus der Predigt schöpfen. Die Schilderungen sind so angelegt, dass jene, die sich bald aufmachen müssen, sie anders hören und auf ihre spezielle Situation beziehen: Die Frauen, die sich aufgrund ihres Glaubens auf den Weg zum Grab machen; die Wachen, an denen sie mutig vorbeigehen; der geradezu närrische Plan, den Leichnam zu ehren und salben zu wollen; der Engel, der sie ermahnt, nicht klein beizugeben – all diese Gedanken können mit den religionspolitischen Herausforderungen auf dem Reichstag in Verbindung gebracht werden. Dabei formuliert Luther eine Mittelposition, damit einerseits seine Mitstreiter nicht gegenüber der altgläubigen Partei nachgeben, andererzucht und sitten aus der schule ynn die kirchen gezogen, bis zuletzt ein lauter abegotterey draus ist worden« (WA 32; 54,13f). 221   »Etliche aber meinen, […] wir haben auch diese zucht gar abgethan und auffgehoben, Aber sie thun uns unrecht, wir habens nicht abgethan, sondern lobens als ein gut nutzlich ding, so ferne, das man nur dabey bleibe, das kein heilickeit draus werde« (WA 32; 53,30–34). 222   »Der Engel hat uns also geleret, das ich Christum nicht da sol suchen, da es ›hie‹ heisst, und dennoch ist dasselb ›hie‹ etwas und doch zeitlich. Also ist es auch mit der kinder zucht, lieber, liebe es nicht hoher, denn es Gott gesetzt hat, Du wirst doch Christum nirgend finden, er ist ymer hoher und heimlicher« (WA 32; 54,20–23). 223   »Das habe ich nu auff dis mal euer liebe wollen sagen, das yhr euer leben ein wenig darnach richtet und nicht gar sew werdet und euer leute auch dazu ziehete, das sie Christum erkennen lerneten und jederman nutz und huelfflich wurden. Amen« (WA 32; 54,27–30). 224   Vgl. Sermo de triplici iustitia, 1518, WA 2; 41–47 und Sermo de duplici iustititia, 1518, WA 2; 143–152. 225   Zum Inhalt vgl. Martin Brecht: Luthers reformatorische Sermone, in: Christian Peters/Jürgen Kampmann (Hg.): Fides et pietas, Festschrift für Martin Brecht, Münster 2003, 15–32, hier 24–27; Walther von Loewenich: Duplex iustitia. Luthers Stellung zu einer Unionsformel des 16. Jahrhunderts (VIEG 68), Wiesbaden 1972.

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seits aber gewappnet sind, um dem Vorwurf des Libertinismus und Schwärmertums zu begegnen. Eine solche indirekte Stellungnahme kurz vor dem Reichstag lässt sich auch den anderen Predigten entnehmen, beispielsweise seiner Predigt vom 21. April über Maria Magdala am Grab (Joh. 20, 11–18), in der er in ähnlicher Weise Maria als Vorbild zeichnet und das Wort des Auferstandenen auslegt.226

5. Vom standfesten Glauben (15. September) Die Predigt vom Donnerstag, dem 15. September, in Gegenwart des Kurprinzen, der einen Tag zuvor auf der Coburg angekommen war, ist geprägt von der Situation der vergangenen Tage. Nachdem am 30. August die Lutheraner die Verhandlungen abgebrochen hatten, berichtete Melanchthon am 8. September Luther von den neuesten Ereignissen. Der Kaiser habe nun entschieden, die Glaubensfragen durch ein Konzil nach römischem Brauch und außerhalb von Deutschland entscheiden zu lassen. Bis dahin seien die alten Zustände wiederherzustellen.227 Mit diesen denkbar ungünstigen Bestimmungen wäre ein Kompromiss in Religionsfragen endgültig gescheitert. Die Kriegsgefahr wuchs damit. Jedoch ließ der Kaiser eine Hintertür offen, wie Melanchthon weiter berichtete. Wenn die Evangelischen etwas Neues zu den strittigen Glaubensartikeln einbringen wollten, so wäre der Kaiser noch acht Tage bereit, dieses anzuhören.228 Auch wenn Melanchthon versicherte, dass die Fürsten ein Einlenken dankend ablehnen würden, war Luther aufgrund anderer Nachrichten in Sorge, Melanchthon könnte heimlich die Verhandlungen fortführen und weitere Zugeständnisse hinsichtlich der strittigen Glaubensartikel machen.229 In Gegenwart des Kurprinzen auf der Coburg wurden diese Gerüchte noch zusätzlich geschürt.230 Insofern befürchtete Luther, dass die Uneinigkeit zwischen Melanch  Vgl. WA XLV. 32, 76–93.   »[…] Caesarem velle curare congregari concilium, sed more antiquo Romanae Ecclesiae, et fortasse extra Germaniam propter negotia Caesaris; interim restitui debere omnia papistis sed hoc adhuc non est plane decretum)« (Brief Philipp Melanchthons an Luther, vom 8. September 1530, WA B 5; Nr. 1715, 611,2–5). 228   »[…] si quid adhuc velint contendere nostri in illis articulis, de quibus controvertitur, velle Caesarem adhuc per octo dies praesidere« (Brief Melanchthons an Luther, vom 8. September 1530, WA B 5; Nr. 1715, 611,5–7). 229   »[…] nec spero, quod me aliquid celetis, si ad rem pertinet. Deinde in ea sum persuasione securus, quod nisi salva confessione et excepto euangelio nihil sitis concessuri« (Brief Luthers an Melanchthon vom 20. September 1530, WA B 5; Nr. 1721, 627,11–13). Luther schickte den Antwortbrief an Spengler nach Nürnberg mit Bitte um Weiterleitung. Da jedoch zu der Zeit bereits feststand, dass der Reichstagsabschied und die Abreise des Kurfürsten kurz darauf erfolgen würde, entschied sich Spengler, die Briefe wieder zurückzusenden. 230   »Cogunt enim nostrorum tragicissimae literae cogitare, num interim aliquid periculi in causam inciderit. Mussitabat nudius quidam inter coenandum coram iuniore Principeeiusmodi quiddam« (Brief Luthers an Melanchthon vom 20. September 1530, WA B 5; Nr. 1721, 627,19–22). 226 227

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thon und den anderen zu einer Spaltung der Wittenberger führen und doch noch aufgrund eines drohenden Krieges ein falscher Kompromiss eingegangen werden könnte. In seinem Brief an Justus Jonas bittet er daher, sofort die Verhandlungen trotz aller möglichen Konsequenzen abzubrechen: »Wird ein Krieg draus, so werde er draus; wir haben genug gebeten und getan«.231 In dieser Gefühlslage betrat Luther nach mehrmonatigem Schweigen die Kanzel, wobei er wohl dieses Mal nicht in der Stadtkirche, sondern vor dem Kurprinzen und dessen Gefolge in der Coburger Schlosskirche predigte.232 Die Befürchtungen und Sorgen Luthers, dass aus seiner Sicht die Grundsätze des evangelischen Glaubens zum Ende des Augsburger Reichstags in Gefahr seien, spiegeln sich auch in seinen Worten wider. Luther wählte die ersten Verse aus dem Predigttext für den kommenden Sonntag aus, die im Kontext von Jesu Jubelruf stehen: »Und Jesus wandte sich zu seinen Jüngern und sprach zu ihnen allein: Selig sind die Augen, die sehen, was ihr seht. Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben’s nicht gesehen, und hören, was ihr hört, und haben’s nicht gehört« (Lk. 10, 23f). Den Jubelruf hat Luther in den Vorjahren zumeist im Kontext des danach folgenden Gleichnisses vom barmherzigen Samariter ausgelegt (Lk. 10, 25–36).233 Zur Erläuterung des Spruchs Jesu unterscheidet er dort zumeist das äußerliche vom geistlichen Sehen und Hören.234 In der Coburger Predigt jedoch geht er eher beiläufig auf den Bibelvers ein. Dessen Auslegung steht nicht im Zentrum seiner Gedanken, sondern der feste Glaube. Von den Coburger Predigten ist diese Kanzelrede wohl am schwierigsten zu interpretieren. Der Gedankengang ist nicht immer stringent, teilweise sogar verworren. Dennoch lässt sich ein grober Aufbau erkennen. Allgemein geht es darum, den festen Glauben von einem unsicheren Glauben abzugrenzen. Nach einem Eingangsteil 235 will Luther in einem ersten Schritt klären, was fester Glaube sei, und verwendet hierzu verschiedene biblische Begriffe und Beispiele.236 Im zweiten Schritt wendet er sich den Ursachen für den Mangel am Glau231   Brief Luthers an Justus Jonas vom 20. September 1530, WA B 5; Nr. 1722, 628–630, hier 629,51f). 232   Die Nürnberger Tischredenhandschrift von Veit Dietrich trägt die Überschrift: »Summa sermonis habiti Coburgi in arce XV septembris« (WA 32; 104,30). 233   Vgl. aus der Kirchenpostille die Predigt für den 13. Sonntag nach Trinitatis (WA 10 I.2; 355–367), der als Vorlage eine mehrfach überlieferte Predigt vom 23. August 1523 zugrunde liegt (WA 11; 168–173 u. WA 12; 659–662). Vgl. ferner die Doppelpredigten vom Vormittag und Nachmittag vom 26. August 1526 (WA 20; 482–486. 486–488), vom 6. September 1528 (WA 27; 317–323 u. 323–329) und vom 22. August 1529 (WA 29; 521–531 u. 531–536). 234   »Die Juden haben das auch gesehen leyplich, ja sie habens zum teyl entpfunden, aber für Christum habenn sie jn warhafftig nicht erkandt […]« (WA 10 I.2; 357,31f). Vgl. auch in Verknüpfung mit Joh. 8, 56: »Da meyneten die Juden, er redete von eim leyplichen sehen, Aber Christus redett von dem geistlichen sehen« (WA 10 I.2; 358,4f). Vgl. ferner WA 11; 168, 11–17. 235   Vgl. WA 32; 94,2–95,5. 236   Vgl. WA 32; 95,6–97,37.

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ben zu.237 Der dritte Schritt handelt vom Glauben als Erneuerung des Menschen.238 Diese Hauptgedanken sind auch in der Tabelle der Nürnberger Tischredenhandschrift von Veit Dietrich wiederzuerkennen.239 Im Eingangsteil räumt Luther ein, dass diese Bibelworte, wie alle Werke Gottes, unscheinbar wirkten. Doch allgemein spreche Christus nicht mit mächtigen, sondern mit einfachen Worten, um die Jünger zum Nachdenken zu bringen.240 Ein solches Nachdenken helfe auch heute noch, um die christliche Lehre recht zu verstehen. Wer jedoch in ein falsches Grübeln gerate und die Wahrheit der Lehre bezweifle, aus dem könne kein guter Christ werden.241 Solche Christen seien bloße Schwätzer242 , die lediglich denken, sie würden die Schrift begreifen. Kämen sie jedoch ins Zweifeln, schwinde ihr Glaube. Solche Menschen seien gefährlicher als diejenigen, die gar nichts vom Glauben wüssten. Es kann nicht genau bestimmt werden, wen er hier als Schwätzer vor Augen hat, die ins Grübeln geraten und vermeintlich meinen, sie würden die Schrift begreifen. Jedoch erinnert dies grundsätzlich an die Situation während des Augsburger Reichstags, bei der Luther befürchtete, Melanchthon könnte doch noch in den Glaubensartikeln Zugeständnisse machen. Es dürfte kein Zufall sein, dass er sich deshalb in den Hauptteilen der Predigt dem Thema »Glauben« widmet. Der erste Teil beginnt mit dem Gedanken, dass Luther zufolge das Wort »Glaube« entweder seltener in den Mund genommen oder mit rechtem Verstand gebraucht werden solle. Denn Glaube sei zunächst, wenn ein Mensch ganz gewiss und ohne Zweifel sei.243 Hier versucht Luther – allerdings in etwas spröder Weise – die Verbindung zum Bibeltext herzustellen. Denn seiner Auffassung nach gehe es auch in den Worten Christi um den Glauben. Dieser mache den Jüngern klar, sie könnten sich glücklich schätzen, Besonderes gesehen und gehört zu haben. Nicht vielen werde dieses Glück zuteil. Deshalb wäre es den Jüngern zumindest möglich, ganz gewiss und ohne Zweifel zu glauben.244   Vgl. WA 32; 98,1–99,38.   Vgl. WA 32; 100,1–104,29. 239   Die Tabelle zeigt einen systematischen Aufbau zur Definition des Glaubens (»haec fides«) (WA 32; 104,36). Auf die einzelnen Zellen der Tabelle wird in der Analyse der Predigt jeweils verwiesen. 240   »Diese wort, wie sie lauten, lassen sie also ansehen, als steckte nicht viel grosser kunst darinn, […] Sondern gehet einfeltig herein […]. So sehen wir nu, das Christus seine Junger hie und uns alle hat wollen reitzen, das sie und wir dem ding wol und vleissig nachdechten« (WA 32; 94,9–21). 241   »Das selbig nachdencken hilfft da zu, das wir […] die sachen gewis fassen […]. Wer aber ynn die gedancken kompt und bey sich selbs wancket: Lieber, meinstu, es sey auch war &c.. Ein solch hertz macht nimer mehr ein guten Christen« (WA 32; 94,22–27). 242   »[…] und bleiben lauter wesscher, mehr wird nicht draus« (WA 32; 94,30f). 243   »Darumb wolt ich auch, das das wort glaube entwedder nicht so gemein were oder ynn seinem rechten verstand und brauch gienge , das man den glauben das hiesse, das einer eins dings gantz gewis und ungezweifelt ist« (WA 32; 95,6–8). 244   »Das wil nu Christus hie, da er sagt ›Selig sind die augen die sehen das yhr sehet, und die ohren die horen das yhr horet‹, Als wolt er sagen: Es ist ein gros ding, das yhr gesehen und 237

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So gebe es verschiedene Begriffe in der Bibel für den festen Glauben. Im Hebräischen bezeichnet man diese Herzensgewissheit als »’emuna« (‫ ;)הנּומא‬im Griechischen als »plerophoria« (πληροφορία).245 Ein solcher Glauben könne allein vom Heiligen Geist geschenkt werden, wie es nach Luthers Worten in Ps. 51, 12 heißt: »Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und erneuere in mir einen gewissen Geist«.246 Denn den Glauben selbst könne man sich erdenken.247 Wenn Ungewissheit herrsche, werde der Mensch fehlbar. Wenn er jedoch ein reines Herz habe, sei es unmöglich, zu sündigen.248 Um diesen Gedanken zu vertiefen, gibt er zwei Beispiele.249 Wenn ein Ehepaar mit reinen Herzen zusammenlebe, dann brauche man sich nicht zu sorgen, dass sie Ehebruch betrieben.250 Genauso verhalte es sich bei einem reinen Herzen mit der Treue des Knechtes zum Herrn.251 An einen Treuebruch sei bei einem gläubigen Knecht gar nicht zu denken. Denn dieser sei – wie es Eph. 3, 19 ausdrückt – »erfüllt mit der ganzen Gottesfülle«.252 Auch in 1. Joh. 3, 9 stehe: »Wer aus Gott geboren ist, der tut keine Sünde; denn Gottes Same bleibt in ihm, und er kann nicht sündigen; denn er ist aus Gott geboren«.253 Und auch Eva hätte nicht vom Teufel verführt werden können und in den Apfel gebissen,

gehoret habt. O wer nur solch oren und augen dazu hette, das er es recht sehen und hoeren kunde und der sachen gantz gewis sein« (WA 32; 95,17–21). 245   »Darumb heisset auch die schrifft den glauben Emuna auff hebreisch und Paulus Plerophoria, das ein hertz gantz gewis sey und kein zweifel an dem wort habe« (WA 32; 95,21–23). Zum hebräischen Begriff vgl. seine Schrift ›Der Prophet Habakuk ausgelegt‹ aus dem Jahr 1526 (WA 19; 337. 345–435, hier 395,22–396,14). Zur Plerophoria vgl. De servo arbitrio, 1525, WA 18; 603,22–24. Vgl. auch in der Nürnberger Tischredenhandschrift die Begriffe »Hypostasin«, »Plerophoria« und »Emuna(n)« (WA 32; 105,7f. 15). 246   Vgl. WA 32; 95,24–26. 247   »[…] schaffe du yhn ynn mir, du must mir yhn geben, Jch wuerds nicht selb erdencken« (WA 32; 95,30f). 248   »Denn so bald einer seiner sachen ungewis ist, so ists unmuglich, das er nicht feile und [33] unrecht handele, widderumb, wo das hertz fein gewis ist, da ists unmuglich, das einer sundige oder sich vergreiffe« (WA 32; 95,31–34). 249  Vgl. hierzu auch in der Tischredenhandschrift »mulier non adulteratur« (WA 32; 105,3f). 250   »Als zu eim Exempel, wenn ein Eheman oder Eheweib, das bey sich gewis kan schliessen: Jch gleube und bin ungezweifelt, das mich Gott meinem man zu einem weib, meiner frawen zu einem man hat geben, […] so darffstu nicht sorgen, das der selbige Eheman zum ehebrecher oder sie zu einer huren werd« (WA 32; 95,35–96,4). 251   »So ists auch mit knecht und magd, der knecht kan gwis sagen: Jch bin des herrn knecht, Gott spricht selbs: Hans, du bist des knecht, […] so wird es yhn darnach wol leren, wie er seinem herrn dienen sol und trew sein« (WA 32; 96,8–11). 252   »[…] wie S. Paul leret, Ut impleamini in omni plenitudine dei, das einer gar vol Gotts werde« (WA 32; 96,13–15). 253   Vgl. WA 32; 96,22–24.

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wenn sie ein reines Herz gehabt hätte.254 Daran zeige sich, dass alle Sünde aus dem Unglauben fließe.255 Luther räumt jedoch ein, dass auch ein reines Herz fehlbar werden könne. Dieses sei jedoch nicht Sünde im strengen Sinn, sondern eher eine Form von Willensschwäche. Man handele dabei übereilt und unbeabsichtigt.256 Durch die Taten werde jedoch niemandem grundsätzlich geschadet.257 Deshalb bezeichne man dieses als Sünde aus Unwissenheit (peccatum ignorantiae), womit er auf die Zurechnungs- und Irrtumslehre bei Thomas von Aquin anspielt, nach der es auch schlechte Handlungen gebe, die die Sünde weder vergrößerten noch verminderten.258 Auch Paulus sei in seinem Glauben nicht wankend gewesen. In Gal. 1, 8 habe er unmissverständlich ausgedrückt: »Aber auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht«.259 Luther will damit die Angesprochenen überzeugen und fordert höchste Gewissheit im Sinne der Plerophorie.260 Alles andere sei sophistisches Gewäsch, woran auch Luther festhielt, als er noch ein Sophist war.261 In Hebr. 11, 1 werde aber der Glaube als fester Grund und unbezweifelte Zuversicht (ὑπόστασις) beschrieben.262 Luther geht hier insofern von einer Vollendungsgestalt des Glaubens aus, die keinen Zweifel zulässt. Es scheint, dass er damit indirekt diejenigen auf dem Augsburger Reichstag kritisieren will, die in ihrem Glauben aus seiner Sicht ins Wanken gerieten. Jeden254   Vgl. WA 32; 96,29–97,5. Vgl. ferner in der Tischredenhandschrift »Heva exemplum« (WA 32; 105,11). 255   »Daher sehen wir, das alle sunde mussen aus dem unglauben fliessen« (WA 32; 96,25). »Also sehen wir, das es unmuglich ist, das ein untugent geschehe, geschichts aber, so ists des unglaubens schuld« (WA 32; 97,6f). 256   »[…] es ist ein mensch bald ubereilet und uberteubet, Aber hie mus sunde nicht sunde sein, Ursach: es widderferet yhm solches unversehens und ehe er sich umbsihet, ists schon geschehen« (WA 32; 97,9–11). 257   Vgl. in der Tabelle der Nürnberger Tischredenhandschrift die Zelle, die eine Alternative beschreibt: Man kann nicht sündigen oder obwohl man sündigt, ist man nicht schuldig: »non potest peccare eciamsi peccet, non est reus« (WA 32; 105,2–5). 258   »[…] das ist denn peccatum ignorantiae, die sunde haben kein not, thun auch nicht schaden« (WA 32; 97,12f). Vgl. hierzu Thomas von Aquin, S. th., II. 1 qu. 76 art. 4c: »Ignorantia vero quae non causa peccati, sed concomitanter se habet ad peccatum, nec minuit peccatum, nec auget«. Vgl. Joachim Hruschka: Concscientia erronea und ignorantia bei Thomas von Aquin, in: Günter Stratenwerth u. a. (Hg.): Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag am 25. März 1974, Berlin 1974, 115–150.  259   Vgl. WA 32; 97,23f. 260   »Warumb thut ers aber? Darumb das er die leute gern dazu ziehen und gewhenen wolt, das sie sagen kundten, sie weren der sach gewis, und das ist auch eben die ursach, das er allenthalben da hin treibet und dringet, das sie sollen plerophoriam lernen, das ist: ein gewisses hertz haben« (WA 32; 97,30–33). 261   »Die Sophisten haben viel da von gewasschen, wie ich auch gethan habe, da ich noch ein Sophist war« (WA 32; 98,4f). 262   »Die Epistel an die Ebreer nennet den glauben Hypostasin, das ist ein gewissen grund, ein ungezweifelte zuversicht« (WA 32; 98,6f).

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falls können durchaus solche Assoziationen zumindest dem Kurprinzen und seinen Begleitern in den Kopf gekommen sein. Damit leitet Luther zum zweiten Teil der Predigt über, in dem er auf die Ursachen für den Mangel an Glauben eingeht. Jeder solle sich selbst im Herzen fragen, ob er seiner Rolle als Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Knecht oder Magd tatsächlich nachkomme.263 Solches müsse immer wieder hinterfragt werden. Denn jeder lerne in seinem Amt täglich dazu. Auch Luther, der nun ein alter Doktor sei, vergesse immer wieder etwas und müsse ständig neu dazu lernen.264 Der Mensch sei aber träge wie ein Zentner Blei.265 Das eigene Fleisch und Blut führe dazu, dass man nicht zu einem gewissenhaften Herzen komme. Dies sei der erste Grund für den Mangel an Glauben.266 Der zweite Grund rühre vom Wirken des Teufels.267 Durch ihn könne man leicht in die Situation geraten, zu denken: Bin ich der Einzige, der glaubt, und was ist mit der Welt? Glauben denn Türken, Papst, König und Fürsten nicht? Dadurch entstehe Unsicherheit, weshalb man sich frage: Was weiß denn ich? So viele und Mächtige können sich ja gar nicht irren? 268 Damit würde man aber – in Anspielung auf den Predigttext – die Augen schließen und sich die Ohren zustopfen.269 Selbst wenn es drei Welten voller Türken und Päpste gäbe, so wäre Gott immer noch größer als sie.270 Auch wenn unzählige Menschen dem eigenen Glauben widersprächen, ihnen stünden unzählige Engel gegenüber, die einem beistünden und darin bestärkten, dass man im Recht sei.271 Wenn man sich ver-

263   »Darumb, lieber, versuche es ein mal und spil mit deinem hertzen, frag dich selb, ob du es gewis da fur haltest, das du Ein Vater, Muter, knecht, magd &c.. seiest, so wirstu finden, wie weit es dir noch dar an feile« (WA 32; 98,10–12). 264   »Jch bin nu ein alter Doctor, hab viel davon gepredigt, geschrieben und gelesen und kan sie dennoch noch nicht, Jch kan nirgend da mit fort komen, wenn ich heut ein guts stucklein gelernet habe, morgen sol es wol komen, das ichs widder hab vergessen« (WA 32; 98,14–17). 265   »Es ziehet uns die alte haud so schwer hindersich als ein Centner bleyes, das wir nur nicht zu dem gewissen hertzen komen sollen« (WA 32; 98,20–22). 266   »Und das ist nu der erste mangel, das wir zu dem gewissen hertzen nicht komen kunnen, nemlich unser eigen fleisch und blut« (WA 32; 98,25f). 267   »Zum andern hat es auch den Mangel, das sich der Teufel allenthalben ynn wege legt, das man ja zu der gewisheit nicht komen sol« (WA 32; 98,27f). Vgl. auch in der Tischredenhandschrift »Hanc Satan impugnat« (WA 32; 105,10). 268   »Das einer also bey sich selbs dencket: Ey sol ich denn allein gleuben und die gantze welt, Turck, Babst, konig und fursten gleuben nichts, Lieber, wie wenn du unrecht hettest und sie recht? So hebt denn das hertz an zu wancken« (WA 32; 98,32–35). 269   »Da ists denn ein kunst, das man oren und augen zustopffe und ynn die ohren und augen das fasse« (WA 32; 99,6f). 270   »Es ist war, Turck, Babst, konig und fursten sind gros, aber ich weis einen grossern, und wenn gleich noch drey welt vol Turcken und drey vol Bebst weren, was werens denn gegen Gott zu rechen?« (WA 32; 99,7–10). 271   »So weis ich nu, sind durt viel unzeliche menschen, so sind hie viel unzeliche engel und der hauff auff erden ist nichts gegen yhnen zu rechen, der himel ist vol vol Engel, die sagen alle, du seiest ein Christ, so sagts Gott selber, was ist nu die wellt?« (WA 32; 99,11–15).

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gegenwärtige, dass man auf Gottes Seite stehe, dann werde der Glaube stark und mächtig und die Gegner würden wie Staub zerfallen.272 Genauso habe man alle Artikel des Glaubens zu verteidigen, da sie Gottes Wort enthielten. Wenngleich der Türke, Kaiser und Papst dagegen sprächen, so solle man tun, als ob man sie nicht höre.273 Und wenn daraus ein Geschrei werde und Feuerwaffen donnern würden, Gottes Wort sei lauter und übertöne alles.274 Gottes Wort sei heller als zehn oder zwanzig Sonnen.275 Gegen alles, was Gott widerspreche, müsse man mit der Gewissheit kämpfen, man werde siegen, da der feste Glaube nicht unterliegen könne.276 Mit diesem Aufruf zum Standhalten gegen Kaiser und Papst trotz drohender Kriegsgefahren spielt Luther indirekt auf den Augsburger Reichstag an. Denn genau diese Haltung fordert er auch von seinen Mitstreitern, die sich in der Situation befänden, vor Papst und Kaiser den Glauben zu verteidigen. Im dritten Teil hebt Luther die Erneuerung des Menschen durch den Glauben hervor.277 Kein Werk, sondern allein der Glaube könne den Menschen auf grundlegende Art verändern.278 Es reiche nicht aus, eine Mönchskutte anzulegen. Denn ein Schalk in solchen Kleidern bliebe weiterhin ein Schalk. Vielmehr solle man glauben, dass Christus auch »für mich« gestorben sei, auch wenn man dafür sein Leben lassen müsse.279 Denn die Erneuerung des Menschen bewirke auch Beständigkeit im Leiden.280 Wenn der Teufel nämlich gar nichts mehr ausrichten könne, dann greife er zuletzt mit Gewalt an.281 Doch in der Not werde 272   »Mit solchen gedancken wird das wort fein gros, starck und mechtig, wenn man darauff sihet, wer der ist, der es geredt hat, und das ander teil, Turck, Babst und wer sie seien, die sich da widder legen, werden eitel steublein« (WA 32; 99,17–19). 273   »Auff die weise mus man von allen andern artikeln des glaubens gedencken […], wolan was da widder redt, es sey Turck, Keyser oder Pabst, so thu ich, als horete ichs nicht« (WA 32; 99,22–27). 274   »So wird denn aus dem wort Gottes ein solchs geschrey, das kein glock, buchsen noch donner so gewaltig und mechtig lautet« (WA 32; 99,27f). 275   »Also wird denn ein wort das Gott redet, grosser und liechter denn zehen oder zweintzig sonnen« (WA 32; 99,33f). 276   »[…] was sich aber dawidder leget, da mus man mit fechten und schlagen und also siegen, denn der glaube kan nicht unterliegen« (WA 32; 99,36–38). 277   Vgl. in der Nürnberger Tischredenhandschrift die zweite Spalte die Begriffe »mutat« und »innovat« (WA 32; 105,1f). 278   »Darumb gibt auch die schrifft dem glauben den Titel, das er […] den menschen gar new mache: kein werck kan den menschen anders machen […], allein der glaube kans und thuts. Das kan einer wol, das er den rotten rocke ausziehe und lege ein schwartze kappe dafur an, Aber nichts deste weniger gehet noch eben der schalk ynn der schwartzen kappen daher« (WA 32; 100,1–6). 279   »[…] allein das stucke thuts, das ich glaube und fur gewiss halte, das Christus fur mich ist gestorben, und liesse drob leib und leben, hals und strumpff, wo man mir das nehmen wolt« (WA 32; 100,7–10). 280   »Weiter wie eben der glaube den menschen gar endert und new machet, also macht er yhn auch bestendig yhm leiden« (WA 32; 100,14f). 281   »Denn als bald der Teuffel sihet, das er nichts kan ausrichten […], so greifft ers mit gewalt an, wil morden und brennen« (WA 32; 100,16–19).

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Gott einem helfen, wodurch die Not enden werde.282 Damit spielt er erneut auf die Möglichkeit eines drohenden Krieges an, der aus dem Scheitern der Verhandlungen auf dem Augsburger Reichstag hätte resultieren können. Doch die Hilfe Gottes werde trotz aller Gefahren nicht ausbleiben. Luther veranschaulicht dies durch zwei biblische Beispiele, die er jeweils auf die Gegenwart überträgt. Die Israeliten hätten unter dem Pharao hart leiden müssen, doch Gott habe sie befreit und die Ägypter umkommen lasse.283 Das gleiche Schicksal der Ägypter werde auch die gegenwärtigen Theologen ereilen, die sich gegen Gottes Wort stellten.284 Und die Juden versuchten, Christus als Aufrührer und Ketzer zu bezichtigen, doch Gott habe sie gerichtet und Jerusalem zerstört. Solche Ketzervorwürfe müsse man sich auch heutzutage von den Gegnern anhören.285 Mit den Gegnern hat Luther wohl auch die Vertreter der altgläubigen Partei auf dem Augsburger Reichstag vor Augen. Zum Schluss fordert Luther jeden dazu auf, in sein stilles Kämmerlein zu gehen und zu prüfen, ob man mit festem Herzen glaube.286 Falls man sich zu schwach fühle, solle man zu Gott beten.287 Denn Christus habe die Sünde aus dem eigenen Herz gerissen und auf sich genommen.288 Rückblickend zeigt die Coburger Predigt vom 15. September, wie der Prediger Luther die Tagespolitik aufgreift. Zum Ende des Reichstags versucht er, den Glauben insbesondere des Kurprinzen zu stärken. Freilich ließe sich die Predigt auch anders interpretieren – doch nur, wenn man den historischen Kontext unberücksichtigt ließe. Dann käme man zu dem Schluss, dass Luther hier allgemein über das Thema »Glauben« gesprochen habe. Doch erst vor dem Hintergrund der historischen Situation ergibt sich, inwiefern er als Prediger Stellung zu den Ereignissen auf den Reichstag nahm. Er sah sich dabei nicht nur in der Rolle des Kommentators, sondern auch in der des charismatischen Anführers der Bewegung, der durch seine Predigten die Richtung vorgeben wollte. 282   Vgl. WA 32; 101,19–22. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Trostsprüche in Röm. 5, 5 und in 1. Kor. 10, 13. 283   »Also thet er mit den kindern von Jsrael auch, die musten das Creutz tragen, […], zu letzt kam er [Gott ]auch und holet sie eraus« (WA 32; 101,23–27). 284   »So wirds unsern Pfaffen auch ghen, sie haben uns lang gedrucket, […] so mussen sie ynn das rott meer komen« (WA 32; 101,31–33). 285   »So hats den Juden auch gangen, die wolten den Christum […] vom himel herab reissen, scholten yhn ein auffrhurer, einen verfurer und ketzer, gleich wie man uns itzt auch thut […], da gieng er mit den Juden und der heiligen stad Jerusalem so umb, das kein stein auff dem andern bleibe« (WA 32; 102,4–11). 286   »[…] ein iglicher gehe ynn sein kemerlein oder wo er allein ist, und pruefe sich selb, ob er gewis gleube« (WA 32; 102,18f). 287   »[…] fuelet er sich, […] das es noch schwach und gering mit yhm ist, so knie er fein nidder und bitte unsern Herr Gott umb genad« (WA 32; 102,20f). 288   »[…] du gleubest das es gewislich war sey, das Christus fur dich gelitten und dich erloset habe, Darumb kanstu sprechen: Christus hat meine sund auff sich genomen, so habe ich sie ja nimer, weil er sie hat, Er hat sie aus meinem hertzen und gewissen gerissen« (WA 32; 102,25–29).

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6. Der Rückblick auf den Augsburger Reichstag (2. Oktober) Nachdem der Kurfürst mit seinem Gefolge einen Tag zuvor auf der Coburg angekommen war, predigte Luther am 16. Sonntag nach Trinitatis über den Jüngling zu Nain (Lk. 7, 11–16).289 Die Perikope ist gewöhnlich für den Sonntag vorgesehen. Luther hatte in den Jahren zuvor bereits mehrmals über die Wundergeschichte gesprochen.290 Vergleicht man die Predigten der Vorjahre, so ergeben sich für den ersten Teil der Coburger Predigt einige Parallelen. Bereits früher wandte er zunächst den Blick auf die Historie, 291 betonte die Traurigkeit der Szenerie, 292 legte Wert auf das unaufgeforderte Eingreifen Christi 293 und stellte die Perikope in einen schöpfungstheologischen Kontext.294 Die Besonderheit der Coburger Predigt besteht darin, dass die Perikope mit einer Stellungnahme zum Augsburger Reichstag verknüpft wird. Insofern gliedert sich auch die Predigt in zwei Teile. Der erste Teil ist eine Auslegung des Textes, bei der mehrere Gedanken hervorgehoben werden.295 Im zweiten Teil widmet sich Luther dem Augsburger Reichstag, zieht kritisch Bilanz und bestärkt die Zuhörenden in ihrem Glauben an die Zukunft.296 Luther beginnt mit einer kurzen Nacherzählung des Bibeltextes. Die Geschichte berichte von der Witwe, die ihren einzigen Sohn zu Grabe trage, der von Christus auferweckt werde.297 Traurig und hoffnungslos werde die Szene im Evangelium beschrieben.298 Keiner der Trauernden habe den Gedanken ge289   Vgl. WA 32; LXIX. 121–126. Eine leicht modernisierte Fassung mit einigen sprachlichen Anmerkungen ist auch abgedruckt bei: Georg Buchwald: Koburger Predigten Martin Luthers aus dem Jahre 1530, Leipzig 1917, 38–48. 290   Über diese Perikope sind vor 1530 sechs Predigten überliefert (vgl. das Predigtverzeichnis in WA 22; LXI). Am Tag des Evangelisten Matthäus, dem 21. September 1523, wählte Luther diese Perikope vom vorangegangenen Sonntag (WA 11; 180–183). Ein Jahr später predigte er darüber am 11. September 1524 (WA 15; 680–683). Die Predigt vom 24. September 1525 (WA 17 I; LVI. 419–423) fand Eingang in die Kirchenpostille (WA 10 I.2; 382–391). Ferner predigte er am 16. September 1526 (WA 20; 498–501), am 27. September 1528 (WA 27; 353–357) und am 12. September 1529 (WA 29; 553–558). 291   »Simplex eius historia« (Predigt vom 21. September 1523, WA 11; 181,4); »In hoc Euangelio videtur nullum humanum opus« (Predigt vom 16. September 1526, WA 20; 498,2). 292   »[…] da nichts ist denn heülen und weynen« (WA 10 I.2; 383,3f). Allgemeiner formuliert: »Ita haec vita est elend vita« (Predigt vom 16. September 1526, WA 20; 498,9). 293   »Sic hic proponitur exemplum, quod Iesus venit ad viduam non rogatus« (Predigt vom 11. September 1524, WA 15; 680,9); »Ibi nihil quam fletus et nihil minus cogitavit« (Predigt vom 24. September 1525, WA 17 I; 419,7f); »[…] quod Christus restituit filium viduae nihil tale nec cogitanti nec speranti nec roganti« (Predigt vom 27. September 1528, WA 27; 354,19f); »Ideo summa est, ut deum agnoscamus in suis donis nobis datis scientes certo nobis contingere omnia a deo sine nostris meritis« (Predigt vom 12. September 1529, WA 29; 557,18f). 294   Vgl. WA 11; 182,20–26. 295   Vgl. den ersten Teil, der bis zu den Worten reicht: »hoc iam sit satis de hoc Euangelio« (WA 32; 124,17). 296   Vgl. WA 32; 124,18–126,8. 297   Vgl. WA 32; 121,26–122,1. 298   »Jnn summa es ist so geschrieben, das es ja jemerlich und elend gnug anzusehen ist«

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fasst, dass dem Jungen noch geholfen werden könne.299 Der Anblick des Trauerzuges habe auch Christus traurig gemacht, weswegen sich in ihm Mitleid geregt und er den Jungen auferweckt habe.300 Dieses Exempel sei nicht nur für die Witwe, sondern für jeden Christen geschehen, um den Glauben zu vermitteln, Christus könne die Toten wieder lebendig machen.301 Aus dieser Geschichte solle man daher drei Dinge lernen. Zum einen habe man zu glauben, dass die Auferweckung des Jünglings tatsächlich so stattgefunden habe.302 Zum anderen dürfe man getrost darauf hoffen, dass Christus auch heutzutage noch solche Wunder vollbringen könne.303 Und zum Dritten sei davon auszugehen, dass Christus solche Wunder gerne vollziehe.304 Denn die Besonderheit dieser Wundergeschichte bestehe darin, dass er ohne Bitten von Seiten der Mutter die Auferweckung vollzogen habe. Der Gedanke, dass der Sohn wieder lebendig werden könne, sei tausend Meilen von ihrem Herzen entfernt. Dennoch sei es geschehen.305 Um die Wunderkraft Christi hervorzuheben, unterscheidet Luther im Folgenden zwei Arten von Gottesvorstellungen.306 Der Gott des Himmels habe die Macht, das Nichts zu zerbrechen und aus dem Nichts etwas zu erschaffen.307 Dem stehe der Teufel als Gott der Welt gegenüber. Er könne lediglich das verändern, was bereits existiere.308 Während die Anhänger des Teufels mit ihrer Macht über das, was ist, prahlten, trumpfe Gott nicht auf. Vielmehr rufe er das, was nicht ist, dass es sei, womit Luther auf Röm. 4, 17b anspielt.309 Auch Chris(WA 32; 122,1f). 299   »[…] da niemand kein andern gedancken mehr hat, denn es sey aus mit yhm« (WA 32; 122,3f). 300   »[…] da kompt allererst zu mas der heyland Christus, hat mitleiden mit der frawen und macht yhr yhren Son widder lebendig« (WA 32; 122,4f). 301   »Dis Exempel ist geschehen und geschrieben nicht allein der widfrawen halben, sondern viel mher unsert halben, […] das wir die gmeine lere aus dieser historien lernen, die sonst jederman kan, welche heisset, das wir Christen ynn den gleuben, der die toden aufferwecken und sie widder lebendig machen kan« (WA 32; 122,5–11). 302   »So ist nu dis das erste, das wir gleuben und fur war halten, das es geschehen sey, wie der Euangelist hie schreibt« (WA 32; 122,12f). 303   »Zum andern ist auch das von noeten, das wir gleuben, das Christus, der da zu mal den todten auffgeweckt hat, kunne die kunst noch« (WA 32; 122,16f). 304   »Zum dritten mus man auch das gleuben, das ers gern wolt thun« (WA 32; 122,20f). 305   »Er kompt da her, der liebe Christus, niemand bit yhn darumb, auch die muter selb nicht, das er yhr den Sone widder lebendig mache, noch thut ers frey von sich selber ungebeten. Denn das hat die fraw nicht gedencken kunnen, […] diese gedancken sind uber tausent meil von yhrem hertzen, Dennoch geschichts« (WA 32; 122,22–26). 306   »Denn es sind zweyerley Gott« (WA 32; 122,30f). 307   »Gott hat zu thun da mit das nichts ist, […] wo er aber etwas findet, das zerbricht er, das es ein nichts werde und er etwas zu machen habe« (WA 32; 122,31–33). »[…] und wo er das nicht nicht findet, wie ich vor gesagt habe, da zubricht er das das ist, auff das es nichts werde und er denn etwas draus mache« (WA 32; 123,4f). 308   »Aber der Gott der welt, der Teuffel, der thut das widderspiel und braucht des das bereit da ist, wo aber nichts ist, da kan er nicht ichts [etwas] draus machen« (WA 32; 122,33–35). 309   »Darumb sehen wir, das die seinen [des Teufels] auch die art haben, das sie rhumen,

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tus erwecke dort Leben, wo kein Leben mehr gewesen sei, wie die Geschichte vom Jüngling zeige.310 Im Hintergrund dieser Gedanken stehen Luthers Ausführungen zu Gottes vorübergehender Annihilierung der Schöpfung und dessen Macht zur recreatio als creatio ex nihilo.311 Ähnliche Gedanken formulierte Luther bereits in seiner Predigt über diese Perikope vom 21. September 1523, wenngleich dort auch keine so deutliche Gegenüberstellung von Gott und Teufel erfolgte.312 Vergleichbar mit seiner Predigt vom 21. September 1523 wendet Luther im Folgenden die schöpfungstheologischen Gedanken auf den Glauben des einzelnen Menschen an. Als Christ habe man sein Herz auf diesen Schöpfergott auszurichten, der die Macht habe, mit dem Nichts umzugehen.313 So sei auch der Glaube. Man solle das, was nicht sei, für etwas halten.314 Auch ihm selbst – so Luther – falle es schwer, auf diese Art zu glauben. Wie ein Schüler lerne er noch, zu glauben, dass es etwas gebe, was er selbst jedoch nicht sehen könne.315 In jedem stecke noch der Drang des alten Adam, allein einen Gott haben zu wollen, der sich lediglich im Vorhandenen offenbare.316 Doch das ewige Leben, ewige Gerechtigkeit, Hilfe und Trost könne man nicht sehen, wie einen Gegenstand in einem Kasten.317 Genau dies meine auch die Definition von Hebr. 11, 1: »Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtbrangen und trotzen auff das das sie haben […]. Aber unser Gott und die seinen thun nicht also, er branget nicht mit dem das schon da ist, sondern ›ruffet dem das nicht ist, das es sey‹, Ro. 4« (WA 32; 122,35–123,2). 310   »[…] wie es hie ynn dem exempel auch zugehet, das er hilfft und das leben gibt, da kein leben mehr da war, da man mit dem todten zum grabe gienge« (WA 32; 123,6f). 311   Zur Vorstellung der creatio ex nihilo beim frühen Luther vgl. die Predigt vom 15. August 1516, WA 1; 77–79, hier 79,11; Disputatio Johannis Eccii et Lutheri Lipsiae habita, 1519, WA 2; 250. 254–383, hier 379,26; Dictata super psalterium, 1513–1515, WA 3; 180,7 u. WA 4; 256,18. 290,19. 342,1; Operationis in psalmos, 1519–1521, WA 5; 544,9. Vgl. ferner David Löfgren: Die Theologie der Schöpfung bei Luther (FKDG 3), Göttingen 1960, 272–308; Johannes Schwanke: Creatio ex nihilo. Luthers Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts in der Großen Genesisvorlesung (1535–1545) (TBT 126), Berlin u. a. 2004, 70. 194. 255. 310. 312   »Ex nihilo facit omnia deus, non ex aliquo, ut putat ratio. Ut cum nihil habes, tum primum crede, quod deus velit tecum operari et aliquid facere. Sic sit fides, ut in deum transeat ac velit ea quae non sunt. Sic haec mulier plane non habet filium, habitura est autem ex nihilo. Sic cum morior, vado in nihilum, nihil video, nihil sentio. Tunc primum noscitur deus, hic agnosco, quid sit, scilicet quod ex nihilo aliquid faciat. Sunt mecum tenebrae. Ipse dicit ›fiat lux et vita‹, tum fit, ut ex nihilo, ex morte vita fiam« (WA 11; 180–183, hier 182,20–27). Vgl. ferner auch seine Auslegung der 25 ersten Psalmen, 1530 zu Ps. 9, 13, WA 31 I; 291,20. 313   »[…] wer ein Christ wil sein, der richte sein hertz da hin, das er einen Gott habe, der mit dem das nichts ist, umbgehe« (WA 32; 123,8f). 314   »[…] das heist ein glaube, das man etwas das nicht ist, [zu ergänzen: für etwas hält, das ist« (WA 32; 123,10). 315   »Jch weis das es ist, ob ichs gleich nicht sehe, Das ist denn ein hohe kunst, darynne ich noch ein student und schuler bin« (WA 32; 123,18f). 316   »Der Adam hengt uns noch ymer an und wil nur den Gott haben, der auff das jhene branget das vorhanden ist« (WA 32; 123,22f). 317   »Denn wir haben ya Christum, wir haben das ewige leben, ewige gerechtickeit, huelff

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zweifeln an dem, was man nicht sieht«.318 Der menschlichen Natur sei es zuwider, an etwas nicht zu zweifeln, was nicht gesehen werden könne.319 Denn eigentlich glaube man viel eher daran, das aus Nichts auch nichts werden könne, wie es die Sprichwörter sagen: »Es ist böse, aus einem leeren Beutel Geld zu zählen und aus einem leeren Becher trinken zu wollen«.320 Mit diesen Gedanken beendet Luther den ersten Teil der Predigt, in der er den Bibeltext ausgelegt hat. Im zweiten Teil geht Luther direkt auf den Augsburger Reichstag ein. Da jeder von den Zuhörenden wissen wolle, was man auf dem zurückliegenden Reichstag erreicht habe, wolle er nun darüber ein paar Worte verlieren.321 Beide Götter, der Gott des Himmels und der Gott der Welt, seien dort zugegen gewesen. Der Teufel habe sich machtvoll, weise und klug gegeben, indem er darauf gepocht habe, was er hatte. Der Gott des Himmels hingegen habe arm und bescheiden gewirkt.322 Diese Gegenüberstellung bildet die Verknüpfung zwischen Bibeltext und Luthers Stellungnahme zum Augsburger Reichstag. Während die evangelische Partei Gott an ihrer Seite habe, der aus dem Nichts etwas erschaffen könne, ständen die Gegner auf der Seite des Teufels, der das Vorhandene nur zerstören wolle. Luther wechselt hierbei die Perspektive und spricht nun in der ersten Person Plural, um die Zuhörenden mit einzubeziehen. Auf »unserer Seite« sei lauter Gnade, auf der Seite der Gegner hingegen lauter Zorn gewesen.323 Doch auch innerhalb der evangelischen Partei habe es halb Gnade und halb Zorn gegeben.324 Hier bezieht sich Luther wohl insbesondere auf die innerevangelischen Spannungen. So hat Ulrich Zwingli in Abgrenzung zu Luther sein eigenes Beund trost, Aber wo ists? wir sehen nicht, wir habens nicht ynn dem kasten noch henden« (WA 32; 123,25–28). 318   »Also sagt die Epistel zun Ebreern auch vom glauben, das er sey ›ein gewisse zuversicht des das man hoffet, und nicht zweifeln an dem das man nicht sihet‹« (WA 32; 124,1–3). 319   »Es thut aber der natur seer whe, das sie so sol […] trotzen auff das das sie nicht sihet« (WA 32; 124,6f). 320   »Daher sind die sprichwort komen: Es ist bos aus eim ledigen beutel gelt zelen und aus einen leeren kandl trincken« (WA 32; 124,10–12). Beide Sprichwörter verwendet Luther häufig gemeinsam (Vgl. WA 7; 682,1f; WA 41; 425,40f). Die Redensarten beziehen sich wohl weniger auf Kunststücke von Gaucklern. Eher sind sie derart gemeint, dass man von etwas Leerem nichts erwarten dürfe. Vgl. WA 51; 651 u. 688, Nr. 174. 321   »[…] hoc iam sit satis de hoc Euangelio. Weil itzt dieser Reichstag zergangen ist und jederman gern wissen wolt, was man habe ausgericht, wil ich ein wenig davon sagen« (WA 32; 124,17–19). 322   »Sie sind beide da gewesen, die zwen Goetter, unser rechter Gott und der welt Gott, der Teuffel, Dieser ist gewaltig, Reich, weise, witzig, kan viel und mancherley geschwinde [schaue] anschlege, trotzt und bucht [pocht] getrost auff das das er hat, Christus aber, der liebe Gott, ist arm, weis nicht, wie er sich und die seinen fur gewalt schutzen und verteydigen sol« (WA 32; 124,22–27). 323   »Doch ist so viel gehandelt und ausgericht, das auff unser seiten eitel gnade ist, so weit die sache Gott betrifft, und auff jhener seiten eitel Zorn« (WA 32; 124,27f). 324   »So weits aber die leute betrifft, ists halb und halb, halb zorn und halb gnad auff unser seiten« (WA 32; 124,28–30).

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Fünftes Kapitel

kenntnis »Ad Carolum imperatorem Fidei ratio« verfasst.325 Und die Städte Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau haben in Abgrenzung zur Confessio Augustana die »Confessio Tetrapolitana« als eigene evangelische Bekenntnisschrift formuliert.326 Der Hauptertrag des Augsburger Reichstages besteht für Luther darin, dass die evangelische Gesandtschaft beim Wort Gottes geblieben sei.327 Insbesondere dafür solle man Gott danken. Er bezweifelt, dass dies alle bereits verstanden hätten.328 Dies kann auch als Seitenhieb auf seine Kollegen gedeutet werden, die dem Reichstag beiwohnten. Er verstärkt diese Kritik noch durch den Gedanken, dass selbst die Gegner auf dem Reichstag anerkannten, dass die Evangelischen auf der Seite Gottes gestanden und keinem Glaubensartikel widersprochen hätten.329 Deshalb solle man auch in Zukunft beim Wort Gottes bleiben.330 Denn wenn man auf der Seite Gottes stehe, dann könne der Teufel noch so heftig zürnen. Man habe mehr Engel an seiner Seite, als auf der anderen Seite Menschenköpfe seien.331 Für Luther ist es das Wunderwerk Gottes, dass der Teufel nicht alles von einem nehmen könne, obwohl er die ganze Hölle über einen ausschütte.332 So versichert Luther seinen Zuhörern, dass der Teufel auch 325   Vgl. die Ausgaben Ulrich Zwingli: Ad Carolum imperatorem Fidei ratio, in: Sämtliche Werke, Bd. 6.2, hg. von Emil Egli u. Georg Finsler (CR 93.2), Zürich 1982, 743–817 und Ders.: Ad Carolum imperatorem Fidei ratio, in: Georg Plasger/Matthias Freudenberg (Hg.): Reformierte Bekenntnisschriften. Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart, Göttingen 2005, 26–56. Vgl. ferner Fritz Blanke: Zwinglis »Fidei ratio« (1530). Entstehung und Bedeutung, in: ARG 57 (1966), 96–102. 326  Vgl. Martin Bucer: Deutsche Schriften, hg. von Robert Stupperich, Bd. 3: Confessio Tetrapolitana und die Schriften des Jahres 1531, Gütersloh 1969, 12–185. Vgl. ferner Bernd Moeller: Confessio Augustana – Confessio Tetrapolitana. Die Bekenntnisse von 1530 in Ihrem Zusammenhang, in: Stefan Ehrenpreis (Hg.): Wege der Neuzeit, Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag, Berlin 2007, 57–71; Marc Lienhard: Evangelische Alternativen zur Augustana? Tetrapolitana und Fidei Ratio, in: Wolfgang Reinhard (Hg.): Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg 20), Augsburg 1981, 81–100. 327   »Derhalben sollen wir auffs erst und furnemlich Gott dancken und loben, das das wort blieben ist und wir bey dem wort« (WA 32; 124,30f). 328   »Das wird aber nu allein der mangel sein, ob wir die gnade die uns geschehen ist, kunnen fassen« (WA 32; 124,33f). 329   »[…] wie denn unser widderpart selb frey eraus bekennen hat mussen, das unser lere gerecht und gut sey und widder keinen artickel Christliches glaubens« (WA 32; 124, 36–38). 330   »[…] drumb sollen wir nicht zweifeln, bleiben wir lenger dabey« (WA 32; 125,2). 331   »Jst Gott da, wer sind sie denn die so hefftig zurnen und uns fressen wollen? Es ist der Teuffel und sein Rotte, Wolan, so las sie getrost herkomen, sie sollen anlauffen, denn ist Gott bey uns, so werden wir ja mehr Engele bey uns haben denn auff jhener seiten menschen kopffe sind« (WA 32; 125,11–15). 332   »Denn es ist ein wunderwerck Gottes […], Denn solts daran gelegen sein, so weren wir weit verlorn gewest, was ist unser weisheit gegen dem Teufel? Er hets uns alles genomen […] das ers aber nicht gethan hat (wiewol er dennoch die gantze hell ausgeschutt und widder das wort gesetzt hat), sehen, wie fest und starck Gott gehalten hat« (WA 32; 125,28–33).

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weiter so agieren werde. Deshalb solle man sich mit Beten und Seufzen an Gott halten.333 Eine solche Aufforderung, sich auch in Zukunft an das Wort Gottes zu halten, formulierte Luther erneut in seiner Predigt vor dem Kurprinzen am 15. September.334 Jedoch ist aus der Sicht Luthers das Wort durch Gott nicht nur verteidigt worden, sondern habe auch Früchte getragen. So hätten viele Menschen davon erfahren können, die vorher vom Wort Gottes nichts gewusst hätten.335 Dies sieht er als weiteren Ertrag des Augsburger Reichstags an. Er hat hierbei wohl nicht nur die altgläubige Partei vor Augen, sondern auch seine Kritiker innerhalb der evangelischen Partei, die nach seinen Worten halb in Gnade und halb in Ungnade gefallen seien.336 Diese könnten gerne vor Gott treten und danach fragen, ob ihre Auffassungen die Richtigen seien. Sie könnten untereinander diskutieren, soviel sie wollten, Gott werde ihrer spotten und zuletzt auch sie verwerfen.337 Zum Schluss bestärkt er die Zuhörenden im Gebet, damit Gott das Wunderwerk, was er begonnen habe, vollende. Die Zeit werde kommen, da die Weisheit und Gewalt der Gegner vergehen werden.338 Denn ihm zufolge sei bereits das Größte geschehen, indem das Wort sich ausgebreitet habe. Nur noch Geringeres könne folgen. Und am Ende werde es Frieden geben.339 Insgesamt zeigt die Predigt, wie Luther als prophetischer Kommentator und charismatischer Anführer Stellung zum Augsburger Reichstag nimmt. In seinem Rückblick hält er zwei Haupterträge des Reichstags fest: Zum einen hätten seine Mitstreiter am Wort Gottes festgehalten und zum anderen hätte das Wort Gottes auch in den anderen Parteien gewirkt. Dabei unterscheidet er die altgläu333   »Drumb last uns ja gleuben, er [der Teufel] wers noch weiter thun, Allein das wir nicht von dem lieben wort tretten und vleissig mit beten und seufftzen zu Gott anhallten« (WA 32; 125,33–35). 334   Siehe oben Seite 330. 335   »Uber das hat uns Gott nicht allein bey seinem wort erhalten, sondern auch das gethan, das das liebe wort ist weiter komen und frucht schaffet ynn landen und leuten die vor nichts davon gewust haben« (WA 32; 125,36–38). 336   So sind die folgenden Aussagen Luthers wohl auf seine innerevangelischen Kritiker zu beziehen: »bey den leuten aber ists halb gnad halb ungnad: So sagen wir nu, wollen sie uns gnedig sein, so seien sie es ynn Gottes namen, wo nicht, so mugen sie es wol lassen, was fragen wir darnach?« (WA 32; 126,1–3). 337   »[…] haben sie etwas yhm synn, so mussen sie vor unsern herr Gott drumb fragen, obs yhm auch eben sey, ists ym nicht eben, so las furnehmen und radschlagen, was sie wollen, so sthet geschrieben ›qui habitat in caelis [ridebit Dominus subsannabit eos]‹« (WA 32; 126,5–8). 338   »Das habe ich darumb gesagt, lieben freunde, das ir ja vleissig solt beten, das unser lieber Gott, wie er das mirackel und wunder angefangen hat, so fort fare und uns bey dem wort und glaube erhalte […]. Aber mit unserm gegenteil wirds anders ghen, […] die stund und zeit [wird] komen, das die weisheit und gewalt, darauff sie itzt so buchen, wird dahin gehen« (WA 32; 126,9–23). 339   »Denn das groste ist schon geschehen, das geringer wird auch bald folgen, So haben wir das wort, das ist gewis, darumb wird auch frid darauff folgen« (WA 32; 126,25f).

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bige Gruppe, die ganz in Zorn aufgetreten sei, von der evangelischen Partei, die einen Sonderweg einschlug. Auch dort sei halb Gnade, halb Zorn gewesen. Luther scheut sich insofern nicht, den Reichstag als ein nahezu kosmologisches Zusammentreffen von Gott und Teufel zu stilisieren.

Resümee Neben Schriften und Briefen Luthers, die aufgrund seiner Abwesenheit beim Augsburger Reichstag auf vermittelnde Weise Wirkung entfalten konnten, waren es insbesondere die Predigten, mit denen der Reformator davor und danach versuchte, direkt Einfluss auf seine Begleiter zu nehmen. In unermüdlicher Weise ermutigte er sowohl die politischen Herrscher als auch seine Wittenberger Kollegen, indem er die Bibeltexte auf die aktuelle Situation bezog. Die Ausgangslage für die evangelische Partei war auf der einen Seite von ungünstigen Entwicklungen im Vorfeld geprägt, auf der anderen Seite gab es die Hoffnung auf Anerkennung der evangelischen Ansichten durch Kaiser und Papst. In der Vorbereitungsphase kamen innerevangelische Spannungen sowohl zwischen Lutheranern und Zwinglianer als auch zwischen Kurfürst Johann und Philipp von Hessen auf. Neben der Besonderheit in der Überlieferung der Predigt vom 16. April, dass sie einen Einblick in Luthers Vorbereitung und Spontaneität auf der Kanzel gewährt, ermutigt Luther in seinen Predigten vor Beginn des Reichstags dazu, den vorher festgelegten Kurs beizubehalten. Weder ein Abgleiten ins Schwärmertum noch ein zu großes Einlenken in altgläubige Ansichten dürfe auf den Reichstag geschehen. Deshalb führt Luther immer wieder Beispiele für das Leiden und die Nachfolge an. Als Vorbilder nennt Luther den Heiligen Christophorus sowie die Frauen am Grab. Sie fordern beispielhaft dazu auf, die sichere Umgebung zu verlassen und den Gefahren zu trotzen, wodurch sich insbesondere die Menschen des Reisetrosses angesprochen fühlen mussten. Wie Kaufmänner, Soldaten oder die Frauen am Grab ihr Zuhause verlassen mussten und sich auf den Weg machten im Bewusstsein, sich Gefahren auszusetzen, so ergehe es auch seinen Mitreisenden. Wenngleich Luther diese Parallelen nicht immer direkt ausspricht, so bilden sie doch den Subtext seiner Predigtworte. Wie tagesaktuell Luther in seinen Predigten auf die Geschehnisse einging, lässt sich in seinen Kanzelreden unmittelbar nach dem Augsburger Reichstag erkennen. Auf subtile Weise thematisiert er die drohende Gefahr eines in seinen Augen falschen Kompromisses, indem er sein Verständnis vom Glauben zuspitzt. Er hält seinen Zuhörern einen standhaften Glauben vor Augen, der nicht ins Zweifeln gerät, und grenzt sich von denen ab, die sich nur vermeintlich mit der Bibel auskennen würden, jedoch infolge ihres Grübelns in Zweifel gerieten.

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Auch scheut sich Luther nicht, die aufkommende Bedrohung eines Religionskrieges zu thematisieren. In seiner Predigt nach der Ankunft des Reisezuges auf der Coburg tritt Luther nicht nur als Kommentator, sondern auch als charismatischer Anführer mit prophetischen Zügen auf. Durch schöpfungstheologische Gedanken, die er auf die Auferweckungsgeschichte des Jünglings anwendet, vollzieht er die Verbindung zur Situation nach dem Augsburger Reichstag. Im Rückblick hält er die beiden Haupterträge fest, dass seine Mitstreiter beim Wort Gottes geblieben seien und dieses auch bei den anderen Parteien gewirkt habe. Er stilisiert dabei die Augsburger Religionsverhandlungen als kosmologisches Aufeinandertreffen zwischen Gott und dem Teufel. In prophetischer Weise verkündet er weitere Drangsale, mit denen er den drohenden Religionskrieg meint, welcher aber letztendlich – so seine Prophezeiung – in einem Frieden enden werde.

Sechstes Kapitel

Luther als Kasualprediger Die besonderen Anlässe Taufe, Hochzeit, Bischofseinführung und Kircheneinweihung

Einleitung Die religiösen Innovationen der Reformation führten zu einer umfassenden liturgischen Neuorientierung kultischer Handlungen.1 Dies erfolgte durch die Konzentration auf den Gemeindegottesdienst, insofern alle Formen von Sondergottesdiensten wie Privat- und Seelenmessen, Tageszeitgebete, Litaneien und Prozessionen theologisch kritisiert und der Praxis nach zunehmend abgeschafft wurden. Jene »Entschlackung des Kultus«2 ging einher mit der Kritik an abergläubischen Praktiken und rückte die Predigt in das Zentrum des zeremoniellen Ablaufs. Eine solche »rituelle Reformation«3 betraf jedoch nicht nur die Feier des regelmäßig gehaltenen Gottesdienstes, sondern auch die Kasualhandlungen. Darunter sind alle kultisch-rituellen Handlungen zu verstehen, die nicht an regelmäßig wiederkehrenden Daten des Kalenderjahres oder Kirchenjahres festzumachen sind, sondern aufgrund eines bestimmten lebensgeschichtlich orientierten Anlasses abgehalten werden.4

1   Der Illinoiser Sozial- und Kulturhistoriker Edward Muir spricht gar von einer »Revolution in der Ritualtheorie« im Zuge der Konfessionalisierung. Ders.: Ritual in Early Modern Europe (New Approaches to European History 11), Cambridge 1993, 155. 165–181. 2   Lucian Hölscher: Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, 38. Von »Reinigungsfeldzügen gegen den Ritenvorrat der Römischen Kirche« durch Luther und seine Mitstreiter spricht Susann C. Karant-Nunn: »Gedanken, Herz und Sinn«. Die Unterdrückung der religiösen Emotionen, in: Bernhard Jussen/Craig Koslofky (Hg.): Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400–1600, Göttingen 1966, 69–96. 3   Der Ausdruck wurde insbesondere geprägt von Susan C. Karant-Nunn: The Reformation of ritual. An interpretation of early modern Germany, London 1997 und Dies.: The Reformation of Feeling. Shaping in the Religious Emotions in Early Modern Germany, Oxford 2010; vgl. hierzu Erik Margraf: Die Hochzeitspredigt der Frühen Neuzeit, München 2007, 7. 108f. 113. 138. 489; vgl. ferner Frieder Schulz: Luthers liturgische Reformen, Kontinuität und Innovation, in: Archiv für Liturgiewissenschaft, 25 (1983), 256–263; Reinhard Messner: Reformen des Gottesdienstes in der Wittenberger Reformation, in: Martin Klöckener/Benedikt Kranemann (Hg.): Liturgiereformen. Historische Studien zu einem bleibenden Grundzug des christlichen Gottesdienstes. Biblische Modelle und Liturgiereformen von der Frühzeit bis zur Aufklärung, Teil 1, Münster 2002, 381–416. 4   Vgl. die Definition von Wolfgang Steck: Art. ›Kasualien‹, in: TRE 17, 673–686.

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Sechstes Kapitel

Ausgehend von Friedrich Schleiermachers Theorie der »Casualreden«5 im 19. Jahrhundert wurden für solche Feiern insbesondere der Ausdruck »Kausalie« neben den Begriffen »kirchliche Handlungen« und »Amtshandlungen« verwendet. 6 Demgegenüber waren in den Kirchenordnungen des 16. und 17. Jahrhundert die Bezeichnungen »Zeremonien«, »Kirchendienste« oder »Kirchenhandlungen« üblich.7 Dabei konnten Trauungen und Taufen entweder in Kirchen oder in Privathäusern abgehalten werden. 8 Während die Forschung das Verständnis Luthers über einzelne Kasualien wie beispielsweise Taufe9 im Allgemeinen, Kindertaufe10 im Speziellen, Abend5   Vgl. den Abschnitt »Casualreden«, der zu Bestimmung der Handlungen die beiden Bezugsgrößen Kirche und Familie als grundlegende Gemeinsamkeit der Kasualien bestimmt: Friedrich Daniel Schleiermacher: Die praktische nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Aus Schleiermachers handschriftlichen Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen hg. von Jakob Frerichs (Sämmtliche Werke, Abt. 1, Bd. 13, Berlin (1850), 1983, 321–326. 6   Zur begriffsgeschichtlichen Entwicklung vgl. Manfred Mezger: Die Amtshandlungen der Kirche als Verkündigung, Ordnung und Seelsorge, Bd. 1: Die Begründung der Amtshandlungen, München 21963, 15–20. 7   Vgl. beispielsweise die Begriffe »cerimonien« und »kerkendenst« in Bugenhagens Braunschweiger Kirchenordnung von 1528 (Emil Sehling: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 6: Niedersachsen, 1. Hälfte: Die Welfischen Lande, Halbband 1: Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg, Tübingen 1955, 337. 348–455, hier 348. 350 u.ö.) oder den Begriff »Kirchenhandlung« (Emil Sehling: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, bearbeitet von Sabine Arend: Bd. 16,. Baden-Württemberg II, Tübingen 2004, 130f). Vgl. hierzu Christian Albrecht: Kasualtheorie. Geschichte, Bedeutung und Gestaltung kirchliche Amtshandlungen, Tübingen 2006, 3; vgl. ferner Christian Grethlein: Grundinformation Kasualien. Kommunikation des Evangeliums an Übergängen des Lebens, Göttingen 2007, 15–19. 8  Vgl. Paul Graff: Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands, Bd. 1: Bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus, Göttingen (11921), 21937, 309. 325. 335; Wilhelm Diehl: Zur Geschichte des Gottesdienstes und der gottesdienstlichen Handlungen in Hessen, Gießen 1899, 289. 319; Paul Drews: Das kirchliche Leben der Evangelischen-Lutherischen Landeskirche des Königreichs Sachsen (EKKd 1), Tübingen 1902, 198; August Tholuck: Das kirchliche Leben des 17. Jahrhunderts, Berlin 1861, 156. 9   Zu den einzelnen Themen kann an dieser Stelle lediglich eine Auswahl an Literatur angegeben werden. Zum Taufverständnis vgl. die beiden klassischen Darstellungen von Lorenz Groenvik: Die Taufe in der Theologie Martin Luthers, Åbo 1968 und Werner Jetter: Die Taufe beim jungen Luther. Eine Untersuchung über das Werden der reformatorischen Sakraments- und Taufanschauung (BHT 18), Tübingen 1954; vgl. ferner Harald Diem: Zum Verständnis der Taufe bei Luther, in: EvTh 2 (1935), 403–420; Walter Sparn: »…eine Furt, eine Brücke, ein Schiff und eine Tragbahre«. Luthers Lob der Taufe in ökumenischer Perspektive, in: LKW 61 (2014), 69–83. 10  Vgl. Rudolf Lutterjohann: Die Stellung Luthers zur Kindertaufe, in: ZSTh 11 (1934), 188–224; vgl. ferner Karl Brinkel: Die Lehre Luthers von der fides infantium bei der Kinder-Taufe, Berlin 1958; Eero Huovinen: Fides infantium. Martin Luthers Lehre vom Kinderglauben, (Veröffentlichung des Europäischen Instituts Mainz. Institut für Europäische Geschichte 159), Mainz 1997. – Zur Abgrenzung Luthers von den Täufern vgl. KarlHeinz zur Mühlen: Luthers Tauflehre und seine Stellung zu den Täufern, in: Helmar

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mahl11, Ehe12 , Bestattung13 und Ordination14 im Rahmen seiner Gottesdienst-15 , Sakraments-16 und Amtstheologie17 eingehend diskutierte, ist die Frage nach seiner eigenen Kasualpraxis bislang erstaunlich selten untersucht worden.18 Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, 2 Bde, Göttingen 1983, Bd. 1, 119–138; Bd. 2, 765–771. 11  Vgl. Frido Mann: Das Abendmahl beim jungen Luther (BÖT 5), München 1970; Carl Friedrich Wisölff: Abendmahl und Messe. Die Kritik Luthers am Messopfer, Berlin u. a. 1969; vgl. ferner Walter Köhler: Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, 2 Bde (QFRG 6 u. 7), Gütersloh 1924 u. 1953. 12  Vgl. Christian Volkmar Witt: Martin Luthers Reformation der Ehe. Sein theologisches Eheverständnis vor dessen augustinisch-mittelalterlichem Hintergrund (SMHR 95), Tübingen 2016; Thomas Kaufmann: Ehetheologie im Kontext der frühen Wittenberger Reformation, in: Andreas Holzem u. a. (Hg.): Ehe – Familie – Verwandtschaft. Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt, Paderborn 2008, 285–299; Inge Mager: »ich bin dein und du bist meyn‹, das ist die ehe«. Martin Luthers Eheauffassung und ihre ethischen und rechtlichen Nachwirkungen, in: INTAMS review. Journal for the Study of Marriage and Spirituality 12 (2006), 2–14; Gerta Scharffenorth: Die Beziehung von Mann und Frau bei Luther im Rahmen seines Kirchenverständnisses, in: Dies.: Den Glauben ins Leben ziehen. Studien zu Luthers Theologie, München 1982, 122–204; Albert Stein: Luther über Eherecht und Juristen, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers, Berlin 21985, Bd. 1, 171–185 u. Bd. 2, 781–785; Klaus Suppan: Die Ehelehre Martin Luthers. Theologische und rechtshistorische Aspekte des reformatorischen Eheverständnisses, Salzburg 1971; Olavi Lähteenmäki: Sexus und Ehe bei Luther, Turku 1955, hier zur Forschungsgeschichte 12–15; Reinhold Seeberg: Luthers Anschauung von dem Geschlechtsleben und der Ehe und ihre geschichtliche Stellung, in: LuJ 7 (1925), 77–122. 13  Vgl. Natalie Krentz: Protestantische Identität und Herrschaftsrepräsentation. Das Begräbnis Friedrichs des Weisen, Kurfürst von Sachsen (1525), in: Dies./Elizabeth Harding (Hg.): Symbolik in Zeiten von Krise und gesellschaftlichem Umbruch. Darstellung und Wahrnehmung vormoderner Ordnung im Wandel, Münster 2011, 115–130 ; Eberhard Winkler: Die Leichenpredigt im deutschen Luthertum bis Spener (FGLP 10.34), München 1967. 14   Vgl. den Forschungsüberblick von Martin Krarup: Ordination in Wittenberg. Die Einsetzung in das kirchliche Amt in Kursachen zur Zeit der Reformation, Tübingen 2012, 3–14. 15  Vgl. Christopher Spehr: Der Gottesdienst bei Martin Luther. Facetten eines theologischen Grundbegriffs, in: LuJ 79 (2012), 9–37; Ders.: Luthers Theologie des Gottesdienstes, in: Hans-Joachim Eckstein u. a. (Hg.): Kompendium Gottesdienst. Der evangelische Gottesdienst in Geschichte und Gegenwart, Tübingen 2011, 84–103; Reinhard Schwarz: Der hermeneutische Angelpunkt in Luthers Meßreform, in: ZThK 89 (1992), 340–364. 16   Vgl. mit einem ausführlichen Forschungsüberblick Ursula Stock: Die Bedeutung der Sakramente in Luthers Sermonen von 1519, Leiden 1982, 1–22; vgl. ferner Wolfgang Schwab: Entwicklung und Gestalt der Sakramententheologie bei Martin Luther (EHS 79), Frankfurt am Main 1977. 17  Vgl. Christopher Voigt-Goy: Potestates und ministerium publicum. Eine Studie zur Amtstheologie im Mittelalter und bei Martin Luther (SMHR 78), Tübingen 2014; vgl. ferner die Forschungsüberblicke von Werner Führer: Das Amt der Kirche. Das reformatorische Verständnis des geistlichen Amtes im ökumenischen Kontext, Neuendettelsau 2001, 22–24; Wilhelm Brunotte: Das geistliche Amt bei Luther, Berlin 1959, 9–32 und Harald Goertz: Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther (MThSt 46), Marburg 1997, 1–27. 18   Eine Ausnahme bildet der Überblick mitsamt einer tabellarischen Übersicht zu Luthers Taufpredigten von Martin Ferel: Gepredigte Taufe. Eine homiletische Untersuchung zur

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Ausführliche Studien über Luthers Kausalhandlungen und insbesondere über seine Kasualpredigten fehlen derzeit völlig. Dabei ist bekannt, dass Luther nicht nur über Taufe, Ehe, Ordination und Tod schrieb, sondern auch Kinder taufte, Ehepaare traute, Theologen ordinierte, Verstorbene beerdigte und weitere Amtshandlungen vornahm, wobei er nicht selten zu diesen Anlässen auch das Wort ergriff. Wenngleich die Überlieferungen seiner Kasualpredigten längst nicht so umfangreich sind, wie die seiner regelmäßig gehaltenen Themen-, Reihen- und Perikopenpredigten, so gewähren sie dennoch einen Einblick in sein Wirken als evangelischer Redner zu besonderen Anlässen.

1. Die Kasualhandlungen Luthers im Überblick Auch außerhalb von Wittenberg hielt Luther Kasualhandlungen, zu denen er eingeladen wurde. Exemplarisch lässt sich dies an seinem langjährigen Freund, dem kursächsischen Erbmarschall Hans von Löser (1481–1541) aus Pretzsch, festmachen.19 Vermutlich am 29. Dezember 1524 traute Luther ihn und seine Gattin Ursula von Porzig aus Witzschke in Pretzsch, an deren Hochzeit auch Philipp Melanchthon, Nikolaus von Amsdorf und Justus Jonas teilnahmen.20 Die Predigt ist jedoch nicht überliefert. Am 15. Juli 1532 wiederum reiste er nach Pretzsch, um deren Sohn zu taufen, wobei er über Psalm 65 predigte.21 Und schließlich, an einem nicht mehr genau zu datierenden Tag im Juli 1541,

Taufpredigt bei Luther (HUT 10) , Mainz 1969, 81–101. Vgl. außerdem Robert Kolb: »Was sollt’ ein Handvoll Wassers der Seelen helfen?«. Luthers Predigten über die Taufe in den Jahren 1528 bis 1539, in: Lutherische Theologie und Kirche 23 (1999), 126–149. Zu Luthers Ordinationspredigten vgl. Jonathan Mumme: Die Präsenz Christi im Amt. Am Beispiel ausgewählter Predigten Martin Luthers, 1535–1546 (Refo500 Academic Studies 21), Göttingen 2015. Zu Mummes Untersuchung vgl. meine Rezension in: LuJ 83 (2016), 288–290. 19   Zum Lebenslauf von Hans Löser, der 1498 Herzog Heinrich dem Frommen auf seiner Wallfahrt nach Palästina begleitete, dann auch nach Compostella wallfahrtete, später am Hofe Herzog Albrechts von Mecklenburg und Kaiser Maximilians weilte, 1507 gegen Venedig, 1512 bei Ravenna gegen die Franzosen, 1514 in Friesland, 1525 gegen die Bauern kämpfte und zuletzt Hofmeister des Herzogs Moritz war, vgl. WA B 3; 119; WA 31 I; 427; Otto Eduard Schmidt: Kursächsische Streifzüge, Bd. 1: Von Meißen ins Land Sachsen-Wittenberg, Dresden 31923, Nachdruck Leipzig 41969, 167. 20   Luther hat bereits in der Widmungsvorrede für Hans Löser zur Schrift »Das siebente Kapitel Pauli zu den Korinthern« Andeutungen zur bevorstehenden Hochzeit gemacht, da er dort die Schrift als »eyn Christlich Epithalamion, das ist eyn braut lied« für Löser bezeichnet (WA 12; 92–142, hier 92,24–26). Bereits Anfang August 1523 hat Luther seinem Freund die Schrift mitsamt Widmung zugesandt (WA B 3; Nr. 640, 118). Warum sich der Termin der Hochzeit verzögerte, ist unklar. Deshalb erwägt die WA auch, dass die Hochzeit nicht am 29. Dezember 1524, sondern vielleicht bereits im April 1524 erfolgte, da von Melanchthon bekannt ist, dass er am 16. April bei Löser in Pretzsch weilte (aaO., 118, Anm. 1). Jedoch gibt es keinerlei Hinweise für diese Annahme mit Blick auf Luther. Vgl. hierzu auch Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 150f. 21   Vgl. WA 36; XIX. 217–219. Siehe unten Seite 355.

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hielt er eine nicht überlieferte Grabrede für seinen kurz zuvor verstorbenen Freund.22 Der Quellenbestand der Kasualpredigten außerhalb von Wittenberg ist überschaubar, gleichwohl je nach Kasualhandlung teilweise historisch besser greifbar als die Zeremonien, die Luther in Wittenberg vollzog. Hierbei ist anzumerken, dass als Kasualpredigten auch diejenigen Predigten zu zählen sind, die zwar aus Anlass einer Amtshandlung vollzogen wurden, jedoch nicht unbedingt an die Amtshandlung direkt anknüpfen mussten. Luther konnte beispielsweise zur Taufe anreisen und aus diesem Anlass predigen, aber auch einen Tag später die Taufpredigt in einem weiteren Gottesdienst thematisch fortsetzen. Oder der Eheritus im engeren Sinn konnte bereits im privaten Kreis vollzogen worden sein, sollte dann aber im Rahmen eines Gottesdienstes und eines anschließenden Hochzeitsfestes öffentlich gefeiert werden. Insofern sind hinsichtlich der Taufen insgesamt drei Predigten erhalten, bei denen es historisch wahrscheinlich ist, dass Luther sie auswärts im Rahmen einer Taufhandlung hielt. Im Anschluss an die bereits erwähnte Taufpredigt vom 15. Juli 1532 für den Sohn von Hans Löser in Pretzsch reiste er nach Niemeck, um dort am 8. August 1532 das Kind von Konrad Herz, auch Conrad Cordatus genannt, zu taufen.23 Doch nicht allein für seine Freunde und Bekannten vollzog er den Taufritus. Vielmehr wurde er auch von den Adelshäusern gebeten, Taufen im Kreise der Familie zu vollziehen. So taufte er am 1. April 1540 am Dessauer Hofe Bernhard von Anhalt, wobei er an diesem und dem darauffolgenden Tag über die Taufe predigte.24 Hochzeitspredigten außerhalb von Wittenberg sind insgesamt vier erhalten. Am 26. Oktober 1528 reiste Luther nach Lochau, um dort den seit September eingesetzten Pfarrer und Mathematiker Michael Stifel und die Witwe von Stifels Vorgängers Franz Günther zu vermählen.25 Am Torgauer Hof weilte er, um am 27. Februar 1536 Herzog Philipp von Pommern mit Maria, der Schwester des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen zu trauen. Am 24. April desselben Jahres reiste er nach Eilenburg, um bei der Hochzeit seines langjährigen Freundes Caspar Crucigers anwesend zu sein, der nach dem Tod seiner ersten Gattin Elisabeth von Meseritz Apollonia Gunterode aus Leipzig ehelichte.26 Und schließlich bestätigte Luther am 4. August 1545 mit seiner Predigt im Merseburger Dom die Vermählung des Domdechanten Sigismund von Lindenau, der bereits sieben Jahre lang eine Ehe heimlich führte, da es ihm zuvor als Domdechant verboten war, zu heiraten. Den Trauritus übernahm hierbei Georg III. 22   Vgl. WA 49; IX; Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 265f. 23   Vgl. WA 36; 228–232. 24   Vgl. WA 49; 124–135. 25   Vgl. WA 27; 383–390. 26   Vgl. WA 41; 547–563.

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von Anhalt, der auch die Hochzeitsfeier ausrichtete, während Luther die Ansprache hielt.27 Beerdigungspredigten außerhalb von Wittenberg sind nicht erhalten, obwohl anzunehmen ist, dass Luther neben der nicht mehr erhaltenen Predigt zum Tode von Hans Löser wohl auch noch weitere Freunde und Bekannte bestattete und dabei Worte des Trostes sprach. Berühmt dagegen wurden Luthers Wittenberger Predigten zum Tode von Friedrich dem Weisen im Mai 1525 und Johann dem Beständigen im August 1532.28 Neben den Predigten zu Luthers eigenem Tod 29 bilden sie den Ausgangspunkt zur Herausbildung der charakteristischen Merkmale frühneuzeitlicher Leichenpredigten, von denen in der Nachfolgezeit über 300.000 gedruckt wurden.30 Ordinationspredigten außerhalb Wittenbergs sind nur wenige bekannt. Im Jahr 1527 ordinierte er Wolfgang Schwan in Elster und 1529 Michael Mulleberg in Bergwitz; zu diesen Anlässen sind jedoch keine Ordinationspredigten überliefert.31 Außerdem ordinierte Luther kurz vor seinem Tod am 14. Februar in   Vgl. WA 41; 547–563.  Vgl. Luthers Predigten vom 10. und 11. Mai 1525 über 1. Thess. 4, 13–18, WA 17 I; XXXII. 196–227, und vom 18. August 1532 über dieselbe Perikope, WA 36; XX. 237–255. 29   Die Leichenpredigten zu Luthers Tod am 18. Februar 1546 in Mansfeld hielt dort tags darauf Justus Jonas und im Rahmen der Rückführung des Leichnams nach Wittenberg predigte am 20. Februar Michael Cölius in Eisleben. Beim Begräbnis Luthers in der Wittenberger Schlosskirche predigte zunächst Johannes Bugenhagen und danach Philipp Melanchthon. Vgl. Christof Schubart: Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis. Texte und Untersuchungen, Weimar 1917 und Jakob Strieder: Authentische Berichte über Luthers letzte Lebenstunden, hg. von Hans Lietzmann, Bonn 1912. Hierzu hinsichtlich der Einschätzung der Quellen kritisch WA 54; 478–486 und Otto Albrecht: Die Berichte über Luthers Tod. Im Anschluß an Schubarts Sammlung, in: ThStKr 92 (1919), 335–353. Vgl. ferner Joachim Bauer: Martin Luther. Seine letzte Reise, Rudolstadt 1996. 30   Einen Überblick zur Erforschung der neuzeitlichen Leichenpredigten gibt Gábor Bibza: Die deutschsprachige Leichenpredigt der frühen Neuzeit in Ungarn (1571–1711) (AHST 15), Berlin 2010, 31–34. Vgl. ferner den Sammelband von Rudolf Lenz (Hg.): De mortuis nil nisi bene? Leichenpredigten als multidisziplinäre Quelle unter besonderer Berücksichtigung der historischen Familienforschung, der Bildungsgeschichte und der Literaturgeschichte (Marburger Personalschriften-Forschungen 10), Sigmaringen 1990; Horst Schmidt-Grave: Leichenreden und Leichenpredigten Tübinger Professoren (1550–1750). Untersuchungen zur biographischen Geschichtsschreibung in der frühen Neuzeit (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 6), Tübingen 1974, 7–32. Vgl. hierzu auch die Forschungsleistungen von Fritz Roth, der von 1959–1980 über 10.000 Leichenpredigten aus genealogischer Perspektive auswertete. Vgl. Ders.: Restlose Auswertungen von Leichenpredigten und Personalschriften für genealogische Zwecke, 10 Bde, Boppard am Rhein 1959–1988. Aus predigtgeschichtlicher Sicht immer noch klassisch Eberhard Winkler: Die Leichenpredigt im deutschen Luthertum bis Spener (FGLP 10.34), München 1967. 31   Vgl. hierzu die vorzügliche Studie von Martin Krarup: Ordination in Wittenberg. Die Einsetzung in das kirchliche Amt in Kursachsen zur Zeit der Reformation (BHT 141), Tübingen 2007, 100–102. Krarup verweist auf die Notiz in den Visitationsakten aus dem Jahr 1555 Schwan sei »im pfarramt zur Elster gewesen 28 iar, von Doctor Martino dorthin berufen und ordinirt« (Karl Pallas: Die Registraturen der Kirchenvisitationen im ehemals sächsischen 27

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Eisleben zwei Anwärter.32 Die dürftige Überlieferung hängt eng mit der Entwicklung der Ordinationspraxis in Wittenberg zusammen. Während bis 1535 eher die Ordination – wohl als Berufung und Übertragung des Amtes – in der lokalen Ortsgemeinde vorgenommen wurde,33 entwickelte sich mit der Etablierung des allgemeinen Ordinationsverfahrens34 ab 1535 die Wittenberger Zentralordination, wodurch die Ordination als ritueller, jedoch nicht notwendiger Akt mit Handauflegung, Schriftlesung und Gebet zur Kennzeichnung des Amtsträgers von der vorausgegangenen Berufung im Sinne der Gemeindewahl und dem Examen des Kandidaten durch die Wittenberger Professoren entkoppelt wurde.35 So sind im Wittenberger Ordinationsbuch vom 24. Juni 1537 bis zum Tode Luthers am 18. Februar 1546 insgesamt 741 Ordinationen an 317 Ordinationstagen verzeichnet.36 In diesem Zeitraum sind von den Ordinationstagen in Wittenberg insgesamt 54 Predigten überliefert, die Luther hielt, bei denen aber nicht immer eindeutig bestimmt werden kann, ob sie im Rahmen der Ordination oder zu den normalen Gottesdiensten gehalten wurden, da Luther auch mehrmals an einem Tag predigte.37 Eine besondere Bedeutung jedoch erlangte die am 20. Januar 1542 vollzogene Einführung von Nikolaus von Amsdorf in das Amt des Bischofs über das Bistum Naumburg-Zeitz im Naumburger Dom. Wenngleich die Predigt nicht eigens mitgeschrieben wurde, so existieren doch Berichte, die jene Predigt skizzenhaft umschreiben.38 Auch wenn in der Forschung lange Zeit Luthers Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen, geschehen zu Naumburg 1542, 20. Januar« als dessen Predigt ausgegeben wurde,39 so ist sie dennoch zur Interpretation der Naumburger Bischofsweihe von nicht geringem InteresKurkreise, Zweite Abteilung, Erster Teil: Die Ephorien Wittenberg, Kemberg, Zahna, in: Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, Bd. 41, Halle 1906, 122) sowie auf die Notiz, Michael Mulleberg sei »von Doctore Martino Luthero und Doctore Justo Jona uf diese pfarr berufen und ordiniret, zuvor ein ganz iar bei Doctore Martino Luthero gewesen« (aaO., 212). 32   Siehe unten Seite 460. 33  Zur Debatte um das Verhältnis von Ordination und Berufung ausgehend vom Streit zwischen Friedrich Julius Stahl und Johann Wilhelm Friedrich Höfling in der Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. Krarups forschungsgeschichtlichen Abriss, aaO., 3–15. 34   Vgl. hierzu den Erlaß des Kurfürsten Johann Friedrich vom 12. Mai 1535 an die Visitatoren in Meißen und dem Vogtlang, die Superintendenten aufzufordern, ihre Kandidaten zur Ordination nach Wittenberg zu senden (Thüringer Staatsarchiv Reg. Ii 887, 1), abgedruckt in aaO., 319. 35   Vgl. aao., 183–210 sowie die Zusammenfassung aaO., 307–318. 36  Vgl. Georg Buchwald: Das Wittenberger Ordiniertenbuch (1537–1560), Bd. 1, Leipzig 1894, 1–47. 37   Vgl. hierzu Jonathan Mumme: Die Präsenz Christi im Amt. Am Beispiel ausgewählter Predigten Martin Luthers, 1535–1546 (Refo500 Academic Studies 21), Göttingen 2015, 47f. 38   Vgl. die Einleitung in WA 49; XXVI –XXIX. 39   Vgl. etwa Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt und des Bistums (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 7.1), Leipzig 1901, 127, Anm.

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se.40 Außerdem ist zu erwähnen, dass Luther Georg von Anhalt am 2. August 1545 im Dom zu Merseburg zum Koadjutor ordinierte, wovon jedoch keine Predigt überliefert ist. Eine besondere Kasualie bildet die Einweihung der Torgauer Schlosskirche am 5. Oktober 1544. Auch wenn aus architektonischer und kunsthistorischer Sicht Zweifel angemeldet werden können, dass der Kirchenraum nach reformatorischen Grundbedürfnissen konzipiert worden war, handelt es sich doch um eines der ersten Gotteshäuser, das seit Einführung der Reformation in Sachsen neu erbaut und entsprechend feierlich eingeweiht wurde.41 Luther predigte zu diesem Anlass am Vormittag und am Nachmittag, wovon jedoch nur die Vormittagspredigt überliefert ist.42 Vor dem Hintergrund dieses Quellenbefundes sollen im Folgenden Luthers Kasualpredigten analysiert werden. Dabei ist zum einen nach den Eigentümlichkeiten der Kasualpredigten im Vergleich zu seinen auf das Kirchenjahr bezogenen Perikopen- und Themenpredigten zu fragen. Gibt es spezifische Merkmale, die Luthers Ansprachen als Kasualrede identifizieren? Zum anderen soll der Blick auf die Frage gelenkt werden, inwiefern sich Luthers Auffassungen über die Kasualien, wie er sie anderweitig in seinen Schriften entfaltet hat, in seinen Kasualpredigten widerspiegeln. Auf welche Weise verarbeitet er seine eigenen Gedanken zu Taufe, Ehe und Ordination in seinen Kasualpredigten, insbesondere mit Blick auf die konkrete Situation? Anhand dieser Gesichtspunkte werden zunächst die drei Taufpredigten analysiert. Danach soll das Augenmerk auf die vier Hochzeitspredigten gelegt werden. Obwohl es einer eigentlichen Mitschrift mangelt, soll auf der Grundlage der Predigtskizzen die Ordination von Nikolaus von Amsdorf zum Thema erhoben werden. Und schließlich ist auf Luthers Predigt zur Einweihung der Torgauer Schlosskirche einzugehen. Da keine Leichenreden von Luther außerhalb von Wittenberg überliefert sind, muss die Untersuchung in Bezug auf diese Kasualie ausbleiben.

  Vgl. WA 53; 219. 231–260.  Vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: Architektur und Reformation. Die Schlosskapelle und die Frage nach der protestantischen Architektur, in: Dirk Syndram u. a. (Hg.): Luther und die Fürsten. Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation, Aufsatzband, Dresden 2015, 65–76. 42   WA 49; XLI. 588–615. 40 41

Luther als Kasualprediger – Die Taufpredigten

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2. Die Taufpredigten 2.1 Für das Kind der Familie von Löser in Pretzsch (15. Juli 1532) Die Pretzscher Predigt ist durch Georg Rörer überliefert, der seine Mitschrift mit den Angaben »Ps. LXV. 15. Julij 1532 in pretzsch« überschreibt.43 Die Aufzeichnungen umfassen lediglich ein beidseitig beschriebenes Blatt, deren kryptischer Inhalt nicht einfach zu interpretieren ist. Die Weimarer Ausgabe lässt offen, ob es sich bei den Worten Luthers um eine Kasualpredigt handelt. Sie gibt lediglich an, dass Hans von Löser Luther bat, Pate seines am 8. Juli geborenen Sohnes zu werden, weshalb Luther zur Taufe anreiste und in diesem Zusammenhang eine Predigt hielt.44 Daher gilt es nach Hinweisen zu suchen, ob die Predigt im Kontext der Taufe gehalten wurde oder ob es sich hierbei um eine Gemeindepredigt handelte. Für das Erstere könnte bereits die Auswahl des Predigttextes Ps. 65 sprechen. Der 15. Juli war ein Montag, ein Tag nach dem 7. Sonntag nach Trinitatis. Zu diesem Sonntag predigte Luther in seinem Haus über die vorgesehene Perikope, die Speisung der Viertausend (Mk. 8, 1–9).45 Für den Montag knüpfte er jedoch nicht an die Sonntagsperikope an, sondern wählte Ps. 65. Die Predigten über den Psalter haben in gewisser Weise eine Hinweisfunktion. Denn Luther wählte häufig einen Psalm aus, wenn er zu besonderen Anlässen vor dem Hochadel sprach.46 Überliefert ist eine zweite Predigt über 43   ThULB Bos. o. 17D (1530–1535), Bl. 144a-b, hier a,14 und WA 36; XIX. 217–219, hier 217, Z 5. 44   Vgl. WA 36; XIX. Vgl. ferner Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 214. 45   Die Predigt, die Rörer mitgeschrieben hat (ThULB Bos. Bos. q. 24b Bl. 97b –99b) wurde später in umgearbeiteter Form in die Hauspostille aufgenommen. Vgl. WA 36; XIX. 214–217; WA 52; 412. 413,6–417,34; WA T 3; 238. 46   Diese Beobachtung hat Emanuel Hirsch in einem Nebensatz geäußert (vgl. Ders.: Einleitung in ›Drei Predigten Januar/Februar 1525‹, BoA 7; 392). Eine Überprüfung seiner Auffassung bestätigt diesen Eindruck. Das Predigtverzeichnis der Weimarer Ausgabe gibt 48 Predigten über den Psalter an (vgl. WA 22; XLIIIf). Abgesehen von seinen Reihenpredigten über den Psalter und seine über mehrere Predigten gehenden Auslegungen der Psalmen 72 und 110 sind 15 Predigten verzeichnet, die meist aus besonderen Anlässen vor Adligen gehalten wurden. So predigte er vor Johann von Sachsen und Johann Friedrich am 25. und 28. Januar 1525 in der Wittenberger Schlosskirche über Ps. 5 (WA 17 I; XXII. 32–36 u. 37–38). Am 21. Februar 1525 erhob er das Wort in der Schlosskirche vor Herzog Johann und seinem Sohne nach deren Rückkehr aus Pommern über Ps. 11 (WA 17 I; XXIII. 52–56). Im Kontext der Erneuerung des Gotha-Torgauer-Bündnisses in Magdeburg am 12. Juni 1526 weilten auf dem Hin- und Rückweg die Lüneburger Herzöge Ernst und Franz, die Söhne der Schwester des Kurfürsten Friedrichs des Weisen, beim Kurfürsten in Wittenberg zu Besuch. Zu diesem Anlass predigte Luther am 9. und 16. Juni über Ps. 112 (WA 19; 294. 298–336) und am 31. Mai 1527 über Ps. 68, 19 in der Wittenberger Schlosskirche vor den Lüneburger und Mecklenburger Fürstlichkeiten Herzog Franz von Lüneburg und Magnus von Mecklenburg (WA 23; 696. 699–725). Darunter fällt auch die oben behandelte Predigt über Ps. 65 vom 15. Juli 1536 in Pretzsch, sowie die über denselben Psalm gehaltene Predigt vor den Anhalter Fürsten am 5. Juni 1534 in Dessau. Am 3. Mai 1536 in der Wittenberger Schlosskirche wohnte Kurfürst Jo-

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Ps. 65, die er ebenfalls im Beisein des Hochadels vor den Anhalter Fürsten am 5. Juni 1534 in Dessau hielt. Im Juni und Juli reiste er mehrmals dorthin, weil Fürst Joachim von Anhalt schwer erkrankt war.47 Insofern spricht zunächst der Psalm 65 für eine besondere Situation, wenngleich ein Zusammenhang zur Taufe daraus noch nicht ersichtlich wird. Die Predigt lässt sich auf zweifache Weise interpretieren. Auf der einen Seite geht sie den Psalm versweise entlang.48 Dabei ist auffällig, dass Luther, nachdem er die einzelnen Verse zitiert, häufig in der Auslegung in der direkten Rede zu Gott verbleibt. In Anlehnung an die Verse des Lobpsalms 65 dankt er beispielsweise Gott in gebetsartiger Form ebenso wie der Psalmist für dessen Wohltaten: »Dank sagen sie allein dir und müssen auch nur dir danken, denn du bist der Gott, dem man danken, den man loben soll, die anderen sind Teufel«.49 Oder er zitiert Ps. 65, 3, beginnend mit »Du erhörst« und bekräftigt sogleich den Vers mit den Worten »Du allein bist Gott, der erhört. Andere sind stille Götter«.50 Insofern handelt es sich bei der Auslegung Luthers um eine Homilienpredigt. Dabei deutet Luther einzelne Verse des Psalms in allegorischer Weise. So lobt in Vers 7 der Psalmbeter Gott mit den Worten: »der du die Berge festsetzest in deiner Kraft«.51 Luther deutet die Berge als die großen Könige und Kaiser, aber auch als sämtliche Sünden, die den Menschen auf den Holzweg führen bzw. hann Friedrich der Predigt über Ps. 25, 1 u. 8 bei (WA 41; XXXIII. 569–573). Auf dem Schloss Lichtenburg predigte Luther am 15. September und wohl auch am 21. Dezember 1536 vor Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg, der Schwester des Dänenkönigs Christian II., die 1528 aus Berlin geflohen war, über Ps. 4 (WA 41; XXXVIII. 668–675 u. XL. 736–739). Am 1. November 1537 zu Allerheiligen könnte er Ps. 8 ausgewählt haben, da er wohl in der Wittenberger Schlosskirche vor dem Hof und womöglich im Beisein der Markgräfin Elisabeth von Brandenburg zu predigen hatte (WA 45; XXII. 204–250). Aufgrund der unsicheren Datierung ist es fraglich, ob er zwei Predigten über Ps. 1 in Dessau am 3. April 1540 und eine Predigt über Ps. 27 am 9. September 1542 (WA 49; 269–270) hielt. Der Weimarer Ausgabe zufolge soll er dort anlässlich einer Einladung durch die Dessauer Fürsten zu einer Erholungsreise, zu der auch Melanchthon, Cruciger, Augustin Schurff, Joachim Camerarius und weitere Gäste geladen wurden, gepredigt haben (WA 49; XXXf. 269f). Am 6. August 1545 predigte Luther schließlich im Anschluss an die zwei Tage zuvor gehaltene Hochzeitspredigt für den Domdechanten Sigismund von Lindenau und dessen Gattin in Merseburg über Ps. 8, wobei anzunehmen ist, dass auch dort der Hochadel vertreten war (WA 51; VII. 11–22). 47   Vgl. WA 37; XXXIV. 425–450. 48   Vgl. die Versangaben zu Ps. 65 in der WA 36; 217,6 (V. 2); Z. 13 (V. 3); Z. 19 (V. 4); Z. 25 und S. 218,3 (V. 5); Z. 4 (V. 6); Z. 15 (V. 7); Z. 22 (V. 7 u. 8); Z. 23 (V. 9); Z. 31 (V. 10); 219,1 (V. 11),2 u. 7 (V. 12). 49   »Aguntur tibi soli gratiae et debent etiam tibi soli agi, quia du bist der Gott, dem man dancken, loben sol, die andern sind Teufel« (WA 36; 217,7f). 50   »›Exaudis.‹ Tu es solus deus, qui exaudi[t]. Alii dii sunt muti« (WA 36; 217,13). Vgl. ferner in Anlehnung an V. 2: »Tibi debentur sacrificia laudis« (WA 36; 217,14); in Anlehnung an V. 3: »Du bist der recht Gott, qui audis. Ideo ad te veniunt omnes et quaerunt te« (WA 36; 217,17f); in Anlehnung an V. 7 »›Praeparans‹, du hast sie ynn henden, sie weren nicht starck, du hasts yhn geben, du richtest sie zu« (WA 36; 218,16f). 51   Vgl. in der Vulgata Ps. 64, 7: »praeparans montes in virtute tua«.

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vom rechten Kurs abbringen wollen.52 Zu solchen Herrschern zählte Luther neben Georg von Sachsen auch Erzherzog Ferdinand I. von Österreich, den Bruder Karl V., der 1530 auch am Augsburger Reichstag teilnahm und am 5. Januar 1531 in Köln gegen den Protest des sächsischen Kurfürsten Johann zum römisch-deutschen König gewählt wurde.53 Laut Luther vermögen beide nicht, gegen den Protestantismus vorzugehen, da Gott sie in die Schranken weist.54 Auch das in Vers 8 beschriebene Brausen des Meeres, welches Gott stille,55 wird wie auch im Psalm allegorisch auf die »zornige Welt« bezogen.56 Dabei verweist er auf Augustin und seine Aussage, in Gott Frieden bzw. innere Ruhe finden zu wollen.57 Außerdem wird der im Vers 11 genannte Regen, der den Boden feuchtet und von Gott geschenkt werde,58 als Gnade Gottes interpretiert.59 Dabei schmückt Luther die Aussagen des Psalmbeters mit zusätzlichen Schöpfungsgaben aus, die Gott dem Menschen im Verlauf eines Jahres schenke. 60 In diesem Zusammenhang kommt er explizit auch auf Hans Löser zu sprechen: »Große Wasser sind große Königreiche, die Elbe ist der Kurfürst, Hans Löser ein Bächlein, das Meer ist die Welt. Ich hab ein Wässerlein, sagt er, das soll mir nicht versiegen, will es erhalten«. 61 In einer rhetorisch interessanten Allegorese, bei 52   »›Montes‹ sind grosse konig, keiser, unser sunde, unser fleisch, das ymer den holtzweg wil, und der Teufel plaget uns auch« (WA 36; 218,15f). 53   Zur Auseinandersetzung Ferdinands mit dem Protestantismus vgl. Alfred Kohler: Ferdinand I. 1503–1564. Fürst, König und Kaiser, Darmstadt 2003, 185–207; Sigismund Bergmann: Die Religionspolitik und die kirchlichen Reformversuche Ferdinands I., Diss. Wien 1964; vgl. ferner die materialreiche Darstellung von Franz Bernhard von Bucholtz: Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten, 9 Bde, Wien 1831–1838, Nachdruck Graz 1968–1971, insbesondere die Ereignisse um den Augsburger Reichstag von 1530 (aaO., Bd. 4, 457–576) und Ferdinands Wahl zum König in Köln (aaO., Bd. 4, 586f). 54   »Sie [die Berge bzw. die Herrscher] mussen sthen, thun, was du wilt. Sie meinen, Ferdinandus et Herzog Georg, sie wollen thun, was sie wollen, sed non fit« (WA 36; 218,18f). 55  Vgl. Ps. 65, 8: »der du stillst das Brausen des Meeres, das Brausen seiner Wellen und das Toben der Völker« und in der Vulgata Ps. 64, 8: »conpescens sonitum maris fremitum fluctuum eius et multitudinem gentium«. 56   »›Qui conturbas.‹ Da declarirt er sich. Mare ist die zornig welt« (WA 36; 218,22f). 57   »[…] deus dedit pacem. Sicut Augustae« (WA 36; 218,28f). Der Verweis auf Augustin ist wohl angelehnt an dessen Wort: »Inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te« (Conf. I,1,1 [Augustinus: Bekenntnisse, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joseph Bernhart, Frankfurt am Main 1987, 12]). 58  Vgl. Ps. 65, 11: »Du tränkst seine Furchen und feuchtest seine Schollen; mit Regen machst du es weich und segnest sein Gewächs« und in der Vulgata Ps. 64, 11: »sulcos eius inebria multiplica fruges eius pluviis inriga eam et germini eius benedic«. 59   »Gibst gnädig Regen, wenn unser Herr Gott einen Regen gibt, so ist es seine Gnade, nicht unser Verdienst, wir sind Buben« (WA 36; 218,31–33). 60   »In vere gras, blumen, gras, meyen blumlein, da die fein geel [= gelbe] butter von wird, umb pfingsten erdbeer, Heydelbeer, denn kirssen, spiling [= eigentlich ein sogenanntes Pfaffenhütchen, gemeint ist aber wohl eine gelbe Pflaume (vgl. WA 37; 449,27, Anm. 3)], oepfel, birn, korn, gersten, haber, wein, fisch, fogel, gehet als ym Circkel rund mit gutern. Unser Herr Gott macht einen schonen krantz« (WA 36; 219,3–6). 61   »Grosse wasser sind grosse koenigreich, Albis ist der Churfurst, Hans Loeser ein be-

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der Luther von den großen zu den kleinen Gewässern absteigt, endet er schließlich bei dem kleinen Bächlein Hans von Löser, den er damit sinnbildlich einreiht in die wohltuenden Schöpfungsgaben Gottes. Eine solche explizite Erwähnung Lösers lässt darauf schließen, dass Luther hier nicht in einem Gemeindegottesdienst, sondern eher vor dem kleineren Kreis der Angehörigen Lösers gesprochen hat. Neben der fortlaufenden Vers-für-Vers-Auslegung ist auch ein systematischer Aufbau erkennbar. Das Thema der Predigt bilden die Wohltaten Gottes (beneficia Dei). Bereits der erste Satz der Mitschrift deutet das Thema an, indem auf die größte Wohltat Gottes hingewiesen wird, als Mensch Gott begegnen zu können. 62 Dabei gliedert er die Predigt in zwei Teile, indem er zunächst auf die geistlichen und dann auf die körperlichen Wohltaten eingeht, die dem Menschen durch Gott zugutekommen. 63 Zu den geistlichen Wohltaten zählt er das Wort Gottes, das Gott den Menschen gegeben habe, und ferner die Möglichkeit, es auch erkennen zu können. 64 In diesem Kontext wird auch ein Bezug zur Taufe hergestellt. Zu den Wohltaten zählt ferner die »Gewissensgewissheit« (plerophoria), 65 getauft zu sein: »Die feste und gewisse Überzeugung ist eine große Gabe, das man gewiss wisse, dann [dass] man einen Gott habe, [und] wisse, dass man ihm gefällt, ebenso wisse, dass man getauft ist«. 66 Der Übergang zum zweiten Teil der Predigt über die körperlichen Wohltaten Gottes für den Menschen erfolgt wohl nach dem Verweis auf Augustin. 67 Zu den körperlichen Wohltaten zählt Luther alle Tiere und Pflanzen, die Gott zur Ernährung der Menschen geschaffen habe. 68 chlein, Mare est mundus. Jch hab ein weeserlein, dicit, das sol mir nicht versiegen, wil es erhalten« (WA 36; 218,35–219,1). 62   »Maximum beneficium est, das man certum deum trifft« (WA 36; 217,6). 63   »Ita 2 partitur beneficia. 1. spirituale, alterum corporale« (WA 36; 217,18f). 64   »Das ist beneficium eius dei, prima gloria, dare cognitionem verbi« (WA 36; 217,26). 65   Zu Luthers Verwendung des biblischen Begriffs »πληροφορία« vgl. Luthers Definition: »Plerophoria, das ein hertz gantz gewis sey und kein zweifel an dem wort habe[n]« (Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis über Luk. 10, 23f vom 15. September 1530, WA 32; LVII. 94–104, hier 95,22f). Im Revisionsnachtrag der WA 32 wird auf das Lexicon Graeco-Latinum (Basel 1532) verwiesen, welches »πληροφορία« definiert als »certitudo mentis, de aliquo bono satisfactio, certa persuasio, certa fides, quae fit argumentis aut re exhibita, ita ut nihil iam amplius addubitetur« (Revisionsnachtrag, WA 32; 42, Anm 95). Gerhard Ebeling übersetzt den Begriff, um die Besonderheit der Gewissheit zum Ausdruck zu bringen, mit »Gewissensgewissheit« (Gerhard Ebeling: Lutherstudien, Bd. 2, Teil 3: Disputatio de Homine. Die Theologische Definition des Menschen. Kommentar zu These 20–40, Tübingen 1989, 50). Vgl. ferner Oliver Plinei: Wie entsteht christlicher Glaube? Untersuchungen zur Glaubenskonstitution in der hermeneutischen Theologie bei Rudolf Bultmann, Ernst Fuchs und Gerhard Ebeling (HUT 52), Tübingen 2007, 265–273. 66   »Plerophoria ist ein gros donum, das man gewis wisse, das man einen Gott habe, scire se deo placere, item scire se esse baptisatum« (WA 36; 217,31–33). 67   »Nu gibt er, das sie ackern, pfluegen, das es die Bischoff nicht sollen thun, wenn sie wollen. Iam sequitur de benedictione« (WA 36; 218,29f). 68   Vgl. die bereits zitierte Stelle WA 36; 219,3–6 (siehe oben Seite 357) und »Du gibst korn,

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Zieht man die Predigt über Ps. 65 vom 5. Juni 1534 in Dessau heran, so ergeben sich interessante Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Die Predigt erschien in einem Einzeldruck durch den Wittenberger Drucker Georg Rhau. 69 Beide Predigten besitzen sowohl einen homilienartigen als auch thematischen Aufbau. Jedoch wird beim thematischen Aufbau eine andere Disposition gewählt. Statt in Form einer Zweiteilung die geistlichen und körperlichen Wohltaten Gottes zu entfalten, entscheidet sich Luther hier für einen dreiteiligen Aufbau, den er im Verlauf von Ps. 65 selbst wiederentdeckt. Ihm zufolge werden im Psalm nacheinander »dreierley regiment auff erden, von Gott geordnet und gestifftet« abgehandelt.70 Zunächst spreche der Psalm in allegorischer Weise vom geistlichen Regiment (Ps. 65, 1–6), angedeutet durch die Stichwörter »Zion« und »Tempel«.71 Dann gehe der Psalmbeter über zum weltlichen Regiment (Ps. 65, 7–9), wobei Luther ebenso wie bei seiner Pretzscher Predigt die Berge als Königreiche und Fürstentümer interpretiert.72 Schließlich habe der Psalmbeter die Vertreter des häuslichen Regiments vor Augen (Ps. 65, 10–14). Diese hätten die Aufgabe, das Land zu bebauen und die Menschen mit Nahrung zu versorgen.73 Insofern gliedert er den Psalm bzw. die Predigt vor dem Hintergrund der Drei-Stände-Lehre.74 Allen drei Ständen werden nun teuflische Gegner zugeordnet, die jeweils versuchen, die Regimente zu unterwandern.75 Das geistliche Regiment habe gegen die Ketzer zu kämpfen, welche die Lehre verderben und die Sakramente vergersten, Eyer, huener, Erdber, kirssen, spiling gnug« (WA 36; 218,33f). 69   Vgl. WA 37; XXXIV. 425–450 (VD16 L 4758, Benzing, Nr. 3089). 70   WA 37; 426,7f. 71   So formuliert Luther über den Psalm 65, 1–6 den Gedanken: »Das erste heisst sein himelreich, das ist sein Goettlich wort und Gottes dienst, da er regirt uber gewissen und seelen, durch die predigt, Tauffe odder Sacrament, Und billich heist und heissen sol das Christlich odder Goettlich regiment« (WA 37; 426,8–11). Vgl. ferner den ersten Abschnitt beginnend mit WA 37; 428,5. 72   »Das ander (welchs dieser Psalm huegel und berge heisst), das sind Koenigreich und Fuerstenthumb, land und leut oder Gemeinen, so wir heissen das welltlich regiment oder weltliche herrschafft und oberkeit« (WA 37; 426,17–19). Dieser zweite Teil setzt ein nach der Wiederholung von Ps. 65, 7 mit den Worten »Das ist das weltlich regiment auch jnn seim wort gefasst« (WA 37; 443,12). 73   »Das dritte ist das letzte und unterste regiment, da eim jglichen gegeben ist sein weib, kind, haus und hoff, die selbigen zu regiren, das er der narung warte und das land bawe« (WA 37; 426,19–22). Der dritte Teil beginnt, mit der Auslegung von Ps. 65, 10 u. 11 (ab WA 447,36). 74   Zum ordo triplex hierarchicus bzw. zur Unterscheidung in den geistlichen (status ecclesiasticus), politischen (status politicus) und häuslichen Stand (status oeconomicus) vgl. meine Dissertation, Roland M. Lehmann: Die Transformation des Kirchenbegriffs in der Frühaufklärung (Jus Ecclesiasticum, Bd. 99), Tübingen 2013, 7. 143f. 146. 164. 192. 196f. 206. 241. 280. 75   »Nu gehets also zu mit allen dreien, das deren iglichs seinen Teuffel hat, dadurch es gehindert oder verterbt wird« (WA 37; 426,34f); »Weil ich gesagt habe, das ein jglich regiment seinen Teuffel hat, der es gerne hindern und zustoeren wolt, das geistliche mit rottengeistern, das weltliche mit krieg und ungehorsam, das heusliche mit untrew und allerley unglueck« (WA 37; 439,20–22).

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unglimpfen wollten.76 Das weltliche Regiment hingegen müsse gegen die Aufrührer vorgehen, die Zerstörung, Mord und Krieg anrichteten.77 Das häusliche Regiment werde schließlich von bösen Herren, ungehorsamen Frauen, Kindern oder Gesinde bedroht, die dadurch Schaden verursachten.78 Rückblickend ergibt der Vergleich, dass in der Dessauer Predigt vieles ausformuliert ist, was zwei Jahre zuvor in der Pretzscher Predigt bereits angedeutet wurde. Durch die Veränderung des Themas von der Entfaltung der Wohltaten Gottes zur Darlegung der Regimente, geordnet nach drei Ständen, erhält die Predigt eine engere Verknüpfung mit dem allegorisch ausgelegten Bibeltext. Aus diesem Grund ist bei der Bearbeitung zu einer Druckfassung weniger Lokalkolorit in der späteren Predigt im Vergleich zur früheren auszumachen. Die Wahl eines Psalmtextes, die direkte Anrede Hans von Lösers und schließlich die Thematisierung der Taufe als geistliche Wohltat sprechen insgesamt dafür, dass bei der Predigt ein kleinerer Hörerkreis anwesend gewesen sein muss und die Predigt aus Anlass der Taufe gesprochen wurde. Insofern kann die offene Frage, ob es sich bei der Predigt in Pretzsch tatsächlich um eine Taufpredigt handelte, mit hoher Wahrscheinlichkeit bejaht werden.

2.2 Für das Kind der Familie Cordatus in Niemegk (8. August 1532) Die Pretzscher Predigt für das Kind der Familie Löser gibt wenig Auskunft über Luthers eigenes Taufverständnis. Zu entnehmen ist ihr lediglich die Aussage, dass es sich bei der Taufe um eine geistliche Wohltat Gottes handele. Fündiger wird man, wenn man die Nachschrift Rörers zu derjenigen Predigt betrachtet, welche Luther knapp einen Monat später am Donnerstag, dem 8. August 1532, in Niemegk hielt.79 Dass Luther zu dieser Zeit in Niemegk weilte,

76   »Das erste hat es mit seinen Rotten geistern und ketzern, so die lere felschen und verderben und die Sacrament nemen oder verkeren« (WA 37; 426,35–37). Vgl. ferner ab WA 37; 430,29 und ab 439,25. 77   »Das ander hat nu auch seinen Teuffel, der jnn der wellt anrichtet desselben zustoerung, als nemlich mord, krieg, auffrhur etc., da Gott die hand abzeucht, wenn er straffen wil, und verhengt, das Fuersten und Herrn uber einander fallen, verderben und verheeren land und leut« (WA 37; 427,10–13). Vgl. ferner ab WA 37; 443,28 und ab 445,11. 78   »Des gleichen mus das dritte auch seinen Teuffel haben, wo boese herrn und frawen odder ungehorsam und untrew kind und gesind im hause ist« (WA 37; 427,13–15). Vgl. ferner ab WA 37; 447,1; ab 448,15 u. ab 450,12. 79   Vgl. WA 36; XIX. 228–232. Enthalten in Rörers Nachschrift Bos. q. 24b Bl. 111a –114a.

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geht aus der Ortsangabe in der Nachschrift Rörers80 und aus den Tischreden hervor. 81 Er reiste hierzu wohl am Tag zuvor von Wittenberg aus an. 82 Die Weimarer Ausgabe stellt die Überlegung an: »Daß er in Niemeck ohne jede Begründung über die Taufe predigt, legt die Vermutung nahe, daß seine Predigt durch eine Taufe (im Hause des Cordatus?) veranlaßt worden ist«. 83 Jedoch ist diese Begründung nicht ausreichend, da Luther häufig im Rahmen der Katechismuspredigten und zu anderen Gelegenheiten eigens die Taufe thematisierte. So zählt Martin Ferel – neben weiteren Predigten, die in einzelnen Teilen die Taufe behandeln – im Zeitraum von 1525 bis 1546 allein 47 Predigten auf, in denen Luther sich voll und ganz auf die Taufe konzentrierte, wobei er 1528 am häufigsten über die Taufe predigte und in den Jahren 1531 bis 1539 noch sechsmal während der Epiphaniszeit einen Zyklus von drei bis sieben Taufpredigten hielt. 84 Im Vergleich zur Pretzscher Predigt gibt es keinerlei textinterne Hinweise, die für eine Taufe im Hause Cordatus sprechen. Nach Veröffentlichung des entsprechenden Bandes der Weimarer Ausgabe ist Georg Buchwald dieser Frage nachgegangen und wurde schließlich fündig. Georg Helts Wittenberger Predigttagebuch enthält die Randnotiz, dass Luther die Predigt »einst in Niemegk bei der Taufe des Sohnes des Lizensiaten Cordatus« hielt.85 Martin Ferel schreibt über diese Predigt: »Zum erstenmal begegnet bei Luther eine Taufpredigt als Kasualpredigt, die freilich keinen Unterschied nach Inhalt und Form zu den sonstigen Predigten über die Taufe aufweist«. 86 Die Niemegker Predigt ist zumindest die zweite überlieferte Kasualansprache, die Luther nachweislich aus Anlass einer Taufe gehalten hat, sieht man davon ab, dass es sich – wie oben gezeigt – bei der Pretzscher Predigt bereits um eine Kasualpredigt anlässlich einer Taufe handelt und darüber hinaus anzunehmen ist, dass Luther auch vorher Taufpredigten hielt, die jedoch nicht bezeugt sind bzw. nicht tradiert wurden. Hinzukommt, dass Luther bereits Anfang 1532, in der Zeit, als Konrad Corda  »Die Iovis in Niemeck. 8. Aug.« (WA 36; 228,7).   In den Tischreden aus der ersten Hälfte der 1530er-Jahre wird davon berichtet, dass Luther wohl beim Aufenthalt in Niemegk anlässlich der Taufe mit Conrad Cordatus über Sterblichkeit des Menschen gesprochen habe: »Doctor Martinus, ubi venit Nimeckh, ait Conrado Cordato: Wie mancherlei tode haben wir an vnserm leib!« (WA T 2; Nr. 1756, 207,25– 27). 82   Vom 7. August 1532 existiert ein Brief, den Luther in Wittenberg schrieb. Vgl. WA B 6; Nr. 1951, 346. 83   WA 36; X. 84   Vgl. den Überblick und die zusammenfassende Tabelle bei Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 81–98 u. 99–101, hier besonders 89 u. 90. Vgl. ferner die Übersicht der 31 Themenpredigten über die Taufe in WA 22; LXXXVIf. 85   Auf Blatt 308a ist zu lesen: »Pro hoc facit concio quam doctors Martinus habuit aliquando in Nemech in baptismo licentiati Cordati filii, quam habet magister Schlahenheuffen et dominus Georgius praepositus Magdeburgensis princeps Georgius Anhaltinus« (zitiert nach Georg Buchwald: Georg Helt’s Wittenberger Predigttagebuch, in: ARG 17 (1920), 183– 208. 241–276, hier 268). Vgl. ferner Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 94f. 86   AaO., 94f. 80 81

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tus in Zwickau als Prediger wirkte, 87 die Patenschaft für einen Sohn von ihm und seiner Gattin Christina Cordatus übernahm. 88 Luther beginnt, indem er ankündigt, nun über die Taufe sprechen zu wollen, weil die Taufe wie das Vaterunser, der Dekalog oder das Glaubensbekenntnis zu den Stücken des Katechismus gehöre, die ein Christ kennen sollte. 89 Die Einleitung vollzieht insofern eine Verknüpfung mit seinen Katechismuspredigten über die Taufe und kommt ähnlich wie diese ohne ausführliches Exordium sogleich zur Entfaltung des Themas.90 Luther hat bereits 1516, 1517, 1519 und 1523   Konrad Cordatus (1480–1546), in Österreich geboren, studierte in Wien und erhielt in Italien den Grad des Lizentiaten. Ab 1510 wirkte er als Prediger in Ofen westlich von Budapest und wurde dort aufgrund seiner kritischen Predigten als Aufrührer für 38 Wochen inhaftiert. Ab 1524 war er in Wittenberg. Nach halbjährigem Wirken an der Liegnitzer Akademie, einem Aufenthalt in Nürnberg und Joachimsthal wurde der inzwischen Verheiratete durch Luthers Ratschlag im Frühjahr 1529 zum zweiten Prediger in Zwickau gewählt. Weil die Streitigkeiten dort zwischen Rat und den Predigern anhielten, verließ er im Juli 1531 Zwickau und erhielt bald darauf die Pfarrei Niemegk als Nachfolger von Georg Witzel. Dort sammelte er eifrig Notizen der Tischreden Luthers. Gegen Melanchthon und Cruciger kämpfte er heftig um die Voraussetzungslosigkeit der Rechtfertigung. Seit 1540 war er Stendals erster Superintendent. Bekannt wurde er insbesondere durch seinen sogenannten Cordatus-Streit mit Melanchthon und Cruciger um Lehrabweichung zu Luther und durch seine Sammlung der Tischreden. Zu seiner Biografie vgl. Ludwig Götze: Urkundliche Geschichte der Stadt Stendal, Stendal 1873, 365–367; Ernst Kähler: Art. ›Cordatus, Konrad‹, in: NDB 3 (1957), 356f; Gustav Leopold Plitt: Art. ›Cordatus, Konrad‹, in: ADB 4 (1876), 475f. – Zum Cordatus-Streit vgl. ferner Irene Dingel (Hg.): Der Majoristische Streit (1552–1579), bearb. v. Jan Martin u. Hans-Otto Schneider, Göttingen 2014, 4–6; Werner Führer: Die Schmalkaldischen Artikel (Kommentare zu Schriften Luthers 2), Tübingen 2009, 32–41; Stefan Streiff: »Novis linguis loqui«. Martin Luthers Disputation über Joh 1, 14, 35 »verbum caro factum est« aus dem Jahr 1539 (FSÖTh 70), Göttingen 1993, 35–39. 88   In einem Brief vom 3. Januar 1530 beglückwünscht Luther Cordatus zur Geburt seines Sohnes und verspricht ihm, bald ein Zeugnis zu senden, mit dem er anerkennt, dass er die Patenschaft übernimmt: »Gratulor tibi ex animo, mi Cordate, nato filio te factum esse patrem Dominus sit cum illo, ut laeteris in eo cunctis diebus, Amen. Mittam testimonium meum quamprimum licuerit, quo agnoscam me esse catechistam, sicuti rogasti, ut et mei memor sit, ubi adoleverit filius tuus« (WA B 5; Nr. 1528, 215,2–6). Der Brief wohl vom 10. Februar 1530 bestätigt, dass Luther als Pate bei der Taufe des Sohnes von Cordatus und seiner Gattin Christina fungierte. Luther schenkte Cordatus als Zeugnis seiner Patenschaft einen Taler. Wohl aus Ehrerbietung ließ Cordatus den Taler von einem Goldschmied zu einem Schmuckstück umarbeiten und schickte das Geschenk wieder zurück an Luther. Daraufhin antwortete er ihm in dem Brief und bedankte sich für das Geschenk: »Quod verum esse experior in te quoque, mi Cordate, qui cum forte sentias tua regna et tuas opes, meum Vallensem remittere ausus es, tanquam indignum, qui inter gazas tuas latitaret, etiam forma versum. […] Dabit tamen Deus, ut alio testimonio me declarem filii tui catechistam. […] Saluta Christinam tuam cum filiolo tuo« (WA B 5; Nr. 1528, 238,1–15). Doch leider verstarb der Sohn wenige Wochen danach. Am 2. April verfasste Luther ein mitfühlendes Trostschreiben (WA B 5; Nr. 1544, 273,1–16). 89   »Dicemus de baptismo, lieben freunde, ich zweifel nicht vos saepe audisse, quid oporteat Christianum scire, ut gnug dem name et er gen himel muge komen, ut sunt pater noster, praecepta, Symbolum &c.. Ut autem videatis, das unser lere eintrechtig allenthalb sey, volumus nos quoque tractare &c.« (WA 36; 228,8–12). 90   Vgl. den Überblick der Katechismuspredigten bei Georg Buchwald: Die Entstehung der Katechismen Luthers und die Grundlage des grossen Katechismus, Leipzig 1894, V–XI. 87

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regelmäßig, meist in der Fastenzeit, über den Katechismus gepredigt, jedoch ohne Taufe und Abendmahl hinzuzunehmen.91 Seit 1525 wurde in Wittenberg viermal im Jahr zwei Wochen lang über die Hauptteile des Katechismus gepredigt, wobei Johann Bugenhagen als Wittenberger Stadtkirchenprediger die beiden Sakramente berücksichtigte.92 Die Predigt vom Nachmittag des Himmelfahrtstages am 10. Mai 1526, der eine Auslegung von Mk. 16, 16 am Vormittag voranging, zählt als die erste Predigt, in der Luther sich ganz dem Thema »Taufe« widmete; 93 zuvor war er in einigen Schriften bereits auf die Taufe eingegangen.94 Luther gliedert die Predigt in zwei Teile. Er unterscheidet Werke, die Gott zu unserer Seligkeit vollbringt, und gute Werke des Menschen, die auf die göttlichen Werke folgen.95 Im Laufe der Predigt wendet er diese Unterscheidung immer wieder auf die Taufe an, um zu betonen, dass es sich bei diesem Sakrament um ein Werk Gottes handelt. Eine solche Entfaltung des Themas ist typisch für Luthers Taufpredigten. Martin Ferel schreibt hierzu: »So findet sich kaum eine unter den Taufpredigten, die nicht diesem Grundsatz der Taufe als Opus dei in

Zu den Formen des Predigtbeginns vgl. Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 116, der auf WA 27; 32,23; WA 27; 41,22; WA 37; 278,11; WA 37; 258,7–10 verweist. 91   Vgl. die Ankündigung Luthers der dritten Katechismusreihe für die Adventszeit im Jahr 1528: »Consueti sumus hactenus et ordinavimus quater quolibet anno thirocinium et fundamenta Christianae cognicionis et vitae docere, quolibet quartali duas hebdomadas in una hebdomade 4 dies hora 2 pomeridiana praedicari« (Predigt vom 29. Nov. 1528 über Mt. 21, 1–11, WA 27; 444,3–5), vgl. ferner Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 85. 92  Vgl. Anneliese Bieber-Wallmann: Die Predigten Johannes Bugenhagens der Jahre 1524, bis 1527 in der Sammlung Georg Rörers, in: Stefan Michel/Christian Speer (Hg.): Georg Rörer (1492–1557). Der Chronist der Wittenberger Reformation (LStRLO 15), Leipzig 2012, 137–169, hier 139. 156–160; vgl. ferner Georg Buchwald (Hg.): Johann Bugenhagens Katechismuspredigten, gehalten 1525 und 1532 (QDGR 9), Leipzig 1909, 3. 77–80; vgl. dort auch die Predigt Bugenhagens vom Ende März 1525 über die Taufe, die von Rörer festgehalten wurde (ThULB Jena, Ms. Bos.o17B, Bl. 17b-18b), aaO., 77–80; vgl. ferner Ders.: Ungedruckte Predigten Johann Bugenhagens aus den Jahren 1524 bis 1529 zumeist aus Handschriften der Großherzoglichen Universitätsbibliothek zu Jena zum erstenmal veröffentlicht (QDGR 10), Leipzig 1910. 93   Vgl. WA 20; 385–389; vgl. ferner Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 87; Georg Buchwald: Die Entstehung der Katechismen Luthers und die Grundlage des grossen Katechismus, Leipzig 1894, VIII. 94   Vgl. Ein Sermon von dem heiligen hochwürdigen Sakrament der Taufe, 1519, WA 2; 724. 27–737; Disputatio de baptisma legis, Johannis et Christi habita, 1520, WA 6; 472. 473; Das Taufbüchlein verdeutscht, 1523, WA 12; 38. 42–48; Das Taufbüchlein verdeutscht, aufs neu zugerichtet, 1526, WA 19; 531. 537–541 und die wahrscheinlich allerdings nicht von Luther stammende Schrift mit dem Titel »Wie man recht und verständlich einen Menschen zum Christenglauben taufen soll«, 1523, WA 12; 49. 51f. 95   »Partiemur autem in duo: quaedam opera sunt, quae deus facit dazu, das wir selig werden, deinde, quando haec sunt facta, sollen unser werck auch folgen, die wir thun« (WA 36; 228,12–14). Der zweite Teil beginnt mit der Wiederholung der Einteilung »Ergo sol man scheiden opera, quae deus facit, et quae nos facimus […]« (WA 36; 229,3).

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irgendeiner Form ausspricht«.96 Dieser Gedanke durchzieht die gesamte Predigt. Neben dem Wort Gottes, der Predigt, dem Abendmahl und der eigenen Auferstehung am letzten Tag bezeichnet Luther auch die Taufe als Gottes Werk an den Menschen.97 Diese göttlichen Werke könne der Mensch nicht beeinflussen, ebenso wenig wie den Sonnenaufgang oder den natürlichen Tagesablauf.98 Bei der Kindertaufe verhalte es sich genauso. Denn das Kind könne nur stillhalten, wenn es von einem Diener oder einem anderen getauft werde, und könne nicht sagen, dass es sich selbst getauft habe.99 Wie alle anderen Werke Gottes kann insofern die Taufe nicht selbst hervorgebracht, sondern lediglich empfangen werden. Genauso wie ein Bettler sich auch nicht selbst den Rock mache, sondern ihn vom Schneider empfange.100 Wenn man jedoch vom Heiligen Geist erleuchtet sei und den Glauben empfangen habe, dann folgten darauf auch die guten Werke des Menschen. Mit diesem Gedanken leitet er zum zweiten Teil der Predigt über, wobei er jedoch immer wieder zum Vergleich auf die Werke Gottes zu sprechen kommt.101 Unter den guten Werken des Menschen versteht Luther die Nächstenliebe, die sich konkret darin äußere, einem Menschen in der Not zu helfen: entweder mit Geld, einem wohlgemeinten Wort oder einer Fürbitte.102 Die Nächstenliebe gehöre dabei zu den Pflichten eines Christen, ebenso wie es die Pflicht des Hausherren sei, das Haus zu leiten, die des Knechtes, mit der Mistgabel zu arbeiten, oder die der Magd, ihre Aufgaben im Haus zu erledigen.103 Beide Werke, die göttlichen und menschlichen, dürften nicht miteinander vermischt werden. Vielmehr seien sie zu unterscheiden wie Himmel und Er96   Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 128. Vgl. beispielsweise: »ut 1. sciat baptismum non hominum opus, sed dei opus. Da ligt der knot gar an« (WA 27; 33,5f). 97   »Quae deus facit sine nobis, quae patimur et accipimus, sunt die liebe heilige Tauff, Sacrament, predig et verbum dei. Als denn auch am Jungsten tag werden wird das letzste werck, cum nos suscitabit et clarificabit corpora nostra« (WA 36; 228,14–17). 98   »Sicut non est opus meum, quod sol oritur et dies fit, das kan ich weder hindern noch fordern« (WA 36; 228, 20f). 99   »Sic est baptismus. Quando infans baptisatur, nihil ad hoc facit, ut baptisetur. Minister aut aliquis alius baptisat. Das kind helt schlecht still, non potest dicere: Jch hab mich selbs getaufft« (WA 36; 228,22–24). 100   »Sic ein bettler macht yhm den rock nicht selber, sed sarctor aut dives, qui ei dat. Er empfehet yhn nur. Sic baptismus est opus, quod deus facit« (WA 36; 228,26–28). 101   »Sic mit dem geist und glauben, quando deus illuminat, est divinum opus, quod operatur in nobis. Ergo sol man scheiden opera, quae deus facit, et quae nos facimus« (WA 36; 229,1–3). 102   »[…] so sol denn anghen das ander stueck, das ich auch gute werck thue, quod diligam proximum, wenn er not leidet, das ich yhm furstrecke gelt, gut, rette yhn, wo mit ich kan, verbo, oratione, und predige andern, lere sie« (WA 36; 229,5–8). 103   »Einen hausvater, ut faciat suum officium, ut maritus colat agrum et faciat, quod debet, Sic ut servus mistlade et faciat, quod iubet dominus. Sic ancillae opera sunt alia« (WA 36; 229,8–10).

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de.104 Dabei kritisiert er diejenigen, welche die Taufe nicht hoch genug preisten, sondern als geringes Werk ansehen würden. Sie betrachteten dieses göttliche Werk lediglich im Lichte der Vernunft und sähen, wie ein Priester ein Kind mit Wasser begieße.105 Ein solcher Taufritus sei freilich viel weniger dramatisch, als wenn ein Mensch sich mit einer Rute selbst züchtige, bis das Blut fließe, oder ein Karteuser Mönch ein haariges Bußhemd (cicilium) trage, welches bei jeder Bewegung kratze und steche.106 Solche Blendwerke schienen dem Menschen viel größer, tatsächlich aber stellten sie die Werke Gottes in den Schatten.107 Insofern wendet sich Luther mit seiner Kritik gegen die Relativierung der Taufe aufgrund ihres verhältnismäßig undramatischen Rituals. Um den Gegensatz zwischen göttlichen und menschlichen Werken zu betonen, beruft sich Luther in der Niemegker Predigt auf Paulus, wobei die Bibelstelle nicht eindeutig belegt werden kann. Ihm zufolge habe Paulus den Gedanken geäußert, dass zwar der Mensch gute Werke aufgrund von Geboten tue, jedoch Gott die Werke ohne Gebote vollbringe, weil er über diesen stehe.108 Die Verschiedenheit der Handlungsmotive führt Luther zu dem Gedanken, dass der Mensch sich zu Tode arbeiten und große Werke vollbringen könne, seine Taten aber immer menschliche Werke blieben.109 So sei es auch, wenn der Priester die Taufformel spreche: »Ich taufe Dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«.110 Der Vollzug des Ritus bleibe ein menschliches Werk, das Wort stamme jedoch von Gott. Luther kommt hierbei mehrmals auf das Wasser als Zeichenhandlung und auf das Wort Gottes als die beiden zentralen Elemente der Taufe zu sprechen.111 Beides müsse notwendig beieinander sein und mache das Wesen der Taufe aus. Das Beieinander von Wasser und göttlichem Wort im Akt der Taufe zählt zu den Zentralgedanken Luthers im Rahmen seines Taufverständnisses, was sich auch in Taufpredigten widerspiegelt.112 104   »Das heissen nostra bona opera, quae sequi debent opera, quae deus fecit. Haec non sunt miscenda, sed separanda sicut caelum et terra« (WA 36; 229,15–17). 105   »Hoc dico ideo, das man die Tauff lerne hoch preisen, wie wols die welt nicht thut noch herrlich ansihet, sollen doch wirs thun. Ratio sihet ynn das wasser, sihet, das ein priester oder fraw ynn kinds notten das kind mit wasser begeusset, duncket sie ein gering werck sein, quia non plus videt quam aquam« (WA 36; 229,27–31). 106   »Verbum et autorem non videt, darumb helt sie hoher davon, wenn sich einer mit rutten steupt [= züchtigt], das das blut er nach ghet […]. Jtem das ein Cartheuser ynn heren [= haarigen] kleider ligt« (WA 36; 229,31–34). 107   »Die opera nostra gleissen, haben ein gros ansehen, das man sagt: das sind die werck, da mit wird opus dei obscurirt« (WA 36; 229,34–36). 111   Am prägnantesten: »Jch lebe und sterbe drauff, das man so unser vertrawen allein setze auff die Gottlichen werck, ut dicam: dedit mihi verbum et Sacramentum« (WA 36; 231,35f). Vgl. ferner den Ausdruck »verbum [Dei]« in WA 36; 229,4. 12. 31 u. WA 36; 231,7. 112   Vgl. beispielsweise aus der Predigt vom 15. Januar 1531 am 2. Sonntag nach Epiphanias: »Tauff ist das wasser und gots wort dabey, vide illa non disiungas, wasser ist nicht ein Tauff sine verbo, verbum machts. Ideo quando voco hic Tauff, tunc fasse verbum dei und dazu wasser, ut ista duo conveniant, so wird ein Tauff draus und sonst nicht« (WA 34 I; 87–99, hier 88,5–9). Vgl. Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 128–149.

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Nicht im Namen des Priesters, sondern im Namen des dreieinigen Gottes werde getauft, als ob Gott selber mit eigener Hand taufen würde, während der Täufling dabei die Taufe lediglich empfange.113 Daher solle man erstens bei der Taufe nicht das Ritual bzw. das Besprengen mit Wasser betrachten, sondern darüber nachdenken, dass Gott in diesem Moment sein Werk vollbringe.114 Zweitens habe man sich klarzumachen, dass diese Tat größer als alle Werke der Heiligen sei, und zudem, dass Gott den Menschen durch die Taten von den Sünden reinwasche.115 Durch Adam werde der Mensch in der Erbsünde geboren, wodurch er dem Tode geweiht sei und sich in der Gewalt des Teufels befinde. Die Taufe jedoch wasche von Sünde und Tod rein, sodass nicht mehr der Teufel, sondern Christus den Menschen regiere. Daher solle der Mensch sich auf die Werke Gottes und nicht auf die eigenen Werke verlassen. Er habe sein Herz daran zu hängen, durch die Taufe die Erlösung von den Sünden und die Reinwaschung von Tod und Teufel empfangen zu haben.116 Mit dem Gedanken der Reinwaschung von Sünde und Tod bezieht sich Luther auf die scholastische Lehre von der Wirkung (efficacia) der Taufe.117 Neben der Frage, was die Taufe sei, nämlich das Beieinander von Wasser und Wort Gottes, kann die Frage nach der Wirkung bzw. dem Nutzen der Taufe als die zweite zentrale Frage angesehen werden, die Luther in seinen Taufpredigten entfaltet.118 Exemplarisch zeigt 113   »Es spricht keins: Ich tauffe dich inn meinem namen, Sed in nomine patris et filii et spiritus sancti i. e. dich tauffet der vater, son und heiliger Geist, Et die Tauffe, quem per me accipis, die gibt dir Gott, Et est proinde, ac si ipse sua manu de caelo te baptizare« (WA 36; 230,8–11). 114   »Primum est, ne tenuem speciem inspiciamus, Jst wasser et sprengen. Sed so sol man es nicht lernen, sed ansehen nach dem, der es thut« (WA 36; 230,23–25). Vgl. den gleichen Gedanken in der Katechismuspredigt vom 17. Dezember 1528: »Wiltu die Tauffe nicht weiter ansehen denn so ferne, quod aqua est, tum habebis eum pro vili et simplici &c.« (WA 30 I; 109–116, hier 110,13–15). 115  »Deinde videndum etiam, quid det baptismus. Was macht unser Herr Gott mit der Tauffe? Primum est, quod sit summum opus et maius quam omnia opera omnium Sanctorum, quae nihil sunt in comparatione huius, quod deus nos baptisavit. 2. was macht er mit? Secundum est scire, das er uns abwesscht von den sunden« (WA 36; 230,26–30). 116   »Per Adam enim cecidimus et nascimur in peccato originali et sumus rei mortis et in potestate diaboli. Da kompt die Tauffe, das Gottlich werck, das uns Christus verdienet hat, da wesscht er uns von der sunde und tod, das wir versichert sind des ewigen lebens, quam dabit in novissimo iudicio. Item das der Teufel nicht unser herr sey, Sed Christus, qui est dominus vitae« (WA 36; 230,30–35). 117   Zur scholastischen Lehre von der Taufe vgl. beispielsweise Thomas von Aquin, der in Anlehnung an Alexander von Hales zwei Wirkungen der Taufe unterscheidet: Zum einen die Abwaschung der Sünde und zum anderen der Erlass der Strafe (S. th. III q. 69a 1 u. 2 [DThA 29, 269-274]). Vgl. hierzu die Abhandlungen über die Taufwirkungen bei Augustin, Thomas von Aquin, Gabriel Biel und Luther bei Werner Jetter: Die Taufe beim jungen Luther. Eine Untersuchung über das Werden der reformatorischen Sakraments- und Taufanschauung (BHT 18), Tübingen 1954, 8. 14. 76. 93. 340f passim; vgl. ferner Eero Huovinen: Fides infantium. Martin Luthers Lehre vom Kinderglauben (Veröffentlichung des Europäischen Instituts Mainz. Institut für Europäische Geschichte 159), Mainz 1997, 54. 118   Zu Luthers Verständnis der Tauffwirkung vgl. insbesondere Martin Ferel: Gepre-

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sich dies an seiner Predigt vom 15. Januar 1531, die er in zwei Teile gliedert, indem er auf die Fragen »quid sit baptismus« und »quid efficiat« eingeht.119 Um das Verhältnis von göttlichen und menschlichen Werken abschließend zu klären, verwendet Luther in seiner Niemegker Predigt ein Gleichnis aus dem häuslichen Bereich, das dem Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk. 15, 11–32) zumindest in groben Zügen ähnelt, obwohl er die Erzählung grundsätzlich verändert. Er berichtet von zwei Söhnen, wobei der eine sich untadelig verhalte, weshalb der Vater ihn mit Reichtümern ausschmücke, während der andere ungehorsam sei, weshalb der Vater ihn enterbe und aus dem Haus verstoße.120 Die Pointe bestehe darin, dass beide von Geburt an natürliche Erben sind, wofür sie nichts beigetragen hätten. Dennoch komme es darauf an, wie sich die Söhne in ihrem Leben zum Vater verhalten. Gleiches gelte von der Taufe.121 Sie sei ein Werk Gottes und werde dem Menschen geschenkt. Daraus entstehe jedoch die Verpflichtung, sich Gott gegenüber durch seine eigenen Werke gehorsam zu zeigen. In dieser Haltung solle man sein Herz auf Gottes Werk richten, aber darüber hinaus nicht vergessen, seine eigenen Werke auszuüben.122 Rückblickend fällt auf, dass Luther in der Niemegker Predigt nirgends direkt auf die innerevangelischen Gegner zu sprechen kommt. Zwar warnt Luther vor einer Relativierung der Taufe aufgrund des verhältnismäßig undramatischen Rituals, jedoch fehlt das Problem der Kindertaufe sowie der Wiedertaufe Erwachsener völlig. Betrachtet man die Entwicklung von Luthers Taufverständnis, so lassen sich überblicksweise drei Wellen ausmachen. In der ersten Welle wandte sich Luther gegen die römische Papstkirche und insbesondere deren Auffassung von der Siebenzahl der Sakramente.123 Die zweite Welle wurde digte Taufe, Mainz 1969, 193–217. 119   Vgl. WA 34 I; 87–98 (Einleitung zur Predigt in WA 34 II; 584). Vgl. im ersten Teil »quid sit baptismus« (WA 34 I; 88,4) und den Übergang zum zweiten Teil: »Iam dicemus, quid efficiat baptismus, cum sciamus, quid sit« (WA 34 I; 93,13). 120   »Cuius rei exemplum etiam dari potest ex oeconomia. Ut quando paterfamilias habet duos filios. Supra hoc, quod alter obsequens filius est, ist er naturlich erbe von der geburt, bringt es mit, macht es selbs nicht, et tamen si est probus, so thut yhm der vater mher, thut yhm ein forteil, lest yhn schmuecken, Et alium inobedientem schlecht er zum hause hin aus, so er ein morder oder etwas solches wird, non solum exhereditat eum, sed stellt yhm nach &c.« (WA 36; 232,19–25). 121   »Sic hic per baptismum sumus filii« (WA 36; 232,25f). 122   »Sic sol man das hertz richten auff Gottes werck et den leib uben ynn eigen wercken. Das sey dem werck der heiligen Tauffe zu lob und ehre geredt &c.« (WA 36; 232,29–31). 123   Vgl. insbesondere De captivitate Babylonica ecclesiae, 1520, WA 6; 484. 497–573, hier 526–543. Zur genaueren Entwicklung des frühen Taufverständnisses Luthers in der Frage einer Früh- oder Spätdatierung vgl. die Forschungsdebatte zwischen Werner Jetter und Ernst Bizer. Vgl. Ernst Bizer: Rez. ›Werner Jetter: Die Taufe beim jungen Luther, Tübingen 1954‹, in: ZKG 67 (1955/56), 341–344; Ders.: Die Entdeckung des Sakraments durch Luther, in: ZTh 17 (1956), 64–90; Ders.: Fides ex auditu. Eine Untersuchung über die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes durch Martin Luther, Neukirchen-Vluyn 31966. Zur Debatte vgl. ferner Ursula Stock: Die Bedeutung der Sakramente in Luthers Semonen von 1519, Leiden 1982, 1–22; Hans Hubert: Der Streit um die Kindertaufe. Eine Darstellung der von Karl Barth

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durch die Zwickauer Propheten, Karlstadts Ablehnung der Kindertaufe und die Böhmischen Brüder in den Jahren 1521/22 ausgelöst, wodurch es zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Taufe kam.124 Die dritte Welle schließlich erfolgte im Jahr 1528. Es ist das Jahr, aus dem die meisten Taufpredigten von Luther überliefert sind. Der Grund hierfür war das Auftreten der Täufer in Süddeutschland und weiteren Regionen.125 Insgesamt ergibt die Analyse, dass Luther seine zentralen Gedanken zum Wesen und zur Wirkung der Taufe anhand der Unterscheidung von göttlichen und menschlichen Werken entfaltet. Dabei weist die Niemgker Predigt deutliche Parallelen zu Luthers Katechismuspredigten über die Taufe auf. Im Vergleich zur Pretzscher Predigt, in der Hans Löser direkt angesprochen wird, fehlt jedoch jeglicher persönliche Bezug. Auch Lokalkolorit ist in der Überlieferung an keiner Stelle zu erkennen. Deshalb ist zu vermuten, dass die Niemecker Predigt im Vergleich zur Pretzscher Predigt nicht vor einem privaten Angehörigenkreis im häuslichen Bereich gehalten wurde, sondern wohl eher im Rahmen eines öffentlichen Taufgottesdienstes in der Kirche.

2.3 Für das Kind Bernhard von Anhalt in Dessau (am 2. April 1540) Während die Pretzscher und die Niemegker Kasualansprache durch Nachschriften Rörers überliefert sind, existieren von den beiden Dessauer Taufpredigten lediglich ein deutscher Druck des Wittenberger Druckers Nickel Schirletentz aus dem Jahr 1541 und eine lateinische Übersetzung durch Johannes Freder aus dem Jahr 1543.126 Bereits am 30. März 1540 reiste Luther nach Dessau,127 um das Patenamt gemeinsam mit Matthias von Jagow, Bischof von Bran-

1943 ausgelösten Diskussion um die Kindertaufe und ihre Bedeutung für die heutige Tauffrage (EHS.T 23/10), Bern 1972, 144–146. 124  Vgl. Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 89. 125   Vgl. hierzu auch die Schrift ›Von der Wiedertaufe an zwei Pfarrherrn‹, 1528, WA 137. 144–174; Ji-Hoon Hong: Luthers Auseinandersetzung mit dem täuferischen Taufverständnis, Diss. Bonn 1995; John S. Oyer: Lutheran Reformers against the Anabaptists. Luther, Melanchthon and Menius and the Anabaptists of Central Germany, The Hague 1964, Neudr. Paris 1999; Martin Burgdorf: Luther und die Wiedertäufer, Neumünster 1928. 126   Vgl. WA 49; XXI. 124–135 (VD16 L 5837 u. VD16 L 7571). 127   Dem Grimmaer Pfarrer Johann Schreier hinterließ Luther einen Brief vom 30. März in Wittenberg mit der Bemerkung, dass er abwesend sei. Deshalb ist zu vermuten, dass Luther bereits am 30. März die Reise nach Dessau angetreten hat. Vgl. »Jn euerm abwesen« (WA B 9; 80,27 u. dort Anm. 9).

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denburg,128 sowie dem Wittenberger Juristen Benedikt Pauli129 zu übernehmen. Getauft wurde der am 17. März geborene Sohn Bernhard VII. von Fürst Johann IV. von Anhalt (1504–1551) und der Markgräfin Margarete, der Tochter Joachims I. von Brandenburg (1511–1577).130 Zur Datierung der Predigten gibt es zwei Hypothesen. Die erste stammt von den Herausgebern der Weimarer Ausgabe. Demnach predigte Luther an drei Tagen: am Donnerstag und Freitag, dem 1. und 2. April, sowie am Sonntag, dem 4. April, wobei letztere Predigt in keinem Zusammenhang mehr mit der Taufe stehe.131 Die andere Hypothese wurde von Martin Ferel aufgestellt. Er bezweifelt, dass Luther auch am 2. April die Kanzel betrat, da dann die Schwierigkeit bestehe, dass Luther zu einer Taufe zweimal gepredigt habe.132 Vielmehr handele es sich um eine einzige Taufpredigt, gehalten am 1. April. Der Irrtum sei entstanden, weil die Nachschrift eine Zwischenüberschrift enthalten haben könnte, die ungefähr lautete: »Der ander Teil«. Bei der Bearbeitung für den Druck wurde die Unterteilung versehentlich als »Die ander Predigt« gedeutet. Er begründet dies mit einem ähnlichen Fall, den Erich Vogelsang für drei Torgauer Predigten aus dem Jahr 1532 aufgedeckt habe.133 Dagegen sprechen jedoch drei Gründe. Zum einen wird im Titel und in der Überschrift des Drucks explizit auf den Freitag verwiesen.134 Selbst wenn 128  Vgl. Hans Volz: Die Vermählung des Brandenburger Bischofs Matthias von Jagow im Jahre 1541, in: JBrKG 27 (1932), 67–82; Johann Gebauer: Beiträge zur Geschichte des Matthias von Jagow, Bischof von Brandenburg (1526–1544), in: JBrKG 4 (1907), 87–109; Iselin Gundermann: Kirchenregiment und Verkündigung im Jahrhundert der Reformation (1517 bis 1598), in: Gerd Heinrich (Hg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 1999, 147–241, hier 174f. 129   Zur Person Paulis vgl. Nikolaus Müller: Die kirchen- und Schulvisitationen im Kreise Belzig 1530 und 1534 und Nachrichten über die Kirchen- und Schuldiener in der Stadt und dem Amt Belzig während der Reformationszeit, Berlin 1904, 11–14. 130  Vgl. WA 49; XXI. Vgl. ferner Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 88f; Adolf Rümelin: Die Reformation in Dessau. Ein Vortrag, gehalten auf dem Gemeindeabend der Schloß- und Stadtkriche zu St. Marien in Dessau am 31. Oktober 1894, Halle (Saale), 1895, hier 36; Johann Christoph Beckmann: Historie des Fürstenthums Anhalt […], 5. Teil, Dessau 1710, 17. 131   Die dritte Predigt folgt der traditionellen Perikope für den Sonntag Quasimodogeniti über die Vollmacht der Jünger (Joh. 20, 19–22). Zu diesem Anlass legt er insbesondere V. 21– 22 aus und entfaltet dies im Zusammenhang mit seiner Auffassung von den zwei Regimenten. Vgl. hierzu sowohl die Nachschrift Rörers WA 49; 135–142 als auch den Druck WA 49; 143– 160, aufgrund deren Verschiedenheit des Aufbaus die Herausgeber der WA entschieden haben, beide Fassungen nicht untereinander, sondern nacheinander abzudrucken. Vgl. hierzu auch die erste Bornaer Predigt zu derselben Perikope vom 27. April 1522. Siehe oben Seite 133. 132  Vgl. Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 178, Anm. 77. 133  Vgl. Erich Vogelsang: Luthers Torgauer Predigt von Jesu Christo vom Jahre 1532, in: LuJ 13 (1931), 114–130, hier 116. 134   Vgl. Titel und Überschrift »Zu Dessaw Dornstags vnd Freitags in Ostern geschehen« (VD16 L 5837 u. VD16 L 7571, Bl. [A i a] u. Bl. A ii a; vgl. ferner zum Titel WA 49; XXII). Die Zeile »Predigt am Freitag nach Ostern« stammt von den Herausgebern der Weimarer Ausgabe. Vgl. hierzu (VD16 L 5837 u. VD16 L 7571, Bl. Ei a mit WA 49; 124,14).

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der unbekannte Bearbeiter das Freitagsdatum fingiert haben sollte, bleibt dennoch die Frage offen, warum er dann nicht beispielsweise den Donnerstagnachmittag gewählt hat. Zweitens wäre die Predigt ungewöhnlich lang gewesen. Denn gemessen an der inhaltlichen Dichte der Gedanken und trotz aller Ungewissheiten, wie umfangreich der Bearbeiter für Redundanz in der Predigt gesorgt hat, sprechen die insgesamt 56 Seiten eher für zwei Predigten. Drittens war es keine Seltenheit, dass Luther häufiger bei einem Besuch mehrere Tage hintereinander predigte. Warum soll er dann nicht auch zur Taufe zweimal das Wort erhoben haben, gerade wenn man berücksichtigt, dass es sich hier um einen wichtigen Erben und Nachfolger des Anhaltiner Hauses handelte? Aufgrund dieser Erwägungen kann man zu dem Schluss gelangen, dass die Annahme der Herausgeber der Weimarer Ausgabe weiterhin als die wahrscheinlichere zu gelten hat, wenngleich die Frage sich wohl niemals endgültig beantworten lassen wird. Dem Druck zufolge eröffnete Luther seine Predigt mit einer Erläuterung des Anlasses der Zusammenkunft. So hätten sich alle zur heiligen Taufe versammelt, weshalb ihr nun auch eine Glocke geläutet werden solle.135 Damit kündigt er in Form einer Redewendung an, im Folgenden die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken zu wollen.136 Martin Ferel weist in seiner Analyse darauf hin, dass es sich hierbei um die erste überlieferte Erwähnung handele, in der Luther im Rahmen der Taufe eigens auf den Kasus eingehe.137 Zwar hat Luther in seinem ›Taufbüchlein‹, worin er den liturgischen Ablauf der Taufe beschreibe, nirgends eine Ansprache vorgesehen, doch zeige die Predigt, dass er durchaus davon abweiche und selbst solche Ansprachen habe vornehmen können.138 Als Bibeltext für beide Predigten wählte Luther die Gerichtspredigt von Johannes dem Täufer (Mt. 3, 1–12) und die nachfolgende Taufe Jesu (Mt. 3, 13–17) aus. Über diese Perikopen hat Luther gewöhnlich dem Kirchenjahr folgend, zu Epiphanias im Januar gepredigt. Insofern handelt es sich um speziell für die Kasualhandlung ausgesuchte Texte. Aus der Zeit vor 1540 ist keine Predigt über Mt. 3, 1–12 überliefert, sondern lediglich danach aus den Jahren 1541 und 1544.139 Ihnen eigentümlich ist, dass hier im Vergleich zu den Dessauer Predigten das Taufthema in den Hintergrund rückt.140 Über die Taufe Jesu hat Luther häufiger gepredigt, wobei die Taufpredigten aus dem Jahr 1534 die meisten Par-

 Vgl. Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 179.   Vgl. Rörers Nachschrift der Predigt am 16. Januar 1541 (WA 49; XXV. 216–220) und dessen Nachschrift sowie die Aufzeichnung von Stoltz am 13. Januar 1544 (WA 49; XXXII. 308–317). 140   In der Predigt vom 16. Januar 1541 erwähnt Luther lediglich am Schluss die Taufe (WA 49; 220,38f). Die Predigt vom 13. Januar 1544 legt den Schwerpunkt auf die Lehre von der Dreieinigkeit, in deren Zusammenhang er beiläufig auf die Taufe zu sprechen kommt (WA 49; 310,6 u. 31; 311,18; 315,16f). 137

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allelen zur Dessauer Auslegung aufweisen, worauf in der folgenden Analyse noch eingegangen wird.141 Betrachtet man beide Predigten im Zusammenhang, so lassen sich drei Teile erkennen: die Taufe durch Johannes, Jesu Taufe und die eigene Taufe.142 Der Gedankengang ist jedoch aufgrund der Doppelpredigt unterbrochen. Denn bereits in der Donnerstagspredigt findet der Übergang von der ersten zur zweiten Perikope statt.143 In der zweiten Predigt knüpft er an die Predigt vom Vortag an, verbleibt zunächst bei der Taufe Jesu und geht dann zu einer thematischen Betrachtung der christlichen Taufe über.144 Eleganter wäre es gewesen, wenn Luther mit der Auslegung des ersten Teils die erste Predigt beendet hätte. Dass Luther sich entschieden hat, bereits in der ersten Predigt zur Taufe Jesu überzugehen, lässt den Schluss vermuten, dass von vornherein geplant war, zweimal zu predigen, weshalb er ohne Bedenken quasi in der Mitte den Gedankengang abbrach, da er einen Tag später den Faden wieder mühelos aufnehmen konnte. Luther zufolge wurde Johannes von Gott eingesetzt, um nicht zu den Heiden oder zu den offensichtlichen Sündern unter den Juden, sondern zum ganzen Volk Israel zu sprechen.145 Denn alle Israeliten seien um der Sünde willen verdammt. Weder Beschneidung noch das Gesetz könne ihnen helfen, gerecht zu werden.146 Seine Predigt ziele hierbei auf die »Taufe der Busse zur Vergebung der 141   Vgl. die Vormittags- und die im Druck überlieferte Nachmittagspredigt vom 6. Januar 1526 (WA 20; 212–216 u. 217–232) sowie Stephan Roths Festpostille (WA 17 II; 380f), die drei Predigten vom 5. und 6. Januar 1531 (WA 34 I; 21–31. 32–42. 42–50), vom 6. Januar 1534 (WA 37; XXIX. 249–253); vgl. hierzu den Druck zu Taufpredigten Luthers aus dem Jahr 1535 (WA 37; XLIII. 627–672) und Veit Dietrichs Hauspostille aus dem Jahr 1544 (WA 52; XIVf. 98– 104) sowie die Predigten ebenfalls am 6. Januar aus dem Jahr 1546 (WA 51; XIf. 105–117). Vgl. ferner die Themenpredigten zur Taufe (WA 22; LXXXVIf). 142   Ferel geht entgegen seiner Intention, beide Predigten als eine zu deuten, eher von einer Zweiteilung in beiden Predigten aus. Ihm zufolge wird in der ersten Predigt zunächst die Johannestaufe mit dessen Bußpredigt ausgelegt und dann das Verhältnis zur Taufe Jesu thematisiert. In der zweiten Predigt wird im ersten Teil die Taufe Jesu als Thema fortgesetzt, während im zweiten Teil von der Taufe allgemein gesprochen wird. Betrachtet man beide Predigten im Zusammenhang, so lässt sich diese Vierteilung auch als Dreiteilung mit Unterbrechung lesen. Vgl. Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 179. 143   Der Druck gibt zu Beginn lediglich Mt. 3, 1–12 wieder, ohne zu berücksichtigen, dass Luther dazu übergeht, das Augenmerk auf die Taufe Jesu zu legen. Der Übergang erfolgt in der ersten Predigt mit den Worten: »Jndem nu Johannes so prediget und teuffet (sagt S. Mattheus weiter), komet Jhesus aus Galilea an den Jordan zu jm und begert der Tauffe (WA 49; 119,36f). 144   Der Teil in der zweiten Predigt beginnt mit den Worten »Nu wollen wir auch ein wenig von unser Tauffe reden« (WA 49; 127,35f). 145   »Und [Johannes] solte solche predigt thun nicht Gottlosen Heiden oder allein offentlichen Sundern im Judischen volck, Sondern in gemein dem gantzen volck Jsrael« (WA 49; 112,29–31). 146   »Solche ernstliche und harte predigt (sage ich) thut Johannes aus Gottes befelh, das sich die Leute solten lassen teuffen und solch urteil Gottes uber sich hoeren und gleuben, nemlich, das sie alle fur Gott Sunder und verdampt weren umb der sunde willen Und nichts hetten, das jnen helffen kunde, weder Beschneitung noch Gesetz« (WA 49; 112,39–113,3).

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Sünden«. Jene Formel, die Lk. 3, 3 aufnimmt, wird in der Predigt quasi als Kehrreim insgesamt dreimal wiederholt.147 Insbesondere die Pharisäer und Sadduzäer habe Johannes kritisiert, da sie die höchsten Regenten des Volkes waren, jedoch das Volk in die Irre geführt hätten.148 In einer virtuellen Rede der Pharisäer und einer längeren Gegenrede des Johannes entfaltet Luther beide Positionen. Die Pharisäer verwiesen auf ihre Erwählung, ihre Beschneidung und ihre Einhaltung des Gesetzes.149 Demgegenüber verwerfe Johannes all diese Argumente als nutzlos, da Gott allein danach frage, ob man seiner Verheißung auch glaube.150 Deshalb habe Gott einen Gesalbten erwählt, der eine neue Lehre und einen neuen Gottesdienst bringen werde. Er werde Gesetz und Beschneidung aufheben und mit dem Heiligen Geist taufen.151 Daher habe man sich zu taufen und fortan an ihn zu glauben, da ansonsten das Gericht drohe.152 Nach dieser virtuellen Gerichtsrede aus der Perspektive des Johannes wendet er das Gesagte auf die Zuhörer an.153 Auch sie dürften nicht von sich denken, die Buße durch fromme Werke zu erlangen, wie sie die Kartäuser Mönche vornähmen. Denn damit betrüge man sich nur selbst. Buße bedeute stattdessen in Anspielung auf Ps. 51, 7, dass der Mensch von Herzen bekenne, in Sünde geboren und von Natur aus der ewigen Verdammnis schuldig zu sein.154 Denn Vergebung sei keine Bezahlung der Sünde, sondern ein Geschenk.155 Luther beobachtet, dass dieses Evangelium langsam auch im Papsttum zu wirken beginne,156   Vgl. WA 49; 112,28; 115,31f; 116,19f.   »Sonderlich aber spricht er den Phariseern und Saduceern hart zu, da er sie auch sihet zu seiner Tauffe komen, die ein gros ansehen hatten, weil sie die Obersten und Regenten im volck waren, ob wol diese Epicurer, die nichts gleubten, Jene aber Heuchler waren, die eusserlich ein Unstrefflich leben fuereten und mit solchem schein der Heiligkeit das gemeine Volck verfuereten« (WA 49; 113,21–26). 149   »Wir sind (sagten sie) Gottes Volck, das er jm fur allen volckern auff Erden ausserkorn und die Beschneitung gegeben hat, So haben und halten wir das Gesetz, besuchen Gottes Tempel zu Jerusalem und uben uns in dem heiligen Dienst« (WA 49; 113,31–34). 150   »Dis alles (spricht er) thut nichts zur sache, Denn Gott fragt nichts darnach, das jr viel und hoch zu rhuemen wisset vom Gesetz, Tempel, Vettern &c.. Er wil, das jr jn fuerchtet und seiner Verheissung gleubet« (WA 49; 113,40–114,2). 151   »Nu solt jr aber wissen, das Christus, der HERR, der Abraham verheissen, nahe ist […] Er wird Mose regiment auff heben und ein ander lere und Gottesdienst bringen und stifften, denn bisher gewesen ist, Wird die Leute nicht zwingen zur Beschneitung noch dringen (wie Moses), das Gesetze zu halten &c. (WA 49; 114,20. 24–26). 152   Vgl. WA 49; 114,38–115,35. 153   »Also muessen auch wir zu unsern Leuten sagen: Es thuts nicht, lieber Mensch, das du gedenckest, du wollest dich hart angreiffen, ein Cartheuser werden oder sonst ein schweren Orden annemen […], Du jrrest und betreugest dich selbs« (WA 49; 115,36–116,2). 154   »So heisst nu Busse thun, das der Mensch wisse und von hertzen bekenne, das er, wie die Schrifft sagt, in sunden empfangen und geborn und darumb ein Kind des zorns von natur sey, des ewigen tods und verdamnis schueldig« (WA 49;116, 8–10). 155   »Denn es heisst vergebung, nicht bezalung der sunden, ein Geschenck, nicht verdienst« (WA 49; 116,16f). 156   »Also rumpelt und rumort auch itzt das Euangelium unter Cloester, Stifft und das gant147

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wenngleich viele Anhänger des Papstes sich immer noch ihrer eigenen Frömmigkeit rühmten und damit wie damals die Pharisäer eine falsche Lehre verbreiteten.157 Immerhin sind hier neben der Papstpolemik auch hoffnungsvollere Töne hinsichtlich der Wirkung der reformatorischen Auffassung bei den Altgläubigen zu hören. Nach diesem ersten Teil, bei dem der Bearbeiter zahlreiche Redundanzen eingebaut hat, geht Luther zur Taufe Jesu über. Er fragt danach, warum Jesus sich hat taufen lassen.158 Denn er sei doch derjenige, der keine Sünde in sich trage und als Einziger auf Erden der Vergebung nicht bedürfe. Mit Luthers Antwort erreicht die Predigt ihren Höhepunkt. Jesu Taufe habe nicht ihm, sondern uns Menschen gegolten.159 Da er alle Sünden der Welt trage, sei er so gesehen der größte Sünder auf der Welt, obwohl er ohne Sünde gewesen sei. Ohne diese eine Taufe wären alle Menschen verloren gewesen.160 Luther parallelisiert hierbei die Taufe Jesu mit dem Ereignis am Kreuz. Taufe und Kreuz bringen für Luther dasselbe Heilsgeschehen zum Ausdruck, dass allen Menschen die Vergebung der Sünden widerfahren sei.161 Wer daran glaube, dem werden Christi Taufe, Kreuz und Blut zu eigen sein.162 Zum Schluss vergleicht Luther die Taufpredigt des Johannes mit der Taufe Jesu. Der Unterschied zwischen beiden bestehe darin, dass der eine mit Wasser, der andere mit dem Heiligen Geist getauft habe.163 Beiden gemeinsam sei jedoch, dass ihre Taufe die Vergebung der Sünden bewirkt habe. Obwohl diejenigen, die Johannes getauft habe, den Herrn noch nicht kannten, seien sie denze Bapstum und spricht: Wolt jr dem kuenfftigen zorn entrinnen, so thut rechtschaffene fruechte der busse« (WA 49; 116,39–117,1). 157   »Sie wollen und koennen aber schlechts nicht hoeren (so wenig als zu jener zeit die Jueden), das sie Sunder und verdampt […] sein, die […] mit jrer falschen lere vergifften und zur verdamnis helffen. Ursach: Sie haben bisher den namen und rhum bey aller welt gehabt (wie die Phariseer bey den Jueden), das sie heilige Leute weren, die im geistlichen, volkomen Stand lebten« (WA 49; 117,17–23). Vgl. ferner die Papstpolemik in WA 49; 123,22–27. 158   »Warumb kompt er aber zur Tauffe, so doch keine sunde und unreinigkeit an jm ist, welche die Tauffe wegnemen sol?« (WA 49; 120,9f). 159   »Darumb er sich auch lesst teuffen und bekennet mit solcher that, das er ein Suender sey. Aber nicht fur sich, sondern fur uns, Denn er tritt alhie in meine und deine Person und stehet an unser aller stat, die da Suender sind« (WA 49; 120,13–15). Vgl. auch WA 49; 120,33–37). 160   »Denn so Christus nicht mit uns, ja umb unsern willen, getaufft were, so sind wir verloren« (WA 49; 120,41–121,1). 161   »Weil nu Gott der HERR aller Menschen sunde, auff jn gelegt hat, das er sie tragen mus und dafur gnugthun, kompt er zu Johanne, lesst sich von jm teuffen mir, dir und aller welt zu gut, das er uns von sunden reinige und gerecht und selig mache. Also auch opffert er sich selbs am Creutz, wird ein Suender und Fluch« (WA 49; 121,1–5). 162   »Wer nu solchs gleubet, […] der hat vergebung der sunden und das ewige Leben, und Christus Tauffe, Creutz und Blut wird sein eigen […]. Wers gleubet, der hats« (WA 49; 121,19–27). 163   »So ist nu Johannes Tauffe nicht weit von der Tauffe Christi, Und zwar er selbs zeigt die unterscheid, da er spricht: ›Jch teuffe mit wasser, Aber der nach mir kompt, der wird euch teuffen mit dem heiligen Geist und Feur‹« (WA 49; 122,35–37).

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noch aufgrund ihres Glaubens selig geworden.164 Er endet mit der Bemerkung, dass noch viel darüber geredet werden könne, so über die Öffnung des Himmels und die Anwesenheit der Dreieinigkeit bei der Taufe. Da aber die Zeit nun vorüber sei und Luther darüber bereits mehrmals gepredigt habe, und ferner die Worte sogar gedruckt vorlägen und nachgelesen werden können, wolle es Luther dabei belassen und mit einem Gebet enden, dessen Worte jedoch nicht mit überliefert sind.165 Die Bemerkung über bereits gedruckte Predigten zu diesem Thema ist aufschlussreich. Im Jahr 1535 ist ein Sammeldruck von Luthers Predigten zur Taufe erschienen, der eine Kompilation von sechs Predigten enthält, die Luther ein Jahr zuvor im Januar und Februar hielt.166 Im zweiten Teil des Drucks wird ebenfalls Jesu Taufe (Mt. 3, 13–17) ausgelegt.167 Die Parallelen zu den Dessauer Predigten sind auffällig. So wird auch dort der Gedanke zugrunde gelegt, der den Höhepunkt der Dessauer Donnerstagspredigt ausmacht. Luther stellt darin ebenfalls die Frage nach dem Grund für die Taufe Jesu, da er sie doch aufgrund seiner Sündlosigkeit nicht benötige. Er antwortet darauf, dass Jesu Taufe nicht seinetwegen, sondern unseretwegen geschehen sei.168 Jener Gedanke ist der Predigt vom 1. Februar 1534 entnommen.169 Daraus lässt sich schließen, dass Luther zumindest die Predigten aus dem Jahr 1534 im Hinterkopf hatte, als er sich auf die Dessauer Kasualpredigt vorbereitete. Außerdem gibt die Schlussbemerkung womöglich einen Hinweis auf den bislang in der Forschung unbekannten Bearbeiter.170 Denn wie in der Schlussbe164   »Darumb sind die, so Johannes getaufft hat, und vor der Tauffe Christi gestorben sind, gleichwol selig worden, Denn sie haben gegleubt, das Christus mit seiner Tauffe komen und sie teuffen wuerde« (WA 49; 122,40–42). 165   »Darumb wir auch nicht zweiveln sollen, das, wo und wenn die Tauffe nach Christus befelh gereicht wird, der Himel offen stehe, und die gantze heilige Dreifaltigkeit gegenwertig sey und selbs teuffe &c.. Der Text ist reich und koestlich, davon noch viel zu reden were, Aber die stunde ist nu aus. Auch ist er vor mals mehr gepredigt und durch den Druck ausgangen. Wer wil, mags lesen, Wollens itzt da bey lassen bleiben, und Gott umb seine gnade anruffen« (WA 49; 124,6–12). 166   Vgl. WA 37; XLIII. 627–672. Diesen Druck hat Ferel nicht berücksichtigt, wenn er zur Schlussbemerkung schreibt: »An was gedacht ist, ist nicht sicher. Im Druck erschien über die Taufe Jesu bis zu diesen Predigten nur 1526 ›Eyn sermon aus dem 3. capittel Matthei, Von der tauff Christi …‹ […] und seine Bearbeitung in Roths Festpostille aus dem Jahr (1527, WA 17 II; 380f)« (Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 181, Anm. 87 u. in der Tabelle aaO., 100). 167   Vgl. WA 37; XXIX. 249–253. 168   »Waruemb thut er das? oder wozu bedarff er seiner Tauffe? […] Nu ist gut zurechen, das Christus solchs nicht thut umb seinen willen, sondern umb unsern willen« (WA 37; 646,32–647,4). 169  »Quare ergo sinit se baptizari? omnia propter nos« (WA 37; XXX. 270–275, hier 271,12). 170   »Wer – sicher unter Benutzung weiterer Nachschriften – für die Bearbeitung verantwortlich ist, liegt […] im Dunkeln« (Martin Ferel: Gepredigte Taufe, Mainz 1969, 178, Anm. 77).

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merkung angedeutet, werden im früheren Druck der offene Himmel171 und das Erscheinen der Dreieinigkeit ausgeführt,172 die Luther im Sohn Jesus Christus, in der Stimme des Vaters aus dem Himmel und in der Taube als Symbol für den Heiligen Geist entdeckt.173 Der Verweis auf frühere gedruckte Predigten bezieht sich somit wohl auf den Druck aus dem Jahr 1535. Weil zudem beide Sammlungen in Wittenberg erschienen sind, könnte es gut sein, dass es sich bei beiden Drucken um denselben Bearbeiter handelt. Dann wäre der Herausgeber und Bearbeiter der Dessauer Taufpredigten Caspar Cruciger.174 Die zweite Predigt beginnt mit einer Rekapitulation der Gedanken vom Vortag. Wiedergegeben wird der Zentralgedanke, dass Jesus sich stellvertretend für die Menschen taufen ließ.175 Luther steigert den Gedanken, indem er nun nicht nur von einer Stellvertretung Christi, sondern von einem »herrlichen« bzw. einem »seligen Wechsel« spricht.176 Die Sünde werde von Jesus übernommen und im Gegenzug erlange der Mensch Gerechtigkeit und Leben.177 Diejenigen, die von diesem seligen Wechsel nichts wissen wollten, weil sie auf ihre eigene Gerechtigkeit hofften, seien verloren. Die Folgen der Taufe seien Gewissheit und ein fröhliches Herz.178 Luther spielt damit auf den mystischen Gedanken des »fröhlichen Wechsels« (admirabile vel sacrum commercium) an, den er in seiner Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen« von 1520 prominent entfaltet hat.179   »[…] so bald er aus dem wasser tritt, thut sich der gantze himel auff, das die Goettliche maiestet sichtiglich herab koempt und erscheinet« (WA 37; 648,4f); vgl. die Parallelstelle in der Predigt vom 25. Januar 1534: »Celum thut sich auff cum omnibus angelis« (WA 37; XXX. 263–267, hier 267,18). 172   »Und alle drey personen der Gottheit, unterschiedlich und durch dreierley gestalt oder bilde, Also das sich die maiestet gantz und gar ausgeschuettet und gegenwertig dargestellet hat uber der Tauffe Christi« (WA 37; 648,13–15); vgl. die Parallelstelle in der Predigt vom 25. Januar 1534: »Filius sthet da et baptizatur apud Iordanem et revelatur in carne per patrem in verbo et spiritum sanctum in specie columbae. Ibi tota Trinitas« (WA 37; 267,19–21). 173   »Und ob wir wol jtzt nicht mehr leiblich und fur augen sehen den heiligen geist jnn der tauben gestalt uber Christo schweben noch des vaters stim hoeren, Doch bleibt gleichwol solch gemeld stetts jnn unserm hertzen« (WA 37; 649,14–17). 174   Vgl. WA 49; XLII und zu Nr. 41, WA 49; XXXIV. 175   »Gestern fiengen wir an von der Tauffe Christi zu reden, das er sie von Johanne aus der ursach habe angenomen, das er an unser stat, ja in unser Person trete, das ist: fur uns ein Suender wuerde« (WA 49; 124,16–18). 176   »Jst aber das nicht ein feiner, herrlicher wechsel, da Christus, der aller ding unschueldig und heilig ist, nicht allein auff sich nimpt frembde, das ist: meine sunde und schuelde, sondern er kleidet und schmueckt mich« (WA 49; 124,25–27). Der Begriff des »Wechsels« fällt in der Donnerstagspredigt noch nicht. 177   »Durch solchen seligen wechsel (den das hertz allein durch den glauben fasset), damit der liebe Heiland mit uns beut [= tauscht], und sonst durch nichts, werden wir der sunde und des tods los und kriegen zu eigen sein gerechtigkeit und leben« (WA 49; 124,32–34). 178   »Solche erkentnis und glaube macht ein froelich hertz, das gewis und sicher kan sagen: Jch weis von keiner sunde mehr, denn sie liegen Christo alle auffm hals« (WA 49; 125,18–20). 179   WA 7; 12. 20–28, hier 25, 34; vgl. die lateinische Fassung und deutsche Übersetzung in: LDStA 2; 120–185, hier 134–139; vgl. hierzu Reinhold Rieger: Von der Freiheit eines 171

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Der Druck weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Folgenden die Gedanken aufgegriffen werden sollten, die am Schluss der Predigt vom Vortag kurz angedeutet worden waren.180 Die Wunderzeichen des offenen Himmels und die Offenbarung der Dreieinigkeit seien dabei nicht nur einmalig bei der Taufe Jesu geschehen. Vielmehr dürfe jeder, der getauft werde, sich der Präsenz des Vaters, Sohnes und des Heiligen Geistes sicher sein.181 Wie fein und lieblich seien diese Wunderzeichen im Vergleich zum Blitz und Donner bei der Übergabe der Gesetzestafeln am Berg Sinai.182 Danach geht Luther zum dritten Teil der Doppelpredigt über, indem er nun von »unser Tauffe« reden will.183 Zuerst erläutert er, was die Taufe sei. Hierzu unterscheidet er drei Stücke. Zur Taufe gehöre erstens das natürliche Wasser.184 Er grenzt sich hierbei von denjenigen ab, die aus dem Wasser lediglich ein Zeichen machen wollen. Sie würden verkennen, dass zum Wasser noch zweitens das Wort Gottes hinzutreten müsse, das Luther im Missionsbefehl (Mt. 28,

Christenmenschen. De libertate christiana (Kommentare zu Schriften Luthers 1), Tübingen 2007, 187f; Wilhelm Maurer: Von der Freiheit eines Christenmenschen. Zwei Untersuchungen zu Luthers Reformationsschriften 1520/21, Göttingen 1949, 39; vgl. exemplarisch aus der umfangreichen Literatur Volker Leppin: Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2016, 135–139; Johann Anselm Steiger: Die communication idiomatum als Achse und Motor der Theologie Luthers. Der ›fröhliche Wechsel‹ als hermeneutischer Schlüssel zu Abendmahlslehre, Anthropologie, Seelsorge, Naturtheologie, Rhetorik und Humor, in: NZSTh 38 (1996), 1–28; Ulrich Asendorf: Die Grundzüge der Theologie Luthers im Lichte seines Ansatzes vom »admirabile commercium«, in: Peter Manns (Hg.): Martin Luther »Reformator und Vater im Glauben«. Referate aus der Vortragsreihe des Instituts für Europäische Geschichte Mainz (VIEG.B 18), Stuttgart 1985, 262–279; Raymund Schwager: Der fröhliche Wechsel und Streit. Zur Erlösungs- und Rechtfertigungslehre Martin Luthers, in: ZKTh 106 (1984), 27–66; Theobald Beer: Der fröhliche Wechsel und Streit. Grundzüge der Theologie Luthers, 2 Teile, Leipzig 1974 u. Einsiedeln 1980; Walter Allgaier: Der »fröhliche Wechsel« bei Martin Luther. Eine Untersuchung zu Christologie und Soteriologie bei Luther unter besonderer Berücksichtigung der Schriften bis 1521, Diss. Erlangen 1966; Erich Vogelsang: Luther und die Mystik, in: LuJ 19 (1937), 32–54. 180   »Denn hie sihestu, wie wir gestern auch sagten, das sich uber Christo, nach dem er getaufft ist, von stund an (der gleichen zuvor bey S. Johanes Tauffe nie gesehen ist der Himel auffthut (und hernach die Erde, Greber, Helle und alles offen stehet), und der heilige Geist in der Tauben gestalt gesehen, und des Vatern stimme uber dieser Tauffe gehort wird und spricht, Er habe ein hertzlich wolgefallen dran« (WA 49; 126,29–34). 181   »Darumb sollen wir gewis sein, wo jmand getaufft wird, nach Christus befehl, das da gegenwertig sey Gott der Vater, Son und heiliger Geist, und das im Himel eitel wolgefallen, lust und freude darueber sey, das die sunde vergeben, der Himel ewig auffgeschlossen, und nu mehr kein zorn, sondern eitel gnade sey« (WA 49; 127,9–13). 182   »Auch ist das wol zu mercken, das alhie uber der Tauffe Christi ist nicht ein solcher schrecklicher anblick zu sehen gewest wie am berge Sinay, da das volck Jsrael das Gesetz empfienge, da ein gros, dicke und finster wetter war und ein grausam blitzen und donnern, und der Posaunen hall greslich lautet« (WA 49; 127,23–27). 183   Vgl. hierzu WA 49; 127,23–27. 184   »Nu leret uns Gottes wort, wie ich offt gesagt habe, das zu dem Sacrament der Tauffe gehoeren drey stueck. Das erst ist recht natuerlich Wasser« (WA 49; 128,3f).

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18–20) begründet sieht, da Jesus dort explizit den Befehl zur Taufe gibt.185 Durch das Wort werde das Wasser geheiligt und sei mehr als nur schlichtes Wasser, das man zum normalen Baden in einer Wanne verwende.186 Neben dem Befehlswort zur Taufe sei drittens noch ein weiteres Wort nötig, nämlich das Einsetzungswort: »Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, das während des Rituals gesprochen werden solle.187 Diese drei Stücke, das Wasser als Zeichen, das Befehlswort und das Einsetzungswort reichen ihm zufolge aus, um die Taufe in evangelischer Weise durchzuführen.188 Alles andere sei von Menschen erdacht, so wie es die »Zauberer«, die »Teuffelshuren« und die »Wettermacherinnen« tun, die mit ihren Gewürzen und Kräutern hantierten und dabei ein Vaterunser sprächen.189 Auch sei es eine »falsche Lügentaufe«, die das Papsttum vollziehe, wenn sie auch Gegenstände wie Glocken taufe.190 Solche Rituale entbehrten jeglicher biblischer Grundlagen, könnten nicht als Sakrament gelten und seien eine Verkehrung der Taufe.191 Luther vollzieht damit eine Reduktion des Ritus, die noch weiter reicht als die Vorgaben, die er in seinem »Taufbüchlein« aus dem Jahr 1523 entfaltete.192 Denn dort nimmt Luther noch den kleinen und den großen Exorzismus in den Taufvollzug auf. Ein Hinweis auf solche Exorzismen fehlt in den Dessauer Predigten völlig. Stattdessen warnt Luther vor »Abgötterei« und übertriebener »Zauberei«.193   »Zum andern Gottes wort neben und bey dem Wasser, Welches nicht wir ertichtet noch ertrewmet haben, Sondern Christi wort ists, der da spricht: ›Gehet hin in alle Welt und teuffet sie im Namen des Vaters und des Sons und des heiligen Geists[‹]« (WA 49; 128,11–14). 186   »[…] welchs ist ein ander Bad und Waschen, denn durch natuerlich wasser oder menschlich waschen und baden geschicht in der wannen« (WA 49; 128,23–25). 187   »Zum dritten Gehoeret noch ein stueck dazu, das es ein Sacrament sey, nemlich die Einsetzung oder solch wort, das die Tauffe stifftet und ordnet. Denn es mus hiezu zweierley wort da sein, das es eine Tauffe sey. Eines, so bey dem wasser oder teuffen gesprochen wird. Das ander, so also zu teuffen, das ist: ins wasser zu tauchen und solche wort zu sprechen ordenet und befilht« (WA 49; 128,30–34). 188   »Sihe das ist das noetigste, so man bey der Tauffe lernen und wissen sol, Das da sey der Stiffter von Himel, der da beide, den befelh zu teuffen und auch die Form und Weise, stellet und gibt« (WA 49; 129,21–23). 189   »Denn das machet eine grosse unterscheid zwischen der Tauffe und allem andern, so da von Menschen erdacht und dafur gehalten wird, als solt es fur Gott etwas gelten und nuetzen. Als zum Exempel: Die Zeuberer und Teuffelshuren die Wettermecherin, brauchen auch eines Zeichens oder Creatur, als Wuertz und Kreuter, und sprechen darueber das Vater unser oder ander heilige wort und namen Gottes« (WA 49; 128,40–129,3). 190   »Wie das Bapstumb mit solcher falschen Luegentauffe nerret, da sie die todten Glocken weihen und teuffen, Da auch beide, Wasser und Wort, gebraucht werden wie in der rechten Tauffe« (WA 49; 129,13–15). 191   »Was feilet denn daran? Nichts anders denn dis stueck, das kein Gottes stifftung und befelh da ist, der solchs geheissen und geordnet habe, Sondern Menschen aus eigenem gutduencken solches auffgebracht haben. Darumb ist solch teuffen kein Sacrament, sondern ein lauter verkerung, ja ein spot und lesterung der Tauffe« (WA 49; 129,15–20). 192   Zum ›Taufbüchlein‹ siehe oben Seite 370. 193   Vgl. WA 49; 129,25–30. 185

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Demgegenüber ist es Luther gleichgültig, wie das Ritual durchgeführt werden soll, ob der Täufling ins Wasser getaucht oder lediglich damit begossen werde.194 Nachdem er das Wesen der Taufe erläutert hat, geht Luther zum Schluss der Predigt auf die Wirkung der Taufe ein.195 Damit werden wieder die beiden Hauptfragen aufgenommen, wonach Luther das Thema »Taufe« zumeist abhandelte, wie es bereits im Kontext der Niemecker Predigt ausgeführt worden war.196 Ähnlich wie dort sieht Luther die Wirkung der Taufe in der Erlösung von den Sünden und der Reinwaschung von Tod und Teufel, wobei er hier unter Berufung auf 1. Tim. 3, 5 den Schwerpunkt auf die Wiedergeburt und Erneuerung legt.197 Auch wenn äußerlich nicht viel bei der Taufe geschehe, so verändere sich dennoch für den Täufling alles, weil die Taufe nicht nur mit Wasser, sondern auch mit dem Blut Christi erfolge, wofür zahlreiche Bibelstellen aufgezählt werden.198 Deshalb solle die Taufe in einem Bedeutung erlangen, indem zum einen das Wasser als Zeichen Gottes betrachtet wird und zum anderen keine anderen Zeichen hinzugedichtet werden.199 Mit einem Aufruf zum Gebet beendet Luther schließlich die Predigt.200

2.4 Zwischenfazit Die Taufpredigten Luthers geben Aufschluss sowohl über seine Taufpraxis als auch über sein Taufverständnis. In diesen Predigtsituationen geht Luther auf den spezifischen Kasus ein. Dabei kann es auch dazu kommen, die Eltern direkt in der Predigt anzusprechen. In freier Weise wählt Luther einen Perikopentext meist vor dem Hintergrund der agendarischen Ordnung aus. Hinweise auf eine   »[…] hie wird der Mensch gar ausgezogen und nacket erzu bracht, und geschicht nicht mehr, denn das er aus Gottes befelh ins wasser getaucht oder das wasser uber jn gegossen und das wort gesprochen wird« (WA 49; 130,7–9). 195   »So heisst und ist es eine heilige Tauffe. Denn hie ist alles, so zu dem wesen der Tauffe gehoeret, nemlich natuerlich wasser mit dem wort aus Gottes stifft und befelh. Darumb mus sie auch das wircken und ausrichten, dazu sie geordnet ist« (WA 49; 130,16–20). 196   Siehe oben Seite 365. 197   »[…] nemlich, wie S. Paulus leret Tit. 3. die ›widdergeburt und ernewerung des heiligen Geists‹. Denn wie wir von Adam und Eva sind geborn zu diesem leben, Also sol der selbige alte Mensch, zuvor geborn in sunden und zum tod, wider und new geborn werden zur gerechtigkeit und ewigem Leben aus krafft des heiligen Geists« (WA 49; 130,20–24). Vgl. ebenfalls WA 49; 130,35f; 134,16–18. 198   Vgl. in WA 49; 130,22–133,23 die angeführten Bibelstellen Joh. 19, 34; 1. Joh. 5, 6 und 1. Petr. 1, 2. 199   »Darumb lasst uns unser liebe heilige Tauffe gros und werd achten, Erstlich darumb, das ein recht und gewis Bild und Zeichen ist, von Gott selbs gestellt, darin wir jn mit seiner gnade gewis finden und treffen. Zum andern, das wir alle ander Bilde und Zeichen, so von menschen erdacht und auffgericht sind, sie gleissen so schoen und heilig, als sie kuennen, lernen meiden« (WA 49; 133,40–134,2). 200   »Da wollen wirs itzt lassen bleiben und Christum, unsern HErrn, mit ernst bitten, das er uns bey reinen verstand des worts und der heiligen Sacrament wolle erhalten und fur allem jrthum behueeten, Da gebe er seine gnade zu, AMEN« (WA 49; 135,1–4). 194

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Praxis, persönlich für die Täuflinge Taufsprüche auszuwählen, lassen sich hier noch nicht finden. Luther kann in den Taufpredigten die Dankbarkeit für das neugeborene Kind durch wiederholtes Loben Gottes ausdrücken. Er kann die Taufe aber auch als Ermahnung zur Tauferinnerung in Form lebenslanger Buße thematisieren. Dabei hebt er die Unscheinbarkeit des Taufritus gegenüber dramatischeren Riten wie Selbstkasteiung und das Tragen des Büßergewandes hervor. Jene Unscheinbarkeit steht jedoch im Gegensatz zu der inhaltlichen Bedeutung, die das umfassende Heil des Menschen betrifft. Auffällig ist, dass Luther in den Kasualpredigten keine polemischen Töne beispielsweise gegenüber den Täufern anschlägt. Nicht nur die eigene Taufpraxis, sondern auch Luthers Taufverständnis sind den Kasualpredigten zu entnehmen. Er unterscheidet hierbei zwischen Wesen und Wirkung der Taufe. Zu den wesentlichen Elementen zählt er die Zeichenhandlung sowie das Wort Gottes, ausgesprochen im Missionsbefehl Jesu (Mt. 28, 18–20) als Befehlswort und Einsetzungsformel. Die sakramentale Bedeutung des Priesters wird hierbei im Vergleich zum Wort Gottes relativiert. Die Taufe kann somit schöpfungstheologisch als geistliche Gabe Gottes neben der Heiligen Schrift, der Predigt und dem Abendmahl benannt werden. Diese Gaben Gottes dürfe man nicht mit den menschlichen Gaben vermischen, was zu falschem Zauber und Aberglauben führe. Die Wirkung der Taufe ziele auf die Reinwaschung von der Erbsünde. Der Heilige Geist gieße den Glauben in aktiver Weise in den Täufling im Gegensatz zur Passivität des Täuflings als Erbe Christi. Der Effekt sei die »Gewissensgewissheit« (plerophoria) im Menschen. Dabei parallelisiert Luther Taufe und Kreuzigung. Sie sind ihm zufolge keine zwei separaten Heilsgeschehen, sondern bringen dasselbe zum Ausdruck. Durch das Wort Gottes werde das Wasser als Element sakramentalisiert. Insofern ergibt sich eine enge Verbindung zu Luthers Abendmahlslehre. Man könnte hierbei von einer ›Realpräsenzlehre der Taufe‹ sprechen.

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3. Die Hochzeiten Bereits vor der Reformation lässt sich ein Wandel im Eheverständnis wahrnehmen.201 Einhergehend mit dem Konsolidierungsprozess des städtischen Bürgertums kam es durch humanistische Einflüsse zu einer Aufwertung der Ehe im Vergleich zum zölibatären Leben des Klerikerstandes.202 So vollzog bereits der fränkische Kanoniker Albrecht von Eyb in seinem 1447 veröffentlichten ›Ehebüchlein‹ trotz seiner Aufzählung eheskeptischer Traditionszeugen eine grundsätzliche Bejahung und schöpfungstheologische Begründung der Ehe.203 Insbesondere die Schrift »Encomium matrimonii« des Erasmus von Rotterdam aus dem Jahr 1518, in der Erasmus die Ehe als den Ort wahrer Keuschheit lobte, das Virginitätsideal als engelsgleiche Haltung nicht dem normalen Menschen gemäß interpretierte und die Aufhebung des Plichtzölibats forderte, entfaltete seine Wirkung im deutschen Raum.204 Trotz Relativierung der Hierarchie zwischen Ehe und Zölibat blieb die Vorrangigkeit der monastischen Keuschheit aufgrund der Ächtung von Sexualität und der Idee einer kontemplativeren Lebensführung unhinterfragt. 201   Zu den folgenden Ausführungen vgl. Thomas Kaufmann: Ehetheologie im Kontext der frühen Wittenberger Reformation, in: Andreas Holzem u. a. (Hg.): Ehe – Familie – Verwandtschaft. Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt, Paderborn 2008, 285– 299. Vgl. ferner den Forschungsüberblick zum Ehediskus von Siegrid Westphal: Venus und Vulkanus. Einleitende Überlegungen, in: Dies. u. a. (Hg.): Venus und Vulkanus. Ehen und ihre Konflikte in der Frühen Neuzeit (Bibliothek Altes Reich 6), München 2011, 9–23; Ellinor Forster/Margareth Lanzinger: Stationen einer Ehe. Forschungsüberblick, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 14.1 (2003), 141–155. 202  Vgl. Stephen E. Buckwalter: Die Priesterehe in Flugschriften der frühen Reformation (QFRG 68) Gütersloh 1998, 34; Heide Wunder: Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen im 15. und. 16. Jahrhundert aus sozialgeschichtlicher Sicht, in: Dies./ Christina Vanja (Hg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1991, 12–26. 203  Vgl. Albrecht von Eyb: Das Ehebüchlein. Nach dem Inkunabeldruck der Offizin Anton Koberger, Nürnberg 1472, ins Neuhochdeutsche übertragen u. eingeleitet von Hirma Kümber, Stuttgart 2008; vgl. ferner Matthias Thumser: Albrecht von Eyb und seiner Eheschriften. Humanistische Wissenstransformation, in: MLJb 44 (2009), 485–517; zur weiteren Forschung vgl. Hiram Kümper: Forschungsbibliographie zu Albrecht von Eyb, in: Dapnis 35 (2006), 713–724. 204  Vgl. Erasmus von Rotterdam: Encomium matrimonii. Lob der Ehe, übers. u. kommentiert von Gernot Krapinger, Stuttgart 2015; vgl. ebenfalls die Ausgabe in: Ders.: Opera omnia Amsterdam I.5, Amsterdam 1975, 386–416. Zu den drei Hauptschriften zur Ehe des Erasmus von Rotterdam »Encomium matrimonii« (1518), »Conjugium« (1523) und »Christiani matrimonii institutio« (1526) vgl. Katrin Graf: Der Dialog ›Conjugium‹ des Erasmus von Rotterdam in den deutschen Übersetzungen, in: Rüdiger Schnell (Hg.): Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Studien zu Eheschriften der frühen Neuzeit (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 40), Tübingen 1998, 259–273; vgl. ferner Stephen E. Buckwalter: Die Priesterehe in Flugschriften der frühen Reformation (QFRG 68) Gütersloh 1998, 43–59.

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Luthers frühe Äußerungen zur Ehe tragen die Züge eines monastischen Lebensideals, und blieben noch hinter der Programmatik der erasmianischen Forderungen zurück.205 In dem unautorisiert veröffentlichten »Sermon vom ehelichen Stand« vom Januar 1519 wird der Ehe das Attribut der Reinheit abgesprochen und die sexuelle Enthaltsamkeit als höchstes Ideal angesehen.206 Allein aufgrund der Fortpflanzung des Menschengeschlechts sei Gott gegenüber der unvollkommenen Lebensführung nachsichtig und sehe dabei »durch die Finger«.207 Auch in der Ehe habe sexuelle Enthaltsamkeit zu herrschen, als deren Vorbild die keusche Lebensführung von Joseph und Maria gelte.208 Eine Entschärfung seiner Haltung ist bereits in der revidierten Fassung derselben Schrift vom Mai 1519 zu erkennen.209 Dort verweist er nicht mehr auf die Ehe von Joseph und Maria als Vorbild und vollzieht insgesamt eine Aufwertung des ehelichen Standes im Vergleich zum Virginitätsideal. Betont wird nun die Kinderaufzucht als eigentliches Ziel der Ehe gegenüber dem Ziel, die eigenen Triebe im Zaum zu halten. Eine Kritik an der Ehe als Sakrament zeigt sich dort jedoch noch nicht.210 Ab Frühjahr 1520 erfährt das Thema »Ehe« eine Dynamik durch die Debatte um die Forderung einer Freigabe der Priesterehe per Konzilsbeschluss, wie Luther sie in seiner ›Adelsschrift‹ vom August zum Ausdruck brachte.211 Im Zuge 205  Zur ersten Orientierung hilfreich ist die Übersicht von Luthers Äußerungen und Schriften über die Ehe in der Kompilation von Heinrich Leopold von Strampff: Über die Ehe. Aus Martin Luthers Schriften zusammengetragen, geordnet und mit Bemerkungen versehen, Berlin 1857, XIX–XXIII. 206   Vgl. WA 9; 213. 213–219. Der Kerngedanke des Sermons ist gekennzeichnet durch einen Perspektivendualismus. Luther blickt aus zwei Blickwinkeln auf die Ehe. Leiblich gesehen kennzeichnet er das Eheleben als unrein, seelisch betrachtet kann sie aber der wahren Brautliebe entsprechen. Damit unterliegt für ihn die Sexualität grundsätzlich dem Verdikt der Unreinheit, weshalb er zum Schluss kommt: »Es ist nicht vil reynß darinne. Darumb kan ich auch nicht vil reynß dar von reden, Es sey dan das die seel vor gereiniget werdt« (WA 9; 219,14f). 207   »Der eheliche standt wardt vortzeyten alleyn eingesatzt umb der kinder wegen, und wenß darumb geschicht, so sicht got mit durch die finger, das auch etwas guts darauß kompt« (WA 9; 215,28–30). Der Ausdruck »durch die Finger sehen«, deren Hintergrund Lev. 20, 4 ist und den Luther vornehmlich im naturrechtlichen Kontext verwendet, meint, dass man die Hand mit leicht gespreizten Fingern vor Augen hält, um damit teilweise die Fehler des anderen bewusst zu verdecken, ohne jedoch vollständig für sie blind zu sein. Vgl. hierzu Roland M. Lehmann: Luthers Naturrechtsverständnis, in: ZEvKR 60 (2015), 369–408, hier 381f. 208   »Eyn solche lieb hat Joseph und Maria gehabt […], Dennoch so blieben sye keusch und im junckfraw standt« (WA 9; 214,20–22). Vgl. Olavi Lähteenmäki: Sexus und Ehe bei Luther, Turku 1955, 20–23. 209   Vgl. WA 2; 162. 166–177. In der Vorrede macht Luther deutlich, dass der Druck zuvor unautorisiert hergestellt wurde und er darum bittet, jenen Druck lieber untergehen zu lassen. 210   Luther zählt drei gute Dinge auf, wodurch die sündliche Lust, die mit der Ehe einhergehe, »nit vordammlich« werde. Erstens ist die Ehe ihm zufolge ein Sakrament und damit ein heiliger Akt, zweitens ist sie ein Bündnis zur Treue und drittens bringt sie durch die Zeugung von Kindern Frucht hervor. Vgl. WA 2; 168,10–170,16. 211   Vgl. WA 6; 381. 404–469, hier der Abschnitt zur Priesterehe 440,15–443,24. Die erste

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seiner Kritik an den sieben Sakramenten hob Luther aufgrund der fehlenden Einsetzung durch die Bibel den sakramentalen Charakter der Ehe in seiner Schrift »De captivitate babylonica« vom Oktober 1520 auf.212 Als es in der Folgezeit zu demonstrativen Hochzeiten von Priestern kam, unter anderem auch derjenigen seines Kemberger Freundes Bartholomäus Bernhardi, 213 bündelte Luther schließlich in der Schrift »Vom ehelichen Leben« aus dem Jahr 1522 seine reformatorische Auffassung über die Ehe.214 Durch die Heirat mit Katharina von Bora im Juni 1525 wandte er seine Prinzipien auf sich selbst an und zog daraus die praktischen Konsequenzen für sein eigenes Leben.215

3.1 Für Michael Stifel und seiner Gattin in Lochau (26. Oktober 1528) Am Montag, 26. Oktober 1528, traute Luther seinen Freund Michael Stifel in Lochau, dem heutigen Annaburg.216 Der ehemalige Augustinermönch, den Luther 1525 zur Adelsfamilie Jörger im oberösterreichischen Tolleth als evangelischen Prediger vermittelte, 217 musste Ende 1527 aufgrund gegenreformatorischer Maßnahmen durch König Ferdinand aus Österreich fliehen 218 und hielt Erörterung der Priesterehe in einem Druck erfolgte in Luthers Schrift »Ad schedulam inhibitionis sub nomine episcopi Misnensis« vom 12. Februar 1520 (WA 6; 142. 144–153, hier 147, 27–29). Vgl. hierzu Stephen E. Buckwalter: Die Priesterehe in Flugschriften der frühen Reformation (QFRG 68) Gütersloh 1998, 61f. 212   Vgl. WA 6; 484. 213   Siehe oben Seite 183. 214   Vgl. WA 10 II; 267. 275–304. 215   Zu erwähnen ist ferner Luthers zusammenfassende Schrift »Von Ehesachen« aus dem Jahr 1530 (WA 30 III; 198. 205–248). Zur Hochzeit vgl. Heinrich Boehmer: Luthers Ehe, in: LuJ 7 (1925), 40–76; vgl. ferner die profunde Studie von Sabine Kramer: Katharina von Bora in den schriftlichen Zeugnissen in ihrer Zeit (LStRLO 21), Leipzig 2016. 216   Zum Lebenslauf Stifels vgl. Felix Engel/Gerd-Christian Th. Treutler (Hg.): Michael Stifel. Reformation + Mathematik = Apokalypse. Tagungsband (Die Lose Reihe. Beiträge zur Familienforschung im Land Brandenburg 6), Potsdam 2015; die Einleitung von Karin Reich (Hg.): Die Stifel-Biographie von Georg Theodor Strobel (Algorismus 11), München 1995, 1–8; Joseph Ehrenfried Hofmann: Michael Stifel 1487?–1567. Leben, Wirken und Bedeutung für die Mathematik seiner Zeit (Sudhoffs Archiv, Beiheft 9), Wiesbaden 1968; Viktor Komerell: Michael Stifel, in: Hermann Haering (Hg.): Schwäbische Lebensbilder, Bd. 3, Stuttgart 1942, 509–524; Adolf Guddas: Michael Styfel (1487–1567). Luthers intimer Freund, der geniale Mathematiker, Pfarrer im Herzogtum Preußen. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte (Schriften der Synodalkommission für Ostpreußische Kirchengeschichte 25), Königsberg 1922. 217   Vgl. den Begleitbrief Luthers an Christoph Jörger zu Tolleth vom 3. Juni 1525 (WA 3; Nr. 884, 523–524). 218   Der am 7. Juni 1525 in Wittenberg immatrikulierte Vikar Leonhard Kaiser (Käser) wurde, weil er bei einem Krankenbesuch seines Vaters auf evangelische Weise in Raab predigte, am 7. März gefangengenommen und 16. August nach einem bischöflichen Verhör, deren Kommission auch Johann Eck angehörte, auf Befehl des Herzogs von Bayern in Scherding verbrannt. Vgl. den Trostbrief Luther an Kaiser in seiner Gefangenschaft vom 20. Mai 1527, WA B 4; Nr. 1107, 204. 205. Jenes Martyrium bewegte Stifel im nahegelegenen Tolleth, dass er die Geschichte um seinen Tod veröffentlichte, deren Erweiterung Luther mit dem Titel »Von

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sich von Januar an im Hause Luthers auf.219 Als durch den Tod Franz Günthers die Pfarrei in Lochau vakant wurde, legte Luther dem Kurfürsten in einem Brief vom 3. September nahe, die Stelle auf Stifel zu übertragen, bis ein anderer gefunden sei.220 In diesem Brief erwägt er auch, Stifel solle sich der Witwe des verstorbenen Pfarrers mit ihren beiden Kindern annehmen, um sie durch eine Eheschließung zu versorgen.221 Luther wollte damit gleich zwei Probleme lösen: Zum einen wäre damit ein neuer Pfarrer für Lochau gefunden und zum anderen wusste er die Familie von Stifels Vorgänger versorgt. Die Hochzeit war insofern alles andere als eine Liebesheirat, sondern folgte pragmatischen Zwecken, die mit der Besetzung der Pfarrstelle einhergingen. Im Jahr 1528 ahnte Luther noch nicht, dass bald schon Spannungen zwischen ihm und Stifel aufkommen würden. In seiner Lochauer Zeit setzte sich Stifel intensiv mit der kabbalistischen Zahlenmystik auseinander.222 Im Jahr 1532 veröffentlichte er eine Schrift, in der er seine Ergebnisse darlegte.223 Aufgrund seiner Berechnung gelangte er ein Jahr später zu der waghalsigen Behauptung, dass die Wiederkunft Christi exakt auf den 19. Oktober 1533 am frühen Morgen um 8 Uhr fallen werde.224 Luther beteuerte sein Unverständnis gegenüber derlei Spekulationen und befürchtete, dass ihn der Teufel verführt habe.225 Doch Stifel Herrn Leonhard Kaiser in Bayern um des Evangelii willen verbrannt« (WA 23; 443. 452–476) Ende 1527 herausgab. Zur Biografie Kaisers vgl. Vgl. Friedrich Roth: Leonhard Kaiser, ein evangelischer Märtyrer aus dem Innviertel (SVRG 66), Halle 1900; Friedrich Leeb/Friedrich Zoepfl: Leonhard Käser, ein Beitrag zur bayerischen Reformationsgeschichte (RST 52), Münster 1928. 219   Im Brief Luthers an Dorothea Jörger vom 6. Januar 1528 bestätigt Luther die wohlbehaltene Ankunft Stifels (WA B 4; Nr. 1203, 343). 220   Vgl. WA B 4; Nr. 1315, 545. 546. 221   »Wo er nu pfarher wurde, mocht man versuchen, ob er das arm verlassen weib die pfarreryna mit zweyn kindern auch anneme vmb gotts willen, welche fur war ynn grossem elende ist, Vnd wird sich des falls elende hinfurt mehr begeben. Wo nicht, so geschehe Gotts wille« (WA B 4; 546,15–19). 222  Vgl. Siegrid Westphal: Die Reformation als Apokalypse. Luther, Michael Stifel und der »Lochauer Weltuntergang« 1533, in: Enno Bünz u. a. (Hg.): Der Tag X in der Geschichte. Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend Jahren, Stuttgart 1997, 102–125; 223  Vgl. Michael Stifel: Rechenbüchlein vom Endchrist. Apocalypsis in Apocalypsim, Wittemberg 1533 (VD 16 S 9014). Vgl. WA 37; Nr. 39, 154–158; Nr. 40, 159–163; Nr. 41, 163– 167. Vgl. ferner Matthias Aubel: Michael Stifel. Ein Mathematiker im Zeitalter des Humanismus und der Reformation (Algorismus. Studien zur Geschichte der Mathematik und Naturwissenschaften 72), Augsburg 2008, 132; Volker Leppin: Apokalyptische Strömungen in der Reformationszeit, in: Bernd U. Schipper/Georg Plasger (Hg.): Apokalyptik und kein Ende?, Göttingen 2007, 75–92, hier 87. 224   Stifel schwankte zunächst wohl noch beim genauen Termin und war der Meinung, dass der Jüngste Tag vor Michaelis, also dem 29. September, stattfinden würde, bis er dann zur Überzeugung gelangte, den Tag auf den 19. Oktober zu terminieren: »M. S. sagte vor 18 Wochen wider mich, daß er gewiß vor Michaelis kommen sollte« (WA T 3; Nr. 3360, 290–292, hier 291,35f). 225   »Audio te valde commotum esse mi Michaël, eo quod dissenserim a tuis supputationibus, cum tamen probe noris meum erga te candorem. Deinde semper dixi, me non tam dissen-

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war sich so sicher, dass er aufgrund des bevorstehenden Endes begann, seinen Hausrat zu verschenken.226 Ende August 1533 wurde er auf kurfürstliche Anweisung zu mehren Verhören nach Wittenberg geladen. Weil er jedoch auf seiner Meinung beharrte, erteilte man ihm Ende September ein Predigtverbot.227 Um die Gemeinde zu beruhigen, reiste Luther vom 3. bis 5. Oktober nach Lochau und hielt dort drei Predigten.228 Nachdem die Wiederkunft Christi ausgeblieben war, enthob man Stifel seines Amtes. Nach einem Aufenthalt in Luthers Haus wurde er 1535 Pfarrer im südlich von Weimar gelegenen Holzdorf. Nach einigen Irrwegen Stifels errang er später eine historisch nicht unerhebliche Bedeutung als Arithmetiker und wurde 1559 Professor für Mathematik an der Jenaer Universität.229 Insgesamt zeigt der Vorgang, welchen Einfluss Stifel in Lochau besaß, nachdem er 1528 seine Stelle angetreten hatte. Die Hochzeitspredigt ist in zweifacher Weise überliefert. Neben der Nachschrift Rörers existiert in der Zwickauer Handschrift eine Übertragung der Vorlage Rörers ins Deutsche durch Stephan Roth.230 Unbekannt ist, ob Roth noch andere Nachschriften vorlagen. Dass es sich bei der Predigt um eine Kasualhandlung handelt, geht aus den Überschriften beider Fassungen hervor. So ist Roths Fassung überschrieben mit »Die Summe der Versammlung, gehalten von Martin Luther an der Hochzeit Michael Stieffels, Pastor in Lochau«.231 tire, quam non intelligere […]. Dico tibi, quod ista commotio tua mihi auget suspicionem, ne Satan te expetat ad cribrandum« (Brief Luthers an Stifel vom 24. Juni 1533, WA B 6; Nr. 2031, 495,1–16). 226   Den Tischreden zufolge geht Luther auch davon aus, dass der jüngste Tage bevorstehe, und hält es für ein Versehen, die Pfarrer aus Lochau als Schwärmer zu bezeichnen. Dennoch äußert er Bedenken gegenüber Stifels Maßnahmen, anderen seine Bücher und Hausgeräte zu geben: »Jch halte, es sey also versehen, daß gemeiniglich alle Pfarrherren zur Lochau Schwärmer werden. Michel Stifel, ein gottsfürchtiger Mann sonst, doch ist er in die Persuasion und Gedanken gerathen, er sey der siebente Engel, der durch göttliche Offenbarung (wie er wähnet,) furm jüngsten Tage hergehe, er habe die Posaune des siebenten Engels, und verkündiget, er werde alle Stunden kommen; gibt Andern seine Bücher und Hausgeräthe, als würde ers nicht mehr bedürfen« (WA T 2; Nr. 2756, 638,28–33). Vgl. die Parallele in WA T 3; Nr. 2955, 290–292 und den kurzen Rückblick in WA T 5; Nr. 5519, 211. 227   »Aber man hieß ihn still schweigen. Das verdroß ihn sehr, und sprach: ›Lieber Herr Doctor, es wundert mich, daß ihr mir das Predigen verbietet, und mir solchs nicht gläuben wollet, so es doch gewiß ist, also daß ichs muß sagen, da ichs doch nicht gerne thue.‹« (WA T 3; Nr. 2955, 291,17–20). 228   Vgl. WA 37; XXVI. 154–158; WA 37; XXVI. 159–163; WA 37; XXVI. 163–168. 229   Zu Stifel als Mathematiker vgl. Matthias Aubel: Michael Stifel. Ein Mathematiker im Zeitalter des Humanismus und der Reformation (Algorismus. Studien zur Geschichte der Mathematik und Naturwissenschaften 72), Augsburg 2008. 230   Vgl. WA 27; 383. Die Nachschrift Rörers befindet sich in der ThULB Bos. o. 17m, Bl. 114a-116a. 231   »Summa Concionis D. Martini Lutheri habitae in nuptiis Michaelis Stieffels, pastoris in Lochaw« (WA 27; 384,15f). Rörer gibt nach dem Datum die Abkürzung »c. n.« an, was den Herausgebern der WA zufolge für »concio nuptialis« oder »celebravit« bzw. »celebrante nuptias« steht. Vgl. WA 27; 384,1, Anm. 1.

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Einen Tag vor der Hochzeit, dem 20. Sonntag nach Trinitatis, wurde dem Kirchenjahr folgend über das Gleichnis von der königlichen Hochzeit (Mt. 22, 1–14) gepredigt.232 Da die Perikope sich gut für den Anlass eignete, legte Luther auch für die Trauung diesen Text zugrunde. Hier – wie auch in den folgenden Predigten – suchte Luther also keinen speziellen bzw. für das Brautpaar passenden Trauspruch aus, sondern ließ sich von den Perikopen des Kirchenjahres leiten. Im Vergleich zu seinen überlieferten Predigten in den Vorjahren legte er hier jedoch das Augenmerk ganz auf den Gast, der ohne hochzeitliches Gewand am Fest teilnahm, weshalb ihn der König an Händen und Füßen gefesselt hinauswerfen ließ (Mt. 22, 11–13).233 Ohne Einleitung beginnt Luther sogleich, die Motivation des fremden Gastes bei der Hochzeit zu bewerten. Aus der unpassenden Kleidung folgert er, dass der Eingeladene lediglich zur Hochzeit kam, um aus Eigennutz betrunken zu werden.234 Der Eigennutz sei dabei eine Kraft, die vom Teufel immer wieder neu angestachelt werde, um ohne Unterlass das eigene Fleisch zu reizen, wodurch das von Gott Auferlegte in Vergessenheit gerate.235 . Luther geht es hier insofern um die Vernachlässigung der aufgetragenen Pflichten aus eigennützlichen Gründen. Nicht nur Christus hat in gleichnishafter Weise ein solches Verhalten der Menschen geschildert, sondern bereits die Dichter und Poeten der Antike. So verweist Luther auf drei Grazien, die sich umarmend im Dreieck so zueinander stehen, dass sie sich zwar gegenseitig anblicken oder aneinander vorbei blicken können, ihr Rücken jedoch nach außen zeigt.236 Luther spielt hiermit auf 232   Von Luther ist jedoch für diesen Sonntag, den 25. September 1528, keine Predigt überliefert. Vgl. das Predigtregister WA 23; LII. 233   Am deutlichsten wird dies in der Predigt vom 2. November 1522 (WA 10 III; CLXVII. 409–419), die in Stephan Roths Sommerpostille aus dem Jahr 1526 Eingang fand (WA 10 I.2; LXXXIV. 412–414). Dort wird die Allegorese breit entfaltet. Der König ist der Vatergott, der Bräutigam entspricht Christus, die Braut steht für die Kirche, die ausgesendeten Knechte sind die Propheten, die ablehnenden Gäste sind die Juden, die unbekannten Gäste die Heiden und der Mensch ohne Festgewand steht für die Menschen, die am Tag des Jüngsten Gerichts ohne Glauben da stehen (WA 10 I.2; 413,29–32). Ihr ähnelt die Predigt vom 18. Oktober 1523 (WA 11; 193–198 u. WA 12; 668–670). Vgl. ferner die Predigt vom 9. Oktober 1524 (WA 15; 713– 716) und vom 14. Oktober 1526 (WA 20; 523–526). 234   »[…] quamquam invitatus ad nuptias, se non stelt ut amicum sponsae et illis in honorem, sed ut crapularetur« (WA 27; 384,4f); »[…] sondern ist darümb hinkomen, das er hat prassen und schlemmen wollen, Jnn welchem klar angezeiget wird der missbrauch, der dem Euangelio beweiset wird durch die so Jhren eigen nutz suchen« (WA 27; 384,19–21). 235   »Quia satan non quiescit, sed semper solicitat infirmum cor contra deum, ut facile obliviscatur, quid deus praeceperit. Ideo deus sepe monet et varie depingit regnum suum, ne obliviscamur« (WA 27; 384,9–11); »[…] denn der Teuffel ruhet nicht, sondern reitzet unser fleisch on unterlas widder Gott, das wir seiner gepot und seins worts vergessen« (WA 27; 384,26f). 236   »Sic et gentes fecerunt: quando voluerunt quid servari in populo, haben sie es gestelt in ein gedicht gemelt, ut de 3 graciis: 3 mulieres depinxerunt vertentes vultus gegen ein ander et dorsa retro« (WA 27; 384,11–14); »Also haben die Heiden auch gethan, wie die Poeten und geschichtschreiber anzeigen. Sie haben drey Gratias gemalet, also das sie die angesichte gegen einander und die rücken von einander keren« (WA 27; 384,30–32).

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die Beneficia-Allegorie der Chariten in der antiken Literatur und Kunst an.237 So habe Chrysippos in der Überlieferung durch Senecas Schrift »De beneficiis« eine Deutung der drei Grazien vorgelegt, nach der die eine die Geberin, die zweite die Empfängerin und die dritte die Wiedererstatterin einer Wohltat sein könne.238 Damit wird der Kreislauf der Vergeltung veranschaulicht, nach der jede Handlung letztlich auch auf den Akteur wieder zurückwirke. Nach Luther soll dies dafür stehen, sich der Wohltaten treulich zu erinnern und die Übeltaten schnell zu vergessen.239 Die Verbindung zum Gleichnis bestehe darin, dass zum einen der Gast die Wohltat der Einladung nicht gebührend anerkenne und zum anderen dadurch sein Fehlverhalten auf ihn selbst zurückwirke, indem er bestraft werde. Zur Veranschaulichung verweist Luther auf ein zweites Bild, das des Heiligen Christophorus, 240 der zumeist als starker Mann – gestützt auf einen Reisestab, umringt von wilden Tieren, mit Proviant versehen und mit Christus als Kindergestalt auf den Schultern – dargestellt wird.241 In wörtlicher Übersetzung des 237  Vgl. Veronika Mertens: Die drei Grazien. Studien zu einem Bildmotiv in der Kunst der Neuzeit, Wiesbaden 1994. 238   »[…] warum es drei Grazien sind und warum sie Schwestern seien und warum mit verschlungenen Händen, warum lächelnd, jugendlich, jungfräulich, in fliegendem und durchsichtigem Gewande? – Manche wollen das so verstanden wissen, als sei die Eine die Geberin einer Wohlthat, die Andere die Empfängerin, die Dritte die Wiedererstatterin. Andere sehen darin drei Seiten der Wohltätigkeit: die Erweisung einer Wohltat, die Wiedererstattung und das Empfangen und Vergelten zugleich« (Seneca: De beneficiis I, 3, 2–3). Vgl. die Übersetzung und das Original bei Veronika Mertens: Die drei Grazien. Studien zu einem Bildmotiv in der Kunst der Neuzeit, Wiesbaden 1994, 31. 435. 239   »[…] ut beneficiorum recordemur et malorum obliviscamur &c.«. Viderunt enim statim vergessen sein« (WA 27; 384,14–385,1). »Uns damit zu lernen, das wir der wolthat treulich gedencken und der ubelthat leichtlich vergessen sollen« (WA 27; 384,32f). Nach der Fassung von Rörer ist Luther noch einmal auf das Bild der drei Grazien zurückgekommen (WA 27; 386,7–10). 240   »Sic et quidam ex Christianis fecerunt, ut verbum servarent in memoria. Ut qui Cristoferum pinxerunt: puto fuit, qui depinxit magnum virum et arborem magnam in manu, qui &c.« (WA 27; 385,1–4). Im Vergleich zu Rörers Fassung, der davon erst später spricht (WA 27; 385,23) fügt Roth noch hinzu, Christophorus trage einen »Wetzschken« bzw. einen Wätschger, welches einen Mantelsack oder eine Anhängetasche bezeichnet, in der man eine »Wegzehrung« verstauen konnte: »Also haben auch etliche Christen gethan, wie wir Jm Bapsthum gesehen haben, das sie uns S. Christoffel furgebildet und gemahlet haben, einen grossen starcken man, der ein bawm Jnn der hand hat und tragt ein kleines kindlein, den Herrn Christum (und ein alter man leuchtet Jhm) und hat ein wetzschken, dar Jnnen sind brod und fische &c.« (WA 27; 384,36–385,27 u. 550). 241   Es ist gut möglich, dass Luther hier auch das große Wandgemälde des Christophorus im Erfurter Dom gleich gegenüber dem Eingangsportal, welches 1499 mit Ölfarbe auf Sandstein gemalt wurde, im Hinterkopf hatte (vgl. Falko Bornschein: Das Wandgemälde des hl. Christophorus im Dom zu Erfurt, in: Stadt und Geschichte 30 (2006), 18f). In der Predigt vom 25. Juli 1529 über die Christophorus-Legende verweist Luther auf die (wohl) Wittenberger Klosterkirche der Franziskaner: »S. christoff. Der ist ein grosser rise, ein mechtiger langer man gewest, wie in die maler malen, wie ir in im barfusser kloster gesehen hat, wer in nicht gesehen hat, mag in nach sehen« (WA 29; XXXI. 497–506, hier 489,19–21). Zu den Le-

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Christophorus und wohl in Anspielung an 1. Kor. 6, 20 fordert Luther die Zuhörenden auf, jeder solle ein »Christusträger« sein.242 Nicht nur Prediger hätten schwer an Christus zu tragen, da man sie anfeinde, sondern auch Anführer, die recht handeln wollten, sowie Knechte, Mägde und Kinder. Auch in der Ehe habe der Mann ein Christusträger zu sein, da er die Aufgabe habe, die Frau zu ernähren, selbst züchtig und ehrbar zu leben und die Familie zu erziehen. In diesem Zusammenhang wechselt Luther laut Rörers Nachschrift in die direkte Rede, indem er Michael Stifel in seinen Aufgaben als Prediger und Ehemann ansprach: »Wenn du nämlich gehst in dein Stand als Prediger [und] als Vermählter eine Familie führst, wirst du Versuchungen ausgesetzt, aber nicht verlassen sein: Ich werde dir einen Baum [einen Reisestab wie Christoferus ihn hat] geben, das ist ein starkes Wort [Gottes], durch welches du erhalten wirst«.243

Interessanterweise tilgt Roth den persönlichen Verweis auf Stifel als Prediger und Ehemann und verallgemeinert damit die direkte Anrede Luthers so, dass sich jeder angesprochen fühlen kann.244 Luther entfaltet den Gedanken über die Versuchungen, indem er auf zwei weitere Abbildungen eingeht. Weil der Mensch immer wieder vom Satan versucht werde, sei es seine Aufgabe, seine Angriffe abzuwehren und ihn zu besiegen. Dieser Kampf sei zum einen veranschaulicht durch die Darstellung des Heiligen Georgs, der mit einem Speer einen Drachen tötet 245 und zum anderen durch die Versuchungsszene mit Adam und Eva und dem Teufel am Baum der Erkenntnis.246 Der Mensch bedarf ihm zufolge solcher Bilder, um die Worte genden um Christophorus vgl. Heinrich Krauss/Eva Uthemann: Was Bilder erzählen. Die klassischen Geschichten aus Antike und Christentum in der abendländischen Malerei, München 52003, 389f. 242   »Voluit hoc iudicare: qui vult Christianus esse, der mus ein gut Cristof sein, quia sol Christum tragen. Paulus: ›portate Christi‹ &c.« (WA 27; 385,4–6). Vgl. in der Vulgata »portate Deum in corpore vestro« (1. Kor. 6, 20). 243   »Si enim ghest in tuo statu ut praedicator, coniugatus rexeris familiam, habebis quidem tentationes, sed non desereris: dabo tibi baum i. e. forte verbum, per quod erhalten« (WA 27; 386,4–6). 244   »Denn gehestu Jnn deinem stande auffrichtig, so wirstu gewis anfechtung haben, aber bis sicher, du wirst nicht verlassen werden, Gott wird dir einen grossen bawm, das ist ein starckes wort geben, dardurch du solt erhalten werden &c.« (WA 27; 386,21–24). 245   »Sic Satan semper potest omnia vertere in abusum, tam prope adest nobis. Ille quoque hats gut gemeint, qui S. Georgium dracone &c.« (WA 27; 386,12–14); »Denn gehestu Jnn deinem stande auffrichtig, so wirstu gewis anfechtung haben […]. Also hat man uns Sanct Georgen mit dem Lindwurm auch fürgemahlet« (WA 27; 386,21–25). Zur Legende und Darstellung des heiligen Georgs vgl. Wolfgang Haubrichs: Sankt Georg in Martern, Krieg und andern Nöten. Ein Romanheiliger verschriftet und verkörpert sich, in: Almut Schneider/Michael Neumann (Hg.): Menschen, die Geschichte schrieben – Das Spätmittelalter, Wiesbaden 2014, 57–78; Ders.: Georgslied und Georgslegende im frühen Mittelalter. Text und Rekonstruktion (Theorie, Kritik, Geschichte 13), Königstein im Taunus 1979. 246   »Ut in paradiso: Hic est arbor scientiae, de hac &c.« (WA 27; 386,15f); »Als den bawm

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Gottes auch sinnbildlich vor Augen zu haben, damit sie nicht vergessen würden.247 So habe es Gott auch im »Höre Israel« gefordert, nach dem die Gebote Gottes dauerhaft auf die Türpfosten des Hauses als Zeichen der ständigen Vergegenwärtigung geschrieben werden sollen (Dtn. 6, 9).248 Deshalb habe Gott den Menschen Schrift und Bild gegeben, damit sie Gottes Wort lesen und es sich vor Augen halten könnten, genauso wie er die Stimme gegeben habe, um es zu singen, und das Herz, um es innerlich zu bewahren.249 Nach diesen Ausführungen zu seinem Bilderverständnis kehrt er zurück zum Evangeliumstext. Wie einzelne Gemälde die Aufgabe hätten, das Wort Gottes zu vermitteln, so habe auch Christus in seinem Gleichnis das Bild einer Hochzeit gewählt, da jeder sich das Fest vor Augen malen könne. An dieser Stelle wird Luther erneut persönlicher und wechselt zur zweiten Person Singular, was in der Roth’schen Bearbeitung geglättet wird: »Wann immer du Gattin oder Gatten siehst, schau auf das Bild, das Gott gemalt hat, so soll es in der Christenheit zugehen«.250 Roth behält zwar die grammatische Person bei, jedoch verallgemeinert er die Anrede durch den zweiten Halbsatz, wenn er schreibt: »Wenn du nu braut und breutigam sihest, so sihe sie an für solche bilde, die dir dein Christus selber furgestelt hat, das du seines Euangelions und des hymelreichs nicht solt vergessen«.251

Während in der Rörer’schen Fassung Luther Braut und Bräutigam auffordert, sich bei jedem Blick, den sie sich in Zukunft einander zuwürfen, an das Gleichnis zu erinnern, wird in der Roth’schen Bearbeitung vielmehr die Gemeinde angesprochen, sich beim Anblick der Brautleute das Hochzeitsgleichnis vor Augen zu halten. Luther bedauert es, dass viele zwar verheiratet seien, jedoch nicht darüber nachdächten, was die Heirat bedeute.252 Doch im Vergleich zu toten Gemälden, die an der Wand hingen, wie das des Christophorus (non vivax), handele es sich des erkentnis guts und böses Jm Paradis« (WA 27; 386,31f). 247   »Also hat Gott von anbegyn allzeit sein wort Jnn gemelde und bildnisse gefasset odder aber zeichen darzu gethan, auff das man desselbigen nicht solt leichtlich vergessen« (WA 27; 386,29–31). 248   »Jtem Gott befahl die zehen gepot an die thüren und kleider zu machen &c« (WA 27; 386,32f). 249   »Ideo dedit scripturam, picturam, ut legeremus, dedit vocem, ut caneremus, dedit cor, ut in corde servaremus« (WA 27; 386,18f). »Drümb hat Gott die schrifft und gemelde gegeben, das man sie lesen und sehen solle. Die stymme und maul, das man davon reden und singen solle, und das hertz, das man es dar Jnne fasse und behalte« (WA 27; 368,33–36). 250   »Quando vides sponsam et sponsum, inspice pro bild, das got gemallet hat, das also sol zu ghen in Christianitate« (WA 27; 387,2–4). 251   WA 27; 387,27–29; Hervorhebung vom Verfasser. 252   »Multi sunt qui in nuptiis sunt, sed quot, qui cogitant quid significant nuptiae, quae sunt dei gemelt und bilde?« (WA 27; 387,4f). Dieser Gedanke fehlt bei Roth.

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bei der Ehe um ein lebendiges Bildnis (vivax).253 In diesem Sinn übertreffe die Ehe jedes andere gemalte bzw. künstlerisch gestaltete Bild. Insofern interpretiert Luther die Ehe selbst als ein Gleichnis für das christliche Leben, das Gott den Menschen zur Erinnerung an sein Wort gestiftet hat. Diese Pointe, welche das eigentliche Ziel von Luthers Gedankenführung ausmacht, kommt in der Roth’schen Bearbeitung gar nicht zur Geltung.254 Die Rede vom Menschen ohne hochzeitliches Gewand im Gleichnis dient Luther zufolge dazu, dass jeder Mensch ermahnt werden soll, sich als Christ angemessen zu verhalten. Er appelliert hierbei an den gemeinen Verstand. Jeder, besonders der Brautvater, würde den Eingeladenen zur Rede stellen und ihn auffordern, die Hochzeit zu verlassen. Denn der Eingeladene würde mit seinem Verhalten die Missachtung der Hochzeit zum Ausdruck bringen, den Brautleuten Schande bereiten und diese zum Narren halten.255 Insgesamt sei Jesu Gleichnis ein Bild zur Beschreibung des christlichen Lebens, dessen man sich immer erinnern solle, wenn man in Form eines lebendigen Bildnisses in einer eigenen Ehe lebe oder die Ehe von anderen vor Augen halte.256

3.2 Für Herzog Philipp von Pommern und Prinzessin Maria von Sachsen in Torgau (27. Februar 1536) Neben langjährigen Freunden vermählte Luther auch Paare aus dem Hochadel, deren Ehe ein gesellschaftliches und politisches Ereignis darstellte. So vollzog er am 27. Februar 1536 zusammen mit Johannes Bugenhagen die Trauung von Herzog Philipp von Pommern-Wolgast mit der sächsischen Prinzessin Maria, der Stiefschwester von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen.257 Aus politischer Sicht bedeutete die Ehe die Besiegelung des Bundes zwischen Pommern

  »In hoc stuck ubertrifft unsers her gots gemelt all ander gemel, quia Christopheri pictura est in pariete non vivax. Item non fuit hominis, sed dei imago, est vivax bild.« (WA 27; 387,6–8). 254   Die Parallele bei Roth lautet: »Aber Jhr seind itzt viel auff der hochtzeit, der das wenigste teil bedencken, was die hochzeit bedeüte und das es Gottes gemelde und bilde sey« (WA 27; 387,29–31). 255   »[…] cum faceres filio tuo nuptias et haberet pulchram vestem et veniret in lacera, diceres eum facere tibi in ignominiam, lest mich fur ein narren, si posset quid leiders thun, faceret« (WA 27; 387,12–15). 256   »Cum videritis nuptias, scite esse ein bild der geistlich hochzeit i. e. des Christlichen lebens«. (WA 27; 387,9f). Die Roth’sche Fassung formuliert zum Schluss das Fazit: »Also siehestu, wie fein die Christliche lere Jnn ein leiplich eusserlich bilde gefasset ist, darJnne wir sehen glauben, liebe, gutte werck und das heilige creutz &c.. Gott sey lob. Amen« (WA 27; 390,7–9). 257   Vgl. WA 41; XXXI, 516–520. Zur Torgauer Hochzeit vgl. die profunden Studien von Roderich Schmidt: Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse, Köln u. a. 2 2009, 311–364. 253

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und Sachsen sowie die Eingliederung Pommerns in die evangelischen Reichsstände.258 An den Feierlichkeiten nahmen neben Luther und Bugenhagen auch Philipp Melanchthon und Georg Rörer teil. Aufgrund verschiedener Angaben in den Quellen 259 ist das genaue Datum der Hochzeit in der Forschung umstritten.260 Roderich Schmidt hält die Aussage Luthers in seinem Brief an Nikolaus Hausmann vom 11. März 1536 für den wichtigsten Hinweis.261 Dort berichtet Luther, dass er am Abend Bräutigam und Braut getraut, am Morgen jedoch Johannes Bugenhagen sie gesegnet habe, da er vom Schwindel ergriffen worden sei, und dass man die Zeremonie ganz nach der Weise des Katechismus vollzogen habe, gemäß dem Wunsch des Bräutigams.262 Der Verweis auf den Katechismus bezieht sich hierbei auf Luthers ›Traubüchlein‹, das als Anhang den Ausgaben des Katechismus beigefügt wurde.263 Dort wird im Vergleich zu späteren Kirchenordnungen streng zwischen Kopulation und Benediktion unterschieden.264 Bei der Kopulation handelt der Pfarrer als Beauftragter der öffentlichen Ordnung. Sie erfolgt in der Regel vor der Kirche mit Traufragen, Ringwechsel, Verlesung von Mt. 19, 6 und dem Sprechen der Trauformel. Davon unterscheidet Luther den Akt der Benediktion, die zu den eigentlichen Aufgaben des Pfarrers bei der Eheschließung zählt. Sie wird in der Kirche vor dem Altar vollzogen, bei der 258   Zur Reformation in Pommern vgl. Eike Wolgast: Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa (QFRG 89), Gütersloh 2015, 91–103. 259   Den 26. Februar gibt die handschriftliche Eintragung im Wolgaster Exemplar des weltgeschichtlichen Kalenders des späteren Wittenberger Professors und Generalsuperintendenten Paul Eber an (Josef Deutsch: Ebers Calendarium historicum mit handschriftlichen Eintragungen aus Wolgast, in: »Von Büchern und Bibliotheken«, Ernst Kuhnert als Abschiedsgabe dargebracht, Berlin 1928, 71–78, hier 75). Stattdessen vom 27. Februar sprechen Georg Spalatin in seiner Schrift »Vitae aliquot Electorum et Ducum Saxoniae« (in: Johann Burchard Mencken: Scriptores rerum Germanicarum, praecipue Saxonicarum, Bd. 1, Leipzig 1728, Sp. 1150) und der Pommersche Historiker Thomas Kantzow in seiner Chronik (Thomas Kantzow: Chronik von Pommern in niederdeutscher Mundart, hg. von Georg Gaebel, Stettin 1929, 114f), worauf auch die Nachricht von Joachim von Wedel beruht (WA B 7; 372, Anm. 6). Vgl. Joachim Wedel: Hausbuch des Herrn Joachim von Wedel auf Krempzow Schloss und Blumberg erbgesessen, hg. von Bohlen Bohlendorff (BLVS 161), Tübingen 1882, 124. 260   Köstlin datierte die Predigt auf den 26. Februar (vgl. Julius Köstlin: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, fortgesetzt von Gustav Kawerau, Bd. 2, Berlin 51903, 290). Dagegen wandten sich Georg Buchwald und Otto Brenner als Herausgeber der Weimarer Ausgabe und favorisierten den 27. Februar (WA 41; XXXI). 261  Vgl. Roderich Schmidt: Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse, Köln u. a. 22009, 314 u. 357. 262   »De nuptiis in Torga nihil habeo, quam quod omnia magnifica fuerunt. Ego vesperi Sponsum & sponsam copulaui D. Pomeranus benedixit (cum ego vertigine correptus non possem) plane nostro more, vt in Catechismo habetur; ita enim princeps voluerat« (WA B 7; Nr. 2298, 372,15–18). 263   Vgl. WA 30 III; 43. 74–80, hier 47; vgl. BSELK.TM, 883f. 885–890. 264  Vgl. Friedrich Kalb: Grundriss der Liturgik. Eine Einführung in die Geschichte, Grundsätze, und Ordnungen des lutherischen Gottesdienstes, München 1965, 256–262.

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mehrere Bibelstellen verlesen werden und schließlich das Benediktionsgebet mit Handauflegung gesprochen wird.265 Im ›Traubüchlein‹ bemerkt Luther hierzu: »Etlich fueren die braut swey mal zur kirchen beide des abends und des morgens«.266 Gerade bei bedeutenden Hochzeiten konnten sich die Feierlichkeiten durchaus über mehrere Tage erstrecken. Daher ist anzunehmen, dass nach dem Aushandeln der Eheverträge am Samstag Luther am Sonntagnachmittag die Kopulation vornahm, bei der er die besagte Predigt hielt, Johannes Bugenhagen dann am nächsten Morgen verbunden mit einer eigenen Predigt die Benediktion aussprach und danach die Feierlichkeiten mit Speisen und Getränken sowie mit Turnieren fortgesetzt wurden.267 Zur Zeremonie selbst gibt das Hausbuch von Joachim Wedel aus dem Jahr 1536 an, dass Luther lange gedankenversunken vor dem Brautpaar gestanden und dann zum Herzog die Worte gesprochen habe: »Gott der Herr sei mit dir, auch dein Samen soll nicht vergehen«.268 In späteren Quellen, wie in der Selbstbiografie von Bartholomäus Sastrow aus dem Jahr 1595 wird berichtet, dass Luther in Anspielung auf die Nachkommenschaft darauf hingewiesen habe, dass der Begriff »Sachsen« vom lateinischen Wort »saxum« abgeleitet werde, welches »Felsen« oder »Stein« bedeute, dessen Formung nur mit Beständigkeit geschehen könne und er hierzu den Fürsten in sein Vaterunser einschließen werde.269 In der Tat war die Nachkommenschaft insbesondere für die Pommersche Linie   Vgl. die Übersicht bei Paul Graff: Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands, Bd. 1: Bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus, Göttingen 21937, 347–351. 266   WA 30 III; 74,7f. 267  Vgl. Roderich Schmidt: Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse, Köln u. a. 22009, 318f. 268   »Wie nun nach beschehener trau der hertzog Luthero die hand gebothen, hat er ihm die lang stillschweigend, ob er in tieffen gedancken gestanden, gehalten und darauf über laut gesagt: Dominus DEUS sit tecum, et semen tuum non deficiat« (Joachim Wedel: Hausbuch des Herrn Joachim von Wedel auf Krempzow Schloss und Blumberg erbgesessen, hg. von Bohlen Bohlendorff (BLVS 161), Tübingen 1882, 124). Dort und in späteren Quellen werden in einer anderen Version die Worte nicht nur auf den Herzog, sondern auch auf Prinzessin Maria bezogen, indem Luther die Worte gesprochen haben soll: »semen vstrum non deficiat« (ebd.). Vgl. hierzu Roderich Schmidt: Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse, Köln u. a. 22009, 321. 269   »D. Martinus Lutherus hatt sie vertawet, vnnd finita copulatione diese Wortt gebraucht: Gnediger Fürst vnnd Herre! Kumpt es nicht so balt, als E. F. G. gerne wolt, so verzage E. F. G. nicht; den Saxum heißt ein Stein; was man vom Felsen haben soll, mus mit langer Zeit vnnd voller Arbeith gescheen; ich will E. F. G. in mein pater noster nemen: Semen tuum no deficiet« (Bartholomäus Sastrow: Bartholomäi Sastrowen Herkommen, Geburt vnd Lauff seines gantzen Lebens, hg. von Gottlieb Christian Friedrich Mohincke, Bd. 1, Greifswald 1823, 145f). Martin Wehrmann zitiert eine Trauerschrift auf den Tod des Herzogs Ernst Ludwig von Petrus Clemens aus dem Jahr 1592, in der berichtet wird, dass Luther die Worte gesprochen haben soll: »Noli timere! Etsi enim saxum subactu et emollitu difficile erit, ego tamen te investitum et convolutum reali illa prommissione: Semen tuum non deficiet« (Martin Wehrmann: Von Luthers Beziehungen zu Pommern, in: Pommersche Jahrbücher 18 (1917), 111–128, hier 126). 265

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von Bedeutung, da ohne Erben die Gebiete an Brandenburg fallen könnten, wie es 1529 im Vertrag zu Grimnitz vereinbart wurde.270 Außerdem soll Luther aufgrund seiner Schwäche während des Ringwechsels die Ringe fallengelassen und dafür den Teufel verantwortlich gemacht haben.271 Die Predigt hat Rörer mitgeschrieben, der danach sein Manuskript relativ stark bearbeitet und mit Korrekturen versehen hat. Außerdem existiert eine von Johann Stoltz angefertigte Abschrift der Fassung Rörers.272 Rörer datierte die Predigt ebenfalls auf den Sonntag Estomihi.273 Die Notizen machen einen seltsamen Eindruck, teilweise lassen sich die kryptischen Aufzeichnungen lediglich erraten. Insgesamt weist die Predigt eine Zweiteilung auf, deren Teile relativ unverbunden nebeneinanderstehen. Obwohl Luther zu Beginn ankündigt, über die Ehe sprechen zu wollen, beginnt er zunächst, die Perikope vom Sonntag auszulegen.274 Gemäß der vorösterlichen Zeit wird die dritte Leidensankündigung Jesu (Lk. 18, 31–34) und die nachfolgende Blindenheilung (Lk. 18, 35–43) betrachtet. Ihm zufolge zeige das Evangelium, dass Jesus Christus, der von den Menschen angespien worden sei, derjenige sei, der als Heiliger die Heilige Schrift erfüllen werde.275 Trotz der Dunkelheit, die der Mensch vom Satan empfangen habe, werde ihm auch die größte Gnade durch den Erlöser zuteil. Adam und Eva kannten vor ihrem Sündenfall Gott noch in seiner Güte, doch Satan habe sie in dieser Hinsicht nicht nur blind gemacht, sondern sie »durchgiftet«, sodass sie und die nachfolgenden Generationen geistig blind geworden seien.276 Deshalb musste Gott selbst in Christus erscheinen und dem Blinden in der Perikope, aber auch allen verblendeten Menschen sowohl in körperlicher als auch in geistlicher Hinsicht das Augenlicht   Vgl. die Erbeinigung zwischen Brandenburg und den Herzögen Georg und Barnim von Pommern vom 23. Dezember 1529 in: Adolf Friedrich Johann Rieder (Hg.): Codex diplomaticus Brandenburgensis, Teil 2 , Bd. 6, Berlin 1858, Nr. 2526, 363–369. 271   »Andere berichten, wie der doctor in der copulation einen der trau-ringe unversehens fallen lassen, sei er darüber ergrimmet, und im eiffer gesprochen: hörest du teuffel! es gehet dir nicht an« (Joachim Wedel: Hausbuch des Herrn Joachim von Wedel auf Krempzow Schloss und Blumberg erbgesessen, hg. von Bohlen Bohlendorff (BLVS 161, Tübingen 1882, 318). 272   Vgl. Rörers Nachschrift in der ThULB Jena Bos. q. 24f Bl. 27b –29b sowie die Abschrift von Stoltz im Zwickauer Codex Nr. XXX Bl. 23b –26a; vgl. ferner WA 41; XXXI. 273   »Dominica Esto mihi. Torgae in nuptiis principis Philippi Pomeraniae &c.« (WA 41; 516,24f). 274   Er beginnt mit den Worten: »Dicamus aliquid de matrimonio«, worauf jedoch unverbunden folgt: »Hoc Euangelium breviter indicat […]« (WA 41; 516,26). 275   Vgl. WA 41; 516,26–28. Vgl. auch die Parallele in der Predigt vom 7. Februar 1524: »Wie ghest den zu, ut recte cognoscatur? Vide, ut hic discipuli cognoverint, ut Christus in morte media sit vivus und in dem, das er gespeyet wirt, habet die hochste ehre« (WA 15; 433–438, hier 436,1–3). 276   »Ideo indicat Euangelium neben caeco unsers jamers, quem accepimus a Satana in paradiso et maximam gratiam per Salvatorem, quae contigit, quia Satan nos in paradiso non solum caecos fecit, sed so durchgifftet, ut spiritualiter caeci, et amisimus die schone erkentnis. Adam et Eva pleni luce et vere agnoscebant deum« (WA 41; 516,28–32). 270

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wiedergeben.277 An diesen Gedanken lässt sich die Idee der Auslegung Luthers ausmachen. Sie besteht darin, die Perikope mit der Sündenfallgeschichte im Sinne der paulinischen Adam-Christus-Typologie zu spiegeln. Trotz gewisser Ähnlichkeiten mit seinen vorherigen Predigten über diese Perikope ist darin die Eigentümlichkeit der Torgauer Auslegung zu erblicken.278 Zunächst scheint es, dass Luther mit der Auslegung fortfahren würde. Er deutet an, dass das Evangelium noch weitere Wohltaten anzeige, wie Gnade und Barmherzigkeit, die durch Christus dem Menschen geschenkt worden seien.279 Jedoch bricht er an dieser Stelle relativ unvermittelt ab und geht auf den Gedanken nicht weiter ein. Stattdessen wolle er nun – gerade wegen des anwesenden jungen Volkes – über die Ehe sprechen.280 Er kritisiert hierbei diejenigen, die zu einer Hochzeit nur des Essens und Trinkens wegen kommen und damit die Ehe nicht ernst genug nehmen.281 Schuld daran sei der Satan, der die Menschen so verdorben habe, dass sie Ehebruch und Hurerei betrieben.282 Stattdessen habe Gott in Anspielung auf Hebr. 277   »[…] donec veniat [gemeint ist Christus], qui implet scripturam sacram et dat caeco isti corporalem. 1. dat spiritualiter, 1. [wohl eher 2.] aperit oculos in paradiso excecatos i. e. ut videre possit et laeto corde agnoscere filium David pro gnedigen, barmhertzigen helffer« (WA 41; 517,2–5). 278   Insgesamt sind elf Überlieferungen zu Lk. 18, 31–43 im Predigtverzeichnis der Weimarer Ausgabe angeführt, wobei es sich hierbei überwiegend nur um knappe Nachschriften handelt (vgl. das Predigtverzeichnis in WA 22; LXV). Im Kodex von Johann Poliander ist die früheste Predigtmitschrift über diese Perikope vom 10. Februar 1521 erhalten, bei der er den Schwerpunkt auf das Unverständnis der Jünger über die Worte des im Evangelium sanftmütig gemalten Jesus Christus legt (WA 9; 582). Rörers Nachschrift der Predigt wohl vom 7. Februar 1524 konzentriert sich ebenfalls stärker auf die Leidensankündigung und erwähnt lediglich zum Schluss die Blindenheilung (WA 15; 433–438, hier 437,28). In der Nachschrift Rörers und der Niederschrift im Zwickauer Kodex ist eine Predigt vom 26. Februar 1525 am Sonntag Quinquagesimä erhalten, bei der er auf Person und Tat sowohl von Christus als auch vom Blinden eingeht (WA 17 I; XXIII. 56–63, hier 56,13–15). Die Predigt vom 11. Februar 1526 ist eine Verknüpfung von Auslegung der Perikope mit dem Thema vom rechten Glaube und wahrer Liebe (WA 20; 264–268, hier 264,2–4 u. 21f). Eine gewisse Parallele zur Torgauer Auslegung lässt sich in Rörers Aufzeichnung der Predigt vom 23. Februar 1528 erkennen, da er hier ohne auf den Sündenfalls einzugehen den Satan für die Verdunkelung der menschlichen Gotteserkenntnis verantwortlich macht (WA 27; 53–55, hier 55,1–4). In der Hauspredigt vom 15. Februar 1534, die teilweise Eingang in die Postillenausgaben fand (WA 17 II; 172–178; vgl. auch WA 21; 90–96; WA 52; 164–171 und WA 45; 430f), verknüpft er die Heilung des bettelnden Blinden mit seiner eigenen Bettelerfahrung als Augustinereremit (WA 37; 295–299, hier 297,35–298,5. 279   »Sic Euangelium indicat schaden, quam accepimus in paradiso, ut agnoscamus. 2. wolthat, gratiam und barmhertzigkeit, quae apportatur per istum virum. Das wher weiter aus zustreichen« (WA 41; 517,10–13). 280   »Sed mittamus et loquamur aliquid de coniugio propter jung volck,« (WA 41; 517,14). 281   »[…] qui accedit et putat nihil aliud facere quam essen, trincken, ut agnoscamus hunc statum pro ernst« (WA 41; 517,14–16). 282   »Ibi Satan etiam nos verterbt, quia fecit ein feindseligen stand draus et ut faceret zu nichtig und brechte in ehebruch, hurerey et alia peccata, non nennen darff« (WA 41; 517,16– 18).

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13, 4 geboten, dass die Ehe bei allen in Ehren gehalten werde und das Ehebett unbefleckt bleiben solle, da Gott die Unzüchtigen und Ehebrecher richten werde.283 Da er auf diesen Vers immer wieder zurückkommt, bildet er in gewisser Weise die Grundlage seiner weiteren Ausführungen in diesem Abschnitt über die Ehe. Im Paradies sei der schändliche Trieb vor dem Sündenfall noch nicht vorhanden gewesen. Denn Adam und Eva waren nackt und hätten sich einander keusch verhalten. Erst nach dem Sündenfall hätten sie Kinder gezeugt.284 Daher stimme die Aussage in Ps. 51, 7, dass der Mensch als Sünder geboren sei.285 Auch wenn Gott die Ehe als rein bezeichne, so sei dennoch das Gift der Unzucht im Menschen. Doch Christus spreche den Menschen heilig, auch wenn dieser eigentlich unheilig sei.286 Dabei ermahnt Luther die Unverheirateten, die Unzucht zu unterlassen, und die Verheirateten, die Ehe nicht zu brechen.287 Es gebe viele Menschen, die nichts von der Ehe halten und sie mit der Hurerei gleichsetzten. Doch Gott habe Mann und Frau fruchtbar gemacht, womit er den Ehestand geheiligt habe.288 In diesem Zusammenhang geht Luther auf ein Gespräch zwischen ihm und Melanchthon ein, das sie wohl am selben Tag in Torgau geführt haben.289 Melanchthon habe ihm gesagt, dass in den letzten Zeiten gemäß 1. Tim. 4, 1–4 Lügenredner auftreten würden, die geböten, nicht zu heiraten, und die Ehe verwürfen.290 Luther muss darauf wohl geantwortet haben, dass eine solche Vorhersage bereits Daniel prophezeit habe, womit er indirekt auf Dan. 11, 38 verweist. Dort werde nach der Vulgata von einem Gott »Maozim« gesprochen, dessen Verehrung auch darin bestanden habe, die Liebe zur Frau zu verbieten.291 283   »Deus nobis Christianis dixit: Quisque halt ehrlich. ›Honorabile in omnibus‹, vel qui drinn, volunt keusch bleiben, hoc discant, ut hunc stand ehrlich halten und das Ehebeth rein« (WA 41; 517,18–20). 284   »Si lapsus inspicitur, non est rein, quia die schendlich brunst non fuisset in paradiso. Non indignisset Adam et Eva, nudi incessissent und so leichtlich kinder gezeuget, ut apfel ab« (WA 41; 517,22–24). 285   Vgl. WA 41; 517,25. 286   Vgl. WA 41; 517,27–518,3. 287   »[…] qui meydet ehebruch und huererey, sol dir peccatum nicht imputirt quod revera in se peccatum. Ideo qui im bette sind, caveant, qui non drinnen, ut pro rein und selig stand halten« (WA 41; 518,27–29). 288   »[…] sol fruchtbar sein, so zur welt, et tota vita hinc ehe springen« (WA 41; 519,7f). 289   Vgl. WA 41; 520, Anm. 1. 290   »Philippus Melanchthon dicebat Paulum praevidisse diabolum prorsus conaturum, ut non solum coniugium faceret exosum, sed etiam totam politiam everteret ademptione coniugii« (WA 41; 520,9–11). 291   »Ad hoc Martinus Luther: Hoc praedixisse Danielem, ut et verum cultum dei aut veram religionem tolleret et deum Maosim colendum doceret et amorem mulierum non curaret &c.« (WA 41; 520,11–13). Luther übersetzt diesen Eigennamen mit »Gott der Festungen«, wobei wohl an den römischen Gott Jupiter Capitolinus zu denken ist (vgl. WA 7; 664, Anm. 2 und die Zusammenstellung zum Thema »Maozim« in WA DB 11 II; 71–73).

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Danach kehrt Luther wieder zur Hauptstelle Hebr. 13, 4 zurück und betrachtet die Aussage, dass Gott die Ehebrecher richten werde.292 Er nennt Beispiele, in denen Ehebrecher öffentlich wie privat verurteilt wurden, wie bei der Sünde von Gibea (Ri. 19–20).293 Rörer merkt an, dass Luther auf eine Schandtat in der Stadt Basel angespielt habe.294 Sie betrifft den Tod von Christoph Baumgarten am 4. August 1532.295 Dieser erfuhr, seine Frau sei bereits lange mit einem Knecht fremdgegangen, weshalb sie schwanger wurde und ein Kind gebar, von dem der Ehemann annahm, dass es seines sei. Als er von dem Ehebruch erfuhr brachte er seine Frau sowie das Kind um und stürzte sich aus dem Fenster. Scheinbar war es für Luther ein Anliegen, das Thema »Ehebruch« noch einmal zur Sprache zu bringen. Denn er bat Bugenhagen, in seiner Predigt am nächsten Vormittag, die nicht überliefert ist, an dem Ereignis aus Basel anzuknüpfen. Zum Schluss rät er den Eheleuten, sich durch das Gebet gegen die Anfechtung des Teufels zu wappnen. Denn wer die Ehe nicht achte, der sei auch nicht dazu geeignet, Verantwortung über Ökonomie, Politik und Kirche zu übernehmen.296 Betrachtet man beide Teile der Predigt, so lässt sich die Verbindung von Auslegung und Ehethematik lediglich im Gedanken erblicken, dass der Satan den Menschen mit der Sünde »durchgiftet« habe. Dieses Gift bestehe sowohl in der geistlichen Blindheit für die Güte Gottes als auch im Sexualtrieb. Die Ehe wird dagegen als etwas Reines angesehen, womit gegen die Sünde angegangen werden könne, wenn man sich der Unzucht enthalte. Insgesamt macht die Predigt den Eindruck, nicht recht durchkomponiert zu sein. Ob es an Luthers Krankheit lag oder vielleicht sogar hier ein gewisser Unwillen gegenüber so großen Hochzeiten zum Ausdruck kam, muss offenbleiben.297 Im Brief vom 19. Januar 1536 teilt er mit, bereits länger krank zu sein und nur ungern nach Torgau zur Hochzeit zu fahren.298 Außerdem halte er wenig 292   Rörer wechselt an dieser Stelle die Perspektive und spricht nicht mehr aus der Sicht Luthers, sondern berichtet darüber, da mit »dicebat« wohl Luther gemeint ist: »De altera parte ›Adulteros autem et fornicatores iudicabit dominus‹ dicebat in hanc sententiam« (WA 41; 520,14f). 293   »Adulteros et scortatores fuisse punitos variis modis, privatim et publice, et quandoque propter privata homicidia et adulteria punita esse urbes, principatus et regna. Totam fere tribum Ben Iamin exceptis 600 deletam propter cuiusdam Levitae stupratam uxorem« (WA 41; 520,15–18). 294  »Recensebat et exemplum hoc horribile de cive quodam Basiliensi &c.« (WA 41; 520,19f). 295   Vgl. WA T 6; Nr. 6933, 277f. 296   »Ideo opus est, ut orent et oratione velut forti armatura se opponant diabolo et omnibus periculis, quae illis occurrere possunt. Id quod pii faciunt non solum in hac causa, sed omnibus aliis. Qui coniugium negligunt, isti idonei sunt ad nullas res rite gerendas nec in oeconomia, politia, Ecclesia« (WA 41; 520,22–26). 297  Vgl. Roderich Schmidt: Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse, Köln u. a. 22009, 316. 298   »Saget meinem Bruder, daß mein Huste […] mir verboten haben zu antworten! […] Jch

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von den Ausschweifungen beim Feiern, von denen sich insbesondere die Jüngeren hinreißen ließen.299

3.3 Für Caspar Cruciger und Apollonia Gunterrode in Eilenburg (24. April 1536) Drei Monate nach der Hochzeit in Torgau vollzog Luther erneut eine Trauung außerhalb von Wittenberg. Am Sonntagnachmittag reiste er nach Eilenburg, um am darauffolgenden Tag gemeinsam mit Justus Jonas und Johannes Bugenhagen bei der zweiten Eheschließung seines langjährigen Freundes Caspar Cruciger mitzuwirken.300 Luther hatte bereits die erste Trauung am 14. Juni 1524 von Cruciger mit seiner ersten Ehefrau vorgenommen, der ehemaligen Nonne Elisabeth von Meseritz, die zu den ersten Lieddichterinnen der Reformation zählt.301 Nachdem diese in der Nacht vom 2. zum 3. Mai 1535 verstorben war,302 heiratete Cruciger die Leipziger Ratsherrentochter Apollonia Gunterrode.303 muß husten und gen Torgau auf die Fasnacht denken weiß nicht, was ich daselbst husten soll« (Brief Luthers vom 19. Januar 1536 an den Mansfeldischen Kanzler Kaspar Müller, WA B 7; Nr. 2287, 349,48–51). 299   Vgl. WA T 6; Nr. 7054, 362 und WA T 4; Nr. 4953, 591. 300  Luther hielt noch am Sonntag Quasimodogeniti, dem 23. April, eine Predigt in der Schlosskirche über Joh. 20, 19–31 (WA 41; XXXII, 541–546). Zur Anwesenheit von Jonas und Bugenhagen vgl. Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 228f. Die Hochzeit erwähnt auch Melanchthon in einem Schreiben an Jacob Milchius vom 19. Februar 1536: »Cruciger, ut spero, brevi erit sponsus; ducet puellam Lipsicam« (MBW.T 17, Nr. 1703, 1404,12f). 301   Elisabeth Cruciger verfasste 1524 den Text des Gesangbuchliedes »Herr Christ, der einig Gotts Sohn« (EG 67). Vgl. Sonja Dormröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 32014, 59–72, hier auch zur Trauung 64. Vgl. ferner den Bericht der Hochzeit von Georg Spalatin (SA Weimar, Reg O 1805, fol. 1a-3a), abgedruckt bei Johann Joachim Müller: Entdecktes Staats-Cabinet, Jena 1717, 218f [VD 18 90299477]. 302   Vgl. WA B 7; 384, Anm. 5. 303   Die Eltern von Caspar d. Ä. Cruciger (1504–1548) traten frühzeitig für die Reformation in Leipzig ein. Nach einer privaten humanistischen Ausbildung studierte Cruciger ab dem 19. Oktober 1513 zunächst in seiner Geburtsstadt und siedelte später wohl aufgrund des Ausbruchs der Pest 1521 in Leipzig nach Wittenberg über, wo er sich am 13. April 1523 immatrikulierte. Im Frühjahr 1525 wurde er Prediger und Rektor der neuen evangelischen Stadtschule in Magdeburg. Nachdem er 1528 nach Wittenberg zurückberufen wurde, erlangte er am 16./17. Juni 1533 die Doktorwürde und wurde Mitglied der Theologischen Fakultät sowie mehrfach Rektor der Wittenberger Universität. Gemeinsam mit Friedrich Mykonius wirkte er mit, die Reformation in seiner Leipziger Heimatstadt 1539 einzuführen, und nahm an den Religionsgesprächen in Hagenau, Worms und Regensburg (1540/41) teil. Am 16. November 1548 starb er von den Strapazen gezeichnet im Kampf um den Erhalt der Wittenberger Universität zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges. Sein Leichnam wurde am 18. November 1548 in der Wittenberger Stadtkirche beigesetzt. Neben seinen Arbeiten als Astronom und Mathematiker besteht seine Bedeutung für die Reformation in seiner Beratertätigkeit in der Revision der Bibelübersetzung von 1539/40, der Mitherausgabe der Wittenberger Gesamtausgabe von Luthers Werken aus dem Jahr 1539 und der Überarbeitung der Sommerpostille von 1544. Eine umfassende Biografie fehlt bislang in der Forschung. Vgl. Friedrich de Boor: Art.

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Auf Bitten Luthers gestattete der Kurfürst, dass die Festlichkeiten auf seinem Schloss Eilenburg stattfinden durften, da Leipzig aufgrund der antilutherischen Haltung Herzog Georgs von Sachsen nicht in Frage kam und der Aufwand in Wittenberg zu groß erschien.304 Von der Predigt existiert eine Nachschrift Rörers, die wiederum vom Weimarer Hofprediger Johann Stoltz abgeschrieben wurde und sich im Zwickauer Codex befindet.305 Gedruckt wurde sie in der von Hans Lufft veröffentlichten Wittenberger Schrift aus dem Jahr 1536, die diese und die Hochzeitspredigt, die Luther wohl am 8. Januar 1531 über Hebr. 13, 4 in Wittenberg hielt, umfasst.306 Dort wurden der Eilenburger Predigt eine Lesung und ein Segensgebet für Braut und Bräutigam vor dem Altar beigefügt.307 Sowohl Rörers Nachschrift als auch der Druck werden der Predigtanalyse zugrunde gelegt. In der Einleitung bezieht Luther die Kasualie der Trauung auf das Kirchenjahr. Da acht Tage zuvor das Osterfest am 16. April gefeiert wurde und man sich somit noch in der nachösterlichen Zeit befand, jedoch der Anlass auch gebühre, über die Ehe zu sprechen, beabsichtige er, beide Themen zusammenzuziehen und sowohl über die Auferstehung als auch über die Ehe zu predigen.308 Hierzu habe er eigens die Worte aus Eph. 5, 22–33 ausgewählt.309 Diese Auswahl der Perikope über die christliche Haustafel ist hinsichtlich des Kirchenjahres eher unüblich, da der Text eigentlich für den 20. Sonntag nach Trinitatis vorgesehen ›Cruciger, Caspar, der Ältere‹, in: TRE 8, 238–240; Friedrich Wilhelm Bautz: Art. ›Cruciger, Kaspar der Ältere‹, in: BBKL 1, 1171; Ernst Kähler: Art. ›Cruciger‹, in: NDB 3 (1957), 427f; Hermann Petrich: Caspar Cruciger. Luthers Freund und Leipzigs Reformator, Hamburg 1904. 304   Vgl. den Zettel im Anhang von Luthers Brief an Kurfürst Johann Friedrich vom 28. März 1536, WA B 7; Nr. 3003, 381–384, hier 384,42–47: »Auch hat mich Doctor Caspar Creutziger gebeten, An E. k. f. g. zu schreiben vnd bitten, das E. k. f. g. yhm gnediglich wolten vergonnen zu seiner hochzeit das Schlos Eilenburg. Denn er sonst nirgent wol hin weis, weil es zu Leyptzig oder Wittemberg nicht geschehen kan. E. k. f. g. werden sich wol wissen gnediglich zu halten. Denn solche sachen mus man helffen heben. Hie mit Gott befolhen, Amen«. 305   Vgl. Rörers Nachschrift Bos. q. 24f Bl. 44b –48a und den Zwickauer Codex Nr. XXX Bl. 41b-45a; vgl. ferner WA 41; XXXII. 306   Vgl. »Zwo || Hochzeit || Predigten || D. Mar. || Luther. || Wittemberg. || 1536« (VD16 L 4934 u. VD16 L 4929), Bl. Ei a [Hii b]. Vgl. hierzu WA 34 II; 583. 307   Vgl. WA 41; 562,29–563,18. Als Lesungstext wird Gen. 2, 18–24 zitiert, danach folgt das Gebet, in dem – Motive der Predigt aufnehmend – um den Segen Gottes für den Stand der Ehe, nicht jedoch konkret für das Brautpaar gebeten wird. 308   »Hoc tempore paschatis celebranda et praedicanda laeta resurrectio […]. Iam in einer predigt utrumque wollen zusamen ziehen: de resurrectione laeta Christi et nuptiis« (WA 41; 547,3 u. 7f). »Djeweil wir jtzt jnn der zeit sind, darinn man noch das Osterfest von der froelichen aufferstehung des HERRN Christi begehet, Und jtzt sich gebuert auch von der Hochzeit dem Ehestand zu ehren […] So wollen wir jtzt diese beide stueck (von der aufferstehung und vom Ehestand) zusamen zihen« (WA 41; 547,14–21). 309   »Accipimus textum ad Eph. 5. ›Mulieres subditae.‹ Totum illum locum legit usque ad finem capitis. Ibi S. Paulus beides inn ein ander geflochten den ehelichen stand et resurrectionem domini nostri« (WA 41; 547,9–548,1). Der Druck zitiert dann auch den Text bis zum Ende des Kapitels (WA 41; 547,23–548,19).

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war.310 Im Vergleich zu den anderen hier behandelten Kasualpredigten hat Luther also in der Eilenburger Hochzeitspredigt eigens einen Text für die Eheschließung ausgewählt, ohne dabei das Kirchenjahr unberücksichtigt lassen zu wollen. Luther geht zunächst auf die im Bibeltext entfaltete Analogie ein: Wie Christus das Haupt der Gemeinde sei, so solle in der Ehe der Ehemann über der Frau stehen. Die »hohe geistliche Ehe« zwischen Christus und der Kirche bilde somit das Vorbild für die »niedrige leibliche Ehe« zwischen Bräutigam und Braut.311 In diesem Vorbildcharakter bestehe für Luther das spezifisch christliche Eheverständnis, das sich von den heidnischen Vorstellungen über Monogamie unterscheide, obwohl auch dort Hurerei und Ehebruch unter Strafe gestellt seien.312 Weil Gott sich in seinem Sohn mit den Menschen vermählt habe, solle ein solcher Treuebund auch zwischen Mann und Frau gelten. Dies sei der Grund, die christliche Ehe wertzuschätzen. Denn wer im irdischen Sinn Ehebruch betreibe, der übe gleichsam auch Betrug an Gott, was insofern einem häretischen Akt gleichkomme. Deshalb haben Christen die Ehe »rein und heiliglich« zu halten.313 Er beruft sich hierbei auf die Bibelstelle 1. Thess. 4, 3f, deren Aussage lautet: »Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr die Unzucht meidet, dass ein jeder von euch wisse, sein eigenes Gefäß zu halten in Heiligkeit und Ehrbarkeit, nicht in leidenschaftlicher Begierde wie die Heiden, die Gott nicht kennen«.314 Die Heiligung beginne damit, den eigenen Leib als von Gott gestiftet wertzuschätzen, in dem die Seele – ja sogar Gott – wie gleichsam Wein in einem Gefäß inbegriffen liege.

310   Vgl. die Tabelle bei Herwarth Schade: Perikopen. Gestalt und Wandel des gottesdienstlichen Bibelgebrauchs (RGD 11), Hamburg 1978, 73–83, hier 82. Vgl. die Predigt vom 20. Sonntag nach Trinitatis, dem 10. Oktober 1535, WA 41; XXIX. 444–449. Außer der Hochzeitspredigt ist auch nur noch eine weitere Predigt Luthers über diese Verse überliefert. Vgl. ferner das Predigtregister in WA 22; LXXXIX. 311   WA 41; 548,29–31. Vgl. hierzu die Paralle bei Rörer WA 41; 548,5. 312   »[…] quanquam gentes haben ehestand hoch gehalten, ehebruch gestrafft, sed nescierunt Christum sponsum« (WA 41; 548,7f); »Denn wie wol auch die Heiden den Ehestand gepreiset und ehrlich gehalten haben wider die Hurerey und Ehebruch, Doch haben sie von dieser hohen Ehre nicht gewust« (WA 41; 548,32–34). 313   WA 41; 549,15. Im Vergleich zum Druck fällt bei Rörers Aufzeichnungen jedoch nicht der Begriff »rein« in Bezug auf die Ehe, sondern lediglich in Anlehnung an 1. Thess. 4, 3 die Formulierung »heiliglich und ehrlich« (WA 41; 549,6). 314  Im Kontext des Bibelzitats ist Luther wohl insbesondere auf den Begriff »Gefäß« (σκεῦος, vas) eingegangen. Rörer schreibt hierzu: »›Haec voluntas sanctificatio‹, ut nos heiliglich halten ut i. e. corpus suum vas in heilickeit und ehr, ut maritus, marita habet suum corpus, in quo anima, ut vinum in vas, et est vas animae, imo domini« (WA 41; 549,1–3). Im Druck lautet die Parallele: »›Das ist Gottes wille, Ewer heiligung, das jr meidet die hurerey, und ein jglicher unter euch wisse sein fas zu behalten jnn heiligung und ehren‹. ›Ewr Heiligung‹ (spricht er) das ist, das jr euch und ewrn leib und gliedmassen (darinn die seele als jnn einem fass behalten wird und lebt) heiliglich haltet« (WA 41; 549,17–21).

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Die geistliche Ehe zwischen Christus und Gemeinde bilde das Vorbild für die irdische Ehe, weshalb sich Mann und Frau in einem göttlichen Stand befinden.315 Umgekehrt zeige aber auch die irdische Ehe, wie innig man sich das Verhältnis zwischen Christus und der Gemeinde vorstellen solle.316 Die Sendung der Apostel, wie sie beispielsweise in Joh. 20, 21 beschrieben wird, sei mit derjenigen Sitte im Rahmen der Vorbereitung einer Hochzeit gleichzusetzen, bei welcher der Bräutigam Freier losschickt, um an seiner Stelle für die Braut zu werben.317 Auch Paulus sehe sich als eine Art Freier an, wenn er in 2. Kor. 11, 2 schreibt: »Denn ich eifere um euch mit göttlichem Eifer«.318 Und Predigt sowie Taufe glichen den Vorbereitungen einer Braut, bevor sie zum Altar geführt werde.319 Im Druck wird hier auch auf Gen. 24 verwiesen, worin Abraham seinen Knecht beauftragt, nach Haran zu reisen, um dort auf Brautschau für seinen Sohn Isaak zu gehen. Eine solche Brautwerbung erfolge täglich in der Predigt, wenn verkündigt werde, dass Christus sich selbst gegeben habe und am dritten Tage auferstanden sei zur Vergebung der Sünden.320 So dürfe man sich als Christ glücklich schätzen, dass Christus, der ein so schöner und reiner Bräutigam sei, eine solch sündige und hässliche Braut, die nicht viel mehr als ein »armer madensack« sei, auserwählt habe.321 Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, wie Luther die Ehe als hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis biblischer Aussagen anwendet und auf das christliche Heilsgeschehen abbildet. Die Heiligung der Christen interpretiert er 315   Die Einordnung der Ehe als göttlicher Stand findet sich allerdings nur im Druck: »Und zeigt hiemit gnugsam an, das dieser stand ein Goettlicher stand sey« (WA 41; 549,34f). 316   »[…] weil er jn [den Stand der irdischen Ehe] erwelet und setzet zu solchem heiligen Exempel oder fuerbilde der geistlichen Hochzeit« (WA 41; 549,35f). 317   »›Sicut misit me pater‹, […]. Ista missio non est aliud quam emittere procos, qui sollen braud holen, werden, bringen. Sicut sponsus emittit, Sic Christus« (WA 41; 550,2–4). »›Wie mich der Vater gesand hat, also sende ich euch‹, […]. Da richtet er selbs diese Hochzeit an als eine frucht und folge, darumb er aufferstanden ist, Denn dis senden der Apostel ist nichts anders denn das wir auff deudsch sagen: Freier aus schicken, die umb die Braut werben sollen« (WA 41; 550,20–24). 318   »Sol prius rein werden, et per boten. Paulus rhuemet sich unum freyer, boten ad Cor. ›Zelavi‹ &c.« (WA 41; 550,6f). »Also rhuemet Sanct Paulus, das er sey ein solcher Bote oder Freier, von Christo ausgesand, als er spricht jnn der Ersten zun Corinthern am eilfften Capit.: ›Jch eivere umb euch mit Goettlichem eiver‹« (WA 41; 550,32–34). 319   »Also hat jm Christus eine Braut erwelet […] die Gemeine oder Christenheit, und die selbe zubereitet durch das wort und die wassertauffe« (WA 41; 550,26–28). 320   »Gleich wie der knecht Abrahe, so seinem son Jsaac eine Braut holet […]. Solchs geschicht nu teglich jnn der Christenheit durch das predigt ampt« (WA 41; 550,38–551,19). 321  »Er ist der schon sponsus, vita aeterna, warheit, sterck, eitel gnade et eternum incomprehensibile, tam magna, ut non ausprechen et in ewigkeit dran zusehen. Nonne gros, heimlich schatz, quod der arme madensack in peccatis natus, conceptus venit in istam gloriam, ut iactare possit omnia Christi sua? Et Christianus econtra minimus, qui dat ei calicem &c.« (WA 41; 555,3–7). »Wer kan es gnugsam […] bedencken? Das ein armer madensack, jnn sunden empfangen und geborn, sol zu solcher herrligkeit komen […]. Was ist er aber? oder was sind wir? Er ist der schone Breutgam, gantz rein und on alle gebrechen, […]. Da gegen sind wir arme, elende Creaturn vol sunde und unflat« (WA 41; 554,31–555,16).

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als eine Trauungszeremonie, in der der Christ die Braut darstellt, der Prediger die Brautwerbung vornimmt, Wort und Taufe die Vorbereitung und Reinigung der Braut markieren, um sich schließlich mit Christus als Bräutigam zu vereinigen. Die Eilenburger Predigt ist somit ganz und gar verwoben mit der Tradition der mittelalterlichen Brautmystik sowie Luther sie von Bernhard von Clairvaux übernommen und in seine Theologie integriert hat.322 An ihr lässt sich exemplarisch erkennen, wie Luther konsequent die Brautmystik auf den konkreten Fall einer Kasualhandlung anwendet und damit sein Eheverständnis profiliert.

3.4 Für Domdechanten Sigmund von Lindenau und seine Gattin in Merseburg (4. August 1545) Das im Jahr 986 gegründete Bistum Merseburg, dessen Hochstift zwischen Saale und Mulde die vier Ämter Merseburg, Schkeuditz, Lauchstädt und Lützen umfasste, war ursprünglich ein Territorium in Reichslehen, bei dem der Bischof nicht nur die kirchliche, sondern auch die weltliche Hoheit vom Kaiser übertragen bekam.323 Der politische Einfluss nahm jedoch ab, als 1354 dem Meißner Markgrafen Friedrich dem Strengen das Schutzrecht über das Territorium verliehen wurde, das sich im 15. Jahrhundert zunehmend zu einem Bestimmungsrecht wandelte.324 Infolge der Leipziger Teilung 1485 wurde die Schutzherrschaft über das Hochstift Merseburg dem albertinischem Herzogtum zugesprochen, während die ernestinische Seite für die Region Naumburg-Zeitz verantwortlich war. Insofern konnte Georg von Sachsen durch sein Besetzungsrecht im Merseburger Domkapitel die von ihm betriebene romtreue Religions Vgl. Rainer Schwarz: Mystischer Glaube – die Brautmystik Martin Luthers, in: Zeitwende 52 (1981), 193–205; Ders.: Martin Luther (1483–146). Christus, Bräutigam seiner Kirche, in: Gerhard Ruhbach/Josef Sudbrack (Hg.): Christliche Mystik. Texte aus zwei Jahrtausenden, München 1984, 276–284; vgl. ferner Volker Leppin: Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2016. Zur Brautmystik von Bernhard von Clairvaux vgl. Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. 1: Die Grundlegung durch die Kirchenväter und die Mönchstheologie des 12. Jahrhunderts, München 22001, 249–268. 323   Einen lohnenden Überblick bietet Heiko Jadatz: Fürst Georg III. von Anhalt und die sächsisch-albertinische Kirchenpolitik. Sein Wirken als Koadjutor in geistlichen Dingen zu Merseburg (1544–1548), in: Achim Detmers/Ulla Jablonowski (Hg.): 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt (Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde, Sonderband), Köthen 2008, 62–80. Eine Auflistung der Pfarr- und Filialkirchen sowie präzises Kartenmaterial findet man bei Karlheinz Blaschke u. a. (Hg.): Die Kirchenorganisation in den Bistümern Meißen, Merseburg und Naumburg um 1500, Weimar 1969, 33–36. 54; vgl. ferner Leo Böhnhoff: Das Bistum Merseburg, seine Diözesenangrenzen und seine Archidiakonate, in: NASG 32 (1911), 201–269; Brigitte Streich: Die Bistümer Merseburg, Naumburg und Meißen zwischen Reichsstand und Landsässigkeit, in: Roderich Schmidt (Hg.): Mitteldeutsche Bistümer im Spätmittelalter, Lüneburg 1988, 53–72; Paul Fridolin Kehr (Hg.): Urkundenbuch des Hochstifts Merseburg, Teil 1: 962–1357 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 36), Halle 1899. 324  Vgl. Eike Wolgast: Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648 (BGRK 16), Stuttgart 1995, 237–253. 322

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politik weiter aufrechterhalten. Ihm oblag es, zwei Stellen zu besetzen, zwei weitere Kanonikate waren zur Versorgung der Leipziger Professoren reserviert.325 So erfolgten antireformatorische Maßnahmen wie beispielsweise die konsequente Umsetzung der Bulle »Exsurge Domine«, auf deren Grundlage Bischof Adolf von Merseburg (1458–1526) die Verbreitung der Schriften Luthers verbot.326 Nach dem Tod Georgs von Sachsen im Jahr 1539 bemühte sich sein Bruder Heinrich der Fromme durch Kirchenvisitationen, Stellenbesetzungen und Aufstellung evangelischer Kirchenordnungen um die Einführung der Reformation in seinem Gebiet, wogegen sich jedoch der seit 1535 regierende Bischof Sigismund von Lindenau sperrte, indem er das albertinische Schutzbündnis durch kaiserlichen Beschluss 1539 aufkündigen ließ.327 Dies verhinderte zwar die Absetzung des Bischofs, doch nicht weitergehende reformatorische Maßnahmen auf der unteren Ebene, die in der Nachfolge seines Vaters ab August 1541 Moritz von Sachsen förderte. So kam es am 1. Juli 1543 in Merseburg zur ersten evangelischen Predigt in der Stadtkirche St. Maximi durch den Lizenziaten Lorenz Reinhart.328 Nach dem Tod des Bischofs Sigismund von Lindenau am 14. Januar 1544 gelang es Moritz durch politischen Druck und finanzielle Anreize, dass das Domkapitel dessen jüngeren Bruder Herzog August als weltlichen Administrator im Hochstift einsetzte.329 Dieser wiederum ernannte zwei Tage später sogleich den 325   Zur Einführung der Reformation in Merseburg vgl. Peter Gabriel: Fürst Georg III. von Anhalt als evangelischer Bischof von Merseburg und Thüringen (1544–1548/50), Frankfurt am Main 1997, 107–153; Ders.: Evangelischer Bischof von Merseburg. Fürst Georg III. von Anhalt, in: Werner Freitag (Hg.): Mitteldeutsche Lebensbilder. Menschen im Zeitalter der Reformation, Köln u. a. 2004, 119–141; vgl. ferner Albert Fraustadt: Die Einführung der Reformation im Hochstifte Merseburg, größtenteils nach handschriftlichen Quellen dargestellt, Leipzig 1843; Franz Lau: Georg III. von Anhalt (1507–1553). Erster evangelischer »Bischof« von Merseburg, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität 3 (1953/54), 139–152. 326  Vgl. Heiko Jadatz: Fürst Georg III. von Anhalt und die sächsisch-albertinische Kirchenpolitik. Sein Wirken als Koadjutor in geistlichen Dingen zu Merseburg (1544–1548), in: Achim Detmers/Ulla Jablonowski (Hg.): 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt (Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde, Sonderband), Köthen 2008, 62–80, hier 63. 327  Vgl. Albert Fraustadt: Die Einführung der Reformation im Hochstifte Merseburg, größtenteils nach handschriftlichen Quellen dargestellt, Leipzig 1843, 80. 328   Vgl. aaO., 128; Peter Gabriel: Fürst Georg III. von Anhalt als evangelischer Bischof von Merseburg und Thüringen (1544–1548/50), Frankfurt am Main 1997, 104; Günter Ott: Wirkungen der Reformation in und um Merseburg, in: Ernst Bammel u. a. (Hg.): … und fragten nach Jesus, Beiträge aus Theologie, Kirche und Geschichte, FS Ernst Barnikol, Berlin 1964, 186–197, hier 193; Günther Wartenberg: Landesherrschaft und Reformation. Moritz von Sachsen und die albertinische Kirchenpolitik bis 1546 (QFRG 55), Gütersloh 1988, 194. 329   Den Plan formulierte Moritz bereits in einem Brief vom 20. Januar 1544: »[…] so trügen wir ganz keinen zweifel, es sollten auch die wege zu finden sein, dasss das capitel zu Merseburg unsern bruder, hz. Augustum, zu einem administratorium postulieren sollte« (Erich

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Magdeburger Dompropst Herzog Georg III. von Anhalt-Plötzkau als Koadjutor zur Verwaltung der geistlichen Aufgaben.330 Martin Luther ordinierte ihn am 2. August 1544 im Merseburger Dom.331 Neben Nikolaus von Amsdorf 1542 kann insofern Georg III. als zweiter Bischof genannt werden, den Martin Luther in sein Amt ordinierte, auch wenn es sich im präzisen Sinn um die Koadjutorenstelle handelte. Die von Melanchthon erstellte Urkunde vermied den Bischofstitel,332 und auch Georg gebrauchte den Titel während seiner Amtszeit nicht.333 Die erste Amtshandlung Georgs war die Eheschließung des Domdechanten Sigismund von Lindenau, der den gleichen Namen wie der verstorbene Bischof trug, der sein Onkel war.334 In einem Mandat hatte Georg das Konkubinat verboten, die Ehe den Prälaten jedoch freigestellt. Da der Domdechant nun schon Brandenburg (Hg.): Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 2, Erste Hälfte: (1544–1545), Leipzig 1903, Nr. 566, 15,22–24). 330   Als Alternativplan wurde erwogen, Georg III. in regulärer Weise vom Domkapitel zum Bischof wählen zu lassen, um dann unverzüglich die weltliche Regierung an Herzog August abzugeben. Doch die Gefahr, dass das Domkapitel die Kandidatur Georgs ablehnte und stattdessen einen altgläubigen Vertreter einsetzte, war zu hoch. Vgl. Heiko Jadatz: Fürst Georg III. von Anhalt und die sächsisch-albertinische Kirchenpolitik. Sein Wirken als Koadjutor in geistlichen Dingen zu Merseburg (1544–1548), in: Achim Detmers/Ulla Jablonowski (Hg.): 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt (Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde, Sonderband), Köthen 2008, 62–80, hier 67; Friedrich Westphal: Zur Erinnerung an Fürst Georg den Gottseligen zu Anhalt zum 400jährigen Geburtstage am 15. August 1907, Leipzig 1907, 42–57, hier besonders 43f. 331  Vgl. Peter Gabriel: Fürst Georg III. von Anhalt als evangelischer Bischof von Merseburg und Thüringen (1544–1548/50), Frankfurt am Main 1997, 139–147; Eike Wolgast: Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648 (BGRK 16), Stuttgart 1995, 247f; Paul Flemming: Die Ordinationen evangelischer Geistlicher zu Merseburg in den Jahren 1545–1548, in: ZVKGS 16 (1919), 1–25, hier 5f. 332   Vgl. das Ordinationszeugnis für Fürst Georg von Anhalt vom 2. August 1545 in WA B 11; Nr. 4141, 155–158; Georg Buchwald (Hg.): Die Matrikel des Hochstifts Merseburg 1469 bis 1558, Weimar 1926, 177f. Vgl. ferner Heiko Jadatz: Fürst Georg III. von Anhalt und die sächsisch-albertinische Kirchenpolitik. Sein Wirken als Koadjutor in geistlichen Dingen zu Merseburg (1544–1548), in: Achim Detmers/Ulla Jablonowski (Hg.): 500 Jahre Georg III. Fürst und Christ in Anhalt (Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde, Sonderband), Köthen 2008, 62–80, hier 72. 333   In dem Bericht, den er am Tag seiner Ordination an seinen Bruder Joachim verfasste, verwendete er bewusst nicht den Begriff »episcopus«, sondern unterschrieb als »Georgius presbyter«. Vgl. in dem von Paul Daniel Longolius herausgegebenen Druck: Georg III. von Anhalt-Plötzkau: Des weiland Hochwürdigsten und Durchlauchtigsten Fürsten. Georgen, Fürsten zu Anhalt, Dom-Probsten zu Magdeburg und Meissen […] Geistreiche Predigten Und übrige sämmtliche Teutsche Schrifften, Hof im Voigtlande 1741, 72 [VD 18 1034828X]. Zum Brief vgl. ferner Friedrich Westphal: Zur Erinnerung an Fürst Georg den Gottseligen zu Anhalt zum 400jährigen Geburtstage am 15. August 1907, Leipzig 1907, 53. 334   Domdechant Sigismund von Lindenau war der zweitälteste von fünf Söhnen des Kaspar von Lindenau, welcher ein Bruder von Bischof Sigismund war. Zu Georgs Amtszeit war er ein wichtiger Berater des Konsistoriums. Sein Sterbedatum ist unbekannt. Gemeinsam mit seiner Frau hatte er drei Söhne: Christian, Sigismund und Georg Kaspar. Vgl. WA B 11; 157, Anm. 5.

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seit 1538 in einem Konkubinat lebte, war die öffentliche Eheschließung eine Amtshandlung mit Signalwirkung.335 So wurde das Brautpaar am 4. August von Georg und Luther in den Dom geführt. Während Georg die Trauzeremonien durchführte, hielt Luther zu diesem Anlass die Predigt. Die Predigt entfaltete eine besondere Wirkungsgeschichte. Erik Margraf sieht in ihr eine der ersten Predigten auf dem Weg zur Etablierung der gedruckten Hochzeitspredigten als Kasualschrift.336 Überliefert ist die Predigt durch zwei Drucke der Wittenberger Werkstatt Georg Rhaus aus dem Jahr 1546. Beide Auflagen unterscheiden sich dadurch, dass in dem wohl früheren Druck oberdeutsche Eigentümlichkeiten in der Schreibweise zunächst belassen wurden, die dann im zweiten Druck zum Teil durch Wittenberger Formen ersetzt wurden.337 Die Drucke enthalten ebenfalls die am 6. August in Merseburg gehaltene Predigt Luthers über Ps. 8, 2.338 Beide Predigten wurden vom Hallenser Pfarrer Matthias Wanckel mit einem Vorwort versehen und bearbeitet, dessen Predigtvorlagen jedoch nicht mehr existieren. Als Predigttext wählte Luther Hebr. 13, 4: »Die Ehe werde von allen in Ehren gehalten und das Ehebett bleibe unbefleckt; denn Unzüchtige und Ehebrecher wird Gott richten«. Der Text zählt nicht zu den üblichen Perikopen des Kirchenjahres. Jedoch predigte Luther bereits einmal, vermutlich am 8. Januar 1531, über diesen Vers, als er in Wittenberg ein nicht mehr zu identifizierendes Paar traute. Diese Predigt wurde dann ausgearbeitet und mehrfach in leicht verschiedenen Versionen abgedruckt.339 Inhaltlich ergeben sich vielfache Überschneidungen der Wittenberger mit der Merseburger Predigt. So kehren in der Merseburger Predigt beispielsweise die schöpfungstheologische Begründung der Ehe340 und die Polemik gegenüber den Befürwortern des Zölibats wieder.341 Doch lassen sich auch einige Unterschiede erkennen. So wird in der Wittenberger Predigt ausführlich eine Argumentation entfaltet, die in der Merseburger Predigt fehlt. Denn dort verweist Luther auf den Unterschied zwischen einem Mörder, der einem Menschen den Kopf abgehauen hat, und einem Richter, der einen Menschen zum Tode bestraft. Die Tat habe rein äußerlich dasselbe Ergebnis. Jedoch sei das eine Unrecht, das andere aber Recht. Genauso verhalte es sich mit dem Beischlaf: Die Taten seien gleich, aber das eine Mal handele es sich um 335  Vgl. Albert Fraustadt: Die Einführung der Reformation im Hochstifte Merseburg, größtenteils nach handschriftlichen Quellen dargestellt, Leipzig 1843, 182f. 336  Vgl. Erik Margraf: Die Hochzeitspredigt der Frühen Neuzeit, München 2007, 259f u. 196. 324f. 524. 583. 337  Vgl. Benzing/Claus, Nr. 3527 = VD16 L 5713 u. Benzing/Claus, Nr. 3528 = VD16 L 5714 sowie ohne Nummer bei Benzing/Claus VD16 L 5711 u. VD16 L 5712. Vgl. WA 49; L-LII. 338   Vgl. WA 51; VII. 11–22. Vgl. ferner WA T 5; Nr. 5375k u. WA 48; 228–233. 339   Vgl. WA 34 II; 581–583 (Einleitung), WA 34 I; 50–76. 340   Vgl. WA 34 I; 52,22–27 u. WA 34 I; 53,10–16 mit WA 49; 797,32–798,11. 341   Vgl. WA 34 I; 54,6–16 u. WA 34 I; 53,31–55,5 mit WA 49; 799,13–22 u. WA 49; 800,24f.

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Hurerei, das andere Mal um den Vollzug der Ehe.342 Außerdem fehlt in der Merseburger Predigt der ausführliche Verweis auf eine vermeintliche Aussage Augustins, wonach der Ehevollzug nichts Verwerfliches sei, wenn das Ehepaar auf einmal von der Wiederkehr Christi überrascht werden würde.343 Trotz der Parallelen macht die Merseburger Predigt insgesamt den Eindruck einer eigenständigen Auslegung, obwohl es nicht unmöglich erscheint, dass sich Luther zur Vorbereitung noch einmal den früheren Druck angeschaut haben könnte. Die Kanzelrede Luthers kann als Themenpredigt oder als Auslegung des Bibelverses gelesen werden. Je nach Perspektive verändert sich die Gliederung. Aus thematischer Perspektive lassen sich trotz aller Redundanzen zwei Hauptthemen erkennen, die zu Beginn angedeutet werden.344 Luther will zum einen Wesen und Herkunft des heiligen Standes der Ehe klären und zum anderen den rechten Gebrauch der Ehe darlegen. Durch die Wiederholungen des Bibelverses hingegen ergeben sich nach einer Einleitung fünf Teile, in denen Luther auf verschiedene Aspekte des Textes eingeht.345 In der Einleitung betont Luther die Bedeutung, als Christ vom heiligen Stand der Ehe wissen und sich der Unzucht enthalten zu müssen. Mit 1. Thess. 4, 3–5 begründet er, dass die Christen in Heiligkeit und nicht nach der »Lustseuche« wie die Heiden leben sollen.346 Denn die Ehe sei der älteste Stand der Welt und der Ursprung aller anderen Stände.347 Hierzu führt er sowohl biblische als auch vernunftbezogene Argumente an. Der Ursprung der Ehe rühre von Adam und Eva her und sei von Gott verordnet, wie es in Gen. 1, 27 ausgedrückt ist: »Da schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde: nach dem Bilde Gottes schuf er ihn; als Mann und Weib«.348 Auch aus Sicht der Vernunft leuchte die Ehe ein. Denn der Lebensbeginn aller Menschen erfolge durch die Geburt.349 Kein   Vgl. WA 34 I; 54,29–56,31 u. WA 34 I; 55,30–57,20.   Vgl. WA 49; 801,26–32. 344   »Das ist ein Predigt vom heiligen Ehestand fast hoch von noeten, furnemlich bey den Christen, das alle menschen wissen muegen, was doch der heilige Ehestand fur ein stand sey und woher er kome [1. Thema], das wir nicht also angefehr jnn tag dahin leben wie die Heiden und unvernnfftige thier, die darnach nicht fragen noch dencken, Sondern leben on unterscheid aller vormischung und vormengung dahin [2. Thema]« (WA 49; 797,19–24). Der Übergang zum zweiten Thema erfolgt mit der Zusammenfassung: »Man weis nu, was der Ehestand sey, nemlich Gottes geschoepff und ordenung, und was dazu gehoere, nemlich ein Menlin und Frewlin« (WA 49; 802,33f). 345   Nach der Einleitung (beginnend mit WA 49; 797,15) erfolgen die Zäsuren wie folgt: 1. Teil (ab WA 49; 799,25), 2. Teil (ab WA 49; 800,11), 3. Teil (ab WA 49; 801,22), 4. Teil (ab WA 49; 804,1), 5. Teil (ab WA 49; 804,12). 346   Vgl. WA 49; 799,19–31. 347   »Von diesem heiligen stand und Goettlicher ordnung der ehe ist viel zu predigen, Denn es ist der eltist stand unter allen der gantzen welt, ja, alle andere komen aus dem her« (WA 49; 797,32–798,1). 348   Vgl. WA 49; 798,1–5. 349   »So beweist auch die teglich geburt und ankunfft aller menschen, das Gott sein geschoepff und ordenung, den heiligen Ehestand, also gehalten haben wil« (WA 49; 798,9–11). 342 343

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Mensch könne sich selbst erschaffen.350 Gegen die Hochschätzung der Ehe toben nach Meinung Luthers insbesondere die Papisten.351 Wenn der Papst wie Gott die Macht hätte, Menschen zu erschaffen, würde er keine Frauen, sondern lediglich Männer kreieren.352 Dies hätte jedoch zur Folge, dass die Menschheit aussterben müsste, da niemand ohne Mutter geboren werden könne.353 Insofern hebt Luther an dieser Stelle die besondere Rolle der Frau in wertschätzender Weise hervor. Durch den Sündenfall seien jedoch einige Menschen für die Ehe nicht geeignet.354 Diese will Luther auch nicht verurteilen.355 Doch sollten sie dann ein enthaltsames Leben in Ehelosigkeit führen. Andere wiederum seien den Aufgaben einer Ehe gewachsen, wollten aber keine Ehe eingehen.356 Sodann gäbe es auch eine Gruppe von Menschen, denen es bislang verboten war, zu heiraten, obwohl sie den Aufgaben der Ehe gewachsen seien. Das sei Unrecht, da die Ehe von niemandem verboten werden dürfe, sondern grundsätzlich allen Menschen offenzustehen habe.357 Zur letzten Gruppe zählt auch Domdechant Sigismund von Lindenau, den Luther wegen seines jahrelang geheim gehaltenen Konkubinats hier sicherlich vor Augen hatte. Wer sei nun so kühn, den von Gott verordneten Ehestand zu kritisieren? Die Kardinäle, Mönche, Nonnen und Pfaffen täten es und wollten sich einen eigenen heiligen und keuschen Stand schaffen. Doch wie keusch dieser Stand ge-

350   »So mŮssen wir je alle sagen und bekennen, das wir uns nicht selber gemacht noch geschaffen haben« (WA 49; 798,12f). 351   »Noch toben und wŮten die leute, sonderlich die Papisten on alle mas widder diese herrliche schoepffung Gottes« (WA 49; 798,20–22). 352   »Und so es jnns Bapsts hand und gewalt stŮnde menschen schaffen, mŮst es auch nicht also sein, Denn er wŮrd kein weibs bild schaffen noch sein lassen jnn der gantzen welt« (WA 49; 798,22–24). 353   »[…] so mŮsten die menschen vergehen. Denn das ist je gewis, das niemand on Muter geborn wird, sondern was geborn wird, das kompt von der muter her« (WA 49; 798,25–27). 354   »[…] dieweil wir sind durch den fal unserer ersten eltern so verderbet, das wir nicht alle tŮchtig sind ehelich zu werden« (WA 49; 798,32f). Der im Folgenden zu rekonstruierende Abschnitt in WA 49; 798,31–799,3 unterscheidet drei Gruppen von Menschen (»Die dritten aber«, WA 49; 798,39). Beim genauen Durchdenken ergeben sich jedoch fünf Gruppen. Für die Ehe geeignete Menschen, die wollen (1.) und die nicht wollen (2.); für die Ehe ungeeignete Menschen, die wollen (3.) und die nicht wollen (4.) und Menschen, denen die Ehe verboten wird, obwohl sie wollen und dafür geeignet sind (5.). 355   »Etliche aber, die gern wolten ehelich werden, sein unvermŮglich dazu, diese verdamme und verwerffe ich auch nicht« (WA 49; 798,38f). 356   »[…] so sollen doch die jenigen, so zum ehestand untŮchtig, so leben, das sie zŮchtig und erbarlich wandeln, niemand ergerlich sein« (WA 49; 798,33–35). 357   »Die dritten aber, die da begern und wollen ehelich sein, sind auch geschickt und tŮchtig dazu, dieselbige, wenn sie schon widder der menschen verbot sich jnn Ehestand begeben, thun sie recht daran, und sol sich niemands an jhnen ergern, Denn der ehestand sol niemands, der dazu tŮchtig, verboten, sondern jderman frey und offen stehen« (WA 49; 798,39–799,3).

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wesen sei, darüber habe man sich überall geklagt. Ein Saustall sei reiner als die Klöster.358 Nach Wiederholung des ersten Halbverses des Predigttextes setzt Luther im ersten Teil – neben seiner durchgängigen Polemik gegen die Papstkirche – den Akzent auf die Dankbarkeit für den Ehestand. Die Menschen könnten Gott dafür danken und stolz darauf sein, dass er sie als Mann und Frau geschaffen habe, um sich in den Stand der Ehe begeben und Kinder zeugen zu können.359 Dagegen hasse der Papst den Ehestand und schaue sauer drein. Doch sollten sie lieber einen Blick in die Klöster werfen, die unreine und beschmutzte Hurenhäuser seien.360 Der Mensch dürfe fröhlich und getrost in der Ehe sein, da er wisse, dass Gott, die Engel, Sonne, Mond und Sterne ihn freundlich anschauten.361 Daher könne man dem Teufel, den Päpsten, Kardinälen und Mönchen, wenngleich tausend auf einem sitzen würden, trotzen, was Luther mit der Redewendung ausdrückt, dass man ihnen ein Schnippchen schlagen bzw. gegen sie mit dem Finger schnipsen solle.362 Wenn sie nicht hören wollten, »so sehen sie jnns Teuffels namen dem Marcolffo jnn sein spiegel«. Damit spielt Luther auf das mittelalterliche Epos von Salman und Morolf bzw. Marcolfus an, in dem orientalische Stoffe des Königs Salomon in strophischer Dichtung verarbeitet wurden.363 Morulf, der Bruder des Königs Salman von Jerusalem, warnt seinen 358   »Der Bapst mit seinen Cardinelen, MŮnchen, Nonnen und Pfaffen habens besser machen wollen und ein heiligen stand ordenen, darinnen sie heilig und keusch leben mochten, Aber wie heilig, rein und keusch beide, Bapst, Cardinel, Bisschoff, Moench, Pfaffen und Nonen, gelebt haben, ist am tag also, das Son, Mond und Stern darŮber geklagt haben. Sewstell sind unfletige und unreine stelle, aber gegen den Cloestern sind sie schon und rein zurechen« (WA 49; 799,13–18). 359   »[…] hie kan ein man sagen: ich dancke Gott, das ich von Gott zum mans bild geschaffen bin, Jtem ein weib: Jch dancke Gott, das ich zum weibsbilde geschaffen bin, das wir auch von Gott jnn den heiligen Ehestand gesetzt sind, kinder zu zeugen nach seinem segen und willen« (WA 49; 799,28–31). 360   »Alhie aber las man sawer sehen Bapst, Cardinel, Moenchen, Nonnen und Pfaffen, was fragen wir darnach? wollen sie uns nicht ansehen mit freundlichen und reinen augen, so moegen sie das Hurhaus ansehen und die unreine, unfletige und beschmeiste Cloester« (WA 49; 799,35–38). 361   »Weil ich das weis und gewis gleube, so bin ich froelich und getrost und lebe mit gutem gewissen und froelichem gemŮt jnn dem heiligen orden des Ehestands. Denn da spricht Gott zum Man: du bist mein mensch, zum Weib: du bist mein frewichen, Und dieweil ich das weis, das Gott so zu mir spricht, so weis ich auch, das alle engel so sagen, mich lieben und ansehen, Jch weis auch, das Sonne und Mond und alle sterne auff mich sehen und mir mit jhrem schein und wirckung dienen« (WA 49; 799,41–800,6). 362  »[…] wens gleich den Teuffel mit seinen schuppen, den Bepsten, Cardineln und MŮnchen sehr verdreust, die auch des Teuffels sein, den schlahe ich ein klippichen dagegen, und wenn jhr gleich tausent auff einem sessen, da frage ich nicht nach« (WA 49; 800,6–9 u. die Nachträge zur S. 800, WA 49; 848). Vgl. die Artikel ›Klippchen‹, ›Klipplein‹ und ›Schnippchen‹ in: Jakob Grimm/Wilhelm Grimm (Hg.): Deutsches Wörterbuch, Bd. 11, Leipzig 1874, Nachdruck München 1993, 1200. 1209 u. Bd. 15, Leipzig 1899, Nachdruck München 1991, Sp 1333. Vgl. ferner WA 29; 267,19; WA 49; 18,24; WA T 5; 456,6. 363  Vgl. Wolfgang Spiewok/Astrid Guillaume (Hg.): Salman und Morolf. Mittel-

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Bruder immer wieder vor den Täuschungen von dessen Frau, der heidnischen Königin Salme. Doch Salman ignoriert die Warnungen. Auf diese ablehnende Haltung spielt Luther an, wenn die Kritiker der Ehe in den Spiegel Morolfs schauen.364 Mit dem Zitat von Hebr. 13, 4b »Unzüchtige und Ehebrecher wird Gott richten« hebt Luther im zweiten Teil die Verdammung der Ehebrecher hervor. Gott richte lediglich die Hurerei, nicht aber die Ehe. Denn ansonsten müsse Gott als derjenige, der die Ehe geschaffen hat, sich selber richten.365 Deshalb solle man nicht auf den Papst und dessen Ablehnung der Ehe hören, der doch selbst von einer Ehefrau geboren wurde.366 Um den Zölibat zu begründen, werde auf Gottes Wort an die Priester in Jes. 52, 11 verwiesen: »Geht weg aus ihrer Mitte, reinigt euch, die ihr des Herrn Geräte tragt!«.367 Doch dabei werde vernachlässigt, dass die Priester damals in einer Ehe lebten. Die Reinigung beziehe sich also nicht auf die Ehe, sondern auf die Besserung der Gesinnung.368 Dabei betont Luther, nicht gegen das Gelübde der Ehelosigkeit zu sein. Hierzu inszeniert er einen virtuellen Dialog zwischen ihm und einem Geistlichen: 369 Der Geistliche hält ihm vor, das Gelübde, das er vor Gott abgelegt habe, halten zu müssen.370 Luther entgegnet ihm, dass er diese Haltung auch respektieren würde. Doch er fragt zurück, warum er trotz des Gelübdes nicht keusch lebe.371 Auf die Antwort, der Geistliche könne es aber nicht, erwidert Luther, dieser sei ein »Hans Wurst« bzw. ein Narr. Deshalb sei ein solches Gelübde so absurd wie das Versprechen, sich selbst nicht die Nase hochdeutsch/neuhochdeutsch (Wodan 60), Greifswald 1996; Sabine Griese: Salomon und Markolf. Ein literarischer Komplex im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Studien zur Überlieferung und Interpretation (Hermaea, Neue Folge 81), Tübingen 1999. 364   Laut den Nachträgen der Weimarer Ausgabe soll mit dem Wort »Spiegel« sinnbildlich der Hintern gemeint sein. Vgl. den Nachtrag zu WA 49; 800,10 in WA 49; 848. 365   »›Die hurer aber und die ehebrecher wird Gott richten [Hebr. 13, 4b].‹ Und stehet nicht: Gott wird die ehelichen richten noch verdammen, sondern die Hurer und Ehebrecher, Denn so Gott die Eheleut verdammen und richten wolt, so must er sich selbst verdammen« (WA 49; 800,12–15). 366   »Was frag ich darnach, das mich der Bapst richt und verdammet, der doch selbst von eim weib geborn und eins weibs, seiner muter, brŮst gesogen hat« (WA 49; 800,17–19). 367   »›Gehet aus von jhr, reiniget euch, die jhr des herrn gerete traget [Jes. 52, 11].‹ Mit dem spruch wollen sie jhren Celibat (das Priester nicht ehelich sein sollen) verteidigen und den Ehestand als unrein verdammen« (WA 49; 800,22–25). 368   »Denn im Alten Testament musten die Priester weiber haben und ehelich sein, zu denen sagt der Prophet: ›Reiniget euch‹, die ehelich waren« (WA 49; 800,27f). Die Stelle Jes. 52, 11, auf die sich Luther ansonsten nur selten in seinen Schriften beruft, verwendet er jedoch als Argument gegen den Papst in seiner Schrift »Von den Konziliis und Kirchen« aus dem Jahr 1539 (WA 50; 640,34–641,2). 369   Vgl. WA 49; 800,39–801,15. 370  »Hie sagen sie aber: Ja, wir haben Gott gelobet und geschworen, das wir keusch sein […], darumb darff ich nicht ehelich werden« (WA 49; 800,39–41). 371   »Darauff antwort ich: Recht, thue, das du gelobt hast, sey keusch und rein, Warumb heltestu es denn nicht, Warumb thustu es nicht?« (WA 49; 800,41–801,1).

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abbeißen zu wollen.372 Denn wer habe ihm ein solches Gelöbnis auferlegt, was wider Gott sei und er auch nicht halten könne? Dies könne nur der Teufel sein.373 Im dritten Teil geht Luther auf einen vermeintlichen Gedanken Augustins ein, der allerdings in dessen Schriften nicht nachweisbar ist.374 Augustin soll Luther zufolge einmal geschrieben haben, dass Eheleute, die sich gerade im Bett liebten, nicht ängstigen müssten, wenn genau in diesem Moment der Tag des Herrn anbrechen würde, da sie sich ordnungsgemäß im Ehestande befänden.375 Insofern dürfe man sich dessen gewiss sein, der Berufung Gottes nachzukommen, während unkeusche Zölibatsanhänger wider die Berufung Gottes handelten. Deshalb geleite man die Eheleute auch in die Kirche, damit sie öffentlich die Ehe bekennen, um keine Hurenehe zu führen.376 An dieser Stelle hält Luther einen kurzen Rückblick und beschließt das erste Thema. Ihm zufolge wisse man nun genügend über Wesen und Herkunft der Ehe.377 Im Folgenden wendet sich der Reformator dem zweiten Thema zu, in dem er den Schwerpunkt auf den rechten Gebrauch der Ehe legt. Hierzu verweist er auf das vierte Gebot, Vater und Mutter zu ehren. Ein solches Gebot könne nur gelten, wenn die Zweisamkeit in der Ehe von Gott gewollt sei.378 Was aber sei mit Paaren, die eine zeitlang unehelich miteinander gelebt hätten? Diese sollten Buße tun, schnellstmöglich in den Stand der Ehe treten und ein göttliches Leben führen.379 Bei diesen Worten müssten sich Sigismund von Lindenau und seine Gattin in besonderer Weise angesprochen gefühlt haben. Dem Einwand, dass auch in der Ehe viel Unreinheit sei, entgegnet Luther, dass eine solche Form der Unreinheit eigentlich in allen Menschen vorhanden   »Ja, ich kans nicht halten, sprichstu, Das ist ein rechter Hans Wurst, Warumb gelobestu, das du nicht weist noch vermagst zuhalten? Eins [aber] hab ich [= Luther] zu geloben, das ich auch halten kan, nemlich, das ich mir selber nicht wolle die nasen ab beissen« (WA 49; 801,2–5). 373   »Wiltu wissen, weme du keuscheit zu halten gelobt hast? Jch sage dirs: dem leidigen Teuffel« (WA 49; 801,13–15). 374   Vgl. den Nachtrag zu WA 49; 801,30 in WA 49; 849. 375   »Der heilige Augustinus schreibet an einem ort von Eheleuten, das, wenn gleich eins etwas gebrechlich were &c.. Sol sichs doch nicht fur dem ploetzlichen und unverselichem tage des Herrn fŮrchten, auch wenn der tag des Herrn gleich jnn der stunde kem, da man und weib ehelich beyeinander schlaffen, sollen sie sich nicht darumb foerchten noch erschrecken« (WA 49; 801,26–30). 376   »Darumb so leitet man auch Braut und Breutgam zur Kirchen, das sie offentlich bekennen, sie tretten nach Gottes ordenung jnn den heiligen Ehestand, das sie nicht ein Hurnehe fŮren wolle« (WA 49; 802,26–28). 377   »Man weis nu, was der Ehestand sey, nemlich Gottes geschoepff und ordenung, und was dazu gehoere, nemlich ein Menlin und Frewlin« (WA 49; 803,33f). 378   »›Ehre vater und muter‹ &c.. Warumb sol ich denn Vater und Muter ehren, fŮren sie doch ein fleischlich leben? Nein, es ist ein ehrlich und Goettlich leben« (WA 49; 803,6–8). 379   »Hastu aber ein zeitlang ausser dem stand jnn der unehe gelebt und ein hurn leben gefŮrt, Ey, so stehe ab und thue busse, begib dich jnn Ehestand und lebe furder ehelich und Goettlich, Da thustu recht und Christlich an« (WA 49; 803,11–14). 372

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sei. Da die Menschen essen und trinken, könnten sie gar nicht rein sein. Denn sie müssten sich ja säubern und putzen, ihre Unreinheit aus der Nase rotzen und schnauben.380 Auch bei Kindern finde man viel Rotz, Unflat und Ausstoß.381Allein bei Engeln finde man vollkommene Reinheit.382 Doch solche Formen der Unreinheit habe Hebr. 13, 4 auch nicht vor Augen gehabt. Denn dort beziehe sich die Reinheit lediglich auf die Treue in der Ehe. Dieser Gedankengang veranschaulicht, wie Luther mit den Begriffen »Reinheit« und »Unreinheit« spielt. Er bezieht sie auf verschiedene Kontexte und gibt ihnen dabei unterschiedliche Bedeutungen. In dem vierten kürzeren Teil fordert Luther dazu auf, mit keinem anderen Menschen Ehebruch zu betreiben, sondern sich mit seinem Ehepartner zu begnügen.383 Ohne sich vom Teufel und Papst beirren zu lassen, dürfe man sich der Ehe rühmen, weil das Ehebett von Gott als rein erachtet werde.384 Mit Wiederholung des gesamten Predigtverses kommt Luther zum Schlussteil. Wenn das Gericht Christi komme, dann hätten sich auch die Ehefeinde zu verantworten, die selber in Unzucht lebten.385 Die rechtens im Ehestand lebenden Menschen müssten hingegen nichts befürchten. Obwohl der Geschlechtsverkehr zur Zeugung von Kindern in gewisser Hinsicht ein unreiner Akt sei, entspreche er doch der Ordnung Gottes. Denn die Ehe sei dazu geschaffen, sich fortzupflanzen, wie ein Apfelbaum ebenfalls dazu da sei, Früchte zu tragen, auch wenn er unreine Raupen und Würmer in sich trage.386 Wer sich gegen die Ehe stelle, den bestrafe Gott sogar – nicht erst beim Jüngsten Gericht, sondern bereits in Diesseits. Denn Luther habe schon mehrere Hochstifte erlebt, bei denen Bischöfe, Turmherren und Vikare früh verstorben   »Aber hie hastu aber ein einrede: Wie kan das Ehebet rein sein, ist doch auch jnn der Ehe viel unreinigkeit? War ist es, Es ist nicht viel reines da, Wenn du aber unreinigkeit ansehen wilt, so sihe auch Jungfrawen und Gesellen stand an, Da ists warlich auch nicht alles rein, Denn weil sie essen und trincken, koennen sie nicht rein sein, mŮssen ja butzen, rotzen und schnuppen, und was der unreinigkeit mehr ist« (WA 49; 803,17–23). 381   »Es sind auch die kinder nicht rein, da ist rotz, unflat und griend und viel ander unreines« (WA 49; 803,28f). 382   »Ja wenn man von solcher reinigkeit und keuscheit sagen wil, als die Engel haben, die findestu nirgent« (WA 49; 803,26f). 383  »Redet nicht von der reinigung von essen und trincken, Sondern eheliche trew und pflicht, da eins dem andern glauben beweiset, sich aller ander Person enthelt und sich an seinem Ehelichen gemahl genŮgen lesset« (WA 48; 804,2–4). 384   »Wir sollen nu Gott dancken und loben, sollen uns auch rhŮmen dem leidigen Teuffel und dem Bapst zu wider, das wir aus reinem und unbeflecktem Ehebet geborn sein, denn das Ehebet ist rein fur Gott« (WA 49; 804,5–7). 385   »Hie ist das urteil gefellet, das kein Hurer noch Ehebrecher Gottes gericht entgehen werden, Da mŮssen unsere widdersacher, die Ehefeinde, auch her halten, und hilfft nicht, das sie rhŮmen und auff jhr gelŮbd pochen« (WA 48; 804,14–16). 386   »Denn ein apffel odder ander baum, der noch seiner art oepffel tregt, wird darumb nicht am JŮngsten tage gericht, das er oepffel tregt oder unrein von raupen und wŮrmen ist, Nein, denn er ist dazu von Gott geschaffen, oepffel und frŮcht zu bringen, Also auch Eheleute, das sie Ehelich sind und Kinder zeugen, rein und Ehelich leben« (WA 49; 804,22–27). 380

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seien. Alte Leute finde man in den Stiften eher selten, da Gott sie aufgrund ihres Tobens gegen seine heilige Ordnung bestraft habe.387 Stattdessen gebe Gott den Menschen, die gottesfürchtig in der Ehe lebten, Glück und Segen.388

3.5 Zwischenfazit Wie in der Forschung dargelegt, ist in Luthers Eheverständnis eine Entwicklung auszumachen. Eine Wende erfolgte im Jahr 1519. Sein monastisches Ideal, sein augustinischer Hintergrund und seine zölibatäre Lebensweise führten zu einem eher negativen Bild von der Ehe. Die christliche Partnerschaft von Frau und Mann wurde als notwendiges Übel zum Zeugen und Gebären der Kinder akzeptiert, der Geschlechtsakt selbst aber wurde als Sündenakt abqualifiziert. Vorbild im Rahmen seines Virginitätsideals war die nichtsexuelle Beziehung zwischen Maria und Josef. In einer späteren Phase änderte sich das Bild ins Positive. Die Kritik am zölibatären Leben, die Eheschließungen anderer Priester und seine eigene Partnerschaft mit Katharina von Bora brachten ihn dazu, die Ehe als von Gott eingesetzt anzusehen, wenngleich er den sakramentalen Charakter der Ehe ablehnte. Aus dieser späten Phase stammen die hier behandelten Traupredigten der Jahre 1528, 1536 und 1545. Wie bei den Traupredigten ergeben sich bei Hochzeitspredigten wertvolle Einblicke sowohl in seine Traupraxis als auch in sein Eheverständnis. Getraut wurden enge Freunde, aber auch der Adel, bei dem die Besiegelung des Ehebundes mitunter von politischer Bedeutung sein konnte, wie im Fall der Hochzeit von Herzog Philipp von Pommern-Wolgast und der sächsischen Prinzessin Maria, der Stiefschwester von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen. Auch die offizielle Vermählung des Domdechanten Sigmund von Lindenau mit seiner Gattin, der mit ihr zuvor jahrelang inoffiziell im Konkubinat gelebt hatte, war eine Hochzeit mit öffentlicher Signalwirkung. Bei der Hochzeit von Michael Stifel 1528 lag noch kein eigens ausgewählter Trauspruch der Traupredigt zugrunde. Dann bei der Trauung von Herzog Philipp vom Pommern kam es zu einer Zweiteilung der Predigt in Schriftauslegung und Themenpredigt, in der im zweiten Teil über die Ehe reflektiert wurde. Im Rahmen der Eheschließung von Caspar Cruciger und Sigmund von Lindenau erfolgte die Auswahl eines 387   »Ja Gott sparets nicht alles bis auff jhenen, den herrlichen tag Christi, Sondern strafft auch hie jnn diesem leben. Denn ich bin nicht seer alt, dennoch hab ich schier ein Stifft oder vier, mir bekant, gar nahe dreimal aus gelebt oder uberlebt, da beide, Bisschoff, Thumherrn und Vicarien, hinweg gestorben sind, […]Unser lieber Herr Gott und Vater im Himel gibt und gesteet jhn nicht ein langes leben oder aber gar selten, Und wenig werden alte leut jnn Stifften erfunden, allein darumb, das sie wider Gottes heilige Ordenung Toben und wŮten, die mit gewalt zureissen und so grewlich beschmeissen« (WA 49; 804,33–805,2). 388   »Es gehoert aber das auch dazu, das ein jtzlicher Christ jnn seinem stand und beruff, darein er von Gott gesetzt, bleib und trewlich dem nachkome, so gibt Gott glŮck und segen dazu, Das helff uns Gott, gelobt jnn ewigkeit. AMEN« (WA 49; 805,19–23).

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spezifischen Trauspruchs, der in der Predigt ausgelegt wurde. Insofern ist zu erwägen, ob Luther trotz seiner fortdauernden Orientierung am Kirchenjahr hier eine neue Praxis eingeführte, der die Entstehung des Trauspruchs markiert. Auch in das liturgische Zeremoniell erhält man durch Luthers Trauung von Herzog Philipp einen Einblick. Luther konnte gedankenversunken vor dem Brautpaar verharren, um die Bedeutung durch die bewusste Setzung einer Pause im Ablauf hervorzuheben. Er besaß aber auch ein Gespür für den Moment der Auflockerung, wenn er spielerisch das Wort »Sachsen« vom lateinischen Wort für Fels als Symbol für Beständigkeit ableitete. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass der Geschlechtsakt im Rahmen der Ehe von Gott gewollt ist, auch wenn er sich sehr von Unzucht und Untreue abgrenzte und davor warnte. Während der Beischlaf als Handlung in der Ehe und außerhalb ihrer gleich sei, käme es aber vor Gott zu einer anderen Bewertung, von der Verdammung und Heil abhingen. Denn wer im irdischen Sinn Ehebruch betreibe, der übe gleichsam auch Betrug gegen Gott. Ehebruch wird insofern mit Ketzerei parallelisiert. Die Traupredigten bieten aber auch wichtige Einblicke in sein Eheverständnis. Für Luther beginnt die Ehe mit der Verbindung von Adam und Eva. Die Ehe sei der älteste von Gott eingesetzte Stand. Sie werde gegenüber der Unreinheit der Untreue betont. Die Reinheit wird hierbei von Gott gestiftet, während die Unreinheit die Unzucht und den zügellosen Geschlechtstrieb betreffe, die vom Teufel herrührten. Die christliche Partnerschaft ist hierbei als lebendiges Gleichnis für die Partnerschaft von Christus und dem Gläubigen zu deuten. Hier kommt es zur Rezeption der spätmittelalterlichen Brautmystik. Die Entsendung von Freiern zur Brautwerbung entspricht nach Luther der Sendung der Jünger. Die realen Vorbereitungen auf die Hochzeit seien analog zur Predigt und zur Taufe als Vorbereitung der Gläubigen. Und die Vermählung in der Kirche gleiche der Vermählung der Braut Christi mit der Kirche. Aus überlieferungsgeschichtlicher Perspektive entfaltet die gedruckte Hochzeitspredigt eine besondere Wirkung. Sie zählt zu den ersten Predigten auf dem Weg zur Etablierung gedruckter Hochzeitspredigten als eigener Gattung von Kasualschriften.

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4. Die Einführung des ersten evangelischen Bischofs Nikolaus von Amsdorf in Naumburg (20. Januar 1542) 4.1 Die Vorgeschichte Im Vergleich zur Einführung Georgs III. als geistlichem Koadjutor in Merseburg gestaltete sich das »Naumburger Bischofsexperiment« drei Jahre zuvor weitaus schwieriger.389 Nominell war die Naumburg-Zeitzer Diözese ebenfalls wie das Bistum Merseburg reichsunmittelbar und damit auch in weltlicher Hinsicht unabhängig von den Wettinern. Doch seit der Leipziger Teilung 1485, bei der den Ernestinern das Naumburger Territorium zugewiesen wurde, besaß Naumburg faktisch den Status der Landsässigkeit.390 Die Macht der Ernestiner über das Bistum wurde im Jahr 1512 gefestigt, als dem alternden Bischof Johann von Schönberg ein ernestinischer Koadjutor zur Seite gestellt werden sollte. Das Domkapitel beugte sich damals dem Druck des Kurfürsten, nahm vom eigenen Kandidaten Abstand und wählte einen Verwandten Friedrichs, den Bischof von Freising, Philipp Herzog von Bayern und Pfalzgraf bei Rhein.391 Fünf Jahre später, nach dem Tod von Bischof Johann, trat Philipp dessen Nachfolge als Bischof zu Naumburg an.392 Philipp zog es vor, in seiner bisherigen Residenz in 389  Vgl. Hans-Ulrich Delius: Das Naumburger Bischofsexperiment und Martin Luther, in: Martin Brecht (Hg.): Martin Luther und das Bischofsamt, Stuttgart 1990, 131–140; vom »Experiment« spricht auch Martin Brecht: Martin Luther, Bd. 3, Stuttgart 1987, 296–303. Vgl. ferner grundlegend Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg. Eine Untersuchung zur Gestalt des evangelischen Bischofsamtes in der Reformationszeit (SVRG 179), Gütersloh 1961; vgl. ebenfalls Matthias Ludwig: Das Hochstift Naumburg nach der Reformation, in: Hedwig Röckelein/Dietmar Schiersner (Hg.): Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand. Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin u. Boston 2017, 179–222; Andreas Lindner: Luther und Naumburg und die Reformation im Bistum Naumburg-Zeitz, in: Saale-Unstrut-Jahrbuch 2 (1997), 20–31; Eike Wolgast: Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648 (BGRK 16), Stuttgart 1995, 240–243; Irmgard Höß: Episcopus Evangelicus. Versuche mit dem Bischofsamt im deutschen Luthertum des 16. Jahrhunderts, in: Erwin Iserloh (Hg.): Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche (RST 118), Münster 21980, 499–516; Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901; Paul Mitzschke: Luther, Naumburg a./S. und die Reformation. Festschrift zur Begrüßung der Versammlung vormaliger Schüler des Naumburger Domgymnasiums am 30. September, 1. und 2. Oktober 1885 in Naumburg, Naumburg 1885; Ernst Borkowsky: Aus der Vergangenheit der Stadt Naumburg, 3 Teile, Teil 2: Die Stadt Naumburg im sechzehnten Jahrhundert, Naumburg 1894. 390   Zur Vorgeschichte des Naumburger Bistums vgl. Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901, 1–53, bes. 34f; Matthias Ludwig: Das Hochstift Naumburg nach der Reformation, in: Hedwig Röckelein/Dietmar Schiersner (Hg.): Weltliche Herrschaft in geistlicher Hand. Die Germania Sacra im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin u. Boston 2017, 179–222, hier 179–183. 391   Vgl. die Urkunde vom 22. Juli 1512, Domstiftsarchiv Naumburg, Signatur Urk. 891. 392   Vgl. die Urkunde vom 22. November 1517, Domstiftsarchiv Naumburg, Signatur Urk. 926; Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 16.

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Freising zu bleiben, und regierte von fern.393 An seiner Stelle wurde ein aus dem Domkapitel gebildetes Regierungskollegium eingesetzt, an deren Spitze ein Statthalter mit Sitz in Zeitz die Geschäfte vor Ort erledigte.394 Das Machtvakuum war ein Vorteil für die reformatorische Bewegung, die mithilfe der Naumburger Stadtbürgerschaft und durch Unterstützung der Kurfürsten die Pfarramtsbesetzung beeinflussen konnte.395 So zählt Johannes Langer der Ältere396 aus Bolkenhain (Schlesien) zu einem der ersten evangelischen Pfarrer der Stadt Naumburg, der 1521 zum Prediger am Domstift berufen und am 10. Oktober 1525 als erster evangelischer Prediger der Stadtkirche St. Wenzel offiziell angestellt wurde.397 Das nahe gelegene Augustiner-Chorherrenstift zu St. Moritz wurde unter Propst Melchior Mantzsch im Innern reformiert, wobei Magister Gallus Gründling einer der Ersten war, die dort evangelisch predigten, bevor auf kurfürstliche Anordnung 1532 Magister Johannes Wolkenstein als erster evangelischer Prediger berufen wurde.398 Weil im gleichen Jahr Johannes Kramer in der Othmarskirche das Abendmahl unter beiderlei Gestalt spendete, musste er aufgrund einer drohenden Gefangennahme durch die Zeitzer bischöfliche Regierung aus Naumburg fliehen.399 Die Pfarrkirche St. 393   Als Naumburger Bischof besuchte Philipp seine Diözese in 24 Jahren lediglich fünmal in der ersten Hälfte seiner Amtszeit (November 1517 bis August 1518, November 1519 bis Frühjahr 1520, Juni bis November 1522, Mai bis September. 1523, Juli bis Oktober 1526). Vgl. Heinz Wiessner: Bistum der Stadt Naumburg. 1,2 Die Diözese (Germania Sacra, Neue Folge 35, 2: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg), Berlin u. a. 1998, 202. 956. 951–965. 394   Als Statthalter, auch »viacarius« oder »prefectus urbis« genannt, führte vornehmlich Eberhard vom Thor 1517/18 bis 1536 und Wolf vom Ende 1536 bis 1541 die Regierungsgeschäfte vgl. Heinz Wiessner: Bistum der Stadt Naumburg. 1,2 Die Diözese (Germania Sacra, Neue Folge 35, 2: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg), Berlin u. a. 1998, 1093– 1095. 395   Zu den Reformbestrebungen in Naumburg vgl. Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901, 54–91. 396   Zum Werdegang von Johannes Langer vgl. Paul Langer: Johannes Langer von Bolkenhain und sein reformatorisches Wirken, in: Korrespondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 9 (1906/07), 90–122 u. 10 (1906/07), 76–109; Felix Köster: Beiträge zur Reformationsgeschichte Naumburgs von 1525 bis 1545, in: ZKG 22 (1901), 145–159, Ders.: Die Kirchenordnung für die St. Wenzelskirche in Naumburg a. S. vom Jahre 1527, in: Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst 2 (1897/98), 361–363; Christian Schlegel: Observationes in vita Joannis Langeri, Gotha 1724 [VD 18 11457805]. 397  Vgl. hierzu das Schreiben des Stadtrates an den Bischof vom 24. November 1525 in Karl Schöppe: Zur Geschichte der Reformation in Naumburg. Nach dem Rats-Kopialbuche, in: Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen 20 (1900), 297–432, hier 303f. Vgl. ferner Ders.: Aus der Geschichte der St. Wenzelskirche zu Naumburg a.d.S., Naumburg 21930; Ders.: Naumburger Chronik, 3 Teile, Naumburg 1929–1935; Ders.: Regesten und Urkunden zur Geschichte Naumburgs im 16. Jahrhundert, in: ZVThG 23, NF 15 (1905), 336–354. 398  Vgl. Paul Mitzschke: Luther, Naumburg a./S. und die Reformation, Naumburg 1885, 18; Carl Peter Lepsius: Historische Nachricht vom Augustinerkloster St. Moritz zu Naumburg, Naumburg 1835, 69. 77. 125f. 399   AaO., 71.

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Marien direkt neben dem Dom feierte ebenfalls bereits auf evangelische Weise, wenngleich dort nach dem Brand 1532 nur provisorisch Gottesdienste stattfanden.400 Ab 1536 wirkte Luthers enger Vertrauter Nikolaus Medler acht Jahre lang als Stadtprediger der St. Wenzelskirche und war in der Zeit der führende Reformator in Naumburg.401 Insofern war zu Beginn der 1540er-Jahre die Stadt Naumburg bis auf den Dombezirk evangelisch.402 Eine neue Situation ergab sich, als am 6. Januar 1541 Bischof Philipp verstarb.403 Etwa zehn Tage später erhielt das Domkapitel die Nachricht von dessen Tod und handelte sofort, indem es reichsrechtlich gesehen in legitimer Weise am 20. Januar ein Generalkapitel im Naumburger Dom einberief und einstimmig den Propst des Zeitzer Kapitels Julius Pflug als neuen Bischof wählte.404 Dieser war auf der einen Seite als humanistisch gebildeter Ireniker bekannt und mit dem sächsischen Adel verwoben, auf der anderen Seite war er altgläubig gesinnt und besaß gute Beziehungen zu Kardinal Albrecht von Mainz sowie zum kaiserlichen Hof.405 Die Domstifter erhofften sich damit, eine Person gefunden zu haben, die für eine relative Eigenständigkeit des Hochstifts sorgen könnte.   Von 1546 bis 1564 wurde der Dom faktisch als Simultankirche genutzt, in der neben den altgläubigen Messen und Stundengebeten vonseiten des Domkapitels auch evangelische Gottesdienste der Pfarrgemeinde abgehalten wurden. Vgl. Otto Albrecht: Mitteilungen aus den Akten der Naumburger Reformationsgeschichte, in: ThStKr 77 (1904), 32–82, hier 46f. u. insbesondere 59, Anm. 1; Heinz Wiessner: Bistum der Stadt Naumburg. 1,2 Die Diözese (Germania Sacra, Neue Folge 35, 2: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg), Berlin u. a. 1998, 175. 401   Vgl. O. V.: Nikolaus Medler (1502–1551). Reformator, Pädagoge, Mathematiker, hg. von Nordoberfränkischer Verein für Natur-, Geschichts- und Landeskunde Kirchen – Raum – Pädagogik, Hof 2003; Inge Mager: Art. ›Medler, Nikolaus‹, in: BBKL 5, 1151–1153; Otto Albrecht: Bemerkungen zu Medlers Naumburger Kirchenordnung vom Jahre 1537, in: NMHAF 19 (1898), 570–636; Hugo Holstein: Dr. Nikolaus Medler und die Reformation in Naumburg, in: Zeitung für preußische Geschichte 4 (1963), 271–287. 402  Vgl. Eike Wolgast: Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648 (BGRK 16), Stuttgart 1995, 240. 403  Vgl. Hans-Ulrich Delius: Das bischofslose Jahr. Das Bistum Naumburg-Zeitz im Jahr vor der Einsetzung Nikolaus von Amsdorf, in: HerChr 9 (1973/74), 65–97. Die Rohfassung für den Aufsatz bildet Delius’ Einleitung in die Briefe Amsdorfs. Vgl. Ders.: Briefwechsel des Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg-Zeitz, Leipzig 1968, 5–56. 404  Vgl. Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901, 102. 405   Zu Julius Pflug vgl. die grundlegende Monografie von Jaques Pollet: Julius Pflug (1499– 1564) et la crise religieuse dans I’Allemagne du XVIe siècle. Essai de synthèse biographique et théologique (SMRT 45), Leiden 1990 und dessen Edition des Briefwechsels: Julius Pflug – Correspondence, 5 Bde, Leiden 1969–1982; vgl. ferner Ders.: Julius Pflug, in: Gestalten der Kirchengeschichte, hg. von Martin Greschat, Bd. 6: Reformationszeit II, Stuttgart 1993, 129– 146; vgl. ferner Kristin Otto u. a. (Hg.): Bescheidenheit und Maß. Bischof Julius Pflug in der Reformationszeit, Kolloquium zum 450. Todestag am 6. Sept. 2014 in Zeitz, Halle (Saale), 2015; Corinna Wandt/Roland Rittig (Hg.): Julius von Pflug Bischof von NaumburgZeitz: Wegbereiter der Versöhnung in der Reformationszeit. Ein Lesebuch, Halle (Saale), 2014; Heribert Smolinsky: Julius Pflug (1499–1564), in: Ders. (Hg.): Katholische Theologen der Reformationszeit, Bd. 6 (KLK 64), Münster 2004, 13–32; Wieland Held: Julius 400

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Doch Kurfürst Johann Friedrich fasste die Wahl als Provokation auf. Denn erstens hatte er bereits 1538 geboten, keinen neuen Bischof ohne sein Wissen wählen zu lassen, zweitens beanspruchte er ein Nominationsrecht, drittens sah er in Pflug einen unversöhnlichen Gegner der Reformation, da Pflug als Dechant im Hochstift Meißen gegen dessen Reformbestrebungen agierte, und viertens erhielt er zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt von der Wahl Nachricht. Was die Domstifter nämlich nicht wussten, war, dass Johann Friedrich bereits am 9. Januar inoffizielle Kunde vom Ableben des Bischofs erhalten hatte und sich noch am gleichen Tag mit seinem Kanzler Gregor Brück in Verbindung gesetzt hatte, der sich am 22. Januar abends in Luthers Wohnung mit Jonas, Bugenhagen und Luther traf, um über den zukünftigen Bischof zu beraten.406 Als Nachfolger wurden Georg III. von Anhalt und Nikolaus Medler erwogen.407 Erst am 23. Januar erhielt der Kurfürst die am 19. Januar verfasste offizielle Nachricht des Naumburger Domkapitels vom Tode Philipps, wobei das genaue Todesdatum bewusst verschwiegen wurde. Ein Tag später las er dann die am 20. Januar vom Naumburger Dechanten verfasste Meldung, dass das Kapitel bereits einen neuen Bischof gewählt habe, ohne jedoch den Namen mitzuteilen.408 Diese verzögerte Nachrichtenpolitik erzürnte den Kurfürsten umso mehr, weshalb er Druck auf den Naumburger Stadtrat ausübte, der in die Zwickmühle zwi-

Pflug (1499–1564). Der letzte katholische Bischof von Naumburg-Zeitz als Vermittler zwischen den Konfessionen und als Kirchen- und Landesfürst, in: NASG, 71 (2000), 53–93; Susanne Kröner (Hg.): Julius Pflug (1499–1564). Der letzte Bischof des Bistums Naumburg (Schriften des Stadtmuseums Naumburg 9), Naumburg (Saale), 2001; Otfried Müller: Bischof Julius Pflug von Naumburg-Zeitz in seinem Bemühen um die Einheit der Kirche, in: Franz Schrader (Hg.): Beiträge zur Geschichte des Erzbistums Magdeburg, Leipzig 1969, 155–178; Ders.: Julius Pflug. Der letzte Bischof von Zeitz-Naumburg, in: Tausend Jahre. 968–1968. Katholisches Hausbuch, Leipzig 1967, 162–172; Ders.: Schriften von und gegen Julius Pflug bis zu seiner Reise nach Trient 1551/1552. Ein Bericht aus der Stiftsbibliothek Zeitz, in: Erwin Iserloh/Konrad Repgen (Hg.): Reformata reformanda, FS für Hubert Jedin, Münster 1965, 29–69; Wolfgang Offele: Julius Pflug Irenik im Spiegel seines Katechismus, in: ThJB (1966), 545–559; Ders.: Ein Katechismus im Dienste der Glaubenseinheit. Julius Pfugs »Institutio Christiani Hominis« als katechtischer Beitrag zur interkonfessionellen Begegnung, Essen 1965. 406   Vgl. das aus dem Treffen entstandene Gutachten »Der theologen zu Wittembergk bedenken des Bischoffs halben zcue Naumburg. 1541. Torgau« vom 23. Januar 1541, WA B 9; 310–317, hier 317f. 407   Vgl. ferner Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 19. 408   Die Wittenberger Theologen haben erwogen, Nikolaus Medler als Bischof vorzuschlagen, wogegen jedoch Kanzler Brück Bedenken äußerte, dass auf gutwillige Weise das Domkapitel niemals Medler gutheißen würden. Vgl. WA B 9; 315.

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schen Domkapitel und Kurfürsten geriet.409 So verbot der Kurfürst am 26. Januar dem Naumburger Stadtrat bis auf weiteres, dem neuen Bischof zu huldigen.410 Der Konflikt schwelte mehrere Monate und konnte nicht gelöst werden. Denn auf der einen Seite bat am 13. Februar der neu zum Bischof gewählte Julius Pflug – sich der heiklen Lage wohl bewusst – um Bedenkzeit, die Bischofswahl anzunehmen. Dabei blieb Pflug jedoch nicht untätig, sondern bewirkte am 18. Juli 1541 ein kaiserliches Mandat, in dem der Kaiser die Reichsunmittelbarkeit des Bistums bekräftigte, dasselbe in Schutz nahm und dem Kurfürsten gebot, sich aller Übergriffe gegen das Stift zu enthalten.411 Auf der anderen Seite fürchtete der Kurfürst zu diesem Zeitpunkt, den Konflikt mit Macht zu beenden. Vielmehr wartete er erst ab, bis der Kaiser das Reich verlassen hatte, der sich in Regensburg auf dem Reichstag aufhielt, während Religionsgespräche geführt wurden.412 In dieser Phase rieten ihm sowohl die Rechtsberater des Kurfürsten als auch die Wittenberger Theologen, die Rechtslage auf der Reichsebene zu respektieren.413 Deshalb versuchte Johann Friedrich, als das Gerücht im Sommer aufkam, Pflug würde die Wahl nicht annehmen, durch diplomatische Beeinflussung das Domkapitel zu einer Neuwahl zu bewegen, wobei weiterhin Georg von Anhalt und Domdechant Günther von Bünau im Gespräch waren. Im September erhöhte der Kurfürst den Druck auf das Domkapitel. Er befahl Nikolaus Medler, im Dom dauerhaft in evangelischer Weise zu predigen. Daraufhin zog Medler am 11. September mit einer großen Menge demonstrativ zum Dom und ließ die verschlossenen Tore gewaltsam aufbrechen.414 Außerdem verfasste Johann Friedrich am 16. September eine Instruktion, die ab dem 18. September mit der Besetzung der Zeitzer Stadttore vollstreckt und dem Kollegiatstift mitgeteilt wurde, das vom 20. bis 22. September dort tagte.415 Hierdurch erfolg-

409   Vgl. die Rede wahrscheinlich vom Syndicus und Stadtschreiber Krottenschmidt an den Rat, in der er die »Zwickmol« (Zwickmühle) der Stadt beschreibt, zwischen dem Domkapitel und dem Kurfürsten zu stehen (Carl Peter Lepsius: Bericht, 190–195, zitiert 193). 410   Abgedruckt in aaO., 155–228, hier 188–190. 411  Vgl. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 22. 412  Vgl. Karl-Heinz zur Mühlen: Die Reichsreligionsgespräche von Hagenau (1540/41), Worms und Regensburg (1540/41). Chancen und Grenzen des kontroverstheologischen Dialogs in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Ders.: Reformatorische Prägungen. Studien zur Theologie Martin Luthers und zur Reformationszeit, hg. von Athina Lexutt u. Volkmar Ortmann, Göttingen 2011, 323–340. 413   Vgl. WA B 9; 317. Vgl. ferner Eike Wolgast: Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648 (BGRK 16), Stuttgart 1995, 241. 414  Vgl. Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901, 113–115. 415   Vgl. aaO., 115–118; Hans-Ulrich Delius: Das bischofslose Jahr. Das Bistum Naumburg-Zeitz im Jahr vor der Einsetzung Nikolaus von Amsdorf, in: HerChr 9 (1973/74), 65–97, hier 77–80; Heinz Wiessner: Bistum der Stadt Naumburg. 1,2 Die Diözese (Germania Sacra, Neue Folge 35, 2: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg), Berlin u. a. 1998, 176.

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te faktisch die Machtenthebung des Rates, indem die weltliche Regierung auf den kursächsischen Stiftshauptmann Melchior von Creutzen übertragen wurde. Obwohl der Kurfürst nun die Oberherrschaft in weltlichen Belangen über das Kollegiatstift mit einem reichsrechtlich unerlaubten Gewaltakt übernommen hatte, war die Bischofsfrage noch nicht gelöst. Weil das Domkapitel am 20. Oktober entschied, keine Neuwahl durchzuführen, sondern weiterhin an der Wahl Pflugs festzuhalten, entschloss sich Johann Friedrich, der Wahl des Domkapitels eine eigene Bischofswahl entgegenzustellen, die von den Stiftständen und den evangelischen Geistlichen vollzogen werden sollte.416 Hierzu holte sich der Kurfürst den Rat der Wittenberger Theologen, die drei Gutachten zwischen Oktober und November verfassten.417 Im ersten Oktobergutachten der Wittenberger Theologen fällt zum ersten Mal der Name Nikolaus von Amsdorf im Zusammenhang mit der Naumburger Bischofsfrage, wobei sie sich wohl nicht vorstellen konnten, dass Amsdorf zur Verfügung stand, weshalb sie weiterhin Georg III. von Anhalt favorisierten.418 Doch für den Kurfürsten war Nikolaus von Amsdorf, der seit 1524 als Stadtpfarrer in Magdeburg wirkte,419 ein geeigneter Kandidat, da er sowohl von adliger Herkunft als auch ehelos war.420 Dass

416  Vgl. Hans-Ulrich Delius: Das bischofslose Jahr. Das Bistum Naumburg-Zeitz im Jahr vor der Einsetzung Nikolaus von Amsdorf, in: HerChr 9 (1973/74), 65–97, hier 84; Felix Rosenfeld: Beiträge zur Geschichte des Naumburger Bischofsstreites, in: ZKG 19 (1899), 155–178, hier 169f. 417   Vgl. das erste Bedenken Mitte Oktober 1541, WA B 12; Nr. 4282, 321–327; das zweite Bedenken, kurz nach dem 29. Oktober 1541 verfasst, WA B 12; Nr. 4285, 332–339 und das dritte Bedenken, geschrieben zwischen dem 6. und 9. November 1541, WA B 12; Nr. 4287 a-c, 344–347. 418   »Vom Licentiat Amsdorff achten wir, das er in keinem wege zu bereden, ein Bistumb anzunemen« (Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Crucigers erstes Bedenken zur Naumburger Bischofswahl, Wittenberg, Mitte Oktober 1541, WA B 12; Nr. 4282, 321–327, hier 323,81f. Vgl. ferner Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 44–46; Hans-Ulrich Delius: Das bischofslose Jahr. Das Bistum NaumburgZeitz im Jahr vor der Einsetzung Nikolaus von Amsdorf, in: HerChr 9 (1973/74), 65–97, hier 85. 419   Zur Biografie vgl. Hans Stille: Nikolaus von Amsdorf. Sein Leben bis zu seiner Einweisung als Bischof in Naumburg (1483–1542), Zeulenroda 1937; Robert Kolb: Nikolaus von Amsdorf (1483–1565). Popular Polemics in the Preservation of Luther’s Legacy (BHRef 24), Nieuwkoop 1978, 57f; Irene Dingel (Hg.): Nikolaus von Amsdorf (1483–1565) zwischen Reformation und Politik (LStRLO 9), Leipzig 2008; – Einen Zugang zu den Quellen erhält man durch Nikolaus von Amsdorf: Ausgewählte Schriften, eingel. u. hg. von Otto Lerche, Gütersloh 1932; Hans-Ulrich Delius: Der Briefwechsel des Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg-Zeitz (1542–1546), Habil. Leipzig 1968; Nikolaus von Amsdorf: Ausgewählte Schriften der Jahre 1550 bis 1562 aus der ehemaligen Eisenacher Ministerialbibliothek, hg. von Hagen Jäger (LStRLO 32), Leipzig 2017. 420   »Dieweil er [Amsdorf] vom Adelh, auch gelerth, gotfurchtig, from vnd vnbeweibt ist, Auch numeher kein weib nemen wyrdet«. Vgl. die erste Aufzeichnung der kursächsischen Räte, Torgau, ca. 29. Oktober 1542, WA B 12; Nr. 4284, 328–331, hier 331,87f. Vgl. ferner Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 46.

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Sechstes Kapitel

Pflug nach fast einjähriger Bedenkzeit am 15. Januar 1542 die Wahl zum Bischof annahm, beeindruckte den Kurfürsten nicht mehr.421

4.2 Die Wahl des Gegenbischofs Die Ereignisse vom 18. bis 21. Januar 1542 gliedern sich in drei Akte: die Wahl des Bischofs, die liturgisch zelebrierte Ordination und die darauf folgenden Huldigungen.422 Am Mittwochnachmittag, dem 18. Januar, kamen Luther, Amsdorf, Melanchthon und der Wittenberger Professor für Medizin, Georg Kleinschmidt, auch genannt Curio, nach Naumburg, wo sie im Haus der Witwe des Stadtschreibers Ambrosius Dörffer am Marktplatz 13 Quartier nahmen.423 Kurz darauf traf der Kurfürst mit großem Gefolge ein, darunter auch sein Bruder Johann Ernst und Herzog Ernst von Braunschweig.424 Noch am Abend begannen die Verhandlungen um die Bischofswahl mit den Stiftständen, an denen der Ältestenausschuss des Naumburger Rates, sechs Abgeordnete des Zeitzer Rates sowie sechs aus der Ritterschaft beteiligt waren.425 Nach einer Predigt von Medler am Freitagmorgen in der Wenzelskirche, in der er vehement für Amsdorf plädierte,426 kam es den gesamten Donnerstag über zu gesonderten Beratungen des Naumburger Stadtrates, der Abgeordneten des Zeitzer Regierungskollegiums, der Ritterschaft und der Bürgerversammlung der Stadt. Der Stadtrat befürwortete die neue Bischofswahl, aber bat um eine dreiwöchige Verschiebung der neuen Wahl, um eine Entbindung des geleisteten Huldigungseides an das Domkapitel zu erwirken.427 Jenes Gesuch hielt der Kurfürst für unnötig und kündigte die Einführung des neuen Bischofs mit all  Vgl. Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901,

421

126.

422   Als Hauptquelle dient der Bericht aus dem Jahr 1542, der wahrscheinlich vom Stadtschreiber Nicolaus Krottenschmidt angefertigt wurde, abgedruckt bei Carl Peter Lepsius: Bericht über die Wahl und Einführung des Nicolaus von Amsdorf als Bischof zu Naumburg, in: NMHAF 2, Heft 2 (1835), 155–228. Im Folgenden zitiert als Carl Peter Lepsius: Bericht. Zu den weiteren Abschriften vgl. ferner WA 49; XXVI–XXVII. Vgl. ebenfalls Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 51. 423  Vgl. Carl Peter Lepsius: Bericht, 157; Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901, 126; Paul Mitzschke: Luther, Naumburg a./S. und die Reformation, Naumburg 1885, 28. 424   Der Kurfürst nächtigte im Hause des Bürgermeisters Veit Leube am Marktplatz 10. Vgl. Carl Peter Lepsius: Bericht, 157; vgl. Ernst Borkowsky: Aus der Vergangenheit der Stadt Naumburg, 3 Teile, Teil 2: Die Stadt Naumburg im sechzehnten Jahrhundert, Naumburg 1894, 24f. 425  Vgl. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 53; Paul Mitzschke: Luther, Naumburg a./S. und die Reformation, Naumburg 1885, 28. 426  Zur Deutung der Predigt vgl. Otto Albrecht: Mitteilungen aus den Akten der Naumburger Reformationsgeschichte, in: ThStKr 77 (1904), 32–82, hier 33–36. 427   »Auch darauff auffs unterthenigst gebeten, ob nicht wege seyn kunden, uns solchen unser Pflicht halben […] bey dem Capittel loß machen kunden, da aber solchs nicht geschehen

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denen, die sein Vorhaben teilten, für den nächsten Tag an.428 Da es schon fünf Uhr am Nachmittage sei, empfahl er den Ständen, sich bei den Wittenberger Theologen Rat zu suchen und ihre Entscheidung bis morgen früh vor 7 Uhr kundzutun.429 Im Beisein von Melanchthon und Spalatin hielt Luther eine längere Rede vor den Ständen, in der er ihre Zweifel auszuräumen versuchte.430 Die Order Johann Friedrichs an die Stände, Luther in theologischer Hinsicht zu konsultieren, zeigt exemplarisch, wie der Reformator als politischer und theologischer Berater eine besondere Rolle im Vergleich zu den anderen Wittenberger Theologen einnahm. Nach einem letzten Treffen in der Frühe übermittelten schließlich alle Stände dem Kurfürsten ihre Zustimmung.431 Insofern wurde dem Vorschlag, Nikolaus von Amsdorf zum neuen Bischof zu küren, letzten Endes zugestimmt, sodass die Wahl auf einer breiteren Basis stand. Rückblickend betrachtet wurde auf der einen Seite die Wahl zweifelsohne auf Druck des Kurfürsten durchgesetzt. Auf der anderen Seite ist jedoch zu bedenken, dass Johann Friedrich als oberster Schutzherr in der geistlichen Frage sich nicht in gleicher Weise über die Stände hinwegsetzte, wie er es bei der weltlichen Machtenthebung am 18. September getan hatte. Vielmehr lag ihm daran, über mehrere Monate hinweg einen Konsens durch diplomatisches Verhandeln zu erreichen. Zwar stellte die Machtübernahme auf reichsrechtlicher Ebene zweifellos einen Rechtsbruch dar, für den der Kurfürst nach dem Schmalkaldischen Krieg auch verantwortlich gemacht wurde.432 Mit Abstand betrachtet war ein solches Vorgehen in jener Zeit aufgrund des Machtkonflikts zwischen Fürsten und Kaiser jedoch nicht ungewöhnlich. Im Lichte der longue durée gehören die Naumburger Ereignisse in die Geschichte der frühneuzeitlichen Entflechtung von geistlicher und weltlicher Sphäre. kunde […] solchs bey inen in Zeyt dreyer Wochen zw suchen« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 168). 428   Die Einführung solle stattfinden »auff morgen freytags in des Stiefts Kirchen neben denen, die es wurden willigen wollen« (aaO., 171). 429   »Auff solche gemeinte allen stenden anzeige haben sie erlanget, das inen bedencken geben worden ist, dieweil es spat und umb 5. hora des abents am Donnerstag gewesen, das sie am freitag frue ihre antwort vor 7. hora darauf einbringen und mitler weil die gelerten und Theologos solcher ihrer Pflicht halben, die sie beim capittel stehen hatten, aussprechen möchten« (aaO., 172). 430   »Darauf im Beisein der Ehrwirdigen, Hochgelarten und Achtbarn herren Philippi Melanchtonis und Georgii Spalatini Reverendus in Christo pater Martinus Lutherus Doctor den stenden auf solche ihre proposicionn geantwort und aus götlicher heiligen schrift den stenden ihr dubium soluiert« (aaO., 173). 431   »Und ist darauf folgende freitags fruw umb 7. hora Chur vnd f. D. durch alle stende zugleich diese antwort gegeben worden, das die stende zugleich diese gantze Handlung Chur vnd f. D. ganz vnd gar heim geben wolden« (aaO., 174). 432  Vgl. Günther Wartenberg: Das innerwettinische Verhältnis zwischen 1547 und 1553, in: Volker Leppin/Georg Schmidt/Sabine Wefers: Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst (SVRG 204), Gütersloh 2006, 155–167.

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Sechstes Kapitel

Durch die Ständevertreter sollte in Anlehnung an altkirchliche Verhältnisse die Kirchengemeinde in die Bischofswahl mit einbezogen werden. Aus diesen Gründen deutet Peter Brunner trotz aller asymmetrischen Machtverhältnisse die Naumburger Bischofswahl als »Vorform einer synodalen kirchlichen Verhandlung«.433 Dem Kurfürsten ist allerdings vorzuwerfen, dass er in der darauffolgenden Zeit Nikolaus von Amsdorf in seiner schwierigen Position in Naumburg im Stich gelassen hat. So entschieden Johann Friedrich für die Durchsetzung seines Kandidaten eingetreten ist, so wenig haben ihn die Folgeprobleme im weiteren Verlauf interessiert, was beispielsweise anhand der erfolglosen Einrichtung eines Konsistoriums oder bei der relativ späten Durchführung von Visitationen deutlich wird. In gewisser Weise ist Amsdorf daher auch eine tragische Gestalt der Kirchengeschichte, da er in einer Übergangssituation und mit schwierigen Voraussetzungen versuchte, sein Amt auszuüben. Auch im materiellen Sinn ging es ihm deutlich schlechter als in seiner Magdeburger Zeit.434 Wie Luther treffend in seinem Trostbrief an Amsdorf vom 23. Juni 1544 bemerkt, sei dieser von einem »reichen Pfarrer« zu einem »armen Bischof« geworden.435

4.3 Der Ablauf des Gottesdienstes Da es von dem Ablauf des Gottesdienstes einen genauen Bericht gibt, soll auf diesen ausführlich eingegangen werden. Dadurch bietet sich die Chance, wie es sonst selten der Fall ist, einen Eindruck zu bekommen, in welchem liturgischen Kontext Luthers Predigt eingebettet war. Um etwa 9 Uhr begann der zweite Akt, die Ordination des ersten evangelischen Bischofs im Dom.436 Neben dem Kurfürsten Johann Friedrich und seinem Bruder Johann Ernst waren alle, die der Wahl letztlich zugestimmt hatten, auch zugegen: die Vertreter des Rates von Naumburg und Zeitz und sechs adlige Ritter.437 Das Domkapitel forderte man nicht zur Teilnahme auf. Gleichwohl   Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961,

433

55.

  Amsdorf standen im Jahr neben weiteren Einkünften ungefähr 600 Gulden zur Verfügung, aus denen er auch seine repräsentativen Verpflichtungen bestreiten musste. Er lebte in kargen Verhältnissen, da auch die Zeitzer Moritzburg als Residenz eher eine notdürftige Unterkunft war. Vgl. aaO., 83. Deshalb ließ er sich 1543 durch den Verkauf von Monstranzen das Schlösschen am Markt als neues Quartier in Naumburg herrichten. Vgl. Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2019, Nr. 233f, 266. Vgl. ferner Heinz Wiessner: Bistum der Stadt Naumburg. 1,2 Die Diözese (Germania Sacra, Neue Folge 35, 2: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg), Berlin u. a. 1998, 55f. 435   Vgl. WA B 10; Nr. 4007, 600f, hier 601, 21–24. 436  Vgl. Paul Mitzschke: Luther, Naumburg a./S. und die Reformation, Naumburg, 1885, 29f. 437   Vgl. die Anwesenheitsliste in Carl Peter Lepsius: Bericht, 179. 434

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waren zwei Mitglieder, der Dompropst Graf Ernst von Reinstein und der achtzigjährige Senior Georg Forstmeier, anwesend.438 Von den auswärtigen Geistlichen nahmen Luther, Melanchthon, Spalatin sowie der Superintendent von Weißenfels Wolfgang Stein teil. Die Zahl der herbeiströmenden Gemeindeglieder, neben der Naumburger Pfarrerschaft439 sowie den Lehrern und Kindern der Naumburger Schulen, wurde in legendarischer Überhöhung auf etwa 5000 geschätzt.440 Zu Beginn sang der Chor aus Geistlichen die auf Ps. 118, 7 basierende Motette »Non moriar, sed vivam et narrabo opera Domini« von Ludwig Senfl.441 Anschließend stimmte die Gemeinde aufgrund der Nähe zum Weihnachtsfest das vorreformatorische Lied nach Jes. 9, 5 »Ein Kindelein so löbelich ist uns geboren heute« an.442 Danach betrat Nikolaus Medler die Kanzel, sprach gemeinsam mit der Gemeinde ein Vaterunser und las entsprechend dem Wittenberger Or-

438   »Des Capittels, so sich durch seine unordentliche und versamelnte nichtige whal derselben vorlustig gemacht, und der andern gotlosen und papistischen pfaffen Consens oder bewilligung hat man zu diesem heiligen Christlichen und Evangelischen werk nicht fodern wollen« (aaO., 180). 439   Aus der Naumburger Pfarrerschaft nahmen folgende Personen teil: Der zu St. Wenzel gehörige Superintendent Nikolaus Medler, Prediger Jacobus Thurnheim (Dornheim) und der Diakon Martin Schumann; von der Domfreiheit der Pfarrer Ekkhard Eckhart und der 90-jährige Domvikar Johannes Pistoris; zu St. Othmar Pfarrer Caspar Hecht; von St. Moritz der Propst Christoph Dressler und der Prediger Nikolaus Vopper; von St. Georgen der Abt des St. Georgenklosters Thomas Hebenstreit sowie der Georgenprediger Adam Krauschwitz. Vgl. Carl Peter Lepsius: Bericht, 179; Paul Mitzschke: Luther, Naumburg a./S. und die Reformation, Naumburg 1885, 30. 440  Vgl. Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901, 127. 441   Vgl. die Einleitung und die Partitur in WA 35; 535–538; Brief Luthers an Ludwig Senfl in München, Coburg am 1. oder 4. Oktober 1530, WA B 5; Nr. 1727, 635–639. Vgl. die für eine Aufführungspraxis besser geeignete Chorbearbeitung des Dresdner Kreuzchorkantors Otto Richter: Non moriar, sed vivam! »Ich werde nicht sterben, sondern leben!«. Vierstimmiger Motettensatz des Reformators für Kirche, Schule und Haus mit lat. und dt. Text, Leipzig 1917; vgl. ferner Andreas Lindner: Martin Luther, Ludwig Senfl und die Naumburger Reformationsgeschichte, in: Saale-Unstrut-Jahrbuch 6, 2001, 17–27; Ole Kongsted: Ludwig Senfl’s »Luther-Motetter«. En forskningberetning, Kopenhagen 2000, 7–41; Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 61. 442   »Erstlich hat der Clerisei chor angefangen und in Mensur gesungen die muteten, welche Ludovicus Senfel gesacz, Non moriar, sed viuam et narrabo opera domini, darauf das ganze Volck gesungen, dieweil es umb diese Zeit des iars gewesen ist, den Lobgesang von der geburt unsers Herren Jhesu Christi, mit eintrechtiger und heller stim, Ein kindelein so liebeleich ist uns geboren heute« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 180). Das Lied »Ein Kindelein so löbelich« ist eine deutsche Umdichtung des »Dies est laetitiae«, welches Luther in seiner ›Formula missae‹ vom November 1523 (WA 12; 218,30) als Lied für den Gebrauch im Gottesdienst empfohlen hat. Vgl. WA 35; 33. 147; Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit zus zu Anfang des 17. Jahrhunderts, Bd. 2, Leipzig 1867, Nr. 697, 525; Bd. 3, Leipzig 1870, Nr. 573, 521f; August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis auf Luthers Zeit, dritte Ausgabe, Hannover 1861, 197f. 301.

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Sechstes Kapitel

dinationsformular443 die Worte über die Bischöfe aus 1. Tim. 3, 1–7.444 Daraufhin erfolgte die Verlautbarung der vollzogenen Bischofswahl, in der Medler hervorhob, dass nach einem Jahr voller Seufzen und Gebete nun endlich ein rechtschaffener Bischof durch den Landesfürsten, die Stiftstände, aber auch durch die Kleriker benannt und gewählt worden sei.445 Nach der Vorstellung der Person Nikolaus von Amsdorf bat er die Gemeinde, ihre Stimme abzugeben, indem sie zur Bestätigung der Wahl ein lautes Amen rufen sollten.446 Die Akklamation der Gemeinde fiel wohl so euphorisch aus, dass der Kurfürst sich zunächst mit Verwunderung und dann mit Freude umsah.447 Dieser Akt lässt sich nach Peter Brunner als die Einbeziehung der Gemeinde in die Bischofswahl deuten.448 Die Ordinationshandlung wurde eingeleitet durch das Lied »Nun bitten wir den Heiligen Geist«, das zunächst vom Organisten gespielt, dann vom Chor in einem fünfstimmigen Satz gesungen und schließlich von Trompetern geblasen wurde.449 Danach schritt Luther zum mittleren Altar unter dem Ostchor und

443   Vgl. die Synopse der einzelnen Fassungen des Ordinationsformulars von 1535 bis 1539 in WA 38; 419 und 424f. 444   Im Bericht von Krottenschmidt wird fälschlicherweise 1. Tim. 4 genannt: »Als dan ist Doctor Nicolaus Medler auf die Canczel gangen, und alda ernstlich und mit fleis das volck zu beten und ein heiliges vater unser zu sprechen vormanet […] und hat alsdan nach dem gebet den Text des heiligen Apostel Pauli I. ad Thimo: 4. wie ein rechter warer bischof geschickt sol sein, gelesen« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 183). 445   »Nemlich das got ihr aller gebet und seufzen, damit sie nun bei ein ganzen iar uber zu ihm geschrieen erhöret, und es genediglich also geschickt, das nun ein rechtschaffener Christlicher Bischof aus göttlicher bahrmherzigkeit durch die löblichen landfursten, so diesem werck zu ehren hie gegenwarts erschienen, auch die von stiftsstenden sampt der christliche Clerisei benandt und erwelet ist worden« (ebd.). 446   »Und damit man des ein zeichen von euch habe, und wissenschaft entpfahe so wollet mit lauter stimm dazu Amen sagen« (aaO., 181). 447   »Darauf hat alles volck mit heller und lauter stim ganz eintrechtiglich geruffen Amen, also auch, das sich Churfürstliche Durchlauchtikeit mit verwunderung umbsahe, und eine freude wie an iren Chur- und f. g. zuuormercken, ob des volcks so statlicher und eintrechtiger bewilligung empfinge« (ebd.). 448   »Mit diesem Akt der Akklamation war die Gemeinde (›das Volk‹) in die Wahlhandlung einbezogen« (Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 62). Mit der Klammer bezieht er sich auf den Bericht von Krottenschmidt: »und nach dem selbigen [Verlesen des Textes 1. Tim. 3] das volck ihre stim und consens zu der wahle zu geben Lautfolgendes inhalts vermanet« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 180). 449   »Darnach schlug der orgenist den Lobgesang Nun bitten wir den etc. welchen darauf auch der Clerisei chor in funf Stimmen durch mensur gesungen, und zum drittenmal haben ihn auch die Trummeter aufs herrlichst mit funf stimmen geblasen« (ebd.). Das Lied »Nun bitten wir den heiligen Geist« findet ab 1537 auch Eingang in das Wittenberger Ordinationsformular, wenngleich es dort nach der Segnung und vor der Abendmahlsfeier gesungen wurde (WA 38; 419 u. 431).

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hielt eine etwa halbstündige Predigt450 über Apg. 20, 28, auf die weiter unten ausführlich eingegangen wird.451 Nach der Predigt ging der sichtlich gerührte Amsdorf zum Altar und kniete auf der obersten Stufe vor Luther nieder.452 Hinzu kamen der Abt des Georgenklosters Thomas Hebenstreit, der Altenburger Superintendent Spalatin, der Naumburger Superintendent Medler und der Weißenfelser Superintendent Wolfgang Stein, die sich eine Stufe unter Amsdorf hinknieten.453 Die Auswahl der Mitordinanten und Zeugen erfolgte Luther zufolge aufgrund des alten Brauchs, nach dem die leitenden Geistlichen der nahegelegenen Orte an der Ordination mitbeteiligt sein sollten.454 Luther intonierte dem Wittenberger Ordinationsformular gemäß den Wechselgesang »Veni Sancte Spiritus«, in den der Chor und die Mitordinanten einstimmten. Danach sang Luther den Versikel »Cor mundum crea in me Deus«, worauf der Kollektengesang zur Anrufung des Heiligen Geistes folgte und der Chor mit Amen schloss.455 Es folgte der Ordinationsvorbehalt, indem Luther Amsdorf fragte, ob dieser bereit sei, seine Amtspflichten als Bischof zu erfüllen, was Amsdorf mit dem Jawort bestätigte.456 Den Höhepunkt bildete die Segnung, die Luther gemeinsam mit den Assistenten, die zu ihm getreten waren, vornahm, indem sie die Hände auf sein Haupt legten, um ihm Kraft und Trost in seinem Amt zuzusprechen.457 Wahrscheinlich hat Luther beim Segen Amsdorf den Psalmvers   »[…] und beschlos damit also sein predigt, die ungefherlichen ein gute halbe Stunde weret« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 180). 451   Siehe unten Seite 426. 452   »Da trat hinzu der threwe erwelte Bischof, dem die augen sowol, als andern viel treflichen leuten mehr ihe bisweilen unter der predigt uber gingen, und kniete auf die öbersten staffel vor dem herren Doctor Martino nider« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 183). 453   »[…] desgleichen gingen mit ime hinzu der apt zu Sanct Georgen vor der Naumburgk, Georgius Spalatinus, Doctor Nikolaus Medler und Magister Wolfgangus stein, die knieten semptlich eine staffel unter dem herren Bischof hernieden« (aaO., 183f). In Luthers Schrift »Exempel, einen rechten Bischof zu weihen« vom März 1542 zählt Luther nur vier Personen unter Weglassung von Thomas Hebenstreit auf. Vgl. WA 53; 257,16–19. 454   So begründet Luther in seiner Schrift »Exempel, einen rechten Bischof zu weihen« vom März 1542 die Auswahl: »Wie der alten Kirchen brauch gewest und die alten Canones, das man einen Bischoff weihen solle mit zuthun der nehesten Stedte Bischove, wie alhie geschehen ist« (WA 53; 257,19–21). 455   Vgl. WA 38; 424. 456   »Darnach thete der her Doctor Martinus Luther ein vermanung zum herrn Bischoff und befahl im sein ampt, das ehr aller selen, des ganzen stifts und Bistumbs Naumburgk threulich und wol pflegen wolte, inen mit versorgung der reinen lher des heiligen Evangelii und der hochwirdigen Sacrament nach einsaczung Christi des hern, desgleichen auch mit versehung aler andern der kirchen notdurftikeit wol furstehen und versorgen wolte. Darauf gab der her Bischof sein jawort« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 184). Brunner geht bei seiner Interpretation in missverständlicher Weise davon aus, dass es sich hierbei um den genauen Wortlaut des Ordinationsvorbehaltes handele, was jedoch fraglich ist, da vielmehr eine Zusammenfassung des Inhalts gegeben wird. Vgl. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 64f. 457   »Darauff gabe der her Bischof sein iawort, also legt ihm der her Doctor Martinus und 450

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»Harre des Herrn, sei getrost und unverzagt« (Ps. 27, 14) zugesprochen, den er persönlich für ihn ausgewählt hatte.458 Nach dem Segen hielt Luther in freier Weise noch einen parakletischen Zuspruch, in dem er dem neuen Bischof Mut für seine zukünftigen Aufgaben machte. Am Ende kam es zur Inthronisation, auf die der Kurfürst Wert legte.459 Die Geistlichen führten den Bischof – wahrscheinlich durch die Peter- und Paulstüren – hinauf zum Ostchor, worauf alle Geistlichen und der Kurfürst mit seinem Bruder folgten, um im Gestühl des Ostchores Platz zu nehmen. Gemäß der römischen Liturgie des Pontifikale erklang zur Inthronisation das Lied »Te Deum laudamus«, zunächst als fünfstimmiger Chorgesang, dann als Orgelspiel und zuletzt auf Deutsch als Gemeindegesang.460 Unter dem Glockengeläut aller Kirchen sprach Medler ein deutsches Kollektengebet zur Danksagung, worauf der Chor mit einem Amen antwortete.461 Danach trat der Kurfürst an den Bischofsstuhl und wünschte Amsdorf für sein neues Amt Glück und Seligkeit, wonach alle aus dem Dom auszogen.462 Gemeinsam mit den Fürsten stiegen Luther, Spalatin und Hebenstreit in die Kutsche und fuhren in die Herberge, um zu speisen.463 die andern hern, so mit zum altar gegangen waren, die hende auf sein heupt und sprach Doctor Martinus ein gebet, das ihm got diesen seinen diener Nicolaum Amsdorf gefallen und befholen sein wolt lassen, ihn auch in seinem ampt stercken, trösten und schuczen« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 184). 458   »[…] und [Luther] vermante darnach den herren Bischof, das ehr in seinem ampt getrost und herzenhaftigt sein wolde« (ebd.). Brunner bezieht diese Vermahnung nach dem Segensgebet auf die Bemerkung im Brief Luthers an Amsdorf vom 3. Februar 1542: »Ceterum debes meminisse, quod tibi manum imponens dixi: ›Expecta Dominum, viriliter age & Confortetur cor tuum.‹« (WA B 9; Nr. 3709, 609,12–14). Er ist der Meinung, dass Luther Amsdorf erst nach dem Segen das Psalmwort zugesprochen hat. Doch die Partizipalkonstruktion »tibi manum imponens« weist eher auf eine Gleichzeitigkeit hin. Vgl. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 66. 459   »Unter des lies Churfürstliche Durchlauchtikeit durch iren Canczler Magistrum Franciscum Burckhardi Doctorem Nicolaum Medler ansprechen, ob nicht das Te deum laudamus zusingen bestellet were, und lies ihm befhelen, das man den herren Bischof in den Chor fuhren, und in des Bischofs stul einweisen solt, welches durch die herren so bei dem altar waren, also geschehen, und folgten ihre Churfürstliche genaden sampt derselben herren bruder und herzogen Ernsten von Braunschweig, desgleichen alle ihre Chur und f. g. rethe und des stifts stende hinnach« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 184f). 460   »Und wardt also das Te deum laudamus auf dreien Choren, als auf der Orgel geschlagen, durch den Chor der Clerisei auf fünf stimmen in mensuris, und zum dritten durch das ganze volck, einen vers umb den anderen, mit freuden got dem almechtigen zu dancksagung deutsch gesungen« (aaO., 185). Vgl. ferner Sabine Žak: Das Tedeum als Huldigungsgesang, in: HJ 102 (1982), 1–32. 461   »In des aber wurde zugleich in allen kirchen mit allen glocken geleutet und zusammen geschlagen. Nach dem Te deum laudamus aber las Doctor Medler zur dancksagung ein deutsche Collecten, und sang der chor Amen darauf« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 185). 462   »Darnach ginge Chur und f. g. zu sachsen zu dem neuen bestetigten herren Bischoff vor seinen stul und wunschten ihm zu seinem newen angenummenen ampt von got dem almechtigen gluck und alle selikeit« (ebd.). 463   »Alda hielt ein wagen und die pferde darfur gespannen vor der kirchen, darauf saczte

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Nach der Wahl und der Ordination folgte ein Tag später, am Samstag, dem 21. Januar, zwischen sieben und acht Uhr der dritte Akt, die Huldigung im Naumburger Rathaus in Form eines Eides, den der Rat und die Bürgergemeinde leisteten.464 Am Nachmittag fuhren Amsdorf und die Wittenberger Theologen gemeinsam mit Stiftshauptmann Melchior von Creutzen nach Zeitz, um dort in der bischöflichen Moritzburg zu residieren. Am Sonntagvormittag predigte schließlich Amsdorf in der Stiftskirche, am Nachmittag betrat Luther die Kanzel in der Franziskanerklosterkirche; seine Worte sind jedoch nicht überliefert.465 Insgesamt ergibt die Betrachtung des Ablaufs, dass sich die Ernennung in wesentlichen Teilen an dem Wittenberger Ordinationsformular orientierte.466 Programmatisch sollte damit ein Kontrapunkt gegenüber einer Bischofsweihe nach altgläubigem Verständnis gesetzt werden. Die Konsekration des Bischofs war für Luther nichts anderes als die Ordination in ein geistliches Amt. Lediglich die Inthronisation wurde auf Wunsch des Kurfürsten beibehalten. Auch wenn Luther in seinem Sprachgebrauch weiterhin von »Weihe« sprechen kann,467 so grenzt er sich dennoch deutlich von der Zeremonie einer Bischofssich Chur und f. g. auf die eine seiten, und wurde der her Bischoff geheissen in den wagen zu siczen, der seczte sich forn, und der her Doctor Martinus hinden, der her apt zu Sant Georgen und her Spalatinus saczten sich auß Churfürstlicher genaden beuhel auf die ander seiten, und furen also mit iren Chru und f. g. fur derselben herberg, und hilten malzeit mit inen« (ebd.). 464   Vgl. aaO., 186–188. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 76–78. 465   Luther verweist in seiner Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen« einmal auf die Zeitzer Predigt. Darin berichtet er, dass er in Zeitz betont habe, dem Kurfürst gehe es nicht darum, das Hochstift aufzulösen: »Das nicht [der Kurfürst] die meinung hette, dem Bistumb ab zu brechen. Solchs hab ich auch zu Zeitz offentlich gepredigt« (WA 53; 259,14f). Vgl. ferner die Berichte zur Zeitzer Predigt: »Und der Bischoff vor mittag desselben Sonntags das Evangelium vom Aussezigen, und von des Hauptmanns zu Capernaum Son im Thumstifft zu Zeitz gepredigt, und nachmittag der Herr Doctor Martinus Luther eyn fast Christliche predigt von der großen Macht und crafft Gottes worts« (Georg Spalatin: Annales Reformationis Oder Jahrbücher von der Reformation Lvtheri, Leipzig 1718, 670). »Lutherus predigte hier in der Kirche des damaligen Franciscanerklosters oder der heutigen Klosterkirche« (Karl Gottlob Dietmann: Die gesamte der ungeänderten Augsp. Confeßion zugethane Priesterschaft in dem Churfürstenthum Sachsen und denen einverleibten, auch einigen angrenzenden Landen, Theil 1, Bd. 5, Leipzig 1763, 38, Anm. 10 [VD 18 90015053]). »Es war auch die Kirchen Reformation […], daß Lutherus […] auch selbst in der Klöster-Kirche oder Franciscaner-Kloster daselbst gepredigt hat« (Johann Christian Grubner: Historische Nachrichten von denen Herren Decanis eines hochwürdigen Capituls zu Zeitz, o. O. 1756, 21f). 466  Vgl. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 67–69. 467   Zum Sprachgebrauch vgl. den Titel der Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen« (WA 53; 219 und WA 53; 257,1–5), ebenfalls seine Schrift »Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe« aus dem Jahr 1533. Luther verwendete den Begriff »Weihe« synonym mit dem Ausdruck »ordinare«, bei der er insbesondere von der Grundbedeutung »einsetzen« und »verordnen« ausging. Vgl. hierzu WA 38; 405.

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weihe nach römischem Verständnis in der Öffentlichkeit ab. In seiner Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen« macht er daher gleich zu Beginn in polemischer Weise deutlich, dass man in Naumburg den Bischof auf rechte Weise eingeführt und dabei auf allen zeremoniellen Zierrat verzichtet habe, wie Öl, Butter, Schmalz, Speck, Teer, Schmalz, Weihrauch und Kohlen.468

4.4 Die Predigt über den Bischof als Vorbild der Gemeinde Die Predigt Luthers ist ebenfalls als Skizze innerhalb des ältesten Berichts aus dem Jahr 1542 erhalten, der vermutlich vom Naumburger Stadtschreiber Nicolaus Krottenschmidt erstellt wurde.469 Dieser Bericht war die Grundlage für weitere Abschriften in den Archiven Weimar und Gotha.470 Hierauf beruht auch die Darstellung in den Naumburger Annalen von Sixtus Braun aus dem Jahr 1613.471 Für die Weimarer Ausgabe veröffentlichte Otto Albrecht die Skizze der Predigt und versah sie mit einem textkritischen Apparat.472 Daneben existiert noch eine kurze Zusammenfassung der Predigt in den Annalen von Georg Spalatin.473 468   »Wjr armen ketzer haben abermal eine grosse suende auffs new begangen wider die hellische unchristliche Kirche des aller hellischten Vaters des Bapsts, das wir einen Bischoff im Stifft Neumburg Ordinirt und Eingeweihet haben on allen Cresem, auch on butter, schmaltz, speck, ther, schmer, weirauch, kolen, und was der selben grossen heiligkeit mehr ist« (WA 53; 231,2–7). 469   Das Original ist im Naumburger Stadtarchiv unter der Signatur Ms 61 einsehbar. Dort sind auch aus den Originaldokumenten zusammengestellte Berichte über einzelne Ereignisse erhalten, die sich aus drei Aktenstücken zusammensetzen und ursprünglich dem Geschlossenen Archiv zugeordnet waren: Loc XXVI, No. 5: »Historia von der Wahl« (25 Blatt); Loc. XXVI, No. 1: »Die Wahl Bischof Nicolai item Julii belangend, Rhatsbestätigung, Bischof Julii Einsetzung«, 1541 (93 Blatt); Loc XXVI, No. 3: »Absterben des alten Bischoffs und Huldigung des Neuen«, 1564 (9 Blatt). Für die Einsicht in die Originale danke ich der Leiterin des Naumburger Stadtarchiv Susanne Kröner. Abgedruckt wurde die »Historia von der Wahl« bei Carl Peter Lepsius: Bericht, 181–183). 470   Vgl. WA 49; XXVIf. Im Hauptstaatsarchiv Weimar ist eine wohl 1735 angefertigte Abschrift (F 622 Bl. 29f) aufbewahrt. Im Staatsarchiv Gotha existierte eine weitere Abschrift, die in der Allgemeinen evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung vom 14. Februar 1896 (Nr. 7) abgedruckt wurde, jedoch als verschollen gilt. 471  Vgl. Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2019, Nr. 2216–2223, 255f. Im Folgenden zitiert als Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2009. 472   Vgl. WA 49; XXVI–XXIX. Peter Brunner bevorzugt in seiner Darstellung die Naumburger Handschrift [dort zitiert unter dem Sigel NM 2] gegenüber den Mitteilungen von Sixtus Braun. Ihm zufolge weisen die Textfassungen Brauns, die von Felix Köster 1892 in einer ersten Auflage und dann von Friedrich Hoppe 1927 in einer zweiten Auflage herausgegeben wurden, »verglichen mit NM 2 […] in zahlreichen Fällen zweifelsfrei Lesefehler« auf, die auf die Herausgeber oder auf Braun selbst zurückzuführen sind. Vgl. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 52, Anm. 1. Vgl. ferner das Vorwort zur Neuauflage von Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2019, 17f. 473  Vgl. Georg Spalatin: Annales Reformationis Oder Jahrbücher von der Reformation Lvtheri, Leipzig 1718, 666f.

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Irrtümlicherweise wurde in der älteren Forschung Luthers Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen«474 vom März 1542 für Luthers Predigt gehalten.475 Die Hauptgedanken der Schrift entstammen jedoch vornehmlich dem dritten Gutachten vom 9. November 1541, die Luther auch zur Grundlage seiner Rede am 19. Januar abends vor den Stiftständen verwendete.476 In ihr verteidigt Luther erstens das Vorgehen des Kurfürsten, den vom Kapitel erwählten Bischof ab- und einen neuen einzusetzen, zweitens verhandelt er die Frage, ob die Stände ohne Verletzung ihres früheren Eides dem neuen Bischof huldigen dürften und drittens geht er auf die Frage ein, ob die Einführung des neuen Bischofs von ihm durchgeführt werden durfte, da er doch als Ketzer von der Papstkirche exkommuniziert worden war.477 Wenngleich der neueren Forschung zuzustimmen ist, dass es sich bei der Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen« nicht um den Wortlaut der Predigt handelt, so bleibt dennoch die Frage offen, ob Luther nicht einige Gedanken, die er in seiner Verteidigungsrede vor den Ständen bzw. seiner nachträglichen Schrift erläuterte, auch in der Predigt heranzog. Anders formuliert ist zu fragen, in welcher Beziehung die Predigt und die ›Exempel-Schrift‹ zueinander stehen. Außerdem sollen weitere Texte herangezogen werden, um die Gedanken Luthers in der Predigt genauer zu bestimmen. Als Predigttext wählte Luther die Abschiedsrede des Paulus in Milet vor den Ältesten der Gemeinde in Ephesus (Apg. 20, 28): »So habt nun Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist eingesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, die er durch sein eigenes Blut erworben hat«. Über diesen Text existiert keine andere überlieferte Predigt Luthers.478 Das spricht für den Gesamteindruck, dass der Reformator diesen Text speziell für die Bischofseinführung Amsdorfs auswählte, um diesem persönlich Mut und Trost für seine zukünftige Aufgabe zuzusprechen. Der Bericht Krottenschmidts spricht von einer sehr gewaltigen und tröstlichen Predigt.479 Da im   Vgl. WA 53; 219. 231–261.  Vgl. Ernst Hoffmann: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1901, 127, Anm. 4. Vgl. ferner WA 49; XXVI, Anm. 1. Vgl. ferner die Anmerkung, in der Lepsius indirekt auf die Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen« verweist, Carl Peter Lepsius: Bericht, 181. 476   Vgl. WA 53; 223; vgl. ferner Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 69–76. 477   Vgl. die Gliederung in drei Teile in WA 53; 232,15–21. Der zweite Teil beginnt mit WA 53; 246,21 und der dritte Teil mit WA 53; 256,10. 478   Vgl. das Predigtregister in WA 22; LXXV. Die Predigt zur Bischofseinführung ist in das Register nicht mit aufgenommen worden, obwohl die Überlieferung besser als so manche Mitschrift ist. 479   »[…] ein ser gewaltige und tröstliche predigt« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 181). Sixtus Braun spricht statt von einer »tröstlichen« von einer »köstlichen« Predigt, wobei es sich hier wohl um einen Lesefehler handelt. Vgl. Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2019, Nr. 2216, 255. 474

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Vers vom Hirten, der Herde und dem Weiden der Schafe die Rede ist und ferner die Vorsicht vor den bösen Wölfen (Apg. 20, 29) anklingt, ist der Vers im Kontext weiterer Bibeltexte zu sehen, in denen das semantische Feld aufgenommen wird, wie das Ich-bin-Wort Jesu als guter Hirte (Joh. 10, 11–16), der dreimalige Auftrag Jesu an Petrus, die Schafe zu weiden (Joh. 21, 15–19), der Zuspruch an die irrenden Schafen (1. Petr. 2, 25), die alttestamentliche Rede vom Hirtenamt (Ez. 34) und der Psalm vom Guten Hirten (Ps. 23). Diese Texte stehen am zweiten Sonntag nach Ostern, dem Sonntag Misericordias Domini, im Zentrum der Betrachtung.480 Auffällig ist, dass auch die ›Exempel-Schrift‹ ausführlich die Bildsprache vom Hirten, den Schafen und den bösen Wölfen aufnimmt, die sich durch die gesamte Schrift zieht, was eine gewisse Verwandtschaft zur Naumburger Predigt nahelegt.481 Spalatin gibt als Thema der Predigt an, Luther habe über das bischöfliche Amt gepredigt. Dabei soll er erstens darauf eingegangen sein, was die christliche Kirche sei, zweitens, welche Motive ein rechter Bischof haben solle, sein Amt auszuführen, und drittens, welche Hilfe man von Gott bei der Ausführung des Amtes erwarten dürfe.482 Im Vergleich hierzu stimmt der Bericht von Krottenschmidt mit der Darstellung Spalatins überein, entfaltet die Thematik aber genauer. Dort wird nach der Nennung des Bibeltextes in fünf Punkte gegliedert.483 Der erste Punkt hebt die Größe und Schwere des Bischofsamtes hervor, der zweite markiert die gefühlte Schwachheit der wahren Bischöfe angesichts der zu tragenden Bischofspflichten, der dritte Punkt bezieht sich auf die Macht Gottes, 480   Zu den Predigten zum Sonntag Misericordias Domini siehe oben Seite 150. Insbesondere lassen sich Parallelen in der Predigt aus Crucigers Sommerpostille aus dem Jahr 1544 über 1. Petr. 2, 18–25 entdecken, hier insbesondere die Auslegung von Vers 25 (WA 21; 297– 338, hier 314,27–316,10). Die Vorlage zur Auslegung von Vers 25 lässt sich jedoch nicht mehr rekonstruieren (WA 22; XXf). 481   Vgl. die Aufnahme von Joh. 10, 5. 14. 27: »So wollen wir noch etliche einfueren, denen sie eben so wenig widerstehen sollen als den vorigen. So spricht der HERr Johannis x.: Meine Schafe hoeren meine Stimme, Einem Frembden aber folgen sie nicht, Sondern flihen von jm, denn sie kennen der Frembden stimme nicht« (WA 53; 234,28–32 und die Parallelstelle WA 52; 242,6–8). Vgl. ferner die Verwendung von Mt. 7, 15: »Welchs unser Herr Christus mit andern worten also deutet Matth. vij.: Huetet euch fur falschen Propheten die zu euch komen in Schaffs kleidern, inwendig aber sind sie reissende Wolffe &c.« (WA 53; 233,5–7). Vgl. auch beispielsweise WA 53; 244,28–245,8 sowie »Wolfissch Regiment« (WA 53; 237,30; 242,33); »Schaffstal« (WA 53; 240,9); »sich aus der Wolffe und des Teuffels gehorsam gewirckt« (WA 53; 241,28–242,1). 482   Luther hielt »ein fast Christliche, kurze, trostliche und ernste Predigt vom Bischofflichen Ampt […], [1.] und was die recht Christlich Kyrchen [wäre], nemlich ein armes, nichtigs, unmechtigs, nerrisch heufflen, doch mit dem Blut Gottes erkaufft, were, [2.] Und was die Bischoffen und Pfarrer bewegen solt, solch schwer ampt willig zu tragen, [3.] Dos auch Gott mit Gnaden, trost und Hülff darbey sein wollt, aus St. Paulus erinnerung und letzten Predigt in der Apostel-Geschichten am 20ten Capitel, zu den Bischoffen zu Epheso, do er von inen zu Milet wolt scheiden.« (Georg Spalatin: Annales Reformationis Oder Jahrbücher von der Reformation Lvtheri, Leipzig 1718, 666f). 483  Vgl. Carl Peter Lepsius: Bericht, 181–183.

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die den wahren Bischöfen trotz ihrer Zweifel wider die bösen Geister und Tyrannen verliehen wird, der vierte Punkt fokussiert die wahre Kirche, für die Christus im Widerstand zu den Tyrannen der Welt gestorben sei, und der fünfte Punkt enthält die Ermahnung der Gemeinde zur Beständigkeit. Zunächst hebt Luther dem Bericht zufolge die Größe und Schwere hervor, die das Bischofsamt mit sich bringe.484 Da dem Bischof die Gemeinde anvertraut werde, die durch das Blut Christi teuer erkauft sei, habe dieser die Aufgabe, die christlichen Seelen zu hüten und zu weiden.485 Diesen Gedanken hat Luther später bei anderen Gelegenheiten wiederholt. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Gleichheit der Person von Gott und Christus in der Hauspostille aus dem Jahr 1544 geht Luther auf denselben Vers ein.486 Dort bekräftigt er, dass Christus die Kirche durch sein Blut erworben habe und sie sein eigen sei. Deshalb habe Paulus auch zu den Pfarrherren gesagt, dass sie kein leichtes Amt bzw. kein »schertz Ambt« haben.487 Auch in der ›Exempel-Schrift‹ ergibt sich eine Parallele hinsichtlich der Verantwortung eines Bischofs. Luther bestimmt darin, dass der Bischof die Aufgabe habe, ein heiliges Leben zu führen, zu taufen, zu predigen, Beichte abzunehmen und den Seelen zum ewigen Leben zu verhelfen.488 Wer diese Aufgaben nicht erfülle, sei kein rechter Bischof. Ein solcher Fall liege bei der Einsetzung von Pflug als Bischof vor. Daher ermahnt Luther in Anlehnung an Mt. 7, 15, sich vor den falschen Propheten zu hüten, die sich in Schafskleidern versteckten, inwendig jedoch reißende Wölfe seien.489 Vielmehr sollten die Schafe fliehen, wenn sie die Stimme eines Fremden bzw. die eines »Wolfsbischofs« hörten.490

484   »Aus diesem Text zoge Doctor Martinus erstlich ahn die grosse und beschwerung eines Bischofs, welches das blut unsers lieben hern Jhesu Christi und Christlichen selen damit erkauft, und gleiches werdes sein zu hüten und zu weiden vertrauet und befolen weren« (aaO., 182). 485   Sixtus Braun glättet den Satz des Berichts, indem er schreibt: »Aus diesem Text hat D[octor] Luther angezogen erstlichen die große Beschwerung eines Bischofs, dass er auf die christliche Seelen, welche durch das Blut Jesu Christi erkaufet und ihm [an]vertrauet und befohlen, Achtung geben und dieselbe hüten und weiden solle« (Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2019, Nr. 2217, 255). 486   Vgl. die Predigt über Joh. 3, 1–15 in Veit Dietrichs Hauspostille aus dem Jahr 1544, WA 52; 335–345, hier die Auslegung zu Apg. 20, 28, WA 52; 338,11–26. Vgl. ferner WA 10 I.2; 244,21–34. 487   »Denn also sagt Paulus hie zu den Pfarrherrn: Sehet euch für, jr habt nicht ein schertz Ambt auff euch, das jr die Kirchen solt weyden oder den hauffen, den Gott durch sein blut erworben hat« (WA 52; 338,21–23). Vgl. ferner die Beschreibung der fünf Tugenden eines Bischofs in seiner Schrift »Wider den falsch genanten geistlichen Stand des Papsts und der Bischöfe« aus dem Jahr 1522 (WA 10 II; 93. 99–158). 488   »Nemlich das ein Bischoff sol heilig sein, Predigen, Teuffen, binden und loesen die Suende, troesten und helffen den Seelen zum ewigen Leben« (WA 53; 253,6–8). 489   Vgl. WA 53; 233,5–7 u. 234,12. 490   Vgl. WA 53; 234,30–235,5.

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Als zweiten Punkt berichtet Krottenschmidt, Luther habe ausgeführt, dass gerade die wahren Bischöfe sich aufgrund der Verantwortung schwach fühlten und sich vor der Aufgabe fürchteten. Die Angst sei bei ihnen so groß gewesen, dass sie sogar lieber davongekrochen wären, wenn es ihnen nicht möglich war, davonzulaufen.491 Vielleicht hat Luther hier auch die Erzählung von Bischof Valerius von Hippo eingefügt, auf die er in der ›Exempel-Schrift‹ eingeht. Dieser habe unter seinem Amt gelitten, weil er aufgrund eines Sprachfehlers nicht recht predigen konnte. Deshalb habe er Augustin gebeten, für ihn die Predigten zu halten. Weil es jedoch zu dieser Zeit üblich gewesen war, dass nur der Bischof predigen durfte und einige sich darüber missgünstig äußerten, nahm Augustin davon Abstand.492 Insgesamt zeigt sich hier das Feingefühl Luthers für die Situation Amsdorfs, der selber Zweifel an seiner Einführung hegte. Luther nahm, solange er konnte, wärmstens Anteil an Amsdorfs Mühen, das Bischofsamt auszufüllen, weshalb Peter Brunner in diesem Zusammenhang auch von einer »parakletischen Episkopaltheologie« in Parallelität zur »Pastoraltheologie« spricht.493 So bestärkte Luther ihn kurz nach der Amtseinführung im Brief vom 6. Februar: Amsdorf solle nicht auf die eigene Schwäche schauen und sich fragen, was und wieviel Gott durch ihn ausrichten wolle. Denn dann käme man nur zum Schluss, dass man selbst gar nichts bewirken könne.494 Über den dritten Punkt gibt der Bericht am ausführlichsten Auskunft. Obwohl die wahren Bischöfe sich zumeist der Aufgabe nicht gewachsen fühlten, habe Gott ihnen Stärke und Macht verliehen, um sich gegen die bösen Geister 491   »Zum andern zog ehr ahn die grosse Schwachheit, forcht, und blödigkiet der rechten wahrhaftigen Bischof, welche dieses ampts herlikeit und bürden verstunden, und gerne recht furen wolten, das nicht wunder were, das einer dauon kruche, wo er nicht dauon lauffen kunde« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 182). Vgl. auch Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2019, Nr. 2218, 255). – Warum Luther in der Predigt das markante Bild vom »Weglaufen« bzw. vom »Kriechen« im Sinne von heimlich davonstehlen verwendet hat, könnte im entfernten Sinn auch mit seiner Auffassung vom Priestertum aller Getauften zusammenhängen. In seiner ›Adelsschrift‹ formuliert er den Gedanken: »Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es sich nicht jedem ziemt, ein solches Amt auszuüben« (DDStA 3; 13,11–13; WA 6; 408,11–13). Vgl. hierzu Hans-Martin Barth: Einander Priester sein. Allgemeines Priestertum aus ökumenischer Perspektive (KiKonf 29), Göttingen 1990, 34. 492   Vgl. WA 53; 253,21–35. Luther entnimmt die Geschichte der »Vita Augustini« von Possidius (Vgl. Possidius: Vita Augustini. Zweisprachige Ausgabe, hg. von Wilhelm Geerlings, Paderborn u. a. 2005, Kap. 4, 32f). Vgl. hierzu Ernst Schäfer: Luther als Kirchenhistoriker. Ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaft, Gütersloh 1897, 266. 493  Vgl. Peter Brunner: Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, Gütersloh 1961, 95–101. 494   »Si in nostro Consilio esset, quid aut quantum per nos Deus facere vellet, Nihil omnino per nos faceret,scilicet subito perturbaremus eius consilium, ostendentes ei finem formamque efficientem, longitudinem, latitudinem, profunditatem, id est Nostram illam Sapientissimama Carnis Sapientiam, qua impeditus cogeretur nos dimittere in desideriis cordis nostri & nostris consiliis Saturari« (Brief Luthers wohl vom 3. Februar 1542 an Nikolaus von Amsdorf, WA B 9; Nr. 3709, 609,14–610,20).

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der Tyrannen zur Wehr zu setzen.495 Er verweist hierbei auf Mose, der als armer Schafsknecht aus Midian von Gott dazu berufen wurde, sich gegen den Pharao zu stellen und das Volk Gottes aus Ägypten zu führen.496 Mose wird im Kontext des Bischofamtes auch in Luthers Epistel-Auslegung von 1. Tim. 3, 2 herangezogen.497 Für Luther war Mose Vorbild des Glaubens, an dem sich ein Bischof zu orientieren habe, wie er es auch in seinen Reihenpredigten über das 1. Buch Mose ausführt, in deren Kontext die Schrift »Eine Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose schicken sollen« aus dem Jahr 1527 entstanden ist.498 Auch in der ›Exempel-Schrift‹ geht er darauf ein, dass sich durch Gottes Gnade das Naumburger Domkapitel nicht durchsetzen konnte. Vielmehr habe Gott in Anlehnung an das Magnifikat (Lk, 1, 52) die Gewaltigen vom Thron gestoßen und die Niedrigen erhoben.499 Als vierten Punkt berichtet Krottenschmidt, Luther habe von der wahrhaftigen Kirche gesprochen, für die Christus gestorben sei.500 Er scheint hier wieder auf den Predigttext (Apg. 20, 28) zurückgekommen zu sein, in der die Gemeinde als durch Christi Blut erworben vorgestellt wird. Dabei muss er wohl gegen die falschen Bischöfe des Papstes polemisiert haben. Sie seien hochmütig, voller Geiz und Tyrannei, schwelgten in Lastern und lebten in Hurerei.501 Die Polemik führte Luther dann jedoch nicht weiter aus, sondern beendete abrupt den Gedankengang mit der Begründung, dass die Naumburger Pfarrer darüber schon häufig gepredigt hätten und noch predigen würden.502 495   »Zum dritten zeigt er ahn die grosse kraft und macht gottes, so durch solche schwache leute dieses werck gleichwol erhilt und auffuret wieder den grossen gewalt aller bösen geister der Tyrannen und gewaltigen dieser welt, welche got sampt irem gewalt sturzet und zu nicht machte« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 182). Vgl. auch Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2019, Nr. 2219, 255). 496   »[…] und brachte hiezu das exempel Moisi, wie derselbe als ein armer schaffknecht in Midiam, der seine schwachheit und blödigkeit wol erkant, allein auß blosem befhel gottes zum konige Pharaon gefurt, und das volck aus Egipten furen« musste (Carl Peter Lepsius: Bericht, 182). 497  Vgl. Martin Luther: Epistel-Auslegung, Bd. 5, hg. von Hartmut Günther u. Ernst Volk, Göttingen 1983, 55. 498   Vgl. WA 24; 1–24, hier 15,1–5. 499   »Auff solche macht, wil ich schier gleuben, das sich das Nenmburgisch Capitel und ander mehr verlassen haben und noch verlassen. Aber so sollen die hoehen Leute reden, wenn sie am Ende sind und fallen muessen nach dem Lied der Mutter Gottes: Er stoesst die Gewaltigen vom stuel« (WA 53; 238,22–26). 500   »Zum vierden redte ehr von der wahrhaftigen Christlichen Kirchen, welche es were, fur die Christus gestorben se, sein blut vergossen, sie damit erlost und erkauft hette« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 182). 501   »Nemlich das es nicht die bezweifelten Buben die Bischoff und pfaffen in Babstumb weren, welche mit Hoffart, Geicz, Tyranney, schwelgerei, und allen andern lastern beladen, sich auch mit hurlein schlepten, solche leute keufte Christus nicht mit so einem teuem werde seines bluts« (ebd.). 502   »Und brach diesen punct ab, und remittirt das Volk auf iren pfarhern zur Naumburgk, von dem sie solchs zuvor oftmals wol gehort und noch hören wurden« (aaO., 182f).

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Jene Polemik zieht sich auffälligerweise auch durch die gesamte ›ExempelSchrift‹, in der Luther beispielsweise dazu auffordert, sich vor dem papistischen Naumburger Domkapitel und dessen abgöttischen Anhang zu hüten.503 Mit der Wahl Pflugs als Bischof, ohne vorher den Landesherrn einzubeziehen, werde offenbar, dass es sich beim Domkapitel um ein ›Wolfs-Regiment‹ handele.504 Mit dem fünften Punkt wendet sich Luther direkt an die Gemeinde.505 Er ermahnt seine Zuhörerinnen und Zuhörer zur Beständigkeit gegenüber den feindlichen Angriffen des Teufels. Man solle sich nicht um ihn kümmern. Denn mit einer solchen ignorierenden Haltung werde man dem Teufel auf sein Maul schlagen, worauf dieser jedoch gewiss ergrimmen und zornig werde.506 Doch wie übel die Angriffe auch würden, man solle sich nicht fürchten.507 Etliche hätten den Gedanken, es wäre besser, dass die Wahl so nicht zustande gekommen wäre. Doch er versichere den Zweiflern, dass nicht Geld, Macht oder Gut eine Rolle dabei spielten, sondern alles zum Lobe Gottes und zur Wohlfahrt der Christenheit geschehen sei.508 Hierzu verweist Luther auf Hab. 3, 8, nach dem die Rosse und Wagen Gottes letztlich siegen werden.509 Er weitet dabei dieses Bild, indem er davon spricht, dass der Wagen Gottes zwar langsam vorankomme, da allerlei Dreck an den Rädern hänge, Steine und Holz den Weg pflasterten, sodass der Wagen hin und her schwanke, die Achse breche und sogar der

503   »Doch jmer fort des Papistischen Capitels und jres lesterlichen abgoettischen anhangs, Kuertisanen und ettlicher grossen hohen und breiten Hueten« (WA 53; 238,2f). 504   »Und ob sie vom Capitel oder jrs teils fuergeben wolten, Sie weren keine Wolffe, sondern ordentliche Geistliche Prelaten der Kirchen, von alters her komen, lereten oder thetten auch nichts Wolffisch in jrem Regiment &c.., Wie wol nu offenbar ist, das sie selbs wol anders wissen, und wider jr Gewissen hierin reden« (WA 53; 243,8–12). 505   »Zum funften vermanet ehr das gancze volck zu bestendigkeit, ob etwan mit der zeit dieses Christliche werck anfechtung gewinnen wurde« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 183). Beim fünften Punkt hat Sixtus Braun stärker gekürzt. Vgl. Sixtus Braun: Annales Numburgenses (1613), Naumburg 2019, Nr. 2221, 256. 506   »[…] dan hiemit schlug man den Teufel aufs maul, der wurde gewislich ergimmen und zornig werden« (Carl Peter Lepsius: Bericht, 183). 507   »Sie solten sich aber daran nicht keren noch entseczen, wie ubel es sich auch anlassen mochte« (ebd.). 508   »[…] und das etliche dencken mochten, es were besser, das es ine [Schreibfehler: nie] angefangen were, dan es doch ie allein in dem lieben und heiligen namen gottes angefangen und wurde hiemit wieder wider gelt, ehr noch gut, besundern [= sondern] allein gottes lob, ehr und preis anzurichten ein recht wahrhaftig bischofflich ampt nach seinem heiligen wort und beuhel (= Befehl) und der armen Christenheit gedeien und wolfart gesucht« (ebd.). 509   »[…] darumb so wurde es got auch wieder alle menschliche vernumpft wol hinaus füren, und zoge hinein den spruch Abacuck, da ehr in seinem gebet am 4. Capittel [falsche Angabe] zum herren spricht, da due auf deinen rossen rittest und deine wagen den sig behielten« (ebd.)

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Fuhrmann vom Pferde falle.510 Doch trotz aller Widrigkeiten werde der Wagen Gottes aber sein Ziel erreichen.511 Insgesamt zeigt die Predigt, wie Luther den biblischen Text mit der persönlichen Situation verknüpfte. Dabei wählte er einen Bibelvers speziell für den Kasus der Bischofseinführung aus und orientierte sich nicht an den Themen des Kirchenjahres. Obwohl die ›Exempel-Schrift‹ nicht die Predigt enthält, lassen sich gleichwohl inhaltliche Parallelen entdecken, insbesondere in der Verwendung der Hirten-Metaphorik. Will man beide Äußerungen Luthers zueinander in Beziehung setzen, so handelt es sich bei der Predigt um das persönlich gehaltene und auf Amsdorfs Situation eingehende Pendant zur offiziellen Stellungnahme über die Naumburger Verhältnisse in der ›Exempel-Schrift‹.

4.5 Zwischenfazit Die Naumburger Bischofseinführung gibt in exemplarischer Weise einen Einblick in Luthers Tätigkeit als theologischer Berater des Kurfürsten, politischer Vermittler der verschiedenen Parteien Naumburgs, reformatorisch geprägter Liturg und evangelischer Kasualprediger. Als theologischer Berater hat Luther anfänglich, ebenso wie seine Wittenberger Kollegen und die politischen Berater des Kurfürsten, trotz aller Gegnerschaft zu Pflug, gezögert, in reichsrechtlich illegitimer Weise vorzugehen. Vielmehr riet er zur Besonnenheit und Diplomatie, der ein mehrmonatiger Verhandlungsprozess folgte. Dabei lässt sich beim Kurfürsten ein unterschiedliches Vorgehen hinsichtlich der weltlichen und geistlichen Machtübernahme beobachten. Während er im September als Demonstration seiner Macht das Zeitzer Regierungskollegium absetzte, gestaltete sich der Verhandlungsprozess hinsichtlich der Bischofsfrage in einer eher diplomatischeren Weise, ohne freilich den Kurfürsten von seinem Willen abbringen zu können, einen neuen Bischof gegen Pflug durchzusetzen. Die Machtübernahme stellte zwar unbenommen einen Rechtsbruch auf reichsrechtlicher Ebene dar, für den der Kurfürst nach dem Schmalkaldischen Krieg auch verantwortlich gemacht wurde. Mit Abstand betrachtet war ein solches Vorgehen in jener Zeit aufgrund des Machtkonflikts zwischen Fürsten und Kaiser jedoch nicht ungewöhnlich. Im Lichte der longue durée gehören die Naumburger Vorgänge daher in die Geschichte der neuzeitlichen Entschränkung von weltlicher und geistlicher Sphäre. Als politischer Vermittler trat Luther insbesondere durch seine Rede vor den Stiftständen am 19. Januar hervor, die danach eine Grundlage seiner ›Exempel510   »[…] darauf sagt ehr von diesem wagen gottes, wie ehr schwerlich fort ging, den es hangte sich dreck an die reder, stein und klöcz legen in dem wege, der wegen schlug von einer seiten zu der andern und breche die achse und fil der furman von dem pferde« (ebd.). 511   »Aber gleich wol hies ehr inen ein wagen des heils, der den sig behilt und entlich hinaus [zum Ziel] fure« (ebd.).

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Schrift‹ bildete. Interessant ist, dass der Kurfürst in dieser angespannten Situation den Stiftständen riet, sich theologisch von Luther beraten zu lassen, der die Gelegenheit nutzte, Einfluss zu nehmen. Mit der Machtenthebung des Domkapitels ging die Erweiterung der Wahl einher, bei der die Stiftstände, die Stadträte und schließlich per Akklamation auch das Volk miteinbezogen wurden. Der liturgische Ablauf der Bischofseinführung orientierte sich dabei an dem Wittenberger Ordinationsformular. In programmatischer Weise wollte man sich von einer Bischofsweihe nach römischem Verständnis abgrenzen. Die Segnung, die Luther im Beisein weiterer geistlicher Vertreter vornahm, bildete hierbei den Höhepunkt der Zeremonie. In der Predigt hob Luther die Schwierigkeiten eines Bischofsamtes hervor und ging auf die Situation Amsdorfs ein und sprach ihm persönlich Mut zu. Hierzu legte er einen Bibelvers aus, den er passend für die Kasualie ausgewählt hatte. Dabei lassen sich Parallelen zur ›Exempel-Schrift‹ entdecken, wenngleich diese inhaltlich mit der Predigt nicht übereinstimmt. Vielmehr bildet sie als offizielle Stellungnahme das Pendant zur persönlich gehaltenen Predigt.

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5. Die Einweihung der Torgauer Schlosskirche (5. Oktober 1544) 5.1 Die Schlosskirche im Kontext der protestantischen Sakralarchitektur Die Einweihung der Schlosskirche ist eine wesentliche Station in der Geschichte der protestantischen Sakralarchitektur.512 Gemeinsam mit der Schlosskapelle zu Neuburg an der Donau, die Pfalzgraf Ottheinrich (1502–1559) zwischen 1537 und 1544 umbauen ließ,513 steht sie für den Beginn des protestantischen Kirchenbaus in Deutschland.514 Luthers Einschätzung zufolge wurde nirgends 512  Vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: Architektur und Reformation. Die Schlosskapelle und die Frage nach der protestantischen Architektur, in: Dirk Syndram u. a. (Hg.): Luther und die Fürsten. Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation, Aufsatzband, Dresden 2015, 65–76; Walter Ohle: Die Kapelle des Schlosses Hartenfels in Torgau. Promotionsschrift Leipzig 1936; Hansjochen Hancke: Die Torgauer Schloßkirche und die Burgkapelle St. Martin, in: Barbara Schock-Werner (Hg.): Burgund Schloßkapellen, Stuttgart 1995, 133–137; Hans Joachim Krause: Die Schlosskapelle in Torgau, in: Harald Marx/Cecilie Hollberg (Hg.): Glaube & Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit, Aufsätze, Dresden 2004, 175–188; Reinhold Wex: Oben und unten oder Martin Luthers Predigtkunst angesichts der Torgauer Schloßkapelle, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 11.3 (1983), 4–24; Jürgen Herzog (Hg.): Die Schloßkirche zu Torgau. Beiträge zum 450jährigen Jubiläum der Einweihung durch Martin Luther am 5. Oktober 1544, hg. von Torgauer Geschichtsverein, Torgau 1994. 513   Zur Schlosskapelle von Neuburg vgl. Reinhard Hermann Seitz: Die Schloßkapelle zu Neuburg a.d. Donau. Einer der frühesten evangelischen Kirchenräume im Spiegelbild von Reformation und Gegenreformation, Weißenhorn 2016; Stephan Hoppe: Antike als Maßstab. Ottheinrich als Bauherr in Neuburg und Heidelberg, in: Suzanne Bäumler u. a. (Hg.): Von Kaisers Gnaden. 500 Jahre Pfalz-Neuburg. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2005 Neuburg an der Donau 3. Juni bis 16. Oktober 2005, Augsburg 2005, 211–213; Ulrike Heckner: Im Dienst von Fürsten und Reformation. Fassadenmalerei an den Schlössern in Dresden und Neuburg an der Donau im 16. Jahrhundert (Kunstwissenschaftliche Studien 64), München u. a. 1995, 79–128; Rudolf Riedinger: Der typologische Gehalt der Fresken in der Schloßkapelle zu Neuburg an der Donau (1543), in: Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte 38 (1975), 900–944. – Zur Reformationsgeschichte vgl. Michael Henker: Die Einführung der Reformation im Fürstentum Pfalz-Neuburg, in: Neuburg an der Donau (Hg.): Pfalzgraf Ottheinrich. Politik, Kunst und Wissenschaft im 16. Jahrhundert, Regensburg 2002, 142–152; Gerhard Müller: Die Pfalz-Neuburger Kirchenordnung von 1543. Andreas Osiander als theologischer Berater von Pfalzgraf Ottheinrich, in: Zeitschrift für bayrische Kirchengeschichte 84 (2015), 84–100. 514  Hans-Joachim Krause: Die Schlosskapelle in Torgau, in: Harald Marx/Cecilie Hollberg (Hg.): Glaube & Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit, Aufsätze, Dresden 2004, 175–188, hier 175. Allgemein zur Geschichte der protestantischen Architektur vgl. Jan Harasimowicz: Evangelische Kirchenräume der frühen Neuzeit, in: Susanne Rau/ Gerd Schwerhoff (Hg.): Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 21), Köln u. a. 2004, 413–445; Ders.: Protestantischer Kirchenbau im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Peter Claus Hartmann (Hg.): Religion und Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2004, 327–370; Rainer Sörries: Von Kaisers Gnaden. Protestantische Kirchenbauten im Habsburger Reich, Köln 2008; Traugott Koch: Der lutherische Kirchenbau in der Zeit des Barocks und seine theologischen Voraussetzungen, in: KD 27 (1981), 111–129; Franz-Heinrich Beyer: Geheiligte Räume. Theologie, Geschichte und Symbolik des Kir-

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eine so schöne Kapelle gebaut wie in Torgau. Sie übertreffe selbst den Tempel Salomos in Jerusalem und den heidnischen Tempel der Diana in Ephesos.515 Das Schloss Hartenfels wurde im Zuge der Leipziger Teilung 1485 auf den Resten einer mittelalterlichen Burganlage erbaut, die wiederum auf einer slawischen Wehranlage basierte.516 Kurz nach seinem Regierungsantritt im April 1532 beauftragte Kurfürst Johann Friedrich seinen Baumeister Cuntz Krebs mit der Modernisierung seiner Hauptresidenz.517 Teil des Bauprogramms war auch die Errichtung der Schlosskapelle, da die alte Burgkapelle St. Martin dem neuen Südosttrakt weichen musste.518 Baumeister der Kapelle war nach dem Tod von Cuntz Krebs im Jahr 1540 und seinem Nachfolger Andreas Günther ein Jahr später Nickel Gromann.519 Der rippengewölbte Wandpfeilersaal mit doppelten Emporen von 23 Metern Länge, 11 Metern Breite und 14 Metern Höhe weist mehrere Aspekte späterer protestantischer Innenraumgestaltungen auf.520 Die Kapelle ermöglicht einen freien Blick ohne Säulen, Pfeiler oder Pilaster auf den Altar, der aufgrund der Eingliederung in den Grundriss des Schlosses gen Westen ausgerichtet ist.521 Dieser wohl ursprünglich mit einem Retabel von Lukas Cranach ausgestattete Altar, der 1662 durch einen alabasternen Tischaltar aus der Dresdner Schlosskapelle ersetzt wurde, war auf die Längschengebäudes, Darmstadt 2008; Harold Hammer-Schenk: Art. ›III. Kirchenbau des 16. bis 18. Jh. (Spätgotik bis Frühklassizismus)‹, in: TRE 18, 460–483. 515   »Salomon hat niergent so einen schönen tempel gebauet, als itzunder Torga hat. Postea gentes in Epheso Dianae templum aedificarunt, fortassis certantes cum Iudaeis aedificando« (WA T 5; Nr. 6197, 533,9–11). 516   Zur Stadtgeschichte vgl. Carl Knabe: Geschichte der Stadt Torgau bis zur Reformation, Torgau 21925, 9–12; Ernst Henze: Geschichte der ehemaligen Kur- und Residenzstadt Torgau, Torgau 1925; Ders.: Geschichte von Torgau und Umgegend, Torgau 1899. 1f. 5. 517  Vgl. Hans-Joachim Krause: Die Schlosskapelle in Torgau, in: Harald Marx/Cecilie Hollberg (Hg.): Glaube & Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit, Aufsätze, Dresden 2004, 175–188, hier 175. 518  Vgl. Hans-Joachim Krause: Zur Geschichte und ursprünglichen Gestalt des Bauwerks und seiner Ausstattung, in: Jürgen Herzog (Hg.): Die Schloßkirche zu Torgau. Beiträge zum 450jährigen Jubiläum der Einweihung durch Martin Luther am 5. Oktober 1544, hg. von Torgauer Geschichtsverein, Torgau 1994, 27–39, hier 27. 519   Zu Nickel Gromann bzw. Grohmann vgl. Julius Groeschel: Zur Geschichte der Renaissance und ihrer Vertreter in den Sachsen-Ernestinischen Ländern, in: Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Alterthums 13 (1894), 7–23; Wolfgang Wennig: Schmuckformen der thüringischen Baukunst im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert (Beiträge zur Kunstgeschichte und Archäologie 1), Würzburg-Aumühle 1939; Lutz Unbehaun: Der fürstliche Baumeister Nickel Gromann. Ein Beitrag zur thüringischen Kindstgeschichte, in Rudolstädter Heimathefte 29 (1983), 76–82. 117–119. 520  Vgl. Hansjochen Hancke: Die Torgauer Schloßkirche und die Burgkappelle St. Martin, in: Barbara Schock-Werner (Hg.): Burg- und Schloßkapellen, Stuttgart 1995, 133– 137, hier 133. 521  Vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: Architektur und Reformation. Die Schlosskapelle und die Frage nach der protestantischen Architektur, in: Dirk Syndram u. a. (Hg.): Luther und die Fürsten. Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation, Aufsatzband, Dresden 2015, 65–76, hier 65.

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achse hin ausgerichtet ohne Abgrenzung eines eigenen Chorraums.522 Oberhalb des Altars befindet sich auf einer eigenen Empore die Orgel, die ursprünglich aus dem damals in Auflösung befindlichen Kloster Lichtenburg bei Prettin stammte.523 Markantestes Objekt auch heutzutage noch ist die polychrome Kanzel vom Bildhauer Simon Schröter, die am mittleren Pfeiler der Nordseite in der Mitte des Raumes angebracht ist.524 Für eine Schlosskapelle nicht unüblich befand sich über dem Kanzelredner die Loge des Fürsten. Der gesonderte Bereich war mit einem eigenen Zugang von den privaten Gemächern versehen. Fenster in der Nähe des Zugangs erlaubten dem Herrscher, dem Gottesdienst beizuwohnen, ohne eigens in der Kapelle anwesend zu sein.525

5.2 Die Bedeutung des Sabbats (vormittags) Am Samstag, dem 4. Oktober, reiste Luther mit Johannes Bugenhagen nach Torgau.526 Wie Rechnungen belegen, wurde er von zwei Knechten mit einer Nimbschener Klosterkutsche abgeholt und am 7. Oktober wieder zurückgebracht.527 Am 5. Oktober, dem 17. Sonntag nach Trinitatis, hielt Luther zur Einweihung der Schlosskapelle zwei Predigten, eine am Vormittag und eine am Nachmittag.528 Beide Predigten sind durch ein Stenogramm Rörers überliefert, wobei einige Blätter durch die Bindung so angeschnitten wurden, dass unten Zeilen fehlen.529 Da die Bindung jedoch erst 1552 erfolgte, muss Cruciger noch das vollständige Manuskript gekannt haben.530 Die Vormittagspredigt wurde von Kaspar Cruciger bearbeitet und nach dem Tod Luthers im Oktober 1546 522   Frühere Quellen weisen daraufhin, dass hinter dem Altar ein Retabel von Lucas Cranach mit einer Abendmahlsszene stand. Vgl. Hansjochen Hancke: Die Torgauer Schloßkirche und die Burgkappelle St. Martin, in: Barbara Schock-Werner (Hg.): Burg- und Schloßkapellen, Stuttgart 1995, 133–137, hier 137, Anm. 3. 523  Vgl. Ekkehard Saretz: Zur Geschichte der Orgeln, in: Jürgen Herzog (Hg.): Die Schloßkirche zu Torgau. Beiträge zum 450jährigen Jubiläum der Einweihung durch Martin Luther am 5. Oktober 1544, hg. von Torgauer Geschichtsverein, Torgau 1994, 56f. 524  Vgl. Andreas Rothe: Theologie in Stein und Bild, in: Jürgen Herzog (Hg.): Die Schloßkirche zu Torgau. Beiträge zum 450jährigen Jubiläum der Einweihung durch Martin Luther am 5. Oktober 1544, hg. von Torgauer Geschichtsverein, Torgau 1994, 7–26, hier 14f. 525  Vgl. Thomas DaCosta Kaufmann: Architektur und Reformation. Die Schlosskapelle und die Frage nach der protestantischen Architektur, in: Dirk Syndram u. a. (Hg.): Luther und die Fürsten. Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation, Aufsatzband, Dresden 2015, 65–76, hier 69. 526  Vgl. Georg Buchwald: Georg Helt’s Wittenberger Predigttagebuch, in: ARG 17 (1920), 183–208. 241–276, hier 274; Johann Theodor Lingke: Martin Luthers merkwürdige Reisegeschichte, Leipzig 1769, 280f. 527  Vgl. Georg Buchwald: Lutherana. Notizen aus den Rechnungsbüchern des Thüringischen Staatsarchivs Weimar, in: ARG 25 (1928), 1–98, 22f. 528   Vgl. WA 49; XL. 588–615 u. WA 49; LXV. 616–620. 529   Vgl. Bos. q. 24u Bl. 399a –406a u. Bos. q. 24n Bl. 406b –412b. Beide Stenogramme sind in der Sammlung Georg Rörers der Friedrich-Schiller-Universität digital einsehbar. 530   Vgl. die Beschreibung des Bandes Bos. q. 24u in der digitalen Sammlung Georg Rörers.

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mit einer achtseitigen Vorrede, die dem Kurfürsten Johann Friedrich gewidmet ist, sowie einem Lutherbildnis, einem Gedicht zu Ehren der Schlosskapelle und in einem Anhang Ps. 84 veröffentlicht.531 Die in der Weimarer Ausgabe nicht abgedruckte Vorrede zeichnet ein dunkles Bild der kirchlichen Situation. Große Gefahr, Trübsal, Angst und Not erleide die Kirche Gottes in Zeiten scheußlicher Zerrüttungen, in denen fast der Untergang drohe.532 Den Hintergrund dieser Krisenbeschreibung bildet der vom Juli bis November 1546 andauernde Donaufeldzug des Schmalkaldischen Krieges.533 Es scheine, dass das übrige Häuflein der Kirchen durch die Angriffe des Teufels beinahe zu Grunde gehen müsse. Nur wenige seien übriggeblieben, die Gottes Wort noch mit Ernst liebten und ehrten. Um die Wenigen zu trösten, zitiert Cruciger Ps. 84, 4 »Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar«534 und Joh. 14, 23 »Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen«.535 Da der Kurfürst ebenfalls zu jenem kleinen Häuflein aufrechter Christen zähle, sei zu hoffen, dass er weiterhin Gottes Wort, christliche Studien und Schulen unterstützen könne.536 Da Luthers Predigt zur Einweihung der Schlosskapelle ein exemplarisches Beispiel für die Verkündigung von Gottes Wort ohne alle Beschmutzung durch päpstliche Lehre sei, habe sich Cruciger entschieden, die Predigt herauszugeben, damit sie nicht in Vergessenheit gerate.537 531   Vgl. WA 49; XLI. Der Druck trägt den Titel »Einweyhung eines Newen Hauses zum Predigtampt Göttlichs Worts erbawet, Im Churfürstlichen Schloss zu Torgaw«. Vgl. VD 16 L 4520, Benzing Nr. 3529 u. VD 16 L 4521, Benzing Nr. 3530. Georg Buchwaldt als Herausgeber der Predigten in der Weimarer Ausgabe geht davon aus, dass zunächst die Predigt und der Psalm gedruckt wurden, wobei der Psalm mehr als »Lückenbüßer« diente. Danach folgte als Ternio die Vorrede, wobei die Druckerei die Korrekturen des Autors zunächst nicht abwartete und erst beim Eintreffen Verbesserungen vornahm, wodurch Exemplare von verschiedener Qualität entstanden. Bei den späteren Fassungen wurde der Psalm neu gesetzt und zwischen den Psalmversen eine Auslegung von Cruciger eingefügt. WA 49; XLII. 532   »[…] Wider so grosse fahr, trübsal, angst und not, so die Kirche Gottes teglich leidet vnd dere sich noch grösser vnd mehr gewarten mus, in diesen scheuslichen zerrüttungen vnd fast endlichem vntergang der Regiment, vnd friedlichen Stands auff erden« (Caspar Cruciger: Vorrede in: Einweyhung, Wittenberg 1546, VD 16 L 4520, Benzing Nr. 3529, Bl. A ij a). 533  Vgl. Heiko Jadatz: Der Schmalkaldische Krieg und die Wittenberger Kapitulation (1547), in: Reinhardt Eigenwill (Hg.): Zäsuren sächsischer Geschichte, Beucha Markkleeberg 2010, 95–117. Vgl. ferner Albrecht Beutel: Luther und Schmalkalden, in: Luther 84 (2013), 107–120; Georg Schmidt: Die Freien und Reichsstädte im Schmalkaldischen Bund, in: Volker Press/Dieter Stievermann (Hg.): Martin Luther. Probleme seiner Zeit, Stuttgart 1986, 177–218. 534  Vgl. Caspar Cruciger: Vorrede in: Einweyhung, Wittenberg 1546, VD 16 L 4520, Benzing Nr. 3529, Bl. A ij a. 535   AaO., Bl.Aiij b. 536   »Dieweil nu E. F. G. Gott lob, auch vnter dem heuflin sind, die Gottes Wort lieben, ehren, […] So sollen wir auch Gotte fur diese wolthat dancken« (aaO., Bl. A iiij af). 537   »Und nach dem, auch an diesem ein Christlich Göttlich Werck geschehen, das durch den Ehrwirdigen trewen vnd tewren Diener Christi, D. Martin Luther, seligen, ein Christli-

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Als Predigttext wählte Luther das vorgesehene Evangelium für den Sonntag, die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat samt anschließendem Gleichnis von der Sitzordnung der Gäste (Lk. 4, 1–11).538 Dementsprechend ist die Predigt in zwei Teile gegliedert, wobei Luther zunächst auf die Heilung und dann auf das Gleichnis eingeht.539 Vergleicht man den Aufbau mit Luthers anderen Predigten über diese Perikope, so ergibt sich, dass er bereits früher diese Zweiteilung verwendete.540 Bevor sich Luther dem Bibeltext zuwendet, geht er in der Einleitung auf den feierlichen Anlass ein. Er hebt hervor, dass in diesem Gottesdienst nicht er allein, sondern alle Versammelten die Schlosskapelle einweihen würden.541 Jeder solle gleichsam zum Wassersprengel und zum Weihrauchfass greifen, damit an diesem Ort nichts anderes geschehe als die Zwiesprache mit Gott.542 Solche Segnung und Weihe geschehe nicht allein durch den Papst, sondern durch die gesamte Gemeinde.543 Cruciger fügt hier noch hinzu, dass Luther deshalb die Geche Einweyhung eines newen Hauses, so zum Predigampt des Heiligen Euangelii verordnet, vnd von aller Bebstischen falscher Lere, Abgötterey vnd Misbreuchen vnbeschmitzet gehalten […] So hab ich gedachts Herrn D. Martinj Predigt zu splcher Einweyhung gethan, nicht gantz wollen in vergessen komen lassen, sondern diesselbige, fromen Christen zu besserung, im Druck aus lassen« (aaO., Bl. A v a). 538   Zitiert wird in der Regel zuerst das Stenogramm Rörers und dann die Bearbeitung Crucigers. Zum Inhalt der Predigt vgl. Reinhold Wex: Oben und unten oder Martin Luthers Predigtkunst angesichts der Torgauer Schloßkapelle, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 11.3 (1983), 4–24. 539   Vgl. bei Rörer: »2. pars« (WA 49; 604,5) und in Crucigers Druck: »Volget das ander Stuck« (WA 49; 604,30). 540   So beispielsweise in seiner Predigt vom 27. September 1523 (WA 11; 184–187) und vom 23. September 1525 (WA 20; 501–505). Vgl. ferner die Predigt vom 22. September 1532 (WA 36; XXV. 329–333), wobei hier unterschieden wird, die Wunderheilung thematisiere das Verhalten gegenüber Gott, das Gleichnis hingegen das Verhalten gegenüber den Menschen (WA 36; 329,26f). Außerdem erfolgt die Zweiteilung in der Predigt vom 5. Oktober 1533 (WA 37; XXVI. 168–171), die als Vorlage für Veit Dietrichs Hauspostille aus dem Jahr 1544 diente (WA 52; XXII. 484–489). Vgl. außerdem Roths Sommerpostille aus dem Jahr 1526 (WA 10 I.2; 391–398), zu der keine Vorlage überliefert ist (WA 10 I.2; LXXXIV), sowie Crucigers Sommerpostille aus dem Jahr 1544 (WA 22; 300f), die den gleichen Text aus Roths Sommerpostille mit leichten Veränderungen enthält. Lediglich auf die Wundererzählung konzentriert sich Luther in der Predigt vom 18. September 1524 (WA 15; 688–695), vom 1. Oktober 1525 (WA 17 I; LVI. 423–427), vom 4. Oktober 1528 (WA 27; 357–364) und vom 1. Oktober 1531 (WA 34 II; 600. 287–298). 541  »Mei amici, wollen itzt dis new hause einsegenen und weihen unserm herrn Jhesu, welchs mir nicht allein geburt« (WA 49; 588,2f). »Mein lieben Freunde, Wir sollen jtzt dis newe Haus einsegnen und weihen unserm HERrn Jhesu CHRisto, Welches mir nicht allein gebürt und zustehet« (WA 49; 588,12–14). 542   »[…] sed solt auch an sprengel und Reuchfas, ut da hin gericht, ut nihil in ea fiat quam ut ipse nobiscum loquatur per verbum et nos per orationem et lobgesang« (WA 49; 588,3–5). »Sondern jr solt auch zu gleich an den Sprengel und Reuchfass greiffen, auff das dis newe Haus dahin gericht werde, das nichts anders darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort« (WA 49; 588,14–17). 543   »Ideo wollen recht segenen und weihe machen, non ut papa, sed alle zu samen thun« (WA 49; 588, 5f). »Darumb, damit es recht und Christlich eingeweihet und gesegnet werde,

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meinde darum gebeten habe, gemeinsam ein Vaterunser zu sprechen.544 Ob dies tatsächlich so geschah, bleibt jedoch fraglich. Nach der Verlesung des Predigttextes knüpft Luther in der ersten Hälfte des ersten Teils an den Disput Jesu mit den Pharisäern über den Sabbat an, der sich an die Wunderheilung anschließt. Ihm zufolge wäre dieses Thema eigentlich Gegenstand einer Katechismuspredigt.545 Denn die Heilung am Sabbat verweise auf das dritte Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen (Ex. 20, 8–11, Dtn. 5, 12– 15). Für die Juden sei es ein ernstes Gebot gewesen, weshalb sie verärgert waren, dass Jesus am Sabbat Kranke heilte. Der Vorwurf der Juden an die Christen, den Sabbat nicht richtig einzuhalten, gelte noch bis zum heutigen Tag.546 Denn im jüdischen Volk würde der Sabbat durch die Leviten als dem spezifischen Priestergeschlecht und im Jerusalemer Tempel als dem bestimmten Ort geheiligt.547 Doch die Christen hätten von ihrem Herrn gelernt, wie der Feiertag angemessen zu würdigen sei. So habe Christus selbst gesprochen: »Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen« (Mk. 2, 27).548 Die Sabbatfrage bildet insofern für ihn den Ausgangspunkt, den rechten Gottesdienst zu thematisieren und damit den Kasus der Kircheneinweihung

nicht wie der Papisten Kirchen mit jrem Bischoffs Chresem und reuchern, sondern nach Gottes befehl und willen (WA 49; 588,18–20). 544   »Und das solchs fruchtbarlich geschehe auff sein Gebot und gnedige zusagung, mit einander jn anruffen und ein Vater unser sprechen« (WA 49; 588,21f). 545   »Es gehort in den Catechismum das stuck, sonderlich de Sabbato ut in 3. praecepto: ›Sabbatum sanctificabis‹« (WA 49; 589,4f). »Nu gehoeret dis stück vom Sabbath in die predig des Catechismi, da man von dem Gebot sagt: ›Du solt den Sabbath (oder Feiertag) heiligen‹« (WA 49; 590,11f). Vgl. hierzu den Großen Katechismus von 1529, WA 30 I; 143–147, den Kleinen Katechismus von 1529, WA 30 I; 244 und die jeweiligen Abschnitte der Katechismuspredigten in WA 30 I; 5. 31–33. 64–66. 546   »Ideo non schertz Iudeis den sabbat zu halten, ut hodie de nobis dicunt Nos praedicare Catechismum, sed non servare« (WA 49; 589,6–8). »Darumb war es jnen [Juden] kein schertz umb den Sabbath, Und daher verdreust sie es, das Christus eben am Sabbath die krancken gesund machet, Und geben jm schuld, als halte er den Sabbath nicht, Mus sich also die weisheit von jren kindern rechtfertigen lassen, wie sie auch noch heutigs tags uns Christen schelten, das wir die Zehen Gebot und vom Sabbath predigen und doch den selben nach jrer weise nicht halten« (WA 49; 590,15–20). 547   »Verum est, es war dem volck zu der zeit der sonderlich tag sabbatum gestimpt, ut et locus et sonderlich tribus et person, et ex tribu musten prediger werden et nulla alia« (WA 49; 590,2–4). »War ist es, Es war dem JŮdischen volck zu der zeit der sonderliche tag des Sabbaths bestimpt, dazu auch ein sonderliche stete und sonderlich geschlecht oder Personen und ein sonderlich Priesterthumb oder Gottes dienst, Denn das alles muste allein in jrem Land und bey dem Tempel zu Jerusalem geschehen durch die Leviten, so Priesterlichs Geschlechts waren, aus welchem und keinem andern musten allein Kirchen diener sein« (WA 49; 590,26–32). 548   Vgl. WA 49; 590,5f u. WA 49; 591,12–16.

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aufzunehmen.549 Dabei geht Luther im Folgenden auf Zeit, Personen, Ort und Vollzug ein, die einen rechten christlichen Gottesdienst ausmachen.550 Hinsichtlich der Zeit seien die Christen nicht mehr an einen bestimmten Tag gebunden. Vielmehr hätten sie die Freiheit, falls eine Not käme, auch einen anderen Tag zu wählen.551 Doch damit keine Unordnung entstehe, sei es richtig, am Sonntag zusammenzukommen, um Gott zu ehren.552 Im Judentum seien bestimmte Personen für den Tempeldienst vorgesehen gewesen. Dagegen herrsche im Christentum die Auffassung, dass alle Gläubigen Gottes Wort verkündigen, da sie alle nach 1. Petr. 2, 9 Priester seien.553 Der Ort sei ebenso frei wählbar. Könne ein Gottesdienst nicht unter einem Dach geschehen, so wäre auch ein Platz unter dem freien Himmel geeignet, wie es auch Paulus in Philippi tat, als er vor der Stadt am Fluss predigte (Apg. 16, 13).554 Dem Vollzug nach habe Christus die Zusage gemacht, dass er mitten unter den Gläubigen sei, wenn be549  Vgl. Reinhold Wex: Oben und unten oder Martin Luthers Predigtkunst angesichts der Torgauer Schloßkapelle, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 11.3 (1983), 4–24, hier 5. 550   Vgl. den Gliederungshinweis nach der ersten Hälfte des ersten Teils Crucigers: »Das sey gesagt zum anfang des Euangelij vom Sabbath, wie und wo zu und welcher masse wir Christen des brauchen sollen, nemlich darumb, das wir auff zeit und ort, da wir des eines sind, zusamen komen, GOTtes Wort handlen und hoeren und GOtte unser und ander gemeine und sondere not furtragen und also ein starck, krefftig gebete gen Himel schicken« (WA 49; 594,24–28). 551   »Keme ein not fur, das heut nicht predigen, solt mans morgen« (WA 49; 591,6f). Cruciger verstärkt den Gedanken, indem er erst später auf die Notsituation, jedoch hier auf die christliche Freiheit rekuriert: »Aber nu der selbige unser HERr komen ist und ein new, ewig Reich durch die gantze welt angefangen, sind wir Christen nicht mehr an solch eusserliche, sondere haltung gebunden, Sondern haben die freiheit, so uns der Sabbath oder Sontag nicht gefelt, moegen wir den Montag oder einen andern tag in der wochen nemen und einen Sontag daraus machen« (WA 49; 591,22–27). 552   Die unterste Zeile des Stenogramms ist an dieser Stelle weggeschnitten. Gleichwohl deuten die Worte daraufhin, dass Luther trotz der christlichen Freiheit auf den Ordnungsgedanken angespielt hat, was die Bearbeitung Crucigers untermauert. »Cum autem communiter accepimus Sabbatum [letzte Zeile fehlt]. Non est, sed unlust, ut wolt ein newes anrichten. Sed omnes machen sich fertig auff den sontag tag, conveniamus des Sontags« (WA 49; 591,7–592,1). »Doch also, das es hiemit auch ordenlich zugehe und ein tag oder zeit sey, so uns allen gelegen ist, und nicht in eines jeden gewalt stehe, jm ein sonders zu machen« (WA 49; 591,27–29). 553   Ob Luther hier auf das Priestertum aller Getauften angespielt hat, lässt sich aufgrund der fehlenden Zeilen nicht eindeutig sagen (WA 49; 592,2). Cruciger jedenfalls schreibt: »Aber wir […] sind nicht also an ein Geschlecht […] gebunden, […] Sondern wir sind alle Priester (wie geschrieben stehet j. Pet. ij.), das wir alle zu aller zeit und an allerley orten Gottes wort und werck verkŮndigen sollen« (WA 49; 590, Z 33–591,9). 554   Es ist infolge der fehlenden Zeilen unsicher, ob sich Luther an dieser Stelle explizit auf Apg. 16, 13 und ferner auf den Saal, in dem Paulus in Troas predigte (Apg. 20, 8), bezogen hat oder ob diese biblischen Verweise von Cruciger hinzugefügt wurden: »[…] si non sub tecto, fit auff dem platz, tamen in loco, ubi conveniat« (WA 49; 592,2f). »Kan es nicht geschehen unterm dach oder in der Kirchen, so geschehe es auff eim platz unter dem Himel, und wo raum dazu ist, Wie S. Paulus am Wasser predigte zu Philippis Act. xvj« (WA 49; 592,19–21).

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reits zwei oder drei sich einträglich versammelten (Mt. 18, 19f). Um wie viel mehr könne sich eine ganze Gemeinde an der Zusage trösten! 555 Es ist nicht eindeutig zu erkennen, ob Luther in diesem Zusammenhang auf den Kasus angespielt hat oder ob es sich hierbei um eine Hinzufügung von Cruciger handelt. In der Druckfassung wird dazu aufgefordert, dass die Schlosskapelle künftig dazu dienen solle, dass in Freiheit das Evangelium verkündigt werde. Man solle sich hüten, aus der Kapelle einen besonderen Ort zu machen, der im Vergleich zu anderen besser sei.556 In der zweiten Hälfte des ersten Teils konzentriert sich Luther auf die Reaktion Jesu auf den Vorwurf der Pharisäer, er habe durch die Heilung den Sabbat gebrochen.557 Jesus stellt die Frage: »Wer ist unter euch, dem sein Sohn oder sein Ochse in den Brunnen fällt und der ihn nicht alsbald herauszieht, auch am Sabbat?« (Lk. 14, 5). Luther spricht in diesem Zusammenhang jedoch nicht vom Sohn, sondern gemäß seiner Bibelübersetzung von Ochs und Esel.558 Wenn man selbst Ochs und Esel am Sabbat tränkte und die Tiere rettete, wie sehr sei es dann die Pflicht, einem Menschen in Not zu helfen? 559 In dem Zusammenhang bezieht er sich auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Luther erwägt, dass die Ignoranz des Priesters und Leviten, an dem verletzten Samariter vorbeizugehen, vielleicht auch daran gelegen habe, dass der Vorfall am Sabbattag geschehen sei, weshalb sie nicht geholfen hätten.560 Daher sei die rechte Weise, den Feiertag zu heiligen, erstens Gottes Wort rein zu predigen und zu hören, 555   »Et Christus: ›ubi 2 vel 3‹. Si non alius fructus, tamen satis, quod promisit se adesse« (WA 49; 593,8–594,1). »Und CHRistus Matthei xviij. noch ein und sterckere zusagung thut, wo nur zween oder drey in seinem Namen zusamen komen, so wolle er mitten unter jnen sein, und wes sie mit einander eines werden zubitten, das sol jnen widerfaren von seinem himlischen Vater etc. Wie viel mehr sol sich der zusagung troesten eine gantze Gemeine der Christen, wenn sie eintrechtiglich mit einander in Christi namen etwas bittet?« (WA 49; 594,12–17). 556   »Also sol bis Haus solcher freiheit nach gebawet und geordent sein fŮr die, so alhie im Schlos und zu Hofe sind, oder die sonst herein gehen wollen, Nicht das man daraus ein sondere Kirchen mache, als were sie besser denn andere heuser, do man Gottes wort predigt« (WA 49; 592,30–33). 557   Vgl. den Gliederungshinweis in WA 49; 595,1 u. 9. 558   »Si kanst ochsen und Esel ablosen, et ego non Abrahae filiam losen. Es ochse und esel und bleibst, der esel mus dich uberlesen und ochs zur schul [Zeilen fehlen] tu propter sitim das potum« (WA 49, 595,4–7). »Gleich also spricht er hie abermal: ›Welcher ist unter euch, des Ochse oder Esel in ein Brunnen fellet, der jn nicht so bald heraus zihe am Sabbath tage?‹« (WA 49; 595,28–30). Vgl. das Neue Testament von 1522 und 1546 in WA B 6; 278f. 559   »Ipsi prohibent iuvare hominem et tamen iuvant bestiam« (WA 49; 595,8). »Sondern seid so grobe kloetze, das jr verbietet einem menschen zu helffen in seiner not, so jr doch selbs ewerm Viehe nicht wollet in geringer not ungeholffen lassen« (WA 49; 596,10–12). 560   »[…] quod Sacerdos et levita Luc. 10. die ubergiengen und lassen liegen, praetereunt, et homo sol so tol, toricht sein, ut lest den tod bluten. Es wird gewislich auff ein Sabbat geschehen« (WA 49; 596,8–597,2). »Und […] diese, mit denen CHRistus diesen hader hat, eben sind gewesen der Priester und Levit (oder ja derselben gesellen), davon Christus Luce am x. gesagt, die fur dem verwundten, der da halb tod an der strassen lag, furuber giengen, liessen jn halb tod ligen und, so viel an jnen war, in seiner not verderben. Das wird gewislich auff einen Sabbath geschehen sein, da sie haben zu jrem Gottesdienst gehen wollen« (WA 49; 596,35–597,11).

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zweitens sich daran fest in Leben und Tod zu halten, und drittens, ihn anzubeten, was ein wahres Weihrauchopfer sei.561 In diesem Sinn solle auch die Schlosskapelle ein Ort der Heiligung sein.562 Im zweiten Teil der Predigt legt Luther das Augenmerk auf das Gleichnis von der Sitzordnung der Gäste, sich bei einer Hochzeit nicht ganz nach vorne, sondern nach hinten zu setzen (Lk. 14, 7–11). Dabei stellt wohl Cruciger redaktionell deutlicher die Verbindung zwischen Sabbatheilung und dem Gleichnis her, indem er darauf aufmerksam macht, dass in beiden Texten die Äußerlichkeit und Heuchelei der Pharisäer zum Vorschein komme.563 Es sei falscher Hochmut, so Luther, wenn man aufgrund der eigenen Eitelkeit meine, Herr auf Erden zu sein, und damit der Vorstellung erliege, man tue einen Gottesdienst. Solches Verhalten könne man heutzutage nicht nur bei den Juden, sondern auch bei den Türken beobachten.564 Cruciger fügt noch hinzu, dass auch der Papst diese Meinung gelehrt habe.565 Luther macht hierbei die interessante Beobachtung, dass im Gleichnis eine gewisse Widersprüchlichkeit verborgen sei. Denn eigentlich gebühre demjenigen, der sich bescheiden nach hinten setze, doch der Platz vorne, da ihn der Gastgeber dann ja bitten werde, weiter vorzurücken.566 Doch die Spannung löst sich auf, wenn man Lk. 14, 7 berücksichtige, worin geschildert werde, wie die Pharisäer die Ehrenplätze wählten.567 Dieses Trachten, über den anderen stehen   Vgl. WA 49; 598,6–599,6 u. WA 49; 598,36–599,34.   »So wollen wir dis haus geweihet haben« (WA 49; 604,3f). »Also und darzu sol auch jtzt dieses Haus geweihet sein, nicht umb sein, sondern umb unsern willen, das wir selb durch Gottes wort geheiligt werden und bleiben, Also das wir dasselbe, so uns Gott gnediglich gegeben, auch helffen erhalten und ausbreiten« (WA 49; 604,26–29). 563   Diese Verknüpfung beider Texte geht aus dem Stenogramm Rörern nicht so eindeutig hervor. Cruciger schreibt: »Und gleich wie sie das Gebot vom Sabbath verkereten, welchen sie allein dazu feireten, das man sie fur heilig hielte, und damit nicht Gotte nach seinem Gebot, sondern jnen selb dieneten, Also thuen sie auch inn jrem eusserlichen stand und wesen fur der Welt« (WA 49; 604,36–605,14). 564   »Et hodie adhuc cogitant, quod domini supra gentes, nos ir knecht, per omnia, ut Turca faciet, der gehet mit edelleuten, mussen kuehirten, barfus, da meint er, thue ein gottesdienst, quod sic extollit Turcas. Sic eben Iudei. Jr thun gericht gewest et praedicarunt, ut immisericordes, superbi« (WA 49; 605,5–9). »Gleich wie der TŮrck auch gleubt und helt, Er musse der Welt herr sein und mit seinen Mahometisten und Mamelucken inn gold und seiden gekleidet daher prangen als eitel Herrn und Edelleute, Wir aber mussen als jr geringste Kuehirten barfus gehen und jnen unter den fuessen ligen« (WA 49; 605,20–24). 565   »Gleich wie unser WiderChrist, der Bapst, auch darnach getracht und solches gelert hat« (WA 49; 605,26f). 566   »Oben ansitzen sol nicht recht sein, et tamen recht sein, ut, qui te et illum invitavit &c.. tu dicis non obenansetzen et tamen dicis deberi« (WA 49; 605,10–606,2). »Nu, wie reimen sich denn die zwey zusamen? Oben ansitzen sol nicht recht sein und sol doch auch recht sein […]. Wie sagt er [Christus] denn, Man sol sich nicht oben an setzen, und spricht doch auch, das der, so unten an sitzet, sol oben an gesetzt werden?« (WA 49; 606,9–14). 567   »Da stehets auff dem wort ›Erwelen‹ &c.« (WA 49; 606,2f). »Antwort: Hie stehets auff dem wort ›Erwelen‹, so der Text sagt: ›Da er sahe, wie sie erweleten oben an zu sitzen‹« (WA 49; 606,14–16). 561

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zu wollen, sei eigentlich das, was Jesus mit dem Gleichnis kritisieren wolle. So habe jeder Mensch in dem Stand zu leben, wie Gott es für jeden vorgesehen habe. Es könne nicht jeder Fürst, Graf, Prediger oder Bürger sein. Vielmehr habe man in seinem Stand genug zu tun.568 Statt nach dem jeweils höheren Rang zu streben, solle man vielmehr mit Werken der Nächstenliebe sich um diejenigen Stände kümmern, die unter einem sind.569 Cruciger unterstreicht den Gedanken, indem er auf Röm. 15, 2 verweist: »Jeder von uns lebe so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten und zur Erbauung«.570 In diesem Zusammenhang kommt Luther auf sich selbst zu sprechen. Gott habe ihm die Gnade geschenkt, Prediger zu werden, jedoch befohlen, nicht hochmütig zu werden, sondern jedermann zu dienen.571 Auch wenn man keine Edelperson sei, sondern nur ein Hirte mit einem geringen Ansehen in der Welt, so sei man in den Augen Gottes doch viel größer, sodass er durch Gott und die Engel gen Himmel emporgehoben sei.572 So mache der Glaube trotz aller Standesunterschiede letztlich jeden

568   »Es mus mancherley stend, et quisque satis in seinem stand. In mundo hat mans nicht gerne, das ein graff sich eim fursten und edelman, sic inter cives et matronas« (WA 49; 606,6– 8). »Also auch koennen wir nicht alle FŮrsten, Graven, Prediger, Edelleut, BŮrger, Menner, Frawen, Herren, Knechte sein, Sondern es mŮssen mancherley Stende unternander gehen und ein jglicher gnug zuthuen hat inn seinem Stand, Also sollen und koennen wir nicht alle gleich oben oder unten sitzen, Und mus die unterscheid sein, von Gott also geordnet, das der inn hoherm Stand ist, auch hoher sitze, denn die andern« (WA 49; 606,20–25). 569   »Sed befolhen, ut illo dono non superbiam, sed unter mich fahre et serviam proximo et serviam illi« (WA 49; 607,2f). »Aber da ligts an, das du recht diese meinung und Wort Christi verstehest und wissest, das du hohers Stands oder sonst fur andern etwas bist, das hat dir Gott gegeben, aber nicht dazu, das du auff solche gabe dich brŮstest und empor farest uber jederman, als seyestu darumb fur Gott besser denn andere, Sondern hat dir befohlen, das du damit unter dich farest und deinem nehesten dienest« (WA 49; 606,29–34). 570   Vgl. WA 49; 607,9. 571   »Sed da ligts an, ut recte et christiane intelligamus sensum Christi, quod ego praedicator, das hat mir Gott gnad dazw geben. Sed befolhen, ut illo dono non superbiam, sed unter mich fahre et serviam proximo et serviam illi« (WA 49; 606,8–607,3). »Als, das ich ein Prediger bin, dazu hat mir Gott die gnad gegeben, aber daneben befohlen, das ich mit solcher gabe nicht mich uberheben sol, sondern herunter faren und jederman dienen zu seinem heil« (WA 49; 606,35–607,9). 572   »Jch sol so dencken: Habes donum dei et doctor. Si superbus: tum paganus auff dorff, qui non tibi par, sed grosser, et sic ipse gen himel« (WA 49; 607,5–7). »Darumb hastu die gabe von Gott, das du gewaltiger, hoher, gelerter, Edler bist denn andere, so dencke, das er dir befohlen, andern damit zudienen. Wo nicht, so wisse auch, das wol ein armer Hirtenknabe, der gegen dir gar nichts ist an gaben und ansehen fur der Welt, fur Gott und Engeln viel groesser ist und empor gen Himel gehoben wird« (WA 49; 607,19–23).

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gleich.573 Mit diesem Perspektivwechsel wendet Luther die Unterscheidung von »coram deo« und »coram homine« an.574 Anschließend entfaltet Luther den Gedanken der Gleichheit vor Gott trotz aller Ungleichheit in der Welt, ohne dass dabei grundlegende Aspekte neu hinzukommen.575 Zum Schluss kommt Luther noch einmal auf den Anlass und den Anfang der Predigt zu sprechen. Alle Zuhörenden würden die Schlosskapelle einweihen, jedoch nicht mit Weihwasser und Räucherfass, sondern mit Wort und Gebet. So ruft er am Ende die Gemeinde zum Gebet auf, um für den Kaiser und für Fürst Johann Friedrich zu beten, auf dass sie ihres Amtes walteten und gegen die Angriffe des Papstes und des Teufels gestärkt werden. Außerdem solle die Gemeinde für das Volk und für dieses Haus, womit die Schlosskapelle gemeint ist, bitten, damit alle darin Gottes Wort erkennen und dem Nächsten dienen würden.576

5.3 Die Einheit des Glaubens (nachmittags) Am Nachmittag predigte Luther über die vorgesehene Epistel für den 17. Sonntag nach Trinitatis.577 Von der Kanzelrede existiert zwar kein Druck, aber eine Mitschrift Rörers. In der Forschung ist diese bislang nahezu unberücksichtigt geblieben.578 Dabei ergeben sich mehrere Verbindungen zwischen beiden Predigten. So enthält die Vormittagspredigt mindestens einen Vorverweis auf die Sonntagsepistel. Luther sieht die Verbindung zwischen Lk. 14, 11 und Eph. 4, 2, in der Demutshaltung, die in beiden Texten zum Ausdruck kommt.579 In Cruci573   Ob Luther an dieser Stelle, wie Cruciger es vornimmt, an das Lied Luthers »Wir glauben all an einen Gott, Schöpfer Himmels und der Erden« anspielt, ist aufgrund der fehlenden Zeilen nicht genau zu klären: »Sic ergo discendum: Si gesetzt worden oben, mitten, unten, tamen fides: credimus [Zeilen fehlen] non superbiret alius contra alium« (WA 49; 608,4–6). »Und Summa: du sitzest oben odder mitten odder auch unten an, so machets der Glaube alles gleich, der da spricht: ›Wir gleuben alle an einen Gott, Schepffer Himels und der Erden‹« (WA 49; 607,33–608,11). Zum Lied vgl. WA 35; 172–177. 574   Vgl. im textkritischen Apparat den Verweis auf »coram deo« zu WA 49; 607,6. 575   Vgl. WA 49; 606,4–614,2 u. WA 49; 607, 33–613,26. 576   »Das sey gnug zur Einweihung des hauses. Habt ihr helffen sprengen, greifft auch ins reuchfas vel oremus pro Cesare, est maxima necessitas et plaga maxima, quod discordes, ist starcken gebets not, und dem Bapst, Bischofen, leidigem Teufel wheren. Item pro principe et suis, ut suam regionem verwhare, ut hactenus fecit, non sine &c.. Item pro civitate et curia, ut cognoscant Dei verbum et gratias agant et iuvent proximos« (WA 49; 614,2–615,3). Cruciger verändert die Reihenfolge der Fürbitten, indem zunächst für die Kirche im Allgemeinen und für die Schlosskapelle, danach für das weltliche Regiment und speziell für Fürst Johann Friedrich und schließlich für alle Stände gebetet werden soll. Vgl. WA 49; 613,26–614,6). 577   Vgl. die Synopse der Perikopenordnungen bei Herwarth Schade: Perikopen. Gestalt und Wandel des gottesdienstlichen Bibelgebrauchs (RGD 11), Hamburg 1978, 73–83, hier 80. 578   Vgl. WA 49; XLIII. 615–620. Rörers Manuskript ist im Jenaer Nachlass erhalten und digital einsehbar unter der Signatur Bos. q. 24n Bl. 406b –412b. 579   Die Zeile »ich wil demutig sein« (WA 49; 610,6) spricht für eine Anspielung auf Eph. 4, 2. So hat es jedenfalls auch Cruciger gedeutet: »Diese demut gehoeret zu einem Christen als

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gers Bearbeitung wird darüber hinaus ein weiteres Mal auf die Epistel verwiesen.580 Umgekehrt erfolgen am Nachmittag zwei Rückverweise auf das Evangelium.581 Luther erinnert zum einen an das Verhalten der Pharisäer, Jesu zu belauern (Mk. 14, 1), und zum anderen daran, als Christ Demut zu üben und unten an der Tafel Platz zu nehmen (Mk. 14, 10).582 Außerdem geht Luther auch am Nachmittag auf den Bau der Schlosskapelle ein.583 Insofern bilden beide Predigten einen engen Zusammenhang und dienten gleichermaßen dem Anlass, die Schlosskapelle einzuweihen. Neben der Torgauer Predigt existieren lediglich zwei weitere überlieferte Predigten über Eph. 4, 1–10. Am 1. Oktober sprach Luther in Wittenberg über die Sonntagsepistel.584 Außerdem fand eine Predigt, die nicht mehr erhalten ist, Eingang in Crucigers Sommerpostille, die kurz nach Weihnachten 1543 erschienen sein dürfte, weshalb Cruciger zu diesem Zeitpunkt von der Torgauer Predigt noch keine Kenntnis haben konnte.585 Inhaltlich gibt es in der Nachmittagspredigt zwei Schwerpunkte, die auch in den beiden früheren Predigten eine Rolle spielten.586 Luther geht es bei diesem Text um Demut und Eintracht. Zu Beginn äußert sich Luther über den Epheserbrief im Allgemeinen. Der Brief sei adressiert an diejenigen, die tatkräftig und nach der Wahrheit als Christen leben.587 Trotz seiner schwierigen Situation aufgrund der Gefangennahme ermahne Paulus die Gemeinde in Ephesus, nach der Berufung zu leben. Die der furnemsten und noetigsten tugent eine, Welche auch ist das furnemst band der Christlichen liebe und einigkeit (wie abermal S. Paulus in des heutigen Sontags Epistel sagt)« (WA 49; 610,28–30). 580   Vgl. in Crucigers Druckfassung den Verweis auf Eph. 4, 4, der jedoch im überlieferten Manuskript Rörers aufgrund der fehlenden Zeilen nicht nachgewiesen werden kann: »Widderumb ob wol die personen beide, inn grossen und geringen Stenden, fur Gott gleich und alles einerley haben, wie die heutige Epistel Ephe. iiij. sagt: ›Ein Leib und ein Geist, Ein Herr, Ein Glaube, Eine Tauff‹ etc.« (WA 49; 610,13–15). 581   »[…] ut hodie de Pharisaeo« (WA 49; 616,9). 582   »Hodie etiam dixi, quod Christiano zu gehort, quod sol unten an sitzen, se pro minimo halten. Das heisst hie ›allerley demut‹ […]. Ipse dicit: herunter, wer hoch wil sein, econtra« (WA 49; 616,14–20). 583   »›Durch euch alle‹ [Eph. 4, 5], hie durch diese kirche gehet durch und durch, predigt und thut, sicut supra nos regirt, ita erbeit, das durch und durch geht« (WA 49; 620,2f). 584   Vgl. WA 34 II; 600. 298–308. Von Predigt existiert eine Mitschrift Rörers (Bos. q. 24e Bl. 219b –221b), eine Abschrift Poachs (Zwickauer Handschrift, Nr. XXVI Bl. 186b –188b) und eine davon unabhängige Mitschrift im Nürnberger Codex (Cod. Solg. 13 Bl. 355b –358a). 585   Vgl. WA 22; XXVI. 292–300. 586   Die Wittenberger Predigt und die Postille ähneln im Aufbau der Torgauer Predigt. Zunächst wird die Situation des Paulus beschrieben und dann auf den Beruf des Christen eingegangen (WA 34 II; 298,15/22–303,8/23; WA 22; 292,11–294,36). Danach wird aufgrund des Sonntagsevangeliums ebenfalls der Schwerpunkt auf die Demut gelegt (WA 34 II; 303,8/24– 307,16/29; WA 22; 292,37–297,40, hier insbesondere 295, 1f). Schließlich erfolgt eine Auslegung der Einigkeit im Geist als der höchsten Tugend im Christentum (WA 22; 298,1–300,18), die in der Wittenberger Predigt jedoch relativ kurz ausfällt (WA 34 II; 307,16/29–308,13/23). 587   »Haec Epistola gehet wenig leut an auff erden und gehet eigentlich zu, qui gewislich Christen sind, non mit namen und zal, sed that und warheit« (WA 49; 615,17–19).

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Berufung sei nicht, auf Erden selig zu werden. Eine solche Berufung möge der Kaiser anstreben, wie es auch die Türken durch Diebstahl versuchten.588 Die Christen hingegen seien durch das Evangelium und die Taufe in einen besonderen Stand erhoben, wovon die Welt nichts wisse.589 Deshalb dürfe es nicht dazu kommen, dass andere über einen sagen, dieser ist zwar getauft und preist den Glauben, doch den Taten zufolge verhält er sich wie ein Geizhals, Ehebrecher und Mörder.590 Zur Vertiefung des Gedankens stellt Luther die Frage, was die christliche Berufung sei. Dabei verweist er auf Paulus. Dieser schreibe in der Epistel, man solle sich demütig verhalten (Eph. 4, 2).591 Exemplarisch macht er dies an der Demutshaltung von Johannes dem Täufer und Jesu Mutter Maria fest. Maria sei vergleichbar mit Aschenbrödel: arm, gering und eine Waise. Als sie den jungen Jesus in den Tempel gebracht habe, sei sie demütig gegenüber den hochrangigen Leuten des Tempels gewesen.592 In solcher Demut könne Einheit im Glauben gelingen, womit sich Luther seinem zweiten Schwerpunkt innerhalb der Predigt zuwendet.593 Die Einigkeit der Prediger und der Gemeinde sollte nicht durch Unwillen getrennt werden.594 Dennoch seien die Schwärmer zu ermahnen.595 Dabei betont Luther, dass die Wittenberger mit der Lehre der Torgauer übereinstimmten, worin die Einheit Bestand habe.596 Bei Uneinigkeit solle man sich daran erinnern, dass alle durch die eine Taufe verbunden seien, wie es der Apostel schreibe (Eph. 4, 5).597 Das Problem bestehe darin, dass nicht nur Dorfbewohner, sondern auch Herrscher stets auf das Trennende schauten, anstatt das Verbindende zu betonen.598 Auch der Papst versuche bereits über 300 Jahre Uneinigkeit unter den Fürsten zu er  »Quae sit vocatio nostra, sollen wir ja wissen, nempe per verbum vocati in Ecclesiam Sanctam […], non vocati, ut hic terris eternum simus und selig werden. Den beruff mag der keiser thun, et qui vermag. Et Turca hilfft auch dazu durch dieberey« (WA 49; 615,22–26). 589   »Vos vocati ad sonderlichen stand, da die welt nicht weis […]. Ea vocatio vestra, ad quam vocati per Euangelium et baptismum« (WA 49; 615,26–29). 590   »Ideo gedenkt, ut sic vivatis ut vocati i. e. machts so, das es euch wol anstehe, ne dicatur: Is baptisatus et gloriatur se de Christiana fide, Euaugelio et de verbo et est vol saw, geitzwanst, ehebrecher, morder. Das reimt sich nicht zu dem beruff. Der gehort nicht gen himel« (WA 49; 615,29–32). 591   »Quomodo sol sein nostra vocatio? Sic: ›Mit allerley demut‹ &c.« (WA 49; 616,13f). 592   »Sancta Maria virgo sic canit: ›Respexit‹. War ein gering, armes aschenbroedel, wais, quae nihil fecit, quam haus gekert. Da sassen her Kaiphas, Hannas tochter, qui magni domini, grosse fursten, groß gelt, gut, quia reich, spar und ratsam volck« (WA 49; 616,30–33). 593   Der zweite Teil beginnt ab WA 49; 616,2. 594   »Sed hic praecipue inter praedicatores sols angehen, ut parochi in uno spiritu docerent, das sol sein apud Christianos« (WA 49; 616,3–5). 595   »Tamen scire debetis, ut Schwermeri admoneantur« (WA 49; 616,6f). 596   »Nos Wittenbergenses cum vestris parochis einerley leren […]. Si ista unitas esset« (WA 49; 617,13–15). 597   »[…] ›unus baptismus‹. Auff das wort sol ich sehen« (WA 49; 617,20f). 598   »[…] sumus etiam in uno baptismo, et unus deus, et eodem sanguine redempti et vocati in regnum celorum, wolten wir uns umb ein kue, dorff [gemeint ist wohl: um eine Kuh im 588

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zeugen, um die eigene Position zu stärken.599 Die Uneinigkeit sei ebenso der Grund für die Erfolglosigkeit Ferdinands I. im Widerstand gegen die Türken. 600 Luther spielt hier auf das erneute militärische Engagement gegen Sultan Süleyman I. an. Nach dem Friedensschluss 1533 in Konstantinopel, der zu einer Beruhigung der Situation führte, flammte 1542 erneut der Streit um die Vorherrschaft über Ungarn auf. Aufgrund des grassierenden Fleckfiebers unter den Soldaten musste Ferdinand den Vormarsch in Ungarn abbrechen. 601 Einigkeit solle unter Christen herrschen, wie es Paulus im Bild von einem Leib und vielen Gliedern schildert (Röm. 12, 4; 1. Kor. 12, 12–30). Jedes Glied solle sich um das andere sorgen. 602 Auch wenn ein Glied ein Geschwür habe, dürfe man es nicht sofort abhauen, da es zum Körper gehöre. 603 In diesem Zusammenhang kommt Luther auf den Kasus zu sprechen. So solle auch in der Schlosskapelle die Einheit im Glauben gepredigt und durch Taten bekräftigt werden. 604 Entsprechend beschließt er die Predigt mit der Bitte, dass Gott allen den Heiligen Geist gebe, um Gott gemäß in Worten und Werken zu leben. 605

5.4 Zwischenfazit Zu den besonderen Anlässen, bei denen Luther Kasualpredigten hielt, zählt die Einweihung der Torgauer Schlosskirche im Jahr 1544. Dieses Ereignis markiert eine wesentliche Station in der Geschichte der protestantischen Sakralarchitektur. In der Predigt hebt Luther hervor, dass er nur stellvertretend das Zeremoniell vornehme. Vielmehr weihe die gesamte Gemeinde durch ihre Präsenz die Kirche ein. Gleichnishaft bezeichnet er jedes Gemeindemitglied als Wassersprengel und Weihrauchfass. Dabei könnte Luther sich spontan auf der Kanzel dazu entschieden haben, mit der Gemeinde ein gemeinsames Vaterunser zu beten. Dorf streiten]? […] Non bonum, ut dicant: wir sind uneins propter Civitatem, land« (WA 49; 617,27–35). 599   »Sed sic cogitat papa: si isti 2 concordes, wurden auch alios principes eins werden, ideo iam ccc jar gewehret« (WA 49; 618,4f). 600   »Unde, quod Ferdinand so viel leute, geschutz verloren &c.. Non vult audire verbum. Et keiser wil kein gluck wider faren: non est concordia, ut adversus Turcam« (WA 49; 618,27– 29). 601  Vgl. Bertrand Michael Buchmann: Österreich und das Osmanische Reich. Eine bilaterale Geschichte, Wien 1999, 99. Zur »Ungarischen Krankheit« (morbus hungaricus) vgl. Stefan Winkle: Geisseln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen, Düsseldorf 32005, 646. 602   »Sic dicit Paulus Rom. 12. Inspicite corpus, quomodo gliedmas zu samen thun. […] Est concordia inter membra, semper curat aliud pro alio« (WA 49; 619,15–18). 603   »[…] si gelied grindig &c.. propter tuum ulcus mag dich nicht abhewen. Sic si es brechlich, nolo te wegwerffen, quia communia bona &c.« (WA 49; 619,27f). 604   Vgl. WA 49; 620,2f. 605   »Deus det, qui praedicat, etiam spiritum sanctum, ut thun und darnach leben« (WA 49; 620,22).

Luther als Kasualprediger – Die Bischofseinführung

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Passend zum Anlass wählt Luther als Thema der Predigt das Gebot aus, den Feiertag zu heiligen. Er erinnert in Anlehnung an Mk. 2, 27 daran, dass ein Kirchbau dem Menschen zu dienen habe und nicht umgekehrt. Wer im Namen Jesu unter diesem gemeinsamen Dach zusammenkomme, der könne gemäß Mt. 18, 19f davon ausgehen, dass er unter ihnen weile. Er wünscht sich, dass die Kirche ein Ort der Heiligung und der Nächstenliebe sei. Wort und Gebet sollten in diesem Hause wohnen. Diese Aufforderung wendet er am Schluss sogleich praktisch an, indem er selbst ein Gebet auf der Kanzel spricht und um politischen Schutz sowie um Reinhaltung des Wortes Gottes bittet.

Resümee Hinsichtlich der »rituellen Reformation« ist in der Forschung von einer »Entschlackung des Kultus« gesprochen worden. So richtig diese Auffassung auch sein mag, die andere Behauptung ist genauso richtig: Durch die Reformation kam es auch zu einer kasualtheoretischen und -praktischen Anreicherung der Reformation. Luther hat hierzu wichtige Anregungen geleistet. Die Innovationen kommen durch die Kasualpredigten Luthers zum Vorschein. Hierbei können die »großen Kasualien« der Taufe und Eheschließung von den selteneren »kleinen Kasualien« der Bischofseinführung und Kircheneinweihung unterschieden werden. 606 In kasualpraktischer Hinsicht markiert Luther den Beginn einer reformatorischen Tradition zur Verwendung von Tauf- und Trausprüchen. Dabei nimmt er zunehmend Abstand von der damals üblichen Perikopenordnung der Sonnund Feiertage und der Berücksichtigung des Kirchenjahres. Mit Luther beginnt eine Entwicklung, in der die Personen, die mit den Schwellenriten angesprochen werden sollen, immer weiter in den Vordergrund rücken. Trotz Luthers Hochschätzung des Wortes Gottes kann behauptet werden, dass aus kasualpraktischer Sicht nicht der Fall dem Wort Gottes, sondern umgekehrt das Wort Gottes dem Fall untergeordnet ist. Luther kann neben seiner Auslegung der Perikope oder der Thematisierung der Kasualie selbst individuell auf die Personen und auf die Angehörigen eingehen. Luther ist insofern bedeutend für die Neubewertung der Kasualie hinsichtlich der Taufe und insbesondere der Ehe. Die Aufwertung der Ehe kann geradezu als ein Merkmal der Epochenschwelle vom Mittelalter zur Neuzeit gedeutet werden. 607 Wie bei der Leichenpredigt kommt es durch die Drucke auch bei der Hochzeitspredigt zur Etablierung einer eigenen literarischen Textsorte des Kasualschrifttums. Insbesondere die evangelische Traupredigt für den Domdechanten 606  Zur Unterscheidung vgl. Christian Grethlein: Grundinformation Kasualien. Kommunikation des Evangeliums an Übergängen des Lebens, Göttingen 2007, 28f.

 Vgl. Erik Margraf: Die Hochzeitspredigt der Frühen Neuzeit, München 2007, 1.

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Sigmund von Lindenau und seine Gattin vom 4. August 1545 spielt hierbei eine besondere Rolle, da sie den Beginn einer solchen Tradition markiert. Diese führte neben weiteren Traupredigten zur Etablierung und Institutionalisierung des Hochzeitspredigtdrucks. Die Aufwertung der Kasualpraxis spiegelt sich auch in seinen eigenen Erwägungen über die Kasualien im Rahmen seiner Kasualpredigten wider. Die großen Kasualien »Taufe« und »Hochzeit« werden schöpfungstheologisch eingebettet. Die Taufe ist für Luther eine besondere Gabe Gottes und die Ehe der erste Stand, den Gott in der Welt gestiftet hat. Für beide Kasualien spielt der Reinheitsgedanke eine besondere Rolle. Die Taufe wäscht die Erbsünde ab. Die Ehe ist von Reinheit geprägt gegenüber der Unreinheit, die einhergeht mit Unzucht und Untreue. Wesensmerkmal der Kasualie ist die Verbindung von Zeichencharakter und Wort-Gottes-Geschehen. Die Wirkung ist bei der Taufe die »Gewissensgewissheit« (plerophoria) und bei der Ehe das mystische Verschmolzensein mit Christus als Bräutigam Christi. Dabei geht die Aufwertung des Rituals einher mit der Entzauberung der magischen Vorstellungen. Hinsichtlich der Ehe kommt es bei Luther zur Relativierung der Kasualie als Sakrament. Neben den »großen Kasualien« ergeben die »kleinen Kasualien« eine Erweiterung der klassischen Schwellenrituale. Nicht nur Taufe, Abendmahl, Trauung und Beerdigung, sondern auch Ordinationen, Bischofseinführungen und Kircheneinweihung gehören zu Luthers Kasualpraxis. Damit erfolgt eine Ausdifferenzierung und eine für die frühe Neuzeit relevante Öffnung kasualpraktischer Vollzüge.

Siebtes Kapitel

Abschiedspredigten Die Eislebener Kanzelreden kurz vor Luthers Tod 1546

Einleitung Die letzten Ereignisse in Luthers Leben wurden in der Forschung entweder aus regionalpolitischer oder biografischer Perspektive betrachtet. Regionalpolitisch wurde das Augenmerk auf die damaligen Rechtsstreitigkeiten der mansfeldischen Grafen gelegt, bei der Luther eine wichtige beratene Funktion eingenommen hatte.1 Biografische Betrachtungen widmeten sich Luthers letzten Stunden vor dessen Tod.2 Erstaunlicherweise wurden dabei die letzten Predigten Luthers lediglich gestreift, aber nicht eigens im Zusammenhang thematisiert. Als eigene Quellensammlung können sie jedoch wichtige Einblicke in sein Denken angesichts des bald bevorstehenden Todes geben: Ist eine Naherwartung seines Ablebens den Predigten zu entnehmen? Inwiefern spielen die Themen »Tod« und »Sterben« in den Kanzelreden eine Rolle? Wie hält Luther Rückblick auf sein eigenes Leben und das seiner Gegner? Diese und andere Fragen sollen im Kontext seiner letzten Reise betrachtet werden. Hierzu wird in einem ersten Teil die Situation in Eisleben und der Grafschaft Mansfeld genauer beleuchtet. Da Luthers Kanzelreden im Zusammenhang mit mehreren Aufenthalten in Mansfeld stehen, sind in einem zweiten Teil die Reisen Luthers in sein Heimat1   Vgl. den profunden Aufsatz von Arno Sames: Luthers Beziehungen zu den Mansfelder Grafen, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Berlin 1983, 591–600. 935–943. Vgl. ferner Hermann Etzrodt/Kurt Kronenberg (Hg.): Das Eisleber Lutherbuch, Eisleben 1933; Siegfried Bräuer: Luthers »Zwei – Reiche – Lehre« im Ernstfall. Der Konflikt Graf Albrechts von Mansfeld mit seinen Vettern wegen reformatorischer Neuerungen 1524/25, in: Uwe John/Josef Matzerath (Hg.): Landesgeschichte als Herausforderung und Programm, FS für Karlheinz Blaschke, Leipzig 1997, 285–304; Günther Wartenberg: Die Grafschaft Mansfeld in der Reformationszeit, in: Gerlinde Schlenker (Hg.): Philipp Melanchthon und das städtische Schulwesen. Begleitband zur Ausstellung (Veröffentlichungen der Lutherstädten Eisleben 2), Halle 1997, 35–46. 2   Vgl. exemplarisch Julius Leopold Pasig (Hg.): Dr. Martin Luthers letzte Lebenstage, Tod und Begräbnis. Eine Denkschrift zur dritthundertjährigen Gedächtnisfeier des Todestages Luther’s, Leipzig 1846; Christof Schubart: Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis. Texte und Untersuchungen, Weimar 1917; Jochen Birkenmeier: Ein letztes Klistier? Der angebliche Augenzeugenbericht des Apothekers Johann Landau über den Tod Martin Luthers, in: Luther 83 (2012), 22–36; Ders.: Luthers letzter Weg. Ein Rundgang durch Luthers Sterbehaus, Wittenberg 2013. Eine Bündelung der Forschungsergebnisse erfolgte im Sammelband von Armin Kohnle (Hg.): Luthers Tod. Ereignis und Wirkung (Schriften der Stiftung Luther-Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt 23), Leipzig 2019.

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Siebtes Kapitel

gebiet zu betrachten. Danach erfolgt in einem jeweils eigenen Abschnitt die Hinwendung zu den Predigten im Einzelnen. In dem Kontext wird auch der Frage nachgegangen, ob die »Vermahnung wider die Juden« tatsächlich Luthers letztes Wort auf der Kanzel war, wie vielfach behauptet wird.

1. Die Situation in Eisleben und der Grafschaft Mansfeld Die Grafschaft Mansfeld gehörte um 1525 zu den größten zusammenhängenden Territorien des ober- und niedersächsischen Raumes.3 Auf der 1100 km 2 großen Fläche lebten zu der Zeit circa 50.000 Menschen.4 Aufgrund eines Geflechts an Lehensbeziehungen und Dienstverhältnissen war die Grafschaft eng mit dem Erzbistum Magdeburg, dem Bistum Halberstadt, mit Sachsen und insbesondere mit den Albertinern verflochten, in deren Gebiet die Grafschaft lag.5 Das Adelsgeschlecht gehörte zu den ältesten Dynastien. 6 Der Legende nach geht es bis auf Ritter Hoyer den Roten zurück, der als Ritter der Tafelrunde von 3   Einen Überblick über das Mansfelder Land zur Zeit der Reformation erhält man durch den Sammelband von Siegfried Bräuer/Armin Kohnle (Hg.): Von Grafen und Predigern, Zur Reformationsgeschichte des Mansfelder Landes (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 17), Leipzig 2014. Vgl. hierzu meine Rezension in: ThLZ 141 (2016), 637–639. 4  Vgl. Lothar Bendorff: Die Prediger der Grafschaft Mansfeld. Eine Untersuchung zum geistlichen Sonderbewusstsein in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Potsdam 2010, 30; Marion Ebruy: Die Verwaltung der Grafschaft Mansfeld durch Oberaufseher des Kurfürstentums Sachsen von der Sequestration der Grafschaft Mansfeld 1570 bis zum Aussterben des Grafengeschlechts 1780, Diss. Leipzig 1992, 1; Karl Nothing: Mein Mansfeld. Ein Heimatbuch für das Mansfelder Land, Eisleben 1936, 111; Günther Wartenberg: Mansfeld, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hg.): Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung, Land und Konfession 1500- 1600, Bd. 6, Münster 1996, 78–91. 5  Zur Geschichte der Mansfelder Lehnsabhängigkeit zunächst zum römisch-deutschen König, dann ab dem 13. Jahrhundert vorrangig zu den Magdeburger Erzbischöfen und ab dem 14. Jahrhundert hinzukommend zu den Wettinern vgl. Uwe Schirmer: Die Lehnsbeziehungen der Fragen von Mansfeld (1215–1539/40), in: Siegfried Bräuer/Armin Kohnle (Hg.): Von Grafen und Predigern. Zur Reformationsgeschichte des Mansfelder Landes (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 17), Leipzig 2014, 13–44. Dort ist auch eine Federzeichnung aller Herrschaften und Ämter aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhundert abgedruckt (aaO., 24). Vgl. ferner Erich Hempel: Die Stellung der Grafen von Mansfeld zum Reich und zum Landesfürstentum (bis zur Sequestration). Eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung (Forschungen zur thüringisch-sächsischen Geschichte 9), Halle 1917; Dieter Stievermann: Sozial- und verfassungsgeschichtliche Voraussetzungen Martin Luthers und der Reformation – der landesherrliche Rat in Kursachsen, Kurmainz und Mansfeld, in: Volker Press/Ders. (Hg.): Martin Luther. Probleme seiner Zeit, Stuttgart 1986, 137–176. 6   Die wichtigste Quelle zur Geschichte Mansfelds stammt von Cyriacus Spangenberg: Mansfeldische Chronica. Der erste Theil, Eisleben 1572 [VD 16 S 7635]. Weitere Teile sind veröffentlicht in den Mansfelder Blättern: Teil 3, Buch 3, hg. von Rudolf Leers, in: Mansfelder Blätter. Beigabe 26 (1912), passim; Teil 4, Buch 3, Titel 31–43, hg. von Carl Rühlemann, in: Mansfelder Blätter 27 (1913), passim; Teil 4, Buch 3, Titel 44–59, hg. von Carl Rühlemann, in: Mansfelder Blätter 28 (1914), passim; Teil 4, Buch 1, Titel 1–10, hg. von Rudolf Leers, in:

Abschiedspredigten

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König Arthus um das Jahr 542 erwähnt wird.7 Historisch nachweisbar beginnt die ältere Linie mit Graf Hoyer I. (gest. 1115), die jüngere Linie 1264 mit Burggraf Burchard III. von Querfurt (1255–1273), der die Anrechte auf die Grafschaft Mansfeld kaufte. 8 Mit der Teilung von 1501 entstanden die drei Linien Mansfeld-Vorderort, Mansfeld-Mittelort und Mansfeld-Hinterort,9 deren Namen sich aufgrund der Lage der drei neugebauten Schlösser auf dem Mansfelder Burgberg einbürgerten.10 Gemeinsam wurden die Städte Eisleben, Mansfeld und Herrstedt sowie die Bergwerke und die Waldgebiete verwaltet. Insbesondere Hoyer VI. (Mansfeld-Vorderort) und Albrecht VII. (Mansfeld-Hinterort) bestimmten die regionale Politik. Während die Grafen der vorderortischen Linie bis zum Lebensende von Graf Hoyer 1540 dem alten Glauben treu blieben, schlossen sich die Grafen der mittel- und hinterortischen Linie ab 1525 der Reformation an und traten 1526 dem Torgauer Bündnis bei.11 Zeit seines Leben war Luther eng mit der Grafschaft Mansfeld verbunden.12 In Eisleben geboren und in Mansfeld aufgewachsen bezeichnete er sich liebevoll Mansfelder Blätter 30 (1916), passim; Teil 4, Buch 1, Titel 11–14, hg. von Rudolf Leers, in: Mansfelder Blätter 31/32 (1917/18), passim; Fragmente verschiedener Bücher des dritten Teiles der Mansfeldischen Chronik, in: Mansfelder Blätter 38 (1933), 5–102. 7   Vgl. die Einteilung in »Früheste, ungewisse und unzusammenhängende Geschichte« von den Ursprüngen, »Gewissere Geschichte der Grafen« des alten Mansfelder Stammes und »Geschichte des neuen Mansfeldischen Stammes« bei Ludwig Ferdinand Riemann: Geschichte der Grafen Mansfeld, Aschersleben 1834, XIf. 8  Vgl. Rudolf Leers: Geschlechtskunde der Grafen von Mansfeld Querfurter Stammes, in: Mansfelder Blätter 21 (1907), 97–155, hier 97; Ders.: Mansfeldische Erbteilungen im fünfzehnten Jahrhundert, in: Mansfelder Blätter 25 (1911), 35–40. 9   Mansfeld Vorderort war das größte Gebiet mit einem Anteil von etwa drei Fünftel des Territoriums. Es war unterteilt in die Ämter Heldrungen, Artern, Arnstein, Friedeburg, Bornstedt und Teile der Ämter Mansfeld und Eisleben. Das Gebiet wurde von den drei Söhnen Albrechts V. (gest. 1484) Günther IV., Ernst II. und Hoyer VI. verwaltet. Mansfeld Mittelort und Hinterort bildeten jeweils eines der verbleibenden zwei Fünftel der Grafschaft, die an die Söhne Ernst I. (gest. 1486) fielen. Mansfeld-Mittelort wurde von Gebhard VII. regiert und gliederte sich in die Ämter Seeburg, Morungen und die Hälfte des Amtes Schraplau. Mansfeld-Hinterort war im Besitz von Albrecht VII., zu dem die Ämter Rammelburg, Tothenburg, die andere Hälfte von Schraplau sowie seit 1526 die Gebiete um Allstedt zählten. Vgl. Günther Wartenberg: Mansfeld, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hg.): Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500- 1600, Bd. 6, Münster 1996, 78–91, hier 81. 10   Zur Geschichte der Schlossbauten vgl. Irene Roch: Die Baugeschichte der Mansfelder Schlösser mit ihren Befestigungsanlagen und die Stellung der Schloßbauten in der mitteldeutschen Renaissance, Diss. Halle 1966; Dies.: Die Baugeschichte der Mansfelder Schlösser mit ihren Befestigungsanlagen und die Stellung der Schloßbauten in der mitteldeutschen Renaissance, in: Burgen und Schlösser. Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege 8 (1967), 45–50. 11   Allgemein zur Reformationsgeschichte in Mansfeld vgl. die immer noch umfassendste Monografie von Karl Krumhaar: Die Grafschaft Mansfeld im Reformationszeitalter mit besonderer Rücksicht auf die Reformationsgeschichte aus den Quellen dargestellt, Eisleben 1855, 65–114. 166–210. 12  Vgl. Arno Sames: Luthers Beziehungen zu den Mansfelder Grafen, in: Helmar Jung-

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als Mansfelder Landeskind und sprach von seinem Vaterland.13 Zunächst waren die vereinzelten Kontakte Luthers zu Albrecht VII. aufgrund der Reformationsbestrebungen des Grafen von einer freundlichen Grundstimmung geprägt.14 So berichtete er dem Grafen vom Wormser Reichstag15 und widmete ihm 1522 den ersten Teil der Kirchenpostille.16 Mitte der 1530er-Jahre kühlte das Verhältnis jedoch merklich ab. Der Grund bestand in der Absicht Graf Albrechts, den Bergbau durch die Zusammenfassung von Herstellungs- und Verarbeitungsphasen zu monopolisieren, um die Einkünfte zu steigern und seine eigenen Schulden abzubauen.17 Da sich seine Vetter den Plänen nicht anschließen wollten, zielte er auf eine Teilung des gemeinsam verwalteten Bergwesens. Nach langen Verhandlungen gelang 1536 die Verteilung unter den drei Hauptlinien.18 Luther begrüßte zwar die Aufteilung, befürchtete jedoch, dass sein Bruder Jakob dadurch hätte in Armut geraten können.19

hans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Berlin 1983, 591–600. 935– 943. 13   »Ich bin ein landtkind in der herschafft zu Mansfeldt, dem es geburt, sein vatterlandt vnd lantshern zu lieben vnd das beste zu wunschen« (WA B 10; Nr. 4713, 9–12, hier 10,12f). Vgl. ferner den Brief Luthers an Graf Albrecht von Mansfeld vom 23. Februar 1542, WA B 9; Nr. 3716, 624. 626–629, hier 626,5–7. Vgl. ferner die Redeweise von »meiner Verwandtschaft« (parantela mea) in WA B 1; Nr. 238, 608,11; WA B 1; Nr. 239, 610,12. 14   Vgl. die Zusammenfassung bei Arno Sames: Luthers Beziehungen zu den Mansfelder Grafen, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Berlin 1983, 591–600. 935–943, hier 592f. 15   Vgl. den Brief Luthers an Graf Albrecht von Mansfeld vom 3. Mai 1521, WA B 2; Nr. 404, 319f. 16   Vgl. WA 10 I.1; 1–8. 17  Vgl. Günther Wartenberg: Die Mansfelder Grafen und der Bergbau, in: Rosemarie Knappe (Hg.): Martin Luther und der Bergbau im Mansfelder Land, Eisleben 2000, 29–41; Hanns Freydank: Martin Luther und der Bergbau, Eisleben 1939. Allgemein zum Montankonjunktur in Mansfeld vgl. Walter Mück (Hg.): Der Mansfelder Kupferschieferbergbau in seiner rechtsgeschichtlichen Entwicklung, Bd. 1: Geschichte des Mansfelder Bergregals, Eisleben 1910; Bd. 2: Urkundenbuch des Mansfelder Bergbaus, Eisleben 1910; Walter Möllenberg: Die Eroberung des Weltmarktes durch das mansfeldische Kupfer. Studien zur Geschichte des Thüringer Saigerhüttenhandels im 16. Jahrhundert mit zwölf Briefen Jakob Welsers d. Ä. von Nünberg, Gotha 1911; Ekkehard Westermann: Das Eislebener Garkupfer und seine Bedeutung für den europäischen Kupfermarkt 1460–1560, Köln u. a. 1991. 18   Drei Fünftel mit 24 Erbfeuern und 33 Herrenfeuern gingen an die vorderortische Linie, die mittel- und hinterortische Linie erhielt je acht Erb- und elf Herrenfeuer. Vgl. Walter Mück (Hg.): Der Mansfelder Kupferschieferbergbau in seiner rechtsgeschichtlichen Entwicklung, Bd. 1: Geschichte des Mansfelder Bergregals, Eisleben 1910, 67. 19   »Weil Euch die Teilung der Hutten geschehen, so wünsch ich Euch Glück darzu. Aber aus der Maßen böse Hoffnung habe ich; denn meine Theologia sagt mir, daß Menschen Furnehmen und Gottes Segen sind wider einander […]. Aber daß weder Jhr, noch Jocoff Luther, noch die Kaufleut schreiben, wie es ihnen hierinnen gehet […] macht Jhr uns armen Kindern (die wir hie sind) Gedanken, daß Jhr und sie allzumal Bettler worden seid« (Brief Luthers an den Mansfeldischen Kanzler Kaspar Müller vom 19. Januar 1536, WA B 7; Nr. 2287, 348,38– 46).

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Nach der Teilung verschärfte sich die Bergbaupolitik Albrechts. Die Schmelzhütten und Bergteile waren an Hüttenmeister verpachtet, die entweder in Erbpacht (Erbfeuer) oder in Zeitpacht (Herrenfeuer) die Nutzungsrechte besaßen. Weil die Erbpacht mit einem Anteil von 42 % dem direkten Zugriff des Grafen entzogen war, versuchte er, die bestehenden Rechtsverhältnisse aufzulösen.20 Deshalb erhöhte er die Abgaben und übte so Druck auf die Hüttenmeister aus. Ab 1540 kritisierte Luther diese Maßnahmen des Grafen in mehreren Briefen.21 Die gleiche Strategie zur Übernahme der Erbfeuer verfolgten ab 1546 auch die Grafen der vorderortischen Linie.22 Neben den Streitigkeiten zwischen den Grafen und ihren Hüttenmeistern kam es noch zu vier weiteren Konflikten unter den Grafen. Der erste bezog sich auf den Bruch zwischen den Brüdern Albrecht von Hinterort und Gebhart von Mittelort.23 Gebhart hatte aufgrund einer Schuldenlast von 400.000 Gulden seine Bergwerksanteile für 60.000 Gulden an Gläubiger verpfändet.24 Albrecht kaufte 1541 die Anteile zurück und sah sich nun auch als Herrn über das mittelortische Gebiet. Er besetze den mittelortischen Anteil des Schlosses und wollte den Abdruck von Gebharts Namen auf den Mansfelder Münzen einstellen. Gebhart wandte sich an Luther und bat ihn um Fürsprache bei Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Moritz, der Lehnsherr über die Bergwerke war.25 Herzog Moritz reagierte darauf energisch, indem er Albrecht im Juni 1543 kurzzeitig gefangen nahm. Daraufhin gab Albrecht die Nutzungsrechte über Gebharts Anteile den Gläubigern zurück und Gebhart erhielt seine Herrschaftsbefugnisse wieder. Der zweite Konflikt entzündete sich zwischen Albrecht und den Herrschern von Vorderort um das Patronatsrecht der Eislebener Andreaskirche.26 Nach 20  Vgl. Arno Sames: Luthers Beziehungen zu den Mansfelder Grafen, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Berlin 1983, 591–600. 935– 943, hier 592f. 21   Vgl. Luther Briefe an Graf Albrecht von Mansfeld vom 24. Mai 1540, WA B 9; Nr. 3481, 114–116; vom 23. Februar 1542, WA B 9; Nr. 3716, 624. 626–629, sowie Luthers Brief an Herzog Moritz von Sachsen wohl vom 13. März 1542, WA B 10; Nr. 3723, 8; Brief Luthers an die Grafen Philipp und Hans Georg vom 14. März 1542, WA B 10; Nr. 3724, 10–12; WA B 11; 190. 22   Vgl. Luthers Brief an die Grafen Philipp und Johann Georg von Mansfeld, vom 7. Oktober 1545, WA B 11; Nr. 4157, 189–191. 23   Vgl. zu den folgenden Ausführungen Arno Sames: Luthers Beziehungen zu den Mansfelder Grafen, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Berlin 1983, 591–600. 935–943, hier 596f. 24  Vgl. Walter Mück (Hg.): Der Mansfelder Kupferschieferbergbau in seiner rechtsgeschichtlichen Entwicklung, Bd. 2: Urkundenbuch des Mansfelder Bergbaus, Eisleben 1910, Nr. 177, 260–262; Nr. 189, 281f; Nr. 191, 283f. Vgl. ferner Karl Krumhaar: Die Grafschaft Mansfeld im Reformationszeitalter mit besonderer Rücksicht auf die Reformationsgeschichte aus den Quellen dargestellt, Eisleben 1855, 238. 25   Vgl. Luthers Brief an Kurfürst Johann Friedrich vom 1. April 1542, WA B 10; Nr. 3731, 27f; Brief Luthers an Landgraf Philipp vom 5. Mai 1542, WA B 10; Nr. 3749, 61. 26  Vgl. Lothar Bendorff: Die Prediger der Grafschaft Mansfeld. Eine Untersuchung

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dem Tod des Eislebener Reformators Kaspar Güttel 27 wollte Graf Albrecht die Hauptpredigerstelle im Mai 1542 mit seinem Kandidaten und Pfarrer aus Bürgel Dr. Valentin Weigel (Vigelius) 28 besetzen, wogegen Johann Georg von Vorderort opponierte, das Besetzungsrecht für sich reklamierte und seinen Favoriten Pfarrer Simon Wolffram (Wolferinus) auf die Stelle berief. Trotz des Versuchs Luthers, brieflich eine Schlichtung herbeizuführen, 29 setzte Albrecht im Juni 1542 ohne Einverständnis seiner Vettern ebenfalls Weigel ein, der sich in der Rolle des Superintendenten sah. 1543 weitete sich der Streit zu einem offenen Skandal in Eisleben aus, da Weigel auf Befehl des Grafen Philipp von Vorderort mit Waffengewalt von der Kanzel vertrieben und abgesetzt wurde.30 Der dritte Konflikt ergab sich durch den Eislebener Prediger Johannes Libens (Libius). Von der Kanzel aus griff er am 24. und 31. August 1544 Graf Albrecht scharf an, warf ihm Habgier vor und prophezeite, dass der Graf und seine Familie in den nächsten drei Jahren untergehen würden.31 Albrecht beschwerte sich zunächst bei den Grafen Vorderort und dann im September 1544 bei den Vertretern des Schmalkaldischen Bundes. Er verlangte die Bestrafung des Aufrührers. Luther hörte von dem Vorfall und nahm Libens in einem Brief an Wolferinus in Schutz, indem er den Vorfall noch nicht als Aufruhr wertete.32 Die Folge war wohl, dass Libens Eisleben verlassen musste.33 zum geistlichen Sonderbewusstsein in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Potsdam 2010, 47f. 27   Vgl. neben weiteren Beiträgen aus dem Sammelband den Aufsatz von Enno Bünz: Kaspar Güttels Lebensbericht. Mit einem Editionsanhang, in: Siegfried Bräuer/Armin Kohnle (Hg.): Von Grafen und Predigern. Zur Reformationsgeschichte des Mansfelder Landes (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 17), Leipzig 2014, 245– 291. Vgl. ferner Volkmar Joestel: Kaspar Güttel und die Reformation in Thüringen 1522, in: Protokollband zum Kolloquium anläßlich der ersten urkundlichen Erwähnung Eislebens am 23. Nov. 994 (Veröffentlichungen der Lutherstätten Eisleben 1), Halle 1995, 215–222. Die ausführlichste Darstellung zu Güttler (1471–1542) stammt von Gustav Kawerau: Caspar Güttel. Ein Lebensbild aus Luthers Freundeskreise, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Alterthumskunde 14 (1881), 33–132. 28   Dabei handelt es sich nicht um den Vater des Mystikers Valentin Weigel. Vgl. Gustav Kawerau: Der Streit über die Reliquiae Sacramenti in Eisleben 1543, in: ZKG 33 (1912), 287– 301, hier 287f. Vgl. ebenso in Kritik an Kawerau Paul Fleming: Der Nachfolger Güttels als »Prediger« an der Andreaskirche und zugleich Superintendent der Grafschaft Dr. Valentin Weigel, in: Mansfelder Blätter 33 (1921), 88–94. 29   Vgl. Brief Luthers an die Grafen Albrecht, Philipp und Johann Georg vom 15. Juni 1542, WA B 10; Nr. 3760, 81–83. 30  Vgl. Carl Rühlemann (Hg.): Cyriacus Spangenberg. Mansfeldische Chronica, Teil 4, in: Mansfelder Blätter, 27/28 (1913/14), 302. 31  Vgl. Karl Krumhaar: Die Grafschaft Mansfeld im Reformationszeitalter mit besonderer Rücksicht auf die Reformationsgeschichte aus den Quellen dargestellt, Eisleben 1855, 266–268. 32   Vgl. Luthers Brief an Simon Wolferinus vom 19. September 1544, WA B 10; Nr. 4030, 658f. 33   Melanchthon bezeichnete Libens am 13. Oktober 1547 als ein im Exil umherirrenden

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Und schließlich schwelte in Eisleben auch der Konflikt zwischen der Altstadt und Neustadt, der sowohl die Grafen als auch die Stadtbevölkerung betraf.34 Luther erachtete diesen Streitpunkt als den kompliziertesten.35 Albrecht hatte bereits 1511 zur Steigerung der Gewinne landfremde Arbeiter für den Bergbau und die Hüttenbetriebe angeworben.36 Dadurch entstand eine neue Siedlung in Eisleben, die Albrecht trotz des Protestes der Altstädter und der anderen Grafen mit eigenen Stadtrechten ausstattete. Die Altstädter forderten den Marktpfennig als Abgabe, wenn die Neustädter ihre Ware auf dem Altmarkt anboten.37 Albrecht reagierte hierauf mit Repressalien, indem er von ihm belehntes Gut der Altstädter Bürger einzog. Im Zuge dessen wäre es am 25. September 1534 beinah zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Albrecht und Gebharts Sohn Just gekommen.38 Trotz der Einholung von Gutachten der Ingolstädter und Tübinger Juristenfakultät konnte keine Einigung erzielt werden. Die Spannung zwischen beiden Städten blieb und war ebenfalls Anlass für Luthers letzte Reise in die Grafschaft.

2. Die Reisen Luthers in die Grafschaft Aufgrund der Bitten seiner Verwandten 39 entschied sich Luther trotz seiner Altersschwachheit, dreimal in die Grafschaft zu reisen, um vor Ort zwischen den verschiedenen Parteien zu vermitteln.40 Seine erste Reise nach Mansfeld in Begleitung von Melanchthon und Justus Jonas dauerte vom 3. bis 11. Oktober 1545. Er hoffte, auf der Kanzel zur Versöhnung beitragen zu können.41 Die Geistlichen und empfahl ihn Fürst Georg von Anhalt für eine Pfarre. Vgl. WA B 10; 658,7, Anm. 2. 34  Vgl. Arno Sames: Luthers Beziehungen zu den Mansfelder Grafen, in: Helmar Junghans (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Berlin 1983, 591–600. 935– 943, hier 597. 35   Luther bezeichnet diesen Konflikt als ein »Stachelschwein, das stacheliger als selbst ein Stachelschwein ist«. Vgl. Brief Luthers an Melanchthon vom 1. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4196, 277,9f. 36  Vgl. Hermann Grössler: Das Werden der Stadt Eisleben. Ein Beitrag zur Heimatkunde, in: Mansfelder Blätter 23 (1909), 108–115. 37  Vgl. Karl Krumhaar: Die Grafschaft Mansfeld im Reformationszeitalter mit besonderer Rücksicht auf die Reformationsgeschichte aus den Quellen dargestellt, Eisleben 1855, 233–238. 38   Vgl. aaO., 236f. 39   »Lutherus et ab amicis rogatus, et sua sponte cupiens suae patriae« (Brief Melanchthons an Joachim Cameraius vom 11. Oktober 1545, MBW.T 14, 4031f, hier 4031,1. 40  Vgl. Rudolf Stammler: Luther im Schiedsgericht der Grafen von Mansfeld: 1546, in: Ders.: Deutsches Rechtsleben in alter und neuer Zeit, Bd. 1: Deutsches Rechtsleben im alten Reich München 1932, 105–118. 486. 41   »Jch bin, wie wol alt und schwach, anher gne Mansfeld komen um dem teglichen grossen geschrey von der uneinigkeit unter euch herrn und graven bewegt. Denn, nach dem ich auch ein Mansfeldisch kind bin, hab ich solch meines lieben Vaterlands und der herrschafft unfal [im Sinne von Unheil] und ferlichen Zustand nicht konnen ertragen. Dieser Hoffenung [bin

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Worte seiner Predigten in der St. Georgs- und der Schlosskirche sind nicht überliefert.42 Durch seine Fürsprache erklärte sich Graf Albrecht zu Vergleichsverhandlungen bereit.43 Da aber nicht alle Grafen zugegen waren, bedurfte es einer zweiten Reise. Am 22. Dezember brach er mit Melanchthon von Wittenberg auf, übernachtete in Halle, kam Heiligabend in Mansfeld an und trat aus Rücksicht auf den erkrankten Melanchthon44 am 5. Januar wieder über Halle den Rückweg an, wo er am 6. Januar über Mt. 3, 13–17 predigte.45 Für das dritte Treffen, das auf den 25. Januar46 in Eisleben gelegt wurde, verließ Luther mit dreien seiner Söhne Wittenberg zwei Tage zuvor, übernachtete in Bitterfeld47 und setzte die Reise zu Justus Jonas in Halle fort. Eigentlich wollte er mit ihm am nächsten Tag weiterreisen. Doch Hochwasser und Eisgang an der Saale zwangen sie kurz nach dem Aufbruch wieder zur Umkehr.48 Am 28. brachen sie erneut nach Eisleben auf. An der Landesgrenze wurden sie von einer ich hergekommen] das ich nicht richter sein wolle, als ich auch nicht kan noch sol, Sondern mit predigen, vermanen und bitten, so viel mir möglich were, E. g. helffen zu vereinigen« (Luthers Brief an die Grafen Philipp und Johann Georg von Mansfeld vom 7. Oktober 1545, WA B 11; Nr. 4157, 189,5–12). 42  Vgl. Lothar Bendorff: Die Prediger der Grafschaft Mansfeld. Eine Untersuchung zum geistlichen Sonderbewusstsein in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Potsdam 2010, 48. 43   »Aber gleich wol hab ich nicht gar abgelassen und so viel zu bereitet, das mein g. Herr, graff Albrecht, sich gnediglich und willig hat finden lassen und erbotten. Des gleichen auch E. g. Mutter und beider seits Herrschafften, beyde herren und frewlin, hertzlich bewegt und begirig erfaren habe zur einigkeit« (Luthers Brief an die Grafen Philipp und Johann Georg von Mansfeld vom 7. Oktober 1545, WA B 11; Nr. 4157, 189,17–190,21). 44   Luther schreibt Kurfürst Johann Friedrich am 9. Januar 1546: »Als er [Melanchthon] warlich kranck ist, das ich fro bin, das ich yhn von Mansfeld heym bracht habe« (WA B 11; Nr. 4184, 256,14–16). 45   Vgl. WA 51; XIf. 107–117. 46   Vgl. den Vertrag zwischen den Mansfelder Grafen vom 17. Februar 1546: »Derhalben dann von ermelten herrn Doctor Martino Luther ein ander tag als vff Conuersionis Pauli [25. Januar 1517] auch vorschinen anhero gegen Eisleben ernent vnd angesatzt worden ist« (WA B 12; Nr. 4301, 375,20–22). 47   »Ist derwegen […] widerumb den 23. Januarii zu Wittemberg ausgefaren vnd den Tag bis gen Bitterfeld gereyset vnd folgenden Tages gen Halla komen« (Cyriacus Spangenberg: Mansfeldische Chronica. Der Erste Theil, Eisleben 1572, Kap. 377, 446b [VD 16 S 7635]). Der Bitterfelder Aufenthalt fehlt in Georg Buchwald: Luther-Kalendarium, Leipzig 21929, 158. Vgl. ferner Gundula Holz/Werner Breitkopf: Die Reformation und ihre Bedeutung für Bitterfeld, Bitterfeld 2016, 34. 48   »Wir sind heute umb acht aus Halle gefaren, Aber sind nicht gen Eisleben komen, sondern umb neune wieder gen Halle eingezogen. Denn es begegnet uns eine grosse Wiederteufferin mit wasserwogen und grossen Eisschollen und drewet uns mit der Wiedertauffe und hat das Land bedeckt. So können wir auch nicht zurücke für der Mulde zu Bitterfeld und müssen alhie zu Halle zwischen den wassern gefangen liegen, nicht daß uns danach dürstet zu trinken […] Jch hette nicht gemeinet, daß die Saal ein solch bad machen könte, daß sie über die steyne weg und alles so rumpeln solt« (Brief Luthers an seine Frau vom 25. Januar 1546, WA B 11; Nr. 4191, 269,3–17). Vgl. ferner WA B 12; Nr. 4301, 375,25. Vgl. ferner Cyriacus Spangenberg: Mansfeldische Chronica. Der Erste Theil, Eisleben 1572, Kap. 377, 446b [VD 16 S 7635].

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Reiterschaft empfangen, die sie nach Eisleben eskortierte.49 Während er zuvor noch gut gelaunt Bier und Wein der Saalestadt genoss,50 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand auf dieser Fahrt.51 Infolge der Kälte und aufgrund eines Fußmarsches neben dem Reisewagen erlitt er auf der Fahrt durch Rißdorf einen Schwächeanfall, bei dem es sich wohl um eine Herzverengung mit starken Brustschmerzen und Schweißausbrüchen handelte.52 Geschwächt kehrte er in Eisleben beim Stadtschreiber Johann Albrecht neben der Andreaskirche ein.53 Seine Söhne schickte er in dieser Zeit zu seinen Verwandten nach Mansfeld.54 An fast allen Verhandlungen, die jeden zweiten oder dritten Tag stattfanden, nahm Luther teil.55 Aufgrund seines Alters und geschwächt von der Reise konn49   »[…] der Doctor […] ist also erst den 28. Januarii auff einem Khane nicht one gefehrligkeit beneben Doctor Jona und 3. Sönen uber das Wasser gefahren vnd als er an die Mansfedische grentze komen mit hundert und 13. Pferden angenommen vnd gen Eisleben beleittet worden« (aaO, 446b-447a). »Satis numeroso equite euocauerunt et eduxerunt Comites Mansfelden« (Brief Luthers an Melanchthon vom 29. Januar 1546, WA B 11; Nr. 4193, 273,9f). 50   Aus Halle schreibt er Katharina im Kontext des Hochwassers: »Wir nehmen […] gut Torgisch bier und guten Reinischen wein, damit laben und trösten wir uns dieweil, ob die Saale heute wolte auszörnen« (Brief Luthers an seine Frau vom 25. Januar 1546, WA B 11; Nr. 4191, 269,9–11) 51   »Liebe Kethe. Jch bin ia schwach gewesen auff dem weg hart vor Eisleben« (Brief Luthers an seine Frau vom 1. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4195, 275,4f). 52   »Vnd war ists, do ich bey dem Dorff fuhr, gieng mir ein solcher kalter wind hinden zum wagen ein auff meinen kopff, Durchs Parret, als wolt mirs das Hirn zu eis machen« (WA B 11; Nr. 4195, 275,9–276,12). Gegenüber Melanchthon schreibt er, dass er Magenzittern, Schweißausbrüche, eine Compression des Herzens und gleichsam Erstickungsnot bekam: »In itinere me apprehendit et syncope mea simul et ille morbus, quem tu humorem ventriculi vocare soles. Ibam enim pedester, sed supra vires, Ita vt sudarem, postea sudore et camisia frigidata in curru offendit frigus musculum sinistri brachii. Hinc illa compressio cordis et quasi suffocatio spiritus« (Brief Luthers an Philipp Melanchthon vom 1. Februar 1546, WA B 11; 278,18–22). 53   Zu Luthers – seit 1537 schlimmer werdenden – Krankheiten wie Verdauungsstörungen, Gallen- und Nierenkoliken, Schwindel- und Kreislaufattacken, Gichtknoten, Rheuma und Angina-pectoris-Anfällen vgl. Friedrich Küchenmeister: Dr. Martin Luthers Krankheitsgeschichte. Mit erläuternden Bemerkungen aus seinem Leben, Lebensweise, Schicksalen, Kämpfen und Wirken für Aerzte und Laien zusammengestellt, Leipzig 1861; Wilhelm Ebstein: Dr. Martin Luthers Krankheiten und deren Einfluss auf seinen körperlichen und geistigen Zustand, Stuttgart 1908, 7–36; Hans-Joachim Neumann: Luthers Leiden. Die Krankheitsgeschichte des Reformators, Berlin 1995, 129–148; zum Schwächeanfall in Rißdorf aaO., 142f. Vgl. ferner Wolfgang Böhmer: Martin Luther und das Wittenberger Medizinalwesen zu seiner Zeit, in: Die Zeichen der Zeit 37 (1983), 107–116; Burkhart Mecking: Tode Luthers und sein Trost. Ängste – Freunde – Glauben unterwegs. Schmalkalden 1537, Bielefeld 2016. – Um seine Frau zu beruhigen, lobte er das ihm wohltuende Naumburger Bier: »Neumburgisch bier, fast des schmacks, den du von Mansfeld mir etwa hast gelobet. Es gefellet mir wol« (WA B 11; Nr. 4195, 276,20–22). Vgl. ebenfalls Luthers Brief an seine Frau vom 7. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4201, 286f, hier 287,41–43. 54  Vgl. in den Briefen Luthers an seine Frau vom 1. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4195, 278,22–24 und vom 6. Februar 1546, Nr. 4199, 284,10f. 55   Lediglich am 17. Februar fehlte er bei der Unterzeichnung des zweiten Vertrages: »[…] da er [Luther] zwischen den Wolgebornen und Edlen Herrn vnd Graffen zu Mansfeld allerseits biss auff den 17. Februarii handelung gepflogen« (Cyriacus Spangenberg: Mansfeldische Chronica. Der Erste Theil, Eisleben 1572, Kap. 377, 447a [VD 16 S 7635]). Im Brief von Jonas an

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te er den Sitzungen jedoch nur ein bis eineinhalb Stunden beiwohnen.56 Das Ergebnis der mühevollen Beratungen war das sogenannte »Pactum Lutheri«.57 Es wurde schriftlich in zwei Verträgen fixiert. Im Vertrag über die kirchlichen Angelegenheiten bereinigte man die strittigen Patronatsfragen und definierte die Superintendentenstelle, wobei die wichtigsten Pfarrstellen zukünftig von allen Grafen gemeinsam vergeben werden sollten und weitere Pfarreien auf die Grafenlinien verteilt wurden.58 Dem Vertragsabschluss über weltliche Angelegenheiten am 17. Februar wohnte Luther nicht mehr bei; den Vertrag konnte er jedoch noch unterzeichnen.59 Die Übereinkunft regelte die Schuldenfrage und das Verhältnis zwischen der Eislebener Alt- und Neustadt. 60 Zur Klärung weiterer Fragen wollte man sich am 2. Mai erneut treffen. 61 In dieser Zeit predigte Luther vier Mal: am Sonntag, dem 31. Januar, am Dienstag, dem 2. Februar, am Sonntag, dem 7. Februar, und schließlich entweder am Sonntag, dem 14., oder am Montag, dem 15. Februar. Der Tag seiner letzten Predigt ist umstritten, da sie keine Datierung enthält. Die ältere Forschung geht von einer Sonntagspredigt aus. 62 Berichtet wird, dass er an diesem Tag zwei Geistliche ordinierte. 63 Als letzten Predigttext wählte er Mt. 11, 25–30, Kurfürst Johann Friedrich vom 18. Februar 1546 über Luthers letzte Stunden schreibt er, dass Luther »alle zeit dise drey wochen durch (dann je vber zwen oder drey tag ein mal handlung gewesen« ( Justus Jonas: Der Briefwechsel des Justus Jonas, 2. Hälfte, hg. von Gustav Kawerau (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Geschichtliche Vereine der Provinz Sachsen 17), Halle 1885, Nr. 781, 177). 56   Luther habe »bey den hendln je zu zeiten ein stund, je zu zeiten anderthalb gesessen« (ebd.). 57   Den Ausdruck »Luthers Vertrag« verwendet bereits Cyriacus Spangenberg für das Abschließen beider Verträge. Vgl. aaO., 446b. 58   Vgl. den Vertrag vom 16. Februar 1546, WA B 12; Nr. 4300, 368–372. 59   »Aber gestern mittwochs nach Valentini den 17. Februarii ist er [Luther] aus bedencken des fürsten von Anhalt vnd grafen Albrechts, auch vff vnser bitten vnd vermhanen den fürmittag in seinem stüblein bliben, zu den hendln nit gangen« (Justus Jonas: Der Briefwechsel des Justus Jonas, 2. Hälfte, hg. von Gustav Kawerau [Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Geschichtliche Vereine der Provinz Sachsen 17], Halle 1885, Nr. 781, 177f). 60   Vgl. den Auszug vom Anfang und Ende in WA B 12; Nr. 4301, 375f. Vollständig abgedruckt in Johann Christian Lünig (Hg.): Teutsches Reichs-Archiv, partis specialis continuatio 2: Von den Graffen und Herren des Heil[gen] Roemischen Reichs, Bd. 10, Leipzig 1712, 127–133 [VD18 1122620X]. 61   »So ist forder abgeredt vnd gewilligt, Das die grauen eigener Person auf den Suntag Quasimodogeniti schirstn zw Mansfeldt einkhomen« (WA B 12; Nr. 4301, 376,35–37). Der Sonntag Quasimodogeniti lag 1546 auf dem 2. Mai. Die WA spricht irrtümlicherweise vom 3. Mai. Vgl. WA B 12; 374, jedoch richtig vgl. WA B 12; 376, Anm. 12. 62  Vgl. Julius Köstlin: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, fortgesetzt von Gustav Kawerau, Bd. 2, Berlin 21903, 620 u. 695, Anm. 1. 63   »Von dem xxix. tag Januarij an bis auff den xvij. tag Februarij Jnclusive ist er zu Eisleben gewesen jnn der handlung, und neben der handelung vier predigt gethan, ein mal offentlichen vom Priester (so an dem Altar die Communion gehalten) die absolution empfangen, und zwir Communicirt, und bey der andern Communion, Nemlich Sontags am tag Valentini [14. Februar], hat er zween Priester nach Apostolischem brauch selb ordinirt und geweihet« (Justus

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worüber eigentlich – neben Mt. 13, 24–27 – zum 5. Sonntag nach Epiphanias gepredigt wird. 64 Angenommen wurde, dass Luther jedoch eine Woche später das letzte Mal die Kanzel betrat und Mt. 11, 25–30 als Predigttext auswählte, da er zum einen am letzten Sonntag bereits über Mt. 13, 24–27 gepredigt hatte und zum anderen für diesen 6. Sonntag nach Epiphanias kein Perikopentext agendarisch vorgegeben war, da dieser aufgrund des Kirchenjahres nur selten gefeiert wird. Dagegen spricht jedoch eine Erwähnung von Johannes Mathesius, dass Luther am Montag, dem 15. Februar, seine letzte Predigt gehalten habe. 65 Außerdem wird in einem Druck der Predigten handschriftlich »Gethan den 15. Februari 1546« vermerkt, wobei es sich um eine Abhängigkeit von Mathesius handeln könnte. 66 Die Weimarer Ausgabe geht ebenfalls von einer Montagspredigt aus. Inhaltlich wird auf das Ende der Predigt verwiesen, da Luther aufgrund von Schwäche die Predigt unvermittelt abbrach. 67 Dies spräche für den Montag, da er am Sonntag neben der Ordination immerhin noch nachweislich zwei Briefe verfasst hatte. Allerdings könnte er diese Briefe auch bereits vor dem Gottesdienst geschrieben haben. So betont auch die Weimarer Ausgabe, dass die Datierung mit letzter Sicherheit nicht entschieden werde könne. 68

3. Die »Vermahnung wider die Juden« – Luthers letzte Predigt? Die vier Eislebener Predigten wurden von Johannes Aurifaber aufgezeichnet und 1546 in Wittenberg von Hans Lufft gedruckt. 69 Andere Mitschriften exis-

Jonas und Michael Cölius: Bericht vom christlichen Abschied aus diesem tödlichen Leben des ehrwürdigen Herrn D. Martini Lutheri 1546, WA 54; 478. 487–496, hier 488,3–8). 64   Vgl. das Register über Episteln und Evangelien in WA DB 7; 537. Vgl. ferner die Synopse bei Herwarth von Schade/Frieda Schulz (Hg.): Gestalt und Wandel des gottesdienstlichen Bibelgebrauchs (RGD 11), Hamburg 1978, 76. 65   »Am 15ten Februar hat er, nur zwei oder drei Tage vor seinem Ende, seine letzte Predigt gethan aus dem Evangelium Mathäi, Kap. 11, in welcher er von der Weisheit der Welt, und der seligen Klugheit, welche Gott dem Unmündigen offenbart habe, sehr lebhaft redete, und zum Beschluß christlich vermahnte, daß man die halsstarrigen Juden nicht hegen, noch mit ihnen viel disputieren sollte« (Johannes Mathesius: Leben Dr. Martin Luthers in siebzehn Predigten, Berlin 1841, 323f). In seiner Mathesius-Biografie berichtigt Lösche dieses Datum. Vgl. Georg Lösche: Johannes Mathesius. Ein Lebens- und Sitten-Bild aus der Reformationszeit, Bd. 1, Gotha 1895, 546. Vgl. ferner Michael Beyer: Johannes Mathesius als Biograph Martin Luthers, in: Armin Kohnle/Irene Dingel (Hg.): Johannes Mathesius (1504–1565). Rezeption und Verbreitung der Wittenberger Reformation durch Predigt und Exegese (LStRLO 30), Leipzig 2017, 65–83. 66   Vgl. WA 51; XIV. 67   »Aber ich bin zu schwach, Wir wollens hie bey bleiben lassen« (WA 51; 194,36f). 68   »Wenn auch kein strikter Beweis führbar ist, so neigt sich also doch die Wahrscheinlichkeit der Angabe bei Mathesius und dem handschriftlichen Eintrag in dem Berliner Druck zu, daß Luther seine letzte Predigt Montag, den 15. Februar gehalten hat. Nochmals sei betont, daß wir nur von Wahrscheinlichkeit reden können« (WA 51; XV). 69  Vgl. Benzing/Claus, Nr. 3534 = VD16 L 6963.

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tieren nicht. Dem Druck angehängt ist die ›Vermahnung wider die Juden‹.70 In der Forschung wird zumeist davon ausgegangen, dass es sich dabei um die letzten überlieferten Worte Luthers auf der Kanzel handele.71 Unerklärt bleibt jedoch, dass Luther nach seinem Schwächeanfall auf der Kanzel weitergesprochen haben soll, um noch ausführlich auf die Situation der Juden in Eisleben einzugehen. Im Titel und in der Vorrede Aurifabers, die in der Weimarer Ausgabe nicht abgedruckt sind, werden explizit nur vier Predigten erwähnt.72 Außerdem schreibt der Herausgeber, dass er auf Begehren der Grafen Albrecht und Johann Georg die Predigten aufgezeichnet habe. An keiner Stelle jedoch geht er auf die ›Vermahnung‹ ein, die einen eigenständigen Charakter aufweist und daher nicht einfach zur vierten Predigt gezählt werden kann. Aurifaber erwähnt nur, dass er in aller Eile die letzten Worte Luthers in den Druck gebracht habe.73 Daher scheint es zumindest der Frage wert zu sein, ob die ›Eislebener Vermahnung‹ tatsächlich die letzten Worte Luthers auf der Kanzel gewesen sein können.

  Vgl. WA 51; 195f. Vgl. zur Debatte den Forschungsüberblick von Harry Oelke: »Luther und die Juden« in der kirchengeschichtlichen Forschung nach 1945, in: Harry Oelke u.  a. (Hg.): Martin Luthers »Judenschriften«. Die Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2016, 215–233; vgl. ferner exemplarisch Thomas Kaufmann: Luthers Juden, Stuttgart 2014, 7–10; Ders.: Luthers »Lutherschriften«. Ein Beitrag zu ihrer historischen Kontextualisierung, Tübingen 2011; Stephen G. Burnett: Jews, Judaism and the Reformation in Sixteenth-Century Germany, Leiden 2004; Peter von der Osten-Sacken: Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand von Anton Margarithas »Der gantz Jüdisch glaub« (1530/31), Stuttgart 2002; Andreas Späth: Luther und die Juden (Biblia et symbiotica 18), Bonn 2001; Hein Kremers: Die Juden und Martin Luther – Martin Luther und die Juden. Geschichte, Wirkungsgeschichte, Herausforderung, Neukirchen-Vluyn 1985. 71   Allerdings ohne genaue Begründung Julius Köstlin: Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften, fortgesetzt von Gustav Kawerau, Bd. 2, Berlin 21903, 620. Vgl. ferner Reinhold Lewin: Luthers Stellung zu den Juden. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Reformationszeitalters, Berlin 1911, Neudr. Aalen 1973, 109. Vgl. beispielsweise Thomas Kaufmann: Luthers Juden, Stuttgart 2014, 9. 179; Hans-Martin Kirn: Luther und die Juden, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 3 2017, 252–262, hier 259. Anders dagegen die Weimarer Ausgabe (WA B 11; 278,19, Anm. 9; WA B 11; 287,24, Anm. 15) und Peter von der Osten-Sacken (Ders.: Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand von Anton Margarithas »Der gantz Jüdisch glaub« (1530/31), Stuttgart 2002, 155. 72   Vgl. »Derhalben weil E. G. dieses seligen Mans Gottes lere vnd auch Christlichen abscheids aus diesem Jamerthal zeugen sind, so hab ich E. G. diese vier seine letzten Predigten, so ich aus gedachtem Herrn Doxtors mund auffgezeichnet vnd auch alhie zu Wittemberg mit vleis zugericht sind zuschreiben vnd vnter E. G. namen vnd titel wollen ausgehen lassen« (Martin Luther: Vier Predigten des Ehrwirdigen Herrn D. Martini Luthers zu Eisleben vor seinem abschied aus diesem leben gethan, Wittenberg 1546, (Benzing/Claus, Nr. 3534 = VD16 L 6963), Bl. Aiiia. 73   »Dieweil er [Luther] denn dasselbig durch verleihung Göttlicher Gnade reichlich gethan, Auch etliche schöne tröstliche Predigten vor seinem ende alda in gegenwertigkeit E.G. gethan, die ich zur selbigen zeit in eil auffs beste als ich vermocht auffgeschrieben vnd auf E. G. vnd sonst auch vieler ander begeren in druck itzt hab ausgehen lassen« (aaO., Aiia). 70

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Einen Hinweis findet man in den Briefen des Reformators. Als Luther auf der Hinreise in Rißdorf eine Kreislaufschwäche erlitt, führte er sie auf die Anwesenheit der dortigen Juden zurück.74 Nach seinen Angaben ritten in Rißdorf etwa 400 Juden ein und aus.75 In Eisleben sollen dem Gerücht zufolge 50 Juden in einem Haus gelebt haben.76 Die hohe Anzahl an Juden erklärt sich durch deren Vertreibung aus dem Erzstift Magdeburg durch Erzbischof Ernst (1464– 1513) seit dem Jahr 1493. Die Exilanten sind insbesondere von Halle aus nach Eisleben geflüchtet und siedelten sich dort an.77 Sie wurden toleriert durch die Unterstützung der Gräfin Dorothea von Mansfeld-Vorderort, der Witwe von Ernst II.78 Bereits am 1. Februar nahm sich Luther vor, auf der Kanzel über die Juden zu sprechen, sobald die Hauptstreitfragen zwischen den Grafen geklärt sein würden.79 Am 7. Februar schreibt er seiner Frau, dass er gegen die Eislebener Juden das Wort ergriffen habe: »Aber ich hab mich heute lassen horen, wo mans mercken wolte, was meine meinung sey, groblich gnug, wens sonst helffen solt«. 80 Diese Äußerung kann als Hinweis auf die ›Vermahnung wider die Juden‹ gelesen werden. Außerdem hoffte Luther im selben Brief, an jenem Sonntag wieder zurückreisen zu können. Doch weil sich die Lage verkomplizierte, müsse er noch dort bleiben. 81 Dies stimmt mit dem Beginn der ›Vermahnung‹ überein. Auch dort wird erwähnt, dass er heimzufahren gedachte.82 Vielleicht könnte er gerade wegen seiner Absichtsbekundung, die Heimreise wieder antreten zu 74   »Denn wir musten durch ein Dorff hart vor Eisleben da viel Juden innen wonen, vielleicht haben sie mich so hart angeblasen. So sind hie in der stad Eisleben itzt diese stund vber funffzig Juden wonhafftig« (Brief Luthers an seine Frau vom 1. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4195, 275,7–9). 75   »Jtzt sagt man, das zu Risdorff, hart vor Eisleben gelegen, daselbs ich kranck ward ym einfaren, sollen aus vnd ein reiten vnd gehen bey vierhundert Jüden« (Brief Luthers an seine Frau vom 7. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4201, 287,17–19). 76   »So sind auch hie Jüden bey funfftzig ynn einem hause« (Brief Luthers an seine Frau vom 7. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4201, 286,15–287,16). 77  Vgl. Karl Krumhaar: Die Grafschaft Mansfeld im Reformationszeitalter mit besonderer Rücksicht auf die Reformationsgeschichte aus den Quellen dargestellt, Eisleben 1855, 288. 78   »Die greffin zu Mansfeld, witwe von Solmis wird geachtet als der Juden Schutzerin« (Brief Luthers an seine Frau vom 7. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4201, 287,21f). 79   »Wenn die Heubtsachen geschlichtet weren, so mus ich mich dran legen, die Juden zuvertreiben, Graff Albrecht ist jnen feind vnd hat sie schon preis geben [für vogelfrei erklärt Aber niemand thuet jnen noch ichts. Wils Gott, ich wil auff der Cantzel Graff Albrechten helffen vnd sie auch preis geben« (Brief Luthers an seine Frau vom 1. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4195, 276,16–19). 80   Vgl. Brief Luthers an seine Frau vom 7. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4201, 287,23f. 81   »Bettet, Bettet, Bettet Vnd helfft vns, das wirs gut machen, Denn ich heute ym willen hatte, den wagen Zu schmiren [abzureisen] in ira mea, Aber der Jamer, so mir fur fiel, meines Vaterlandes, hat mich gehalten« (Brief Luthers an seine Frau vom 7. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4201, 287,25–27 u. hier Anm. 17). 82   »Nach dem ich nu ein zeitlang alhie gewesen und euch gepredigt habe, auch nu anheim mus und villeicht euch nicht mehr predigen moecht« (WA 51; 195,2f).

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wollen, gedrängt worden sein, doch noch zu bleiben. Oder es erfolgte nach der Vermahnung in den darauffolgenden Gesprächen an jenem Tag tatsächlich ein Rückschritt der Verhandlungen, sodass Luther seiner Frau am Abend schrieb, doch nicht fahren zu können. Insofern sprechen alle Hinweise dafür, dass Luther bereits am 7. Februar seine ›Vermahnung wider die Juden‹ hielt. Vielleicht wurde diese Rede insbesondere auf Bitten der Grafen in aller Eile den Predigten hinzugefügt. Um den Zusammenhang der Predigten nicht zu stören, entschied sich Aurifaber, die eigenständige Rede, die zeitlich eigentlich zwischen der dritten und vierten Predigt lag, den vier Predigten als Anhang folgen zu lassen. Unsicher bleibt, ob er die ›Vermahnung‹ tatsächlich von der Kanzel verlautbarte. Zu Beginn erwähnt Luther, dass er einige Zeit lang gepredigt und seine Zuhörer darum gebeten habe, am Wort festzuhalten. Am Ende spricht er die Herren und Untertanen direkt an, indem er deutlich macht, dass er es mit seinen Ratschlägen gut meine. 83 Doch kann man aus diesen Hinweisen schließen, dass es sich um ein Wort auf der Kanzel handelte? Luther könnte diese Rede ebenso vor den Grafen und weiteren Vertretern während der Verhandlungen gehalten haben. Eine eindeutige Antwort kann wohl nicht gegeben werden. Inhaltlich ist die ›Vermahnung‹ im Kontext von Luthers allgemeinem Judenverständnis zu sehen, das er insbesondere in seinen ›Judenschriften‹ darlegte. Gleichwohl sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich bei dieser Rede trotz aller pauschalen Urteile um eine situationsgebundene Stellungnahme handelte, die speziell die in Eisleben wohnenden Juden in den Blick nahm. Luther wirft ihnen vor, Christus zu lästern, 84 die Jungfrau Maria als Hure zu beschimpfen, Wucher zu betreiben85 und die Christen umbringen zu wollen, wenn sie dazu Gelegenheit hätten. 86 Er verbreitet hierbei die absurde Verschwörungstheorie, dass die jüdischen Ärzte die Fähigkeit hätten, durch ihre Medizin Menschen so zu vergiften, dass die Wirkung erst nach zehn oder zwanzig Jahren einsetzen würde. 87

83   »Denn ich meine es ja gut und trewlich beide, mit den Herrn und Unterthanen« (WA 51; 196,13f). 84   »UBer andere habt jr auch noch die Jueden im Lande, die da grossen schaden thun« (WA 51; 195,9f). »NU ists mit den Jueden also gethan, das sie unsern HErrn Jhesum Christum nur teglich lestern und schenden« (WA 51; 195,20f). 85   »Wo sie […] jren Wucher lassen […]« (WA 51; 195,25f). 86   »Sie sind unsere oeffentliche Feinde, hoeren nicht auff unsern HErrn Christum zu lestern, Heissen die Jungfraw Maria eine Hure, Christum ein Hurenkind, Uns heissen sie Wechselbelge oder mahlkelber« (WA 51; 195,28–31). 87   »[…] wenn sie uns kondten alle toedten, so theten sie es gerne, Und thuns auch offt, sonderlich, die sich vor ertzte ausgeben, ob sie gleich je zu zeiten helffen, Denn der Teufel hilffts doch zu letzt versiegeln, So koennen sie die Ertzney auch, so man in Welschland kan, da man einem eine gifft bey bringet, davon er in einer stund, in einem Monat, in einem Jar, ja in zehen oder zwentzig jaren sterben mus, Die Kunst koennen sie« (WA 51; 195,31–36). Vgl.

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Dennoch solle man »christlich« mit ihnen umgehen, indem man ihnen anbiete, sich zu bekehren, da Jesus von Nazareth Nachkomme Abrahams und somit deren Blutsverwandter sowie die Erfüllung ihres Messiasglaubens sei. 88 Als Zeichen ihrer Bekehrung fordere er die Taufe. 89 Wenn sie sich dem verweigern würden, dann sehe er es als zusätzliche jüdische Lästerung und Schändung Jesu an, weswegen kein anderer Ausweg bleibe, als die Juden aus der Grafschaft zu vertreiben. Handelte man nicht dementsprechend, so würde man fremder Sünden teilhaftig und quasi Mittäter der vermeintlichen Schandtaten.90 Luther forderte insofern die Eislebener Untertanen und Grafen dazu auf, die Juden vor die Alternative zu stellen, entweder die Taufe zu vollziehen oder das Land zu verlassen. Aufgrund fehlender Mitschriften kann nicht genau festgestellt werden, ob und inwiefern Aurifaber redaktionell in Luthers ›Vermahnung‹ eingegriffen hat. Aus dem Hinweis Luthers, dass er »groblich genug« über die Juden gesprochen habe, kann nicht geschlossen werden, dass Aurifaber den Ton gemildert oder Äußerungen weggelassen hat.91 Doch was sollte ihn dazu bewegt haben? Ihm ging es ja gerade darum, speziell den Eislebenern Luthers Anliegen in Erinnerung zu rufen, wie man mit den dort lebenden Juden umzugehen habe. Insofern kann angenommen werden, dass die ›Vermahnung‹ trotz aller redaktionellen Bearbeitung und trotz aller auffälligen Redundanzen dem Inhalt nach die Auffassung Luthers kurz vor seinem Tod widerspiegelt.

4. Die zwei Naturen Christi und der Teufel (31. Januar) Zum vierten Sonntag nach Trinitatis predigte Luther über die vorgesehene Perikope, die Sturmstillung Jesu (Mt. 8, 23–27). Er wählte hierzu eine allegorische Auslegung des Textes mit einer ekklesiologischen Zuspitzung, die er sukzessiv entfaltete.92 Bei Luther lässt sich ein solcher allegorischer Zugang bis in das Jahr 1517 zurückverfolgen. In der Predigt vom 1. Februar deutet er das Meer als die hierzu Anselm Schubert: Luther töten. Der »jüdische« Mordanschlag auf Martin Luther 1525, in: LuJ 82 (2015), 44–65, hier 63f. 88   »Nu wollen wir Christlich mit jnen handeln und bieten jnen erstlich den Christlichen glauben an, das sie den Messiam wollen annemen, der doch jr Vetter ist und von jrem fleisch und blut geboren und rechter Abrahams same, des sie sich rhuemen« (WA 51; 195,10–13). 89   »Das solt jr jnen erstlich anbieten, das sie sich zu dem Messia bekeren wollen und sich teuffen lassen, das man sehe, das es jnen ein ernst sey« (WA 51; 195,14–16). 90   »Denn sol ich den bey mir leiden, der meinen HErrn Christum schendet, lestert und verflucht, so mache ich mich frembder Suenden teilhafftig« (WA 51; 195,22–24). 91   Die Weimarer Ausgabe bemerkt zum groben Tonfall: »Wahrscheinlich hat der Bearbeiter der ›Predigt‹ und der ›Vermahnung‹ manches weggelassen und den Ton gemildert« (Brief Luthers an seine Frau vom 7. Februar 1546, WA B 11; Nr. 4201, 287,24. Anm. 15). 92   Die ekklesiologische Allegorese, die bereits bei Matthäus selbst intendiert ist, hat in der Alten Kirche eine lange Tradition, so beispielsweise bei Petrus Chrysologus, Bischof von Ravenna in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts. Zur Auslegungsgeschichte vgl. Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus (EKK 1/2), Neukirchen-Vluy u. a. 1990, 29.

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Welt, den Sturm als den Regenten der Finsternis und das Schiff als Kirche.93 Diesem Grundmuster folgen auch die späteren Predigten über die Perikope, wobei Luther den Akzent verschieden setzt: mal mehr auf den Glauben94 , mal auf den trotz aller Furcht noch vorhandenen Kleinglauben der Jünger, angezeigt durch ihr Aufwecken Jesu und ihr Bitten um Hilfe,95 oder mal auf die gegenwärtig herrschenden Krisen.96 Trotz der redaktionellen Wiederholungen und Redundanzen, durch die sich eine zirkulär fortschreitende Gedankenabfolge ergibt, ist ein systematischer Aufbau zu erkennen, der wohl ursprünglich den Worten Luthers einen eigenen Charakter gegeben hat. Die Predigt besteht nach einer kurzen Einleitung aus zwei Hauptteilen, die wiederum in zwei eng miteinander verbundene Abschnitte gegliedert sind.97 Im ersten Teil98 geht Luther zunächst vor dem Hintergrund des Bibeltextes auf die beiden Naturen Christi ein99 und leitet dann zu einem 93   »Certum est mare in hoc Euangelio significare mundum, hec est vita ista inquieta, instabilis et transitoria. Tempestas et venti ipsi rectores tenebrarum, spiritualia nequitiae in coelestibus. Navis Ecclesia« (Predigt vom 1. Februar 1517, WA 1; 128–130, hier 128,20–23). 94   In der Fastenpostille aus dem Jahr 1525 (WA 17 II; 104–109 u. WA 21; 83f) geht Luther in der Einleitung auf die Dialektik von Glauben und Unglauben bei den Jüngern ein, die beim Einsteigen in das Boot noch glaubten, deren Glaube aber durch den Sturm schwach wurde (WA 17 II; 104,20f). Außerdem hebt er die Liebe Jesu hervor, aufzuwachen und die Jünger zu retten (WA 17 II; 107,6f). Danach folgt eine allegorische Deutung der Perikope, ähnlich wie in der Predigt vom 1. Februar 1517 (WA 17 II; 107,35–109,24). – Die Predigt vom 30. Januar 1530 (WA 32; XXVII. 8–18) ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil handelt von dem Glauben, bei dem er zwei Zeiten unterscheidet: Zum einen die Zeit des Friedens und zum anderen die Zeit der Anfechtung (WA 32; 11,4–7 u. 26–31). Der zweite Teil (ab WA 32; 14,10 u. 30) thematisiert den Sturm als Zeit der Anfechtung, womit er gleichsam die Zeit der Glaubensanfechtung vertieft. Die Pointe ist in diesem zweiten Teil, dass, wo Christus bzw. das Evangelium präsent sei, auch der Sturm bzw. der Teufel sein Unwesen treibe (WA 32; 16,8–10). 95   In der Predigt vom 29. Januar 1531 (Einleitung, WA 34 II; 584 u. WA 34 I; 126–136), die in Veit Dietrichs Hauspostille aus dem Jahr 1544 eingeflossen ist (WA 52; 123–129), betrachtet Luther vor dem Hintergrund der Wundergeschichte zunächst die Natur des Glaubens (WA 34 I; 126,5), wo Luther den Gedanken der Predigt ein Jahr zuvor aufgreift, dass die Anwesenheit Christi mit der Anfechtung des Glaubens einhergehe (WA 34 I; 126,23). Der zweite Teil (ab WA 34 I; 129,12 u. 23) bezieht sich auf den Effekt bzw. auf die Früchte des Glaubens, bei denen er einräumt, dass die Jünger trotz ihres Kleinglaubens immer noch soviel Vertrauen in Christus haben, dass sie ihn aufwecken (WA 34 II; 131,4–7. 18–20). Im dritten Teil (ab WA 34 I; 132,5 u. 18) beschreibt Luther das Verhalten Christi, zu schlafen, aber dennoch anwesend zu sein (WA 34 I; 132,24f). Der vierte Teil (nach dem Nürnberger Codex, vgl. WA 34 I; 134,13 mit 134,19) geht auf die zwei Naturen Christi ein, deren Gedanken am stärksten denen der Eislebener Predigt ähneln. Der fünfte Teil (ab WA 34 I; 135,11) thematisiert die Bekehrung der Jünger als Frucht des Glaubens. 96   Die vom Aufbau her fließende Predigt vom 3. Februar 1544 (WA 49; XXXIII. 334–343) ist eine Art Krisendiagnose: »[…] wir haben itzt den Turcken, Reichstag, Bapst, Bischoff, Mentz [Mainz] wil uns fressen, Meer tobet, winde brausen« (WA 49; 337,29–31 u. 337,11f). Weil er wohl im Vorfeld Juristen kritisiert hat, geht er auf deren Anfragen ein, wie sie denn besser handeln könnten (WA 49; 340,16f u. 33f). 97   Die Einleitung beschränkt sich auf WA 148,29–31. 98   Vgl. WA 51; 148,32–157,32. 99   Vgl. WA 148,32–149,28.

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Vergleich anderer Religionen mit dem Christentum über.100 Im zweiten Teil101 thematisiert er zuerst die List des Teufels,102 um sich daraufhin der List Jesu zu widmen.103 In der Einleitung bemerkt Luther, dass aus dieser Perikope etliche Dinge zu lernen seien. Er wolle vieles davon darlegen, je nachdem, wie die Zeit reiche.104 Der Beginn lässt darauf schließen, dass Luther sich zwar verschiedene Gedanken zurechtlegte, er aber dennoch erst auf der Kanzel spontan entschied, wie ausführlich er die einzelnen Punkte entfalten wollte. Zuerst geht Luther auf die zwei Naturen Jesu Christi ein, die für ihn im Bibeltext zum Ausdruck kommen. Die menschliche Natur erblickt er in dem schlafenden Christus. Man sehe, dass er müde vom vielen Reisen sei, müde vom Gehen und von seiner Arbeit, sodass Christus begehre, sich auszuruhen.105 Luther führt im Vergleich zu den parallelen Gedanken in der Predigt vom 29. Januar 1531 diesen Gedanken in auffälliger Weise breit aus.106 Der Herr sei zu dieser Zeit sehr müde von der großen Arbeit des Predigens und Heilens der Kranken gewesen, weil er dies vom Tage bis in die Nacht getan habe. Zudem sei er erschöpft vom Wachen und Beten, was für ihn häufig die ganze Nacht über dauere, weshalb er Ruhe und Schlaf besonders begehre. Deshalb habe er sich ins Schiff gelegt, um ein wenig Frieden zu finden.107 Es scheint, dass Luther nicht nur die Situation Jesu, sondern seinen eigenen Zustand kurz vor seinem Tod reflektiere. In seinem Brief vom 6. Dezember 1545 ahnte Luther, dass es sich bei der Mansfelder Angelegenheit um die letzte Reise in seinem Leben handeln könnte. Danach wolle er sich beruhigt in den Sarg legen.108 Freilich rechnete Luther immer wieder in seinem Leben damit, dass sein Ende gekommen sei, wie etwa bei der Abfassung seiner Schmalkaldischen Artikel, die aufgrund seines verschlechterten Gesundheitszustandes als Luthers Vermächtnis angesehen 100   Angezeigt durch die Zusammenfassung zu den zwei Naturen Christi in WA 51; 149,29– 31, nach der zum zweiten Abschnitt übergeleitet wird. Vgl. ab WA 51; 149,42. 101   Vgl. WA 51; 157,33–163,6. 102   Vgl. ab WA 51; 159,40. 103   Vgl. ab WA 51; 160,33. 104   »Jn diesem Euangelio werden uns viel stueck furgehalten, die wir mit vleis sollen lernen und bedencken, dere wir jtzt etliche, so viel wir zeit haben werden, handeln wollen« (WA 51; 148,29–31). 105   »Erstlich beschreibt der Euangelist, das der HErr Christus im Schiff ligt und schlefft wie sonst ein mensch, der natuerlich schlefft, so er sich muede gereiset, gegangen oder geerbeitet hat, das er mus darnach rugen und schlaffen« (WA 51; 148,32–34). 106   Vgl. WA 34 I; 134,19–24 geht auf die zwei Naturen Christi ein, deren Gedanken am stärksten denen der Eislebener Predigt ähneln. 107   Vgl. WA 51; 149,3–9. 108   »Damit ich mit freuden Jn meinen sarck mich legen muge, wo ich zuuor meinen lieben landts hern vertragen« (Brief Luthers an Graf Albrecht von Mansfeld vom 6. Dezember 1517, WA B 11; Nr. 4173, 226,17f). Ähnlich in den Tischreden: »Wenn ich wieder heim gen Wittenberg komm, so will ich mich alsdann in Sarg legen und den Maden einen feisten Doxtor zu essen geben« (WA T 6; Nr. 6975, 302,12–14).

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wurden.109 Gleichwohl verdichteten sich die Todesahnungen bei seinem Aufenthalt in Eisleben und spiegeln sich auch in seinen letzten Predigten wider.110 Neben der menschlichen Seite leuchte in der Geschichte auch die göttliche Seite Christi auf. Mit einem Finger habe er Wind und Wellen geboten, sich zu beruhigen.111 Dies gehe über die menschlichen Kräfte hinaus und offenbare Christi Macht, nicht nur über die Natur, sondern über alle Gewalten und selbst über den Teufel.112 Der Glaube an die zwei Naturen Christi mache den eigentlichen Unterschied im Vergleich zu den religiösen Vorstellungen der Türken, Heiden und Juden aus. Damit leitet Luther zum zweiten Abschnitt über, indem er den christlichen Glauben von anderen Religionen abgrenzt. Luther räumt ein, dass auch die anderen Religionen Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde anerkennen würden. Sie würden sich jedoch an der Vorstellung stoßen, dass Gott in mehr als einer Person gedacht werde und die Christen daher in ihren Augen mehr als nur einen Gott anbeteten.113 Doch sie seien im Irrtum. Denn Gott könne nicht anders erkannt und angebetet werden als durch seine Selbstoffenbarung in der Erscheinung des Sohnes.114 Die menschliche Vernunft könne zwar über das Wesen Gottes spekulieren, allerdings entferne sie sich dabei eher von der eigentlichen Wahrheit.115 Deshalb habe Gott seinen Sohn gesandt, um als Mittler zu dienen.116 Die göttliche Majestät Christi könne nur »inwendig«, jedoch nicht »auswendig« erkannt werden.117 Dies könne allein geschehen, wenn man auf das Wort 109  Vgl. Christopher Spehr: Martin Luther und sein Schmalkaldisches Bekenntnis, in: LuJ 83 (2016), 35–54, hier 52; Hans-Joachim Neumann: Luthers Leiden. Die Krankheitsgeschichte des Reformators, Berlin 1995, 121–129. 110   Vgl. WA T 5; Nr. 5899, 395,3–14; WA T 6; Nr. 6565, 45,7–22; WA T 6; Nr. 6635, 91,39– 92,4. 111   »Er aber als ein gewaltiger HErr drewet mit einem finger den Winden und wellen des Meers, da mus es alles stille werden« (WA 51; 149,24f). 112   »Darumb beweiset hie das werck auch diesen Artikel, das Christus warhafftiger Gott ist und goettliche Krafft und gewalt hat als ein HErr uber alle Creaturn, Wind, Meer und den Teufel selbs etc.« (WA 51; 149,25–28). 113   »Denn ob wol TŮrcken, Jueden sich auch Gottes volck rhuemen und sagen, sie gleuben und beten an den einigen, ewigen, lebendigen Gott, der Himel und Erden geschaffen etc. Und sich an uns Christen uber die mass hoch ergern und fur die groesseste torheit, ja fur den hoehesten Grewel halten, das wir mehr denn eine Person in dem ewigen, Goettlichen wesen setzen oder (wie sie sagen) mehr denn einen Gott anbeten« (WA 51; 150,10–16). 114   »DEnn Gott kan nicht recht erkant noch angebetet werden denn von denen, die sein Wort haben, dadurch er sich selbs offenbart hat« (WA 51; 150,18f). 115   »Wie das auch die aller weisesten Heiden allezeit selbs bekand haben, das es so hoch, tunckel und tieff verborgen ding umb Gott und sein Regiment sey, das es niemand ergruenden noch verstehen kuende, also, das je mehr menschliche vernunfft darnach trachtet und speculirt, je lenger je weiter sie davon komet« (WA 51; 150,23–27). 116   »Und das derselbige Gottes Son hat sollen menschliche Natur an sich nemen, auff das er zwischen Gott und uns Mitler wuerde« (WA 51; 150,33–35). 117   Bei dieser Entgegensetzung spielt Luther auf Joh. 1, 18 an, der Christus als eingebore-

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Gottes höre, was die Türken, Heiden und Juden nicht täten, obwohl er sich ihnen durch die Väter, Propheten, Christus und seine Apostel zu erkennen gegeben habe.118 In diesem Zusammenhang fügt er eine eigentümliche Analogie ein, um die Absurdität zum Vorschein zu bringen, wenn man nicht an Christus glaube. Die Leugnung Christi käme der Leugnung eines Untertans gleich, der behaupte, dass sein Landesherr, wie beispielsweise der Graf von Mansfeld, weder Leib noch Gliedmaßen habe.119 Den Vater ohne den Sohn denken zu wollen, käme dem absurden Versuch gleich, sich einen Menschen ohne Leib, Kopf, Hände und Füße vorstellen zu wollen. Dabei könne man bereits dem Alten Testament entnehmen, dass dort Christus verheißen sei. Denn nachdem Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben worden waren, habe Gott zur Schlange gesprochen, dass die Nachkommen ihren Kopf zertreten würden (Gen. 3, 15).120 Darin sieht Luther den Vorverweis auf Christus, der, als Mensch geboren, gleichsam den Teufel besiegt habe. Eine solche christologische Interpretation von Gen. 3, 15 hat er viele Male verwendet, z. B. in seiner Schrift ›Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei‹ aus dem Jahr 1523.121 Die gesamte Vergangenheit über sei die Kirche durch dunkle Mächte bedroht worden, weshalb Gott immer wieder Prediger geschickt habe wie Henoch, Noah, Abraham; Propheten wie Ezechiel und Könige wie David.122 Solche Stürme seien insbesondere durch falsche Geister und falsche Lehren des Teufels hervorgerufen worden.123 Doch durch die Anrufung Christi, wie es die Jünger nen Sohn schildert, der in des Vaters Schoß ist: »HJe sagt uns nu die Schrifft, das Gott sich also offenbaret und wil also erkand sein, das er sey ein solcher Gott, der da einen Son habe, der da heisst sein Eingeborner Son, und wie hie Johannes sagt, in seinem Schos das ist: inwendig seines goettlichen Wesens und maiestet […]. Aber jn selbs, wer er sey, was fur ein goettlich Wesen, und wie er gesinnet sey, das kanstu nicht von auswendig ersehen noch erfaren« (WA 51; 150,29–151,3). 118   »Denn sie [Türken, Heiden und Juden] wollen sein wort nicht hoeren, so er von jm selb von anfang der Welt her, den heiligen Vetern und Propheten, und zu letzt durch Christum selb und seine Aposteln offenbaret, noch jn also erkennen« (WA 51; 151,21–23). 119   »DArumb weil sie Christum, der da warer Gott und Mensch ist, leugnen und nicht annemen, so haben sie auch an Gott […] nicht mehr denn ein blossen ledigen namen oder schemen von Gott, Gerade als (das ich doch ein grob gleichnis gebe), wenn ich mich wolt eines grossen Landherrn, Unterthanen rhuemen, von dem ich doch nichts wueste noch sagen kuendte, was oder wer er were, und noch daran zweivelte, ob er ein Mensch were, leib und Seele hette. Lieber, was wuerde das fur ein Herr sein, von dem ich sagte, das er in seinem wesen und Natur keinen arm noch bein, kopff oder Leib hette? Als wenn ich vom Churfuersten zu Sachssen, oder von einem Graven zu Mansfeld sagte: das ist ein Churfuerst, oder ein Grave zu Mansfeld, und hat doch weder Leib, kopff noch strumpff, hende oder fuesse. GLeich ein solcher Gott ists auch, den jnen die Tuercken fur bilden, der da in seinem goettlichen wesen keinen Son habe, Nemen jm damit hende und fuesse« (WA 51; 152,1–15). 120   Vgl. WA 51; 152,21–153,4. 121   Vgl. WA 11; 307. 314–336, hier 316,5–8. Vgl. ebenso in der Weihnachtspostille die Predigt zum Sonntag nach dem Christtag über Lk. 2, 33–40, 1522, WA 10 I.1; 418,19f; Von den Konziliis und Kirchen, 1539, WA 50; 488. 509–653, hier 604,36–38. 122   Vgl. WA 51; 153,39–154,13. 123   »[…] so in diesem Euangelio gezeigt wird, das sich der Teufel mit seinen Winden und

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in der Geschichte getan hätten, sei das kleine Schiff »Kirche« immer wieder vor den Stürmen gerettet worden.124 Solche Bedrohungen seien damals von Babylonien, Assyrien, dem griechischen und dem römischen Reich ausgegangen, heutzutage seien es die Türken und der Papst.125 Doch die Zeit des letzten Sturmes sei angebrochen. Weil der Teufel dies wisse, versuche er besonders heftig, gegen die Kirche anzustürmen.126 Wenn jedoch über 5000 Jahre hindurch die Stürme abgewehrt worden seien, so könne man sich damit trösten, dass auch in den letzten Stunden Christus siegen werde.127 Denn wie Christus von Beginn an viele Stöße erlitten habe, so sei er dennoch nicht umgestoßen worden.128 Fast ist zu vermuten, dass er bei diesen Worten nicht nur von Christus spricht, sondern auch sich selbst meint. In diesem Zusammenhang geht Luther auf die antiken Vorstellungen des Atheismus, Agnostizismus und des Polytheismus ein. Unter den antiken Philosophen und Poeten herrschten ihm zufolge mehrere Irrtümer. Erstens hätten sie versucht, das Wesen Gottes zu ergründen, seien aber daran gescheitert, sodass sie zuletzt die Existenz Gottes leugneten.129 Zweitens seien sie der Auffassung, man könne nicht sagen, was Gott im Sinn habe oder welche Absichten er verfolge.130 Zudem seien sie nicht bereit gewesen, einen strengen Monotheismus zu Wellen, das ist: durch falsche Geister und Lere des Teufels« (WA 51; 154,18–20). 124   »[…] es haben bald von anfang der Welt die wellen des boesen Geistes […] in dis Schifflin, so die Christliche kirche heisset, geschlagen […]. Und ist doch allzeit wider solch stuermen in solchem schrecken und schwacheit, wie hie der Apostel ist, erhalten durch den Glauben und anruffen dieses Heilands Christi, des Sons Gottes« (WA 51; 154,24–30). 125   »DEnn so viel sich dawider gestossen, gestuermet und getobet, die sind nu, Gott lob, bis auff diese unsere zeit untergangen, als die grossen, gewaltigen Keiserthumb und Koenigreich Babylon, Assyrien, Griechen und Rom in seiner hoehesten macht, Und ist dennoch dis Schifflin blieben und bleibet noch, Und das jtzt die ubrige stuermen des Tuercken und Bapsts noch auch jre Wellen speien und sprueen und haben alle im sinn dieses Schiff zu erseuffen« (WA 51; 154,34–39). 126   »Das muessen wir rechnen fur das letzte toben und zerren der alten Schlangen, des Teufels, so nu sich schier an Christo und seiner Kirchen abgestossen und abgelauffen hat, wolt gerne in seinem letzten grim und zorn seer boeses thun, er weis aber, das er bald auffhoeren und vollend sein gifft, stich und bisse unter des HErrn Christi und seiner Christenheit fuessen mus lassen« (WA 51; 154,39–155,2). 127   »Es hat jnen die funff tausent jar gefeilet [gemangelt] und nicht gelungen und sol jnen auch hinfurt (die ubrige letzte stunde) feilen und nicht gelingen, was sie furhaben« (WA 51; 155,7–11). 128   »Denn ob er wol von anfang her […] viel stuerme und stoesse erlidden, so ist er doch dadurch nicht umbgestossen […], Sondern stehet und gehet noch jmer fort, und je stercker, je mehr er verfolget wird« (WA 51; 155,23–26). 129   »UNd sind in zweierley seer grossem jrthumb und blindheit: Erstlich, das sie nicht koennen sagen, was doch Gott sey in seinem wesen […]. Daher auch etliche grosse Leute so unverschempt worden, das sie oeffentlich geleugnet oder ja jren zweivel bekand, ob ein Gott sey, Etliche, da sie gefragt und haben sollen von Gott sagen, bekand haben, das, je lenger sie darnach trachteten und forscheten, je weniger sie davon wusten zu sagen« (WA 51; 155,41– 156,10). 130   »ZUm andern koennen sie viel weniger wissen und sagen, wie Gott gegen den Men-

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vertreten. Vielmehr hätten sie jede Vorstellung über Gott aufgegriffen und hätten, wie die Römer, ein Pantheon zur Ehre aller Götter gebaut.131 Die letzte Auffassung habe auch das Papsttum, indem es die Heiligenverehrung unterstütze und Gottesdienste, Wallfahrten, Orden und Bruderschaften erdichte.132 Hierdurch seien Uneinigkeit, Zerrissenheit und Trennung entstanden.133 In Stadt und Land habe ein jeder seine eigene Auffassung für die beste gehalten.134 Christus sei es in seiner Zeit nicht anders ergangen. Sobald er begonnen habe, das rechte Evangelium zu verkündigen, hätten sie gewütet und seien auf ihn eingestürmt.135 Doch schließlich mussten sie mit allen ihren Götzen untergehen.136 Luthers auffällige Betonung der Uneinigkeit auf den verschiedenen zeitlichen Ebenen, der griechischen und römischen Antike, der Zeit Christi und der Zeit des Papsttums, kann durchaus darauf abgezielt haben, seine Zuhörer anzuregen, über die Uneinigkeit in der Grafschaft nachzudenken. Auch wenn er an dieser Stelle die Probleme nicht explizit anspricht, mögen sie wohl den Hintergrund seiner Gedanken gebildet haben. Nach dem ersten Teil der Predigt, in dem Luther sein Augenmerk auf die beiden Naturen Christi und den Religionsvergleich legte, wendet er sich der List des Teufels zu.137 Es gehöre Luther zufolge zu den Wahrzeichen des christlichen Glaubens, dass dieser durch den Teufel ständig angefochten werde.138 Wo schen gesinnet sey, ob er gewislich uns anneme, fur uns alle sorge, uns erhoeren und helffen wolle […]. Wie solchs abermal die allerweisesten Philosophi und Poeten on schew […] oeffentlich geschrieben, Es koenne niemand wissen, was Gott im sinn habe« (WA 51; 156,11–18). 131   »ZUdem, so sihet man, wie ungleich und vol mancherley secten der Heiden und unchristen Abgoetterey allzeit gewest und noch ist […]. UNd die Roemer samleten aus der gantzen Welt allerley Abgoetterey […] und baweten einen Tempel zu Rom, den sie aller Goetter Tempel hiessen« (WA 51; 156,25–35). 132   »GLeich also haben wir sampt dem gantzen Bapstum bisher auch gethan, da man allerley Abgoetterey mit den Todten und vielen unbekandten Heiligen (so auch wol boese Buben unter der Heiligen namen gewesen) angenomen und daneben so viel eigen ertichte Gottesdienst, Walfarten, Orden, Bruederschaffen etc. auffgeworffen und jmer ein newes uber das ander angenomen, davon wir keinen grund gewust haben, was nur ein jglicher unverschampter Schuerling [Geschorener] oder Pletting [Mönch mit Tonsur] hat duerffen furgeben« (WA 51; 156,39–157,4). 133   »UNd ist doch solches alles nicht allein ungewis und ungegruendet, sondern auch zurissen und zutrennet in mancherley secten und uneinigkeit wie unter den Heiden« (WA 51; 157,5–7). 134   »Wie bisher unter Moenchen und Pfaffen gewest, da keiner mit dem andern eines war, und ein jglicher seine weise fur die beste wolt gehalten haben, noch vertrugen sich jr viel in einer Stad oder Dorff und Kirchen« (WA 51; 157,11–14). 135   »[…] so bald der selbige [Christus] kam mit seinem Euangelio, und predigt von rechtem erkentnis Gottes, da wurden sie alle toll und toericht« (WA 51; 157,22–24). 136   »Und musten jn [Christus] dennoch […] ob jrem verfolgen und stuermen, toben und wueten endlich mit allen jren Goetzen zu grund gehen« (WA 51; 157,29f) 137   »Das sey von dem furnemesten stueck dieses Euangelij gesagt, wie uns darin Christus gezeigt und gepredigt wird, beide, warhafftiger Gott und Mensch, und wie solcher Christlicher glaube allein der rechte, einige, elteste, bestendige Glaube ist« (WA 51; 157,33–36). 138   »Welches auch ist sein rechte farbe und warzeichen, das er mus allzeit angefochten und

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dies nicht geschehe, sei der Glaube auf dem Boden von Eigendünkel erdichtet worden.139 Im Vergleich zur Predigt vom 30. Januar 1530 lässt sich eine Verschärfung des Gedankens feststellen. Während er damals noch von zwei gleichwertigen Zeiten des Glaubens sprach – der Zeit des Friedens und der Zeit der Anfechtung –, ist Luther hier der Meinung, dass es im echten Glauben keine Zeit des Friedens gebe, sondern Anfechtung ihr Wesensmerkmal sei.140 Dabei bestehe die List des Teufels darin, immer dann besonders hart anzugreifen, wenn seine Gegner am schwächsten seien. So habe der Teufel in der Wundergeschichte erst den Sturm entfacht, als sich die Jünger ungeschützt auf dem See befanden und sich Christus schlafen gelegt habe.141 Jedoch sei aus der Sturmstillung auch zu lernen, dass Christus vor der Rettung seiner Jünger die Not am größten werden lässt, um seine Macht desto herrlicher und mächtiger zu offenbaren.142 Denn darin bestehe umgekehrt die List Christi gegenüber dem Teufel. Er solle ruhig gefährlich nahe herankommen, damit die Jünger ihren Herrn anrufen.143 Der schlafende und »schnarchende« Christus erscheine zwar ohnmächtig und schwach, doch wenn der Teufel sich ihm nähere und er die Kirche verschlingen wolle, öffne Jesus seine Augen und offenbare seine Macht.144 Die Absicht, die Christus damit verfolge, sei, die Menschen zu lehren, dass sie sich vor des Teufels Angriffen nicht fürchten müssten, verfolget werden« (WA 51; 157,40f). 139   »DAgegen ander Religion oder Glauben, wie sie on Goettliche zeugnis und offenbarung teglich new, aus eigen Menschlichen duenckel ertichtet sind, Also haben sie auch diese art, das sich darob kein verfolgung noch widerstand erhebt […]. Solche lesst der Teufel als seine Diener wol zu frieden« (WA 51; 158,1–7). 140   »Das ist 1 stuck de fide et notet, qui vult studere in fide, ut illam artem bene discat, quod fides hat 2ces horas vel tempora .1. quando bene habet et triumphat, tum ligt er oben, non timet et hoc tempore pacis, quando vicit et adversarius hin weck. Tempore belli fides est enlich incredulitati et desperationi, ut tum discas non te habere tum fidem« (Predigt vom 30. Januar 1530, WA 32; 11,4–8). 141   »Sjhe aber auch hie des Teufels schalckheit und tuecke, wie er seine zeit und gelegenheit ersihet, da er Christum und seine Juenger mag angreiffen, Nemlich, so sich Christus schwach und unvermoeglich stellet« (WA 51; 159,40–42). 142   »Aber hie sollen wir auch dargegen lernen, das dieses ist unsers HErrn Christi weise, das, wo er retten und helffen wil, zuvor also pflegt zu thun und sich zu stellen und die not auffs hoehest lesst komen, da es am hertesten stehet, auff das er seine krafft und huelffe hernach deste herrlicher und mechtiger erzeige« (WA 51; 160,33–37). 143   »DEnn er wil uns hiemit leren seine kunst und das rechte Meisterstueck, damit er den Teufel betreugt und seine tueck und anschlege zu nicht machet, Eben damit, das er jn lesset an sich und seine Christen lauffen mit grossem und schrecklichen stürmen […] und sie selbs, die Juenger, auch nicht anders sehen noch fuelen denn, wie sie hie schreien und sagen: O HErr, wir verderben etc.« (WA 51; 161,4–12). 144   »Aber es heisst: Huete dich fur diesem schlaffenden und schnarckenden Christo, wenn er sich stellet, als sehe und hoere, der wisse und koenne er gar nichts. Denn wo er so gar schwach und (wie es scheinet) unwissend und onmechtig ist, und der Teufel jm so nahe kompt und jtzt schon nach jm schnappet, als wolle er jn mit seiner Kirchen verschlinden. Da mus er auch auffwachen und sich hoeren und sehen lassen« (WA 51; 161,13–18).

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sondern getrost an Gott glauben könnten.145 Darum seufze er auch über den unbegründeten Kleinglauben der Jünger. Denn trotz des Schlafs sei Christus ja weiterhin bei ihnen; die Gefahr für die Jünger sei auch seine Gefahr.146 Obwohl ein zweifelnder und »zappeliger« Glaube zur Natur des Menschen gehöre, so hätten die Jünger klug gehandelt, in ihrer Hilflosigkeit den Herrn anzurufen, damit seine Kraft in Schwachen mächtig werde.147

5. Das Erstgeburtsrecht in der Predigt über Lk. 2, 22–32 (2. Februar) Nach seiner Sonntagspredigt betrat Luther bereits am Dienstag erneut die Kanzel anlässlich von Mariä Lichtmess, wobei die Feierlichkeiten traditionell vierzig Tage nach Weihnachten abgehalten werden.148 Dabei standen Jesu Darstellung im Tempel und der Lobgesang Simeons im Zentrum der Betrachtung (Lk. 2, 22–32). Luther konnte am Ende seines Lebens auf viele Predigten zurückblicken, in denen er diese Perikope ausgelegt hatte. Seit 1520 sind fünfzehn datierbare Einzelpredigten überliefert.149 Vergleicht man alle Predigten miteinander, so lässt sich eine für Luther stärker als gewöhnlich ausgeprägte Kontinuität erblicken. Den besten Zugang erhält man durch die Predigt vom 2. Februar 1526, die alle Gedanken aus seinen Predigten bündelt.150 Auch die Eislebener Predigt steht in dieser Kontinuität, wobei sie jedoch einige interessante Abweichungen aufweist. 145   »Das wolte der liebe HErr uns gerne lernen gleuben und fassen, das wir in der not nicht so furchtsam und verzagt, sondern getrost [sind]« (WA 51; 161,26f). 146   »DArumb straffet er auch hie der Juenger unglauben, der sie machet so zappeln und zagen: ›Jr Kleingleubigen, Wie seid jr so furchtsam?‹ Als wolt er sagen: Ey, seid jr meine Juenger, und habt des glaubens so gar wenig? Sehet jr nicht, das jr mich bey euch habt, welchen die fahr ja so wol trifft als euch« (WA 51; 162,17–21). 147   »UNd ob wir gleich fur schwacheit des Glaubens zappeln und zagen fuelen (wie wir denn von natur nicht anders thun), sollen wir doch so klug sein, das wir doch zu Christo zulauffen und jn auffschreien und wecken mit anruffen und beten. […] Ja, er wil es von uns haben, […] das wir nur getrost zu jm schreien und ruffen, und als denn auch zu rechter zeit uns huelffe und rettung thun« (WA 51; 162,34–42). 148   Vgl. WA 51; 163–173. Zur Marienverehrung Luthers anhand seiner Auslegung des Magnificats vgl. Christoph Burger: Tradition und Neubeginn. Martin Luther in seinen frühen Jahren (SMHR 79), Tübingen 2014, 110–157. Vgl. ferner Hans Düfel: Luthers Stellung zur Marienverehrung (KiKonf 13), Göttingen 1968. 149   Vgl. die knappen Aufzeichnungen von Poach vom 21. September 1520 (WA 9; 477), 30. September 1520 (WA 9; 478f) und 30. Dezember 1520 im Augustinerkloster (WA 9; 537–540) sowie ausführlicher vom 2. Februar 1521 vormittags (WA 9; 506 u. 565–571) und nachmittags im Augustinerkloster (WA 9; 571–575). Außerdem predigte Luther jeweils am 2. Februar 1523 (Mitschrift Rörers: WA 11; 14–17; Druck: WA 12; 421–427 u. Übernahme in die Roths Festpostille von 1527, WA 17 II; 383–385), 1524 (WA 15; 430–433), 1526 (WA 20; 240–258 u. Übernahme in Roths Festpostille von 1527, WA 17 II; 386f), 1528 (WA 27; 30–32), 1531 (WA 34 I; 145–153), 1534 (WA 37; 285–288), 1538 (WA 46; 156–161) und 1539 (WA 47; 659–666). Hinzu kommt die Predigt am 29. Dezember 1527, WA 23; 750–754. Vgl. ferner die beiden Predigten in Veit Dietrichs Hauspostille aus dem Jahr 1544 (WA 52; 148–154 u. WA 52; 154–165). 150   Vgl. WA 20; 240–258.

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Ohne Einleitung setzt Luther sofort mit der Erläuterung der in der Perikope angesprochenen jüdischen Traditionen ein, die dafür ursächlich waren, Jesus in den Tempel zu bringen. Zuerst wendet Luther sein Augenmerk auf das Reinigungsritual Marias. Nach Lev. 12, 1–4 gelte die Frau nach der Entbindung eines Sohns vierzig Tage als unrein, bei einer Tochter achtzig Tage.151 Die zweite Tradition betreffe die Auslösung und Opferung jeglicher Erstgeburt.152 In Ex. 13, 12 werde bestimmt, dass alles, was zuerst den Mutterschoß durchbricht, dem Herrn gehöre. Daher sollten alle männlichen Tiere im Tempel geopfert und beim Menschen die Erstgeburt ausgelöst werden. Die Auslösung erfolgte nach Lev. 12, 6 durch ein Lamm als Brandopfer oder bei ärmeren Menschen durch zwei Tauben als Brand- und Sühnopfer. Die Tieropfer seien den Leviten als dreizehntem Stamm Israels zur eigenen Versorgung, aber auch zur Unterhaltung des damaligen Predigtamtes, des Gottesdienstes, der Pfarrkirchen und Schulen zugutegekommen.153 Solche Opfer, so Luthers Überlegung, müssten dem Wert nach vielen hunderttausend Gulden im Jahr entsprochen haben.154 Ausnahmslos beginnt Luther bei seinen Auslegungen mit einer solchen Erläuterung der jüdischen Rituale.155 In seiner Predigt vom 2. Februar 1531 spricht er beispielsweise von den drei Ritualen der Reinigung, Opferung der Erstgeburt und Auslösung.156 Auffällig dabei ist, dass Luther, obwohl er die Höhe der Opferleistungen betont, keine Kritik anschließt, die auf die Abgaben des Volkes an

151   Vgl. WA 51; 163,34–164,3. Zum Reinigungsritual der Wöchnerinnen vgl. Dorothea Erbele-Küster: Hat dieser Körper ein Geschlecht? Die Bestimmungen über die Wöchnerin in Lev 12, in: Manfred Oeming (Hg.): Theologie des Alten Testaments aus der Perspektive von Frauen (Beiträge zum Verstehen der Bibel 1), Hamburg u. a. 2003, 101–108; Richard Whitekettle: Leviticus 12 and the Israelite Women. Ritual Process, Liminality and the Womb, in: ZAW 107 (1995), 393–408; Mary Douglas: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen der Verunreinigungen und Tabu, Frankfurt 1988, 151–169. 152  Vgl. Andreas Michel: Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament (FAT 37), Tübingen 2003, 49. 282. 153   »DErhalben solten die Leute die erste geburt zu geben deste williger sein zu unterhaltung des Predigampts und der Gottesdienst. […] Nu war das volck Jsrael in zwelff Stemme geteilet, Diese zwelff stemme musten den dreizehenden, den Leviten stam, erneeren […] auff das Gott also seine Pfarrkirchen und Schulen erhielte und versorget« (WA 51; 164,13–21). 154   »Das mus viel hundert tausent guelden ein jar getragen haben, denn unter den zwelff stemmen viel mal hundert tausent man gewest sind« (WA 51; 164,31–33). 155   Vgl. exemplarisch die Predigt vom 2. Februar 1526, WA 20; 240,4 u. 242,28. 156   »1. Purificacionem, 2. Oblacionem pueri, 3. Redempcionem« (WA 34 I; 145,17). In seiner Predigt vom 2. Februar 1521 vormittags erläutert er, dass der Evangelist Lukas sich viermal auf die Torah bezieht: »Der Euangelist beruefft siech viermall auffs gesetzs Moysi« (WA 9; 566,1), wobei er die Auslösung der Erstgeburt durch zwei Tauben statt durch ein Lamm extra zählt (WA 9; 566,12–15). In der Nachmittagspredigt desselben Tags hingegen spricht er wieder von drei Historien bzw. drei abstrakten Figuren, die er dann im folgenden erläutert (WA 9; 571,23f). In der Predigt vom 2. Februar 1524 lässt er es gar offen: »Lucas describit hic gestum et hoc fundat in legem 3. vel 4. vice« (WA 15; 430,6).

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die Papstkirche verweist.157 Vielmehr sieht er eine solche Versorgung als von Gott wohl geordnet an.158 Nach den Erläuterungen der jüdischen Traditionen interpretiert Luther den Begriff der »Unreinheit«.159 Dabei verwendet er eine symbolische Bedeutung des Begriffs im Sinne einer sozialen Absonderung. Er betont, dass eine Frau nicht in körperlicher Weise durch die Geburt unrein werde.160 Vielmehr gleiche es dem Gebot eines Hausvaters, der seinem Gesinde auferlegt, zu einer bestimmten Zeit kein Fleisch zu essen.161 Das Fleisch werde dadurch nicht dem Wesen nach »unrein«, sondern die »Unreinheit« verweise auf das Verbot, es nicht anzurühren.162 Gleiches gelte auch für die junge Mutter, die zu Hause bleiben solle und Ruhe benötige. Unreinheit versteht Luther insofern als eine Form der Tabuisierung durch Gott. Durch den Gedanken, dass Gott die Gebote zum Wohlergehen seines Volkes aufgestellt habe, leitet er zu den messianischen Verheißungen im Alten Testament über. Die Vorhersage, der Messias werde in Bethlehem geboren (Mi. 6, 1), in einer Zeit, in der ein fremder Herr herrsche (Gen. 49, 10), wie es damals durch Herodes der Fall war, seien Zeichen, die auf Christus verwiesen, was die Juden aber nicht erkennen wollten.163 Genauso verhalte es sich auch mit den Regelungen zur Erstgeburt, die dazu dienten, das Erscheinen Christi anzukündigen.164 Denn in Ex. 13, 12 werde davon gesprochen, dass die Auslösung der   Vgl. die Predigt vom 2. Februar 1521 vormittags, WA 9; 570,11–16.   »[…] wie solchs alles im gesetz Mosi fein war geordnet« (WA 51; 165,41f). Vgl. ferner WA 51; 165,31–34. 159   Der zweite Teil wird angezeigt durch die Überleitung: »Das sey also zum eingang gesagt« (WA 51; 164,34). 160   »ALso ist eine Sechswoechnerin auch nicht derhalben unrein, das sie ein Kind zur welt geborn hat, Sondern das Gott also hat haben wollen, das sie sich solt innen halten, von den Leuten abgesondert, so lang, bis die arme Mutter widerumb zur krafft keme« (WA 51; 165,17– 20). 161   »GLeich als noch jtzund ein jglicher Hausvater durch sonderliche ordnung moechte sein hausregiment fassen, dem Weibe dis, dem Son ein anders […]. Jtem, so wollen wirs diesen oder jenen tag in der wochen halten, heute sol man kein Fleisch oder Kese speisen etc.« (WA 51; 165,3–8). 162   »WO du nu hie nicht thust nach dem befelh des Hausvaters oder Hausherrn und issest, das er verboten hat, so heisstu unrein, oder unrein Fleisch, das du issest, Nicht, das es von natur unrein und boese sey, Aber darumb wirds unrein, das dirs der Hausvater verboten hat, du solt heute kein Fleisch oder Kese essen, So du aber issest, so wird dir das Fleisch oder Kese unrein, nicht das es an jm selb unrein sey, Denn die Creatur an jr selbst ist nicht sunde, Aber dem gebot Gottes nicht gehorsam sein, das macht es zur sunde, das es dir unrein wird« (WA 51; 165,9–16). 163   Vgl. WA 51; 166,1–34. 164   »DArumb ist dis Gottes meinung gewesen mit dieser ordnung von den Erstgebornen Kindern und mit dem gantzen Gesetz, Das solches alles solt zeigen auff Christum« (WA 51; 166,35–37). – Der Gedankengang wird an dieser Stelle durch einen Einschub (WA 51; 166,38– 167,21) unterbrochen, der die Zuchtfunktion des Gesetzes erläutert, das durch das Erscheinen Christi seine Funktion erfüllt habe. Denn das Gesetz soll »so lang bleiben und gehalten werden, bis er selbs [Christus] komen« werde (WA 51; 166,37f). Das Gesetz diente dem Volk zur 157

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Erstgeburt für alle gelte, deren Mutterschoß durchbrochen worden sei. Dieses gelte jedoch für Maria gerade nicht, da sie ja trotz der Geburt Jesu Jungfrau geblieben sei.165 Obwohl seit Evas Zeiten die Frau unter Schmerzen zu gebären habe (Gen. 3, 16), sei dies im Falle Marias nicht so gewesen.166 Diejenige, die rein war, habe sich als Unreine ausgegeben und sich demütig dem Gesetz Gottes unterworfen, obwohl sie hierzu gar nicht verpflichtet gewesen sei. Genauso wie die Jungfrau Maria habe sich auch Christus dem Gesetz unterworfen, obwohl er über dem Gesetz stehe.167 Dieser Gedanke bildet gleichsam den Höhepunkt dieser Eislebener Predigt. Luthers vorausgegangene Erläuterungen zu den jüdischen Traditionen zielten im Kern darauf ab, Maria und Christus als Ausnahme hervorzuheben. Auch in den anderen Predigten wird der Gedanke zumeist ins Zentrum der Predigt gerückt.168 Was für alle Juden gelte, ist im Fall Marias aufgrund ihrer Jungfräulichkeit und für Christus aufgrund seiner Sohnschaft außer Kraft gesetzt. Dieses Verhalten, etwas zu tun, wozu man eigentlich gar nicht verpflichtet wäre, sei ein Exempel für alle Menschen. Wie der Herr mehr getan habe, als er hätte tun müssen, so sollten auch die Menschen über die weltlichen Verordnungen hinausgehen und freiwillig dem Nächsten helfen.169 So habe der Herr sein Verhalten als Beispiel für alle Menschen gegeben (Joh. 13, 15) und ein neues Gebot aufgestellt, sich untereinander zu lieben (Joh. 13, 34).170 Die Nächstenliebe konkretisiert nun Luther an zwei Beispielen, die er in der Form eines virtuellen Dialoges inszeniert. So könne ein Prediger sich denken, dass es unnütz sei und nur Nachteile bringe, die Wahrheit auszusprechen. StattErziehung, gleichwie man in der Schule Regeln aufstelle, damit die Kinder gute Sitten lernen würden. Mit dem Erscheinen Christi sei jedoch diese Ausbildung abgeschlossen. 165   »Denn ob schon dieses gebot mit den vierzig tagen alle ander Muetter und Kinder trifft, so triffts doch diese Mutter und das Kind nicht, Denn das Gesetz saget: Alles Menlin, das zum ersten die Mutter bricht. Das Mutter brechen ist allein von denen gesagt, da die Jungfrawschafft verloren ist, und die von einem Man ein Kind haben, Das ist dieser Mutter nicht geschehen, Denn sie ist in der geburt und nach der geburt, wie sie Jungfraw war vor der entpfengnis und geburt, also auch geblieben« (WA 51; 167,28–36). 166   »Aber uber alle ander Weiber, auch uber Heva gehet das gebot: ›Mit kumer soltu deine Kinder geberen‹, die muessen angst und schmertzen fuelen, Aber also sawr, mit angst, not und schmertzen, ist die geburt Maria nicht ankomen« (WA 51; 168,2–4). 167   »WJewol sie nu rein ist, und das Gesetz sie und jren Son nicht binden kond, Dennoch thut sie sich mit jrem Son unter das Gesetz, ist dem Gebot gehorsam, wiewol Moses jnen nichts zugebieten gehabt« (WA 51; 168,5–7). 168   Vgl. beispielsweise die Predigten jeweils vom 2. Februar 1521 (WA 9; 566,18–20); 1523 (WA 11; 14,23–25 u. WA 12; 421,14), 1524 (WA 15; 430,23), 1526 (WA 20; 243,29f), 1528 (WA 27; 30,27f), 1531 (WA 34 I; 147,21f), 1534 (WA 37; 285,30f), 1538 (WA 46; 158,25–29), 1539 (WA 47; 661,30). 169   »[…] wir haben aber ein solch recht, das heist nicht allein das thun, was man nach diesen weltlichen Ordnungen schueldig ist, sondern auch mehr thun, denn man sol. Denn unser HErr Christus hat gethan mehr, denn er thun solt, umb unsern willen« (WA 51; 168,42– 169,3). 170   Vgl. WA 51; 168,2–36.

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dessen dürfe er sich ruhige Tage gönnen. Kein Gesetz könne ihn daran hindern. Jedoch sei er aufgrund des Exempels Christi und aus Liebe zum Nächsten dazu verpflichtet, die Gemeinde zu unterrichten.171 Gleichsam dürfe ein reicher Geizhals einen Notdürftigen, der um Geld bittet, abweisen. Kein Kaiser-, Landoder Stadtrecht könne ihn dafür richten. Doch als Christ habe man Nächstenliebe zu üben.172 Die Gefahr beim Menschen bestehe, dass er durch eigene Vorzüge hochmütig werde und es unterlasse, seinem Nächsten zu helfen.173 So seien damals die Erstgeborenen bevorzugt worden, hätten zweimal soviel wie die anderen Kinder geerbt und später das Haus geleitet.174 Doch ein solches Erstgeburtsrecht habe auch dazu geführt, eitel zu werden. Deswegen habe Kain als Erstgeborener seinen Bruder getötet.175 Ein derartiges Verhalten bestrafe Gott jedoch, wie man es bei Kain erkennen könne, den Gott verflucht habe.176 Auch die Juden in ihrer Gesamtheit besäßen das Erstgeburtsrecht gegenüber den Christen.177 Von ihnen stammten das Gesetz, die Propheten und Christus.178 Doch wie Kain seien sie hochmütig geworden und hätten Christus nicht   »ALso sol ein Prediger nicht dencken: Was sol ich der Welt predigen, die doch die Warheit nicht hoeren noch gestrafft sein wil, und vergeblich ungnad, hass und fahr auff mich laden […]. Nein, nein, […] Du solt ander Leute leren den weg zur seligkeit und ewigen Leben […]. Ja, sprichstu, wie kom ich darzu? […] Ey, weil dir der HErr Christus auch gedienet hat, darumb soltu andern Leuten wider dienen und sie des geniessen lassen« (WA 51; 169,15–25). 172   »SO sagt auch mancher zu einem reichen Geitzhals: Lieber, ich bin ein armer Buerger, ein armer handwercks Man, ich beduerfft wol, das du mir zehen oder zwenzig guelden fuerstreckest zu meiner narung. Ja, spricht denn der Geitzwanst, Jch bin dir zu leihen nicht schueldig […]. Ja, lieber Bruder, es ist war, wenn du wilt nach gemeinem Keiserrecht, Land oder Stadrecht richten, so verdampt der Richter dich nicht […]. Aber wiltu ein Christen sein, so antworte mir auff dis Exempel Christi« (WA 51; 169,26–34). 173   Der Abschnitt beginnt mit: »WJr lesen und sehen in der Bibel von dem Vorzug und herrligkeit der erstgebornen Kinder im Gesetz« (WA 51; 170,33f). Der Zusammenhang dieses Gedankengangs erschließt sich am besten, wenn man darauf achtet, worauf Luther abzielt, was aber er erst zum Schluss verdeutlicht: »DArumb hute sich ein jglicher, du und ich, wenn dir Gott einen vorteil und vorzug thut, das du nicht gedenckest, du habest es darumb, das du damit prangen und stoltziren solt, Sondern, das du andern dienest mit deinen Gaben« (WA 51; 171,27–29). 174   Erstgeborene »haben […] einen grossen vorteil am Erbe gehabt, das sie zweimal so viel als der andern Kinder eines geerbet, Und die andere Kinder haben jnen muessen unterthan sein« (WA 51; 170,36–39). 175   Vgl. WA 51; 170,40–171,26). 176   Luther nimmt hierzu die Perspektive Gottes ein: »Ey, das guenne ich dir wol, brauchs nur, wie sichs gebuert […]. Wenn du aber darauff wilt pochen, stoltzieren, der Christlichen kirchen nicht dienen, sondern arme leute schinden, schaben, schatzen und plagen, So wil ich dich, Keiser, Koenig, Fuersten und Herrn, stuertzen, wie ich andern grossen Potentaten gethan« (WA 51; 171,41–172,5). 177   »Die Jueden halten sich auch fur die Erstgebornen soene (wie sie denn auch bis auff den heutigen tag sich stoeltziglich halten, so sie doch nu funfftzehen hundert jar durch Gottes zorn gestuertzt und verstossen sind), die Heiden aber fur den armen, nichtigen Abel« (WA 51; 172,32–35). 178   »Darumb sollen wir jnen [den Juden] sagen: es ist war, wir haben ja viel gutes vom Stam 171

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als Messias anerkannt. Daher würden sie danach trachten, die Christen zu töten, wie Kain seinen Bruder Abel ermordet habe.179 Zum Schluss geht Luther erneut auf den Geiz ein. Die Vorzüge, die Gott den Christen schenke, dürften nicht dazu führen, dass sie hochmütig würden. So solle der Mensch, der viele tausend Gulden habe, nicht in Geldfraß und Wucher verfallen, sondern mit seinem Reichtum dem Nächsten dienen. Denn Gott werde auch den reichsten Geizhals bestrafen, wenn er nur auf sein Geld schaue.180

6. Das Gleichnis vom Unkraut und Weizen (7. Februar) Am 5. Sonntag nach Epiphanias betrat Luther zum vorletzten Mal in seinem Leben die Kanzel.181 Im Zentrum der Sonntagspredigt stand die Auslegung des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen (Mt. 11, 25–30). Zu diesem Bibeltext existieren nur wenige Überlieferungen von früheren Predigten. 1525 verfasste er zur Vervollständigung seiner Fastenpostille eine Auslegung.182 Deren auffällige Kürze lässt jedoch darauf schließen, dass sie keiner gehaltenen Predigt entstammt, sondern in aller Eile verfasst wurde, um das baldige Erscheinen der Schrift zu ermöglichen.183 Ferner geht eine Predigt aus der Hauspostille, die von Andreas Poach 1559 herausgegeben wurde, auf ein nicht mehr erhaltenes Stenogramm zurück, das Georg Rörer am 9. Dezember 1528 im Rahmen der Reihenpredigten zum Matthäusevangelium verfasst hatte.184 Jsrael, wir haben das Gesetz, die Propheten, Ja Christum selbs von jnen, Denn er ist ja nicht von uns, sondern von den Jueden komen« (WA 51; 172,38–41). 179   »[…] Aber jr Jueden wolt ewern bruder Abel morden, der auch zu dem HErrn Christo gehoert, Und thut gleich wie der leidige Satan, Der wolt auch sich uber Gottes Son erheben« (WA 172,42–173,1). 180   »Denn wo mans nicht also wil brauchen, wie es Gott befolhen, und dazu er es gegeben, so mus alles zu wenig werden, korn, gelt, holtz, Und wenn gleich alles vol korn, geldt, gold floesse und ubergienge, so hilffts dich doch nicht, wenn der Geitz nicht auff hoeret, der allein alles zu sich keuffen, reissen, kratzen und schatzen wil, Jtem, so der Rost und Geldfras (der da Wucher heist) drein kompt und nicht auff hoeret, so sol es doch dir und deinen kindern nicht gedeien« (WA 51; 173,11–17). 181   Vgl. WA 51; 163–173. 182   Vgl. WA 17 II; 123–126. 183   Vgl. WA 17 II; XX. Außerdem wird die Auslegung in Roths Winterpostille aus dem Jahr 1528 wieder aufgenommen und mit einer Zusammenfassung versehen (WA 21; 84f). 184   Die Weimarer Ausgabe bemerkt im Rahmen der Reihenpredigten zum Matthäusevanglium in WA 28; 29: »Diese Predigt ist in die Rörersche Hauspostille […] aufgenommen mit dem Vermerk: Anno 1528. die 9. Decembris publice in templo parochiae, cum enarraret aliquot capita Matthaei«. Nach dieser Bemerkung folgt aber kein Abdruck des besagten Textes, sondern lediglich der Verweis, der Text werde bei der Bearbeitung der gesamten Rörer’schen bzw. Poach’schen Hauspostille erfolgen. Später entschieden jedoch die Herausgeber der Weimarer Ausgabe, der Dietrich’schen Hauspostille aus dem Jahr 1544 (vgl. hier WA 52; XIVf. 130–136) den Vorzug gegenüber der Rörer’schen zu geben. Deshalb kam es zunächst zu keinem Abdruck der Predigt. Um diese Unvollständigkeit zu bereinigen, hat man schließlich entschieden, die Predigt als Nachtrag abzudrucken (vgl. WA 52; 828–839). Auf das Manko, dass die Weimarer Ausgabe die Rörer’sche Hauspostille vernachlässigt hat, weist Kurt Aland

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Im Vergleich zur Auslegung in der Fasten- und der Hauspostille besitzt die Eislebener Predigt trotz aller Redundanzen und Wiederholungen einen stringenten, aus drei Teilen bestehenden Aufbau. Im ersten Teil führt Luther aus, dass es aufgrund der Macht des Teufels keine reine Kirche geben könne, was er mit allerlei Beispielen ausschmückt.185 Im zweiten Teil problematisiert er den rechten Umgang mit solchen Irrlehren unter der Voraussetzung, sie niemals ausrotten zu können.186 Im dritten Teil wendet er das Gleichnis auf die eigene Sündhaftigkeit an.187 Luther beginnt mit dem Verweis auf die Allegorese, in der Christus selbst dieses Gleichnis gedeutet habe (Mt. 13, 36–43). Der Säer stehe für den Menschensohn, der Acker für die Welt, die gute Saat für die Kinder des Reichs, das Unkraut für die Kinder der Bosheit, der Feind, der das Unkraut sät, für den Teufel, die Ernte für die Welt und die Schnitter stünden für die Engel.188 Dabei habe es immer die ketzerische Meinung gegeben, die irdische Kirche sei von allen Ungläubigen zu reinigen und dürfe nur aus wahrhaft Gläubigen bestehen, wie es damals die Katharer und die Donatisten vertreten hätten und heutzutage die Täufer und Anhänger von Thomas Müntzer fordern würden.189 Auch das Mönchswesen sei dem Irrtum erlegen, ein heiliges Leben führen zu können.190 Zwar gebe es immer den Wunsch nach einer reineren Kirche und so manches fromme Herz werde durch die Unsittlichkeit betrübt.191 Jedoch sage der Predigttext etwas anderes. Dies bestätige sich auch durch den Blick in die biblische Geschichte. Hierzu beginnt Luther eine Reihe von Beispielen anzuführen. Bereits Adam habe das Bestreben gehabt, die Kirche rein zu halten. Doch zwischen seinen zwei Söhnen Kain und Abel habe es Streit gegeben, mit der Folge von Kains Brudermord. Hierdurch sei schon zu Beginn der Mensch-

in seinem Predigtband hin (LD 9, 10. 457), der deshalb bewusst Predigten der Rörer’sche Hauspostille von 1559 abdrucken ließ. Zur besagten, allerdings gekürzten Predigt vgl. LD 9, 462. 103–108. Vgl. ferner hierzu die profunde Studie von Stefan Michel: Die Kanonisierung der Werke Martin Luthers im 16. Jahrhundert (SMHR 92), Tübingen 2016, 200–203. 185   Vgl. WA 51; 174,4–176,2. 186   Vgl. WA 51; 176,3–178,17. 187   Vgl. WA 51; 178,18–187,15 188   Vgl. WA 51; 174,4–19. 189   »Denn auch vor zeiten viel Ketzer gewest, und noch solcher viel sind, die eine solche Kirchen woellen haben, darinnen kein boeses sey, Sondern alle klug, from, heilig und rein. Solche leute sind die Cathari und Donatisten gewesen und noch heutiges tages die Widerteuffer, Muentzer und der gleichen, die alles tod wolten schlahen und ausrotten, was nicht heilig were« (WA 51; 174,21–26). Vgl. hierzu die Parallele in Luthers Annotationes in aliquot capita Matthaei von 1538: »Inde Donatistae, Cathari et multi alii. Et hodie Anabaptistae etc., qui omnes uno furore clamant, Ecclesiam veram (quia peccatores et impios mixtos vident) non esse Ecclesiam, et separant sese ab ea« (WA 38; 560, 22–24). 190   Vgl. WA 51; 174,26–31. 191   »Und fichtet natuerlich alle frome hertzen an, das sie darob bekoemert und betruebt werden« (WA 51; 174,31f).

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heit das Unkraut unter den guten Weizen gesät worden.192 Auch Noah habe nach der Sintflut gehofft, mit seinen acht Familienangehörigen eine reine Kirche auf Erden zu gestalten. Doch sein jüngster Sohn Ham habe ihn verspottet (Gen. 9, 21–27).193 Das Gleiche habe sich bei Abraham und seinem Sohn Ismael (Gen. 21, 9–12), bei Isaak und seinem Sohn Esau (Gen. 27, 41) sowie bei Jakob und seinen Söhnen (Gen. 37, 18) zugetragen.194 Augustin habe gegen die Donatisten vorgehen müssen, die auch kein Unkraut unter ihrem Weizen dulden wollten.195 Selbst unter den Jüngern Jesu habe sich Judas, der Verräter, befunden.196 Resümierend stellt Luther fest, dass immer dort, wo eine reine Kirche errichtet werde, der Teufel eine Kapelle gleich daneben baue.197 Im Rückblick auf sein Leben stellt Luther ernüchternd fest, auch er habe diese Erfahrung gemacht, die ihn zutiefst erschütterte. Denn er sei davon überzeugt, nichts anderes als das reine Wort Gottes gepredigt zu haben. Dennoch seien durch seine rechte Predigt auch falsche Lehren wie die der Täufer, Sakramentierer, Antinomer und anderer Rottengeister entstanden.198 Obwohl der 192   »Adam, der die erste Kirche auff erden hatte unter seinen zweien Soenen, meinet auch, seine kirche solte gantz rein, und kein unkraut darinnen sein, Aber ehe er sichs versihet, da feret Cain zu und erwuerget seinen bruder Abel, Das war ein boese unkraut und eine scharffe, stacheliche distel« (WA 51; 174,36–40). 193   »ALso auch Noha, da er selb acht in der Sindflut erhalten und uberblieben war, Meinet, er het nu eine schoene, reine Kirchen, So fuhr sein Son Cham zu und verspottet den Vater, Richtet eine eigen rotte wider jn an« (WA 51; 174,41–175,2). 194   »Abraham hatte in seinem hause den Jsmael. Jsaac den Esau, Jacob hat unter seinen Soenen auch, die es boese gnug macheten« (WA 51; 175,5–7). 195   »S. Augustinus hat auch viel damit zuthun und zukempffen gehabt wider die Donatisten, welche auch sich unterstunden, ein solche Kirchen anzurichten, Und sich darob sonderten von der gemeinen Christlichen kirchen, Welche doch die Lere und brauch der Sacrament rein hatte Denn wenn man sich so aussaubern und rein haben wil, so macht mans viel erger damit« (WA 51; 175,9–13). Vgl. hierzu Augustins Brief 76 (CSEL 34.2, 324–328), der eine Zusammenfassung seiner antidonatistischen Argumente bietet, in dem er auch das Gleichnis vom Unkraut und dem Weizen heranzieht. Vgl. ferner Arne Hogrefe: Umstrittene Vergangenheit. Historische Argumente in der Auseinandersetzung Augustins mit den Donatisten (Millennium-Studien 24), Berlin u. a. 2009, 121. 196   Vgl. WA 51; 175,13–20. 197   »Summa, es bleibt also, Das, wo Gott eine feine, reine Kirche anricht, da bawet als bald der Teuffel eine Cappell darneben« (WA 51; 175,21–23). Luther nimmt hier ein Sprichwort auf, welches er häufig verwendet, beispielsweise auch in der Poach’schen Hauspostille über diesen Predigttext: »Es ist ein gemein Sprichwort: wo Gott eine Kirchen bawet, Da bawet der Teufel ein Kretzmar [eigentlich Schankwirt, gemeint ist hier eine Kneipe] daneben« (WA 52; 828,14f). Vgl. ferner WA 34 II; 100,20; WA 8; 149,25f; WA 16; 596,6 u. 618,11f; 653, Anm.; WA 20; 462,26f; WA 25; 91,33f; WA 29; 477,11 u. 709; Anm.; WA 33; 454,35 u. 683, Anm. 198   »Das man daruemb nicht erschrecke, als ich selbs vor zeiten erschrack, da ich Gottes wort rein zu predigen angefangen, Und dennoch aus unser Schulen und Kirchen darnach kamen Widerteuffer, Sacramentirer, Antinomer und andere Rottengeister« (WA 51; 175,25–28). Eine solche konkrete Parallelisierung des Unkrauts erfolgt noch nicht in der Fastenpostille. Hier spricht er allgemein von Ketzer (WA 17 II; 124,25–33). Anders dagegen in der Poach’schen Hauspostille, wo er konkret auf den Papst und die Schwärmer Bezug nimmt (WA 52; 829,8 u. 13f).

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Samen gut gewesen sei, habe er zusehen müssen, wie der Teufel Unkraut darunter säte.199 So bleibe der Teufel bis zum Jüngsten Tag aktiv und wirke durch die Türken, Spanier, den Papst und andere Rotten.200 An diesen Gedanken zeigt sich, wie Luther selbst im Rückblick auf sein Leben ein Resümee zieht. Was könne man dagegen tun? Damit lenkt Luther seinen Blick wieder auf den Bibeltext und geht zum zweiten Teil der Predigt über. Die Knechte hätten dem Hausvater geraten, das Unkraut auszujäten. Doch der Herr befürchte, damit auch den guten Weizen herauszureißen. Übertragen bedeutet das für Luther, wenn man versucht, einen Ketzer auszurotten, so würden an zehn Orten wieder neue auftreten. Paulus gebe hier den Rat, die Ketzer zu meiden (Tit. 3, 19).201 Wie solle man aber beides tun, auf der einen Seite die Ketzer nicht ausrotten und auf der anderen Seite sie meiden? Hierzu entwirft Luther ein Gleichnis von der innerlichen und äußerlichen Unreinheit des menschlichen Körpers. In plastischer Weise beschreibt er dabei die Unreinheit des Leibes. Er sei innerlich voller Rotz, Schnodder, Geschwüre, Eiter, Mist, Unflat und Gestank. Äußerlich sei der Leib mit Schorf und Ausschlag versehen, verlaust, schäbig, und habe triefende, buttrige Augen und Ohren.202 Je länger der Leib lebe, desto mehr nehme die körperliche Unreinheit zu.203 Als Christ wisse man aber, dass man nach dem Tod sämtlichen Unrat von Körper und Geist abgelegt habe und so klar und rein sein werde wie die Sonne.204 So müsse man auf Erden die Unreinheit ertragen, da man ohne den Leib weder leben noch Kinder großziehen könne. Man habe den unreinen Wanst zu tragen, ihn zu ernähren und zu pfle-

199   »Jch konde aber nichts darzu, Denn ich wuste, das der Samen recht und gut war, aber ehe ich zusahe, da war der Teuffel mit eingeschlichen und andern Samen unter den guten geworffen« (WA 51; 175,28–30). 200   Vgl. WA 51; 175,32–176,2. 201   »Also, ob ich schon einen Ketzer ausrotte, so gehet doch der selbe Same, vom Teuffel geseet, an zehen orten wider auff […]. S. Paulus sagt: Haereticum devita. ›Einen Ketzer soltu meiden.‹ Da stehet der Text: Thue jn in Bann und hab nichts mit jm zuschaffen. Wie wiltu aber das zusamen bringen, nicht ausreuffen und wachsen lassen, Und dennoch vermeiden? Hie rat Reter gut. Auff das mans aber deste bas verstehe, So wil ich ein gleichnis geben« (WA 51; 176,11–19). 202   Aufgrund der Abnahme seiner Sehkraft auf einem Auge, die durch einen Altersstar verursacht wurde, hat Luther im höheren Alter eine Konvexbrille getragen. Vgl. Wilhelm Ebstein: Dr. Martin Luthers Krankheiten und deren Einfluss auf seinen körperlichen und geistigen Zustand, Stuttgart 1908, 13. 34. 203   Der »natuerliche[] Leib, […] weil er auff Erden ist, ist er nimer aller dinge rein, weder innerlich noch eusserlich. Jnwendig ist er unrein, denn da ist er vol rotz, schnodels, schweren, eiter, mists, unflats und stancks. Auswendig ist er reudig, grindig, lausicht und schebicht, hat trieffende, butterige augen und ohren, Und je lenger er lebt, je weniger schoenes und reines an jm ist« (WA 51; 176,21–25). 204   »Wiewol wir wissen, das der Christen leib in jenem Leben sol schoen und rein werden und viel klerer und reiner, denn jtzt ist die helle Sonne, Denn diesen unflat und unreinigkeit mus er zuvor gar ablegen und darumb verwesen, das er Geistlich und Leiblich, gantz rein werde, sonst wil jn Gott im Himel nicht haben« (WA 51; 176,25–29).

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gen, solange das Leben währet, damit die Unreinheit nicht überhandnehme.205 Könne sich der Körper seiner Unreinheit nicht entledigen, so benötige man hierzu den Rat eines Apothekers und allerlei Arznei.206 Genauso habe man mit den Ketzern umzugehen. Man müsse sie ertragen und solle sich darum bemühen, dass sie nicht zu stark werden, doch letztlich könne man sie nicht ausmerzen. In auffälliger Weise beschreibt Luther kurz vor seinem eigenen Tod die Unreinheit des Körpers mit einer Fülle an unappetitlichen Bildern.207 Es scheint, als ob er gleichsam seinen eigenen körperlichen Verfall beschreibe und er sich nach einem Zustand jenseits seiner eigenen Gebrechlichkeit sehne. Nicht nur körperlich, sondern auch geistlich sei der Christ unrein und voller Sünde.208 Damit geht Luther zum dritten Teil der Predigt über. Auch wenn Gott dem Menschen vergeben habe und die Sakramente dies als Zeichen bekräftigen, so lebe der Mensch noch voller Sünde. Zwar sei es richtig, Luthers Lied »Wir glauben all an einen Gott« zu singen und dort die Vergebung der Sünde zu bekräftigen, 209 doch je länger man lebe, desto stärker fühle man, dass man nicht von der Sünde loskomme. Der Mensch könne die Sünde nicht ablegen, sondern müsse sie erleiden und dennoch täglich versuchen, sich zu bessern.210 In einem virtuellen Dialog fragt er den Gläubigen, ob er wahrhaft daran glaube, dass Gottes Sohn zur Vergebung der menschlichen Sünden vom Himmel abgestiegen sei. Der Gläubige müsse darauf ehrlich antworten, dass er zwar wisse, es sei alles wahr, jedoch fühle er es nicht.211 Denn eigentlich müsse man vor Freude springen, wenn man zur Absolution gegangen sei oder das Abendmahl 205   »OB nu gleich wol des Menschen leib noch so hesslich, kretzig, gnetzig und unrein ist, dennoch muessen wir den unfletigen Sack haben und koennen sein nicht geraten, Denn on jn koenden wir nicht leben noch kinder auffziehen, haushalten, regieren etc. Mussen also den stinckenden, unreinen wanst tragen, so lang das Leben weret« (WA 51; 176,30–34). 206   Vgl. WA 51; 177,2–4. Zu Luthers qualvollen Darmverstopfungen vgl. Wilhelm Ebstein: Dr. Martin Luthers Krankheiten und deren Einfluss auf seinen körperlichen und geistigen Zustand, Stuttgart 1908, 32. 40f. 46. 207   »UNd summa, wenn auch der Leib am gesundesten ist, so kan er doch nicht rein sein, er mus auswerffen, spuetzen, rotzen und jmerdar mit seinem unflat sich tragen und fegen, Und bleibt doch ein kretziger, grindiger, stinckender Leib, das kan man jm nicht entnemen, noch aller dinge wehren, man wolt jn denn gar verderben, Bis das ein mal das stuendlin kompt, da er unter die Erden gelegt und verscharret, und die Wuerme und Maden jr recht an jm bekomen und den unflat verzeren, bis er gantz new und rein werde« (WA 51; 177,5–11). 208   Vgl. WA 51; 177,18–37. 209   Vgl. die dritte Strophe: »[…] Die gantz Christenheyt auff erden hellt ynn eynem synn gar eben, Hie all sund vergeben werden« (WA 35; 452). 210   »WJe sol nu hie ein Christen thun, so er sein unreinigkeit und sundliches [39] an jm selbs fulet? Ablegen kan ers nicht auff ein mal und mus es leiden, on das er teglich daran bessert, so viel er kan« (WA 51; 177,38–178,1). 211   »SO dich nu jemand fragete: Lieber, gleubstu auch, das Gottes Son […] umb deinen willen von Himel herab komen […]. So mustu sagen, so du recht und warhafftig antworten wilt, wie du fuelest […]. Jch weis ja, das es gewislich Gottes wort ist […]. Aber ich sehe und fuele leider, das mirs doch gar nicht also zu hertzen gehet, noch also gleube, wie ich solt« (WA 51; 178,27–40).

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eingenommen habe. Doch weil diese Heilstatsachen täglich gehört werden könnten, würden die Menschen dies wie die Nachrichten über die Türken oder den König von Frankreich betrachten.212 Deshalb fordere Paulus alle auf, in der Gnade zu wachsen (2. Petr. 3, 18). Es reiche nicht aus, den Katechismus auswendig zu lernen. Vielmehr müsse der Glaube auch in das Herz dringen.213 Als Vorbilder für einen solchen Glauben geht Luther auf Legenden dreier Personen ein.214 So sei Monica, die Mutter Augustins, nach dem Abendmahl so tief versunken gewesen, dass sie dachte, sie würde über der Erde schweben, worauf sie die Bitte ausgeschrien habe, vollends gen Himmel fahren zu dürfen.215 Die heilige Agatha sei so fröhlich zum Kerker gegangen, als schreite sie zum Tanz.216 Und den spanischen Bischof Vinzenz von Saragossa habe man auf einem glühenden Rost gefoltert, wobei er durch die Hilfe der Engel aber gedacht habe, er läge auf einem Blumenbett.217 Von einem solchen Glauben seien die meisten Menschen weit entfernt. Daher solle man aufgrund der geschenkten Gnade durch den Glauben danach trachten, frommer zu werden, damit die Früchte des Glaubens in einem wachsen.218   »Da soltestu auch zu lauffen und vor freuden springen […], weil sie den HErrn Christum selbst da hoeren reden. Aber weil wirs fur den augen und fur der thuer teglich haben und hoeren, so gehets zu einem ohr ein und zum andern wider aus […]. Also hoerstu auch mit solcher andacht Gottes wort […], gleich als sagt man dir, das der Tuerck den Sultan geschlagen, oder der Keiser den Koenig von Franckreich gefangen hab« (WA 51; 179,3–10). 213   »DArumb sagt S. Petrus in der andern Episteln am .iij. Capitel: Crescite in gratia et agnitione Domini nostri et salvatoris Iesu Christi. ›Wachset in der gnade und erkentnis unsers HErrn und Heilands Jhesu Christi.‹ Schicket euch, jr Christen, also, das jr nicht dencket, wir haben den Catechismum, Christum […] gar aus gelernt und aus gegleubt, Jr habt erst angefangen […]. Also das solchs nicht auff der Zungen bleibe […] sondern ins hertz hinein dringe und gehe« (WA 51; 179,19–27). 214   Zu den folgenden Legenden vgl. Ernst Schäfer: Luther als Kirchenhistoriker. Ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaft, Güterlsloh 1897, 263f u. 233. 236f. 215   »Wie man von S. Moniken, S. Augustini muter, lieset, da sie ein mal zum hochwirdigen Sacrament des leibs und bluts Christi gieng, kam sie in so tieffe gedancken, da sie des HErrn Christi gnade und wolthat betracht, das sie dauchte, sie stuend gar empor uber der Erden, schrie uberlaut: Lasst uns vollend hinauff gen Himel faren« (WA 51; 179,32–36). 216   »Solcher Christen sind viel mehr gewest, auch junge Jungfrawen, als S. Agatha, welche so froelich zum Kercker gieng, als wuerde sie zum tantz gefueret« (WA 51; 179,36–38). Luther hat die Märtyrerin Agatha, die in der Verfolgung unter Decius, umgekommen ist, bereits in seinen jungen Jahren als Vorbild angeführt. Vgl. beispielsweise seine Schrift ›Decem Praecepta Wittenbergensi predicata populo‹, 1518, WA 1; 454,34–36 oder seine Epistelauslegung aus dem Jahr 1523, WA 12; 382,20–21. Die Heiligenlegenden wurden gesammelt und nach dem Kirchenjahr geordnet vom Dominikaner Jacobus de Voragine (1228/29–1298), der sie in der goldenen Legende festhielt. Vgl. die lateinisch-deutsche Ausgabe von Jacobus de Voragine: Legenda aurea. Ausgewählt und übers. v. Rainer Nickel, Stuttgart 2005, 168–177. 217   »SAnct Vincentius, da er auff gluenden Kolen lag und umb des HErrn Christi willen gebraten ward, sagte er, Es deucht jnen, als gieng er auff Rosen« (WA 51; 180,1f). Vgl. Jacobi a Voragine: Legenda aurea. Vulgo Historia Lombardica dicta. Recensuit Theodor Graesse, Leizpig 1846, Neudruck Osnabrück 1969, Cap. XXV, 117–120. 218   »Darumb muessen wir nu fort streiten und erbeiten, das nicht die Sünde, sondern der Glaube und desselben fruechte in uns wachsen und zunemen« (WA 51; 182,5–7). 212

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Es gebe viele, die das Wort Gottes leugnen, sich aber dennoch rühmen, Christen zu sein, so wie das Unkraut von sich behaupte, zum guten Korn zu gehören.219 Denn auch solches Unkraut wie die Disteln können schöne Blüten tragen und prachtvoll erscheinen, während das gute Korn dagegen eher bleichgelb bzw. blass aussehe.220 Dies mache es schwer, das Unkraut vom Weizen zu unterscheiden. Auch im weltlichen Regiment gehe es häufig so zu. Die Obrigkeit versuche zwar, gegen die Untreue der Bürger vorzugehen und sie zu steuern, jedoch könne sie niemals ausgemerzt werden.221 Auch im eigenen Haus könne man dieses beobachten. Um die Situation nicht zu verschlimmern, müsse man für den Sohn die Zeche bezahlen oder dem Gesinde etwas nachsehen.222 So schließt Luther die Predigt mit dem Fazit, dass man das Unkraut nicht aus dem Acker jäten könne, aber man dafür zu sorgen habe, dass es nicht Oberhand gewinne.223 In seiner Eislebener Predigt entfaltet Luther das Gleichnis von Unkraut und Weizen auf verschiedenen Ebenen, wobei er im Vergleich zu den Auslegungen in der Fasten- und Hauspostille den Schwerpunkt auf den rechten Umgang mit den Verunreinigungen legt. Angesichts des Wissens, das Unkraut niemals ausrotten zu können, müsse man es erdulden, sich aber auch darum kümmern, dass es den guten Weizen nicht zuwuchere. Auf der ekklesiologischen Ebene bezieht er das Gleichnis auf die Unmöglichkeit einer reinen Kirche auf Erden. Auf anthropologischer Ebene deutet er das Gleichnis auf die eigene Sündhaftigkeit der Menschen. Schließlich bezieht er auf der ethischen Ebene das Gleichnis auf das rechte Verhalten der Obrigkeit gegenüber ihren Untertanen, was ebenso für den rechten Umgang des Hausherrn mit seinen Anvertrauten gelte. Auffällig an der Predigt ist sein persönlicher Rückblick auf seine reine Wortverkündigung, die ebenfalls Irrlehren hervorgerufen habe, sowie die Ausschmückung der Unreinheit des Körpers vor dem Hintergrund seines eigenen körperlichen Zerfalls.

219   »Solcher Schueler hat die Kirche viel, die dem Wort feind sind und es verfolgen und dennoch duerffen rhuemen: Ja, ich bin ein Christ, Gleich als das Unkraut, davon Christus hie saget, unter dem guten Korn stehet und brüstet und rhumet sich auch des selben, das es auff dem guten acker ist« (WA 51; 182,28–32). 220   »UNd sind aller dinge gleich wie die schoenen, grossen Disteln, so unter dem Korn stehen, mit den braunen koepffen, und haben viel ein herrlicher ansehen, denn das korn, Sie haben feine gruene bletter, schoene, breite, braune koepffe, wachsen, bluehen und glueen daher wie eine schoene Metze, sind rot, schoen und starck, dargegen das liebe Korn kein schoene gestalt hat, sondern gantz bleichgeel, im Felde stehet« (WA 51; 184,41–185,4). 221   »Jn Weltlichem regimenten gehets auch noch also zu, das grosse untrew unter Buergern und Bauren ist, Die Koenige, Fuersten und Herrn wolten dem ubel gern steuren und wehren, koennens aber doch nicht dahin bringen« (WA 51; 186,10–12). 222   »ALso gehets auch im haus Regiment zu: Ein Vater mus offt einem Son eine Zech borgen oder der Herr und Fraw dem Knecht und der Magd etwas ubersehen, auff das sie es nicht erger machen« (WA 51; 186,30–32). 223   Vgl. WA 51; 187,3–15.

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7. Luthers letzte Predigt (14. oder 15. Februar 1546) Aufgrund der Überlieferung ist nicht eindeutig zu klären, ob Luther am 14. Februar, dem 6. Sonntag nach Epiphanias, oder am Montag, dem 15. Februar, die Predigt hielt.224 Gepredigt hat er über Jesu Lobpreis und Heilandsruf (Mt. 11, 25–30).225 Nach dem Register aus Luthers Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Jahr 1526 ist der Text eigentlich dem 5. Sonntag nach Epiphanias zugeordnet.226 Eine Auslegung der Perikope erfolgte auch am Festtag des Apostels Matthias, der am 24. oder 25. Februar gefeiert wurde.227 Insofern war es für Luther nicht ungewöhnlich, auf diesen Text zurückzugreifen, da er gewöhnlich in der zweiten Hälfte des Monats Februar ausgelegt wurde. Luther konnte am Ende seines Lebens auf eine lange Auslegungsgeschichte zu dieser Perikope zurückblicken.228 In seiner homilienartigen Predigt aus dem Jahr 1517 legte er in drei Abschnitten 229 den Akzent ganz auf das Verhältnis von Verborgenheit und Offenbarung Gottes. Er entfaltet dabei den Gedanken: Während der Mensch sich verberge, um sich zu negieren, habe die Verborgenheit Gottes den tieferen Sinn, sich selbst zu offenbaren.230 Die eher thematisch aufgebaute Predigt aus dem Jahr 1523 kreist um die Dialektik von Weisheit und Torheit. Während die Weisheit in der Welt (coram mundo) vor Gott (coram Deo) Torheit bedeute, werde umgekehrt die Weisheit Gottes in der Welt als Torheit gedeutet.231 Diese Gedanken werden auch in der Predigt aus dem Jahr 1525 entfaltet. Dort betont Luther darüber hinaus, dass ein solches klares Wort Jesu   Zur Datierung siehe oben Seite 460.   Vgl. WA 51; 187–195. 226  Vgl. WA DB 7; 537. Vgl. ferner die Synopse bei Herwarth von Schade/Frieda Schulz (Hg.): Gestalt und Wandel des gottesdienstlichen Bibelgebrauchs (RGD 11), Hamburg 1978, 76f. 227   Vgl. WA 52; XIV; vgl. ferner WA 23; 679. 228   Die erste Überlieferung ist eine Mitschrift Löschers der Predigt vom 24. Februar 1517 (WA 1; 138–142). Ferner predigte er darüber am 24. Februar 1523 (WA 11; 28–30) und am 5. Februar 1525 (WA 17 I; XXII. 38–45). Letztere Predigt ist sowohl durch ein Stenogramm Rörers als auch Roths überliefert und fand Eingang in Roths Fastenpostille, der die ursprünglich am 5. Sonntag nach Ephiphanias gehaltene Predigt auf den Matthiastag platzierte (WA 17 II; 517. 387–398). Eine gedruckte Predigt liegt vom 10. Februar 1527 vor (WA 23; 679. 682– 695), die in Roths Winterpostille aus dem Jahr 1528 für den 6. Sonntag nach Epiphanias aufgenommen wurde (WA 21; 85–87). Eine kurze Mitschrift wohl aus den Wochenpredigten zum Matthäusevangelium stammt aus dem Jahr 1528 (WA 28; 30). Außerdem ist eine nicht mehr nachzuweisende Predigt in Veit Dietrichs Hauspostille aus dem Jahr 1544 tradiert (WA 52; XXIVf. 614–627). 229   In homilienartiger Form betrachtet er in den Teilen Mt. 11, 25 (beginnend mit »Ad primum«, WA 1; 138,20), Mt. 11, 27 (beginnend mit »Ad secundum«, WA 1; 139,24) und Mt. 11, 28 (beginnend mit »Ideo quantumcunque«, WA 1; 140,27). 230   »Homo abscondit sua ut neget, Deus abscondit sua ut revelet« (WA 1; 138,13f). 231   »Loquitur de optimis, qui sunt in mundo, quia non dicit, quod absconderis a stultis, sed a sapientibus et prudentibus, ergo quicquid nos possumus, est inutile. Iste locus schleust: quicquid ab hominibus fit, coram deo stultitia est« (WA 11; 28,6–9). 224

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viel tröstlicher sei als dessen Wundergeschichten.232 Im Zusammenhang mit der Verborgenheit Gottes kommt er hier auch auf den geknechteten Willen des Menschen zu sprechen.233 Die gedruckte Predigt aus dem Jahr 1527 ist am konsequentesten als Homilie aufgebaut. In der Auslegung des sanften Jochs und der leichten Last hebt er hervor, dass der Ruf den Mühseligen gelte und nicht den Starken, die nach immer mehr drängten.234 Die Eislebener Predigt ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten legt er das Augenmerk auf den Lobpreis (Mt. 11, 18–24) und im zweiten auf den Heilandsruf (Mt. 11, 25–29).235 Eingangs erwähnt er, dass es sich um ein schönes Evangelium handele, das viel in sich begreife. Jedoch könne er nur einen Ausschnitt davon predigen, soweit es ihm möglich sei und Gott ihm die Gnade dazu verleihe.236 Im ersten Teil beschreibt Luther die Natur der vermeintlich Klugen und Weisen und das, wonach sie eigentlich strebten.237 Das Problem der Klugen bestehe darin, dass sie alles, was Gott gemacht habe, besser machen wollten.238 Sie würden damit die Rolle von Lehrer und Schüler verkehren, indem sie Schulmeister Gottes sein wollten.239 Hierzu zählt Luther mehrere Beispiele auf. Ketzer wie Arius, Pelagius, die Täufer, Sakramentarier, Schwärmer und Aufrührer, sie alle wären mit der Lehre Gottes nicht zufrieden gewesen.240 Ihr Motiv sei Ruhmsucht 232   »Hoc Euangelium ist ein rechtschaffen. Nam quod praedicatur Christus fecisse miracula, non est so trostlich et securum, ut fidas illi, ut videasplus ligen in verbis Christi quam factis« (Rörers Stenogramm, WA 17 I; 38,15–17). »Hoc est unum de veris Euangeliis. Alia euangelia de miraculis non sunt ßo trostlich ac talia euangelia, ubi contiones sunt Christi« (Roths Stenogramm, WA 17 I; 38,26f). »Die andern Euangelia, darinne die wunderwerck Christi beschriben werden, sind nicht so troestlich als die, in woelchen begriffen sindt die predigten Christi, da er uns so freundtlich leret und zu sich locket« (Roths Fastenpostille, WA 17 II; 388,6–8). 233  Vgl. in Rörers Stenogramm WA 17 I; 41,18–43,10, in Roths Stenogramm WA 17 I; 41,38–43,26 und in Roths Fastenpostille WA 17 II; 392,5–394,10). 234   »Ey wie ein seltzam laden ist das? Waruemb berufft er nicht die starcken, reichen, gesunden, gelerten, koenige, fuersten und herren?« (WA 23; 689,19f). »Ist einer ein Burgermeister, so wil er ein graff werden, Ist einer ein graff, so wil er ein fuerst werden, Ist einer ein fuerst, so wil er ein koenig werden, Ein koenig wil ein keiser werden, Hat einer ein land, so wolt er gerne noch zwey, drey, vier darzu haben, Und ist also keine settigung nach keine genuege ynn der welt. Aber Christus leret hie und spricht: Wer da wil erquickung von mir erlangen, der sey senfftmuetig und demuetig von hertzen« (WA 23; 693,14–20). 235   Vgl. den Übergang vom ersten zum zweiten Teil: »DAs ist das erste stueck vom Euangelio […]« (WA 51; 193,33). Dieser Aufbau ist auch der kurzen Mitschrift der Wochenpredigt aus dem Jahr 1528 zu entnehmen: »1. Christus affirmat Euangelium suum esse mysterium […]. 2. pars est consolatio« (WA 28; 30,3 u. 30,21). 236   Vgl. WA 51; 187,30–32. 237   Der Begriff »Natur« fällt in WA 51; 188,20: »Das ist die natur der schendlichen weisheit auff Erden«. 238   »Alles, was Gott thut und macht, das muessen sie [Weise und Kluge] bessern« (WA 51; 188,10). 239   »Er [Gott] mus aller Juenger sein, jederman wil sein Schulmeister und Preceptor sein« (WA 51; 188,11f). 240   »DAs sihet man von anbegin der Welt in allen Ketzern, Arius und Pelagius, und jtzt zu

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gewesen, weshalb sie Dinge hinzuerfunden hätten.241 Ein solches falsches Weisheitsstreben lasse sich aber nicht nur außerhalb der christlichen Kirche bei den Ketzern, sondern auch innerhalb beobachten. Streit und Missgunst seien die Anzeichen dafür.242 Die Schuld liege teilweise auch bei den Gemeindemitgliedern, die sich von Predigern gelangweilt fühlen, die allein die Lehre Gottes predigten und auf falsche Neuerungen verzichten würden.243 Deshalb könne es nicht verwundern, dass Christus im Bibeltext verdrießlich werde, womit Luther auf den Weheruf Jesu (Mt. 11, 20–24) anspielt, der unmittelbar vor der Perikope steht.244 Dem Reformator zufolge ist ein solches Weisheitsstreben ein Irrtum. Es gleiche einem Ei, welches klüger sein wolle als die Henne, oder Kindern, die ihre Eltern erziehen wollten, bzw. Narren, die sich über die wahrhaft Weisen erheben würden.245 Auch der Papst habe ein solches Verhalten gezeigt, als er das Abendmahl nicht als Stärkung und Kräftigung der Gläubigen, sondern als Opfer gedeutet habe.246 Ebenso sei die Messe für die Lebenden und Toten eine derartig narrenhafte Erfindung des Papstes gewesen.247 Auch die Taufe habe der Papst relativiert, indem er das Mönchtum erfunden habe, das er als bessere Taufe gedeutet habe.248 Nach der Aufdeckung der Irrtümer im geistlichen Regiment wendet sich Luther dem weltlichen Regiment zu.249 Selbst Aristoteles habe erkannt, dass die wahrhaft Weisen, die eigentlich die Untertanen regieren sollten, zumeist davor unser zeit, die Widerteuffer und Sacramentierer und alle Schwermer und Auffrhurer, die sind damit nicht zu frieden, was Gott gemacht und eingesatzt hat« (WA 51; 188,13–16). 241   »Meinen, sie muessen auch etwas machen, auff das sie etwas bessers sein vor [18] andern Leuten und rhuemen koennen: Das hab ich gemacht« (WA 51; 188,17f). 242   »Da ein Bischoff auff den andern, ein Pfarherr auff den andern hacket und beisst, und einer den andern hindert und stoesst« (WA 51; 188,21f). 243   »DAsselbig sind die rechte Meister Klueglinge […], die […] nicht auff dem wege bleiben wollen […], sondern jmer etwas sonderlichs haben und machen muessen, Das die Leute darnach sagen: Ey, es ist nichts mit unserm Pfarherr oder Prediger, Das ist der rechte man« (WA 51; 188,24–28). 244   Vgl. WA 51; 188,29f. 245   »Ei, es stehet fein, wenn das Ey will kluger sein denn die Henne, Ein schoene Meisterschafft mus das sein, wo die Kinder jren Vater und Mutter die narren und thoren weise Leute regieren wollen« (WA 51; 188,33–35). 246   »DEr Bapst hat gleich auch also gethan, als da Christus das Predigampt und das Sacrament seines leibs und bluts bestettiget und eingesatzt, wie es die Christen brauchen sollen, jren Glauben damit zu stercken und zukrefftigen, Da schreiet der Bapst: Nein, Nein, es mus also nicht sein, Es ist nicht weislich gehandelt, Denn sein Decret sagt, Es sey nicht fein, das das Sacrament zu sterckung der Christen glaube solle gereicht werden, sondern es muesse ein Opffer sein« (WA 51; 188,37–189,1). 247   Vgl. WA 51; 189,3f. 248   »ALso das Gott die Tauffe hat eingesatzt, das ist dem Bapst ein gering ding und bey jm bald verloren und krafftlos worden, dargegen machet seine Schuerling, die da kappen und platten tragen, Die muessen mit jren Orden und Moencherey der Welt helffen, das, wer in solcher Orden trit, der habe ein newe bessere Tauffe« (WA 51; 189,4–8). 249   »Jn Weltlichen sachen und regiment gehets zwar auch also zu« (WA 51; 189,15).

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flöhen und stattdessen die Unklugen den Staat leiten ließen. Daher unterscheide Aristoteles zwischen wahrhaft und scheinbar Weisen.250 Zumeist würden die Menschen denken, weil sie eine hohe Stellung innehätten, dass sie auch klug seien, was aber eine fehlerhafte Schlussfolgerung sei.251 So auch der Papst, wenn er in seinem Narrenbuch die Meinung aufstelle, er könne sich nicht irren.252 Auch der Hohepriester Kaiphas zähle zu den Narren, als er dazu geraten habe, es sei besser, dass ein Mensch für das Volk sterbe, als dass die ganze Nation umkomme (Joh. 11, 49).253 Deshalb solle man nicht auf die Narren hören, sondern allein auf Christus.254 Christus selber mache in seinem Wort deutlich, dass ihm alles vom Vater übergeben sei (Mt. 11, 27).255 Der zweite Teil fällt kürzer aus, weil Luther die Predigt unvermittelt abbricht. Der Heilandsruf »Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken« (Mt. 11, 28) ist für Luther eine Anweisung, sich an Christus zu halten. Auch wenn man verbrannt oder geköpft werde, solle man Geduld haben und auf Christus hoffen. Luther wiederholt hierbei die Märtyrer-Beispiele von der heiligen Agatha und Bischof Vinzenz von Saragossa, die er in seiner vorletzten Predigt bereits angeführt hat.256 Trost und Zuversicht könne der Mensch trotz aller Stürme im Lebens haben, da Jesu Joch sanft und seine Last leicht sei. Dabei verweist er neben Ps. 31, 25 auch auf Ps. 27, 14 – jenes Trostwort, das er am 21. Januar 1542 Nikolaus von Amsdorf bei der Segnung zum Bischof im Naumburger Dom zusprach: »Harre des Herrn! Sei getrost 250   »Wie auch Aristoteles davon schreibt, das etliche Leute sind mit grosser weisheit und verstand begnadet und nicht gemeine Leute […]. Aber solche fliehen vor den geschefften, und man kan sie schwerlich zur regierung bringen, Aber darnach sind andere, die wollens sein und thun, und koennens doch nicht thun, Die heisset man denn im weltlichen regiment Naseweisen und Meister Kluegel […]. Und Aristoteles, der solches in Regimenten gesehen, das wenig rechter, tuechtiger Leute sind zur Regirung, machet einen unterschied zwischen rechten Weisen und Klugen und andern, die er nennet id est: opinione sua sapientes« (WA 51; 189,15–29). Wahrscheinlich hat Luther hier die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Meinung in der Bestimmung der Klugheit vor Augen. Vgl. WA 51; 732, Anm. zu 189,26. Vgl. ebenso Aristoteles: Nikomachische Ethik, VI, 10, 1142a, zitiert nach Philosophische Schriften, Bd. 3, übers. von Eugen Rolfes, Hamburg 1995, 142. Vgl. ferner Pierre Aubenque: Der Begriff der Klugheit bei Aristoteles, aus dem Französ. übers. von Nicolai Sinai und Ulrich Schneider, Hamburg 2007, 15–17. 251   »Diese meinen, die weil sie im Regiment sitzen und eine hohe Person furen, so muessen sie klug sein« (WA 51; 189,30–32). 252   »ALso wil auch der Bapst ein seer kluger man sein […]. Wie er in seinem grossen Narrenbuch thar unverschempt sagen, Es sey nicht zu vermuten, das ein solche hoheit (als er sein wil) koenne jrren« (WA 51; 191,3–9; 732, Anm. zu 190,9). Die Frage nach der Irrtumsfähigkeit von Konzilien hat Luther insbesondere in der Leipziger Disputation 1519 mit Johannes Eck diskutiert. Vgl. Christopher Spehr: Luther und das Konzil. Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit (BHT 136), Tübingen 2010, 55. 153–160. 253   Vgl. WA 51; 190,12–18. 254   »Also sols auch hie in der Christlichen kirchen zugehen, das niemands sol gepredigt oder gelert werden denn allein der Son Gottes« (WA 51; 191,31–33). 255   Vgl. WA 51; 192,1–42. 256   Siehe oben Seite 370.

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und unverzagt«.257 Man dürfe als Christ hoffen, denn durch Christus könne man dem Tod entlaufen und habe den Teufel bereits besiegt.258 Sprachlich wechselt er dabei immer wieder in die Perspektive Jesu, als spräche dieser selbst zur Gemeinde.259 Es scheint, dass Luther diese Worte aus der Perspektive Jesu nicht nur an seine Hörer, sondern auch an sich richtet. Mit diesem Zuspruch des Trosts endet die Predigt. Unvermittelt bricht Luther an dieser Stelle ab, weil er sich zu schwach fühlt.260

Resümee Luthers letzte Kanzelreden tragen den Charakter von Abschiedspredigten. In ihnen reflektiert er die Vergangenheit in Auseinandersetzung mit seinen Gegnern und die Zukunft hinsichtlich seines baldigen Ablebens. Im Rückblick zeichnet er ein düsteres Bild. Sein Leben lang habe er das Wort Gottes gepredigt, sei aber damit immer wieder gescheitert. Falsche Lehren seien entstanden aus seiner Tätigkeit als Prediger des Wortes Gottes. Stürme tobten im Laufe der Heilsgeschichte seit Anbeginn der Zeit, angefangen mit Henoch, Noah, Abraham und den Propheten. Der Teufel habe in der Vergangenheit immerzu sein Unwesen getrieben und werde bis zum Jüngsten Tag aktiv bleiben. Er habe massiv durch die Türken, Spanier, den Papst und andere Rotten gewirkt. Eine Reinigung vom Unkraut in der Kirche könne es prinzipiell nicht geben. Niemals könne die Kirche vom Unkraut befreit werden, wohl aber habe man Sorge zu tragen, dass es nicht die Oberhand gewinne. Dabei parallelisiert er die Müdigkeit Jesu im Kontext der Stillung des Sturms mit seiner eigenen Lebensmüdigkeit. Mit Blick auf sein Ende scheint es, dass er sich durch die Predigtworte selbst trösten will. Der sich kehrreimartig wiederholende Heilandsruf »Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken« (Mt. 11, 28) scheint er auch sich selbst zuzusprechen. Dabei reflektiert er seinen eigenen Alterungsprozess und das Voranschreiten seines körperlichen Zerfalls. In drastischer Weise malt er die Unreinheit seines Körpers aus. In ihm leuchtet aber auch immer wieder die christliche Hoffnung auf. Christus könne mit einem Fingerschnips den Sturm stillen. Nicht nur die Zuhörer, sondern auch sich selbst befragt er, ob sie einen solchen Glauben hätten. Gottes Macht offenbare sich hierbei inwendig und bleibe äußerlich im Dunkel verborgen. Damit bindet   »Wie auch der .xxx und xxvj. Psalm sagt: ›Seid getrost, alle, die jr des HERRN wartet‹« (WA 51; 194,24f). Siehe oben Seite 423. 258   »So habt jr schon gewonnen und seid dem Tod entlauffen, dem Teufel und der Welt weit uberlegen« (WA 51; 194,28–30). 259   Der Perspektivenwechsel beginnt mit: »Christus sagt: ›Kompt zu Mir, die jr Mueheselig seid‹, als wolt er auch sagen: Halt euch nur an mich, bleibt bey meinem Wort« (WA 51; 194,4f). 260   Vgl. WA 51; 194, 36f. 257

sich Luther auf interessante Weise selbst als Angesprochener in seine eigenen Worte mit ein. Luther ist hier Sprecher und Zuhörer seiner Predigten zugleich! Seine Polemik richtet sich vornehmlich gegen die Juden, ausgelöst wohl durch die hohe Zahl nach Eisleben exilierter Juden. Inhaltlich ergibt sich ein zweideutiges Bild hinsichtlich seiner Auffassung über sie. Auf der einen Seite macht er absurde Unterstellungen. Auf der anderen Seite stellt er ihr Erstgeburtsrecht gegenüber dem Christentum nicht in Frage. Sein Bestreben ist es, die Juden bekehren zu wollen. Falls sie diese Möglichkeit nicht ergreifen würden, sollten sie aber nicht getötet, sondern des Landes verwiesen werden. Luthers ›Vermahnung‹ ist wohl nicht sein letztes Wort auf der Kanzel gewesen. Diese Rede hielt Luther mit hoher Wahrscheinlichkeit am 7. Februar. Auch kann bezweifelt werden, ob sie überhaupt auf der Kanzel gehalten wurde. Luther könnte sie ebenso gut auch vor den Grafen und weiteren Vertretern während der Verhandlungen gehalten haben. Somit endet die Überlieferung der Predigten Luthers nicht mit der »Vermahnung wider die Juden«, sondern mit den Worten: »Aber ich bin zu schwach. Wir wollen es hierbei bleiben lassen«.261

  Vgl. WA 51; 194, 36f.

261

Schluss

Luthers Predigten im Kontext Reformatorisches Reden auf der Kanzel

1. Die kontextuelle Analyse der Predigten Luthers »Reformation auf der Kanzel« hat eine zweifache Bedeutung. Zum einen ist damit Luther selber als Repräsentant der reformatorischen Bewegung gemeint. Seine Kanzeltätigkeit ist mehr als nur ein Nebenprodukt seiner unbezweifelbar wirkungsvollen Schriftstellerei. Vielmehr ist sie die gedankliche Basis seiner Schriften. Die Predigten bündeln theologische Grundaussagen und sind Gestalt gewordener Ausdruck seiner reformatorischen Anliegen. Statt durch sekundäre Vermittlung erlebten die Menschen ihn unmittelbar auf der Kanzel. Durch Luther als Prediger wurde in exemplarischer Weise »Reformation« lebendig und konkret erlebbar. Zum anderen ist damit auch die Reformation der Predigt gemeint, die sich auf der Kanzel vollzog, was den Eigenheiten von Luthers Predigten hinsichtlich Inhalt und Praxis geschuldet ist. Die Kanzel ist für Luther der Ort, an dem er eine Vielzahl an lebenspraktischen und theologischen Fragen thematisiert hat. Die Predigten beinhalten die Substrate seiner Auffassungen, entfalten den polemischen Umgang mit seinen Gegnern, liefern ein Beispiel für Luthers seelsorgerlichen Umgang mit seiner Gemeinde, sind eine Schatzkammer für historische Informationen und geben Hinweise auf die reformatorischen Bewegungen vor Ort. Die Reisepredigten sind keineswegs ein willkürlich erscheinendes Kriterium zur Auswahl seiner zahlreichen Kanzelreden. Denn erst durch sie kommt die Rollenvielfalt Luthers als Prediger zum Vorschein. Seine Reisepredigten zeigen ihn als monastischen Moralprediger vor seinen Augustinereremitenbrüdern in Gotha, als Kommentator der Leipziger Disputation, als »Missionsprediger« 1522, als Gemeindebetreuer im Umland wie beispielsweise in Kemberg, als Hofprediger im Beisein des Adels, als Ratgeber und Prophet im Zusammenhang der Coburger Predigten, als praktischen Kasualprediger und als einen auf sein Leben zurückschauenden Weisheitsprediger. Diese Rollenvielfalt lässt sich noch weiter ausdifferenzieren. So konnten vier Funktionen in seiner Rolle als Hofprediger ausgemacht werden: Luther als politischer Berater, als Erzieher, als Seelsorger und als Repräsentationsfigur der reformatorischen Bewegung. Besonders die letzte Funktion ist aus historischer Sicht interessant, da Luther in

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den Weimarer Obrigkeitspredigten den ansonsten mehr im Kontext von Lehrbüchern entfalteten Fürstenspiegel auf die Kanzel brachte. Das Ziel der Untersuchung war die Rekonstruktion der Kontexte einer jeden Predigt und die Interpretation von deren Inhalten. Diese Dualität bildete den hermeneutischen Schlüssel zur Analyse der Quellen. Denn erst der Kontext führt zur Eigentümlichkeit der Inhalte und erst die Inhalte geben Aufschluss über deren Kontext. Die Kontextualisierung erfolgte hierbei in vier Richtungen: Diese beziehen sich auf den überlieferungsgeschichtlichen, den agendarischen, den historischen und den theologischen Kontext.

1.1. Der überlieferungsgeschichtliche Kontext Quellengrundlage zur Interpretation waren insbesondere Abschriften der Predigtkonzepte Luthers, Predigtmitschriften – angefertigt von Rörer und anderen Akteuren im Umkreis des Reformators – sowie Druckfassungen. Zum ersten Mal in der Forschung erfolgte eine chronologisch und lokal sortierte Auflistung aller inhaltlich überlieferten Predigten Luthers außerhalb Wittenbergs. Die Tabellen im Anhang repräsentieren dieses Ergebnis und ziehen Bilanz.1 Zudem wurde die Überlieferungsgeschichte von 45 Reisepredigten genauer dargelegt. Hinzu kamen zwei Erfurter und vier Wittenberger »Ortspredigten«, die in der Hinführung analysiert wurden. Die erneute Überprüfung führte zur Revision einiger Ergebnisse der Luther-Philologie und ermöglichte neue Einblicke hinsichtlich der Eigenarten der Überlieferung. Die beiden frühen Erfurter Predigten bilden eine überlieferungsgeschichtliche Besonderheit, da es sich um Poachs Abschriften von Luthers Originalmanuskripten handelt. Die unlängst gelungene Neudatierung von Luthers Romreise auf den Zeitraum vom Herbst 1511 bis zum Frühsommer 1512 führte zur Umdatierung von Luthers ununterbrochenem zweiten Erfurter Aufenthalt vom November 1509 bis Sommer 1511. Hierdurch konnte eine Terminierung der Pfingstpredigt über Joh. 3, 16 auf den 20. Mai 1510 oder den 9. Juni 1511 und der Predigt über Mt. 7, 12 auf die Zeit davor erfolgen. Die teilweise kryptischen Notizen konnten nach eingehender Analyse des Gedankengangs dennoch rekonstruiert werden. Während die Predigt über die »Goldene Regel« eine Themenpredigt erkennen lässt, handelt es sich bei der Erfurter Pfingstpredigt eher um eine Homilie im Sinne einer versweise voranschreitenden Bibelauslegung. Offen bleibt die Frage, wie Luther die in den Manuskripten enthaltenen Schemata und die Corollarien für die Predigt verwendete. Nicht mehr genau ermitteln lässt sich, wie diese Notizen zu verstehen sind, ob er in der Predigt tatsächlich auf sie einging, ob sie eher Gedanken waren, die er aus zeitlichen Gründen auch weglassen konnte, oder ob sie lediglich weiterführende Gedanken waren, die Luther für spätere Anlässe notiert hatte.

Luthers Predigten im Kontext

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In der Debatte um die Datierung der Kirchweihpredigt »Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis« über Zachäus (Lk. 9, 1–19) wurde durch Hinzuziehung einer bislang unberücksichtigten zweiten Kirchweihpredigt Luthers mit dem Titel »Sermo in dedicatione templi habitus per D. M.« ein eigener Datierungsversuch vorgenommen. Demnach hielt Luther den »Sermo in dedicatione templi« am 16. Januar 1517 in der Wittenberger Schlosskirche und den »Sermo de indulgentiis« am 30. Mai 1517 in der Stadtkirche. Hierdurch ergeben sich neue Einblicke in die Genese von Luthers Ablasskritik im Jahr 1517 vor dem Hintergrund seiner Predigttätigkeit. Überlieferungskritisch ist die Weimarer Ausgabe hinsichtlich der zwei Predigten am 5. Oktober 1516 zu hinterfragen, die in Kemberg lokalisiert werden. Die Angaben basieren auf einem Brief vom selben Tag, den Luther an Johann Lang in Kemberg verfasste. Allerdings ist eher zu vermuten, dass Luther beide Predigten in Wittenberg hielt, dann am späten Nachmittag nach Kemberg aufbrach und am Abend den Brief schrieb. Eine besonders aufschlussreiche Überlieferungssituation ergibt sich für die Coburger Predigt vom 16. April 1530. Denn sowohl das persönliche Predigtkonzept Luthers, dass er auf die Kanzel mitnahm, als auch die deutsche Ausarbeitung von Veit Dietrich sind tradiert. Der Vergleich ermöglicht eine bislang in der Forschung noch nirgends vollzogene Rekonstruktion der Predigtpraxis Luthers. Näher an den in persona auf der Kanzel predigenden Luther kann man wahrscheinlich nach fast 500 Jahren nicht gelangen. So ergab die Analyse von Notizzettel und Ausarbeitung Folgendes: Das Konzept war für ihn mehr eine Gedankenstütze als ein ausgearbeiteter Ablauf; in freier Weise konnte er daraus schöpfen, aber auch davon abweichen. Leuchtete ihm ein Gedanke auf seinem Notizzettel nicht mehr ein, so ließ er ihn weg. Die Kemberger Predigt vom 19. August 1531 lässt sich quellenmäßig sowohl über ein Stenogramm Rörers als auch einen von Poach ausgearbeiteten Druck erschließen. Die Analyse gibt exemplarisch Aufschluss über den Überlieferungsprozess zwischen Mitschrift und Drucklegung. Die Ergebnisse bieten ein Novum in der Luther-Forschung. Nachgewiesen werden konnte, dass die »Quasiauthentizität« trotz des Transformationsprozesses nicht abnimmt, sondern im Wesentlichen bestehen bleibt. Obwohl Poach das Stenogramm in seinem Druck dem Umfang nach vervierfachte, lassen sich keine starken Abweichungen feststellen. Die Gedanken Luthers, die Rörer festgehalten hat, wurden nicht verfälscht, abgeschwächt oder maßgeblich verändert, wenngleich die Reformulierung eine kreative Eigenleistung darstellt. Poach arbeitete hierbei mit vier Redundanztechniken: Erstens die zirkuläre Entfaltung der überlieferten Gedanken, zweitens die Anreicherung der vorhandenen Aufzählungen mit weiteren Gliedern sowie deren Ausschmückung, drittens das Einarbeiten von passenden Bibelstellen und viertens das Ausziehen der im Manuskript angelegten dogmatischen Linien.

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Schluss

Bei der Datierung der Dessauer Taufpredigt wurde das Urteil der Weimarer Ausgabe bestärkt gegenüber den jüngeren Hypothesen von Martin Ferel. Bislang in der Forschung unbekannt war der Herausgeber dieser Predigt. Aufgrund eines bislang unberücksichtigten internen Verweises auf früher gedruckte Predigten aus dem Jahr 1535 wurde die Vermutung aufgestellt, dass es sich bei beiden Drucken um denselben Bearbeiter, Caspar Cruciger, handelt. Die Naumburger Predigt zur Bischofseinführung wurde irrtümlicherweise in der älteren Forschung mit Luthers Schrift »Exempel, einen rechten christlichen Bischof zu weihen« vom März 1542 identifiziert. Diese Schrift basiert jedoch vornehmlich auf dem dritten Gutachten vom 9. November 1541. Wenngleich der Hypothese zugestimmt wurde, Predigt und ›Exempel-Schrift‹ nicht gleichzusetzen, so erfolgte dennoch zum ersten Mal in der Forschung ein Vergleich zwischen beiden Quellen, bei der die inhaltlichen Parallelen aufgezeigt wurden. Als Ergebnis wurde festgehalten, dass es sich bei der Predigt um das persönlich gehaltene und auf Amsdorfs Situation bezogene Pendant zur ›Exempel-Schrift‹ als offizielle Stellungnahme zu den Naumburger Verhältnissen handelt. In Bezug auf die »Vermahnung wider die Juden«, die in der Forschung zumeist als die letzten überlieferten Worte Luthers auf der Kanzel angesehen werden, erfolgte eine Revision. Luther hat die »Vermahnung« wohl nicht am 14. oder 15. Februar 1546, sondern bereits am 7. Februar gehalten. Hinweise finden sich im Briefwechsel des Reformators. Bereits im Brief vom 1. Februar 1546 spricht Luther darüber, über die Juden reden zu wollen. Der Brief vom 7. Februar an seine Frau enthält die Nachricht, dass er an diesem Tag gegen die Eislebener Juden das Wort ergriffen habe. Erst bei der Herausgabe der vier Eislebener Predigten durch Aurifaber, wurde die »Vermahnung« als Anhang hinzugefügt, obwohl sie der chronologischen Reihenfolge nach eigentlich zwischen der dritten und vierten Predigt hätte platziert werden müssen. Um aber den Zusammenhang der Predigten nicht zu stören, entschied er sich für eine andere Sortierung. Aufgrund dessen nahm man an, dass die »Vermahnung« das letzte Kanzelwort gewesen war. Allerdings ist auch zu hinterfragen, ob er die »Vermahnung« tatsächlich auf der Kanzel hielt. Er könnte diese Rede in einem kleineren Kreis auch vor den Grafen und weiteren Vertretern während der Eislebener Verhandlungen gehalten haben.

1.2. Der agendarische Kontext Die in der Studie analysierten Predigten wurden hinsichtlich ihres agendarischen Kontextes untersucht. Dabei fanden für die Analyse alle weiteren Predigten Berücksichtigung, die Luther zu früheren Zeiten über denselben Bibeltext gehalten hatte. Eine solche agendarische Kontextualisierung ist bislang in der Forschung selten erfolgt. Jedoch ist sie notwendig, da erst durch den Ver-

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gleich mit den anderen Kanzelworten die Eigentümlichkeit der untersuchten Predigt zutage tritt. Überwiegend orientiert sich Luther an den vorgeschriebenen Perikopen des Kirchenjahres, wenngleich er zumeist am Nachmittag auch davon abweicht, etwa bei Reihenpredigten oder Katechismuspredigten. Dabei verwendet Luther ab dem Jahr 1526 das Perikopenverzeichnis der Wittenberger Ausgabe des Neuen Testaments. Vorher orientierte er sich vermutlich an der bei den Augustinern verwendeten Perikopenauswahl »Ordo missalis secundum consuetudinem romane curie« aus dem Jahr 1491. Eine bewusste Abweichung von den vorgeschlagenen Perikopentexten erfolgt beispielsweise bei der Traupredigt vom 24. April 1536, bei der Luther explizit bemerkt, eigens für diesen Anlass ein Bibelwort ausgewählt zu haben. Exemplarisch lässt sich Luthers Variationsvielfalt bei Auslegungen über einen einzigen Bibeltext anhand seiner Eislebener Predigt vom 31. Januar 1546 über die Sturmstillung Jesu (Mt. 8, 23–27) veranschaulichen. Am Ende seines Lebens blickte er auf eine persönliche Auslegungsgeschichte zurück, die sich bis ins Jahr 1517 zurückverfolgen lässt. Während er diese Perikope zumeist allegorisch auslegt, setzt er den Akzent jedoch immer wieder anders. Auch seine Predigt über Jesu Lobpreis und Heilandsruf (Mt. 11, 25–30) vom 14. oder 15. Februar 1546 zeigt eine eigene Auslegungsgeschichte, bei der sich ein Substrat an Erkenntnissen ausbildet, ohne dabei das Erkannte bloß zu rekapitulieren. So kann er den Text mal versweise oder mal thematisch auslegen. Oder er hebt die einzelnen theologischen Gedanken hervor wie Verhältnis von Verborgenheit und Offenbarung oder die Dialektik von Weisheit und Torheit. Als allgemeines Ergebnis ist festzuhalten, dass sich Luther in den meisten Fällen eigens auf die Predigten außerhalb Wittenbergs vorbereitete. Freilich lässt sich beim Vergleich ein Kernbestand an Gedanken zur jeweiligen Schriftstelle erkennen. Beispielsweise haben die Auslegungen über Joh. 8, 46–59, die im Zusammenhang mit der Kemberger Predigt vom 2. April 1525 analysiert wurden, einen ähnlich wiederkehrenden Aufbau. In der Dessauer Taufpredigt vom 2. April 1540 hatte Luther vermutlich eine Predigt vom 1. Februar 1534 vor Augen, die er als Vorlage verwendete. Dennoch weist jede Predigt besondere Eigentümlichkeiten auf, die sie von anderen Predigten über dieselbe Bibelstelle heraushebt. Man kann also nicht behaupten, dass Luther bereits gehaltene Predigten einfach noch einmal wiederholte. Vielmehr bereitete er sich immer wieder erneut auf jede Predigt vor. Eine Ausnahme bildet allerdings die bereits erwähnte Kemberger Predigt vom 2. April 1525, die erkennen lässt, dass Luther vermutlich vorher noch einmal in gedruckte Fassungen seiner Predigten oder in seine Postillen, die in seinem Besitz waren, hineinschaute. Einen Extremfall stellt außerdem die Torgauer Traupredigt vom 27. Februar 1536 dar, da sie von allen hier untersuchten Predigten am schwächsten durchkomponiert ist. Ob es an der schlechten Überlieferung liegt, ob es Luthers damaligem krankhaften

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Zustand geschuldet ist oder ob vielleicht damit sogar ein gewisser Unwillen Luthers gegenüber so großen Hochzeiten zum Ausdruck kommt, muss offenbleiben. Schließlich weist auch die Merseburger Traupredigt vom 4. August 1545 zahlreiche inhaltliche Überschneidungen mit einer am 8. Januar 1531 in Wittenberg gehaltenen Traupredigt auf. Die meisten Predigten enthalten bei genauer Analyse ein spezifisches Lokalkolorit. Luther geht fast immer – teilweise sogar tagesaktuell – auf die Situation vor Ort ein. So übt er vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit der sogenannten »Wittenberger Bewegung« (1521/22) in der Predigt über die Auferstehung des Lazarus vom 19. März 1518 Kritik an der Wittenberger Heiligenverehrung und in der Bornaer Predigt vom 3. Mai 1522 an der Reliquien- und Bilderverehrung. In der Altenburger Nachmittagspredigt vom 28. April 1522 greift er vor Ort in die Debatte um die Wahl Gabriel Zwillings zum neuen Prediger ein. In der Zwickauer Predigt vom 2. Mai 1522 kritisiert er die theologischen Positionen der dort agierenden sogenannten »Zwickauer Propheten«. In Kemberg nimmt er am 7. April 1523 Stellung zur Nimbscher Nonnenflucht. Am 2. April 1522 wirft den Kembergern vor, dass sie den gemeinen Kasten vernachlässigen würden. In Weimar gibt er am 25. Oktober 1522 der Obrigkeit allgemeine Ratschläge hinsichtlich ihres Führungsstils als christliche Herrscher. In der Coburger Predigt vom 2. Oktober 1530 geht er kommentierend auf die Ergebnisse des Augsburger Reichstags ein. Die Kemberger kritisiert er am 22. Oktober 1531 wegen ihres Fernbleibens vom Abendmahlsgang. In Wörlitz wirbt er am 24. November 1532 bei den drei Anhaltiner Fürsten sowie dem brandenburgischen Kurprinzen für dessen reformatorische Ideen; er unterstützt sie in ihrem Emanzipationsprozess gegenüber ihren altgläubigen Vormündern und bestärkt in prophetischer Weise die Zuhörenden in ihrem Glauben an die Zukunft. In Kemberg hält er am 22. Oktober 1534 einen Rückblick auf das dortige Wirken Karlstadts und warnt am 27. Oktober 1537 in Kemberg vor den Täufern. Zur Einführung der Reformation in Leipzig 1539 blickt er kritisch auf das Wirken Georgs von Sachsen zurück. Trotz seiner lokalspezifischen und aktuellen Statements zur Situation vor Ort lässt Luther nur selten den ausgewählten Bibeltext ganz außer Acht. Es ist erstaunlich, wie kreativ er dabei ist, seine eigenen theologischen Grundgedanken sowohl mit dem Bibeltext als auch mit der ortsbezogenen Predigtsituation zu verbinden. Die Dispositionen sind dabei zumeist klar gegliedert. Ein Aufbau lässt sich immer erkennen. Es mangelt ihm in seiner freien Rede nicht an Stringenz. In einigen Fällen ergibt sich in exemplarischer Weise eine Verschränkung von homilienartigem und systematischem Aufbau. So legt Luther in der Bornaer Nachmittagspredigt vom 27. April 1522 den Bibeltext Joh. 19, 19–23 einerseits versweise aus, während andererseits eine systematische Erörterung der Begriffe Friede, Freude, Macht und Gewalt erfolgt. Ebenso lässt sich die Pretzscher

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Taufpredigt vom 15. Juli 1532 über Ps. 65 als Homilie und zugleich als systematische Entfaltung der geistlichen und körperlichen Wohltaten interpretieren. Und die Merseburger Traupredigt vom 4. August 1545 kann als Themenpredigt oder als Auslegung des Bibelverses gelesen werden, wobei sich je nach Perspektive die Gliederung verändert. Über den agendarischen Kontext hinaus wurden die Predigten auch hinsichtlich ihrer Bezüge zu Luthers Schriftkorpus oder anderweitigen Quellen untersucht. So bilden die beiden Kirchweihpredigten aus dem Jahr 1517 eine wichtige Vorstufe zu den »95 Thesen«. Die Predigt über die Auferstehung des Lazarus vom 19. März 1518 veranschaulicht Luthers Formel »simul iustus et peccator« aus der Römerbriefvorlesung 1515/16. Der Vergleich zwischen der Predigt vom 29. Juni 1519 während der Leipziger Disputation und den Disputationsakten zeigte, wie Luther die ursprünglich gehaltene Predigt im Druck abschwächte und bestimmte Gedanken wegließ. Die Bornaer Doppelpredigt vom 27. April 1522 kann als Parallele zur Schilderung seiner reformatorischen Entdeckung in der Vorrede zu den lateinischen Schriften von 1545 gelesen werden. Diese Predigt greift zudem Luthers Amtsverständnis aus seiner ›Adelsschrift‹ auf. Ausführlich miteinander verglichen wurden die Weimarer Obrigkeitspredigten vom 24. und 25. Oktober 1522 mit der Schrift »Von weltlicher Obrigkeit« aus dem Jahr 1523. Die Kemberger Predigt über den gemeinen Kasten vom 11. Juli 1529 wurde in Beziehung zu seinen Bemühungen um die Leisniger Kastenordnung im Jahr 1523 gesetzt. In der Nachmittagspredigt am selben Tag hatte Luther vermutlich auf eine in der Kirche hängende Katechismustafel verwiesen. Die Leipziger Predigt vom 24. Mai 1539 enthält Parallelen zu seinem Traktat »Von den Konziliis und Kirchen«. In der Taufpredigt vom 2. April 1540 bezieht sich Luther auf den Gedanken des »fröhlichen Wechsels« aus seiner Schrift »Von der Freiheit eines Christenmenschen« aus dem Jahr 1520. In vereinzelten Fällen erhält man einen besonderen Einblick in den zeremoniellen Ablauf des Gottesdienstes. Hinsichtlich der auf der Trauung am 27. Februar 1536 in Torgau gehaltenen Traupredigt ist dem Hausbuch von Joachim Wedel zu entnehmen, dass Luther ein Meister der Inszenierung war, der ein besonderes Gespür für Pausen besaß. So konnte er in Gedanken versunken vor dem Brautpaar verharren, um die Bedeutung des besonderen Moments kurz vor der Segnung hervorzuheben. Späteren Quellen, wie in der Autobiografie von Bartholomäus Sastrow aus dem Jahr 1595, lässt sich entnehmen, dass Luther auch durch Humor bewusst den Ernst der Situation wieder auflockern konnte. So löste er während des Trauzeremoniells die Spannung mit einer Wortspielerei, indem er den Begriff »Sachsen« vom lateinischen Wort »saxum« (Felsen oder Stein) ableitete und dessen Beständigkeit dem Brautpaar wünschte. Einen historisch besonders wertvollen Einblick in den agendarischen Gottesdienstablauf erhält man im Kontext der Naumburger Bischofseinführung von Nikolaus von Amsdorf am 20. Januar 1542. Detailliert werden die Reihenfolge

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der einzelnen Handlungen, die gesungenen Lieder und die beteiligten Personen beschrieben. Dabei ergibt die Analyse eine deutliche Orientierung an dem Wittenberger Ordinationsformular, um programmatisch die Konsekration des Bischofs mit der Ordination anderer Geistlicher gleichzusetzen. Auf zeremoniellen Zierrat wie Weihrauch wurde bewusst verzichtet, um das altgläubige Verständnis der Bischofsweihe im Sinne eines Sakraments zu relativieren; die Ordination an den Stufen des Altars am Ostlettner erfolgte im Beisein von MitOrdinanden in Anlehnung an den altchristlichen Brauch, die leitenden Geistlichen der nahegelegenen Orte zu beteiligen. Lediglich die Inthronisation des Bischofs wurde auf Wunsch des Kurfürsten beibehalten.

1.3. Der historische Kontext Erst die historische Kontextualisierung führt zur Tiefenschärfe in der Predigtinterpretation. Die Ereignisse im Vorfeld, die biografischen Bezüge, die Gemeindesituation vor Ort, die politischen Hintergründe, die sozialgeschichtlichen Facetten und die frömmigkeitsgeschichtlich relevanten Aspekte wurden in die Rekonstruktion einbezogen, um ein möglichst genaues Umfeld der Kanzelreden zu ergründen. Die frühen Erfurter Predigten im Jahr 1510/11 wurden erstmals in der Forschung konsequent als Übungspredigten im Rahmen seiner Ausbildung zum Prediger und Theologen gedeutet. Durch sie kann man einen Eindruck von Luthers ersten Gehversuchen als Prediger erhalten. Die in den Predigten vollzogenen komplexen Distinktionen führen zum Urteil, dass Luther zunächst mehr im Stil einer akademischen Vorlesung denn einer Kanzelrede gesprochen hat. Er inszeniert sich als ganz in den scholastischen und mystischen Traditionen denkender Intellektueller. Es ist schwer vorstellbar, dass seine Mönchsbrüder den komplexen Gedankengängen immer allein durchs Hören folgen konnten. Seine Ausführungen zeigen, dass er seine Belesenheit zur Schau stellen wollte. Die Schemata und Corrolarien, die über eine Predigt hinausgehen, zeigen den Versuchscharakter seiner Dispositionen. Der Vorlesungsstil seiner Predigtpraxis muss sich in den ersten Jahren seiner Wittenberger Zeit als Konvents- und Ordensprediger fortgesetzt haben, wie man es der Predigt zum ersten Weihnachtstag 1514 vor seinen Augustinerbrüdern entnehmen kann. Der Kanzelauftritt vor dem Gothaer Ordenskapitel 1515 bringt von Luther eine ganz andere Seite als Prediger zum Vorschein. Er gibt sich hier als derb auftretender Moralerzieher. In ungeschminkter Weise spielt er mit den Affekten der Zuhörenden, indem er bewusst die Unappetitlichkeit der Bilder steigert. So lotet er die Grenzen seiner Kanzelrede aus und fordert eine – eigentlich zum Scheitern verurteilte – ethische Radikalität, die er jedem Menschen aufbürdet. Die beiden Kirchweihpredigten vom 16. Januar und 30. Mai 1517 sind im historischen Kontext der Genese von Luthers Ablasskritik zu deuten. Hier tritt

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ein Prediger auf, der sich mit aktuellen Problemen auseinandersetzt. Die Kirchweihpredigten haben gleichsam einen Werkstattcharakter zur Ausbildung seiner eigenen Theologie. Anhand der Predigt vom 19. März 1518 wurde exemplarisch das reformatorische Profil von Luthers späterer Predigttätigkeit entfaltet. Mit dem Gedanken von der Rechtfertigung des Menschen vor Gott hat Luther seine Kernbotschaft auf der Kanzel gefunden. Sie bildet die Mitte und das Zentrum seiner Predigttätigkeit in den nachfolgenden Jahren. Im Vordergrund der Untersuchungen zur Leipziger Disputation standen bislang die Protokolle und die Briefe, die über die Geschehnisse berichteten. Kaum berücksichtigt wurde in diesem historischen Kontext jedoch Luthers Predigt vom 29. Juni 1519. Er selbst bezeichnete sie als »Summa der Disputation«. Sie bildet eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion der unmittelbaren Vor- und Nachgeschichte der Leipziger Disputation. Der besondere historische Wert besteht darin, dass die Predigt zeitlich nach dem ersten Schlagabtausch zwischen Karlstadt und Eck und kurz vor der Begegnung Luthers mit Eck fällt. Auf der einen Seite stellt sie einen rückblickenden Kommentar dar, in der Luther die Position von Eck in Bezug auf die Nichtmitwirkung des menschlichen Willens beim Gnadenempfang radikalisiert, zum anderen visiert Luther auch ein eigenes Zusammentreffen mit Eck an, indem er das zentrale Thema der göttlichen Begründung der Papstfrage vorwegnimmt. Die Predigten aus dem Jahr 1522 wurden bislang insbesondere aus überlieferungskritischer Perspektive untersucht. Aus historischer Sicht stehen sie eng im Zusammenhang mit der sogenannten »Wittenberger Bewegung« (1521/22), derentwegen Luther die Wartburg am 1. März 1522 verließ und sich mit gesteigertem Selbstbewusstsein als »Evangelist«, »Prediger« und »Ecclesiast« auf der Kanzel der Öffentlichkeit präsentierte. Deshalb unternahm er gezielt Predigtreisen, um in dieser kritischen Phase seine Auffassungen als »Missionar« der Reformation mündlich auf der Kanzel zu verbreiten. Dabei geht er zum einen auf die jeweilige historische Situation in Borna, Altenburg und Zwickau ein. Auf der anderen Seite entwickelt er eine Art Musterpredigt zur Vorstellung seiner Kernanliegen vor Ort. Zu Beginn dieser Untersuchung wurde mit einem weiten Begriff von »Reisepredigt« operiert, der auf rein äußerlichen Kriterien beruht. Demnach ist eine Reisepredigt im weiten Sinn eine von Luther selbst auf der Kanzel gehaltene Predigt außerhalb derjenigen Stadt, in der Luther seinen festen Wohnsitz hatte. Die Analyse der Predigten aus dem Jahr 1522 hat ergeben, dass man auch von einem engen Begriff ausgehen kann, der durch inhaltliche Kriterien bestimmt ist. Dieser Typus von Reisepredigten folgt einem bestimmten Muster. Luthers immer wiederkehrende und je nach Ort modifizierte Ausgangsfrage lautet hierbei: Wie kann der Mensch fromm werden? Die Antwort allein aus Glauben erfolgt in polemischer Abgrenzung von der Auffassung der Werkgerechtigkeit aufseiten der Papstkirche. Dieser besondere Typus von

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Reisepredigt kann vor allem für das Jahr 1522 festgestellt werden. Die späteren Predigten lösen sich wieder von diesem Muster und weisen eine größere Vielfalt an Themen auf. In der Forschung bislang unberücksichtigt ist der Sachverhalt, dass Luther als Prediger auch eine kontinuierliche Betreuung der Nachbarorte rund um Wittenberg wahrnahm. Unter »Umland« werden Orte verstanden, bei denen es für Luther möglich war, am selben Tag bequem anzureisen, die Predigt zu halten und danach wieder nach Wittenberg zurückzukehren, selbst wenn er diese Möglichkeit zuweilen nicht wahrnahm und den Aufenthalt zuweilen verlängerte. Darunter zählen Orte wie Niemeck, Schweinitz, Jessen, Pretzsch, Lochau und Prettin Lichtenburg. In exemplarischer Weise kommt eine solche Betreuung des Umlands durch die Kemberger Predigten zum Ausdruck. Von ihnen sind insgesamt elf im Zeitraum von 1519 bis 1937 überliefert. Von keinem anderen Ort existieren so viele Predigten. Inhaltlich weisen die Predigten eine nähere Verwandtschaft zu seinen Wittenberger Predigten auf, auch wenn sie dadurch ihre Eigenständigkeit nicht verlieren. Diese vom jahrelangen Kontakt mit den Gemeinden im Umland geprägten Kanzelworte bilden in gewisser Weise das Pendant zu den einmaligen Vorstellungspredigten aus dem Jahr 1522. Einen ganz eigenen historischen Kontext besitzen die Reisepredigten, die Luther vor politischen Machthabern im mitteldeutschen Raum gehalten hat. Er fungiert hierbei als eine Art »Hofprediger«. Auf der Kanzel scheut er sich hierbei nicht, selbstbewusst aufzutreten. Diese selten berücksichtigen Reisepredigten vervollständigen deshalb die Forschung über die Beziehung Luthers zu den einzelnen Herrscherhäusern. Die Weimarer Predigten von 1522 zeigen ihn hierbei noch im »Wettbewerb der Systeme« um die Deutungshoheit, bei denen sich die evangelisch Gesinnten und die Altgläubigen gegenüberstanden. Die Wörlitzer Predigt vom 24. November 1532 lässt erkennen, wie Luther durch die Predigt, ohne die Fürsten explizit anzusprechen, auf deren Situation seelsorgerisch eingeht. Die Leipziger Predigt vom 24. Mai 1539 bildet eine wichtige Quelle für die Einführung der Reformation in Sachsen. Dort fungiert Luther als Repräsentationsfigur der reformatorischen Bewegung. Die Coburger Predigten aus dem Jahr 1530 bilden einen ganz eigenen Zugang zu den Geschehnissen des Augsburger Reichstags. Sie gelten als programmatische Predigten, die dem Zwecke dienen, den Hauptakteuren die reformatorischen Anliegen einzuschärfen. Hierzu verhandelt er in der Predigt vom 16. April die Frage nach der rechten Nachfolge, um indirekt die Situation kurz vor dem Augsburger Reichstag zu thematisieren. In der Osterpredigt vom 17. April parallelisiert er die Frauen, die sich aufgrund ihres Glaubens auf den Weg zum Grab machen, mit seinen Mitstreitern auf deren Gang nach Augsburg. Dabei warnt er davor, gegenüber der altgläubigen Partei nachzugeben, aber auch den Vorwurf des Schwärmertums zurückzuweisen. Die Predigt vom 15. September lässt sich als Stärkung für den Glauben des Kurprinzen Johann Friedrich lesen,

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der nach dem Abbruch der Verhandlungen vor den anderen kursächsischen Delegierten von Augsburg nach Coburg abgereist war. Und die Predigt vom 2. Oktober hält schließlich einen kritischen Rückblick auf die Ergebnisse des Augsburger Reichstages und ermutigt seine Weggefährten, für die Sache der Reformation auch zukünftig einzustehen. Die religiösen Innovationen der Reformation beziehen sich nicht nur auf theologische Einsichten, sondern auch auf die umfassende liturgische Neuorientierung kultischer Handlung, weswegen man auch von einer »rituellen Reformation« sprechen kann. Dabei wurde das Kasualverständnis Luthers bereits eingehend in der Forschung thematisiert, merkwürdigerweise jedoch ohne danach zu fragen, wie es sich mit Luthers eigener Kasualpraxis verhält. Zum ersten Mal in der Forschung wurde hierzu Luther als Kasualprediger eingehend untersucht. Dabei erfolgte eine historische Einbettung sämtlicher Trau- und Taufpredigten, sowie der Predigt zur Naumburger Bischofseinführung und zur Torgauer Kircheneinweihung. Allgemein lässt sich festhalten, dass Luther die Kasualie in ihrer Eigenheit stets im Blick hatte. Obwohl sich Luther bei der Taufe noch an der Perikopenordnung orientierte und nicht eigens einen Taufspruch auswählte, kann als Besonderheit gegenüber anderen Predigten herausgestellt werden, dass Luther die Eltern direkt ansprach und auf deren Gefühlslage einging. Statt polemische Töne gegenüber seinen Gegnern anzustimmen, zeigt sich hier die warmherzige Seite Luthers als Prediger. In seinen Hochzeitspredigten fungiert Luther zum einen als naher Bekannter, der mehr im privaten Kreis die Traupredigt hält, zum anderen aber auch als reformatorischer Repräsentant bei Hochzeiten mit Signalwirkung, bei denen ein Geistlicher programmatisch sein Zölibat aufhebt. Im Rahmen der Eheschließung von Caspar Cruciger und Sigmund von Lindenau am 4. August 1545 erfolgt statt der Orientierung an der Perikopenordnung die Auswahl eines spezifischen Trauspruchs, der in der Predigt ausgelegt wird. Dieses markiert aus historischer Sicht den Beginn der Tradition des persönlich auf das Ehepaar bezogenen Trauspruchs in der evangelischen Eheschließung. Außerdem entfaltete die gedruckte Fassung dieser Predigt eine besondere Wirkung, da sie eine der ersten Predigten auf dem Weg zur Etablierung der gedruckten Hochzeitspredigten als Kasualschriften darstellt. Der historische Kontext der Naumburger Bischofseinführung zeigt Luther als theologischen Berater des Kurfürsten, politischen Vermittler der verschiedenen Parteien Naumburgs, reformatorisch geprägten Liturgen und evangelischen Kasualprediger. In der Predigt wählt Luther aufgrund des besonderen Anlasses einen persönlichen Segensspruch für Nikolaus von Amsdorf aus, der einen wichtigen Baustein in der Entstehung persönlicher Segensworte im Rahmen der Ordination darstellt. Und schließlich besitzt die Einweihung der Torgauer Kirche exemplarischen Charakter für die Geschichte der Konsekration

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liturgischer Gebäude im Protestantismus und markiert eine wesentliche Station in der Geschichte der protestantischen Sakralarchitektur. Hinsichtlich von Luthers letzten Predigten in Eisleben 1546 wurde in der Forschung bislang Augenmerk auf die damaligen Rechtsstreitigkeiten der mansfeldischen Grafen gelegt, bei denen Luther eine wichtige beratene Funktion einnahm. Kaum berücksichtigt jedoch wurde in diesem historischen Kontext Luthers Tätigkeit auf der Eislebener Kanzel. Neben seiner Tätigkeit als politischer Berater, die sich auch in diesen Predigten widerspiegelt, hält Luther Rückschau auf sein eigenes Leben verbunden mit Todesahnungen in Bezug auf sich selbst. In seiner Predigt vom 31. Januar schildert er anschaulich die Müdigkeit Jesu im Zusammenhang mit der Sturmstillung, womit er gleichsam seinen eigenen Zustand am Ende seines Lebens betrachtet. Plastisch thematisiert er in der Predigt vom 7. Februar auch den Verfall seines eigenen Körpers. Und in seiner letzten Predigt vom 14. oder 15. Februar 1546 scheint es, dass Luther den Heilandsruf Jesu »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid« (Mt. 11, 28) nicht nur an seine Hörer, sondern auch an sich selbst richtet.

1.4. Der theologische Kontext Als Prediger der Reformation vollzog Luther im Laufe der Jahre eine Entwicklung. Diese Entwicklung lässt sich in vier Phasen unterteilen und ist begleitet von sich verändernden theologischen Fragestellungen. Die erste Phase betrifft seine Ausbildung zum Prediger während des Theologiestudiums in Erfurt 1508 bis 1511. Die erste Predigt über die »Goldene Regel« (Mt. 7, 12) zeigt eine breite Rezeption aristotelischer und scholastischer Gedanken. Luther greift die aristotelisch-thomistische Güterlehre auf und verwendet theologische Auslegungstraditionen von Ambrosius, Gabriel Biel, Bonaventura und insbesondere dem Lombarden. Er entfaltet seine Gedanken durch komplexe Distinktionen, logischen Schlussfolgerungen und Argumentationen, wobei er säuberlich zwischen Vernunftsargumenten, Erfahrungsargumenten, biblischen Belegen und Autoritätsnachweisen in der kirchlichen Tradition trennt. Bei der Auslegung der »Goldenen Regel« setzt er den Akzent ganz auf die positive Formulierung, sich aktiv für den Nächsten einzusetzen und die Weisung Jesu nicht nur im Sinne der antiken Rechtstradition zu verstehen, niemandem schaden zu wollen (neminem laede). Während diese Predigt eher thematisch entfaltet wird, besitzt die Erfurter Pfingstpredigt 1510/11 über (Joh. 3, 16) eher einen homilienartigen Aufbau, bei denen die einzelnen Begriffe des Bibelwortes der Reihe nach erläutert werden. Dabei geht er auf das Pfingstfest als Feier im Kirchenjahr ein, bedient sich der Zirkumstanzen-Methode, indem er zwischen Subjekt, Objekt, Beweggrund und Zweck unterscheidet, und entfaltet seine Gedanken in Form von logischen Schlussfolgerungen und Exkursen. Neu in dieser Predigt ist die Rezeption mystischer Traditionen, wie Augus-

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tins Gedanken von den Spuren der göttlichen Trinität, der mystischen Lehre von den drei Stufen der Gotteserkenntnis, der Entsprechung von Mikrokosmos des Menschen und Makrokosmos der Welt, dem Gedanken der Nihilation gegenüber der Vollkommenheit Gottes und der Vorstellung Gottes als einem, der mit seiner Macht aus dem Nichts etwas erschaffen könne. Beiden Predigten gemeinsam ist der theologische Grundgedanke eines ethischen Rigorismus, bei der er von der Heilsrelevanz frommer Werke ausgeht und insofern einen »vorreformatorischen« Charakter aufweist. Theologisch bewegt er sich noch in den Bahnen einer »Religion der Werkgerechtigkeit«. Die zweite Phase beginnt mit seiner Predigttätigkeit in Wittenberg ab Oktober 1512. In seiner Predigt vom 25. Dezember 1514 über den Johannesprolog (Joh. 1, 1–17) rezipiert er Augustins Traktate zum Johannesevangelium und die Sentenzen des Lombarden, entfaltet Gedanken in Überbietung der Auffassungen von Pierre d’Ailly und operiert mit der aristotelischen Bewegungslehre. Inhaltlich reflektiert er über die Zwei-Naturen-Lehre und das Wort Gottes, wobei er bei Gott und dem Menschen zwischen innerem und äußerem Wort unterscheidet. Im Vergleich zu den früheren Erfurter Predigten zeigt sich eine gewisse Selbstständigkeit im Umgang mit den Traditionen und eine eigene spekulativ-philosophische Kraft. Die dritte Phase setzt ein mit dem neuen Aufgabenbereich als Vorgesetzter seiner Augustinerbrüder ab 1515. Die Gothaer Predigt vor dem Ordenskapitel am 5. Mai 1512 zeigt ihn als scharfzüngigen Moralerzieher auf der Kanzel. Er hält eine Themenpredigt über das »Laster der Verleumdung« und beruft sich dabei auf Bernhard von Clairvaux und Gabriel Biel. Sein ethischer Rigorismus zeichnet den Menschen als hoffnungslosen Sünder. Er verlangt eine radikale Befragung des eigenen Gewissens und stellt in resignierender Weise fest, dass jeder Mensch ein Verleumder sei. Gleichwohl deutet sich bereits ein Ausweg an, indem er dazu auffordert: »So stirb also und, lebendig gemacht im Geist, […] wirst du gerechtfertigt vor Gott«. Als Hoffnungsschimmer dient ihm also bereits 1515 die Rechtfertigung des Menschen vor Gott. Die vierte Phase bezieht sich auf den Beginn der Ablasskampagne ab Januar 1517. Sein ethischer Rigorismus führte ihn bereits vorher zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Ablass und dem Reliquienkult. Doch nun wendet sich Luther auch öffentlich auf der Kanzel polemisch gegen solche Frömmigkeitsformen. In der Predigt »Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis« vom 30. Mai 1517 geht er von der theologischen Grundeinsicht aus: Für die Menschen, denen Christus alles sei, seien alle anderen Dinge nichts. Und umgekehrt: Für alle, denen Christus nichts bedeute, seien alle anderen Dinge alles. Er fordert dazu auf, sich um den inneren Seelenzustand zu sorgen und warnt vor der Eigenliebe als schlimmster Sünde. Er knüpft dabei in Ab­grenzung zu einer sakramentalobjektiven Bußtheorie (Attritionismus) an eine subjektive Bußtheorie (Contritionismus) an und unterscheidet zwischen Galgenreue und wahrer Liebesreue

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als zwei Seiten der inneren Buße, was eine Vorfassung von Luthers Verständnis von Gesetz und Evangelium darstellt. Die letzte Phase ist auf das Jahr 1518 zu datieren und bedeutet in gewisser Weise eine Zäsur, ohne damit behaupten zu wollen, dass damit seine Entwicklung als Prediger zum Abschluss gekommen sei. In seiner Predigt vom 19. März 1518 lässt sich exemplarisch das reformatorische Profil Luthers ablesen. Er hat nun seine persönliche Kernbotschaft gefunden. Es geht ihm um das Verständnis der Rechtfertigung des Menschen vor Gott, das sich für ihn im Koordinatenkreuz der christologisch geprägten Offenbarung Gottes als Gesetz und Evangelium bewegt. Anders formuliert geht es Luther um das »Annehmen, das man angenommen ist« (accepting acceptance), wie Paul Tillich es ausgedrückt hat. Hierzu beschreibt Luther den psychologischen Prozess von der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit hin zum Empfang der Gnade. Aufgrund dessen lehnt er jede Form von Werkgerechtigkeit ab und kritisiert die mittelalterliche Verdienstlehre (meritum). Erst durch die Liebe Christi werde der Mensch zur Nächstenliebe befähigt. Allerdings wäre es unsachgemäß, wollte man seine weiteren Predigten auf das Thema des Rechtfertigungsglaubens verengen. Vielmehr enthalten sie die gesamte Bandbreite seiner Theologie. Gleichwohl bildet der Rechtfertigungsglaube die Mitte und das Zentrum, vor dessen Hintergrund die weiteren theologischen Themen im Zusammenhang mit den aktuellen Herausforderungen und den biblischen Predigttexten entfaltet werden. In der Predigt zur Leipziger Disputation am 29. Juni 1519 lässt sich die Ausweitung der theologischen Themen vor dem Hintergrund der Rechtfertigungslehre ablesen. Luther betont darin, dass der freie Wille des Menschen gar nichts aus sich selbst aus vermöge. Deshalb lehnt er jegliche Mitwirkung des Menschen am göttlichen Gnadenempfang ab. Er verwirft damit die mittelalterliche Kooperationstheorie (gratia cooperans), da er darin das Einfallstor für den Glauben an die Werkgerechtigkeit sieht. Allein Gott bewirke den Gnadenempfang (sola gratia). Außerdem sieht sich Luther mit der Primatsfrage des Papstes konfrontiert und erweitert in Abgrenzung zur kirchlichen Tradition die vermeintliche Schlüsselgewalt des Papstes auf alle Gläubigen. Die Schlüsselgewalt dient ihm zufolge nicht dem Papst zur Begründung seiner Vorherrschaft, sondern dem Menschen in seiner Bestätigung des Gnadenempfangs, wodurch er zum Glauben gelangen könne (sola fide). Dieser Gedankengang zeigt, wie Luther den Gedanken »sola gratia« zu einem »sola fide« vertieft. Im Jahr 1522 lässt sich ein bestimmter Typus an Reisepredigten ausmachen. Wiederum bildet der Rechtfertigungsglaube hier den Ausgangspunkt. Exemplarisch lässt sich das Muster an der Bornaer Doppelpredigt vom 27. April ablesen. Luther beginnt mit der Frage: Wie kann man als Christ fromm werden? Seine Antwort besteht darin, dass man durch ein solches Bestreben lediglich zu einer äußerlichen Frömmigkeit gelangen könne. Die Einhaltung des Gesetzes

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sei zwar gefordert, führe aber zur Erkenntnis, dass es nicht möglich sei, das Gesetz ganz und gar einzuhalten. Damit spielt Luther auf seinen Gedanken vom doppelten Gebrauch des Gesetzes an. Die Introspektion des Menschen als Sünder führe zu einer existenziellen Erschütterung des Herzens. In dieser Todesfurcht wende sich Gott mit seiner Gnade dem Menschen zu und schenke ihm den Glauben. Der Glaube wiederum ermöglicht dem Menschen, ohne eigennützige Hintergedanken den Nächsten zu lieben und gute Werke zu tun. Als weiteres theologisches Thema lässt sich in den hier untersuchten Predigten die Entwicklung von Luthers Obrigkeitsverständnis rekonstruieren. Das Thema wird in der Bornaer Predigt vom 4. Mai 1522, der Wittenberger Pfingstpredigt vom 10. Juni 1522 und den beiden Weimarer ›Obrigkeitspredigten‹ vom 24. und 25. Oktober 1522 verhandelt, deren Gedanken in der ›Obrigkeitsschrift‹ münden. Diese sind gleichsam Stationen auf dem Weg zur Ausbildung seiner Lehre von den zwei Regimenten bzw. den zwei Reichen. In der Bornaer Predigt fehlen noch die begrifflichen Unterscheidungen in zwei »Regimente« bzw. »Reiche«. Jedoch werden bereits die Aufgaben und Grenzen beider Obrigkeiten genau beschrieben. In der Wittenberger Pfingstpredigt unterscheidet Luther die Gewalten durch die Begriffe »Schwert« und »Regiment«. Was aber noch fehlt, ist die ausführliche schöpfungstheologische Begründung beider Regimente durch die Stiftung Gottes. In den ersten Weimarer ›Obrigkeitspredigten‹ konzentriert sich Luther auf das Reich Gottes in Abgrenzung zum Reich des Teufels und begründet das weltliche Reich durch den präexistenten Christus. Die zweite Weimarer ›Obrigkeitspredigt‹ vollzieht eine Relativierung der scharfen Antithese vom Reich Gottes und vom Reich des Teufels, in dem die positive Funktion der weltlichen Obrigkeit dazwischengeschaltet wird. Außerdem gibt Luther allgemeine Ratschläge zum Gelingen einer Regierung nach christlichen Maßstäben. Damit bringt Luther den Fürstenspiegel, der zuvor mehr im Kontext von Lehrbüchern entfalteten wurde, auf die Kanzel, eine aus predigtgeschichtlicher Perspektive bahnbrechende Neuerung. Schließlich in der ›Obrigkeitsschrift‹ wird die christologische Begründung ersetzt durch die Lehre von der göttlichen Stiftung der Reiche. Das Reich des Teufels tritt stärker in den Hintergrund. Die bereits zuvor gemachte Unterscheidung der zwei Schwerter wird nun in sein System passgenau eingefügt. Man kann sagen: Luthers zuvor geäußerte Kritik an der traditionellen Zwei-Schwerter-Lehre wandelt sich zu einer »Ein-Schwert-Theorie«, die sich auf Fragen nach der Begründung und der Auslotung der Grenzen des weltlichen Schwertes konzentriert. Einen Einblick in Luthers Kirchenverständnis gewinnt man durch die Leipziger Predigt vom 24. Mai 1539. Zu Pfingsten legte er den Heiligen Geistes als Tröster aus (Joh. 14, 23–31). Hierbei bildet das Stichwort »Wohnung Gottes« (Joh. 14, 23) die Verknüpfung zur Ekklesiologie. Statt äußerer Wohnungen aus Holz und Stein wolle Jesus im Herzen des Menschen eine Wohnung schaffen. Diese Wohnung bezeichnet er als die »wahre Kirche«. Im Gegensatz hierzu kri-

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Schluss

tisiert Luther das falsche Kirchenverständnis der Papstkirche, weil dort die sichtbare Gestalt der Kirche dem Worte Jesu übergeordnet werde. Er wendet sich gegen die Auffassung von der Irrtumslosigkeit der sichtbaren Kirche. Vielmehr habe die Kirche zu bekennen, dass sie eine Sünderin sei. Diese Gedanken veranschaulichen, wie Luther seine Unterscheidung von verborgener und sichtbarer Kirche in der Predigt entfaltet. Ergänzt wird die Leipziger Predigt durch die Naumburger Bischofseinführung von Nikolaus von Amsdorf am 20. Januar 1542. Dort wird ebenfalls die wahre Kirche betont, für die Christus im Widerstand gegen die weltlichen Tyrannen gestorben sei. Damit scheint er den Predigttext Apg. 20, 28 auszulegen, in dem die Gemeinde durch Christi Blut erworben beschrieben wird. Hinsichtlich der sichtbaren Kirche verdeutlicht Luther, wie schwer es ist, das Amt des Bischofs auszuüben. Es bestehe darin die christlichen Seelen zu hüten und weiden. Luthers Taufverständnis lässt sich der Pretzscher Predigt vom 15. Juli 1532, der Niemecker Predigt vom 8. August 1532 und der Dessauer Doppelpredigt vom 2. April 1540 entnehmen. Grundsätzlich unterscheidet er zwischen Wesen und Wirkung der Taufe. Das Wesen sei geprägt durch das Beieinander von Zeichenhandlung und Wort Gottes. Dabei versteht er das Sakrament der Taufe als besonderes Werk Gottes an dem Menschen (opus Dei). Sie könne lediglich im Glauben empfangen werden, wie ein Bettler seinen Rock vom Schneider entgegennehme. Im Vergleich zu Geißelungen oder anderen dramatischen Frömmigkeitsäußerungen hebt Luther die Schlichtheit des Rituals hervor. Zwar bleibe der Vollzug, den Täufling mit Wasser zu begießen, ein menschliches Werk, jedoch stamme das gesprochene Wort eigentlich von Gott. Für Luther bringen dabei Taufe und Kreuz dasselbe Heilsgeschehen zum Ausdruck, nämlich die Vergebung der Sünden. Die Sünde werde von Jesus übernommen und im Gegenzug erlange der Mensch Gerechtigkeit und Leben. Luther wendet insofern den mystischen vom »fröhlichen Wechsel« auf die Taufe an. Die Wirkung der Taufe hingegen bestehe darin, von Sünde und Tod reingewaschen zu werden. Dadurch stelle sich die Gewissensgewissheit (plerophoria) ein. Aufgrund des Beieinanders von Wort und Zeichen wird das Wasser als Element sakramentalisiert, weshalb man von einer ›Realpräsenzlehre der Taufe‹ sprechen kann. Das Eheverständnis unterliegt bei Luther einem Wandel. Noch Januar 1519 wird der Ehe das Attribut der Reinheit abgesprochen und die sexuelle Enthaltsamkeit als höchstes Ideal angesehen. Eine Entschärfung lässt sich bereits im Mai erkennen, da eine Aufwertung des ehelichen Standes im Vergleich zum Virginitätsideal beobachtet werden kann. Es fehlt jedoch noch die Kritik an der Ehe als Sakrament. Diese Kritik wird im Oktober 1520 im Zusammenhang mit der Reduktion der Sakramente geäußert. Die reformatorische Auffassung der Ehe formuliert Luther 1522 in seiner Schrift »Vom ehelichen Leben«. Durch die Heirat mit Katharina Bora im Juni 1525 sah er sich gezwungen, seine Ansichten praktisch umzusetzen. Die Hochzeitspredigten aus den Jahren 1528. 1536 und

Luthers Predigten im Kontext

507

1545 spiegeln sein Eheverständnis der Spätphase wieder. Er begründet hierbei die Ehe schöpfungstheologisch als den ältesten von Gott eingesetzten Stand. Diese Einsetzung erfolgte durch die Verbindung zwischen Adam und Eva. Die Ehe versteht Luther als rein und heilig, wenngleich dem Geschlechtsakt etwas Unreines anhafte. Die Funktion der Ehe bestehe zum einen darin, vor der Unreinheit der Untreue zu schützen. Denn der Teufel habe dem Menschen den Sexualtrieb eingepflanzt, der zur Hurerei führen könne. Eine weitere Funktion der Ehe sieht Luther im Zeugen von Kindern. Dabei vergleicht Luther die Ehe mit der Partnerschaft zwischen Christus und dem Gläubigen, was als Rezeption der spätmittelalterlichen Brautmystik gedeutet werden kann. Den Zölibat lehnt Luther nicht vollständig ab, jedoch sei er für Menschen gedacht, die auch keusch leben könnten. Für diejenigen, die es nur behaupten und nicht tun, sei der Zölibat absurd. Weitere Themen spielen in den Predigten eine Rolle: Gott als Schöpfer, die Sündigkeit des Menschen, Leiden und Auferstehung Jesu Christi, der Amtsbegriff im Sinne eines Priestertums aller Gläubigen, das Abendmahlsverständnis, die Endzeit, die Nachfolge Christi, die guten Werke und weitere ethische Fragen: All dies zeigt die Reichweite seines theologischen Denkens auf der Kanzel. Durch das gesprochene Wort konnte er seine Theologie ausprobieren und weiterentwickeln. Die Kanzel hat für Luther den Charakter einer Werkstatt. Die Predigt ist die herausgehobene Konkretionsform seiner Theologie.

2. Die inhaltlichen Eigenarten Luthers als Prediger Nachdem die Ergebnisse der viermaligen Kontextualisierung gebündelt wurden, sollen abschließend die Eigentümlichkeiten der Darlegung seiner Inhalte zusammengefasst werden. Sie werden durch vier Aspekte geprägt, die in der Kombination den Stil Luthers als Prediger ausmachen: die apologetische Kritik an seinen Gegnern, die affektreiche Bildsprache, der virtuelle Dialog und die schriftauslegende Erfahrungstheologie. 2.1 Die Predigt als apologetische Kritik an seinen Gegnern Kaum eine Predigt kommt bei Luther ohne polemische Züge aus. Dabei lassen sich drei Klassen von Gegnern unterscheiden. Die erste betrifft die literarischen Gegner. So sieht sich Luther in der Wittenberger Predigt vom 25. Dezember 1514 dem Logiker Pierre d’Ailly überlegen. In der Bornaer Predigt vom 27. April 1522 verwirft er den Gerechtigkeitsbegriff, wie ihn Thomas von Aquin vor dem Hintergrund von Aristoteles formuliert hat. Und in der Bornaer Doppelpredigt vom 3. Mai 1522 grenzt er sich von der Trias der Verehrung Gottes (latria), der Heiligen (dulia) und der besonderen Verehrung der Mutter Gottes

508

Schluss

(hyperdulia) von Thomas von Aquin ab, worin er die Anbetung von Reliquien als begründet ansieht. Die zweite Kategorie umfasst die verallgemeinerten Gegner. Hier hat Luther typologische Vertreter der Papstkirche vor Augen. So kann er gegen den Hochmut der Mönche wettern, wie er es in der Weimarer Obrigkeitspredigt vom 24. Oktober 1522 und in der Dessauer Taufpredigt vom 2. April 1540 macht. Oder er geht gegen die falschen Bischöfe vor, wie es in der Naumburger Predigt vom 20. Januar 1542 der Fall ist. Oder er kritisiert die »faulen« Prediger der Papstkirche, die sich als Meister der Schrift aufspielen, wie Luther es in der Wörlitzer Predigt vom 24. November 1532 ausführt. Im Zentrum jedoch steht immer wieder der Gläubige, der sich vergeblich bemüht, durch fromme Werke wie Ablass, Reliquienkult oder Bilderverehrung Gnade von Gott zu empfangen. Exemplarisch entfaltet er dies in der Wittenberger Predigt vom 19. März 1518 und in der Kemberger Predigt vom 22. Oktober 1534. Weil hinter den Verfehlungen des Menschen der Teufel stecke, macht Luther auch ihn immer wieder zum Gegner, wie es der Bornaer Predigt vom 16. April 1530 sowie den Eislebener Predigten vom 31. Januar und vom 7. Februar 1546 zu entnehmen ist. Die dritte Kategorie bezieht sich auf konkrete Personen. Hier lässt sich ein Wandel der Gegnerschaft ausmachen. Zunächst konzentriert sich Luther auf seine Kritik am Papst. Dies erfolgt exemplarisch in der Leipziger Predigt vom 29. Juni 1519. Ab dem Jahr 1522 richtet er seine Kritik auch an innerevangelische Gegner. In der Zwickauer Predigt vom 2. Mai greift er die Zwickauer Propheten als Anhänger von Nikolaus Storch an. In der Kemberger Predigt vom 22. Oktober 1534 nimmt er Karlstadt ins Visier. In der Coburger Predigt vom 16. April 1530 wendet er sich gegen die Wiedertäufer im Umfeld von Melchior Rinck. Gegen Ende seines Lebens wendet er sich auf der Kanzel vermehrt gegen die Juden, wobei er hier die konkrete Situation in Eisleben 1546 vor Augen hat.

2.2 Die Predigt als affektreiche Bildsprache Während Luther in den frühen Erfurter Predigten eher Distinktionen in nüchterner scholastischer Manier entfaltet, fließt bereits in der Gothaer Predigt vom 1. Mai 1515 bildhafte Sprache ein, die gezielt Affekte bei den Zuhörenden erzeugen will. Dabei lotet er die Grenzen des Möglichen aus, indem er sich in der Unappetitlichkeit der Bilder immer wieder selbst überbietet. Er scheint von seinen Worten so angewidert zu sein, dass er seine Predigt mit Ausrufen wie »ein schauerlicher Gedanke« oder »Pfui, pfui!« begleitet. In der Merseburger Traupredigt vom 4. August 1545 scheut sich Luther nicht, über den »Rotz«, »Unflat« und »Ausstoß« bei Kindern zu predigen. Und in der Predigt vom 7. Februar betrachtet er angeekelt seinen eigenen körperlichen Verfall. In plastischer Weise beschreibt er die Unreinheit des Leibes. Innerlich sei der Körper voller Rotz, Schnodder, Geschwüre, Eiter, Mist, Unflat und Gestank, äußerlich mit Schorf

Luthers Predigten im Kontext

509

und Ausschlag versehen, verlaust, schäbig und mit triefenden sowie buttrigen Augen und Ohren. Luthers Absicht kann aber auch darin bestehen, bewusst positive Affekte bei den Zuhörenden zu erzeugen. So versetzt er die Gemeinde in der Bornaer Doppelpredigt vom 27. April 1522 in den emotionalen Umschwung von Furcht zur Freude, die die Jünger beim Erscheinen des auferstandenen Christus durchlebten. Oder er beschreibt in der Coburger Predigt vom 16. April 1530 das Leiden als Nachfolger Christi, dass sich in süße Freude angesichts des ewigen Lebens wandele. Luthers Kanzelworte sind geprägt von einer bildhaften Sprache. Seine Anspielungen richten sich an das allgemeine Wissen seiner Zuhörenden. Dabei verwendet er auch oft Beispiele aus der Alltagswelt der Gemeinde, wenn er beispielsweise in der Coburger Predigt vom 16. April 1530 das Verhalten eines Kaufmanns, Jägers oder Kriegsmanns thematisiert. Gerne veranschaulicht er seine Gedanken durch Beispiele, Redewendungen, Legenden oder Sagen. So vergleicht er in der Torgauer Vormittagspredigt vom 5. Oktober 1544 die Demut Aschenbrödels mit Mutter Maria. In der Kemberger Vormittagspredigt vom 11. Juli 1529 spricht er über »Gebhart« und »Nehmhart«, die für die personalisierten Eigenschaften für Großzügigkeit und Geiz stünden. Selbst Lautmalereien verwendet Luther manches Mal auf der Kanzel. So lässt er sich in der Bornaer Doppelpredigt vom 27. April 1522 dazu hinreißen, dass Gequake von Fröschen nachzuahmen. Doch auch pädagogische Aspekte leitet sein Predigttätigkeit in Bildern. In der Nachmittagspredigt am selben Tag wird der Kirchenraum bewusst in die Predigt miteinbezogen, indem er seine Gedanken durch eine vermutlich dort hängende Katechismustafel veranschaulicht. Oder er weist in der Predigt vom 16. April 1530 in der Coburger St. Moritzkirche auf ein Gemälde vom Märtyrer Christophorus hin, um über die Aufgabe eines jeden Christen als »Kreuzesträger« nachzudenken.

2.3 Die Predigt als virtueller Dialog Luther bindet die Gemeinde ein, indem er mit ihr in einen virtuellen Dialog tritt. Der Gedankengang wird nicht durch die säuberliche Trennung von Argumenten aus der Vernunft, der Bibel oder den kirchlichen Autoritäten entfaltet. Auch rückt die Auslegung eines Verses mittels der Zirkumstanzen-Methode durch die Unterscheidung in Subjekt, Objekt, Beweggrund und Zweck, wie noch in der Erfurter Pfingstpredigt 1510/11 erfolgt, in den Hintergrund. Vielmehr reflektiert er seine Gedanken in freier Weise, indem er die Erwartung der Hörenden antizipiert. Drei Formen eines solchen virtuellen Dialogs können unterschieden werden. Die erste bezieht sich auf die Inszenierung eines Selbstgesprächs. Exemplarisch erfolgt eine solche Darbietung in der Weimarer Predigt vom 25. Oktober 1522. Dabei stellt Luther Behauptungen auf und formuliert danach die an sich selbst gerichteten Einwände, denen er dann erneut wi-

510

Schluss

derspricht. So erleben die Zuhörenden eigentlich nicht nur einen Luther, sondern zwei auf der Kanzel, deren Wettstreit man aufmerksam verfolgt. Die zweite Form des virtuellen Dialogs betrifft das Gespräch Luthers mit der Gemeinde. Er entfaltet seine Ansichten dadurch, dass er mögliche Einwände aufgreift, die den Zuhörenden beim Hören der Worte in den Sinn kommen könnten. Damit tritt er in den direkten Kontakt mit der Gemeinde. Bereits in seinen frühen Erfurter Predigten 1509/11 lässt sich dies erkennen. So formuliert er bereits in seiner Predigt über die Goldene Regel (Mt. 7, 12) bereits mögliche Einwände und stellt daraufhin virtuelle Gegenfragen zur Abschwächung aufkommender Bedenken. Oder er tritt in der frühen Erfurter Pfingstpredigt 1510/11 in einen virtuellen Dialog und nimmt dabei die Rolle seines Gegenübers ein. In der Kemberger Nachmittagspredigt vom 7. April 1523 wählt er die Form eines Beispieldialogs, bei dem er Zuhörende anspricht, die weiterhin auf fromme Taten setzen. Durch ein Spiel mit direkt formulierten Gegenfragen versucht er, die Zweifler auf seine Seite zu bringen, wie etwa: Müsstest du nicht vielmehr Gutes tun als vermeintlich fromme Werke zu verrichten? Was richtest du mit deinen Taten schon aus, wenn bereits ein solch bedeutender Mensch wie Christus alles zur Genüge geleistet hat? Wozu eigentlich die Vielzahl der Messen? Bringst du mit deiner Haltung nicht zum Ausdruck, dass du nicht willst, dass Christus alles allein zu vollbringen vermag? In der Merseburger Traupredigt geht er auf den Zölibat ein und entfaltet hierzu einen Dialog zwischen sich und einem Geistlichen, der ihm vorhält, dass man das Gelübde nicht brechen dürfe, worauf Luther erwidert, warum er dann aber dennoch das Gelübde breche. Und in seiner Eislebener Predigt vom 7. Februar 1546 begibt sich Luther virtuell in ein Duell mit einem Gläubigen über das Thema, ob er wahrhaft an Gott glaube. Die dritte Form des virtuellen Dialogs ist die Inszenierung eines Gesprächs zwischen zwei Personen, die zumeist der Bibel entnommen sind. So lässt er in der Leipziger Predigt vom 24. Mai 1539 Judas und Jesus miteinander sprechen. Oder er erinnert an ein Streitgespräch zwischen Augustin und einem Heiden, wie es in der Weimarer Obrigkeitspredigt vom 25. Oktober 1522 der Fall ist. Durch diesen schnell aufeinanderfolgenden Rollenwechsel, der in kaum einer Predigt fehlt, gewinnt die Kanzelberedsamkeit Luther an Lebendigkeit, die zu einer erhöhten Aufmerksamkeit bei den Zuhörenden führt.

2.4 Die Predigt als schriftauslegende Erfahrungstheologie Der Ausdruck »schriftauslegende Erfahrungstheologie« kennzeichnet die Luther eigene Verbindung von Auslegung der Bibel auf der einen und theologischer Unterscheidungskunst auf Grundlage seiner Glaubenserfahrungen auf der anderen. Einzelne Bibelstellen dienen ihm weniger als autoritativ gesetzte Schriftbelege, die er in der Predigt zitieren will, sondern stehen stellvertretend

Luthers Predigten im Kontext

511

für bestimmte Gedanken. Exemplarisch lässt sich dies im Vergleich zwischen Luthers eigenen Notizen und dem Druck der Coburger Predigt vom 16. April 1530 erkennen. Ihm geht es darum, einen ganz eigenen Zugang zu dem jeweiligen Bibelwort zu finden. Im Vergleich der Predigten über die gleiche Perikope lässt sich eine persönliche Auslegungsgeschichte eines Bibeltextes erkennen, der von Kontinuität und Wandel geprägt ist. Immer wieder werden neue Aspekte ein und derselben Geschichte entdeckt und auf der Kanzel mit der Gemeinde geteilt. Immer erneut fühlt er sich in die Situation und Innenwelt der im Predigttext vorkommenden Personen ein. So bildet sich ein Substrat an Gedanken, ohne dabei zu einem Abschluss zu kommen und mit dem beständigen Willen, das Neue im Bibeltext zu finden. In diesem Sinne sind seine Kanzelreden »schriftauslegende Predigt«, bei der sich die Gebundenheit an die Heilige Schrift und die Freiheit im Umgang mit der Bibel die Waage halten. Seine Predigten sind von dem immerwährenden Bestreben geprägt, den lebendigen Geist in der Schrift zu finden. Um solche individuellen und persönlichen Zugänge zu jedem einzelnen Bibeltext zu finden, wendet er seine ihm eigene theologische Unterscheidungskunst an. Die Schriftauslegung vollzieht sich dabei mithilfe von Begriffspaaren, beispielhaft: »vor Gott und vor dem Menschen« (coram deo et coram homine) in der Leipziger Predigt vom 29. Juni 1519, »Gesetz und Evangelium« in der Bornaer Predigt vom 27. April 1522, »Glaube und Liebe« in der Altenburger Doppelpredigt einen Tag später, »Buße und Vergebung« in der Kemberger Predigt vom 7. April 1523, »innerer und äußerer Mensch« in der Bornaer Predigt vom 16. April 1530, »menschliche und göttliche Gerechtigkeit« am selben Ort einen Tag später, »falscher und wahrer Gottesdienst« in der Wörlitzer Predigt vom 24. November 1532, »Reinheit und Unreinheit« in der Merseburger Traupredigt vom 4. August 1545, »Weisheit und Torheit« in seiner letzten Predigt am 14. oder 15. Februar 1546. Seine theologische Unterscheidungskunst beruht allerdings nicht auf dem bloßen Spiel mit logischen Figuren. Seine antithetischen Denkstrukturen, dialektischen Formulierungen und antinomisch verfassten Begrifflichkeiten bringen seine ganz persönliche Erfahrungswelt als gläubigen Christen zum Ausdruck. Sie basieren auf seinen tiefsten religiösen Einsichten. Eine Theologie ohne Erfahrung wäre für ihn blind und Erfahrungen ohne theologische Reflexion wären für ihn leer, weil sie die Tiefe der eigenen Existenz nicht ergründen könnten. Betrachtet man diese vier Eigenheiten Luthers als Prediger, die apologetische Kritik an seinen Gegnern, die affektreiche Bildsprache, den virtuellen Dialog und die schriftauslegende Erfahrungstheologie, so zielen sie darauf ab, nicht »über« Gott und die Welt, sondern »mit« ihnen zu sprechen. Luther als Prediger ist stets bestrebt, auf der Kanzel den Abstand zwischen sich, dem Bibeltext und der Gemeinde zu verringern. In Anlehnung an Søren Kierkegaard könnte man

512

Schluss

sagen: Das Wesen seiner reformatorischen Predigt auf der Kanzel besteht in der »Gleichzeitigkeit« des »Ungleichzeitigen«. Luther wird zeit seines Lebens nicht müde, seine theologischen Themen immer wieder erneut zu formulieren, ohne sich dabei in Gedankenlosigkeit zu verlieren. Erst in seinen letzten Tagen merkt man die zunehmende Schwäche seiner Wortgewalt aufgrund seines hohen Alters. Am Ende seiner Tage spricht er sich selbst in der Predigt Trost zu. Damit bindet sich Luther auf ganz anrührende Weise selbst als Angesprochener in seine eigenen Worte mit ein. Luther ist hier Sprecher und Zuhörer seiner Predigten zugleich! Von Luther als Prediger ist immer noch vieles zu lernen. Seine Einsicht gilt bis heute: »Lange predigen ist kein Kunst, aber recht vnd wol predigen, lheren, hoc opus, hic labor est«.2

  Vgl. WA T 3; 309,16f.

2

Anhang

Übersicht der überlieferten Predigten außerhalb Wittenbergs 1. Chronologisch sortiert Datum

Ort

Quelle in WA

Hilfsbuch

Entweder vor dem 20.5.1510 oder vor dem 9.6.1511

Erfurt

WA 4; 590–595; BoA 5; 20–26

Pr. 1

20.5.1510 oder 9.6.1511

Erfurt

Joh. 3, 16 Pfingstmontag

WA 4; 595–604; BoA 5; 26–37

Pr. 5

1512

22.6.1512

Ziesar, Schloss

Auftragspredigt »Sermo praescriptus praeposito in Litzka«

WA 1; 10–17

Nr. 345

1515

1.5.1515

Gotha

Ps. 112, 5 »Sermon auf dem Ordenkapitel«

WA 1; 44–52

Pr. 11

1518

29.9.1518

Weimar

Mt. 18, 1–11

WA B 1; 283–287

Nr. 478

1519

29.6.1519

Leipzig

Mt. 16, 13ff

WA 2; 241. 244–249

Nr. 476

1510

Thema

27.12.1519

Kemberg

Joh. 21, 22

WA 9; Nr. 24, 443

Pr. 90

1521

7.4.1521

Erfurt, Augustinerkloster

Joh. 20, 19ff

WA 7; 803. 808–813

Nr. 203

1522

27.4.1522

Borna

Joh. 20, 19ff

WA 10 III; Nr. 15, 86–93

Nr. 685

27.4.1522

Borna

Joh. 20, 21ff

WA 10 III; Nr. 16, 94–99

Nr. 685

28.4.1522

Altenburg

Röm. 10, 9ff

WA 10 III; Nr. 17, 99–101

Pr. 205

28.4.1522

Altenburg

Von den guten Werken

WA 10 III; Nr. 18, 101–103

Pr. 206

30.4.1522

Zwickau, Marienkirche

Vom Glauben und den guten Werken

WA 10 III; Nr. 19, 103–106

Pr. 207

516

1523

1525

Anhang 30.4.1522

Zwickau, Marienkirche

Vom Glauben, der Liebe und den guten Werken

WA 10 III; Nr. 20, 106–108

Pr. 208

1.5.1522

Zwickau, Markt

Von dem wahren Weg zu Gott

WA 10 III; Nr. 21, 109–111

Pr. 209

2.5.1522

Zwickau, Katharinenkirche

Von verschiede- WA 10 III; Nr. 22, nen Materien 111–112

Pr. 210

3.5.1522

Borna

Vom heiligen Kreuze

WA 10 III; Nr. 23, 113–119

Nr. 685

4.5.1522

Borna

Joh. 10, 12

WA 10 III; Nr. 24, 120–124

Nr. 685

19.11.1522

Weimar, Schloss

Mt. 22, 37

WA 10 III; Nr. 50, 341–346

Pr. 239

19.11.1522

Weimar, Pfarrkirche

Mt. 22, 37

WA 10 III; Nr. 51, 347–352

Pr. 240

21.11.1522

Erfurt, Michaeliskirche

Mt. 25, 1ff

WA 10 III; Nr. 52, 352–361

Nr. 251

22.11.1522

Erfurt, Kaufmannskirche

Mk. 16, 15

WA 10 III; Nr. 53, 361–371

Nr. 390

24.11.1522

Weimar, Schloss

Mt. 3, 2

WA 10 III; Nr. 54, 371–379

Pr. 243

25.11.1522

Weimar, Schloss

Von weltlicher Obrigkeit

WA 10 III; Nr. 55, 379–385

Pr. 244

26.11.1522

Weimar, Pfarrkirche

WA 10 III; Nr. 56, 386–393

Pr. 245

26.11.1522

Weimar, Pfarrkirche

WA 10 III; Nr. 57, 394–399

Pr. 246

7.4.1523

Kemberg

Lk. 24, 36ff

WA 11; Nr. 11, 87–91; WA 12; Nr. 11, 506–517

Nr. 443

7.4.1523

Kemberg

Lk. 24, 36ff

WA 11; Nr. 11a, 92–94

Pr. 295

2.4.1525

Kemberg

Joh. 8, 46ff

WA 17 I; Nr. 25, 167–170

Pr. 593

517

Predigtregister 13.4.1525

»in proximo pago« (in einem nahen Dorf)

1. Kor. 11, 23ff

WA 17 I; Nr. 27, 173–177

Pr. 595

1528

26.10.1528

Lochau bei der Hochzeit von Michael Stifel

Mt. 22, 1ff

WA 27; Nr. 77, 383–390

Pr. 888

1529

11.7.1529

Kemberg

Mk. 8, 1ff

WA 29; Nr. 53, 468–471

Pr. 1060

11.7.1529

Kemberg

Credo

WA 29; Nr. 54, 471–473

Pr. 1061

26.9.1529

Gotha (Hinweg nach Marburg)

Mt. 22, 34ff

WA 29; Nr. 66, 559–561

Pr. 1073

5.10.1529

Marburg Vormittags

Mt. 9, 1ff

WA 29; Nr. 67, 562. 564–582

Nr. 245

11.10.1529

Erfurt (Franziskanerkirche)

Joh. 5,44

WA 29; Nr, 68, 582–586

Pr. 1075

12.10.1529

Jena

Lk. 12,13ff

WA 29; Nr. 69, 587–591

Pr. 1076

16.4.1530

Coburg

Joh., 8,46ff (Ostersonnabend)

WA 32; Nr. 6, 28–39

Nr. 391

17.4.1530

Coburg

Vom Nutzen der Auferstehung (Ostersonntag am Vormittag)

WA 32; Nr. 7, 39–47

Pr. 1114

17.4.1530

Coburg

Mk. 16, 1ff (Ostersonntag am Nachmittag)

WA 32; Nr. 8, 47–54

Pr. 1115

18.4.1530

Coburg

Lk. 24, 19ff (Ostermontag am Nachmittags)

WA 32; Nr. 9, 55–65

Pr. 1116

20.4.1530

Coburg

Joh. 21, 1ff

WA 32; Nr. 10, 66–76

Pr. 1117

21.4.1530

Coburg

Joh. 20, 11–18 Maria Magdalena

WA 32; Nr. 11, 76–93

Nr. 340

1530

518

1531

1532

1533

1534

Anhang 15.9.1530

Coburg

Lk. 10, 23ff

WA 32; Nr. 12, 94–105

Pr. 1119

21.9.1530

Coburg

Mt. 9, 9ff

WA 32; Nr. 13, 105–111

Pr. 1120

29.9.1530

Coburg

Von den Engeln (Michaelistag)

WA 32; Nr. 14, 111–121

Nr. 192

2.10.1530

Coburg

Mt. 22, 34; Lk. 7, 11ff

WA 32; Nr. 15, 121–126

Nr. 1122

3.8.1531

Torgau

Mt. 22, 41ff

WA 34 II; Nr. 72, 53–74

Nr. 484

4.8.1531

Torgau

Mt. 22, 41ff

WA 34 II; Nr. 73, 75–79

Pr. 1264

19.8.1531

Kemberg

Tit. 2, 13ff

WA 34 II; Nr. 76, 108–137

Nr. 289

15.10.1531

Kemberg

Mt. 9,1ff

WA 34 II; Nr. 93, 329–336

Pr. 1284

15.7.1532

Pretzsch

Ps. 65 (Zur Taufe des Sohnes von Hans Löser)

WA 36; Nr. 29, 217–219

Pr. 1333

8.8.1532

Niemeck

Von der Taufe (Vielleicht Haus Cordatus)

WA 36; Nr. 36, 228–232

Pr. 1377

24.11.1532

Wörlitz

1. Tim. 1,5ff

WA 36; 352–375

Nr. 724

16.4.1533

Torgau

2. Artikel

WA 37; Nr. 13–15, 35–72

Nr. 308

17.4.1533

Torgau

2. Artikel

WA 37; Nr. 13–15, 35–72

Nr. 308

12.7.1533

Jessen

Lk. 6, 36ff

WA 37; Nr. 26, 103–108

Pr. 1411

27.7.1533

Pretzsch

Mk. 8, 1ff

WA 37; Nr. 29, 115–123

Pr. 1414

12.9.1533

Schweinitz

Lk. 10, 23ff

WA 37; Nr. 35, 141–146

Pr. 1420

1.10.1533

Lochau

Mt. 18, 1ff

WA 37; Nr. 39, 154–158

Pr. 1424

2.10.1533

Lochau

Mt. 18, 1ff

WA 37; Nr. 40, 159–163

Pr. 1425

3.10.1533

Lochau

Mt. 18, 1ff

WA 37; Nr. 41, 163–167

Pr. 1426

5.6.1534

Dessau

Ps. 65

WA 37; Nr. 41, 425–450

Nr. 608

19.7.1534

Dessau

Mk. 8, 1ff

WA 37; Nr. 48, 484–486

Pr. 1495

26.7.1534

Dessau

Mt. 7, 15

WA 37; Nr. 49, 486–493

Pr. 1496

26.7.1534

Dessau

Mt. 7, 16ff

WA 37; Nr. 50, 493–498

Pr. 1497

28.7.1534

Dessau

Mt. 7, 21ff

WA 37; Nr. 51 498–504

Pr. 1498

22.10.1534

Kemberg

Lk. 5, 1ff

WA 37; Nr. 62, 555–560

Pr. 1509

1535

20.8.1535

Kemberg

Eph. 6, 1ff

WA 41; Nr. 45, 404–410

Pr. 1565

1536

27.2.1536

Torgau

Vom Ehestand (Hochzeit Philipps von Pommern)

WA 41; Nr. 6, 516–520

Pr. 1587

519

Predigtregister

1537

24.4.1536

Eilenburg

Eph. 5. ,22ff (Hochzeit Caspar Crucigers)

WA 41; Nr. 12, 547–563

Pr. 1593

25.4.1536

Eilenburg

1. Joh. 5, 4

WA 41; Nr. 13, 563–568

Pr. 1594

12.9.1536

Torgau

Lk. 10, 23ff

WA 41; Nr. 33, 663–667

Pr. 1614

15.9.1536

Lichtenberg

Ps. 4

WA 41; Nr. 34, 668–675

Pr. 1615

1.10.1536

Torgau

Lk. 7, 11ff

WA 41; Nr. 38, 688–693

Pr. 1619

2.10.1536

Torgau

Lk. 7, 11ff

WA 41; Nr. 39, 693–696

Pr. 1620

21.12.1536

Lichtenberg

Ps. 4

WA 41; Nr. 50 736–739

Pr. 1631

11.2.1537

Schmalkalden

Von den drei Artikeln

WA 45; Nr. 4, 11–24

Nr. 255

18.2.1537

Schmalkalden

Mt. 4,1ff

WA 45; Nr. 5, 25–47

Nr. 464

2.10.1537

Lochau

Mt. 22,34ff

WA 45; Nr. 30, 157–161

Pr. 1661

27.10.1537

Kemberg

Mt. 18,1ff

WA 45; Nr. 37, 190–194

Pr. 1668

1539

24.5.1539

Leipzig, Pleißenburg

Joh. 14,23ff

WA 47; Nr. 23, 772–779

Nr. 331

1540

1.4.1540

Dessau

Mt. 3,1ff Von der Taufe (Bernhard von Anhalt)

WA 49; Nr. 24, 111–124

Nr. 74

2.4.1540

Dessau

Von der Taufe (Taufe von Bernhard von Anhalt)

WA 49; Nr. 25, 124–135

Nr. 74

4.4.1540

Dessau

Joh. 20, 19ff

WA 49; Nr. 26, 135–142

Nr. 74

1541

16.1.1541

Dessau

Mt. 3, 1ff

WA 49; Nr. 6, 216–220

Pr. 1936

1542

20.1.1542

Naumburg

Einführung Nikolaus v. Amsdorf

WA 49; XXVI –XXIX (Skizze)

1544

5.10.1544

Torgau

Lk. 14, 1ff (Einweihung der Schlosskirche)

WA 49; Nr. 35, 588–615

Nr. 183

5.10.1544

Torgau

Eph. 4, 1ff

WA 49; Nr. 36, 615–620

Pr. 1982

4.8.1545

Merseburg

Hebr. 13, 4 (Hochzeit von Sigmunds von Lindenau)

WA 49; Nr. 19, 797–805

Nr. 602

1545

520

1546

Anhang 5.8.1545

Halle

Joh. 5, 39

WA 51; Nr. 20, 1–11

Nr. 323

6.8.1545

Merseburg

Ps. 8

WA 51; Nr. 21, 11–22

Nr. 602

12.8.1545

Leipzig, Paulinerkirche

Lk. 19, 41ff

WA 51; Nr. 22, 22–41

Nr. 481

6.1.1546

Halle

Mt. 3, 13–17

WA 51; Nr. 1, 107–117

Nr. 462

26.1.1546

Halle

Apg. 9, 1–19

WA 51; Nr. 4, 135–148

Nr. 462

31.1.1546

Eisleben

Mt. 8, 23–27

WA 51; Nr. 5, 148–163

Nr. 185

2.2.1546

Eisleben

Lk. 2, 22–32

WA 51; Nr. 6, 163–173

Nr. 185

7.2.1546

Eisleben

Mt. 13, 24–30

WA 51; Nr. 7, 173–187

Nr. 185

14. oder 15. 2.1546

Eisleben

Mt. 11,25–30

WA 51; Nr. 8, 187–196

Nr. 185

521

Predigtregister

2. Nach Orten sortiert

Ort

Zeit

Thema

WA

Hilfsbuch

Altenburg

28.4.1522

Röm. 10, 9ff

WA 10 III; Nr. 17, 99–101

Pr. 205

Altenburg

28.4.1522

Von den guten Werken

WA 10 III; Nr. 18, 101–103

Pr. 206

Borna

27.4.1522

Joh. 20, 19ff

WA 10 III; Nr. 15, 86–93

Nr. 685

Borna

27.4.1522

Joh. 20, 21ff

WA 10 III; Nr. 16, 94–99

Nr. 685

Borna

3.5.1522

Vom heiligen Kreuze

WA 10 III; Nr. 23, 113–119

Nr. 685

Borna

4.5.1522

Joh. 10, 12

WA 10 III; Nr. 24, 120–124

Nr. 685

Coburg

16.4.1530

Joh. 8, 46ff (Ostersonnabend)

WA 32; Nr. 6, 28–39

Nr. 391

Coburg

17.4.1530

Vom Nutzen der Auferstehung (Ostersonntag am Vormittag)

WA 32; Nr. 7, 39–47

Pr. 1114

Coburg

17.4.1530

Mk. 16, 1ff (Ostersonntag am Nachmittag)

WA 32; Nr. 8, 47–54

Pr. 1115

Coburg

18.4.1530

Lk. 24, 19ff (Ostermontag am Nachmittag)

WA 32; Nr. 9, 55–65

Pr. 1116

Coburg

20.4.1530

Joh. 21, 1ff

WA 32; Nr. 10, 66–76

Pr. 1117

Coburg

21.4.1530

Joh. 20, 11–18 Maria Magdalena

WA 32; Nr. 11, 76–93

Nr. 340

Coburg

15.9.1530

Lk. 10, 23ff

WA 32; Nr. 12, 94–105

Pr. 1119

Coburg

21.9.1530

Mt. 9, 9ff

WA 32; Nr. 13, 105–111

Pr. 1120

Coburg

29.9.1530

Von den Engeln (Michaelistag)

WA 32; Nr. 14, 111–121

Nr. 192

Coburg

2.10.1530

Mt. 22, 34; Lk. 7, 11ff

WA 32; Nr. 15, 121–126

Nr. 1122

522

Anhang

Dessau

5.6.1534

Ps. 65

WA 37; Nr. 41, 425–450

Nr. 608

Dessau

19.7.1534

Mk. 8, 1ff

WA 37; Nr. 48, 484–486

Pr. 1495

Dessau

26.7.1534

Mt. 7, 15

WA 37; Nr. 49, 486–493

Pr. 1496

Dessau

26.7.1534

Mt. 7, 16ff

WA 37; Nr. 50, 493–498

Pr. 1497

Dessau

28.7.1534

Mt. 7, 21ff

WA 37; Nr. 51 498–504

Pr. 1498

Dessau

1.4.1540

Mt. 3, 1ff Von der Taufe (Bernhard von Anhalt)

WA 49; Nr. 24, 111–124

Nr. 74

Dessau

2.4.1540

Von der Taufe (Taufe von Bernhard von Anhalt)

WA 49; Nr. 25, 124–135

Nr. 74

Dessau

4.4.1540

Joh. 20, 19ff

WA 49; Nr. 26, 135–142

Nr. 74

Dessau

16.1.1541

Mt. 3, 1ff

WA 49; Nr. 6, 216–220

Pr. 1936

Eilenburg

24.4.1536

Eph. 5, 22ff (Hochzeit Caspar Crucigers)

WA 41; Nr. 12, 547–563

Pr. 1593

Eilenburg

25.4.1536

1. Joh. 5, 4

WA 41; Nr. 13, 563–568

Pr. 1594

Eisleben

31.1.1546

Mt. 8, 23–27

WA 51; Nr. 5, 148–163

Nr. 185

Eisleben

2.2.1546

Lk. 2, 22–32

WA 51; Nr. 6, 163–173

Nr. 185

Eisleben

7.2.1546

Mt. 13, 24–30

WA 51; Nr. 7, 173–187

Nr. 185

Eisleben

14. oder 15.2.1546

Mt. 11, 25–30

WA 51; Nr. 8, 187–196

Nr. 185

Erfurt

vor dem 20.5.1510 oder 9.6.1511

WA 4; 590–595; Cl. 5, 20–26

Pr. 1

Erfurt

20.5.1510 oder 9.6.1511

Joh. 3, 16 Pfingstmontag

WA 4; 595–604; Cl. 5, 26–37

Pr. 5

Erfurt, Franziskanerkirche

11.10.1529

Joh. 5, 44

WA 29; Nr, 68, 582–586

Pr. 1075

Erfurt, Augustinerkloster

7.4.1521

Joh. 20, 19ff

WA 7; 803. 808–813

Nr. 203

Erfurt, Kaufmanskirche

22.10.1522

Mk. 16, 15

WA 10 III; Nr. 53, 361–371

Nr. 390

Erfurt, Michaeliskirche

21.10.1522

Mt. 25, 1ff

WA 10 III; Nr. 52, 352–361

Nr. 251

523

Predigtregister Gotha

1.5.1515

Ps. 112, 5 »Sermon auf dem Ordenkapitel«

WA 1; 44–52

Pr. 11

Gotha (Hinweg nach Marburg)

26.9.1529

Mt. 22, 34ff

WA 29; Nr. 66, 559–561

Pr. 1073

Halle

5.8.1545

Joh. 5, 39

WA 51; Nr. 20, 1–11

Nr. 323

Halle

6.1.1546

Mt. 3, 13–17

WA 51; Nr. 1, 107–117

Nr. 462

Halle

26.1.1546

Apg. 9, 1–19

WA 51; Nr. 4, 135–148

Nr. 462

Jena

12.10.1529

Lk. 12, 13ff

WA 29; Nr. 69, 587–591

Pr. 1076

Jessen

12.7.1533

Lk. 6, 36ff

WA 37; Nr. 26, 103–108

Pr. 1411

Kemberg

27.12.1519

Joh. 21, 22

WA 9; Nr. 24, 443

Pr. 90

Kemberg

7.4.1523

Lk. 24, 36ff

WA 11; Nr. 11, 87–91; 12, Nr. 11, 506–517

Nr. 443

Kemberg

7.4.1523

Lk. 24, 36ff

WA 11; Nr. 11a, 92–94

Pr. 295

Kemberg

2.4.1525

Joh. 8, 46ff

WA 17 I; Nr. 25, 167–170

Pr. 593

Kemberg

11.7.1529

Mk. 8, 1ff

WA 29; Nr. 53, 468–471

Pr. 1060

Kemberg

11.7.1529

Credo

WA 29; Nr. 54, 471–473

Pr. 1061

Kemberg

19.8.1531

Tit. 2, 13ff

WA 34 II; Nr. 76, 108–137

Nr. 289

Kemberg

15.10.1531

Mt. 9, 1ff

WA 34 II; Nr. 93, 329–336

Pr. 1284

Kemberg

22.10.1534

Lk. 5, 1ff

WA 37; Nr. 62, 555–560

Pr. 1509

Kemberg

20.8.1535

Eph. 6, 1ff

WA 41; Nr. 45, 404–410

Pr. 1565

Kemberg

27.10.1537

Mt. 18, 1ff

WA 45; Nr. 37, 190–194

Pr. 1668

Leipzig

29.6.1519

Mt. 16, 13ff

WA 2; 241. 244–249

Nr. 476

Leipzig, Paulinerkirche

12.8.1545

Lk. 19, 41ff

WA 51; Nr. 22, 22–41

Nr. 481

Leipzig, Pleißenburg

24.5.1539

Joh. 14, 23ff

WA 47; Nr. 23, 772–779

Nr. 331

Lichtenberg

15.9.1536

Ps. 4

WA 41; Nr. 34, 668–675

Pr. 1615

Lichtenberg

21.12.1536

Ps. 4

WA 41; Nr. 50 736–739

Pr. 1631

Lochau

1.10.1533

Mt. 18, 1ff

WA 37; Nr. 39, 154–158

Pr. 1424

Lochau

2.10.1533

Mt. 18, 1ff

WA 37; Nr. 40, 159–163

Pr. 1425

Lochau

3.10.1533

Mt. 18, 1ff

WA 37; Nr. 41, 163–167

Pr. 1426

Lochau

2.10.1537

Mt. 22, 34ff

WA 45; Nr. 30, 157–161

Pr. 1661

Lochau bei der Hochzeit von Michael Stifel

26.10.1528

Mt. 22, 1ff

WA 27; Nr. 77, 383–390

Pr. 888

524

Anhang

Marburg Vormittags

5.10.1529

Mt. 9, 1ff

WA 29; Nr. 67, 562. 564–582

Nr. 245

Merseburg

4.8.1545

Hebr. 13, 4 (Hochzeit von Sigmunds von Lindenau)

WA 49; Nr. 19, 797–805

Nr. 602

Merseburg

6.8.1545

Ps. 8

WA 51; Nr. 21, 11–22

Nr. 602

Naumburg

20.1.1542

Einführung Nikolaus v. Amsdorf

WA 49; XXVI –XXIX (Skizze)

Niemeck

8.8.1532

Von der Taufe (Vielleicht Haus Cordatus)

WA 36; Nr. 36, 228–232

Pr. 1377

Pretzsch

15.7.1532

Ps. 65 (Zur Taufe des Sohnes von Hans Löser)

WA 36; Nr. 29, 217–219

Pr. 1333

Pretzsch

27.7.1533

Mk. 8, 1ff

WA 37; Nr. 29, 115–123

Pr. 1414

Schmalkalden

11.2.1537

Von den drei Artikeln

WA 45; Nr. 4, 11–24

Nr. 255

Schmalkalden

18.2.1537

Mt. 4, 1ff

WA 45; Nr. 5, 25–47

Nr. 464

Schweinitz

12.9.1533

Lk. 10, 23ff

WA 37; Nr. 35, 141–146

Pr. 1420

Torgau

3.8.1531

Mt. 22, 41ff

WA 34 II; Nr. 72, 53–74

Nr. 484

Torgau

4.8.1531

Mt. 22, 41ff

WA 34 II; Nr. 73, 75–79

Pr. 1264

Torgau

16.4.1533

2. Artikel

WA 37; Nr. 13–15, 35–72

Nr. 308

Torgau

17.4.1533

2. Artikel

WA 37; Nr. 13–15, 35–72

Nr. 308

Torgau

27.2.1536

Vom Ehestand (Hochzeit Philipps von Pommern)

WA 41; Nr. 6, 516–520

Pr. 1587

Torgau

12.9.1536

Lk. 10, 23ff

WA 41; Nr. 33, 663–667

Pr. 1614

Torgau

1.10.1536

Lk. 7, 11ff

WA 41; Nr. 38, 688–693

Pr. 1619

Torgau

2.10.1536

Lk. 7, 11ff

WA 41; Nr. 39, 693–696

Pr. 1620

Torgau

5.10.1544

Lk. 14, 1ff (Einweihung der Schlosskirche)

WA 49; Nr. 35, 588–615

Nr. 183

Torgau

5.10.1544

Eph. 4, 1ff

WA 49; Nr. 36, 615–620

Pr. 1982

Weimar

29.9.1518

Mt. 18, 1–11

WA B 1; 283–287

Nr. 478

525

Predigtregister Weimar, Pfarrkirche

26.10.1522

WA 10 III; Nr. 56, 386–393

Pr. 245

Weimar, Pfarrkirche

19.10.1522

WA 10 III; Nr. 51, 347–352

Pr. 240

Weimar, Pfarrkirche

26.10.1522

WA 10 III; Nr. 57, 394–399

Pr. 246

Weimar, Schloss

19.10.1522

Mt. 22, 37

WA 10 III; Nr. 50, 341–346

Pr. 239

Weimar, Schloss

24.10.1522

Mt. 3, 2

WA 10 III; Nr. 54, 371–379

Pr. 243

Weimar, Schloss

25.10.1522

Von weltlicher Obrigkeit

WA 10 III; Nr. 55, 379–385

Pr. 244

Wörlitz

24.11.1532

1. Tim. 1, 5ff

WA 36; 352–375

Nr. 724

Ziesar, Schloss

22.6.1512

Auftragspredigt »Sermo praescriptus praeposito in Litzka«

WA 1; 10–17

Nr. 345

Zwickau, Katharinenkirche

2.5.1522

Von verschiedenen Materien

WA 10 III; Nr. 22, 111–112

Pr. 210

Zwickau, Marienkirche

30.4.1522

Vom Glauben und den guten Werken

WA 10 III; Nr. 19, 103–106

Pr. 207

Zwickau, Marienkirche

30.4.1522

Vom Glauben, der Liebe und den guten Werken

WA 10 III; Nr. 20, 106–108

Pr. 208

Zwickau, Markt

1.5.1522

Von dem wahren Weg zu Gott

WA 10 III; Nr. 21, 109–111

Pr. 209

in proximo pago (in einem nahen Dorf)

13.4.1525

1. Kor. 11,23ff

WA 17,I, Nr. 27, 173–177

Pr. 595

Mt. 22, 37

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–: Luther und die katholischen Fürsten, in: Erwin Iserloh/Gerhard Müller (Hg.): Luther und die politische Welt. Wissenschaftliches Symposion in Worms vom 27. bis 29. Oktober 1983 (Historische Forschungen 9), Wiesbaden u. a. 1984, 37–63. –: Hochstift und Reformation. Studien zur Geschichte der Reichskirche zwischen 1517 und 1648 (BGRK 16), Stuttgart 1995. –: Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa (QFRG 89), Gütersloh 2015. Wrede, Adolf: Ernst der Bekenner, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Halle 1888. –: Die Einführung der Reformation im Lüneburgischen durch Herzog Ernst den Bekenner, Göttingen 1887. – (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe, Bd. 2, Göttingen 1896. Wriedt, Markus: Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther (VIEG, Abteilung Religionsgeschichte 141), Mainz 1991. Wunder, Heide: Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen im 15. und. 16. Jahrhundert aus sozialgeschichtlicher Sicht, in: Dies./Christina Vanja (Hg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1991, 12–26. Wustmann, Gustav: Aus Leipzigs Vergangenheit. Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, Leipzig 1885. Zager, Werner (Hg.): Martin Luther und die Freiheit, Darmstadt 2010. Žak, Sabine: Das Tedeum als Huldigungsgesang, in: HJ 102 (1982), 1–32. Zerbe, Doreen: Bilder der Leipziger Disputation. Illustration und Interpretation, in: Markus Hein/Armin Kohnle (Hg.): Die Leipziger Disputation von 1519 (HerChr 25), Leipzig 2019, 219–236. Zitzlaff, Ernst: Luther auf der Koburg. Ein Lebens- und Characterbild nach Luthers eigenen Briefen gezeichnet, Wittenberg 1882. Zobel, Johann Carl Heinrich von (Hg.): Das Leben und Wirken der Pastoren und Superintendenten in der königl. sächs. Stadt Borna von der Reformation Luthers bis auf die gegenwärtige Zeit, Borna 1849. Zorzin, Alejandro: Karlstadt als Flugschriftenautor (Göttinger theologische Arbeiten 48), Göttingen 1990. Zschoch, Hellmut: Theologie des Evangeliums in der Zeit. Martin Luthers Postillenwerk als theologisches Programm, in: Albrecht Beutel/Reinhold Rieger (Hg.): Religiöse Erfahrung und wissenschaftliche Theologie, FS für Ulrich Köpf, Tübingen 2011, 575–599. –: Luthers Rede hören und bewahren. Georg Rörers Nachschriften der Predigten des Reformators, in: Stefan Michel/Christian Speer (Hg.): Georg Rörer (1492–1557). Der Chronist der Wittenberger Reformation (LStRLO 15), Leipzig 2012, 125–136. –: Predigten, in: Albrecht Beutel (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 32017, 358–364. Zumkeller, Adolar: Luther und sein Orden, in: Analecta Augustana 25 (1962), 254– 290.

Register Bibelstellen Gen. 1 Gen. 1, 26f Gen. 1, 27 Gen. 1, 28 Gen. 2, 18–24 Gen. 3, 15 Gen. 3, 16 Gen. 9, 21–27 Gen. 21, 9–12 Gen. 24 Gen. 27, 41 Gen. 28, 12 Gen. 37, 18 Gen. 47, 9 Gen. 49, 10 Gen. 49, 15

60, 199 50 404 197, 214 397 469 476 480 480 399 480 163 480 213 475 271

Ex. 13, 12 Ex. 20, 8–11 Ex. 22, 21

474f 440 213

Lev. 12, 1–4 Lev. 12, 6 Lev. 20, 4 Lev. 20, 4f

474 474 258, 381 258

Num. 16, 15 Num. 21, 9 Num. 22, 28

274 142 257

Dtn. 5, 12–15 Dtn. 6, 9 Dtn. 16, 10 Dtn. 26, 10

440 388 271 271

Ri. 19–20

395

1. Sam. 12, 2–3

274

2. Sam. 3, 27 258 2. Sam. 16, 23–17, 23 257

Hi. 1, 21

213

Ps. 1 Ps. 4 Ps. 5 Ps. 5, 5 Ps. 8 Ps. 8, 2 Ps. 9, 13 Ps. 11 Ps. 19 Ps. 22 Ps. 23 Ps. 25, 1 Ps. 25, 8 Ps. 27 Ps. 27, 13 Ps. 27, 14 Ps. 31, 25 Ps. 32, 6 Ps. 34, 15 Ps. 42, 1f Ps. 45, 2 Ps. 45, 8 Ps. 51, 7 Ps. 51, 12 Ps. 64, 7 Ps. 64, 8 Ps. 64, 11 Ps. 65 Ps. 65, 1–6 Ps. 65, 3 Ps. 65, 7 Ps. 65, 7–9 Ps. 65, 8 Ps. 65, 10 Ps. 65, 10–14 Ps. 65, 11 Ps. 68, 19 Ps. 82 Ps. 84 Ps. 84, 4

27, 356 169, 356 5, 355 86 356 403 340 355 10 10 428 356 356 27, 356 63 424, 488 488 60 42 111 46 86 372, 394 333 356 357 357 355f, 359, 497 359 356 356, 359 359 357 359 359 357, 359 355 258 438 438

592

Literatur

Ps. 84, 6 Ps. 112 Ps. 118, 7 Ps. 143, 2

53 69, 355 421 71

Spr. 8, 22–33

60

Hld. 5, 10

223f

Weish. 5, 18 Weish. 5, 21

52 52

Jes. 2, 3 Jes. 9, 5 Jes. 18, 16 Jes. 43, 21–25 Jes. 52, 11 Jes. 52, 11 Jes. 53, 2 Jes. 55, 11

254 421 156 160 407 407 83 151

Jer. 18, 18 Jer. 18, 20

291 274

Klgl. 4, 7

223f

Ez. 26, 7 Ez. 34 Ez. 36, 26

256 428 250

Dan. 11, 38

394

Joel 3, 1f

250

Mi. 6, 1

475

Hab. 3, 8

432

Mt. 3, 1–12 Mt. 3, 1–15 Mt. 3,2 Mt. 3, 13–17 Mt. 4, 17 Mt. 5–7 Mt. 5, 20 Mt. 5, 39 Mt. 5, 40 Mt. 6, 10

370f 245 245 370, 374, 458 86, 245 267 257f 259 259 106

Mt. 7, 12 Mt. 7, 14 Mt. 7, 15 Mt. 8, 23–27 Mt. 9 Mt. 9, 1–7 Mt. 9, 1–8 Mt. 9, 2 Mt. 9, 9–12 Mt. 9, 13 Mt. 10, 34 Mt. 10, 38 Mt. 11, 18f Mt. 11, 18–24 Mt. 11, 20–24 Mt. 11, 25 Mt. 11, 25–29 Mt. 11, 25–30 Mt. 11, 27 Mt. 11, 28 Mt. 12, 28 Mt. 12, 45 Mt. 13, 24–27 Mt. 13, 24–30 Mt. 13, 36–43 Mt. 16, 13–19 Mt. 16, 16 Mt. 16, 16b Mt. 16, 17b Mt. 16, 18 Mt. 16, 19 Mt. 16, 23 Mt. 16, 24 Mt. 17, 27 Mt. 18 Mt. 18–24 Mt. 18, 1 Mt. 18, 1–4 Mt. 18, 1–5 Mt. 18, 2f Mt. 18, 2–5 Mt. 18, 5 Mt. 18, 15 Mt. 18, 19f Mt. 19, 6 Mt. 19, 13–15 Mt. 19, 21 Mt. 20, 20

40-42, 492, 502, 510 252 428, 429 465, 495 215 240 164, 215 164 308 86, 308 255 313, 319 84 486 487 485 486 460f, 478, 485, 495 62, 485, 488 485, 488, 489, 502 46 220 461 255 479 104f 88 106 106, 119 103, 112f, 118 114, 149 88 143, 145 225 225 258 225, 288, 290 225 225 225 225f 226 148 442, 449 390 164 290 258

593

Literatur

Mt. 20, 21 Mt. 21, 1–11 Mt. 22, 1–14 Mt. 22, 11–13 Mt. 22, 34–40 Mt. 22, 41–46 Mt. 25, 14–30 Mt. 25, 31 Mt. 25, 31–46 Mt. 26, 69–74 Mt. 28, 1–10 Mt. 28, 18–20

288 363 169, 385 385 169, 240, 242 169 43 214 43 118f 326 376f, 379

Mk. 1, 15 Mk. 2, 1–12 Mk. 2, 5 Mk. 2, 27 Mk. 5, 41f Mk. 8, 1–9 Mk. 9, 34 Mk. 10, 13–16 Mk. 10, 37 Mk. 14, 1 Mk. 14, 10 Mk. 16, 1–8 Mk. 16, 5 Mk. 16, 16 Mk. 16, 17

245 164 164 440, 449 84 169, 201, 355 288 164 288 446 446 303f, 325f 50 51, 363 52

Lk. 1, 53 Lk. 2, 22–32 Lk. 2, 22–32 Lk. 2, 33–40 Lk. 3, 3 Lk. 4, 1–11 Lk. 5, 1–11 Lk. 5, 6 Lk. 5, 17–26 Lk. 5, 20 Lk. 6, 36–45 Lk. 7, 11–16 Lk. 7, 14f Lk. 9, 1–19 Lk. 9, 46 Lk. 10, 23f Lk. 10, 25–36 Lk. 10, 38ff Lk. 11, 20

110 XIII 473 469 372 439 217 217 164 164f 169 309, 338 84 74 493 288 308, 331 331 258 46

Lk. 14, 5 Lk. 14, 7 Lk. 14, 7–11 Lk. 14, 11 Lk. 15, 11–32 Lk. 16, 19–31 Lk. 18, 15–17 Lk. 18, 31–34 Lk. 18, 35–43 Lk. 22, 24 Lk. 23, 26 Lk. 23, 27f Lk. 23, 31 Lk. 24, 13–35 Lk. 24, 25 Lk. 24, 36–49 Lk. 24, 46–49 Lk. 24, 46f Lk. 24, 47 Lk. 26, 47

442 443 443 445 367 43 164 392, 393 392 288 320 317 311 304 327 192 193, 194 193 195 193

Joh. 1–2 Joh. 1, 1 Joh. 1, 1–3 Joh. 1, 1–14 Joh. 1, 1–17 Joh. 1, 7 Joh. 1, 18 Joh. 3, 1–15 Joh. 3, 15 Joh. 3, 16 Joh. 3, 16b Joh. 4, 46–53 Joh. 6–8 Joh. 8 Joh. 8, 32 Joh. 8, 46 Joh. 8, 46–59 Joh. 8, 56 Joh. 9, 1–41 Joh. 10 Joh. 10, 4f Joh. 10, 5 Joh. 10, 11–16 Joh. 10, 14 Joh. 10, 27 Joh. 11, 1-45

290 59 59 60 58, 503 319 468 133, 429 51 41, 45, 46, 47, 51, 492, 502 51 190 289 199 106 199 199, 495 331 83 150 428 146, 428 428 428 83

594

Literatur

Joh. 11, 1–46 Joh. 11, 3 Joh. 11, 19 Joh. 11, 36 Joh. 11, 41-44 Joh. 11, 49 Joh. 13, 15 Joh. 13, 21ff Joh. 13, 34 Joh. 14 Joh. 14–16 Joh. 14, 6 Joh. 14, 1–6 Joh. 14, 21 Joh. 14, 21b Joh. 14, 23 438, 505 Joh. 14, 23f Joh. 14, 23–31 Joh. 14, 24 Joh. 16 Joh. 16–20 Joh. 16, 16 Joh. 16, 20 Joh. 16, 33 Joh. 19, 19–23 Joh. 19, 23f Joh. 19, 31–37 Joh. 19, 34 Joh. 20, 1–10 Joh. 20, 11–18 Joh. 20, 19ff Joh. 20, 19–22 Joh. 20, 19–23 Joh. 20, 19–31 Joh. 20, 21 Joh. 21, 1–14 Joh. 21, 15–17 Joh. 21, 15–19 Joh. 21, 18 Joh. 21, 19–24 Joh. 21, 22

84 86 84 86 85 488 476 310 156, 161, 476 287 162 162 162 287, 293 288 285, 286, 288, 293,

Apg. 2 Apg. 2,3 Apg. 16, 13 Apg. 20, 8 Apg. 20, 28

284, 286 46 441 441 423, 427, 429, 431,

285 284, 286, 505 285 321 139, 316 313f, 321 312 312f 496 310 310 378 326 304, 330 139 369 133 133, 140, 396 399 304 119 428 190 192 190, 192

Apg. 20, 29

506 428

Röm. 1, 16f Röm. 3, 10f Röm. 3, 24 Röm. 3, 25 Röm. 4, 17b Röm. 5, 5 Röm. 7, 15 Röm. 7, 15–20 Röm. 8 Röm. 8,7 Röm. 8, 17 Röm. 8, 18 Röm. 8, 29 Röm. 10, 9–11 Röm. 10, 10 Röm. 12, 4 Röm. 13 Röm. 13, 1 Röm. 13, 1f Röm. 15, 2

137 106 106 276 339 337 71 275 312 42 312 313 312f, 319 156 160 448 150 247, 256 247 444

1. Kor. 3,2 1. Kor. 4, 20 1. Kor. 6, 20 1. Kor. 7, 29 1. Kor. 10, 13 1. Kor. 12, 12–30 1. Kor. 13, 12 1. Kor. 14 1. Kor. 15, 42

161 164 387 212f 337 448 212 196 213

2. Kor. 3, 18 2. Kor. 4, 16 2. Kor. 4, 17 2. Kor. 5, 1f 2. Kor. 5, 6–8 2. Kor. 11, 2 2. Kor. 11, 16

195 195f 313f, 321 213 213 399 274

Gal. 1, 8 Gal. 1, 10f Gal. 5 Gal. 5, 16 Gal. 5, 17 Gal. 6, 2

334 125 71 70f 275 156, 161

595

Literatur

Eph. 3, 19 Eph. 4, 1–10 Eph. 4, 2 Eph. 4, 4 Eph. 4, 5 Eph. 5 Eph. 5, 22–33 Eph. 6 Eph. 6, 1–3 Eph. 6, 5 Eph. 6, 12

333 446 445, 447 446 446f 397 397 222 222 273 164

Phil. 3, 20f Phil. 4

213 258

Kol. 1, 24 Kol. 3, 2 Kol. 3, 4

313, 319 327 213

1. Thess. 4, 3 1. Thess. 4, 3f 1. Thess. 4, 3–5 1. Thess. 4, 13–18

398 398 404 352

2. Thess. 1, 10 2. Thess. 2, 1–12 2. Thess. 2, 4 2. Thess. 2, 11

214 81 251 164

1. Tim. 1, 5 1. Tim. 1, 5–7 1. Tim. 1, 6f 1. Tim. 3 1. Tim. 3, 1–7 1. Tim. 3, 2 1. Tim. 3, 5 1. Tim. 4 1. Tim. 4, 1 1. Tim. 4, 1–4 1. Tim. 5, 21

268f 268 272 422 422 431 378 422 255 394 290

2. Tim. 3 2. Tim. 3, 12

312 312f

Tit. 1, 12 Tit. 2 Tit. 2, 1–9

210 209 210

Tit. 2, 13 Tit. 3 Tit. 3, 19

210, 213 378 481

Hebr. 11 Hebr. 11, 1 Hebr. 12 Hebr. 12, 8 Hebr. 13, 4 Hebr. 13, 4b

53 53, 334, 340 312 312f 393–395, 397, 403, 409 407

Jak. 2, 17

156

1. Petr. 1. Petr. 1, 1 1. Petr. 1, 2 1. Petr. 1, 6 1. Petr. 2, 9 1. Petr. 2, 11 1. Petr. 2, 13 1. Petr. 2, 13f 1. Petr. 2, 18–25 1. Petr. 2, 25

258 211f 378 313f, 321 441 213 256 247 428 428

2. Petr. 3, 18

483

1. Joh. 3, 2 1. Joh. 3, 9 1. Joh. 5, 6

214 333 378

596

Personen

Personen Adam  107, 366, 387, 392, 394, 404, 411, 469, 479, 507 Adolf, Bischof von Merseburg  99, 262, 401 Agricola, Johann  75, 100, 238, 242, 301, 305 Aland, Kurt  25, 267 Albrecht VII. (der Schöne), Herzog zu Mecklenburg 350 Albrecht von Brandenburg, Erzbischof und Kurfürst von Mainz  82, 263f, 414 Albrecht von Mansfeld, Graf  301, 308, 451, 454f, 458, 467 Albrecht, Otto  418, 426 Aleander, Hieronymus  230 Alveldt, Augustin von  247 Ambrosius von Mailand  43, 45, 113, 502 Amsdorf, Nikolaus von, Bischof von Naumburg  100, 159, 350, 353f, 412– 427, 430, 433f, 488, 494, 497, 501, 506 Anselm von Canterbury  40f Aristoteles  39, 42, 45, 48, 65–67, 89, 119, 136, 487f, 502, 503, 507 Arius 59 August II., Herzog zu Braunschweig–Lüneburg  401, 402 Augustin, Aurelius  35, 43, 48, 49, 54, 59,85, 246, 259, 317, 357, 408, 430, 480, 503, 510 Aurifaber, Johannes  201, 225, 461f, 464f, 494 Baier, Christian  301 Barnim I, Herzog von Pommern  100, 104, 392 Barth, Karl  8 Barth, Ulrich  9, 79 Baumann, Georg  209 Baumgarten, Christoph  395 Bayer, Oswald  63 Bei der Wieden, Susanne  11, 20, 24, 125, 127, 131, 132, 146, 239 Benno, Bischof von Meißen  286f Beringershai, Benedikt  100

Bernhard VII. von Anhalt  245, 369 Bernhard von Clairvaux  72, 252, 400, 503 Bernhardi, Bartholomäus, Propst von Kemberg  30, 179–184, 382 Beutel, Albrecht  3 Biel, Gabriel  41, 43, 69, 70 Bileam 257 Bizer, Ernst  367 Blaschke, Karlheinz  170 Bluhm, Heinz  41 Bodenstein, Andreas Rudolff (Karlstadt), siehe Karlstadt  97, 197, 220 Boghardt, Martin  24 Bogislaw X., Herzog von Pommern  57 Böhmische Brüder  97, 368 Bonaventura  40, 49 Bora, Katharina von  198, 382, 410, 506 Borrhaus, Martin (Cellarius)  227 Braun, Ernst Edler von  153 Braun, Sixtus  426f, 429, 432 Brecht, Martin  12, 75 Brenner, Otto  390 Brieger, Theodor  189 Brück, Gregor, Kanzler  187, 301, 415 Brunner, Peter  420, 422–426, 430 Bucer, Martin  219, 237 Buchwald, Georg  4–7, 26, 129, 208, 215, 225, 361, 438 Bugenhagen, Johannes (Pomeranus)  206, 352, 363, 389–391 395, 415, 417, 437 Burchard III., Burggraf von Querfurt 453 Burger, Christoph  192 Burkhardt, Carl August Hugo  4 Cajetan, Thomas de Vio, Kardinal  98 Camerarius, Joachim  356 Canterbury, siehe Anselm  40f Christian II., König  169, 356 Christina, Prinzessin von Sachsen und Landgräfin von Hessen  237 Christophorus  321f, 325, 344, 386–388, 509

Personen

Chrosner, Alexius  233 Chrysologus, Petrus, Bischof von Ravenna  386, 465 Clemens VII., Papst  38, 221, 298 Cochläus, Johann  265, 278, 280 Cölius, Michael  352 Cordatus, Christina  360, 362 Cordatus, Conrad, siehe Herz, Konrad  302, 351, 360–362 Cranach, Lukas  336 Creutzberg, Heinrich August  153 Creutzen, Melchior von  417, 425 Cruciger, Caspar (Kaspar)  17, 193, 265, 267, 281, 284, 351, 362, 375, 396, 410, 428, 327–441, 443–446, 501 Cruciger, Elisabeth  396 David  257f, 469 Dieter, Theodor  63f Dietrich, Veit  14, 17, 45, 105, 295, 301, 304f, 307–312, 313, 320f, 323, 332, 493 Dörffer, Ambrosius  418 Dorothea von Solms–Lich, Gräfin von Mansfeld–Vorderort 463 Ebeling, Gerhard  7f, 358 Eber, Paul  390 Eck (Mayer), Johannes  3, 93– 120, 488, 499 Egranus, Johannes Sylvius (Johannes Wildenauer) 158  Elia 106 Elisabeth von Brandenburg, Prinzessin und Herzogin von Braunschweig–Calenberg–Göttingen  169, 356 Elisabeth, Prinzessin von Dänemark  238 Erasmus von Rotterdam  144, 380 Erben, Joseph  267 Erfurth, Richard  170 Ernst I., Herzog von Lüneburg  221, 237, 453 Ernst II. Graf von Mansfeld–Vorderort  453, 463 Ernst II., Graf von Oettingen–Wallerstein 225 Ernst, Fürst von Anhalt–Dessau  235 Eschenhagen, Edith  170 Eyb, Albrecht von  380

597

Eyb, Gabriel von  97 Feilitzsch, Philipps von  243 Ferdinand I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches  298, 306, 357, 382, 448 Ferel, Martin  361, 363, 369, 370, 371, 374, 494 Feustking, Johann Heinrich  179 Flemming, Paul  4 Flörken, Norbert  75 Forstmeier, Georg  421 Franz I., König von Frankreich  222 Franz, Herzog von Braunschweig–Lüneburg 301 Franziskus von Assisi  251 Freder, Johannes  368 Friedensburg, Walter  170 Friedrich III. (der Weise), Kurfürst von Sachsen  16, 230–232 Fröschel, Sebastian  100 Fuchs, Heinrich  183 Fuß, Wolfgang (Fusius)  130 Gebhard VII., Graf von Mansfeld–Mittelort 453 Geiger, Ulrich  222 Gengenbach, Peter  291 Georg (der Bärtige), Herzog von Sachsen und Sagan  98f, 124, 233, 238, 243, 251, 263, 277f, 286, 291, 293f, 357, 400 Georg III. (der Gottselige), Fürst von Anhalt–Dessau  235f, 261–263, 278, 281f, 351, 354, 402, 415–417 Gogarten, Friedrich  6 Grane, Leif  41, 94, 182 Graul, Jacob Andreas  283f Graun, Heinrich Wolfgang  132f, 106, 144, 155, 157, 159, 161, 164 Gromann, Nickel  436 Gründling, Gallus  413 Grünenberg, Johannes  189 Güllekrok, Axel  95 Gunterode, Apollonia  351 Günther, Andreas  436 Günther, Franz  97, 169, 351, 383 Gutknecht, Jobst  20, 22, 104 Güttel, Kaspar  456

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Personen

Hadrian VI., Papst  286 Hales, Alexander von  366 Hamm, Berndt  75, 174 Hase, Eduard  152 Hätzer, Ludwig  219 Hausmann, Nikolaus  159, 186, 265, 267, 277, 301, 303 Hebenstreit, Thomas  421, 423, 424 Heiliger Georg  387 Hein, Markus  94 Heinrich (der Fromme), Herzog von Sachsen  234, 279f, 287, 401 Heinrich I., Erzbischof von Mainz  174 Heinrich von Friemar  38 Heintze, Gerhard  9f, 137f Heintzen, Peter  283 Heinz, Simon  206 Hellinga, Lotte  24 Helt, Georg  262–265, 267, 361 Hergotin, Kunigunde  267 Herz, Konrad (Conrad Cordatus)  302, 351, 360–362 Hessus, Eobanus  1, 302 Hieronymus von Prag  143 Hieronymus, Sophronius Eusebius  80, 109f Hirsch, Emanuel  6, 8f, 55, 167, 355 Höfling, Johann Wilhelm Friedrich  353 Hofmann, Melchior  219 Hoogstraten, Jakob  118 Hoppe, Friedrich  426 Hoyer I., Graf von Mansfeld  453 Hubmeier, Balthasar  219 Hus, Jan  103, 117, 233 Hut, Hans  219 Irenäus von Lyon  311 Iserloh, Erwin  75 Jagow, Matthias von, Bischof von Brandenburg 368f Jansonius, Justus  283 Jäpel, Rosemarie  153 Jeremia  106, 274, 285, 291 Jetter, Werner  367 Joab 258 Joachim I. von Brandenburg, siehe Rehabeam 124

Joachim I., Fürst von Anhalt–Dessau  236, 261f, 265, 277f, 279, 356 Joachim I., Kurfürst von Brandenburg124, 238, 262f, 277 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg  237f, 262, 266f, 294 Johann Ernst, Herzog von Sachsen–Eisenach  281, 418, 420 Johann Friedrich I. (der Großmütige), Kurfürst von Sachsen  222, 232, 239, 241, 281, 283, 301, 308, 351, 353, 389, 410, 415–417, 419–420, 436, 455, 460, 500 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen  455f, 462 Johann IV., Fürst von Anhalt– Zerbst  235, 261, 265, 402 Johannes der Täufer  106, 245, 371–373, 447 Johannes XIII., Papst  175 Jonas, Eduard Albert Wilhelm  6 Jonas, Justus  222, 281f, 307, 331, 350, 352, 396, 457, 458 Jordan von Sachsen  38 Jörger, Christoph  382 Jörger, Dorothea  382f Junghans, Helmar  170 Kadan, Michael  303 Kähler, Ernst  94 Kaiser(Käser), Leonhard  382f Kalkoff, Paul  74, 153 Kantzow, Thomas  390 Karant–Nunn, Susan C.  347 Karl V., Kaiser  124, 221, 290, 298, 300, 305, 357 Karlstadt, Andreas Rudolff Bodenstein von  33, 97–105, 107, 109f, 143, 184–187, 200, 270f, 508 Kaspar von Lindenau  280, Kaufmann, Cyriacus  307 Kaufmann, Nikolaus  277 Kessler, Hans Joachim  153 Kierkegaard, Søren  7, 511 Kleinschmidt, Georg (Curio)  418 Klug, Joseph  267 Knaake, Joachim Karl Friedrich  74 Knolle, Theodor  295 Koch, Johann (Kochen)  130

Personen

Koch, Konrad (Wimpina)  96 Koffmane, Gustav  310 Köhler, Karl Friedrich  4 Kohnle, Armin  95 Konstantin I. (der Große), Kaiser des römischen Reiches  111, 144 Koppe, Leonhard  198 Köster, Felix  426 Köstlin, Julius  390 Kramer, Johannes  413 Krebs, Cuntz  436 Kronberg, Hartmut von  251 Krottenschmidt, Nicolaus   416, 418, 422, 426, 428, 430, 431 Kruse, Martin  94 Kues, Nikolaus von  206 Kwon, Jin Ho  12 Kyrene, Simon von  320 Lauterbach, Anton  5, 181 Lazarus  43, 82–86, 89, 305, 496f Leo X., Papst  74 Leppin, Volker  75 Leube, Veit  418 Libens, Johannes  456 Linck, Wenzeslaus  67, 127, 153, 155, 181, 182, 198, 306, 307 Lindemann, Caspar  301 Lindenau, Paul von  280, 282 Lindenau, Sigmund von  351, 356, 401f, 405, 410, 450, 501, 519 Lingke, Johann Theodor  4, 179, 180f List, Christoph Propst von Kemberg  179f  List, Dietrich, Propst von Kemberg  179 List, Heinrich Edel von  179 Löbe, Julius  152 Loewenich, Walther von  58 Lombardus, Petrus  39–41, 45, 48–50, 54. 59f, 502, 503 Lortz, Joseph  94 Löscher, Valentin Ernst  58, 69, 74, 78, 94, 189, 485 Löser, Hans von  350–352, 355, 357f, 360, 368 Lück, Heiner  25, 170 Lufft, Hans  397, 461 Magnus II., Herzog zu Mecklenburg  355

599

Mantzsch, Melchior, Propst  413 Margarete von der Saale  237  Margarethe (Margarete), Fürstin von Anhalt, geborene Herzogin von Münsterberg  235, 261, 278, 369 Maria  381, 410, 447, 464, 476 Maria Magdala  304, 330 Maria, Prinzessin von Sachsen  351, 355, 389, 410  Markgraf, Erik  403 Marpeck, Pilgram  219 Mascov, Georg  27 Mathesius, Johannes  461 Maximilian I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches  177, 350 Mazzolini, Silvester (Prieras)  96 McEwan, Dorothea  179 Medler, Nikolaus  414–416, 418, 421–424 Meister Eckhart  50, 421 Melanchthon, Philipp  17, 100f, 124, 169, 180, 222, 237f, 241–263, 265, 299, 301, 306, 330, 332, 350, 356, 362, 390, 394, 402, 419, 456–459 Menius, Justus  318 Mensing, Johann  265, 278 Metzsch, Hans  177 Meydeburgk, Liborius  14 Michael von der Strassen  130f, 442 Miltiz, Karl von  153 Moeller, Bernd  1 Monica, Mutter Augustins  483 Moritz, Kurfürst von Sachsen  234, 236, 401f, 455 Mose  10, 142, 274, 372, 431, 476 Mosellanus, Petrus  101 Mühlpfort, Hermann  128, 158 Muir, Edward  347 Mulleberg, Michael  352f Müller, Gottlieb  170 Mülpfordt, Hermann  128 Mumme, Jonathan  12, 350 Müntzer, Thomas  158, 219, 479 Myconius, Friedrich  241, 280–282 Nadler, Jörg  104 Nembach, Ulrich  11  Nützel, Kaspar  83

600

Personen

Ohly, Friedrich  85f Osiander, Andreas  301 Otmar, Silvan  21 Ottheinrich, Pfalzgraf von Pfalz–Neuburg und Pfalzgraf–Kurfürst von der Pfalz 435 Otto, Herzog zu Braunschweig–Lüneburg 237 Otto, I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 174f Ovid 53 Pabst, Vera Christina  12, 198 Pack, Otto von  297f Pannier, Gertrude  183 Patze, Hans  152 Paul III., Papst  221 Pauli, Benedikt  177, 369 Paulus  7, 70f, 106, 147, 164, 196, 213, 223, 272, 274f, 327, 334, 365, 393, 399, 427– 429, 441, 446–448, 481, 481 Paulus, Nikolaus  74, 137 Pelagius  41, 109f, 486 Peraudi, Raimund  74 Peschel, Georg  264 Petri, Adam  104 Petrus  104, 111–114, 118–120, 192, 217f, 428 Petz, Georg  239 Pfeffinger, Johann  281  Pflug, Cäsar  118 Pflug, Julius, Bischof  414–418, 429, 432f Philipp (der Großmütige), Landgraf von Hessen  219, 234, 236f, 279, 297–300, 344 Philipp I., Herzog von Pommern–Wolgast  351, 389, 410–415, 518 Philipp, Graf von Mansfeld–Vorderort 455f Pietsch, Paul  5, 32, 128, 193, 201, 304 Pistorius, Simon  101 Poach, Andreas  5, 14, 15, 17, 29, 40, 209– 215, 225, 228, 478, 492f Poliander, Johann  58, 190, 284, 393 Porzig, Ursula von  350 Probst, Jacobus (Jakob)  238, 242, 305 Quintilian 11

Raid, Balthasar  320 Ramminger, Melchior  21, 131f Rau, Georg  101 Rauch, Petrus  264f, 278 Rehabeam (Joachim I. von Brandenburg) 124 Reichhardt–Rotta, Rudolf  170, 187 Reinstein, Ernst von, Dompropst  421 Rhau, Georg (Georgius)  359, 403 Riedesel, Johann  131, 239 Rinck, Melchior  318, 320, 508 Rörer, Georg  5f, 15, 17f, 29, 33, 140, 190, 201, 209f, 213–215, 305, 308, 361, 384, 392, 395, 397, 437, 445, 493 Roth, Fritz  352 Roth, Philipp  242 Roth, Stefan (Stephan)  3, 17, 56, 58, 76– 78, 80, 133f, 143, 193, 207, 384, 388, 485 Rudolf I., römisch–deutscher König  171 Rufus, Conradus Mutianus  68 Sastrow, Bartholomäus  391, 497 Schade, Sebastian  240 Schanze, Wolfgang  295 Scheurl, Christoph  96f Schirletentz, Nickel  368 Schleiermacher, Friedrich Daniel  3, 348 Schmidt, Roderich  390 Schmidt, Tobias  127f Schott, Johann  20 Schreier, Johann  368 Schröter, Simon  437 Schubert, Anselm  94 Schurf, Hieronymus  125, 181 Schurff, Augustin  356 Schwan, Johann  131, 146 Schwan, Wolfgang  352 Schwarzenberg, Johann Freiherr von  243 Scotus, Duns  89 Seidemann, Johann Karl  4, 93 Seidler, Jakob  183f Seitz, Otto  93f Selge, Kurt–Victor  94 Seneca 386 Sigismund I., König von Polen  238 Sigismund von Lindenau, Bischof von Merseburg  351, 356, 401f, 405, 408

Personen

Silvester I., Papst  111 Solger, Adam Rudolf  201, 309 Spalatin, Georg  16, 124, 129, 131, 153– 155, 179, 181, 203f, 230, 238, 243, 301, 319, 421, 423–426, 428 Spangenberg, Cyriacus  460 Specht, Augustin(us)  291 Spehr, Christopher  85, 94, 203, 238, 488 Spengler, Lazarus  303, 307, 330 Stahl, Friedrich Julius  353 Staupitz, Johann von  55f, 80f, 319 Stegmann, Andreas  165 Stein, Wolfgang  232, 239, 243f, 421, 423 Steuernagel, Matthias  130 Stifel, Michael  29, 32, 169, 351, 382–384, 387, 410 Stöckel, Wolfgang  104 Stoltz, Johann  305, 308f, 370, 392, 397 Storch, Nikolaus  158, 166, 508 Straube, Manfred  170 Strauß, Jakob  231 Stromer, Heinrich  281 Stübner (Thomae, Marcus)  159, 226f Süleyman I., Sultan des Osmanischen Reiches  266, 448 Taubenheim, Hans von  177 Tetzel, Johann  73, 79, 82–84, 96, 166, 180f Thomae, Marcus (Stübner), siehe Stübner  159, 226f Thomas (Jünger)  162f Thomas von Aquin  61, 136, 145, 334, 366, 507f Tillich, Paul  89, 504 Treu, Martin  198 Ulpian 42 Urban VI., Papst  38 Valerius, Bischof von Hippo  430 Valla, Giorgio  40 Vinzenz von Saragossa  483, 488 Vogelsang, Erich  28, 41, 44, 45, 56, 69, 75, 369 Voit, Johann  240–242 Voragine, Jacobus de  483

601

Walch, Johann Georg  94, 132, 155 Waldner, Wolfgang  255 Wanckel, Matthias  403 Wappler, Paul  158, 166 Warbeck, Veit  233 Wäschke, Hermann  277 Wedel, Joachim von  390–392, 497 Weigel, Valentin  456 Weijenborg, Reynold  41 Werdermann, Hermann  7, 11 Widemar, Nikolaus  131 Wildenauer, Johannes, siehe Egranus, Johannes Sylvius  158 Wildenfels, Anarg von  242 Wilhelm, Lorenz  128 Witzel, Georg  362 Wolffram, Simon (Wolferinus)  456 Wolfgang (der Bekenner), Fürst von Anhalt–Köthen  235, 301 Wolkenstein, Johannes  413 Zachäus 74–78 Zeidler, Gottfried  83 Zeiger, Balthasar  183 Zwilling, Gabriel  129, 131, 155, 166, 496 Zwingli, Ulrich (Huldrych)  32, 219, 297, 299f

602

Orte

Orte Allstedt 453 Altenburg  33, 126, 129, 152, 157, 160f, 166, 198, 231, 301, 309, 423, 496, 499, 511 Anhalt  235f, 261, 279, 355f, 368, 370, 460 Ansbach 264 Apsdorf (Abtsdorf)  178 Arnstein 453 Artern 453 Augsburg  20–23, 34, 55, 98f, 104, 131, 183, 219, 225, 295f, 300, 302, 305, 309, 501 Basel  20, 22f, 82, 102, 104, 189, 395 Belgern 127 Belzig  231, 369 Bergwitz  175, 186, 352 Berlin  172, 461 Berlin-Cölln 262 Bernburg  261, 263 Bernburg-Köthen 235 Bischtritz (Priesteritz)  178 Bitterfeld 458 Bleddin 173 Böhmen 117 Bolkenhain 413 Bologna 97 Borna  21, 33, 121, 126, 133, 135, 138, 141, 143, 147, 149f, 152, 155, 157, 160f, 166, 244, 247, 249, 254, 261, 283, 369, 496f, 499, 504f, 507, 509, 511 Bornstedt 453 Bösewig 173 Brandenburg-Ansbach 300 Brandenburg (Kurbrandenburg)  82, 124, 174f, 177–180, 182, 237f, 392 Braunschweig-Lüneburg 237 Brehna 171 Breslau  172, 297f Cambrai 298 Chur 182 Coburg  29f, 231, 295, 297, 301, 304, 306, 310, 317, 319, 330f, 338, 345, 501, 509 Colditz  130, 231 Cölln 237

Compostella 350 Dabrun 175 Dänemark 299 Dessau  5, 27, 30, 140f, 235f, 261, 264f, 278, 351, 355f, 359f, 368, 370f, 374f, 377, 494f, 506, 508 Ditterichsdorf (Dietrichsdorf)  178 Dorna 175 Dresden  68, 93, 130, 142, 233 Düben 218 Eger 158 Eiche 283 Eichstätt 97 Eilenburg  5, 126, 129, 131f, 146, 231, 281, 351, 396, 398, 400 Eisenberg 301 Eisleben  34, 68, 352f, 451, 459, 461, 467, 473, 476, 479, 484, 486, 490, 494f, 502, 506, 510 Elster 352 Erfurt  1, 3, 25, 27f, 32f, 36, 41, 55, 58f, 90, 98, 102, 104, 116, 139, 170, 172, 209, 238, 241, 249, 386, 492, 498, 502f, 508, 510 Eschdorf 93 Euutzsch (Eutzsch, Eutsch)  175, 178 Frankreich  222, 299, 483 Freiburg 102 Friedeburg 453 Friesland  185, 187, 350 Gießen 236 Gommlo 175 Görlitz 172 Gotha  32f, 67, 69, 73, 189, 241, 280, 318, 355, 426, 491, 498, 503, 508 Gräfenthal 301f Grimma  5, 126, 181, 198, 231, 283, 301, 309, 368 Güntersberge 261 Hagenau  267, 396

Orte

Halberstadt  182, 452 Halle  32, 83, 403, 458f, 463 Harzgerode 261 Heidelberg  5, 84, 97, 107, 225, 306 Heldrungen 453 Hersfeld  183, 318 Herzberg  68, 126, 231 Hildesheim 206 Ingolstadt  96, 457 Jena  17f, 26, 301, 310, 384, 445 Jerusalem  85, 136, 141, 144f, 192, 194, 218, 253, 288f, 291, 317, 337, 372, 406, 436, 440 Jessen  32, 169, 500 Joachimsthal 362 Kassel 236f Kemberg (Kembergk)  15, 27, 30, 32f, 126, 169, 192, 195, 205, 207, 210, 215, 217, 222, 224, 227, 382, 491, 493, 495, 97, 500, 508, 511 Köln  38, 67, 97f, 357 Konstantinopel 448 Konstanz  103, 342 Köpenick (Köpnick)  178 Krakau 172 Langensalza 68 Lauchstädt 400 Leihsten 309 Leipzig  20, 23, 28, 31, 33f, 73, 82f, 93, 96, 98, 106, 112, 114, 116, 121, 130, 150, 158, 172f, 177, 186, 189, 229, 233f, 241, 257, 262f, 268, 277, 279, 281, 283, 287, 289, 294, 351, 396f, 400f, 412, 436, 488, 491, 496f, 499f, 504, 506, 508, 510f Leitzkau 175 Lichtenberg 169 Liebenwerda 231 Lindau/Anhalt 261 Lindau/Bodensee 342 Lochau  29, 126, 169, 231f, 351, 382, 384, 500 Lützen 400

603

Magdeburg  38, 73, 174f, 262, 355, 361, 396, 402, 417, 420, 452, 463 Mainz  175, 466 Mansfeld  34, 352, 396, 451, 460, 463, 467 Mansfeld-Hinterort 453 Marburg  29, 32, 216, 236, 299f Meißen  68, 175, 184, 286, 353, 415 Meltzwick 178 Memmingen 342 Merseburg  175, 262, 351, 354, 356, 400, 404, 412, 496f, 508, 510f Morungen 543 Naumburg  27, 353, 400, 412, 421, 423, 425f, 428, 431, 433, 459, 488, 494, 497, 501, 506, 508 Neu-Lochau 231 Neuburg an der Donau  435 Neustadt an der Heyde  301f, 309 Neustadt an der Orla  68 Niemeck (Niemegk)  32, 169, 351, 360, 362, 365, 367f, 378, 500, 506 Nordhausen 68 Nürnberg  20, 22, 82f, 96f, 104, 123, 133, 140, 199, 201, 267f, 302f, 305, 307, 309, 330, 334, 336, 362, 446, 466 Ofen 362 Ogkeln 172 Ölsnitz 131 Orlamünde 185 Paris  98, 102, 222, 307 Pegau 130 Pleißenburg  93, 101, 282, 287, 293 Plötzkau 261 Pollensdorf (Apollensdorf)  178 Pratau  175, 178 Prettin  169, 437, 500 Pretzsch  32, 169, 350f, 355, 359, 361, 368, 496, 500, 506 Raab 382 Rackith  175, 180 Radis 175 Rammelburg 453 Ravenna  175, 350 Regensburg  218, 396, 416

604

Orte

Reuden 178 Rißdorf  459, 463 Rom  98, 136, 160, 172, 218, 324, 470f Ronneburg 241 Roßlau 261 Saalfeld 301f Sachau 127 Sangerhausen 68 Santiago de Compostela  172, 218 Scherding 382 Schkeuditz 400 Schleiz  130, 300, 309 Schlieben 126 Schmalkalden  14, 30 Schmiedeberg  126, 172 Schraplau 453 Schwabach  300, 308 Schwabeck 173 Schweinitz  32, 169, 500 Seeburg 453 Seegrehna  173, 175, 186 Spandau 172 Speyer 298f St. Jacob  160 Stettin  6, 172 Straßburg  21, 104, 131, 133, 219, 342 Teuchel 178 Thüringen  68, 231, 318 Tolleth 382 Torgau  28, 30, 32, 126, 129, 142, 198, 201, 222, 231f, 301, 309, 351, 354f, 369, 389, 393, 396, 415, 417, 135, 437, 446. 448, 453, 495, 497, 501, 509 Toskana 37 Tothenburg 453 Trebitz 173 Treuenbrietzen 172 Trient 133 Trier 324 Tübingen  3, 457 Venedig  299, 307, 350 Warmsdorf 261 Wartenburg 175

Weimar  30, 186, 215, 229, 231f, 238, 249, 254, 256, 261, 301f, 384, 426, 496f Wien  97, 266, 362 Wittenberg  1, 3, 6f, 10, 12, 15f, 18, 25, 34, 36f, 39f, 55, 58, 67f, 74f, 84, 90, 93, 96f, 99f, 104, 118, 123, 127, 129, 131, 133, 135140, 142, 146, 150, 159, 161f, 165f, 169, 190, 196, 198f, 201, 206f, 210, 225, 227, 229, 231f, 235, 237, 239, 241, 243, 249, 252, 261, 263, 265, 269, 278, 281, 287, 291, 297, 299, 301, 304, 309, 331, 344, 350, 356, 359, 361, 363, 368f, 375, 382, 384, 386, 390, 396f, 403, 415, 419, 421, 423, 425, 433, 446f, 458, 461, 467, 483, 492f, 495f, 498, 500, 503, 505, 507f Witzschke 350 Wolfenbüttel  140, 241f Wörlitz  16, 30, 34, 229, 261, 265, 267, 269, 271, 277, 279, 294, 496, 500, 508, 511 Worms  1, 21, 25, 123f, 150, 230, 238, 297, 299, 396, 454 Wurzen 234 Zahna 173 Zeitz  175, 353, 400, 412, 414, 416, 418, 420, 425, 433 Zerbst  27, 126, 129, 261, 291 Ziesar  27, 175 Zwickau  33, 40, 126, 128, 140, 157, 159, 166, 172, 186, 265, 291, 362, 384, 392f, 397, 496, 499, 508

Sachen

605

Sachen Abendmahl  205, 216, 264, 271, 278, 291, 379, 413, 483, 487 – Abendmahlsgang  496 – Abendmahlslehre  300 – Abendmahlsstreit  187 – Abendmahlsverständnis  507 Ablass  73–75, 77, 78–80, 81f, 103, 116, 503 – Ablasshandel 76, 82, 90, 93, 180f – Ablasskritik  493, 498 – Ablassprediger  74–76, 78, 80, 81, 84, 90 – Ablassthesen  82, 145 Abschiedspredigt 489 Absolution  79, 114, 139, 161, 460, 482 Acht/Reichsacht  31, 123f, 290, 299, 302 Adel  1, 34, 57, 139, 229, 230, 351, 355f, 389, 410, 414, 491 Adelsschrift  139, 183, 497 Agendarischer Kontext  13, 378, 494f, 497 Agnostizismus 470 Allegorese/allegorisch  311f, 315, 356– 358, 359, 360, 385f, 465f, 479, 495 Allgemeines Priestertum (siehe Priestertum) Alltagspredigt 2 Altgläubige  93, 123, 233, 251, 270, 277, 279, 281, 290, 293, 294, 296f, 301, 306, 325, 337, 343, 344, 425, 496, 500 Amt 12 – des Bischofs (siehe Bischofsamt)  266, 353, 428f, 230, 434, 506 – der bösen Engel  309 – der guten Engel  309 – geistliches  138, 425 – des Priesters (siehe Priesteramt) 139, 161, 430 Amtsausübung, -öffentlich, -privat  273, 304, 309 Amtshandlungen (siehe Kasualhandlungen)  34, 347, 350f, 370, 400, 402 Amtsverständnis  164, 166, 335, 497 Anthropologie/anthropologisch  50, 88

Antichrist 220 Apostolikum (siehe Glaubensbekenntnis)  53, 141, 362 Atheismus 470 Attritionismus  79, 503 Auferstehung  133, 194, 210, 211, 303– 305, 317, 325–327, 397, 496f, 509 Auferweckung  84–86, 338f, 345 Augsburger Reichstag (siehe Reichstag)  Augustiner 38 – Augustinereremit(en)  36, 37, 67, 133, 491 – Augustinerkloster  38, 68, 90, 240 – Augustinerorden  37, 58, 133, 182 Autorität  2, 43, 54, 55, 502, 509 Bann  147, 295 Barmherzigkeit  9, 70, 308, 316, 393 Beerdigung/Beerdigungspredigt 32, 280, 350, 352, 450 Befehlswort  377, 379 Beichte  37, 79, 120, 161, 193, 241, 291, 429 Bekenntnis  53, 104, 106, 119, 300, 306 Bergpredigt  8, 9 Bernhardi-Thesen 182 Berufung  110, 191f, 308, 353, 408, 446f Beschneidung 371f Bibel (siehe Schrift)  43, 45, 112, 118f, 167, 196, 272, 332, 344, 508, 510f Bilderstreit/Bilderentfernung  126, 142 Bilderverehrung (siehe Reliquienkult)  90, 141–143, 145, 503, 508 Bildsprache/bildhafte Sprache (siehe Sprache)  276, 428, 508f, 511 Billigkeit 258 Bischof 426–430 – Bischofsamt  266, 353, 428f, 230, 434, 506, – Bischofseinführung 427, 433f, 449, 450, 494f, 497, 501, 506 – Bischofsexperiment  412 – Bischofswahl  417f, 420, 422 – Bischofsweihe  353, 425, 434, 498 Bräutigam  388, 390, 397f

606

Sachen

– Christus als Bräutigam (siehe auch Brautmystik/Mystik) 385, 399–400, 450 Brautmystik 400 – mittelalterliche  400 – spätmittelalterliche  411, 507 Bündnispolitik  234, 299, 300 Buße /Bußsakrament  26, 79 86, 103, 114, 194, 301, 372, 408 – innere  79–81, 504 – sakramentale  379 – wahre/rechte  79, 194 Bußleistung 149 Bußruf  80, 86, 245 Bußtheorie (siehe auch Attritionismus, Contritionismus)  79, 503 Bußverständnis  80, 82, 91, 195 Causa Lutheri  96, 153 circumstantiae 48 Civitates-Lehre 246 Confessio Augustana  263, 306, 554 Confessio Tetrapolitana  342 Confutatio 306 Contritionismus  79 cooperatio mundi  49 Creatio ex nihilo  340 Dekalog  9, 73, 135, 189, 206, 218, 222, 362 Demut  136, 259, 267, 275, 279, 445–447, 476 Deutsche Messe  195 Dialektik/dialektisch  8, 39, 312, 466, 485, 495 Dienst (siehe auch Messe)  191, 239, 308 Disputationsthesen (siehe auch Thesen)  97, 182 Distinktionen  45, 51, 54, 66, 89, 90, 498, 502, 508 Dominikaner 102 Domkapitel 402 – Merseburger  262, 400 – Naumburger  412–417, 418, 420, 431f Donatisten  479, 480 Doppelpredigt  133f, 155, 166, 169, 187– 189, 192, 284f, 331, 371, 376, 497, 504, 506, 509, 511

Drei-Stände-Lehre 359 Dreieinigkeit (siehe auch Trinität)  370, 374–376 Druck  14, 16, 19f, 22–24, 33, 56, 58, 116, 117, 132f, 140f, 189, 209f, 228, 268, 368f, 398, 403f, 493, 511 – Druckanalyse  20 – Druckfassungen  21, 360, 442, 446, 492 – Druckvorgang  268 – Druckfehler  23, 132 – Druckfolge  19, 24 – Druckprozess  15f Edition 5f Ehe  30, 161, 183, 195, 351, 354, 380f, 389, 392, 395, 397–399, 402–411, 449f, 506f – Ehebruch  333, 394f, 398, 403, 407, 409, 411 – Ehelosigkeit  405, 407, 417 – Eheschließung  183, 396, 402f, 410, 449, 501 Eigenliebe  78, 503 Einsetzungsworte 377 Einsetzungsformel 379 Einweihung (siehe Kircheneinweihung)  32, 354, 435, 440, 448–450, 501 Ekklesiologie  93, 287f, 292f, 465, 484, 505 Endzeit  159, 166, 507 Engel  252, 308f, 324f, 327f, 334f, 342, 409, 444, 479, 483 Enthaltsamkeit  381, 405 Erbauung  25, 45, 444 Erbsünde  366, 379, 450 Erlösung  366, 378, 392 Erziehung  222, 224, 226, 328, 476 Eschatologie 62f Ethik  135, 507 – Nikomachische (aristotelisch)  39, 42, 48 – Luthers  45, 55, 86, 90, 134, 166, 498, 503 Evangelium (siehe auch Gesetz und Evangelium) 8–10, 67, 88f, 125, 147f, 150, 193f, 195f, 211f, 217–220, 251, 323f, 372, 393, 447 Ewiges Leben  45f, 51f, 212, 320f, 340, 429

Sachen

Exkommunikation (siehe Bann)  123, 148, 427

auch

Fegefeuer  73, 103 Freiheit  6–8, 165, 167, 442, 511 – äußerliche  327 – christliche  241, 325, 441f – eines Christenmenschen  128, 158, 375, 497 – des Heiligen Geistes  327 – menschliche  120 Frömmigkeit – äußerliche  134, 504 – falsche  89, 140 – rituelle  37, 353 – protestantische Passionsfrömmigkeit 316 – sakramentale  503 – spätmittelalterliche  36, 90 – wahre  155, 157 Fürstenprediger 294 Fürstenpredigt 294 Fürstenspiegel  244, 255f, 293, 492, 505 Gabe – Gabe Gottes  48–51, 379 – Mensch als Gabe  50 – Sohn als Gabe  51 – Taufe als Gabe  450 – Welt als Gabe  49 Gebet  87, 149, 161, 164f, 169, 221, 325, 343, 353, 395, 445, 449 Gebote  135, 161, 188, 250, 365, 475 Gehorsam  219, 220, 230 – gegenüber Christus  – gegenüber den Eltern  22, 360, 367 – gegenüber Gott  223 – im Haus  269, 273, 360 – hölzerner  223 – im Staat  148, 269, 294 – wahrer  223 Geist (siehe auch Heiliger Geist)  70f, 250, 255, 275, 446, 481, 511 Geistlicher  147, 498, 501 Gelübde  183, 184, 197, 407, 510 Gemeiner Kasten  180, 201, 203f, 209, 227, 248, 496f Gerechtigkeit  327–329, 507

607

– Christi  137, 311, 506 – ewige  340 – Gottes/göttliche  80, 86f, 136f, 162, 216, 328, 511 – und Leben  – menschliche  126, 216, 327, 499, 503f Gesetz  136, 140, 160, 246, 286, 328, 475 – Christi  285 – doppelter Gebrauch  135, 505 – Erfüllung  240. 242 – Gottes, göttliche  134, 476 – irdische  327 – menschliche  134, 250 – positives  249 – weltliches  248, 250, 260 Gesetz und Evangelium  81, 91, 136–138, 141, 156, 504 Gewalt (siehe auch Reich, Regiment, Schwert)  138f, 140, 147f, 150f, 468, 496 – Binde- und Lösegewalt  134, 149 – der Exkommunikation  148 – der Gegner  343 – geistliche  14–150 – päpstliche (siehe auch Papstgewalt)  112, 116 – Petri  112f – Schlüssel (siehe auch Schlüsselgewalt) 115 – weltliche  147–150, 260 – des Teufels  63, 336, 366 Gewissen  52, 54, 87, 90, 115, 120, 134, 149, 197f, 268, 274–276, 50 Gewissensgewissheit (plerophoria)  333f, 358, 379, 450, 506 Gewissensreligion 35 Glaube (siehe auch sola fide, sola gratia)  51f, 64, 66, 89, 111, 114f, 155, 156, 160, 163, 195, 200, 213, 275, 285, 326, 329, 332, 374, 444, 468, 483, 489, 500, 505 – alter  280, 282, 453 – christlicher  118, 193, 276, 326 – Einheit im Glauben  447f – erdichteter  472 – als Erneuerung des Menschen  332, 336 – echter/fester/ standhafter/als feste Zuversicht/ungefärbter/wahrer 53, 145, 240, 268f, 275, 277, 315, 331–336, 344, 393, 466, 483

608

Sachen

– fremder  164f – Kleinglaube/Mangel an Glauben/ schwacher Glaube/unsicherer Glaube  119f, 216, 323, 473, 466, 473 – Messiasglaube  465 – Rechtfertigungs (siehe Rechtfertigungsglaube)  90, 504 – im Taufakt  165 – Übung des  195 Glaubensartikel  330, 332, 342 Glaubensbegriff  332, 334, 340 Glaubensbekenntnis  53, 141, 362 Glaubensfrage  222, 298, 305, 330 Glaubensvorbild  143, 191, 257, 303, 321, 326, 330, 344, 381, 398f, 410, 431, 483 Gleichförmigkeit  313, 319 Gnade Gottes  105f, 109, 277, 357, 431 – geschenkte  120 – Mitwirkung der  106, 109, 119, 499, 504 – Suche nach  110 Gnade vor Recht 257f Gnadenempfang  87, 108, 110f, 113–115, 119, 499, 504 Gnadengewissheit 114 Gnadenlehre  – Hieronymus‘  109f – Luthers  55, 108 Gnadenstuhl 276f Gnadenverständnis 86 Goldene Regel  41–45, 54, 492, 502, 510 – Genugtuung und Strafe  79–81, 87, 258 – Gleichheit zum Sünder (similis)  – als Richter  52, 118, 276 394f, 407–411, 499 – als Schöpfer  47, 53, 309, 339f, 445, 468, 507 – als Vater  51, 59f, 62, 283, 288, 385, 469 Gottes Geist  250, 255 Gottesdienst /Gottesdienstverständnis  208, 269–271, 287, 301, 347, 372 – Ablauf  420f, 497 – evangelisch  280, 299 – falscher  203, 271, 471 – wahrer  191, 253, 268, 440f, 511 Gotteserkenntnis (siehe auch Religion) 54, 163, 503 Gottesvorstellungen 339 Grab Jesu  85, 304, 325f, 329f, 344

gratia cooperans  106, 504 Güterlehre  42, 502 Heidelberger Disputation  107 Heide  49, 223, 259, 385, 398, 404, 407, 468f Heilige (siehe Heiligenverehrung) 87, 222, 241, 471, 483, 496 Heilige Schrift (siehe Schrift)  8, 89, 167, 392 Heiligenverehrung Heiliger Geist  46, 50, 134, 138, 145, 250, 54, 282, 284, 333, 373, 375f, 379, 427, 448 Gottesdienstverständnis  270, 301, 440f – als Gesetz  372 – als Tröster  45, 115,284, 427 – als Zeichen  372 Heilsempfang  51, 89, 120, 315 Heilung  215, 240, 392f, 439f, 442f Hermeneutik, hermeneutisch  7, 46, 66, – Schlüssel  376, 399, 492 – Schrift  89 Herrschaft (siehe auch Obrigkeit)  114, 115, 149f, 226, 234, 256, 417, 455, 504 Herrschaftsauftrag 214 Herz  44, 62f, 78, 87f, 114f, 156, 213, 217, 248, 250f, 333f, 340, 367, 479 Himmelfahrt  210, 305 Hochzeit (siehe auch Brautmystik, Ehe)  350f, 382–385, 389f, 393, 396, 397, 399, 410, 411,443 Hochzeitspredigt  29, 354, 356, 384, 397f, 403, 410f, 501, 506 Hochzeitspredigtdruck 450 Hoffnung  73, 87, 211f, 214, 288, 296, 315, 489, 503 Hofprediger (siehe auch Prediger, Rollen)  57, 265, 293 Hölle  160, 162, 342 Homiletik  11–13, 126, Humanismus, humanistisch  6, 69, 145, 380, 396, 414 Hurerei  393f, 398, 404, 407, 409, 431, 507 Impressum/Impressumsanalyse 20–24, 132 Inkarnation  62, 64, 210f, 246

Sachen

ipsissima vox Lutheri (siehe Textquellen) 19 Irrlehre  164, 166, 272, 277, 479, 484 Irrtumslosigkeit (siehe auch Kirchenverständnis)  290, 334, 488, 506 iustitia  – iustitia aliena Christi  329 – iustitia dei  137 – iustitia proprium  329 Jesus (siehe auch Christus, Sohn, Taufverständnis)  43, 76f, 164, 216, 241, 288, 292, 373, 377 – als Fürsprecher  52 – als Kind  226, 447 – als Sohn  375 Juden/jüdisch  133, 199f, 272f, 284–288, 337, 371, 385, 440, 443, 461–465, 469, 474–477, 490, 494, 508 Junker Jörg  307 Kasten (siehe auch Leisinger Kastenordnung)  203, 497 Kasualhandlung/Kasualie  34, 347, 350f, 354, 370, 397, 400, 402, 449f, 501 Kasualpraxis/kasualpraktisch 13, 449, 450, 501 Kasualtheorie 449 Katechismus  26, 146, 201, 205–209, 216f, 224, 362f, 390, 440, 483, 495, 509, Katechismusunterricht 207f Ketzer/ Ketzerei  2, 76, 109, 144, 255, 337, 359, 411, 479, 481f, 486f Ketzerprozess 123 Keuschheit, keusch 136, 193,196–198, 380f, 394, 405–409, 507 Keuschheitsgelübde 196f Kinder  223–227, 269, 308, 328, 381, 387, 406, 409f, 476, 507, 508 Kinderevangelium 164 Kinderglaube 165 Kindertaufe  348, 350, 360, 364–368 Kirche/Kirchenbegriff (siehe auch Reich, Regiment)  292, 294 – äußere  51, 61–64, 66, 67, 78, 190, 192, 240, 503, 511 – evangelische  300, 322 – innere  61–64, 78f, 317

609

– Papstkirche  123, 125, 151, 165f, 203, 216, 220, 248, 271, 276, 285, 406, 475, 499, 506, 508 – römische  111f, 367 – reformatorische  177, 218 – sichtbare  290, 315, 506 – und Staat  269, 488 – unsichtbare  315 – wahre  429, 505 Kircheinweihung 32 Kirchenordnung  142, 348, 401 Kirchenpolitik  150, 263 Kirchenraum  354, 509 Kirchenregiment (siehe Regiment) Kirchenväter  55, 84, 103, 109f, 119, 400 Kirchenvisitation  205, 206, 352, 401 Klerus  138, 147, 150, 175, 215, 380, 422 Kloster  25, 45, 55–57, 174 Klosteraustritt  126, 198 Klosterflucht 198 Kontext 12f – agendarischer  13, 494, 497 – historischer  3, 94, 296, 337, 498–500, 502 – liturgischer  3, 411, 420, 434, 501f – sozialer  1, 13, 157, 475, 498 – theologischer  2f, 419, 502–507 – überlieferungsgeschichtlich  5, 12–14, 18, 23, 32, 310, 411, 492 Kontextuelle Reformation  13, 34, 491 Konventsprediger  56, 67 Konzept (siehe auch Notiz)  287, 310– 315, 321, 325, 493 Konzil  103, 112, 299, 330 Kooperationstheorie/cooperatio  49, 51, 106,119, 504 Körper und Geist  392, 481 Körper/ körperlich (siehe auch Reinheit, Unreinheit)  42, 48, 358f, 481f, 484, 489, 497, 502, 508 Kosmologie  50, 54, 344f, 503 Krankheit  48, 216, 279, 291, 395, 459 Kreuz  143–145, 310, 312–314, 318–320, 323f, 373, 504, 506 – Kreuzerhöhung  141 – Kreuzesstamm  311, 315 – Kreuzestheologie  311, 313, 320 – Kreuzestod  211

610

Sachen

kultische Handlungen (siehe auch Kasualhandlung, Konfessionalisierung, Rituelle Reformation, Ritus)  347, 501 Laie (siehe auch Allgemeines Priestertum)  113, 120, 135, 175, 215 – Laienkelch  126, 301 Leben – christliches  36, 210–212, 268, 275, 322, 389 – eheliches  382, 506 – ewiges  46, 320f, 429, 477, 509 – heiliges /höheres  429, 479 – irdisches/diesseitiges  53, 210–214, 320, 409 – kirchliches  37 – unvergängliches  214 – vergängliches  213f, 314 – weltliches  210, 213 – zölibatäres  380, 410 – zukünftiges  213f Lehre  11, 39f, 134, 151, 176, 199, 229, 272, 332, 486f Lehrpredigt, theologische  134, 166 Leichenpredigt  349, 352, 449 Leid/Leiden  275, 303, 312–321, 323–325, 507, 509 Leidenschaft  49, 398 Leisinger Kastenordnung (siehe auch gemeiner Kasten)  203, 497 Liebe  279, 286, 394 – zu Christus  89, 285 – Eigen/Selbstliebe  78, 503 – zu Gott  80, 285 Literalsinn 59 Liturgie  3, 271, 328, 370, 411, 318, 420, 424, 434, 501, 502 Lokalkolorit/lokale Färbung 11, 157, 353, 368 Macht  53f, 82, 105, 113f, 120,140,148, 201f, 241, 250, 254, 259, 325, 340, 369, 405, 412, 428, 430–433, 472, 489, 496, 503 Mann (siehe auch Frau, Sexualität)  394, 398f, 404, 406, 410

Manuskript (siehe auch Notiz)  14, 16, 24, 40f, 45, 52, 97, 189, 209, 212, 214f, 225, 228, 243, 318, 392, 437, 492, 493 Mensch  42, 50–53, 63, 134–136, 140, 160, 195, 248, 255–257, 269, 311f, 333, 366, 387, 392, 394, 382, 503, 504, 506 – als Abbild Gottes  66, 70–73 – äußerer  61, 511 – innerer  61, 317, 511 Messe/Messebegriff  101, 191f, 195, 196, 270f, 299 Mette 26 Mission  33, 376, 379, 499 Mönch (siehe auch Keuschheit, Nonne, Zölibat)  16, 136, 183, 248, 251, 253, 320, 327f, 365, 372, 406, 508 Mönchsverständnis 12 Mönchtum  12, 183, 242, 320, 487 Moralerzieher (siehe Rolle Luthers)  73, 90, 498, 503 Mystik /mystisch (siehe auch Brautmystik)  49f, 54f, 58, 61, 66, 73, 90, 319, 375, 400, 411, 450, 498, 502f, 506f Nachfolge  190–192, 226f, 265, 310, 317, 344, 507 Nächstenhilfe/Nächstenliebe 44, 89, 138, 255, 260, 285, 364, 449, 476f 504 Naturrecht  223, 381 Nonnenflucht  227, 496 Nonne  136, 157, 183, 197f, 248, 251, 405f Notiz, Notizzettel  14f, 26, 53, 290, 362, 392, 492f, 511 Obrigkeit (siehe auch Gewalt, Herrschaft, Zwei-Regimente-Lehre, Zwei-ReicheLehre, Zwei-Schwerter-Lehre)  7, 146f, 152, 224, 229, 246–248, 254–256, 260, 269, 484 – geistliche  148f, 254f – weltliche  142, 148, 214, 226, 254–256, 505 Obrigkeitslehre 249 Obrigkeitspredigt  34, 149, 150, 229, 242– 246, 260f, 293, 492, 497, 505, 508, 510 Obrigkeitsschrift 244, 245–251, 255f, 260f, 505 Obrigkeitsverständnis  151, 249, 261, 505

Sachen

Offenbarung  89, 91, 106, 288, 376, 384, 468, 485, 495, 504 opus Dei (siehe Werke)  62, 363, 365, 506 Ordenskapitel  – Gothaer  67f, 189, 498, 503 – Kölner  67f Ordination  350, 352–354, 402, 418, 420, 425, 460f, 498, 501 Ordinationspraxis 353 Ordinationspredigt 352 Ordinationsworte 34 Ordnung – Gottes  148, 409f – Schöpfungsordnung (siehe auch Ehe, Schöpfungsauftrag) 237 Ortsgemeinde  2, 126, 353 Ortspredigt  3, 492 Osterpredigt  12, 193, 303, 318, 500 Packsche Händel  297 Pactum Lutheri  460 Pädagogik/pädagogisch  143, 206, 328f, 509 Papisten  267, 289, 292, 323, 405, 421, 432, 440 Papst  82, 102, 115, 117, 148, 150, 226, 249, 251, 256, 298f, 326–328, 336, 405–407, 409, 430, 447, 480f, 487, 489, 504 Papstgewalt/ päpstliche Gewalt 112f, 116, 120 Papstkirche  123, 125, 151, 166, 203, 216, 220, 248, 271, 276, 285, 367, 406, 427, 475, 499, 506, 508 Papsttum  222, 247, 272, 372, 377, 471 Passion/Passionsverständnis  9, 83, 315– 319 Passionspredigt  310, 316, 320 Patronatsrecht  129, 131, 455 Perikopenordnung  54, 133, 449, 501 Petrusbekenntnis  106, 119 Pfarramt  169, 175, 413 Pfarrei  37, 362, 383, 460 Pfarrer  16, 161, 176f, 182–184, 206f, 220, 383f, 390, 417, 420f, 431 Pflichten  124, 138, 157, 161, 178, 191f, 213f, 221f, 269f, 364, 367, 423, 428, 442, 476f

611

Philosophie/philosophisch  39, 49f, 65– 67, 90, 119, 503 Pilgern  136, 142, 145, 149, 160, 172, 191, 193, 196, 218, 324 Polemik  76, 90, 101, 144, 160, 166, 200, 215f, 226, 251, 271f, 285, 288, 292, 314, 318, 373, 379, 403, 406, 426, 431f, 490, 499, 501, 503, 507 Polytheismus 470 Postille  13, 16f, 29, 133, 191f, 195, 216, 227,446, 495 Prädestination 89 Prediger  9, 116, 154, 131, 272, 487 – Ablassprediger (siehe Ablassprediger)  74–76, 78, 80, 81, 84, 90 – Aufgabe des Predigers  245 – falsche Prediger  219, 226 – Fürstenprediger  294 – Hofprediger  57, 265, 293 – K o n ve n t s p r e d i g e r / O r d e n s p r e d i ger  56, 67 Predigerverständnis  67, 245, 250, 255f, 387 Predigt – Ablasspredigt  81 – als apologetische Kritik  507, 511 – Aufbau  11, 134, 137, 316, 446, 485f – exegetisch  13, 35, 58f – homiletisch  11, 13, 126 – Invokavitpredigt  2, 28, 56, 126, 143, 161 – Kasualpredigt  32, 34, 245, 250f, 354f, 361, 374, 379, 398, 448–450 – kasualpraktisch  13, 449f – Evangeliumspredigt  9, 10, 169, 192 – Manuskript  41, 189 – als Medium  1 – Obrigkeitspredigt  34, 149, 150, 229, 242–246, 260f, 293, 492, 497, 505, 508, 510 – Ordinationspredigt  352 – Osterpredigt  12, 193, 303, 318, 500 – Passionspredigt  12, 310, 316, 320 – Reisepredigt  2f, 32f, 126, 167, 227, 491f, 499f, 504 – als schriftausegende Erfahrungstheologie  507, 510f – systematisch-theologisch  13

612

Sachen

– Taufpredigt  351, 354f, 360f, 363, 365f, 368, 370, 373, 375, 378f, 494, 495, 497, 508 – Übungspredigt  28, 36–38, 498 – als virtueller Dialog  51, 156, 288, 372, 407, 476, 482, 507, 509–511 Predigtanalyse  3, 32, 240, 397 Predigtaufbau  11, 134, 137, 316, 446, 485f Predigtausbildung  37f, 55, 90, 498, 502 Predigtdispositionen  10, 90, 217, 315, 325, 359, 496, 498 Predigtgeschehen 15 Predigtstreik  26, 95 Priester/Priesteramt/Priesterverständnis 164, 204, 429 Priesterehe (siehe auch Ehe, Zölibat)  184, 381, 382 Priestertum aller Getauften (siehe Allgemeines Priestertum)  139, 161, 430 Primat (siehe auch Papstgewalt, Papsttum, Primatsfrage)  93, 100, 103, 105, 116 Primatsfrage  111–113, 504 Promissio 36 Protestanten/protestantisch 299, 306, 357, 435f, 448, 502 Psalmenvorlesung  9, 35, 42, 57, 71 Psalter  27, 355 Quasiauthentizität  19, 228, 493 Quellengattung  6, 12, 19, 94 Quellenkritik 5f Quellenüberlieferung 7 ratio  49, 62, 162, 214, 249, 260, 380, 365, 468 Realpräsenzlehre  379, 506 Rechtfertigung (siehe auch Werkgerechtigkeit)  73, 88, 91, 116, 134, 157, 166, 301, 499, 503f Rechtstheologie  111f, 116 Redundanztechnik  15, 33, 212, 228, 370, 373, 404, 465f, 479, 493 Reformation  16, 29, 31, 73, 95, 150, 152f, 166, 175–177, 229f, 234, 236f, 264f, 280f, 293f, 295, 347, 354, 491, 496,499, 500, 501, 502 Reformatorische Entdeckung/Erkenntnis  35f, 137, 497

Reformatorische Wende  35 Regierung  148, 247, 249, 256, 260, 293, 402, 413, 417, 505 Regiment (siehe auch Zwei-RegimenteLehre, Zwei-Reiche-Lehre)  149, 151f, 242, 248, 250, 254f, 273f, 359f, 445, 484, 487f, 505 Reich – Reich Christi  245–248, 251, 253, 292 – eigenes Reich – geistliches Reich  247 – Reich Gottes  245f, 250, 253f, 271, 505 – Reich des Papstes  248, 251, 253 – Reich des Teufels  245f, 251, 253f, 261, 505 – Reich der Welt/weltliches 246–248, 250, 253, 287 Reichsacht  31, 123f, 290, 299, 302 Reichstag – Augsburger (1530)  34, 295–309, 315, 324f, 326, 327, 329, 331, 332, 334, 336, 337, 338, 341, 342–343, 344f, 496, 500f – Speyer (1529)  297f – Wormser (1521)  230, 238, 454 Reihenpredigt  27, 139, 162, 210, 222, 268, 431, 478, 495 Reinheit /rein  63, 87, 381, 408f, 411, 450, 475, 481f, 489, 506f, 508, 511 Reise – Reise Luthers  würde ich weglassen, weil unten in den begriffen konkreter – Erholungsreise  356 – Hinreise  296, 302, 310, 463 – Huldigungsreise  281 – Reisezug  303, 307, 327, 329, 345 – Rückreise/Abreise  125, 127, 130, 146, 222, 241, 267, 296, 306f, 309, 330, 463 – Romreise  40, 55, 306, 492 – Visitationsreisen (siehe Visitation)  29, 68, 131, 176f, 204f, 207, 352, 369, 401, 420 Reisepredigt (siehe auch Typus »Reisepredigt«)  2f, 32f, 126, 167, 227, 491f, 499f, 504 Religion 278 Religionsgespräch  299f, 416 Religionskrieg 345 Religionspolitik  123f, 233, 296f, 300, 329 Reliquien  77, 142–146, 174

Sachen

Reliquienkult  90, 141–143, 145, 503, 508 Richterstuhl 276 Ritus/Riten (siehe auch Kasualpraxis, kultische Handlungen)  196, 279f, 365, 377, 379 Ritual  365f, 377f, 474, 506 Rituelle Reformation  347 Rolle Luthers – als (naher) Bekannter/ Freund  14, 96, 140, 153, 182, 263, 265, 350–352, 396, 410 – als charismatischer Anführer  337, 343, 345 – als Ecclesiast  125, 499 – als Erzieher  30, 278f, 293f, 491 – als evangelischer/praktischer Kasualprediger  433, 491, 501 – als Gemeindebetreuer  209, 491 – als Hofprediger  57, 293 – als Ketzer  2, 117f, 123, 427 – als Kommentator  294 – als Lehrer  209 – als Liturg  433 – als Missionsprediger  491 – als monastischer Moralprediger  491 – als Moralerzieher  73, 90, 498, 503 – als Pädagoge  143, 206, 226, 328f, 509 – als Pfarrer  182 – als Prediger  57, 68f, 73, 82, 90, 489, 491, 499, 502 – als politischer Berater/Ratgeber  30, 293, 306, 419, 433, 491, 501f – als Prophet/ prophetischer Heilsbringer  2, 343, 345, 491 – als Repräsentationsfigur  30, 293f, 420, 491 – als Rhetoriker  11, 48, 65, 68f, 101 254, 257 – als Seelsorger  37f, 45, 278, 293f, 296, 491, 500 – als Zuhörer  490, 512 Römerbrief  41f, 88, 137, 182, 276, 497 Römische Messe  204 Romreise  40, 55, 306, 492 Rottengeist  304, 312, 317f, 320, 324, 327, 480 Sabbat 439–443 Sakralarchitektur  435, 448, 502

613

Sakrament  135, 138, 161, 217, 241, 308, 363, 377, 381, 482, 498, 506 Satan (siehe auch Sündenfall, Sündenlehre, Teufel)  202, 387, 392f, 395, 478 Scheidung (siehe auch Ehe)  197 Schlüsselamt 104 Schlüsselgewalt  113–115, 120, 504 Schmalkaldischer Krieg  396, 419, 433, 438 Scholastik/scholastisch  41, 45, 49, 51, 54f, 60, 66f, 73, 90, 97, 145, 182, 366, 498, 502, 508 Schrift (Bibel)  89, 110, 112, 162, 272, 332, 392, 419 Schriftauslegende Predigt  410, 511 Schuld  44, 48,79, 157, 239, 276, 334, 372, 487 Schule  43, 204, 223f, 299, 308, 340, 438, 474, 476, 486 Schülerrolle  43, 308, 340, 486 Schwärmer/Schwärmertum 131, 325, 327, 330, 344, 384, 447, 480, 486, 500 Schwellenriten 449f Schwert (siehe auch Zwei-RegimenteLehre, Zwei-Reiche-Lehre, ZweiSchwerter-Theorie) 151f, 246, 249f, 254, 256, 260f, 285, 505 Seele  42, 69, 77, 85, 87, 142, 148, 217, 398, 429, 506 Seelenheil 154 Seelsorge  37f, 45, 278, 293f, 296, 491, 500 Selbstbestrafung 315 Selbstheiligung 314 Sentenzenauslegung  39f, 48, 50, 59, 60 503 Sexualtrieb/Sexualität   380f, 395, 410, 506f sola fide  114, 116, 120, 136–138, 157, 160, 166, 190, 240, 242, 499, 504 sola gratia  106, 116, 190, 236, 504 Sophismus  248, 334 Spiritualismus  125, 166 Spontaneität  15, 311f, 315, 322f, 325, 344, 444, 448, 467 Stand /Stände /Ständelehre (siehe auch christliches Leben, Gewalt, Obrigkeit)  191f, 214, 233, 257, 269, 273f, 299,

614

Sachen

308f, 328, 359f, 399, 404–406, 408, 419f, 427, 444–448 Stenogramm  5, 15–18, 26, 33 Sühne 194 Sünde  9, 43, 46, 66, 72, 74, 79–82, 85–90, 107f, 114, 135, 149, 160, 164f, 193–195, 199, 215f, 224, 275, 303f, 311, 333f, 366, 371–373, 375, 378f, 392–395, 405, 410, 450, 465, 482f, 503, 505f Sündenlehre  334, 366, 373, 375, 506 Syllogismus-Lehre/Syllogistik  60, 67 Taufbefehl  377, 379 Taufe/Taufverständnis  360, 365, 367f, 378f, 506 Täufer/Täuferbewegung  219, 226f, 312, 318, 320, 368, 379, 479f, 486, 496, 508 Taufpraxis 378f Taufpredigt  351, 354, 361, 363, 365f, 368, 370, 373, 379, 494f, 497, 508 Taufwirkung  368, 378f, 506 Teufel  63, 70f, 87, 156, 220, 245f, 250– 254, 303f, 313, 315, 323f, 333, 335f, 339, 341–344, 345, 366, 383, 385, 387, 392, 395, 411, 432, 445, 465–472, 479–481, 489, 505, 508 Textkritik/textkritisch 6, 20–24, 132, 268, 426, 445 Textquellen (siehe auch Quelle, Quellengattung, Quellenkritik, Quellenüberlieferung)  119, 135, 261, 263, 499f Theologie/theologisch  1–3, 11, 13, 28, 38, 45, 55, 89, 93, 123, 126, 163, 188, 195, 227, 347, 419, 279, 491, 495f, 501–505, 507, 511f – Amtstheologie  349 – Episkopaltheologie  430 – Erfahrungstheologie  507, 510, 511 – Gottesdiensttheologie  269, 349 – Kreuzestheologie  144 – Luthers (Kernbotschaft)  88f, 91, 113, 120, 136, 166, 365f, 368, 475f, 499, 504 – Pastoraltheologie  430 – Praktische Theologie  32 – reformatorische Theologie  126, 137, 141, 157, 236, 241, 479, 503 – Sakramentstheologie  79, 114, 138, 212, 349, 363, 377, 379, 382, 410, 482, 498, 506

– scholastische Theologie  45, 49, 97, 182, 502, 508 Thesen  74–76, 79, 81–84,86, 96–100, 145, 180, 182, 497 Tod  136, 210f, 311f, 366, 465, 481f, 489, 506 Torheit  77, 485, 495, 511 Totenbeschwörung 165f Tradition  33, 42, 45, 49, 59, 66, 86, 288, 319, 369, 380, 400, 449f, 475f, 498, 502, 503, 504, 505 Transzendentalien 51 Traubüchlein 390f Traueransprache/Trauerrede  34, 391 Traupredigt  410f, 449f, 495–497, 501, 510 Trauung (siehe auch Hochzeit, Ehe)  29, 385, 389, 396f, 410, 411, 497 Trauungszeremonie 400 Trinität, trinitarisch  49–51, 60, 65f, 67, 503 Trost  114, 131, 313, 329, 423, 488, 512 Türken  266, 294, 300, 315, 323, 326, 335f, 443, 447f, 468–470, 481, 483, 489 Turmerlebnis 137 Typus »Reisepredigt«  3, 33, 126, 167, 499, 504 Übel  48, 51–53 Überlieferungsform  14, 19, 20f Überlieferungsgeschichte  5, 12f, 14, 17, 18, 23, 32, 125, 310, 411, 492 Überlieferungsprozess  7, 11, 14f, 17, 18f, 126 Überlieferungsträger  14, 18 Überlieferungszweig  18f, 25 Übungspredigt  28, 36–38, 498 Unfehlbarkeit 290f Unfreiheit des Willens  104, 108, 110, 115, 119 Unglaube  52, 70f, 334, 466, 479 Universität  38, 99–102, 104, 116, 170f, 177f, 182, 235, 299 Unreinheit  87, 381, 408f, 411, 450, 475, 481f, 489, 506f, 508, 511  Unterricht, unterrichten  10, 83, 206– 208, 213, 224, 431, 477 Vaterunser  74–76, 106, 362, 377, 391

Sachen

Vereinigung mit Gott (unio mystica)  66 Vergebung  80, 149, 164, 193–195, 215f, 371–373, 399, 482, 506 Vernunft  49, 162f, 249, 260, 308, 365, 404, 468 vestigia trinitatis (siehe auch Trinität)  49 Virtueller Dialog/Gegner/Gegenrede  51, 101, 156, 288, 372, 407, 476, 482, 507, 509–511 Visitation  29, 68, 131, 176f, 204f, 207, 352, 369, 401, 420 Volk Israel  142, 219, 371 Vorreformation, vorreformatorisch 45, 55, 90, 177 Vorsehung  164, 166 Wahrheit  62, 101, 106, 162f, 332, 468, 476 Wallfahrt  136, 149, 157, 191, 196, 272, 314, 350, 471 Wasser als Zeichenhandlung  365f, 376– 378, 445, 506 Weimarer Ausgabe  5, 12f, 17f, 21, 27 Welt   50, 292, 339, 404, 450, 485, 511 Werk Gottes  136, 342, 363–365, 367, 506 Werke – eigene  140, 195, 367 – fremde (Christi)  140, 332, 363–366 – gute  45, 55, 87, 106, 110, 134, 138, 155– 157, 160–164, 196, 248, 251–253, 503, 505, 507 – leibliche  161, 398 – menschliche  85, 136, 191, 219, 327f, 372, 508 – der Nächstenliebe  161, 329, 364, 444, – Verständnis Luthers  87, 240 Werkgerechtigkeit  41, 45, 107, 157, 163, 320 Wiedergeburt 378 Wille – befreiter  107 – freier/ Freiheit des  103, 105–110, 251, 504 – menschlicher  106, 108, 486 – sündiger  107, 371 – unfreier/Unfreiheit des  108, 110, 119 Willensfreiheit (siehe Freiheit des Willens)  103, 105–110, 251, 504

615

Wittenberger Bewegung  28, 125, 135, 166, 496, 499 Wittenberger Ordinationsformular  425, 434, 498 Wohltat  386, 393 – geistlich  358, 360 – Gottes  356, 358, 360 – körperlich  358f, 497 Wort/Wort Gottes 60, 65f – äußeres  61–65, 67, 503 – gesprochenes  61, 64, 506 – inneres/innerliches  61–65, 67, 503 – als Gnadenmittel  66, 120, 506 Wortverkündung 484 Wunder  46, 85, 169, 190, 202, 339, 376, 439f, 472 Wurzener Fehde  234 Zahlenmystik (siehe auch Mystik)  383 Zeichen  47, 51–53, 211, 248, 365, 377–379, 388, 475, 482, 506 Zeichenhandlung 365 Zeit – der Anfechtung  466 – des Friedens  466 – des Glaubens  472 Zeremonie (siehe auch Kasualie)  77, 280, 348, 351, 390f, 400, 403, 411, 434, 497f Zölibat  161, 196, 380, 403, 407–410, 501, 507, 510 Zurechnungs- und Irrtumslehre  334 Zuspruch  114, 134, 216, 424, 428, 489 Zwang  162, 246, 255, 285 Zwei-Naturen-Lehre  61f, 67, 465–4678, 503 Zwei-Reiche-Lehre (siehe auch Zwei-Regimente-Lehre)  152, 242, 261, 288, 293, 505 Zwei-Schwerter-Theorie (Zwei-Regimente-Lehre, Zwei-Reiche-Lehre) 151f, 249f, 256, 261, 285, 505 Zweifel  93, 113f, 120, 309, 332 Zwickauer Propheten  159, 166, 368, 496, 508 Zwinglianer  299f, 344