Ludewig von Zollern, ein Roman von Sylvester: Teil 1 [Reprint 2022 ed.] 9783112635889


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Ludewig von Zollern, ein Roman von Sylvester: Teil 1 [Reprint 2022 ed.]
 9783112635889

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Ludewig von Zollern. Ein Roma»; von

Sylvester.

Erster

Theil.

Berlin Gedruckt und

i 8 2 i* verlegt

bei G. Reimer.

3» klösterlicher Einsamkeit versunken, Entquoll dem Herzen einst ein göttlich Bild.

Bon süßer Liebe Weltexlösung trunken, Erschien mir klar ein Hchwesterpaar (p

Mild» Der Held im Kumpf mit Lüg' und mit

Verderben, Zieht fort und fort durch manches fremde

Land; Doch kann er nur den hohen Preis er­ werben,

IV

Geleitet und gestärkt an ihrer Hand» Des Christenglaubens Jugend ist die Liebe; Der reinen Frauen zarte Himmelstriebe

Verkläre« jedes Herz in Geistesflammen Und zeuge«, daß Olt all' von oben stammen.

Aus stillen Tiefen steigt baS neue Leben, In Klostermauern faßt ihn heilig Weh;

Hü Staub versinket all fein früher Streben,

Die Jungfrau mahnet, baß er auferstrh;

Berwunder und gehellt von ihren Händen, Kann er baß Auge nie mehr von ihr tv'enden.

Nun ruft btt Pflicht zum blut'gen Freie

heitskriege, Er rafft sich auf und ziehet in den Streit;

Sd Ludewig enteil Wm Sitz Zum Siege,

Zum größten Opfer fühl« dich bereit!

Der Abschied ist ein himmlisch Wiedersehen, Und in der Thräne blinkt dir Auferstehen. Roch einmal muß ste ihn vom Tod er­ retten

Und sich für ihn in die Verwesung betten» Da öffnet sich das Thor der neuen Erde, Ein heilig Feuer schließt ihm auf den Mund,

Und seins Seel' durchdringt ein großes

"W erbe!,.

Der Kranken viele machet er gesund; Dann eilet er «ach Norden zu dem Worte,

Und trägt es, weihend, zu dem heil'gen Orte,

Entzaubert ist die Braut und er beglücket, Mit ihm die Welt verkläret und entzücket-

Erstes Kapitel, Abwärts tollte

da« Getös« bet Schlacht; dem

blutige» Kampfe hatte die eintretenbe Rächt

ein Ende gemacht.

Die Deutschen zogen sich

in geschlossenen Kolonnen auf ihre Betschan­

zungen zurück, und der überflügelnde Feind ver­ folgte mit leichten Reutern.

Biel« Tausende

lagen erschlagen auf bet verödeten Wahlstätte; das blühende Korn «ar zertreten von den Hu­ fen und roth von Blut, ein schwarzer Pulver­

dampf zog langsam über die Ebene hin, und aus dem unermeßlichen Schlunde des Entfet-

zens thaten Nach und «ach die ewigen Gestir­

ne, das Grab der Bölker mit sanftem Schim­ mer erhellend.

Unter jenen Taufenden lag auch Ludewig von Zoller», schwer verwundet und von den

Ludewig v. Z. »ter

Ts

2 ©einigen als todt betrauet; zue Dekkung de» Rückzuges hatte er sich einer Brigade an dir

Spitze geworfen und zu tief in den Feind ge­ wagt.

Don ihm umzingelt, waren feine Leute

theils niedergehauen, theils zersprengt worden,

einige derselben hatten ihn fallen sehn, aber, fortgerissen im Getümmel, vergeblich sich be­

müht,

ihn aufzunehmen;

nur die schlimme

Botschaft feine» Todes — denn die Besten im $tete liebten ihn — war Alle», was sie mit dem Leben zurück trugen.

Lange lag Ludewig so betäubt im Staube, während die wilden Geschwader der Feinde über ihn wegeilten.

Eine Flintenkugel hat­

te die Schulter durchbohrt, ein Säbel-Hieb

war tief in den Schädel gedrungen, die Wun­

den hatten stark geblutet, und als er endlich

die Augen aufschlug, fühlte er sich so matt daß

er kaum sich aufrichten konnte; neben sich er­

blickte er verstümmelte Leichname, und durch

die Todtenstille hallte nur dann und wann das Röcheln eines Sterbenden, welches ihm,, wir

ein dumpfer Nachhall, da» Schicksal des Tage«

vergegenwärtigte.

Doch bald bemerkte >et bei

Ungewisser Nacht, Raubgesindel in einigte Entfernung, welches die Gefallenen auf dem Schlachtfelde auszog, und allerlei grausamen Muthwillen trieb. Es schien sich auch dem Orte wo er lag zu nähern, und um ihren Hände zu entfliegen raffte er die lehren Kräfte zusammen und schleppte sich abseits unter einen Eichbaum, der ihn schirmend mit seinem dich­ ten Schatten bedeckte. Hier sank er völlig er­ schöpft in eine tiefe Ohnmacht, und auf diesem Grenzpuncte von Leben und Tob, erschien ihm folgendes Traum-Gesicht. Es dünkte ihm, al« würde er anfeinem lufti­ gen Wagen du(ch unermeßliche Fernen getragen, und abgesetzt auf eine blühende Wiese. Ein lan­ ges dunkles Leben lag wie eine blaue Wolke hinter ihm. Die Wolke zog wie nach einem Gewitter abseits übers Meer, und er blickte mit stiller Wehmuth hinab in ihre tiefe Bläue. Wie er noch so stand und staunte, wurden feine Füße schwer wie Blei, und er sank erschöpft in da« tiefe Gras. Durch die Grashalme, welche wir eine wunderbare Rune, in kolossalen Berhältniffen, dicht vor fein Auge traten, sah er da»

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schönste Geblüme von der Welt, in den man­ nigfaltigsten und lebhaftesten Farben hindurch schimmern, auch konnte er den Duft jeder Blu­ me, welcher wie ein persönlich Leben auf ihn ein­ wirkte, klar unterscheiden. Diese Düfte gingen nach und nach in die reinsten Töne über, wel­ che erst einzeln, wie am gestrichenen Glase klan­ gen, bald aber zum vollen Choral sich ver­ schmolzen. Er glaubte die innerste Seele der Natur zu vernehmen, und, wa» ihn beson­ ders wunderte, so schienen alle jene Lieder aus ihm selbst hervorzugehn, oder er vielmehr aus ihnen, so daß er sich zugleich als Künstler, Or­ gan und Zuhörer vorkam. Er wollte aufstehen, und nach de» klingenden Blumen sich umsehen, doch versagte ihm jedes Glied seinen Dienst. Du bist sehr krank Ludewig, sprach eine Stimme dicht über ihm, die mit heiligem Wohl­ laut sein Herz erquickte, und er fühlte zugleich eine zarte Hand, die ihn aufrichtete, und sei­ nen schweren Leib ihm alsbald flügellricht mach­ te. Er schlug die Augen auf und sah ein Mäd­ chen neben sich, die mit dem Ernste anderer Welten, die ganze Lieblichkeit der Erde verband.

5 Sie schien ihm bekannt, und doch ruhte einGeheimniß auf der Stirne, daß er fle nicht anzu­ reden wagte. Du kommst aus großen Tiefen zu Dir selbst; der Tod lag schwer auf dir, doch folge mir nach, und ich will dich gesund machen. Sie nahm ihn mit diesen Worten bei derHand, und führte ihn schnell über eine Wiese hin, die unabsehbar nach allen Seiten sich auszudehnen schien. Ein magnetischer Strom ging aus ihren Fingerspitzen stärkend durch seine Glieder, und hob seine Füße wie Flügel, daß er kaum die Spitzen des Grases berührte. Siehe hier, sagte sie lächelnd, diese Wiese ist die Welt, und diese Blumen sind die Menschheit, jede Blume hat ihren eigenen Duft und Klang, alle vereinigen sich zum großen Wohllaut, und ob­ gleich manche widerwärtige Tone vorkommen, so werden sie doch durch andere wieder harmo­ nisch. Das ganze Lied ist immer göttlich und lauter; denn auf der Harfe der ewigen Natur kann kein Fehlgriff geschehn. Ludewig wollte weilen und der Blumen genießen, doch wie er weilte, hatten sie schon ihren Duft verloren, der sich nur im schnellsten

6 Luftzuge den Vorübereilenden zu entbinden schien. Hier ist unsers Bleiben« nicht länger, sprach die Jungfrau, laß uns weiter ziehn! Sofort fühlte er sich mit der größesten Ge­ schwindigkeit von ihr, wie an einem Berge, aufwärts geführt, und bemerkte bald an der sehr reinen Luft, daß fie schon eine beträcht­ liche Hohe erreicht haben mußten. Der Him­ mel stand in tiefer Bläue über ihrem Haupte, und die Gestirne singen schon an, neben der Sonne durch den lautern Aether ihrxn Schein zu ergießen. Aber mit einem Male hörte er ein gar liebliches Singen und Läuten, und ein köstlicher Wohlgeruch erfüllte die Luft. Er fühlte sich innigst bewegt, und wie aus einer großen Tiefe quoll ihm die Ergänzung siines Lebens entgegen.

Woher kommt das, fragte er gerührt? Die Blume der Sehnsucht beweget sich, sprach die Jungfrau, und sendet uns von der Hohe herab ihre Lieder und Düfte; denn das ist die Natur dieser Blume, daß sie auch aus der Ferne beglücket. Darf ich sie sehen? — Sie

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ist noch weit, doch wenn du eilest/ werden wir bald dort sein. Nun stiegen sie wie beflügelt das Gebirge hinan. Streckenweise waren die grünen Matten schon mit Eis belegt, und obwohl der Boden noch in größter Fruchtbarkeit prangte, thurmten sich doch rings seine glänzenden Pfeiler, wie wundersame Kristalle.

Hier laß uns weilen, sagte das Mädchen, denn dort umher muß die Blume der Sehn­ sucht wachsen. Sie stand gerade vor einem großen Eiskristall, welcher, von der Sonne durchschimmert, grünlich wie ein Smaragd glänzte. Aus diesem Kristall stieg ein Rosen­ stock mit einer wunderschönen Rose auf, und an dem nämlichen Stengel waren eine Lilie und Passionsblume aufgeblüht. Wie ist das möglich, fragte Ludewig? Du stehst es, ver­ setzte ste, es ist das Wunder der Liede! denn der herrliche Duft und der liebliche Klang, steigen aus der dreifachen Natur auf, die ge­ sellig verbindet, was sonst in der Welt nur einfach erscheinet.

8 Was bedeutet denn das? fragte er wieder. "Dein Leben, die Blume der Passion ' bist du selbst, Rose und Lilie sind deine Ge­ fährtinnen, das ganze Gewächs ist der siderifche Mensch, welcher im Bunde von Jugend, Geist und Passion auf dem Gipfel der Welt erst gebohren wird. So sollst du einst wer­ den!" Sie sahe ihn bei diesen Worten sehr ernsthaft an und eine Thräne fiel aus ihren himmlischen Augen in den Rosenkelch hinab. Sofort öffnete sich der Kelch mit einem lieb­ lichen Klange, und dehnte seine Blätter zu einen großen Schirm aus, der wie in regelmäfigen Pulsen, sich aufschloß und zusammen zog. Wenn du in meinen Saal eingehst, sagte die Blume, so will ich dir zum Wolken­ wagen werden, und du sollst wunderbare Din­ ge sehen. Ec bemerkte nun, daß sich die Rose in einen prächtigen kuppelformigen Dom verwandelte, dessen zahlreichen Stufen zu ei­ ner glänzenden Thüre führten. Laß uns hinein, gehen sagte das Mädchen, und, sie stie­ gen in den Tempel hinauf, welcher seine röth, liche Kuppel feenhaft über ihnen zusammen-

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zog. Plötzlich nun schien sich dieser Kelch von der Wurzel abzulösen, und mit unglaub­ licher Geschwindigkeit in die Hohe zu steigen. Bald öffnete sich wieder mit gleichem Klange die Kuppel und er sah ein strahlendes Gestirn, welches, in Gestalt der weißen Lilie, über ihrem Haupte schwebte, sie mit ihrem Lichte erquickend. Um diese Lichtlilie aber zog sich ein Sternkranz her, der, gleich einer Dornenkrone, regelmäßig seine Strahlen in excentrischer Richtung hinaus warf, die sich in einer sehr reinen tiefen Bläue verlohrey. Augenscheinlich war es die Passions­ blume, im himmlischen Zeichen, welche sich nun um die Lilie gezogen hatte. Was ist das? sagte er staunend. — "Deine Verklärung!^ sagte das Mädchen. Er wollte weiter reden, als sie ihn bittend ansah und mit einem hei­ ligen Kusse ihm den Mund verschloß. Als­ bald vernahm er hehre Melodien, die, wie er fühlte, aus den Bewegungen der Sterne ent­ standen, welche den Kranz der Passion bil­ deten. Sie schienen in dem bedeutsamsten Tanze begriffen zu sein, indem sie sich nach geistigen Gesetzen, gleich persönlichen Wesen

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bald einander näherten, bald von einander entfernten und dann wieder liebevoll sich zu­ sammen schlangen. Man sah die reizendsten Linien un Figuren entstehen, die eben so mu­ sikalisch auf das Auge wirkten, wie jene Me­ lodien auf das Ohr und den innern Sinn. Auch der alte erfreuliche Laut kam wieder, nur viel voller, und tönte wie ein göttliches Wort artikulier durch die ätherischen Lieder. Er fühlte sich davon aufs tiefste ergriffen, und suchte dieses ewige Wort fest zu halten; aber vergebens, es war, wie die grenzenlose See, und wie da« Brausen ihrer Wogen. — k'Es ist Zeit unuukehren,^ sagte das Mädchen, s>bu bist reif, dich zu opfern.^ Sie streute bei diesen Worten auf die Staubfäden der Rose, die, wie kunstreiche goldne Altäre, rings umher standen, einen fremden Weih­ rauch, der sich an dem Lichte der Lilie von selbst entzündete, und ihn in eine nahmenlose Wehmuth versenkte. Es war des Todes er­ habner Geist, welcher sich in dem Dufte über ihn ausgoß, und ein wollüstiger hinreißender Schmerz verzehrte, wie eine heilige Flamme,

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alle Freuden seiner Seele. — Sofort sank die Rosenkuppel mit großer Geschwindigkeit zur Erde, und das Mädchen sah ihn mit einem feuchten Blicke an, worin alle Zauber der Liebe ruhten. Ihr blondes Haar, welches sie erst in einem Knoten trug, war aufgeloßt über die Schultern herab gesunken und bedeckte sie bis zur Sohle, wie ein seidener Mantel; ihre Arme schlang sie mit tiefer Inbrunst um sei­ nen Leib. — "Sei fest, Ludewig!u sagte sie, "wer nicht sterben mag, der kann nicht leben» dig werden: du mußt für Viele dich opfern, damit du Viele befreiest." Hierauf gab sie ihm einen langen innigen Kuß. Er fühlte daß es der Abschied sei, und der tiefste Puls des Schmerzes schlug in ihm auf. Ihre Thrä­ nen rollen in seinen Busen, die seinigen sie­ len wie Staub auf den Boden. Auch die ätherischen Hymnen schwiegen, die Kuppel hatte sich wieder geschloffen, und die Geliebte erblaßte in seinen Armen. Er schlürfte mit TodeSbegeisterung den letzten Odem noch von ihren Lippen; ihre Gestalt zerging wie ein glänzendes Merall, und schwand sanstkiagend,

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gleich Tönen einer Aeolsharfe, hinweg. — Er wollte beten, und formte den Mund nicht öffnen, er wollte ihr nach, und konnte kein Glied bewegen. Aber der magische Tempel hatte sich unterdessen an dem Opferfeuer ent­ zündet, und die rorhen Flammen schlugen nun hoch über seinem Haupte zusammen. Er fühlte sich mit unerhörten Qualen von diesem Feuer verzehrt, doch wußte er, daß es nur äußerlich wirke, und ihn selbst nicht zerstören könne. Auch linderten diese Gluthen den in­ nere Brand seines Herzens, indem sie mit dem geistigen Schmerz gleichsam einen Gegen­ satz machten. Die brennende Kuppel erreichte unterdessen den Grund und öffnete sich nach allen Seiten hin, indem sie sich, wie ein glühen­ des Abendroth, am fernen Horizont vertheilte. Ludewig fühlte nunmehr einen neuen Leib, der nicht mehr der Schwere Unterthan war. Der alte lag in einem Haufen Asche zu seinen Füßen. In der Asche bemerkte er Perlen, welche er sogleich für die Thränen der Geliebten erkannte, die beim Abschied in seinen Busen sielen. Diese Perlen waren

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von besonderer Größe, und von dem schönsten Glanze, so daß er sich nicht satt an ihnen sehen konnte. Eine Sphinx aus röthlich-durch« sichrichem Marmor lag, wie beseelt, vor ihm unv hielt in den Händen eine goldene Truhe. "Nimm diese Truhe,« sagte die Sphinx, "und sammele deine Asche mit den Perlen darin, so will ich den Schatz dir aufbewahren zur gu­ ten Stunde!« Es wunderte ihn gar nicht, daß die Sphinx reden konnte; er nahm die Truhe aus ihren Händen, füllte sie mit der Asche uud den Perlen an, und reichte sie ihr wieder zurück. "Nun bist du frei,« sagt« die Sphinx, "doch mußt du mich erst entzaubern wenn du glücklich «erden willst; eile und suche das Räthsel!u — Welches Räthsel, und wie soll ich es lösen? — "Räthsel und Losung wirst du zugleich finden, gebrauche deine Freiheit, und suche das Wort!« Nun schwang sich Ludewig mit seinem neuen Leibe in die Luft, und fühlte entzückt die Versinnljchung der himmlischen Freiheit. Unter ihm lag ein Schlachtfeld, wo zahllose Schaaren kämpften den gräßlichen Kampf der Entscheidung. Das

T4 eherne Getose stieg bis an die Wolken, und die Sonne stand still am Gewölbe des Him­ mels. Seltsame Figuren entstanden in den Reihen der Krieger, Linien, die sich in einen unauflöslichen Knoten zu verschlingen schienen, und sonderbar ihn an sein vergangnes dunk­ les Leben erinnerten. Diese Linien schienen von dem siegreichen Heerführer mit Zweck und Regel geschlungen, von welchen, wie von einem Mittelpunkte, alle Evolutionen aus­ gingen. Ludewig fühlte inniges Mirleiden und eine unbeschreibliche Angst, denn er sah deutlich, daß dieser Mittelpunkt erst gewor­ fen werden mußte, wenn Lüge und Bosheit nicht auf immer den Sieg davon tragen soll­ ten. Schnell senkte er sich nieder, ergriff ein Schwert vom Boden, und stürzte sich behrrzt auf den furchtbaren Heerführer, der wie eine Flamme unter den Deinigen hielt. Der Heer­ führer wurde von seinen begeisterten Schlägen stark verwundet, und sagte: "Schone mein Le­ ben, denn wenn du mich tobtest, fährt das Räth­ sel mit mir in den Abgrund, und ist für dich auf ewig verlohren!"

"Glaube ihm nicht,., sprach die Sphinx, "folge deinem Herzen! der Abgrund kann das Räthsel nicht bergen... Ludewig, der jetzt von allen Seiten an­ gegriffen wurde, stürzte sich von neuem auf den König, den er, mit einem einzigen Streiche entseelt, zu Boden streckte. Sobald er todt war, zerstreuten sich seine zahllosen Schlacht­ reihen und zergingen nach allen vier Winden, wie ein schweflichter Dampf, der bald in Trop­ fen herab fiel und ein kräftiger Dünger für die Saat wurde. Ein Jeder der Eingebornen ging wieder an seine Arbeit, als wenn Nichts vorgefallen sei, und das Schlachtfeld überzog sich sofort mit einem dichten Rasen, welcher alle Leichen und Waffenstücke alsbald bedeckte. Nur der erschlagne König lag noch oben, und während er ihn mitleidig betrachtete, fuhr ein Adler aus der Höhe nieder, und trank mit Gier von seinem Herzblute. Er wollte ihn wegscheuchen, aber die Sphinx rief: "Laß ihn trinken!.. — Nachdem der Adler sich satt getrunken, sagte er: Folge mir, ich will dein Führer sein auf der Wallfahrt zum Worte.



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Hiemit schwang er sich in die Lüfte, und Lu­ dewig folgte ihm ohne Mühe bis nahe zur Sonne, wo die Erde wie ein kleiner Mond erschien. Anfangs blendete ihn das bis ins ungeheure wachsende Licht, bald aber gewohn­ te sich sein Auge daran, so, daß es ihm nur Wie eine sehr reiner Tagesglanz vorkam. Auch von der Hitzechatte er nichts auszustehen, feit er den neuen Leib trug, und der alte in Asche gebrannt war. Das zornige Feuer entstand allein aus dem Reize des Lichts auf den irdi­ schen Stoff; in sich selbst war die Sonne nichts als Glanz und Klarheit. Der Adler flog un­ terdessen immer weiter, und sie schwebten end­ lich ganz nahe über dem blendenden Grund. Es war eine einzige Lichtlilie, welche auf einem unabsehbaren Milchmeere schwamm, und strah­ lenfrei, doch hell, wie der Tag des Tages ihre Herrlichkeit ausgoß. Der Adler sagte zu ihm: ”9tun laß dich in die Staubfäden nieder, und bitte um eine Gabe! denn ich muß hier oben schweben und darf nicht hinab, weil ich von dem Blute getrunken habe.^ Ludewig ließ sich nieder, und fand in einem Orangenwalde voll



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köstlicher Blüten feiner der Staubfäden war dieser große Wald) eine junge Schäferinn, die ihre Heerde weidete, und ein frohes Lied sang. Das Lied erinnerte ihn an alte Zeiten, die Stimme schien ihm bekannt, das Mäd­ chen glich an Wuchs und Stimme entfernt seiner verstorbnen Geliebten. Er glaubte eine Königstochter vor sich zu sehn, so edel war ihre Geberde. "Du irrst dich nicht ganz,., sagte lächelnd das Mädchen, "hier in der Son­ ne sind wir uns alle gleich; doch ich sehe, du bist ein Fremder, was ist dein Begehren? "Tochter der Sonne!.. erwiederte er, "em armer Pilgrim kömmt von Ferne, und bittet dich um eine Gabe. Er weiß nicht, was er bittet und hoffet doch Gewährung. "Ludewig,., versetzte die Schäferinn, "du bist zur guten Stunde gekommen, — da nimm diesen Granatapfel, lösche damit deinen Hun­ ger und Durst, doch bewahre drei seiner Ker­ ne, und säe sie, wenn du heimkehrest, in den Abgrund'. Ihrer zwei werden unfruchtbar bleiben, allein der dritte Kern wird zu einer dreifachen Blume aufwachsen. Brich sie ab £u6eteiü V. Z. iter $6, D



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und trage sie an den Tag zurück! Du wirst auf jeder Blüte leine Sylbe in gnldnen Buch­ staben finden. Lies die drei Sylben zusam­ men von der Rechten zur Zinken, und sage das Wort der Sphinx leise ins Ohr! dann wird sich die Blume entzünde», ihre Asche sammele sorgfältig und mische fle zu der Asche in der Urne. Die Sphinx wird das Wort a«srufen, das Räthsel sich läsen, sie entzaubert wer­ den und du glücklich sein... Mit diesen Worten reichte sie ihm den schönsten Granatapfel, den fie aus einem Körbchen auslas, welches sie voll reifer Früchte am Arme trug. Ihre Gederde erweckte das größte Vertrauen, und ein süßer Friede kam über ihn. Er dankte ihr von ganzem Herzen und fühlte sich durch den Ge­ nuß des köstlichen Apfels im Innersten er­ quickt. Sie lud ihn freundlich zu ihrem Vater ein; aber der Adler schrie aufs heftig­ ste, und mahnte zur Rückkehr. Die Schäfe­ rinn, als sie ihn zum Abschiede entschlossen sah, reichte ihm geschwisterlich ihren Rosenmund, und nachdem sie sich ein herzliches Lebewohl gesagt, schwang er sich freudig in den Aether

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zurück. Der Adler klagte, daß seine Flügel durch das lange Zögern von der Sonnenglut so verbrannt wären, Und pries dagegen den Weg in den Abgrund, welchen sie nun anzu­ treten hätten. Er flog voran, und sie erreich, ten bald dir Grenzen des Lichts, wo die ur­ alte Nacht in ewiger Finsterniß ihre Welten bauet. "Hier laß uns «eilen,,, sprach der Adler, "und streue den Saamen!.. Ludewig sah schaudernd Unter sich liegen rin gestaltlo­ ses Meer, welches in» letzten Schimmer seine chaotische Flut wälzte. So war es vor der Schöpfung, da der Geist noch über den Was­ sern brütete, hier war noch Nichts gestaltet, und gesondert, sondern Alles brauste tosend in einander. Er streute schnell die drei Kör­ ner in das Gras, und wo sie hinab fielen, stieg ein blaues Flämmchen auf. Zwei der Flammen erloschen alsbald, aber aus der drit­ ten wuchs ein Stengel auf, der eine dreifach« Blume trieb. Er pflückte die Blume ab, und wie er sie brach, hörte er tief unten aus dem Gras eine ächzende Stimme, welche sagte: "genügte dir nicht mein Tüd, Verwegner! B-

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Verfolgst du mich selbst in den Abgrund und raubst mir mein Kleinod? Doch hüte dich, das Räthsel ans Licht zu bringen, es wird die Welt verbrennen, und dich selbst in ein Nichts verwandeln!« Die Stimme erkannte er sogleich für dir des erfchlagnen Königs und rin riesenhafter Arm streckte sich nach ihm aus. Er faßte den Arm mit dem innigsten Mirleidrn, denn die Stimme hatte ihn tief bewegt, und fühlte sich sogleich in das Meer der Vergessenheit hinabgezogen. — Nun ging etwas ganz Wunderliches mit ihm vor; die dunkelsten Gefühle durchkreuzten sich und er war an mehreren Orten zugleich. Sein gan­ zes Wesen schien Gedanke geworden, er lebte abwechselnd in Menschen und Thieren. Auf dem Sirius z. B. war er ein König, auf der Erde ein Löwe, auf der Sonne eine Blume, und alles das zu der nämlichen Zeit, so daß ihm fein Wesen unendlich ausgedehnt vorkam. — Diese Verwandlungen gingen mit der größten Geschwindigkeit vor sich und die ganze Mannig­ faltigkeit der Schöpfung klang in ihm wieder. Daß er gestorben sein mußte war ihm nun

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ganz begreiflich, und er stellte darüber man­ cherlei seltsame Betrachtungen an. Endlich ward er wieder der vorige Mensch mit seinem vorigen Leibe, und befand sich am Ausgange einer Höhle, neben einem schönen Jünglinge, der ihm die dreifache Blume überreichte. "Da nimm den Talisman»,.. sprach der Jünglings 'du hast mich durch Liebe überwunden, von nun an wird dir Alles gelingen!.. — Wer bist du? — "Dein Freund der Tod, dem du freiwillig dich geopfert und ihn dadurch ver­ söhnt hast.« — Wohin führst du mich? — "Ins wahre Leben; gedenke mein und sei glücklich!^ Mit diesen Worten küßte ihn der wunderbare Jüngling auf Stirne und Augen, und wich in die Tiefe zurück — Ludewig ward, nachdem er noch einige Stufen gestiegen, von der aufgehenden Sonne begrüßt, und be­ fand sich auf einer fruchtbaren Ebne, neben einem sehr heitern schönen See. Er betrach­ tete die Blume in seiner Hand; es war die nämliche, welche ihn vormals auf dem Ber­ ge so entzückt hatte, nur daß sie nun ganz in einander gewachsen und ihre dreifache Na-

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tut innigst vereiniget hatte. Die Lilie näm­ lich umschloß die Rose und die Passionsblu­ me breitete sich um beide, wie eine Strahlenglorie, aus. Vor ihm lag die Sphinx noch in der nämlichen Stellung, wie er sie verlassen hatte mit dem Gesicht nach Osten gewandt, die Truhe in Händen haltend. Er las die drei güldnen Sylben von der Rechten zur Linken auf' den drei Blüten zusammen, und sagte alsdann das Wort der Sphinx ins Ohr. Die Blume entzündete sich sofort und brannte in den Farben ihrer Blätter mit den zartesten Flammen. Sorg­ fältig sammelte er diese Asche und schüttete sie zu der Asche in der Urne. Sogleich rief die Sphinx mit gewaltiger Stimme das Wort aus. Cs dünkte ihm, durch ihre Zauberkehle verständiget, der wahre Nahme des Allmäch­ tigen, und heilige Schauer stossen durch feine Glieder. — Plötzlich entstand ein Brausen von Oben, wie eines lebendigen Windes; die gan­ ze Natur entzündete sich in den zartesten Flammen. Die Bäume brannten grün, die Felsen roth, und die Wasser blau, Alles in seiner eigenthümlichen Farbe; allein dieses

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Feuer verzehrte nicht, sondern verjüngte wie ein Phönix jede Gestalt. Die Erde verwan­ delte und erneuerte sich zu höherer Schönheit, und eine neue herrliche Menschheit richtete sich aus dem Staube auf. Von der räthselhafce Sphinx war die Verwandlung ausgegangen, sie sank entzaubert, als feine verlohrne Ge­ liebte, ihm freudetrunken in die Arme, und wiederholte ihm leise das allmächtige Wort, indem sie es mit einem heißen Kusse versie­ gelten. Ludewig war glücklich, er hielt die himmlische Braut in seinen Armen, und schaute dankbar auf die wiedergeborne Natur. Der kühne Adler schwebte aus der Höhe herab, und ließ sich aufeine schwarzeSpitzsäulenieder, welche in der Mitte des Meers stand. Sogleich versank die Spitzsäule, und er ward ein schö­ ner Schwan, den buhlerisch sanfte Wellen empor hoben, seine Gestalt in den Fluten bespigelend. — Noch einmal ertönte ein Nach­ hall des Wortes aus ätherischen Höhen. Lu­ dewig blickte hinauf, und sah die Geliebte in den Wolken, das schönste Kind auf den Armen, umgeben von himmlischen Sängern.

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— Er wandte sich zu ihr und sagte: wie ist da» möglich, halte ich dich doch hier in meinen Armen, und du schwebst dort oben? "Schweig stille, versetzte sie ernst, "das ist die Prophezejhung.., Aufs lebhafteste davon bewegt, erwachte Ludewig aus seiner Betäubung und suchte vergebens sich de» wundervollen Wortes des Traums zu entsinnen. Es schien mehr «egen seiner Einfachheit, als aus Mangel des Ger dächtniffes ihm entfallen zu sein. Wie er die Augen aufschlug, sah er einen Mönch vor sich stehn, der ihn mitleidig be­ trachtete, und ein Halstuch zusammenfaltete, um damit sein verwundetes Haupt zu ver­ binden. Dir Gesichtszüge desselben schienen ihm bekannt und thaten ihm wohl. Er fühl­ te in dem Augenblicke seine Wunden nicht mehr, und rief freudig aus: "bist du es Se­ bastian Der Mönch neigte sich stille über ihn hin, küßte ihm sanft die Stirne und sag­ te: "Ja, ich bins wirklich, Ludewig, und da« glücklichste Verhöngniß führte mich her, um dir Hülfe zu bringen.



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Mit diesen Worten setzte der Mönch eine blaue Aristallflasche neben sich hin, und zog eine Lasche voll chirurgischer Instrumente hervor, indem er Anstalt machte, die Kugel au« der Schulter zu zieh« und die Wunden zu verbinden. Unter seiner kundigen Hand ging Alles schnell von Statten. Die Kugel, welche schon matt gewesen, hatte sich an dem Schulterknochen platt geschlagen, ohne zu splittern, und fiel bei dem ersten Rütteln her­ aus; nur die Kopfwunde schien bedenklicher, da edle Theile verletzt sein konnten, welches erst bei genauerer Untersuchung sich ausweisen mußte. Fürs Erste hatte er sie nur von dem Blute gereiniget und mit einem Heft­ pflaster verbunden, welches er mit seinem Halstuch umwickelte. Während des Verban­ des hielt Ludewig seine Blicke auf Sebastian geheftet, er fühlte wohlthätig feine linde doch sichere Hand, die ihm so willkommne Hülfe brachte; seine ruhigen unbeweglichen Gesichts­ züge vergegenwärtigten ihm die alte Treue, er wollte den Mund öffnen zum Reden und tau­ send Fragen bebten auf seinen Lippen. Se-

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bastian, der es bemerkte, sah ihn bittend an und sagte: "halt dich ruhig, Ludewig, so lieb dir dein Leben ist! wir werden Zeit genug fin­ den, unsre Fragen einander zu beantworten, jeßt aber könnte jedes Sprechen dir tödtlich werden. Ich eile in ein nahes Kloster, um dir Hülfe zu schaffen. Zn wenig Minuten bin ich zurück; so lange empfehle ich dich dem Schutze Gottes und deiner eigenen Vorstcht. Mit diesen Worten eilte der Mönch hin­ weg und Ludewig, der nicht mehr das Ange­ sicht des Freundes sah, nicht mehr durch seine Stimme ermuntert wurde, sank in die vorige Betäubung zurück.

Zweites Kapitel. Zunächst dem Schlachtfelde in einer Dergschlucht lag ein Nonnenkloster von der Regel der heiligen Agnes; dahin wandte Sebastian seine eilende Schritte, weil das seinige zu weit entfernt lag, um schnelle Hülfe zu schaffen.

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bastian, der es bemerkte, sah ihn bittend an und sagte: "halt dich ruhig, Ludewig, so lieb dir dein Leben ist! wir werden Zeit genug fin­ den, unsre Fragen einander zu beantworten, jeßt aber könnte jedes Sprechen dir tödtlich werden. Ich eile in ein nahes Kloster, um dir Hülfe zu schaffen. Zn wenig Minuten bin ich zurück; so lange empfehle ich dich dem Schutze Gottes und deiner eigenen Vorstcht. Mit diesen Worten eilte der Mönch hin­ weg und Ludewig, der nicht mehr das Ange­ sicht des Freundes sah, nicht mehr durch seine Stimme ermuntert wurde, sank in die vorige Betäubung zurück.

Zweites Kapitel. Zunächst dem Schlachtfelde in einer Dergschlucht lag ein Nonnenkloster von der Regel der heiligen Agnes; dahin wandte Sebastian seine eilende Schritte, weil das seinige zu weit entfernt lag, um schnelle Hülfe zu schaffen.

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Er klopfte um Mitternacht an das Fenster des alten Pförtners, der ihm wohlbekannt und zu jedem Dienste der Menschlichkeit stets bereit war. Der Alte wachte noch auf seinem einsamen Lager, voll mancherlei Gedanken über den Ausgang der Schlacht und das Schicksal seiner Landsleute. Wiederholt bete­ te er sein Ave Maria! und beruhigte fich durch manchen glaubensvollen Spruch, den er seinem Gedächtnisse zurück rief. Da horte er das Pschen und Sebastians Stimme, raffte fich auf, und kam mit einer Laterne heraus, indem er dem Klosterbruder dje Hand schüt­ telte. Es ist nicht Säumens, Anselmo, sagte Sebastian, ein Schwerverwundeter und über­ dies ein lieber Freund liegt dort unter der großen Eiche. Besorge du eine Tragbahre, ich will unterdessen mit der Aebtißinn reden, ob sie ihn beherbergen wogte? Das leidet keinen Zweifel, versetzte der Alte, und gab ihm den Klosterschlüssel, indem er hinweg eilte. Sebastian, der dort bekannt war, zog die Schelle und ward sogleich vor die Aebtißinn geführt, welche mit allen Schwestern in der

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Kapelle, wo fie die Nacht voll Angst und Hoff­ nung der Andacht pflegten, versammelt war. Tausend Fragen bestürmten ihn, die er aber sehr kurz beantwortete, indem er um eine Freistätte für seinen verwundeten Freund bat. Die Aebtißinn versprach, nach einigem Beden­ ken, ihm in den Gartenzimmern ein Lager bereiten zu lassen, so wie auch für seine Hei­ lung und Pflege Sorge zu tragen. Des Arz­ tes wird er nicht entbehren, setzte sie hinzu, denn unsre Schwester Clementine ist ein hülfreicher Engel und hat, wie ihr wißt, schon manchen Sterbenden gesund gemacht. Sebastian dankte ihr mit Thränen im Auge und eilte auf den Vorhof zurück, wo Anselmo schon mit einem Köhler die Tragbahre bereit hielten. Schweigend ging Jener vor­ auf, denn sein Herz war schwer um den Freund, und sie folgren mit raschen Schritten. Wie wäre es, dachte er bei sich selbst, wenn der Himmel dich nur hergeführt hätte, ihm die Augen zuzudrücken, den du eben erst wie­ dergefunden, und der dir die schönste Hoffnung deines Lebens ist? Sollte der erste Gruß

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vielleicht auch der letzte Abschied gewesen sein? doch nein! Gott, der so reich an Liebe, wird ihn dir erhalten. Dieser Stern darf nicht «ntergehen, er ist ja eben erst aufgegangen!

Unter solchen Gedanken kam er mit sei­ nen Begleitern zur Eiche, wo er Ludewig ver­ lassen hatte. Er leuchtete ihm mit der La­ terne ins Gesicht und fuhr erschrocken zurück, indem er die Züge eines Todten zu sehn glaub­ te. Das Auge war eingesunken, der Mund geöffnet, der Odem unmerkbar und der Puls stand. Er fand, daß er in die erste Ohnmacht zurückgrsunken sei, und versuchte vergeblich, durch die schärfsten Säuren ihn daraus zu erwecken. Sie hoben ihn eiligst auf die Trag­ bahre, und Sebastian, welcher neben ihm her ging, achtete begierig auf die kleinste Lebens­ regung, auf das unmerklichste Zeichen, wel­ ches ihm hätte Hoffnung geben können. Alle seine Sinne und Gedanken konzentrirten sich in dem Einen, ob es Leben oder Tod fei? und in der Gewißheit lag die Entscheidung seines eigenen Schicksals.

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Als sie bei dem Klostetgürten ankamen, empfing sie die mitleidige Aeblißinn schon an det Pforte, und erkundigte sich sogleich nach dem Verwundeten. Sebastian schüttelte den Kopf, und wies auf die starren Gesichtszüge, welche im blassen Mondlichte noch todtenhafter er­ schienen. Welch ein herrlicher Mensch! rief sie aus. — Wenn schon dieses ohnmächtige Bild so beredt spricht, was muß Euch der Lebendige gewesen sein! doch laßt die Hoff­ nung nicht sinken; ich habe schon manche sol­ cher Scheintodten gesehn, die zum Leben zurückgebracht sind. In der That scheinen diese Geberden nicht dem Tode anzugehören! Wenn nur erst Clementine zurück wäre, die zu einer Kranken ins Gedirge gegangen ist, sie würde uns gleich sagen können, was von eurem Freund zu ermatten steht. Un-erdessen hatte man den Verwundeten in das Gartenzimmer getragen, wo ein Lager für ihn schon bereit stand, und auf Befehl der Aebtißinn Alles herbei geschafft war, was zur Verpflegung eines solchen Schwerkranken er­ forderlich ist. Sebastian und Anselmo huben

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ihn sanft von der Tragbahre und legten ihn auf das weichgepolsterte Lager, indem sie ihn mit warmen Teppichen bedeckten. Die Kopfwunde hatte sich durch das Tragen von neuem geöff. net und stark geblutet. Sebastian legte einen zweiten Verband an, wobei die gute Aebtißinn hulfrriche Hand leistete, und dann sich ent» fernte, indem sie versprach, die heilkundige Schwester, sobald sie zurück, zu ihnen zu sen­ den. Auch Anselmo und der Köhler nahmen Abschied, weil rin Jeder in diesem bedenklichen Zeitpunkte an seiner Stelle bleiben mußte. So war Sebastian mit seinem bewustlosen Freunde wieder allein, und, indem er sich zu den Füßen seine» Lager» setzte, überließ er sich, nach manchen vergeblichen Versuchen, ihn zu erwecken, den schwermüthigsten Betrach­ tungen. Was ist der Mensch, sprach er zu sich selbst, und sein Wirken auf der Erde? Der Elende sammelt an den Zäunen sein Brod und kann nicht sterben, wie gerne er auch möchte. Der lebensfrohe Held dagegen findet den Tod im ersten Sprunge und wird abge-

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hauen, wenn er eben Frucht sehen sollte. Was soll uns dieses seltsame Bruchstück voll Räthsel und Wiedersprüche? Soll es uns mahnen, daß alles Irdische nichts sei, und dieser Zeit Leiden und Freuden nicht werth der zukünftigen Herrlichkeit. Oder sind die Schicksale der Menschen, wie Träume des Naturgeistes anzusehn, der erst, wenn er erwacht ist, Gottes Gerechtigkeit erfahren kann? Wie viel Opfer müssen noch fallen, dem Unver­ stände, der Bosheit, dem blinden gräßlichen Ohngefähr, bis das letzte fällt und der All­ liebende wieder auf Erden seine Hütten bauet? Ach! du theurer Freund, rief er weinend aus, wirst auch du vielleicht ein Opfer des Verfalls unsrer Zeit, und darfst dein heiliges Leben nicht ans Licht stellen, was uns alle hätte erlösen können? Wann und wie soll ich dich Wiedersehn, wenn ich nun diesen Leib begraben muß, diesen herrlichen Tempel, der ein Bildniß der Unsterblichkeit schien? O! es thut Noth, nicht nur zu dienen dem gelinden, sondern auch dem zürnenden Gott 1

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Bei diesen letzten Worten war er auf die Knie gesunken, und hatte die kalten Hän­ de Ludewigs ergriffen, indem er mit Rrflgnation empor blickte. Wiederholt und gellend erschallte in eben dem Augenblicke das Kräch­ zen einer Eule, welche heftig mit ihren Flü­ geln an die erleuchteten Fenster schlug; auch die Lampe im Zimmer drohte zu verlöschen und der Mondglanz schimmerte seltsam durch die zitternden Blätter, indem er seinen ge­ spenstischen Schein über das Estrich des Ge­ machs verbreitete. — Ueberwältigt von Schmerz sank der treue Sebastian auf Ludewigs Brust hin, indem er des Freundes kalte Stirne mit reichlichen Thränen benetzte. Er betete heißer, wenn es möglich wäre, ihm den Freund zu erhalten; — er betete mit vollem kindlichen Vertrauen, und es ward ihm leichter in diesem Gebete. — Er fühlte einen stillen Zug der Liebe, und im Innern ein Wort der Erhörung, welches er sich jedoch nicht zuzurech­ nen wagte. Die trübe Resignation war von ihm gewichen, er hoffte und glaubte wieder, daß bei Gott alles möglich sei, und wußte Ludewig v. Z. itet Th. (S

34 auch, daß sich Etwas verändert haben müsse. Nach einigen Minuten hörte er die Stubenthüre aufgehn, und leise Tritte dem Bette de» Kranken nahen. Wie er aufblickte, stand ein junger Pilgrim vor ihm, in dem er sogleich an den dunklen Augen und Locken Clementinen erkannte. Sie trug in der rechten Hand ei­ nen langen Pilgerstab, in der linken ein Fläsch­ chen mit Balsam und grüßte ihn, leise den Kopf neigend. Es thut mir leid, sagte sie, daß ich so lang« habe warten lassen; doch wärt ich wohl noch langer ausgeblieben, wenn nicht eine Ahnung mich Muck geführt hätte. E« war mir, als wenn ich mit leiblicher Gewalt hinweg gezogen würde und um Alle» in der Welt hätte ich nicht länger säumen können. Vielleicht kommt ihr dennoch zu spat, heilige Schwester, versetzte Sebastian, jder Puls steht und der Odem stockt. — Mit meiner Kunst ist eS zu Ende, versuchet die eurige! Bei diesen Worten war Clementine hart an das Lager getreten und betrachtete den Kran­ ken mit einem durchdringenden Blicke. Se-

35 bastian hielt seine kalten Hände und sah sie forschend an, als wenn er aus ihrem Gesicht sein Schicksal hätte lesen wollen. Je länger sie aber Ludewig betrachtete, desto mehr er­ griff sie eine freudige Regung; eine süße Wehmuth umfloß ihre Züge Und Thränen fielen aus ihren Augen auf die kalte Stirne; plötzlich strahlten ihre Blicke lebendiger, alle ihre Mienen beseelten sich wunderbar, und Purpur stieg in ihre Wangen, ein geistiger Aether schien das Zimmer zu erfüllen und sie hing mit frommer unaussprechlicher Liebe über der Gestalt des Leblosen. Endlich legte sie ihm die Hand in die Herzgrube und die erste Regung zuckte wieder durch seine starren Glieder. — Wie nach der Ebbe im Meere die wachsende Flut, so sammelten sich nach und nach die Geister seines Lebens. Warme kehrte in seine Hände, Farbe in sein Gesicht zurück, er ächzte tief und wiederholt, als ob ihn eine schwere Last drücke, und endlich schlug er das matte Auge auf, indem er sich mit einem fremden erstaunten Blicke umsah. Das erste Bild, was ihm begegnete, C 2

36 war Clementine, und wie er sie betrachtete, umfloß eine verklärende Heiterkeit alle seine Züge. — Zuletzt kam ihm auch die Sprache wieder und er sagte mit gebrochener Stimme zu ihr: Du warst es also, die mich aus den Schatten des Todes zurück rief? Ja! ich kenne dich, wer du auch bist! Bon dir ging eine Kraft aus, die der Ewige dir lieh und womit du alles, auch die Zauber des Todes, überwinden konntest. Dein Anblick erquickt mich wie geistiger Wein, bleib bei mir, wenn ich leben soll. Ich bleibe bei dir, sagte die Nonne, doch verhalte dich ruhig und laß uns Gott dan­ ken, der dir geholfen hat. Sie setzte sich mit diesen Worten neben sein Lager und beta­ stete seine Stirne und Schulter, indem sie die Wunden genauer untersuchte. Sebastian, der ein aufmerksamer Beob­ achter gewesen, ward nicht weniger erstaunt als beglückt über diese wunderbare Erweckung seines Freundes. Oft hatte er die Nonne schon bei Kranken gesehn, nie aber in einer solchen Lage und in einer so tiefen Bewe

gung des Gemüths. Vielmehr sah er sie immer ruhig theilnehmend, mehr strenge oder freundlich und nicht erweicht in ihren Ge­ fühlen. Er meinte, sie werde eine Ader ihm offnen, oder vom Balsam ihm einfloßen, wie sie sonst wohl zu thun pflegte; doch, was er nun gesehn, war ihm ganz fremd und un­ begreiflich, und er wußte nicht recht, wie ihm geschehen sey! Bald bedeckte er Ludewigs Hände mit den heißesten Küssen, bald wie­ der sah er Clementinen mit Verwunderung an. So erfahre ich denn in der That und Wahrheit, brach er endlich aus, was ich sonst nur für Schwärmerei gehalten habe, die Wunderkraft des Geistes in einem heiligen Ge­ müthe; — denn nur durch diese konntest du mit Blick und Berührung, meinen Freund aus dem Todesschlafe erwecken. Nicht ich —! versetzte sie, indem sie ehr­ erbietig die Finger auf den Mund legte und mit einem dankbaren Blicke zum Himmel aufschaute. Sebastian verstummte vor die­ sem Blicke und seine ganze Seele erhob sich in gleichen Empfindungen zu dem, welchen er

38 noch kurz vorher so inbrünstig angerufen hat­ te. Nun erschien ihm Alles, sein Gebet, ihr Kommen und die Erhörung ihrer gemein­ schaftlichen Wünsche ein zusammenhängendes Ganze, ohne daß er jedoch den glücklichen Erfolg auf sich zu beziehen wagte, sondern vielmehr auch sein Gebet durch höhere Len, kung, als Glied in der Kette, herbei geführt glaubte, Clementine unterbrach zuerst diese Stille, indem sie sich zu Sebastian wandte und leise zu ihm sagte: dein Freund ist eine überaus reine Natur und das wird seine Heilung sehr beschleunigen, dec einfachste Reiz ist bei ihm der sicherste; bei andern muß er schon complizirter seyn, weil ihre Verdorbenheit das Einfache nicht mehr aufnehmen kann; dann ist die Wirkung auch ungewisser und lang­ samer. Uebrigens, setzte sie lächelnd hinzu, wirst du Gelegenheit haben den innern Geist meiner Heilarr, worüber du mich so oft be­ fragtest und wovon ich dir so wenig Rechen­ schaft habe geben können, bei diesem Kran­ fen kennen zu lernen, denn nie in meinem

39 Leben ist mir ein so vollendete» hoher Orga­ nismus vor Augen gekommen. Unterdessen hatte der Verwundete an­ haltend seine Blicke auf die Nonne geheftet und suchte sich in ihrem Anschauen des Schwindels zu erwehren, welcher immer von neuem in seinen Abgrund ihn zu verlocken schien. So lange er sie ins Auge faßte, war ihm, als wenn er auf festem Boden stehe, so bald aber seine Blicke abirrten, versank er rettungslos, wie in unergründliche Tiefen. Mit Heftigkeit ergriff er alsdann ihre Hand und wähnte sich von dem Sturze zurück ge­ halten. Der Klang ihrer Stimme dünkte ihm ein himmlisches Lied, und wenn, um die Wunde zu untersuchen, ihre Finger über seine Stirn glitten, schien ihm aus demsel­ ben ein Lebens-Aether zu strömen, welcher sich heilend und lindernd um alle seine Neri­ ven ergoß. Wenn mein Sebastian, sagte er, hier nicht am Fuße meines Bettes, und zwar in den nämlichen Kleidern säße, wie ich ihn zu­ erst unter der Eiche gesehn habe, so möchte

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ich glauben, daß mich mein guter Engel schon in ein besseres Leben eingeführt und dieser gespaltene Schädel nur noch eine Täuschung des Vergangenen sey —; doch auf allen Falle mochte ich wissen, wo ich bin und wofür ich dich halten soll, die mir wie ein Engel so wunderbar und auch so bekannt ist? Du bist im Kloster der heiligen Agnes, versetzte die Nonne, wohin dein Freund dich vom Schlachtfelde tragen ließ. Hier magst du ruhig deine Heilung abwartrn, denn die mirleidige Aebtisstn wird für Alles sorgen, was dazu erforderlich ist. Auch der Feind wird uns hoffentlich hier nicht beunruhigen, da dieses Kloster in einer waldigen Berg­ schlucht vor aller Welt Augen ziemlich ver­ borgen liegt. Was mich betrifft, so bin ich nichts Wunderbares, sondern ein armes morgenländischrs Mädchen, welches das Christen­ thum angenommen und die Heilung der Kran­ ken sich zur Pflicht gemacht hat. Mein ei­ gentlicher Taufname ist Margaretha, doch nennt man mich gewöhnlich hier Clementine, vielleicht, weil ich so glücklich gewesen bin,

4l manchem Leidenden Hülfe und Linderung zu

verschaffen.

Zn diesem Kloster ist mir eine

Freistätte verliehen, ich bin aber nicht, wie

die ander» Schwester«, an seine Mauer» gt* bunden, sondern darf in der umliegenden Ge­

gend meines

Berufes

«arten

und

bediene

mich dazu dieser Pilgertracht, die mich vor

allen

Mißhandlungen

und

Verlegenheiten

schützet.

Mit dem Morgrnlanbe, versetzte Ludewig,

erweckst 6» eine alte Sehnsucht bei mir. Da­ wunderbare Morgenland spielt« schon in mei­

ne» erste» Kinderträumen,

und

auch al»

Jüngling habe ich die Hoffnung nicht aufge»

geben, das heilige Land mit meinen Augen zu seh» und das Thal zu betreten, wo un­

ser Heiland geboren ist.

Wolltest du mir

Einiges von diesem Lande, vielleicht auch von deinen eignen Schicksalen erzählen, so würde

es mir eine rechte Freude seyn. Gerne, sage« sie,

zählen,

will ich dir davon er­

denn mein Vaterland liegt mir im­

mer in Gedanken und es ist mir lieb,

theilnehmende Seele zu finden.

ein«

Run aber

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bedarfst du dep Ruhe, damit deine Kopfwunde nicht verschlimmert werde. Ich lasse dich also flje jetzt mit deinem Freunde allein. Nimm noch einige Tropfen dieses BaljamS, der dir einen sanften Schlaf bereiten wird. Morgen in aller Frühe bin jch wieder bei dir und werde sehn, was weiter zu thun ist. Mit diesen Worten ließ sie einige Tropfen aus dem Fläschchen, welches sie in der Hand trug, auf seine Zunge fallen und nachdem sie sich entfernt, sank der Kranke in einen tie­ fen erquickenden Schlaf, welcher eben so ver­ schieden von der vorigen Betäubung war, wie das Leben es von dem Tode ist. Der treue Sebastian wachte an feinem Lager und mancherlei Gedanken gingen in der nächtli­ chen Stille durch fein? theilnehmende Seel?,

Drittes Kapitel. Ludewig befand sich in dem seltsamsten Zustande, als er von den Strahlen der Mor­ gensonne geweckt wurde. Die Scenen de«

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bedarfst du dep Ruhe, damit deine Kopfwunde nicht verschlimmert werde. Ich lasse dich also flje jetzt mit deinem Freunde allein. Nimm noch einige Tropfen dieses BaljamS, der dir einen sanften Schlaf bereiten wird. Morgen in aller Frühe bin jch wieder bei dir und werde sehn, was weiter zu thun ist. Mit diesen Worten ließ sie einige Tropfen aus dem Fläschchen, welches sie in der Hand trug, auf seine Zunge fallen und nachdem sie sich entfernt, sank der Kranke in einen tie­ fen erquickenden Schlaf, welcher eben so ver­ schieden von der vorigen Betäubung war, wie das Leben es von dem Tode ist. Der treue Sebastian wachte an feinem Lager und mancherlei Gedanken gingen in der nächtli­ chen Stille durch fein? theilnehmende Seel?,

Drittes Kapitel. Ludewig befand sich in dem seltsamsten Zustande, als er von den Strahlen der Mor­ gensonne geweckt wurde. Die Scenen de«

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gestrigen Tages gingen, wie Mutige Schat­ ten, durch seine leidende Seele. Das tief­ bewegte Leben erfüllte ihn mit Webmuth. Er hatte manche seiner Freunde neben sich fallen sehn. Andere wußte er in schmählicher Gefan­ genschaft, herber als der Tod. Das Schick­ sal seiner wackern Landsleute und der gerech­ ten Sache preßte ihm das Herz zusammen vor Zorn und Gram. Bisweilen hob er unwillkührlich seinen rechten Arm auf, um ihn ans Schwerdt zu schlagen, und mußte lächeln, wenn der Muskel versagte und seine Wunden ihn zur Muhe verwiesen. Dann betrachtete er wiederum Seba? stian, der mit seinem festen stillen Gesicht in Mönchskleidung vor ihm stand und einen Krsuterumschlag bereitete, um dem entzün­ deten Gehirn Kühlung zu verschaffen. Da­ kleine Zimmer mit den runden buntgemalten Fensterscheiben, durch die ein zitternder Son­ nenstrahl siel, verschattet von hohen Kasta­ nien, die Aussicht hinab in einen grünen, waldumhegten Garten, und der Freund an

44 seiner Seite: alle» das erweckte in ihm Em­ pfindungen des harmlosesten Lebensgenüsse« und de» tiefsten Friedens, so daß es ihm bis­ weilen vorkam, als wenn er schon außerhalb der Welt sey und keine Unruhe von daher in diese Freistätte eindringen könne. Besonders aber beschäftigte ihn da» Bild der heilbringenden Nonne. Er glaubte nie etwas ähnliches gesehn za haben und doch schien sie ihm wie von Alters her bekannt. Sonderbar ward er bei ihr an seinen Traum auf dem Schlachtfelde erinnert. Es schien die nämliche, welche mit ihm über die Wies« eilte und in der Rosenkuppel ihm den To­ deskuß gab. Es überlief ihn «in Schauder fremden Entzückens, wenn er jenes Kusses gedachte. Er verehrte die Fremde, wie der fromme Katholik die heilige Mutter Gottes, indem er sich gleichsam aus der Ferne an ih­ ren himmlischen Geberden erquicket. Wie muß sie erst im weiblichen Schmucke seyn, sprach er zu sich selbst, wenn sie schon in dieser vermummenden Pilgertracht ihren überirdischen Adel nicht verbergen kann? Wie

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muß sie geleuchtet haben bei Tanz und Ge­ sang, in dem Kreise ihrer Gespielinnen, un­ ter den herrlichen Blumen des Morgenlan­ des, wenn Unglück, Gram und unwürdige Fesseln so viel noch übrig ließen? Welche Unschuld ruht in der stillen Geberde! Wel­ che Wahrheit in dem einfachen Worte! und welch ein Adel in der hohen Gestalt! Ist es doch, als wenn die Natur in jenem Son­ nenlande erst ihren Stolz fühlt und ihn in Menschen, wie in Blumen geltend zu ma­ chen weiß! Wo aber der Geist dieses Recht versiegelt, da ist es, wie ein Bild aus dem ersten Paradiese, was in unsre Mitte tritt. Sebastian kam unterdessen mit dem Kräu­ terumschlage und machte Ludewigs Betrachtun­ gen, indem er ihm demselben um die Stirne legte, für dieses Mal ein Ende. Du mußt dich heiteren Gedanken überlassen, sagte er, und nicht so der Phantasie den Zügel geben, sonst kann dein wunder Kopf nicht geheilt werden. Sieh diese Pflanze, welche ich eben im Garten gefunden habe; sie gehört zu dem Geschlecht der Mimosen und hat eine gar

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schone Blume; ich will sie dir zerlegen, ob du vielleicht baran Gefallen finden und deine Aufmerksamkeit darauf heften mochtest: denn nichts beruhiget wehr in krankhafter Stim­ mung, als die aufmerksame Betrachtung der PflanzenweltOhne Ludewigs Antwort zu erwarten, setzte er sich neben sein Lager und analysirte diese Pflanze, indem er Blatter und Staub­ fäden durch die Lupe betrachtete und auch die kleinsten Eigenthümlichkeiten nicht unbe­ merkt ließ. Wirklich that diese Vorlesung auf den Verwundeten eine sehr wohlthätige Wirkung; und konnte er ihm auch Nicht im­ mer im Einzelnen folgen, so war ihm doch im Ganzen die Gründlichkeit des Prüfenden stärkend und machte ihm die Sache sehr an­ ziehend. So gewiß ist es, daß die Natur, wo man sie auch berühre, wenn es nur mit Ernst und Treue geschieht, immer einen Frie­ den uns miltheilt, der, selbst in dem schlech­ testen Steinmose, von ihrem göttlichen Ur­ sprünge zeuget.

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Während die beiden Freunde noch damit beschäftigt waren, trat Clementine mit einem Korbe voll Wein und Früchte herein, indem sie, still grüßend, an das Lager des Kranken sich stellte. Sie war heute in Non­ nentracht/ doch trug sie das Haupt frei, wel­ ches von den dunklen seidnen Locken reichlich umwallt wurde. Ihr Blick hatte etwas Strenges, welches Ludewig einerseits von ihr entfernte, wenn es ihn auf der andern Seite unwiderstehlich zu ihr hinzog. Es war ihm, als wenn sie bis auf den Boden seines Her­ zens schaute und der unerbittliche Stahl jung­ fräulicher Reinheit/ schmerzlich schneidend, über jede schwache Stelle hinweg streifte. Wiederum fand er in eben dieser Strenge die treueste Hinneigung zu allem Guten, die allgemeinste Gerechtigkeit gegen sein eigen­ thümliches Wesen, so daß er von Stund an ein unbedingtes Vertrauen zu ihr faßte und Alles ihr hätte entdecken mögen. Daß du gut geschlafen hast, redete sie ihn an, verbürgt mir dein Auge/ und ich sehe, Unser Bruder Sebastian ist auf so richtigem



Wege, ja hat den Pflanzengeist für Seele und Leib so trefflich benutzt, daß ich nur be­ stätigen sann, was er angefangen hat. Auch die gute Aebtisfln will nicht zurückstehn und sendet dir durch mich diese Erquickungen, in­ dem sie sich ihren Besuch noch vorbehält. Wenn ich in eure Kunst gepfuscht habe, sag­ te Sebastian, so müßt ihrs, heilige Schwester, verzechen, denn das Außerordentliche reget immer zur Nachahmung auf und man kann die Hände nicht finken lassen, so lange es noch im Werden ist.

Auch habe ich sehr auf deine Hülfe ge­ rechnet, versetzte sie, und wirklich gingen wir mit dem nämlichen Gedanken um, denn ich komme, deinen Freund zu einem Spazier­ gange in den Garten einzuladen, weil ich ihm das stärkende Grün und die erfrischende Herbstluft für sehr zuträglich halte. Gefallt es euch dlfo, so laßt uns zusammen gehn, doch zuvor muß mir der Kranke versprechen, sich ruhig zu halten und wenig zu reden, weil ich sonst für nichts einstehn sann. Lud-

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Ludewig versprach e- und trank auf ih­ ren Rath ein Glas alten Weins, indem er einige Früchte zu fich nahm, die ihm, von ihr gereicht, besonders wohl schmeckten. Mit Mühe jedoch konnte er nur von dem Lager sich aufrichten, denn die Wunden und der starke Blutverlust hatten seine Kräfte er­ schöpft und alle seine Glieder wie gebrochen. Er stützte sich daher auf Sebastian und lehn­ te die ander» Hand an Clementinens Arm, den sie ihm bereitwillig hinrrichte. So gin­ gen sie hinaus in den heitern Tag, Ludewig in ihrer Mitte, mit mattem Blicke und schwankenden Schritten. Nicht wahr, nun fühlt ihr euch erst recht krank? sagte die Nonne zu ihm; doch müßt ihr gutes Muths seyn, weil es so nur bes­ ser werden kann. Ich fürchte nichts, versetzte er, obwohl ich mich außerordentlich matt fühle. Ist «S dir Einmal gelungen, mich aus dem Tode», schlafe zu erwecken, so wirst du auch dieses schwankende Leben, welches ohne dich erloschen wäre, zu erhalten wissen. Ludewig v. Z. irer rh,

D

5° In Wahrheit, ich habe bei dir eine be­ sondere Zuversicht, sagte sie mit heiterer Miene, und es müßte mich Alles trügen, wenn du nicht geheilt würdest. Doch darf ich dir nicht verbergen, daß wahrscheinlich zur Nacht schwere Phantasiern bevorstehn und bitte dich also, dein Gemüth auf Gott zu richten und alles Leid dir möglichst aus dem Sinne zu schlagen, weil die Angst der Deli­ rien so viel leichter vorüber gehn wird. Unterdessen leitete der Weg unter be­ deckten Laubgängen durch eine reizende Wildniß. Nach mehreren Seiten hin öffneten sich auf sanften Anhöhen sonnigte Fernen und in der tiefen grünen Waldnacht strichen behende Rehe, dem Auge der Menschen schüchtern entschlüpfend. Man glaubte, in der freien Natur, nicht in einem Garten zu seyn, wel­ cher von Menschenhand angelegt war. Dex alte Pförtner, welcher auch Gärtner war, und überhaupt viel in dem Kloster galt, ge­ sellte sich zu ihnen und indem er Ludewig seine Freude bezeugte, daß er wieder auf den Füßen sey, betheuernd, nie geglaubt zu ha-

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ben, daß in dem Manne auf der Bahre rin Odem zurückkehren könne, so ging er mit ra­ schen Schritten vorauf, ihnen sein Blumen­ revier zu zeigen. Ein dunkler Baumgang führte sie bald zu einem runden Rasenplan, der von den seltensten Holzarten dicht umkränzt war. Die vorder» Bäume waren in kunstreiche Hecken gezogen, um die rauhen Winde abzuhalten und dem ronzentrirten Sonnenstrahl freien Durchgang zu lassen. Auf dem geschornen Rasen sah man viele kleine Hügel von lockerer fruchtbarer Erde, worauf die schönsten Blumen prangten, in­ dem jeder Hügel seine besondre Art so wie seine eigne Erde hatte. In der Mitte aller erhob sich aber ein etwa« größerer, wo sich dir aus dem Umkreise durchkreuzenden Gänge vereinigten und wie in Strahlen zusammen liefen. Dieser war für die Rose bestimmt, welche ihn in unendlicher Mannigfaltigkeit als rin rothes Tuch bedeckte. Ganz nahe lag auch rin klarer Teich zur Bewässerung dieser Pflanzen. Dunkle Platanen umkränzlen ihn rings und unter ihrem kühlen SchatD a

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t«n standen Bänke, welche in der Sonnen­ hitze zum Ausruhen einluden. Hier laßt uns weilen, sagt« die Nonne, alles erinnert mich hier an mein Vaterland und wenn ihr es wünschet, konnte ich euch Einiges nun aus meinem Leben erzählen. Beide Freunde baten sie dringend darum und nachdem sich Ludwig neben sie und Seba­ stian gesetzt, fing sie folgendermaßen zu er­ zählen an. Mein Geburtsland ist da» glückliche Ara­ bien; dort, wo an der Grenze des Sand­ meers auf fruchtbaren Inseln der Weihrauch wächst und ein immerwährender Frühling die schattigen Haine umzieht. Hier siehst du Knospe, Blüte und reifend« Früchte zu­ gleich an den Bäumen; ein unverwelkliches Grün bedeckt die Trift und wenn die Blät­ ter fallen, stehen schon wieder neue da. Du merkst hier nicht das Altern der Natur und das Leben verfließt dir wie ein glücklicher Traum. Dort säen und pflanze» wir nicht, wie der mühsame Europäer; der tägliche Be­ darf macht uns keine Gorge, wie ihm; die

53 mütterliche Natur thut es für uns und giebt uns, was wir brauchen. Die edlen windschnellen Rosse find der Männer Lust, Vieh­ zucht und Jagd fast ihre einzige Beschäfti­ gung im Frieden. Die Frauen sammeln den köstlichen Balsam, Weihrauch und Myrrhen, oder machen große Gewebe von persischer Seide mit kunstreichen Bildern. In der Sonnenglut ruhen wir aus unter dem Schat­ ten heiliger Baume, an kühlen silberhellen Bächen, die über Goldsand fließen, ein dich­ ter Rasen dient uns zum weichsten Polster und glückliche Träume beseelen den kurzen Schlaf: oder wir schwatzen gesellig am lieb­ lichen Sprudel der Quelle, erzählen uns Sa­ gen und Mährchen und singen heilige Lieder von den Thaten der Helden. Wenn der Abendstern blinkt, versammelt die Jugend sich zu frohen Tänzen bei dem Klang der Flöten und Harfen, wo zarte Liebe sich findet und ewige Treue geknüpft wird. Die Alten sitzen umher und sehen zu und reden mit Lust von vergangenen Tagen. Die Jünglinge sind be­ scheiden und ernst, sie ehren das Alter und

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ihre Liebe ist ihnen die Blüte der Religion. Die Mädchen sind züchtig und heiter, sie hö­ ren auf Vater und Mutter, die Blumen, welche sie am Morgen begießen, sind wie ihre Freundinnen, in deren Umgang ihr Herz rein bleibt, sie bewahren zarte Geheimnisse bis in den Tod und opfern sich mit Heldenmuth ihren Gelübden. Zn diesem Lande ward ich erzogen und lebte eine glückliche Kindheit unter den edel­ sten Menschen. Mein Vater, Namens Bru­ no, war ein arabischer Arzt und chatte sich durch seine glückliche Heilart nicht nur bei seinem Stamme, sondern auch in ganz Ara­ bien, und bei allen Karawanen, die aus der Wüste kamen, einen großen Namen erwor­ ben. Auch verdiente er ihn wohl vor allen andern, denn er hatte tiefe Kenntnisse in der Natur und besaß zugleich viel Scharfblick für das Eigenthümliche jeder Krankheit, so daß er die leisesten Symptome nicht unbemerkt ließ und jeden Menschen, wie er es bedurfte, besonder« zu behandeln wußte. Unsre Woh­ nung lag unter hohen Palmen, hart an der

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großen Wüste, und in der Zeit, wenn die Karavanen durchzogen, war unser geräumi­ ger Vorplatz immer mit Kranken bedeckt, die ihre Arme flehend nach meinem Vater auSstreckten, bei welchem Geschäft ich ihm oft schon als kleines Kind zur Hand gehn mußte. M-ine Mutter habe ich nicht gekannt und dieses Schicksal oft beweint. Sie starb, wie der Vater erzählte, bei unsrer Geburt, da sie von Zwillingstöchter» entbunden wurde. Meine einzige Schwester wuchs mit mir auf und entfaltete sich, als ein Ebenbild der Mutter, zu großer Schönheit, da ich hingegen, wie man sagte, mehr dem Vater ähnlich sah und auch diese innere Aehnlichkeit in meinen An­ lagen und Neigungen selbst bemerken konnte. Uebrigens, wie verschieden wir eigentlich auch waren, hat man uns doch, wie es bei Zwil­ lingen zu geschehn pflegt, oft verwechselt und konnte uns schwer unterscheiden, wenn wir nicht beisammen standen. Bei meiner Schwe­ ster entfaltete sich früh schon eine vorherr­ schende Weiblichkeit, die sie, wie sie heran wuchs, mit dem holdesten Liebreiz schmückte,

56 da ich Hingtgen mehr das allgemein mensch­ liche suchte und lebhafte Wißbegierde äußerte. Wenn sie in ihrer Kammer zurückblieb, ein schönes Gewebe vollendend, und mit Heller Stimme dazu anmuthige Lieder sang, so be­ gleitete ich hingegen den Vater auf seinen Wanderungen- sammelte Steinchen und Blu­ men und ließ sie mir von ihm nennen und ordnen. Wenn sie im Kreise der Gespielin­ nen mit Begeisterung tanzte und durch un­ nachahmliche Anmuth die Blicke aller auf sich zog, so schlich ich mich oft leise bei Seit« und ließ mir vom Vater die Sterne nenne» und ihre Bahnen erklären. Ja am liebsten hörte ich ihn an, wenn er von dem Einfluß der Gestirne auf den Menschen redete und ihre Constellationen mit der Natur der ir­ dischen Dinge in Verbindung brachte. Ich konnte darüber alles andere vergessen und seine Worte, die ich begierig einsog, fielen wie Lichter einer höhern Welt in mein jun­ ges Gemüth. So wuchsen wir zusammen auf, und ohnerachtet unserer vrrschiedenen Neigungen, fühlten wir uns innigst verschwi-

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fiert und hegten ju einander die treuste Freundschaft. Wenn ich Abends mit dem Vater nach Hause kam, zeigte sie mir di« lieblichen Bilder, «eiche sie mit glänzender Seide gewirkt hatte, oder sang mir ein un­ bekanntes Lied, und ich dagegen legte meine Pflanzen auseinander, reihete Steine, Käfer und Schmetterlinge zusammen und erzählte ihr von den Menschen, denen wir begegnet, von den Gesprächen, die sie mit dem Vater geführt, von den Bemerkungen, die ich im Stillen gemacht hatte. Sie «ar immer sehr freundlich bei meinen Mittheilungen und bat mich öfters, neben ihrem Webestuhl nieder­ zusitzen und fortzufahren, während sie noch eine Arbeit zu vollenden hatte. Wie gegen­ wärtig ist mir noch ihre zauberhafte Gestalt, wenn sie mit leichten Fingern das Webeschiff hin und her führte und ihr glänzender Blick bald auf der Arbeit, bald auf mir ruhte! Nie vielleicht sehe ich diese Schwester wieder, wel­ che doch die schönere Hälfte meines Da­ sein« war!

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Clementine mit bewegter Stimme diese letzten Worte gesprochen und hielt ei­ nige Augenblicke inne, als wenn sie über etwas nachsinne, dann fuhr sie beruhigter zu erzählen fort. In meines Vaters Haufe versammelten sich oft die Besten unsers Stammes, denn der Name Bruno war bei allen Guten geehrt und geliebt. So hatten wir Gelegenheit zu sehen und gesehn zu werden. Die edelsten Jünglinge buhlten bald um unsere Gunst, an den schönsten Blumensträußen fehlte es uns nie am Morgen, womit sie uns beim Erwachen ihre stummen Wünsche bekannten; am Abend nie an lieblichen Melodien, welche das Geheimniß ihrer keuschen Brust auf die zarteste Weise enthüllten.—Halb noch Kinder, wie wir waren, dachten die Häupter des Stam­ mes schon daran, ihren Söhnen uns zu ver­ mählen und drangen in unsern Vater, unsre Nei­ gungen zu erforschen und Erklärung zu fordern. Aber Blumen und Lieder rührten nicht unser Herz; wir sahen die guten Jünglinge zwar, wir lasen ihre Blumensträuße und

59 horcht«« auf ihre Gesänge, doch Liebe fühl­ ten wir nicht; und der Gedanke war un­ ganz unerträglich, den Vater zu verlassen, um mit einem Manne zu zieh«. Der Va­ ter lächelte und ließ uns gewähren; es schien ihn gar nicht zu überraschen, denn er hatte in den Sternen unser Schicksal gelesen, was er jedoch, als ein unverbrüchliches Geheim­ niß, in seiner Brust verschloß. — Einmal fand ich ihn, wie er in Waldesschatten an einer. Quell« nrben meiner Schwester stand, die dort «ntschlummert war, und im Gebet versunken, einen unaussprechlichen Blick zum Himmel erhob. — Niemals vergesse ich die­ sen Blick; ea war der Himmel darin offen, und eine weite herrliche Zukunft glänzte in seinem verklärten Auge. Er ging still bei Seite, wie er mich kommen sah und schloß mich nachher brünstig in seine Arme, als wenn er etwas sagen wollte, was er aber nicht über seine Lippen bringen könne. — Ueberhaupt bemerkte ich öfter, daß er mein« Schwester gleichsam wie aus der Ferne mit einer gewissen Ehrfurcht behandelte, da er

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mich hingegen als seinen Freund hielt, den er sich selbst gezogen und mit dem er gern in allen Stücken zu Rathe gehn mochte. Unterdessen hatten sich meine Kenntnisse vermehrt, die Natur war mein eifrigstes For­ schen, und ich mußte schon mit dem Vater große Reisen durch die Wüste machen, welche er in seinem Berufe anzustellen hatte. Er schenkte mir zu dem Ende männliche Klei­ dung und ein schnelles Pferd, worauf ich ihm zur Seite ritt und was mir ein besonderes Vergnügen gewährte. Auf den weiteren Rei­ sen aber bestiegen wir mit einem treuen Die­ ner das Hiry, oder Kamel der Wüste, wel­ ches seltsame Thier uns mit Windesflügel durch den glühenden Sand führte und in wenigen Tagen uns hunderte der Meilen zurücklegen ließ. Welche Einsamkeit ergriff mich da oftmals im unabsehbaren Sandmeere an der Seite meines Vaters! Der Schlauch mit Wasser war die Bedingung unsers Le­ bens, die mitgenommenen Datteln unsre ein­ zige Speise, unerbittlich und stumm lag rings umher die Natur —! Wenn dann endlich

6i

im bläulichen Duste durch den wogenden Sand die grüne Oase hinüber dämmerte, und je näher wir dem freundlichen Lande kamen, frischer die Lüste wehten und leben­ dige Kühlung sich um uns ergoß; wenn wir beim stillen Abendrorhe unter die grünen Schatten von Palmen und Akazien einzogen und die weißen Zelte eines befreundeten Stam­ mes auf quellenreicher Wiese im letzten Schein «ns entgegen winkten; dann konnte dem Weltumsegler nicht wohler zu Muthe seyn, wenn er zuerst Land steht, als uns, da alte Bekannte uns von den Kamerlen halfen und die Ermüdeten unter traulichem Gespräch auf ihre Polster setzten, mit Palmwein ste erquikkend. Doch nicht lange wehrte das Aus« ruhn; sobald die Ankunft meines Vaters be­ kannt ward, sammelten sich um ihn Krank« aller Art; auü den entferntesten Gegenden, wohin das Gerücht gedrungen, führte man sie ihm zu. Er stand da unter ihnen wie ein Wohlthäter der Menschen durch seine Kunst, und wie ein Vater der Armen durch sein uneigennütziges Gemüth; denn nie nahm

62 er Lohn von ihnen, nur die Aeltesten des

Stammes durften ihm Geschenke bringen, die er aber oft sogleich wieder unter Noth­ leidende vertheilte. Es war kein Opfer für die Pflicht, was er brachte, es war fein Cha­ rakter; er bedurfte des Goldes nicht, hatte er doch, was er brauchte und fein Schatz «ar rin anderer, als der mit Gold sich auf­ wiegen läßt.

Mir gewährten diese Reisen einen man­ nigfachen Nutzen, sie hellten meinen Sinn auf, bereicherten meine Einsichten und lehr­ ten mich den Menschen kennen, unter allen Ständen und in den verschiedensten Verhält­ nissen. Als Gehülfe meines Vaters, man hielt mich für seinen Sohn, hatte ich Zu­ tritt bei jedem Kranken; da man dem Arzte nicht» verbergen durfte, so ward ich einge­ weiht in die verborgensten Anlässe menschli­ cher Zerrüttung. Ich erfuhr an seiner Seite seltsame Dinge, die mir ein ganz neues Licht gaben, was später wie eine Zauberruthe, mich durch das dunkle Leben geführt hat.

6Z Unterdessen war meines Vaters Ruf selbst bis zum Großemir Arabiens gedrungen, der in der Wüste seine wandelnde Sr.?dt hat; er lag gefährlich krank und keiner seiner Aerzte konnte ihn heilen. Der Sultan hatte sogar ihm aus Konstantinopel seinen ersten Leib­ arzt gesandt und auch dieser hatte unverrich­ teter Sache zurückkehren müssen. Da sandte er eine prächtige Karawane zu meinem Va­ ter und ließ ihn durch einige seiner Räthe entbieten, in den größten Tagereisen zu ihm zu eilen. Wir bestiegen ohne Säumen die schnellsten Kameele und waren am dritten Abend schon an Ort und Stelle. Der Kranke litt an einem periodischen Wahnsinn, der durch Heilung einer Kopfwunde sich entwikfeit hatte und auf Tage und Stunde wie­ derkehrte. Mein Vater brauchte hier beson­ ders den Magnetismus und- da er meine Hand in diesem Falle für wirksamer hielt, als die seinige, so mußte ich diese bedenkliche Heilung übernehmen. Der Großemir ge­ nas in kurzer Zeit, feine Heilung machte Aufsehn, er überhäufte meinen Vater mit

64 den kostbarsten Geschenken und erbot sich, zum Beweise seiner Gunst, mich in seinem Dienste zu behalten. Es war gefährlich, es ihm abzuschlagen, — gefähi sicher, wenn ich blieb; denn an seiner üppigen Hofhaltung «ar ich tausend Gefahren ausgesetzt und ver­ lor durch die Trennung von den Meinen ein unersetzliche» Glück. Mein Vater sah sich also genöthigt, ihm mein Geschlecht zu ent­ decken und auf meine Jugend sich stützend, die Nothwendigkeit darzuthun, mich bei sich zu behalten. Dadurch ward nun zwar der Emir überzeugt, aber in seinem Sohne Saladdin drohte uns ein viel schlimmerer Feind. Dieser hatte mich oft an dem Lager seine» Vaters gesehn und den vermeinten Knaben mit zweifelhaften Blicken betrachtet. Es glühte in seinen Augen ein dunkles Feuer und in seiner Natur lag bei seltnen Gaben, eine gewisse Verwilderung, die seine Nahe mir furchtbar machte. Er bewies mir eine besondere Aufmerksamkeit und suchte mir auf alle Weise gefällig zu seyn. Bald bat er mich, rin behendes Roß zu besteigen, um seine

65 feine Schnelle zu versuchen, und wenn ich bei der Rückkehr es rühmte, drang er es mir

ungestüm zum Geschenke auf, bald sandte er

mir einen Turban mit köstlichem Geschmeide, um bei Hofe würdig zu erscheinen, und der

Knabe durfte es

nicht ablehnen,

nicht beleidigen sollte.

wenn e»

So wandten sich end­

lich aller Augen auf mich, durch das Betra­ gen

des

Prinzen

geleitet,

und

Saladdin

schien keinen andern Gedanken zu haben, al»

wie er den einfachen Fremdling in den höch­ sten Glanz rücken möchte.

Mich drückten um

so mehr diese Auszeichnungen, da sie meiner

Neigung ganz entgegen waren und ich einen bestimmten Widerwillen gegen seine Art und Weise fühlte. beschränkt,

Meine Freiheit ward dadurch

ich konnte nicht mehr so unge­

stört meinem Berufe leben und mußte mich oft zusammen nehmen, um nicht getrübt und verwirrt zu «erden.

Ich theilte meinem Va­

ter diese Besorgnisse mit, der mich mit un­ srer baldigen Abreise zu trösten suchte. End­ lich erfolgte sie.

Der Großemir «and mir

zum Lohne mit eigner Hand eine PerlenLudewig ». 3- litt r».

ß.

66

schnür durch das Haar, die von unschätzbar rem Werthe war; er schloß mich alsdann in seine väterlichen Arme und indem er zum Abschiede einen Kuß auf meine Stirn drücke te, nannte er mich mit bedeutsamem Blicke seine wohlthätige Tochter. Ich verehrte den grauen Helden, aber verstand diesen Blick nicht; ich war froh, den Staub von den Fü­ ßen zu schütteln und in die Heimath zurück­ kehren zu können. Eine prächtige Karawane geleitete uns durch die Wüste, ein Trupp gewaffneter Reuter blieb auf Befehl des Emirs uns stets zur Seite und Saladdin an ihrer Spitze. Ein kostbares Zelt diente uns Nachts zur Ruhestätte, wo ich an der Seite meines Vaters in meinen Kleidern schlief. Wachen umgaben es, uns vor jedem Ueberfall streifender Horden zu sichern. Saladdin schlief in einem andern und erweckte uns am Morgen frühe mit einer frohen Hörnermu­ sik, um weiter zu ziehn. So gelangten wir unter dem Schutze heiligen Geleites ohne Abentheuer bis an das Ende der Wüste. Der Prinz, wie er auch seyn mochte, ehrte die

67

alte Sitte des Gastrechts und überschritt nie, so lange er uns zur Seite blieb, in Reden, noch Geberden, die Grenze des strengsten An­ standes. Meine Seele war fröhlich, das grüne Land der Heimath dämmern zu sehn, ich dachte an meine Schwester, an alle meine Gespielen mit erneutem Verlangen; da trat Saladdin zu uns, um Abschied zu nehmen. Er dankte meinem Vater für alle seine Sorg­ falt und Mühe mit den wärmsten Ausdrükken, indem er sich ewig seinen Schuldner nannte; dann ging er auf mich zu, die etrraö abseits stand, um ein Pferd zu besteigen. Geliebter Knabe, sagte er mit schmeichelnder Stimme, wie soll ich dir die Wohlthat ge­ gen meinen Vater lohnen! Wisse, du hast nicht allein ihm, du hast auch mir ein neues Leben geschenkt. — Ich bin dein Eigenthum geworden und kann niemals von dir lassen; möchtest du auch das meinige werden und in deinem wahren Geschlechte an meiner Seite über Arabiens Stämme herrschen! Möchtest du mit mir die Krone der Wüste tragen und als verehrte Fürstin die Herzen der Tapfern E 2

68 regieren, so würde ich der Glücklichste aller Gebornen seyn. Eine verzehrende Glut lo­ derte bei diesen Worten aus seinen schwarzen Augen auf, seine ganze Gestalt verrieth Lei­ denschaft, ja Verwirrung. Ich glaubte ihm in diesem entscheidenden Moment nichts ver­ bergen zu dürfen; ich achtete ihn zu sehr, um ablenkende Rede zu Hülfe zu nehmen; ich hielt ein Wort des Vertrauens für das beste und klügste; aber die Zeit lehrte es an­ ders. Du bist im Irrthume, edler Fürst, ver­ setzte ich ; nicht umsonst trage ich diese männ­ lichen Kleider; nicht zu herrschen an deiner Seite, zu dienen und Vielen zu helfen ist mein Beruf. So gebot es mir von früher Kindheit der Gott. Der Frauen Weise steht mir nicht zu; nur an meines Vaters Hand, heilend und lindernd das Elend der Menschen, fühle ich mich sicher, und so allein kann ich glücklich werden. Noch anderes fugte ich hinzu, um sein empörtes Gemüth zu versöhnen, aber es wa­ ren Worte in den Wind geredet. Er hörte

69

nicht auf meine ruhigen Gründe, er sah in meinem Vertrauen nur Verachtung; mit zor­ niger Geberde warf er sich auf sein stampfen­ des Schlachtroß und wandte sich, ohne umzusehn, mit der gewaffneten Schaar in die Wüste zurück, windschnell unsern Augen ent­ eilend. Mit schmerzlicher Theilnahme blickte ich dem Irrenden nach, bis sein dämmern­ des Bild im wogenden Staube der Wüste verschwand. Zm Vaterhause eilte uns freudig die Schwester entgegen, und schloß mich, wie ihr anderes entbehrtes Selbst, mit Inbrunst in ihre Arme. Die Gespielinnen thaten mir tau­ send Fragen und bewunderten den kostbaren Schmuck in meinem Haar; die alten Freunde, ja! der ganze Stamm fühlte sich geehrt in der Auszeichnung, die uns vom Beherrscher der Wüste geworden, nur ich allein blieb trübe und stumm, denn Saladdins Wort lag wie ein schweres Verhängniß auf meiner ah­ nenden Seele. Die treueste Schwester er­ wiederte mein Vertrauen, denn ich konnte ihr nichts verbergen mit der zärtlichsten Sorg-



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falt. Der Vater schloß mich fester an sich und führte mich hinab in die Tiefen der Na­ tur und in das Innerste seiner Kunst, was er mir bis dahin verborgen gehalten. Er schien mich mit einem mal des Besten und Höchsten gewürdigt zu haben, und gleich einer Decke entsank es meinen erstaunten Augen, so daß mir nun wieder heiter und leicht wurde. Aber es war eine andere Heiterkeit, als die frühere; sein erhabener Geist hatte mich durch heilige Erkenntniß über die Nebel der Zeit hinweg gehoben; ich fühlte es, meine Kind­ heit war zu Ende, zu Ende jede kindische Freude, und Alles nahm für mich, durch die­ sen einen Schritt eine andere und ernstere Gestalt an. Zu eben dieser Zeit ging von uns eine zahlreiche Karawane nach Mekka ab und da ich den lebhaften Wunsch äußerte, die hei­ lige Kaaba zu sehn und das Heiligthum, den schwarzen Stein, um anzubeten und mein Gemüth vollends zu beruhigen, so beschloß der Vater mich selbst dahin zu führen und diese sichere Gelegenheit zu benutzen.

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Die Schwester blieb auch dieses Mal in der stillen Heimath zurück, denn sie liebte das Reisen nicht und wir trennten uns mit einer ganz besondern Wehmuth, als wenn wir lange oder gar nicht uns Wiedersehn soll­ ten. Unsre Thränen stossen zusammen und wir lächelten wiederum drein, indem wir uns sagten, daß nach einigen Wochen wir wie­ der vereiniget seyn würden. Doch erleich­ terte uns diese Hoffnung den bangen Ab­ schied nicht. Gern wäre ich nun zurück ge­ blieben, wenn ich nur einen vernünftigen Grund dem Vater hätte angeben können, den ich sonst durch solchen Wankelmuth zu erzür­ nen fürchtete. Mehrere Mal kehrte ich wieder um und die Schwester in einem gleichen In­ stinkte war mir entgegen gegangen. Endlich brachte sie mir noch ein talismannisches An­ gebinde, welches sie von unsrer Mutter ge­ erbt und mit Wehmuth um meine Hüften wand; ich schenkte ihr dagegen die köstliche Perlenschnur, indem ich sie in ihr schönes Haar befestigte und den letzten Kuß auf ih­ ren blühenden Mund drückte. Mein Vater



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wartete schon, und die Wallfahrt ging vor sich. Wir kamen ohne Gefahren glücklich nach Mekka, wo wir eine zahllose Menge Pilger, so wie auch Kaufleute und Fremde aus allen Nationen antrafen. Ich erstaunte, um den stillen ehrwürdigen Tempel einen glän­ zenden Markt zu finden und ihn mit Welt­ lichkeiten aller Art umgeben zu sehn; doch ließ ich mich dadurch nicht stören; wir ver­ richteten in der Kaaba unsere Gebete, wir küß­ ten das uralte Heiligthum der Wüste, den schwarzen Stein, wir brachten unsre Gaben, und zogen dann fröhlich heim. Manchen alten Freund hatten wir dort wiedergefunden, manchen neuen gewonnen. Die Seele war offner in dem Element der Andacht und Jeder fühlt« sich dem Andern näher durch die Nähe des Gottes. Mein Sin» war heiter und leicht, als wir wieder auf unsern Kameelen saßen und ich unterredete mich mit dem Vater über die fremden Sit­ ten und Weisen, die ich dort bemerkt, über die verschiedenartigen und seltsamen Men­ schenbilder, die mir dort begegnet waren. Die

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Europäer schienen mir Wesen, wie aus einer andern Welt; ihre Trachten und Geberdrn waren mir merkwürdig und anziehend, ihre blasse» feinen Gesichter hatten für mich et­ was auffallendes und wenn mir der Vater gar ihre Gespräche übersetzte, so erweckte da« meine lebhafteste Wißbegierde, Nähere» von ihnen erfahren zu können. S» verstrichen uns auf der Rückreise manche harmlose Stun­ den. Eines Abends aber, da wir auf unser« Kameelen den gestirnten Himmel betrachte­ ten, ward mein Vater ungewöhnlich stille und traurig, und wie ich freundlich in ihn drang, mir die Ursache seiner Betrübniß zu sagen, so brach er nach einigem Bedenken da« Schweigen und ließ sich folgendermaßen vernehmen. Du wirst von mir auf eine lange lange Zeit getrennt werden, meine Tochter, sagte er seufzend — wie? das weiß ich noch nicht, aber es wird bald erfolgen. Du mußt alsdann harte Prüfungen bestehn und wirst große Dinge thun. Ich werde dich endlich wieder finden, aber in einem verklärten Leibe und mit einem wunderbaren Kinde an der

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Hand. — So las ich es eben in den um trüglichen Sternen, und keine Macht kann den Lauf dieses Verhängnisses wenden. Ich sprach ihm Trost ein, und versicherte ihm, daß wenn es Gottes Wille sey, ich mich gerne darin fügen würde und den Glauben härte, daß es zu meinem Besten diene. Er umarmte mich innigst und schenkte mir ein Buch, wobei ich seiner gedenken solle, und was miw aus manchen Nöthen befreien kön­ ne. Ich steckte es zu mir, ohne es aufzu­ schlagen, und nachdem wir von unsern KaMeelen abgestiegen, wandten wir uns gemein­ schädlich zum Gebete, um den Regierer der Weltrn um seinen Beistand anzuflehen. — Wir standen auf in der tiefsten Ergebung, — dann führte mein Barer mit mir noch ein langes bedeutsames Gespräch. Ich fand mich dadurch gestärkt; auch er schien erhei­ tert und wir überließen uns in unserem Gezelte dem sanftesten Schlummer, als wenn uns nichts bedroht hätte. Minen in der Nacht erwachte ich von einem dumpfen Getöse; ich hörte Schwerdter

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klirren und viele Stimmen wild und grauen­ voll durch einander rufen. Das Getose nä­ hert sich unserm Lager. Ich wecke meinen Vater, der das nämliche vernimmt. Bald ist es klar genug, daß unsere Karawane über­ fallen und die gewaffnete Bedeckung überwäl­ tigt sey. Mein Vater greift nach seinem Sä­ bel und steckt zwei Prstolen in den Gurt, in­ dem er sich an den Eingang des Zeltes hin­ pflanzt. Bald dringt ein wilder Haufe her­ an, mit gezogenen Säbeln und fürchterlichem Geschrei auf ihn einstürmend. Der erste fällt von seiner Kugel, ein anderer wird verwun­ det, aber der übrige Trupp umzingelt ihn schnell und bindet ihn vor meinen Augen, indem sie ihn fortschleppen. Da tritt ein junger Mann in das Zelt und reißt eine Kappe vom Gesicht. Es ist Saladdin, der vor mir steht. Du warst der Preis, sagte er mit glühendem Blicke, die Knechte mögen die Schätze nehmen, ich suchte nur dich und mein Schwerdt hat dich gewonnen. Mit die­ sem Worte schlang er die Arme um meinen Leib und hob mich auf sein windschnelles

76 Ross, indem er mit mir fortsprengte. Meine Tränen flössen heftig um den Vater, an mich prjr dachte ich noch nicht; ich sprach kein Wort, denn ich fühlte, daß es bei ihm ver­ geblich sey. Ich war aufs äußerste gefaßt und hatte den Dolch bereit, um für den Preis meines Lebens keine Schande zu dul, den. Aber Saladdin war schonender, wie ich dachte. Er suchte, wie er sich in Sicherheit hielt, durch freundliche Worte und ein ge­ mäßigtes Betragen meine Gunst zu erwer­ ben. Meinen Vater, versicherte er, habe er gleich wieder in Freiheit gesetzt, und daß die­ ser gebunden worden, sey ohne seinen Willen geschehn; er fühle sich zu dankbar gegen ihn, um ihm etwas Leides zu thun. Bei mir habe er die ehrenvollsten Absichten und wiederhole nun sein Anerbieten, was ich früher von wir gewiesen, mich zur Beherrscherin der Wüste zu machen. Meiner Person habe er sich dar­ um bemächtigen müssen, weil mein Be-

77 daß er durch diese Gewaltthat sich auf im­ mer von mir entfernt habe. Er brachte mich aus rin feste» Schloß am Euphrat, wo er mehrere seiner Frauen versammelt hatte und wo man mich mit be­ sonderer Auszeichnung behandelte. Da ich mir aber in meinem Betragen gleich blieb und er aus diesem Weg« nicht« ausrichten konnte, verwandelte sich bald feint ganz« Weise; sein rohe« Herz verbarg sich nun nicht länger ünd dir wildeste Leidenschaft suchte ihre Ansprüche geltend zu machen. Glücklicher Weise brach zu eben dieser Zeit «in großer Krieg au«. Die räuberischen Horden de« Urals hatten auf Befehl des wei­ ßen Zaars Persien erobert und waren im Be­ griff, über den Euphrat zu gehn, um sich auch Arabien zu unterwerfen. Saladdin warf sich ihnen al« Oberhaupt der Stämme ent­ gegen, der Groß-Emir, fein Vater, hatte ihm diese Stelle übertragen; doch vermochte

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härteste behandelt, um meinen Sinn zu er­ weichen. Da höre ich eines Abends wildes Getümmel; Sal. ddin tritt blutig herein und reißt mich mit sich, vorne auf sein Pferd mich schwingend. Feinde umgeben die Burg, er hofft noch mit mir p entkommen, aber vergeblich! Eine Lanze durchbohrt ihm die Seite, ein Säbelhieb spaltet ihm den Kopf, so daß sein Gehirn mir ins Gesicht sprühte. Er reißt mich im Todeskarnpf mit sich vom Pferde, so daß ich vor Schreck und Betäubung ohnmächtig hinsank. Da ich wieder zu mir selbst komme, befinde ich mich in einem Gezelte, und ein ältlicher Mann steht neben mir, der freundlich um mich bemüht scheint, dessen Sprache ich aber nicht verstehe. Ein Dolmetscher der unsern sagt mir endlich, daß es ein russischer Anführer sey, dem ich zur Beute überliefert worden. Seine Gesichts­ züge waren hart, aber nicht grausam; er heißt mich gutes Muths seyn und ihm treu dienen, so werde er vor jeder Gewaltthat mich schützen. Ich war von nun an seine Sklavin und diente ihm mit allem Fleiße.

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Er tfitlt Wort und schützte mich; ja, auf eine so zarte Weise, wie man es dem rau­ hen Kriegsmanne nicht hätte zutrauen sol­ len. Doch war er nicht immer gegenwärtig, und so traf mich manche Kränkung von schlech­ ten Menschen. Oft überlief mich ein Schau­ der des Entsetzens, wenn so freche Rede über die entweihten Lippen floß; ich weinte über den Verfall des menschlichen Geschlechts. Ich hätte vergehn müssen; doch Gott gab mir Kraft und schützt« mich. Ich folgte endlich meinem Herrn nach Europa in sein nordisches Vaterland, da eine Wund« ihn zum Dienste unfähig gemacht hatte. In St. Petersburg wurde er gefährlich krank, die Aerzte hatten ihn schon aufgegeben, da bot ich ihm meine Dienste an, und war so glück­ lich, ihn zu heilen. Er schenkte mir zum Lohne meine Freiheit, ich ward als Christin getauft in dec griechischen Kirche und der Bischof nannte mich in der Taufe: Marga­ rethe Clementine. Den ersten Namen erhielt ich, weil man behauptete, daß ich jenem Heiligenbildr ähnlich sehe, den zweiten gab mir

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mein Herr, weil ich ihn gesund gemacht hatte. Bald darauf ging ich mit diesem, der am Kaiserhofe Geschäft« hatte, nach Deutsch­ land, wo ich zuerst in Schwaben deutsch« Sitte und Sinn kennen und schätzen lernte. Oft fühlte ich mich hier unter den einfachen gemüthlichen Menschen wie in meinem Vaterlande und wählte endlich, da mein Wohl­ thäter nach Rußland zurückkehrte, dieses anmuihige Kloster zu meinem Aufenthalte, wel­ che» meinem Gefühl am besten zusagte und wo ich in geistlicher Abgeschiedenheit zu­ gleich weinen früheren Neigungen am unge­ zwungenste» nachhängen kann. Das ist, sagte dir Nonne, indem sie sich zu Ludewig wandte, im Wesentlichen meine Geschichte und so hätte ich euch beide» nun mein Versprechen abgetragen, welches ich dem Bruder Sebastian schon zu lange schuldig geblieben. Die beiden Freunde hatten ihr mit tu «er gewissen Andacht zugehärt; besonder« Lu­ dewig fühlte sich durch ihre Beschreibung des Morgenlandes wie in eine alte Heimath ver­ setzt



Li­

scht und 'S war ihm, al« wenn auch er dar­ aus sich Manches zu erinnern hätte, wenn er nur den Anfangspunkt finden könnte. Er verbarg ihr nicht dieses seltsame Gefühl, fle lächelte wunderbar sanft dazu und legt« die Finger auf seine flache Hand, als wenn fie ihm sagen wollte, daß sie ihn ganz verstan­ den habe. Sebastian machte di« Bemerkung, daß es uns mit der Beschreibung eines schonen Landes wohl eben so wie mit einem gebilde­ ten Menschenchacaktrr ergehen möchte, der uns von Alters her bekannt scheint, «eil Al­ les in ihm zusammen stimmt. Unterdessen hatte der alte Anselm, nach­ dem er seine Blumenbeet« gemustert, einig« Sträußer gewunden, und trat, da sie auf­ standen, freundlich zu ihnen. Mit geheimnißvoller Gärtnermiene und stiller Selbstzu­ friedenheit überreichte er den ersten Clemen­ tinen, welcher aus Lilien, Nachtviolen und wundersam zarten Gräschen gar sinnreich zu­ sammengefügt war. Den zweiten Strauß, von der schönsten Passionsblume mit einer Ludewig v. Z. itei Ty.

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ikppigrn Rosrnknospe, Lorbeeren und Zypres­ sen durchflochten, gab er Ludewig, ehrerbir. tig fich bückend, und den dritten aus Ane­ monen, Nelken und Levkojen drückte er dem Sebastian in die Hand. Wir fein unser Anselm zu schmeicheln weiß, sagte Sebastian, wer möchte nicht rin solches Blumenwort gerne anhörrn und aus feinem unbestimmten mustkalifchrn Ginne das Beste sich heraus nehmen? Es hat sich so zusammengefunden, ohne baß ich Sonderliches dabei gedacht hätte, ver­ setzte der Alte. Auch soll man nicht» dabei denken, fiel die Nonne lächelnd ei», die Blume ist ein viel zu zartes Geheimniß, was nur dem Ge­ fühl anvertraut bleibt und kein Gedanke versteht. Du hast mich so reichlich beschenkt, gu­ ter Alter, sagte Ludewig nach einer Stille, doch warum soll ich die Lilie entbehren in meinem Strauße? Die müßt ihr aus einer weiblichen Hand empfangen, sagte Anselm, denn da» ist Gärt-

8Z

«erweise so; wenn ich sie Euch gäbe, da­ würde Euch kein Glück bringen. Clementine rrröthete; sie schien sich an et­ was zu erinnern, was eine besondre Bewe­ gung bei ihr hervorbrachte, sie löste langsam die Lilie aus ihrem Strauße ab, und sagte zu Ludewig gerührt: So empfanget sie denn von mir und bewahret sie wohl! Mit die­ sen Worten «and sie die schönste Blume in seinen Strauß, und eine Thräne rollte aus ihrem klaren Auge in den Kelch hinab. Lu­ dewig gedachte des Traum« und ward tief erschüttert. Eine Todtenbläffe überzog von neuem sein Gesicht, der Schwindel kehrte zurück und er sank alsbald in tiefer Ohn­ macht zu Boden. Die Männer richteten ihn auf und Clementine rieb sanft mit ihren Händen seine Schläfe. — Nach einigen Minuten erholte er sich wieder und die besorgten Freunde führten ihn langsam nach Hause. Clementine lenkte das Gespräch auf den Stifter dieses Klosters, der ein mäch> tiger Pfalzgraf gewesen und auch diesen Gar­ ten angelegt hatte, indem sie manche beson»

84 dre Umstände aus seinem Leben erzählte. Lu­ dewig horte ihr mit Wohlgefallen zu und sie fuhr folgendermaßen fort: In solchen Gar­ tenanlagen und stillen Beschäftigungen mü­ ßiger Stunden kann man am besten oft das Gemüth großer rastlos wirkender Naturen er­ kennen. In diese Zugabe ihres Lebens flüch­ ten sich gleichsam ihre verborgensten Neigun­ gen, die der ernste Geschäftsgang zurückdrängt. Hier erlauben sie sich dem Herzen zu folgen und unbeschreiblich schuldlos sind öfters die Spiele ihrer Phantasie in Zusammenstellung jener stillen Natucbekenntnisse, nachdem sie von dem blutigen Schauplatz der Welt sich zurückgezogen haben. In ihrer Dorliebe für Eine Blume, in ihrer Abneigung gegen eine andere, könnte man oftmals den Schlüssel zu den wichtigsten Staatsveränderungen fin­ den. Denn wie sehr der Mensch sich auch bemühe, nach Maximen zu handeln, so lei­ tet ihn am Ende doch unvermerkt das Ge­ stirn und sein Instinkt und machet seinen Wirkungskreis zum Gepräge seines Herzens.

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Sieht dieser Garten nicht aus wie ein glücklicher Staat, worin jede nützliche Kraft sich behaglich entfaltet, wo jedes Gute einen gedeihlichen Boden findet? So war der Pfalz­ graf Friedrich und so sein Land nach dem Zeugnisse Aller, die mit ihm und unter sei­ nem Schuhe gelebt haben. Einfach und frei war sein Gemüth, er liebte nicht den Schein, wohl aber die gediegne Pracht und den fürst­ lichen Glanz. Für seine Person war er ma' ßig, nicht aus Grundsatz, sondern aus Stei­ gung; seine Freunde wünschte er im Ueberfluffe zu sehn, und bereicherte sie, die Natur nachahmend, mit launigter Verschwendung, Alles, was er unternahm, hatte den Ausdruck dec Gründlichkeit, doch zu dem Schonen im freien Spiel aller Kräfte konnte er sich sel­ ten erheben. Nichts haßte er mehr, als Ober­ flächlichkeit und Ernstlosigkeit im Menschen. Zn dem Kleinsten wie in dem Großesten war er strenger Oekonom, durch Ordnung und Maaß. Er konnte nichts umkommen, nichts zwecklos wegwerfen sehn; alles mußte ge­ braucht werden und mirwirkcn zum Nutzen

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oder zum Vergnügen. Ueber seiner Thüre stand auf schwarzem Marmor in güldner Schrift der güldne Wahlspruch: "Wer nicht sammelt, der zerstreuet". Sehr scharf wußte er Gerechtigkeit von Güte zu schei­ ben. Wenn es auf gegenseitige Ansprüche an­ kam, besonders da, wo er eigennützige Ränke bemerkte, stand er fest bis aufs Aeußerste und ließ sich nichts unterschlagen, wie man es auch anfangen mochte; ja, wenn ev grausam erschienen ist, so war es hier, da er die klein­ lichen Niederträchtigkeiten oft eben so hart bestrafte als die großesten Verbrechen, und mit leidenschaftlichem Hasse ste verfolgte. Das ist ein namenloses Unkraut, pflegte er wohl zu sagen, was das Land aussaugt, ehe man es gewahr wird. Man muß es im Keime tilgen, sonst ist es unvertilgbar und der Zwerg wirst den Riesen um. Darum wurde er von Dielen der Habsucht beschuldigt, obwohl er in jeder freien Gabe das Uebermaaß liebte und zu jedem reinen Lebensgenüsse den Be­ drückten die vollen Hände bot. Eben so war auch sein Glaube ernst und gründlich. Sein

87 Heiland lebte wahrhaft für ihn, so wie er wahrhaft für ihn gestorben war. Er verehrte die Fülle der Gottheit in ihm, einfältig, und ließ nichts Ungeweihtes auf diesen heiligen Grund treten. In seiner Jugend soll er hef­ tigen Leidenschaften ergeben gewesen seyn, die ihm viel Schmerz brachten, doch entstellten sie nicht das Heiligthum seines Herzens, weil er Liebe und Ernst zu allen Dingen mit­ brachte, so daß selbst seine Verirrungen da­ durch geadelt wurden. Mit zunehmenden Jahren diente ihm dieses Feuer zur Beharr­ lichkeit in seinen Entwürfen, seinen Unter­ thanen zum Schutze und den Feinden zum Schrecken. Seinem gerechten Zorne mochte Niemand widerstehn, aber auch seiner Güte konnte man sich versichert halten, wenn man eine reine Sache hatte. Mit Einem Worte er war, wenn nicht ein vollendeter Mensch, doch ein Deutscher im besten Sinne, und werth, ein Fürst dieses tiefsinnigen Volkes zu seyn. Doch alles das habe ich nur von Hörensagen, setzte fle hinzu, dort kommt An­ selmo, der ihm lange gedient hat, der kann



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euch mehr und bessert« vsn ihtn erzählen, wenn ihr e« hören möget. Der Alte, welcher voran gegangen war, um einige« in dem Krankenzimmer anzuordncn, stieß auf einem Seitenwege wieder zu ihnen, und da er den Namen feines verstor­ benen Herrn hörte, beschleunigte er seine Schritte. Eben standen fie an einer verfalle­ nen Bank, worauf sie sich nirderließen, da­ mit Ludewig nicht zu sehr erschöpft würde. Es «ar ein heimlicher schattiger Sitz; man sah durch eine Anzahl hoher Eichen in eine heitre Ferne hinaus. Hier, sagte der Alte, pflegte mein Herr, der Pfalzgraf, gewöhnlich in der Mittagshitz« ein wenig zu schlummer», «en» er von seinen Landesgeschäften au«ruhte, oder durch eine Hirschjagd erschöpft «ar. Dormal« stand an der Stelle diese« Klosters ein Lustschloß und auf dem geräu­ migen Hofe, welcher nun so stille ist, ging