Die Germanin: Roman zur Varusschlacht. Ein historischer Roman von Zabern. Mit Glossar 3805339305, 9783805339308

Germanien im Jahre 9 n. Chr.: Der römische Statthalter Varus unterliegt mit seinen Legionen einer germanischen Übermacht

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German Pages 251 [345] Year 2009

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Teil I: Der Junge aus dem Falkengau
Kapitel 1: Abschied von Hut-nisut
Kapitel 2: Die große Stadt
Kapitel 3: Die Prüfung
Kapitel 4: Veränderungen
Kapitel 5: Waset
Kapitel 6: Begegnungen
Kapitel 7: Das Opet-Fest
Kapitel 8: Die Bürde der Verantwortung
Kapitel 9: Umbrüche
Teil II: Der Horizont des Aton
Kapitel 1: Der Aufstand
Kapitel 2: Das Attentat
Kapitel 3: Ein riskanter Plan
Teil III: Horus feiert
Kapitel 1: Der junge König
Kapitel 2: Ein merkwürdiger Fremder
Kapitel 3: Die Flamme der Ta-weret
Kapitel 4: Mut-nedjemet
Kapitel 5: Der elende Feind von Chatti
Kapitel 6: Rückkehr nach Achet-Aton
Kapitel 7: Das Blut der Könige
Kapitel 8: Tauben und Falken
Kapitel 9: Der Verrat
Kapitel 10: Die letzte Grenze
Epilog
Nachwort
Danksagung
Königsliste der 18. und 19. Dynastie
Glossar
Weiterführende Literatur
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Die Germanin: Roman zur Varusschlacht. Ein historischer Roman von Zabern. Mit Glossar
 3805339305, 9783805339308

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Michael Höveler-Müller Die Toten kehren wieder mit dem Wind

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Michael Höveler-Müller

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Verlag Philipp von ZaberN 3

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Meiner Frau Nadine „Einzig ist die Geliebte, ohnegleichen, schöner als jede Frau. Strahlend ist sie, wie der aufgehende Stern, der dem guten Jahr voranzieht.“ aus den „Sprüchen der großen Herzensfreude“ des Papyrus Ches­ter Beatty I, um 1300 v. Chr.

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„Man beugte den Arm vor ihm als Junge, und die Erde wurde von Großen und Kleinen geküsst. Es kam zu ihm Nahrung und Speise, als er noch ein Kind war ohne Verstand.“ aus der biografischen Inschrift auf einer Statuengruppe des Haremhab und der Mut-nedjemet (heute in Turin)

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Die Nacht war über Ägypten hereingebrochen und hatte ihren dunklen Mantel über dem Land ausgebreitet. Die Luft war sanft und mild, aber ein starker Wind wehte aus westlicher Richtung – aus der Gegend, in der der Sonnengott Ra allabendlich in die Unterwelt eingeht und den Himmel mit dem Blut seiner Feinde tränkt. Dort im Westen liegen die großen Friedhöfe des Landes und dort ruhen sie, die Toten. Dort liegen ihre Häuser – vom Pharao bis hin zum einfachen Bauern, der auf seinem Feld hockt ... Irgendwann ziehen alle Lebenden in das Land jenseits des Horizonts. Der Wind war jetzt so stark, dass sich die gewaltigen Palmen bei Men-nefer bogen. Der Palast lag in tiefer Dunkelheit. Nur im Schlafgemach des Pharaos flackerten unruhig einige Öllampen und Feuerbecken und warfen tanzende Schatten auf die Gesichter der beiden Anwesenden. Der schwache König lag auf seinem Bett, sein Oberster General und Wesir Ra-messu saß auf einem Stuhl neben ihm. „Wir sind beide alt geworden, Ra-messu“, sprach der Pharao und sah sein Gegenüber aus müden Augen an. „Da war es schon wieder!“, sagte Ra-messu ernst. „Was?“, der Pharao horchte aufmerksam in die Stille, in die sein Palast und sein Land gefallen waren. Irgendwo in der Ferne machte kaum wahrnehmbar ein Esel auf sich aufmerksam, aber das konnte Ra-messu nicht gemeint haben. „Was denn?“, fragte der König erneut und nun ein wenig schärfer. „Dieses Wort!“, erwiderte Ra-messu störrisch. „Alt – ich hasse es. Es mag auf dich zutreffen, aber verbinde mich nicht damit! Du weißt doch, was der Weise Ptah-hotep über das Alter meinte, ich selbst bekomme es nicht mehr ganz in die Erinnerung, aber ein Teil davon hieß: ‚Die Nase ist verstopft und kann nicht mehr atmen, Aufstehen und Hinsetzen sind gleichermaßen beschwerlich. Gutes ist zu Schlechtem geworden, und jeder Geschmack ist verschwunden. Was das Alter dem Menschen antut – Übel ist es in jeder Hinsicht!‘ So fühle ich mich nicht!“ Der Pharao brach in schallendes Gelächter aus, das jedoch brüchig und dünn klang. „Du eitler Ganter! Ganz so geschmeidig sind deine Bewegungen auch nicht mehr!“ 7

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Ra-messu stutzte zunächst, fiel dann aber in die überraschende Heiterkeit seines Freundes ein. Doch das Lachen des Herrschers wurde bald von einem kehligen Husten erstickt, der in einem schmerzhaften Krampf endete und den ermatteten Körper zum Aufbäumen zwang. Nachdem der König sich beruhigt hatte, sank er wieder auf sein Lager zurück und schüttelte den Kopf. „Noch heute Nacht werden die Klageweiber zu heulen beginnen“, sagte er schwach. Ra-messu senkte den Blick. Gefährliche Feldzüge hatten dem König nichts anhaben können. Er hatte In­trigen, Mordanschläge und Verfemungen überstanden und musste nun vor der Last des Alters kapitulieren. Der Wesir wusste, dass er seinen Freund bald verlieren würde, und es war unverkennbar, dass es in den bevorstehenden Stunden geschehen sollte. Das heutige Datum war in den Kalendern als unheilvoll vermerkt worden und in dieser Nacht hatte der Kranke seinen gesundheitlichen Tiefpunkt erreicht. Seine Stirn glühte und eine Perlendecke kleiner Schweißtropfen glänzte darauf. Die Lippen waren trocken und aufgeplatzt, die Haut wirkte fahl, alt und welk wie trockenes Leder. Seine Augen blickten matt und erschöpft aus tiefen Höhlen. Der große Herrscher war in dieser Nacht ein jämmerlicher Anblick. Kurze Zeit nach dem Husten schien es, als würde der Pharao sein irdisches Leben nicht länger halten können. Seine Pupillen zuckten wie die vom Wind bewegten Flämmchen der Öllampen und seine Lider flackerten. Schließlich schlossen sich seine Augen ganz. Besorgt berührte Ra-messu einen Arm des Königs und erschrak, weil dieser so kalt und schwer war. Als er jedoch sah, dass sich der Brustkorb im kargen Licht kaum merklich und ungleichmäßig hob und senkte, war er beruhigt. Er wollte ihn nicht wecken. Sein Freund sollte schlafen und seinem schwachen Körper Erholung gönnen.

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Teil I Der Junge aus dem Falkengau 27. Regierungsjahr unter Seiner Majestät, dem König von Ober- und Unterägypten, Pharao Amenophis Neb-Maat-Ra, er möge leben, heil und gesund sein (1362 v. Chr.)

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Kapitel 1 Abschied von Hut-nisut Die Mittagssonne der schemu-Jahreszeit brannte erbarmungslos auf die Wiesen, Felder und kleinen Palmenhaine in der grünen Umgebung von Hut-nisut, einem Städtchen am östlichen Nilufer inmitten des Falkengaus. Auf einer saftigen Weide nahe dem Tempel, der ein wenig abseits der Häuser lag, saß inmitten der Ziegenherde seines Vaters der zehnjährige Haremhab im schmalen Schatten einer hohen Dattelpalme. Von diesem Platz aus hatte er einen fantastischen Blick auf die lange Seiten- und die schmalere Rückwand des Tempels und konnte das Spiel des Sonnenlichts auf den erhabenen Reliefs beobachten. Die schwarzen Locken klebten an seinem Kopf und trotz der flirrenden Hitze studierte er konzentriert die großen und weithin gut erkennbaren Teile der Inschriften. Mit einem Stock zeichnete er die Zeichen in die trockene, dunkelbraune Erde und prägte sich ihre Formen ein, auch wenn er ihre Bedeutung nicht verstehen konnte. Ab und an aß er gedankenverloren eine der heruntergefallenen Datteln und es war früher schon einige Male vorgekommen, dass eine oder mehrere Ziegen die Gunst des Augenblicks genutzt und sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatten. Oft musste er dann Stunden mit der Suche verbringen und manchmal fand er sie gar nicht wieder. Zu Hause setzte es dafür schallende Ohrfeigen von seinem Vater, der ihn verächtlich „Träumer“ schimpfte, der zu nichts nütze sei und es nie zu etwas bringen würde. Dann weinte Haremhab, obwohl er es gar nicht wollte, aber die Worte taten ihm weh – weit mehr als die Schläge. Haremhabs Vater hatte seit Jahren drei große Gerstefelder gepachtet, die er für den Tempel von Hut-nisut bewirtschaftete. Dazu züchtete er Ziegen. Die Arbeit war hart, die Tage begannen vor Sonnenaufgang und endeten sehr spät am Abend mit der Glut der Kochstelle. Haremhabs älterer Bruder Nefer-hotep war zwölf Jahre alt und arbeitete gemeinsam mit ihrem Vater Pa-is auf den Feldern, während er selbst die Ziegen hütete und sie zu den üppigen Wiesen und sprudelnden Kanälen führte. Dabei stellte er sich oft vor, dass 10

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er ein militärischer Befehlshaber war und seine Ziegen die Truppen, die ihm bedingungslos in die Schlacht folgten. So besiegte er in seiner Fantasie die elenden Feinde Ägyptens: Chatti, Tjehenu, Retjenu, Wawat und Kusch. Sie alle wurden von den gespaltenen Hufen seiner meckernden Armee in den Staub getreten! Er hätte alles dafür gegeben, um einmal an einer wirklichen militärischen Expedition teilzunehmen. Ein Offizier wäre er gerne geworden, vielleicht sogar ein General, aber dazu hätte er lesen und schreiben können müssen. Haremhab wünschte sich sehr, diese Kunst zu beherrschen, aber für einen teuren Lehrer hatten die Eltern keine Mittel. Deswegen lenkte er so oft er konnte die Ziegen auf den grünen Hügel nahe dem Tempel von Hut-nisut. Denn von hier aus konnte er über die hohe Lehmziegelmauer sehen, die den Komplex weiträumig umgab, und direkt auf die mit Hieroglyphen übersäte Fassade des Heiligtums blicken – und üben. Die Mauer stellte sicher, dass das Volk das Gelände nicht betrat, da es rein bleiben musste. Haremhab hatte dafür vollstes Verständnis: Mit seinen ständig furzenden Ziegen wäre die kultische Reinheit des Gotteshauses wahrhaft gefährdet gewesen. Aber auf seinem Hügel war er nahe genug am Tempel, um die monumentalen Reliefs und die sie umgebenden Schriftzeichen an den Außenmauern erkennen zu können. Sie waren sowohl mit Abbildungen des hinter diesen Steinmauern wohnenden Gottes Horus als auch mit Darstellungen von Kriegen und Schlachten des regierenden Königs Amenophis Neb-Maat-Ra geschmückt, der den Tempel vor vielen Jahren, lange vor Haremhabs Geburt, hatte errichten lassen. Abends, wenn die Familie in der beginnenden Dämmerung nach einer kargen Mahlzeit beisammensaß und das Dunkel der hereinbrechenden Nacht erwartete, erfreute die Mutter ihren Mann und ihre vier Kinder mit Geschichten. Die Familie konnte sich keine Öllämpchen oder Feuerbecken wie die reichen Ägypter leisten und so war die verglimmende Glut der Feuerstelle die einzige Lichtquelle des kleinen Hauses. Es war eine gemütliche und heimelige Atmosphäre und die Mutter kannte unendlich viele Geschichten – Märchen von Zauberern und Königssöhnen, lustige Fabeln und spannende Abenteuer von Reisenden, die in ferne Länder aufgebrochen waren. Aber am liebsten erzählte sie die Geschichte von der Geburt ihres zweitältesten Sohnes Harem11

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hab. Sein Name bedeutete „Horus feiert“, denn bei seiner Geburt war ein Falke, die Erscheinung des Gottes Horus, über dem Haus seiner Eltern gekreist und hatte gar nicht aufhören wollen zu kreischen. Beim Erzählen strich sie ihm jedes Mal liebevoll über die dicken, widerspenstigen Haare und ein stolzes Funkeln blitzte dann in ihren dunklen Augen auf. Während sie sprach, musste sogar der sonst so griesgrämige und in letzter Zeit besonders bedrückt wirkende Vater lächeln. Haremhab selbst hielt es für wenig wahrscheinlich, dass der Gott Horus tatsächlich wegen seiner Geburt gejubelt hatte, denn der Familie ging es schlecht und der Junge fühlte sich nicht imstande, daran etwas zu ändern. Seine geliebte Mutter, die die Bewohner Hut-nisuts Ta-neferet, die Schöne, nannten, kränkelte seit der Geburt des kleinen Bak vor drei Jahren. Früher von großer und schlanker Gestalt, kräftig und gesund, war sie schwach geworden, kam schnell außer Atem, hustete viel, aß wenig und schlief fast gar nicht mehr, so dass sich dunkle Schatten unter ihren Augen festsetzten, die ihr schleichend das Aussehen einer alten Frau verliehen, und auch ihre Beine hatten nicht genug Kraft, um sie für längere Zeit zu tragen. Die Hausarbeit zu erledigen, war ihr nicht mehr möglich. Zwar unterstützte sie ihre siebenjährige Tochter Isis, aber es war noch immer genügend zu tun, wenn der Vater mit seinen beiden älteren Söhnen am Abend von den Feldern nach Hause zurückkehrte. Mehr als ein verkochter, klebriger Gerstenbrei, den Isis mit aller Hingabe und – ihrer Ansicht nach – unter strenger Einhaltung der mütterlichen Anweisungen zubereitet hatte, oder blähender Lauch und Zwiebeln erwarteten sie dort nicht. Die Mittel für einen namhaften Arzt konnte Pa-is nicht aufbringen und dem Können der dubiosen Greisinnen, die ihre Dienste günstiger anboten, traute er nicht. Zudem waren die Felderträge in den vergangenen drei Jahren schlecht ausgefallen – Schädlinge hatten fast die kompletten Ernten vernichtet –, aber die Überschwemmungen waren reichlich gewesen und die Abgaben, die Pa-is an die Steuereintreiber des Königs zu entrichten hatte, berechneten sich nach der Höhe der Nilflut. Den Beamten war es völlig egal, dass Insekten den Großteil der Gerste unbrauchbar gemacht hatten und verlangten den errechneten Ertrag. So blieb der Familie nicht viel zum Leben. 12

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Nun saß Haremhab wieder einmal mit übereinandergeschlagenen Beinen, wie ein echter Schreiber, an seinem Lieblingsplatz unter der schmalen Palme auf dem grünen Hügel, kopierte die Zeichen in den Staub, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, und kam erst wieder in die Wirklichkeit zurück, wenn sein Nacken und Rücken von der gebeugten Haltung des Oberkörpers schon heftig schmerzten. Gerade als Haremhab wieder nach einer am Boden liegenden Dattel griff, sich reckte und zurücklehnte, so dass sein Rücken den Stamm der Palme als Lehne nutzen konnte, und dabei seinen Blick gedankenversunken über die grasenden Ziegen wandern ließ, bemerkte er seinen kleinen Bruder Bak, der emsig und schnaufend den kleinen Hügel erklomm. „Hori“, rief er fröhlich mit dünner Stimme, als er sah, dass sein großer Bruder ihn anschaute. Dieser legte den Stock beiseite, sprang auf und kam Bak entgegen. Der Knirps gluckste vor Vergnügen, als Haremhabs Hände unter seine Achseln griffen, ihn in die Luft hoben und so wild herumwirbelten, dass der winzige Schurz abzufallen drohte. Nachdem Bak wieder festen Boden unter den Füßen hatte, fiel ihm ein, dass ihn ein Auftrag zu seinem Bruder führte. „Vater hat gesagt, du sollst ins Haus kommen!“ „Jetzt schon?“ Bak nickte und kratzte sich am Bauch. „Fremde Männer sind gekommen, die alle Kinder von Vater und Mutter sehen wollen“, kam als hilflose Antwort, denn auch er konnte sich die Situation nicht erklären. Mit dem nackten Arm wischte sich Haremhab die feuchte Decke aus Schweiß von der Stirn. „Na gut“, willigte er widerstrebend ein, ging zurück zur Palme, nahm den Stock und trieb die verstreuten Ziegen zusammen. Sie waren vollzählig. „Gehen wir“, er nahm Bak an die Hand. Schon als der Kleine gesagt hatte, dass Fremde am Haus auf ihn warteten, war Haremhab schlagartig mulmig zumute geworden. Er vermutete einen Zusammenhang mit einem Vorfall der letzten Woche, als er mit Inu, einem Jungen aus der Nachbarschaft, Feigen geklaut hatte. Waren die Männer nun gekommen, um ihn zur Strafe in den Steinbrüchen arbeiten zu lassen? Haremhab 13

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hatte ein äußerst ungutes Gefühl und ging besonders langsam, um in Gedanken andere Erklärungen für die Anwesenheit der Fremden zu finden. Doch so sehr er auch grübelte – sollte sich herausstellen, dass sie Soldaten waren, war der Fall klar: Dann konnte nur noch die Flucht helfen. Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichten sie das kleine Haus aus luftgetrockneten Lehmziegeln, in dem die Familie wohnte. Der Vater hatte es selbst gebaut. Es hatte die Farbe des Bodens und war einem Hügel nicht sehr unähnlich. Viele fremde Männer hatten sich dort versammelt. Einer sprach mit dem Vater, ein anderer, besonders muskulöser und brutal aussehender Mann mit einer Peitsche bewachte eine Gruppe aneinander gefesselter Jungen, die Haremhab aus der Stadt kannte und deren Schluchzen sich mit viel Lärm und Stimmengewirr mischte. Weitere Fremde standen im Schatten der großen Sykomore neben ihrem Haus und beobachteten die Szenerie. Alle trugen Perücken, blendend weiße Lendenschurze und waren bewaffnet. Es mussten Soldaten sein. Der Mann, der mit seinem Vater sprach, war vermutlich krank, denn sein Leib war unnatürlich aufgebläht. Einen solch großen Bauch hatte Haremhab zuvor nur bei seiner Mutter gesehen, die einige Zeit danach den kleinen Bak bekommen hatte. Der Mann schwitzte stärker als die anderen, prustete pausenlos und wischte sich mit einem Stück Stoff ständig über die fettig-feuchte Stirn und seinen prallen Nacken. Dennoch musste dieser Mann einen hohen Rang unter den anwesenden Männern einnehmen, was aus der ehrfurchtsvollen Weise zu schließen war, mit der alle Umstehenden ihm begegneten. Er trug keine Perücke über seinem kahl rasierten Schädel und um seinen kaum vorhandenen Hals war ein prachtvoller Halskragen geschlungen. Breite Bänder steckten an seinen Ober- und Unterarmen und sein Schurz besaß einen leichten Faltenwurf. Außerdem trug er im Gegensatz zu den anderen Soldaten Sandalen. Haremhab dachte, dass sein Vater neben dem beleibten Mann wie ein Grashalm neben einer trächtigen Ziege wirkte, und schluckte schwer. Unter den gefangenen Jungen erkannte Haremhab auch Inu, seinen Kumpanen von der Feigenplantage. Augenblicklich machte er kehrt und rannte so schnell ihn seine jungen Beine tragen konnten zurück in Richtung Tempel. Er hatte gehört, was 14

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mit Dieben geschehen würde, kannte die Geschichten über die Steinbrüche – das waren nicht die Art Abenteuer, die er erleben wollte! In diesem Moment bemerkte der kahlköpfige Mann den flüchtenden Knaben und schnipste mit seinen kleinen dicken Fingern in die Richtung der Soldaten unter der Sykomore, woraufhin sich zwei von ihnen unverzüglich in Bewegung setzten und die Verfolgung aufnahmen. Bak sah seinem plötzlich verschwindenden Bruder noch verdutzt hinterher, als ihn einer der beiden Verfolger mit dem Knie an der Schulter streifte, woraufhin er das Gleichgewicht verlor. In einer dicken Wolke grau-braunen Staubs platschte er auf den trockenen Boden und begann nur einen Augenblick später mit herzzerreißendem Geschrei. Taneferet kam zu ihm, hob ihn auf und nahm ihn auf den Arm. Als sie versuchte, die Tränen in seinem staubigen Gesicht zu verteilen, bemerkte Bak, dass auch sie weinte. Haremhab war schnell, doch den trainierten Männern war er nicht gewachsen. Nach einer immerhin beachtlichen Strecke erwischte ihn die schmerzhaft zupackende Hand eines Soldaten, die sich um seinen Brustkorb schlang und dem Mann auf den Arm setzte. „Hab ich dich“, meinte dieser und zeigte seinem Begleiter die Beute. „Ich habe doch nur zwei gegessen“, beteuerte Haremhab, als sich die beiden Männer mit ihm in Bewegung setzten. „Hättest du nur mehr gegessen, dann wärst du jetzt schneller gewesen“, antwortete einer der beiden und lachte hämisch. „Ich werde die Früchte ersetzen, wirklich“, beteuerte der Junge. „Welche Früchte?“, stutzte der Mann, der ihn trug. „Die beiden Feigen, die ich auf dem Feld des Chenu-sau gegessen habe!“ Jetzt lachten die Soldaten aus vollem Hals, dass es bis zum Haus seiner Eltern tönte. „Ein kleiner Feigendieb bist du also! Aber keine Angst, deshalb sind wir nicht hier!“ „Weswegen dann?“ Doch die beiden antworteten nicht, sondern trugen den Jungen,  der sich mit Leibeskräften zu befreien versuchte, zappelte und schimpfte, zu dem kahlköpfigen Mann am Haus seiner Eltern. 15

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Die kleinen Finger des „Schwangeren“ pressten sich um den Unterkiefer des Jungen, so dass sich dessen Mund ungewollt öffnete und sich seine Wangen nach vorne schoben. „Bürschchen“, zischte der Mann und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, „das war der erste und letzte Ärger, den ich mit dir hatte – haben wir uns verstanden?“ Haremhab nickte leicht, obwohl er nicht wusste, warum. „Wie ist sein Name?“ „Haremhab“, antwortete sein Vater leise. „Haremhab wird er genannt. Verzeiht das Benehmen meines Sohnes, er ist nur unwissend. Er wird ab jetzt folgsam sein!“ Fragend sah der Junge seinen Vater mit großen Augen an. Der Mann nahm seine Hand von Haremhabs Kiefer. „Das hoffe ich. Nun gut, fesselt den hier besonders gut und steckt ihn zu den anderen!“ Mit wackeligen Beinen und fest verschnürten Handgelenken stand Haremhab nur kurze Zeit später im Schatten der Sykomore. Sein ebenfalls gefesselter Bruder Nefer-hotep war bei ihm. Seine Familie hielt sich vor ihrem kleinen Haus auf, doch weder er noch Nefer-hotep durften zu ihnen. „Was soll das alles?“, flüsterte Haremhab. „Ich habe eben ein Gespräch zwischen Vater und dem Feisten mitbekommen“, Nefer-hotep sprach leise und behielt dabei die Soldaten im Auge. „Diese Fremden heben Rekruten aus und ...“ „Und was?“, drängte Haremhab. „Wir müssen es verstehen: Vater und Mutter sind arm, die letzten Ernten waren verdorben und die Steuereintreiber sind unerbittlich“, Nefer-hotep zögerte. „Vater hat uns verkauft!“ * Auf ein Zeichen des „Schwangeren“ setzte sich der traurige Zug in Bewegung und führte Haremhab und Nefer-hotep ein letztes Mal an ihren Eltern und Geschwistern vorbei. Pa-is´ Augen hefteten sich schuldbewusst auf den Boden vor ihm und wagten es nicht, seine Söhne anzusehen. Seine großen, schwieligen Hände hielten einen kleinen Lederbeutel, in dem sich die Kupferstücke befanden, die er zuvor von dem Dicken 16

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erhalten hatte. Für den Inhalt dieses kleinen Beutels hat er seine beiden ältesten Söhne verkauft, dachte Haremhab bitter, als er seinem Vater mit einen vorwurfsvollen Blick strafte, den dieser nicht entgegennahm. Ta-neferet weinte hemmungslos und warf sich als Zeichen der Trauer Staub vom Boden über ihr üppiges Haar, das dadurch hellbraun und glanzlos wurde. Sie hielt Bak auf dem Arm, der ebenfalls aus voller Kehle weinte und schrie. Seine Haare waren ebenfalls von einem braunen Schleier aus Dreck bedeckt. Isis klammerte sich an den Saum des groben Gewandes ihrer Mutter. Ihre Tränen gruben helle Straßen durch ihr staubiges Gesicht. „Haremhab! Nefer-hotep! Nein!“, rief Ta-neferet immer wieder verzweifelt die Namen ihrer Söhne, die sie in diesem Augenblick verlor. Ihre beiden kleineren Kinder taten es ihr gleich. Wie betäubt setzte Haremhab einen Fuß vor den anderen und konnte überhaupt nicht verstehen, dass sein gewohntes Leben nun für immer vorbei sein sollte. „Mutter“, schrie er plötzlich. „Mutter!“ Er riss sich los, sprang aus der Gruppe und wollte, an den Händen gefesselt, zu Ta-neferet zurücklaufen. Da ließ ihn ein starker, stumpfer Schmerz zwischen den Schulterblättern zu Boden gehen. „Nein! Nicht! Tut ihm nicht weh!“, hörte er seine Mutter rufen, als er bewegungsunfähig auf dem Bauch lag. Langsam drehte er sich auf den Rücken und stöhnte. Über sich sah er den muskulösen Soldaten, der seine Peitsche zum Schlag bereit erhoben hatte, nachdem er den Kleinen zuvor mit dem Peitschenknauf niedergestreckt hatte. „Halte ein, Sata, das reicht jetzt!“, schrie der „Schwangere“, worauf der aggressive Mann widerstrebend in der Bewegung innehielt, Haremhab dafür jedoch brutal auf die Füße riss und ihn schmerzhaft wieder in die Reihe zu den anderen Jungen schubste. Als er sich ein letztes Mal umdrehen wollte, spürte er, wie der Knauf von Satas Peitsche hart an seine Stirn traf. Doch schlimmer als der Schmerz und die Erniedrigung war das Weinen und Klagen seiner Mutter, das dem Jungen niemals aus dem Kopf gehen sollte. 17

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* Die Männer, die sie wie Strafgefangene bewachten, waren Häscher der großen Kaserne von Men-nefer, in dem das „Bataillon des Ptah“ stationiert war. Sie zogen in regelmäßigen Abständen aus, um Freiwillige zu rekrutieren oder geeignete Kinder für einen geringen Preis von ihren mittellosen Eltern abzukaufen. Dieses Mal waren sie besonders erfolgreich, denn viele Bauern in der Region von Hut-nisut waren durch die drei aufeinanderfolgenden Missernten bei unvermindert hoch bleibenden Steuern regelrecht gezwungen, ihre ältesten Söhne für ein paar Kupferstücke der Armee des Königs zu überlassen. Nun waren die Knaben auf dem Weg in das Bataillon des Ptah, wo sie eine lasche und oberflächliche militärische Ausbildung erhalten und einige Monate später nach Nubien ausrücken sollten, um die dortigen Goldminen und die von ihnen fortführenden Transportstraßen zu bewachen. All dies wusste Haremhab von Inu, der unterwegs eine Unterhaltung zwischen zweien ihrer Häscher belauscht hatte. Bevor sie ihren Marsch zur ehemaligen Hauptstadt Men-nefer antraten, rekrutierten die Soldaten noch andere Burschen aus den umliegenden Gebieten. Der Weg war mühsam und anstrengend. Die Kinder mussten in langen Reihen aneinander gefesselt hinter den Soldaten her stolpern. Ihre Füße waren blutig, sie bekamen kaum etwas zu essen und nur hin und wieder einen kleinen Schluck Nilwasser. Das Sprechen war ihnen strengstens untersagt und nachts wurde es so kalt, dass die Jungen durch das Aneinanderschlagen ihrer Zähne nicht in den Schlaf finden konnten. Einige weinten und Haremhab ging es oft nicht anders. In einer jener kühlen Nächte saßen die Häscher wie üblich am wärmenden Feuer, aßen, tranken und lachten, während die Zwangsrekruten aneinandergebunden und so fest an Händen und Füßen verschnürt, dass eine Flucht unmöglich war, in der Dunkelheit zusammenkauerten. Da versuchte Haremhab, der schrecklichen Situation etwas Positives abzugewinnen. „Wenn es stimmt, was Inu in Erfahrung gebracht hat, werden wir tatsächlich Soldaten“, wisperte er seinem Bruder zu. „Dann 18

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werden wir irgendwann vielleicht sogar Offiziere, können fremde Länder und sogar den Pharao sehen!“ Den bodenständigen Nefer-hotep ärgerten diese Fantastereien, denn wie ihr Vater glaubte er nur an das, was er mit seinen eigenen Händen säen und auch ernten konnte. Ein Stück Ackerland bedeutete für ihn die einzige Sicherheit im Leben und er weigerte sich standhaft, über das Morgen oder die engen Grenzen einer Parzelle hinaus zu denken. Er war kein Träumer, so wie Haremhab, sondern ein geborener Bauer. Sein Vater war stolz auf ihn, denn Nefer-hotep erinnerte ihn an sich selbst, wie er ihm immer sagte. Sein jüngerer Bruder hingegen kam mehr nach der Mutter, die Geschichten liebte, gerne gereist wäre und viel von den Pharaonen wusste, die einst über Ägypten geherrscht hatten. „Sei nicht albern“, raunte Nefer-hotep. „Um Offiziere zu werden, müssten wir lesen und schreiben können!“ „Vielleicht ...“ „Kein Wort mehr!“ Nefer-hotep unterbrach ihn wütend. „Du törichter Dummkopf, wir werden sterben – das ist alles, was uns erwartet“, er schaute weg. „Und selbst das nur, wenn wir Glück haben.“ Sie schwiegen nachdenklich und ängstlich und lauschten beunruhigt in die Schwärze der Nacht hinein. „Kannst du dich an Djadja erinnern?“, fragte Nefer-hotep plötzlich. Haremhab schauderte. Djadja war ein Soldat aus Hut-nisut, der für den Großvater des regierenden Pharaos, Aa-cheperu-Ra, den zweiten Herrscher mit Namen Amenophis, in Vorderasien gekämpft hatte. Eigentlich hörte er auf einen anderen Namen, aber als er aus dem Krieg zurückkam, wurde er nur noch Djadja genannt. Das bedeutete „Kopf“, denn nicht viel mehr war von ihm übrig geblieben. Man hatte ihm aufgrund schwerer Verletzungen beide Arme und Beine abnehmen müssen. Haremhab kannte ihn nur als Greis, der meist im Schatten eines Hauses saß und für jede Kleinigkeit auf die Hilfe anderer Personen angewiesen war. Über Generationen war er der Spott der Dorfjugend – die nicht nachdenken konnte – und eine Warnung für alle jungen Männer, den Militärdienst zu verherrlichen, gewesen. Die schaurigen Erinnerungen, die er aus den nördlichen Fremdländern mitgebracht hatte, hatten seine Gedanken verwirrt. Darüber 19

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hinaus war Djadja zu einem langen Leben von über 80 Jahren verdammt gewesen, von denen er mehr als 60 Jahre ohne Gliedmaßen zubringen musste. Letzten Sommer hatte Anubis, der schakalköpfige Totenwächter, ein Einsehen gehabt und ihn endlich zu sich geholt. „Ich erinnere mich an ihn“, hauchte Haremhab tonlos und traurig. Da stieß plötzlich, völlig unvermittelt eine gewaltige Hand aus der Dunkelheit und schloss sich fest um Haremhabs Ohr. Die Jungen um ihn herum kreischten vor Schreck wie Mädchen. Ganz langsam drehte Sata nun seine Faust, die die Muschel seines Opfers umklammerte, so dass Haremhab die Augen schließen musste und schmerzhaft sein Gesicht verzog. „Es ist dir verboten zu sprechen“, wie eine Schlange zischte Sata seine Worte aus der Finsternis. Dann ließ er das Ohr los, aber nur, um seine Hand sofort darauf mit einem so wuchtigen Schlag in Haremhabs Gesicht sausen zu lassen, dass der Junge jeden einzelnen Finger an seiner Wange brennen spürte, selbst als Sata schon lange wieder beim „Schwangeren“ am Feuer saß, Bier trank und gehässig lachte. Sata war der gefürchtetste Aufseher, der den Marsch der Jungen aus Mittelägypten begleitete. Die Kinder hatten Angst vor ihm, weil er brutal und unberechenbar war und ihnen bei allen möglichen Gelegenheiten Schmerzen zufügte. Und Haremhab beobachtete er besonders, weil er sich sicher war, dass es mit diesem Burschen noch Ärger geben würde. „Der Rebellische aus Hut-nisut hat einen eigenen Kopf und denkt zuviel nach“, sagte Sata, als er sich wieder zu seinem beleibten Vorgesetzten gesellte. „Der wird nur Ärger machen. So jemanden braucht das Militär nicht!“ Doch der Dicke winkte bloß ab: „Lange genug leben, um eine Karriere in der Armee des Königs zu machen, werden diese kleinen Mistkerle ohnehin nicht, also mach dir darüber keine Sorgen.“ Der „Schwangere“ hob seinen Bierkrug und lachte bösartig. Sata fiel ohne zu zögern ein. Doch Sata ließ Haremhab nicht aus den Augen. Mehr als einmal ertappte er ihn beim heimlichen Tuscheln mit seinem Bruder, er sah die verschlagenen Blicke, die der Junge ihm zuwarf und schlug ihn dafür – jedes Mal. 20

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Kapitel 2 Die große Stadt Kija wusste, dass es nicht standesgemäß war, und dennoch konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, den heutigen Markt vor den Toren Men-nefers zu besuchen. Gemeinsam mit den anderen Händlern war auch Ani, der berühmte Stoffhändler, nach über einem Jahr, in denen er die erlesensten Güter Vorderasiens eingekauft hatte, nach Ägypten zurückgekehrt. Man munkelte, Ani solle sogar Tuch aus dem fernen Naharina bei sich führen. Kija wurde von vier Männern begleitet, die sich schützend um sie herum positioniert hatten. Sie waren normalerweise die Träger ihrer Sänfte, aber an einem solchen Tag wie heute, an dem Bürger aus dem gesamten Umland Men-nefers auf den Beinen waren, um die exotischen Güter in der ehemaligen Hauptstadt zu bestaunen, war mit ihrem Transportmittel kein Durchkommen durch die engen und verwinkelten Gassen. So ging sie zu Fuß durch das Gedränge und ihre Träger schirmten sie so eng nach außen ab, wie sich ein Ring an den Finger schmiegt. Ein Stück vor ihr ging Nehsi, ihr riesiger nubischer Leibwächter, der die ihn umgebende Menschenmenge um eine Kopfeslänge überragte. Er war ein breitschultriger Mann mit harten Muskeln und einem Blick, der ruhelos und aufmerksam war wie der eines Panthers. Heute sorgte er dafür, dass die junge Frau so ungehindert wie möglich ihren Weg durch Men-nefer nehmen konnte. Einer der Träger führte einen langen Fächer aus Straußenfedern mit sich, mit dem er den verzweifelten Versuch unternahm, seiner Herrin in den stickigen Straßen der Stadt etwas Kühlung zu verschaffen. Ein anderer, der hinter Kija ging, trug einen hölzernen Sonnenschutz, mit dem er dafür sorgte, dass sich ihr Gesicht stets im Schatten befand und ihre Augen nicht geblendet wurden. Allerorts verneigten sich die Menschen, an denen sie vorüberschritt, so tief es ihnen der Platz erlaubte, sie tuschelten bewundernd und schauten ihr nach.

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Als sie den Stand erreichten, der Ani gehörte, warf dieser sich sofort ehrerbietig auf den Boden, als er sah, welch illustrer Gast zu ihm gefunden hatte. Mit einer gelangweilten Geste gebot Kija dem Händler, sich zu erheben. „Bei mir findet Ihr die edelsten und feinsten Stoffe, die Menschen herzustellen vermögen“, säuselte Ani. Prüfend ließ Kija ihre zierlichen Finger langsam über ein Stück der ausgelegten Ware gleiten. „Eine vorzügliche Wahl, Prinzessin. Ihr habt bewiesen, dass Ihr ein untrügliches Auge und ein ausgezeichnetes Verständnis für Qualität besitzt, da Ihr Euch gerade für diesen Stoff interessiert.“ „Woher stammen diese Tücher?“ „Aus dem fernen Naharina, Prinzessin!“ Kija zog verärgert die kleine Nase kraus. „Feiner und weicher als ägyptische Königsleinen sind deine Produkte keinesfalls“, stellte sie enttäuscht fest und gab ihren Begleiter ein Zeichen, dass sie weitergehen wollte. Ani sog ein wenig angestoßen Luft ein, während die Prinzessin seinen Stand verließ. Nach nur wenigen Schritten hielt Kija an. Im Bereich des Brunnens hatte sich das Gedränge spürbar aufgelöst. „Bring mir Wasser!“, befahl sie Nehsi knapp und deutete auf den Brunnen. Einer der Träger reichte dem Schwarzen den Becher der Prinzessin, der immer mitgeführt wurde. Mit klarem und frischem Wasser kehrte er zurück und reichte es seiner Herrin mit einer leichten Verbeugung. Während Kija trank, ließ sie ihren Blick über die Umgebung vor den Stadttoren wandern und bemerkte nun eine Gruppe schmutziger und unterernährter Jungen, die in einiger Entfernung unter ein paar Palmen Schatten suchten. Sie waren an den Handgelenken gefesselt, ihre Schurze starrten vor Dreck und sie sahen erschöpft und durstig aus. Die Prinzessin setzte ihren Becher ab und rief Nehsi zu sich. „Fülle mir einen der Tonkrüge, die neben dem Brunnen stehen, gib ihn mir und bleibe mit den Trägern hier stehen und warte auf mich!“ Nehsi folgte ihrem Blick. 22

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„Prinzessin, Ihr wollt doch nicht zu den Zwangsrekrutierten ...?“, fragte er alarmiert. „Schweig und tue, was ich dir aufgetragen habe!“ Der Leibwächter senkte den Blick und gehorchte. * Nach zwei Wochen mühsamen Marschierens hatten die Jungen an einem warmen Vormittag das gewaltige Häusermeer der uralten Hauptstadt Men-nefer erblickt. Alle standen sie mit vor Staunen weit offenen Mündern vor der mächtigen Festung. Die Stadt war in den letzten Jahrhunderten so sehr gewachsen, dass die neueren Häuser außerhalb der Mauer errichtet werden mussten, so dass es aussah, als rage eine gewaltige alte Bastion aus einem Meer von Behausungen. Im dürftigen Schatten einer kleinen Palmengruppe durften sich die Jungen kurz ausruhen, bevor sie ihr Weg zu der Kaserne von Men-nefer führen sollte. Überall herrschte hektische Betriebsamkeit, wie sie sie aus Hut-nisut nicht kannten – nie zuvor hatte Haremhab so viele Menschen gesehen. Darüber hinaus waren die Bewohner der Stadt ungewohnt gepflegt, ihre Kleidung war sehr sauber und sie rochen ausgesprochen gut. Es dauerte nicht lange, da kam eine dieser gut gekleideten und wohlriechenden Frauen mit einem Tonkrug voll Wasser lächelnd auf die Jungen zu. „Woher hat man Euch geholt?“, fragte sie Haremhab und reichte ihm das Gefäß mit sauberem und klarem Wasser, das dieser sofort gierig mit den gefesselten Händen an den Mund setzte. „Aus dem Falkengau“, Haremhab machte eine Trinkpause, die sein Bruder Nefer-hotep prompt dazu nutzte, ihm den Wasserkrug zu entreißen. „He!“, das enttäuschte und empörte Gesicht Haremhabs brachte die junge Frau zum Lachen. Es war ein helles und liebliches Lachen, das so schön wie Musik klang. Haremhab wusste nicht, wie alt sie war, aber er fand sie wunderschön. Ihre langen, dichten, schwarzen Haare schimmerten in der Sonne bläulich, sie trug ein langes, leicht durchscheinendes, weißes Gewand, das mit einem roten Stoffgürtel verschlossen und sicher sehr wertvoll war, ihre 23

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großen dunklen Augen umrahmte präzise ein dicker schwarzer Schminkstrich, den sie an den Außenwinkeln bis zu den Schläfen verlängert hatte – und ihr Lachen war so ansteckend, dass Haremhab schließlich sogar seinen Durst vergaß und mitlachte. „Mein Name ist Kija“, stellte sich die junge Frau schließlich vor und strich Haremhab über seine dichten schwarzen Locken, die vom langen Marsch ganz staubig waren. „Ich werde dir einen neuen Krug holen“, sagte sie dann und wandte sich zum Gehen. Haremhab wunderte sich indes über die stetig wachsende Menschenmenge, die stehen blieb und aufgeregt untereinander tuschelte. Die Leute stießen sich an und deuteten in seine Richtung. Sata stand mit einigem Abstand zu Haremhab und beobachtete fassungslos, wie dieses rebellische, sture Eselfohlen es wagte, mit einer Hure zu sprechen. Zwar konnte er die reiche Prostituierte nur von hinten sehen, aber er wusste, dass einige von diesen Weibsbildern, um ihr beschmutztes Gewissen zu erleichtern, hier hin und wieder Wasser an Gefangene ausschenkten. Jetzt ging sie, um diesem kleinen Aufrührer noch mehr Wasser zu holen. Das konnte Sata unmöglich zulassen. Mit einem ohrenbetäubenden Knall wurde Kija brutal auf den Boden geworfen. Sata hatte sie mit seiner Peitsche an der Schulter getroffen und eine tiefe Wunde geöffnet, die sich schnell mit Blut füllte. Kija schrie nicht. Sie blickte zunächst auf die Verletzung und dann direkt in das Gesicht ihres Peinigers. Aus der Menge der umstehenden Zuschauer löste sich ein bedrohlich aussehender nubischer Riese, dem Kija durch ein Handzeichen Einhalt gebot. Doch der an den Händen gefesselte Haremhab sprang auf, stürzte sich auf den ausgewachsenen Soldaten und biss ihm mit aller Kraft in den Arm, der die Peitsche hielt. Der Junge verbiss sich so fest, dass der Mann ihn nicht abschütteln konnte. Als es ihm schließlich doch gelang, riss Haremhab ihm dabei ein beachtliches Stück Fleisch heraus. Voller Schmerz und Wut trat der Mann fluchend auf den am Boden liegenden Jungen ein, der sich krümmte und wand. „Halte sofort ein!“ Kija war aufgestanden, doch der aufgebrachte Soldat beachtete sie nicht. 24

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„Wie ist dein Name, Elender?“, schrie sie den Mann an. Nun ließ er von Haremhab ab und wandte sich wieder der Frau zu. „Das geht dich nichts an, schmutzige Dirne!“, zischte er kalt. „Sata“, gab Haremhab röchelnd die korrekte Antwort. Zu oft hatte dieser Soldat seine sadistischen Vorlieben an ihm ausgelebt und ihn grundlos gequält. Mit einem weiteren Knall zerfetzte Satas Peitsche Haremhabs Oberkörper. Anders als Kija schrie dieser aus Leibeskräften, denn der Schmerz war unerträglich. „Ich hoffe, dir sind genügend Lieder bekannt“, sagte Kija schneidend, „denn ab morgen wirst du als Bettler durch die Straßen von Men-nefer ziehen.“ „Das sagt mir eine Hure?“, mit einer abfälligen Handbewegung tat Sata die Bemerkung ab und lachte verächtlich. „Nein, das sagt dir die Schwiegertochter des Pharaos!“ Sata erstarrte. Er wusste, dass der Sohn des Königs in Mennefer Dienst tat, und er wusste auch, dass dieser Thronfolger Familie besaß. „Die Schwiegertochter des Pharaos würde niemals einem Gefangenen Wasser reichen“, presste Sata mühsam hervor. Doch jetzt fiel ihm ihre kostbare Kleidung auf, die die finan­ ziellen Möglichkeiten selbst einer reichen Prostituierten übersteigen musste. Außerdem trug sie Schmuck: einen schmalen Halskragen, Arm- und Fußbänder, in denen reichlich Gold verarbeitet war. „Ich schon!“, mit diesen Worten erhob sie eine Hand. Sofort stürzte der muskulöse nubische Riese aus der Menge und presste seine gewaltige Faust um Satas Hals. Hilflos strampelte Sata mit den Armen. Das Blut schoss ihm ins Gesicht. „Entschuldige dich – sofort!“, brüllte ihn der nubische Riese an. Sata konnte jedoch keinen Ton aus seiner verengten Kehle pressen, nur Tränen rannen über sein Gesicht. „Hast du Familie, du Sohn eines Esels?“ Sata nickte heftig – ein Familienvater war nicht so ohne weiteres umzubringen. „Kinder?“ Sata nickte und der Schweiß rann, nun vermengt mit Tränen, von seiner Stirn über Gesicht und Nacken auf die Hand des Schwarzen. 25

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„Wie viele? Zwei?“ Wieder nickte Sata übertrieben. „Das tut mir leid“, sagte der Nubier mit gespielter Anteilnahme. „Deine Kinder werden ohne ihren Vater aufwachsen müssen!“ Mit diesen Worten bohrten sich seine dunkelbraunen Finger durch die Haut um den Kehlkopf des Soldaten, umklammerten diesen und rissen ihn urplötzlich heraus. Begleitet wurde die Handlung sowohl von einem kuriosen schmatzenden und knirschenden Geräusch als auch von dem Schreien und Winseln Satas, das abrupt verstummte. Die Jungen hatten die Hinrichtung Satas mit vor Angst, Ekel und Erstaunen verzerrten Gesichtern betrachtet. Nefer-hotep reichte Haremhab mit zitternden Händen den Krug zurück, bevor er sich in den Schoß des neben ihm sitzenden Rekrutierten erbrach. Der Stoffhändler Ani, der seinen Marktstand in unmittelbarer Nähe zum Geschehen hatte, reagierte schnell und ließ dem Nubier untertänigst zwei Tuchstreifen für die Verletzung der Prinzessin und des Jungen zukommen. Als Kija wieder zu Haremhab trat, presste sie eines der Tücher an ihre Schulter, das andere legte sie sanft auf Haremhabs Brustkasten. „Wie geht es dir?“, wollte sie wissen. Der Junge errötete heftig, alle Unbefangenheit von zuvor war im Angesicht einer Angehörigen des Königshauses dahin. „Das ist nichts weiter“, sagte er mit gespielter Unerschrockenheit. Kija lächelte. „Du hast mir noch nicht verraten, wie du heißt“, sagte sie sanft. „Haremhab!“ „Har-em-hab“, wiederholte sie langsam, Silbe für Silbe. „‚Horus ist im Fest‘ oder ‚Horus feiert‘, ein interessanter Name mit einer tiefen und wichtigen Bedeutung – es hat viel zu sagen, wenn der Gott des Königtums vor Freude feiert.“ Zum Abschied strich ihm die Prinzessin wieder über die staubigen Haare und ging. Mit offenem Mund starrte Haremhab ihr hinterher. Nefer-hotep wischte sich mit dem Handrücken die Lippen ab. „Ich glaube das alles nicht!“, murmelte er erschöpft. 26

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* Zur großen Verwunderung Haremhabs und der anderen Jungen zählte der Tod Satas unter den Soldaten nicht viel. Er habe unehrenhaft gehandelt, gegen das Gesetz der Maat, die Weltordnung, verstoßen und somit dieses schmachvolle Ende verdient, hieß es – und man wollte ihn und seinen Namen so schnell wie möglich vergessen. Die verstörten Jungen wurden von dem „Schwangeren“ in ihre Quartiere gebracht. Die Kaserne lag ein gutes Stück außerhalb der Stadt. Auf dem Weg dorthin kamen sie an den Unterkünften und Übungsplätzen der Offiziere vorbei. Die Erhabenheit, die von diesem Bereich der Kaserne ausging, hielt Haremhab lange gefangen. Man munkelte, dass sich der Kronprinz Thutmosis, der Sohn und Nachfolger von Neb-Maat-Ra, dem dritten Herrscher namens Amenophis, mit seinem jüngeren Bruder, der ebenfalls Amenophis hieß, zurzeit hier aufhielt. Haremhab fühlte auf einmal eine Begeisterung, die sogar seine gewaltigen Schmerzen gering erscheinen ließ: Er befand sich in derselben Kaserne wie der künftige König! Er würde für den Pharao kämpfen, denn der Herrscher brauchte ihn, summte eine süße Stimme in seinem Kopf. Immerhin hatte er die Ehre einer Angehörigen der königlichen Familie wiederhergestellt – oder es zumindest versucht. Haremhab stand nun am Beginn seines wirklichen Lebensweges. „Was glaubst du, wie alt sie ist?“, fragte Haremhab seinen Bruder unvermittelt, als sie zu ihren Baracken gebracht wurden. Seit sie in der Kaserne waren, mussten sie keine Fesseln mehr tragen und durften sich frei bewegen. „Wie alt wer ist?“ „Kija!“ „Ach, deine Freundin“, neckte ihn Nefer-hotep scherzhaft. „Ich würde denken, dass sie mindestens 16 Jahre alt ist!“ „Das ist alt“, meinte Haremhab nachdenklich. „Wieso fragst du?“ Haremhab hob die Schultern. „Hast du dich etwa verliebt?“ „Unsinn“, zischte Haremhab mit wütend zusammengezogenen Brauen. Er fand sie nur nett, das war alles. Als Nefer-hotep leise 27

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und provozierend lachte und den Jungen um sich herum zuflüsterte: „Hori ist verliebt“, schubste er ihn. Während sie durch die Anlage gingen, wurde die Qualität der Baracken immer schlechter. Plötzlich blieb ihr Anführer stehen und dröhnte: „So, Männer, das ist eure Kompanie für die nächsten drei Monate! Verhaltet euch anständig, tut, was man euch sagt – dann habt ihr wenig zu befürchten!“ Die Baracke war in einem desolaten Zustand. Es war ein einziger leerer und kahler Raum mit einigen Stützmauern, in denen die 50 neuen Rekruten untergebracht werden sollten – verkommen, dreckig und bereits von einem ganzen Bataillon Ungeziefer bewohnt. „Morgen wird eure Ausbildung beginnen“, donnerte die Stimme des Soldaten. „Heute werdet ihr eure Unterkunft herrichten und säubern!“ Das war zwar dringend notwendig, aber niemand stellte den Jungen Besen oder Lappen zur Verfügung. Und so reinigten sie den Raum so gut es ging mit ihren Händen und den Kleidungsstücken, die sie anhatten. Das Tuch, das die Prinzessin Haremhab gegeben hatte, war schon lange durchgeblutet. Die Wunde verkrustete nicht und bereitete ihm bei jeder Bewegung große Schmerzen. Es dämmerte bereits, als die Stube endlich hergerichtet war. Die Tür öffnete sich und der „Schwangere“ stand gemeinsam mit dem Nubier in der Tür, der Sata den Kehlkopf herausgerissen hatte. „Kommt alle nach draußen, damit wir euch bei Licht betrachten können“, rief der Dicke in den düsteren Raum. „Wer von euch war es, der heute Mittag durch Satas Peitsche verletzt wurde?“, herrschte der Vorgesetzte die erschöpften Kinder an, nachdem alle angetreten waren. Der Schwarze flüsterte dem Soldaten etwas zu, worauf dieser seine Frage präzisierte: „Wer von euch ist Haremhab?“ Während des Marsches von Mittelägypten nach Men-nefer hatten sich die Soldaten nicht die Mühe gemacht, die Namen der Jungen zu erfragen. Stattdessen belegten sie sie mit abwertenden Tiernamen, wenn sie sich über sie lustig machten. Einmal 28

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hatte Haremhab nachts am Lagerfeuer mitbekommen, dass der „Schwangere“ sagte, dass er die Bengel ohnehin nicht auseinanderhalten könne – sie seien allesamt klein, schmutzig und stinkend. Niemand meldete sich. Nur Nefer-hoteps Augen blinzelten auf einmal fröhlich, denn er ahnte, worum es ging. „Der dort ist Haremhab“, sagte er deshalb und zeigte mit sichtlicher Freude auf seinen erschrockenen Bruder, dem alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Als der Verratene verständnislos zu Nefer-hotep blickte, formte dieser wieder tonlos und mit einem breiten Grinsen die Worte „Hori ist verliebt“, woraufhin er sich von dem Spötter abwandte. Der Schwarze trat zu dem Jungen, bückte sich zu ihm hinunter und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Kleine schluckte schwer, denn er hatte heute schon gesehen, was passieren konnte, wenn der nubische Recke auf einen aufmerksam wurde. Im immer schwächer werdenden Licht betrachtete der Riese den blutenden Brustkasten von Haremhab und bestätigte die Aussage Nefer-hoteps. „Das ist der Junge“, sagte er. „Ich erkenne einen Helden – egal, wie klein er ist.“ Mit diesen Worten zog ihn der Schwarze aus der Reihe der Rekruten, nahm ihn an die Hand und ging mit ihm fort. „Es gibt Menschen in Men-nefer, die sich bei dir bedanken wollen und die um dein Wohlergehen besorgt sind“, erklärte der Mann nun sanft, als er mit ihm die Kaserne verließ und in Richtung Stadt ging.

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Kapitel 3 Die Prüfung Es war ein schönes und großes Haus, zu dem ihn Nehsi brachte, so war der Name des Nubiers, wie Haremhab inzwischen erfahren hatte. Das Anwesen bestand aus einem riesigen Garten, in dem sich ein Teich, Palmen und Obstbäume sowie ein Getreidespeicher und weitere kleinere Gebäude befanden. Das gewaltige, erleuchtete Haupthaus war weiß verputzt und von Pflanzen umrankt, und als sie durch den dunklen Garten darauf zugingen, roch es so herrlich nach Essen, dass dem hungrigen Haremhab das Wasser im Munde zusammenlief. Nehsi führte ihn einige Stufen hinauf und begrüßte freundschaftlich den Hauswächter in dessen kleiner Kammer, die in einen Vorraum führte. Auch diesen ließen sie hinter sich und traten in eine lange Empfangshalle, deren Decke von vier Säulen getragen wurde. Hier fragte Nehsi einen der Posten, der vor zwei hohen, verschlossenen Türen seinen Dienst tat, wo sich Prinzessin Kija aufhalte. Der Gefragte erwiderte, dass der junge Gast bereits erwartet werde und öffnete nach einem kurzen Klopfen den Flügel einer der Türen, ging hindurch und schloss ihn hinter sich. „Er kündigt dein Kommen bei der Prinzessin an“, erklärte der Schwarze. „Sie empfängt dich in der Großen Halle, das ist eine Ehre für dich!“ Als sich die beiden Türflügel öffneten, trat Haremhab allein hindurch. Der pompöse Raum war quadratisch und auch hier stützten vier Säulen die Decke. Die Wände zierten Zeichnungen und Schriftzeichen, die im Licht der Öllämpchen und Feuerbecken lebendig zu sein schienen. „Sei gegrüßt, mein mutiger kleiner Haremhab“, erklang plötzlich Kijas erfreute Stimme aus dem schummrigen Dunkel des großen Raumes und der Junge versuchte, sich sogleich ehrfürchtig auf den Boden zu werfen, so wie Nehsi ihn auf dem Weg angewiesen hatte, doch seine Schmerzen hinderten ihn daran. „Seid gegrüßt, ehrwürdige Prinzessin Kija!“, nuschelte er, das Gesicht zum Boden gewandt. „Schau mich an!“ Kija löste sich aus dem Dunkel. Ihre Schulter war mit weißem Leinenstoff verbunden. Sie kam zu Haremhab und strich ihm über 30

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die Haare. Besorgt wandte sich ihr Blick dann seinem Oberkörper zu: Die Säuberung der Baracke hatte nicht zur Beschleunigung der Wundheilung beigetragen – im Gegenteil, denn Staub, Sand und Dreck waren nun in der feuchten Wunde verschmiert. „Deine Wunde sieht böse aus“, stellte sie besorgt fest. „Weil sie verschmutzt ist, können sich neser-Erreger bilden, die sie von innen zum Brennen bringen. Das kann sehr gefährlich sein! Hast du starke Schmerzen?“ „Mir geht es hervorragend, Prinzessin, und die Wunde schmerzt überhaupt nicht“, log er. „Eines musst du dir merken“, Kija zwinkerte ihm lächelnd zu, „eine Frau darfst du niemals belügen. Wir wittern Unwahrheiten nämlich – und deine riecht bereits.“ Sie klatschte in die Hände, woraufhin sich die hohe Flügeltür auftat, durch die Haremhab eingetreten war. Der Wächter erschien und Kija gab Anweisung, dass der Junge gewaschen und der Arzt Djedi gerufen werden sollte, der sich in den Räumen von Prinz Amenophis befand. Der Mann verbeugte sich und führte Haremhab aus der Halle. * Haremhab wurde in einen separaten Raum geführt und dort von zwei jungen Dienerinnen mit Wasser übergossen, eingerieben und wiederum abgespült. Zwar war es ein schönes Gefühl, mit warmen Wasser gewaschen zu werden und endlich wieder sauber zu sein, aber unangenehm war es ihm schon, dass ausgerechnet Frauen ihn reinigten und ihn splitternackt sahen. Währenddessen war Kronprinz Thutmosis von seiner Arbeit im Tempel des Gottes Ptah, in dem er Hohepriester war, zurückgekehrt – ein schlanker junger Mann von sechzehn Jahren, der sich der Ernsthaftigkeit und Würde seines zukünftigen Amtes wohl bewusst war. In Men-nefer übte er außerdem das Amt eines Vorstehers der Truppen aus. Er begrüßte Kija nur flüchtig und die Prinzessin spürte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. „Was ist mit Euch, mein Gemahl?“ „Was mit mir ist? Was mit Euch los ist, frage ich!“, antwortete Thutmosis erbost. „Man erzählt sich überall in der Stadt, dass die 31

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künftige Königin Ägyptens wie eine gewöhnliche Bürgerin Wasser an Gefangene ausschenkt! Damit blamiert Ihr meine Familie und mich!“, rief Thutmosis erzürnt. Kija senkte schuldbewusst den Blick zu Boden. „Dabei soll Euch ein Soldat mit einer Peitsche verletzt haben. Wie ich sehe, stimmen die Gerüchte“, er deutete anklagend auf ihre verbundene Schulter. Kija erwiderte nichts. „Händler, Viehtreiber und Waschweiber konnten miterleben, wie eine Angehörige der Königsfamilie auf offener Straße auf das Schmachvollste entehrt wurde. Die Kunde darüber ist längst schon auf dem Weg zum Hof meines Vaters in Waset. Heute wurdet nicht nur Ihr gedemütigt, sondern während des gleichen Lidschlags der König Ägyptens, zu dessen Familie Ihr gehört!“ Nun blickte Kija auf und schob ihr Kinn trotzig nach vorne. „Noch bevor Nehsi diesen Mann bestrafen konnte, war meine, Eure und die Ehre Eures Vaters bereits reingewaschen. Hat man Euch darüber nichts berichtet?“ „Man fabuliert, dass ein Mann von beachtlicher Körpergröße, mit wildem Gesichtsausdruck und von ausländischer Herkunft, der unserer Sprache nicht mächtig ist, sich todesmutig auf ihn gestürzt haben soll.“ Kija lächelte. „Ich weiß nicht, was daran komisch sein soll“, sagte der Prinz steif. Sie wurden durch ein lautes Pochen an der großen Flügeltür unterbrochen. Auf Thutmosis’ Zeichen hin trat der Wächter ein und verbeugte sich tief. „Ehrwürdiger Königssohn, Haremhab ist nun gereinigt und neu gewandet.“ „Haremhab?“ „Er möge erneut eintreten“, gab Kija die Anweisung. Der Bedienstete blickte Thutmosis unsicher an. Dieser nickte, woraufhin sich der Mann wieder verbeugte und rückwärts zurückzog. „Gleich werdet Ihr den ausländischen und wilden Mann sehen, von dem die Leute sprechen, mein Gemahl“, Kija lächelte erwartungsvoll. Schließlich trat Haremhab schüchtern ein. Er war sauber, sein lockiges Haar gewaschen, seine Wunde gereinigt und er war in 32

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einen frischen Schurz gewickelt worden. Der Junge warf sich augenblicklich auf den Boden, denn er hatte vom Türhüter gesagt bekommen, dass der zukünftige Pharao inzwischen eingetroffen war. „Seid gegrüßt, mächtiger Königssohn, ruhmreicher Horus im Nest!“ Thutmosis sah Kija erstaunt an. „Die Leute reden zu viel“, flüsterte sie amüsiert. * Der Name des Arztes war Djedi. Er war ein alter Mann mit grauen Augenbrauen, rasiertem Schädel und mit einem feinen Leinenschurz bekleidet. Als er in die Große Halle gerufen wurde, befand er sich in einem Trakt im hinteren Teil des Hauses und beugte sich gerade über den zweitältesten Königssohn Amenophis, der zur Untersuchung auf seinem Bett lag. Dieser klagte, seitdem er vor wenigen Wochen aus Waset angekommen war, über allgemeines Unwohlsein. Djedi konnte allerdings wenig feststellen, das er zu behandeln in der Lage war – denn das vorrangige Problem des jammernden Prinzen war sein Gemüt. Irgendetwas schlummerte in Amenophis, das ihn alles mit ablehnenden Gedanken betrachten ließ, was an seiner Verfassung nagte und sein Wohlbefinden erheblich beeinträchtigte. Der Arzt wusste, dass diese Einstellung dem Kranken von bösen Dämonen beständig eingeflüstert wurde und die Wurzel für vielerlei Krankheiten sein konnte, die er nur beseitigen konnte, wenn der Patient mit ihm darüber sprach. Die beruhigende Wirkung der schepen-Pflanze oder anderer Drogen verhalf kurzzeitig zu einem angenehm beruhigenden Schlaf – des Patienten oder seiner Dämonen. Die Ursache seines Übels konnten sie aber nicht beseitigen. In einigen Fällen konnten Opfer und Gebete für Sachmet, die löwenköpfige Göttin, die Herrin über sämtliche Krankheitsdämonen, nützlich sein. „Ich werde Euch einen Trank brauen, der Euch Linderung verschaffen wird“, versprach der Arzt, verabschiedete sich und bat um Einlass in die Große Halle, in der man seine Anwesenheit nun dringender benötigte. Als sich die Tür für ihn öffnete, fand 33

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er die Prinzessin mit dem Kleinen auf niedrigen Stühlen sitzend vor. Thutmosis war zu den Stallungen gerufen worden, wo eine Nachfahrin seiner verstorbenen Lieblingskatze Ta-mi versehentlich von einem Pferd verletzt worden war. Nachdem er Kija untertänig begrüßt hatte, wandte er sich lächelnd Haremhab zu, der aufstand, als der Arzt zu ihm kam. „Mannhaft – und gute Manieren hat er auch! Bleib ruhig sitzen, Junge!“ Der alte Mann beugte sich zu ihm herunter. „Hab keine Angst“, sagte er. „Mein Name ist Djedi. Ich bin der Arzt des Kronprinzen und seiner Familie. Vertrau mir“, meinte er, als der die Wunde in Augenschein nahm. „Da sind böse neser-Erreger am Werk. Die Wunde ist ganz heiß.“ Haremhab schluckte schwer, denn Djedis Worte klangen wie ein Todesurteil. „Ist es sehr schlimm?“, nahm ihm Kija die Worte mit besorgtem Blick aus dem Mund. „Nun“, meinte der Arzt ernst, „der junge Mann hat sich bestimmt schon einmal besser gefühlt – aber sterben wird er daran nicht. Vorausgesetzt ...“, nun zögerte er, denn er wusste nicht genau, was sein medizinisches Urteil für Haremhabs weitere Zukunft bedeuten würde. Er bat Kija deshalb, in einer etwas entfernter liegenden Ecke des Raumes mit ihr sprechen zu dürfen. „Ich empfehle dringend, dass man ihn rasch aus der Kaserne entlässt“, meinte Djedi leise. „Der Kleine ist ein aufgeweckter Knabe, er ist mutig, klug und hat Anstand. Wenn er heute Nacht in die Kaserne zurückkehrt, kann ihn weder Sachmet noch mein dichtester Verband schützen. Die harten körperlichen Anstrengungen und der Staub auf den Übungsplätzen würden seine Wunde weiter infizieren und den neser-Erregern Nahrung bieten. Und selbst wenn er das überleben sollte, was nicht wahrscheinlich ist, findet er mit der Verletzung seinen frühzeitigen Tod in Nubien.“ „Was sollen wir tun?“, Kija biss sich auf die Unterlippe. „Er hat Eure Ehre geschützt, obwohl er nicht einmal wusste, wer Ihr wart. Der Junge ist wertvoll, er hat eine Belohnung verdient. Wenn ich Euch einen Rat anbieten darf, so stellt ihn vor eine Prüfung, die seine wahre Gesinnung herauszufinden ver34

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mag: Fragt ihn, was Ihr ihm als Dank anbieten könnt. Jeder gewöhnliche Junge würde sich ein paar deben Kupfer wünschen oder einen wertvollen Gegenstand. Aber ich glaube, dass Haremhabs Herz nach so etwas gar nicht verlangt ...“ Während Haremhab allein auf seinem niedrigen Stuhl saß und die herrlichen Zeichnungen und Beischriften an den Wänden betrachtete, bemerkte er nicht, dass der Thronfolger Thutmosis schon seit einiger Zeit im Halbdunkel der Großen Halle stand und ihn schmunzelnd beobachtete. Der Kronprinz war durch einen kleinen Seiteneingang von allen unbemerkt hereingekommen. Er mochte diesen tapferen kleinen Kerl, der so beharrlich nach Wissen zu streben schien, und ihm kamen die weisen Worte aus der Lehre des Ptah-hotep in den Sinn: „Vollkommene Rede ist verborgener als ein Malachit, und doch kann man sie entdecken bei den Mägden über den Mahlsteinen.“ Und so war auch für seinen Vater, König Amenophis NebMaat-Ra, die Herkunft eines Menschen zweitrangig, viel wichtiger waren ihm dessen Fähigkeiten und Loyalität. Genauso wollte auch Thutmosis die Menschen aussuchen, die mit wichtigen Funktionen in seinem Umfeld agieren würden, wenn er später Pharao war. Und er konnte sich gut vorstellen, dass Haremhab einmal zu diesem Kreis gehören könnte. Ein kleiner Junge mit dem Mut eines Löwen – das war eine Eigenschaft, die Thutmosis noch nie an einem Kind festgestellt hatte. „Hier sitzt ein kleiner Held mit offenen Wunden und unser Arzt tuschelt mit meiner Frau, anstatt sich des Patienten anzunehmen“, rief er plötzlich laut durch die Halle, so dass alle Anwesenden vor Schreck zusammenfuhren. „Verzeiht mir, Herr, aber das Gespräch ging allein um das Wohl des Kranken“, verteidigte sich Djedi, während ihn Kija verschwörerisch zu sich und Djedi winkte. „Worum handelt es sich?“, fragte er nun in normaler Lautstärke und trat auf den Arzt und die Prinzessin zu. Die Reden von Djedi und Kija waren jedoch wieder so gedämpft, dass Haremhab nicht einmal Wispern verstehen konnte. Nach einiger Zeit hörte er Thutmosis sagen: „Das ist ein vortrefflicher Plan – aber jetzt behandele Haremhabs Wunde.“ Der Thronfolger wandte sich Haremhab zu. „Bist du hungrig?“, fragte er. 35

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„Ein wenig schon“, untertrieb Haremhab. Thutmosis lächelte. „Dann sei beim heutigen Abendmahl unser Gast!“ Der Arzt führte den sprachlosen Jungen von der Halle in eine kleine Kammer, wo er sich seiner Verletzung annahm. Djedi behandelte Haremhabs Wunde sorgfältig mit rohem Fleisch, bestrich sie mit einer kühlenden Salbe und verband sie schließlich mit einem dicken Verband. Für einen größtmöglichen Halt, wurde der Verband auch um die Schultern gebunden. * Das Abendmahl nahmen sie zu dritt ein. Der Kronprinz hatte Ente in einer herrlichen Soße aus Knoblauch und Kräutern in Auftrag gegeben. Haremhab konnte sich schon an der Anrichtung nicht sattsehen. Und Ente – er hatte nie zuvor ein solch köstliches Tier gegessen. Zur Feier des Tages durfte er außerdem ein besonders kräftigendes Bier trinken. Es war stark und wohlschmeckend ... und es machte ein wenig schwindelig. Sie saßen auf Stühlen, Kija und Thutmosis dem Kleinen gegenüber, und auf die kleinen Tische neben ihnen luden fleißige Diener immer mehr Köstlichkeiten. Schließlich hielt Thutmosis den Augenblick für gekommen, Haremhab zu prüfen und ihn gegebenenfalls, sollte Djedi Recht behalten, in seine weiteren Pläne einzuweihen. Er fasste leicht nach dem Arm seiner Frau und deutete auf den völlig ins Essen versunkenen Haremhab. „Wenn du einen Wunsch frei hättest“, begann er schließlich, „welcher wäre es?“ „Lesen und schreiben zu können und als Soldat in fremde Länder zu ziehen, um die Feinde Ägyptens zu bestrafen“, kam die prompte Antwort hinter einem Entenbein hervor. „Auf die Erfüllung deines Wunsches“, sagte Thutmosis lächelnd und erhob seine Schale. In der Bewegung erstarrt, mit offenem Mund und riesigen Augen, ließ Haremhab die Keule sinken. „Wie meint Ihr das?“, fragte er fassungslos. „Nun, du hast dich heute sehr tapfer verhalten – und dafür hast du eine Belohnung verdient.“ „Aber das ist mehr als eine Belohnung“, wandte Haremhab ein. 36

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„Da gebe ich dir Recht“, gab Thutmosis zu, „aber du bist ja auch kein gewöhnlicher Junge. Ein solcher hätte einen kostbaren Dolch oder etwas Ähnliches gewollt – aber du möchtest eine Schulbildung! Weißt du, was das kap ist?“ Haremhab schüttelte stumm den Kopf. „Das kap ist eine Schule hier in Men-nefer, die der König bezahlt“, erklärte der Prinz. „Dort werden die späteren hohen Beamten und Offiziere unterrichtet und ausgebildet, die spätestens unter meiner Regierung wichtige Ämter bekleiden sollen. Diese Möglichkeit biete ich dir als Dank für deinen Mut und zur Erfüllung deines überaus interessanten Wunsches!“ Haremhab stand auf und kniete sich vor den Kronprinzen. „Habt Dank, ehrwürdiger Königssohn! Ich werde Euer Vertrauen nicht enttäuschen!“ „Setz dich wieder und nimm dir eine Feige!“ Haremhab gehorchte. „Ich wusste aber doch nicht, dass Ihr das mit dem Wunsch ernst meintet. Ich dachte, es ging um Träume!“, bat sich der Kleine aus. „Eben! Hättest du gewusst, dass ich dich belohnen will, hättest du sicher nichts gesagt.“ Haremhab sah beschämt auf den Tisch neben sich. „Ihr habt mir eine ärztliche Versorgung und ein Mahl geboten, wie ich vorher noch keines hatte ... und Bier!“ „Das mag wohl sein“, Thutmosis lachte. „Aber du hast Eigenschaften, die ich sehr schätze. Ich werde dir ermöglichen, die Schriftzeichen zu erlernen und eine gehobene militärische Ausbildung zu durchlaufen. Wenn du fleißig bist und gute Fortschritte machst, wirst du mir nützlich sein, wenn ich einst die Doppelkrone von Ober- und Unterägypten auf meinem Haupt tragen werde – rechtschaffene Beamte sind selten!“ Thutmosis sah Kija an. „In die staubigen Baracken wirst du nicht zurückkehren. Deine Verwundung ist ernst, deswegen musst du dich erst erholen“, erklärte er. „Deshalb wirst du hier wohnen, bis du wieder gesund bist, ein Schlafraum ist bereits für dich hergerichtet. Der Arzt meint, dass du in zwei Wochen mit dem Unterricht beginnen könntest. Dann wirst du ein Zimmer im kap beziehen, wo du nah an den Schriftrollen bist und immer lernen kannst, wann du es wünschst – auch, wenn kein Unterricht ist. In den 37

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nächsten Tagen wird dir Prinzessin Kija die Stadt und ihre Umgebung zeigen, und du wirst dich hier einleben. Nutze die Zeit, um dich auszuruhen, denn wenn deine Wunde erst abgeheilt ist, wird eine sehr harte Zeit auf dich zukommen. Du wirst morgens vor Sonnenaufgang Kampfunterricht haben, wenn das Licht dann hell genug ist Schreibunterricht und abends wieder in Kriegsvorbereitungen unterwiesen – auch im Militär sind gute Beamte rar!“ Wieder lächelte er. Die Ereignisse des Tages, die Verletzung, das gute Essen und das Bier sorgten bald dafür, dass Haremhab sehr schläfrig wurde und Thutmosis gab Anweisung, ihn in sein Zimmer zu bringen. Haremhab legte sich erschöpft auf das für ihn hergerichtete Bett. Er würde es schaffen: Er würde Thutmosis nicht enttäuschen! Mit diesem Gedanken schlief er ein.

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Kapitel 4 Veränderungen Die Sonne stand schon hoch über den Palmenhainen von Mennefer, als Haremhab endlich aufwachte. Er setzte sich auf die Bettkante und rieb sich die müden Augen. Es war seltsam, eigentlich fühlte er sich bereits wach, aber er musste noch schlafen. Das konnte doch alles nicht wahr sein: Noch gestern war er ein Zwangsrekrut, der von seinem Vater an die Armee verkauft worden war und der eine heruntergekommene Baracke hatte herrichten müssen, von der er annahm, dass sie in nächster Zeit sein Zuhause darstellen würde. Und heute, nur einen Tag später, befand er sich in einem luxuriösen Schlafgemach im Hause des zukünftigen Pharaos Thutmosis. Der falkengestaltige Gott Horus beschenkte ihn wahrhaft mit Glück. Er sah sich in dem Zimmer um. Die Wände waren mit wunderschönen bunten Zeichnungen geschmückt und es bot mehr Platz als das Haus, das sein Vater in Hut-nisut für sie gebaut hatte. Durch das Licht, das durch die kleinen Fenster unter der Decke flutete, war der gesamte Raum mit einem goldenen Glanz überzogen. Das Bett, die kleinen Truhen, der große, unten spitz zulaufende Tonkrug auf dem Gefäßständer, die Darstellungen an den Wänden – alles, was er sah, erzeugte in ihm ein tiefes Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit. Er würde sich des Vertrauens, dass Thutmosis und Kija ihm entgegenbrachten, für würdig erweisen, mit großem Eifer lernen und Thutmosis dienen. Sein neues Leben hatte begonnen. Und dann überfiel ihn schlagartig das dringende Gefühl, sich unverzüglich des gestrigen Abendmahls entledigen zu müssen. Er musste einen Weg in den Garten finden – und zwar sehr schnell. Haremhab verließ sein Zimmer und stand direkt in der Großen Halle. Glücklicherweise war Kija nicht zu sehen – so rasch es seine Wunde zuließ, durchquerte er den Raum, in dem sie noch gestern gegessen hatten, lief schnurstracks durch die Vorhalle, durchquerte den kleinen Vorraum und hastete, mehrere Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter in den Garten. 39

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Nach einigen quälenden Minuten fieberhaften Suchens hatte er eine Stelle gefunden, die ihm in seiner drängenden Not geeignet erschien. Erleichtert hockte er sich hinter ein paar Büsche, tat was zu tun war und reinigte sich mit einem großen Blatt, rupfte anschließend entspannt pfeifend einige Blumen und warf sie auf den zu tarnenden Berg. In diesem Augenblick fühlte er eine schmerzhafte Berührung an seinem Ohr. Langsam drehte er sich um. Hinter ihm stand ein großer braungebrannter Mann mit lederartiger Haut. Dieser hielt sein Ohr mit seiner rechten Hand fest umklammert. „Du streunender Hund“, beschimpfte ihn der Ledermann. „Ich schufte den ganzen Tag, um aus dem Boden Leben hervorzubringen – und du reißt meine Blumen aus, um dies hier zu bedecken!“ Er zeigte vorwurfsvoll auf den kleinen Hügel. „Zu Hause in Hut-nisut haben wir immer Tiermist benutzt, um unsere Felder zu düngen ...“, setzte Haremhab zum chancenlosen Versuch einer Ausrede an. „Das ist doch etwas ganz anderes, du widerlicher Eindringling! Na warte, dich werde ich der nebet-per, der Hausherrin, übergeben, die sorgt dafür, dass du eine Tracht Peitschenhiebe bekommst, aber vorher werde ich dich lehren, was Schmerz bedeutet!“ Der große Mann holte zu einem mächtigen Schlag aus und der von Hieben verfolgte Haremhab zuckte in Voraussicht auf die bevorstehende Tortur zusammen. „Lass ihn sofort los!“, zerschnitt die scharfe Stimme Kijas die Ruhe vor dem Satz Prügel. Der Ledermann hielt mit erhobener Hand in der Bewegung inne und lockerte schleunigst den kneifenden Griff an Haremhabs Ohr. „Was geht hier vor?“, fragte Kija kalt. „Oh Herrin“, empörte sich der erschreckte Gärtner, „dieser erbärmliche Wurm ist – ich weiß nicht wie – in Euren Garten eingedrungen und ... nun, ja, hat sich im Gebüsch erleichtert!“ Ein Lächeln huschte über die Mundwinkel der Prinzessin, das sich schnell zu ihrem hellen und glockenklaren Lachen entfaltete. „Ist schon gut“, sagte sie versöhnlich zu ihrem Angestellten, als sie sich wieder gefangen hatte. „Das ist Haremhab, ein Freund der Familie. Er wohnt seit gestern bei uns. Es ist meine Schuld, 40

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dass das hier passieren konnte. Er ist nicht aus Men-nefer und mit den Gepflogenheiten in dieser Stadt noch nicht vertraut. Sei ihm nicht böse!“ „Das konnte ich nicht wissen, Herrin!“ „Da hast du Recht“, gab Kija zu und streckte Haremhab ihre Hand entgegen. Dieser tapste betreten aus dem Gebüsch und ging mit ihr zum Haus zurück. „Bevor du frühstücken kannst und wir uns die Stadt ansehen“, sagte Kija auf dem Weg zum Haus, „ist es nötig, dass du dein neues Zuhause kennenlernst, damit du den Gärtner nicht ein zweites Mal verärgerst!“ Sie lächelte amüsiert. Sie stiegen die flachen Stufen zum Eingang hinauf. Am obersten Absatz blieb Kija stehen und drehte Haremhab herum. „Das ist also der Garten“, erklärte sie. „Er verläuft um das ganze Haus und ist von einer wellenförmigen Mauer umgeben – als Schutz vor eben diesen Eindringlingen, von denen der Gärtner einen in dir vermutet hat. Die Mauer ist so hoch, dass sie eigentlich niemand erklimmen können sollte, aber man weiß nie.“ Sie zeigte auf zwei Durchlässe im Mauerwerk. „Das sind die Eingangstore ins Gelände. Jedes Tor wird von zwei Wächtern bewacht. Zusätzlich patrouillieren vier Wächter um das Grundstück und vier weitere hier im Garten. Und dann sind da natürlich noch die Gänse, Gänse sind hervorragende Wächter – ihnen entgeht nichts! Außerdem befinden sich Tauben und Enten und ein Kornsilo im hinteren Teil des Gartens.“ Nun lenkte Kija die Aufmerksamkeit des Jungen auf den Haupteingang. „Hinter dieser Tür ist das Zimmer des Hauswächters. Er passt auf, dass niemand ins Haus kommt, der hier nichts verloren hat. Du kennst ihn ja bereits vom Sehen.“ Sie öffnete die Tür. „Guten Morgen Herrin, guten Morgen junger Mann!“, grüßte der Wächter höflich und Kija nickte gönnerhaft. „Das ist Hetep“, fuhr sie mit ihrer Erklärung fort. „Thutmosis hat ihn noch gestern angewiesen, dass du ab jetzt freien Zugang zum Haus haben sollst.“ Der Raum war klein und quadratisch, besaß aber eine Säule in der Mitte. Sie wandten sich nach links und betraten durch eine Tür die quergelagerte pompöse Eingangshalle des Hauses, die 41

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von vier Säulen gestützt wurde. An der linken Schmalseite fanden sich zwei Wächterunterkünfte. Durch drei Eingänge konnte von dieser Halle aus der Wohnraum des Hauses erreicht werden. Zwei Säulen stützten diesen riesigen quadratischen Raum. Das war das Herzstück des Gebäudes. Von hier aus gingen alle anderen Räumlichkeiten ab. Haremhab zählte sechs Türen. Kija ging auf die direkt vom Eingang links befindliche Tür zu. „Hier führt eine Treppe auf das Dach“, erklärte sie. An derselben Wand, jedoch fast in der anderen Ecke, öffnete die Prinzessin die Tür. „Das ist der Wohnbereich von Thutmosis’ jüngerem Bruder, Prinz Amenophis!“ Sie sahen durch eine kleine, quere, längliche Vorhalle direkt auf eine weitere verschlossene Tür. „Dahinter befindet sich Amenophis’ Schafraum und davon abgehend links das Ankleidezimmer und rechts der Waschraum“, flüsterte Kija. „Warum flüsterst du“, wollte Haremhab in ebenfalls gedämpftem Tonfall wissen. „Amenophis schläft noch. Er fühlt sich in letzter Zeit nicht wohl, deshalb hat er gestern auch nicht mit uns gegessen“, wisperte sie. Kija schloss die Tür zu Amenophis’ Wohntrakt und führte den Jungen zu einem Durchgang an der Wand, die der Eingangshalle gegenüberlag. Auch hier öffnete sie die Tür. Diesmal traten beide in eine quergelagerte Vorhalle ein, von der vier Räume abzweigten. „Das ist der Bereich für Thutmosis und mich“, erklärte Kija nun in normaler Lautstärke weiter. Direkt rechts befand sich ein großer Raum mit einer Nische, in der sich das hochgelagerte Bett des Thutmosis stand. An der Längsseite der Halle öffneten sich die Eingänge zu einem großzügig gestalteten Ankleidezimmer und links daneben zu einem Raum, dessen Funktion sich Haremhab nicht recht erklären konnte. „Das ist Thutmosis’ Waschraum“, sagte Kija. Dieses Wort hatte sie schon in Amenophis’ Trakt benutzt, aber Haremhab konnte sich nichts darunter vorstellen. Es war ein verhältnismäßig kleiner Raum, der in einer Ecke des Bodens mit einer Öffnung nach draußen versehen war, die von Ziegeln eingefasst wurde. 42

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„In dieses Gefäß“, Kija deutete schmunzelnd auf den einen Behälter, „gehört das, was du soeben im Garten erledigt hast.“ Das Gefäß war klein und befand sich unter einem Aufbau, der an einen Stuhl ohne Sitzfläche erinnerte. „Und aus diesem Krug nimmst du Wasser und wäschst dich über der Öffnung im Boden“, erläuterte Kija mit anschaulichen Handbewegungen. „Auf diese Weise gelangt das Wasser, das von dir abtropft, nach draußen und verbleibt nicht im Haus.“ Haremhab senkte beschämt den Blick. „Die Toilettenstühle werden zweimal am Tag von unseren Bediensteten entleert“, fuhr Kija fort. „In meinem Zimmer habe ich einen solchen Stuhl nicht entdecken können“, sagte Haremhab entschuldigend. „Du hast nur nicht richtig nachgesehen“, versicherte die Prinzessin nachsichtig. Sie verließen das Reinigungszimmer und betraten eine zweite kleine Halle, die von der linken Schmalseite der vorigen abzweigte. „Das ist mein Bereich“, sagte Kija. Von der gegenüberliegenden Längsseite der Halle ging links ihr Zimmer der Körperreinigung und rechts ihr Schlafzimmer ab, in dem wieder das Bett hochgelagert in einer Nische unter einem Fenster stand. Von der rechten Schmalseite der Halle führte ein Durchgang in Kijas Ankleidezimmer. Wunderschöne Gewänder hingen dort und der Raum war durchweht von frischem Duft. Sie verließen den Bereich der Hausherren und befanden sich wieder im riesigen quadratischen Wohnraum. Dort führte ihn Kija an die Wand, die der mit dem Treppenaufgang zum Dach und dem Trakt des Amenophis gegenüberlag. Hier befanden sich ebenfalls zwei Türen. Kija deutete auf die linke: „Das sind unsere beiden Besucherunterkünfte, eine davon bewohnst du.“ Sie ging auf Haremhabs Zimmer zu und öffnete die Tür. Im Vergleich zu den Räumen der Hausbesitzer war es winzig, aber dennoch das größte, in dem er jemals allein geschlafen hatte. Zielstrebig durchquerte Kija den Raum und öffnete an der gegenüberliegen Wand eine zweite Tür, die Haremhab übersehen hatte. 43

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„Das ist dein Waschraum!“ Kija wies mit einer Hand in den geöffneten Raum. Haremhab folgte ihrer stummen Anweisung und trat ein. Dieser war kleiner als die anderen Waschräume, besaß aber das gleiche Inventar: Eine Öffnung in der Bodenecke, ein Wassergefäß ... und einen Toilettenstuhl. Haremhab war stolz – sein eigener Waschraum! Er konnte es kaum erwarten, diesen eigenartigen Stuhl auszuprobieren, aber das würde wohl noch eine Weile dauern … „Komm“, forderte Kija den Jungen auf, „jetzt frühstückst Du erst mal und dann zeige ich dir die Stadt, zu deren Bewohnern du von nun an gehörst.“ * Nach einem ausgedehnten wab-ra, einer „Reinigung des Mundes“, wie die erste Mahlzeit des Tages bezeichnet wurde, schlenderte Haremhab in seinem neuen Lendenschurz aus hellem Leinen durch die Straßen und zum Teil sehr engen Gassen von Mennefer. Die Prinzessin reiste ihrem Stand entsprechend in einer Sänfte, die von vier Trägern bewegt wurde. Nehsi und ein weiterer Leibwächter begleiteten sie. Die Menschen grüßten die Prinzessin in ehrfürchtiger Haltung. Und man erwies auch Haremhab eine gewisse Art Respekt, weil er in Kijas Begleitung war. In den verwinkelten Straßen herrschte ein lebhaftes Treiben, wie es der Junge nie zuvor erlebt hatte. Er war völlig überwältigt von den Düften und Farben, dem Rufen und Schreien. Händler boten ihre Waren feil: Gewürze, Fleisch, Brot, Backwaren, Tiere, aber auch Priester und Ärzte boten ihre Dienste an und es gab Bierstuben – in den Straßen von Men-nefer gab es nichts, das es nicht gab. Außerdem schienen in Men-nefer die schönsten Mädchen Ägyptens zu wohnen. Mit zarten Schminkstrichen, die ihre ohnehin schon eindrucksvollen Augen noch mehr betonten, diese vergrößerten und einfach unwiderstehlich machten, mit duftigen Parfüms, die den Jungen seiner Sinne beraubten, und mit Kleidern, die sich so fein und wallend um ihre Körper schmiegten, dass sich sanft ihre Formen abzeichneten, liefen sie durch die Straßen der Stadt.

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Kija führte ihn kenntnisreich herum. „Vor mehr als 2000 Jahren war Men-nefer die erste Hauptstadt Ägyptens“, erklärte sie Haremhab. „Damals hieß sie noch Inebuhedj, eine Anspielung auf die damals strahlend weiß getünchte Umfassungsmauer. Viele Jahrhunderte später wuchs Inebu-hedj mit der Pyramidenstadt des Königs Meri-Ra, dem ersten Herrscher mit Namen Pepi, zusammen und wurde fortan Men-neferPepi, ‚Bleibend ist die Vollkommenheit des Pepi‘, genannt. Und weil es die weiße Umfassungsmauer nur noch in Resten gibt und der Name ‚Bleibend ist die Vollkommenheit‘ gut zu der Stadt passt, nannte man sie bald ganz offiziell Men-nefer.“ Die Reste dieser ehemaligen Schutzmauer waren noch zu sehen, obwohl sie inzwischen längst durch eine Anlage von viel größerem Umfang ersetzt worden war. Und selbst diese reichte nun nicht mehr aus, um alle Häuser zu beherbergen, so dass die Stadt schon weit vor den Toren begann. „Sieh mal! Das ist Qebech, er verkauft die allerbesten Süßigkeiten im gesamten Umkreis“, sagte Kija, die Anweisung gegeben hatte, anzuhalten und aus der Sänfte gestiegen war. „Seid gegrüßt, königliche Hoheit!“, der alte Qebech hockte im Hauseingang und machte nun Anstalten, sich mühsam zu erheben. „Sei gegrüßt Qebech und behalte Platz!“ „Nein, nein“, widersprach der Alte. „Ich will Euch drinnen die beste Ware kosten lassen – dazu muss ich aufstehen!“ Im Inneren des Geschäfts war es dunkel und kühl und irgendwie hatte der Alte es geschafft, die Fliegen, die das Süße lieben, aus seinem Haus zu verbannen. Auf langen Tischen befanden sich unter luftigen Leinentüchern herrliche Naschereien. Viele Früchte hatte der alte Mann für seine Köstlichkeiten verarbeitet und andere süße Sachen, die Haremhab allesamt nicht kannte. „Darf ich deinen Namen erfahren?“, fragte Qebech. „Haremhab.“ „Ein schöner und seltener Name – ‚Horus ist im Fest‘. Wie bist du zu diesem Namen gekommen?“ „Während meiner Geburt beobachtete mein Vater einen Falken, der im Flug über unserem Haus stehen blieb, dort lange verweilte und Laute ausstieß, die mein Vater für Jubel hielt. Mein Vater ver45

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stand dies als ein Zeichen dafür, dass sich die Erscheinung des Horus unserer Stadt Hut-nisut über meine Geburt freuen würde und erinnerte durch den Namen, den er mir gab, an dieses Zeichen.“ Haremhab spürte auf einmal starkes Heimweh. „Der Falke ist das heilige Tier des Gottes Horus. Er verkörpert sich im regierenden Pharao – und Horus freute sich bei deiner Geburt. Das ist alles sehr bedeutsam!“ Qebech hielt kurz inne. „Ich glaube an Zeichen – wie jeder gute Ägypter. Dein Zeichen ist sehr tiefgründig und dein Name gut gewählt. Horus freute sich, weil du noch wichtig für ihn werden wirst!“ „Nun“, schaltete Kija sich in die Unterhaltung ein, „gestern bereits hat der lebende Horus, Pharao Amenophis Neb-Maat-Ra, er möge leben, heil und gesund sein, allen Grund gehabt, sich zu freuen, denn dieser tapfere junge Mann hat die Ehre seiner Schwiegertochter verteidigt!“ „Ich habe davon gehört“, sagte Qebech. „Ganz Men-nefer hat davon gehört“, verbesserte er sich. „Was wird nun mit ihm geschehen?“ Qebech schien weniger darauf aus zu sein, etwas zu verkaufen, als ein Schwätzchen zu halten. „Als Belohnung für seine mutige Tat wünscht Haremhab lesen und schreiben zu lernen.“ „Ein sehr bedeutsamer Wunsch“, der Alte sah den Jungen anerkennend an. „Und, werdet Ihr ihm diesen Wunsch erfüllen?“, fragte er an Kija gewandt. „Thutmosis wird mit seinem Vater, dem Pharao Amenophis – er lebe, sei heil und gesund –, beraten und dieser wird sicher klug entscheiden!“ „Er ist ein weiser Mann“, bestätigte Qebech, „er wird den richtigen Weg wählen.“ „Was möchtest du haben?“, fragte Kija schließlich und Qebech zog die Tücher nacheinander fort. „Eigentlich wäre mir eine Feige am liebsten“, gestand der Junge mit einem traurigen Blick auf die feinsten und verführerischsten Naschereien, die Men-nefer zu bieten hatte. „Weißt du“, begann Qebech, „Feigen sind eine Zutat, die wir für Süßigkeiten verarbeiten – aber wir verkaufen sie nicht ...“ 46

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„Dann möchte ich hiervon“, sagte Haremhab nach einer Weile schließlich entschieden und zeigte auf etwas, das wie kandierte Datteln aussah. Nachdem sie den kühlen und abgedunkelten Raum verlassen hatten und wieder auf der Straße waren, empfanden sie die Helligkeit und Wärme der ägyptischen Sonne noch intensiver als zuvor. Kija zeigte Haremhab alles, was für ihn interessant sein könnte, und sie erklärte ihm viel von der Geschichte der ersten Hauptstadt Ägyptens, die der frühe König Aha der Legende nach in grauer Vorzeit gegründet haben sollte. Die bunten, lauten und vielfältigen Eindrücke, die in Men-nefer auf Haremhab einstürzten, überlagerten schon bald sein Heimweh und ließen es ihn zumindest für den Augenblick vergessen. Etwas außerhalb der Stadt lag der Tempel des Gottes Ptah, dem Gott der Handwerker. Hinter seinen mächtigen Mauern verrichtete Kronprinz Thutmosis seinen Dienst als Hohepriester. Sie betrachteten das Heiligtum aus einiger Entfernung und Haremhab war von den gewaltigen Ausmaßen des Baus beeindruckt. Dieser war über und über mit Schriftzeichen bedeckt – Zeichen, deren Sinn er schon bald würde verstehen können! „Gemeinsam mit dem Tempel des Ra im nördlichen Iunu und dem des Amun in Ipet-sut im Süden ist der Ptah-Tempel das bedeutendste kultische Zentrum des gesamten Reiches“, erklärte Kija, selbst ehrfürchtig staunend. „Hier wohnt Ptah“, resümierte Haremhab mit unendlicher Bewunderung. Es war spät in der Nacht, als Haremhab erschöpft, gut gesättigt und zufrieden in einen tiefen Schlaf sank. Vorher musste er noch die Eindrücke verarbeiten, die ihn an diesem Tag überflutet hatten – in der ständigen Angst, nicht zu träumen und im Militärlager aufzuwachen. Die Stadt, die Menschen, die Geschäfte und die Mädchen kreisten noch in seinen Gedanken. „Morgen sehen wir uns das Umland von Men-nefer an“, hatte ihm Kija die Pläne für den nächsten Tag angekündigt. Er würde die Pyramiden der lange verstorbenen Könige Ägyptens sehen. 47

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Sein Herz schlug so schnell, als wollte es ihm aus der Brust entwischen. Und dieses schnell pochende Herz war es auch, das Haremhab erst sehr, sehr spät einschlafen ließ. Sie brachten die nächsten Tage damit zu, die drei großen aus dem Wüstensand ragenden Pyramiden der alten Könige Chufu, Cha-ef-Ra und Men-kau-Ra, den Sphinx und noch weitere Pyramidenanlagen der Umgebung zu besuchen. Haremhab lernte viel über die Pharaonen der vergangenen Jahrtausende und die Geschichte seines Landes. In manchen Nächten lag Haremhab wach und konnte keinen Schlaf finden. Das waren die Nächte, in denen ihn das Heimweh plagte. Dann dachte er an seine Eltern und seine Geschwister und er vermisste sie sehr. Diese Gedanken kamen niemals wieder tagsüber, sondern nur des Nachts, mit der Zeit lernte er, sie zu zerstreuen, indem er sich daran erinnerte, dass sein Vater ihn wie einen Sklaven verkauft hatte. Dann begann sich eine andere Art von Traurigkeit seines Herzens zu bemächtigen, mit der er jedoch besser umgehen konnte. * Seine Wunde verheilte gut und so verging die Zeit bis zu seinen ersten Unterrichtsstunden sehr rasch. Bald schon zog er in ein zum kap gehörendes Gebäude, in dem er ein kleines Zimmer bewohnte, das er mit Maja, einem gleichaltrigen Jungen aus Waset, teilte. Der Junge erzählte gerne und so wusste Haremhab bald viel über ihn und seine Familie. Maja war der Sohn eines Richters, Iuy, seine Mutter Weret war schon verstorben, und sein Vater hatte erneut geheiratet. Die neue Frau hieß Henut-Iunu und Maja verstand sich trotz aller Erwartungen sehr gut mit ihr. Maja war nett und fleißig und sehr bald freundeten sich die beiden Jungen an. Während Haremhab von einer Karriere als Offizier, als gebildeter und hochrangiger Soldat, träumte, stellte sich Maja seine Zukunft in der Verwaltung vor – für Haremhab eine grausige und viel zu trockene Vorstellung. Vormittags fand ihre militärische Ausbildung statt. Sie lernten, Feinde auch ohne Waffen unschädlich zu machen, trainierten mit verschiedenen Waffen des Nahkampfes, übten mit Dolchen 48

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und Speeren, aber auch mit verschiedenen Bogentypen, die es ihnen erlaubten, Feinde aus größerer Entfernung als der eigenen Armlänge zu bekämpfen. Vor allem Haremhab fand Gefallen daran, eine gewisse Macht zu besitzen und nicht länger der Willkür anderer Menschen ausgesetzt zu sein. Am Nachmittag saßen sie gemeinsam mit anderen Kindern, meist Söhnen hochrangiger Beamter, in einem offenen, von Palmen umsäumten Hof, erhielten Unterricht im Lesen und Schreiben und Haremhab lernte, wie sich die Worte aus Hieroglyphen zusammensetzten, erkannte, wie mehrere dieser Worte Sätze bildeten, und dass diese alles aussagen konnten, was er wollte. Kurz vor dem Abendessen trainierte Haremhab hin und wieder mit Kijas Leibwächter Nehsi, der ihn sehr ins Herz geschlossen hatte. Die Zeit zwischen Abendessen und Schlafen verbrachte er damit, sich die genauen Schreibungen schwieriger Worte und die komplexen grammatikalischen Konstruktionen einzuprägen. Obwohl Haremhab nur allzu oft an die Grenzen seines grammatikalischen Bewusstseins herangeführt wurde und die Enttäuschung über seine noch ungeschickten Finger, die die Binse noch nicht so zu führen verstanden, wie er es gerne wollte, ihn ungeduldig werden ließ, waren seine Lehrer sehr zufrieden mit ihrem fleißigen Schüler. Und auch Thutmosis und Kija, die ihn gelegentlich einluden, waren außerordentlich erfreut über die Entwicklung ihres Zöglings.

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Kapitel 5 Waset Sieben Jahre waren vergangen, man schrieb das 34. Regierungsjahr unter Pharao Amenophis Neb-Maat-Ra – er möge leben, sei heil und gesund in Ewigkeit. Für Haremhab war die harte Ausbildung des kap beendet und er gehörte nun, nachdem Thutmosis ihn zu seinem persönlichen Leibwächter ernannt hatte, zur königlichen Garde. Er wohnte wieder im Palast des Kronprinzen – zur ständigen Verfügbarkeit des Thronfolgers. Sein Wunsch war ihm erfüllt worden – er hatte Lesen und Schreiben gelernt und sich zudem eine sehr leserliche und ausdrucksstarke Handschrift angeeignet, deren äußerliche Korrektheit mit der inhaltlichen stets in großer Harmonie stand. Er kannte die Werke der großen Weisen, hatte ihre Lehren, ebenso wie die erhaltenen Kriegsberichte der längst verstorbenen Pharaonen, genauestens studiert, indem er die Texte solange kopierte, bis ihm jedes einzelne Wort in Hand und Herz eingegangen war. Auch kannte er nun die Geschichte seines Landes und die wichtigsten Bereiche von Religion und Verwaltung. Schwimmen, Ringen und das Lenken eines Streitwagens waren Bestandteile des körperlichen Unterrichts gewesen. Ferner Bogenschießen, der Umgang mit dem Messer und mit Speeren, aber den größten Teil der militärischen Ausbildung stellten Übungen im Nahkampf ohne Waffen dar. Haremhab war nun in der Lage, auf 32 verschiedene Weisen zu töten – und zwar allein mit bloßen Händen. Er war aufgrund seiner Reaktionsschnelligkeit und seiner raubtierartigen Gewandtheit eine lebensbedrohliche Gefahr für jeden, der seinen Herrn Thutmosis, den Kronprinz Ägyptens, angreifen wollte. Aber nicht nur der Kronprinz Thutmosis interessierte sich für Haremhabs Dienste. Die häufige und anstrengende Bewegung im Freien verlieh seiner Haut, die sich fest über die sehnigen Muskeln spannte, einen bronzefarbenen Schimmer, zudem war Haremhab ein eloquenter Gesprächspartner in sämtlichen Bereichen des kulturellen Geschehens geworden und … zählte zu den begehrtesten Junggesellen Men-nefers. 50

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Die Frauen verdrehten die Köpfe, wenn er in der Stadt an ihnen vorüberging. Sie flüsterten sich zu, glucksten wie kleine Hühner und kicherten albern, wenn er ihre Blicke erwiderte oder wenn er manche von ihnen mit einem leichten Zwinkern bedachte. Man tuschelte und fragte sich, wann er wohl endlich um die Hand eines der Mädchen anhalten würde ... und vor allen Dingen fragte man sich, um die Hand welchen Mädchens er wohl anhalten würde ...! Aber Haremhab wollte über die Ehe noch nichts wissen, denn er hatte die zarte Liebe noch nicht entdeckt. Um ehrlich zu sein, ärgerte ihn das Thema sogar ein bisschen – was ging es denn die Leute an, wann er sich verliebte! Eines Abends besuchte Haremhab seinen Freund Maja, der im Tempel des Gottes Ptah Dienst tat. In dessen Haus studierte er die Schriften, die sein Freund gesammelt hatte, um sie von seinen Schülern kopieren zu lassen. Da sein Verdienst als niederer Schreiber in der Tempelverwaltung nicht überwältigend war, gab Maja nach der Arbeit zuweilen noch Schreibunterricht. Sie tranken sättigendes Bier und Haremhab neckte den Freund mit den alten Lehren des Cheti, der sich im ersten Teil seiner Schrift über andere Berufe als den des Schreibers ausließ und diese negativ darstellte, um seinen eigenen Stand leuchtend zu glorifizieren. „Pass genau auf: ‚Ein Schreiber auf irgendeinem Posten des Staates, der leidet dort keine Not!‘“, las Haremhab vor. „Pah!“, war die spöttische Antwort des Freundes. „Beschwere dich nicht, Maja! Oder willst du lieber ein Töpfer sein? Höre zu, was Cheti dazu meint: ‚Der Töpfer ist unter der Erde, obwohl er noch lebt. Er wühlt sich in den Sumpfboden mehr als ein Schwein, um seine Töpfe brennen zu können. Seine Kleidung ist steif von Dung, sein Gürtel nur ein Fetzen. Die heiße Luft bläst ihm ins Gesicht, die geradewegs aus seinem Ofen kommt. Er hat sich einen Stampfer an seine Füße gebunden, der Stößel daran ist er selber. Er durchwühlt den Hof eines jeden Hauses, zerstört die öffentlichen Plätze ...‘“ Haremhab zog ein angewidertes Gesicht. „Das ist es doch nicht wirklich, was du willst!?“, scherzte er. „Ich kenne Töpfer, die weitaus bessergestellt sind als ich“, erwiderte Maja spitz. „Die können eine mehrköpfige Familie 51

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ohne große Probleme mühelos ernähren. Ich dagegen schaffe es kaum, mich allein durchzubringen! Über Merit will ich kein Wort verlieren, aber seitdem Cheti diese Lehre vor fast 700 Jahren verfasst hat, hat sich einiges in Ägypten verändert, mein Freund!“ Merit war das Mädchen, das Maja seit über zwei Jahren liebte, und die Tatsache, dass er es sich nicht leisten konnte, sie zu heiraten, bereitete ihm den größten Verdruss. „Du wirst nicht immer an einer unteren Position in der Tempelverwaltung haften bleiben, Maja“, tröstete ihn Haremhab, nun ernst geworden. „Du wirst irgendwann befördert werden und aufsteigen. Vielleicht wirst du ja auch nicht immer im Tempel des Ptah in Men-nefer bleiben müssen, sondern dein Glück woanders finden! Und du wirst Merit heiraten können!“ Haremhab genoss den Abend bei Maja, aber die Zeit verging schnell über den Papyrusrollen und dem Bier, und er empfand wenig Freude bei dem Gedanken daran, sich bald von all dem trennen zu müssen. Er stöhnte missmutig, als sich der Inhalt seines dritten Bierkruges dem Ende nahte und die Zeit des Heimweges immer näher rückte. „Hab Dank für das Bier“, sagte er schließlich widerwillig und trat wieder auf die lehmigen Gassen der Stadt, die schon in tiefer Finsternis lag. Aus vereinzelten Fenstern schien noch schummriges Licht, doch die Mehrzahl der Bürger von Men-nefer schlief schon. Die Wachen am Eingang grüßten ihn, als er gedankenversunken in die Residenz des Prinzen trat. Er erreichte die Große Halle und traf Thutmosis und Kija in niedergeschlagener Stimmung an. Beide saßen auf dem Boden, Kija hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben, Thutmosis hielt sie im Arm. „Was ist passiert?“, fragte Haremhab besorgt, denn im Laufe der Jahre waren ihm seine ehemaligen Gönner zu guten Freunden geworden. Langsam entblößte Kija ihr Gesicht und er sah an ihrer verschmierten Augenschminke, dass sie stark geweint hatte. „Der Pharao ist sehr krank“, erklärte sie tonlos. „Die besten Ärzte Ägyptens kümmern sich um ihn, aber kein einziger vermag ihm zu helfen.“ „An welcher Krankheit leidet Seine Majestät?“, erkundigte sich der junge Leibwächter besorgt. 52

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„Keiner kennt ihren Namen“, Thutmosis sprach erstickt, „niemand weiß, woher sie kommt. Wenn sich sein Zustand in einigen Wochen nicht gebessert hat, werden wir an den Hof nach Waset reisen müssen. Die löwenköpfige Göttin Sachmet hat ihre Krankheitsdämonen auf meinen Vater gehetzt und will sie nicht wieder zurückrufen!“ „Man sagt, der Alte hätte 400 Granitstatuen der Sachmet in Auftrag gegeben“, die unerwartete Stimme kam aus einer dunklen Ecke des Raumes. Der Sprecher trat nun ins Licht, es war Prinz Amenophis. „Es heißt, damit wolle er die erzürnte Sachmet beschwichtigen“, fuhr er fort. Alle Anwesenden blickten nun zu ihm, während er mit entschiedenem Kopfschütteln und einer abfälligen Handbewegung fortfuhr: „So ein Blödsinn, er soll in Würde alt werden und auch in Würde sterben. Jeder von uns hat seine Last zu tragen und er soll sich mit seiner abfinden!“ Haremhab verbeugte sich und wollte sich langsam und wortlos zurückziehen, da die Unterhaltung der beiden Brüder familiär und persönlich zu werden begann. Doch Thutmosis hob eine Hand und bedeutete ihm zu bleiben. Der Kronprinz sah seinen jüngeren Bruder verständnislos und mit offensichtlichem Entsetzen an. „Wie kannst Du so kaltherzig sein?“, flüsterte er durch den dämmrigen Raum. „Hast du vergessen, was wir, seine Kinder, ihm zu verdanken haben?“ „Zu verdanken? Diesem selbstsüchtigen, selbstverliebten Mann? Ich habe Mutter mehr zu verdanken als ihm, den Vater, den ich kaum gesehen habe. Wenn er für einen von uns da gewesen ist, dann doch wohl nur für dich, du Lieblings-Sohn!“ Amenophis wandte sich brüsk um, stapfte trotzig aus der Großen Halle und schlug einen Flügel der Tür donnernd zu. „Ich denke, es ist nun wirklich besser, Euch allein zu lassen“, räusperte sich Haremhab. Thutmosis reagierte nicht sofort. Er schwieg einige Zeit, dann richtete er seinen Blick auf Haremhab und verkündete entschlossen: „Morgen früh werden wir zu meinem Vater an den Königshof nach Waset aufbrechen!“ Haremhab nickte stumm. „Nur du und ich“, fügte Thutmosis hinzu. „Wir werden Mennefer ohne großes Aufsehen bei Morgengrauen verlassen. Ame53

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nophis wird nichts erfahren.“ An seine Frau gewandt fragte er: „Wirst du es schaffen, hier einige Zeit allein die Verantwortung zu übernehmen?“ „Natürlich“, versicherte Kija. „Sag dem Kapitän der Barken Bescheid, Haremhab. Er soll seine Mannschaft und das Schiff bis morgen früh bereithalten!“ Haremhab nickte, verbeugte sich und verließ das Haus, um zum Hafen zu gehen. Der Sternenhimmel über Men-nefer funkelte wie eine schwarze Decke voll winzig kleiner Tautropfen. Das ruhig auf- und abschaukelnde Wasser im Hafenbecken Men-nefers reflektierte die leuchtenden Funken des Firmaments, alles war still, nur die Grillen zirpten geräuschvoll in den Büschen und Gräsern und es roch nach Jasmin. Der Kapitän der Prinzenbarke war ein brummiger, leicht übergewichtiger Mann, der auf den Namen Nefer-bau-Ptah hörte. Haremhab fand ihn in einer etwas baufälligen Lehmhütte, wo der Kapitän gemeinsam mit einem Mann der Schiffsbesatzung bei dämmrigem Flackerlicht in eine Partie Senet vertieft war. Weder er noch sein Gegner bemerkten Haremhab, der plötzlich im Rahmen der offen stehenden Tür erschien und mit einem Blick auf das Spielbrett sofort erkannte, dass es mit Nefer-bau-Ptahs Glück nicht zum Besten bestellt war. „Na, hoffentlich klappt es mit der Liebe besser – wenn es schon im Spiel so schlecht um dich steht, Kapitän Nefer-bau-Ptah!“, sagte er in die Stille des Raumes, die zuvor nur vom Werfen der Wurfhölzer und dem leisen Klappern der Spielsteine unterbrochen worden war. Der Angesprochene fuhr zu Haremhab herum, während der ihm im Spiel überlegene Mann feixte. „Ihr habt es nötig von Liebe zu sprechen, Haremhab“, polterte der Kapitän. „Ganz Men-nefer ist besorgt um die sich bei Euch nicht einstellen wollenden Bedürfnisse, eine Frau zu nehmen!“ Nun schmunzelte auch Haremhab. „Das Bedürfnis an sich kenne ich wohl“, sagte er trocken, „nur fehlt bislang die passende Frau!“ Nun lachten beide Männer und Nefer-bau-Ptah stand auf, fasste Haremhab an der Schulter und lud ihn ein, sich zu setzen. 54

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Während Haremhab sich niedersinken ließ, fragte der Kapitän: „Was kann ich für Euch tun?“ „Prinz Thutmosis wünscht, bei Morgengrauen zu einer Reise aufzubrechen!“ „Wohin?“ „Waset.“ Nefer-bau-Ptah pfiff überrascht. „Wie viele Reisende?“ „Nur der Prinz und ich. Es geht an den Königshof zu seinem Vater.“ „Ja ..., ich habe von seiner Krankheit gehört – böse Sache ...“ „Aus diesem Grund will Thutmosis morgen aufbrechen ...“ „Lediglich Prinz Thutmosis und Ihr? Nicht Prinz Amenophis oder Prinzessin Kija?“ „Nein, nur wir beide.“ „Nun gut“, meinte der Kapitän und fuhr nur einen Lidschlag später seinen siegreichen Gegenspieler lautstark an: „Was sitzt du hier noch auf deinem faulen Hintern herum? Hast du nicht gehört? Wir brauchen zwanzig Ruderer und zwei Steuermänner für morgen früh. Wir laufen bei Sonnenaufgang aus. Bis dahin muss das Schiff flott sein! Los, eil dich und rufe die Mannschaft zusammen!“ Schnell und ohne ein weiteres Wort sprang der Angesprochene eilfertig auf und verließ hastig den Raum. Genüsslich lächelnd wandte Nefer-bau-Ptah sich wieder Haremhab zu. „Das wäre erledigt“, sagte er. „Doch nun würde mich interessieren, wie es mit dem Liebesglück von Men-nefers begehrtestem Junggesellen wirklich aussieht ...“ Vielsagend hielt er die Wurfhölzer vor Haremhabs Gesicht. „Ich nehme die roten Steine“, nahm dieser die Herausforderung an. Die beiden Männer saßen sich über einem kleinen länglichen Holzbrett gegenüber, dessen Fläche in drei Reihen zu je zehn Feldern aufgeteilt war. Diese Felder symbolisierten eine mythische Reise, dabei waren die Kästchen 15 und 26 bis 30 besonders gekennzeichnet – sie gewährleisteten entweder einen sicheren Aufenthalt oder bedeuteten ein Zurücksetzen. Bis zum Erreichen des Feldes war man seinem Gegner ständig ausgeliefert, der die 55

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eigenen Steine bis zum Erreichen des Feldes 26 herauswerfen durfte. Nefer-bau-Ptah hatte für jeden fünf dieser Steine aufgebaut – das bedeutete eine lange Partie. Die Anzahl der mit den Steinen pro Runde zu bewältigenden Schritte wurden mithilfe von vier auf zwei Seiten abgeflachten Holzstäbchen ermittelt, von denen jeweils eine Seite rot bemalt war. Diese Hölzer wurden geworfen und die Anzahl der oben liegenden Seiten gezählt, denn diese bestimmten, wie weit ein Stein bewegt werden durfte. Mit Haremhabs Konzentration war es nicht zum Besten bestellt. Allzu oft ließ er die Chance für einen guten Zug verstreichen, weil er ihn nicht erkannte. Schließlich brachte Nefer-bau-Ptah alle seine fünf Steine ins Ziel, während es Haremhab nicht vergönnt war, auch nur einen einzigen die gesamte Strecke über das Spielbrett führen zu können. Der Kapitän lachte selbstgefällig. „Erzählt mir nichts davon, dass Euch die Frau zu Euren Bedürfnissen fehlt!“ Er freute sich so sehr über seinen eigenen Witz, dass sein Kopf rot wurde wie die untergehende Sonne und er sich derb auf die Schenkel schlagen musste, um mit der Heiterkeit fertig zu werden, die ihn schüttelte. „Wer ist es“, prustete er, „der Euch so vereinnahmt und Eure ganze Konzentration für sich beansprucht, dass Ihr mir beim Senet-Spiel chancenlos ausgeliefert seid? Wie ist ihr Name? Ich will ihr danken!“ Haremhab lächelte nur, klopfte seinem übermächtigen, aber in die falsche Richtung denkenden Spielgegner auf die Schulter und erhob sich. „Wir sehen uns morgen bei Sonnenaufgang“, sagte er im Türrahmen Nefer-bau-Ptah zugewandt, der noch immer lachte und seinen Sieg genoss. * Haremhab erwachte lange vor Sonnenaufgang in seinem kleinen Zimmer im Palast des Kronprinzen. Nachdem er sich schnell angekleidet hatte, suchte er Prinz Thutmosis in dessen Gemächern auf und bemerkte, dass dieser sehr in Eile war. „Lass uns schnell aufbrechen, ich will nicht, dass Amenophis etwas von unserer Abreise erfährt“, flüsterte er. „Wer seinen leib56

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lichen Vater mit soviel Missachtung straft, hat es nicht verdient sein Krankenlager zu besuchen.“ Haremhab nickte verunsichert. Sie verließen das Haus wie Diebe, geräuschlos und in fast völliger Dunkelheit. Zwei Diener trugen das Gepäck des Kronprinzen und das Haremhabs. Als sie den Hafen erreichten, wartete das Schiff bereits auf seine Passagiere. Schon während der Nacht hatte ein kleineres und wendigeres Boot den Hafen von Nacht Men-nefer verlassen. In ihm reiste der Herold des Kronprinzen, der dessen Kommen an allen zuvor festgelegten Stationen und beim König selbst, im Palast von Waset, ankündigen würde. Am Kai stand der Arzt Djedi, der Haremhab vor sieben Jahren behandelt hatte, mit seinem Träger. Thutmosis setzte seine ganze Hoffnung auf den Oberarzt und Priester der Sachmet, der nun seinen Vater, den König des Landes, heilen sollte. Djedi war eine wirkliche Kapazität auf dem weiten Gebiet der Heilung. Er hatte sich in Men-nefer einen guten Namen gemacht, der bis an das Ohr des Kronprinzen gedrungen war, als dieser sich in der Stadt niederließ. Besondere Leistungen erbrachte er im Bereich der Schädelöffnung. Er hatte diese Methode bedeutend verfeinert und weiterentwickelt und verfügte über eine deutlich höhere Anzahl an überlebenden Patienten als seine Kollegen. Djedi war wahrhaftig ein Liebling der Sachmet. „Wenn er keine Medizin kennt“, sagte Thutmosis, „ist das Leben meines Vaters verloren!“ Die drei Passagiere betraten das Schiff über einen kleinen Steg. Die Besatzung war äußerst zuvorkommend und in großer Ehrfurcht vor den hochgestellten Reisenden. Die Taue wurden gelöst und das Schiff lautlos vom Hafen­ becken in Richtung Fluss getreidelt, wo die Ruderer ihre Arbeit aufnahmen. Das Segel wurde schnell geöffnet und der morgendliche Nordwind fing sich darin, blähte es auf und beschleunigte die Fahrt. In der langen Zeit, die sich Thutmosis und Haremhab kannten, war der Prinz bereits einige Male zur Residenz im Süden gefahren, um seinen Vater zu besuchen, aber für Haremhab war es das erste Mal, dass er eine Schiffsreise unternahm – noch dazu würde er in einigen Tagen den Palast und den König selbst sehen können. 57

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Die Reise nach Waset dauerte sehr lange. Nachts hielten sie an größeren Siedlungen, um ihre Vorräte aufzufüllen und zu schlafen. Haremhab langweilte sich oft und die Zeit schien ihm unendlich. Thutmosis wünschte, meistens allein in der einzigen Kabine an Deck zu verbringen, wo er betrübt seinen sorgenvollen Gedanken um seinen Vater nachhing. Djedi war damit beschäftigt, die Inhalte von seinen mit winzigen Zeichen eng beschriebenen Papyrusrollen, die er im Laufe seines Lebens auf der Grundlage eigener Studien verfasst hatte, aufzufrischen und sich so auf alle erdenklichen Möglichkeiten vorzubereiten, vor die ihn seine bevorstehende Begegnung mit dem Pharao stellen mochte. Haremhab spielte hin und wieder eine Partie Senet mit Kapitän Nefer-bau-Ptah, aber weil er angesichts der Tatsache, in absehbarer Zeit dem lebenden Gott Amenophis Neb-Maat-Ra zu begegnen, zu nervös war, verlor er die meisten Runden unter freudigem Gelächter des Schiffsführers. Ansonsten verlief die Fahrt so bleiern wie der stellenweise träge in die entgegengesetzte Richtung fließende Strom. Die Reisenden sprachen nicht viel, aber die Besatzung redete unermüdlich. Die Ruderführer waren einfache Leute, die Themen ihrer Gespräche stets vulgär und der Geruch ihrer Körper streng. Nach einer Weile starrten ihre ehemals weißen Schurze vor Dreck und hellbraune Verkrustungen bezeichneten in unregelmäßigen Wellenformen die Grenzen einzelner Schweißränder, die sich mit den Resten der Speisen vermischten, die sie seit Anbeginn der Reise zu sich genommen hatten. Außerdem wischten sie regelmäßig ihre Hände an ihnen ab, was die schleichende Verfärbung stark begünstigte. Die Enge an Bord erlebte Haremhab immer dann als besonders bedrückend, wenn er zwischen den Ruderern sitzen musste, die kurz zuvor von ihren Kollegen abgelöst worden waren und nun die Pause genossen. Ihre schwitzenden Körper strömten viel Wärme und derartige Ausdünstungen aus, dass er oft glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Zudem furzten sie so ungeniert wie seine Ziegen in Hut-nisut. Aber immerhin brachte ihn jede Bewegung ihrer Ruder näher zum König von Ober- und Unterägypten, dem lebenden Gott. Am 12. Tag ihrer Reise meldete Nefer-bau-Ptah, dass sie sich bereits im Gebiet von Waset befanden und innerhalb der nächsten Stunde im Hafenbecken des Palastes anlegen würden. 58

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Thutmosis blühte sichtlich auf. Beim Anblick einer besonders hohen Bergspitze meinte er: „Hier bin ich geboren“, und deutete mit dem Finger auf den Gipfel, „und hinter diesem Berg werde ich einmal begraben werden.“ Haremhab zog beide Augenbrauen hoch. „Liegt dahinter das ...?“ „Ja“, unterbrach ihn Thutmosis schwärmerisch. „Dahinter befindet sich das sechet-aat, das ‚Große Feld‘, der Friedhof meiner Vorfahren, das geheimnisumgebende Tal der Pharaonen. Hier sind alle Könige meiner Familie beigesetzt, und hier werden auch meine Nachfahren bestattet sein.“ Plötzlich verfiel Thutmosis wieder in seine Traurigkeit, die Haremhab schon während der gesamten Reise voller Sorge beobachtet hatte. „Darf ich fragen, woran Ihr denkt?“ Haremhab hörte sich die Worte sagen, obwohl er glaubte, die Antwort bereits erahnen zu können. „Mein Vater wird der nächste sein, der den langen Weg gen Westen antreten wird.“ „Aber das muss noch nicht jetzt sein“, versuchte Haremhab ihn zu trösten. Der Blick auf die kolossale Palastanlage, die nun vor ihnen auftauchte, riss Thutmosis aus seiner Mattigkeit. Seine Augen begannen zu glänzen und fiebriges Heimweh erwachte plötzlich in ihm. Als sie das Hafenbecken des Palastes erreichten, erschienen Leute, die beim Befestigen des Bootes halfen. Im Hintergrund standen Männer, die das ankommende Schiff und dessen Besatzung aufmerksam beäugten. Ihre leuchtenden Schurze reflektierten das Licht der Sonne. Es waren die Wachen des Palastes. Die Passagiere verließen das Schiff, froh, endlich wieder dauerhaft festen Boden unter den Füßen zu spüren. Haremhab war erschlagen von der gigantischen Größe der Palaststadt. Alle Mauern erstrahlten weiß und allein die Ansicht von außen war das Beeindruckendste, was er jemals gesehen hatte. Dieses also war der würdige Wohnsitz des Königs von Ober- und Unterägypten, des Gebieters des Landes am Nil. Die Diener nahmen die Gepäckstücke auf und folgten ihren Herren schwer beladen in den Palast.

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* Amenophis erwachte am Morgen der Abreise erst sehr spät. Er trat in die Große Halle und fand Kija alleine vor. „Wo ist Thutmosis?“, wollte er wissen. „Er ist mit Haremhab und Djedi zur Residenz nach Waset aufgebrochen“, antwortete sie ruhig. Eine Mischung aus Zorn und Unsicherheit huschte über Amenophis’ Gesicht. „Thutmosis hat mit keinem Wort erwähnt, dass er zu Vater reisen will“, sagte er schneidend. Dann verringerte Amenophis mit schnellen Schritten die Distanz zwischen Kija und sich, bis er ganz nah vor ihr stand. Mit beiden Händen packte er unsanft ihren Nacken. „Du hattest Kenntnis von seinen Plänen! Thutmosis besucht unseren sterbenden Vater, und lässt mich hier zurück wie ein lästiges Insekt. Aber ER IST AUCH MEIN VATER, auch wenn ich nur der Zweitgeborene bin!“ Mit einer heftigen Bewegung ließ er von Kija ab, rannte durch die Halle und stürmte in seinen Trakt des Hauses. An der Tür seines Kammerherrn hielt er inne und trat ein. „Tutu“, flüsterte Amenophis, „ich erwarte Dich in meinen Gemächern. Sofort! Sorge dafür, dass wir ungestört sind.“ Tutu war Ausländer und stammte aus Retjenu, er war ein fleißiger und loyaler Mann und einer der wenigen, die es geschafft hatten, das vollständige Vertrauen des launischen Prinzen zu erlangen. Nach kurzer Zeit klopfte es an Amenophis’ Tür. „Ja!“, blaffte Amenophis. Vorsichtig trat Tutu ein. „Setz dich!“, befahl Amenophis. „Es gibt Wichtiges zu besprechen. Ich muss auf deine bewährte Treue und Verschwiegenheit zurückgreifen.“ * Die Wachen geleiteten Prinz Thutmosis, den Oberarzt Djedi und Haremhab durch die von großen Papyrusbündelsäulen umgebenen Hallen des Palastes, bis sie vor dem Audienzsaal zu stehen kamen. Thutmosis trat alleine ein. Die Fußböden und Wände waren mit herrlichen Landschaften und lebensecht wirkenden Tieren bemalt. Hier und da flogen Enten aus einer Marschland60

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schaft auf und in allen Winkeln des Raumes war die außergewöhnliche Aura des Mannes zu spüren, der von hier aus das mächtige Ägypten regierte. Im Audienzsaal saß die Königin allein neben einem leeren Thron. Ihr war die Ankunft ihres ältesten Sohnes bereits durch Thutmosis’ Herold gemeldet worden. „Mein Sohn“, begrüßte ihn Königin Teje erleichtert und stand auf, um ihn zu umarmen. „Gut, dass du kommst, um deinem Vater beizustehen. Aber sag, wo ist dein Bruder Amenophis?“ Verlegen sah sich Thutmosis im Audienzsaal um. „Wir hatten ...“, er zögerte, „Differenzen.“ Noch bevor seine Mutter weitere Fragen stellen konnte, deren ehrliche Beantwortung Thutmosis unangenehm geworden wäre, wechselte er das Thema. „Ich habe Djedi, den Oberarzt und Priester der Sachmet aus Men-nefer, in meinem Gefolge. Ich möchte, dass Vater sich von ihm untersuchen lässt.“ „Ich habe von seinen Fähigkeiten gehört“, sagte Teje. „Sein Ruf, sogar Operationen am Gehirn lebender Menschen vornehmen zu können und so selbst todbringende Krankheiten zu heilen, ist ihm bis nach Waset vorausgeeilt. Wo ist er? Ich wünsche, dass er mir vorgestellt wird.“ „Er wartet vor dem Audienzsaal.“ Teje klatschte in die Hände, worauf sich die Tür auftat. „Lasse den Oberarzt Djedi eintreten!“ Nach einem langen Gespräch verließ die Königin gemeinsam mit ihrem Sohn und dem Arzt das Thronzimmer, um sie in den Garten zu führen, wo Amenophis Neb-Maat-Ra derzeit weilte. Vor dem Saal stolperte sie fast über Haremhab, der sich, als die Türen geöffnet wurden, augenblicklich zu Boden geworfen hatte. „Wer ist denn das?“, erkundigte sich Teje überrascht. „Das ist mein Leibwächter Haremhab. Der König erlaubte seine Ausbildung im kap.“ Teje gestattete ihm, aufzustehen und sie in den Garten zu begleiten. Die Königin strahlte eine Strenge aus, die keinen Widerspruch duldete, aber gleichzeitig hatte diese Frau etwas sehr Weiches und Gütiges. Sie führte sie persönlich durch die Säle an den hinteren 61

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privaten Gemächern vorbei, in den ausgedehnten Palastgarten. Hier waren alle Pflanzen Ägyptens vertreten und alle Farben, die es im Land zu sehen gab. Sykomoren, Palmen und Lotusblumen gruppierten sich um einen Teich, der die Gartenlandschaft dominierte. Aus dem Teich wuchsen Papyruspflanzen und Seerosen. Haremhabs Handflächen waren schweißnass, denn er fühlte die unmittelbare Gegenwart einer lebendigen Gottheit. Und plötzlich sah er im Schatten einer kleinen Gruppe Dattelpalmen die königliche Laube, die sich zum See hin öffnete. Sie näherten sich dem König von hinten. Unauffällige Bedienstete zu beiden Seiten des Pavillons hoben und senkten in langsamen und gleichmäßigen Bewegungen große Fächer aus Straußenfedern. „Majestät, ich melde die Große Königliche Gemahlin Teje und Euren ältesten Königssohn, den Horus im Nest, den Hohepriester des Ptah im Tempel von Men-nefer und Vorsteher der Truppen, Thutmosis, mit zwei Begleitern“, kündigte seine Wache ihm an. Auf eine Handbewegung des Königs hin hielten die Fächerträger in ihrer Arbeit inne. Der König von Ober- und Unterägypten stand auf und trat aus dem Schatten des Pavillons. Sein unbedeckter Schädel war kahlrasiert, auf seinen Schultern ruhte ein breiter, kostbarer Halskragen und sein Körper war in das allerfeinste und luftigste Leinen gehüllt, das Haremhab jemals gesehen hatte. Goldene Armbänder schmückten seine Handgelenke und kunstvoll gefertigte Sandalen umgaben seine Füße. Haremhabs Mund war ausgetrocknet, als er sich im gleichen Moment wie Djedi zu Boden warf. „Er ist schrecklich dünn geworden“, hörte er Thutmosis erschüttert seiner Mutter zuraunen, die stumm nickte, sich jedoch in majestätisch aufrechter Haltung ihre Sorge nicht anmerken ließ. „Sei gegrüßt, ehrwürdiger Neb-Maat-Ra, den es mir vergönnt ist, meinen Vater zu nennen“, rief Thutmosis aus, ging zu ihm und umarmte ihn. Der Pharao war so schwach, dass er kaum das Gleichgewicht halten konnte, als sein kräftiger Sohn die Arme um ihn legte. „Mein Sohn“, antwortete der König mit schwacher Stimme, „es tut gut, dich zu sehen!“ Die Umarmung machte den Anschein, als halte Thutmosis seinen Vater fest, damit dieser nicht zu Boden stürzte. 62

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Haremhab war dem Regenten nun so nahe, dass er die Rührung in den Augen des Herrschers hätte sehen können – wenn er den Mut gehabt hätte, aufzublicken. „Es tut so gut“, wiederholte Amenophis. Eine Zeitlang standen Vater und Sohn reglos da und hielten einander fest. Schließlich löste sich Thutmosis sanft von ihm und sprach: „Wir haben in Men-nefer Kenntnis von deiner Krankheit erhalten und ich habe den besten Arzt der Stadt in meinem Gefolge. Seine Name ist Djedi.“ „Erhebe dich, Djedi“, Amenophis’ Stimme war heiser. Der Arzt stand auf und hielt den Blick gesenkt. „Wer ist der andere Mann in deiner Begleitung?“ „Das ist mein Leibwächter, Haremhab.“ „Erhebe auch du dich, Haremhab.“ Der Angesprochene hatte keine Kraft zu schlucken, er hatte keine Kraft zu denken, geschweige denn, zu sprechen. Der mächtigste Mann Ägyptens kannte nun seinen Namen. * Tutu verließ die Gemächer des Prinzen Amenophis erst nach einer geraumen Zeit. Das Gespräch war sehr ernst gewesen und Tutu hatte keine guten Gefühle bei den Ideen und Plänen, die sich im Herzen des Prinzen befanden. Er hoffte inständig, bis zur Rückkehr von Thutmosis würde noch viel Zeit vergehen. Amenophis hatte sich auf sein Bett gelegt. Seine Beine schmerzten und er fühlte sich müde. Er war sich Tutus Erschütterung über sein Vorhaben bewusst, aber der Prinz war sich dennoch sicher, dass der Kammerherr wie immer zu ihm halten würde. In der Einsamkeit gab er sich seinen düsteren Gedanken hin. Thutmosis, der von seinem Vater so geliebte und bevorzugte Sohn, war auf dem Weg zu ihrem sterbenden Vater und hatte ihn nicht einmal über sein Vorhaben unterrichtet. Am liebsten wäre der Prinz sofort hinterhergereist, aber eine solch lange Fahrt war beschwerlich für ihn. Der Schiffsführer erwartete Anweisungen und spontane, klare Entscheidungen, die Amenophis nicht ohne Weiteres in der Lage war zu treffen. Solange Kija ihn nicht begleiten und sich um alles Wesentliche kümmern würde, war er dazu verdammt, in Men-nefer auszuharren und die Botschaf63

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ten abzuwarten, die aus Waset eintreffen würden. Amenophis befürchtete, dass der König bald sterben würde, und nun versagte ihm sein älterer Bruder, über den schon immer die Liebe und die Aufmerksamkeit ihres Vater verschwenderisch wie Wasser beim Waschen gegossen worden war, während er, Prinz Amenophis, sich mit Tropfen zufrieden geben musste, die an Thutmosis abperlten, auch noch die letzte Gelegenheit, einmal im Leben anerkennende Worte aus dem Mund des Vaters zu hören, den er, Amenophis, trotz allem so sehr liebte und verehrte. * Dem jungen Leibwächter war eine Kammer ganz in der Nähe der Unterkünfte des Kronprinzen zugewiesen worden. Dorthin hatte ihn Thutmosis bis zur Zeit des Abendmahls, zu welchem er das Privileg hatte, eingeladen zu sein, entlassen. Haremhab ließ sich auf sein Lager sinken und schloss die Augen. Er konnte kaum begreifen, dass er soeben dem lebenden Gott, dem Herrscher der Beiden Länder, vorgestellt worden war und nun Gast in dessen Palast war. Über diesen Gedanken fiel er erschöpft von der langen Fahrt und den Aufregungen des Tages in einen unruhigen Schlaf. Währenddessen hatte sich auch der König in die Dunkelheit seines Schlafgemachs zurückgezogen. Er lag ausgestreckt und erschöpft auf seinem Bett, als es an der Tür klopfte. Die Wache meldete seinen Sohn Thutmosis in Begleitung des Arztes Djedi. Ein Kopfnicken des Pharaos gewährte den beiden Einlass. „Vater“, begann Thutmosis, „ich halte es für nötig, dass dich der Arzt aus Men-nefer untersucht.“ Wortlos richtete sich Amenophis Neb-Maat-Ra auf. Er saß nun im Schein des einzigen Lichtstrahls, den das kleine Fenster unterhalb der Decke in den Raum warf. Sein Gesicht war faltig und erschöpft und wirkte spröde wie verwelktes Laub. „Was soll ich tun, Arzt?“, sagte der Herrscher tonlos. „Es reicht zunächst, Eure Majestät, wenn Ihr mir einmal selbst beschreibt, wie sich Euer Leiden äußert.“ Der König begann zu erklären, dass ihm sein Kiefer ernste Pro­ bleme bereite. Das Kauen, Essen, Schlucken und sogar das Sprechen würden ihm schwer fallen. Nach einer geraumen Zeit, in der der 64

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Arzt seinem Patienten zugehört und einige Stellen seines Körpers betastet hatte, verabschiedete sich der Arzt und zog sich zurück, um ein Heilmittel zu finden. Thutmosis begleitete ihn hinaus. „Ist er zu heilen?“, wollte er wissen. Djedi schaute besorgt. „Sicher kann ich ein Mittel zubereiten, das ihm Linderung verschaffen wird, aber ich kenne die Ursache seiner Krankheit nicht, was die Behandlung und somit seine Genesung erschwert.“ „Bedeutet es ...?“ „Noch nicht.“ Djedi schüttelte den Kopf. Kurze Zeit später ließ sich der Arzt mit dem Boot zum Ostufer der Stadt übersetzen, besorgte in den betriebsamen Straßen von Waset alle nötigen frischen Kräuter, Öl, Fett, Honig, Pflanzenfasern und Leinenstoff zum Auspolstern, kehrte zurück in den Palast und begann, ein Mittel herzustellen. Als es Abend geworden war, trat Djedi mit Thutmosis erneut ins Schlafgemach des Königs. Er erklärte seine Diagnose: „Einer mit vielen Wunden an beiden Seiten des Kiefers, die tief sind und die Zahnräume befallen haben. Rohes Fleisch ist allerorts zu erkennen, neser-Erreger haben sich darin gebildet und die rit-Flüssigkeit wird in großen Mengen abgesondert. Eine Krankheit, die ich behandeln werde.“ Nun bestrich er den Mundinnenraum mit einer Mischung aus Öl und Honig und polsterte die Wunden mit Leinenbällchen aus. „Dies wird Eure Schmerzen lindern, Majestät.“ Djedi wiederholte die Prozedur täglich und bereits nach wenigen Tagen hatte sich der Zustand des Königs deutlich verbessert. Doch während der Herrscher seine Kräfte von Tag zu Tag mehr zurückerlangte, schien Djedi trotz des augenscheinlichen Erfolges seiner Behandlung immer besorgter zu werden. Eines Tages sprach Haremhab Djedi auf sein Befinden an. Er sorgte sich um den alten Mann, der ihm vor vielen Jahren seine große Wunde am Brustkorb behandelt hatte. Jedes Mal, wenn er die feine Narbe sah, wurde er an Djedis Ärztekunst erinnert. „Djedi, ich kann nicht verstehen, dass Euch die zunehmende Genesung des Königs nicht in Jubel verfallen lässt. Erfreut Euch Euer Erfolg denn gar nicht?“ Djedis Augen bedachten den Fragenden mit einem traurigen Blick. 65

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„Junger Freund“, begann er müde, „wenn es doch nur eine Genesung wäre! Ich kann nur seine Fassade wiederherstellen und ich weiß nicht, wie lange. Den Grund seiner Erkrankung vermag ich nicht zu deuten. Ich habe die Bibliotheken des Tempels des Amun konsultiert, ich habe meine eigenen Aufzeichnungen befragt, doch ich fand nichts, was mit der Krankheit des Königs zu vergleichen wäre. Es kann kein Heilmittel gefunden werden, weil seine Krankheit noch nicht bekannt ist.“ „Aber es geht ihm doch besser ...“ „Ja, denn die Mittel, die ich ihm gebe, sind Mittel zur Stärkung. Sie verbessern seinen körperlichen Zustand, bekämpfen aber nicht die Ursache der Krankheit, verstehst du?“ Haremhab nickte unsicher. „Aus irgendeinem Grund will die Göttin Sachmet ihre Krankheitsdämonen einfach nicht aus dem Palast zurückrufen ... Ich werde Seiner Majestät vorschlagen, eine weitere Statue für Sachmet zu errichten“, fuhr Djedi fort. „Hat er nicht bereits eine errichtet?“, wollte Haremhab wissen. „Ich weiß es nicht“, sagte Djedi. „Thutmosis sagte mir, er habe bereits vor vielen Wochen eine Expedition zu den Steinbrüchen bei den ersten Stromschnellen südlich von Abu geschickt, um schwarzen Granit zu besorgen. Vielleicht ist er für eine oder mehrere Statuen bestimmt.“ Djedi zog sich in seine Kammer zurück und schloss die Tür sorgfältig zu. Auf seinem niedrigen Tisch stand ein kleiner Holzschrein, dem er sich nun ehrfürchtig näherte. Er kniete nieder und entzündete ein Räuchergefäß. Behutsam ließ er einige Tropfen Weihrauch in die Flamme gleiten. Schnell füllte sich der Raum mit wohlriechenden Duftschwaden. Schwer lagen sie im Zimmer und selbst der starke einzelne Lichtstrahl, der durch ein Fenster in der Decke in den Raum fiel, konnte sie nicht zerteilen. „Heil dir, Sachmet“, sprach er, als er den Schrein öffnete. Langsam offenbarten die Türen, was im Innern des Schreins verborgen war. Ehrfurcht gebietend richtete die Statuette einer Löwin mit dem Körper einer stehenden Frau ihren Blick auf den Arzt, der sich sogleich vor ihr auf den Bauch legte. „Heil dir Sachmet“, wiederholte der Arzt. „Ohne deine Hilfe ist das Leben des Königs verloren. Ich flehe dich an, Herrin, rufe deine Dämonen zurück, ich kann sie nicht bekämpfen.“ 66

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Djedi wusste nicht, wie lange er auf dem Boden gelegen und flehende Gebete zu Sachmet gesprochen hatte, er wusste nicht, ob sie seine Worte erhört hatte. Er erinnerte sich nur, dass er sich irgendwann mühsam erhoben hatte, um den Schrein zu schließen, und während sich die Türen vor dem Antlitz der Göttin schlossen, sah er ihre Augen voll unversöhnlichem Zorn aufblitzen und er erschauderte. Voller Kummer und ohne Hoffnung schloss er den Schrein. * Das Knurren, Fauchen und Brüllen des hungrigen Löwen betäubte die Ohren der Männer und Frauen, die der Fütterung in sicherem Abstand beiwohnten. Das Tier zerrte unruhig und wild an dem starken Tau, mit dem es an einen Mast gebunden war. Die große Raubkatze befand sich inmitten des Tierparks des Palastes, in dem der Pharao Vögel und Pflanzen aus fremden Ländern hielt. Als Sinnbild der königlichen Kraft wohnte hier auch das Lieblingstier des Herrschers: Maj, der Löwe. Seitdem die Raubkatze das blutige Stück Fleisch in der Hand des Königs entdeckt hatte, waren die exotischen Vögel in ihren Volieren verstummt. Es war das erste Mal seit Monaten, dass der Pharao den Löwen wieder persönlich fütterte und viele am Hofe wollten sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen, denn lange hatte sich der dritte Amenophis zu schwach für diese Aufgabe gefühlt. Nun freuten sich die Menschen des Hofstaates über die offensichtliche Genesung ihres Königs. Alle sahen in dieser Fütterung nicht nur das Sättigen eines Tieres, sondern ein Zeichen der Hoffnung und jeder wollte daran Teil haben. Auch Haremhab durfte anwesend sein. Er stand neben Thutmosis und dem engsten Vertrauten und Namensvetter des Königs, Amenophis, Sohn des Hapu. Die Luft war erfüllt vom blutigen Geruch des Fleisches, der die Fliegen in Scharen anzog. Das mächtige Tier konnte den Augenblick nicht erwarten, in dem es seine Zähne in die schwere Beute schlagen konnte. „Zieht nicht seinen Zorn auf Euch, Majestät“, riet Amenophis. „Werft es ihm schnell hin. Die Gärtner sagten mir, er habe seit Tagen nichts zu fressen bekommen. Ich fürchte, dass er sich losreißt.“ 67

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„Du hast Recht“, stimmte der König zu. „Erlösen wir ihn von seiner unbefriedigten Gier!“ Endlich war der König Maj so nahe, dass ihm der Löwe das Fleisch aus der Hand reißen konnte, welches er sofort gierig verschlang. Ein Raunen wogte durch die Menge der Anwesenden, gefolgt von begeistertem Beifall für den Mut des Königs. * Im Haus des Kronprinzen in Men-nefer war der zweitälteste Königssohn, Amenophis, außer sich vor Sorge und Wut. Seit Wochen war sein Bruder in Waset und hatte ihm seitdem keine Botschaft übermittelt. Er wusste weder, wie es seinem Vater erging, noch ob dieser überhaupt noch am Leben war. Erfüllt von unbändiger Wut stand er im Empfangssaal des Hauses und hielt einen Krug Wein in der Hand. „Geliebte Schwägerin“, setzte er mit künstlicher Freundlichkeit an. „Es übersteigt schon den Begriff Unverschämtheit, was sich dein Gemahl mir gegenüber herausnimmt. Wie einen Dienstboten lässt er mich hier unwissend zurück.“ Ihre Reaktion abwartend, nahm er langsam einen Schluck Wein. „Auch ich bin in Sorge, Amenophis“, versuchte Kija den Zornigen zu beruhigen. „Es ist aber nicht dein Vater!“ Mit diesen Worten schleuderte Amenophis seinen Weinkrug durch den Raum, der an der gegenüberliegenden Wand zerschmetterte und dessen Inhalt wie Blut an ihr herabrann. Kija empfand plötzlich Angst vor Amenophis. Dieser stürzte auf sie zu, hielt ihre Handgelenke fest und öffnete seinen Mund, als wolle er sie anschreien. Doch er hielt inne, sah Kija nur an und flüsterte mit tränennassen Augen „Sag mir Kija, warum hat er das getan?“ Kijas Angst wich dem Gefühl des Mitleids, aber dennoch wollte sie ihren Schwager nicht anlügen. „Nach deinen Worten, die du am Abend vor Thutmosis’ Abreise an deinen Bruder gerichtet hast, ist seine Entscheidung wohl durchaus nachvollziehbar.“ Mit einer verächtlichen Geste ließ Amenophis Kijas Handgelenke los. „Du verstehst nichts“, zischte er bitter. „Du verstehst gar nichts.“ Wortlos durchquerte Amenophis den Raum. Wie ein oberägyp68

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tischer Panther schlich er ruhelos von einer Ecke zur anderen. Er dachte nach. „Gib Thutmosis noch Zeit“, sagte Kija versöhnlich, „ich bin sicher, er wird uns eine Nachricht senden, denn bedenke, Amenophis, er ist dein Bruder.“ Schweigend nickte er.

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Kapitel 6 Begegnungen Nach der Fütterung des Löwen lustwandelte Thutmosis mit dem betagten Amenophis, Sohn des Hapu, durch die weitläufigen Gartenanlagen des Palastes. Haremhab folgte ihnen in gebührendem Abstand. Der alte Mann kannte den Thronfolger sehr gut, denn er war einst für die Erziehung der Söhne von Neb-MaatRa zuständig gewesen. Sie unterhielten sich über die Jahre, die seit Thutmosis’ Kindheit vergangenen waren, über gemeinsame Bekannte und – über Prinz Amenophis. „Er ist schwieriger geworden“, gestand Thutmosis. „Das dachte ich mir. Er war bereits von Dämonen des Geistes gequält, als er noch in Waset weilte.“ „Das ist es nicht allein“, erklärte Thutmosis. „Eifersucht plagt sein Gemüt.“ „Eifersucht? Worauf?“ „Auf mich, edler Amenophis. Er wirft mir vor, die Aufmerksamkeit unseres Vaters alleine auf mich gezogen zu haben.“ „Nun, Ihr seid der Kronprinz, der Mann, der einmal die schwierige Aufgabe desjenigen übernehmen wird, der Ägypten sicher durch den Strom der Zeit führen soll.“ In Gedanken versunken, spazierten die beiden Männer eine Weile schweigend weiter. „Wie gehen deine Arbeiten voran, Amenophis, Sohn des Hapu?“, brach Thutmosis schließlich die Stille. „Ich kann nicht klagen, Prinz. Das Königsgrab ist fast fertig und auch der Tempel der Millionen Jahre steht kurz vor dem baulichen Abschluss. Es ist die größte Anlage, die sich ein König jemals erbauen ließ, sogar noch größer als das Heiligtum des Amun von Ipet-sut auf dem gegenüberliegenden Nilufer im derzeitigen Baustadium.“ „Ein besonderer Tempel für einen außergewöhnlichen König“, betonte Thutmosis. „In der Tat.“ „Amenophis, erlaubt es deine Zeit, mir die Arbeiten am Tempel zu zeigen?“, wollte Thutmosis wissen. 70

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„Es wäre mir eine Ehre, Prinz.“ Thutmosis blieb stehen, drehte sich zu Haremhab um und bedeutete ihm, ihnen zu folgen. „Du wirst etwas Einmaliges sehen“, rief er ihm zu, „die Arbeit eines Genies!“ Amenophis lächelte geschmeichelt. * Haremhab war überwältigt. Niemals zuvor hatte er zwei derart gewaltige Statuen gesehen. Zwei über fünfzig Ellen hohe Sitzfiguren des Amenophis Neb-Maat-Ra flankierten den Eingang zu dem Tempel, in dem dieser nach seinem Tod verehrt werden sollte. Die Steinmetze saßen auf hohen Gerüsten an nahezu jeder  Wand  des Tempels und waren damit beschäftigt, vorgezeichnete Hieroglyphen und Bilder in die Wände zu meißeln. Andere Künstler versahen die bereits fertig herausgeschlagenen Darstellungen mit kräftig leuchtenden Farben. Die fertigen Bereiche zeigten Darstellungen von unvorstellbarer Schönheit und Vollendung. Überall war der König zu sehen. Er opferte Göttern, führte Kriege auf Streitwagen und räucherte der Barke des Gottes Amun. Das Heiligtum lag an einer prachtvollen Allee, die von beiden Seiten von liegenden Figuren des schakalgestaltigen Gottes Anubis, dem Beschützer der Toten, flankiert wurde. Zwischen den Tierfiguren waren sattgrüne Sykomoren gepflanzt worden, die angenehmen Schatten spendeten. Thutmosis schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Welche Pracht!“, rief er aus. „Das ist der herrlichste Tempel, der je am Westufer von Waset errichtet worden ist! Ich bin überwältigt von seiner Schönheit.“ „Es ist nicht allein meine Arbeit, Herr, ich benutzte der Tradition entsprechend die Pläne schon vorhandener Anlagen, und hier arbeiten die fähigsten Handwerker des Landes“, antwortete der Baumeister bescheiden, aber es war ihm anzusehen, wie sehr er das Lob genoss. „Aber diese Größe“, staunte der Prinz. „Niemals wurde in dieser Größe gebaut. Wenn ich einst den regierenden Horus abgelöst haben werde, die Götter mögen veranlassen, dass es dazu noch 71

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lange nicht kommt, möchte ich, dass du mir ein ähnliches Bauwerk errichtest!“ „Ich fürchte, Herr“, Amenophis sah zu Boden, „dass mir eine derartig lange Lebenszeit, nicht gewährt werden wird.“ Thutmosis legte eine Hand auf die Schulter seines Erziehers. „Glaub mir, Amenophis, Anubis wird sich noch sehr viel Zeit nehmen, bevor er dich mit sich nimmt.“ Die Sonne stand schon tief nahe dem Wüstengebirge und tauchte die Umgebung um Haremhab in gleißendes, goldenes Licht. Die Schatten wurden länger und die Luft herrlich mild. Thutmosis und Haremhab dankten dem Baumeister für die Erlaubnis, den Tempel sehen zu dürfen und gingen zu Fuß den Weg zurück zum Palast. Sie kamen an den Stallungen des Königs vorbei und plötzlich blieb Thutmosis stehen. „Eje!“, rief er abrupt. „Ich möchte sehen, ob wir meinen Onkel Eje bei der Arbeit antreffen. Er ist der Vorsteher der königlichen Pferde und der Streitwagentruppe. So viele Jahre habe ich ihn nicht mehr gesehen.“ Verschwörerisch trat Thutmosis nahe zu Haremhab und flüsterte ihm ins Ohr: „Vielleicht interessiert meinen unverheirateten Freund, dass Eje zwei wunderschöne Töchter in seinem Alter hat.“ Haremhab warf ihm einen scheelen Blick zu. Als die beiden jungen Männer das monumentale, weiß getünchte Eingangsportal der Stallungen passierten, wurden sie ehrfurchtsvoll von den beiden Wachen gegrüßt. Sie betraten eine labyrinthartige Anlage, die mit langen Gebäudereihen versehen war, in denen die edelsten Pferde des Reiches an mächtigen Steinen angebunden standen. Die Luft war angefüllt mit dem angenehmen Geruch der Tiere, vermischt mit dem milden Aroma des Strohs. Zielstrebig bahnte sich Thutmosis seinen Weg durch die Stallungen, um zu Ejes Dienstgebäude zu gelangen. Die aufgebrachte Stimme eines Mannes war bereits von weitem zu vernehmen. „... und doch hast du wieder feuchtes Gras gefüttert, obwohl ich dir bereits gesagt habe, dass das Lieblingspferd Seiner Majestät, er lebe, sei heil und gesund, einen empfindlichen Magen hat!“ Eje war aufgebracht und führte seine scharfe Rede gegen einen eingeschüchtert wirkenden jungen Mann, der ein Pferd am Zügel hielt, dessen Leibeshöhle unnatürlich aufgebläht wirkte. 72

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„Schau es dir an!“, schimpfte der Vorsteher der Stallungen, „dieses Pferd leidet, es hat Schmerzen! Bring es zurück und gib ihm drei Tage lang ausschließlich Gerste!“ Eje trat zornig aus dem dunklen Stall heraus. Haremhab schätzte ihn auf etwa 40 Jahre. Seine hagere Brust war von einem kostbaren Halskragen bedeckt, sein dünnes Leinengewand warf beim Gehen zarte Falten. Als er die Gestalt seines Neffen wahrnahm, bekamen seine harten Züge etwas Versöhnliches. Er blieb stehen und die beiden Männer umarmten sich herzlich. „Bei Amun! Thutmosis! Dich habe ich eine Ewigkeit nicht gesehen!“, rief er erfreut. „Aus dir ist wahrhaft ein Mann geworden, ein würdiger Nachfolger für unseren großen Pharao!“ Nachdem sie ihr unerwartetes Wiedersehen genossen hatten, stellte Thutmosis seinen Begleiter vor. „Dieser junge Mann ist mein Leibwächter Haremhab!“, sagte der Prinz. „Aber eigentlich ist er mehr ein sehr guter Freund, der mich begleitet und mein Leben schützt.“ „Seid gegrüßt, ehrwürdiger Eje.“ „Seid auch Ihr gegrüßt, junger Haremhab“, sagte der Vorsteher der königlichen Streitwagentruppe und der Angesprochene lächelte. Die beiden Männer waren sich sofort sympathisch. „Ein Stall ist nicht der geeignete Ort für eine Unterhaltung – selbst wenn es der königliche ist“, sagte Eje mit einem Augenzwinkern zu Thutmosis. „Ich möchte dich und Haremhab einladen, mir heute Abend in meinem Haus die Ehre zu erweisen, mit mir und meiner Familie zu speisen, wenn es eure Zeit erlaubt.“ Thutmosis und Haremhab wechselten einen schnellen Blick. „Wir nehmen deine Einladung sehr gerne an“, antwortete der Thronfolger. * In Men-nefer neigte sich ein heißer Tag seinem Ende zu, Amenophis saß unter einem leinenen Sonnendach und trank Wein aus einem Alabasterkelch, als Kija zu ihm trat und ihm eine Schriftrolle überreichte. „Diese Depesche wurde soeben von einem Boten überbracht, sie trägt das königliche Siegel.“ Amenophis schluckte schwer. Er schloss die Augen und ver73

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barg sie hinter seiner Hand. Die Schriftrolle ließ er zu Boden fallen. „Ich will es nicht lesen“, sagte er weinerlich. „Ich weiß auch so, dass mein Vater tot ist. Ich fühle es. Der göttliche Falke hat Ägypten verlassen und ist zu den Göttern emporgestiegen. Ich will es nicht lesen.“ „Der Bote hat nichts dergleichen erwähnt“, beruhigte ihn Kija „Der Bote weiß es nicht“, nölte Amenophis. „Aber ich weiß es, denn ich bin sein Sohn!“ Kija bückte sich und hob die Rolle auf. Ohne auf ihren Schwager zu achten, brach sie das Siegel mit der Königskartusche und rollte das Papyrusblatt auf. Hastig überflog sie die Zeilen. „Soll ich ihn dir vorlesen, Amenophis?“ Der Angesprochene schüttelte den hängenden Kopf. „Der Inhalt wird dich beruhigen, er ist von deinem Vater persönlich verfasst.“ Amenophis richtete sich auf. „Ein letzter Brief an mich?“ „Hör zu: ‚Jahr 34, dritter Monat der Sommerjahreszeit, Tag 10 unter der Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Amenophis, er lebe, sei heil und gesund. Dieser spricht zu seinem Sohn, dem Prinzen Amenophis: Mein Sohn, ich möchte dich wissen lassen, dass Sachmet mir gnädig war, meine Gesundheit verbessert und mein Leben verlängert hat. Mir geht es wieder ausgesprochen gut. Das bevorstehende Opet-Fest wird zu meiner weiteren Genesung beitragen. Meine Majestät wünscht, dass du, mein Sohn, an diesem Fest teilnehmen wirst und zu mir an den Palast, an den Ort deiner Geburt reist, um dieses Fest mit deiner Familie zu begehen. Zögere nicht mit deiner Abreise, denn wenn du diese Zeilen lesen wirst, wird das Opet-Fest nur noch drei Wochen entfernt sein. In großer Freude auf dich, mein Sohn, und Kija erwartet dich  dein Vater, der König von Ober- und Unterägypten, Amenophis. Geschrieben und gesiegelt in dessen persönlichen Gegenwart.‘“ Amenophis stand auf und nahm das Schriftstück an sich. Mit eigenen Augen wollte er lesen, was dort geschrieben stand. Nachdem er festgestellt hatte, dass sich der Text des Briefes mit dem 74

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von Kija Vorgetragenem deckte, rollte er es zusammen und presste es an sein Herz. Er schloss die Augen und holte erleichtert Luft. „Mein Vater lebt!“ Danach gab er der Dienerschaft mit neuem Elan umgehend Anweisungen, das Reisegepäck zusammenzustellen und sich zur Abreise am nächsten Morgen bereit zu machen. „Wir werden zur Residenz reisen“, flüsterte er freudig. * Die Sterne schimmerten über Waset als Thutmosis und Haremhab das Haus von Eje erreichten. Die Luft war erfüllt vom Duft Tausender Blüten und der Musik, die Hunderte von Grillen in die Stille der Nacht hineinzirpten. Ejes Anwesen lag inmitten eines malerischen Gartens. Ein Diener führte die beiden über den von Fackeln beschienenen Weg des Grundstücks. Das unermüdliche Quaken unzähliger Frösche verriet Haremhab, dass sich irgendwo in der Dunkelheit ein großer Teich befand. „Sein Haus ist ja größer als deines in Men-nefer“, flüsterte Haremhab mit gespielter Entrüstung, Thutmosis grinste nur. Am Eingang des Haupthauses stand Eje schon in der Tür und wartete auf seine Gäste. Zur Überraschung aller Anwesenden ging der Gastgeber nicht zuerst auf seinen Neffen, sondern direkt auf Haremhab zu und umarmte ihn wie einen langjährigen Freund, obwohl sie sich an diesem Tag erst zum zweiten Mal in ihrem Leben begegneten. Danach begrüßte er auch seinen Neffen herzlich und bat sie, in sein Haus einzutreten. Der Weg führte sie von einer prunkvollen Eingangshalle mit prächtigen Malereien an den Wänden und von farbenfroh dekorierten Säulen gestützt in eine große Empfangshalle, in der mehrere Tische aufgestellt worden waren, die allerlei köstliche Dinge trugen. Es roch nach gebratenen Enten und gegrilltem Fleisch. Kleine Lampen erhellten den Raum und der Wind spielte in den Vorhängen aus feinem Stoff. Diener waren eilig damit beschäftigt, noch weitere Speisen auf die Tische zu stellen. Etwas abseits, im Halbdunkel des Raumes, standen drei Frauen, die den Bediensteten Anweisungen gaben und die Ankunft der Gäste offensichtlich nicht bemerkt hatten. Eje klatschte in die Hände, dass es an den Wänden widerhallte. 75

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„Tij, Nofretete, Mut-nedjemet, unsere Gäste sind eingetroffen! Kommt, sie zu begrüßen!“ Die Angesprochenen sahen zu Eje und kamen direkt auf die Gruppe zu. Haremhab erkannte eine ältere Frau, die offensichtlich die Ehefrau Ejes war und zwei sehr junge, liebreizende Geschöpfe, eine davon in seinem Alter, die andere nur wenige Jahre jünger. Diese schienen die Töchter des Gastgebers zu sein. Mit jedem Schritt, den die Frauen näher auf Haremhab zukamen, war die Schönheit, besonders der beiden Jüngeren, immer deutlicher zu erkennen. Haremhab blinzelte nervös und verkrampfte sich ungewollt. Thutmosis knuffte ihn, für die anderen nicht sichtbar, in die Seite. Als Haremhab ihn ansah, zwinkerte er ihm zu. Haremhab übersah diese Geste und wandte sich den näherkommenden Damen zu. „Das ist meine nebet-per, die Herrin des Hauses, meine Frau Tij“, stellte Eje die ältere der drei vor, als sie sie endlich erreicht hatten. Haremhab verbeugte sich leicht. „Und das sind meine Töchter“, fuhr der Gastgeber fort, „Nofretete und das Nesthäkchen Mut-nedjemet.“ Während sich Haremhab erneut verbeugte, ließ er seinen Blick unauffällig an den schlanken Gestalten der jungen Frauen herabwandern. Die beiden geheimnisvollen Augenpaare wurden durch elegante Schminkstriche geziert, die edlen Körper waren in einen durchschimmernden, kostbaren, plissierten Leinenstoff gehüllt, durch den sich deutlich die ausgesprochen femininen Formen abzeichneten, ohne jedoch zu viel zu verraten, und sie waren von einem geheimnisvollen Duft umgeben. Als seine Augen an den feinen Fußfesseln Nofretetes haften blieben, hörte er Thutmosis sagen: „Aus den beiden frechen Mädchen sind anmutige Damen geworden.“ Haremhab richtete sich auf und sah in die leicht erröteten Gesichter der verlegen kichernden jungen Frauen. Der einzige Makel, den Haremhab an der älteren Tochter feststellen konnte, war ihr auffallend stark ausladender Hinterkopf, den sie unter einer raffinierten Frisur zu kaschieren suchte. Die Hausherrin Tij war eine zierliche und feine Dame mit langen, duftenden Haaren. Sie war Ejes zweite Frau, wie Thutmosis auf dem Weg erläutert hatte. Nachdem seine erste Frau bei der Geburt der Nofretete gestorben war, war es Tij, die sie als Amme aufgezogen und ihrem Mann seine weiteren drei Kinder geboren hatte. 76

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Eje hatte noch zwei Söhne, die jedoch nur kurz zu den Gästen stießen: Nacht-Min, ein blasierter und arroganter junger Mann, etwa so alt wie Haremhab, diesem aber von der ersten Begegnung an höchst unsympathisch, und Nai, der fast noch ein Kind war. Nais Erscheinung war von einer schweren Krankheit geprägt, die ihn dazu zwang, unkontrollierte Bewegungen auszuführen, unartikulierte Laute auszustoßen und sich auf den Boden zu werfen. „Es ist etwas in seinem Kopf“, erklärte Eje. „Die Ärzte wollen seinen Schädel öffnen, um die Dämonen herauszulassen. Aber ich traue ihnen nicht – zu oft endet eine solche Operation mit dem Tod!“ Thutmosis’ Angebot, Djedi, den ausgewiesenen Spezialisten auf diesem Gebiet, der soeben in Waset weilte, einen Blick auf den kranken Jungen werfen zu lassen, lehnte Eje dankend, aber bestimmt ab. Nai kam nur kurz heraus, um die Gäste seines Vaters zu begrüßen, fühlte sich aber nicht wohl und verbrachte den Abend in den privaten Gemächern des Hauses. Nacht-Min war mit einem Mädchen verabredet und aß ebenfalls nicht mit ihnen – was Haremhab keinesfalls bedauerte. Nachdem man allerlei Freundlichkeiten ausgetauscht hatte, bat Eje zu Tisch. Ihm war nicht entgangen, welchen Eindruck seine Töchter auf den jungen, unverheirateten Gast gemacht hatten. Irgendwann am Abend schnitt er bewusst dieses Thema an. „Die Herkunft eines Menschen zählt bei einem König wie unserem, er möge leben, heil und gesund sein, gar nichts. Nur die Leistung eines Menschen ist wichtig.“ Dabei sah er Haremhab eindringlich an. „Schau dich hier um, Haremhab, betrachte den Luxus, in dem ich lebe. Sieh meine wertvolle Kleidung, meinen unbezahlbaren Schmuck, meine zahlreiche Dienerschaft, mein großes Anwesen. Was glaubst du, wie ich das alles finanziere?“ „Nun, Ihr seid der Vorsteher der königlichen Pferde, ein Günstling des Königs und noch dazu mit ihm verwandt ...“ „Nein, Haremhab“, unterbrach ihn Eje, „es ist zwar alles richtig, was du sagst, aber wie wurde ich zu dem, der ich bin?“ „Ihr scheint aus einer reichen und vornehmen Familie zu stammen, einer altehrwürdigen Adelsfamilie, die seit Generationen dem Königshaus dient.“ 77

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Eje schüttelte den Kopf. „Meine Familie war nicht seit Genera­ tionen so reich und angesehen, wie du es vermutest, junger Freund“, gestand Eje. „Teje, meine Schwester, hatte das Glück, durch ihre Schönheit und Klugheit das Interesse des Königs zu wecken. Und Amenophis war es vollkommen egal, woher sie stammte.“ Eje nahm genüsslich einen Schluck Wein aus seinem Becher und ließ sich absichtlich sehr viel Zeit dabei. Er wollte, dass sich seine Worte wie Samenkörner auf einem Acker im Kopf von Haremhab niederlassen und keimen konnten. „Wir entstammen ursprünglich keiner adeligen Familie, mein lieber Haremhab, ebenso wenig wie du. Meine Vorfahren kommen aus der Provinz, aus der Stadt Ipu, wo mein Vater Juja Priester im Tempel des Min und der Oberste Verwalter der Viehbestände war. Besäße ich jedoch weder Talent noch Ehrgeiz, hätte Amenophis mich nicht emporkommen lassen. Er war ja lediglich an meiner Schwester interessiert! Aber ich konnte seit meiner frühesten Jugend gut mit Pferden umgehen. Besser als jeder andere. Zu mir haben diese Tiere gesprochen und sie tun es noch. Das trug meine Schwester Teje ihrem Gemahl, unserem König, er möge leben, heil und gesund sein, zu, und Amenophis interessierte sich sehr für meine Fähigkeiten. Für ihn zählt die berufliche Neigung und das Können eines Mannes tausendmal mehr als dessen Herkunft.“ Eje sah dem jungen Mann direkt in die Augen. „Du kannst alles erreichen, wenn du Fähigkeiten besitzt. Und deine Gabe, Haremhab, scheint der Mut und der rechte Sinn für die Maat zu sein, wie man hört.“ An Thutmosis gewandt, sprach Eje nun vergleichsweise streng. „Haremhab wird als Leibwächter vertrocknen wie eine Pflanze in der Wüste, Sohn meiner Schwester. Seine kämpferischen Fähigkeiten haben sich herumgesprochen. In der Armee wird er Großes erreichen und er wird deinen Ruhm, wenn du einst König sein wirst, als General deutlicher mehren können, als als unbedeutender Leibwächter, dessen wahre Talente immer verborgen bleiben werden. Jemand muss mit dem König über Haremhabs Eignungen sprechen. Willst du es tun oder soll ich zu deinem Vater gehen, Thutmosis?“ Der Prinz überlegte einige Augenblicke und sagte dann: „Lass uns gemeinsam für Haremhab bei meinem Vater vorsprechen.“ 78

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Eje und Thutmosis hatten das Thema gewechselt und sprachen nun über die Aufgaben des Thronfolgers in Men-nefer. Haremhab schwieg und musste das, was sein Gastgeber gesagt hatte, erst einmal verarbeiten. Ein Satz jedoch hallte in seinem Kopf wider und brachte sein Herz dazu, schneller zu schlagen, jedes Mal, wenn er ihn sich in Erinnerung rief: Du kannst alles erreichen! Die Worte arbeiteten in ihm, denn er spürte, dass sie die reine Wahrheit beinhalteten. Was sollte dagegen sprechen, dass er eine großartige Karriere vor sich hatte und vielleicht eines Tages als Thutmosis’ General feindliche Länder für ihn bezwingen würde? Er konnte lesen und schreiben, er hatte Mut, er konnte kämpfen – er hatte Fähigkeiten! Eje beobachtete alle Reaktionen von Haremhab im Detail, und er konnte sehen, dass sich in den Augen des jungen Mannes etwas verändert hatte. Das Samenkorn auf dem Acker Haremhabs war auf fruchtbaren Boden gefallen … * Es war schon später Nachmittag, als das Schiff aus Men-nefer mit Prinz Amenophis und seiner Schwägerin Kija nach einer erschöpfenden Reise im Hafenbecken des Palastes von Waset anlegte. Amenophis freute sich sehr, seine Heimatstadt wiederzusehen: den Palast, in dem er groß geworden war und die majestätischen Erhebungen des Westgebirges, hinter denen seine Vorfahren bestattet lagen. Sein Blick verfinsterte sich allerdings, als er auf die andere Seite des Nils sah. Das goldene Licht der untergehenden Sonne wurde dort von den mit djam beschlagenen Obeliskenspitzen der alten, dem Amun-Ra geweihten Tempelstadt von Ipet-sut reflektiert. Die Priester dieses Tempels sind eine besonders hinterlistige Gemeinschaft, dachte er. Es geht ihnen nicht um den Dienst an ihrem Gott, sondern um die Mehrung ihrer eigenen Macht. Vorsicht war geboten, denn ihr Einfluss wuchs stetig. Die Vorgänger seines Vaters hatten ihre großen militärischen Siege auf das Eingreifen des Amun-Ra zurückgeführt und sich im 79

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Gegenzug durch großzügige Schenkungen an den Tempel kenntlich gezeigt. Innerhalb weniger Jahrzehnte hatte das Vermögen der Priester an Ackerland, Edelmetallen, Vieh und Sklaven rapide zugenommen. Die Gefahr, die von diesen Männern ausging, zielte direkt auf das Königtum. Diese Tatsache war allgemein bekannt, doch kein Pharao wagte, etwas dagegen zu unternehmen. Diener eilten herbei, um dem zweitältesten Sohn des Königs und seiner Schwägerin aus dem Schiff zu helfen, ihr Gepäck aufzunehmen und sie zum König zu geleiten, der sie mit seiner Großen Königlichen Gemahlin im Empfangssaal bereits erwartete. Freudig eilte Prinz Amenophis durch die geöffnete Flügeltür, als er plötzlich in der Bewegung innehielt und sein Lächeln gefror: Thutmosis war auch dort. Gönnte er dem Bruder nicht einmal die intime Begrüßung mit seinem Vater? Der König stand auf und öffnete die Arme. „Mein Sohn“, sagte er herzlich, „ich freue mich, dass du meinem Ruf Folge geleistet und deinen Weg zurück nach Waset gefunden hast!“ Sie umarmten sich, aber der Prinz spürte nicht die väterliche Wärme und Liebe, nach der ihm so verlangte. Schließlich räusperte er sich und sagte förmlich: „Ich freue mich, Euch wieder in so guter Verfassung anzutreffen, Vater.“ Beide lösten sich aus der Umarmung. Dann ging er auf seine Mutter zu, die ihre Freude würdevoll zu verbergen wusste. Seinen Bruder bedachte er mit einem knappen Kopfnicken. * Das Gespräch zwischen Eje, Thutmosis und dem König verlief sehr zugunsten des abwesenden Haremhab. Der alte Amenophis hörte sich aufmerksam und interessiert an, was sein Schwager und sein Sohn über den jungen Leibwächter des Thronfolgers berichteten, der ein Musterschüler des kap gewesen war, wie der König von seinen Quellen in Men-nefer erfahren hatte. Deshalb stimmte er zu, dass der Mann eine Gelegenheit verdiente, sich militärisch zu beweisen. Pharao Amenophis sprach über die Gefahr, die an der nord-westlichen Grenze Ägyptens immer wieder von nomadisierenden Stämmen der Tjehenu ausging und vor denen Kundschafter schon seit langer Zeit warnten. Es hatte in 80

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der jüngsten Vergangenheit verheerende Hungerkatastrophen in ihrem Land gegeben und alles schien darauf hinzudeuten, dass der Augenblick des Übergriffs auf ägyptischen Boden unmittelbar bevorstand. Der Pharao riet seinem Sohn Thutmosis, dem Vorsteher der Truppen, zu einem schnellen militärischen Eingreifen von Mennefer aus, das er persönlich leiten und in dem Haremhab eine wichtige Funktion innehaben sollte, und zwar direkt nach dem Opet-Fest. „Wenn er unter der Bürde der Verantwortung zusammenbricht, haben wir uns in ihm getäuscht“, sagte der König. „Aber das denke ich nicht.“

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Kapitel 7 Das Opet-Fest Nur wenige Tage nach der Ankunft von Prinz Amenophis und Kija in Waset waren die Vorbereitungen zum Opet-Fest abgeschlossen: Gott Amun konnte in Gestalt seiner Figur aus purem Gold, verborgen in einem prachtvollen Schrein, der von Priestern getragen wurde, die festliche Prozession von seiner Residenz Ipet-sut zu dem kleineren Heiligtum Ipet-resit antreten. Dieses war von König Amenophis selbst erbaut worden, indem er die spärlichen Baureste einer vergangenen, 700 Jahre früheren Epoche, durch prunkvolle Architekturen ersetzt hatte. Die Reise führte entlang einer gepflasterten Prozessionsstraße, die an beiden Seiten von widderköpfigen Löwenfiguren, einem der heiligen Tiere des Amun, begrenzt wurde, vorbei an verschiedenen Stationsheiligtümern, in denen der König dem Gott opferte und räucherte und an denen sich die Priester für kurze Zeit ausruhen konnten. Entlang des Weges hatten die Feierlichkeiten bereits vor einigen Tagen begonnen. Es gab zahlreiche Verkaufs- und Erfrischungsstände und natürlich Musikanten und Gaukler. Die engen Gassen waren erfüllt von wohlriechenden Düften, von dem Lachen der Kinder und vom Stimmengewirr der durcheinander redenden und jubelnden Menschen, die aus allen Gebieten Ägyptens angereist waren, um an dem feierlichen Umzug teilzuhaben. Während die königliche Familie bereits im Tempel von Ipetresit auf das Erscheinen von Amun und dem König, der ihn begleitete, wartete, hatte sich Haremhab einen Platz an der Prozessionsstraße erkämpft. Kronprinz Thutmosis war im Inneren des Tempels bestens geschützt und bedurfte seiner Dienste nicht. „Genieß die Prozession und den Trubel“, hatte er seinem Leibwächter gesagt, als sie sich trennten. Die Menschen standen dicht gedrängt, niemand scheute sich, durch Drängeln und Schubsen seinen Platz zu verteidigen, jeder wollte einen Blick auf den sonst streng verborgen gehaltenen Schrein des Gottes erhaschen und die erhabene Würde des Königs erleben.

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Als sich das Gerücht verbreitete, die Barke des Gottes und Pharao Amenophis seien schon in Sichtweite, begann sich ein stark alkoholisierter, aber dennoch am eigentlichen Schauspiel Interessierter einen besseren Platz unter den Wartenden zu erkämpfen. Einen Bierkrug in der Rechten, schaufelte er sich rücksichtslos mit der Linken durch das Publikum. Eine junge Frau, die Haremhab vorher nicht aufgefallen war, wurde von der ungebremsten Wucht des rücksichtslos schubsenden Arms nach vorne geschleudert. Ein schmerzhafter, heftiger Sturz auf den Boden wäre ihr sicher gewesen, hätte Haremhab nicht gerade noch rechtzeitig seine Hände um ihre schmalen Hüften geschlungen, um sie aufzufangen. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass es der Frau gut ging und sie nun sicher stand, bahnte er sich seinen Weg hinter dem Betrunkenen her. Dieser war gerade im Begriff, seine gefährliche linke Hand in die Richtung eines Kindes auszufahren, als Haremhab ihn am Nacken packte. „Ich glaube, das reicht für heute!“, zischte Haremhab dem Rüpel ins Ohr. Wie einem kleinen Kind griff er dem Mann unter die Achseln und bugsierte ihn aus der Menschenmenge heraus. Der Angetrunkene protestierte lautstark und beharrte auf seinem Recht, die Prozession ungestört sehen zu dürfen. „Das hättest du gehabt“, raunzte Haremhab, „wenn du nicht selbst gestört hättest!“ Ohne Worte, aber mit einem abfälligen Gesichtsausdruck übergab er den Trunkenbold einem Soldaten der Sicherheitstruppe des Tempels von Ipet-resit, der Haremhab böse lächelnd ansah und nur auf seinen Stock deutete. Seinen guten Platz in der Reihe der Zuschauer hatte Haremhab nun verloren. Gerade wollte er sich ans Ende der Menge stellen, da fiel ihm ein graziler Frauenarm auf, der ihm von der Stelle, an der er zuvor gestanden hatte, zuwinkte und er erkannte, dass dieser zu der Frau gehörte, die er vor dem Sturz bewahrt hatte. Nun hörte er auch schwach im allgemeinen lautstarken Stimmengewirr ihre Worte heraus: „Kommt doch, ich habe Euren Platz für Euch freigehalten!“ Haremhab schmunzelte, er konnte sich schwerlich vorstellen, dass eine zarte Person, wie sie es war, sich in dieser Menschen83

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menge behaupten, ganz zu schweigen, einem anderen einen Platz sichern konnte. Aber an dem Ort, an dem die Frau stand, hatte man eine viel bessere Sicht auf das ganze Geschehen auf der Prozessionsstraße und das wollte er sich nicht entgehen lassen. Er tippte dem Mann direkt vor sich auf die Schulter. „Entschuldigt, meine Frau wartet da vorne auf mich“, schwindelte er. Der Mann sah den winkenden Arm in der Menge und ließ Haremhab sofort lächelnd vor. Und so bahnte er sich seinen Weg durch die Menschen, bis er sie erreichte. Die junge Frau lächelte ihn an und es war ein Strahlen, wie er es nie zuvor gesehen hatte. Es war wie das funkelnde Licht der aufgehenden Sonne, wie das Glitzern der Sterne im ewigen Nil … Er sah in ein von einem zarten Kajalstrich umrahmtes Augenpaar und stürzte in zwei Seen in der Farbe von flüssigem Ebenholz. Haremhab rang nach Atem. Niemals zuvor hatte er sich derart wehrlos gefühlt. Diese Augen verursachten einen gewaltigen Sog, dem er sich nicht zu entziehen vermochte. Seine Knie begannen zu zittern und die Menschenmenge um ihn herum schien sich zu drehen. In den Jahren seiner harten Ausbildung hatte er oft mit starken, bulligen und gewalttätigen Männern trainiert und gekämpft, aber er hatte sich noch nie zuvor so unterlegen gefühlt, wie in diesem Augenblick, in dem er dieser filigranen Frau gegenüberstand. Sie war wunderschön. Ihre ausladende, tiefschwarze Haarpracht wurde von zarten Bändern im Zaum gehalten. Sie trug ein leichtes und helles Sommerkleid, das ihr bis zu den Fesseln reichte. „Na endlich, ich spüre meinen Arm ja kaum noch“, lachte sie, als sie ihn nun herunternahm. „Ja“, Haremhab lächelte verschmitzt und musterte sie verstohlen, „er hat viel geleistet. Er war der Grund, warum man mich wieder an diese Stelle ließ.“ „Was habt Ihr denn gesagt, um vorgelassen zu werden?“ „Oh“, Haremhab zögerte, „mit Verlaub, ich sagte, dort vorne winkt meine Frau.“ Sie lachte vor Vergnügen, während sich ein leichter rosa Schimmer auf ihr ebenmäßiges Gesicht legte. „Die Prozession ist bald hier“, lenkte sie ab und Haremhab richtete seinen Blick widerstrebend in Richtung Straße. Als er 84

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sich ihr wieder zuwandte, ertappte er sie dabei, wie ihre Augen ihn musterten. „Mein Name ist Haremhab.“ „Richtig“, sagte die junge Frau leicht beschämt. „Wir haben uns noch nicht einmal vorgestellt. Man ruft mich Amenia.“ Die Musiker des Tempels von Ipet-sut schritten dem Zug voran, gefolgt von den anmutigen Sängerinnen des Amun, die mit klaren Stimmen freudige religiöse Gesänge vortrugen und mit Klapperinstrumenten in ihren Händen den Takt schlugen, zu dem sie ihre Körper gekonnt bewegten. Amenophis Neb-Maat-Ra befand sich nur wenige Schritte von Haremhab und Amenia entfernt. Sein Gesicht wirkte unter der hohen dunklen cheperesch-Krone angespannt und konzentriert, es schien, als beachte er die ihm zujubelnde Menschenmenge nicht. Auf den künstlichen Königsbart hatte er verzichtet, aber ein schlichter Halskragen legte sich geschmeidig über den unbekleideten Oberkörper und Reifen aus Gold schmückten seine Arme. Der König war in einen kurzen Schurz aus strahlend weißem Leinen gewandet, der vorne leicht ausladend war und über dem Knie endete. An der Rückseite war ein Stierschwanz befestigt, der die unbändige und wilde Kraft seines Trägers zum Ausdruck bringen sollte. In den Händen hielt der Pharao einen hölzernen Räucherarm, an dessen Ende ein Feuergefäß eingelassen war, aus dem züngelnde Flämmchen zuckten. Hin und wieder ließ er Weihrauchkügelchen in das Gefäß fallen, von denen sich augenblicklich schwere Rauchschwaden lösten und einen angenehm heiligen Duft verströmten, den der König durch ritualisierte Bewegungen gleichmäßig zu verteilen suchte. Dadurch reinigte er den Weg, auf dem der Gott schreiten würde. Haremhab fiel auf, wie stark abgemagert der Regent war, wie grotesk die gesamte Szene wirkte, und er fragte sich, ob er der Einzige war, dem dies auffiel. Beunruhigt betrachtete er Amenophis’ äußere Erscheinung. Dem König folgte die Barke des Amun, sie war auf Tragestangen befestigt, die auf den Schultern zahlloser kahlrasierter Priester ruhten. Sie war prächtig anzusehen und trug den Namen Userhat. Bug und Heck zierten die Darstellungen eines Widderkopfes, der eine goldene Sonnenscheibe auf dem Scheitel trug 85

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und um den Hals Ketten aus goldenen Scheiben, dem Ehrengold. Girlanden von Pflanzen schmückten Userhat, in dessen Mitte sich der glänzende Reiseschrein des Amun erhob. Er war vollständig mit Blattgold überzogen, in das zarte Motive eingearbeitet worden waren. Im Innern, den profanen Blicken entzogen, reiste die goldene Kultfigur des Gottes, in der dieser nach Belieben Gestalt annehmen konnte. Ein kleiner Baldachin schützte den kostbaren Schrein und seinen heiligen Inhalt vor zu starker Sonneneinstrahlung, war jedoch nach allen Seiten hin offen, so dass die Menschen seine Vollkommenheit sehen konnten. Als die Menge um Haremhab den goldenen Kasten erblickt hatte, war sie in ein ehrfürchtiges Schweigen verfallen und sank auf die Knie. Stumme Gebete wurden gemurmelt oder Bitten an Amun gerichtet, ohne jedoch den Blick von dem Schrein abzuwenden. Amenophis Neb-Maat-Ra ging feierlich in die mittlere der drei Kammern des Heiligtums, das sein Urgroßvater Thutmosis Men-cheper-Ra an dieser Stelle, unmittelbar vor Ipet-resit, hatte errichten lassen. Es war der etwas größere Ruheraum für Amun. Die beiden sich seitlich anschließenden Kapellen gehörten der Gemahlin des Gottes, Mut, und ihrem gemeinsamen Sohn, dem Mondgott Chonsu. Die Anlage wurde von Süden betreten. Der Durchgang führte über einige Stufen in eine kleine Vorhalle, deren Dach von vier zarten Säulen aus rotem Granit, die auf Blöcken aus schwarzem Granit gebettet waren, getragen wurde. Der schwere Stein war spiegelglatt poliert und auf den Säulenschäften konnte Haremhab den Namen Men-cheper-Ras, des dritten Herrschers namens Thutmosis, lesen. In der Kapelle wartete der Pharao auf die Ankunft der Barke, deren Träger ihm in einiger Entfernung andächtig folgten. Nachdem Userhat eingetreten war, verließen die Tragepriester den Raum und schlossen die Tore mit einem dumpfen Schlag. Die Musik verklang, die Gesänge verstummten und auch der Jubel und das Gemurmel wich einer ehrfurchtgebietenden Stille. Dann stiegen leichte Weihrauchschwaden aus den Deckenluken des kleinen Heiligtums, bahnten sich schwerfällig ihren Weg aus der Kapelle und stiegen den Menschen in die Nase. Nun erklangen geheimnisvoll hallende Rezitationen, deren Worte nicht zu verstehen waren und deren echohafter Klang beinahe unheimlich schien. Haremhab stand so nahe an der Absperrung, dass er 86

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die Schweißperlen auf den kahlrasierten Schädeln der wartenden Priester glitzern sehen konnte. Es war nicht das Gewicht des Schreins, das den Männern zusetzte, sondern das langsame Tempo und die Einhaltung des Gleichschrittes. Nach einer langen Zeit wurden die Türen der Kapelle endlich unter dem Klang der Instrumente, die nun wieder aufspielten, geöffnet. Die Menschen jubelten, Amenophis trat heraus und die Priester schritten geordnet in den Raum, um die Barke wieder auf ihre Schultern zu setzen. Nun lag das letzte Wegstück vor ihnen: Es waren nur noch wenige Ellen bis zum Tempel von Ipet-sut zurückzulegen. Eine riesige Kolonnade von vierzehn gewaltigen Säulen in Doppelreihe bildete die Allee, die sich nun direkt hinter dem mächtigen Tempeltor öffnete und ins Allerheiligste führte. Auch hier wurde die Barke abgestellt und man sah gerade noch den König, wie er Weihrauchkugeln in sein kleines Feuergefäß warf, als sich die großen Tore wieder schlossen. Von hier an war es den Untertanen verboten, die Prozession weiter zu begleiten. Danach öffneten sich die gewaltigen Portale des Tempels und der König trat in einen gewaltigen Hof, in dem seine Familie auf ihn wartete. Die Barkenträger folgten ihm. Hinter ihnen wurden die Tore geschlossen und Haremhab hörte, wie sie laut verriegelt wurden. Der Pharao musste die Nacht in den hinteren Räumen des Heiligtums verbringen, nahe der Barke des Amun, während seine Familie an anderen Orten im Tempel schlafen würde. Doch Amenophis sollte in dieser Nacht keinen Schlaf finden, denn ihm wurden geheime Rituale zuteil, die ihn am nächsten Morgen nicht mehr nur als König, sondern als Gott vor sein Volk treten lassen würden. Nachdem die Pforten des Tempels geschlossen worden waren, wurde die Menge wieder lebendig. Man schwatzte durcheinander, Musik erklang und das bunte Treiben ging weiter. Haremhab räusperte sich. „Amenia“, begann er zögernd, „ich könnte jetzt einen Becher Dattelsaft vertragen. Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, mich zu begleiten und mich Euch einladen zu lassen?“ „Herzlich gerne!“ „Aber lasst uns einen Platz suchen, der nicht so überlaufen ist, wie dieser hier“, schlug Haremhab vor. Amenia nickte und lächelte verschmitzt. „Eine gute Idee.“ 87

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Haremhab bekam zwei Krüge Dattelsaft und fand eine ruhige Stelle am Nil, an dem er sich mit Amenia niederließ. Unter einer alten Sykomore erzählten sie einander von ihrem bisherigen Leben und mit jedem Satz, den Amenia sprach, wurde Haremhab schlagartig bewusst, dass sein weiteres Leben nur noch an der Seite dieser Frau stattfinden konnte. Eine Erkenntnis, die er sich natürlich nicht anmerken ließ. Amenia gefiel es, einem Mitglied des königlichen Hofstaates zu begegnen, und Haremhab gefiel es, dass sie die Tochter eines Dieners des Amun, wenngleich auch eines rangniederen Reinigungspriesters, war. Noch mehr erfreute ihn aber, dass sie weder verheiratet noch versprochen war. Sie verriet ihm, dass sie eine Sängerin des Amun sei, aber noch nicht so weit fortgeschritten, um bei derart bedeutenden Anlässen wie dem Opet-Fest mitzuwirken. Die beiden saßen Seite an Seite an dem träge dahinfließenden, blau schimmernden Strom und ganz leicht berührten sich ihre Schultern, als sie dem Sonnenuntergang zusahen. Nachdem die Sonne vollständig hinter dem westlichen Gebirge versunken war, sagte Amenia mit Bedauern in der Stimme, dass sie nun nach Hause müsse. „Das Haus meines Vaters ist nahe dem großen Tempel von Ipetsut. Es wäre nett, wenn Ihr mich begleiten würdet.“ „Es ist mir eine Ehre.“ Gemeinsam gingen sie durch die verschlungenen Straßen von Waset, bis sie nach einer geraumen Weile an das Haus ihres Vaters kamen. „Amenia, ich möchte Euch wiedersehen“, brachte Haremhab endlich hervor. „Erwartet mich morgen Abend an der Sykomore.“ Und bevor sie flink in der Tür des Hauses verschwand, hauchte sie ihm noch einen scheuen Kuss auf die Wange. Haremhab stand noch lange völlig benommen da, bevor er gedankenversunken den Weg zurückschlich, den er zuvor mit ihr gegangen war. Amenia – allein der Name war für ihn wie ein mit Honig überzogener Dattelkuchen. Sein Herz war angefüllt mit ihrem Namen, ihrem Gesicht und ihren Augen. Noch immer war der Himmel über Waset dunkelrot gefärbt. Sein Schritt war langsam, verträumt schlenderte er 88

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durch die staubigen Straßen und vergaß die Zeit. Amenia! Der Klang ihres Namens beflügelte seine Sinne. Er war trunken, ohne getrunken zu haben. Er war gesättigt, ohne gegessen zu haben. Hungrig war er nur auf die nächste Begegnung mit ihr. Die Nacht war schon lange hereingebrochen, als er in die Barke des Palastes stieg und dem Fährmann befahl, ihn zurück zur Residenz zu bringen. * Schon sehr früh am nächsten Tag setzte Haremhab auf die Ostseite des Nils über, an der sich die Tempel von Ipet-sut und Ipetresit befanden. In der vergangenen Nacht hatte er kaum Schlaf gefunden. Amenia war ständig in seinen Gedanken gewesen. Es würde sicher ewig dauern, bis es endlich Abend war. Aber er hatte vorher noch einiges zu tun. Es war vorgesehen, dass der König irgendwann am Vormittag im Gefolge seiner Familie aus dem Tempel treten würde. Auch Thutmosis sollte dabei sein, um sich von der Menge bejubeln lassen und Haremhab musste ihn schützen. Als er am Tempel von Ipet-resit ankam, hatten sich die Wachen der königlichen Leibgarde schon am Eingang postiert. Sie begrüßten sich. „Wie lange wird es wohl noch dauern?“, fragte einer, aber die anderen zuckten nur mit den Achseln. Haremhab sah zu, wie sich die beiden Seiten der Prozessionsstraße wieder nach und nach mit Menschen füllten. Es war ein eigenartiges Gefühl, heute nicht in deren Mitte, sondern im Zentrum des Geschehens zu stehen. Die Zeit verging zähfließend, doch plötzlich bekamen die Bläser ein Zeichen und setzten ihre Trompeten an. Der schwere Riegel, der die Tore des Tempels verschloss, wurde lautstark gelöst und das gewaltige Portal schwang auf. Der König erschien. In ehrfurchtgebietendem Abstand folgten seine Frau, seine Kinder und seine höchsten Beamten, unter ihnen Amenophis, Sohn des Hapu. Der König war neu eingekleidet worden. Er trug eine hohe strahlende Krone, die der Federkrone des Amun glich. Ein undurchsichtiges Gewand verhüllte seinen abgemagerten Kör89

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per, seine Lidstriche waren breiter gezogen als am Vortag. Die Menge hielt den Atem an. Die Fanfarenstöße endeten. Pharao Amenophis stand zwischen den ihn darstellenden kolossalen Standfiguren, hob beide Arme gen Himmel und sprach: „Mein Volk Ägyptens! Letzte Nacht hat sich mein sterblicher Körper mit der Seele des ewig Göttlichen vereinigt. Ich bin die Sonnenscheibe, die über euch strahlt, die alles zum Wachsen bringt, die euch wärmt und schützt. Die die Feinde Ägyptens verbrennt, die jedem feindlich gesonnen ist, der sich gegen sie stellt. Ganz Ägypten ist mein Tempel! Wenn niemand von euch mehr am Leben sein wird, werde ich noch immer über mein Land scheinen. Wenn die Tempel anderer Götter zerfallen sind, wird Ägypten noch immer mein Tempel sein!“ Was nun folgte, ging so schnell, dass Haremhab es nicht richtig verfolgen konnte. Während der König sprach, hatten Diener Feuerbecken in einem Halbkreis vor ihm aufgebaut. Nachdem Amenophis seine Rede beendet hatte, warfen sie etwas in die Flammen und plötzlich stieg dicker, undurchdringlicher Nebel auf – jemand fasste Haremhabs Handgelenk und zog ihn in den Tempel hinein. Er hörte, wie die Pforte hinter ihm geschlossen wurde. Einige Augenblicke später vernahm er das erstaunte Raunen der Menschen: Für sie war der göttliche König mitsamt seinem Hofstaat in einer Wolke weißen Rauchs verschwunden – wie die Sonne hinter weißen Dunstwolken. Im Tempel legte sich der Rauch langsam und Haremhab fand sich inmitten eines gewaltigen Hofes wieder, der von Doppelreihen zarter Papyrusbündelsäulen umsäumt war. Das Sonnenlicht durchflutete den Ort so sehr, dass Haremhab die Augen schließen musste. „Das ist der Sonnenhof meines Vaters“, flüsterte ihm Thutmosis ins Ohr. „Hier haben wir die letzte Nacht zugebracht, während der König im Innern des Tempels seine Vergöttlichung erfuhr.“ Mit diesen Worten deutete Thutmosis auf den hinteren Bereich des Hofes, in dem sich die Säulenreihen zu einem kleinen Wald verdichteten. Dahinter begann das Innere, das eigentlich Geheime des Heiligtums, das überdacht und verboten für alle außer den Pharao und auserwählte Priester war und im Dunkeln noch immer die Figur des Amun von Ipet-sut beherbergte. „Die Statue des Amun wird noch weitere zehn Tage hier in 90

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Ipet-resit verbringen“, erklärte Thutmosis leise. „Während dieser Zeit feiern die Menschen vor dem Tempel. Nach Ablauf der verbleibenden Tage geleitet mein Vater die Statue wieder in der Prozession, die du gestern gesehen hast, zu ihrem Wohnsitz nach Ipet-sut zurück. Danach sind die Feierlichkeiten vorüber und Waset wird wieder eine ganz normale Hauptstadt.“ Thutmosis lächelte. „Was soll nun geschehen?“, wollte Haremhab wissen. „Wir werden den Tempel durch einen Seitenausgang unbemerkt verlassen und zurück zum Palast übersetzen. Dort soll es heute Abend ein Festessen geben.“ Haremhab wechselte unruhig sein Standbein, versuchte aber gelassen zu wirken. „Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte Thutmosis. „Nun“, Haremhab zögerte. „Es ist so: Ich habe gestern während der Prozession eine junge Frau kennengelernt, mit der ich heute Abend verabredet bin, und ich fürchte, dass meine Anwesenheit bei dem Bankett Pflicht sein wird ...?“ Thutmosis lachte. „Kein Grund zur Beunruhigung. Das Essen ist nur für die Familie des Königs bestimmt. Deine Anwesenheit wird nicht notwendig sein“, sagte er mit einem Augenzwinkern und Haremhab atmete hörbar auf. * Als Haremhab an der Sykomore ankam, wartete Amenia schon auf ihn. Er hatte sich nicht verspätet, sondern Amenia war viel zu früh am vereinbarten Treffpunkt erschienen, denn auch sie fieberte der Begegnung mit ihm entgegen. Haremhab hatte zwei Krüge mit Dattelsaft aus der Küche des Palastes organisiert und Amenia freute sich an der Vorstellung, zu trinken, was sonst dem König vorbehalten war. Wieder genossen sie einen phantastischen Sonnenuntergang, der das Westgebirge kupferrot färbte und irgendwann gestand die junge Frau verlegen, dass sie ihren Eltern ihre beeindruckende Begegnung nicht hatte verheimlichen können. Angefangen bei der heldenhaften Art und Weise, mit der er sie vor einem Sturz bewahrt hatte, über den romantischen Sonnenuntergang mit Dattelsaft 91

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bis hin zu dem Kuss vor dem elterlichen Haus hatte sie ihren Eltern minutiös vom vergangenen Tag berichtet. Und nun, fügte sie zaghaft hinzu, sei er am heutigen Abend der ungeduldig erwartete Gast ihrer Familie. In Haremhab mischten sich die Gefühle Stolz und Verlegenheit zu einem verwirrenden Gebräu. Die Dinge entwickelten sich schneller als er zu hoffen wagte. Er nahm Amenia den Krug mit Dattelsaft aus der Hand, während sie noch trank und verschloss ihn wieder sorgfältig mit dem Tonverschluss. Auf ihren verständnislosen Blick antwortete er nur: „Ich möchte deinen Eltern etwas Besonderes zum Geschenk machen und ich glaube, Saft aus dem Magazin des Königs ist dazu sehr geeignet.“ Amenia lächelte wieder. „Sie werden beide sehr geehrt sein. Meine Mutter ist so nervös, dass sie den ganzen Tag über damit beschäftigt war, das Haus zu putzen. ‚Ein Mann, der gewohnt ist, in Palästen zu wohnen, wird sich bei uns wie in der Gosse vorkommen‘, hat sie den ganzen Tag wiederholt.“ „Ich kann deine Mutter beruhigen“, sagte Haremhab sanft. „Ich bin nicht der König selbst. Meine Eltern sind arme Landpächter aus der Provinz.“ Sie machten sich auf den vertrauten Weg durch die schmalen und bevölkerten Gassen von Waset, bis sie an dem Haus ankamen, vor dem Haremhab am gestrigen Abend seinen ersten Kuss von Amenia erhalten hatte. Und nun sollte er Gast hinter diesen Lehmziegelmauern sein. Amenia fasste ihn an der Hand und trat mit ihm ein. „Das ist Haremhab, Mutter. Und das ist meine Mutter Nofret. Mein Vater Tjenti wird jeden Moment von seiner Arbeit im Tempel nach Hause kommen.“ Die Mutter setzte sofort zu einer Verbeugung an, die Haremhab jedoch nicht zuließ. „Ich bin nur ein junger Mann, der den Augen ihrer Tochter verfallen ist“, sagte er, „und mehr nicht.“ Doch die Frau hielt den Blick gesenkt. Haremhab war sich sicher, dass es ihm im Laufe des Abends gelingen würde, ihr ihre Scheu zu nehmen. 92

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Amenias Eltern waren einfache, freundliche Leute. Nofret eher rundlich und sehr gemütlich wirkend, ihr Mann Tjenti dagegen drahtig, dünn und sehnig. Bald schon hatte Haremhabs natürliche Art alle Hemmungen auf beiden Seiten gebrochen und sie unterhielten sich angeregt. Das Essen war gut und reichlich und Tjenti verzehrte seinen Teil des mitgebrachten Dattelsaftes mit sichtlichem und hörbarem Genuss. Haremhab hätte an keinem Ort der Welt lieber sein wollen, nicht einmal beim Festessen im Palast. Nach dem Essen, als sie gemütlich beieinander saßen, und Haremhab sich erkundigte, ob Amenia noch weitere Geschwister hätte, antwortete Nofret traurig, dass Amenia ihr einziges Kind sei. Nach ihrer Geburt habe es Komplikationen gegeben und die Ärzte hätten ihr gesagt, dass sie keine weiteren Kinder werde austragen können – was sich leider auch bewahrheitet hatte. „Dafür habt ihr alle Qualität, alle Schönheit und Anmut, die ihr sonst auf mehrere Kinder hättet verteilen müssen, in dieser wundervollen Frau vereint“, tröstete sie Haremhab mit einem gewinnenden Lächeln. Nofret lachte glücklich und auch Tjenti freute sich über die schönen Worte, die Haremhab in dieser ernsten Situation gefunden hatte. „Ihr seid der erste Mann, Haremhab, der es geschafft hat, meine Tochter zu fesseln!“, sagte der Vater anerkennend und Amenia errötete. „Die Söhne von Priestern, Gouverneuren und Architekten konnten es nicht schaffen, ihr Herz zu bewegen“, fuhr er fort. „Alle waren ihr gleichgültig! Doch gestern, als sie von der OpetProzession zurückkehrte, erzählte sie zum ersten Mal von einem Mann, der sie tatsächlich interessiert!“ Haremhab räusperte sich ein wenig befangen. „Mir ging es bislang ganz ähnlich. Ich glaubte noch bis gestern nicht, dass es eine Frau für mich geben würde!“ Nofret und Tjenti sahen sich glücklich an. Nachdem sie so noch eine Weile zusammengesessen hatten, stellte Nofret die Frage, die allen Anwesenden gleichermaßen auf dem Herzen lag: „Wann werdet ihr nach Men-nefer zurückreisen, Haremhab?“ Der Angesprochene zögerte mit der Antwort. „Genau weiß ich es nicht, aber ich vermute, dass es noch während der Tage des Opet-Festes sein wird. Nomadisierende Stämme 93

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der Tjehenu streifen an der Westgrenze des Deltas umher und könnten einen Angriff planen. Prinz Thutmosis und ich werden mit einem Kontingent Soldaten von Men-nefer aus dorthin aufbrechen, um die Grenze zu sichern.“ Nach dieser Nachricht war es unmöglich, zu der Unbeschwertheit, wie sie zuvor geherrscht hatte, zurückzukehren, aber man bemühte sich nach Kräften. Später brachten die drei Haremhab bis vor die Tür des Hauses, wo die Eltern, nachdem sie sich von ihrem Gast verabschiedet hatten, die beiden jungen Menschen allein ließen. Der Abschied war von der drohenden Abreise Haremhabs überschattet und diesmal war es Haremhab, der Amenias Wange küsste. Er sagte, sie solle sich nicht sorgen und versprach, am nächsten Tag zu ihrem Haus zu kommen, sobald er könnte. Dann verschwand er in der Dunkelheit. Haremhab stand noch einige Zeit am Hafenbecken auf der Ostseite von Waset und ließ die vielen Eindrücke des Abends auf sich wirken, bevor er sich übersetzen ließ. Er betrachtete den Vollmond, der die schemenhaften Schatten der Palmen ins Wasser warf, fühlte die warme Luft, die seine Haut umwehte und hörte den Fröschen bei ihrem Konzert zu. Auf der anderen Seite angekommen, schlenderte er am gewaltigen Nil entlang, der in der Nacht wie ein majestätischer Strom aus schwarzem Öl dahinfloss. Er fühlte sich stark, aber doch schwach ... als Sieger, aber doch unterlegen ... unbesiegbar, und doch so verletzlich wie nie zuvor. Haremhab hatte sich verliebt. * Am nächsten Morgen wurde Haremhab früher geweckt, als es ihm lieb war. Die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen, als Nehsi, der mit Kija nach Waset gekommen war, in seiner Kammer stand. „Haremhab“, lärmte er in einer Lautstärke, die selbst Tote wieder zum Leben erweckt hätte. Dieser saß sofort aufrecht auf seinem Bett. „Wir reisen zurück nach Men-nefer“, hieß es ohne weitere Erklä­rungen. 94

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„Wann?“ „Sofort!“ Schon war der Schwarze wieder aus Haremhabs Schlafgemach verschwunden. Das musste ein böser Traum gewesen sein! Er ging zur Tür und sah bereits emsiges Treiben im Palast. Überall trugen Diener Reisekörbe durch die Hallen zum Hafenbecken. „Bist du soweit?“, fragte ihn Thutmosis, der aus dem Nichts gekommen zu sein schien und dessen Nervosität nicht zu übersehen war. „Wir müssen los!“ „Was ist denn plötzlich geschehen?“ „Hat dir Nehsi nichts erzählt?“ „Ich habe Nehsi noch nie mehr als fünf Worte am Stück sprechen hören!“ „Nun, vor kurzer Zeit ist ein Botschafter aus Men-nefer mit der Nachricht eingetroffen, dass die Stämme von Tjehenu die Deltagrenze überrannt haben und nach Ägypten eingedrungen sind!“ Haremhab schluckte. „Der König schickt uns zurück. Jeder von uns beiden wird einen Zug Männer zu einem Vergeltungsschlag gegen die Tjehenu führen, um unsere Grenze zu verteidigen. Das ist die Chance, die dir dein Pharao gibt – ergreife sie und bewähre dich!“ Und schon war Thutmosis wieder im diffusen Halbdunkel der Halle verschwunden. Haremhab eilte in seine Kammer zurück, packte schnell seine wenigen Sachen zusammen und verließ den Palast hastig durch die Halle in Richtung Hafenbecken. Der König stand mit Teje am Rand des Beckens und verabschiedete sich persönlich von jedem, der das Schiff bestieg, um nach Men-nefer aufzubrechen. Als Haremhab vor den Regenten trat, sagte dieser: „Du wirst deine Sache gut machen, junger Krieger! Das weiß ich genau, und ich täusche mich selten!“ „Habt großen Dank, Majestät!“ Haremhab stieg ins Boot und sah die Sonne aufgehen, als sie auf der Höhe des Tempels von Ipet-sut waren. In der Nähe wohnten Amenia und ihre Eltern, die heute Abend vergeblich auf ihn warten würden. Achtmal sollte er die Sonne auf dem Nil aufgehen sehen, bevor sie Men-nefer erreichten. Sie fuhren stromabwärts und zwei 95

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Abteilungen Ruderer wechselten sich ständig ab, um die Fahrt zu beschleunigen. Sie machten zur Abendzeit im Hafenbecken von Men-nefer fest, wo sie schon von einigen Soldaten erwartet wurden. Während Prinz Amenophis mit Kija, Nehsi und den Dienern zum Prinzenpalast geleitet wurde, führte man Prinz Thutmosis und Haremhab direkt in die Kaserne, wo die Männer Aufstellung nahmen, die an der Strafexpedition teilnehmen sollten. Thutmosis stellte zunächst die Zielsetzungen der bevorstehenden Aktion und dann Haremhab vor. Er nannte ihn einen „kampferprobten Offizier, einen Spezialisten an allen Waffen, der selbst eine Waffe ist“. Danach teilte Thutmosis die Gruppe in zwei gleichgroße Abteilungen und stellte eine davon offiziell „auf ausdrücklichen Befehl Seiner Majestät, des Königs von Ober- und Unterägypten, Amenophis“ unter das Kommando von Haremhab. „Männer“, sagte Thutmosis, „ich erwarte, dass ihr alle ausgeruht seid, wenn wir morgen bei Sonnenaufgang ausrücken werden. Für viele von euch ist dies der erste Einsatz. Beim Blutvergießen soll nicht das eure darunter sein! Wir marschieren drei Tage, bevor wir den Einsatzort erreichen. Schont eure Kräfte. Eine harte Zeit steht euch bevor!“ Damit entließ Thutmosis seine Untergebenen in ihre Unterkünfte und machte sich mit Haremhab auf den Heimweg. „Komm“, sagte der Prinz zu Haremhab gewandt, „lass auch uns noch etwas Ruhe finden!“ In seinem Zimmer entzündete Haremhab eine Lampe, hockte sich auf den Boden und begann seine Gedanken auf Papyrus zu bringen: An Amenia, die Tochter des Reinigungspriesters des Amun Tjenti und der Herrin des Hauses Nofret. Wir mussten in der Nacht noch abreisen, so dass mir keine Möglichkeit blieb, Abschied von dir zu nehmen. Den ganzen Weg über habe ich kaum Schlaf finden können, weil ich mich bereits unvollständig und einsam fühlte ohne dich. Endlich hatte mir Hathor, die Göttin der Liebe, die Frau gezeigt, von der ich nicht glaubte, dass es sie gibt, und kurze Zeit später verlangte ein ungerechtes Schicksal eine erbarmungslose Trennung von ihr. Meine liebste Amenia, ich sitze hier, viele Tagesreisen auf dem Nil von dir entfernt, aber in meinem Herzen sind wir uns nah. 96

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Morgen rücken wir aus an die Westgrenze des Deltas. Unser König Amenophis, er lebe, sei heil und gesund, hat mir den Befehl über einen ganzen Truppenteil anvertraut. Gib dem Boten, der dir dieses Schriftstück überbringt, eine Nachricht mit. Sie wird mich erreichen. Befehlshaber der Königlichen Armee Haremhab Er faltete den Papyrus, siegelte ihn, beschriftete ihn mit ihrem und Tjentis Namen und dem Zusatz Ipet-sut, Waset und legte ihn in die Halle, wo Kija ihn am nächsten Tag finden und mit einem Boten weiterleiten würde. Dann fiel er in unruhigen Schlaf.

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Kapitel 8 Die Bürde der Verantwortung Das erste Dorf, das sie am Westrand des Deltas erreichten, bot ein Bild der Verwüstung. Niedergebrannte Hütten, verkohlte Leichen von Männern, Frauen, Kindern und Tieren lagen in grotesken Verrenkungen auf noch dampfender Erde. Es dauerte lange, bis sie auf einige Überlebende trafen. Vom Schock gezeichnet berichteten ihnen diese von wilden Horden der Tjehenu, die nachts in das Dorf eingefallen waren, die meisten Bewohner getötet und fast alle Frauen zuvor brutal vergewaltigt hatten. Danach seien sie mit allen Viehbeständen verschwunden – was nicht gestohlen wurde, hatten sie angezündet. Haremhab wich alle Farbe aus dem Gesicht und er befahl Weni, dem Arzt, der sie begleitete und ein Schüler von Djedi war, die Überlebenden des Massakers zu versorgen. Er glaubte nicht, dass dieses Dorf das einzig betroffene war. Bei dem Gedanken daran, wie viele Siedlungen entlang der Westgrenze von den Stämmen der Tjehenu derart geschändet worden sein mochten, schloss er benommen die Augen. Schließlich aber stieg er auf den Streitwagen und rief seinen Fußsoldaten zu, wieder Aufstellung zu nehmen und ihm zu folgen. Die Tjehenu konnten noch nicht weit sein. Thutmosis’ Truppen hatten sich am vorigen Tag von denen Haremhabs getrennt. Sie wollten einen weiteren Bogen von Norden aus schlagen, um am nächsten Tag an einem vereinbarten Treffpunkt wieder mit Haremhabs Männern zusammenzutreffen. Haremhab hoffte, dass er nicht auf die Tjehenu treffen würde, bevor er wieder mit Thutmosis vereint war – die von den Dorfbewohnern angegebenen Schätzungen über die Zahl der Feinde schienen einen alleinigen Angriff nicht ratsam erscheinen, auch wenn alles in ihm nach Vergeltung schrie. * Auch Thutmosis stand auf noch brennendem Boden, er sah dieselben Gräueltaten wie Haremhab und er dachte dieselben Gedanken. 98

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„Wir müssen Haremhab und seine Leute erreichen“, rief er knapp, als er seine Pferde wendete. * Haremhab hatte den Ort, an dem er sich mit Thutmosis treffen wollte, schon früh erreicht. Er ließ seinen Blick wie ein beutesuchender Falke über die Ebene schweifen. Nichts rührte sich. Keinerlei Bewegung war auszumachen. Doch plötzlich ... täuschte er sich? Haremhab kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich. Und tatsächlich: Vom Fruchtlandrand aus nahm er eine eigentümliche Bewegung in der Sandlandschaft wahr. Behände sprang er auf den Streitwagen und trieb seine beiden schwarzen Hengste an. Das Subjekt, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte, war zu weit entfernt, um mit Sicherheit sagen zu können, um was es sich handelte. Je näher er seinem Ziel kam, umso deutlicher wurde, dass es nur ein einzelnes Individuum war. Vielleicht war es nur ein Tier, das die Tjehenu auf ihrem Beutezug zurückgelassen hatten, vielleicht aber war es auch ein Mensch ... Schnell näherte sich Haremhabs Gespann, das wie ein schwarzer Pfeil durch die Wüstenlandschaft schoss, seinem Ziel. Am Bestimmungsort angekommen ließ er die beiden Pferde abrupt anhalten. Seine Augen hatten ihn nicht getäuscht: Es war ein Mensch. Ein verletzter Tjehenu, der seiner Truppe offenbar nicht schnell genug hatte folgen können. Möglicherweise war ihm von irgendeinem tapferen Bauern ein Hieb mit der Sense verpasst worden, bevor dieser selbst seinen Wunden erlegen war. Der linke Oberschenkel des Tjehenus war jedenfalls zerklüftet und blutete stark. Fliegen umkreisten die Wunde und Haremhabs Pferde schnaubten nervös. Da lag er nun vor ihm, der Feind, winselnd und jammernd! Eine Kreatur, die noch in der letzten Nacht Frauen geschändet und Kinder verbrannt hatte, und die ihn in diesem Moment aus vor Todesangst geweiteten schwarzen Augen flehend anblickte. Haremhab packte ihn an seinem lächerlichen Kinnbart und riss ihn hoch, so dass er vor ihm knien musste. „Du Sohn einer Hure, die dich schon bei deiner Geburt verflucht hat, wirst mir jetzt sagen, wo sich der Rest deiner Sippe befindet“, zischte er ihm ins Ohr, der jedoch nur in einer fremden Sprache um Gnade flehte. 99

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Haremhab zog den Mann mit der rechten Hand langsam an seinem Ohr auf seine Füße. Dieser schrie gepeinigt auf, als sein Ohr an der Muschel einriss, weil seine Beine ihm den Dienst versagten. Haremhab ließ ihn mit einem verächtlichen Schnauben los und ging zu seinem Streitwagen, von wo er ein kurzes Seil holte, in das er schnell eine Schlinge knotete, mit der er dem Gefangenen die Hände vor dem Körper zusammenband und an den Wagen fesselte. Hätte er mit dem Tjehenu nicht noch einiges vorgehabt, hätte er ihn trotz seiner Verletzung hinter seinem Gespann herlaufen lassen, doch so gestattete er es ihm, mitzufahren. Als er seine Truppe erreichte, war der Feind mehr tot als lebendig, deshalb befahl Haremhab, ihm Wasser zu geben. „Ist einer unter euch, der die Laute versteht, die die Tjehenu Sprache nennen?“ Nachdem sich das durch seine Frage provozierte Lachen gelegt hatte, meldete sich ein Soldat. „Sehr gut“, lobte Haremhab. An die Truppe gewandt befahl er: „Sucht mir ein leeres Haus, in dem wir unserem Freund ein paar Fragen stellen können.“ Den Soldaten, der die Sprache der Tjehenu verstand, wies er an: „Fessle ihn einem Opferstier gleich an den Stützbalken im Inneren des Hauses und befrage ihn. Ich möchte wissen, wo der Rest seines Stammes ist und wie viele es sind!“ Nachdem ein geeignetes Haus gefunden worden war, überließ Haremhab es zunächst seinem Dolmetscher, den Tjehenu zu verhören. Als er das Gebäude jedoch nach einiger Zeit betrat, hatte der übersetzende Soldat außer Beleidigungen nichts aus dem Gefangenen herausbringen können. Als dieser jedoch seinen Peiniger aus der Wüste vor sich sah, schluckte er schwer. „Dem scheint es noch zu gut zu gehen“, meinte Haremhab zynisch. Bring mir noch zwei Soldaten, ich denke, wir werden ein wenig Unterstützung gut gebrauchen können. Der Tjehenu war mit Armen und Beinen an einen senkrechten Stützbalken im einzigen Raum des Hauses gefesselt worden. Als sie allein waren, ging Haremhab auf ihn zu, nahm seinen Unterkiefer in die Hand und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. Ganz ruhig und leise sagte er zu ihm: „Sag mir nur, wo deine Leute sind und mit wie vielen wir zu rechnen haben. Dann wirst du weniger leiden, als du es verdienst.“ 100

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Für einen kurzen Augenblick blickten sie einander fest in die Augen. Dann betraten die beiden angeforderten Soldaten gemeinsam mit dem Dolmetscher den Raum. „Frag ihn Folgendes: ‚Wo sind deine Leute?‘“ Der junge Mann übersetzte, der Gefesselte antwortete. „Und?“ Der Dolmetscher zögerte. „Er sagte so etwas wie: ‚Esst Fliegendreck ...‘“ Der Offizier hob in gespielter Überraschung die Brauen. „Frag ihn: ‚Wie viele Krieger seid ihr?‘“ Der Gefesselte antwortete und Haremhab erkannte die gleiche Antwort wie auf die vorherige Frage. „Ich habe schon verstanden“, sagte Haremhab trocken. Dann überlegte er eine Zeitlang, wie er den sturen Gefangenen zum Sprechen bringen könnte. Ein gefährliches Funkeln in seinen dunklen Augen verriet, dass er eine Lösung gefunden hatte. „Holt eure Streitäxte“, befahl er den beiden Soldaten, die bald darauf eifrig mit ihren Waffen zurückkehrten. „Vermutlich ist sein Bein durch die schwere Verletzung ohnehin nicht mehr zu retten“, meinte Haremhab leichthin. „Also werden wir sein anderes, sein gesundes Bein abschlagen, damit er noch lange an seinen Ausflug ins Delta denken wird – falls er es überlebt!“ Zum Dolmetscher gewandt sprach er: „Übersetze Wort für Wort, was ich dir jetzt sage!“ Er blickte dem Gefangenen bedrohlich in die Augen und sprach sehr langsam: „Wir werden dir dein gesundes Bein abschlagen. ... Aber wir haben keine medizinischen Instrumente dabei, die es erträglich für dich machen könnten. ... Zwei meiner Soldaten werden mit ihren Streitäxten auf dein Bein einschlagen, wie auf einen Baumstamm, bis der Knochen durchtrennt ist. ... Das kann einige Zeit dauern, denn Oberschenkelknochen sind sehr dick!“ Er wartete, bis die Botschaft vollständig beim Tjehenu angekommen war. Als dieser die Tragweite dessen begriff, was Haremhab bereit war zu tun, weiteten sich seine Augen. Er wusste, dass der Ägypter nicht scherzte. „Jetzt frag ihn noch einmal: ‚Wo sind deine Leute?‘“ Der Soldat übersetzte mit zittriger Stimme. Diesmal antwortete der Tjehenu nicht so schnell. Er schwitzte. Und rollte mit den Augen. Dann sagte er etwas. 101

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„Ich weiß es nicht“, lautete die Übersetzung. Haremhab lächelte kalt und befahl den beiden Soldaten, Stellung zu beziehen. „Versuch es noch einmal!“ Der Gefangene schwitzte stärker, antwortete aber nicht. „Dieser Mensch will es einfach nicht anders!“, rief Haremhab und wandte sich an die Männer mit den Äxten: „Stellt euch vor, er würde nicht an dem Stützbalken stehen und ich gäbe euch jetzt den Befehl, diesen Balken genau an dieser Stelle einzuschlagen!“ Mit diesen Worten zeigte er auf den gesunden Oberschenkel des Tjehenus direkt unterhalb der Hüfte. Die beiden Männer holten aus, doch mitten in ihrer Bewegung schrie der Gefangene etwas, worauf Haremhab die Hand hob und den beiden Männern zu warten gebot. * Thutmosis erreichte Haremhabs Truppe nur wenige Stunden später. Der Prinz berichtete, was er während seiner Patrouille an Scheußlichkeiten gesehen hatte, und mit einem Blick in das Gesicht seines Freundes erkannte er, dass auch hier die Tjehenu ihre barbarischen Spuren deutlich hinterlassen hatten. „Wenn wir nur wüssten, in welche Richtung wir reiten müssen, um sie zu finden ...“, stöhnte Thutmosis auf. Haremhab lächelte siegessicher. „Wir wissen es!“ Und auf den fragenden Blick des Prinzen erklärte er ihm in knappen Worten, was geschehen war. „Wo ist der Mann jetzt, hast Du ihn gefoltert?“, erkundigte sich der Prinz aufgeregt. Haremhab schüttelte den Kopf. „Das bloße Ankündigen von Gewalt hat diesen Feigling zusammenbrechen lassen – und nun hat er seine Pflicht getan“, sagte er verächtlich. „Wir werden den Tjehenu einen Besuch abstatten, den sie so schnell nicht vergessen werden!“ * Der Mann hatte eiskalte Augen. In seinen bunten Gewändern hing der penetrante Geruch von Schweiß und Blut. Ruhig und siegessicher stand er auf einer Düne und blickte wachsam auf 102

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die flache Ebene in Richtung Nildelta. Er blinzelte und verengte die Sehschlitze seiner hellen Augen. Die elenden Ägypter würden niemals herausbekommen, wo sie sich befanden. Er lachte leise. Alles war ruhig und so würde es auch bleiben. Da war er sich sicher. Der würzige Geruch eines gebratenen Rindes stieg ihm in die Nase. Er drehte sich um und sah seine fast 200 Kameraden im Schutz der Düne den Sieg feiern. Viele waren bereits betrunken, andere füllten sich ihre Bäuche oder lachten über derbe Witze. Der Mann stieg herab zu ihnen. Hier waren sie sicher. Hier konnten sie bis zu ihrem nächsten Überfall auf das Delta bleiben. Er setzte sich zu drei Männern, die sich mit groben Ausdrücken hämisch über die Vergewaltigungen der letzten Nacht ausließen, und nahm sich einen Krug Wein. Er hasste die Ägypter, aber Wein wussten sie herzustellen. „Ist alles ruhig?“ Der Angesprochene nickte und nahm einen langen Schluck aus dem Gefäß. Sie feierten unbesorgt und ausgelassen, erfüllt von den Erinnerungen an die vielen Ägypter, die sie getötet, geschändet oder verstümmelt hatten. Wären sie vorsichtiger gewesen, hätten sie zumindest die Schemen der beiden Männer rechtzeitig wahrnehmen können, die im blutroten Licht der untergehenden Sonne auf der Düne erschienen. „Dieses Pack“, flüsterte Haremhab und spuckte aus. „Wir sollten einige überleben lassen, damit sie ihrem Anführer berichten können, dass die Ägypter eine Straftat nicht ungesühnt lassen.“ Thutmosis stimmte schweigend zu. Beide gaben ihren Leuten Zeichen, sich neben ihnen entlang des Dünenkamms aufzustellen. Die beiden Befehlshaber standen bald in der Mitte einer furchterregenden Reihe todbringender Ägypter. Sie hoben ihren rechten Arm. Die Soldaten spannten daraufhin ihre Bögen und visierten die Feinde an. Gleichzeitig ließen Haremhab und Thutmosis dann ihre Arme nach unten schnellen und schon prasselte ein Regen zielsicher abgeschossener, tödlicher Pfeile auf die Männer der Tjehenu herab. Immer wieder zogen die Soldaten weitere Geschosse aus den Köchern und ließen den Feinden keine Möglichkeit zur Verteidigung. Diese waren zu betrunken, zu träge und zu überrascht, um zu reagieren. Das vulgäre Lachen, die obszönen Zoten und die anstößigen Gesänge verwandelten sich 103

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in erstickte Schreie, gurgelndes Röcheln und schmerzerfülltes Winseln. Bis schließlich völlige Stille herrschte. Wieder hoben Thutmosis und Haremhab die Hände und die Soldaten hörten mit dem Beschuss auf. „Nehmt eure Dolche“, kommandierte Haremhab. „Nur zwei von ihnen sollen überleben!“ Sie begannen die Düne herabzusteigen. Nach einer Weile brachten die Männer zwei Tjehenu mit ungefährlichen Fleischverletzungen zu Haremhab und Thutmosis. „Sind das die einzigen Überlebenden?“, wollte Thutmosis ­wissen. „Jawohl mein Prinz!“ Haremhab rief den dolmetschenden Soldaten herbei. Dann ging er auf die beiden Gefangenen zu, packte sie bei den langen Haaren, ließ sie vor Thutmosis niederknien und schrie einem von ihnen ins Gesicht, während der Soldat übersetzte: „Das ist der Kronprinz Thutmosis, Sohn des regierenden Horus, des starken Stiers und Königs von Ober- und Unterägypten, NebMaat-Ra, dem Sohn der Sonne, Amenophis. ... Ihr habt das Land und die Menschen geschändet, das einst ihm gehören wird. ... Sagt eurem Häuptling, dass Thutmosis ein solches Vergehen nicht ungestraft lässt. ... Mein Name ist Haremhab. Ich werde immer wachsam auf eure diebischen Schritte achten. ... Gnade euch euer Schöpfergott, wenn ihr eine solche Tat noch einmal wiederholt. Sagt das eurem Häuptling Wort für Wort!“ Die zwei eingeschüchterten Männer wurden losgelassen und rannten so schnell ihre hageren Beine sie trugen in die Dunkelheit hinaus. * Die Nachricht über die siegreiche Schlacht, die Kronprinz Thutmosis gemeinsam mit Haremhab gegen die Tjehenu geschlagen hatte, breitete sich schneller als die alljährliche Nilflut im Lande aus und erreichte bald auch Waset. Allerorts wurde gefeiert. Amenophis Neb-Maat-Ra war stolz auf seinen Sohn und auch auf Haremhab, den er im kap hatte ausbilden lassen – und gleichzeitig auch auf die Weisheit seiner eigenen Entscheidung, ihm einen beachtlichen Teil Verantwortung in einem solchen Feldzug übertragen zu haben. 104

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Eje lächelte stolz, als der Pharao ihm und den anderen Hofbeamten, unter denen sich auch Amenophis, Sohn des Hapu, befand, die Neuigkeiten aus Men-nefer mitteilte, die ein Bote nur Stunden zuvor überbracht hatte. Alle Anwesenden nickten anerkennend, als sie von der Taktik erfuhren, die Prinz Thutmosis in seiner Depesche ausdrücklich als das Verdienst Haremhabs auswies. „Dieser junge Mann wird große Dinge leisten“, raunte man fast einstimmig im hohen Audienzsaal des Palastes. * Amenia erhielt die Kunde vom gewonnenen Feldzug bereits eine Woche, bevor Haremhabs Brief eintraf. In dem kleinen Haus nahe dem Amun-Tempel von Ipet-sut hatte die Nachricht über das siegreiche Eingreifen Haremhabs an der Seite des künftigen Königs eine wahre Euphorie ausgelöst. „Er ist ein Held, Mutter“, rief Amenia außer sich, als sie kopflos durch das Haus eilte. „Er ist ein Held, Vater“, variierte sie hin und wieder. „Ein wahrhafter militärischer Held hat hier mit uns in diesem Haus zusammen gegessen!“ Der Hals der jungen Frau war von hektischen roten Flecken übersät, ihre Augen glänzten unruhig, ihre Wangen glühten und sie hatte bereits ihre Mutter mit ihrer Begeisterung angesteckt. Beide zusammen hatten dann schließlich innerhalb von drei Tagen den zwar ebenso beeindruckten, aber nicht so sehr vor Verzückung sprühenden Vater Tjenti davon überzeugt, einige Wochen Urlaub vom Tempel zu nehmen und gemeinsam mit seiner Familie seinen in Men-nefer lebenden Bruder zu besuchen. Amenia jauchzte, als er endlich einwilligte, und er war sich sicher, dass es bestimmt nicht sein Bruder war, der bei seiner Tochter diese ausgelassenen Freudentänze verursachte. In nur zwölf Tagen würde sie Haremhab wiedersehen, dachte Amenia voller Ungeduld, als sie einige Tage später mit ihren Eltern das Nilschiff bestieg. Und was würde es erst für eine Überraschung für ihn werden, der er nichts davon ahnte. * 105

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Doch daraus sollte nichts werden. Wie Haremhab bereits befürchtet hatte, setzten die Tjehenu nur wenige Wochen nach ihrer Niederlage als Rache für den ägyptischen Schlag zu einem Gegenangriff an. Diese Nachricht war ihm am späten Abend von Thutmosis persönlich im Palast mitgeteilt worden. Weitere Dörfer am Westrand waren von den Tjehenu überfallen worden. Noch mehr Bauern hatten unnötig ihr Leben lassen müssen. Wieder waren zahlreiche Frauen vergewaltigt, Häuser angesteckt und Vieh fortgeführt worden. Haremhab und der Kronprinz setzten sich umgehend zusammen, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Sie planten noch vor dem Morgengrauen aufzubrechen, um die am nächsten am Deltarand stationierten Truppen auf den Angriff vorzubereiten. Die bewährten Soldaten aus Men-nefer sollten bei Tagesanbruch den Marschbefehl erhalten und zwei Tage später an der Randzone eintreffen, an der die nächste zu erwartende Schlacht stattfinden würde. Tjehenu-Blut sollte fließen und den Sand der Wüste rot färben! Am nächsten Morgen fuhren die beiden Männer durch die grauen und diffusen ersten Stunden eines neuen Tages. Wut, aber auch Trauer um die sinnlos gemeuchelten Menschen beherrschten ihre Gedanken zu gleichen Teilen. Da der Bote, der den Kronprinzen angekündigt und seine Befehle zu überbringen hatte, die Station bereits in der Nacht erreicht hatte, waren die Truppen schon zum Abmarsch bereit und warteten auf die Instruktionen durch ihre Befehlshaber. Haremhab musterte die Männer, die vor ihm standen, genau. Viele waren älter als er selbst, die meisten machten einen untrainierten Eindruck, und er fragte sich, ob sie einer Schlacht, wie er sie plante, tatsächlich gewachsen waren. Vor ihm standen keine Kämpfer, sondern Wächter, im jahrelangen Wachdienst an den ruhigen Grenzen Ägyptens faul und träge geworden! Der Plan sah vor, beim ersten Licht des kommenden Tages aufzubrechen und gegen Abend den Teil der Westdeltagrenze zu erreichen, der das Ziel des jüngsten Tjehenu-Angriffs geworden war. Dort sollten sich Ärzte um die Verletzten kümmern und die Soldaten einen Eindruck von dem Gräuel bekommen, das diese Barbaren über die Menschen gebracht hatten. Am Abend wurden 106

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die Truppen aus Men-nefer erwartet, die sich bereits in der ersten Schlacht gegen die Stämme der Tjehenu bewährt hatten. Thutmosis schilderte den Männern die Situation und deutete ihnen an, welcher Anblick sie in den Dörfern erwartete. Haremhab beobachtete die Soldaten. An ihren Reaktion konnte er feststellen, dass sie sich bei dieser Mission auf militärischem Neuland bewegen würden: Schlucken, ängstliche, unruhige Blicke, nervöse Bewegungen, in einigen Fällen auch Schweiß auf den Stirnen. Im Stillen hoffte er, dass es keinen Kampf geben würde, bevor die Truppen aus Men-nefer sie erreichten. Thutmosis hatte seine Ansprache beendet und gab nun an Haremhab weiter. Dieser wählte seine Worte gut, betonte und artikulierte genau und sah den Männern in der ersten Reihe nacheinander fest in die Augen. „Euer Mut und euer Einsatz wird in den nächsten Tagen darüber entscheiden, ob die Zukunft Ägyptens von der Willkür dieser Nomaden bestimmt wird oder ob wir sie in den Schlund der Verdammnis stoßen werden, sie aufreiben und auslöschen, als hätten sie niemals existiert!“ Er erinnerte die unerfahrenen Soldaten an das, was sie in den ruhigen Jahren an ihren Einsatzorten vergessen hatten: dass sie eine große Aufgabe in der Welt erfüllen mussten – die Verteidigung ihrer Heimat Ägypten und des Lebens ihrer Mitbrüder sowie den Dienst für den Pharao. In plastischen Bildern beschrieb er die Wichtigkeit ihres Auftrags, die Blicke der beeindruckten Männer folgten ihm, während er energisch die Front abschritt. Innerhalb kürzester Zeit konnte sich Haremhab des Vertrauens der neuen Soldaten, ihres absoluten Gehorsams und ihrer Loyalität gewiss sein. Stolz und Ehre hatten das beschämende Flackern der Angst aus ihren Blicken vertrieben. Durch seine Worte waren die Truppen dazu bereit, mit ihm auf jedes Schlachtfeld, in jeden Krieg zu ziehen, den er nur wählen würde. Haremhab betrachtete diese Entwicklung mit stiller Freude, er sah, dass sich die schlaff wirkenden Körper der Soldaten mit schwellendem Selbstbewusstsein aufrichteten. Unbewusst stellten sie sich fast unmerklich gerade auf, ihre Brustkörbe traten hervor und ihre Erscheinung wurde mit jedem Wort des jungen Mannes militärischer und würdiger. Auch Thutmosis entging der Wandel nicht, den die Männer während der Rede seines Freundes durchmachten. Er war stolz 107

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auf Haremhab und wusste genau, dass dieser – spätestens unter seiner Regierung – zum obersten General Ägyptens aufsteigen würde. Haremhab unterstellte die Soldaten wieder dem Kommando der Offiziere, die sie auch sonst befehligten, und ließ sie wegtreten. Er gab Anweisung, das Wecken kurz vor Sonnenaufgang durchzuführen und für eine „Reinigung des Mundes“, ein Frühstück, zu sorgen. Mit frischem Glanz in den Augen kehrten die Männer in ihre Unterkünfte zurück. * Als sie sich wie geplant am nächsten Abend dem Ort des zweiten Tjehenu-Überfalls näherten, bot sich Thutmosis und Haremhab ein grausam vertrautes Bild. Wieder hatten die Feinde Dörfer verwüstet, die Menschen getötet und geschändet und alles mitgenommen, was ihnen wertvoll erschien. „Ich spüre, dass sie ganz in der Nähe sind“, sagte Thutmosis tonlos. Sein Mund fühlte sich so trocken an wie der Sand der Wüste. Sie ließen die Männer ihre Lager aufschlagen und richteten sich selbst in einem leerstehenden Haus ein, dessen Bewohner alle getötet worden waren. Während der Arzt Weni mit seinen Kollegen durch die Dörfer zog, um Verletzte und Kranke zu versorgen, befragten die beiden Männer die wenigen Überlebenden des Angriffs. Sie erhofften, Informationen über Anzahl und Waffen der Feinde zu gewinnen. Doch die Aussagen, die sie erhielten, waren teilweise widersprüchlich. Die alten Leute sprachen von „Tausenden“, die Jüngeren eher von „ein paar Hundert“. Erst spät in der Nacht kehrten Haremhab und sein königlicher Freund in ihre Unterkunft zurück. Sie beratschlagten gerade, was am folgenden Tag zu tun wäre, als plötzlich eine Wache an die Tür klopfte. Sie meldete einen Soldaten, dessen dringender Wunsch es war, mit Haremhab zu sprechen. Sein Name sei Nefer-hotep. „Nefer-hotep!“ Haremhab sprang von seinem Lager auf. „Bei Amun – das könnte mein Bruder sein. Wo ist er?“ „Er wartet vor der Tür, Kommandant“, antwortete die Wache. Im nächsten Augenblick war Haremhab schon an ihm vorbei. 108

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In der lauen Nachtluft sah er die Gestalt eines untersetzten Mannes mittlerer Größe, dessen Augen ihn neugierig musterten. „Verzeiht mir meine Dreistigkeit, Kommandant“, begann er zögernd, „aber bevor ich morgen vielleicht auf dem Schlachtfeld sterben werde, möchte ich eine Frage beantwortet wissen: Seid Ihr ...“ Noch ehe er seine Frage beenden konnte, war Haremhab auf ihn zugegangen und umarmte ihn. „Ich bin es, mein Bruder, ich bin es“, sagte er mit belegter Stimme und kämpfte mit den Tränen. Sie fielen sich in die Arme und schluchzten aus tiefstem Herzen. * Es hatte gut getan, mit Nefer-hotep über die gemeinsamen Jahre der Kindheit in Hut-nisut zu sprechen – eine Zeit, die so weit zurücklag, dass die Erlebnisse fast die eines Anderen zu sein schienen. Später erzählte Nefer-hotep von seinem eintönigen Alltag als Wachposten in Wawat, wo es nach einer oberflächlichen Ausbildung so gut wie keine Kampfeinsätze gegeben hatte. Das Schicksal, das ihnen als Rekruten prophezeit worden war, hatte sich nicht erfüllt. Die Angriffe der nubischen Stämme auf ägyptische Goldtransporte waren in den vergangenen sechs Jahren fast völlig zum Erliegen gekommen, so dass sich bald ein zerstörerischer Müßiggang unter den Soldaten bereit machen konnte. Irgendwann im letzten Jahr sei ein Marschbefehl in Nubien eingetroffen, der die meisten Männer an andere Grenzposten beorderte. So war Nefer-hotep an die westliche Deltagrenze gekommen, wo man ebenfalls nur militärische Präsenz zeigen musste. „Die meiste Zeit sitzt man irgendwo herum“, klagte er. Haremhab fand diese Auskunft im Hinblick auf die bevorstehende Schlacht äußerst beunruhigend, ließ sich aber nichts anmerken. Schließlich gab Haremhab seinem älteren Bruder als dessen militärischer Vorgesetzter augenzwinkernd den Befehl, nun etwas Schlaf vor den bevorstehenden unruhigen Tagen zu finden. Am nächsten Morgen fuhr Haremhab mit seinem Streitwagen und einigen Soldaten in Richtung Norden, um zu sehen, welchen Schaden der zweite Tjehenu-Angriff angerichtet hatte. 109

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Thutmosis tat dasselbe in südlicher Richtung. Beide befragten die Menschen nach Einzelheiten über die Angreifer, doch meist endeten die Berichte nur in einer tränenreichen Schilderung der persönlichen Verluste. Haremhab ging die Begegnung mit seinem Bruder nicht mehr aus dem Kopf. Die letzten Jahre hatten sie beide weit auseinander gebracht – unterschiedlicher konnten sie kaum sein: Der eine war ein engagierter Soldatenführer im Auftrag des Königs und der andere ein untrainierter Wachposten an der Peripherie des ägyptischen Imperiums. Immer wieder kamen ihm Befürchtungen, dass mit den Truppen, zu denen sein Bruder gehörte, ein Sieg über die Tjehenu nicht zu erreichen war. Auch Tugenden wie Mut, Entschlossenheit und Tapferkeit konnten die notwendigen Techniken und Erfahrungen nicht ersetzen. Erst am späten Nachmittag beendete er seine Patrouille und begann grübelnd den Rückmarsch in das Dorf, in dem sie die letzte Nacht verbracht hatten und das ihnen als Operationsbasis diente. Ungeduldig hoffte er darauf, dass die jüngeren, aber mit Feindberührung viel erfahreneren Rekruten aus Men-nefer bereits eingetroffen waren. Als die letzten Sonnenstrahlen über der Wüste verloschen, erreichte Haremhab das Dorf. Thutmosis war schon seit Stunden wieder im Lager und arbeitete an einem Aufstellungsplan für den nächsten Tag. * Zur selben Zeit schreckte Teje im Schlafgemach des Palastes von Waset aus einem düsteren Traum auf. Einer verhängnisvollen Ahnung folgend stand sie auf und betrat die Gemächer ihres Mannes. Dort fand sie den vor Schmerzen zusammengekauerten Regenten – der sich kaum noch regte. „Was ist mit dir?“, fragte Teje besorgt. Amenophis lag auf der Seite, den Blick von Teje abgewandt. „Was ist mit dir?“, wiederholte Teje eindringlich, griff die Schulter ihres Mannes und rollte ihn auf den Rücken. Sein Blick starrte ins Leere. Aus seinem halb geöffneten Mund drang mit Eiter 110

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vermischter Speichel. Ein tonloses Stöhnen setzte einen fauligen Geruch frei. Teje hielt den Atem an. Sie wandte sich ab und ging zurück zur Tür. „Veranlasst, dass der Arzt Djedi, der mit dem ältesten Königssohn Thutmosis nach Waset gekommen ist, unverzüglich den König aufsucht“, befahl sie den Wachleuten, von denen einer sogleich davoneilte. Als Djedi schließlich eintraf, war nur wenig Zeit vergangen und seine Anspannung war ihm deutlich anzusehen. Seine schlimmsten Ahnungen waren traurige Wirklichkeit geworden. Schon lange hatte er befürchtet, die Leiden des Königs von Ober- und Unterägypten zwar hinauszögern, jedoch nicht gänzlich heilen zu können. Der Geruch, der ihm nun entgegenschlug, als er das Schlafgemach betrat, und die kaum noch vorhandenen Körperreaktionen des Monarchen setzten seiner medizinischen Kunst ein Ende. Er wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis der königliche Falke gen Westen fliegen würde. Ein Blick in die stolzen Augen der Königin Teje verriet ihm, dass auch sie es ahnte. Djedi sah beklommen zu Boden. „Majestät, das Gift, das der Körper Eures Gemahls produziert, hat nun seinen Geist befallen. Ich kann nichts mehr für ihn tun“, der Arzt schluckte schwer. „Wird er wieder zu Bewusstsein kommen?“, wollte Teje ­wissen. Djedi schüttelte traurig den Kopf. „Ich weiß es nicht“, murmelte er. „Ich kenne keinen Arzt in Ägypten, der mit einem solchen Krankheitsbild vertraut wäre. Wir müssen so schnell es geht, Ärzte an den Höfen unserer Nachbarländer konsultieren.“ „Dann verschwende keine Zeit!“, gebot Teje barsch. Djedi verließ niedergeschlagen die Schlafkammer des Pharaos. Er hatte alles am König angewandt, was ihn seine Vorfahren und Meister einst über Medizin gelehrt hatten. Die teuersten Arzneien hatte er für ihn mischen lassen und jedes magische Amulett am Körper des Kranken ausprobiert. Auch die große Sachmet war von ihm um Rat gefragt und heiliger Weihrauch für sie verbrannt worden. Aber nun musste er einsehen, dass es der Wille der Götter war, den Pharao auf seine letzte lange Reise zu schicken. * 111

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Von den Soldaten aus Men-nefer fehlte noch immer jede Spur und an der Deltagrenze war die Gegenwart der Tjehenu jetzt deutlich zu spüren. Die Truppenführer verboten ihren Mannschaften Feuer anzuzünden, denn sie durften ihren Feinden keine Orientierungspunkte bieten. Haremhab zog sich zurück und fiel in einen unruhigen Schlaf. Er stand in der Wüste im gleißenden Licht der Sonne. Die Strahlen blendeten ihn und er schützte seine Augen mit den Händen. In der Ferne sah er eine große Wolke aufgewirbelten, gelben Staubes. Er drehte sich um. Hinter ihm stand die gleißende Gestalt des Gottes Amun mit einer leuchtend und strahlend erhobenen, doppelten Federkrone. Er konnte sein Gesicht nicht erkennen, so sehr strahlte sein Leib aus Gold. Ohne ein Wort streckte Amun den Arm aus und reichte Haremhab ein großes Krummschwert, dessen Schneide in der Sonne gefährlich aufblitzte. Überrascht nahm er es und war so sehr von seiner Schönheit fasziniert, dass er nicht merkte, dass der Gott plötzlich verschwunden, dafür aber plötzlich ein großer Lärm entstanden war. Mit der Waffe in der Hand fuhr er herum und sah, dass sich die Wolke aus Sand und Staub genähert hatte. Seth, der Gott der Wüste und des Unheils, mit seinem schiefen, bösen Gesicht und den langen kantigen Ohren eines Tieres, das es nicht gibt, hetzte auf ihn zu. Hinter ihm befanden sich Tjehenu ohne Zahl, eine Horde, die sich über den gesamten Horizont erstreckte. Sofort war Kampfeslärm zu hören, überall um ihn herum klirrten Waffen gegeneinander, Pfeile pfiffen durch die Luft und drangen mit abscheulich groteskem Schmatzen in Körper ein. Schreie überall. Verzweifelt brüllte man seinen Namen ... Die Feinde hatten im Schutz der Dunkelheit angegriffen, als sich die meisten von Haremhabs Männern in tiefem Schlaf befanden. Auf leisen Sohlen war eine Vorhut in das Lager geschlichen und hatte den Wachposten die Kehlen durchtrennt – als man sie entdeckt hatte, waren die übrigen Barbaren ins Lager gestürmt, um den Rest der überraschten Soldaten zu überwältigen. Die Tjehenu waren den ägyptischen Truppen an Stärke und Gewandtheit um ein Vielfaches überlegen und nur mit Mühe 112

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gelang es Haremhab, der inmitten des Schlachtgetümmels aufgewacht war, eine Handvoll tapferer Männer um sich zu scharen und eine planvolle Kampfkraft gegen die Eindringlinge aufzubauen, unter ihnen befand sich auch Nefer-hotep, Haremhabs Bruder. Zwar schafften sie es, eine große Menge der Tjehenu zu töten, aber das reichte nicht aus, um einen Sieg der Ägypter zu erringen. In dem Augenblick, als jemand aus seinen Reihen verzweifelt schrie, dass man sich ergeben müsse, ahnte Haremhab, dass ein Unglück eingetreten war, das so schrecklich war, dass er nicht daran denken wollte. Genau zu diesem Zeitpunkt zischten plötzlich Pfeile durch die Nacht und trafen auf dem vom Schein der brennenden Hütten taghell erleuchteten Kampfplatz zielsicher in die Körper der Tjehenu. Die Truppen aus Men-nefer! Nun war der bereits verlorenen gedachte Kampf gewonnen. Doch nach dem Sieg wurde nicht ausgelassen gefeiert – eine bedrückende Stille hatte sich über das Schlachtfeld gelegt. Haremhab kniete inmitten des Lagers. Sein Gesicht hatte die Farbe von frischem Leinen, als er starr vor Trauer und Entsetzen den leblosen Körper Thutmosis’ in den Armen hielt. Tränen des Verlustes und des Zorns gruben sich helle Bahnen durch sein vom Staub bedecktes Gesicht, als er die blutverschmierte Leiche des Mannes wiegte, der ihm in den letzten Jahren lieb wie ein Bruder geworden war und dem er alles verdankte, was er bis jetzt erreicht hatte. Er hob sein Gesicht ruckartig gen Himmel. Als er schrie, traten die Sehnen und Adern seines Halses deutlich hervor. Es war ein Schrei, der ihm im Halse wehtat, und es war ein Verlust, der sein Leben lang wie eine nie heilende Wunde in ihm klaffen würde. Der Thronfolger Ägyptens, der Horus im Nest, war tot!

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Kapitel 9 Umbrüche Der Weg ins Delta war ein Zug von kampfbereiten Männern gewesen, der Weg zurück nach Men-nefer war ein Zug von Leichenträgern. Notdürftig hatten sie die Überreste ihrer Kameraden so gut es ging mit großen Blättern abgedeckt, um sie vor der Sonne und den Blicken neugieriger Menschen zu schützen. Die Fliegen ließen sich jedoch nicht vertreiben. Noch auf dem Schlachtfeld hatte das Summen der penetranten schwarzen Punkte begonnen, die auf die Wunden der Leichen aus waren. Es dämmerte bereits, als sie am zweiten Tag ihr Ziel erreichten. Nachdem Haremhab seine Leute zur Kaserne geführt hatte, ging er mit den beiden Soldaten, die die Bahre trugen, auf der Thutmosis lag, zur Residenz des Prinzen. Haremhab war wie betäubt und musste sich nun der schwierigen Aufgabe stellen, der nichtsahnenden Kija die Nachricht vom Tod ihres Mannes zu überbringen. Schwieriger, als in den Kampf zu ziehen und den eigenen Tod vor Augen zu haben, ist es, einem geliebten Menschen den Verlust eines anderen geliebten Menschen beizubringen. Seit er Thutmosis auf dem staubigen Boden in seinem Blut gefunden hatte, hatte er sich schon oft gewünscht, dass er an seiner Stelle gestorben wäre. Die Wachen am Eingang zur Residenz des Thronfolgers bückten sich, hoben Staub und Dreck von der Straße auf und warfen ihn sich klagend über ihre Köpfe, als Haremhab und die Bahrenträger an ihnen vorbei durch den Garten zum Haus gingen – obwohl sie nicht wissen konnten, wer dort gebracht wurde. Der junge Kommandant befahl den Männern draußen zu warten und ging alleine hinein. Er traf Kija in der großen Halle an. Erfreut, ihn wiederzusehen, ging sie strahlend auf ihn zu. „Du bist zurück, wie wunderbar, Amun sei Dank!“ Haremhab sah sie nur schweigend an. „Wo ist Thutmosis?“ „Kija“, setzte er an. „Ich überbringe schlechte Nachrichten!“ Das Strahlen verschwand aus ihren Augen und machte einer ungläubigen Ahnung Platz. 114

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„Nein“, flehte sie, presste beide Hände vor den Mund und Tränen schossen in ihre Augen. „Wo ist er jetzt?“ „Ich habe seinen Körper hierher bringen lassen, zwei meiner Soldaten bewachen ihn im Garten.“ Kija wollte an Haremhab vorbei nach draußen laufen, doch er hielt sie auf. „Bitte sieh ihn dir nicht an! Behalte die lebende Erscheinung in Erinnerung. Der Kampf und der lange Transport haben seine Züge entstellt, er muss dringend zu den Balsamierungspriestern in den Tempel.“ Doch Kija riss sich los, stürzte hinaus und kniete sich neben die Bahre ihres toten Gemahls, die die Träger in den Schatten gestellt hatten. Sie riss die Blätter fort und starrte ungläubig auf den Körper ihres Mannes, aus dem jedes Leben gewichen war. Haremhab hörte die verzweifelten, von Tränen erstickten Schreie der jungen Witwe aus dem Garten und wollte gerade zu ihr eilen, als Tutu, der Kammerdiener von Prinz Amenophis in die Halle trat. „Haremhab, was ist geschehen?“ In knappen Worten berichtete er, was Thutmosis zugestoßen war, dann wandte sich Haremhab um und verließ das Haus. Der erschrockene Tutu blieb in der Halle zurück, zunächst bleich und von der unerwarteten Nachricht gezeichnet, doch dann kehrte die Farbe schnell wieder in sein Gesicht zurück – und eine Möglichkeit, die ihm zuvor nicht in den Sinn gekommen war, nahm in seinen Gedanken klare Konturen an. Bevor Haremhab ging, verharrte er noch einige Augenblicke bei Kija im Garten und legte ihr seine Hand auf die Schulter. Doch sie nahm ihn gar nicht wahr, die Trauer war zu übermächtig, als dass man sie hätte trösten können. Schließlich ließ er seine Männer aufstehen, die beim Anblick der Prinzessin auf die Knie gefallen waren. Kija musste jetzt alleine sein. Ihre Hausangestellten würden alles Weitere veranlassen – die Balsamierungspriester benachrichtigen und einen Boten mit der Todesnachricht an den Palast des Königs in Waset senden. Er würde in wenigen Tagen zurückkommen, wenn sie Trost brauchte. Tutu betrat indes die Gemächer von Prinz Amenophis. Dieser lag auf seinem Bett, da er sich nicht gut fühlte. 115

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„Was ist das für ein Geschrei da draußen?“, Amenophis zog gequält die Brauen zusammen. „Mein Prinz“, Tutu verbeugte sich und bebte innerlich bei dem Gedanken daran, welch wunderbare Neuigkeit er zu überbringen hatte und was für nie erträumte Möglichkeiten sich seinem Herrn bieten würden. „Haremhab ist von dem Feldzug gegen die Tjehenu zurück ...“ „Deshalb muss man doch nicht so schreien! Ich bin erschöpft und brauche Schlaf!“ „Mein Herr, es ist die Trauer, die Kija so laut werden und sich selbst vergessen lässt.“ Nun richtete Amenophis sich auf. „Trauer?“, fragte er vorsichtig nach. Tutu nickte hektisch. „Ist meinem Bruder etwas zugestoßen?!“ Tutu hörte auf zu nicken. „Er ist nicht lebend zurückgekehrt, mein Herr!“ Amenophis sagte nichts. Seine Augen standen ebenso weit offen wie sein Mund. Der Schock stand ihm mitten ins Gesicht geschrieben. „Mein Herr, Ihr wisst, was das bedeutet!?“, Tutus Stimme war ein verschwörerisches Wispern. Der Prinz schüttelte geistesabwesend den Kopf. „Nein“, hauchte er verständnislos, mehr zu sich selbst als zu Tutu. „Ihr werdet König werden, Majestät! Ihr werdet Euren Vätern auf den Thron nachfolgen!“ Amenophis Augen starrten ins Leere. Seine Lippen bebten, sein Kinn zitterte, dann füllte sich sein Brustkasten mit Luft, die er nur Augenblicke später in einem gewaltigen Schrei entlud. „­Neeeiiinnn!!“, schallte es durch den hohen Raum. Dann brach der Prinz in sich zusammen, drehte sich auf den Bauch, verbarg sein Gesicht in der Beuge seines Armes und weinte wie ein Kind. „Mein Herr“, begann Tutu bewegt, „ich bin zutiefst ergriffen, von unaussprechlicher Trauer über Euren Verlust – jetzt, da ich sehe, wie sehr Euch der Tod von Prinz Thutmosis schmerzt!“ Amenophis hob sein Gesicht aus der Armbeuge, seine Augenschminke war völlig verschmiert. „Es ist nicht wegen Thutmosis“, der Prinz zog die Nase hoch 116

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und sah Tutu mit flehenden Augen an. „Ich will nicht König werden!“, flüsterte er am Boden zerstört. Es dauerte nicht lange, bis der Bote des Wesirs Ramoses aus Waset am Hof des Kronprinzen in Men-nefer eingetroffen war. Die Residenz verlangte nach Prinz Amenophis´ Erscheinen in der Hauptstadt. Die schlimmsten Befürchtungen des jungen Mannes wurden unausweichliche Wirklichkeit: Die Berater seines Vater legten eine sofortige Krönung im Tempel des Amun von Ipet-sut nahe. * Haremhab hatte Prinz Amenophis nach Waset begleitet, weil der neue Kronprinz ihn inständig darum gebeten hatte. Es war offensichtlich für Haremhab, dass der zukünftig mächtigste Mann der Welt Angst vor dem bevorstehenden Königsamt hatte, für das er sich in keiner Weise berufen fühlte. Er brauchte Ratgeber und Freunde – es gab so unendlich viel zu tun, dem er aufgrund seiner Krankheit gänzlich nicht gewachsen war. Die Regierung hatte so viele Facetten – Innenpolitik und Verwaltung, Außenpolitik und diffuse Bündnisse mit Fremdländern, dazu kam das so gewaltige Gebäude der Religion und der Priester, die unverkennbar nach Macht strebten ... kahlrasierte Männer, die Drahtzieher im Hintergrund, die die Figur des Gottes Amun vorschützten und unter dem Deckmantel der Frömmigkeit ständig mehr Ländereien, Vieh und Arbeiter einforderten! Prinz Amenophis verstand nicht viel von Politik, aber er wusste, dass Amun und seine Priester eine Gefahr für das Königtum in Ägypten darstellten – ebenso wie militärische Unternehmungen in den Fremdländern. Er musste gegen beide Bedrängnisse vorgehen, aber er wusste nicht wie. Sein Bruder war seit seiner Geburt auf dieses Amt vorbereitet worden, das nun der zweite Prinz übernehmen sollte, der niemals auch nur den geringsten Gedanken daran verschwendet hatte, wie es wohl sein würde, wenn er Macht über Ägypten ausüben könnte. Auch wenn er dem nach Hilfe suchenden Mann so etwas wie Mitleid entgegenbrachte, behielt Haremhab dabei doch vor allem seine eigenen Interessen im Auge. Dies war die einzige Möglich117

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keit für ihn, seine Position zu halten und auszubauen. Hätte er ablehnend auf die eindringliche Anfrage von Amenophis reagiert, hätte der junge Horus ihn fallen gelassen und Haremhabs Stern, der langsam aufzublitzen begann, wäre sofort erloschen und im Nichts verschwunden. Aber Haremhab wollte seinem Leben einen Sinn geben, er wollte alles tun, was möglich wäre, um Ägypten zu dienen – so weit oben wie möglich. Als Ratgeber konnte er dem neuen König nicht nützlich sein. Er war selbst zu jung und zu unerfahren für diese Aufgabe. Aber Haremhab konnte ihm als Vertrauter gute Dienste leisten, schließlich hatten beide Männer unter einem gemeinsamen Dach gelebt und zumindest schien es so, als vertraute der Prinz ihm, als schätzte er seine Gegenwart, seine Loyalität. Seit Haremhab wieder in Waset weilte, war er Eje unterstellt. Aber es war eher ein Band der Freundschaft, das beide Männer verband, als das gewöhnliche Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Untergegebenem. Mindestens dreimal in der Woche war Haremhab Gast in Ejes wundervollem Haus. Dessen jüngste Tochter Mut-nedjemet ließ es sich nicht nehmen, bei Haremhabs Besuchen persönlich die Speisen aufzutragen. Nie versäumte sie es, dem jungen Mann durchdringende Blicke aus ihren dunkelbraunen, fast schwarzen Augen zu schenken. Mut-nedjemet war eine Schönheit – das konnte Haremhab nicht übersehen. Die würdevolle Hand seiner älteren Tochter Nofretete hatte Eje Prinz Amenophis vor der formalen Mitregentschaft mit ­seinem Vater angeboten. Der zurückgezogen lebende und sehr in sich verschlossene junge Mann hatte bislang weder Interesse  am ­anderen  noch am eigenen Geschlecht gezeigt und auch  nie an die Möglichkeit zu heiraten gedacht. Doch als Pharao war es unumgänglich, diesen Schritt zu vollziehen. Eje persönlich sah in dieser Verbindung zwei Vorteile: Zum einen hätte der Prinz eine Frau an seiner Seite, die er bereits kannte – beide waren ja praktisch miteinander aufgewachsen – und zum anderen würde Nofretete durch die Heirat mit dem Kronprinzen in nicht allzu ferner Zeit die Große Königliche Gemahlin des neuen ­Pharaos und die Mutter des noch ungezeugten Nachfolgers, seines Enkels werden, diesen Gedanken behielt Eje jedoch für sich. 118

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Es war dieses Streben nach großem Ruhm, dass Eje und Haremhab verband. Eje war einen Teil des Weges bereits gegangen. Über die Jahre war er einer der engsten Vertrauten des Königs geworden, hatte den zukünftigen König erzogen – und nun wollte er der Vater der neuen Königin und Großvater des neuen kommenden Königs werden. Eje war trotz seines Alters auf dem unbeirrbaren Weg nach oben, und er mochte Haremhab. Es konnte nicht schaden, sich an ihn zu halten, dachte der junge Mann. Die Hochzeit des Prinzen war völlig ohne Romantik vonstattengegangen. Alles besaß den Charakter einer Not-Hochzeit. Der todkranke König hatte mit der wenigen Kraft, die ihm noch geblieben war, die Ehe zwischen seinem zweitältesten Sohn und seiner Nichte geschlossen und den Prinzen am selben Tag zum Mitregenten ernannt, um auf diese Weise alle Zweifel an der Thronfolge auszuschließen. Die Krönungszeremonie war im Tempel von Ipet-sut zelebriert worden, wonach beide Könige etwa zwei Monate offiziell gemeinsam regierten. In Wirklichkeit hatte sich der Alte jedoch weitgehend zurückgezogen und sich auf das Sterben vorbereitet, seine Energiereserven waren zu verbraucht, um dem Nachfolger alle Geheimnisse einer erfolgreichen Regierung innerhalb der wenigen noch verbleibenden Tage ans Herz zu legen. Er musste sich auf das verlassen, was seine Wesire und vor allen Dingen der listenreiche Eje dem Neuling als Rat und Weisung mitgaben. Für den jungen König, der es schätzte für sich zu sein, begann eine schrecklich schnelllebige und hektische Zeit. Er stand nun im brennenden Licht der ägyptischen Sonne und alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Jeden Tag wurde er mit weiteren Details der umfangreichen Verwaltung, mit immer weiteren politischen Finessen und noch mehr Diplomatie vertraut gemacht. Das Gefäß seines Verstandes war längst gefüllt und lief bereits tüchtig über. Jeden Tag wurde er auf neue Eventualitäten trainiert, von der Entgegennahme von Tributen fremdländischer Höfe bis zur Gerichthaltung und Verurteilung einheimischer Straftäter. Er lernte, wann er zu sprechen hatte, was er zu sagen hatte, wann er die Stimme erheben durfte und wann er dies musste ... und jeden Tag erkannte er, dass der höchste Mann des Landes eigentlich der vor Lasten am meisten gebeugte Diener des Staates war. 119

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Für jeden Anlass gab es ein offizielles Protokoll, seit Jahrtausenden überliefert und von jedem Vorgänger wiederholt – was nun auch von ihm erwartet wurde. Er lernte Gebete und heilige Texte für alle großen Götter des Landes, in deren Tempeln er nun den Gottesdienst halten können sollte, denn der Oberste Priester eines jeden Gottes war der König persönlich. Nur dem König war es erlaubt, die innerste Kammer eines Tempels zu betreten, in der der Gott selbst stand, verborgen hinter den Flügeltüren eines versiegelten Schreins inmitten eines stockfinsteren Raums, der auf das strengste rein gehalten wurde. Nur er durfte das Siegel brechen, die Türen öffnen und in das goldene Antlitz der Statue des Gottes blicken, der dessen Geist tatsächlich innewohnte. Jeden Unbefugten hätte der Anblick des Gottes vernichtet, seine Augen hätten das Unreine, das sich in jedem Menschen, außer dem Pharao, befand, verbrannt. Goldene Feuerstrahlen wären aus den göttlichen Pupillen in die sterblichen Augen gefahren und hätten dem Frevler, der es gewagt hätte, den Gott zu schauen, in einen kleinen Haufen Nichts verwandelt. Nur dem König war es erlaubt, den Gott zu reinigen, ihm neue Gewänder anzulegen, ihm erlesene Speisen und Getränke darzureichen und ihm auf dem Boden liegend zu huldigen, das Gesicht am Boden, so wie sonst nur dem König gehuldigt wird. Einzig der Herrscher durfte dem Gott weihräuchern, zu ihm in diesem Allerheiligsten sprechen, seinen Schrein verschließen und neu versiegeln. Jeder einzelne Schritt, jede Bewegung und Handlung der Zeremonie wurde von streng einzuhaltenden Rezitationen begleitet, die der junge König jeden Tag lernte, bis die Sterne am Himmel erschienen waren. Unterstützt wurde er bei dieser Aufgabe von den Hohepriestern, den kultischen Vertretern des Pharaos, die ihren Dienst in allen großen Tempeln des Reiches höchst gewissenhaft und nahezu eigenständig versahen. Aber dennoch erwartete man vom König, dass dieser in den jeweiligen Heiligtümern auch persönlich seinen Gottesdienst durchführen konnte. Eine von Amenophis’ ersten offiziellen Amtshandlungen als alleinregierender Horus war die Beisetzung des toten Vaters, nachdem dieser zuvor 70 Tage im Balsamierungshaus zugebracht hatte. 120

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Innerhalb nur weniger Wochen musste das Königsgrab des Amenophis Neb-Maat-Ra, das dieser in jungen Jahren in der Abgeschiedenheit eines Nebentals des sechet-aat auf dem Westufer von Waset hatte vorbereiten lassen, geöffnet und wieder verschlossen werden. Nachdem zuerst der Kronprinz Thutmosis in diesem Haus der Ewigkeit niedergelegt worden war, dessen ­Trauerzeremonie der selbst vom Tode gezeichnete und kraftlose alte König geleitet hatte, war es nun Neb-Maat-Ra selbst, der seine Jenseitsresidenz bezog. Es war eine traurige Zeit für Ägypten. Haremhabs Funktion im Staat war zu gering, als dass er an solchen Ereignissen hätte teilnehmen dürfen – obwohl es ihm ein Bedürfnis gewesen wäre, die letzten Wege dieser beiden Menschen zu begleiten, bevor ihr langer Aufenthalt in der Ewigkeit begann. Aber Eje war an beiden Beisetzungen zugegen gewesen, die für ihn einen Abschied von seinem ältesten Neffen und seinem Schwager bedeuteten. Er berichtete dem trauernden Haremhab auf dessen dringlichen Wunsch von der letzten Reise der Dahingegangenen. Sein Freund Thutmosis sei mit allen Ehren eines regierenden Königs beigesetzt worden, erzählte Eje. Genau wie bei seinem Vater hatten die höchsten Würdenträger des Reiches seinen geschmückten Sarg auf Kufen in das Tal gezogen – in einer Prozession, die den ganzen Tag dauerte. „Teje hat beide Male furchtbar geweint und hat sich an der von Trauer selbst gebrochenen Kija festgehalten“, erinnerte sich Eje. „Wie Ameisen fühlten wir uns im Schatten dieses Gebirges“, fasste Eje seine Eindrücke zusammen, deutete auf das Massiv, dessen Spitze man von seinem Garten aus gut sehen konnte, nahm einen langen Schluck Wein und nickte nachdenklich. „... wie traurige, hilflose Ameisen.“ * Haremhabs Handflächen waren feucht, als er sich am ersten Abend, an dem es ihm möglich war, vor dem Haus wiederfand, in dem Amenia mit ihren Eltern wohnte. Unter seinem Arm trug er ein großes Gefäß mit Dattelwein für Amenia und ihre Eltern und mit laut pochendem Herzen klopfte er an die dünne Holztür. Es dauerte eine Weile, bis Tjenti, Amenias Vater, die Tür vorsichtig 121

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nur einen Spaltbreit öffnete. Als er Haremhab im Dämmerlicht erkannte, riss er die Augen auf. „Amun sei Dank – da bist du endlich!“, rief er, öffnete die Tür ganz und umarmte den jungen Mann. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr Amenia gelitten hat, als wir erfuhren, dass du wieder zurück ins Delta musstest“, sagte Tjenti später, als sie alle im warmen Schein der Öllämpchen in der gemütlichen Wohnstube zusammensaßen und den Dattelwein tranken. Haremhab sah Amenia an, deren Augen vor Glück überzulaufen schienen, und er selbst freute sich nicht weniger. Er erzählte grob von den Einsätzen gegen die Tjehenu, ohne jedoch Details zu nennen, und berichtete, dass er nun für den neuen König Amenophis tätig sei, obwohl seine genaue Funktion noch nicht endgültig spezifiziert sei, da dieser das Militär stark einzuschränken und nur auf wenige Truppen an den Grenzen zur Sicherung des Landes, der Hauptstadt und der eigenen Person zu reduzieren gedachte. Nachdenklich nahm Haremhab einen langen Schluck Wein. Dann hellte sich seine Miene auf und er meinte, dass ihm jeder Posten recht sei, wenn er nur in Amenias Nähe wäre. Sie saßen noch lange gemütlich beisammen und Haremhab hatte endlich das Gefühl, wieder eine Familie zu haben. Und als er schließlich aufbrechen musste, küssten er und Amenia sich nicht nur auf die Wangen, nachdem die Eltern sich taktvoll zurückgezogen hatten. Amenophis suchte neue gute Beamte und hatte auch Haremhab nach fähigen Schreibern befragt, die er persönlich kannte und auf die man sich verlassen konnte. Haremhab hatte seinen Freund Maja vorgeschlagen, der in der Verwaltung des PtahTempels von Men-nefer zusehends deprimierter wurde, weil seine nicht erkannten Fähigkeiten regelrecht vertrockneten. Und so war auch Maja inzwischen in Waset eingetroffen und mit Haremhab im Gästebereich des Palastes untergebracht. Und obwohl sie es genossen, wieder einmal soviel Zeit miteinander verbringen zu können, war es Maja doch ein dringendes Bedürfnis, auch Merit bei sich zu haben. Aber auf die Frage Majas, ob es möglich sei, ein kleines Haus zu bauen, da er seine Freundin 122

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Merit aus Men-nefer nach Waset holen und heiraten wolle, hatte der Pharao nur entgegnet, er wisse nicht, wie lange der Hof noch in Waset residieren werde. * Maja sollte sich in die Archive des Königspalastes einarbeiten, hatte Amenophis beschlossen, und seine persönliche Korrespondenz verwalten, so lange, bis der König einen geeigneten Posten für ihn gefunden hatte. Das Archiv bestand aus zwei großen Gebäuden, die durch einen weiten Hof miteinander verbunden waren. Das eine umfasste die Korrespondenz mit den einheimischen Potentaten, während das andere den Schriftverkehr mit den ausländischen Höfen beinhaltete. Maja arbeitete in dem Gebäude mit der internationalen Korrespondenz. Das Archiv war ein hoher, dunkler Raum, in den nur spärliches Sonnenlicht durch handflächengroße Luken in den oberen Bereichen der Wände fiel. Vor ihm öffnete sich der Hof, in dem die Schriftstücke gelesen, kopiert und neu verfasst wurden. Diese Briefe waren anders als die ägyptischen, die mit Tinte auf Scherben oder auf Papyri geschrieben waren. Sie waren auf Tontafeln verfasst und die Zeichen waren mit stempelartigen Objekten in den noch weichen Ton gedrückt worden. Diese Keilschrift, vertiefte Häkchen und Dornen, war die diplomatische Schrift, in der sich die mächtigen Königshäuser Nachrichten und Botschaften schickten. Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra und seine Familie in Waset hatten den diplomatischen Schriftverkehr mit den fremdländischen Höfen sehr gepflegt und ihn zu einem der Grundpfeiler der guten Beziehungen mit den Nachbarstaaten ausgebaut. Schon der Vater des verstorbenen Amenophis hatte die Kunst der Diplomatie in Perfektion beherrscht, indem er – anstatt Kriege zu führen – die Töchter seiner Nachbarn in Vorderasien geheiratet und in sein Frauenhaus in Ägypten aufgenommen hatte. So war er zum Schwiegersohn jener fremdländischen Herrscher geworden, die seine Vorfahren noch bis aufs Blut bekämpft hatten, und so war die Motivation zur Kriegsführung von vorneherein zunichte gemacht. Unter Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra war die friedliche Politik seines Vaters fortgeführt und das gute Verhältnis zu den Machthabern der Nachbarländer durch regen Briefwech123

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sel, Anerkennungen und Geschenke intensiviert worden. Seine königlichen Kollegen nannten das Oberhaupt Ägyptens freundschaftlich ihren „Bruder“. Maja hatte sich während der Wochen, in denen er die Systematik und die Inhalte der Archive erforscht hatte, mit Nebu angefreundet. Nebu, ein kleiner und drahtiger Mann, etwa in Majas und Haremhabs Alter, war Übersetzer für das Archiv der internationalen Korrespondenz und führte Maja in die Geheimnisse der Archive, in deren Aufbau und deren Ablage ein. Das Keilschriftarchiv besaß noch Briefe von Osiris-Men-cheperu-Ra, dem vierten Thutmosis und Großvater des herrschenden Königs, an die ausländischen Höfe. Die Briefe, die er diktiert hatte, waren von seinem persönlichen „Schreiber des Königs“ in Keilschrift niedergeschrieben und den Schreibern des Archivs übergeben worden, um eine Kopie anzufertigen und diese abzulegen. Die Antwort der fremdländischen Königshäuser wurde, nachdem sie dem König vorgelegt worden war, zu der Kopie seines Schreibens gelegt. So hatte sich in dem düsteren Raum im Laufe der vergangenen fast fünf Jahrzehnte eine kaum überschaubare Menge Tontafeln angesammelt. Unter Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra besaßen auch Teje und die königlichen Töchter eigene Übersetzer und Schreiber – nicht zu vergessen die vielen am Hof weilenden ausländischen Prinzessinnen, die Briefe an ihre Familien schrieben. „Doch unter dem neuen König“, der hagere Nebu seufzte und legte seine Stirn in Falten, „hat sich bereits vieles verändert. Viele Schreiber wurden entlassen, weil er ihre Fähigkeit nicht mehr benötigt! Hör dir mal das an“, sagte Nebu in einem vielsagenden Flüsterton, „das hier hat Tuschratta, der König des Reiches von Naharina, nach Osiris-Amenophis’ Tod an Königin Teje geschrieben: ‚Als mein Bruder Amenophis Neb-Maat-Ra zu seinem Schicksal ging, wurde es berichtet ... An diesem Tag weinte ich selbst. An diesem Tag nahm ich weder Nahrung noch Wasser zu mir. Ich trauerte und sagte: Lass doch mich tot sein oder lass Zehntausend in meinem Land tot sein, als auch Zehntausend im Land meines Bruders, aber lass meinen Bruder, den ich liebe und der mich liebt, so lange leben, wie Himmel und Erde.‘“ Der Übersetzer machte eine Pause und die Männer tauschten vielsagende Blicke. Was für eine großartige Persönlichkeit Osiris124

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Amenophis gewesen ist, dass der König von Naharina ihn als Bruder bezeichnete! Nebu fuhr fort: „‚Aber als sie sagten: Amenophis, der älteste Sohn von Amenophis Neb-Maat-Ra und Teje, seiner Hauptfrau, übt das Königtum an seiner statt aus, dann sprach ich wie folgt: Amenophis Neb-Maat-Ra, mein Bruder, ist nicht tot. Amenophis, sein ältester Sohn, übt nun das Königtum an seiner statt aus. Überhaupt nichts wird geändert werden von der Art, wie es zuvor war ...‘“ „Das ist wunderbar“, rief Maja, „die ausländischen Höfe akzeptieren unseren neuen König!“ „Nicht so ganz“, sagte Nebu gedämpft. „Dieser Brief stammt aus der Zeit kurz nach dem Tod des großen Königs. Doch irgendwann in letzter Zeit hat der neue König nach Naharina geschrieben. Ich weiß nicht, welchen Inhalt der Brief hatte, denn eine Abschrift gibt es merkwürdigerweise nicht davon und der Schreiber, dem er diktiert worden war, arbeitet nicht mehr bei uns. Aber gestern trafen Boten mit dieser Nachricht Tuschrattas ein.“ Nebu hob eine weitere, mit kleinen Häkchen übersäte Tontafel hoch: „Tuschratta erinnert den König daran, dass er kein Kind mehr sei und nun auf dem Thron seines Vaters sitze – und sich auch so verhalten sollte! Ich weiß nicht, auf was sich Tuschratta bezieht, aber er schreibt wörtlich: ‚Die Angelegenheiten meines Bruders sind nun zu einem Gegenstand der Rüge geworden!‘ Das ist eine derbe Zurechtweisung! Als der Brief heute Morgen dem König vorgelegt worden ist, hat er befohlen, jeglichen Schriftverkehr mit Naharina einzustellen!“ Maja schluckte hörbar. „Es kommt noch schlimmer“, warnte Nebu. „Heute traf eine Nachricht aus dem Reich der Hethiter ein, dem ein Brief des Königs vorausgegangen war, der ebenfalls nicht in Kopie hier vorliegt. Der König der Hethiter, Schuppiluliuma, schreibt: ‚Und nun zu der Tafel, die du geschickt hast: Warum setzt du deinen Namen über meinen Namen? Und wer ist es nun, der die guten Beziehungen zwischen uns erschüttert? Ist solch ein Benehmen allgemein üblich? Mein Bruder, schriebst du mir in friedlicher Absicht?‘“ Maja und Haremhab schwiegen entsetzt. „Welchen Sinn macht ein Archiv, wenn die ausgehenden Schrei­ 125

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ben nicht auch hier gelagert werden?“, brach Nebu die Stille. „Er ist kein kluger König!“ „Er ist einfach nur jung und unerfahren“, nahm ihn Maja in Schutz. „Seine Unerfahrenheit wird uns in einen Krieg mit Naharina und dem Reich der Hethiter bringen“, brauste der Archivar auf. „Wenn er nicht auf die Ratschläge seiner erfahrenen Ratgeber hört und seine eigene Vorstellung von Diplomatie durchsetzt, sollte er auf keinen Fall das Militär reduzieren, so wie er es plant. Denn wenn er so weitermacht, steuert er uns direkt in einen Krieg hinein, den Ägypten niemals gewinnen kann!“ Maja hob beschwichtigend die Hände und stieß ein leises zischendes Geräusch aus. „Nicht so laut! Wenn dich jemand hört!“ * Es vergingen ungezählte Monate, deren Abende Haremhab im Wechsel mit Eje und seiner Familie oder Amenia verbrachte, bevor der König ihn gemeinsam mit Maja und einigen anderen Männern auf eine streng geheime Expedition schickte. Der Pharao plante, den alten Palast von Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra aufzugeben und eine neue Hauptstadt zu bauen. Es war dem jungen König wichtig, in ein Gebiet zu ziehen, das frei war von der Verehrung eines Gottes. Niemand sollte vorher an diesem Ort einen Kult erfahren haben. Die jungen Männer konnten sich zunächst keinen Reim auf die ungewöhnlichen Bedingungen machen, die ihnen auferlegt worden waren. Rein sollte der neue Baugrund sein – von Geschichte und Religion. „Sucht nach den Zeichen der Sonne“, hatte der junge König seinen ratlos dreinblickenden Beamten geheimnisvoll geraten. „Ihr werdet wissen, was ich meine, wenn ihr die Zeichen seht!“ Eje, der den Nil gut kannte, hatte Haremhab vor seiner Abreise geraten, etwas südlich von Nefer-usi das Gebirge auf dem östlichen Ufer im Auge zu behalten. Also segelten die Männer stromabwärts, fort von Waset, aber noch nicht in die Region von Mennefer hinein, denn beide Gebiete waren sowohl historisch als auch in religiöser Hinsicht von immenser Bedeutung. Die Ägypter waren stolz auf diese Städte, die so viel erlebt und so viel erreicht 126

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hatten. Und sie liebten auch die Götter, die dort verehrt wurden: Ptah, den Handwerkergott von Men-nefer, der dort gemeinsam mit seiner löwenköpfigen Frau Sachmet und dem gemeinsamen Sohn Nefertem lebte – und Amun, den immer wichtiger werdenden Gott in Waset, der hier mit Mut, seiner Gemahlin, und Chonsu, seinem Sohn, verehrt wurde. Allein die Tradition, die mit beiden Orten verbunden war, war verehrungswürdig – und die Ägypter schätzten die Tradition, das Althergebrachte, das Bewährte, das schon so lange andauerte. Wenn Ra am westlichen Horizont in die Unterwelt hinabgestiegen war, breitete sich das dichte schwarze Tuch der Nacht über dem Land aus. Dann war es zu dunkel, um weiter zu segeln und so legten sie an den Ufern der Gauhauptstädte an. In den Palästen der dortigen Fürsten standen ihnen als königliche Gesandte Gemächer zu, während die Schiffsbesatzung an Deck des Schiffes nächtigen musste. Bevor die jungen Männer aus Waset sich jedoch in ihre bequemen Gemächer zurückzogen, pflegte sie noch gemeinsam in der Nähe des Schiffes beisammenzusitzen. Proviant hatten sie genug dabei, und so fanden sie sich oft bei Datteln und Wein im rötlichen Schein des Feuers wieder, diskutierend über den Sinn und Unsinn ihrer Expedition. Es dauerte länger als eine Woche, bis Haremhab am östlichen Horizont eine Beobachtung machte, die ihm eine Gänsehaut über den braungebrannten Rücken laufen ließ. Er döste gerade gemeinsam mit seinen Begleitern unter einem Sonnensegel auf dem Deck und verfolgte die gerade Linie des östlichen Horizonts in dem Gebiet, das Eje ihm genannt hatte. Und plötzlich sah er es: Hinter einer weiten, offenen Ebene gab es einen Taleinschnitt, einen alten Wadi-Ausgang, der die Linie des gewaltigen Gebirges durch eine Senke teilte – und genau an der Stelle dieser Senke löste sich in diesem Augenblick der orangefarbene Sonnenball aus der Unterwelt und lag zwischen den beiden Bergteilen am östlichen Horizont. Dies war das Zeichen der Sonne von dem Amenophis gesprochen hatte, in der Schrift wurde es für den Begriff achet, „Horizont“, genutzt: Eine zwischen zwei Bergen aufgehende Sonne. Wortlos stand Haremhab auf und deutete mit dem Arm in die Richtung dieser „lebenden Hieroglyphe“. Alle verstanden ihn. 127

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Eine Begehung der großzügigen Ebene vor jenen Bergen erbrachte weder Lehmziegelruinen alter Häuser noch sonstige Überreste, die von einer früheren Besiedlung herrührten. An diesem Ort hatte noch nie zuvor jemand gelebt. Es war genau der Platz, den König Amenophis sich vorgestellt hatte. * Der kalte Wind peitschte aus westlicher Richtung und Ra-messu hielt die Hand des sterbenden Pharaos. Die Haut des Herrschers war aschfahl, sein Gesicht eingefallen. Die geschlossenen Augen lagen tief in ihren Höhlen und die welke Haut ließ die hohen Wangenknochen in ganzer Deutlichkeit erkennen. Als die beiden sich kennen gelernt hatten, war ­Haremhab ein Blickfang für die Frauen gewesen – groß, mit breiten Schulten und einer athletischen Figur. Heute lag derselbe Mann vor ihm, doch alle Kraft und Jugend waren aus ihm gewichen und seine Gedanken schienen in die andere, jenseitige Welt entrückt. Dann wandte Ra-messu seinen Blick von seinem Freund ab, starrte unruhig in den Raum und legte die Hand des Königs vorsichtig auf das Bett, auf dem der Pharao lag. Er stand auf, ging einige Schritte durch das Schlafgemach des Regenten und steuerte auf einen auf einer Truhe liegenden Handspiegel zu. Dieser lag mit der polierten Seite auf der Truhe. Langsam drehte Ra-messu ihn in seiner Hand. „Schöner bist du aber auch nicht gerade geworden“, sagte er dann tadelnd zu sich selbst. Da entwurzelte der starke Wind mit berstendem Krachen einen der jungen Bäume im Palastgarten. Der Pharao schreckte auf und starrte an das Fußende seines Bettes. „Mein Gott, das Mädchen!“, rief er aus, und die Poren seiner blassen Haut pumpten Schweißtropfen an die Oberfläche. Ra-messu bemerkte beunruhigt das schnelle Pochen neben dem Kehlkopf seines Freundes. „Das Mädchen ist gekommen“, hauchte der alte Mann. „Siehst du sie nicht?“ Ra-messu blickte zum Fußende des Bettes und erkannte im 128

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schwachen Flackerlicht lediglich, dass sie beide sich allein im Raum befanden. „Nein“, antwortete Ra-messu sanft, „ich sehe sie nicht. Wer ist es?“ Schwer ausatmend ließ sein Freund sein Haupt wieder auf die Kopfstütze sinken. „Ein totes Mädchen, das gekommen ist, um mich in die andere Welt zu bringen“, erklärte er mit brüchiger Stimme. „Sie muss mit dem Wind vom Westen gekommen sein.“ „Ein Mädchen?“, fragte Ra-messu. Der Pharao nickte. „Sie steht an meinem Bett und wartet darauf, dass ich bereit bin. Und ich fürchte, mein Körper wird nicht mehr lange willens sein, meine Seelen zu beherbergen.“ Mit jedem Satz wurde der Pharao schwächer und seine Worte leiser. Die Anstrengung des kurzen Wortwechsels hatte den alten Mann erschöpft, der nun wieder mit geschlossenen Augen auf seinem Bett lag. Ra-messu erkannte erleichtert, dass dennoch eine angenehme Ruhe auf seinem Gesicht lag. Verstohlen ließ Ra-messu seinen Blick langsam zum Fußende des Bettes gleiten – aber er konnte das Mädchen trotz seines betagten Alters nicht sehen – und er war froh darüber.

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Teil II Der Horizont des Aton 12. Regierungsjahr unter Seiner Majestät, dem König von Ober- und Unterägypten, Pharao Echnaton Wai-en-Ra, dessen Name nicht mehr genannt werden soll (etwa 1340 v. Chr.)

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Kapitel 1 Der Aufstand Es war wieder achet-Jahreszeit, aber dieses Jahr fiel sie sehr heiß aus, so dass Tier und Mensch gleichsam unter der drückenden Hitze in Achet-Aton zu leiden hatten. Dies war der Name der neuen Hauptstadt Ägyptens, sie befand sich an der Stelle, die Haremhab an jenem Morgen vor acht Jahren von einem Boot aus entdeckt hatte. Unmittelbar danach war der König zu dem Ort gereist und hatte befohlen, unverzüglich mit den Bauarbeiten zu beginnen, die nur ein Jahr später abgeschlossen wurden. In seinem 6. Regierungsjahr konnte schließlich die Residenz von Waset nach Achet-Aton verlegt werden. Der Pharao ertrug es in Waset nicht mehr, wie er sagte. Die Priester des Amun von Ipetsut waren durch die reichen Schenkungen seiner königlichen Vorfahren immer mächtiger geworden und bedrohten schon seit langem die Macht der Pharaonen, aber anstatt gegen sie vorzugehen, als noch Zeit dazu war, hatten seine Vorgänger den Tempel der hinterlistigen Männer immer weiter ausbauen lassen, indem sie ohne Unterlass stifteten. Mit der Zeit hatten die Hohepriester ein gefährliches Machtpotenzial entwickelt, denn sie erfüllten eine königliche und unverzichtbare Aufgabe: Anstelle des Königs versorgten sie die Gottheiten und gaben ihr, was sie brauchte und nach was sie verlangte. Durch diesen Dienst erwiesen sich die Götter dankbar und gaben ihrerseits dem Land, was es brauchte  – Fruchtbarkeit des Bodens, hohe Nilstände, gute Ernten und volle Kornkammern. Als Folge genossen die Geistlichen großes Ansehen in der Bevölkerung. Die neue Stadt war parallel zum Flusslauf in der weiten Ebene  vor dem Fuß des zerklüfteten Gebirges angelegt. Keine Mauer umschloss diese neue Hauptstadt, ebenso wenig wie Waset,  denn sie sollte ständig wachsen und sich ausdehnen ­können. Es gab ein nördliches und eine südliches Wohnviertel, die das eigentliche Zentrum umschlossen, das der große und ein kleiner Aton-Tempel auf der östlichen Seite einer breiten Königsstraße bildeten. Zwischen den beiden Heiligtümern lag der Wohnpalast des Herrschers. Eine überdachte Brücke führte 131

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von diesem über die Hauptstraße hinweg direkt in den Repräsentationspalast, der auf der westlichen Straßenseite lag. Mittig in der Brücke war ein Fenster eingelassen worden, aus dem sich das königliche Paar bei besonderen Anlässen, wie der Belobigung und Auszeichnung von Beamten, dem Volk zeigte, das sich dann auf der Pracht­allee versammelte. Der Pharao und Nofretete demonstrierten bei öffentlichen Auftritten immer eine Liebe und Harmonie, bei der sich Haremhab nie sicher war, ob sie ehrlich empfunden oder nur gespielt war. Jedenfalls gebar Nofretete ihrem Gemahl sechs Töchter: Merit-Aton, Maket-Aton, Anch-esen-pa-Aton, Nefer-neferu-Aton Ta-scherit, Nefer-Neferu-Ra und Setep-en-Ra – aber keinen Sohn, den er dringend als Thronfolger brauchte. Amenophis war der festen Überzeugung, dass es seine persönliche schwere Aufgabe sein musste, der Maat wieder gerecht zu werden. Zu diesem Zweck gedachte er, die unvergleichliche Göttlichkeit eines jeden ägyptischen Königs, die schon seit langem zu Ehren jenes schändlichen Gottes Amun aufgegeben worden war, wiederherzustellen – und sich nicht nur gegen die Priester und ihren Gott, sondern über diese zu stellen. Schon sein Vater, Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra, der Gerechtfertigte, hatte diese Überzeugung gehegt und entsprechende Wege eingeleitet, indem er sich selbst anlässlich jenes denkwürdigen Opet-Festes vor so vielen Jahren als Sonnengott der Macht des Gottes Amun und seiner Priestern entgegengestellt hatte. Sein Sohn Amenophis musste dieses Werk nun konsequent weiterführen: Dazu erklärte er, dass der verstorbene König, der Sonnengott auf Erden, nachdem dieser seine sterbliche Hülle abgestreift hatte, zur Sonne selbst geworden war und seitdem den Namen Aton trage, der über allem stand und seine wohlwollenden, lebensspendenden Strahlenarme über seinen Sohn ergoss. Im 5. Jahr seiner Regierung änderte der junge König deshalb seinen Geburtsnamen Amenophis, „Amun ist zufrieden“, in Echnaton, „Der dem Aton wohlgefällig ist“. Niemand durfte ihn seitdem noch mit seinem alten Namen ansprechen. Aton war also nichts anderes als die Reinkarnation seines Vaters Amenophis Neb-Maat-Ra. Deshalb wurde der neue Gott nun nach der Art der Pharaonen durch einen Uräus, eine aufgebäumte Kobra, geschützt, deshalb feierte er Thronjubiläen und 132

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nur aus diesem Grund wurden die Namen des Aton von königlichen Kartuschen, den Namensringen, umschlossen. Er war das Licht, das alles umspannte, das auch den letzten Winkel der Welt umfasste, den Dunst der Lüge auflöste und die Wahrheit aller Dinge zum Vorschein brachte. Doch durch die Schließung des Amun-Tempels in Ipet-sut und die Zerstörung von dessen Andenken, indem er Namen und Darstellungen des Gottes ausmerzen ließ, wo immer sie zu sehen waren, hatte Echnaton Schwierigkeiten hervorgerufen, die ernsterer Natur waren als die alten. Seine Ansichten veränderten den seit Jahrtausenden bestehenden Glauben der Ägypter und das machte den König bei seinen Untertanen nicht beliebter. Zu Recht hatte er eine ausgeprägte Angst vor Mordanschlägen. Er umgab sich mit so viel Militär zu seinem eigenen Schutz wie noch kein König vor ihm. Wenn er sich zeigte, hatte das Militär die Aufgabe, alle Anwesenden, gleich ob Greise, Frauen oder Kinder, in den Staub zu schicken. Alle mussten sich so tief verbeugen oder gar auf den Boden legen, dass es niemandem mehr möglich war, einen Stein oder einen Dolch nach dem Pharao zu werfen. * Die Luft flimmerte vor Haremhabs Augen. Selbst unter der leichten Perücke brannte die Kraft Atons fast unerträglich. Sein Nacken glänzte von Schweiß. Er fuhr, um die beiden Hengste zu schonen, in gemächlicher Geschwindigkeit mit seinem Streitwagen in die Ostwüste. Die Hufe der Tiere und die Räder wirbelten träge kleine Staubwolken auf – doch kein Wind trug sie fort. Seit dem Tod des Osiris-Neb-Maat-Ra waren zwölf Jahre vergangen. Haremhab zählte inzwischen bald 30 Sommer und blickte auf eine steinige Karriere zurück. Die inneren Kämpfe, denen er sich stellen musste, nachdem der Nachfolger den Thron der Beiden Länder bestiegen hatte, waren fest in seiner Erinnerung geblieben. Der junge König wusste aus ihrer gemeinsamen Zeit in Men-nefer, dass Haremhab seinem Bruder Thutmosis in Treue ergeben gewesen war. Eine vergleichbare Loyalität ihm selbst gegenüber traute er dem jungen Offizier nicht zu, der zudem mit einer Sängerin des Amun liiert war, deren Vater ein 133

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– wenn auch unbedeutender – Priester im Tempel von Ipet-sut war. Eindringliche Worte von Eje, der königlichen Nebenfrau Kija, die Echnaton aus Mildtätigkeit gegenüber seinem Bruder in sein Frauenhaus aufgenommen hatte, und Maja, der am neuen Hof eine steile Karriere gemacht hatte, waren notwendig, bevor Amenophis langsam und zögernd begann, Vertrauen zu Haremhab aufzubauen. Sechs Jahre war es nun her, dass Haremhab Amenia in einem bescheidenen, aber rauschenden Fest in Waset geheiratet hatte und schließlich mit dem Hof des Pharaos in dessen neu gegründete Hauptstadt Achet-Aton umsiedeln konnte. Kinder hatte ihm seine Frau zu ihrer beider Leidwesen allerdings noch nicht geschenkt. * Doch bevor es soweit kam, hatte sich Haremhab seinen Unterhalt als niederer Schreiber in einem der weitverzweigten Verwaltungsbüros am Hof des Königs verdienen müssen. Nachdem sie von ihrer Erkundungsreise zurückgekehrt waren, gab es seine alte Stelle unter Eje nicht mehr, der nun als Schwiegervater des Pharaos den Titel „Gottesvater“ führte und als Berater und engster Vertrauter des Königs ständig im Palast präsent sein musste. Ebenso erging es Maja, der von morgens früh bis spät in die Nacht dem Herrscher in Verwaltungsfragen zur Seite stand und dann erschöpft zu seiner Frau Merit zurückkehrte. Und auch die Besuche bei Amenia, die am gegenüberliegenden Nilufer wohnte, bedeuteten einen Aufwand, den er immer seltener auf sich nehmen konnte. So schlich sich die Einsamkeit in Haremhabs Leben, dem seine Anwesenheit bei Hofe zunehmend nutzlos vorkam. Sein einziger Trost war, dass er zumindest eine bescheidene Behausung im satten Grün einer kleinen Gartenanlage unweit des Palastgeländes sein Eigen nennen konnte. Das Haus war aus ungebrannten Lehmziegeln gebaut wie alle Wohnhäuser Ägyptens – einschließlich des Palastes. Nur die Tempel der Götter und die Gräber wurden aus unvergänglichem Stein errichtet, der die Ewigkeit überdauern sollte. Wie die meisten anderen Häuser war auch Haremhabs Domizil weiß getüncht, aber es war schon sehr alt und hier und da platzte bereits die Farbe ab und das Mauerwerk darunter zeigte tiefe Risse. Über das Dach war eine große 134

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Leinenplane gespannt, die es davor bewahrte, tagsüber zu sehr aufzuheizen. Auf diesem Dach verbrachte er die meisten Abende allein und versuchte dann häufig, den Sinn des Lebens auf dem Grund eines stets gut gefüllten Bierkrugs zu finden. Und in den heißen Monaten der schemu-Jahreszeit schlief Haremhab sogar hier oben, weil die Hitze im Wohnraum darunter unerträglich war. Es war friedlich auf seinem Dach, über dem sich kaum merklich die unbesiegbare Armee der funkelnden Sterne bewegte. Sie kam immer dann zum Vorschein, wenn der mächtige Sonnengott Ra mit seiner Barke hinter den westlichen Bergen versank. Eje hatte ihm einmal erklärt, dass diese strahlend leuchtenden Punkte am Firmament die Seelen der Verstorbenen seien, und oft fragte sich Haremhab, welcher davon Thutmosis sein könnte. Für ihn waren es damals die schönsten Momente des Tages, wenn langsam die Alltagsgeräusche um ihn herum verstummten und ganz allmählich das monotone und beruhigende Konzert der Grillen und das angenehme, in leichten Wogen auf und ab schwellende Quaken der Frösche zu den beherrschenden Stimmen der Nacht wurden. Nur hin und wieder unterbrachen vereinzelte Klagelaute eines gelangweilten Esels oder das heisere Bellen eines wachsamen Hundes in der Ferne die Stille um Haremhab herum. Wenn alles ruhig war und der Alkohol zu wirken begann, stieg er in den kühlen Monaten den schmalen Treppengang in seinen Wohnraum hinab, tastete sich in der Dunkelheit zu seinem niedrigen Bett in der engen Schlafnische und fiel in einen unruhigen, vom Bier berauschten Schlaf. Dieser brachte ihm quälende Träume, in denen Thutmosis noch am Leben war und als Pharao über Ägypten herrschte – und Haremhab sein glorreicher General, der Befehlshaber aller Truppen und Berater des Königs. Natürlich hatte Haremhab seinen weiteren Aufstieg selbst blockiert: Er bekam am Hof beängstigende Entwicklungen mit, hörte Gerüchte, dass der König den Gott Amun so übermächtig hasste, dass er den Tempel von Ipet-sut schließen lassen wollte. Haremhab war dem König aufgrund seiner Verbindung zu Amenia und ihrer Familie verdächtig. Der junge Mann wusste nicht, was mit Ipet-sut geschehen würde, aber er wusste, dass etwas in Vorbereitung war, dass für Tjenti und seine Familie bedrohlich 135

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werden könnte. Schließlich warnte er Amenias Vater und riet ihm, mit seiner Frau und seiner Tochter so schnell wie möglich aus Waset zu fliehen – am besten zu seinem Bruder nach Mennefer. Und Tjenti befolgte Haremhabs Rat. In einer sternenklaren Nacht legte in aller Heimlichkeit eine Barke ab, die ihn und die Seinen in Sicherheit brachte. Aber diese Abreise blieb nicht unbemerkt – und Haremhabs Beteiligung daran kam auch Amenophis zu Ohren. Der Königshof ist nichts anderes als ein Dorf, sagte Eje immer warnend. Es gibt kein Gerede, das nicht alle Ohren erreichen würde. Diese Gedanken quälten Haremhab bis in die vom Bier berauschten Träume hinein. Wenn ihn dann die ersten Sonnenstrahlen des folgenden Tages weckten, die durch die feinen Fensterschlitze gefiltert in sein Zimmer fielen und den Raum in ein sanftes Licht tauchten, hob er seinen schmerzenden Kopf von der Kopfstütze und fand sich in einer Wirklichkeit wieder, die so trist und eintönig war, dass er das Haus gar nicht verlassen mochte. So verging Tag für Tag, Monat um Monat und ein Jahr nach dem anderen in Waset. Eines Abends – Haremhab befand sich wieder einmal ausgestattet mit einem Krug Bier auf seinem Dach – klopfte es laut und ungleichmäßig an seiner Tür, als ob ein in Not Geratener um Einlass bitte. Haremhab sprang die Treppe in seinen Wohnraum hinab. „Wer ist da?“, fragte er unwirsch. „Maja!“ Haremhab öffnete erstaunt die leichte Holztür. Maja war schon seit vielen Monaten nicht mehr bei ihm gewesen. Sein Freund trat völlig erschöpft ein. Er wirkte verwirrt, seine Perücke saß schief auf dem Kopf und die verwischte Augenschminke ließ erkennen, dass er sich schon mehrfach mit den Händen durch das Gesicht gefahren war. Er fing sich jedoch sofort wieder, als er bemerkte, in welchem Zustand sich Haremhab befand. Maja ließ seinen Blick durch den übersichtlichen, spärlich eingerichteten Raum wandern. In einer Nische stand ein Bett mit einer schlichten Kopfstütze und ein kleiner Tisch aus Sykomorenholz wirkte verloren auf dem festgestampften Lehmboden. Tongefäße und mehrere Öllämpchen erleuchteten die gemauerten Anrichten 136

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links und rechts des Eingangs. Die zerfaserten Enden von Papyrusrollen ragten aus dem einen oder anderen Gefäß heraus und auch Haremhabs Schreibergarnitur lag dort. Der Raum war unaufgeräumt und dicke Lagen Staub und Flugsand, die Amun, der Gott des Windes, wie feines Mehl über alle Gegenstände gehaucht hatte, bedeckten die meisten Gegenstände. „Hast du getrunken?“, wollte Maja wissen. „Du siehst furchtbar aus!“ „Lass mich in Ruhe“, zischte Haremhab gereizt. „Geh zu deiner Frau oder kümmere dich um deine Karriere, anstatt mir Vorhaltungen zu machen.“ Haremhab sah seinen Besucher über den Rand seines Bechers prüfend an und fügte hinzu: „Besonders gepflegt siehst du auch nicht gerade aus!“ Maja zog die Perücke vom Kopf. Sein Schädel war kahlrasiert, ebenso wie der seines Gegenübers. „Der Tag war sehr lang und ich bin müde“, überging er die Bemerkung. Wortlos deutete Haremhab auf einen Schemel und reichte ihm einen Krug Bier. Sein Gast setzte sich und nach kurzem Zögern ergriff er schließlich auch das Getränk. „Was führt dich tatsächlich zu mir?“ Maja nahm einen kräftigen Zug. „Der König will mich befördern.“ Unwillkürlich umfasste Haremhab den Becher so stark, dass seine Fingerknöchel weiß schimmerten. „In welche Position?“, fragte er mit aufeinander gepressten Kieferknochen, deren Muskeln nun deutlich in seinem Gesicht hervortraten. „Zum General!“ Schweigen legte sich über die beiden Männer wie heißes, dickflüssiges Harz, das Haremhabs Sinnesorgane verklebte und ihm die Luft zum Atmen nahm. Er starrte in seinen Bierkrug, dessen Boden schon durch die trübe Flüssigkeit durchzuschimmern begann. Zwar freute er sich für seinen Freund, aber gleichzeitig traf ihn die Enttäuschung wie ein Faustschlag. Maja war für die Verwaltung gemacht – für eine sichere und ungefährliche Tätigkeit, dort könnte er es sicher weit bringen ... doch Maja als General? Seine Interessen gingen nicht im Mindesten in diese 137

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Richtung, und er brachte auch keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet mit. Es war nicht schwer, die Enttäuschung in Haremhabs Gesicht zu erkennen. „Es ist nicht, wie du denkst“, sagte Maja mit trockenem Mund und trank noch einen Schluck Bier. „Amenophis schätzt meine Loyalität, deshalb hat er mich mit dieser Aufgabe betraut. Und ich soll die Männer zusammenstellen, die mit mir zusammenarbeiten.“ * Es war jene Nacht, in welcher der damals niedere Schreiber wieder neuen Lebensmut schöpfte. Maja hatte ihn in das Boot gezogen, das dieser alleine nicht zu lenken vermochte. Daran erinnerte sich Haremhab, als er den trockenen und felsigen Weg entlangfuhr, der von Achet-Aton zum zerklüfteten Ostgebirge führte und lächelte kopfschüttelnd. Wie die Zeit alles verändert hatte! Maja, Kija und Eje hatten Amenophis tatsächlich davon überzeugen können, dass er, Haremhab, ein fähiger und loyaler Offizier war, der damals das Leben eines ungebrauchten Schreibers führte und dabei gleich einem edlen Streitwagenhengst, der die Arbeit eines Esels verrichten muss, verkümmerte. Um seine Ergebenheit dem Pharao gegenüber in würdiger Weise sichtbar zu machen, änderte Haremhab sogar seinen Namen in Pa-Aton-emhab, und ehrte so die von Amenophis favorisierte neue Erscheinungsform des Sonnengottes. Dieser Name erschien aber nur in den offiziellen Urkunden, jeder, der den jungen Offizier kannte, nannte ihn weiterhin bei seinem Geburtsnamen – einschließlich des Pharaos. Der König wog seine Entscheidung lange ab, doch dann ernannte er ihn zum General des Herrn der Beiden Länder – der Titel hatte Ehrenfunktion und bedeutete nicht den Oberbefehl über alle Truppen, so wie ihn Maja innehatte. Haremhabs Aufgabe beschränkte sich auf den Schutz des Königs, dessen Leibgarde er aussuchte, befehligte und zuweilen auch trainierte. Auf dem staubigen Übungsplatz hinter dem Palast von Waset hatte er sie gelehrt, ebenso mit bloßen Händen zu töten wie mit Speer und Dolch. Im Handgemenge eines versuchten Anschlags war es möglich, dass die Waffe eines Soldaten verloren ging, die Verteidigung des Königs musste jedoch stets sichergestellt sein. 138

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Wann immer Echnaton Zeit fand, spähte er heimlich aus einem Fenster seines Palastes auf den Übungsplatz der Leibwache und bewunderte die geschmeidige Eleganz der pantherhaften Bewegungen seines neuen Generals. Seine Entschiedenheit, seine Präzision im Kampf und seine Ehrlichkeit im Gespräch hatten jeden Zweifel, den Amenophis im Hinblick auf Haremhabs Loyalität noch gehabt haben mochte, aufgelöst wie Wassertropfen in der Mittagshitze. Der König fühlte sich sicher mit einer Leibgarde, die Haremhabs Befehl voller Bewunderung und Ergebenheit unterstand. Formal gesehen war Maja in militärischen Fragen Harem­ habs Vorgesetzter, tatsächlich jedoch wurde keine Entscheidung getroffen, ohne die vorherige Rückversicherung beim neuen General einzuholen. Auch Eje befand sich als Leiter der Bogenschützen und als Aufseher aller Pferde des Herrn der Beiden Länder im militärischen Tätigkeitsfeld der Residenz. Ihnen allen stand der alte General Ra-mose vor, der noch unter Neb-Maat-Ra Wesir gewesen war. Aber seine Titel brachten mehr eine Ehrenfunktion als eine tatsächliche Aufgabe zum Ausdruck. Er genoss die Früchte und das Ansehen des Alters, beriet gerne, wenn er gefragt wurde, und ließ ansonsten die jüngeren Männer „ihre eigenen Fehler machen“, wie er immer augenzwinkernd betonte, „damit sie etwas lernen.“ Der Weg schien endlos und Haremhabs Kehle war ausgetrocknet. Eine rasche Bewegung über sich, ein Schatten, der über sein Gesicht glitt, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Augenblicklich stoppte er den Wagen und schaute nach oben. Die Sonne stand hoch und er schützte seine Augen mit einer Hand vor ihren gleißenden Strahlen. Direkt über ihm kreiste ein Falke in fast greifbarer Höhe. Der Vogel bewegte die Flügel nur leicht, um sich in der unbewegten Luft über dem Mann halten zu können. Er hielt den Kopf schräg und fixierte Haremhab mit einem Auge. Haremhab genoss dieses Schauspiel einige Momente, dann sagte er lächelnd: „Hoffentlich hat dir die Hitze nicht die Sinne verwirrt: Ich bin keine Maus!“ Der Falke bewegt sich nicht von der Stelle und beide schauten sich an. Gerade als es Haremhab unangenehm wurde, weil er einen Angriff dieses ansonsten eher scheuen Tieres nicht mehr ausschloss, stieg der Falke in einer majestätischen Bewegung in 139

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die Höhe und verschwand mit einem langgezogenen Ruf hinter dem Ostgebirge von Achet-Aton. Haremhab sah ihm fasziniert nach, blieb noch einen Augenblick lang stehen, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und setzte dann nachdenklich seinen Weg fort. * Maja war feist geworden. Als Aufseher aller Arbeiten des Königs war er auch auf nicht-militärischem Gebiet der Vorgesetzte des Aufsehers der Arbeiten in Achet-Aton, einer weiteren Funktion Haremhabs. Als solcher inspizierte Maja in unregelmäßigen Abständen den Fortschritt der Ausschachtungsarbeiten am königlichen Grab, das unter Haremhabs Verantwortung im Haupttal in den Felsen geschlagen wurde und zu dem er nun unterwegs war, denn Maja hatte durch einen Boten nach ihm schicken lassen. Haremhab war nicht oft hier. Er inspizierte nur hin und wieder die Entwicklung der Arbeiten am Königsgrab und vertraute ansonsten auf die Kenntnisse der Arbeiter, Architekten, Zeichner, Bildhauer und Vorarbeiter. Im Falle eines Misserfolgs, wenn etwa durch Nachlässigkeit ein Abschnitt nicht im festgelegten Zeitplan vollendet werden konnte, war der Vorarbeiter ihm, Haremhab Maja, Maja dem Wesir und der Wesir dem König Rechenschaft schuldig. So schaute er, wenn er Lust und Zeit hatte, am Königsgrab und an einigen weiteren Grabanlagen vorbei, die Echnaton für Familienmitglieder vorbereiten ließ. Dann ließ er sich vom Vorarbeiter herumführen, einem Mann, den eigentlich nichts aus der Ruhe zu bringen schien – außer ein Besuch Haremhabs. Obwohl er niemals Kritik zu hören bekommen hatte, zuckte jedes Mal, wenn der Aufseher aller Arbeiten von Achet-Aton angekündigt wurde, eines seiner Augenlider und seine sonst so gleichmäßigen und bedachten Bewegungen wurden zappelig und hektisch wie die eines Äffchens. Das letzte Mal war Haremhab vor etwa drei Wochen hier gewesen und er staunte, in welcher Geschwindigkeit die Männer seitdem weitergekommen waren. Nun erreichte er den Zugang in die enge Schlucht, die zum Königsgrab führte und von zwei von Mahus Männern bewacht 140

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wurde. Sie waren mit Schild, Speer und einem Dolch bewaffnet, der im Bund ihrer Schurze steckte. Ihr angespannter Gesichts­ ausdruck verriet, dass eine hochstehende Persönlichkeit im Inneren des Wadis weilte, für deren Sicherheit sie nun zu sorgen hatten. Mahu war der Vorgesetzte der Stadtwache von AchetAton und für alle Fragen der öffentlichen Sicherheit zuständig. Haremhab hatte schon oft mit ihm zusammengearbeitet, wenn es darum ging, die Sicherheit des Königs während einer besonders großen Veranstaltung zu gewährleisten, denn die 35 Männer der Leibgarde reichten nicht aus, um in großen Menschenansammlungen einen ausreichenden Schutz zu bieten. Unterstützt von den rund 300 Soldaten der Stadtwache, die von Haremhab ­während bedeutender Veranstaltungen gewöhnlich an strategischen Orten postiert und vorher gründlich unterwiesen wurden, war es bislang noch nie zu nennenswerten Zwischenfällen gekommen. Haremhab stieg nun von seinem Wagen und hieß die Wachen auf seine Pferde achten. Von hier aus musste er zu Fuß weitergehen, denn der Weg war zu uneben für die Tiere und die Räder seines Wagens. Maja saß im Schatten des breiten Sonnensegels gegenüber dem Grabeingang, der zum Königsgrab führte. Ein Diener bewegte in gleichmäßigen Bewegungen einen Fächer aus Straußenfedern und wehte kühlende Luft an Majas aufgedunsenen Körper. Die Arbeiter waren in den letzten Monaten zügig vorangekommen, man hörte von draußen kaum noch das metallische Klirren der Meißel auf dem Gestein, so weit hatten sie den Gang schon in den Felsen getrieben. „Du hast mich rufen lassen, Maja“, machte Haremhab auf seine Anwesenheit aufmerksam und trat – ohne eine entsprechende Aufforderung abzuwarten – zu seinem Vorgesetzten in den Schatten des Sonnensegels. Der Diener verbeugte sich. Im Schatten an der Felswand hatten Majas Träger seine Sänfte abgestellt und verneigten sich ebenfalls, als sie seine Ankunft bemerkten. „Gegrüßt seiest du, Haremhab“, empfing ihn Maja und wandte sich dem Ankömmling zu. „Deine Männer haben während meiner Abwesenheit gute Arbeit geleistet.“ Maja deutete mit einem Wedel, den er dazu benutzte, lästige Fliegen zu verscheuchen, auf den Eingang zum Königsgrab. 141

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Haremhab nickte: „Ja, die Arbeit geht gut voran und der Vorarbeiter lässt keinen Müßiggang zu.“ „Verzeih, dass ich dich in dieser Hitze habe kommen lassen!“, Majas Gesicht glänzte von Schweiß, ohne dass er sich bewegt hätte; sein Gegenüber hob verständnisvoll die sonnengebräunten Schultern. „Du bist ein viel beschäftigter Mann, dessen Zeit knapp bemessen ist!“ „So ist es“, Majas Eitelkeit tat es gut, wenn seine Wichtigkeit hervorgehoben wurde. Süß und wohltuend wie Dattelsaft flossen solche Worte seine Kehle hinab, obwohl er ahnte, dass Haremhab die Äußerung nicht wirklich so meinte. Maja war stets nur kurz in Achet-Aton. Als Aufseher aller Arbeiten des Königs musste er nicht nur ständig zwischen Iunu und Achet-Aton, sondern auch zu allen neuen Vorhaben des Königs durch das gesamte Land reisen. Denn Echnaton wollte, dass sämtliche Darstellungen des Gottes Amun, selbst in den entlegensten nubischen Winkeln des ägyptischen Imperiums ausgelöscht wurden. Auch der göttliche Name musste überall getilgt werden, selbst wenn er in dem Namensring eines Königs erschien. Neben diesen Zerstörungen, die mit großer Sorgfalt ausgeführt werden mussten, gab es aber noch zahlreiche neue Bauten in ganz Ägypten, die Echnaton in Auftrag gegeben hatte und deren Fortschritte Maja in unregelmäßigen Abständen unangekündigt zu inspizieren pflegte. Seine Stellung im Staat war hoch und äußerst einflussreich, über ihm stand in der gesellschaftlichen Ordnung nur noch der Wesir. Haremhabs Aufgaben hingegen waren einzig auf Achet-Aton und den Palast reduziert. „Dann sollten wir keine Zeit verlieren“, schlug Haremhab vor. Als sie nach der Besichtigung das neblige Halbdunkel der Königsgruft verließen und das helle Licht Atons in ihren Augen spürten, war dies im ersten Moment unangenehm, wie jedes Mal, wenn man aus der schattigen und schützenden Kühle eines Grabes in das gleißende Tageslicht hinaustrat. Haremhab spürte genau, dass es noch etwas gab, was Maja ihm mitteilen wollte. „Thutmosis, der Vizekönig von Nubien, hat einen Boten nach Achet-Aton geschickt, der uns dieses Schriftstück gebracht hat“, Maja hielt plötzlich ein handtellergroßes, mehrfach gefaltetes 142

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Papyrusblatt zwischen Zeige- und Mittelfinger und reichte es Haremhab mit einer vielsagenden Geste. Dieser nahm es entgegen – das Siegel des Vizekönigs war bereits gebrochen. Langsam faltete er das Dokument auseinander und las seinen Inhalt. Die Schrift war deutlich und klar: „Die Feinde vom Fremdland Akujati denken an Aufruhr gegen Ägypten, indem sie herunterkommen gegen das Land Nubien, um von ihren Bewohnern den Lebensunterhalt zu rauben, durchziehend jeden Bezirk, um zu rauben.“ Haremhab faltete den Brief schweigend wieder zusammen und reichte ihn Maja zurück. „Schade, der König wird nicht reagieren“, bedauerte er schließlich und ließ seinen Blick über das ferne Niltal schweifen, in dessen Mitte der Fluss silbern funkelte. „Aber du irrst dich! Der König will dem Unrecht, das sich in Nubien ausbreitet, Einhalt gebieten!“ Haremhab starrte ihn ungläubig an. „Er hat mir als General des Herrn der Beiden Länder den Befehl gegeben, einen geeigneten und kampferprobten Mann zu Thutmosis nach Nubien zu schicken; dieser soll ihm den Auftrag zur Vernichtung sämtlicher Rebellen übergeben und die vorhandenen Truppen strategisch unterstützen.“ Haremhab hob erwartungsvoll die Augenbrauen. „Du hast dabei an mich gedacht?“ „Nun, Echnaton selbst hat auf deine Teilnahme bestanden!“ * Im Garten vor dem Teich hatten Kijas Diener eine prächtige Laube aus Holzbalken und Matten im Schatten einer knorrigen Sykomore aufgebaut und farbenfroh mit wehenden Stoffbändern dekoriert. Kija und ihre Vertraute Maia standen auf der Palastterrasse und betrachteten das fertige Werk. „Hier wird es geschehen“, sagte Maia bedeutungsschwer. „Hier wirst du den zukünftigen Herrscher Ägyptens, den Horus im Nest, zur Welt bringen.“ Kija hob zweifelnd eine Augenbraue, während sie gedankenversunken eine einzelne Blüte im Garten fixierte und doch nicht richtig wahrnahm. Ihr Verstand weigerte sich, allein auf die Vision ihres 143

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Königlichen Gemahls zu vertrauen. Echnaton hatte, kurz nachdem Kijas Blutungen ausgeblieben waren, einen Traum gehabt, in dem ihm der Gott Aton prophezeite, dass seine Nebenfrau Kija einen Sohn in ihrem Leib trug, der ein lebendiges Abbild des Aton sein würde. Diesen Traum verstand der König als unzweifelhaftes göttliches Zeichen, als überirdische Vision, als unumstößliche Wahrheit. Jedermann erkannte jedoch die abgrundtiefe Verzweiflung, die sich hinter der bedingungslosen Ausschließlichkeit verbarg: Die große und elegante Nofretete, an Schönheit und Anmut nicht zu überbieten, die Hauptgemahlin ihres Mannes, hatte Echnaton in den vergangenen elf Jahren zwar sechs Töchter geboren, deren Liebreiz allmorgendlich das Licht Atons heraufbeschwor, aber ein männlicher Thronfolger befand sich nicht unter ihren Kindern. Die Anstrengungen der vergangenen Jahre, der seelische Druck und die tägliche Angst um sein Leben hatten Echnatons bereits angeschlagener Gesundheit weiter zugesetzt. Der Tag des Aufstiegs in eine ewige Existenz an der Seite seines Vaters Aton rückte von Tag zu Tag näher, ohne dass der Fortbestand von Echnatons Lebenswerk durch einen männlichen Nachkommen sichergestellt gewesen wäre. Doch eines Abends war sein Kammerherr ehrfürchtig in die abgeschirmten privaten Gemächer des Königs gekommen, als Diener gerade dabei waren, den erschöpft und gelangweilt wirkenden König zu entkleiden. Nach einer tiefen Verbeugung, der ein strahlendes Lächeln folgte, das die Gesichtszüge des Syrers erhellte, hatte dieser gesagt: „Majestät, die Große geliebte Gemahlin des Königs von Oberund Unterägypten, der in der Wahrheit lebt, des Herrn der Beiden Länder, Nefer-cheperu-Ra Wai-en-Ra, der das vollendete Kind des lebenden Aton ist und der ewig lebt, Kija, ist schwanger!“ Echnaton schaute ihn jetzt aufmerksam und interessiert an und gebot mit einer Handbewegung den Dienern, die soeben den schweren Halskragen von den schmalen Schultern des Königs lösen wollten, den Raum zu verlassen. „Weiter!“, forderte der König mit einem Strahlen der Hoffnung in seinen Augen, nachdem sie allein waren. Tutu klatschte vor Freude aufgeregt in die Hände. „Die Ärzte haben sie seit zwei Wochen Emmer und Gerste in zwei Leinenbeuteln mit ihrem Harn befeuchten lassen ...“, Tutu 144

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machte eine bedeutungsschwere Pause. „Und ... was hat gekeimt?“, drängte Echnaton. Tutus breites Grinsen entblößte eine Reihe unvollständiger Zähne. „Die Gerste!“, sagte er schließlich feierlich und Echnaton brach in ein befreiendes Gelächter der Erlösung aus. Kija erwartete einen Knaben! * Drei Wochen waren seit Haremhabs Aufbruch aus Achet-Aton vergangen. Bei sich trug er die vom Pharao persönlich gesiegelte Ermächtigung, den aufrührerischen Stamm zu vernichten. Die Reise nach Wawat war entbehrungsreich und anstrengend und das nubische Gebiet schroff und abweisend. Der Gesandte hatte einige ägyptische Garnisonen passiert, zuletzt auf der Nilinsel Abu Station gemacht und war in der Festung von Baki mit den wenigen Truppen des Vizekönigs von Nubien zusammengetroffen. Thutmosis war ein hagerer und sehniger Mann. Seine dunkelbraune Haut wirkte ledern auf dem mageren Körper. Er trug einen bescheidenen Halskragen und einen nicht mehr ganz weißen Schurz. Bei ihrer ersten Begegnung lag Erstaunen darüber, dass Haremhab ohne Truppen in Baki eingetroffen war, auf seinem Gesicht. Der Befehl seines Königs war eindeutig: „Königlicher Befehl an den Königssohn von Kusch und Vorsteher der südlichen Fremdländer: Hebe ein Heer aus und unterwerfe die Feinde vom Fremdland Akujati, Männer wie Frauen!“ Die ausgehobenen Rekruten waren ein paar unerfahrene Jünglinge, die zuvor mit ihren Speeren höchstens auf die Jagd nach Wildtieren gegangen waren. „Das ist alles, was ich an kampffähigen Männern in dieser Gegend zusammenbringen konnte“, Thutmosis war besorgt. „Wie hoch ist die Zahl der Gegner?“, wollte der ägyptische General wissen. „Zwischen 300 und 400 Menschen!“ Haremhab sog hörbar Luft zwischen den Zähnen ein. „Das ist doppelt so viel, wie wir aufzubieten haben!“ 145

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* Nur zwei Tage später standen die beiden Männer im Morgengrauen auf einer Anhöhe und blickten auf die zeitweilige Siedlung der nomadischen Akujati herunter, deren Umrisse in einiger Entfernung im Licht der aufgehenden Sonne langsam begannen, Gestalt anzunehmen. Sie hatten sie auf dem Ostufer gefunden, etwas nördlich einer Zisterne. Von hier aus waren die Überfälle auf die nubischen Gebiete ausgegangen, die sich noch unter ägyptischem Protektorat befanden. Diese nubischen Rebellen hatten gegen das ägyptische Imperium aufbegehrt und sich damit des Hochverrats schuldig gemacht. Da Echnaton die stationierten Truppen drastisch reduziert hatte und persönlich niemals hier erschienen war, glaubten die Akujati, ihre Raubzüge ungestraft führen zu können. Allmählich erwachte die primitive Anhäufung von Hütten und Zelten zum Leben. Frauen kamen mit leeren Gefäßen auf den Köpfen aus den Behausungen und füllten sie im Brunnen auf. Manche molken ausgedörrte Ziegen. „Bist du sicher, dass die Rebellen, die für die Plünderungen verantwortlich sind, aus dieser Siedlung kommen?“, fragte Haremhab verunsichert. Thutmosis nickte ruhig. „Lass dich von dem friedlichen und harmlosen Bild nicht täuschen!“ „Aber ich sehe nur Frauen.“ Niemand der beiden bemerkte den Schatten, der sich im Schutz der Felsen langsam und lautlos an sie herangeschlichen hatte. Als Haremhab das zum Angriff erhobene Beil aus den Augenwinkeln sah, war es bereits zu spät. * Kija schrie aus Leibeskräften und ihre Fingernägel krallten sich in Maia-Menats Unterarm. Der Schmerz machte sie rasend. Schweiß und Tränen vermischten sich auf ihrem Gesicht mit der schwarzen Schminke ihrer Augen. In der Geburtslaube waren außer Maia nur zwei Dienerinnen anwesend, Männer hatten keinen Zutritt – nicht einmal der König. Maia machte sich ernsthafte Sorgen um ihre Freundin. Diese 146

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hatte bereits 40 Sommer erlebt und noch keinem Kind das Leben geschenkt. Das erste Mal war immer das schwierigste, das wusste Maia aus eigener Erfahrung, aber je älter eine Mutter bei dieser ersten Geburt war, umso mehr Komplikationen konnten sich einstellen. Sie kannte viele Frauen, deren Kinder lebendig die Geburtslaube verlassen hatten – allerdings ohne ihre Mütter. Kijas Wehen kamen nun in kurzen Intervallen, die ihr kaum noch die Zeit zum Erholen ließen. Sie hatten am späten Nachmittag eingesetzt, als die Sonne schon tief stand und die Spatzen in den Büschen und Bäumen ihr hektisches Konzert begannen. Und es war kurz vor der Dämmerung des nächsten Tages, als Maia-Menat ein glitschiges, schreiendes Bündel in den Armen hielt, das soeben aus dem Schoß seiner Mutter geboren worden war und dem Maia mit geübten Griffen die Nabelschnur durchtrennt hatte. „Was ist es“, fragte Kija, kaum mehr verständlich, mit ihrer letzten Kraft. „Ein Junge“, Maia-Menat schossen Tränen in die Augen, „du hast den Thronfolger geboren!“ Unendlich erschöpft, aber stolz und erleichtert schloss Kija die Augen. Die drei Frauen, die ihr bei der Geburt geholfen hatten, kümmerten sich um das Neugeborene, den zukünftigen König Ägyptens, und bemerkten nicht, dass die Menge Blut, die noch immer aus dem Schoß der bewusstlosen Frau sickerte, das normale Maß überstieg. * Die Streitaxt traf Vizekönig Thutmosis unvorbereitet am Hinterkopf, worauf dieser wie ein nasses Stück Leinenstoff augenblicklich zu Boden sank. Der Angreifer holte zu einem weiteren Schlag aus, als Haremhab den erhobenen Unterarm des Schwarzen zu fassen bekam und unerbittlich zudrückte. Mit der anderen Hand verdrehte der General seinem Feind das Handgelenk, das die tödliche Waffe umklammert hielt. Erst kam das Knacken, nur unmerklich später der gurgelnde Schrei, bevor schließlich die Axt zu Boden fiel. Mit einem mächtigen Tritt schleuderte Haremhab die Waffe fort und ließ den Nubier los, der sofort auf die Knie sank und sein Gelenk umfasste. 147

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Ein Röcheln drang aus dem Körper des Vizekönigs, das Haremhab verriet, dass dieser noch lebte. Durch das Handgemenge waren nun endlich ihre Begleiter aufmerksam geworden, die eilenden Schrittes die Anhöhe erklommen und dem Verletzten zu Hilfe eilten. Als der General wieder zum knienden Schwarzen sah, trafen sich ihre Blicke. Die weißen Stellen der dunklen Augen im tiefschwarzen Gesicht des Angreifers leuchteten im schwachen Licht unbarmherzig. Die Oberlippe kräuselte sich verächtlich in dem schlecht rasierten Gesicht und er sprach Worte, die Haremhab gut verstand, obwohl er die Sprache nicht kannte. Der Akujati musterte den Ägypter mit hasserfüllten Augen von oben bis unten und hörte nicht auf, ihn mit Schimpfworten zu belegen. Haremhabs Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen und als der Schwarze ihm schließlich vor die Füße spukte, packte er dessen dichten Haarschopf und zerrte ihn über den steinigen Geröllboden zu einem Stück anstehenden Felsgestein. Plötzlich waren die Augen des Nubiers nicht mehr so entschlossen, sondern hilflos und seine Worte klangen wimmernd, als er versuchte, sich dem Griff seines Peinigers zu entziehen. Haremhab zwang ihn aufzustehen, griff tief und fest in das dichte Haar über dem Ohr des Angreifers – er sagte nichts, aber der Schwarze verstand, dass sein irdisches Leben bald vorüber sein würde. Der Ägypter holte weit aus und zerschlug den Schädel des Attentäters an dem Felsen neben sich. * Pentju, der Leibarzt des Königs und ein weiterer Schüler des inzwischen verstorbenen Djedi, trat mit gesenktem Blick aus der Laube und schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann die Blutungen nicht aufhalten“, sagte er leise. „Sie hat so viel Blut verloren, dass sie wahrscheinlich nicht mehr zu Bewusstsein kommen wird!“ Die Dienerin neben Maia-Menat begann zu schluchzen und verbarg das Gesicht hinter beiden Händen. Maia legte einen Arm um sie. „Wir müssen auf die Götter hoffen“, gestand Pentju seine Macht148

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losigkeit ein. „Ich habe zu Heqet, der froschköpfigen Geburtshelferin, gebetet und habe für Bes, den Schutzgott der Gebärenden, Weihrauch entzündet. Ihre Amulette liegen auf dem Bauch der Königin. Wir können nichts weiter tun als zu beten!“ * Es war eine der nubischen Frauen der Nomadensiedlung, die um die Abendzeit das eigenartige Gebilde auf der Anhöhe entdeckte. Sie konnte sich nicht erklären, was es war. Es wirkte wie ein Mensch, der wie ein Banner am oberen Ende einer Stange hinund hergeschaukelt wurde. Vielleicht war es ein Dämon …? Das Ding bewegte sich nur dann, wenn die milde Brise, die vom Nil heranwehte, es umspielte. Die Frau wandte sich ab, doch schließlich siegte ihre Neugierde und sie stieg die für sie beschwerliche, felsige Anhöhe hinauf. Als sie endlich nahe genug an dem Objekt war, um seine Konturen ausmachen zu können, weigerte sich ihr Verstand zu akzeptieren, was ihre Augen erkannten. Es war ein Mann ihres Stammes, der leblos auf einen senkrecht in den Boden gerammten, menschenhohen Holzpfahl in Bauchhöhe aufgespießt worden war und entsetzlich langsam an diesem herunterglitt. Er war nackt, sein Glied und seine rechte Hand waren abgeschlagen worden. Die Frau konnte nicht erkennen, wer der hingerichtete Mann gewesen war, denn dort, wo sich einst sein Kopf befunden hatte, glänzte nun nur noch eine breiige und blutige Masse. Sie wusste, dass Ägypter ihn getötet hatten, denn es war bekannt, dass sie dem Körper eines hingerichteten Feindes Hand und Phallus vom Rumpf abtrennten, damit er sich im Jenseits weder fortpflanzen noch je wieder einen Angriff ausüben konnte. Die Leiche des Mannes war zusätzlich gepfählt worden, weil er sich des Hochverrats schuldig gemacht hatte. Sie unterdrückte einen Schrei der Trauer und der Angst, als sie in der Dämmerung eine Truppe der Ägypter in der Ferne von der Nilseite auf die Anhöhe zukommen sah. Hektisch wechselte ihr Blick zwischen der schrecklich zugerichteten Leiche auf der einen und den anrückenden Soldaten auf der anderen Seite. Schließlich rannte sie, so schnell ihre 149

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wackeligen Beine sie zu tragen vermochten, die felsige Anhöhe in ihre Siedlung hinab. * Kija war nicht mehr aufgewacht. Seit den frühen Morgenstunden jenes Tages, an dem sie einem kleinen Jungen das Leben geschenkt hatte, verlosch ihr eigenes mit jedem schwachen Atemzug mehr. Die Ärzte und auch die Götter, die zum Schutz der Gebärenden angerufen worden waren, konnten die könig­ liche Nebenfrau nicht wieder ins Leben zurückbringen. Echnaton beklagte Kijas Tod bitter. Aus Trauer rasierte er sich wochenlang nicht mehr. Aber das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber der Unabwendbarkeit des Todes wurde von den zufriedenen Lauten des jungen Prinzen gemildert, der nun in feinstes Leinen gewickelt in Echnatons Armbeuge lag. „In meiner Vision hat Aton mir deine Ankunft angekündigt. Er nannte dich sein lebendiges Abbild – und das soll dein Name sein: Tut-anch-Aton – ‚Lebendes Bild des Aton‘!“ Der König rief die Wache zu sich. „Veranlasse, dass der Gottesvater Eje und der General Maja im Audienzsaal erscheinen!“ Echnatons Stimme hallte majestätisch in dem hohen Raum – und erschreckte den Prinzen, der zu weinen begann. Der Wächter erhob sich ehrerbietig und entfernte sich, während der König seinen Sohn an dessen Amme Maia-Menat übergab, die mit dem Kind in den hinteren Räumlichkeiten ver­ schwand. Es verging eine Weile, in der der Prinz gedöst hatte, bevor Eje und Maja den Saal betraten. Beide waren außer Atem. Sie knieten auf dem Boden und berührten diesen mit ihrer Stirn. „Ihr dürft euch erheben!“ Eje hatte aufgrund seines Alters und Maja infolge seiner Körperfülle Schwierigkeiten, den Wunsch des Königs zügig auszuführen. Zu seinem General gewandt sprach Echnaton: „Ich habe beschlossen, zu Ehren meines Sohnes und Nachfolgers eine Tributlieferung aller Fremdländer, der südlichen wie der nördlichen, zu befehlen. Sorge für alle nötigen Vorbereitungen!“ 150

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Maja nickte ergeben und zog sich zurück. Echnaton machte eine gewichtige Pause, bevor er weitersprach. „Eje, ich möchte, dass du dich um die Erziehung meines Sohnes kümmerst. Dir gebührt diese Ehre. Du hast einen Kronprinzen, meinen Bruder Thutmosis, einen König und eine Königin erzogen. Bei dir ist er in den besten Händen.“ „Mit Verlaub, Majestät“, Eje traute sich kaum zu widersprechen, „bedenkt mein Alter. Eben weil ich schon so viele Kinder aufgezogen habe, glaube ich, dass jemand Jüngerer ...“ „Eje!“ Echnatons Stimme dröhnte durch den Audienzsaal, „auch wenn du Gottesvater und damit Schwiegervater des Königs und leiblicher Vater der Königin bist – wage nicht, meinen göttlichen Befehl in Zweifel zu ziehen!“ „Niemals, Majestät!“ Nach einer Weile fragte der König: „An wen würdest du diese Verantwortung übergeben wollen?“ „An niemanden alleine, Majestät! Ich dachte daran, diese verantwortungsvolle Aufgabe mit Pa-Aton-emhab teilen zu können. Denn siehe, er ist in dem richtigen Alter, doch seine Frau hat noch nicht geboren. Er bringt die Vorzüge der Jugend, aber dennoch die nötige Reife und kluges Geschick in militärischen Fragen mit. Ich hingegen habe dem nur die Erfahrung meiner Jahre entgegenzustellen.“ Echnaton dachte nach. Schließlich erhob er sich von seinem Thron, stieg die Stufen des Podestes herunter und legte vertraulich eine Hand auf die Schulter seines Schwiegervaters. „Lieber Eje“, begann er, „ich werde nicht mehr lange als Pharao Ägyptens unter den Lebenden weilen. Mein Aufstieg zu meinem Vater Aton wird geschehen, bevor mein Sohn alt genug ist, um meine Nachfolge anzutreten.“ Eine bedrückende Stille trat ein. Eje senkte benommen den Kopf. „Wenn mein Sohn König von Ägypten ist, wird er noch ein Kind sein. Das bedeutet, dass er weise Ratgeber an seiner Seite braucht. Mein königlicher Wunsch ist, dass du einer dieser Ratgeber bist, und wenn du glaubst, dass Pa-Aton-emhab besonnen und weise genug für diese Aufgabe ist, dann soll er mit dir zusammen für die Erziehung und später für die politischen und militärischen Entscheidungen des zukünftigen Königs prägend sein.“ 151

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Eje verneigte sich. „Ich danke Euch für Euer Vertrauen, Majestät!“ * Haremhab sah von Weitem, wie die Akujati-Frau, die neben dem Pfahl gestanden hatte, in der Dämmerung verschwand. „Sie wissen, dass wir kommen“, raunte er seinen Soldaten zu. „Aber das wird sie nicht retten können!“ Kurz vor der Anhöhe gab er Befehl, dass sich die Truppe teilen sollte. Der taktisch begabte Haremhab hatte wohlweislich auf die unerfahrenen Rekruten verzichtet und stützte sich auf die – im Verhältnis zur Anzahl der Feinde – wenigen erfahrenen Krieger, die in Baki stationiert waren. Einen fähigen Offizier namens Ramessu hatte er mit der Leitung der zweiten Gruppe betraut. Die Bogenschützen erklommen mit ihm die Anhöhe, während zwei weitere Einheiten die Felsen umgingen und sich der Siedlung in der Ebene von zwei Seiten her näherten. Der Gepfählte verbreitete einen entsetzlichen Gestank. Ein Laufbursche entzündete ein Feuer und die Bogenschützen tauchten ihre mit ölgetränkten Leinenbändern umwickelten Pfeilspitzen in die Flammen. Als alle Schützen auf ihren Positionen standen, hörten sie die Unruhe in der Siedlung bis zu ihnen hochdringen. Wie eine unverschlossene Kette hatten sich die kleinen flackernden Glieder über die Silhouette der Hügel gelegt. Die untergehende Sonne war bereits hinter der Anhöhe versunken und die Ebene selbst lag in aschfarbener Dunkelheit. Gerade noch konnten die Bogenschützen die Umrisse der bewohnten Fläche erahnen. Da gab Haremhab das Zeichen zum Abschuss. Wie Sternschnuppen zischten zwanzig leuchtende Pfeile talabwärts. Nur Augenblicke später hatten einige der trockenen Schilfdächer Feuer gefangen und brannten lichterloh. Die Flammen schlugen schnell um sich und ergriffen auch die Zelte. Schreie erfüllten die beginnende Nacht und Männer und Frauen liefen in wilder Todesangst durcheinander. Auch Kinder konnte Haremhab erkennen. Den Soldaten hatte er befohlen, nur Gefangene zu machen, lediglich Männer, die sich zur Wehr setzten oder angriffen, sollten getötet werden. Frauen und Kinder wurden ohnehin geschont. 152

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Die beiden Einheiten hatten die Siedlung erreicht und griffen die fliehenden Menschen auf. Niemand entkam. Als Haremhab mit den Bogenschützen die Hügel hinabstieg, war der Angriff bereits vorüber. Im unruhig flackernden Schein des brennenden Dorfes zählte er 145 lebendige Gefangene, 12 davon waren Kinder. 225 männliche Rebellen mussten allerdings getötet werden. Ihre Anführer, die rasch identifiziert worden waren, pfählte man bei lebendigem Leib. Die Männer wimmerten, Frauen und Kinder weinten. Einige Soldaten waren damit beschäftigt, den toten Männern die Kampfhände abzuhacken. Es war wichtig, dass die Urteilsvollstreckung, die Echnaton dem Vizekönig schriftlich mitgeteilt hatte, zügig und vor den Augen der Angehörigen durchgeführt wurde, damit der Dämon der Rebellion in den Herzen der Anwesenden durch Furcht und Schmerz erstickt wurde. Bereits am nächsten Morgen waren die Gefangenen, gefesselt und gedemütigt, auf dem Weg nach Achet-Aton, wo sie vor den König gebracht werden sollten, der ihr endgültiges Urteil fällen würde. Begleitet wurden sie von zwanzig Soldaten aus Baki, die von dem Offizier Ra-messu befehligt wurden. Ihnen stand ein harter, beschwerlicher Fußweg und ein ungewisses Schicksal bevor, aber Haremhab war sich sicher, dass Ra-messu, ein geschickter, drahtiger Mann mit einer gebogenen Nase, die ein wenig an einen Greifvogelschnabel erinnerte, der ihm aufgrund seiner hervorragenden Fähigkeiten schon in Baki aufgefallen war, sie sicher nach Achet-Aton führen würde. Ra-messu strebte eine Versetzung von Baki in die Hauptstadt an, ein Unterfangen, das Haremhab vor dem König mit aller Entschiedenheit befürworten würde. Was beide Männer damals noch nicht ahnten, war, dass ihre Begegnung der Beginn einer lebenslangen Freundschaft sein würde. Haremhab verbrachte noch einige Zeit in Baki und studierte die Umgebung, die so anders war als in Ägypten, obwohl der gleiche Fluss ihre Äcker speiste. Er besuchte häufig das Krankenlager des Vizekönigs, dem es dank guter Pflege schnell wieder besser ging. Die Streitaxt hatte den Knochen nicht verletzt. Unverzüg153

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lich nachdem der Verletzte ins Lager gebracht worden war, hatte der Garnisonsarzt die stark blutende Stelle am Hinterkopf mit einem Stück frischem Fleisch behandelt und an den folgenden Tagen mit Fett und Honig eingerieben und mehrmals täglich neu verbunden. Haremhab konnte die Fortschritte, die der Vizekönig machte, miterleben. Am Tag seiner Abreise verabschiedete sich der General bei Thutmosis, der noch immer einen Verband um den Kopf tragen musste. Er war dabei, Echnaton einen Bericht über den siegreichen Angriff auf die Akujati auf eine Papyrusrolle zu schreiben, der aber mehr zu einer Hymne auf den Herrscher geworden war: „Heil dir, du vollendeter Gott. Der Schrecken vor dir ist in ihren Herzen. Nicht gibt es Aufruhr in deiner Zeit. Wer dich angreift, existiert nicht mehr. Groß ist deine Macht gegen den, der dich angreift, du vollendeter Gott, und gewaltig ist deine Kraft. Dein Ruf ist wie eine Flamme hinter jedem Fremdland!“ Soeben hatte er die letzten Zeichen seiner Nachricht geschrieben, als Haremhab angekündigt wurde. „Thutmosis, ich möchte mich von Euch verabschieden!“ Thutmosis legt die Binse beiseite und stand auf. Mit offenen Armen ging er auf den General zu. „Haremhab, wie kann ich Euch nur dafür danken, dass Ihr mir in den Stunden der Dunkelheit beigestanden habt, mein Leben gerettet, meine Verwundung gerächt und an meiner statt den Angriff auf die Nomaden geleitet habt?“ „Es war mir ein Bedürfnis, die Maat wiederherzustellen.“ Haremhabs Barke wartete mit Proviant beladen an der Anlegestelle der Bastion. Seine Mission war ausgeführt. Endlich hatte er wieder einmal sein strategisches Geschick in einer Schlacht unter Beweis stellen können. * Die Mumifizierung von Kijas Körper war abgeschlossen und ihre Beisetzung in aller Heimlichkeit durchgeführt worden. Echnaton setzte sie in einem abgelegenen Flügel seines Königsgrabes in Achet-Aton bei. Hier war sie nun bereit, ihre Reise in die Ewigkeit anzutreten. 154

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* Mahus Männer hatten mithilfe der Maurer in einiger Entfernung zu Achet-Aton jeweils im Norden und Süden der Stadt ein Lager für die Tributbringer errichtet. Hier sammelten sich nach und nach die ausländischen Lieferanten mit ihren unterschiedlichen, zum Teil lebendigen Gaben. Drei Tage brachten die am frühesten angereisten Ankömmlinge hier zu, bis ein ägyptischer Schreiber durch beide Lager ging und feststellte, dass Vertreter eines jeden auf seiner Liste verzeichneten Fremdlandes anwesend waren, um dem König ihre Aufwartung zu machen. Ägyptische Übersetzer informierten die Männer darüber, dass für den nächsten Tag der große Festakt angesetzt worden war, die Tributbringer ihre Festgewänder anzulegen und die Ehre hatten, vor den Pharao treten zu dürfen. Besonders die Nubier sprachen nur gebrochen ägyptisch, viele gar überhaupt nicht. Die Männer waren entweder Fürsten- oder Häuptlingssöhne oder zumindest hohe Würdenträger ihres Stammes oder Volkes. Als sie nun hörten, dass sie dem Herrn der Sonnenaufgänge am nächsten Tag wahrhaftig gegenüberstehen würden, verbreitete sich nervöse Aufregung unter den Fremden. Nicht einmal die Alten ihrer Völker hatten ihn zuvor gesehen, obwohl die ganze fremde Welt über ihn sprach. Manche hatten Amenophis Neb-Maat-Ra, den Gerechtfertigten, den großen Vater Echnatons bei einem Feldzug in Nubien aus der Ferne gesehen und sie alle kannten die Geschichten von Thutmosis Men-cheperu-Ra, dem Seligen, dem Großvater des derzeitigen Pharaos, der anstatt zu kämpfen, viele Fürstentöchter geheiratet hatte. Und nun würden sie leibhaftig dem ägyptischen Imperator, der Inkarnation des Sonnengottes, persönlich gegenüberstehen. Diese Männer würden als Helden in ihre Städte und Dörfer zurückkehren. Von diesem Erlebnis und der unglaublichen Ehre, ihr Volk bei einem solchen Ereignis repräsentieren zu dürfen, würden sie noch ihren Enkeln stolz an prasselnden Lagerfeuern erzählen. Am frühen Morgen des nächsten Tages war es schließlich soweit. Echnaton hatte die Morgenandacht im Großen Aton-Tempel beendet und war in den Palast zurückgekehrt. Der bereits vor 155

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mehreren Wochen heimgekehrte Haremhab und Mahu verteilten die Soldaten und Polizisten in der Stadt, und zwar an den Wegen, die der König und die Mitglieder seiner Familie nehmen würden. Das höchste Sicherheitsaufgebot war für den Festplatz vorgesehen. Hier hatte man einen Pavillon aufgebaut, in dem Echnaton mit Nofretete, seinen sechs Töchtern und zeitweise auch dem jungen Prinzen thronen sollte. Ejes Bogenschützen waren auf den Dächern der Gebäude verteilt worden, die an den Platz grenzten. In der Umgebung der weitläufigen Hauptstadt, die keine Umfassungsmauer umschloss, kontrollierten weitere Wachen die Besucher auf Waffen.

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Kapitel 2 Das Attentat Es war der 8. Tag des zweiten Monats der Jahreszeit peret im 12. Jahr des Königs von Ober- und Unterägypten, Anch-em-Maat, dem Herrn der Beiden Länder, Nefer-cheperu-Ra Wai-en-Ra, dem Sohn der Sonne und Herrn der Kronen, Echnaton. Ein Tag, an den man noch lange mit Schaudern zurückdenken sollte … * Den Soldaten am Stadttor fiel der Fremde durch seine Male auf. Ihm waren die Ohrmuscheln abgeschnitten worden, was bedeutete, dass er ein verurteilter und gekennzeichneter Verbrecher war. Die Stadtwachmannschaften hatten ihn aus diesem Grund gleich mehrfach durchsucht und ihn schließlich in die Kammer gebracht, in der sie ihre Pausen machten. Hier musste er sich vollständig entkleiden. Aber abgesehen von einem Ledersäckchen mit einer hohen Anzahl an Kupferdeben, die für einen Mann seines Schlages recht hoch war, fand sich nichts Verdächtiges an ihm. Trotzdem schickten die Wachen nach Haremhab und Mahu, den beiden Schutzbeauftragten, um wirklich sicher zu gehen. Der General erschien als Erster in der diffus düsteren Kammer und untersuchte schweigend die Kleidung des Verdächtigen, die auf einem Haufen auf dem Boden lag. Es waren ein Schurz aus grobem, hellbraunem und fleckigem Leinen und eine Art Umhang aus demselben Stoff, den er um den Oberkörper und zuweilen auch um seinen Kopf geschlungen tragen konnte, um seine deformierten Ohren damit zu verbergen. Die Kleidung war ärmlich, die einzige Besonderheit bildete das kostbare Ledersäckchen, das wegen seiner edlen Verarbeitung hervorstach. Als Haremhab es öffnete, zog er erstaunt die Augenbrauen in die Höhe, darin befanden sich zehn Deben aus Kupfer – ein beachtlicher Besitz. „Wie ist dein Name?“, fragte der General unterkühlt, ohne den Blick von den Kleidungsstücken zu nehmen. Draußen füllten sich die Straßen Achet-Atons mit fremden Stimmen. 157

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Der Angesprochene schüttelte stumm den Kopf und blickte sie verzweifelt an. „Antworte gefälligst, wenn der General dich etwas fragt!“, ein Wachmann versetzte dem nackten Mann einen Schlag in die Magengrube. Dieser stöhnte leise. „Dein Name!“, wiederholte ein anderer Soldat in schneidendem Ton. Der Verhörte blieb still, Tränen standen ihm in den Augen. Bevor ein weiterer Schlag ausgeführt werden konnte, hob Haremhab eine Hand. Zügig ging er auf den Mann zu, der ihn mit Angst und Demut aus weit aufgerissenen Augen ansah. Schweißtropfen perlten von seiner Stirn und seinem unrasierten Gesicht. Haremhab legte den Mittelfinger seiner linken Hand an das Kinn des Namenlosen und öffnete mit leichtem Druck dessen Mund. Die beiden Polizisten sahen sich fragend an, als ihr Vorgesetzter in die Mundhöhle blickte. „Man hat ihm die Zunge herausgeschnitten“, stellte dieser schließlich fest, „deshalb spricht er nicht!“ Nun nahm er beide Handgelenke des Verdächtigen und drehte die Flächen nach oben. Weiße, ungleichmäßig vernarbte Striemen bedeckten sie, ebenso wie die Fußsohlen, die Haremhab anschließend untersuchte. „Der Mann ist gefoltert worden!“ „Der Kerl ist ein Verbrecher!“, stellte einer der Stadtwachen fest. „Zweifellos!“ Der Mann schüttelte heftig den Kopf und versuchte durch heftiges Gestikulieren zu verdeutlichen, dass von ihm keine Gefahr ausging. „Sollen wir ihm den Zutritt zur Stadt verwehren?“ In diesem Moment betrat Mahu den Raum. Er ließ sich von Haremhab den Grund der Festnahme des Verstümmelten schildern und untersuchte dann dessen Besitztümer und schließlich seine verheilten Wunden. „Ist er alleine gewesen?“, fragte er einen seinen Wachhabenden. Dieser bejahte. Mahu sah den General an. Beide gingen in die entgegengesetzte Ecke des Zimmers und sprachen flüsternd. 158

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„Was sollen wir tun? Er ist ein Verurteilter ohne Waffen, aber mit zehn Deben Kupfer. So viel habe ich noch nie rechtmäßig im Besitz eines Verbrechers gesehen.“ Haremhab lachte rau: „Sicher wird er sie den Schankwirten von Achet-Aton zufließen lassen.“ Mahu lächelte. „Dann muss er aber einen gewaltigen Durst haben. Für zehn Kupferdeben kann ein ganzes Jahr der feinste Wein des Deltas seine Kehle hinunterrinnen!“ Haremhab lachte. „Lasst den armen Hund laufen“, schnaubte er verächtlich, „auf dass er die Schankwirte und die Huren AchetAtons ein wenig wohlhabender machen möge!“ * Es war das rauschendste Fest, dass Achet-Aton jemals erleben sollte. Der Baldachin, unter dem sich Echnaton und Nofretete präsentieren würden, befand sich auf einem Podest und war nach allen vier Seiten hin offen, damit jeder Anwesende einen guten Blick auf die königliche Familie erhaschen konnte. Auf einer Rampe sollte der Wesir mit zwei Übersetzern stehen, mit deren Hilfe er dem König die nacheinander und einzeln vortretenden Gabenbringer vorstellen konnte. Bevor die eigentlichen Feierlichkeiten begannen, erfreuten Musikanten und Tänzerinnen die Zuschauer. Die Mädchen warfen zum immer schneller werdenden Takt der Trommeln rhythmisch ihre Köpfe, dass ihre üppigen schwarzen Haare von einer Seite auf die andere wirbelten, dazu bewegten sie kleine Schellen und Sistren, deren metallisches Klingen an jedermanns Ohr drang. * Unterdessen herrschte vor dem Palast eine weitaus weniger entspannte Atmosphäre. Der König hatte kurzfristig entschieden, dass seine Frau und er in zwei Sänften zum Festplatz gebracht werden sollten. Die Prinzessinnen würden zu Fuß folgen. Das bedeutete für die Leibwache besondere Vorsicht und erforderte ein erhöhtes Aufgebot an Soldaten, da sich die Sänftenträger langsamer bewegten als Gespanne – von einer Kolonne sechs 159

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junger Prinzessinnen ganz zu schweigen – und so eventuellen Attentätern mehr Zeit zum Handeln blieb. Haremhab schritt aufgebracht die Reihe der Männer ab, die die Sänfte flankieren sollten. Er verstand Echnatons Leichtsinnigkeit nicht: Die Angst, die der König ansonsten bei wesentlich ungefährlicheren Gelegenheiten – wie der täglichen Fahrt vom Palast zum Großen Aton-Tempel – um sein Leben hatte, war fast schon sprichwörtlich. Und ausgerechnet heute, wo tatsächlich Grund zur Vorsicht bestand, zeigte er so kühne Tendenzen. Ausdrücklich hatten Haremhab und Mahu geraten, den Pavillon nur von einer den Tributlieferern zugewandten Seite offen zu halten, was schon risikoreich genug gewesen wäre, aber Echnaton hatte, bestimmt wie selten, auf eine nach allen Seiten hin offene Sitzgelegenheit inmitten des Festplatzes bestanden. Haremhab schüttelte verständnislos den Kopf. „Männer“, sprach er gut verständlich seine Soldaten an, „heute nehmt ihr an dem wichtigsten Ereignis eurer bisherigen Laufbahn teil. Im Krieg kennt ihr eure Gegner – hier nicht.“ Langsam ließ er seinen Blick von einem seiner Untergebenen zum anderen wandern und sah dabei jedem von ihnen fest in die Augen. „Jeder, jeder Mann und auch jede Frau, der heute seinen Weg nach Achet-Aton gefunden hat, könnte mit der Absicht hierher gekommen sein, den König oder jemanden aus seiner Familie umzubringen oder zu verletzen.“ Er machte eine spannungssteigernde Pause. „Selbst die fremdländischen Gesandten könnten mögliche Attentäter sein. Seid wie der Falke. Eure Augen müssen überall sein. Wenn ihr etwas Verdächtiges seht, handelt sofort!“ * Der Fanfarenchor unterbrach die Tänzerinnen und Musiker auf dem Festplatz in ihrer Aufführung und kündigte das Königspaar an. Sofort hielten die Künstler in der Bewegung inne, griffen ihre Sachen und verließen schnell den Platz. Der Wesir Nacht-paAton betrat die Rampe des Pavillons und verkündete mit lauter und weithin vernehmbarer Stimme: „Verneigt euch vor dem Herrn der Kronen, Echnaton, dem Herrn der Beiden Länder, Nefer-cheperu-Ra Wai-en-Ra, seiner 160

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Frau, der Großen Königlichen Gemahlin, Nofretete, der liebreizenden Nefer-Neferu-Aton und den leiblichen Königstöchtern, den Prinzessinnen Merit-Aton, Maket-Aton, Anch-es-en-paAton, Nefer-neferu-Aton Ta-scherit, Nefer-neferu-Ra und Setepen-Ra!“ Ein ehrfürchtiges und erwartungsvolles Raunen ging durch die Menge, während alle Anwesenden niederknieten. Echnaton und Nofretete betraten den Pavillon von einer hinteren Rampe und erschienen für die meisten Anwesenden wie die Sonne, die allmorgendlich hinter den östlichen Bergen aufging. Der König trug seine hohe blaue cheperesch-Krone und ein langes, wallendes, durchscheinendes Leinengewand, das seine üppigen Körperformen leicht umspielte. Nofretete ähnelte ihm in ihrem Aufzug, nur dass sie die für sie typische hohe Krone gewählt hatte. Die Prinzessinnen stellten sich hinter den Thronen auf. Auch sie trugen lange und durchscheinende Gewänder und ihre Haare waren, wie es für Kinder ihres Alters üblich war, bis auf ein breites Stück an einer Kopfseite abrasiert. Sie hielten sich an den Händen oder rochen an duftenden Blüten, die einige von ihnen bei sich hatten. Die jüngeren Mädchen aßen schon jetzt Früchte, um sich die Zeit zu vertreiben. Nachdem das Paar saß, rief der Wesir ins Volk: „Erhebt euch!“ Und sogleich war wieder das Raunen zu hören, denn nun saß die königliche Familie mit ihrer göttlichen Präsenz in unmittelbarer Nähe zu Menschen, die sie noch niemals zuvor leibhaftig gesehen hatten. Echnaton klatschte in die Hände und die Musiker und Tänzerinnen betraten wieder den Platz. Sie verbeugten sich vor dem Herrscher und seiner Frau und spielten dann erneut auf. In der Zwischenzeit nahmen in einiger Entfernung außerhalb der Stadt die Tributträger Aufstellung. * Die nubischen Tributlieferer aus dem Süden waren zuerst an der Reihe. Was war das für ein buntes Treiben! Mit Musik und akrobatischen Darbietungen begleiteten sie ihre Ehrengaben und versprühten den geheimnisvollen Geist des schwarzen Südens. Der 161

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Duft, den ihre Gewürze verströmten, erfüllte die Luft der Hauptstadt. Sie brachten prachtvolle, geschmeidige Panther, Elfenbein, Langhornrinder, Straußenfedern, Felle, Schmuckstücke und Gold, Pflanzen, exotisches Obst und edles Kunsthandwerk. Die Träger waren in farbenprächtige Gewänder gekleidet, glatt rasiert und ihr krauses Haar war zuweilen mit einer einzelnen Feder geschmückt. Viele hatten ihre Kinder mitgebracht, die an dem Umzug teilnehmen wollten, um den Pharao zu ehren. Alle Traurigkeit der vergangenen Wochen über den unerwarteten Tod Kijas sollten im Herzen des Königs uneingeschränkter Freude Platz machen: Der Freude über seine treuen und liebenden Untertanen und der Freude über seinen so sehnlich erwarteten Thronfolger Tut-anch-Aton. Sein Herz schien vor lauter Glück förmlich überlaufen zu wollen, und mitten in diesem Gefühl griff Echnaton die Hand seiner Frau, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. Irritiert blickte Nofretete ihn an, zog jedoch ihre Hand nicht unter seiner fort, sondern ergriff diese und lächelte. Den heranwachsenden Prinzessinnen hinter dem Königspaar entging diese Geste nicht – sie stießen sich gegenseitig an und kicherten. Überall im fremdländischen Gesang war der Begriff „Akujati“ zu vernehmen, den die Nubier benutzten, um ihre Dankbarkeit für die schnelle Befreiung von den plündernden und tötenden Nomaden zum Ausdruck zu bringen. Als Haremhab den Jubel und den Gesang darüber hörte, lächelte er stolz. Der Zug der nubischen Fremdländer dauerte bis in die Stunden des frühen Nachmittags. Das lange Stehen, die Sonne und die Überflutung mit neuen Eindrücken hatte die Augen und die Aufmerksamkeit aller Teilnehmenden deutlich ermüdet. * Als die nubische Darbietung ihrem Ende zuging, bereiteten sich die asiatischen Tributbringer der Nordländer auf ihren Auftritt vor und bezogen Aufstellung. Niemand von ihnen bemerkte den Ägypter, der seinen Kopf mit schmutzigen Leinentüchern verbarg, obwohl seine ärmliche Kleidung zwischen all den strahlend leuchtenden Festgewändern der Menschen aus Tjehenu, Retjenu und anderen Ländern Vorderasiens eigentlich hätte auffallen 162

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müssen. Doch jeder der Abgesandten hatte zu sehr mit sich und seinem Erscheinungsbild zu tun. Hier wurde noch an Gewändern gezupft, dort noch die edlen Pferde gestriegelt. Als sich einer der Männer an den Gürtel griff, um ein letztes Mal den Sitz seines Prunkdolches zu überprüfen – war dieser verschwunden. Einzig seine leere Scheide baumelte noch an ihrem Platz. Es war ein Erbstück des Urgroßvaters des Bestohlenen, das er voller Stolz am heutigen Tage tragen wollte. So sehr er auch suchte, er fand den Dolch nicht mehr ... * Onuris-nacht war Bogenschütze in Ejes Truppe und von Haremhab auf einem Dach postiert worden, von dem aus er eine fantastische Sicht auf den Festplatz mit dem königlichen Pavillon hatte. Zuerst war seine Aufmerksamkeit noch wie die eines Hundes gewesen, der eine Gefahr wittert. Mit geschärften Sinnen hatte er das Gefühl, dass ihm nichts entgehen würde. Aber die Tributlieferung der Nubier war friedlich verlaufen, weder die Gesandten noch die Zuschauer hatten irgendwelche Auffälligkeiten erkennen lassen, die auf eine Gefahr hindeuteten. Das angestrengte Beobachten hatte ihn ermüden lassen und die Friedlichkeit der Darbietungen, die Gesänge, das Lachen und die mitgebrachten Gaben hatten Onuris-nachts Konzentration schnell zerstreut. An vielfältigen Ablenkungen fehlte es nicht, aber er zwang sich, wenigstens den Anschein zu wahren und hin und wieder seinen Blick auf den königlichen Pavillon zu lenken. Das zufriedene Königspaar, das inzwischen Hand in Hand dasaß, bestärkte ihn ebenso in seinem Gefühl der Sicherheit wie das Wissen um seine vielen ebenfalls anwesenden, wachsamen Kollegen. Eine Stimme hinter ihm ließ ihn sofort alle Sinne zusammennehmen und herumfahren. Nun war er plötzlich hellwach. „Du hast es geschafft“, sagte der Fremde, als er die letzten Treppenstufen zum Dach hinaufstieg. „Haremhab schickt mich, um dich abzulösen.“ Der Mann trug den üblichen Laufschurz eines Soldaten – einen kurzen Schurz, der eigentlich nur ein Gürtel war und an dessen Vorderseite ein Stück Stoff den Schritt verdeckte. Onuris-nacht 163

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hatte den Mann noch nie zuvor in Achet-Aton gesehen – weder in Ejes, Mahus oder Haremhabs Truppen. Aber möglicherweise war er einer jener auswärtigen Soldaten, die zur Verstärkung angeheuert worden waren. Allerdings war von einer Ablösung vorher keine Rede gewesen. „Ich soll deinen Bogen und die Pfeile übernehmen, damit es keine Unruhen in der Menge gibt, wenn plötzlich bewaffnete Bogenschützen zwischen den Zuschauern umherspazieren.“ „Nun“, meine Onuris-nacht zögernd, während er seinen Bogen ablegte. „Lass dir die Zeit nicht so lang werden!“ Und dann, in der freudigen Erwartung eines freien Nachmittags, stieg er schnell die Treppe hinab. „Keine Sorge“, der Mann griff mit einem bösen Lächeln nach dem Bogen. „Es wird nicht mehr lange dauern.“ Als Onuris-nacht wieder auf der Straße war, fühlte er sich im Schatten der Häuser erfrischt. Plötzlich stand General Haremhab vor ihm. „Warum bist du nicht auf deinem Posten?“, aufgebracht deutete er mit seinem Arm auf das Dach des Hauses. „Ich habe Euren Befehl befolgt und mich ablösen lassen, General!“ In Haremhab stieg eine böse Ahnung auf: „Ich habe niemals befohlen, dass du ...“ * Maket-Aton jauchzte vor Freude. Schon von Weitem hatte sie den Asiaten mit dem jungen Meerkätzchen gesehen. Nun endlich stand er vor der Rampe und fiel sogleich in den Staub. Der Wesir verkündete Namen, Herkunft und Tribut des Mannes und der Übersetzer fasste die Lobpreisungen und Segenswünsche auf den ägyptischen König zusammen, die der Herrscher seines Landes ihm überbringen ließ. Echnaton nickte hoheitsvoll und gab dem Übersetzer ein Zeichen, ihm in seiner Sprache zu danken. Maket-Aton beugte sich vor und flüsterte in das Ohr ihres Vaters: „Darf ich vortreten und eines der Meerkätzchen gleich jetzt zu Tut-anch-Aton bringen?“ 164

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Echnaton lächelte. Er freute sich über das herzliche und innige Verhältnis, das sich zwischen seiner zweitältesten Tochter und seinem Sohn entwickelt hatte. Sie verbrachten viel Zeit spielend im Palastgarten und Maket-Atons Liebe zu Tieren war bereits auf den jungen Thronfolger übergesprungen. „Natürlich“, erwiderte er sanft. „Nimm dir ein Tier und bring es deinem Bruder!“ Maket-Aton strahlte. Behände war sie hinter dem Thron hervorgetreten, auf dem Weg zu dem Fremdländischen mit den kleinen Äffchen. Der Asiate verbeugte sich erneut und senkte sofort ergeben den Blick. * Trotz des Lärms, der sie umgab, hörten Haremhab und Onurisnacht das markante Zischen über sich. Es war das charakteristische Geräusch eines Pfeils, der den Bogen verlassen hatte und pfeifend die Luft zerschnitt, bevor er mit tödlicher Wucht in sein Ziel schlug. Der General blickte nach oben und konnte gerade noch das Geschoss erblicken. Die Zeit schien still zu stehen. Aus der Dauer eines Herzschlages wurden nun drei. Mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen erkannte Haremhab die Zielrichtung des Pfeils: den königlichen, nach allen Seiten hin offenen Pavillon. Sein verzweifeltes Rufen blieb ungehört, da der fröhliche Jubel und der lebhafte Lärm es verschluckten. * Der Pfeil traf die Schulter der jungen Prinzessin Maket-Aton, die soeben im Begriff war, nach vorne zu schreiten, mit voller Wucht. In dem Augenblick, als sie sich neben ihrem Vater befand, durchbohrte er sie und schleuderte das Mädchen gegen die Armlehne von Echnatons Thron, bevor sie auf den Boden stürzte. Eine tiefe Stille legte sich schlagartig über den gesamten Festplatz. Kein Laut war zu vernehmen. Die Musik hatte aufgehört, die Gesänge und das Lachen waren verstummt. Nichts rührte sich. Fast schien es so, als hätte selbst die Luft, die von der beginnenden Abendbrise belebt worden war, ihre Bewegung eingestellt. 165

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Dann gellte Echnatons Trauerschrei durch Achet-Aton. Der König schrie so laut, dass seine Adern am Hals hervortraten und sein Kopf rot anlief, als er den leblos erscheinenden Körper seiner Tochter vom Boden des Pavillons aufhob. * Längst war Haremhab aus der Starre des Entsetzens ausgebrochen und eilte die schmale Treppe zum Dach empor, immer drei bis vier Stufen auf einmal nehmend. Er erreichte den Schützen, der sich unentdeckt und sicher fühlte, unbemerkt von hinten. Langsam und lautlos näherte sich der General der Leibwache dem Attentäter, der fluchend einen neuen Pfeil eingespannt hatte – dieser musste nun rasch sein wahres Ziel erreichen: den Pharao! Haremhab sah den Täter nur von hinten, aber er vermutete bitter, dass er das Gesicht heute schon einmal gesehen hatte. Unter der nackenlangen Perücke würde er die deformierten Ohren des Verurteilten mit den zehn Kupferdeben finden können, der sich nur aufgrund von Haremhabs Fürsprache auf freiem Fuß befand. Der Mörder spannte den Bogen, der unter dem Zug ächzte, aber Haremhab stand schon hinter ihm. Mit seiner rechten Hand umfasste er den Pfeil, hielt ihn fest und mit der linken presste er die scharfe Spitze seines Dolches an den Rücken seines Gegners. „Lass den Bogen fallen!“ Der Attentäter fühlte den heißen Atem des Generals in seinem Nacken und hörte, wie im selben Moment der Pfeil krachend zerbarst. Als er den Todesschützen packte und umdrehte, sah Haremhab in die kalten Augen eines Mannes, den er noch nie zuvor gesehen hatte.

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Kapitel 3 Ein riskanter Plan Maket-Aton wurde sofort von Pentju und seinen Helfern behandelt, aber ihr kleiner Körper war in einen Schlaf gefallen, aus dem sie in den kommenden Wochen nur selten erwachte. Es war nicht sicher, ob sie überleben würde. Obwohl der Attentäter Tag und Nacht gefoltert wurde, gestand er nichts über die Männer, die ihn beauftragt hatten, einen Königsmord zu begehen. Weder Haremhab noch Mahu oder der Wesir, der die Verhöre leitete, glaubten, dass es sich bei ihm um einen Einzeltäter handelte. In einem Brunnenschacht war mit einem tiefen, klaffenden Schnitt in der Kehle die unbekleidete Leiche Sobek-hoteps, einem von Ejes Bogenschützen, der auf einem der weiter abseits gelegenen Häuserdächer Dienst getan hatte, gefunden worden. Aber es war noch zu einem weiteren Zwischenfall gekommen. Die asiatischen Gesandten hatten Mahu den Diebstahl eines Prunkdolches angezeigt, der kurz darauf im Besitz des Verstümmelten aufgefunden wurde. Schließlich sprach Echnaton sein Urteil. Für ihn stand fest, dass der Attentäter, allein schon wegen seines Dialekts, aus Waset stammen musste und im Auftrag der entmachteten AmunPriester gehandelt hatte. Ein Amulett mit einer Darstellung des verbotenen Gottes, das sich versteckt zwischen den Habseligkeiten des Erbärmlichen fand, bestätigte diesen Verdacht. Deshalb sollte der Wesir Nefer-pa-Aton ihn flussaufwärts in diese Stadt schaffen, vor den verschlossenen Toren des Tempels öffentlich pfählen und die Leiche nach dem Tod nicht entfernen, sondern dafür Sorge tragen, dass diese ein stets drohendes Mahnmal für alle sei, die Ähnliches planten. Dem Dieb konnte Echnaton ebenfalls keine Gnade erweisen, denn er war bereits vorher verurteilt und sein Leben schon einmal verschont worden. Nun hatte er sogar einen Staatsgast während einer bedeutenden Veranstaltung bestohlen und somit sein Todesurteil besiegelt. Anders als der Mörder sollte der Dieb jedoch in Achet-Aton eine schnelle Hinrichtung erhalten. 167

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Der König ordnete weitere Untersuchungen im Umfeld der wachhabenden Soldaten von Achet-Aton an. Bis er eine endgültige Entscheidung fällen würde, war Haremhab bis auf Weiteres seiner ehrenvollen Ämter enthoben worden. Der vorerst abgesetzte Offizier versuchte seine Trauer und Wut darüber jeden Abend in zahllosen Krügen voll berauschendem Bier zu ertränken. Zu sehr fühlte er sich an jenen Tag erinnert, als er gegen die Tjehenu gekämpft hatte und dabei das Leben des Kronprinzen, seines Freundes Thutmosis, nicht schützen konnte. Auch damals war seine im Aufstieg begriffene Karriere jäh gedämpft worden. * Kurz nach den Tributfeierlichkeiten hatte sich die altehrwürdige Königsmutter Teje mit großem Gefolge aus Waset, wo sie noch immer im Palast von Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra lebte, nach Achet-Aton begeben. Als die Besatzung ihres Schiffes an der Anlegestelle der Hauptstadt festmachte, betrat sie langsam, von zwei Bediensteten gestützt, unter dem Klang der Fanfaren den Kai. Haremhab fiel auf, dass die energische Person unter ihrer hohen Doppelfederkrone sehr alt und gebrechlich wirkte, aber dennoch nichts von ihrer majestätischen Würde verloren hatte. Er verbeugte sich tief, als die betagte Königin huldvoll an ihm vorüberschritt. * Es war Tejes erster Besuch in der Stadt ihres Sohnes Echnaton, denn ihre bereits angeschlagene Gesundheit erlaubte ihr keine langen Reisen. Nachdem sie sich erfrischt, gestärkt, den Palast in Augenschein genommen und ihren Enkel, den kleinen Tut-anchAton, kennengelernt hatte, zeigte der König ihr die Prunkstraße von Achet-Aton, den großen Tempel Gem-pa-Aton und auch den kleineren. Dabei wurde sie in ihrer prachtvollen Sänfte getragen. Haremhabs Männer sicherten den Zug durch die Stadt, doch er selbst begleitete ihn nicht. Als es Abend geworden war, kühlte der frisch aufkommende Nordwind die Hitze des für Teje anstrengenden Tages angenehm 168

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ab. Die alte Königin hatte sich mit ihrem Sohn in den Palastgarten zurückgezogen, wo die Dienerschaft letzte Vorbereitungen für das Abendmahl traf. Sie setzten sich, einander gegenüber, auf zwei Sessel mit hohen Rückenlehnen, deren Sitzschalen weich ausgekleidet waren. Neben jedem Lehnstuhl befand sich ein kleiner Tisch, der im Laufe des Abends mit den herrlichsten Speisen gedeckt werden würde. Der Duft von gebratenen Hühnchen vermischte sich bereits mit der schweren Süße, die die Blüten des Palastgartens verströmten. Teje trug keine Perücke. Auf ihrem dichten, wallenden Haar prangte die hohe und würdevolle Krone der Göttin Hathor. Der Kopfschmuck imitierte ein goldenes Kuhgehörn, das auf einem Untersatz mit drohend aufgerichteten Uräen steckte. Zwischen den Hörnern glänzte eine goldene Sonnenscheibe, die sich vor zwei langen und bunt ausgearbeiteten Federn erhob. Echnaton war als Mann nach ägyptischer Sitte kahlrasiert und trug nun eine Perücke im neuen nubischen Stil, deren Seiten gestuft waren. Ein Haarnetz schützte den Kopfputz und ließ ihn im Nacken beutelartig aussehen. Über der Kopfbedeckung trug der König ein Diadem mit einem einzelnen Uräus, der die Könige und ihre Gemahlinnen schützen sollte. Teje mochte diese beutelartige Variante der Perücke ihres Sohnes nicht besonders, sagte aber nichts. Nofretete und die Prinzessinnen befanden sich noch in ihren Privatgemächern, wo sie geschminkt, gesalbt und mit feinen Gewändern bekleidet wurden. Die Bediensteten arbeiteten in einiger Entfernung und waren außer Hörweite. Teje hielt den Augenblick für günstig, um mit Echnaton ein ernstes Thema anzusprechen, das ihr nunmehr seit Jahren die Last des Alters zusätzlich erschwerte. „Es gibt viele traurige und nur eine gute Nachricht, die mich in Waset aus deiner Stadt erreicht haben, Amenophis“, begann sie und in ihrer brüchigen Stimme schwangen in gleichem Maße Enttäuschung und Verärgerung. „Nenne mich nicht so, Mutter!“, raunte der König. Teje sah in herausfordernd an. „Amenophis“, er unterstrich den Namen mit einer übertriebenen Geste, „so heiße ich schon seit langer Zeit nicht mehr!“ Die alte Dame schüttelte unwirsch den Kopf und zog verständnislos die geschminkten Brauen zusammen. 169

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„Versündige dich nicht. Amenophis ist ein guter und starker Name. Viele große Männer deiner Familie haben ihn mit Stolz und Würde getragen – allen voran dein Vater!“ Echnaton wandte den Blick zum Himmel, an dem soeben die ersten Sterne schwach aufzublitzen begannen, atmete tief ein und ließ die Luft hörbar aus der Nase ausströmen. Seine Mutter war eine weise Frau und in den ersten Jahren seiner Regierung hatte sie ihm, dem noch unerfahrenen König, mit klugen Ratschlägen aus dem wertvollen Schatz ihrer staatsmännischen Weitsicht zur Seite gestanden. Aber dies war Vergangenheit. Sie würde sein politisches Konzept niemals verstehen können – das konnten ohnehin nur sehr wenige Menschen. „Von Men-nefer im Norden bis Nesut-taui im tiefsten Nubien habe ich das Angesicht und den Namen des Amun aushacken lassen, wo immer er zu sehen war – selbst in meinem alten Namen und in dem meines Vaters, als er noch lebte! Mein Geburtsname Amenophis, Amun-ist-zufrieden“, sein Blick drückte Verachtung aus, „ist lange nicht mehr Teil von mir, Mutter!“ Teje wollte dagegen argumentieren, wollte ihm begreiflich machen, dass nur er selbst es war, der die Macht des Pharaos durch sein undiplomatisches Handeln den Priestern gegenüber geschwächt hatte. Sie sprach langsam, wog jedes Wort genau ab und sah ihm fest in die Augen. „Mein Sohn, zwar kannst du deine Position hier in deiner Hauptstadt mit viel Militär und der täglichen Angst um dein Leben behaupten“, sie machte eine Pause, in der sie bemerkte, dass sich seine Augen leicht weiteten – sie hatte also Recht –, „aber was geschieht, nachdem du dein Amt deinem Sohn überlassen haben wirst? Die Götter mögen veranlassen, dass es noch viele Jahre geben wird, bevor deine Seelen Ägypten verlassen werden, aber ...“ Echnaton hob seine Hände. „Sehr lange wird es nicht mehr dauern, Mutter!“ Sie sah ihn bestürzt an. Sein leerer Blick wanderte in den Garten, der langsam in der Dämmerung verschwand. „Meine Krankheit hat sich sehr verschlechtert“, sagte der König schließlich, „und die Ärzte können mir inzwischen nicht mehr helfen. Mein Leibarzt Pentju ist einer der fähigsten unter ihnen und zudem ein Priester des Aton, aber die Dämonen, die mir düs170

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tere Gedanken schicken, können nicht mehr vertrieben werden, Mutter. Und die Gedanken werden immer düsterer.“ Teje schüttelte den Kopf, sie wollte diese weitere schreckliche Botschaft nicht akzeptieren. „Wie lange bleibt dir noch?“ Ihre Stimme war nun matt und belegt. Schnell fand sie jedoch ihre Haltung wieder, aber im Inneren bebte sie. „Das weiß niemand, aber ich werde sicher schon zu Aton aufgestiegen sein, bevor ich meinen Sohn, den Horus im Nest, auf das Gewicht seines schweren Jochs als Thronfolger vorbereiten kann.“ „So bald schon?“ Der König nickte kaum merklich. Plötzlich zog Teje ihre Mundwinkel herab. Echnaton kannte diesen Ausdruck noch aus seiner Kindheit und wusste, dass seine Mutter nach einer Lösung suchte. „Weiß Nofretete schon davon?“ Echnaton verneinte. „Ist noch jemand darüber in Kenntnis gesetzt?“ „Nur die Ärzte ...“ „... und die sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, denn sonst wäre ihnen ein schmachvoller Tod sicher!“, unterbrach sie ihn. „Lieber Sohn“, Teje sah ihm ernst in die dunklen Augen. In ihre folgende Formulierung legte sie besonderes Gewicht, „bedenke wohl, dass wir den Bestand unserer Dynastie sichern müssen. Deine Politik wird nicht von allen deinen Untertanen geschätzt, und wenn du gehst, bevor dein Nachfolger dem Kleinkindalter entwachsen sein wird, wird es eine Rebellion in deinem eigenen Land geben, während der man Tut-anch-Aton absetzen – wahrscheinlich sogar ermorden wird und das Blut unserer königlichen Linie dazu verdammt wäre, im Sande zu verlaufen.“ „Deine Gedanken schrecken mich, aber sie bestätigen doch meine dunklen Befürchtungen, die mich des Nachts nicht ruhen lassen wollen. Jeden Morgen bete ich zu Aton und opfere ihm die wertvollsten Geschenke, die Ägypten zu bieten hat. Seine Altäre sind beladen mit allen Herrlichkeiten, die dieses Land hervorbringt. Ich flehe ihn täglich auf Knien an, mein Leben noch so lange bestehen zu lassen, bis die Nachfolge gesichert ist.“ „Beten alleine hilft hier nicht weiter“, erwiderte die alte Köni171

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gin nachdenklich. „Lass mich bei einer weiteren Schale Wein darüber nachdenken!“ Echnaton klatschte in seine Hände und sogleich löste sich ein Diener aus der beginnenden Dunkelheit. Er verschwand wieder und füllte kurz darauf die Schalen des Königs und seiner Mutter. Teje trank genüsslich. „Vielleicht gibt es da doch eine Möglichkeit ...“ * Als Nofretete mit den fünf Mädchen in den Garten trat, war Aton schon lange hinter dem westlichen Horizont verschwunden und Fackeln erleuchteten die Anlage. Bereits von Weitem fiel ihr auf, dass ihr königlicher Gemahl und dessen Mutter sehr leise und angeregt miteinander diskutierten. Echnaton saß mit dem Rücken zu ihr und so war es Teje, die sie zuerst näher kommen sah und plötzlich laut vernehmlich die Aufteilung des Gartens lobte. Echnaton, irritiert vom unerwarteten Themenwechsel und der überraschenden Lautstärke seiner Mutter, wandte sich um. Als er Nofretete und seine Töchter sah, stand er auf, öffnete die Arme und begrüßte sie. Sie nahmen die gebratenen Hühnchen des Abendmahls gemeinsam zu sich und Nofretete wunderte sich über die gespielte Sorglosigkeit, die Echnaton nun an den Tag legte und die sie nicht an ihm kannte. So aßen sie, genossen den rauchigen Geschmack des zarten Geflügelfleisches und leerten einige Schalen edlen Weins aus dem Delta. Als es an der Zeit war, brachte Nofretete die Prinzessinnen zurück in ihre Bereiche im Wohnpalast und übergab sie in die Obhut einer Amme. Auf dem Rückweg besuchte die Königin den Trakt, den die kleine Maket-Aton bewohnte. Die Stille, die das fröhliche Lachen der jungen Prinzessin ersetzt hatte, machte ihr Angst und sie beugte sich voller Trauer über den wie leblos auf ihrem Bett hingestreckten kleinen Körper. Als Nofretete in den Palastgarten zurückkehrte, war die Stimmung nicht mehr gelöst und ungezwungen. Die Gesichter von Echnaton und Teje wirkten nun ernst, im Schein der Fackeln 172

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aschfahl und von tiefen Falten durchzogen. Die Königin setzte sich wieder neben ihren Gemahl und ihre Schwiegermutter fixierte sie wie ein Falke die Maus. „Wir müssen etwas mit dir besprechen“, sagte sie schließlich. Die Nachricht über den in absehbarer Zeit bevorstehenden Tod ihres königlichen Gemahls traf Nofretete schwer. Dieses 12. Regierungsjahr war für sie kein von Aton gesegnetes: Zwar war Echnaton der seit langer Zeit flehentlich erhoffte männliche Thronfolger geboren worden, aber welchen Nutzen hatte dieser noch, wenn er bei der Inthronisierung ein Säugling sein würde? Er wäre nicht viel mehr als ein Spielball in den Händen der wiedererstarkenden Priester des Amun, die alles daran setzen würden, seine Politik zu beeinflussen. Außerdem war dieser Thronerbe nicht von ihr, der Großen Königsgemahlin, die der König liebt, der Herrin der Beiden Länder, sondern von Kija, der Großen Geliebten, geboren worden, die am Hofe nichts anderes gewesen war als eine Nebenfrau des Pharaos, die Witwe seines verstorbenen Bruders, die er aus reiner Barmherzigkeit in sein Frauenhaus aufgenommen hatte. Ihr bevorzugter Status unter den anderen Freudenmädchen war einzig durch ihre Verbindung zu Osiris-Thutmosis, dem Seligen, begründet gewesen. Und Nofretetes geliebte Tochter Maket-Aton führte einen erbitterten Kampf mit dem Tod, den sie nicht gewinnen konnte, und nun erfuhr die schöne Königin, dass auch noch ihr Mann nicht mehr lange genug am Leben sein würde, um dem frisch geschlüpften Horus im Nest die Staatsgeschäfte zu übergeben. „Auch meine Kraft schwindet“, Tejes Stimme klang rau und emotionslos. „Noch in diesem Jahr werde ich meinem Gemahl nach Ra-setjau, dem Reich des Gottes Osiris, folgen, in dem die Gefilde der Seligen liegen, die mein ermattetes Herz zu sehen begehrt. Ich wünsche, dass ich meine letzten Tage hier bei Euch verbringen kann, und dass ich eine Grabstätte in der Nekropole von Achet-Aton erhalte.“ „Du wirst deine Reise in meinem Grab antreten können, Mutter.“ Sie sah ihren Sohn und ihre Schwiegertochter, die darüber hinaus die Tochter ihres Bruders Eje war, dankbar, aber auch fest und entschlossen an: 173

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„Ihr seid beide Blut von meinem Blut. Unsere Familie bestimmt die Geschicke dieses Landes – und so soll es auch weiterhin bleiben. Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra wählte mich einst zu seiner Königlichen Gemahlin, obwohl sich mein Leben vorher nicht am Hof abgespielt hatte. Er kam als junger Pharao mit 14 Sommern nach Ipu, wo ich mit meiner Familie lebte, um den dortigen Tempel des Gottes der männlichen Fruchtbarkeit, Min, zu besuchen. Sein Vater war verstorben und seine Mutter Mut-em-wia führte die Regierungsgeschäfte. Damals verstand ich noch nicht, weshalb sein Herz dieses Heiligtum in der Provinz unbedingt aufzusuchen verlangte.“ Teje schlug traurig die Augen nieder. Ihrem verstorbenen Mann hatte Treue nicht viel bedeutet. „Jedenfalls war mein Vater Juja Hohepriester in diesem Tempel, als Amenophis Ipu besuchte, er versah den dortigen Kult und war Oberster Verwalter der Viehbestände. Sie lernten sich kennen und verstanden sich vom ersten Augenblick an gut. Der König schätzte die Loyalität eures Großvaters, aber als er ihm eines Tages gestand, dass er die Jungfräulichkeit seiner Tochter begehrte und sie des Nachts zu erkennen wünschte, verärgerte er Juja. ‚Meine Tochter ist keine gewöhnliche Hafendirne, die für jeden Mann so einfach zu haben wäre, als pflücke er sich ein Blatt vom Baum, Majestät‘, soll er entschieden gesagt haben. ‚Wenn Ihr sie körperlich zu besitzen gedenkt, einzig um das Feuer Eurer Lenden abzukühlen, ist Teje nichts für Euch. Wenn Ihr sie hingegen aufrichtig liebt, dann fragt sie, ob sie Eure Gemahlin werden will. Willigt sie ein, soll sie Eure Frau werden, die Euch dann die körperlichen Freuden verschafft, nach denen Euch gelüstet!‘ Der ungestüme Heißsporn war ob des überraschenden Widerstandes aufgebracht und verließ Ipu noch am gleichen Tag. Als wir beim Abendmahl zusammensaßen, erzählte Juja von seinem Gespräch mit Amenophis. Meine Brüder Anen und Eje feixten und mir war der Vorfall beschämend peinlich. Tuja, unsere Mutter, war furchtbar darüber aufgebracht, dass Vater mir mit seinem Stolz und seinem Starrsinn eine Zukunft als Lustmädchen im Frauenhaus des Königs zunichte gemacht hatte.“ Teje kicherte leise in sich hinein. „Aber es war genau dieses Verhalten“, fuhr sie fort, „das Amenophis niemals zuvor von einem Untertan entgegengebracht worden war: Abweisung! Kein Vater hatte es bis zu diesem Tag 174

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gewagt, ihm seine Tochter zu verweigern, wenn der König sie begehrte. Es gab kein Mädchen im ganzen Reich, das nicht auf sein Geheiß ihr Kleid gelüftet und keinen Vater, der nicht für die Gegenleistung einer vergänglichen Gunsterweisung die Wünsche des Königs erfüllt hätte. Amenophis war natürlich zunächst verblüfft und aufgebracht, aber insgeheim war er gefesselt von dem Mut, dem Selbstbewusstsein und der Ehrlichkeit Jujas und der offensichtlichen Unerreichbarkeit von dessen Tochter, vor die sich der Vater wie ein Löwe gestellt hatte. Zunächst fuhr er gekränkt an Stolz flussabwärts in die Residenz nach Men-nefer zurück, aber es dauerte nur wenige Monate, bis die königliche Barke eines Tages mit viel Pracht wieder in Ipu festmachte.“ Teje nahm einen großen Schluck Wein. „Den Rest der Geschichte kennt Ihr. Ohne Euren Großvater Juja würden wir heute nicht hier zusammensitzen und die Zukunft Ägyptens schmieden. Nur seiner Weisheit ist es zu verdanken, dass unsere Familie mit meinem Enkel Tut-anch-Aton bereits den zweiten Pharao stellen wird. Und dass es soweit kommt – dafür müssen wir kämpfen, denn die Zeiten sind keineswegs einfach.“ Ein Diener näherte sich in gebeugter Haltung und füllte die Tischchen neben den Stühlen mit Früchten und Blumen auf. Als er wieder verschwunden war, sprach Teje weiter: „Wir drei und der kleine Tut-anch-Aton sitzen inzwischen in einem wackeligen Papyrusboot, das einstmals ein sicheres und stolzes Königsschiff mit mächtigen Planken aus starken Bäumen gewesen ist. Wir treiben inmitten des Großen Grünen Gewässers, ein unbarmherziger Wind löst das schwache Boot unaufhörlich weiter auf und die aufgepeitschten Wellen spülen es stetig hin und her – so stark, dass dein Gemahl und ich in nicht allzu ferner Zukunft von Bord gerissen werden.“ Sie sah ihrer Schwiegertochter mit dem ihr eigenen durchdringenden Blick, der keinen Widerspruch duldete, direkt in die Augen. „Halte du dich mit Tut-anch-Aton, solange es geht, auf diesem Boot! Bewahre es vor dem Kentern, trotze dem Sturm, bis der Wind sich legt und versuche es, wenn möglich, wieder in das stolze Schiff zu verwandeln, dass es einmal gewesen ist, auf dass mein Enkel und dessen Nachkommen wieder in einen sicheren Hafen fahren können.“ 175

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Sie griff nach einer Dattel. „Wer wird Tut-anch-Atons Erziehung übernehmen, wenn es an der Zeit ist?“ Die Frage war an ihren Sohn gerichtet. „Ich habe Eje dazu ernannt“, antwortete Echnaton, „und auf seinen ausdrücklichen Wunsch und Rat hin wird er bei dieser Aufgabe von Haremhab unterstützt, der sich jetzt Pa-Atonemhab nennt.“ Teje nickte gedankenversunken. „Eje ist eine weise Wahl!“ Nach einer Weile fügte sie strengen Blickes hinzu: „Ist dieser Haremhab vertrauenswürdig?“ „Er ist dir bekannt“, meinte der König. „Er hat einige Jahre am Hof von Waset gearbeitet. Vorher hat er meinen Bruder Thutmosis als dessen Leibwächter und Truppenkommandant in seine letzte Schlacht begleitet.“ Teje schloss für einige Momente die Augen. Längst vergessen geglaubte Bilder aus der Vergangenheit tauchten Stück für Stück  in ihrem Gedächtnis auf: Ein junger, athletischer Mann, der Entschlossenheit und Loyalität verkörperte. Sie nickte zufrieden. „Ja“, sagte sie schließlich, „ich erinnere mich! Sowohl dein Bruder Thutmosis als auch mein Bruder Eje haben großes Potenzial in ihm erkannt. Er entstammt nicht dem Adel, wenn ich mich recht entsinne?“ Echnaton schüttelte wortlos den Kopf. „Auf solch einen Mann müssen wir bei unserem Vorhaben setzen, mein Sohn. Es war eine kluge Entscheidung von Eje, gerade ihn in die Erziehung des Thronfolgers einzubeziehen.“ Echnaton sah seine Mutter durchdringend an. Haremhab war ein Problem. Der König vertraute ihm nicht mehr, aber er musste eine Lösung finden, die die Zukunft des Reiches sicherte – und er musste dies schnell tun. * Am nächsten Abend suchte Eje seine Tochter Nofretete in ihren Privatgemächern auf, um mit ihr gemeinsam nach Maket-Aton zu sehen. Als sie beide schweigend, zwischen Hoffnung, Verzweiflung und Wut zerrissen, am Bett des bewusstlosen Mädchens standen, öffnete sich leise die Tür und Echnaton trat ein. 176

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Es verging eine Weile, bevor der König das Schweigen brach. „Ich habe meine Entscheidung getroffen“, wisperte er. Nofretete und Eje blickten ihn abwartend an. „Haremhab, der sich Pa-Aton-emhab nennt, trägt alle Schuld an den Ereignissen, die dieses Leid über unsere Familie gebracht haben. Er hatte die Verantwortung für die Sicherheit und hat deshalb alle Konsequenzen zu tragen. Ich werde ihn nicht mehr in seine Ämter einsetzen, sondern ihm diese dauerhaft entziehen und ihn zudem von der Ehre, die es bedeutet hätte, die Erziehung des Kronprinzen zu übernehmen, entbinden. Haremhab kann nicht einen Jungen erziehen, dessen Schwester er auf dem Gewissen hat“, presste Echnaton bitter hervor, wobei sich seine Hände zu Fäusten verkrampften. „Durch seine Unachtsamkeit ringt meine Tochter nun mit dem Leben!“ „Dein strenges Urteil ist nicht gerecht, denn es widerspricht dem Prinzip der Maat“, entgegnete Nofretete. „Er hat nicht unachtsam gehandelt.“ Sie legte ihre Hand um eine seiner Fäuste. Auch die Königin bangte um Maket-Aton, doch konnte sie das unvermeidlich Geschehene ohne blindwütigen Zorn betrachten. „Achet-Aton ist ein langgestrecktes Areal und wird nicht von einer Mauer umschlossen, die nur einen Zugang zur Stadt gewährt“, erklärte sie. „Es ist unmöglich, den gesamten Bereich bei einem Anlass wie dem Fremdvölkertribut, bei dem Menschenströme von Schaulustigen in die Hauptstadt gelangen, nach allen Seiten und gegen alle möglichen Gefahren zu schützen. Und“, sie hob einen Zeigefinger, „der Elende war gerissen und hat die Wachen getäuscht! Darüber hinaus trug Haremhab an diesem Tag nicht die alleinige Verantwortung für die Sicherheit in der Stadt, denn er teilte sich diese Pflicht sowohl mit meinem Vater Eje, der Leiter der Bogentruppen ist, als auch mit dem Vorsteher der Stadtwache, Mahu. Die Schützen sind von Haremhab auf allen Dächern um den Festplatz herum mit viel Verstand postiert worden. Und es hat sich kein Mann aus der Leibgarde, die Haremhab befehligt, vom Attentäter täuschen lassen, sondern ein Soldat der Bogentruppen, die meinem Vater gehorchen.“ Eje hörte interessiert zu, während Echnaton verärgert seine Hand unter der seiner Frau fortzog. „Soll ich etwa deinen Vater festsetzen lassen?“, raunte er. 177

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Eje schluckte. „Nein“, entgegnete sie, „doch du mögest wohl bedenken, dass dich Haremhab immer wieder gebeten hat, den Pavillon für die königliche Familie auf mehreren Seiten mit festen Matten schließen zu lassen. Du hingegen hast beschlossen, ihn auf allen Seiten zu öffnen!“ „Wie hätten meine Untertanen sonst meiner königlichen Erhabenheit huldigen sollen?“ „Und wie hätte der Elende dann unsere Tochter treffen können?“ Der König schwieg. Seine Gemahlin hatte Recht und das wusste er. „Was wünschst du von mir, dass ich tun soll?“, fragte er Nofretete nach einer Weile. „Entweder ächtest du auch noch meinen Vater und Mahu oder du setzt Pa-Aton-emhab unverzüglich wieder in all seine Ämter ein!“ Echnaton sah zu Boden. * Die Sonne des nächsten Morgens war noch nicht ganz aufge­ gangen, aber Aton hatte bereits die Fingerspitzen seiner Strahlenarme hinter dem östlichen Horizont hervorgestreckt, als Haremhab erwachte. Durch die kleine Luke in seinem Schlafgemach fiel das fahle Licht eines neuen Tages. Das zarte Gurren der Tauben, die sich zur Nacht in seinem Garten niedergelassen hatten, weckte ihn sanft. Sein Kopf schmerzte und es ging ihm erbärmlich. Haremhab nahm widerstrebend ein kärgliches wab-ra, bestehend aus salzigem Ziegenkäse und festem Brot im Wohnbereich seines Hauses zu sich. Amenia saß neben ihm, ihre Hand ruhte auf seinem Unterarm. Beide sagten kein Wort, aber beide verstanden einander. Haremhab genoss diese Nähe und ihr Verständnis für seine Situation. Dass es draußen kräftig an die Hoftür klopfte, bemerkten beide nicht. Eine Dienerin öffnete und führte den hohen Besuch durch den Garten in das Haus, wo sie ihn ihrem Herrn ankündigte. Als der Hausherr erfuhr, dass es Maja war, trug er dem Mädchen auf, ihn 178

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in die Empfangshalle zu führen und Dattelsaft und Feigen bereitzustellen. Nachdem Haremhab seinen Schurz gerichtet hatte, traten er und seine Frau in den Raum, in dem der Gast wartete. Majas Gesicht war betrübt und seine Haut wirkte grau im diffusen Schein der Lichtkegel, die von oben ins Zimmer fielen. Sowohl Früchte als auch Saft lehnte er ab und machte insgesamt einen matten Eindruck. Haremhab und Amenia wechselten einen raschen, fragenden Blick. Schließlich ließ Maja seinen massigen Leib auf einen der niedrigen lehnenlosen Stühle sinken. „Ich habe dir eine Nachricht vom König von Ober- und Unter­ ägypten, Anch-em-Maat, dem Herrn der Beiden Länder, Nefercheperu-Ra Wai-en-Ra, dem Sohn der Sonne und Herrn der Kronen, Echnaton, zu überbringen.“ Seine Augen wanderten zu Amenia. „Allein“, fügte er hinzu. Als Haremhabs Frau den Raum verlassen hatte, stand Maja auf und sah sein Gegenüber ernst an. „Im Namen des Pharaos habe ich dem Königlichen Schreiber, General des Herrn der Beiden Länder, Aufseher der Arbeiten in Achet-Aton und Majordomus, Haremhab, genannt Pa-Atonemhab, folgende Nachricht zu überbringen: Seine Majestät der König befiehlt dir, dich noch vor der Mittagshitze im Audienzsaal des Palastes einzufinden!“ „Was bedeutet das?“ Maja schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht“, gestand er. „Hat der König sein endgültiges Urteil gefällt?“, drängte Haremhab. Maja hob die Achseln. Der offizielle Rahmen war ungewöhnlich, denn eine richterliche Entscheidung musste Echnaton dem Verurteilten nicht persönlich verkünden. Vielleicht, grübelte Haremhab, legte man bei ihm Wert darauf, weil er einen hohen Rang im Umfeld des Königs einnahm, in dieser Position dürfte es ihm gestattet sein, sein Leben auf Befehl des Herrschers durch eigene Hand zu beenden. Vielleicht wollte Echnaton ihn aber auch mit der Schmach verhöhnen, dem König vor seiner Hinrichtung noch einmal unter die Augen treten zu müssen. Maja war im Begriff zu gehen und Haremhab begleitete seinen sichtlich zerknirschten Freund aus dem Haus in den Garten. Am Tor wandte sich Maja noch einmal zu ihm um. 179

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„Sorge dich nicht“, flüsterte er, „Eje, der Wesir und ich tun alles, damit die Maat schnell wiederhergestellt ist und diesem Zustand ein Ende bereitet wird.“ „Danke!“, Haremhab öffnete den Holzriegel und Maja trat auf die Straße, wo ihn seine Sänfte zügig nach Norden ins Stadtzentrum von Achet-Aton brachte. Als Haremhab gesenkten Hauptes nachdenklich zu seinem weiß getünchten Anwesen zurückkehrte, stürzte Amenia ihrem Mann von der Terrasse entgegen und fiel ihm direkt in die Arme. Sie weinte und ihre Finger gruben sich so tief in seine Schultern, dass sie gelbe Abdrücke auf der Haut hinterließen. „Hast du gehorcht?“ Sie nickte stumm. Er führte sie ins Haus, fort von den neugierigen Blicken der Gärtner, in seine Schlafkammer. Nachdem er die Tür geschlossen und verriegelt hatte, schob Haremhab ihr leichtes Leinengewand hoch und ließ sie, begleitet von atemlosen Küssen, seine Männlichkeit in sich spüren. Sie liebten sich leidenschaftlich. Vielleicht zum letzten Mal, dachte Haremhab. * Zur selben Zeit befand sich Echnaton im großen Tempel Gempa-Aton unweit seines Palastes. Am großen Hauptaltar des sonnendurchfluteten Heiligtums, in dem es keine Dächer gab, die die Strahlen Atons hätten aufhalten können, stand er mit geschlossenen Augen und weit erhobenen Armen. Er trug die hohe Weiße Krone Oberägyptens und einen langen plissierten Schurz, der sich eng um seine unförmigen Oberschenkel legte. Auf dem Opfertisch hatte er die erlesensten Gaben von allem, was Ägypten zu bieten hatte, übereinander geschichtet. Zuoberst stellte er nun kleine Metallgefäße, entzündete ihren Inhalt und ließ Weihrauchkugeln in die zuckenden Flämmchen fallen. Dazu sang der König mit heller, klarer Stimme einige Strophen aus dem Sonnenhymnus, mit dem er Aton allmorgendlich begrüßte, dessen Text er mit eigener Hand verfasst und dessen Melodie er selbst erdacht hatte. Seine älteste Tochter Merit-Aton stand hinter ihm und begleitete das Lied des Königs mit rhythmischen Bewegungen zweier metallisch klingender Sistren. 180

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„Du erscheinst vollkommen am Horizont des Himmels, oh lebender Sonnengott, der das Leben bestimmt! Die Beiden Länder sind im Fest, das Sonnenvolk ist erwacht und steht auf den Beinen, nachdem du sie aufgerichtet hast. Alles Vieh ist zufrieden mit seinem Futter, Bäume und Gräser gedeihen; die Vögel sind aus ihren Nestern aufgeflogen, alles Wild springt umher auf den Beinen, alles, was fliegt und flattert, lebt, nachdem du für sie aufgegangen bist! Die Fische im Strom schnellen umher vor deinem Antlitz, denn deine Strahlen reichen bis ins Innere des Meeres!“ Echnaton hatte alle Weihrauchkugeln in die Opferschalen gelegt und ein schwerer, dichter Rauch stieg vom Altar auf und erfüllte den weiten Tempelhof mit heiligem Wohlgeruch. Wortlos gebot er Merit-Aton, mit dem Spiel der Sistren innezuhalten und sich zu entfernen. Als der König allein war, kniete er sich hin, schloss die Augen und betete leise. Der Rauch nahm seine Worte auf und trug sie in himmlische Höhen – direkt zu seinem göttlichen Vater Aton: „Oh alleiniger Gott, mein Handeln geschieht für dich, denn du bist in meinem Herzen! Es gibt keinen Anderen, der dich kennt außer deinem Sohn Nefer-cheperu-Ra Wai-en-Ra, den du über deine Absichten und über deine Macht im Klaren sein lässt. Deine Wege sind unergründlich für unwissende Herzen, aber am vorvergangenen Abend, als deine Strahlengestalt nicht mehr in Ägypten weilte, hast du durch den Mund meiner Mutter Teje, in deren Schoß ich durch deinen Willen entstanden bin, zu mir gesprochen! Doch heute, wo du wieder das Land mit deiner Wärme beschenkst, frage ich dich hier in deinem eigenen Heiligtum: Ist es wirklich dein Wille, dass für die Große Königsgemahlin Nofretete, sie möge ewiglich leben, gesund und jung sein, dieser ungewöhnliche und gefährliche Weg vorbereitet werden soll? Wenn es so sein soll, dann gib mir in diesem Augenblick ein Zeichen!“ 181

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Als er die Augen wieder öffnete, erhob sich ein plötzlicher Wind, der ihm die Rauchschwaden vom Altar ins Gesicht wehte. Im flimmernden und schillernden Licht sah er für den Bruchteil eines Moments seinen Sohn Tut-anch-Aton, dem die Doppelkrone Ägyptens auf sein Haupt gesetzt wurde. Echnaton verbeugte sich vor dem Altar und dankte Aton für dieses Zeichen. Danach erhob er sich und verließ den Tempel. Sein Plan stand nun fest. * Haremhab betrat wie befohlen noch vor der Mittagshitze den Palast. Er war frisch rasiert, trug seine beste nackenlange, gestufte nubische Perücke und seinen Festschurz aus hellem Leinen. Ein breiter Halskragen mit türkisfarbenen Fajenceröhrchen, dessen äußerster Rand von vergoldeten Tropfenperlen umschlossen war, legte sich um seine gebräunte Brust und kostbare Ledersandalen zierten seine eleganten Füße. Sein bis an die Schläfe gezogener Kajalstrich war dünn und exakt ausgeführt und sein gereinigter Körper glänzte durch die wertvollen, herrlich duftenden Öle, mit denen er sich eingerieben hatte. Haremhab war innerlich bereit und gefestigt, das Urteil des Königs mit allen Ehren zu empfangen – wie immer es auch ausfallen mochte. Amenia hatte ihn unter Tränen angefleht, die Stadt zu verlassen und zu fliehen. Doch er widersprach ihr mit aller Vehemenz. Er war sich sicher, dass gut versteckte Bogenschützen bereits sein Haus beobachteten, um ihn bei dem geringsten Anzeichen einer geplanten Flucht im Namen des Königs zu erschießen. Diesen Gefallen wollte er Echnaton nicht tun. Im Säulenhof vor dem Audienzsaal, dessen hohes Doppelflügeltor aus vergoldetem Zedernholz geschlossen war und von zwei Soldaten bewacht wurde, fand er überraschenderweise Eje vor. Er war in ähnlicher Weise herausgeputzt wie Haremhab und wirkte ungewohnt ratlos. Plötzlich öffnete sich das Tor und der Syrer Tutu verkündete Namen und Titel der Wartenden, worauf die beide Männer befangen eintraten. Laut krachend schlug die mächtige Tür hinter ihnen zu. 182

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* Am anderen Ende des Thronsaals saß Echnaton in vollem Ornat auf seinem prunkvoll verzierten, vergoldeten Thron, der sich auf einem Podest befand. Er trug das nemes-Kopftuch der Könige, dessen Endlappen ihm über den breiten und ganz mit Gold verzierten Halskragen auf die Brust herabhingen. An seinem Kinn war der künstliche Königsbart befestigt worden, der an seinem unteren Ende breit auseinanderlief. Seine Arme hatte er vor der Brust gekreuzt und in seinen Händen hielt er die Zepter seiner Macht: heqa, den Krummstab und nechacha, den Wedel. Inzwischen war es Mittag geworden und Aton stand senkrecht über der Hauptstadt. Nun begriff Haremhab, warum er genau jetzt eine Audienz beim König hatte und warum Echnaton offizielle Empfänge immer auf diese Zeit ansetzte: Der Thronsaal war mehrschiffig angeordnet, wobei das Mittelschiff die anderen um ein gutes Stück überragte. An den Längsseiten des erhöhten Teils waren je sechs gitterartige Fenster aus Kalkstein eingelassen und ein einzelnes befand sich an der Stirnseite, genau über Echnaton. Als Eje und Haremhab den Raum voller Ehrfurcht betraten, strömte die Sonne durch eben dieses einzelne Fenster und Atons Strahlenarme griffen nach dem König und umfassten ihn. Es war ein Anblick, der Haremhab vor Staunen den Mund offen stehen ließ. Echnatons Inszenierung als Sohn des Sonnengottes war perfekt! Zur Rechten des Königs thronte seine Mutter, die ehrwürdige Königswitwe Teje mit der imposanten Hathorkrone und auf der anderen Seite saß Nofretete mit dem ihr eigenen hohen Kopfputz. Sie beide befanden sich im schattigen Umfeld des sonnenüberfluteten Königs und hielten mit je einer Hand einen Wedel vor der Brust. Eje war überrascht, sowohl seine Tochter als auch seine Schwester bei der Audienz anzutreffen. Der hochoffizielle Rahmen und die ernsten Gesichter des Königs und seiner Beisitzerinnen ließen die Verkündung einer außerordentlich wichtigen Entscheidung erwarten. Tutu eröffnete das Zeremoniell mit kräftiger Stimme: „Verneigt euch vor dem König von Ober- und Unterägypten, Anch-emMaat, dem Herrn der Beiden Länder, Nefer-cheperu-Ra Wai-en183

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Ra, dem Sohn der Sonne und Herrn der Kronen, Echnaton, dessen Lebenszeit lange währt!“ Haremhab und Eje traten einige Schritte nach vorn und warfen sich dann vor der königlichen Familie zu Boden. Auf ein Zeichen Echnatons zog sich Tutu durch einen Seitenausgang aus dem Saal zurück. „Ihr dürft euch erheben“, Echnatons Stimme war so fest und entschlossen, wie Haremhab sie selten vernommen hatte. Beide Männer standen auf. „Mein Vater Aton, der die Wahrheit kennt und die Lüge verabscheut, hat euch einen göttlichen Auftrag übermittelt, der mich erreicht hat.“ Schweigen. „Ihr seid hier, weil diese Mission euch beide betrifft. Kann Aton auf eure uneingeschränkte und untertänigste Loyalität zählen?“ Echnaton sah Haremhab an. Dieser sank erneut auf die Knie und führte seinen Blick gen Boden. Die Befürchtung einer Verurteilung hatte sich in ihm zerstreut. „So wahr der Gott Aton der Gott des Tageshimmels ist, werde ich ihm und seinem Sohn, der Ihr seid, mit meinem Leben dienen, bis dieses beendet oder der Schwan schwarz und der Rabe weiß geworden ist“, sagte er in feierlichem Ton und Echnaton quittierte das Gesprochene mit einem knappen Kopfnicken. Ihm gefiel, dass Haremhab Worte wählte, die er einst selbst formuliert hatte. Das war auch Teje aufgefallen, die wohlwollend lächelte. Nofretete hingegen zeigte keinerlei Regung. Der Blick des Königs wanderte zu Eje, der sich ebenfalls auf die Knie begab. „Majestät“, begann er, „Eure Mutter ist meine Schwester und Eure Große Königliche Gemahlin meine Tochter. Wie anders könnte ich dem einzigen Sonnengott und dessen leiblichem Sohn, der Ihr seid, begegnen als mit ausschließlicher Ergebenheit und Loyalität?“ Echnaton sah beide Männer abwechselnd an. „Vortrefflich“, sagte er schließlich, „die Wahl, die auf euch gefallen ist, war wahrlich weise.“ Der König erhob sich, stieg vom Podest und schritt hoheitsvoll auf die knienden Männer zu. Er legte das heqa-Zepter auf Haremhabs Kopf und flüsterte geheime Worte, die niemand verstand 184

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und auch niemand verstehen sollte. Das Zepter war mit Macht geladen, die nur ein göttliches Wesen wie der König zu bändigen wusste. Dadurch, dass Echnaton Haremhab damit berührte, übertrug er ihm ein Quantum jener Macht. Alles Schlechte und Unreine löste sich in ihm in Nichts auf und schuf Raum für die sich ausbreitende Herrscherkraft, die ihn nun aus dem heqa-Zepter durchströmte. Der König wiederholte dasselbe Ritual bei Eje. Unwürdige wären unter jener Kraft augenblicklich tot zusammengebrochen, aber Eje und Haremhab überstanden diese Prüfung unbeschadet, geläutert und machtgeladen. „Werdet nun Teil des göttlichen Plans!“ Echnaton streckte die Arme mit heqa und nechacha in die Höhe. Inzwischen war Aton auf seinem täglichen Weg über den Tages­himmel weitergewandert und genau in diesem Moment trafen die Strahlenarme den König und übergossen auch die Knieenden, so dass sie schließlich alle drei von den Strahlen umfasst wurden. Echnaton ließ seine Arme sinken, kreuzte sie wieder vor der Brust und schritt zu seinem Thron zurück, auf dem er wieder Platz nahm, während er die beiden Männer in einem Fächer aus Sonnenlicht zurückließ. „Was ihr nun erfahren werdet, macht euch zu heriu-seschta, zu wahren Geheimnisträgern.“ Der König holte tief Luft, bevor er fortfuhr. „Meine Majestät wird in absehbarer Zeit seine irdische Hülle abstreifen und von der Erde Ägyptens aufsteigen, um die Ewigkeit gemeinsam mit meinem göttlichen Vater Aton am Firmament zu verbringen. Mein Sohn und Nachfolger, Tut-anch-Aton, dessen Erziehung ihr übernehmen werdet, sobald er von der Brust der Amme entwöhnt ist, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht alt genug sein, um die Regierung allein zu übernehmen.“ Echnaton machte eine Pause, bevor er fortfuhr: „Natürlich kann die Große Königliche Gemahlin Nofretete nicht für Tut-anch-Aton, dessen Mutter sie nicht ist, die Herrschaft ausüben – deshalb wird sie aus der Erinnerung der Untertanen entrücken.“ Eje wollte protestieren, doch Haremhab gebot ihm stumm, abzuwarten. „Sollen die Menschen nur spekulieren, wie es ihnen beliebt“, 185

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Echnaton verzog verächtlich das Gesicht, „meinetwegen habe ich sie in Kijas ehemaligen nördlichen Palast verbannt oder sie ist krank oder, oder, oder.“ Eine abfällige Handbewegung unterstrich, dass er sich darüber keine Gedanken machen wollte. „Aber sie wird vorerst nicht wieder als die Große Königliche Gemahlin unter die Strahlen Atons treten.“ Eje und Haremhab starrten den Pharao stumm an. „Stattdessen wird ein neuer Mann in Achet-Aton erscheinen, dessen Herkunft niemanden zu interessieren hat. Dieser Mann, dessen Name mir bereits vom allwissenden Gott Aton verkündet worden ist – man wird ihn Semenech-ka-Ra, ‚Perfekt zur Ausführung gebracht ist der Ka des Ra‘, nennen –, soll mein Mitregent sein. Um seine Herrschaft zusätzlich zu festigen und zu legitimieren, wird er meine älteste Königstochter, die liebreizende Prinzessin Merit-Aton heiraten – diese Ehe wird ihm nach meinem Aufstieg zum Sonnengott den Thron unbestreitbar sichern und er wird allein regieren können, bis Kronprinz Tut-anch-Aton die nötigen Jahre vollendet haben wird. Ist Tut-anch-Aton alt genug und durch eure Erziehung gründlich auf sein zukünftiges Leben vorbereitet, darf die Große Königliche Gemahlin Nofretete, meine Witwe, zurückkehren und dies in demselben Moment, in dem Semenech-ka-Ra Achet-Aton verlässt.“ Eje wirkte verdutzt. Hatte er richtig verstanden? „Majestät, erlaubt mir eine untertänige Frage, nur, damit ich sicher sein kann, den wohldurchdachten und vollkommenen Plan Seiner Majestät erfasst zu haben!“ Echnaton nickte und gewährte Eje die Frage. „Mein Herz begehrt zu erfahren, weshalb es nötig ist, dass meine Tochter für diesen männlichen Mitregenten den Platz räumen muss.“ Der Fall war klar, aber so außergewöhnlich, dass sich Ejes Verstand weigerte, diesen in vollem Umfang zu akzeptieren. Nun sah Echnaton seinen Schwiegervater und Onkel verschmitzt an und deutete auf seine Gemahlin. „Weil sie dieser männliche Mitregent sein wird“ antwortete er. *

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Haremhab und Eje waren noch immer verblüfft, selbst als sie schon eine geraume Weile auf Ejes Anwesen verbracht und Wein getrunken hatten. Ein Bote war zu Amenia geschickt worden, damit sie sich keine Sorgen um ihren Gemahl machen musste. Sie waren zu wahrhaftigen heriu-seschta, zu Geheimnisträgern ersten Ranges, geworden und verfügten über Wissen, das sie mit niemandem teilen durften. Die Menschen, die einst kämen, würden in den Annalen einen König Semenech-ka-Ra finden, von dem sie nicht ahnen konnten, dass er in Wahrheit eine Frau gewesen war. Bei Eje mischte sich zu seiner Verwunderung immer mehr Stolz; er war nun nicht mehr nur der Erzieher zweier Könige und der Schwiegervater eines Königs, wofür er den Titel „Gottesvater“ führte – bald würde er sogar der Vater eines Königs sein. „Vergiss nicht, diesen Titel unerwähnt zu lassen“, scherzte Haremhab und beide lachten. Dann wurden sie wieder ernst. „Was sich Echnaton vorstellt, ist äußerst ungewöhnlich“, bemerkte Haremhab schließlich und nippte an seinem Wein. „Das stimmt zwar“, gab Eje zu, „aber es ist schon einmal geschehen – wenn auch nicht so gut durchdacht.“ Der General der Leibwache machte große Augen. „Doch, doch“, beteuerte der Ältere. „Ich habe die alten Schriftrollen studiert, die Annalen befragt und die Orte der Altvorderen besucht: Es hat schon früher einmal eine Königin gegeben, die nach dem Tod ihres Mannes für ihren kleinen Stiefsohn regierte. Das war vor etwa anderthalb Jahrhunderten, und es war die UrUr-Urgroßmutter von Echnaton, ihr Name war Hatschepsut. Nicht mehr viel ist von ihr zu finden, denn sie fiel dem iri-em-tem-wen zum Opfer, der vollständigen Auslöschung, der Rückführung zum Zustand vor ihrer Existenz, als hätte es sie niemals gegeben. Nur an wenigen Stellen ist ihr Name noch zu erkennen.“ „Das klingt grausam“, Haremhab erinnerte sich dunkel daran, während seiner Lehrzeit in Men-nefer über diese Vernichtung der Erinnerung gehört zu haben. „In der Tat ist es das“, bestätigte Eje, „denn ein Leben nach dem Tod, kann nur stattfinden, wenn unser Name im Diesseits erhalten bleibt, damit sich die Nachfahren an uns erinnern. Deswegen wird die Strafe des iri-em-tem-wen nur bei außergewöhnlichen Vergehen verhängt – danach wird der Name der verurteilten Person überall 187

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ausgekratzt und getilgt, ihre Statuen werden zerschlagen, ihre Sinnesorgane beschädigt, damit sie nie wieder sehen, sprechen, hören oder Nahrung aufnehmen können. Unsere Abbilder und unsere niedergeschriebenen Namen, die wir in Ägypten hinterlassen, sind wir selbst. Sind sie zerstört, werden wir es auch sein.“ „Welchen Fehler hat Hatschepsut begangen, für den sie ihre ewige Existenz hat einbüßen müssen?“ „Eigentlich ist es but, ein Tabu, über Personen zu sprechen, die der Verdammnis anheim gefallen sind, über die das iri-em-temwen ausgesprochen wurde. Aber gut – der Sachverhalt ist ein wenig verworren, willst du ihn trotzdem hören?“ Haremhab nickte. „Siehe, diese Frau, deren Name von jetzt an besser ungenannt bleiben sollte, war die Tochter von König Aa-cheper-ka-Ra, dem ersten Herrscher mit Namen Thutmosis, mit seiner Hauptfrau, der Großen Königlichen Gemahlin. Er starb und sein einziger Sohn entstammte aus der Verbindung mit einer Nebenfrau.“ „Die Konstellation ist den gegenwärtigen Umständen nicht unähnlich“, stellte Haremhab fest. „Sehr richtig. Dieser Sohn der Nebenfrau wurde mit der Tochter der Hauptfrau vermählt, wodurch er sich legitimiert und Anspruch auf den Thron hatte. Er regierte als Aa-cheper-en-Ra, der zweite König mit Namen Thutmosis, er war ein schwacher Mann, dem nur wenige Herrschaftsjahre beschieden waren. Wie sein Vater hatte auch er mit seiner Hauptgemahlin, der, deren Name nicht mehr genannt werden soll, eine Tochter und mit einer anderen Frau einen Sohn, der ebenfalls auf den Namen Thutmosis hörte. Doch dieser war noch ein Kind und so übernahm die Verdammte die Regierung für ihn. Sie war machthungrig und ihr ward bewusst, dass sie hätte König sein können, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Also beschloss sie, diese Ungerechtigkeit des Schicksals zu korrigieren und scheute nicht davor zurück, das Gebot der Maat zu brechen, indem sie sich als Mann darstellen ließ. Als die Zeit der Machtübergabe an den Stiefsohn gekommen war, der durch die Hochzeit mit der Tochter der Verdammten der legitime Nachfolger seines Vaters war, ernannte sie ihn nur zum Mitregenten mit eng geschnittenem Handlungsspielraum – seine Stiefmutter hielt ihn mit Absicht von der Macht fern, dazu war ihr jedes Mittel recht. Denn sie wusste, wenn dieser Men-cheper188

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Ra, der dritte König namens Thutmosis, allein in den Vordergrund trat, würde sie in seinem Schatten verblassen. Schließlich starb sie. Manche sagen, dass sie übergewichtig und krank war und deshalb ihr Ende fand, andere vermuten, dass der dritte Thutmosis sie beseitigen ließ. Jedenfalls war er es, der als alter König alle Darstellungen seiner Stiefmutter unter das iri-em-tem-wen stellte, die sie als regierenden König zeigten, manche ließ er auch auf seine Person abändern, einen ihrer Obelisken, den er im dicht bebauten Tempel von Ipet-sut nicht umstürzen lassen konnte, ohne Gebäude zu beschädigen, hat er sogar einmauern lassen.“ „Er verfuhr wie Echnaton mit dem Gott Amun!“ „Das ist richtig“, Eje nickte nachdenklich, „und irgendwann wird einer der späteren Könige auch so mit ihm verfahren.“ Für diese Aussage in der Gegenwart eines anderen hätte Eje hingerichtet werden können, dachte Haremhab. Wie sehr er mir vertraut. Beide nahmen noch einen Schluck Wein. „Welche Gefahr nimmt deine Tochter auf sich?“ Eje hob die Achseln. „Ich weiß es nicht, aber ihr Auftreten als Mann ist besser durchdacht, als bei der, deren Namen nicht erwähnt werden soll. Nofretete kann es schaffen.“ Eje sah Haremhab fest in die Augen. „Die einzige Gefahr für sie besteht darin, dass du einmal Pharao wirst und das iri-em-temwen über sie verhängst.“ Haremhab musste über den irrwitzigen Gedanken lachen. „Wie soll denn das zugehen?“, fragte er amüsiert, aber Eje verzog keine Miene und starrte ihn nur an. „Weil du nach meinem Ableben der Einzige sein wirst, der die wahre Identität von Semenech-ka-Ra kennt“, sagte Eje widerstrebend. * Als der junge General Ejes Grundstück verließ, bedeckten schon die Sterne den tiefschwarzen Himmel. Er ging nicht direkt nach Hause, sondern machte einen Umweg an das Ufer des Nils, des ewigen Flusses, dessen mächtige und ruhige Wellen vom Mondlicht bestrahlt an Achet-Aton vorüberzogen, und setzte sich. 189

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An diesem Tag hatte sich alles für ihn verändert: Am Morgen war er noch ein vom Pharao seiner Ämter Enthobener gewesen und am Mittag wurde er zu dessen heri-seschta, einem Geheimnisträger, und von der heqa-Macht der Herrscher durchströmt. Am Abend musste er feststellen, dass sich etwas in Ejes Verhalten ihm gegenüber veränderte. Etwas in Eje fürchtete ihn nun, das konnte er deutlich spüren. Macht verändert Menschen und Haremhab war völlig ausgefüllt von der Macht des königlichen heqa-Zepters, das heute sein Haupt berührt hatte. Er atmete die kühle Abendluft tief ein. Sie roch nach Unendlichkeit. In der Ferne rief ein Falke, während Haremhab aufstand und seinen Weg nach Hause fand. * Ra-messu war eingeschlafen. Haremhabs entkräfteter Körper strahlte eine so friedliche Ruhe aus, dass Ra-messu bereits glaubte, das Unvermeidliche sei eingetreten, als er erwachte. Doch der König atmete noch – zwar flach und unregelmäßig, aber sein glückliches Lächeln beruhigte den Wesir. Wenigstens leidet er nicht und sein Herz erfreut ihn mit süßen Erinnerungen, dachte er. Der Sturm hatte nicht nachgelassen, noch immer bogen sich Bäume und Büsche unter der himmlischen Gewalt. Ein Sturm konnte vieles bedeuten. Er konnte aufkommen, wenn erzürnte Götter die Aufmerksamkeit der Lebenden einforderten; er konnte jedoch auch über das Land wehen, wenn die Seelen der Toten die Lebenden besuchten und einen von ihnen mit hinübernahmen ...

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Teil III Horus feiert 1.–10. Regierungsjahr unter Seiner Majestät, dem König von Ober- und Unterägypten, Pharao Tut-anch-Amun, dessen Name nicht mehr genannt werden soll (etwa 1333–1323 v. Chr.) sowie 1.–4. Regierungsjahr unter Seiner Majestät, dem König von Ober- und Unterägypten, Pharao und Gottesvater Eje, dessen Name nicht mehr genannt werden soll (etwa 1323–1319 v. Chr.) und 1.–14. Regierungsjahr unter Seiner Majestät, dem König von Ober- und Unterägypten, Pharao Haremhab, er möge leben, heil und gesund sein (etwa 1319–1305 v. Chr.)

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Kapitel 1 Der junge König Echnatons Vorstellungen trafen nur bedingt zu. Er starb bereits fünf Jahre nach jenem für Haremhab so bedeutungsreichen Tag in seinem 17. Regierungsjahr. Er hatte schließlich selbst Hand an sich gelegt, weil er die Stimmen seiner Dämonen nicht mehr ertragen konnte, die ihm alle Farben grau und jeden Wohlgeruch zu fauligem Gestank machten. Schließlich konnte er sich nicht mehr wehren, als sie ihm befahlen, sich selbst zu richten. Die wahre Ursache seines Todes verließ niemals den engsten Kreis seiner Vertrauten. Nofretete existierte zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren als dessen männlicher Mitregent Semenechka-Ra und war offiziell mit ihrer ältesten gemeinsamen Tochter Merit-Aton verheiratet, die getrennt von ihrem „Gemahl“ in Kijas ehemaligem nördlichem Palast residierte. In seinen letzten Lebensjahren willigte Echnaton widerstrebend und zähneknirschend in eine allmähliche Annäherung an die entmachteten Amun-Priester von Ipet-sut in Waset ein. Teje hatte vor ihrem Tod vehement auf die Wiederherstellung eines zumindest neutralen Verhältnisses und einer beidseitigen Unterstützung gedrängt, um die bestmöglichen Voraussetzungen für die Machtausübung ihres Enkels zu schaffen. So verfügte Nofretete als Semenech-ka-Ra in Absprache mit Echnaton, dass ihr Königsgrab nicht im Gebirge von Achet-Aton errichtet werden sollte, sondern auf dem Westufer von Waset, in der Großen und erhabenen Nekropole der Millionen von Jahren des Pharaos, die auch sechet-aat, das Große Feld, genannt wurde, auf dem seit Pharao Aa-cheper-ka-Ra, dem ersten Thutmosis, alle Könige der Dynastie beigesetzt worden waren. Das Gebiet lag ursprünglich im Verwaltungsbezirk von Ipet-sut. Eine solche Geste würde ein Zeichen setzen, so hatte Teje gehofft, und den kahlköpfigen Gottesdienern eine Hand zur Versöhnung reichen. Tejes Seele verließ ihren Körper im 13. Regierungsjahr ihres Sohnes. Nur wenige Tage zuvor hatte sie in einem bewegenden Augenblick auf ihrem Sterbebett eine Locke aus ihrer dichten Haarpracht herausgeschnitten und bestimmt, dass Tut-anch-Aton 192

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diese als Erinnerung an sie bekommen sollte. Ihrem Wunsch entsprechend wurde die alte Dame im Königsgrab von Achet-Aton beigesetzt, ganz so, wie es ihr Sohn einst versprochen hatte. In jenem Jahr verlor auch die kleine Maket-Aton den Kampf gegen ihre schwere Verletzung. Kurz zuvor hatte Haremhab noch eine Weinlieferung zur Beschleunigung der Genesung an den von ihr bewohnten Teil des Palastes schicken lassen, nachdem er eigenhändig „13. Regierungsjahr: Wein für das Haus der Königstochter Maket-Aton“ auf das Gefäß geschrieben und noch das Anbaugebiet notiert hatte. Aber ihr Körper war zu diesem Zeitpunkt schon in eine letzte Bewusstlosigkeit gefallen, aus der sie niemals wieder erwachen sollte, um den süßen Wein zu kosten. Zum Zeitpunkt ihres Todes zählte sie erst acht Jahre. Haremhab betrauerte sie drei quälend lange Wochen, in denen er sich als Zeichen seines Schmerzes nicht rasierte. Während ihrer Beisetzung im Königsgrab wünschte Echnaton, dass der kleine Tut-anch-Aton am Sarg seiner Lieblingsschwester Abschied nehmen sollte. Ein unsinniges Unterfangen, denn das Kind hatte Angst und musste aus dem dunklen und unheimlichen Grab gebracht werden. Nach Echnatons Tod herrschte Nofretete als Semenech-ka-Ra noch ein kurzes Jahr von Achet-Aton aus, bevor auch sie überraschend verstarb. Zum Ende ihrer Regierungszeit lockerte sie immer mehr die Maskerade um ihre Person, die Echnaton ihr aufgebürdet hatte, änderte den königlichen Eigennamen in einen anderen um, der eine auffällige und gefährliche Brücke zwischen dem neuen König und der alten Königin darstellte – Nefer-neferuAton. Auch Statuetten von sich ließ sie mit deutlich weiblichen Körperformen anfertigen, die ihre wahre Identität nicht verheimlichten. Haremhab war damals froh, nicht mehr für die Sicherheit des Königs verantwortlich zu sein, sondern seine Zeit ausschließlich auf die Erziehung des kleinen Tut-anch-Aton verwenden zu können. Eje flehte seine Tochter mehrfach inständig an, nicht in dieser Weise leichtsinnig zu werden und mit ihrem Leben, der Blutlinie ihrer Familie und dem Thron Ägyptens zu spielen, aber sie wollte von derlei nichts hören. „Ich wünsche, mein Volk und mich selbst nicht weiter auf diese Weise zu hintergehen. Diese Lüge widerspricht dem Glauben des Gottes Aton, der mit seinen 193

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Strahlen die Schatten der Lüge durch das helle Licht der Wahrheit vertreibt“, hatte sie unwirsch geantwortet. Eines Morgens wurde sie leblos in ihrem Schlafgemach im Palast aufgefunden. Der königliche Leibarzt Pentju bestätigte einen natürlichen Tod, aber Eje hatte dies nie geglaubt. Als die Balsamierungspriester den Körper für die Ewigkeit vorbereiteten, entdeckten sie den untrügerischen Beweis für das, was bereits hinter vorgehaltener Hand vermutet worden war: Semenech-ka-Ra war eine Frau. Als Große Königliche Gemahlin sollte Nofretete niemals mehr zurückkehren. Eje litt in dieser Zeit sehr. Weil die Bauarbeiten an ihrem geplanten Grab im Westen von Waset noch nicht weit genug gediehen waren, wurde sie im Königsgrab ihres Mannes beigesetzt, wo bereits Kija, Maket-Aton, Teje und der König selbst ihrer ewigen Ruhe entgegensahen. Außerdem fürchtete man um die Sicherheit ihres Leichnams in der Nähe der unberechenbaren Amun-Verehrer in Ipet-sut. Merit-Aton, Echnatons älteste Tochter und „Gemahlin“ von Semenech-ka-Ra starb nur wenige Wochen nach Nofretete, ohne dass jemand herausfinden konnte, woran. Im Geheimen sprach man von Vergiftung und Mordanschlägen auf die Königsfamilie, die aus dem engsten Kreis des Palastes geplant und verübt worden sein sollten, doch das konnte niemand beweisen. Sie wurde in einem eigenen Grab, versteckt in den Felsen des Ostgebirges von Achet-Aton, beigesetzt. So kam es, dass das Kind Tut-anch-Aton im Alter von nur acht ­Jahren den Thron der beiden Länder besteigen sollte, viel ­früher als Echnaton es hatte voraussehen können. Die Gerüchte  über ein Komplott innerhalb des Palastes gegen die Erben Echnatons verdichteten sich immer mehr. Niemandem war mehr zu trauen, und so übernahm Haremhab nicht nur die Erziehung, sondern auch den Schutz des Jungen, ließ ihn nicht aus den Augen, stellte Vorkoster ein, die jeden Bissen, den der Prinz zu sich zu nehmen gedachte, probierten, und verbrachte fast dessen gesamte Kindheit mit ihm. Tut-anch-Aton entwickelte sich prächtig. Er war ein aufgeweckter und hübscher Junge mit einem wachen Verstand, den Haremhab wie einen eigenen Sohn liebte. Auch für den Prinzen war sein Erzieher die 194

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wichtigste Bezugsperson und so wurde er zum engsten Vertrauten des Thronfolgers. Da Tut-anch-Aton nicht der Sohn der Hauptgemahlin seines Vaters, sondern aus Kijas Schoß geboren worden war, bestand die Notwendigkeit, dass man seinen Anspruch auf die Thronfolge besonders festigte, so dass sie ihm niemand mehr streitig machen konnte. Aus diesem Grund musste er, noch während Semenechka-Ra im Balsamierungshaus lag, die älteste lebende Tochter Echnatons heiraten, die in dessen Hauptehe von Nofretete geboren worden war. Dies war die sechs Jahre ältere Anch-es-en-paAton. Es erforderte viel Feingefühl von Haremhab, den beiden Kindern die Richtigkeit dieses Entschlusses nahezubringen. Er sprach mit beiden getrennt. „Bevor Ihr König werdet“, begann er gegenüber Tut-anchAton, „müsst Ihr heiraten – so will es das Gesetz.“ Der Prinz nickte. Als Haremhab aber den Namen von Tut-anch-Atons 14-jähriger Schwester nannte, sprang er entrüstet auf und weigerte sich mit Händen und Füßen, wobei er angewidert seine Nase rümpfte. „Aber ... sie ist doch fast schon eine alte Frau!“ Anch-es-en-pa-Aton reagierte dagegen gefasst und erwachsen. Die Frauen des Palastes redeten von nichts anderem mehr, als dass sie nun bald Königin werden würde, erklärte sie. Und das war eine Aussicht, die sie mehr wollte als alles andere. Auch wenn der Preis sehr hoch war, denn den eigenen Bruder zu heiraten, bedeutete schon Bürde genug – wenn dieser jedoch noch ein Kind war, dessen Scheitel einem bis zum Bauchnabel reichte, konnte das selbst die schönste Aussicht trüben. Dem jungen Prinzen musste Haremhab erst unumwunden sagen, was er Anch-es-en-pa-Aton verschwiegen hatte: Sie, die sie im besten heiratsfähigen Alter war und der Hauptlinie entstammte, war die Verbindung zum Königshaus; sie könnte jeden Mann heiraten und ihn durch diese Ehe zum König von Ägypten machen. Die Hochzeit erfolgte nur zehn Tage später, kurz vor der Beisetzung von Semenech-ka-Ra. * 195

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Die Inthronisierungsfeierlichkeiten fanden in Achet-Aton statt. Eje, der schon bei der Krönung Echnatons und Semenech-ka-Ras zugegen gewesen war, übernahm mit dem Hohepriester des Aton die Aufgabe, den Thronfolger in einer geheimen Zeremonie zum Throninhaber zu machen. Haremhab stand an diesem Tag mit den anderen hohen Be­amten, abgeschirmt von den übrigen Bewohnern der Hauptstadt und den vielen Schaulustigen, die aus allen Teilen Ägyptens hierher gereist waren, um diesem Schauspiel beizuwohnen,  unter  dem  Erscheinungsfenster über der Königsstraße. Dieses  Fenster war in eine überdachte Brücke eingelassen, die über die Straße führte und Wohn- und Repräsentationspalast miteinander verband. Hier hatten sich Nofretete und Echnaton oft gezeigt, um hohe, verdiente Beamte auszuzeichnen und ihnen das begehrte Ehrengold als Auszeichnung zu verleihen. Bei solchen Anlässen war Haremhab stets anwesend gewesen, um als General der Leibgarde das Leben des Pharaos und seiner Familie zu schützen. Heute jedoch würde sich aus diesem Fenster der junge König erstmals nach seiner Inthronisierung seinen Untertanen zeigen und es war ein eigenartiges Gefühl, das Kind, das er wie einen eigenen Sohn aufgezogen hatte, nun als neuen König zu erwarten. * Tut-anch-Aton war mehr als nur ein Kind auf dem Thron, er war der Hoffnungsträger eines ganzen Volkes. Ägypten schrie nach einer Erlösung aus der Not und der achtjährige Junge war auserkoren, diese Schreie zu erhören und die Qualen zu lindern. Er selbst war sich dieser Bürde nicht bewusst, obwohl er seit zwei Jahren intensiv auf seine bedeutende Zukunft vorbereitet wurde – für ihn war es nur aufregend, fortan König zu sein. „Was bedeutet es eigentlich wirklich, König zu sein?“, hatte er Haremhab vor einigen Monaten gefragt. Haremhab überlegte seine Worte wohl. Er hatte oft erlebt, wie Mitglieder des Hofes dem kleinen Tut-anch-Aton gegenüber dessen Rolle als künftiger Pharao wie ein großes Vergnügen dargestellt hatten, als ob jeder Tag nur dazu gemacht sei, dass seine kindlichen Wünsche in Erfüllung gingen. 196

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Die Bedenkzeit, die er sich nahm, ließ den Thronfolger unruhig herumzappeln. Schließlich aber sprach Haremhab: „König von Ägypten zu sein, ist in dieser Zeit keine einfache Aufgabe.“ Haremhab sah den Jungen ernst an. „Es bedeutet, dass Ihr ein ganzes Reich führen und dafür sorgen müsst, dass es Euren Untertanen wohl ergeht, sie weder Hunger erleiden, noch von fremden Völkern angegriffen werden. Ägyptens Wohl muss stets an erster Stelle Eures Handelns und Denkens stehen. Euer Vater hat Euch ein schweres Erbe hinterlassen, weil er viele Menschen in diesem Land gedemütigt und erzürnt hat.“ Der Prinz machte große Augen: „Sind diese Menschen immer noch böse?“ Haremhab nickte. „Sind sie es auch auf mich?“ „Nun, mein Prinz, sie kennen Euch nicht und können Euch folglich nicht einschätzen – alles, was sie wissen, ist, dass Ihr der Sohn desjenigen Königs seid, der ihnen Kummer und Leid zugefügt hat. Allein das bereitet ihnen Kopfzerbrechen. Ihre Erwartungen sind hoch.“ Der Kronprinz überlegte angestrengt. Er fühlte sich sichtlich unwohl. „Wie kann ich den Menschen zeigen, dass ich nichts Böses will, sondern mich für meinen Vater entschuldigen möchte?“ Haremhab ließ hörbar Luft aus der Nase strömen. „Das ist sehr kompliziert“, sagte er nach einer Weile, „aber ich glaube, Eje und ich werden Wege finden, die Euren Untertanen zeigen, dass Ihr ein weiser König seid.“ „Ich will alles tun, damit niemand Argwohn gegen mich entwickelt. Wirst du mir dabei helfen?“ Haremhab lächelte zufrieden. Er hatte den wichtigen Moment klug genutzt. „Natürlich“, beruhigend legte er dem jungen Horus im Nest seine starke Hand auf die schmächtige Schulter. Als Berater des zukünftigen Königs musste er in den folgenden Wochen häufig nach Waset reisen, um die unter Semenech-kaRa begonnene Annäherung an die unter Echnaton entmachteten Amun-Priester weiter zu intensivieren. Er versicherte den Dienern des Gottes Amun, dass der neue König – unabhängig sei197

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ner geringen Lebenserfahrung – den alten Glanz des mächtigen Gottes wiederherzustellen, die Tore des Tempels zu öffnen, die Priester wieder einzusetzen und das Heiligtum mit neuen Bauten zu schmücken gedachte. Die kahlköpfigen und stolzen Männer in Waset waren misstrauisch und nicht leicht zu überzeugen. Schließlich war Haremhab ein hoher Abgesandter jenes Hofes, der sie als Feind betrachtete. Und er sprach für ein Kind, das der Sohn jenes Mannes war, der ihren Gott so erbarmungslos verfolgt hatte. Langsam und nur mit großem diplomatischen Geschick gewann er jedoch ihr Zutrauen, und sie glaubten ihm, als er versicherte, eine behutsame Rückführung des Zustands anzustreben, der vor Echnaton geherrscht hatte. „Der Junge, der zukünftig an der Spitze des Reiches stehen wird, ist unerfahren und deshalb beeinflussbar. Die wahre Regierung liegt in den Händen seiner Erzieher, Eje und mir selbst“, erklärte Haremhab. Pa-ren-nefer wog seinen Kopf nachdenklich von einer Seite auf die andere. „Ich erkenne in Eje den Gottesvater, also den Schwiegervater, und den Onkel des verstorbenen Echnaton. Ihr seid der General der Leibwache dieses Mannes gewesen und unter ihm zu hohen Würden gekommen!“ „Was mich betrifft, so war ich mit dem verstorbenen Echnaton häufig uneins, und außerdem ist meine Gemahlin, die Tochter von Tjenti, einem ehemaligen Reinigungspriester des Tempels von Ipet-sut, eine Sängerin des Amun gewesen.“ Pa-ren-nefer hob überrascht die Brauen. „Und was Eje angeht, so ist seine Tochter Nofretete, die ihn zum Schwiegervater des Königs machte, ebenso wenig am Leben wie der König selbst oder dessen Mutter Teje, Ejes Schwester. Die ruhmlose Vergangenheit ist tot. Neue und bessere Zeiten brechen nun an. Eje ist ein intelligenter Mann, für seine Loyalität verbürge ich mich. Uns beiden liegt nichts mehr am Herzen, als dass unser Land im Innern gefestigt wird und die alten Götter wieder zu ihrem Recht kommen. Ägypten hat während der letzten 20 Jahre eine schlimme Krankheit durchgemacht, die mit dem neuen König kuriert werden wird.“ „Eine Krankheit, dieser Vergleich passt ausgezeichnet“, lobte Pa-ren-nefer. 198

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„Ihr könnt uns vertrauen“, versicherte Haremhab. „Das einzige, was wir fordern, ist, dass es keine Anschläge auf das Leben des neuen Königs und keine Putschversuche mehr geben wird, deren Pläne in Ipet-sut ihren Ursprung haben.“ Pa-ren-nefer dachte lange schweigend nach. Schließlich nickte er. „Ihr geht einen Schritt auf uns zu – so wie wir einen auf Euch. So werden wir uns in einigen Jahren wieder vollständig angenähert haben.“ „Wie nach einer Krankheit braucht es eine Weile, bis sich der Erkrankte vollständig erholt hat.“ Pa-ren-nefer nickte zustimmend. „Wir haben Zeit, wenn nur die Maat, die gerechte Weltordnung, wieder an ihren Platz gerückt wird.“ „Darauf gebe ich Euch mein Wort.“ * Seit diesem Gespräch in Waset waren nun schon Wochen vergangen, Semenech-ka-Ra war inzwischen beigesetzt, und Haremhab stellte zufrieden fest, dass Pa-ren-nefer und einige weitere Kahlgeschorene aus Ipet-sut nach Achet-Aton gereist waren, um unter denen zu sein, die den neuen König am Erscheinungsfenster erwarteten. Hinter verschlossenen Mauern wurden dem jungen Herrscher die Kronen seines Reiches und die Zepter der Macht übergeben, sein Name wurde zu denen seiner Vorgänger auf die Blätter des heiligen isched-Baumes geschrieben, er wurde gesalbt und in die mythischen Geheimnisse des Königtums von Ägypten eingeweiht. Schließlich war es soweit. Fanfaren lenkten die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf die überdachte Brücke. User-Month, bereits seit einigen Jahren Wesir, erschien am prunkvollen Fenster über der Straße und verkündete zum ersten Mal die vollständige Titulatur der fünf Namen des neuen Königs, die Eje und Haremhab mit Bedacht für ihn zusammengestellt hatten: „Verneigt Euch vor dem neuen Pharao Ägyptens, dem Horus, Ka-nechet Tut-mesut, dem Erwählten der Kronengöttinnen, Nefer-hepu Segereh-taui Sehetep-netjeru-nebu, dem Goldfalken, Utjes-chau-iti-ef-Ra, dem guten Gott, dem Herrn der Bei199

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den Länder, Neb-cheperu-Ra Heqa-Maat, dem Sohn des Ra und Herrn der Kronen, Tut-anch-Amun, dem Herrscher des südlichen Iunu – er möge ewig leben!“ Ein Raunen ging durch das Meer der Menge. Haremhab drehte sich um und suchte den Blick von Pa-ren-nefer. Er traf ihn im Publikum, einige Reihen hinter sich. Im nun ansetzenden allgemeinen Jubel und dem Durcheinander auf der Königsstraße stand dieser ganz ruhig, sah Haremhab an und nickte anerkennend. Der neue König hatte Amun zu Ehren seinen Geburtsnamen geändert. Das Zeichen war angekommen. Alle sanken auf die Knie und verneigten sich. Wieder erschallten die Fanfaren und es schritt in majestätischer Würde, von Fächerträgern begleitet, ein Kind im vollen Ornat eines Herrschers des mächtigsten Reiches der Welt die Brücke entlang zum Erscheinungsfenster, an dem es sich huldvoll seinen Untertanen zeigte. Es trug die Rote Krone Unterägyptens, die die hohe Weiße Krone Oberägyptens umschloss – zusammen bildeten sie die Doppelkrone eines vereinten Ägyptens. Über der Stirn prangte eine von Haremhab bei den Goldschmieden in Auftrag gegebene Darstellung der beiden Kronengöttinnen, Wadjit und Nechbet, als aufgerichtete Kobra und als Geierkopf, die zum einen den jungen König beschützen sollten, zum anderen aber auch ein Symbol des Neuanfangs darstellten, denn die Göttin Nechbet war unter Echnaton besonders verfolgt worden und kam nun wieder zu neuem Glanz. Tut-anch-Amuns königlich geschminktes Gesicht und der lange, künstliche und geflochtene Kinnbart der Könige verliehen dem Jungen einen überraschend ernsten Ausdruck, der ihn deutlich älter erscheinen ließ, als er war. Allerdings konnte das nicht über die geringe Körpergröße hinwegtäuschen, als er auf einem Podest stand, um überhaupt über die Balustrade hinwegschauen zu können. Über sein schmächtiges Kinderbrüstchen legte sich der prachtvollste Halskragen, den Haremhab je zuvor gesehen hatte. Die Oberarme und Handgelenke waren mit wertvollen Armreifen geschmückt und seine kleinen Hände umfassten die machtvollen Königszepter heqa, den Krummstab, und nechacha, den Wedel, und kreuzten sie vor der Brust. Während die Kronen, der Halskragen und die Armreifen die kindliche Größe des Königs berücksichtigten und in absehbarer Zeit neu angefertigt werden mussten, waren die Zepter schon die eines Erwachsenen – groß 200

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und aus Gold und Lapislazuli gearbeitet. Tut-anch-Amun hatte sichtlich Schwierigkeiten damit, die schweren Insignien seiner neuen Macht zu handhaben. „Erhebt euch, mein rechit-Volk!“ Die Stimme des neuen Herrschers war dünn, aber erstaunlich gut zu vernehmen. Die Menschen standen auf und lauschten gespannt. Haremhab hatte für den König eine Rede verfasst, in der er seinen Untertanen sein vorrangiges Ziel, die Rückführung seines Landes zur Normalität, vorstellen wollte. Diese verlas er nun: „Die Tempel der Götter und Göttinnen von Abu bis hin zu den Marschen des Deltas sind im Begriff vergessen zu werden und ihre Heiligen Stätten im Zustande des Untergangs, zu Schutthügeln geworden, die mit Unkraut bewachsen sind; ihre Gotteshäuser sind wie etwas, das es nicht gibt, und ihre Tempel ein Fußweg. Das Land machte eine Krankheit durch, die Götter – sie kümmerten sich nicht um dieses Land. Wenn man ein Heer an die Küsten und Ebenen von Djahi aussandte, um die Grenzen Ägyptens zu erweitern, so war diesem nicht der geringste Erfolg beschieden. Wenn man sich bittend an einen Gott wandte, um von ihm Rat zu erfragen, so kam er nicht herbei – in keinem Fall. Wenn man in gleicher Weise eine Göttin anging, so kam sie nicht – in keinem Fall.“ Pa-ren-nefer erkannte das Bild der Krankheit wieder, das Haremhab bereits in Waset gebraucht hatte. Der Mann hat also Recht gehabt, dachte der Priester. Veränderungen lagen in der Luft und mit diesem Berater des Königs würden sie bald Wirklichkeit werden können. „Nachdem aber die Tage darüber vergangen waren“, fuhr der neue König seine Ansprache fort, „da erschien Meine Majestät auf dem Thron seines Vaters. Ich werde festigen, was verfallen ist unter den Denkmälern bis an die Grenzen der Ewigkeit. Ich werde das Sündige im ganzen Land vertreiben, indem die Wahrheit auf ihrem Platz verbleibt. Ich werde die Lüge ein Abscheu sein lassen, indem das Land werden soll wie in seiner Urzeit.“ Der Text war gut, stellte Haremhab nicht ohne Stolz fest, und er ergriff die Zuhörer. Als Tut-anch-Amun geendet hatte, unterstrich der blecherne Klang der Fanfaren die Bedeutung der soeben vernommenen Worte. Dann war es still. 201

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„Lang lebe unser König Tut-anch-Amun“, klang plötzlich ein einzelner kräftiger Ruf aus den Reihen der Knienden, der sofort begeistert von Tausenden Kehlen aufgenommen und wie ein beständiges Echo immer wiederholt wurde. Ohne sich umzudrehen wusste Haremhab, wessen Stimme es gewesen war, die den Segensspruch zuerst gerufen hatte. Es war die von Pa-ren-nefer. Das Volk brach in Jubel aus. Es gab keinen Zweifel: Die Menschen akzeptierten den neuen König ungeachtet seines Alters und seiner Abstammung. Denn obwohl ein Sohn des Echnaton, war er doch auch ein Enkel von Amenophis Neb-Maat-Ra und ein Urenkel Thutmosis’ Men-cheperu-Ras, weise Herrscher, unter denen es Ägypten wohl ergangen war. Die jubelnde Menge huldigte Tut-anch-Amun. Haremhab ließ seinen Blick über das wogende Meer von in die Höhe gerissenen Armen schweifen und freute sich. Auch Haremhabs Gemahlin Amenia war ein Teil dieser Menschenmasse und stand mit Majas Frau Merit weiter hinten. Haremhab konnte sie nicht sehen und er bedauerte, dass seine Stellung am Hofe es vorschrieb, bei offiziellen Anlässen dem König nah und seiner Ehefrau fern sein zu müssen. Dann wandte er den Blick wieder zu Tut-anch-Amun, der das Gefühl genoss, die Liebe seines Volkes zu spüren. * Als Haremhab sein Haus erreichte, war Amenia schon lange dort. Sie sah ihn verschwörerisch und vielsagend lächelnd an. „Das war ein großer Erfolg heute auf der Königsstraße.“ Haremhab strahlte. „Die Menschen lieben ihn.“ „Du hast herrliche Worte für ihn gefunden, die so wahr und rein wie das Sonnenlicht und süßer als der Honig sind – sie haben die Zweifel und das Unbehagen aus den Herzen der Menschen gespült, deshalb lieben sie ihn.“ Ihr Gemahl wollte ihre Bemerkung mit einer Handbewegung abschwächen, aber Amenia achtete nicht darauf. „Du liebst ihn wie deinen eigenen Sohn, nicht wahr?“, stellte sie stattdessen fest. Haremhab war verblüfft, bejahte aber. Bald würde er sein 202

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40. Jahr vollenden und Amenia hatte ihm noch keine Kinder geschenkt, hörte dafür aber niemals einen Vorwurf von ihm. Fast schien es, als hätte er sich damit abgefunden und stattdessen den kleinen Thronfolger mit all seiner väterlichen Liebe bedacht, nachdem dieser Mutter und Vater verloren hatte. Er spielte ausgelassen mit ihm und lehrte ihn schon früh die Kunst, einen Streitwagen zu lenken, wofür der Prinz eine besondere Leidenschaft entwickelte. Haremhab war aber auch ein strenger Lehrer, der stets betonte, wie bedeutsam die Verteidigung der ägyptischen Grenzen gegen das Ausland sei. Amenia hatte in der Vergangenheit viele Male das stolze Leuchten in den Augen ihres Gemahls erkennen können, wenn dieser über den Jungen sprach, dessen Erziehung ihm anvertraut worden war. „Würdest du einem Mädchen ebenso viel Liebe und Stolz entgegenbringen?“ Wieder stutzte er. „Ich fürchte, dass ich nicht verstehe, worauf deine Worte abzielen.“ „Ich möchte von dir wissen, ob du ein leibliches Kind, gleich welchen Geschlechts, genauso in dein Herz schließen würdest wie den König, er möge leben, heil und gesund sein.“ Haremhab riss die Augen auf. „Bedeutet das ... Bist du ...?“, stammelte er und Amenia strahlte so sehr, dass sich ihre großen braunen Augen zu schmalen, funkelnden Schlitzen verengten und nickte heftig. „Wir erwarten ein Kind“, konnte sie gerade noch erklären, bevor Haremhab auf sie zustürzte und sie mit einer schnellen Bewegung in seine Arme schloss. Sie hörten nicht mehr auf, vor lauter Glück zu lachen. * Die nächsten Tage waren sehr ereignisreich und sowohl Haremhab als auch Eje verbrachten viel Zeit im Palast. Die höchste Schicht der Beamten und Höflinge musste ausgetauscht werden, denn die Befürchtungen, dass ein Anschlag auf das Leben des Königs von Saboteuren aus dem Inneren des Palastes heraus geplant sei, denen nach Ejes unverrückbarer Ansicht auch Semenech-ka-Ra und Merit-Aton zum Opfer gefallen 203

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waren, schienen bedrohlicher und wahrscheinlicher als je zuvor. Besonders Eje bestand auf diese Veränderung, weil er davon überzeugt war, dass die Gefahr für das Königshaus nicht mehr allein nur von den abgesetzten Priestern ausging, sondern dass sich die Verräter überall befinden konnten. Eje und Haremhab arbeiteten deshalb eine Liste mit Personen aus, an deren Loyalität nicht zu zweifeln war. Zur Verwunderung beider Männer war die Aufstellung deutlich kürzer, als sie es erwartet hatten. Diese Beamten würden unter Tut-anch-Amun vertrauensvolle Positionen im Staat erhalten, während alle übrigen, insbesondere der Echnaton über alle Maße loyal zugetane Tutu, nicht weiter mit wichtigen Ämtern betraut werden sollten. In einem ersten Staatsakt bereiste der junge Pharao das geliebte Land, denn das Volk verlangte danach ihn zu sehen und er musste sich zudem einen Überblick über seine Besitztümer verschaffen. Gleichzeitig sollte auch der Umzug der Residenz eingeleitet werden. Seine beiden Berater konnten Tut-anch-Amun erfolgreich davon überzeugen, dass die alte Hauptstadt Achet-Aton zu sehr mit seinem Vater und dessen kulturellen Verbrechen verbunden war. Sie bildete nicht die geeignete Basis für einen Neuanfang. Und Tut-anch-Amun stimmte zu, die Residenz in den Norden nach Men-nefer zu verlegen. Die Wahl fiel nicht zuletzt aus strategischen Gründen auf diese Stadt, denn das Volk der Chatti in Klein-Asien war erstarkt und bedrohte die vorderasiatischen Vasallen Ägyptens. Im Falle eines Übertritts von Seiten der Chatti musste der König oder vielmehr ein schlagkräftiger Teil seiner Armee schnell in die betreffende Region ausrücken können. Die Hauptstadt musste also so weit wie möglich im Norden liegen. Men-nefer bot sich zudem an, weil es über die kampfkräftigste Truppe des Landes verfügte – das Bataillon des Ptah. Bevor sich der König auf die Reise begab, rief er seine engsten Vertrauten zu einer feierlichen Zeremonie in den Thronsaal des Palastes von Achet-Aton. Nur Tut-anch-Amun, seine Getreuen Eje, Haremhab und Maja waren anwesend. Der Junge saß auf einem Thron, der bereits im Hinblick auf sein Erwachsenenalter angefertigt worden war, so dass seine Kinderfüße den Boden vor ihm noch nicht berühren konnten. Er trug das nemes-Kopftuch, den künstlichen Königs204

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bart, einen kurzen Schurz und sämtlichen Schmuck. Dazu hielt er wieder die für ihn noch zu groß wirkenden Zepter heqa und nechacha vor der Brust gekreuzt. Die drei Beamten trugen ihre langen Perücken und helle, dünne Leinengewänder über einem langen Schurz und knieten in gebührendem Abstand vor dem Thron. „Maja“, rief der König nach einer Weile. Der Angesprochene erhob sich und tat einige Schritte nach vorn, wobei sein Gewand leise raschelte. „Meine Majestät hat Zeugnisse deiner Rechtschaffenheit erfahren“, sprach der Junge und ließ seinen Blick unauffällig zu Haremhab wandern. Dieser verstand und ahnte, was nun geschehen würde. Bei einer gemeinsamen Besprechung noch vor der Inthronisierung des Königs hatte Eje Tut-anch-Amun nahegelegt, die Angelegenheiten, die das Schatzhaus betrafen, neu zu organisieren. Er empfahl, einen besonders zuverlässigen Mann mit dieser Aufgabe zu betrauen. Der junge Prinz bat um Vorschläge und Haremhab verbürgte sich für seinen alten Freund Maja. „Ich kenne keinen genaueren und rechtschaffeneren Mann, der für dieses Amt besser geeignet wäre, als den General Maja, dem die Aufgaben der Verwaltung mehr liegen als die des Militärs“, hatte er gesagt, woraufhin Eje bestätigend nickte. Und nun stand Maja vor dem Thron und hielt den Blick ehrfürchtig gesenkt. „Aus diesem Grund“, fuhr der König fort, „mache ich dich zum Vorsteher des Schatzhauses, als solcher sollst du ebenfalls der Oberste der Arbeiten in der Nekropole von Waset und der Leiter des Festes für Amun in Ipet-sut sein. Zudem erhältst du den Ehrentitel Wedelträger zur Rechten des Königs, der deine Nähe zu Meiner Majestät vor allen Menschen zum Ausdruck bringt. Du darfst zurück in die Reihe.“ Maja verneigte sich, sichtlich bewegt und zutiefst dankbar, und schritt rückwärts zu Eje und Haremhab zurück. Diese Ernennung bedeutete für ihn, dass er nun – zumindest zeitweise – in hoher Funktion in seine Heimat Waset, die er so sehr liebte, zurückkehren durfte und dort maßgeblich an der Errichtung neuer Bauten und der Erweiterung des Tempels von Amun beteiligt sein sollte. 205

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„Eje“, der König forderte ihn auf, sich zu erheben und vor ihn zu treten. „Seit meiner Geburt bist du ein enger Vertrauter und zudem mein ältester noch lebender Blutsverwandter, der Bruder meiner verstorbenen Großmutter. Schon unter meinem Vater hast du zu Recht großes Vertrauen genossen und unter Meiner Majestät soll es nicht anders sein. Deshalb ist es mein erhabener Wunsch, dich am heutigen Tag zum Wesir über meine Wesire und zu meinem ältesten Ratgeber zu ernennen.“ Ejes Augen weiteten sich. „Du darfst zu den anderen zurücktreten.“ Wie vor ihm Maja, ging auch Eje gebückt und rückwärts. Nach einer Weile nannte der König schließlich den Namen des letzten noch wartenden Mannes. „Haremhab!“ Auch dieser ging mit gesenktem Blick auf den König zu, der noch immer mit vor der Brust gekreuzten Armen dasaß. „Haremhab, du bist mir ein wertvoller Erzieher und weitsichtiger Ratgeber gewesen und nun erhebe ich dich, ebenso wie Eje, in die Gunst, mein offizieller Berater zu sein. Ich bin oft Zeuge deines Mutes und deiner klaren, eindeutigen Entscheidungen gewesen und aus diesem Grund lautet deine vollständige Titulatur seit dem heutigen Tag: Regent und Reichsgraf, Einzigartiger Vertrauter, Erster der königlichen Höflinge, Wedelträger zur Rechten des Königs, Hüter der Palastgeheimnisse, Vorsteher aller königlichen Ämter, Erwählter des Königs über die Beiden Länder, um die Herrschaft über beide Länder auszuüben; Oberhaushofmeister; Vorsteher der Generäle des Herrn der Beiden Länder, Oberster Mund des Landes, Stellvertreter des Königs an der Spitze der Beiden Länder, Gesandter des Königs, Rekrutenschreiber, Vorsteher der Rekruten des Herrn der Beiden Länder. Ich habe gesprochen. Tritt zu den anderen zurück.“ Der neue höchste Offizier des Reiches verbeugte sich und gehorchte. Er schluckte schwer, denn von einem Augenblick auf den anderen war Haremhab adelig und verfügte über die wichtigsten Ehren- und Amtstitel des Reiches. Als die drei Männer wieder nebeneinander knieten, erhob Tutanch-Amun erneut die Stimme: „Das ist mein Dank für eure Treue. Keinem anderen Beamten 206

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aus der Zeit meines Vaters soll die Ehre gebühren, mir dienen zu dürfen.“ Er klatschte in die kleinen Hände, worauf ein Palastdiener eintrat und drei Papyrusblätter auf einem niedrigen Tisch herbeibrachte. Es waren die offiziellen Ernennungsurkunden der Beförderten. Der Diener träufelte flüssiges Wachs auf jede Urkunde, in die der König persönlich das Siegel seines Rings setzte. Während er das tat, sagte niemand ein Wort. „Es ist derlei noch Weiteres zu veranlassen“, meinte Tut-anchAmun schließlich, „denn als meine drei wichtigsten Beamten und Ratgeber lasse ich euch die Gunst zuteil werden, euch Häuser für die Ewigkeit, Grabmäler, zu errichten, deren Anfertigung vom königlichen Schatzhaus getragen werden sollen. Maja und Haremhab, ihr erhaltet Anlagen in der neuen, freistehenden Form, die einem kleinen Tempel ähnelt. Den Baugrund dafür suchst du, Haremhab, persönlich auf dem Wüstengebiet südlich der alten Stufenpyramide nahe bei Men-nefer, aus. Meine Amme, Maia-Menat, die mir in den Jahren als Waise wie eine Mutter war, soll ebendort ein kleines Felsengrab im traditionellen Stil erhalten. Wenn du in den nächsten Tagen dort eintriffst, um die Verlegung der Residenz dorthin vorzubereiten, übergib dieses Schriftstück dem Vorsteher der Arbeiten in der Nekropole, er wird alles Weitere veranlassen.“ Tut-anch-Amun reichte Haremhab die königlichen Befehle. „Eje wird mich nach Waset begleiten, wo ich mir im sechet-aat, dem Gräbertal meiner Familie, einen Platz für mein königliches Felsengrab erwählen werde. Als Blut von meinem Blut soll dir, Eje, die Ehre zukommen, einst ebenfalls im sechet-aat, wo bereits deine Eltern ruhen, deine Reise in die Ewigkeit anzutreten.“ Der Alte nahm die Schriftrolle entgegen und verbeugte sich dankbar. „Das sind die Königsbefehle des heutigen Tages. Niedergeschrieben, ordnungsgemäß gesiegelt und damit gültig. Boten haben die entsprechenden Institutionen bereits durch königliche Eildepeschen Meiner Majestät über die Veränderungen unterrichtet. Zieht euch nun zurück und bereitet die Abreise vor!“ Die drei mächtigsten Beamten Seiner Majestät erhoben und verbeugten sich und verließen rückwärts und vor Dankbarkeit noch tiefer gebeugt den Thronsaal. * 207

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Die Reise des Königs nach Süden sah unter anderem Stationen in Sa-uti, Tjebu, Ipu, Abdju, Gebtu, Waset, Necheb, Nechen und Abu vor, wo sich der neue Pharao seinem Volk zeigen, seinen Besitz in Augenschein nehmen und in den jeweiligen Tempeln zu opfern gedachte. Die nubischen Territorien wollte Tut-anchAmun zu diesem Zeitpunkt noch nicht besichtigen. Danach war es vorgesehen, mit der Flotte zurück nach Achet-Aton zu reisen, dort einige Tage Erholung zu suchen, um dann weiter nach Norden zu fahren, wo sie schließlich mit Haremhab in Men-nefer zusammentreffen würde. Haremhab brauchte nur zwei Schiffe. In einem fuhr er selbst mit einem persönlichen Diener und den vom König gesiegelten Befehlen, die den Umzug der Hauptstadt und die neu anzulegenden Grabanlagen betrafen, und in dem anderen reiste Ramessu, jener fähige Soldat aus Baki, dessen Wunsch es damals war, in der Hauptstadt Dienst zu tun und für den Haremhab sich bei Echnaton eingesetzt hatte. Dieser segelte einen halben Tag vor Haremhab, um an zuvor abgesprochenen Stationen seine Ankunft und eine standesgemäße Unterkunft bei den jeweiligen Gaufürsten vorzubereiten.

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Kapitel 2 Ein merkwürdiger Fremder Bereits am nächsten Tag fuhr Haremhabs Schiff nilabwärts in Richtung Men-nefer. Das Wetter war angenehm, nicht zu heiß und somit ideal für die Reise. Eine leichte Brise umspielte das Gesicht des Generals und verfing sich in den Löckchen seiner nackenlangen Perücke. Fast mühelos trug sie der Strom auf sanft gekräuselten Wellen, bis die Ruderführer nach zwei Tagen den Nil auf der Höhe von Hut-nisut passierten. Haremhab betrachtete die Umgebung, in der er aufgewachsen war, wie ein staunendes Kind. Es sind mehr als 30 Jahre vergangen, seitdem ich zum letzten Mal hier war, dachte er. Einem verkauften Sklaven gleich habe ich meinen Geburtsort verlassen müssen und als Oberbefehlshaber der gesamten ägyptischen Streitmacht kehre ich zurück. Plötzlich gebot er den Ruderern, an der unbefestigten Uferböschung in einiger Entfernung von Hut-nisut anzulegen und das Schiff zu vertäuen. Verständnislos hoben die Ruderer die Schultern und warfen sich irritierte Blicke zu. „General, sollen wir zurück nach Hut-nisut und die Schiffe am Kai der Stadt vertäuen?“, fragte der Schlagführer, aber Haremhab schüttelte den Kopf. „Nein, genau hier ist die richtige Stelle!“ Die kleinen, aber schweren Steinanker glitten ins Wasser und hakten sich am flachen Grund fest. Die Mannschaft staunte nicht schlecht, als der General wortlos seinen langen Schurz zusammenraffte, in das knietiefe Uferwasser sprang und mit nackten Füßen die Böschung hochstieg. Seine Sandalen hatte er im Boot gelassen. Als sein ihm neu zugeteilter Leibwächter es ihm gleichtun wollte, befahl Haremhab vom Land aus: „Nein, behaltet alle die Stellung beim Boot, bis ich wieder zurückkomme! Es wird nicht lange dauern.“ Haremhab stand auf der Böschung und konnte nun das Land überblicken, auf dem er als Junge gearbeitet, gespielt – und hin und wieder von fremden Feigen genascht hatte. Alles schien unverändert. Langsam führten ihn seine Füße die alten Strecken 209

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entlang, die sie so lange schon nicht mehr betreten hatten und die sie dennoch wiedererkannten. Er sah von Weitem jenen Hügel, auf dem er so gerne gesessen und von wo aus er den Tempel betrachtet und seine Schriftzeichen kopiert hatte, während seine Ziegen grasten. Nach einem Fußmarsch durch seine eigene Vergangenheit erreichte er das Haus, das sein Vater vor Jahrzehnten errichtet hatte. Obwohl es zahlreiche Spuren von Ausbesserungsarbeiten gab, erkannte er es sofort wieder. Die große Sykomore, in deren Schatten er zahllose verträumte Stunden damit verbracht hatte, sich auszumalen, wie seine Zukunft sein würde, stand noch immer davor. Sie war noch viel größer geworden, sein Elternhaus allerdings wirkte auf ihn klein und bedrückend. Eine große Summe scheint der Verkauf der beiden ältesten Söhne nicht erbracht zu haben, dachte Haremhab bitter, als er die Armut sah, die sich in drei Jahrzehnten nicht verändert hatte. Ein steinalter Mann saß vor der Tür auf einer gemauerten Bank aus Lehmziegeln, die Haremhab noch nicht kannte. Seine Haut war rissig, tiefe Falten zerfurchten sein vom Wetter gegerbtes Gesicht und dicke Schichten gelblicher Hornhaut bedeckten die Innenseiten seiner großen Hände und Füße. Er trug ein grobes, dunkles Gewand und hielt sich auf einen Stock vor sich gestützt. Es war sein Vater – kein Zweifel. Haremhab erkannte ihn sofort, er musste inzwischen an die 60 Sommer zählen, sah aber bedeutend älter aus. Ein jüngerer Mann trat aus dem Haus und reichte dem Alten eine grobe Tonschale mit Wasser, die dieser mit zitternden Fingern mühsam entgegennahm. „Bak“, flüsterte Haremhab zu sich selbst, als er in der Ferne seinen jüngeren Bruder wiedererkannte. Nach einer Weile wurde der Alte auf den sich langsam nähernden, wohlgekleideten Fremden aufmerksam, der sich ihm und seinem Haus näherte. Er schätzte, dass der Mann wohl etwa 40 Jahre vollendet haben mochte. Er war eine stattliche Erscheinung mit allen Attributen, die für gewöhnlich herausragende Persönlichkeiten der Gesellschaft zierten: eine nackenlange Perücke, die in feinen Löckchen auslief, ein langer Leinenschurz und ein hauchdünnes, durchscheinendes Obergewand, ein imposanter Halskra210

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gen sowie wertvolle Bänder an Oberarmen und Handgelenken. Allerdings trug er keine Sandalen, was dem Alten sympathisch, aber auch seltsam erschien. „Herr“, sprach er, als der General nahe genug war, „was verschafft uns die Ehre Eures hohen Besuchs?“ „Wir heben hier in der Nähe neue Rekruten aus“, log Haremhab, „und ich habe meine Soldaten verloren. Habt Ihr vielleicht einen Trupp hier vorbeikommen sehen?“, und schalt sich sofort einen Dummkopf, ob dieser Einfallslosigkeit. Aber der Alte schien nichts zu bemerken und schüttelte nur den Kopf. „Nein“, sagte er freundlich, „hier waren schon lange keine Soldaten mehr. Aber steht doch nicht in der Sonne, sondern setzt Euch zu mir auf die Bank in den Schatten. Verzeiht mir die Unhöflichkeit, mich nicht zu erheben, aber meine Beine versagen mir oftmals den Dienst.“ Haremhab setzte sich neben seinen Vater. In das ungewohnt vertraute Gefühl, wieder an dem Ort seiner Kindheit zu sein, mischte sich auch eine kalte und bittere Fremdheit. „Bak“, rief der Alte ins Haus, „bringe noch eine Schale Wasser für unseren Gast!“ Zu Haremhab fügte er leise und untertänig hinzu, dass er ihm leider kein Bier, keinen Dattelsaft oder Wein anbieten könne. „Wir sind arme Leute“, erklärte er. Der General bedankte sich für die Einladung, überging aber die letzten Worte seines Vaters. „Wohnt Ihr ganz alleine hier?“ Der Alte nickte. „Meine Frau starb vor fast 30 Jahren und ließ mich mit zwei kleinen Kindern zurück.“ Haremhab schluckte schwer: Seine Mutter war tot! Er hatte Mühe, diese Mitteilung ohne sichtbare Gefühlsregung aufzunehmen. „Meine Tochter Isis ist verheiratet und fortgezogen“, fuhr sein Vater fort, „nur mein jüngster Sohn Bak wohnt noch bei mir und kümmert sich um mich, denn siehe, ich bin alt und schwach.“ „Woran ist deine Frau gestorben? Blieb sie im Kindbett?“ „Nein“, antwortete der Vater ein wenig verwundert, dass ein offensichtlich hochstehender Offizier sich für die Umstände des Todes seiner Frau interessierte. „Soldaten nahmen ihr das Leben, denn sie starb aus Kummer, weil die Armee des Königs unsere beiden ältesten Söhne gestohlen und mit sich genommen hat!“ 211

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Haremhab starrte ihn schockiert an. In diesem Augenblick trat Bak mit einer weiteren Schale Wasser zu ihnen und reichte sie dem sitzenden Offizier. Als sich ihre Blicke trafen, glaubte Haremhab für die Dauer eines Wimpernschlags eine Ahnung in den Augen seines jüngeren Bruders zu erkennen, der dann jedoch ohne eine Regung zu zeigen ins Haus zurückging. Nachdem der General einen großem Schluck Wasser getrunken hatte, wandte er sich ernst und sehr deutlich an den alten Mann: „Soweit ich weiß, gab es unter Pharao Amenophis Neb-Maat-Ra keine Zwangsrekrutierungen, aber es bestand die Möglichkeit, seine Söhne an die Armee zu verkaufen!“ Sein Vater schüttelte vehement den Kopf. „Junger Mann“, sagte er aufgebracht, „Ihr seid viel zu jung, um das miterlebt zu haben, worüber ich spreche. Die Soldaten haben mich wegen meines Widerstands bewusstlos geschlagen, meine Frau gefesselt und meine beiden ältesten Söhne mit sich genommen.“ Haremhab holte tief Luft, aber dann hielt er inne. Er wollte den alten Mann nicht seiner Lebenslüge berauben, ihn nicht mit der schmerzhaften Wahrheit konfrontieren, in der er seine Kinder wie Sklaven verkauft, seine ohnehin schon kranke Frau in düsterste Trauer gestürzt und so schließlich alles verloren hatte. Deshalb sprach er in versöhnlichem Ton: „Wie heißen deine Söhne, die nun in der Armee des Königs dienen? Vielleicht kenne ich sie.“ „Nefer-hotep und Haremhab. Sie sollen in Nubien eingesetzt worden sein. Sind Euch die Namen bekannt, edler Herr?“ Haremhab tat, als ob er nachdachte. „Ja“, sagte er schließlich. „Ich komme gerade aus Wawat und habe in der Festung von Baki einen Soldaten mit dem seltenen Namen Haremhab kommandiert, und ich erinnere mich daran, dass sein Bruder in derselben Einheit war! Er hieß … Ja, er hieß Nefer-hotep.“ „Bak! Bak!“, rief der Alte mit plötzlich leuchtenden Augen ins Innere des Hauses. Der junge Mann stürzte hinaus. „Bak, denke nur, unser Gast kennt Nefer-hotep und Haremhab!“ Bak wischte sich die Hände an seinem hellbraunen und fleckigen Schurz ab, offensichtlich war er mit der Zubereitung des Mittagsbreis für seinen Vater beschäftigt. 212

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„Ihr kennt meine Brüder?“, fragte er ungläubig. Haremhab nickte wortlos. „Wie geht es ihnen?“, Vater und Sohn sprachen gleichzeitig. „Sie sind tüchtige Soldaten und waren beide wohlauf, als ich sie vor zwei Monaten zum letzten Mal sah!“ Die beiden Männer sahen ihn glücklich an – der jüngere lächelte und murmelte: „Ich habe es gewusst!“ Unter dem Vorwand, seinen Brüdern in Wawat genaue Mitteilung über ihre Familie geben und dabei gleichzeitig Ausschau nach seinen Soldaten halten zu könnten, bat Haremhab Bak, ihn zum Grab seiner Mutter zu führen. Sichtlich irritiert erfüllte dieser den Wunsch des Offiziers, der ihm seltsam vertraut vorkam, und nach einem kurzen wortkargen Spaziergang erreichten sie die Wüstenebene am Rande des Fruchtlandes, die schon immer als Friedhof für die ärmeren Bewohner von Hut-nisut und seiner Umgebung gedient hatte. Wenn der König von sechet-aat sprach, dem „Großen Feld“, in dessen mächtige Felsen farbenprächtige Häuser der Ewigkeit für seine Vorfahren geschlagen worden waren, so stand Haremhab nun vor dem „Großen Feld“ seiner Vorfahren: Hier lagen sie alle begraben. Es war nicht mehr als eine Wüstenfläche, in die man Vertiefungen grub, den Verstorbenen hineinlegte und mit wenigen Besitztümern und Nahrung beisetzte, damit er den Übergang nach Ra-setjau gestärkt meistern konnte. Dann wurde das Loch wieder mit Sand gefüllt und die seichte Erhebung mit losen Steinen eingefasst oder auf andere Weise gekennzeichnet. Doch schon bald darauf war von der Grabstelle nichts mehr zu erkennen, denn der Wind legte den Flugsand wie eine Decke über die Gräber. Manchmal gruben auch streunende Hunde die Toten aus und fraßen das Fleisch von den Knochen. Wer hier begraben wurde, hatte weder die Möglichkeit, ein beständiges Haus für die Ewigkeit zu besitzen, noch durfte er auf eine Mumifizierung, geschweige denn eine Bewachung des Friedhofes hoffen. Bak führte Haremhab zu einer Stelle, die einst durch wenige Bruchsteine markiert worden war, die man jedoch unter dem Flugsand kaum noch sehen konnte. Hier ruhte sie also seit mehr als 30 Jahren, seine Mutter, die die Menschen von Hut-nisut Taneferet, die Schöne, genannt hatten. 213

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In Gedanken sprach Haremhab ein Gebet aus den Sprüchen vom Herausgehen am Tage, das er während seiner Zeit im kap gelernt hatte. Es war der Spruch, um am Tage herauszugehen und zu leben nach dem Sterben: „Oh, Einzigartiger, der als Mond aufleuchtet, oh Einzigartiger, der als Mond erglänzt – möge Ta-neferet herausgehen unter jener deiner Menge nach draußen! Gelöst seien sie und die, die im Lichtglanz sind, offen steht die Unterwelt, und Ta-neferet ist hinausgegangen am Tage, um alles zu tun, was sie wünscht unter den Lebenden!“ Als Bak sah, dass der Fremde die Augen geschlossen hatte und seine Lippen unhörbare Worte formten, sah er ihn skeptisch an. Betete der Mann etwa am Grab seiner Mutter? Wer war dieser Fremde, dessen Augen ihm so bekannt erschienen? Könnte es möglich sein, dass er einer seiner verlorenen Brüder war, die ihm als Kind so sehr vertraut waren? Kopfschüttelnd drehte er sich um und entfernte sich ein Stück – aus diesem Grund sah er nicht, dass Haremhab das wertvolle Band an seinem linken Oberarm löste und es tief in den Sand des Grabes seiner Mutter steckte. Knirschend verließ das Schmuckstück, auf dem der Name seines Besitzers eingraviert war, die Oberfläche und drang zu Ta-neferet in die Unterwelt ein, damit sie sich an jenem Ort an ihn erinnern mochte. Als die beiden entfremdeten Brüder auf dem Rückweg vom Friedhof wieder Haremhabs kleines Elternhaus erreichten, verschwand Bak grußlos und mit einer knappen Verbeugung in Richtung des Generals im Haus. Der General öffnete indes den reich verzierten Reif seines rechten Oberarms, auf dem ebenfalls sein Name eingraviert war, und gab ihn in die zitternden Hände seines Vaters. Er wusste, dass weder er noch Bak lesen konnten, und so würde das Geheimnis seiner Identität nicht durch den Schriftzug verraten werden können. „Hab Dank für deine Gastfreundschaft“, sagte er zum Abschied. Der Alte bedankte sich überschwänglich – der Gegenwert des Reifes, den er nun in den Händen hielt, dürfte dem entsprechen, was sein Vater in seinem ganzen Leben erarbeitet hatte, dachte Haremhab. 214

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„Darf ich den Namen des edlen Soldaten erfahren, der diesen Glanz in meinen Lebensabend gebracht hat?“ Haremhab überlegte kurz und musste an seinen Freund denken, der für ihn arbeitete und nun sicherlich schon seine Ankunft in Tep-ihu vorbereitete, wo er in wenigen Stunden eintreffen würde. Es war die letzte Station vor Men-nefer. „Ra-messu“, antwortete er lächelnd. Seine wahre Identität wollte und musste er nicht preisgeben, denn sein Leben war nun ein anderes und seine Herkunft nicht mehr wichtig – vielleicht aber würde der Vater seinen Namen von einem des Lesens kundigen Händler erfahren, aber das war ihm gleichgültig: Sein Vater und auch sein einst so heißgeliebter jüngster Bruder waren nach 30 Jahren fremde Menschen für ihn geworden, die ihm nichts mehr bedeuteten. Nachdem Haremhab sein Elternhaus verlassen hatte, ging es ihm besser. Nun hatte er endlich seinen Frieden mit der Vergangenheit machen können. Die Enttäuschung über den Vater, die fast schon an der Grenze zum Hass gestanden hatte, und die dazu geführt hatte, dass er dessen Existenz aus seinem Bewusstsein gelöscht und mit einem privat verhängten iri-em-tem-wen bedacht hatte, war jetzt Mitleid gewichen. Und vielleicht war auch ein wenig Dankbarkeit unter den vielfältigen Gefühlen, die nun in ihm aufwallten, als er zurück zu seinem Schiff ging – denn wäre er nicht an die Armee verkauft worden, wäre ihm das Dasein, das er jetzt führte, niemals möglich gewesen. Und irgendwann hätte er – statt eines Grabmals in der uralten Residenznekropole – einen Platz in einer flachen Mulde in der Wüste am Fruchtlandrand von Hut-nisut erhalten, und für die Menschen, die einst kommen werden, wäre er nicht mehr als ein namenloses Sandkorn in der gelben Unendlichkeit.

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Kapitel 3 Die Flamme der Ta-weret Viele Monate waren seit Haremhabs Ankunft in Men-nefer vergangen. In der Kaserne hatte man ihn bereits als neuen Oberbefehlshaber erwartet und gebührend gefeiert. Er bewohnte auf Wunsch des Königs das leerstehende Anwesen, das vor vielen Jahren von Kronprinz Thutmosis, seiner Frau Kija und dessen jüngerem Bruder Amenophis – und ihm selbst genutzt worden war. Arbeiter hatten zuvor Reparaturen durchführen müssen, denn in dem großen Lehmziegelgebäude hatte seit mehr als 20 Jahren niemand mehr logiert und an einigen Stellen gab das leichte Mauerwerk dem beständig nagenden Zahn der Zeit nach. Die Nebengebäude waren beinahe alle zusammengebrochen und der Garten hatte sich in eine verwilderte Landschaft verwandelt, die in den Zustand der isfet zurückgekehrt war. Bis man alles wieder hergerichtet hatte, waren etliche Wochen vergangen, in denen Haremhab und Amenia in ansprechenden Unterkünften innerhalb der Kaserne wohnten. Und dennoch drängte er auf ein zügiges Voranschreiten der Bauarbeiten des Hauses, da er seiner schwangeren Frau nicht zumuten wollte, unter Soldaten leben zu müssen. Die Regierung unter Tut-anch-Amun hatte nun klare Formen angenommen: Eje besaß viel Einfluss auf seinen jungen Verwandten und konnte sich so, mit dessen Billigung, zum mächtigsten Beamten des Staates machen. Er beanspruchte eine Sonderposition für sich, die ihn direkt unter dem König und über den beiden neuen Wesiren, User-Month und den treuen Pentju, den ehemaligen Leibarzt Echnatons, ansiedelte, und die er einzig mit seiner Verwandtschaft zum König, seiner Lebenserfahrung bei Hofe unter drei Königen und seinem Titel „Gottesvater“ begründete. Er stand der Verwaltung ebenso vor wie dem Militär und den weltlichen Fragen der Religion. Seine Stellung war äußerst ungewöhnlich, aber niemand störte sich daran, weil offensichtlich war, dass der junge König einen erfahrenen Mann hinter sich brauchte. Und Haremhab war es nur 216

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recht, sich nun verstärkt mit militärischen Fragen auseinander setzen zu können. Allerdings beunruhigte ihn, dass Ejes Sohn, der Hohepriester des Min, Nacht-Min, auf Wunsch seines Vaters aus Ipu in die Kaserne nach Men-nefer versetzt wurde, wo er nun zusätzlich als Militäroffizier Dienst tat, obwohl er keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet vorwies. Zwar war er Haremhabs Oberbefehl unterstellt, doch dieser befürchtete, dass er selbst nun leichter ersetzt werden konnte, wenn Eje seiner überdrüssig sein sollte. Viel zu oft, wenn der General der Generäle in der Kaserne mit Offizieren im Gespräch war, fühlte er, dass ihn jemand anstarrte, und wenn er sich dann umwandte, sah er stets, dass Nacht-Min in der Nähe war und ihn beobachtete. Hinterhältig wie eine Hyäne lief er durch die Anlage und grinste verschlagen, wenn sich ihre Blicke trafen. Ohnehin wuchs im General das ungute Gefühl, dass Nacht-Min die Liebe des Königs zu Haremhab wie ein Dorn im Auge war – für ihn zählte nur die Blutsverwandtschaft, das „Blut der Könige“, wie sein Vater Eje es nannte, das in seinen Adern floss. Diese beiderseitige Abneigung war schon bei ihrer ersten Begegnung in Waset im Haus des Eje auffällig gewesen, als Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra noch am Leben war. Danach, nachdem die Residenz nach Achet-Aton verlegt worden war, kam Nacht-Min, der damals schon als Hohepriester des Gottes Min in Ipu tätig war, seinen Vater häufig besuchen. Er trug bereits in jungen Jahren die blasierte, dekadente Überheblichkeit des Abkömmlings einer uralten Familie des Adels in sich, die ihre Vorfahren bis in die Urzeit zurückverfolgen konnte, obwohl es erst sein Großvater gewesen war, der ihnen den Sprung in den ­Adelsstand ermöglicht hatte. Mit zunehmendem Alter nahm Nacht-Mins Arroganz immer mehr zu. Haremhab mochte ihn nicht und er konnte auch die fortwährenden, selbstrühmenden Geschichten des erfolgreichen Hohepriesters aus Ipu nicht mehr ertragen, der der eigenen Meinung nach all seine Möglichkeiten so vortrefflich ausgeschöpft hatte, während Haremhab die frühen Jahren unter Echnaton lange Zeit ohne richtige Perspektive hatte verbringen müssen. Dazu besaß Nacht-Min einen völlig anderen Umgang mit Eje als er selbst, denn während Haremhab mit seinem Mentor ein eher freundschaftliches Verhältnis pflegte, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Nacht-Min 217

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wie ein kleiner Hund mit seinen Kunststückchen um die Aufmerksamkeit und das Lob seines Herrn bettelte. Und Haremhab verstand, dass Ejes Sohn in ihm eine Konkurrenz um die Liebe seines Vaters sah. Bald schon hatte Haremhab damals Ejes Haus in Achet-Aton gemieden, wenn sein ältester Sohn zu Besuch kam. In der Nekropole von Men-nefer hatte er die gesiegelten Schriftrollen des Pharaos an Cheru, den Vorsteher der dortigen Arbeiten, übergeben, einem selbstbewussten, kurz angebundenen und in seiner Arbeit routinierten Mann in Haremhabs Alter, der sich nur kurz verbeugte und dann die Anweisungen las. „Drei Gräber also“, meinte er brummig und kratzte sein schlecht rasiertes Kinn. Als Zeichen seiner hohen Stellung innerhalb der Friedhofsverwaltung führte er einen langen schnörkellosen Stock bei sich, den er so stolz trug, als sei er ein Zepter. Er führte Haremhab zu einem Baugrund, der ihm für Majas und dessen Anlage am geeignetsten erschien. „Die zwei freistehenden Gräber können hier ihren Platz finden“, Cheru wies mit dem Stock auf eine Fläche auf dem Wüstenplateau, hinter der sich die Unendlichkeit und die Stille der westlichen Wüste öffnete. Dieser Platz war wahrlich erhaben. Weiter im Norden konnte man noch den oberen Teil der Stufenpyramide des Königs Djoser sehen, der seit knapp 1400 Jahren hier ruhte. Haremhab war zutiefst beeindruckt von der Schönheit und Ruhe dieses Ortes und mit dieser Wahl als Baugrund für Maja und sich selbst höchst zufrieden. „Das Felsengrab für die Amme muss weiter unten angelegt werden“, Cheru deutete grob die Richtung an, aus der sie gekommen waren. Seine Betonung des Wortes „Amme“ ließ seine Abschätzung deutlich erkennen. Während seines nächsten Besuches in der Nekropole erkundigte sich Haremhab bei Cheru nach dem Plan, nach dem die Architekten sein Grabmonument zu gestalten gedachten. Der Vorsteher der Arbeiten führte ihn zu dem Bauplatz, der nun großräumig bis zum beginnenden Wüstenboden vom Sand befreit war und an dem zahlreiche Männer tiefe Schächte in den anstehenden Felsen trieben. Cheru zeigte mit dem Stock an den linken Rand der Baustelle. „Dort entsteht Euer Haus für die Ewigkeit, mein 218

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Herr!“ Er trat den Sand vor sich mit bloßen Füßen platt und zeichnete mit seinem Stock in geübten Bewegungen den Grundriss des geplanten Grabes. „Es gehört zu der neuen Form, die in der Totenstadt von Waset entwickelt wurde, denn es ist kein Felsengrab, sondern steht frei und ähnelt einem Tempel. Doch anders als bei einem solchen werden die Mauern nicht aus Stein, sondern aus Lehmziegeln errichtet, dem ältesten Baustoff unseres Landes, und später mit weißen Kalksteinplatten verkleidet, in die nach Euren Wünschen Bilder eingeschnitten werden sollen. In der Nekropole von Mennefer ist Euer Grabmal das erste dieser Art. Hier wird ein großes Eingangsportal den Zugang zu Eurem ewigen Ruheplatz bilden“, erläuterte er, „das wie bei einem Gotteshaus von zwei mächtigen Mauerflügeln flankiert sein wird. Wenn Ihr es durchschreitet, öffnet sich ein fast quadratischer Hof, an dessen Rand 24 Säulen ihren Platz finden – so viele, wie der Tag Stunden hat –, so ist die Zeit in Eurem Grab in Stein eingefangen!“ Haremhab hob anerkennend die Brauen. „Die Säulen sind mit den Wänden durch ein Dach aus Kalksteinplatten verbunden, das die später einzuschneidenden und zu bemalende Bilder vor der bleichenden Wirkung der brennenden Sonne schützen soll.“ Cheru deutete die Säulen und den schattigen Umgang des Hofes im Sand an. „Durch drei Durchgänge im hinteren Teil des Hofes gelangt Ihr rechts und links in Magazine und in der Mitte über einen länglichen Raum in den Opferhof, der von 18 Säulen umgeben sein wird.“ „Warum 18?“, erkundigte sich der General. „Weil diese Zahl sowohl zwei Götterneunheiten symbolisiert als auch gemeinsam mit den 24 Säulen des ersten Hofes 42 ergibt – die Anzahl der Beisitzer im Totengericht des Osiris, dem Gott der Unterwelt.“ Haremhab verstand: Die 42 Beisitzer standen für die 42 Sünden, die ein Mensch während seines Lebens begehen konnte – aber nicht durfte. Wenn über die Verstorbenen Gericht gehalten wurde, musste jeder die 42 Namen kennen und vor jedem einzelnen Beisitzer beteuern, dass er sich der Sünde, die dieser verkörperte, niemals schuldig gemacht hatte. „Aber die Zahl 42 steht auch für die 42 Gaue Ägyptens“, erklärte Cheru. „So ist neben der Zeit auch der Raum in Eurem 219

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Grab in Stein festgehalten. Darüber hinaus werden am Ende dieses Opferhofes drei Kapellen errichtet, deren mittlere Eurem Totenkult dienen soll“, fuhr er fort. „Doch bevor das Mauerwerk gebaut werden kann, müssen zunächst vier tiefe Schächte senkrecht in den Boden getrieben werden, die zu verschiedenen unterirdischen Sargkammern führen. Sie dienen zur Aufnahme Eures balsamierten Körpers und der Eurer Verwandten.“ Cheru vergewisserte sich noch einmal mit einem Blick auf den Königsbefehl der Anzahl der Schächte. „Ja, der König hat Euch vier Schächte zugesprochen. Wir heben sie hier – hier – hier und hier aus.“ Er drückte seinen Stab in der hinteren rechten Ecke des aufgezeichneten ersten Hofes, im Opferhof und beidseitig der Opferkapelle tief in den Sand. „Die beiden letzten Schächte werden in das Lehmmauerwerk der Hauptkapelle integriert“, ergänzte der Vorarbeiter. „Dadurch sind sie schwer zu finden und bieten zusätzlichen Schutz vor Grabräubern.“ Haremhab sah ihn überrascht an. „Ich glaubte, die Nekropole sei bewacht?!“ „Ihr habt natürlich Recht“, sagte Cheru schnell, „aber man kann niemals vorsichtig genug sein.“ Der General rieb nachdenklich sein Kinn, dann wechselte er das Thema. „Ich wünsche Papyrusbündel als Säulen, so wie sie OsirisAmenophis Neb-Maat-Ra, der Gerechtfertigte, bevorzugt hat“, Haremhab vertrieb eine lästige Fliege und der Vorarbeiter machte sich eine Notiz auf einer Kalksteinscherbe. „Ich werde es der Steinmetzwerkstatt auftragen“, versprach dieser. „Und wegen der eingeschnittenen Bilder für die Wände müsst Ihr mit dem Umrisszeichner sprechen, wenn die Lehmziegelmauern mit Kalksteinplatten verblendet worden sind.“ Die Arbeiten an den Gräbern gingen zügig voran und hin und wieder, wenn er die Zeit dazu fand, besuchte Haremhab die Bauarbeiten und überzeugte sich von deren raschem Fortschritt. Da die Zeit drängte, konnte in Men-nefer kein neuer Königspalast errichtet werden, stattdessen wurde zur besonderen Betonung der Rückkehr zur alten Tradition die ehrwürdige, inzwischen fast 200 Jahre alte Gutsanlage Per-Aa-cheper-ka-Ra aus 220

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der Zeit des ersten Herrschers namens Thutmosis in der Nähe der großen Pyramiden wiederhergestellt und ausgebaut. Als der König zwei Monate nach Haremhabs Ankunft mit seinem Gefolge zu seinem geplanten Besuch in Men-nefer eintraf, waren alle Aufträge, die Tut-anch-Amun erteilt hatte, zu einem befriedigenden Teil begonnen oder bereits fast vollendet worden. Die endgültige Verlegung der Residenz von Achet-Aton nach Men-nefer erfolgte zu Beginn des zweiten Regierungsjahres des Königs. * Haremhab saß im Schein kleiner Öllampen auf dem Boden der Großen Halle seines wiederhergestellten Anwesens in Men-nefer, auf dem straff gespannten Schurz zwischen seinen Knien lag ein aufgerollter Papyrus. In der rechten Hand hielt er eine Binse, deren faserig zerkaute Spitze er in unregelmäßigen Abständen mit schwarzer Tinte tränkte. Er verfasste auf Wunsch des Pharaos einen Text auf der Grundlage von dessen Antrittsrede in Achet-Aton, die Tut-anch-Amun während der Reise durch sein Land noch unzählige Male mit großem Erfolg in verschiedenen Städten wiederholt hatte. Nun sollten die Worte, erhaben und angenehm zu hören und zu lesen, ausformuliert auf einer Stele eingemeißelt verewigt werden, die dem feierlich wiedereröffneten Haupttempel des Amun in Ipet-sut bei Waset gestiftet werden sollte. Normalerweise hätte Haremhab seinem ihm neuerdings zugeteilten Schreiber Semen-taui diktiert, aber an diesem Abend war alles anders, und er hatte ihn für diesen Tag entlassen. Im hinteren Gartenteil weilte seine Gemahlin Amenia, die inzwischen wieder offiziell den Titel einer „Sängerin des Amun“ führte, seit einigen Stunden in der Geburtslaube, die Haremhab für sie hatte errichten lassen. Überall um sie herum befanden sich Figuren von Geburtshelfergöttern und Schutzamulette, die die Dienstboten aufgestellt und ausgelegt hatten. Sie waren nötig, um Amenia in ihrer schweren und schwachen Stunde vor den bösen Geistern und Dämonen, den Kreaturen der isfet, die Mutter und Kind nach dem Leben trachteten, zu schützen. Und aus diesem Grund brannte in der Laube auch die magische Flamme 221

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der Ta-weret, die die Wesen der Dunkelheit bannte und die von Ta-weret selbst und von Bes bewacht wurde. Amenia saß, wie es üblich war, mit ihren Schenkeln auf zwei gleich hohen Lehmziegelpacken, den Geburtsziegeln, die dem besonderen Schutz der Göttin Meschenet unterstanden. Sie schwitzte und stöhnte. Der Schmerz zerriss sie innerlich. Die Hebamme wiederholte ohne Unterlass Rezitationen von Zaubersprüchen, während sie der Gebärenden den Schweiß von der Stirn wischte und eine Dienerin ihr Luft zufächelte. Haremhab war es nach alter Tradition verboten, bei der Schwangeren zu sein. Erst wenn das Kind auf der Welt war, durfte sich Amenia auf ein in der Laube bereit gestelltes Bett legen und sich erholen und reinigen. Während dieser Zeit würde sie von Dienerinnen mit allem versorgt werden, was sie sich wünschte. Und erst dann, wenn sie es wünschte, würde Haremhab an ihr Bett treten können, um sie und sein Neugeborenes in die Arme zu schließen. Haremhab war nervös, denn seine Frau hatte die Gefahren und Schmerzen der Geburt noch vor sich. Zunächst war er eine lange Zeit ruhelos durch sein Haus geeilt, um dann vor den Statuetten von Bes, Heket, Ta-weret, Meschenet und Chnum für eine leichte Geburt und ein gesundes Kind gebeten. Er konnte nicht tatenlos einfach nur dasitzen, er musste sich beschäftigen und ablenken, allein aus diesem Grund zwang er sich, den Entwurf für den Stelentext zu ersinnen und mit eigener Hand aufzuzeichnen. Doch obwohl der General sich stark konzentrierte, kehrten seine Gedanken immer wieder zu seiner geliebten Frau in der Geburtslaube zurück. Ein Geräusch aus dem Garten, das wie ein entsetzlicher, langgezogener Schrei einer Frau klang, ließ ihn hochfahren. Lange stand er in dem hohen Raum und lauschte in die Düsternis hinein. Aber es war nichts mehr zu hören. Dann beruhigte er sich und sein wild schlagendes Herz, indem er sich einredete, dass dieser Laut gar nicht von Amenia, sondern vom Wind, einer Katze oder einem anderen kleinen Tier aus der Nachbarschaft stammte. Draußen dämmerte bereits zaghaft das erste Licht eines neuen Tages. Haremhab setzte sich wieder, griff seinen Papyrus und las, was er bislang verfasst hatte: 222

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„Jahr 1, 4. Monat der achet-Jahreszeit, Tag 19 unter der Majestät des Horus, Ka-nechet Tut-mesut, der Erwählte der Kronengöttinnen, Nefer-hepu Segereh-taui Sehetep-netjeru-nebu, dem Goldfalken, Utjes-chau-iti-ef-Ra, dem guten Gott, dem Herrn der Beiden Länder, Neb-cheperu-Ra Heqa-Maat, dem Sohn des Ra und Herrn der Kronen, Tut-anch-Amun, dem Herrscher des südlichen Iunu, dem in alle Ewigkeit Leben wie Ra gegeben werde, geliebt von Amun-Ra, dem Herrn der Throne der Beiden Länder vor Ipet-sut. Der Gute Gott, der Sohn des Amun, Kind des Stieres seiner Mutter, nützlicher Same, herrliches Ei, das Amun selbst erschaffen hat, Vater der Beiden Länder, der den schuf, der ihn schuf, und den bildete, der ihn bildete. Versammelt waren die Seelen von Iunu, um ihn zu schaffen, um einen König für die Ewigkeit zu machen, einen Horus, der in Unendlichkeit dauert. Ein guter Herrscher, der Nützliches tut für den Vater aller Götter.“ Gerade hatte er wieder die Binse in die dunkle Tinte getaucht und wollte fortfahren, als es an der großen Flügeltür hämmerte. Der Wächter kündigte Amenias Hebamme an, Haremhab sprang auf und ließ ungeduldig bitten. Als er die kleine weinende Frau sah, die zusammengesunken und zaghaft mit langsamen Schritten die große Halle betrat, weigerte sich sein Verstand zu glauben, was seine Ahnung ihm verriet. „Was hast du mir zu überbringen?“, fragte er mit hohler Stimme. Seine Arme und Beine wurden ihm taub. Sie stockte und schluchzte. „Mein Herr, die Flamme der Taweret ist erloschen.“ * Es dauerte eine Weile, bis Haremhab das wahre Ausmaß dieser Worte begreifen konnte: Die schützende, Übel abwehrende Flamme in der Geburtslaube war ausgegangen – ein unheilvolles Omen! In der plötzlich einsetzenden Dunkelheit hatten die Geister der Finsternis das Leben seiner entkräfteten Frau und das seines schwachen, ungeborenen Kindes einfach aus ihnen herausgerissen. In den nächsten Wochen rasierte sich Haremhab nicht mehr, 223

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wollte niemanden sehen und zog sich ganz in sein Anwesen zurück, wo er sich gehen ließ, trank und weinte. Die Beisetzung von Amenia und seiner Tochter, die er nach ihrer Mutter benannt hatte, fand nach der Mumifizierung, sieben ägyptische Wochen nach deren Tod, statt. In der Zwischenzeit hatte Amenias Seele die Unterwelt durchstreift, die geheimen Tore passiert und die Gerichtshalle des Osiris erreicht. Hier weilte der Gott höchstpersönlich mit seiner Gemahlin Isis, die auch seine Schwester war, und seiner anderen Schwester Nephthys. Die beiden Göttinnen hatten einst die Teile von Osiris’ zerstückeltem Leichnam, der von seinem neidischen Bruder Seth zerhackt und versteckt worden war, in der Gestalt von Falkenweibchen gefunden, wieder zusammengesetzt und beklagt. Danach fand der Gott ein letztes Mal ins Leben zurück und zeugte mit Isis den gemeinsamen Sohn Horus, bevor Osiris als Gott der Unterwelt zu den Toten hinabstieg. Am Morgen vor der Bestattung hatte Haremhab einen seltsamen Traum: Amenias Seele war in der Gerichtshalle durch Horus empfangen und vor jenen großen Gott geführt worden, der nun ihr Richter war. Dieser saß in seinem vollen Ornat in einem prächtigen, vom Gott Sokar geschützten Pavillon, Isis und Nephthys standen hinter ihm. „Gruß dir, du Größter Gott, Herr der Vollständigen Wahrheit! Ich bin zu dir gekommen, mein Herr, ich bin geholt worden, um deine Vollkommenheit zu schauen“, sprach Amenia ihn an, denn das waren die Worte, die in den uralten und immer wieder kopierten Rollen der Sprüche vom Herausgehen am Tage geschrieben standen. „Ich kenne dich und ich kenne deinen Namen, ich kenne die Namen dieser 42 Götter, die mit dir sind in dieser Halle der Vollständigen Wahrheit, die von denen leben, die zum Bösen gehören und sich von ihrem Blut nähren an jenem Tag, an dem Rechenschaft abgelegt wird vor Osiris.“ Sie beteuerte, in ihrem Leben kein Unrecht begangen zu haben und nannte schließlich die Namen aller 42 Beisitzer. Dann legte sie ihr Herz in die linke der beiden Schalen der „Waage der Maat“, die Anubis bediente. Das Gegengewicht in der rechten Waagschale bildete eine Straußenfeder, das heilige Zeichen der Maat, das Symbol der Weltordnung 224

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und der allumfassenden Wahrheit. Würde die Waage im Gleichgewicht bleiben oder die Feder überwiegen, so würde Amenia zu einer „Gerechtfertigten“, zu einer „Seligen Toten“ oder „Verklärten“ werden, denn dann hatte sie die Wahrheit gesprochen und durfte die herrlichen Binsengefilde von Ra-setjau betreten, die sich direkt hinter der Gerichtshalle für sie öffneten. War das Herz aber schwerer als die Feder, dann hatte sie den Großen Gott und das gesamte Tribunal belogen und die Tore zum Gefilde der Seligen wären ihr auf ewig verschlossen. Stattdessen wartete neben der „Waage der Maat“ bereits die gefürchtete „Fresserin“, ein Ungeheuer, dessen Körper aus allen wilden Tieren zusammengefügt war, vor denen sich ein Ägypter fürchtete: Es hatte den Kopf eines Krokodils, die Vordertatzen und der vordere Teil des Rumpfes stammten von einem Löwen, während Hinterteil und -beine dem Nilpferd zugehörig waren. Dieses Monster verschlang die Lügner, Betrüger und Verräter, die im selben Augenblick aufhörten zu existieren – so als hätten sie niemals gelebt. Die Waage pendelte sich langsam ein. Als sie schließlich stehen blieb, wog die Feder deutlich schwerer als das Herz. Haremhab erwachte mit tränennassen Augen. Amenias Seele hatte nun ihren Frieden gefunden, dessen war sich Haremhab sicher. Die Feder hatte bei der Verhandlung dieser lieben Frau vor Osiris nur überwiegen können. Damit sie dort, wo sie nun hingehen sollte, auch versorgt war, einen Körper besaß, Nahrung aufnehmen und wie auf Erden wandeln konnte, musste ihre sterbliche Hülle vor dem Verfall bewahrt werden und in eine sichere Heimstatt ziehen. Dies geschah am Tag der Beisetzung. Haremhab fand sich inmitten der Trauergäste am Anlegekai des breiten Kanals an der Nekropole stehend wieder, wo er die Ankunft des Schiffes aus dem Balsamierungshaus mit Amenias Mumie, die in ihrem innersten Sarg lag, und ihren balsamierten ­Eingeweiden erwartete. Zwei weitere schwere Särge, deren Deckel die Verstorbene zeigten, befanden sich seit dem ver­ gangenen Abend bereits in ihrer Sargkammer. Unter den Trauernden, die Haremhab in dieser schweren Stunde beistanden und Halt gaben, waren auch Eje und seine Freunde Maja und Ramessu. 225

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Dann tauchte das würdevoll dahingleitende Schiff des Balsamierungshauses auf, das die Körper seiner Frau und seiner Tochter brachte, und Haremhab schmeckte das bittere Gefühl der Trauer, das seine Kehle einschnürte und als schwere Last auf seinem Magen ruhte. Der lange Abschied stand nun bevor. Als die acht Klagefrauen der Nekropole des sich langsam auf dem Kanal nähernden Transporters gewahr wurden, begannen sie zu weinen und zu kreischen. Auch Amenias Mutter und die weiblichen Mitglieder ihrer Familie stimmten in das laute Klagegeschrei mit ein, während die Männer stumm und betäubt mit matten Augen auf das Wasser blickten. An Bord befanden sich neben der Besatzung ein Vorlesepriester, der ein Leopardenfell umgeworfen hatte und die alten Texte kannte, vier Balsamierungspriester, die uti genannt wurden, und zwei djeret-Priesterinnen, die die Göttinnen Isis und Nephthys symbolisierten, die ihren toten Gemahl und Bruder Osiris gesucht und gefunden hatten und nun herzzerreißend um ihn trauerten. Nachdem das Schiff an der Anlegestelle der Nekropole festgemacht hatte, wuchteten die vier uti-Priester Amenias bemalten Holzsarg und den kleinen Kindersarg – die besten, die Haremhab hatte anfertigen lassen können – vom Boot und verluden sie in einen bereitstehenden Schrein auf Kufen. Dieser war aufwendig mit frischen Blumengirlanden und Lotusblüten dekoriert. Die Verwandten und Freunde, alle in fessellangen, weißen, schlichten Gewändern, führten den Trauerzug langsam und würdevoll an, der sich vom Kai aus seinen Weg zu Haremhabs im Bau befindlichen Grab bahnte. Der Sargschlitten wurde von vier Rindern gezogen, die von zwei Männern angetrieben wurden. Ein Priester benetzte die zuvor mit Lehm bestrichene Piste vor ihnen mit Wasser, damit die Kufen des Schreins besser darüber hinweggleiten konnten. Der kahlgeschorene Vorlesepriester mit dem Leopardenfell begleitete den Schlitten, betete, räucherte Weihrauch und gab Trankopfer während der Fahrt durch die Wüste. „Ich bin hierher zu euch gegangen, dass ich verklärt sei mit euch. Man hat keinen Tadel an mir gefunden, so dass meine Waage leer ist von meiner Schuld“, rezitierte er immer wieder im Namen von Amenia. Haremhab ging direkt hinter dem Sarg, er klagte und warf sich als Geste der Trauer Sand und Schmutz vom Wegesrand auf das 226

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Haupt. Herbe Tränen strömten heiß seine Wangen hinab. Die acht Klageweiber der Nekropole folgten ihm, sie wurden angeführt von den zwei djeret-Priesterinnen. Auch sie bedeckten ihr Haupt mit Staub. Vier kahlgeschorene Priester mit knielangen Schurzen trugen den Eingeweideschrein, der Amenias balsamierte Leber, Lunge, Magen und Darm in separaten Krügen enthielt und von einer mit schwarzem Bitumen bestrichenen Holzfigur des Anubis bekrönt und bewacht wurde. Ihnen folgten Diener. Sie brachten die nötigen Beigaben, die die Verstorbene für ihre neue Existenz benötigte. Es waren persönliche Dinge aus ihrem Hausrat und andere, die ihr Gemahl eigens für sie hatte anfertigen und beschriften lassen. Dabei hatte er darauf geachtet, dass ihre Titel „Sängerin des Amun“ und nebet-per, „Hausherrin“, richtig angegeben wurden, während er selbst nur als „Schreiber des Königs“ erwähnt werden wollte. „Das war mein Titel, als wir heirateten“, hatte Haremhab dem verdutzt dreinschauenden Schreiber erklärt, der für die Beschriftungen der Grabausstattung zuständig war. Schließlich hielt die Trauergemeinde an dem Ort, den Haremhab für das Begräbnis seiner Frau ausgesucht hatte. Es war der Schacht, der sich einst am nächsten an der Opferstelle des fertigen Grabes befinden würde, damit seine geliebte Frau in Ewigkeit an den Speisen und Getränken, geopfert an diesem Ort, ungehindert Anteil haben konnte. Amenias Grabschacht war inzwischen auf mehr als 20 Ellen Tiefe angewachsen. Am Schachtboden führte ein hoher Gang in eine eilig ausgeschlagene Vorkammer, in deren hinterer rechter Ecke sich ein weiterer, nicht ganz so tiefer Schacht öffnete, der in einen zweiten Gang führte, an dessen Ende die Kammer lag, in der Amenia ihre letzte und ewige Ruhe finden würde. Hier lagerten schon seit dem vergangenen Abend in einer Bodenvertiefung die beiden äußeren, ineinandergestellten menschengestaltigen Särge mit den dazugehörigen Deckeln, die noch an der Grabwand lehnten. Die komplizierte und verwinkelte Gangführung hatte Haremhab kurz nach Amenias Tod in Auftrag gegeben, um sie und ihre Seelenruhe vor den gierigen Händen der Grabräuber zu schützen. Man kann niemals vorsichtig genug sein, klangen die Worte von Cheru, dem Vorsteher der Arbeiten in der Totenstadt von Men-nefer, in ihm nach. 227

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Oben waren soeben zwei Priester dabei, die Verstorbene für das Ritual der Mundöffnung vorzubereiten. Dazu wuchteten sie den inneren, ebenfalls menschengestaltigen Sarg, der Amenias Züge, Namen und Titel trug, aus dem Schrein und hoben den Deckel ab. Dem bandagierten Körper der Toten war eine Gesichtsmaske über den Kopf gestülpt worden, die dem wahren Antlitz Amenias erstaunlich ähnlich war. Dieses künstliche Gesicht würde es ihr nach der Zeremonie erlauben, wieder zu atmen und essen, trinken, sehen, hören, sprechen und riechen zu können – doch musste dazu eine Verbindung zu ihren tatsächlichen Sinnesorganen hergestellt werden. Um das zu gewährleisten, hoben die beiden Priester den Leichnam aus seinem Sarg und stellten ihn aufrecht vor die Schachtmündung, neben der ein großer Opfertisch mit Blumengestecken, Früchten und Brot angerichtet war. Die djeret-Priesterin, die als Göttin Nephthys hervortrat, stand während der Mundöffnungszeremonie hinter dem bandagierten Leichnam und stützte ihn, damit er nicht wegrutschte. Der Vorlesepriester mit dem Leopardenfell reinigte Amenias Körper symbolisch mit heiligem Wasser aus einem runden Gefäß, damit nun auch ihr Körper zu den verklärten Toten in die Unterwelt treten konnte, während ein anderer mit dem heiligen Dechsel des Gottes Ptah Augen, Nase, Mund und Ohren von Amenias Maske berührte. „Mein Mund ist geöffnet von Ptah, gelöst sind die Fesseln meines Mundes durch den zu meiner Stadt gehörigen Gott. Mir ist mein Mund zurückgegeben, mein Mund ist aufgetan von Ptah durch jenen seinen Meißel aus Erz, mit dem er den Mund der Götter dort geöffnet hat“, sprach er und öffnete ihre Sinne. Als die Familie und ihre engen Vertrauten im Angesicht der Toten ein letztes symbolisches Mahl mit ihr einnahmen, räucherte der Vorlesepriester wieder Weihrauch, den Duft der Götter, und die Träger begannen, Amenias leeren Sarg, ihre Grabbeigaben und den Schrein mit ihren Eingeweiden fast geräuschlos in ihre Grabkammer hinabzulassen. Haremhab biss nur einmal von einem Brot ab, um wenigstens das Ritual zu wahren, aber selbst dieser Bissen blieb im fast im Halse stecken. Nachdem alles, was Amenia in die Unterwelt mitnehmen sollte, im Grab untergebracht worden war, folgte die tränenreiche Ver228

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abschiedung von der Toten, die sie alle, solange sie lebten, nicht mehr wiedersehen sollten. Der Witwer trat vor, nahm einen Blumenkranz vom Opfertisch und legte ihn um ihren Hals. Jenen zarten, schlanken Hals, an dem sich sein Mund so oft verloren hatte – und der nun unter dicken Bandageschichten und einer Maske verborgen war. Doch sie roch gut nach edlen Harzen und Ölen und die schönen, fein geflochtenen Haare der Maske wirkten lebensecht, um ihre Stirn war ein Haarband mit Blütenmotiven gezeichnet worden und ein goldenes Band versuchte der gemalten üppigen Haarmenge Herr zu werden – ganz so, wie es Amenia im Leben getragen hatte. Er kniete nieder, flüsterte Worte des Abschieds und der Hoffnung auf ein Wiedersehen, erinnerte sie an die Zeit ihres Kennenlernens in Waset und rief unter brennenden Tränen einige der unzähligen glücklichen Momente ihres gemeinsamen Lebens in Erinnerung, das fast 20 Jahre gewährt hatte. Dann löste er sich von ihr, küsste den Mund ihrer Maske und gab ihren Eltern die Möglichkeit des persönlichen Abschieds. Dasselbe Ritual wurde an Haremhabs Tochter wiederholt, deren kleiner Sarg jedoch nicht geöffnet, sondern von der djeret-Priesterin, die Isis verkörperte, hochgehoben wurde. Schließlich legten zwei Nekropolenarbeiter die nun über und über mit Blumenkränzen und -girlanden geschmückte Mumie Amenias wieder in ihren inneren Sarg, wo hinein sie auch den der kleinen Tochter platzierten. Langsam ließen sie den Sarg unter dem nicht abbrechenden Klagen der Trauernden auf einer geflochtenen Leiter aus Flachs behutsam den tiefen Schacht hinab, an dessen Boden ihn weitere Arbeiter in Empfang nahmen und weiterführten. In der Grabkammer angekommen wurde er in die schon bereitstehenden weiteren Särge gebettet und schließlich die Deckel befestigt. Der Vorlesepriester war mit hinabgestiegen, während die Trauernden oben warteten. Um alles Böse zu vertreiben, räucherte er Weihrauch in der Grabkammer und überzeugte sich von der kultischen Reinheit des Ortes. Nachdem er fertig war, vermauerten die Arbeiter den Zugang zur Kammer lose mit Kalksteinblöcken und bewarfen diese mit feuchtem Verputz, bevor sie an die Erdoberfläche zurückkehrten – alles unter den strengen Blicken von Beamten der Nekropolenverwaltung. 229

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Diese überzeugten sich vom ordnungsgemäßen Verschluss der Sargkammer, bevor sie das Nekropolensiegel mehrfach in den feuchten Verputz drückten. Nachdem jeder, der hinabgestiegen, oben angelangt war, begannen die Arbeiter, den Schacht mit dem Geröll des Aushubs aufzufüllen und ihn so zu verschließen. Haremhab stand noch lange dort und starrte blicklos an die Stelle, an der noch eben die Mumie seiner Frau das Ritual der Mundöffnung empfangen hatte. Da trat der Vorlesepriester auf den verzweifelten Witwer zu. Sein Name war Peh-ef-nefer und er würde den täglichen Totenkult für Amenia übernehmen. „Ich kenne die Schriften über die Unterwelt“, begann er so leise, dass es niemand außer Haremhab hören konnte, dessen rot geränderte Augen sich ihm nun zuwandten. „Aber ich kenne auch die Toten selbst, denn sie sind es, die hier wohnen. Seid versichert, dass sie den Kontakt mit den Lebenden halten. Erinnert Euch meiner Worte, wenn des Nachts starker Wind aus dem Westen weht, unter dem sich die Palmen biegen. Er ist es, der ihre Stimmen und manchmal auch ihre Gestalten zu uns trägt. Sie kehren wieder“, der Priester nickte nachdenklich und lächelte ihn dann offen an, „... die Toten kehren wieder mit dem Wind.“

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Kapitel 4 Mut-nedjemet In den folgenden Wochen arbeitete Haremhab wie ein Besessener, teilte die Zeit des Tages zwischen Palast und Kaserne auf und kehrte erst spät in sein Haus zurück. Er mied dieses Haus, so lange es ging, weil hier die Trauer und die Erinnerungen an Amenia übermächtig waren. Ab und an brachte er Lebensmittel und Getränke an den Schacht, um den herum sein großes Grab Gestalt anzunehmen begann, und verzehrte diese rituell gemeinsam mit seiner verstorbenen Frau. Trotz seiner persönlichen Gemütslage war er über die Moral und Verfassung der Soldaten des Bataillons von Men-nefer erschreckt. Unter jahrelangem Müßiggang waren sie alt, faul und fett geworden und die jungen Männer unter ihnen hatten vielfach erst gar keinen Drill erfahren! Das änderte Haremhab nun, indem er Ramessu zum Ausbilder ernannte, der die Truppen nach seinen Vorstellungen innerhalb eines harten Jahres wieder einsatzbereit machte und ihnen ihre gefürchtete Kampfkraft zurückgab. Und endlich war auch der Stelentext für Tut-anch-Amuns Erklärung vollendet und die Stele feierlich unter Majas Leitung im Tempel von Ipet-sut aufgestellt worden. „Es machte Seine Majestät Denkmäler für die Götter. Er gab mehr als früher war; er überschritt, was seit der Zeit der Vorfahren getan worden war. Er vermehrte ihre Altäre aus Gold, Silber, Bronze und Kupfer, ohne daß ein Ende war an allen Dingen. Er vergrößerte alle Abgaben für die Tempel, verdoppelt, verdreifacht und vervierfacht, an Silber, Gold, Lapislazuli, Türkis und allerlei Edelsteinen, königlichem Leinen, weißem Leinen, buntem Leinen, Gefäßen, Harz, Fett, Weihrauch, Räucherwerk, Myrrhen, ohne dass es eine Grenze für alle guten Dinge gab.“ Als gut ein Jahr vergangen war, sprach Eje seinen jüngeren Kollegen offen auf seine persönlichen Verhältnisse an. Sie saßen wie so oft im Palast, im Raum des Wesirs, beisammen, wo sie die meisten ihrer Schritte zur allmählichen Wiederherstellung der 231

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Ordnung entwickelten, bevor sie sie gemeinsam dem König zur Verabschiedung vorstellten. Es war angenehm kühl in Ejes hohen Räumlichkeiten, die von einem leichten Windhauch durchweht wurden. „Ich denke, dir ist nicht entgangen, dass meine Tochter Mutnedjemet nur wenige Wochen vor dir ihren Gemahl im Westen von Waset an Anubis übergab!“ Haremhab nickte: „Seitdem lebt sie bei dir in Men-nefer.“ Eje machte eine Pause, die wirkte, als warte er auf den richtigen Augenblick für ein Geständnis und sah sei Gegenüber abschätzend an. „Sie wählte ihren Gemahl kurz nach deiner Vermählung mit Amenia.“ Er fixierte Haremhab mit seinem durchdringenden Blick, und als er merkte, dass seine Worte nicht die erwartete Reaktion hervorriefen, setzte er nach: „Sie war verzweifelt, Haremhab! Es war keine Liebe, die sie veranlasst hat, diese Ehe einzugehen.“ Der General runzelte die Stirn, Eje sprach weiter und wurde deutlicher: „Mut-nedjemet hat seit eurer ersten Begegnung zarte Gefühle für dich gehegt. Deine Reden, die du damals führtest, dass du nicht an Heirat dachtest, haben sie enttäuscht, aber sie glaubte, du würdest irgendwann dein Vorhaben ändern. Dann wollte sie da sein.“ Eje hob ungeduldig die Brauen und atmete hörbar ein. „Sie wies alle Bewerber ab, keiner von ihnen hielt in ihren Augen dem Vergleich mit dir stand. Dann wandelten sich deine Bedenken in Liebe – doch nicht für sie. Das brach ihr das Herz. Sie weinte tage- und nächtelang und ihre Mutter Tij musste ihre Tränen für dich trocknen, Haremhab. Schließlich nahm sie den nächsten Antrag an, den ein Mann ihr nach deiner Hochzeit stellte. Er war adelig, aber alt. Er sog ihre Jugend in sich auf, wie ein Dämon das Leben aus einem Körper saugt. Mut-nedjemets Ehe war eine zur isfet gehörige und ich bin dankbar, dass es Anubis’ Wunsch war, sie zu beenden.“ Haremhab sah in wortlos an. Er erinnerte sich daran, dass Mut-nedjemet ihm damals, vor fast 20 Jahren, als Gast auf seiner Hochzeit traurig erschienen und ihm danach ständig aus dem Weg gegangen war, aber er hatte vermutet, dass ein junger Verehrer aus Waset ihr Liebes232

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kummer bereitete – wie recht hatte er doch mit seiner Vermutung gehabt, nur hatte er nicht geahnt, das er selbst jener Mann war! Es war eines der letzten Male, an denen sie sich gesehen hatten, denn sehr bald darauf hatte sie selbst geheiratet und nach dem Umzug der Residenz nach Achet-Aton war sie mit ihrem Mann in der alten Hauptstadt Waset geblieben. Haremhab konnte sich weder an den Namen noch an den Beruf ihres Gemahls erinnern, wollte Eje aber auch nicht danach fragen. Er wusste nur noch, dass er sich damals sehr gewundert hatte, weshalb die junge und liebreizende Mut-nedjemet unter allen heiratswilligen Männern Wasets ausgerechnet diesen erwählt hatte. „Die Götter haben ihrer Ehe keine Kinder beschert“, redete Eje weiter, der erkannt hatte, dass Haremhab diese Neuigkeiten aufwühlten. „Nach der Beisetzung ihres Gemahls in Waset, während der ich ihr beistand, bat sie mich, sie mit nach Men-nefer zu nehmen – selbst auf die Gefahr hin, dir zu begegnen. Das Feuer, das in ihr für dich brannte, ist nicht schwächer geworden, Haremhab! Vielmehr haben die Jahre, die Entfernung und die Gewissheit, dass ihr wohl niemals zueinander finden werdet, wie ein starker Wind gewirkt, der die Flammen anfachte und schmerzhaft heiß in ihr lodern ließ. Jedes Mal, wenn ich sie besuchte und wir allein waren, galt ihre erste Frage dir. Als sie erfuhr, dass deine Frau ein Kind erwartet, versetzte es ihr einen Stich. Seit sie in Men-nefer war, vermied sie es, Orte aufzusuchen, an denen eine Begegnung mit dir wahrscheinlich war. Als deine Frau schließlich starb, wollte sie dir zur Seite stehen, aber ich hielt sie davon ab, weil sie dir deine Trauerzeit lassen sollte. Verständlicherweise wollte sie nicht im Zug der Trauergäste bei Amenias Beisetzung anwesend sein, denn ihre Tränen wären nicht echt gewesen.“ Eje räusperte sich. „Ich hoffe, mit Verlaub, dass inzwischen eine angemessene Zeit verstrichen ist, in der du dich mit deinem Verlust auseinandersetzen konntest. Deshalb sei heute Abend mein Gast und nimm mit Tij, meiner Tochter und mir das Mahl ein.“ Haremhab fühlte sich überrumpelt und völlig fehl am Platz, aber als er in Ejes entschlossenes Gesicht sah, fehlte ihm die Kraft das Angebot abzulehnen.

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* Ägypten schrieb inzwischen das 2. Regierungsjahr unter Seiner Majestät, dem König von Unterägypten, Neb-cheperu-Ra, dem Sohn des Ra, Tut-anch-Amun. Die Residenz war vollständig nach Men-nefer verlegt worden und Achet-Aton wurde einfach vergessen. In der alten Hauptstadt Waset unterhielt der Pharao umfangreiche Bauvorhaben, er stiftete neben der großen Stele auch zwei Kapellen und zahlreiche lebensgroße Statuen nach Ipet-sut, die unter anderem ihn selbst oder den Gott Amun mit seinen Gesichtszügen zeigten, um so seine ewige Präsenz im Tempel sicherzustellen. Die Innenwände der großen Kolonnade seines Großvaters Amenophis Neb-Maat-Ra in Ipet-resit, dem südlichen Heiligtum auf dem Ostufer Wasets, ließ er in aufwendiger Feinarbeit mit anmutig schönen, leicht erhabenen Reliefs schmücken, die den Ablauf eines Opet-Festes darstellten. Maja war es, der als Leiter des Festes für Amun in Ipet-sut alle Bauaufgaben in Waset und auch die im sechet-aat beaufsichtigte. Tut-anch-Amun ließ auf Anraten seiner Berater im ganzen Land, bis hin nach Nubien, die alten Kulte wiederbeleben und die Tempel mit Statuen oder Reliefs versehen, die den Namen des jungen Königs trugen. Das Volk liebte ihn dafür, dass er die Sünden seines Vaters Echnaton reinwusch. Seinen geänderten Geburtsnamen benutzte der Junge erst ab dem 2. Jahr konsequent, vorher fiel er noch einige Male in die ihm gewohntere Form mit Aton zurück. Aber ganz allmählich fielen sowohl Echnaton als auch sein Gott dem Vergessen anheim. * Mut-nedjemet war noch immer eine Schönheit, die Jahre hatten es nicht vermocht, ihre Anmut verblassen zu lassen, vielmehr erinnerte sie Haremhab in ihrer anmutigen Eleganz in manchen Momenten an Teje, die Schwester ihres Vaters, nur dass Mut-nedjemets Züge viel weicher und sanftmütiger waren. Sie hatte einen Teil ihrer üppigen Haarpracht zu einem schweren 234

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Zopf gebunden, der über ihre rechte Schulter bis zur Brust hinabreichte und mit einem goldenen Band oberhalb der Schläfe zusammengefasst war. Ein fein gefälteltes, edles Leinengewand bedeckte ihren Körper und ihr Ausschnitt war durch einen feinen Halskragen überdeckt. Das Abendmahl nahmen sie zu viert ein, denn auch Ejes Gemahlin Tij gesellte sich zu ihnen. Mut-nedjemet wirkte in Haremhabs Gegenwart wie eine scheue Gazelle, sie ließ ihre großen Augen unruhig durch den Raum schweifen, hatte aber nicht den Mut, seinem Blick zu begegnen. Nachdem das Mahl beendet war, zogen sich die Damen zurück und ließen die Männer bei einem Krug Bier allein. Schnell lenkte Eje das Thema auf seine Tochter. „Eine Heirat mit Mut-nedjemet würde dich enger an die Familie des Königs binden, was deinen Einfluss und deine Stellung in der Gesellschaft beträchtlich stärken würde. Sie ist immerhin die Großcousine des Pharaos“, versuchte Eje ihn zu überzeugen. „Ich bin zufrieden mit meiner Stellung in der Gesellschaft, Eje.“ „Willst du denn nicht mehr erreichen?“, brauste der Wesir auf. „Wozu? Ich bin Oberbefehlshaber der ägyptischen Truppen. Mein Wunsch war es immer, ein Offizier zu sein – jetzt befehlige ich die höchsten Offiziere des Reiches. Die Wirklichkeit ist besser geworden, als ich es vermochte, mir zu wünschen. Wozu also mehr?“ „Das Leben ist eine Treppe, die auf ein Dach führt, Haremhab. Die meisten Menschen bleiben auf dem unteren Absatz stehen und erklimmen nicht einmal die erste Stufe. Du und ich, wir sind weitergegangen – und was ich auf meinem Weg gelernt habe, ist, dass es immer noch eine Stufe über der eigenen gibt. Man darf nicht stehen bleiben, sonst erreicht man das Dach nicht, von dem aus man alles überblicken und befehligen kann.“ Haremhab runzelte die Stirn. Ihm gefiel der Verlauf des Gesprächs nicht. Er kniff die Augen ein wenig zusammen. „Ich glaube, dass jeder Mensch seine persönliche Treppe zu seinem eigenen Dach emporsteigt und selbst bestimmt, wann er das Ziel erreicht hat“, widersprach er deshalb, aber Eje schüttelte heftig den Kopf. 235

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„Es gibt nur ein Dach und Macht bahnt sich ihren Weg nach oben. Auf der Treppe scheiden sich Gewinner von Versagern, Haremhab, weil nur die Gewinner wissen, wie sie die nächste Stufe erreichen können.“ „Nun“, begann Haremhab langsam den provokanten Gedanken zu formulieren, der sich ihm aufdrängte, „die letzte Stufe über dem Wesir gehört dem Pharao Ägyptens.“ Eje antwortete mit einem vielsagenden und doch nicht zu deutenden Lächeln, das unangenehm war und Haremhab einen Schauer über den Nacken laufen ließ. Kurz darauf verließ er seinen Gastgeber. Es war schon spät geworden und die Unterhaltung nicht so amüsant, wie er es sich erhofft hatte. Konnte es sein, dass die Macht, die Eje in seinem Leben erlangt hatte, ihm zu Kopf gestiegen war und seine Wahrnehmung trübte? Er fand die Berechnung hinter Ejes Gedanken äußerst beunruhigend. Für diesen schien das Gefühl, das Mutnedjemet Haremhab entgegenbrachte, nur zweitrangig zu sein, denn alles, was für Eje zählte, war, dass der Oberbefehlshaber für seine Tochter eine gute Partie wäre und es ihm vielleicht später dienlich sein könnte, die gesamte Streitmacht Ägyptens hinter sich zu wissen. Die Gedanken, über die Eje sprach, ängstigten Haremhab. Mehr jedoch ängstigten ihn die Gedanken, über die er schwieg.

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Kapitel 5 Der elende Feind von Chatti Es war in den frühen Morgenstunden, als Haremhab mit einem Teil des Bataillons des Ptah aus Men-nefer ausrückte. Die unerfreuliche, aber vorhersehbare Nachricht hatte ihn am Abend zuvor erreicht: Der elende Feind von Chatti hatte es gewagt, ägyptische Besitzungen und Verbündete in Vorderasien anzugreifen und plante nun sogar, die Stadt Kepeni einzunehmen. Zwischen dem Erhalt der Mitteilung, die mit einem Eilkurier aus Kepeni an Haremhabs Privathaus geliefert worden war, und dem Ausrücken der Truppen lag eine Nacht ohne Schlaf, in der Ra-messu und er mit der Mobilmachung von rund 4000 Soldaten beschäftigt waren. Der königliche Befehl für die Bewegung der Truppe, eine reine Formsache zwar, aber dennoch nötig, traf mitten in der Nacht als ein vom Pharao versiegeltes, gefaltetes Papyrusblatt in der Kaserne ein. Es blieb allerdings keine Zeit mehr, den König persönlich zu sprechen. Haremhab verließ das Niltal mit seinen Soldaten im ersten Morgengrauen, als noch Nebelschwaden auf dem Fluss lagen und die Luft kalt und feucht war. Aus dem Dunst ragten grau die Palmen des jenseitigen Ufers. Er führte 16 der insgesamt 20 Kompanien des Bataillons mit sich – 4000 der besten Fußsoldaten, Bogenschützen, Speerwerfer und Streitwagenlenker, die seit Haremhabs Ernennung zum Generalissimus hochmotiviert nach einem Kampfeinsatz lechzten, wie es ein Verdurstender nach Wasser tut. Auf gewaltigen und schweren Fähren setzten sie über den Strom und bald darauf durchquerten sie das östliche Delta, wo sie die Ruinen von Hut-waret hinter sich ließen. Jener Stadt, von der aus einst Ausländer, die elenden Heqau-chasut, Ägypten regiert hatten. Über Jahrhunderte hinweg waren sie wie laichende Fische in das fruchtbare Land des Deltas eingesickert, als man in ihren Ländern Hunger litt, und hatten sich das Vertrauen der Ägypter erschlichen, das sie dann später auf heim237

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tückische Weise ausnutzten, indem sie diejenigen, die sie einst in der Not aufgenommen hatten, unterjochten. Sie hatten sich angemaßt, über weite Teile Ägyptens als Könige zu herrschen, bis Pharao Ahmose sie vor über 200 Jahren vertrieben und die schmachvolle und erniedrigende Zeit beendetet hatte. Eine solche Schändlichkeit durfte sich niemals wiederholen – das schwor sich jeder Ägypter. Haremhab hatte die Berichte dieser Befreiungsschlacht studiert, in seiner Zeit in Waset war er sogar einmal ins nahe Necheb gereist, um die Häuser der Ewigkeit der Soldaten zu besuchen, die in dieser ehrenvollen Schlacht gekämpft hatten, und für sie zu beten. Sie waren Helden und an den Wänden ihrer Gräber fanden sich Hinweise auf jenes Gefecht, in dem sie die Fremden aus ihrem Land vertrieben haben: „Als man die Stadt Hut-waret belagerte, war ich tapfer auf meinen Füßen vor Seiner Majestät ... Man kämpfte zu Wasser vor Hut-waret ... Man kämpfte erneut an dieser Stätte ... Man kämpfte in dem Teil Ägyptens, der südlich dieser Stadt liegt ... Hut-waret wurde genommen.“ Am nächsten Tag führte Haremhab seine Truppen weiter in nordöstliche Richtung, bis sie den Beginn der alten Horusstraße erreicht hatten. Hier trennten sie sich. Der Bogenoberst und Vorsteher der Pferde, Ra-messu, befehligte die Fußsoldaten, die von hier aus zum Militärhafen weiterzogen, wo bereits große Frachtschiffe auf die warteten, die sie über das Meer nach Kepeni bringen sollten. Der Oberbefehlshaber Haremhab kommandierte indessen die Streitwagentruppe, die sich auf dem Landweg in schnellerem Tempo ihrem Ziel Kepeni nähern konnte als in Begleitung der Fußtruppen, wo sie wieder mit den übrigen Soldaten zusammentreffen würde. Im strahlenden Sonnenlicht passierten sie Meketi – eine Stadt, vor deren Toren es vor etwa 130 Jahren eine siegreiche Schlacht für Ägypten gegeben hatte. Haremhab rief sich die Worte ins Gedächtnis, die Men-cheper-Ra, der dritte König namens Thutmosis, nach der Schlacht im Bericht festhalten ließ: „Das zahlreiche Heer von Naharina war gefällt im Verlaufe einer Stunde, ausgelöscht dort wie Leute, die nie gewesen waren, wie Asche eines Feuers.“ Die Überlebenden dieses Gemetzels ließen alles zurück und flohen hinter die schützenden Mauern der Stadt, die 238

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sie auf heruntergelassenen Tüchern erklommen, da die Tore fest verschlossen waren. Sieben Monate belagerten die ägyptischen Soldaten die Stadt, bis sie ausgehungert war und die Feiglinge als Zeichen der Aufgabe Kinder mit Geschenken herausschickten. Thutmosis kehrte mit reicher Kriegsbeute zurück – wenn sich Haremhab recht erinnerte, mit über 900 Streitwagen und fast 25.000 Tieren. Die beteiligten Fürsten hatte der Pharao begnadigt und ziehen lassen – „aber auf Eseln“, wie er notierte, „denn ihre Pferde hatte ich erbeutet.“ Naharina war inzwischen schon lange ein Verbündeter Ägyptens, ebenso wie Retjenu. Nach den Jahren der Kriege unter Thutmosis Men-cheper-Ra und Amenophis Aa-cheperu-Ra, die Ägyptens Vormachtstellung in Vorderasien fundamentiert hatten, setzte unter Thutmosis Men-cheperu-Ra und seinem Sohn Amenophis Neb-Maat-Ra eine Zeit des Friedens und der gegenseitigen Achtung ein. In dieser Phase wuchs die Macht des Volkes von Chatti in Kleinasien, das schließlich unter Echnaton unaufhaltsam erstarken konnte und die ägyptischen Verbündeten angriff, um seinen Machtbereich zu vergrößern. Nachdem sie Aleppo, Alalach und Ikeret im Norden Retjenus eingenommen hatten, streckten sie nun ihre gierigen Hände nach Kepeni aus. Es war diese Stadt, welche die ägyptischen Streitwagen zwei Tage später erreichten. Die Fußsoldaten waren bereits am vorangegangenen Tag mit den Schiffen eingetroffen. In der Stadt war die Angst vor den grausamen Chatti allerorts spürbar und die Menschen waren dankbar für die Ankunft des ägyptischen Militärs. Es gab viele syrische Verbündete, die sich auf die Seite der neuen Macht gestellt hatten und man konnte nicht allen trauen, hieß es, aber das nahe gelegene Qedesch stünde bedingungslos auf der Seite Ägyptens. Späher berichteten bereits seit Wochen von kriegerischen Vorbereitungen und Spione erhärteten den Verdacht, dass Kepeni das Ziel der nächsten Bewegungen von Chatti sein würde. Nach einer nötigen Ruhepause für Soldaten und Pferde, so dachte Haremhab, könnten sie am nächsten Tag gestärkt nach Qedesch gelangen, um von dort in das Land Kerekemesch vorzudringen, in dem der elende Vizekönig von Chatti in seinem Rattenloch 239

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hauste. Der General schaute in den sich langsam rot färbenden Himmel und betete kurz zu Monthu, dem Gott des Krieges. Die letzte Nacht vor dem anzunehmenden Kampf verbrachte Haremhab in den Räumen des Garnisonskommandanten von Kepeni, die dieser ergeben für seinen Vorgesetzten geräumt hatte. Die Mannschaften schlugen außerhalb des Gebäudes ihr Lager auf, nur die Befehlshaber schliefen innerhalb der Garnison. Haremhab selbst fand keinen Schlaf. Er wälzte sich auf seinem Lager hin und her. Ärger und Gram kamen in ihm auf, dass so viele der ehemals befreundeten Syrer abtrünnig wurden oder den Gedanken hegten, auf die Seite der neuen Großmacht zu wechseln. Qedesch war eine Stadt im Brennpunkt des Interesses von Vielen und er fürchtete, dass sie in der Zukunft noch oft der Schauplatz erbamungsloser Kämpfe sein würde. Haremhab plante einen Überraschungsschlag gegen das Land Kerekemesch und den Vizekönig der Chatti, genau in dem Augenblick, in dem die meisten der Soldaten von Kerekemesch fernab von ihm auf dem Weg zur Hafenstadt Kepeni sein würden. Dabei konnten die Ägypter allerdings nur mit einem Teil des Heeres ziehen, da der Rest bei der Verteidigung von Kepeni kämpfen sollte. Und der Oberbefehlshaber der ägyptischen Truppen kannte die verbleibende Kampfkraft der Chatti in Kerekemesch nicht genau. Ich werde hinter Qedesch versteckt stehen, wie ein Falke, den die Maus nicht sieht, am Himmel steht, und zustoßen, wenn sich der Elende am sichersten fühlt, dachte Haremhab grimmig. Der Vizekönig war ein Feigling, der seine Heere niemals selbst in die Schlacht führte, das war bekannt – also würde er in Kerekemesch sein, wenn Haremhab eintraf. Der ägyptische General mochte die Syrer nicht, denn ihnen war nicht zu trauen. Sie waren Hungerleider und lebten wie das Wild in der Wüste. Jedem, der ihnen Versprechungen machte, schlossen sie sich an. Ihre groben Gesichtszüge spiegelten zudem ihre Gesinnung wider – Falschheit schlummerte in ihren Augen! Noch bevor der Sonnengott Ra erwachte, war Haremhab mit den von ihm auserkorenen Truppen aus Fußsoldaten und Streitwagen aufgebrochen. Die übrigen Krieger hörten auf das Oberkom240

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mando von Ra-messu, den er als seinen Stellvertreter in Kepeni zurückgelassen hatte. Die ausrückende Streitmacht brauchte zwei Tage, ehe die Mauern von Qedesch vor ihr erschienen. An der Südflanke der Anhöhe, geschützt von der Stadt und für den Feind praktisch unsichtbar, schlugen sie in der tristen Einöde ihr Lager auf. Haremhab schickte erfahrene Späher aus, die weder im Sand noch im Gebirge oder im Wald zu sehen noch in der Stille zu hören waren. Die Geduld der ägyptischen Soldaten wurde auf eine harte Probe gestellt, die Luft schien zum Zerreißen gespannt, Gereiztheit und Nervosität machte sich allerorts breit, denn jede Stunde, gleich ob zur Tages- oder Nachtzeit, konnte der Befehl zum Angriff – oder, was noch schlimmer war, der Befehl zur Verteidigung kommen, wenn sie trotz aller Vorsicht entdeckt würden. Dennoch war jeder Soldat bemüht, Ruhe zu bewahren und die Aufgaben des Alltags so gut wie möglich zu erledigen. Dazu gehörte auch die Pflege des großen Zeltes des Oberkommandierenden, das mit allerlei Mobiliar ausgestattet war und täglich gereinigt, gefegt sowie der trockene Boden mehrmals mit Wasser genässt werden musste, damit er nicht staubte. Des Weiteren durfte der Vorrat an Bier, Wasser und Wein sowie an Früchten nicht ausgehen, denn Haremhab empfing den Fürsten von Qedesch einige Male in seinem Lager, um mit ihm über die derzeitige Situation in Vorderasien zu sprechen, und bewirtete ihn auch. Abgesehen von den emsigen Soldaten, die mit der anspruchsvollen Aufgabe betraut waren, Haremhabs Zelt zu beliefern und zu säubern, vergingen die Tage für die übrigen Männer quälend langsam. Sie konnten nicht viel mehr tun, als herumzusitzen, ihre Waffen zu kontrollieren, die Pferde zu striegeln und zu versorgen – und darüber hinaus auf das Zeichen zum Kampf zu warten. Der Vizekönig der Chatti fühlte sich sicher. Für ihn hatte die Vergangenheit gezeigt, dass Ägypten seit den Königen Echnaton und Semenech-ka-Ra keine ernstzunehmende militärische Gefahr mehr darstellte – aus diesem Grund schickte er seinerseits keinerlei Späher aus, um die ägyptische Präsenz in der Umgebung zu erkunden. Die Macht am Nil existierte für ihn nicht. Er tat sie ab wie Fliegen mit einem Wedel. 241

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Nach 14 langen Tagen und Nächten der Ungewissheit kamen eines frühen Morgens die ägyptischen Kundschafter in das Lager südlich der Stadt Qedesch zurück und berichteten, dass eine Streitmacht von annähernd 1000 Männern in der Dämmerung des Morgens Kerekemesch in Richtung Kepeni verlassen hatte. Eine lächerlich kleine Gruppe für die Eroberung einer Stadt! Offensichtlich rechnete der Vizekönig mit keinerlei Widerstand. Sofort befahl Haremhab jede Rauchquelle, jedes Feuer im Lager zu löschen, das auf die Anwesenheit von Menschen außerhalb der Stadt Qedesch schließen lassen könnte. Und es dauerte nicht lange, da sahen sie, beschienen von den sanften Sonnenstrahlen eines neuen Tages, die feindlichen Soldaten am östlichen Horizont in sehr großer Entfernung an Qedesch vorbeiziehen. „Das Warten hat ein Ende, Männer! Wir brechen morgen vor Sonnenaufgang nach Kerekemesch auf und zeigen dem elenden Feind von Chatti, dass Ägypten wieder in Retjenu ist und dass jeder, der unsere Gebiete zu stehlen beabsichtigt, nur noch den Tod zu erwarten hat!“ Haremhab schrie seine Worte in die Menge, wo sie von begeistertem Jubel aufgefangen wurden. * Der Kampf endete mit einem fulminanten Sieg Ägyptens. Haremhab überrannte das unvorbereitete Land Kerekemesch mit seinen Truppen und überrollte die fassungslosen Soldaten der Feinde, er presste sie im Namen seines Königs binnen weniger Stunden in den Staub, seine Pfeile trafen sicher und gnadenlos, sein Dolch zerschnitt die Luft und stieß ohne Zögern zu. Schließlich kam er vor dem Palast des Vizekönigs an, den seine Leibgarde verzweifelt zu sichern versuchte. Aber die ägyptischen Soldaten, die Haremhab begleiteten und ein lebendiges Schutzschild um ihren obersten General bildeten, zerschlugen sämtliche Barrieren. Holz splitterte, Lehmziegel bröckelten und die tödlich verletzten Wachen schrien auf. Dann stand Haremhab endlich vor dem Vizekönig. Einem fetten Mann, einer verabscheuungswürdigen Kreatur, die sich vor Angst schwitzend und wie ein verletzter Hund winselnd hinter einem Stuhl zu verber242

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gen suchte. Als er sich noch nicht wie eine Hure an den elenden Feind von Chatti verkauft hatte, war er einst Bündnispartner von Ägypten gewesen. Er zitterte, denn er erkannte die Entschlossenheit in den Augen des Ägypters, dessen Körper und Kleidung vom Blut seiner Leute verschmiert war. Haremhab hieß die Soldaten stehen zu bleiben und ging entschlossen allein die wenigen Schritte auf den Verräter zu, der sich sofort noch mehr zusammenkauerte. Er kreischte panisch, als Haremhab den Stuhl, an dessen vermeintliche Sicherheit sich der feiste Mann klammerte, mit einem festen Fußtritt wegtrat, so dass das Möbelstück durch den großen Raum geschleudert wurde und mit lautem Poltern am Boden zerschellte. Haremhab packte den knienden Feind mit der linken Faust an den üppigen Haaren, die mit einem Band zusammengehalten wurden, zog ihn mit einer kraftvollen Bewegung zu sich hoch und hielt ihm mit der Rechten seinen Dolch an die Halsschlagader, die wie wild pochte. „Holt mir einen unserer Übersetzer“, rief er einem seiner Männer zu. Dieser stürzte hinaus. * Der Vizekönig schwitzte, weinte und verlor Speichel bei dem verzweifelten Versuch den aufgebrachten Ägypter anzuflehen, sein Leben zu verschonen. Haremhab konnte die Angst des winselnden Mann vor sich förmlich riechen, dessen langer drahtiger Bart bis auf die Brust gereicht hätte, wenn er nicht einen gesteiften Kragen getragen hätte, der Schultern und Brustkasten bedeckte. Die fremden Worte verstand er nicht, doch deren Inhalt war unschwer zu erahnen. Als der Übersetzer eintraf, befahl ihm Haremhab, ganz nahe zu kommen und alles, jede einzelne Silbe, wortwörtlich in die Sprache des Feindes zu übertragen. Der Dolmetscher nickte, während er näher trat. Haremhabs Dolch befand sich noch immer am Hals des Vizekönigs. „Ich werde dein Leben verschonen ...“ Der Übersetzer sagte fremde Worte. „... wenn du auf die Knie gehst, und meinen König, den Herr243

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scher Ägyptens, in dessen Namen ich hier bin, untertänig um wahrhaft gemeinte Verzeihung anflehst ...“ Haremhab gab dem ägyptischen Beamten Zeit zu übersetzen. Als er geendet hatte, machte der Vizekönig Anstalten, sich auf die Knie zu werfen, was Haremhab allerdings verhinderte, da er mit seinen Bedingungen noch nicht am Ende war. „... ihm immerwährende Treue schwörst und niemals wieder im Namen des elenden Feindes von Chatti oder sonst einem Mächtigen, dem du dich verkaufst, einen Angriff gegen Länder, Städte oder Gebiete führst, die des Königs von Ägypten sind!“ Nachdem der Vizekönig Haremhabs Worte in seiner Sprache vernommen hatte, nickte er heftig unter Tränen und erhob beide Arme, die Handflächen nach oben gewandt, zum Zeichen seiner Unterwerfung und versuchte erneut, niederzuknien, doch auch dieses Mal hielt der Oberbefehlshaber ihn fest. „Außerdem sollst du im Namen aller Fürsten von Vorderasien und Tjehenu schwören, dass sie fortan keinen Angriff auf ägyptische Besitzungen verüben werden ...“ „Aber, hoher Herr …“, unterbrach ihn der Übersetzer leise und untertänig. Haremhabs Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen, hinter denen Flammen loderten, und fixierten den Übersetzer, der sogleich verstummte. „Wage es nicht, mich zu unterbrechen“, zischte er leise, aber unmissverständlich. Haremhab wandte sich wieder dem Verräter zu. „Ich mache dich persönlich für jeden noch so kleinen Übergriff auf Ägypten verantwortlich. Und dann werde ich zurückkommen und dich finden, egal, wo du dich versteckst, und dann wird der Tod erst zu dir kommen, wenn du alle Schmerzen erfahren hast, die dein Körper dich lehren kann.“ Der Dolmetscher schluckte schwer, übersetzte aber wortwörtlich. Nachdem er geendet hatte, nickte der Unterlegene schluchzend. Haremhab ließ seinen Haarschopf los und steckte seinen Dolch wieder hinter den Gürtel seines Schurzes. Der Vizekönig sank sofort wie ein schwer gefüllter Sack vor Haremhab auf die Knie, streckte nochmals die Arme in die Höhe und legte das Gelöbnis ab. Dieser Schwur des Vizekönigs von Chatti galt als der Schwur von neun Fürsten – aller Feinde des Nordens. 244

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Haremhab nickte, als er die Worte des Übersetzers gehört hatte. Seine Stimme hallte laut im Raum: „Im Namen Seiner Majestät, des Königs von Ober- und Unterägypten, Neb-cheperu-Ra, dem Sohn des Ra, Tut-anch-Amun, nehme ich deinen Eid an und werde dein Leben verschonen. Und bedenke: Du hast versagt, denn deine Truppen werden in diesem Augenblick vor den Toren Kepenis von meiner Armee aufgerieben und die wenigen Überlebenden von diesem Teil Kerekemeschs führe ich als Gefangene nach Ägypten. Du aber sollst hier bleiben, möge dein Herr, der elende Feind von Chatti, über dein Schicksal entscheiden, wenn du ihm diese Nachricht überbringst!“ Noch während der Übersetzer sprach, verließ Haremhab stolzen Schrittes mit seinen Soldaten den Raum. * Auch Ra-messu hatte vor der Stadt Kepeni die Schlacht klar für Ägypten entscheiden können, und so war es ein unvorstellbares Freudenfest, das Men-nefer zu Ehren der Ankunft von Harem­ habs siegreicher Armee beging. Boten hatten die Nachricht schon vor Tagen überbracht und so hatte man die Straßen mit bunten Bändern und Blumen geschmückt. Die Menschen jubelten, als Haremhab mit seinem Streitwagen an ihnen vorüberfuhr. Kinder liefen dem Zug der gefesselten Gefangenen hinterher, die die Soldaten in großer Zahl mit sich führten, bewarfen sie mit Erdbrocken und riefen ihnen derbe Schimpfworte hinterher. Auch Frauen mit Kindern waren unter den Kriegsgefangenen, da sie selbst Verräter waren oder zu Verrätern gehörten, doch diese wurden auf Haremhabs Anordnung nicht gefesselt, sondern von seinen Männern einzeln festgehalten. Der Weg führte direkt zum Palast des Königs, wo die Gefangenen speziellen Arbeiteraufsehern übergeben wurden, die sie in Gewahrsam nahmen. Später, je nach Eignung, würde man sie für verschiedene Arbeiten des Königs einsetzen oder als Diener an private Häuser verkaufen – vorausgesetzt, der Pharao würde an diesem Tage nicht ihr Todesurteil beschließen. Auf dem großen, offenen Platz vor dem Palast, dessen weiß gestrichene Lehmziegelmauern im hellen Sonnenlicht blendeten, versammelten sich Gefangene, Offiziere, die Aufseher der Gefan245

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genen und zahllose schaulustige Einwohner von Men-nefer. Die Streitwagen und die übrigen Mannschaften führte man in die Kaserne, wo sie sich reinigen, ausruhen und stärken konnten. Einer der Palastdiener trat auf Haremhab zu und verbeugte sich tief. „Edler Herr, der Gottesvater wünscht Euch unverzüglich zu sehen!“ Der Mann bat ihn, ihm zu folgen und geleitete den General in den Amtsraum von Eje, der ihn dort strahlend empfing. „Sei gegrüßt, ruhmreicher Heeresführer, der einen Sieg für Ägypten errungen hat, der eines Men-cheper-Ra oder eines Aacheperu-Ra würdig ist.“ Sie umarmten sich und der erschöpfte Haremhab erwiderte den Gruß. „Der König, der Hof – ach was, das gesamte Land ist stolz auf dich!“ Eje lächelte selbstgerecht. „Heute wird dir eine besondere Würdigung zuteil“, er deutete auf einen Stuhl, auf dem Haremhabs Festgewand mit seiner langen gestuften Perücke und einem Paar seiner Sandalen lagen, „deshalb habe ich einige deiner Kleidungsstücke kommen lassen, die mir für den heutigen Anlass passender erscheinen.“ Haremhab betrachtete den kurzen Schurz, den er trug. Er war noch immer mit dem Blut der Schlacht besudelt, das inzwischen blasser geworden war und die Farbe von Baumrinde angenommen hatte. Eje klatschte in die Hände, woraufhin zwei Diener erschienen. „Wascht und kleidet den Vorsteher der Generäle. Hier sind seine Gewänder, aber eilt euch!“ Die Diener führten Haremhab eilfertig in einen Waschraum. Nachdem er sich entkleidet hatte, stellte er sich auf einen der Granitsockel und sofort begann ein Leibdiener ihm kühles Wasser über Kopf und Nacken den Körper hinabzugießen. Haremhab schloss die Augen und genoss es, dass der Schweiß und der Staub von Vorderasien von seinem Körper gespült wurde. Man salbte ihn mit wohlriechenden Ölen aus Sandelholz, das sofort in seine Haut einzog, und legte ihm seinen fein gefältelten langen Schurz an, der einen aufwendig gestalteten und ausladenden, ebenfalls plissierten Vorbau besaß. Er war schwer und unbequem zu tragen und nur ganz besondere Anlässe erforderten dieses Kleidungsstück. Über den Oberkörper zog er ein hauchfeines Gewand, das seinen Rücken und seine Oberarme bedeckte. Während ein Diener den General schminkte, kümmerte sich ein anderer um den richtigen Sitz seiner brust246

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langen Perücke und legte ihm schließlich ein reich verziertes Stirnband um, das er hinten verschloss. Nun brauchte Haremhab nur noch in die bereitgestellten Sandalen zu schlüpfen und war bereit, dem Pharao zu begegnen. * Der König und seine Große Königliche Gemahlin Anch-es-enAmun, die nun auch in ihrem Namen den Gott Aton durch Amun ersetzt hatte, standen im Verborgenen hinter dem Erscheinungsfenster und beobachteten heimlich den gewaltigen Aufmarsch, ohne selbst gesehen zu werden. Plötzlich trat der Oberbefehlshaber der Truppen in seinem strahlend leuchtenden Festgewand auf den Platz und durch die Reihen der Soldaten ging ein anerkennendes Raunen, denn er genoss große Beliebtheit bei seinen Untergebenen. „Haremhab ist ein wahrhafter Held“, flüsterte der König, doch seine Frau verzog nur ihr Gesicht hinter seinem Rücken. Sie hatte für den General, der sie in die Ehe mit ihrem eigenen Bruder getrieben hatte, nur damit sein Schützling der Pharao Ägyptens werden würde, nicht mehr als blanke Verachtung übrig. Mittlerweile wusste sie, dass, egal welchen Mann sie gewählt hätte, dieser König geworden wäre – dass Haremhab ihr dieses verschwiegen hatte, würde sie ihm niemals verzeihen. Nachdem eine gewisse Ruhe eingetreten war, die nur noch von leisem Stimmengewirr unterbrochen wurde, gab der König seinem Herold ein Zeichen, der daraufhin die Fanfarenbläser nach vorne schickte. Als die Trompeten verstummt waren, war es so leise auf dem Platz, dass man einen Ohrring hätte fallen hören können. Der Herold kündigte den König und die Große Königliche Gemahlin mit ihren vollständigen Titulaturen an, woraufhin sich die Untertanen verbeugten und die Soldaten die Gefangenen in die Knie zwangen. Dann trat das königliche Paar aus dem Dunkel hervor ins strahlende Sonnenlicht. Tut-anch-Amun erlaubte seinen Untertanen, sich wieder zu erheben. „Seit der Zeit des Großvaters des Großvaters Meiner Majestät, Osiris-Amenophis Aa-cheperu-Ra, dem Gerechtfertigten, ist 247

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Ägypten kein derartiger Sieg in Vorderasien mehr beschieden gewesen. Haremhab hat die Feinde Ägyptens erzittern lassen und ihnen die Angst vor dem König dieses Landes zurück in ihre Herzen getrieben.“ Ein ohrenbetäubender Jubel brach aus. Nachdem er sich gelegt hatte, fuhr der Pharao fort: „Zahllose Feinde liegen niedergestreckt, mit verdrehten Gliedern und tödlichen Verletzungen, die ihnen ägyptische Soldaten mit ägyptischen Waffen beigebracht haben, im dreckigen Staub von Retjenu und Kerekemesch.“ Wieder frohlockten die Menschen. „Andere, die sich von Ägypten abgewandt und einen neuen Herrn gesucht haben, stehen nun ohne Zahl vor uns und werden fortan als Diener und Sklaven die Arbeiten für Meine Majestät erledigen, die ich meinem Volk nicht zumuten möchte!“ Lautstarker Jubel schwoll an. Der König lobte seine Armee, die Generäle, Offiziere und Mannschaften. Seine Rede war geschickt vorbereitet und Haremhab erkannte Eje als Verfasser dieser Worte. Nachdem der Pharao seine Rede beendet hatte und sich eine Weile von seinem Volk hatte feiern lassen, kündigten die Fanfaren die Belobigung an. „Haremhab, tritt vor!“, befahl der König. Der General verließ die Reihen seiner Soldaten und während er nach vorn zum Erscheinungsfenster des königlichen Paares schritt, verneigten sich seine Untergebenen, um den Oberbefehlshaber zu ehren. „Dein Mut, deine Entschlossenheit und dein Scharfsinn haben Meiner Majestät einen unbestreitbaren Sieg beschert und die Feinde gelehrt, dass man Ägypten wieder fürchten muss. Für deine Heldentaten, für die es kein Ende gibt, verleihe ich dir hiermit das Ehrengold, eine der höchsten Auszeichnungen unseres Landes. Erhebe deine Arme!“ Vier Diener kamen herbeigeeilt, die unter dem lauten Freudengeschrei der Soldaten die Halskragen brachten, in denen je rund 120 Goldscheiben, in Doppelreihen aufgefädelt, verarbeitet waren. Zwei von ihnen öffneten die Kragen am Verschluss und legten sie Haremhab um, während die anderen beiden die mit weichem Stoff überzogenen Auftragebrettchen hielten, auf denen die Auszeichnungen drapiert lagen. Haremhab war völlig geblendet vom Glanz des Goldes, aber als er aus dem Augenwin248

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kel die Anzahl der Kragen abschätzte, zählte er neun des Ehrengoldes! Das waren mehr als 1000 Goldscheiben – eine unvorstellbar große Menge –, niemals hatte je zuvor ein verdienter Mann die Ehre gehabt, mehr Ehrengold empfangen zu dürfen! Selbst Eje oder Pentju, die von Echnaton ausgezeichnet worden waren und bei deren Belobigung auf der Königsstraße von Achet-Aton Haremhab teilgenommen hatte, waren damals nicht so viele überreicht worden! Haremhab fragte sich gerade, wie die beiden Diener neun Kragen der gleichen Größe an seinem Hals befestigen wollten, als sie bereits fertig waren und sich zurückzogen: Sie hatten die wertvollen Stücke geschickt aneinander befestigt, so dass sie zusammen wie ein großer Halskragen wirkten, der sich über Haremhabs Brust und Schultern legte. Der General verbeugte sich vor seinem König, das Gewicht des Ehrengoldes wog schwer um seinen Nacken, dann erhob er wieder die Arme und wandte sich seinen Soldaten und den Einwohnern Men-nefers zu. Der Jubel war unbeschreiblich und Haremhab schoss ein schnelles Kribbeln vom Nacken den Rücken hinab und wieder zurück, das die feinen Härchen dort aufrichtete. Er ließ seinen Blick langsam über das Publikum gleiten und genoss die Begeisterung um ihn herum. Viele Gesichter in der Menge kannte er oder sie kamen ihm zumindest bekannt vor – aber ein großes, dunkles und offen strahlendes Augenpaar fing das seine ein wie kein anderes an diesem Ort. Haremhab lächelte. Er freute sich, Mut-nedjemet hier zu sehen.

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Kapitel 6 Rückkehr nach Achet-Aton Haremhabs Augen mussten sich zunächst an die Dunkelheit gewöhnen, die im Königsgrab herrschte. Die Vermauerung der Tür war aufgebrochen und eingerissen worden. Viele Jahre lang hatte man, zum Teil unter seiner Verantwortlichkeit, dieses Grab in die schroffen Felsen des abgelegenen Wadis getrieben. Geplant war es für Echnaton, doch in der angenehmen Kühle der Tiefe sollten auch die Königsmutter Teje, die Mutter des Thronfolgers, Kija, die ermordete Prinzessin Maket-Aton und der geheimnisvolle Mitregent Semenech-ka-Ra, der in Wirklichkeit die ehemalige Große Königliche Gemahlin Nofretete war, ihre ewige Ruhe finden. Seit über einem Jahrzehnt hatte Haremhab die Stätte nicht mehr betreten und nun stand er in der Ruhe des Korridors, der nach unten führte, und wartete auf den Burschen, der die Fackel entzünden sollte. Nach seinem militärischen Einsatz in Vorderasien waren dem Oberbefehlshaber nur wenige Wochen vergönnt gewesen, in denen er in Men-nefer neue Kraft schöpfen konnte. Bald schon hatte man in Wawat nach seiner Anwesenheit verlangt, wo er bereits unter Echnaton einen Aufstand der Akujati niedergeschlagen hatte. Es war dort erneut zu Rebellionen gekommen, die nur in der Gegenwart eines Vertreters der höchsten Ebene des ägyptischen Militärs beendet werden konnten. Haremhab hatte geplant, mit einem kleineren Kontingent Soldaten als in Vorderasien, auf Schiffen nilaufwärts, bis in die Gegend des Ersten Katarakts zu fahren, um von dort aus auf dem Landweg nach Miam zu gelangen, da die felsigen Uferläufe dieser Gegend nicht nur für große und beladene Schiffe eine Gefahr bedeuteten. Doch als er am vorangegangenen Abend im Amtssitz des Bürgermeisters der Stadt Nefer-usi, der dem Hasengau vorstand, auf dem Westufer Station gemacht hatte, war er von diesem darüber informiert worden, dass kurz zuvor das Königsgrab von AchetAton auf der gegenüberliegenden Nilseite entweiht worden und 250

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seitdem in einem fürchterlichen Zustand der isfet befindlich sei. Die Schändung eines Königsgrabes stellte ein Verbrechen von derartigen Ausmaßen dar, dass er als Stellvertreter des Königs den Ort des Geschehens persönlich in Augenschein nehmen musste. Die Täter, sollte man sie jemals ergreifen, hatten nur den Tod zu erwarten, denn sie hatten eine der schlimmsten Sünden begangen und damit ihr irdisches, aber auch ihr ewiges Leben für immer verwirkt. Keine Stunde nach ihrem Gespräch hatte Haremhab eine Mitteilung an den König geschrieben und empfohlen, den Vorsteher des Schatzhauses, Maja, nach Achet-Aton auszusenden, um eine Überführung der Gebeine der königlichen Eltern und übrigen Verwandten des Pharaos, deren Seelen bei Osiris in Ra-setjau weilten, in die bewachte Königsnekropole des sechet-aat auf dem Westufer von Waset zu veranlassen. Nachdem er das Schreiben mit seinem Ring versiegelt hatte, war es noch in derselben Nacht als Eildepesche höchster Dringlichkeitsstufe mit einem Boten nilabwärts in Richtung Hauptstadt geschickt worden. Am Morgen war er schließlich von seinem Schreiber Sementaui noch vor der Dämmerung des Morgens geweckt worden. „Haremhab, Herr, Euer angeforderter Streitwagen wartet bereits auf dem Ostufer. Der Bürgermeister ist bereit zum Aufbruch!“ Haremhab hatte ihm gedankt, rasch das ihm überbrachte Frühstück aus Brot, Datteln und hartem Käse verspeist und kurz darauf sein Schlafgemach verlassen. Gemeinsam war er mit dem Bürgermeister und einigen von dessen Wachsoldaten und Dienstburschen aus Nefer-usi auf die Ostseite des Nils übergesetzt, wo bereits die angekündigten Streitwagen auf sie warteten, um sie nach AchetAton und schließlich über die verlassenen Ebenen der Stadt in das lange Tal zu bringen, in dem das Königsgrab verborgen lag. Schon an dessen Eingang hatte sich Haremhab ein Bild der Verwüstung geboten: Eine Feuerstelle von beachtlicher Größe war zu einem hohen, erkalteten Hügel aus verkohltem Holz geworden und die wenigen erhaltenen Rückstände von Bemalung ließen Haremhab erkennen, dass es einmal die Särge und die hölzernen Beigaben für die Bestattungen gewesen sein mussten. Ein dürrer Unterarm mit den Resten einer schwarz verbrannten Kinderhand ragte grotesk wie die blattlosen Äste eines abgestorbenen Baumes aus dem Haufen heraus – die Hand der Prinzessin Maket-Aton! 251

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Als die Fackeln endlich brannten, traten ihm in deren unruhigem Licht an den Wänden, Gespenstern gleich, die Wesen einer anderen, längst vergangenen Zeit entgegen, die sich trügerisch bewegten: Echnaton, Nofretete und die allgegenwärtigen Sonnenarme des Aton. Haremhab erschauderte. Das Grab war auf das Schändlichste entweiht worden. Nichts befand sich mehr an seinem Ort. Der beißende Geruch von menschlichen Fäkalien und Urin stieg ihm immer deutlicher in die Nase, je weiter er den Korridor hinabstieg. Schon hier lagen überall zerbrochene und zertretene Fragmente der einstigen Beigaben verstreut auf dem Boden. Je näher er der Königskammer kam, desto mehr mischte sich unter den Gestank menschlichen Unrats auch der süßliche Geruch der Verwesung. Schließlich sah er im tanzenden Schein seiner Fackel den Anblick eines Alptraums: Die Körper von Teje und Kija waren aus ihren Bandagen gerissen und lagen nackt und schutzlos im Chaos der Zerstörung. Kijas rechter Arm war vom Körper abgetrennt und die Spuren von erbarmungslosen Axtschlägen fanden sich in ihrem Gesicht und in ihrem Brustkorb, wo sie klaffende Löcher hinterlassen hatten. Der Anblick versetzte Haremhab einen Stich ins Herz. Der Rumpf der würdevollen alten Königin Teje lag völlig geöffnet vor ihm. Echnatons Leichnam war in Stücke gerissen worden. Viele Teile seines Körpers fanden sich im ganzen Grab verteilt, und die Überreste waren liederlich mumifiziert, so dass Fäulnis seine Glieder ergriffen hatte und den üblen Gestank im Grab verbreitete. Die steinernen Sarkophage von Teje und Echnaton fanden sich in handtellergroße Bruchstücke zerschlagen. Haremhab war so schockiert, dass er es nicht einmal bemerkte, dass der entsetzte Bürgermeister plötzlich hinter ihn getreten war. Gegenstände von Wert hatten die Eindringlinge zwar nicht verschmäht, aber insgesamt machte der Ort den Eindruck, als sei er nicht seiner Schätze wegen aufgesucht worden: Hier hatte eine Gruppe von Menschen in hastiger Weise die ewige Existenz von Echnaton und seiner Familie auszulöschen versucht, durch die Verrichtung ihrer Notdurft ihre Missachtung ausgedrückt und nebenbei Schmuckstücke beiseitegeschafft. Ganz offensichtlich gehörten die Frevler zur gebildeten Bevölkerungsschicht Ägyptens, denn sie konnten lesen: Alle Namen auf den Beigaben waren zerstört oder beschädigt und offenbar richtete sich die Vehemenz 252

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ihres Angriffs hauptsächlich gegen Echnaton, Semenech-ka-Ra und – unverständlicherweise – gegen Maket-Aton, denn ihre Körper waren kaum mehr vorhanden. Inmitten der isfet, die im Königsgrab herrschte, erkannte Haremhab den Deckel eines von Kijas Eingeweidekrügen, der ihr Gesicht als junge Frau in weißem Alabaster festgehalten hatte. Er nahm ihn mit beiden Händen aus dem Schutt und betrachtete den zart gearbeiteten Kopf, dessen Lächeln ihn an ihre erste gemeinsame Begegnung vor mehr als dreißig Jahren erinnerte. Ihr schlankes Antlitz wurde von den weichen Strähnen der nubischen Perücke sanft umrahmt. Alles sah ihr so ähnlich: Die mandelförmigen Augen, die schmale Nase und der würdevolle Mund mit den leicht aufgeworfenen Lippen. Der Uräus an ihrer Stirn war abgebrochen. Haremhab löste seinen Blick von dem kleinen Portrait und suchte das Gefäß zu dem Deckel in der Sargkammer. Mit einiger Mühe fand er es. Die Inschriften, die Kijas Namen und Titel nannten, waren sorgfältig unlesbar gemacht. Schließlich setzte Haremhab mit einem leisen knirschenden Geräusch wieder zusammen, was getrennt worden war. Er wandte sich rasch zum Gehen. Maja wird viel Arbeit haben, die Maat wiederherzustellen, dachte er auf dem Weg aus dem Dunkel der isfet zurück zum gleißend hellen Licht des Tages. Vor dem Grab gab Haremhab dem Bürgermeister, der von dem soeben Gesehenen nicht weniger entrüstet war, Anweisungen, den Zugang wieder zu vermauern und bis zum Eintreffen von Maja Tag und Nacht von vertrauenswürdigen Männern bewachen zu lassen. Zurück in Nefer-usi versammelte er seine Truppen um sich, um so schnell wie möglich weiter nach Wawat reisen zu können. „Es werden nicht mehr als zehn Tage vergehen, bis der Vorsteher des Schatzhauses hier eintreffen und die Überführung der Gebeine und der Beigabenreste nach Waset veranlassen wird“, erklärte er dem immer noch fassungslosen Bürgermeister. Den Weg zurück zum Nil nahm er durch die Ruinen der Häuser, Paläste und Tempel Achet-Atons, die vor gar nicht langer Zeit noch das Zentrum des Reiches gebildet hatten. Der Sand, den der Wind von allen Seiten über die Stadt trug, schliff die Lehmziegelmauern ab, begrub sie langsam unter sich und verwandelte die einstige Stätte pulsierenden Lebens in einen 253

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leblosen, öden Ort. Dachbalken gaben nach und Wände brachen in sich zusammen. Es war so, als wollten die Götter, dass die schmachvollen Jahre der Herrschaft des Echnaton aus der Erinnerung der Menschen getilgt würden. Ein göttliches iri-emtem-wen, das irgendwann Ägyptens Alptraum von Achet-Aton vergessen lassen wird, dachte Haremhab ernst. An den grausigen Anblick allerdings, den ihm das Königsgrab geboten hatte, würde er noch lange zurückdenken müssen. * Maja traf am zehnten Tag nach Haremhabs Abreise in Neferusi ein – ganz wie es der General vorausgesagt hatte. Er kam mit einem schweren Transportschiff und führte zwei Dutzend Träger aus dem Schatzhaus des Königs mit sich. Die adeligen Herren glauben wohl, den Arbeitern aus Nefer-usi ist nicht zu trauen, dachte der Bürgermeister missmutig, als er den fülligen Vorsteher des Schatzhauses, der leicht ins Schwitzen geriet, zum Königsgrab von Achet-Aton geleitete. „Der Zugang wurde vermauert und ist seit dem Besuch des Generals streng bewacht und nicht mehr betreten worden – ganz so wie es der Oberbefehlshaber angeordnet hat“, erklärte er dem Mann aus der Residenz, der nur abwesend nickte, als sie den Grabeingang erreicht hatten. Maja fühlte sich sichtlich unwohl in Achet-Aton, der Stätte seines früheren Schaffens. Sein Blick fiel sofort auf die verkohlte Hand, die auf dem Hügel mit den verbrannten Grabbeigaben lag, den der Wind inzwischen breit auseinandergeweht hatte. Er deutete angewidert mit seinem Wedel auf die gekrümmten Finger und verzog das Gesicht. „Schaff das fort!“, sagte er brüsk zum Bürgermeister, während seine Arbeiter die Mauer aus locker verlegtem Bruchstein abtrugen. Mit einer Fackel stieg Maja in die Dunkelheit und den widerwärtigen Gestank des geschändeten Grabes hinab. „Bei Amun“, entfuhr es ihm, als er in dem Raum ankam, der einst die Sargkammer zweier Könige und zweier Königsmütter gewesen war. Die entblößten und verstümmelten Körper der beiden Frauen ließen ihn erschaudern. Grau und steif waren sie 254

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ohne ihre Särge schutzlos auf zerstörte Teile der Grabausstattung geworfen worden. Viel würde er nicht mitnehmen können, die Eindringlinge hatten ihr Zerstörungswerk sehr gründlich durchgeführt. Der Leichnam von Echnaton war ebenfalls aus seinen Bandagen gelöst und völlig zerstückelt worden. Die Balsamierer hatten offenkundig wenig Sorgfalt bei der Mumifizierung des Königs walten lassen, denn von seinen Überresten stieg ein penetranter Geruch auf. Maja hielt sich ein Tuch vor Nase und Mund und zeigte den Trägern, was ins sechet-aat überführt werden sollte: Neben den Körpern der Toten gehörte der herrlich gearbeitete, menschengestaltige Holzsarg des Semench-ka-Ra dazu, der als einziger nicht völlig zerstört war. Zwar war der Name überall auf den goldenen Verzierungen unkenntlich gemacht, aber Maja wusste, um wessen Sarg es sich handelte. Auch wenn die goldene, aufgesetzte Gesichtsmaske heruntergerissen und gestohlen worden war, so war doch die Gestalt des Königs noch genau zu erkennen: Um seinen Körper schmiegten sich stilisierte Federn, die die Flügel der Göttinnen Isis, Nephthys, Selket und Neith darstellten, welche die Körper der Verstorbenen und deren Organe hüteten. Die Zepter des einstigen Pharaos waren aus seinen vor der Brust gekreuzten Händen gerissen worden. Dafür befand sich an dem beschädigten Kopf noch der aus Holz gefertigte, unten eng zusammenlaufende und leicht nach vorne gebogene Götterbart und auf dem Haupt saß die mit einem schützenden Uräus verzierte nubische Perücke. Ein ungewöhnlicher Kopfschmuck für einen Königssarg, dachte der Vorsteher des Schatzhauses, dann jedoch hob er gleichgültig die Schultern: Semenech-ka-Ra war ohnehin in jeder Beziehung ungewöhnlich gewesen. Ferner entschied sich Maja für einen hölzernen Schrein, dessen Einzelteile in der Kammer verstreut lagen, alle noch vorhandenen Stücke aus Edelmetall, die Kanopen der Kija, magische Ziegel, die die Sargkammer nach jeder Himmelsrichtung hin schützen sollten, und viele unzerstörte Kleinteile aus Edelmetall oder Stein, die die Eindringlinge in ihrer Raserei übersehen hatten. Zurück blieben alle beschädigten Beigaben, die für die Toten keinen Nutzen mehr haben konnten. Während die Träger damit beschäftigt waren, die schwere Fracht zum Fluss zu transportieren, stieg Maja in aller Heimlich255

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keit zu den verlassenen Felsengräbern der Privatleute von AchetAton. Die beiden Arbeiter, die ihn begleiteten, trugen Meißel, Gipsmehl, Gefäße zum Anrühren und gefüllte Wasserschläuche bei sich. Immer wieder drehte Maja sich um, um sicher zu gehen, dass ihnen niemand folgte – und sei es mit den Augen. Als sie auf der Gräberterrasse angekommen waren, blickte sich der Schatzhausvorsteher zu dem unter ihm liegenden Niltal um und ließ seinen Blick über die Ruinen wandern, die einst die Hauptstadt Achet-Aton gebildet hatten. Die Wüste holte sich viel von dem Gebiet zurück, das Echnaton ihr einst genommen hatte, und den Rest würde die Zeit zum Einsturz bringen – und das war auch gut so, dachte er. Maja schämte sich, einst eine tragende Funktion in Echnatons Regime gespielt zu haben, und er wollte nicht, dass Menschen, die sich einst hierher verirren sollten, eine Verbindung zwischen dem bedeutenden Schatzhausvorsteher des Königs Tut-anch-Amun und dem hohen Würdenträger unter Echnaton erkennen würden. Sein Ziel war ein bestimmtes Grab dieser unvollendet gebliebenen Anlagen. Niemand hatte dieses Haus der Ewigkeit bezogen, denn bislang war nur der Eingangskorridor fertiggestellt. Maja befahl den beiden Männern: „Sowohl die Inschrift am Eingang als auch alle Darstellungen und Namen des Grabbesitzers schlagt geschwind heraus!“ Über die zerstörten Stellen sollten sie danach eine Schicht Gips auftragen, die alles überdeckte, um den Anschein zu hinterlassen, dass hier niemals der Name oder die Gestalt des Grabbesitzers eingemeißelt worden war. Die Arbeiter gehorchten, ohne Fragen zu stellen. Des Lesens kundige Männer hätten festgestellt, dass der Name, den sie vernichteten, Maja lautete.

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Kapitel 7 Das Blut der Könige Viele Jahre waren seitdem vergangen. Tut-anch-Amun zählte inzwischen 18 Sommer. Die Gebeine seines Vaters waren von Maja zusammen mit den wenigen noch erhaltenen Beigaben aus der geschändeten Anlage der ehemaligen Hauptstadt in dem unfertigen Grab niedergelegt worden, das für Eje im sechet-aat begonnen worden war. Echnatons Überreste befanden sich in Semenech-ka-Ras Sarg – einen schützenden steinernen Sarkophag, der ihn umschlossen hätte, gab es nicht; die Eingeweidekrüge stammten von Kija und der hölzerne Schrein von Teje. Der Schatzhausvorsteher hatte nicht viel Zeit aufgewandt, sondern die Arbeiter angetrieben, sich zu beeilen. Die Mumien von Kija und Teje hatte er im Königsgrab von Osiris-Amenophis NebMaat-Ra im westlichen Seitenarm des Tals beisetzen lassen, wo bereits der schon früh verstorbene Kronprinz Thutmosis bei seinem Vater ruhte. In diesem Ausläufer hatte auch Tut-anch-Amun den Ort seines Grabes, in der Nähe zu dem seines Großvaters gewählt. Eje erhielt einen neuen Grabplatz, nur knapp 70 Ellen von der ursprünglich für ihn geplanten Anlage im Zentrum des Haupttals entfernt, dessen Baubeginn Maja unverzüglich veranlasst hatte. Haremhabs Feldzug nach Wawat hatte ihn und das Bataillon des Amun, das er im Bereich von Waset übernommen hatte, lange im Ausland gebunden. Die Aufständischen waren große und stolze Menschen, deren Niederwerfung nicht einfach gewesen war. Viele von ihnen überragten die ägyptischen Soldaten um eine Kopfeslänge. Sie kämpften ohne Regeln und scheinbar planlos, dafür jedoch mit einer unerwarteten Brutalität und Furchtlosigkeit – was die Ägypter verunsicherte. Doch schließlich gelang es, nach zahllosen Schlachten und einer zeitaufwendigen Belagerung, den Machthaber der Schwarzen – nicht ohne erheblichen Widerstand – zum Treueeid auf den ägyptischen König zu bewegen. Währenddessen begehrten die nubischen Gefangenen im ägyptischen Lager erneut auf und waren nur noch durch Hiebe und körperliche Strafen unter Kontrolle zu halten. 257

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Der Oberbefehlshaber der Armee und General der Generäle konnte nach vielen Kriegsmonaten Hui, dem ägyptischen Vizekönig von Nubien, ein gänzlich befriedetes Land überlassen und selbst, zum Ruhm seines Königs, mit einer stattlichen Anzahl nubischer Gefangener nach Ägypten zurückkehren. Die Ehe des Königs mit Anch-es-en-Amun war keinesfalls glücklich. Seine Frau fand zwar durchaus Gefallen an ihrer Rolle als Königin von Ägypten, aber nicht im Mindesten an ihrem Gemahl. Sie vermochte es nicht, ihm Liebe und Respekt entgegenzubringen, denn sie sah in ihm nicht den starken Pharao an ihrer Seite, sondern nur ihren jüngeren Halbbruder, der allein durch sie auf den Thron gekommen war. Haremhab, den ehemaligen Erzieher ihres Mannes, den dieser wie einen Vater liebte und verehrte, betrachtete sie indes als persönlichen Verräter am Königtum Ägyptens. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, funkelten die temperamentvollen schwarzen Augen der Königin, in der sich die herbe Eleganz ihrer Großmutter Teje und die Anmut und Schönheit ihrer Mutter Nofretete vereinten, vor Zorn. Da sie den Mann an ihrer Seite verabscheute, in ihm nur ihren schwächlichen, erbärmlichen, kleinen und schmächtigen Bruder, das Wechselbalg aus einem Verhältnis ihres Vaters mit einer anderen Frau, die er nur aus Mitleid aufgenommen hatte, sah, unterhielt sie eine Vielzahl schmutziger Affären mit wechselnden Wachleuten des Palastes. Sie verhielt sich wie eine billige Hafendirne und machte Tut-anch-Amun zum Gespött des Königshauses. „Wie will ein Bübchen, das nicht einmal seine eigene Frau regieren kann, ein ganzes Reich beherrschen?“, war die gängige Frage, die Anches-en-Amuns Frivolitäten hervorriefen. Aus diesem Grund hatte Haremhab schließlich die Wachhabenden durch Männer seines Bataillons ersetzt, von denen er wusste, dass die Reize des weiblichen Geschlechts für sie ungefährlich waren. Sollte die Königin ihr Verhalten trotzdem nicht ändern und ihren Gemahl weiterhin zum heimlichen Gespött des Palastes machen, blieb ihm keine andere Möglichkeit, als sie zu beseitigen. Nach außen wahrte sie jedoch den Schein einer liebenden Königin und ließ sich bei Spaziergängen im Palastgarten abbilden, wie sie Tut-anch-Amun üppige Blumensträuße darbrachte, ihn zärtlich salbte oder bei der Vogeljagd begleitete. 258

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Als seine Frau ließ Anch-es-en-Amun ihren Mann sie nur selten erkennen – zweimal war sie mit Mädchen schwanger, die jedoch geboren wurden, bevor ihre Zeit gekommen war, und starben. Ob diese allerdings von ihrem Gemahl waren, vermochte niemand zu sagen. Aber der König konnte einen beachtlichen Harîm sein Eigen nennen, in dem die schönsten Mädchen des Reiches lebten und sich ihm mit Liebe, Wärme und Achtung hingaben, wenn er die Lust seiner Lenden zu befriedigen gedachte und die Kälte seiner Frau ihn frösteln ließ. Tut-anch-Amun verbrachte viel Zeit damit, mit dem Streit­ wagen die westliche Wüste zu durchstreifen und das Wild auf Jagden zu erlegen. Hierbei stellte er sich vor, dass er wie Haremhab die Feinde Ägyptens niederstreckte, und freute sich insgeheim darauf, ihn bei einem nächsten militärischen Einsatz zu begleiten. * An einem Vormittag in der Kaserne erhielt Haremhab eine Depesche aus dem Palast. Verwundert brach er das Siegel Tut-anchAmuns und las die Zeilen. „An Haremhab, den Oberbefehlshaber meines siegreichen Heeres: Meine Majestät wünscht, nach langer Zeit wieder mit dem obersten General mit dem Streitwagen durch die Wüste zu fahren, so wie er es mich einst lehrte und wie wir es immer zu tun pflegten, als Meine Majestät noch ein Kind war. Meine Majestät erwartet dich in der zehnten Stunde des Tages, wenn die Sonne den höchsten Punkt bereits lange überschritten haben wird und die Luft für Tier und Mensch wieder erfrischend ist in der Wüste westlich von Men-nefer.“ Haremhab lächelte amüsiert, als er die Nachricht faltete. Aus Tut-anch-Amun ist ein beachtlicher junger Mann geworden, dachte er. Ägypten schrieb bereits das zehnte Jahr unter seiner Regierung und von den düsteren Dämonen des Vaters war bei ihm nichts festzustellen. Im Gegenteil, er besaß ein offenes Wesen, die Untertanen liebten und verehrten ihn und die allmähliche Restauration des Landes machte gute Fortschritte. Haremhab hegte die Überzeugung, dass dieser König einer der 259

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bedeutendsten Herrscher Ägyptens werden könnte, denn er war mit seinen achtzehn Sommern noch jung, hatte bereits viel erreicht und würde, bis er eines Tages im hohen Alter sein Haus der Ewigkeit im sechet-aat beziehen würde, noch Herausragendes leisten können. Eje sprach inzwischen immer häufiger von seiner Familie als dem „Blut der Könige“ und ermahnte den Enkel seiner Schwester, sich stets der Herkunft dieser Blutlinie aus nicht adeligen Kreisen zu erinnern und daraus seinen Stolz zu schöpfen. Neben allem Pomp und höfischer Etikette solle er nie seinen Ursprung aus den Augen verlieren, der ein Zeichen großer Kraft darstelle. „Es erfordert nicht viel, oben geboren zu werden, aber umso mehr, nach oben zu kommen“, waren dann seine Worte und Haremhab dachte jedes Mal an Ejes erschreckenden Vergleich mit den Stufen. Tut-anch-Amun hingegen nahm die Worte des Alten bereitwillig auf und zeigte sich aus diesem Grund oft mit einem langen Stock in der Hand, auf den er sich stützte – denn was dem König oder den Göttern die Zepter waren, das waren Stöcke und Stäbe für Machthaber und Vorarbeiter aus dem Volk. Auf Ejes Rat hin ließ er sich aus diesem Grund auch oft mit einem Stab abbilden. „Damit die Ewigkeit dich als etwas Besonderes zählt“, sagte der Wesir der Wesire. Haremhab rief seinen Schreiber Semen-taui und diktierte ein Antwortschreiben an den König: „An den König von Ober- und Unter­ ägypten, Neb-cheperu-Ra, den Sohn des Ra, Tut-anch-Amun, Herrscher des südlichen Iunu: Ich werde mit großer Freude den Wunsch Seiner Majestät erfüllen und ihn zu Beginn der heutigen Abendzeit in der Wüste im Westen von Men-nefer erwarten.“ Haremhab wählte für das Treffen mit dem König seinen leichteren Jagdwagen, denn er wusste, dass Tut-anch-Amun immer auf ein Wettrennen aus war. Als der General den Treffpunkt erreichte, waren zwar die Leibgarde des Königs und einige Dienstboten anwesend, aber der Pharao selbst war nirgends zu sehen. Haremhab brachte seinen Zweispänner vor den Männern zum Stehen, die sich ehrfürchtig verbeugten. Er stieg ab, erwiderte die ihm entgegengebrachte Begrüßung halbherzig und erkundigte sich umgehend nach dem Verbleib des Pharaos. 260

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„Der König wollte vor Euch hier sein und seine Hengste warmlaufen, um Euch im Wettstreit besiegen zu können.“ „Ihr habt ihn ohne Begleitung fahren lassen?“, rief Haremhab ungläubig. „Aber Herr“, sagte einer der Wachleute beschwichtigend, „Seine Majestät hat es uns ausdrücklich befohlen und außerdem sind wir ohne Pferde und könnten mit der Geschwindigkeit der beiden galoppierenden Hengste des Königs nicht mithalten!“ „Wie lange ist er bereits fort?“ Die Männer hoben ratlos die Achseln und schauten sich an. „Etwa so lange wie es braucht, an einem schönen Tag ein ausgedehntes wab-ra mit seiner Familie einzunehmen“, grinste einer. Einige Wachleute lachten über den Vergleich und wollten schon zu derben Zoten ansetzen, als der General ihnen einen eisigen Blick zuwarf, der sie stattdessen betreten zu Boden starren ließ. Haremhab kniff die Augen zusammen und spähte in die Ferne des endlosen westlichen Horizonts, an dem die Sonne schon sehr tief stand und die Schatten der Wartenden lang machte. Er vermochte nicht zu sagen, weshalb, aber er hatte ein ungutes Gefühl. * Haremhab ließ den Zeitraum eines weiteren Frühstücks verstreichen, während dessen die Sonne weiter sank und die innere Stimme, die ihm böse Vorahnungen einflüsterte, lauter wurde. Inzwischen war auch unter den übrigen Anwesenden eine spürbare Unruhe zu bemerken, die sich in konzentriertem Schweigen niederschlug. Es dauerte noch eine Weile, bis Haremhab im Gegenlicht, das den Himmel blutrot färbte, den Wagen des Königs erblickte, der in ungebremstem Jagdgalopp auf sie zustürmte. „Amun sei Dank“, pries ein Diener und die anderen stimmten mit ein. Haremhab jedoch schwieg, denn schon von Weitem war zu erkennen, dass die Tiere unruhig wirkten und ihr Weg ungeführt und außer Kontrolle zu sein schien. Wie er erkennen konnte, hatte auch der König einen leichten Jagdwagen für ihren heutigen Ausritt gewählt. 261

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Die Hengste bewegten sich weiter auf die Gruppe zu, wobei ihre farbigen Federbüsche wild hin und her tanzten. Die Männer warfen sich angesichts des nahenden Königs in den Staub, während Haremhab stehenblieb und nun deutlich erkennen konnte, dass sich auf dem kleinen Wagen niemand befand, der ihn lenkte. Die Pferde kamen bedrohlich schnell näher und ihre mächtigen Hufe donnerten in den Sand. Dann änderten sie leicht ihre Richtung, damit sie nicht in die Ansammlung der Wartenden rennen würden. Schnelles Handeln war jetzt gefragt, denn der General plante, sich den Pferden in den Weg zu stellen, um sie auf diese Weise aufzuhalten. Die aufgeregten Tiere waren nur noch so weit entfernt, dass Haremhab das Weiße in ihren aufgerissenen Augen ausmachen und das wilde Schnauben aus ihren aufgeblähten Nüstern hören konnte. Er jedoch stand ganz still und fixierte den linken Hengst des Gespanns. Dann hob er langsam beide Arme und stieß langgezogene, beruhigende Laute aus. Die Pferde verringerten die Distanz zwischen Haremhab und sich mit bedrohlicher Geschwindigkeit und konnten schließlich mit dem Gewicht des wenig gelenkigen Wagens hinter sich ihrem Hindernis nicht mehr ausweichen. Haremhab vernahm das typische Schnarren der rennenden Tiere, mit dem sie zum Ausdruck brachten, dass sie Angst hatten, doch er ließ seinen Blick nicht von den Augen des linken Tieres. Mühsam schafften die Hengste es, in einen ruhigeren Trab zu wechseln und schließlich vor dem General zum Stehen zu kommen. Ihre bunten Federbüschel waren verrutscht und ihre braunen Körper schaumig geschwitzt. Haremhab streichelte den erschöpften Tieren die Stirn und ging dann langsam um sie herum. Er sog die warme Abendluft tief durch die Nase ein – wie er befürchtet hatte, war der Wagen leer. Nur noch der Köcher, in dem Pfeile für die Jagd steckten, war an der Innenseite befestigt. Vom König fehlte jede Spur. Haremhab hoffte, dass der Grund für die Abwesenheit des Pharaos sich auf ein Scheuen der Pferde zurückführen lassen würde und nicht auf ein Attentat. Denn auch wenn die Tiere gut ausgebildet und nicht ängstlich waren, war es doch schwer zu verhindern, dass sie bei dem Anblick eines Raubtiers oder einer Schlange sofort erschraken und flohen. Da Raubkatzen nur selten in diesem Teil des Landes vorkamen, 262

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vermutete der General, dass die Tiere die Begegnung mit einer Giftschlange gemacht hatten. Entweder war Tut-anch-Amun abgestiegen, um vielleicht einen erlegten Hasen aufzunehmen, als die Hengste scheuten, oder er hatte sich zu diesem Zeitpunkt im Streitwagen befunden, die Kontrolle über die Tiere verloren und war hinausgestürzt. Dann war er vielleicht verletzt. Haremhab rief einen der entsetzten Diener zu sich und trug ihm auf, die Pferde des Königs zurück in die Stallungen zu bringen, dann schwang er sich auf seinen Wagen, trieb seine Tiere scharf mit der Peitsche an und verschwand in einer schnell aufstobenen Staubwolke, die die Dunkelheit der beginnenden Nacht verschluckte. * Es dauerte nicht lange, bis er Beh-ka gefunden hatte, den wachsamen jungen Hund, den der König seit einigen Monaten besaß und der ihn seitdem auf alle Jagdausflüge begleitete. Tut-anch-Amun liebte dieses Tier; er hatte sogar eine Scheide für einen seiner Dolche in Auftrag gegeben, an dessen unterem Ende Beh-kas Kopf zu sehen war. Der verängstigte Hund bellte laut in die Schwärze der Nacht, um alle möglichen Feinde, die sich in ihr verbergen mochten und seinen Herren und ihn zu bedrohen suchten, zu vertreiben. Schon von Weitem konnte Haremhab den Hund wahrnehmen und musste nur noch dessen hektischen und unregelmäßigen Lauten folgen. Beh-ka begann bedrohlich tief zu knurren, als er das leise Quietschen der Wagenräder und die Geräusche der Pferdehufe im Sand vernahm, die sich nun bedächtig näherten. Haremhab zog die Zügel an und brachte den Wagen zum Stehen. „Majestät“, rief er in die Düsternis, die ihn umgab, „seid Ihr hier?“ Keine Antwort, nur Knurren. Er stieg vom Wagen und sprach ruhig auf Beh-ka ein, während er sich ihm behutsam näherte. Dabei konnte er die Konturen des Tieres nicht ausmachen, sondern folgte nur den Geräuschen, die es von sich gab. Plötzlich verstummte das Knurren und im nächsten Augenblick löste sich der sandfarbene Hund aus der Nacht und kam mit zögerlichen Schritten, gesenktem Kopf und langsam wedelndem Schwanz auf den Mann zu. 263

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Er hatte Haremhabs Stimme und seinen Geruch erkannt. Jetzt waren sich Mann und Hund ganz nah. Haremhab hockte sich hin, um weniger bedrohlich zu wirken und so auch noch die letzten Reste von Beh-kas Zweifeln zu zerstreuen, und streckte ihm die flache Hand entgegen. Haremhab spürte die feucht-kalte Hundenase zögerlich seinen Handrücken abfahren. „Beh-ka, wo ist dein Herr?“ Der Hund sah ihn aus treuen Augen an, drehte sich um und ging zielstrebig auf den König zu, der nur wenige Ellen entfernt im Meer aus Dunkelheit gestrandet am Boden lag. „Majestät!“ Der Angesprochene rührte sich nicht. Haremhab kniete sich, aufs Tiefste besorgt, zu ihm. Tut-anchAmun lag auf seiner rechten Seite, sein Bein war grotesk vom Körper abgewinkelt, der Knochen des Oberschenkels war wie ein Stab in der Mitte zerborsten, eine der scharfen Bruchstellen hatte das Fleisch und die Haut durchstoßen und ragte nun aus einer blutigen Masse heraus. Der General legte seine Finger an den Hals des Königs, wo er einen schwachen, aber dennoch vorhandenen Herzschlag ertastete und erleichtert aufatmete. Aber Tut-anch-Amun verlor viel Blut. Eine Trage würde dem Verletzten einen weniger schmerzhaften Transport gewährleisten, aber Haremhab konnte nicht in den Palast reiten und den König allein in der nächtlichen Wüste lassen, wo es um diese Zeit von bösen Wesen nur so wimmelte. Der Pharao war geschwächt, dem Tod näher als dem Leben, und die Dämonen der Dunkelheit, die vor vielen Jahren Haremhabs Frau und Tochter getötet hatten, warteten nur auf solche Gelegenheiten, um ihr unseliges Werk zu verrichten. So schwer es ihm fiel: Er musste den König auf seinen Jagdwagen bekommen, dessen Boden gerade einmal so viel Raum bot, dass höchstens zwei Männer auf ihm stehen, aber keiner auf ihm liegen konnte. Beh-ka bellte jetzt nicht mehr, sondern beobachtete mit schräg gelegtem Kopf interessiert, was Haremhab tat. Das nun einsetzende Heulen der Schakale machte den General zusätzlich nervös. Es half nichts, er musste den Jungen auf den Wagen bekommen und er musste es schnell tun, denn sie hatten keine Zeit zu verlieren. Deshalb ging er zu seinem Gespann, nahm einen Pfeil 264

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aus dem Köcher, zerbrach ihn krachend in der Mitte und warf die Spitze weg. Mit dem Ende kehrte er zu dem Verletzten zurück. Dabei führte er seine Tiere an den Zügeln näher an den König heran. Vorsichtig schob er nun den zerbrochenen Pfeil zwischen die Zähne des Bewusstlosen, legte ihm seinen linken Unterarm unter die Kniekehlen und fasste mit seiner rechten Hand in die linke Armbeuge, so dass sich der linke Arm des Verletzten wie von selbst um seinen Nacken legte. Der König stöhnte schon jetzt vor Schmerzen. „Verzeiht mir, Majestät“, flüsterte er, bevor er ihn hochhob. * Der Bruch war kompliziert, aber er heilte. Nachdem die Bruchstellen wieder aneinander gefügt worden waren, wurde die Wunde zunächst mit frischem Fleisch, Fett, Honig und Fasern behandelt. In den folgenden vier Tagen trug man eine aus jeweils einem Teil mesta-Flüssigkeit, Koloquinten- und Bohnenmehl hergestellte Masse auf die Verletzung auf, danach weitere vier Tage Packungen aus Ton, Gummi, Honig, Christdorn- und Sykomorenfrüchten sowie den Früchten des ima-Baumes. Das Bein wurde mit Holzbrettern geschient und der König durfte nicht aufstehen. Was den Ärzten weitaus größere Sorgen als der Bruch bereitete, war die Verfassung des Pharaos. Er war durch den Blutverlust und die großen Schmerzen stark geschwächt, selten bei Bewusstsein und aß und trank dann nur wenig, bekam Fieber mit Schüttelfrost, Husten und warf schleimigen rit aus. Die Mediziner sprachen von neser-Erregern in der Lunge und nannten Tut-anch-Amuns Zustand kritisch. In einem der wenigen wachen Momente berichtete der König kraftlos, dass seine Pferde in vollem Galopp vor einer Kobra gescheut hatten, die plötzlich hinter einem Stein zum Vorschein gekommen sei. So war zumindest der Verdacht der Sabotage, den Haremhab und Eje hegten und die deshalb den königlichen Jagdwagen gründlich, aber ohne Ergebnis, untersucht hatten, unbegründet. Die Priester sahen jedoch für die Zukunft bedrohliche Zeichen 265

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in den Sternen, dem Flug der Vögel und dem Lauf des sich kräuselnden und aufschäumenden Wassers. Der König von Ober- und Unterägypten, der Herr der Beiden Länder, Neb-cheperu-Ra, der Sohn des Ra und Herr der Kronen, Tut-anch-Amun, Herrscher des südlichen Iunu, starb nur 50 Tage nach seinem Unfall in den frühen Stunden eines strahlend hellen Tages zu Beginn des 4. Monats der peret-Jahreszeit in seinem 10. Regierungsjahr. Sein ausgezehrter Körper hatte den Erregern, die seine Schwäche begünstigten, nichts mehr entgegenzusetzen gehabt. * Haremhab litt unter dem Tod des Königs, als sei sein eigener Sohn gestorben. Er betrauerte ihn viele Tage und Nächte lang, ohne dass er deren Anzahl kannte, und rasierte sich als Zeichen seines Seelenschmerzes nicht mehr. Aber Eje und er mussten trotz aller Trauer um den hoffnungsvollen jungen König die Zukunft des Landes planen, denn die Lage war brisant: Tut-anch-Amun hatte weder mit seiner Hauptgemahlin Anch-es-en-Amun noch mit irgendeiner seiner Konkubinen ein Kind gezeugt – weder einen Jungen, der später einmal das Pharaonenamt über das Land selbst ausüben, noch ein Mädchen, das dem zukünftigen Thronfolger durch Heirat den Weg ebnen könnte. Dieser Zweig der Blutlinie der Könige drohte, sich nunmehr im Sand zu verlieren. Eje und Haremhab saßen sich in der Kammer des Wesirs im Palast gegenüber. Trauergesänge und Klagen klangen aus dem Audienzsaal, nur wenige Ellen entfernt, in dem auf einem Podest der verlassene, reich verzierte und vergoldete Thron des verstorbenen Herrschers stand. Die Beine waren den Tatzen von Löwen nachempfunden. Wenn man vor ihm stand, erkannte man, dass die beiden vorderen an den oberen Enden zudem in Löwenköpfen ausliefen. Auch Haremhab hatte dem leeren Thron bereits seine Aufwartung gemacht, dies symbolisierte, dass der zu Osiris werdende Herrscher zwischen seinem Ableben und seiner Beisetzung noch immer der König des Reiches war. Zum ersten Mal hatte der General einen Blick auf die Verzierungen der Lehne des pracht266

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vollen Stuhles werfen können: Dort saß Tut-anch-Amun auf eben diesem Thron, trug eine kurze Perücke mit Diadem, auf der die weit ausladende hemhem-Krone festgemacht worden war, einen breiten Halskragen sowie den langen und aufwendigen Schurz. Ein Arm war lässig über die Rückenlehne gelegt. Unter den Strahlen der Sonne stand Anch-es-en-Amun mit der Hathorkrone auf der nubischen Perücke und einem langen Gewand vor ihm und huldigte ihrem Gemahl, indem sie seinen Körper salbte. Diesem Teil der Darstellung hatte Haremhab nur ein verächtliches Schnauben entgegenzubringen vermocht. In Ejes Arbeitszimmer hing die Frage nach der Nachfolge unausgesprochen und schwer in der Luft, doch die beiden Männer umgingen das Thema, da es unlösbar schien und die Trauer ihrer beider Gedanken lähmte – wie Haremhab glaubte. Plötzlich wurde die Monotonie der Klagen aus dem Thronsaal vom durchdringenden und anhaltenden Heulen eines Hundes zerrissen. „Ich werde den Hund Seiner Majestät ertränken lassen müssen“, sagte Eje kalt. Haremhab zog verständnislos die Augenbrauen zusammen. „Weshalb?“ Eje hob eine Achsel und deutete dann zur Tür. „Du hörst es selbst. Er ist schlecht ausgebildet, schlägt bei jedem Geräusch an und heult den ganzen Tag. Ich habe selbst keine Zeit, mich um ihn zu kümmern und kenne auch niemanden hier, der diese Zeit aufbringen könnte.“ „Gib ihn mir. Er wird mir ein treuer Begleiter und eine Erinnerung an den König sein.“ Nun hob Eje beide Schultern und auch seine Augenbrauen. „Wie du wünschst! Nimm ihn nachher mit dir“, meinte er gleichgültig. Haremhab nickte knapp. Er hatte noch nie einen Hund besessen und wusste nicht genau, worauf er sich einließ, aber schwieriger als einen Haufen junger Männer in der Kaserne zu formen, konnte es nicht sein. Nachdem sie wieder eine Weile geschwiegen hatten, war es Haremhab, der es schließlich aussprach: „Wer soll es werden?“ Eje sah ihn fest an und rutschte dann unruhig auf seinem Stuhl hin und her. 267

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„Nun“, begann er zögerlich und hüstelte verlegen, „ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu der einzigen möglichen Lösung gekommen.“ Da tauchte mit einem Mal ein furchtbarer Gedanke aus den Tiefen von Haremhabs Innern an die Oberfläche seines Bewusstseins. Ejes Worte, die er vor langer Zeit an ihn gerichtet hatte, klangen nun wie geisterhaftes Flüstern in seinem Kopf nach: „Macht bahnt sich ihren Weg nach oben. Nur die Gewinner wissen, wie sie die nächste Stufe erreichen können.“ Die Erkenntnis traf ihn wie eine Ohrfeige: Eje wollte den Thron! „Da ich die Regierungsgeschäfte in allen Bereichen gut kenne, nunmehr seit zehn Jahren die Regierung selbst im Namen des Königs ausübe und zudem ein Blutsverwandter des Verstorbenen bin, glaube ich, dass mir die Ehre der Thronfolge zu Recht zusteht!“ Haremhab sagte nichts. Zwar war es ausgeschlossen, dass Eje Tut-anch-Amuns Unfall veranlasst oder beabsichtigt hatte, aber es war eindeutig, dass er das Unabwendbare nun zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen gedachte. Der Wesir beabsichtigte, die letzte noch verbleibende Stufe der Treppe der Macht zu erklimmen. Abscheu stieg in Haremhab auf, der Alte war ein Monster und hatte im Angesicht des Todes des Enkels seiner eigenen Schwester nur seine eigene Karriere im Sinn – der gerissene Alte sah hierin die Chance, seine persönliche Eitelkeit mit dem höchsten Amt, das die Welt zu bieten hatte, zu bekrönen: Der Krone Ägyptens! Nach einer Weile fing Haremhab sich wieder, denn in gewisser Weise hatte Eje Recht. Es blieb keine andere Möglichkeit, als dass einer der beiden Männer, die bereits unter dem verstorbenen Pharao die Regierung geführt hatten, der neue Thronfolger wurde – es sei denn, die Witwe würde bald erneut heiraten – und dass diese eine weise Wahl treffen würde, wagte Haremhab entschieden zu bezweifeln. Er lächelte sein Gegenüber freundlich an. „Da dem so ist, lieber Eje, unterstütze ich dich mit Freude, aber beteilige mich als Mitregent und als deinen Nachfolger im Königs­amt“, wünschte Haremhab, „denn mit mir hast du bei etwaigen Erschwernissen während der Thronübernahme die volle Unterstützung des Heeres und zudem die Erfahrung als Regent, 268

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die ich unter Osiris-Tut-anch-Amun, dem Seligen, unser beider Schützling, unter Beweis zu stellen vermochte.“ Eje faltete die Fingerspitzen beider Hände vor der Nase zusammen und dachte nach. Nur eine steile Falte über seinem Nasenrücken verriet seinen wahren Gemütszustand. Schließlich blickte er Haremhab fest an. „Ich wüsste nicht, wer ein würdigerer Partner für mich wäre als du“, sagte er ruhig. „Bekomme ich dein Wort darauf?“ „Du hast mein Wort darauf!“ Haremhab verließ den Palast in einer Stimmung, die ein wenig besser war als die, mit der er gekommen war. Er lächelte. Horus feierte. * Eines frühen Morgens, die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Gesang der Vögel hatte schon begonnen, wurde er durch heftigen Lärm vor den Toren seines Anwesens unsanft aus einem traumlosen Schlaf gerissen. Jemand begehrte Einlass zu ihm, wurde von den Wachen aufgehalten und lieferte sich ein lautstarkes Wortgefecht mit den diensthabenden Wachleuten. Dann verstummte der Streit so unerwartet, wie er begonnen hatte. Es dauerte nicht lange, bis es danach an die Tür von Harem­ habs Schlafgemach klopfte. „Ja“, gewährte er, noch völlig schlaftrunken, und setzte sich auf die Bettkante. Semen-taui stand vor ihm. Die Wache hatte ihn geweckt, damit er beim Hausherrn vorsprach. „Verzeiht, General, aber vor dem Tor steht ein Soldat in sehr ... mitgenommener Verfassung und begehrt dringenden Einlass zu Euch!“ „Er soll seine Nachricht am Tor abgeben, wie alle anderen Boten auch!“ Haremhab war verärgert. „Das ist der Grund, der zur Besorgnis mahnt – er gibt vor, keine schriftliche Nachricht zu haben, sondern behauptet, ein Bote vom Bogenoberst und Vorsteher der Pferde, Ra-messu, mit einer wichtigen mündlichen Mitteilung zu sein, die er nur Euch persönlich überbringen darf.“ 269

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„Er soll in der Halle auf mich warten!“ „Aber Herr, er hat nicht einmal ...“ „Beruhige dich, Semen-taui“, Haremhab zwang sich zu einem schiefen Lächeln, bei dem die unrasierten Wangen jedoch nur leicht gehoben wurden. „Würde er mich töten wollen, hätte er auch eine fingierte Depesche bei sich, nur um den Schein zu wahren!“ Er stand auf, noch immer benommen. „Lass aber dennoch die Wachen der Halle im Innern Aufstellung nehmen!“ Semen-taui verbeugte sich und zog sich zurück, während der General in sein Ankleidezimmer ging, einen knielangen Leinenschurz griff und halbherzig umlegte. Er band einen schmalen Gürtel um den oberen Abschluss und schob einen Dolch hinein. Vorsicht war in jedem Fall ratsam. Ansonsten verzichtete er auf Schmuck, sämtliche Abzeichen seiner Würde, eine Perücke und wohlriechende Öle. Der Bote hatte ihn schließlich aus dem Schlaf gerissen und war kein Gast eines gesellschaftlichen Empfangs – außerdem war der General in Trauer, während der man die Körperhygiene auf das Nötigste beschränkte. Als Haremhab schnellen Schrittes in die Halle trat, wartete der Bote bereits im Schein von zwei Feuerbecken, die die Hausdiener entzündet hatten, und verbeugte sich. Semen-tauis Anmerkung, der Mann sehe „mitgenommenen“ aus, war mehr als untertrieben: Der Soldat war ebenso wie der Hausherr unrasiert und sein blutverschmierter und zerrissener Aufzug deutete darauf hin, dass er noch vor wenigen Tagen inmitten eines gewaltigen Kriegsgeschehens gekämpft hatte. „Mein Herr, bitte verzeiht die Störung, aber ich bringe eine dringende und schlechte Nachricht von General Ra-messu, der keine Zeit mehr gefunden hat, sie schriftlich zu formulieren!“ Haremhabs Augen weiteten sich sorgenvoll. Er hatte Tut-anchAmun vor etwa zwei Jahren empfohlen, wegen der gefährlichen Situation in Vorderasien, wo der elende Feind von Chatti nicht müde wurde, immer neue Gebiete für sich zu annektieren, seinen fähigen Freund Ra-messu als Gesandten des Königs nach Kepeni zu schicken, um den dortigen Kommandanten zu unterstützen und die ägyptischen Besitzungen besser schützen zu können. Haremhab nickte als Zeichen für den Boten, seine Nachricht überbringen zu dürfen, dieser berichtete in knappen Worten von 270

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den unheilvollen Veränderungen in den nördlichen Fremdländern: Das von Chatti besiegte und mit Ägypten freundschaftlich verbundene Königreich von Naharina war inzwischen durch die immer weiteren Eroberungen oder Bündnisverträge der Chatti territorial vom Einflussgebiet des Pharaos abgeschnitten. Aber Naharina gab sich noch nicht geschlagen, sondern griff Chatti von Norden her an, während Ra-messu zur selben Zeit seine Truppen von Süden her auf Qedesch schickte, das inzwischen auch zum Chatti-Gebiet gehörte. Doch anstatt der erhofften siegreichen Zwei-Fronten-Schlacht verlor Naharina, und Schuppiluliuma, wie der Name des elenden Feindes von Chatti lautete, griff nach Süden aus und drang in ägyptisches Hoheitsgebiet ein, als der gefürchtete Oberbefehlshaber Haremhab, dessen Name berühmt war im Lande von Chatti, in Trauer um seinen Zögling, den König Ägyptens, war. Schuppiluliuma hatte Amka überrannt, seine Besitztümer geplündert, die Männer getötet und die Frauen geschändet. Was er nicht mitnehmen konnte, zündete er an – gleich, ob Mensch oder Tier. Eine Katastrophe und ein schwerer Schlag für das ohnehin schon durch den Tod des Königs geschwächte Ägypten. „Wie geht es Ra-messu? Ist er unverletzt?“ „General Ra-messu ist unverletzt, mein Herr.“ Haremhab war beruhigt. „Wir brechen sofort auf“, entschied er. * Haremhab legte fest, dass Nacht-Min und seine Einheit nicht an dem Feldzug teilnehmen sollten, denn er vertraute weder den militärischen noch den persönlichen Fähigkeiten von Ejes Sohn. Stattdessen zog er mit einem Großteil des Bataillons des Ptah in Richtung Kepeni. Zur selben Zeit erreichte ein ägyptischer Bote, der vor Wochen mit einem Brief vom Palast in Men-nefer ausgesandt worden war, das Lager des elenden Feindes von Chatti vor den Toren der Stadt Kerekemesch. Es herrschten bereits die dunklen Stunden des Abends, als er um Einlass in das Lager bat. Die Wache verweigerte ihm sein Begehr und wollte ihn noch weniger zum Großkönig vorlassen. Als sie aber die vom ägyptischen Pharao 271

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gesiegelte Urkunde sahen, stutzten sie, denn man erzählte sich allerorts, dass Tut-anch-Amun verstorben sei. Eine solche Nachricht würde Schuppiluliuma interessieren, dachten sie, besonders weil der Bote immer wieder die Dringlichkeit des Schreibens betonte. Schließlich ließ man den Ägypter gewähren und ein besonders wild aussehender Soldat geleitete ihn durch das Lager zum Zelt des Großkönigs. Dort wurden sie erneut von Wachleuten aufgehalten, die sich ihnen mit Nachdruck in den Weg stellten. Erst nachdem der Soldat mit ihnen einige Worte in der Sprache von Chatti gewechselt hatte, trat einer von ihnen ins Zelt und als er wieder herauskam, klappte er die Stoffbahnen, die den Zugang verhängten, zur Seite. Im Inneren empfing sie ein beißender Geruch. Inmitten des Zeltes brannte ein Feuer, dessen Rauch nur unzureichend durch eine Aussparung im Dach abzog. „Eine Nachricht vom toten König Ägyptens bringst du mir also“, donnerte dem Boten eine tiefe Stimme in gebrochenem Ägyptisch und mit starkem Akzent entgegen. „Ist es vielleicht gar ein Abschiedsbrief, in dem er mir mitteilt, dass er sich selbst gerichtet hat, weil er die Schmach nicht ertragen konnte, die ich ihm in Amka beigebracht habe? Wir Männer von Chatti sind keine Küken, die sich von einem Falken schrecken lassen, sag das dem, der dich schickte, wer auch immer das sein mag!“ Schuppiluliumas Augen funkelten gefährlich. Er war ein großer Mann von mächtiger Gestalt und mit einem breiten Nacken. Allein sein Anblick ängstigte den ägyptischen Gesandten fast zu Tode. Der Großkönig war mit einem kurzen Rock bekleidet und trug eine spitze Kappe mit Hörnern auf dem Kopf. Schuppiluliuma machte eine ungeduldige Handbewegung in Richtung des Wachmanns, der den Ägypter begleitete und zischte unfreundliche Worte in der Sprache von Chatti. Der so Angesprochene nahm dem Gesandten den Brief ab und reichte ihn in einer tiefen Verbeugung dem Großkönig weiter. Schuppiluliuma sah auf das Siegel, erbrach es und las. Dann ließ er das Schriftstück zu Boden fallen und brach in so schallendes Gelächter aus, dass es dem Boten in den Ohren schmerzte. „Seit alters her ist mir so etwas niemals vorgekommen“, prustete er. 272

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* „Sie hat was getan?“ Haremhab war außer sich, als Ra-messu ihm die Nachricht überbrachte, die Ägypten zum Gespött ganz Vorderasiens gemacht hatte. „Sie schickte allen Ernstes einen Boten zum elenden Feind von Chatti und bat ihn um einen seiner Söhne? Weißt du das genau?“ Ra-messu nickte betroffen. „Der Kurier kam auf dem Rückweg nach Ägypten hier vorbei, um mit einem Schiff weiterzureisen – da wusste es allerdings bereits jeder Mann. Die Feinde von Chatti haben nicht viel dafür getan, dass dieser Vorfall mit diplomatischer Diskretion behandelt wird. Der Bote bestätigte den Inhalt und konnte sich sogar der genauen Worte entsinnen, weil Schuppiluliuma sie ihm vorgelesen hat, um ihm die Armseligkeit seiner Königin vor Augen zu führen.“ Haremhab schloss die Augen. Er konnte die Schande nicht ertragen, in die Anch-es-en-Amun ihn und ihr Land gestürzt hatte. „Kannst du dich der Worte entsinnen?“ Ra-messu runzelte die Stirn. „Jedes einzelne ist ein Pfeil im Herzen Ägyptens und ein Verrat gegen die Feder der Maat, so dass ich keines von ihnen vergessen kann. Sie schrieb: ‚Nunmehr ist mein Mann gestorben und einen Sohn habe ich nicht. Siehe, ich bin im Zustand der Familienlosigkeit! Sende mir einen Sohn von dir, und die zwei großen Länder werden zu einem Lande werden. Ich werde deinen Sohn in das Königtum in meinem Lande einsetzen!‘“ Haremhab ballte die Fäuste und seine Kiefermuskeln traten hervor. Der Elende demütigte sein Reich, indem er ägyptisches Hoheitsgebiet überfiel, vertraglich festgesetzte und anerkannte Grenzen und gegenseitige Absprachen missachtete und das in einem Moment der Schwäche, in dem Ägypten führerlos um seinen Pharao trauerte. Und was tat Anch-es-en-Amun? Sie warf sich, bevor der Oberbefehlshaber der Armee die Möglichkeit zur Rache hatte, wie eine Hure an den Hals ihres Peinigers! „Was können wir nur tun?“ „Das Schreiben ändert nichts an unserem Vorhaben“, erklärte Haremhab. „Nachdem Tut-anch-Amun beigesetzt sein wird, wer273

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den Eje und ich als Doppelhorus den Thron der Beiden Länder teilen. Nur eine Nachricht von Eje könnte deshalb meine Entscheidung, Schuppiluliuma anzugreifen, beeinflussen.“ „Mit Verlaub, aber was denkt die Königswitwe über deine Pläne?“ Haremhab lachte bitter. „Wie du ihren Zeilen entnehmen kannst, verspürt sie den Wunsch, selbst an der Macht zu bleiben, indem sie eine dynastische Heirat mit Chatti in Erwägung zieht. Doch sie ist hiermit zu weit gegangen, denn es ist etwas anderes, ob ein ägyptischer König ausländische Prinzessinnen an den Hof holt, um seinen Harîm mit exotischem Glanz und dadurch ihre Väter mit Stolz zu erfüllen, oder ob ein fremdländischer Prinz eine ägyptische Königswitwe heiratet und damit Pharao wird und fortan die Geschicke des Landes bestimmt! Dadurch würde unser mächtiges Reich zu einer bedeutungslosen Konkubine im unüberschaubaren Harîm von Chatti, an das sich schon zu viele Länder verkauft haben!“ Haremhab blickte finster. „Eine Zeit, in der Fremde Ägypten beherrschen, darf sich niemals wiederholen!“ Ra-messu erinnerte sich an die Ruinen von Hut-waret und an die Heldentaten, die König Ahmose und seine Armee vollbracht hatten, indem sie damals die Fremden aus Ägypten vertrieben. „Auf wessen Seite glaubst du also, werden die Untertanen stehen?“, fragte Haremhab siegessicher, doch Ra-messu schwieg dazu. Er befürchtete, dass es im Volk mehr Tauben als Falken gab. Besonders seit den jüngsten Ereignissen von Amka existierte zweifellos eine nicht geringe Gruppe, die von der Stärke und der stetig wachsenden Macht von Chatti beeindruckt war und die ein Leben in Sicherheit einer stets angreifbaren Eigenständigkeit des Landes vorzog.

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Kapitel 8 Tauben und Falken Nur wenige Tage danach traf ein weiterer Bote aus Ägypten in Kepeni ein. Er hatte eine eilige Mitteilung an Haremhab bei sich. Das Schreiben erreichte den General in seinem Lager. Der Brief trug Ejes Siegel. Haremhab öffnete ihn ungeduldig und legte, als er die Zeilen überflog, die Stirn in Falten, so dass seine dunklen Brauen sich fast an der Nasenwurzel berührten. Eje wollte, aus Gründen der Diplomatie, dass Haremhab unbedingt einen Vergeltungsschlag gegen den Feind von Chatti unterließ, solange dieser in Kerekemesch weilte. Er sollte ihn stattdessen nur beobachten und erst dann militärisch gegen ihn vorgehen, wenn er wieder auf ägyptisches Territorium auszugreifen gedachte. Die Situation in Ägypten habe sich verändert, hieß es weiter, so dass nun Geschick der Gewalt vorzuziehen sei. „Es ist unbedingt notwendig, dass du persönlich in Vorderasien anwesend bist, denn allein das Wissen um deine Nähe wird die Chatti aus Furcht von weiteren Schritten gegen uns abbringen. Bleibe an dem Ort, an dem du nun verweilst, bis Chatti angreift oder du mein Zeichen zum Rückzug erhältst!“ Haremhab trat aus dem Zelt und warf den Papyrusbrief in das davor brennende Feuer, wo er sich in Flammen verwandelte, kurz aufloderte und dann zu Asche zerfiel. Auch Beh-ka war von seinem Lager, auf dem er geschlafen hatte, aufgestanden, streckte sich ausgiebig und folgte seinem Herrn mit erhobener, leicht sichelförmig gebogener Rute nach draußen. Es war kalt geworden so weit im Norden und der Himmel wirkte grau wie Taubenfedern. Eine dichte Wolkendecke hatte sich schon seit Tagen zwischen Sonnengott und Erde geschoben und hielt die wärmenden Strahlen ab. Haremhab schaute nach oben, das Licht war dennoch grell. Er mochte den Geruch von brennendem Feuer und das beruhigende Knacken des sich ergebenen Holzes. „Nun gut“, sagte er leise und verbittert zu sich, während er Beh-kas Kopf kraulte, „dann bleiben wir tatenlos!“

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Haremhab beugte sich dem Wunsch Ejes und ließ das Lager bei Kepeni nicht abbrechen, wie er es vorgehabt hatte. Kundschafter unterrichteten ihn weiter über jeden einzelnen Schritt, den Schuppiluliuma unternahm. Dieser setzte die Belagerung der Stadt fort und machte keine Anstalten, ägyptischen Boden zu betreten. Haremhab kannte die veränderte Situation in Ägypten nicht, von der Eje sprach, aber er hielt es für besser, seinem zukünftigen Partner auf dem Thron in dieser Hinsicht zu vertrauen, auch wenn er selbst gänzlich anderer Meinung war. Ra-messu und Haremhab erhielten in Kepeni Kenntnis von einer weiteren Nachricht, die Anch-es-en-Amun dem Großkönig durch den Boten Hani nur wenig später hatte zukommen lassen. Würdelos biederte sie sich darin an: „Weshalb sagtest du: ‚Sie täuschen mich‘? Wenn ich einen Sohn hätte – hätte ich dann einem fremden Land über meine Scham und die Scham meines Landes geschrieben? Du wolltest mir nicht glauben und hast sogar schlechte Dinge über mich behauptet. Der, der mein Gemahl war, ist tot. Ich habe keinen Sohn. Niemals werde ich einen meiner Untergebenen zu meinem Gemahl machen! Ich habe an kein anderes Land geschrieben, nur an dich! Man sagt, dass du viele Söhne hast. So gib mir einen deiner Söhne! Er wird mein Gemahl und König von Ägypten werden!“ * Die Beerdigung des Königs im sechet-aat auf dem Westufer von Waset fand im Frühjahr während Haremhabs Abwesenheit statt. Die zwölf höchsten Würdenträger des Landes zogen als die ältesten Freunde des Palastes den reich geschmückten und von Uräen beschützten Schrein mit der Mumie in ihrem innersten Sarg auf Kufen. Sie trugen lange weiße Gewänder, ihre Stirnen wurden von hellen Leinenbändern geschmückt, die den Schweiß aufsogen, damit er nicht ihre geschminkten Gesichter verschmierte, und ihre Füße schützten weiße Sandalen. Neben den Angehörigen des Palastes und Höflingen begleiteten viele Klageweiber, Träger und Priester den letzten Zug des Königs. Zunächst führte der Weg auf vorher mit Lehm bestrichenen Pisten von der Anlegestelle von Tut-anch-Amuns unvollendet gebliebenen Tempel der Millionen Jahre in dessen Inneres. Dort 276

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vollzogen Totenpriester magische Rituale, die den Göttern die Ankunft des zu Osiris gewordenen Königs ankündigten. Alle Großen des Reiches waren gekommen, um Tut-anchAmun auf seiner letzten Reise zu begleiten: Unter ihnen waren der Hohepriester Pa-ren-nefer, Maja, dem als Schatzmeister die Verantwortung für die Korrektheit der Beisetzung übertragen war, die Wesire User-Month und Pentju, Amenophis-Hui, der Vizekönig von Kusch, aber auch Ejes Sohn Nacht-Min, der inzwischen zum General unter Haremhabs Oberbefehl aufgestiegen war. „Weshalb ist Haremhab nicht anwesend?“, wandte sich der Vizekönig, der erst tags zuvor aus Nubien angereist war, leise an Maja, als sie vor dem Tempel warteten. Diesem hätte als Erzieher, obersten General und einzigartigem Vertrauten des Königs ein herausragender Platz in der Ehrengarde zugestanden, die den Schrein zog. Maja sah sich nach allen Seiten um, erkannte, dass sie nicht unbeobachtet waren und schüttelte kaum merklich den Kopf. Amenophis-Hui verstand und nickte unauffällig. Nach dem Besuch im Tempel folgten die ältesten Freunde der altehrwürdigen Bestattungsroute, die sich am Wüstenrand hinter den Tempeln der Millionen Jahre der verstorbenen Könige von Tut-anch-Amuns Familie entlangzog und die Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra zu einem großen Teil mit riesigen steinernen und bemalten Schakalfiguren, die den Totengott Anubis darstellten, hatte flankieren lassen. Dabei war das Gebirge, hinter dem das sechet-aat verborgen lag, stets zu ihrer linken Seite. Eje begleitete die Prozession als kultisch verantwortlicher Priester und war in dieser Funktion in ein Leopardenfell gehüllt. Er räucherte Weihrauch und murmelte Gebete. Den langen Weg legte er größtenteils in einer Sänfte zurück, die neben dem Sargschlitten hergetragen wurde – immerhin hatte er bereits mehr als 70 Sommer erlebt. Bedächtigen Schrittes bewegten sie sich voran, wobei die ziehenden Männer immer einstimmig wiederholten: „Neb-cheperuRa, komme in Frieden, oh Gott und Schutz des Landes!“ Nachdem sie djeser-djeseru, den Talkessel, in dem der Terrassentempel jener Königin stand, deren Name besser nicht genannt wurde, passiert hatten, erreichten sie nach einem weiteren guten Stück in Richtung Norden den Einschnitt im Gebirge, der auf unbekannten Pfaden zum heiligen Königsfriedhof führte. Hier 277

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teilte sich die Gruppe. Für alle, die nicht zum engsten Gefolge gehörten, endete der Bestattungszug an dieser Stelle. Furchterregend aussehende schwarze Bogenschützen hatten sich auf den Bergrücken postiert und achteten sorgsam darauf, dass niemand, dessen Augen nicht schauen durften, einen Blick erhaschen konnte. * Während die zwölf Männer ihre letzte Pause einlegten, brachten die Sänftenträger Eje weiter an das Grab, das für Tut-anchAmuns Beisetzung vorbereitet worden war. In der Mitte des sechet-aat hielten sie an. Eje stieg mühsam aus der Sänfte und blickte zurück auf den Weg, auf dem er gekommen war. Die steil aufragenden, schroffen Felsen des Tals besaßen etwas Abweisendes, doch zugleich auch eine Faszination, der er sich nicht entziehen konnte. Die aufsteigende Mittagssonne bestrahlte die steinernen Anhöhen, in deren Mitte er sich klein und unbe­ deutend vorkam, mit einem goldenen Glanz und verlieh ihnen eine majestätische Pracht. All jene Gerechtfertigten, die hier die Ewigkeit zu verbringen suchten, waren geschützt durch die sich am Ende des Tals hoch auftürmende Pyramide aus Felsengestein, die das sechet-aat mit dem set-neferu verband und an die niemals ein Steinmetz seinen Meißel gesetzt, sondern der die Götter selbst ihre Gestalt gegeben hatten. Es war der Wohnsitz der schlangengestaltigen Göttin Merit-seger, die das sechet-aat bewachte. Ein wenig schwermütig gedachte Eje der Menschen, die er einst kannte und die nun, nachdem Anubis sie mit sich genommen hatte, in der ungestörten Einsamkeit und der spröden Schönheit dieses wahrhaft königlichen Ortes ihre Wohnstatt bezogen hatten. Aber dann machte er sich mit Stolz bewusst, dass viele jener ehrwürdigen Verstorbenen zu seiner eigenen Familie gehörten, Blut von der neuen königlichen Linie waren, das auch in seinen Adern floss. Seine Eltern Juja und Tuja gehörten ebenso dazu wie sein Neffe, der einstige Thronfolger Thutmosis. Seine Schwester Teje bewohnte, nachdem Tut-anch-Amun die Überführung ihrer Gebeine von Achet-Aton nach Waset veranlasst hatte, gemeinsam mit Thutmosis, das Haus der Ewigkeit ihres königlichen 278

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Gemahls Amenophis Neb-Maat-Ra, und auch sein anderer Neffe, Echnaton, war ins sechet-aat gebracht worden. Der Tod hatte schon viele seiner Verwandten aus dem Leben gerissen: Von seinen vier Kindern lebten nur noch Mut-nedjemet und Nacht-Min, nachdem Nai letzten Sommer nach einem schweren Anfall unter den Händen der Ärzte verstorben war, die versuchten, die Krankheitsdämonen zu vertreiben, indem sie seinen Schädel öffneten. Doch Nai hatte seine letzte Ruhe nicht in diesem erhabenen Tal finden können, dachte Eje traurig. Dagegen hatte man für ihn selbst hier bereits zwei Anlagen ausgehoben. Gerade jetzt blickte er an die Stelle, an der sich ein zugeschütteter und unzugänglich gemachter Grabeingang verbarg. Es war das Grab, das einst für ihn begonnen worden war, aber als die Sicherheit der ewigen Existenz seines Neffen Echnaton in AchetAton nicht mehr bestand, hatte Eje ihm dieses Grab überlassen und selbst eine neue Anlage erhalten. Es war die, an der er sich nun wiederfand. Langsam wandte er sich ihr zu. Wie ein offener Mund gähnte das Loch, in dem 16 Stufen in die Unterwelt führten. Dieses Grab erwartete seinen neuen Besitzer, der er nicht mehr war, denn als Tut-anch-Amun starb, war dessen eigenes Haus der Ewigkeit noch weit von jeder Vollendung entfernt. Es war nur ein langer schmaler Korridor, in dem man keinen Pharao beisetzen konnte. So hatten Maja und der Vorarbeiter im sechet-aat es vorgezogen, innerhalb der ihnen verbleibenden Zeit von 70 Tagen das für Eje vorgesehene Grab auszubauen und als Tut-anch­-Amuns Königsgrab weiterzuführen. In großer Hast und Eile hatten sämtliche Steinhauer in einem Kampf gegen die Zeit den weichen Kalkstein gebrochen und Ejes Privatgrab vergrößert, das zuvor nur aus einer Sargkammer mit einer rechts angegliederten, bedeutend kleineren Kammer für die balsamierten Organe bestanden hatte. Die Arbeiter erweiterten diesen Eingeweide-Raum um ein Beträchtliches und verwandelten ihn in das Goldhaus, in die Kammer, die den königlichen Leichnam aufnehmen sollte. In deren rechter Schmalwand wurde ein neuer Raum für die Innereien angelegt. Ejes ursprüngliche Sargkammer war nur noch eine Vorkammer und ein neuer Magazinraum öffnete sich in der Wand gegenüber dem Eingang. Damit besaß das Grab vier Räume und bei weitem 279

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keine königlichen Ausmaße, aber es gewährleistete zumindest durch die kleine Abfolge von Gemächern, die alle mit Beigaben gefüllt werden sollten, eine angemessenere Jenseitsresidenz als die von Tut-anch-Amun begonnene Anlage in ihrem augenblicklichen Zustand. Eje wandte sich wieder zum Taleingang und die blaue cheperesch-Krone auf seinem Haupt reflektierte matt die Sonne. Auch Eje stand nun als neuem Pharao Ägyptens ein Königsgrab im sechet-aat zu, und er gedachte, das von Tut-anch-Amun begonnene für sich selbst weiterzuführen. Es war nicht heiß in dieser Jahreszeit, aber die Kraft der Sonnenstrahlen wärmte noch. Eje hielt sich im Schatten eines breiten Sonnensegels vor dem Grabeingang auf, wo bereits ein kleiner Tisch mit den Utensilien für die Mundöffnung und zwei Schälchen mit frischem Weihrauch bereitstanden. Der Alte fühlte keine Reue, sondern betrachtete das Amt, das er nun innehatte als die letzte Stufe, die er auf dem Weg zum Dach, zu seinem Ziel, von dem aus er alles überblicken konnte, erklimmen musste. Es war sein persönliches Vorrecht, dachte er, zu dem das Blut der Könige ihn auserkoren hatte. Dass er, um dieses Ziel zu erreichen, um seine Stellung zu untermauern, noch am gestrigen Tag die Witwe des Mannes heiraten musste, den er heute begrub, berührte ihn nur wenig. Auch die Tatsache, dass es sich bei Anch-es-enAmun, seiner neuen Gemahlin, um seine eigene Enkelin handelte, die mehr als 50 Sommer weniger erlebt hatte als er selbst, kümmerte ihn nicht. Er sah nur das Amt, das er jetzt bekleidete, und die Blutlinie, die er rettete – denn Nacht-Min war durch Ejes Krönung zum wahren Königssohn und Thronfolger geworden. Eje lächelte böse. Wie konnte sich dieser Heißsporn Haremhab nur einbilden, dass er, Eje, mit ihm gemeinsam auf dem Thron sitzen und ihm nach seinem Tod die Nachfolge überlassen würde, wenn es doch einen Spross in seiner eigenen Familie gab, der die Blutlinie fortführen würde? Natürlich hätte auch Nacht-Min Tut-anch-Amuns Witwe heiraten und dadurch König werden können, aber er hatte noch gar keine Erfahrung mit der Politik und Eje würde die letzten Jahre, die Anubis ihm noch Aufschub gewährte, dazu nutzen, ihn in die Geheimnisse des Herrschens einzuführen. Ganz abgesehen davon, dass seine ausgeprägte per280

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sönliche Eitelkeit danach drängte, seinen eigenen Namen von einem langgezogenen schen-Ring, einer Kartusche, umschlossen zu sehen. Zum Schein hatte er Anch-es-en-Amuns Avancen an den elenden Feind von Chatti unterstützt, denn er wusste, dass Schuppiluliuma ein misstrauischer Zeitgenosse war, und dass viel Zeit vergehen würde, bis er – falls überhaupt – einen seiner Söhne auf den Weg nach Ägypten senden würde. So war es dann auch: Zunächst schickte er, nach langem Zögern, seinen Kammerherrn Hattuscha-ziti als seinen Gesandten, der viele Wochen im Palast von Men-nefer verbrachte und sich von der Ernsthaftigkeit des Angebots der Königin überzeugen konnte. Nur wenige Tage vor der Beerdigung Tut-anch-Amuns reiste dieser zu seinem Herrn zurück, um ihm Meldung zu erstatten. Doch was Eje ihm verschwieg, war, dass es nun bereits zu spät war, denn wenn der verstorbene König sein Haus für die Ewigkeit bezog, musste der neue Herrscher bereits die Zepter ergriffen haben ... Eje lächelte in sich hinein und freute sich über seine Raffinesse, mit der er alle zum Narren hielt: Anch-es-en-Amun hatte er versichert, dass ihre Ehe nur der Form wegen geschlossen werde, damit das Volk ohne König nicht aufbegehrte, und dass er sich zugunsten des Prinzen aus Chatti von der Macht zurückziehen würde, nachdem man diesen zunächst als Mitregenten eingewiesen hätte. Aber der Alte dachte nicht im Traum daran, seine Blutlinie für einen stinkenden Ausländer, schon gar nicht für den elenden Feind von Chatti, vom Thron zu verbannen. Schon morgen, dachte Eje, am Tag nach der Beisetzung, wird mein Sohn NachtMin, dem ich einen Platz unter den zwölf ältesten Freunden des Palastes verschafft habe, nach Kepeni aufbrechen und den Prinzen aufzuhalten wissen. Und in Kepeni wartete auch noch ein anderer königlicher Auftrag auf ihn ... * Zwar glitt der Sargschlitten leicht auf der lehmigen Bahn dahin, die eigens für die heutige Beisetzung über den ansonsten steinigen Pfad gelegt worden war und die von einem Priester mit geweihtem Wasser aus dem Heiligen See von Ipet-sut benetzt wurde. Aber dennoch bedeutete das Ziehen für die Würdenträger 281

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eine hohe körperliche Anstrengung, die viele Pausen erforderte. Doch hätte keiner von ihnen die einzigartige Ehre, die es bedeutete, den König auf seinem letzten irdischen Gang geleiten zu dürfen, an Rinder abtreten wollen. Außer Maja war noch niemand von ihnen an dieser heiligen Stätte gewesen, und noch bevor sie das sechet-aat erreichten, staunten die Würdenträger sowohl über die herbe Anmut, die von dieser Bergwelt ausging, als auch über die karge Umgebung, die so lebensfeindlich wirkte und doch das ewige Leben in sich beherbergte. Die alten Pyramidengräber der lange vorangegangenen Könige bei Men-nefer waren für jedermann in der Ferne sichtbar – das sechet-aat hingegen barg ein Geheimnis und es war nur wenigen Menschen vergönnt, in seine Tiefen einzudringen. Hier betraten sie das Reich von Merit-seger, jener Göttin, die die Stille liebt. Und die Ruhe an diesem Ort war tatsächlich überwältigend. Die Klageweiber durften den königlichen Trauerzug nur vom Tempel der Millionen Jahre bis zum Taleinschnitt im Gebirge, der zum Friedhof der Pharaonen führte, begleiten. Ab dort gingen die zwölf ältesten Freunde des Palastes mit dem Sargschlitten, den engsten Angehörigen und den Trägern der Grabbeigaben allein und schweigend weiter. Niemand wollte die gefährliche Göttin, die die Toten schützt, aus ihrem Schlaf erwecken, denn jedermann fürchtete ihre Rache. Die Männer hörten zeitweise nur die Geräusche, die die Sohlen ihrer Sandalen und die Kufen des Schlittens auf dem rutschigen Untergrund verursachten. Zuweilen war leises, ersticktes Schluchzen zu vernehmen. Aber wenn sie Pause machten und sich niemand bewegte, war es so still, dass es in ihren Ohren rauschte. Der Weg zwischen dem Fruchtland und dem sechet-aat war schmal, auf beiden Seiten von hohen und zerklüfteten Felswänden umgeben und zog sich in zahllosen großen Windungen wie der Körper einer Schlange zu dem Ort, an dem die Könige ruhten. An einem offenen Platz hielt der Zug ein letztes Mal. Von hier zweigte rechter Hand der Zugang zum westlichen Tal ab, in dem Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra nun die Ewigkeit mit seiner Großen Königlichen Gemahlin Teje, ihrem Sohn Thutmosis und 282

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ihrer Schwiegertochter Kija erlebte, und in dem auch Tut-anchAmun den Platz für sein Grab gewählt hatte, das er nun jedoch nicht beziehen würde. Geradeaus führte der Weg direkt zum Haupttal und zu dem Grab, das des Königs neue Ruhestätte werden sollte. Als Maja glaubte, den ehrwürdigen Männern genug Zeit zur Pause zugestanden zu haben, gab er wortlos das Zeichen zum Aufbruch. * Schließlich sah Eje, wie sich der Zug der Trauernden langsam und würdevoll mit dem Sarg des Toten seinem Grab näherte und ergriff den Dechsel, den er für die bevorstehende Mundöffnung brauchte. Als der innere Sarg aus purem Gold geöffnet wurde und man die Mumie mit ihrer Maske über den dicken Bandagelagen unter dem Sonnensegel aufrecht positionierte, standen sich zum ersten und gleichzeitig letzten Mal alter und neuer König Auge in Auge gegenüber: Der gute Gott, Herr der Beiden Länder, Herr der Kronen, König von Ober- und Unterägypten, Neb-cheperu-Ra, der Sohn des Ra, Tut-anch-Amun und der Gute Gott, Herr der Beiden Länder, Herr der Tatkraft, König von Ober- und Unterägypten, Cheperu-Ra, der Sohn des Ra, Gottesvater Eje. Plötzlich hielt der Alte im Leopardenfell in der Bewegung mit dem Dechsel inne, stand wie benommen vor dem goldenen Abbild des jungen Gesichts, das dem lebendigen so ähnlich war, dass es ihm erschien, als habe er einen Geist vor sich, und schluckte. Das nemes-Kopftuch, die Ohrringe, der Bart und der breite Halskragen wirkten lebensecht. Das Gold der Haut zeigte ihm, dass Tut-anch-Amun nun das Fleisch der Götter besaß. Über den Bandagen schauten ihn die Augen einer Maske an, doch sie wirkten nicht künstlich. Anklagend erfassten sie ihn und ein überlegenes Lächeln umspielte die vollen goldenen Lippen. Eje fühlte sich nicht wohl, ihm war schwindlig, er schloss kurz seine Augen und befeuchtete mit der Zunge die Lippen. Für die Dauer eines kurzen, vergänglichen Wimpernschlags spürte Eje die Schuld und die Angst, als Ägypter nicht dem Gesetz der Maat entsprechend gehandelt, nur nach Macht gestrebt, den Tod 283

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des Jungen nicht aufrichtig betrauert, sondern stattdessen dessen Witwe, seine leibliche Enkelin, geheiratet zu haben. Sein faltiges Gesicht bekam traurige Züge. „Majestät“, sagte einer der umstehenden Priester, „ist Euch nicht wohl? Lasst Euch helfen!“ Doch Eje wies ihn unwirsch zurück und vollendete das Ritual der Mundöffnung. Die Trauergäste schauten sich fragend an, als sie Zeugen wurden, wie die frisch wiedervermählte Königswitwe Anch-es-enAmun in Tränen ausbrach, als der Leichnam in seinen innersten Sarg gelegt und mit Harzen und Ölen übergossen wurde. * Maja war noch tagelang nach der Beisetzung des Leichnams mit der Beaufsichtigung des reibungslosen Ablaufs der Lieferung von Grabbeigaben beschäftigt. Vier große und mit magischen Unterweltsbüchern beschriftete und vergoldete Holzschreine, die um den Sarkophag herum aufgebaut werden sollten, bereiteten ihm Sorgen, denn die Kammer war sehr klein. Gleichzeitig arbeiteten auch noch Zeichner im selben Raum, um die Wandmalereien fertigzustellen. Eje hatte darauf gepocht, dass unter den Darstellungen auch die Sargschlittenfahrt und die Mundöffnung abzubilden seien, die sonst in keinem Königsgrab erschienen, sondern nur in Privatgräbern der Untertanen zu finden waren. Maja wusste, dass der Alte damit einmal mehr die bürgerliche Herkunft des „Bluts der Könige“ demonstrieren wollte. Tausende von Objekten hatte Maja zusammengetragen, um dem König, dessen kurze Regierungszeit und unerwarteter Tod nicht genügend Zeit zur Vorbereitung ließen, ein würdiges Begräbnis und einen standesgemäßen Aufenthalt in den Gefilden der Seligen zu ermöglichen. Dazu trug er Gegenstände zusammen, die zu Lebzeiten im persönlichen Gebrauch des Toten gewesen waren, wie seine Lieblingsmöbel, die Schreibergarnitur, seine Bögen – auch die aus Kinderzeiten, als Haremhab dem vor Vergnügen quietschenden Kind das Schießen beigebracht hatte –, seine Wagen, unter denen sich auch jener Jagdwagen befand, auf dem der König seine letzte Fahrt erlebt hatte, sollten ihn begleiten, damit er in Ra-setjau auch weiterhin die Dinge tun konnte, die sein Herz erfreuten. Die Locke seiner geliebten Großmutter 284

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Teje, die sie kurz vor ihrem eigenen Tod für ihn zur Erinnerung abgeschnitten hatte, bekam einen Ehrenplatz im Grab. Andere Gegenstände wurden neu angefertigt. Maja selbst nahm sich die Ehre, einen großen hölzernen und beschrifteten uschebti als Erinnerung und zum Nutzen für den Verstorbenen in der jenseitigen Welt auf eigene Kosten anfertigen zu lassen und im Grab zu platzieren. Es war ein besonderer uschebti, denn er stellte eine Figur des jungen Königs mit nemes-Kopftuch dar, die auf einem Bett mit Löwenbeinen und Löwenkopf-Knäufen lag. Die Hände waren vor der Brust gekreuzt und hielten kleine Zepter und zu seinen beiden Seiten saßen zwei Vögel: Die Göttin Isis, die ihren toten Mann beklagte, in der Gestalt eines Falkenweibchens, und eine Wiedergabe eine der drei Seelen des Verstorbenen, dargestellt als Vogel mit dem Menschenkopf des Verblichenen. Als Maja zum letzten Mal die Beigaben inspizierte und auf ihre Vollständigkeit kontrollierte, bevor das Haus der Ewigkeit geschlossen und Tut-anch-Amun seine Reise in das Reich von Osiris antreten sollte, streifte sein Blick zufällig einen weiteren großen uschebti, den er vorher noch nicht bemerkt hatte. Er nahm ihn auf und betrachtete ihn im Licht der Fackel. Ein herrliches Stück aus glatt poliertem Zedernholz, so groß wie sein Unterarm. Wieder war der König abgebildet, aber er stand und trug eine dunkle chepereschKrone. In ihren vor der Brust gekreuzten Armen hielt auch diese Figur die Zepter der Königsmacht: heqa und nechacha. Sowohl der Uräus, das Band unter der Krone als auch nechacha und Halskragen waren vergoldet. Zwischen den gekreuzten Händen und den Füßen verlief eine Inschrift, die erklärte, dass diese Dienerfigur dem König bei der Feldarbeit behilflich sein sollte, aber keine Angaben zu ihrem Stifter machte. Maja drehte das meisterhafte Stück und entdeckte eine versteckte Inschrift unter der Standfläche: „Gemacht von dem Diener, den sein Herr liebt, dem General der Armee, Nacht-Min, für seinen Herrn, den zu Osiris geworden­en König Neb-cheperu-Ra, den Gerechtfertigten.“ Der Schatzmeister stand völlig ruhig da, doch in seinem Innern brodelte es. Jemand hatte diesen uschebti von Ejes Sohn ohne das Wissen des Schatzhausvorstehers in das Grab schaffen lassen und seine Identität zu verbergen versucht, indem er die Widmung versteckt anbrachte. Maja suchte nach weiteren Stücken, die ihm unbe285

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kannt vorkamen – und fand sie! Insgesamt fünf uschebtis waren heimlich in die Grabausstattung geschmuggelt worden, und alle nannten Nacht-Min als Auftraggeber. Es war sinnlos, die Arbeiter zu befragen, denn der Fall war so klar wie das Flusswasser in Ufernähe. Einer von ihnen hatte sich von Nacht-Min oder einem seiner Diener bestechen lassen, damit er diese Geschenke und Erinnerungsstücke unter die offiziellen Beigaben mischte. Der Schuldige würde aber niemals freiwillig oder auf Nachfrage gestehen, weil er genau wusste, dass er dann seine Arbeit verlieren würde – also kam eine Nachforschung nicht in Frage. Anders wäre es natürlich, wenn Stücke aus dem Grabinventar fehlten, aber da dem nicht so war, gedachte Maja, den Vorfall, den ohnehin niemand mitbekommen hatte, auf sich beruhen zu lassen. Die Frage nach dem Grund, der Nacht-Min dazu bewogen haben musste, ging ihm allerdings nicht aus dem Kopf. Ejes Sohn buhlte ganz offensichtlich um die Gunst des toten Königs, die ihn zu Lebzeiten nie interessiert hatte. Osiris-Tut-anch-Amun sollte sich womöglich in der anderen Welt an jenen, seinen angeblich treuesten General erinnern, während sein reicher Schatzhausvorsteher ihm nur eine Figur und der Oberbefehlshaber seiner Truppen nicht einmal irgendetwas geschenkt hatte. Eine ekelerregende Übelkeit stieg in Maja auf. Ihn gelüstete danach, die Figuren am Boden zu zerschmettern und Nacht-Mins Namen im Grab von Tut-anch-Amun keinen Bestand haben zu lassen, aber das durfte er nicht, denn was sich in diesen Räumen befand, war das Eigentum des verstorbenen Königs. Es zu beschädigen oder zu entfernen käme Grabräuberei gleich. Also legte er die Figuren zurück an die Stellen, wo er sie entdeckt hatte, und gab den Arbeitern Anweisung, den Zugang von der Vorkammer zum Goldhaus und zum kleinen Magazinraum zu vermauern und zu verputzen. Dasselbe geschah mit der Tür zur Vorkammer, das Gangstück zwischen ihr und der Treppe wurde bis zur Decke mit Geröll gefüllt und ebenfalls vermauert. Schließlich schütteten die Arbeiter den Treppenabgang zu. Als sich Maja in düstere Gedanken versunken auf seine Sänfte setzte, um das Tal zu verlassen, ließ er den toten König mit seinen Schätzen und Nacht-Mins fünf heimlich eingebrachten uschebtis in der Obhut von Merit-seger zurück – eine düstere Vorahnung jedoch nahm er mit. 286

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Kapitel 9 Der Verrat In Kepeni wurden die Tage immer trüber und es nieselte oft. Das Wetter schlug auf die Stimmung der Soldaten, die ungewollt zum untätigen Warten verurteilt waren, und die Kühle wandelte sich schnell zu einer beißenden Kälte. Das Gefühl von Heimweh schlich sich unter diesen Bedingungen schneller als sonst ein. Beh-ka war Haremhab ein treuer Begleiter geworden und folgte ihm, wohin er auch ging. Man sah den Befehlshaber hin und wieder ohne seine Leibwache oder seinen Schreiber Sementaui – aber niemals ohne seinen sandfarbenen Hund. Ungefähr zwei Wochen nach der Beerdigung von Osiris-Tutanch-Amun stand auf einmal General Nacht-Min vor dem Lager Haremhabs. Er zeigte den beiden erstaunten Wachposten am Eingang ein vom Siegel des neuen Pharaos Eje verschlossenes Schriftstück. Die beiden Männer nahmen sofort Haltung an, als sie das königliche Zeichen sahen. „Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit, dass ich unverzüglich mit dem Oberbefehlshaber Haremhab spreche“, sagte NachtMin knapp. Beide Männer verbeugten sich, gewährten ihm Zutritt ins Lager und deuteten auf Haremhabs Zelt. „Amun sei Dank, der ehrwürdige Gottesvater Eje hat die Regierung übernommen“, brach es aus einem der Wächter heraus, als der General in der Dunkelheit verschwunden war. Sein Kollege nickte. „Besser als einen abscheulichen Feind der Chatti auf dem ägyptischen Thron zu wissen! Das Schreiben, dass der General Nacht-Min unserem Kommandanten bringt, ist zweifellos der Befehl zum Abbruch des Lagers und zur Rückkehr in die Heimat, damit Eje und Haremhab ihre gemeinsame Herrschaft beginnen können.“ Der bei seinen Truppen beliebte Oberbefehlshaber hatte seine Soldaten schon in Men-nefer über das Ergebnis des Gesprächs mit Eje unterrichtet. Und auch wenn er den ausbrechenden Jubel seiner stolzen Soldaten sehr genoss, so hatte er doch vor allem bezweckt, sich auf diese Weise gegenüber dem ihm immer 287

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unheimlicher erscheinenden Alten abzusichern. Nun war Haremhab überzeugt, dass er, würde Eje sich nicht an die getroffene Absprache halten, die gesamte Streitmacht des Landes hinter sich hätte und den Thron mit militärischer Unterstützung für sich würde räumen können. „Ich werde auf die Knie fallen und den warmen Boden Mennefers küssen, wenn wir endlich dieser Kälte und dem Regen entfliehen können!“ Beide Wachen freuten sich über den Abzug, der in greifbare Nähe gerückt zu sein schien. Dann stutzte einer von ihnen und das Lächeln erstarb in seinem Gesicht – warum schickte Eje seinen Sohn anstelle irgendeines Boten, um seinen Befehl zu überbringen? Sollte der Brief doch eine andere Botschaft beinhalten? * Die Sonne war schon lange untergegangen und nur noch Feuer erhellten die Nacht im Lager, als sich Nacht-Min dem riesigen Zelt des Oberkommandierenden näherte. Im flackernden Licht zeigte er den Wachposten das königliche Siegel, diese verbeugten sich und gaben wortlos den Zugang frei. „Meldet mich nicht an, ich werde ihn wecken, wenn er schlafen sollte!“ Die Wachen nickten. Eine königliche Meldung war häufig an die persönliche Übergabe unter vier Augen gebunden. Nacht-Min trat ein. Es war schummrig, nur an einigen Stellen des Raumes glühten in Feuerbecken blutrot die Reste kleiner sterbender Flammen. Haremhab schlief – genau wie er erhofft hatte. Aber wo war er? Das Zelt war groß und mehrere Räume zweigten von dem imposanten Empfangsraum ab. Welcher war sein Schlafgemach? Ein tiefes Knurren aus der Dunkelheit, das einsetzte, kurz nachdem er das Zelt betreten hatte, ließ ihn erstarren. Es kam aus der Richtung der Glut und wandelte sich schnell in das scharfe Gebell eines anschlagenden, wachsamen Hundes. Er zog den Dolch aus dem Gürtel seines Schurzes und setzte seine Suche fort. Am anderen Ende des Raumes stand ein Hund in der Farbe des Sandes drohend von seinem Lager auf, das Fell war von seinem Kopf, über Nacken und Rücken bis zum Schwanz in einem 288

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breiten Streifen bedrohlich aufgestellt. Beh-ka zog die Lefzen hoch und fletschte die Zähne in die Richtung des Fremden. „Was tust du hier, Nacht-Min?“, erklang Haremhabs verschlafene Stimme hinter ihm. Unbemerkt ließ der Angesprochene die Waffe wieder in seinen Gürtel gleiten, bevor er sich umdrehte. Beh-ka knurrte inzwischen wieder bedrohlich. Haremhab hatte sich die Decke, unter der er zuvor auf seinem Bett im Nebenraum gelegen hatte, um die Hüften gebunden und hielt ein Öllämpchen in der Hand, dessen schwaches Licht den Raum erstaunlich gut erhellte. Keine Perücke bedeckte sein kahlgeschorenes Haupt. Nacht-Min gab keine Antwort. „Ah“, bemerkte Haremhab mit gespielter Überraschung das gesiegelte Schreiben, das Nacht-Min vergeblich zu verbergen suchte, „du bringst Nachrichten von Eje!“ Flink trat er auf ihn zu. „Nimm Platz“, der Oberbefehlshaber deutete auf einen eleganten Klapphocker, als er dem verblüfften nächtlichen Besucher das Schriftstück abnahm und die Lampe auf einen der Tische stellte. Nacht-Min blieb stehen, aber Haremhab, der etwa drei Schritte Abstand zu seinem General ließ, ignorierte es. Der Eindringling befand sich nun genau zwischen dem knurrenden Beh-ka, der den Fremden nicht aus den wachsamen Augen ließ, auf der einen Seite und Haremhab auf der anderen. „Warum kommst du mitten in der Nacht, um mir Anweisungen aus Ägypten zu überbringen? Und weshalb schickt Eje dich und nicht irgendeinen der erfahrenen Palastboten?“ Haremhab betrachtete argwöhnisch das Siegel, das von einem Ring stammen musste, der sowohl die Kartusche eines Königs Cheper-cheperuRa als auch diejenige der Königin Anch-es-en-Amun nebeneinander zeigte. Das war äußerst ungewöhnlich und Haremhab weigerte sich, den Verdacht zuzulassen, der in ihm erwachte. Im selben Augenblick, als er das Siegel erbrach, zog Nacht-Min erneut den Dolch aus seinem Gürtel und machte einen Satz auf Haremhab zu. Fast gleichzeitig hatte sich Beh-ka in Bewegung gesetzt und auch der Oberbefehlshaber seinen Dolch gezückt, den er zuvor unter der umgeschlungenen Decke verborgen hatte. Der Hund setzte zähnefletschend zu einem Sprung an und erreichte sein Opfer, bevor es seinen Herrn verletzen konnte. Ein gezielter 289

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Biss in Nacht-Mins Wade ließ diesen vor Schmerz aufschreien und zu Boden gehen, wobei er den Dolch in hohem Bogen verlor. Beh-kas Schnauze umschloss nun die Kehle des liegenden Mannes. Der Hund knurrte noch immer und aus den Augenwinkeln sah er Haremhab an und wartete auf dessen Befehl. Inzwischen war auch die Wache ins Zelt gestürzt, hatte die Lage sofort richtig eingeschätzt und ihre Lanzen auf Nacht-Min gerichtet, der die Augen in Todesangst weit aufriss. „Der General Nacht-Min versuchte soeben, mich heimtückisch zu ermorden“, erklärte Haremhab emotionslos. „Nur durch die Wachsamkeit meines Hundes bin ich noch am Leben!“ Er hob Ejes Schreiben auf, das im Handgemenge zu Boden gefallen war, faltete es auf und überflog die Zeilen, die die Ernennung des Generals Nacht-Min zum Oberbefehlshaber im Falle von Haremhabs Tod zum Inhalt hatten. „Sollen wir ihn gefangen nehmen, Herr?“, fragte eine der Wachen. Haremhab schüttelte den Kopf. „Nein, ihr könnt gehen! Wie ihr seht, war ich gezwungen, mich zu verteidigen und habe dabei Nacht-Min erstechen müssen!“ Die Wachen sahen zu dem am Boden liegenden, noch lebenden General, der ihnen verzweifelt hilfesuchende Blicke zuwarf. „Kommt wieder, wenn ich Euch rufe und schafft dann die stinkende Leiche dieses Verräters fort!“ Die Männer verbeugten sich und verließen rückwärts das Zelt. Nun kniete sich der Oberbefehlshaber zu seinem Hund, dessen Maul noch immer unverändert Nacht-Mins Hals umklammert hielt. Beh-ka blickte ihn wieder aus den Augenwinkeln an, so dass Haremhab das Weiße in seinen Augen sehen konnte. Er liebte diesen Blick seines treuen Tieres. Jeder Muskel unter dem hellen Fell war deutlich auszumachen. „Lass ihn los“, befahl er streng. Der Hund gehorchte. „Tötet mich nicht, Haremhab“, stieß Nacht-Min zitternd hervor. „Versündigt Euch nicht, indem Ihr Euch zum Mörder des Königssohnes und rechtmäßigen Thronfolgers Ägyptens macht!“ „Ich habe das Wort deines Vaters – demnach wolltest du den noch ungekrönten König ermorden, der gemeinsam mit Eje als Mitregent das Land beherrschen soll!“ 290

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„Seitdem hat sich viel geändert“, Nacht-Min schwitzte und griff sich an den Hals. „Mein Vater hat die Königswitwe Anches-en-Amun geheiratet und ist nun legitimer Pharao, der Euch nun weder als Mitregent noch als Kommandant seiner Truppen benötigt!“ Haremhab verzog voller Ekel sein Gesicht. „Sie ist seine leibliche Enkelin! Was ist das für eine Familie, die für die Macht alle Grenzen missachtet, die die Maat gesetzt hat?“ Der Oberbefehlshaber aller Truppen schüttelte ungläubig den Kopf. „Deine Familie ist nicht besser als der elende Feind von Chatti, sie ist eine Hure der Macht, die sich nicht an Absprachen und Verträge hält und die das Gebot der Maat missachtet! Ihr seid es nicht wert, weiterhin die Pharaonen Ägyptens zu stellen!“ Sein Dolch stieß so schnell zu, dass Nacht-Min es kaum merkte. Ein ungläubiger Ausdruck lag auf seinem toten Gesicht, als der Oberbefehlshaber die Wachen zurückrief. Am nächsten Morgen gab Haremhab seinen Männern das Zeichen, das Lager in Kepeni endlich abzubrechen. Er konnte es kaum erwarten, Eje so schnell wie möglich gegenübertreten und ihm den Ring seines heimtückischen Sohnes entgegenschleudern zu können, den er ihm von seinem noch warmen Finger gezogen hatte. Nur wenig später kamen auch die Späher zurück und berichteten, dass Kerekemesch inzwischen genommen und das Heer des Elenden von Chatti auf dem Weg in das Winterlager des Großkönigs befindlich war – ein weiterer Grund, nicht noch mehr Zeit in Kepeni zu verbringen. * Während Ra-messu die Soldaten zur Kaserne in Men-nefer führte, war Haremhabs erstes Ziel der Palast unweit der Pyramiden. Zügig durchschritt er die weiten Hallen, zu denen er freien Zutritt hatte. Vor dem bewachten Portal zum Audienzsaal traf er den Palastdiener, der in ein Gespräch mit einem Offizier der Wachmannschaft vertieft war. Haremhab unterbrach sie. „Sage Seiner Majestät, dass der Oberbefehlshaber der Armee des Königs ihn in einer dringenden Angelegenheit allein zu sprechen wünscht – aber nenne nicht meinen Namen!“ 291

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Der Offizier zog sich zurück und der Diener verbeugte sich tief. „Wie Ihr befehlt.“ Nur wenige Augenblicke nachdem sich der Palastdiener entfernt hatte, trat er wieder aus dem Tor des Thronsaals. „Seine Majestät erwartet Euch!“ Als er eintrat und würdevoll nach vorne schritt, senkte Haremhab den Kopf und blickte zu Boden, damit Ejes alte Augen nur den Scheitel der Perücke des obersten Generals, nicht aber dessen Gesicht erkennen konnte. „Mein Sohn, wie gut zu hören, dass du erfolgreich warst“, erklang die brüchige Stimme des greisen Mannes, der so sehr in die Macht verliebt war, dass er Freundschaft nicht mehr kannte. Kurz vor dem Thronpodest warf sich Haremhab, den Blick immer noch gesenkt, auf die Knie. „Nacht-Min, du musst nicht vor mir knien, wenn wir alleine sind“, sagte Eje verunsichert. „Majestät“, begann nun Haremhab und das Wort hallte in dem ehrwürdigen Raum wider, „ich bedaure ...“, langsam hob er den Kopf und sah schließlich dem König direkt in die Augen, „... aber Euer Plan ist nicht aufgegangen!“ Ejes Gesichtszüge entglitten ihm, sein freudestrahlendes Lächeln gefror zu einem Ausdruck tiefsten Entsetzens, als er verstand, dass es nicht sein Sohn war, der vor ihm kniete. Die alten Augen unter dem nemes-Kopftuch der Könige starrten angsterfüllt. Dann erhob er sich unvermittelt und funkelte Haremhab zornig an. „Du wagst es, mich derart zu täuschen?“, bellte er. „Was ist mit meinem Sohn geschehen?“ „Nun“, der Kniende stellte sich aufrecht hin, ohne die Erlaubnis des Königs dafür abzuwarten, „er versuchte, auf Euren Befehl hin mein Leben zu nehmen.“ Er warf ihm Nacht-Mins Ring zu. „Da nahm ich das seine!“ „Du hast mir nun auch noch meinen letzten mir verbliebenen Sohn genommen?“, Ejes Stimme war von Wut und Trauer getragen. „WACHE!“ „Ja“, zischte Haremhab gefährlich, „lasst mich in den Kerker werfen oder direkt hinrichten! Aber bedenkt, meine treuen Soldaten stehen geschlossen hinter mir – noch bevor der Tag zu 292

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Ende geht, wird es einen Aufstand geben, vor dem Euch Eure Palastwache nicht retten kann, und Euer Leben ist verwirkt. So bedenkt wohl, welchen Befehl Ihr Euren Männern in diesem Moment gebt!“ Eine Seite des hohen doppelflügeligen Tors öffnete sich knarrend. „Ihr habt gerufen, Majestät?“ Eje zögerte. „Es ist ... nichts“, sagte er nach einer Weile. „Schließ die Tür!“ Krachend fiel das Portal wieder zu. Ejes Blick wandte sich wieder Haremhab zu. Sein faltiger Mund war trocken und er fühlte sich unbehaglich. „Was willst du?“ Seine Stimme zitterte. „Das Militär steht hinter dir, wie du sagst – so töte mich gleich hier und lass mich nicht jeden Tag aufs Neue einen Anschlag aus den Reihen befürchten, die mich schützen sollen!“ Haremhab schüttelte langsam den Kopf. „Ich will nicht Euer Leben, Majestät, aber ich wünsche, dass die Maat und meine Ehre wiederhergestellt werden. Macht mich zu Eurem Wesir und Eure Tochter Mut-nedjemet zu meiner Frau – ganz wie es Eurem Wunsch entsprach!“ Eje schluckte wieder. „Du begehrst nicht den Thron Ägyptens?“ „Doch, das tue ich!“, Haremhab musterte ein wenig abschätzend die Gestalt des vor ihm stehenden alten Königs. „Und diesen werde ich auch bekommen, denn die Lebenszeit, die die Schicksalsgöttinnen bei Eurer Geburt festgelegt haben, wird ganz ohne fremdes Zutun bald zu Ende gehen. Es ist der Wunsch des Gottes Horus, der in meiner Heimatstadt Hut-nisut verehrt wird und der im Augenblick meiner Geburt ankündigend über meinem Elternhaus stand, dass ich König von Ägypten werde! Alles fügt sich in diese Richtung: Euer ältester Sohn stirbt bei einem Mordanschlag auf mich, den Ihr veranlasst habt, und Euer jüngster Sohn ist ebenfalls nicht mehr am Leben. Ich werde Eure Qual in den letzten Euch verbleibenden Jahren genießen, wenn Ihr jeden einzelnen Tag in der Gewissheit verbringen müsst, dass Eure Blutlinie, das ‚Blut der Könige‘, wie Ihr es zu nennen pflegt, unweigerlich mit Euch dahinstirbt. Stattdessen kann nur – und so steht es geschrieben – Euer Wesir, der höchste Beamte des Pharaos, Euer Nachfolger werden, da ihr nur noch eine Tochter 293

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hinterlasst, die meine Frau sein wird. Das soll meine Rache für Euren schändlichen Verrat sein, die Euch noch zu Lebzeiten trifft! Beantwortet für Euch selbst die Frage, ob dann an jenem Tag, an dem Ihr Osiris gegenüberstehen und um Einlass nach Ra-setjau bitten werdet, die Feder auf der ‚Waage der Maat‘ tatsächlich Euer Herz aufwiegen kann, dass durch Eure Niederträchtigkeit so hart und schwer wie Granit geworden ist!“ Der König hatte sein Urteil vernommen und senkte den Kopf. Er hatte gewonnen, aber doch verloren. „Nun gut“, sagte er matt, „ich werde tun, was du verlangst! Aber glaube nicht, dass du eine Blutlinie begründen kannst, denn du hast keine Nachkommen!“ „Sollten die Götter mir nicht vergönnen, mit deiner Tochter Kinder zu haben, so werde ich gewiss einen geeigneten Wesir ernennen, der das Land in meinem Sinne führen wird, auch wenn ich bereits in den Gefilden der Seligen leben werde. Denn das Blut allein ist nicht entscheidend, auf die Fähigkeiten des Nachfolgers, das Wohl des Landes sicherzustellen, muss das Augenmerk gerichtet sein.“ Haremhab hob die Augenbrauen, eine Erinnerung stieg in ihm auf: „Entsinnt Ihr Euch Eurer Worte, die Ihr vor einer halben Ewigkeit an jenem Abend unserer ersten Begegnung in Waset an den Jüngling richtetet, der ich war?“ Eje erwiderte nichts. „Ihr sagtet mir damals ‚Du kannst alles erreichen‘ – und Ihr hattet Recht damit!“ Eje hatte keine Wahl und ernannte Haremhab zu seinem höchsten Beamten. Er gab ihm auch die Hand seiner Tochter Mut-nedjemet. Damit war die Thronfolge beschlossen und besiegelt. Zwar fühlte sich der neue Wesir schuldig, mit Mut-nedjemets Gefühlen zu spielen und ihre Verwandtschaft für seine Zwecke auszunutzen, aber die ungetrübte Liebe seiner neuen Gemahlin ließ ihn die düsteren Gedanken schnell vergessen, und aus der anfänglichen Sympathie für die anmutige Frau entwickelte sich schnell eine ebenso leidenschaftliche und tief begründete Gegenliebe. * Es war nur wenige Wochen nach Haremhabs Rückkehr, als eine Gruppe Gesandter von Chatti am Morgen eines sonnigen Tages 294

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vor dem Palast eintraf und bei der Königin vorgelassen werden wollte. Es gab ein aufgeregtes Stimmengewirr und Haremhab wurde gerufen. Skeptisch beäugte er die etwa 30 Ausländer, als sein Schreiber Semen-taui auf ihn zutrat und sich tief verbeugte. „Mein Herr, wie ich erfahren habe, landeten diese Männer vergangene Woche mit einem Schiff aus Kepeni im Delta.“ Er blickte sich verstohlen um und flüsterte dann: „Es ist Prinz Zannanza, ein Sohn von Großkönig Schuppiluliuma, um den die Große Königliche Gemahlin ihn vor vielen Monaten gebeten hat, mit seinem Gefolge!“ Der Wesir atmete tief ein. „Wer von ihnen ist Zannanza?“ Semen-taui deutete auf einen besonders grimmig dreinblickenden jungen Mann mit breiten Schultern und ungebändigten Augenbrauen, kurzem Rock, prunkvollem Oberkleid und einer spitzen Kappe, der abschätzend die Fassade des Palastes betrachtete. Die Haut über seiner Oberlippe war nicht rasiert und so wuchs ein breiter Streifen drahtiger schwarzer Haare unter seiner Nase. Haremhab schritt beherzt auf ihn zu und verneigte sich widerwillig. „Seid gegrüßt, ehrwürdiger Prinz!“ Voller Verachtung wandte sich der arrogante Blick des Chatti ihm zu. „Ich verlange, meine Frau zu sehen!“, polterte er unbeherrscht. „Nun, ich fürchte, Euer Vater hat zu lange mit seiner Entscheidung gewartet, Euch zu uns zu schicken. Die Königin ist inzwischen wieder verheiratet und das Land hat einen neuen König. Seht, der Thron Ägyptens kann nicht über Monate hinweg unbesetzt bleiben ...“ „Ich – will – diese – Frau – sehen!“ Es klang so bedrohlich, dass die Palastwache aus dem Hintergrund trat. „Wenn Ihr die Königin zu sehen wünscht, so werde ich fragen, ob König Cheper-cheperu-Ra, der Sohn des Ra, der Gottesvater Eje, es Euch gestattet.“ Haremhab ließ die Gesandten im Hof stehen und suchte Eje auf. Er fand ihn in seinen Privatgemächern. „Schuppiluliuma hat seinen Sohn gesandt, der nun vor dem Palast steht und lautstark die ihm versprochene Königin zu sehen verlangt!“ 295

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„Schick ihn fort!“ Eje machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich fürchte, dass er sich nur von Euch zum Gehen bewegen lassen wird!“ Eje schloss die Augen. „Dann sollen sich zwei Fanfarenbläser bereithalten!“ Haremhab traf die nötigen Vorbereitungen, damit der Herrscher Ägyptens ordnungsgemäß vor der ausländischen Delegation erscheinen konnte. Und weil er die schiere Verachtung in Zannanzas Zügen wie in einem aufgerollten Papyrus hatte lesen können, als er ihm gegenüberstand, befahl er auch den Bogenschützen des Palastes, unbemerkt auf dem Dach Aufstellung zu nehmen. Ärgerlich schlurfte der alte König einige Zeit später in den Thronsaal und bestieg mühevoll die Treppe, die von dort zum Erscheinungsfester führte, das sich in den Hof öffnete. Oben warteten bereits die beiden Trompeter und der königliche Herold, die Haremhab verständigt hatte. Durch ein Fingerschnipsen gab der Pharao den Fanfarenspielern zu verstehen, das er nun bereit war. Blecherner Klang erfüllte den Hof, auf dem der wenig um seine Haltung bemühte Zannanza immer gereizter wirkte, und wurde von den Mauern zurückgeworfen. Auf dem Balkon erschien nun der Herold des Königs und rief: „Auf Euer Gesicht vor der Majestät des lebendigen Horus, Kentjehen-chau, dem Erwählten der beiden Kronengöttinnen, Sechempehti-djer-Setjet, dem Goldfalken, Heqa-Maat, dem König von Ober- und Unterägypten, Cheper-cheperu-Ra, der die Maat durchsetzt, dem Sohn des Ra, dem Gottesvater Eje!“ Ein weiteres Mal kündigten die langen Trompeten Ejes Nahen an. Es war das erste Mal, dass Haremhab die vollständige Titulatur des neuen Herrschers hörte, und es wunderte ihn, das dieser die Maat, die seine Familie mit Füßen in den Staub getreten hatte, so auffällig betonte: „Herrscher der Maat“ bedeutete sein Goldfalken-Name und als einen, der diese Weltordnung durchsetzte, ließ er sich bezeichnen. Mit einem verächtlichen Lächeln verneigte er sich. Unbeeindruckt und geradezu gelangweilt hingegen sah Zannanza zum Erscheinungsfenster – er verneigte sich nicht. Als die Soldaten der Palastwache mit ihren Speerspitzen auf den unwilligen Prinzen aus Chatti und seine Begleiter wiesen, um sie 296

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zur Ehrfurcht zu bewegen, zogen die Männer der ausländischen Leibwache ihre Dolche. Haremhab rief das vereinbarte Zeichen, auf das die Bogenschützen auf den Mauerkronen der Hofumfassung und auf dem Dach des Palastes in Erscheinung traten. Ihre Pfeile waren eingespannt und auf die Fremden gerichtet. Eje durfte den Balkon aus Sicherheitsgründen nicht betreten. „Was ist das für ein Tumult?“ Anch-es-en-Amun betrat in einem durchschimmernden Leinenkleid, das erahnen ließ, was des Königs war, den Hof. Eine Leibgarde, die sich ihr in den Weg stellte, schob sie mit einem drohenden Blick aus ihren fast schwarzen Augen beiseite und baute ihre zarte Gestalt wütend vor Haremhab auf, beide Hände in die Seiten gestemmt. „Eine Dienerin unterrichtete mich darüber, dass der Prinz von Chatti mich zu sehen wünscht“, rief sie. „Weshalb warst du es nicht, der mich in Kenntnis setzte, mein Wesir?“ Alle Männer verharrten unverändert in ihren Bewegungen und blickten zur Königin. „Den Prinzen zu empfangen, dem Ihr Heiratsversprechungen machtet, ist für Euch nun ein Unterfangen, das nicht ratsam ist.“ „Wer von ihnen ist es?“ Sie zeigte auf die Gruppe der Fremdländischen, doch bevor Haremhab antworten konnte, trat der Prinz selbst hervor. „Seid gegrüßt, meine Königin. Ich bin Zannanza, der Prinz von Chatti, den mein Vater Schuppiluliuma auf Euren Wunsch nach Ägypten sandte!“ Anch-es-en-Amun wandte sich ihm zu und war von seiner exotischen Erscheinung sichtlich angetan. Haremhab konnte die Fleischeslust in ihren Augen aufflammen sehen und ahnte nichts Gutes. „Befiehl deinen Männern, ihre Dolche in meinem Palast in ihren Scheiden zu tragen!“ Zannanza sprach fremde Worte, worauf die Klingen der Chatti verschwanden. Als sie auf ihn zuging, war es für jeden der Umstehenden offensichtlich, dass die körperliche Anziehung auf beiden Seiten vorhanden war. „Meine Königin“, unternahm der Wesir einen letzten Versuch, das Unausweichliche zu verhindern, „wir müssen den Prinzen bedauerlicherweise bitten, in seine Heimat zurückzukehren!“ 297

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„Nein!“ Sie fuhr zu Haremhab herum. „Er kam auf meine Bitte – also ist er mein Gast und wird in meinem Palast wohnen!“ „Majestät, die Umstände haben sich inzwischen geändert – Ihr habt nun einen Gemahl!“ „JA, ICH HABE EINEN GEMAHL“, sie schrie ihre Worte über den Hof und blickte zum Erscheinungsfenster, hinter dem Eje stand. „Einen Greis habe ich zum Gemahl, der mein eigener Großvater, der Vater meiner Mutter, ist! Und weißt du, warum ich ihn geheiratet habe, Haremhab? Ich heiratete ihn, weil er mir sagte, dass er bei Prinz Zannanzas Erscheinen von der Ehe zurücktreten würde. Aber wie ich mittlerweile weiß, war dies eine Lüge! Einen alten Mann habe ich geheiratet, der jede Nacht in meine Kammer kommt und sein Recht als mein königlicher Gemahl fordert  – mein eigener Großvater! Er bemüht sich redlich, seine Blutlinie zu erhalten, damit Ihr, Haremhab, ein weiteres Mal betrogen werdet! Zuerst hatte ich ein Kind als Gemahl und nun habe ich einen Greis! Da steht er nun“, die kleine Hand wies zum Balkon, „der ‚Herrscher der Maat‘“, sie lachte bitter und freudlos, „und traut sich nicht einmal vor die Augen der Delegation von Chatti zu treten!“ Nun wandte sie sich wieder Zannanza zu und in ihrem Blick lag etwas unerhört Frivoles. „Meine Dienerin wird Euch Euer Gemach zeigen, in dem Ihr nächtigen könnt!“ Zu lange sahen sich die beiden Augenpaare an, die sich nach Ejes Plan niemals hätten begegnen dürfen. * Prinz Zannanza lebte mittlerweile schon wochenlang als Gast der Königin im Palast von Men-nefer, die sich seitdem ihrem Mann verweigerte. Seine Anwesenheit demütigte sowohl den König als auch jeden Höfling, denn Anch-es-en-Amun und er machten kein Geheimnis aus ihrer gemeinsamen Affäre. Sie bemühten sich nicht, bei ihren allnächtlichen Liebesspielen Diskretion walten zu lassen, sondern rannten zuweilen halbnackt und vor Vergnügen kreischend durch die menschenleeren Säle. Und wenn sie sich in einem der Schlafgemächer aufhielten, hallten ihre ungezügelten Lustschreie durch die einsamen Hallen und Gänge. Die Wachleute berichteten Haremhab sogar davon, dass sie das Paar 298

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beim verbotenen Liebesspiel auf dem heiligen königlichen Thron im Audienzsaal ertappt hatten! Auch sprachen sie unumwunden über ihre Zukunftspläne: Sie wollten gemeinsam die Zeit abwarten, bis der alte Eje den Gang zu seinen Ahnen antrat, um dann heiraten zu können. Ein Skandal bahnte sich an, der Ägypten in einem Strudel von Lächerlichkeit in den Abgrund zu ziehen drohte. Ihre Worte und Taten blieben kein Geheimnis, denn die Wächter trugen das, was sie sahen und hörten, empört nach draußen, wo sich die Neuigkeiten wie ein Feuer in der trockenen Steppe über Städte und Dörfer ausbreiteten und bald das ganze Land erfassten. Zannanza hatte sein weiteres Schicksal selbst besiegelt, denn es gab zu viele Menschen in Ägypten, denen er durch seine Taten offen ins Gesicht schlug – allen voran dem König selbst. Er stand dem Glauben, den Sitten und der Kultur des Landes, deren Königin er beschlief, offenkundig gleichgültig, wenn nicht gar abschätzig gegenüber. Schnell missfiel nun auch den friedliebenden Tauben unter den Untertanen, dass Ägypten mit Zannanza als zukünftigem König keinen unabhängigen Bestand mehr haben konnte, sondern sich in die Sklaverei eines rohen und brutalen Herrn begeben würde. Haremhab wusste nicht mehr genau, wer den Gedanken zuerst ausgesprochen hatte – gedacht hatte ihn jeder Ägypter: Zannanza musste sterben! Er demütigte den Pharao, er gefährdete die bestehende Thronfolge und er trat die Gefühle des Landes, das er einst beherrschen wollte, nur um Chattis Ruhm zu mehren, mit Füßen. Der Mord musste von einem vertrauenswürdigen Mann ausgeführt werden, denn obwohl jeder wissen würde, dass der Tod des Prinzen kein Unfall war, sollte die Nachricht über die wahren Hintergründe nicht unbedacht an die Öffentlichkeit gelangen – um einen Krieg mit Chatti nicht unbedingt zu provozieren. Haremhab wollte es tun, aber auch Ra-messu bot sich für diese, jedem Ägypter ehrenvolle Aufgabe an. Im schwachen Licht der Feuerbecken des Audienzsaals, die die verschwörerischen Gesichter der konspirativen Versammlung von Eje, Haremhab und Ra-messu beleuchteten, die in einem engen Kreis zusammensaßen und sich nur flüsternd unterhiel299

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ten, fiel die Wahl des Königs eines Nachts auf Haremhab, der die meiste Kampferfahrung habe. Doch Ra-messu protestierte aufgebracht. Eine solche Mission trage ein erhöhtes Risiko in sich und sei nicht ohne Gefahr für Leben und Ansehen des Ausführenden, argumentierte er. Haremhab erkannte an Ejes verschlagenem Gesichtsausdruck, dass er ihn nur aus diesem Grund ausgewählt hatte. Er hatte noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, ein Kind aus seinen Lenden, geboren von Anch-es-en-Amun, seiner Enkelin, auf den Thron zu setzen. Doch Ra-messu war noch nicht am Ende. Da die Last der Thronfolge auf Haremhabs Schultern laste, erklärte er, könne und würde er es nicht zulassen, dass sein Freund dieses Unterfangen auf sich nahm. Es sei vielmehr seine ehrenvolle Pflicht, den verfluchten Chatti zu töten Zähneknirschend willigte Eje schließlich ein. Schon in der Dämmerung des folgenden Tages bot sich Ramessu eine passende Gelegenheit. Er wusste, dass Zannanza sich an den Stallungen mit drei seiner Getreuen zu einer Wüstenjagd verabredet hatte. Er wartete ab, bis die Männer bereit zum Aufbruch waren, und in dem Moment, in dem jeder von ihnen damit beschäftigt war, das eigene Pferd zu besteigen, schoss der Offizier aus einiger Entfernung, ohne dass es irgendjemand gesehen oder gehört hätte, in kürzester Zeit vier schnelle Pfeile ab. Jeder einzelne von ihnen traf tödlich und ließ keinem seinem Opfer die Möglichkeit, die anderen zu warnen. Anschließend belud er den vorbereiteten Streitwagen mit den Leichen, verbarg sie unter einer Decke und verwischte alle Spuren der Tat. Er fuhr mit ihnen zum Fluss – in die der Wüste entgegengesetzte Richtung, denn dort würden die übrigen Chatti ihren Herrn und ihre Gefährten zwischen den Dünen suchen, aber nicht finden. Sein Ziel war eine einsame und gefährliche Stelle am Nil, die selbst von den Einheimischen gemieden wurde. Ra-messu entkleidete die leblosen Körper, damit keine Rückschlüsse auf ihre Identität gezogen werden konnte, falls die Krokodile doch entgegen aller Erwartung etwas von ihnen übrig lassen sollten. Doch die gefräßigen Tiere waren zu seiner Beruhigung hungrig, glitten gleichzeitig mit Zannanzas Leiche von den Uferbänken in den Fluss und schwammen zielstrebig auf ihre leblose Beute zu. Schnell warf 300

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Ra-messu noch die anderen drei Körper ins Wasser – und verschwand zügig. Hinter Dattelpalmen versteckt betete er zu Hapi, dem Nilgott, dass dieser ihm die Verunreinigung des ägyptischen Flusses mit Männern aus Chatti verzeihen möge. Und als er das laute Platschen, das die Tiere verursachten, als ihre Kiefer die Körper in wildem Schütteln zerrissen, hörte, sprach er zu Sobek, dem Krokodilsgott: „Mögen die Wesen, deren Gestalt du zu wählen pflegst, um den Menschen zu erscheinen, diese Opfergabe annehmen und nicht daran erkranken!“ Nachdem er die Kleidungsstücke verbrannt hatte, kehrte er in sein Haus zurück und betrat das Schlafgemach seiner Frau SatRa. „Ägypten ist von der Schande befreit“, hauchte er zärtlich in ihren Nacken, als er sich hinter sie legte. * Zannanzas Verschwinden fiel erst am Abend auf. Als es bereits tiefschwarze Nacht und der Prinz noch immer nicht zurückgekehrt war, kam von Seiten der Chatti die Befürchtung eines Anschlags auf. Doch erst am Morgen des übernächsten Tages brach einer von ihnen auf, um Großkönig Schuppiluliuma von den unhaltbaren Zuständen am ägyptischen Hof zu berichten, die nun, aller traurigen Wahrscheinlichkeit nach, in dem Mord an seinem Sohnes gegipfelt waren. Als der Prinz nach dem Ablauf einer Woche noch immer nicht von seinem vermeintlichen Jagdausflug zurückgekehrt war, kündigte Eje den noch im Palast befindlichen Chatti die Gastfreundschaft und schickte auch sie zurück in ihre Heimat. Nachdem weitere Wochen darüber verstrichen waren, erhielt der Pharao einen Brief von Schuppiluliuma. Eje saß auf seinem Thron im Audienzsaal, als er die winzigen Zeichen, die aussahen wie kleine Trompeten und die in die einst frische und weiche Tontafel gedrückt worden waren, entzifferte: „Als du dich auf den Thron gesetzt hattest, da hättest du meinen Sohn heimschicken können“, hieß es da anklagend. „Was habt ihr gemacht mit meinem Sohn?“ „Frage lieber, was dein Sohn mit meiner Frau und dem König Ägyptens getan hat“, kommentierte Eje bitter. Die nächsten Zeilen äußerten den Verdacht, dass Zannanza ermordet worden sein 301

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könnte und betonten einmal mehr, dass der Falke die siegreichen Armeen der Chatti nicht schrecken könnte! Eje ließ die kleine Tontafel fallen, die am Palastboden in kleine Fragmente zerbrach, und ließ unverzüglich nach Haremhab schicken. „Der elende Feind von Chatti fordert uns heraus“, verkündete der König seinem Wesir. * Wind tobte über das Schlachtfeld bei Amka und Regen peitschte über die Ebene. Gewaltig prallte das Heer der Chatti, unter der Führung des Kronprinzen Arnuwanda, eines weiteren Sohnes von Schuppiluliuma, gegen die ägyptischen Streitkräfte, die auf das Kommando von Haremhab hörten. Innerhalb weniger Stunden besiegte es unter tosendem Geheul der fremdländischen Schlachtrufe die ägyptischen, völlig überraschten Soldaten. Jede Taktik, die sich der Oberbefehlshaber des Pharaos zurechtgelegt hatte, schlug fehl. Der Wettergott der Chatti fegte die Kämpfenden mit gewaltiger Faust zu Boden und zerstörte ihre Streitwagen. Als Haremhab sich zutiefst entsetzt wegen der Niederlage in sein Zelt zurückgezogen hatte, hörte er vor dem Eingang die tiefe Stimme des Armeeschreibers, der die Wachen um Einlass bat. „Lasst ihn eintreten“, rief er ihnen zu und schon wurde die Zeltplane auseinandergeschoben. „Mein General“, der Schreiber verbeugte sich tief. „Wir haben bei der Bergung der gefallenen Soldaten, die auf so schmerzliche Weise von Anubis abberufen wurden, an einem Körper der Feinde eine Entdeckung gemacht, die wir uns nicht erklären können.“ Haremhab folgte dem Mann zurück auf die mit Gras bedeckte Senke, die das Blut an vielen Stellen rot gefärbt hatte. Der Schreiber deutete auf einen toten Chatti-Soldaten, der mit verrenkten Gliedern und starren Augen grotesk in den Himmel starrte. Der Körper war von einer unnatürlichen gräulichen Verfärbung und mit schwarzen Flecken, wie mit Holzkohle aufgetragen, übersät. Sachmet hatte ihre mächtige Pranke erhoben und sie hinab auf das Lager der Feinde fahren lassen, indem sie den schwarzen Tod aussandte. 302

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„Die Pest!“, entfuhr es Haremhab. „Es ist die PEST! Räumt sofort das Kriegsfeld und verbrennt die Toten allesamt – auch die unseren! Wir haben keine Wahl. Oh, Amun, verzeih, dass ich die armen Seelen unserer Tapferen des Königs hier auf diesem elenden Boden belassen muss und dass ich dir zu keinem Sieg verhelfen konnte!“ Die Seuche hatte sich nicht im ägyptischen Lager festsetzen können, raffte dafür jedoch die Armee des Arnuwanda und diesen selbst dahin. Bevor er starb, trug er die Pest noch tief in das Reich von Chatti, auch in dessen Hauptstadt, wo schließlich auch Schuppiluliuma verstarb. Der Krieg der beiden Großmächte wurde vorerst beigelegt – doch beendet war er nicht. Ejes Regierung währte noch vier Jahre, bis der schwarze Totenwächter mit der langen Schnauze ihn eines Nachts mit sich nahm.

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Kapitel 10 Die letzte Grenze „Als nun viele Tage vorbeigegangen waren, in dem der älteste Sohn des Horus Oberster Mund war als Regent des ganzen Landes, da wünschte dieser heilige Gott Horus, der Herr von Hutnisut, in seinem Herzen, seinen Sohn auf dem Thron der Ewigkeit fest einzusetzen. So reiste Horus im Jubel nach Waset, der Stadt des Herrn der Ewigkeit, indem sein Sohn in seiner Umarmung war, nach Ipet-sut, um ihn vor Amun zu geleiten und um ihm sein Amt als König zu überweisen.“ Die Menschen jubelten ohrenbetäubend, als Haremhabs Schiff am Kai des Tempels von Ipet-sut eintraf. Ra war mit seiner Barke bereits auf dem Weg, um hinter den Bergen in den westlichen Horizont einzutreten, doch es war noch angenehm warm. Ein Falke flog kreisend über der Menge und die Menschen wiesen staunend zum Himmel – ein göttliches Zeichen, wie sie meinten. Der Thronfolger wurde in das Königshaus geleitet, das sich direkt vor dem mächtigen Eingangstor zum Tempel von Ipetsut befand. Hier sollte er, wie alle großen Pharaonen vor ihm, seine letzte Nacht als Kronprinz zubringen. Viel Schlaf konnte er jedoch nicht finden, dazu ließ die Aufregung sein Herz zu kräftig schlagen. Er sah sich in seinem Gemach um und fand sich in einem Zimmer, in dem schon die Kriegsherren Thutmosis Men-cheper-Ra und Amenophis Aa-cheperu-Ra, die die Angst vor Ägypten in die Herzen der Fremdländer säten, der Diplomat Thutmosis Mencheperu-Ra, der die Töchter seiner Feinde heiratete, anstatt Krieg gegen sie zu führen, und natürlich auch der große Amenophis Neb-Maat-Ra, der den Frieden durch Geschenke zu stabilisieren wusste, ihrer Krönung entgegengesehen hatten. Die Wände des Raumes wurden von bunten Malereien dekoriert, die auch schon seine Vorgänger auf das vorbereiten sollten, was sie am folgenden Tag erwarten würde: Die rituelle Reinigung, das kultische Stillen, die feierliche Entgegennahme der Kronen und der Zepter, 304

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die Verkündung der fünfteiligen Titulatur, die Übergabe des tausendjährigen Erbes und schließlich das Schreiben des Königsnamens auf die Blätter des heiligen isched-Baumes, der Haremhabs Titulatur durch die Zeiten tragen würde. Den Zeichnungen waren Schriftzeichen hinzugefügt worden, die das Dargestellte erklärten, einen speziellen Königsnamen nannten sie jedoch nicht, denn die Malereien sollten jedem Prinzen dienen, der sich hier den Vorbereitungen der letzten Nacht widmete. Vor Haremhab war es der elende Eje gewesen, der diese Zeichnungen sah; bei Tut-anch-Amun hatte man noch bewusst auf eine Krönung in Ipet-sut verzichtet, da die Annäherung zwischen dem Königtum und dem alten Gott langsam stattfinden sollte. Aber auch Echnaton hatte die dunklen Stunden vor der Krönung, als sein Gott Aton noch nicht am östlichen Himmel aufgegangen war, in diesem Palast verbracht und tags darauf die Weihen von dem Gott empfangen, den er nur wenige Jahre später mit dem iri-em-temwen belegen sollte. Weil ihn die Aufregung sein Nachtlager nicht aufsuchen ließ, stieg Haremhab die Stufen zum Dach des Palastes hinauf, der in tiefer Dunkelheit lag. Er sah in den Himmel und betrachtete den dichten weißen Streifen aus Sternen, der mesqet genannt wurde, und spürte den sanften Wind, der rauschend die Blätter der Palmen umspielte und die Flaggenmasten des Tempels in ihren metallenen Befestigungen bewegte. Haremhab war dem uralten Tempel von Ipet-sut so nah wie noch nie zuvor. Wenn er den Palast verlassen hätte, so wären nur wenige Schritte nach links gewandt nötig gewesen, um direkt vor den gewaltigen Torbauten, dem Pylon des Tempels von Ipet-sut, zu stehen, den OsirisAmenophis Neb-Maat-Ra einst hatte erbauen lassen. Die Nacht war voller Magie. Er hörte leise Gesänge aus dem benachbarten Gotteshaus, helle Frauenstimmen, die sich mit den tiefen Rezitationen von Priestern abwechselten und von Flöten und Harfen begleitet wurden. Sie sollten Amun auf den Besuch des neuen Thronanwärters vorbereiten. Welch nie wieder gutzumachende Schande, dachte er, dass ein König sich hatte anmaßen können, diese Gesänge und den Kult für den großen Gott fast 15 Jahre lang zu verbieten! Aber auch weitere 15 Jahre nach dem Tod von Echnaton gab es noch so viel in Ägypten, was der isfet zugehörig war, durch 305

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die Blutlinie Ejes verursacht, das unbedingt beseitigt werden musste. Haremhab schloss die Augen und betete leise zu Amun, dessen göttliches Haus ihm nun ganz nah war. „Ich verabscheue die Sünde und werde die Lüge im Land vertreiben!“, schwor er inbrünstig. Dann schwieg er lange und genoss die beruhigende Stimmung der Nacht. „Danke, mein Freund!“, er sprach leise zum Firmament. Seine Worte galten Thutmosis, der einmal Kronprinz gewesen, doch dem es niemals vergönnt gewesen war, in diesem Palast zu schlafen, in dem Haremhab heute sein Haupt auf die Kopfstütze betten würde. „Das alles habe ich nur dir zu verdanken!“ * Als der Morgen dämmerte, wurde Haremhab aus dem Palast abgeholt. Sechs Priester trugen eine Sänfte, auf der er zum Tempel gebracht werden sollte. Die Menschen jubelten wieder, als sie seiner gewahr wurden. Man hielt sie auf Abstand und sie durften dem Schauspiel nur aus der Ferne folgen. Vor den geschlossenen Toren von Ipet-sut musste er die Bequemlichkeit der Sänfte verlassen. Die Stoffbahnen am oberen Ende der acht hohen Flaggenmasten aus echtem Zedernholz, beschlagen mit Kupfer, ihre Spitzen aus djam, vor den beiden mächtigen Pylonen, die sie um einiges überragten, bewegten sich im auffrischenden Wind. Nun schritten vier Priester mit den Masken der Götter Seth, Horus, Thot und Dewen-anui mit gefüllten Lederflaschen in den Händen auf Haremhab zu und stellten sich so um ihn herum auf, dass ein jeder von ihnen eine Himmelsrichtung symbolisierte. Dann träufelten sie Tropfen des kraft- und lebensspendenden Wassers aus dem Heiligen See von Ipet-sut über ihn, um ihn kultisch zu reinigen. „Deine Reinigung ist meine Reinigung und meine Reinigung ist deine Reinigung des Herrn der Beiden Länder“, sprachen sie. Horus wusch sein Gesicht und Seth trocknete es. Die besondere Wirkung bezog das Wasser des Sees hinter den dicken Mauern von Ipet-sut durch die Reisebarke des Amun, die den Namen User-hat trug. Dort ruhte sie und reinigte durch ihre Anwesenheit das Wasser, denn sie war es, die in direkter Berührung mit der göttlichen Figur des Amun stand, wenn dieser 306

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sich aufmachte, um anlässlich der Götterfeste und -prozessionen Ipet-resit oder das Westufer von Waset zu erreichen. Die vier Götter salbten ihn nun mit den neun heiligen Ölen, die aus neun der bedeutendsten Kultstätten Ober- und Unterägyptens angeliefert worden waren. Im Publikum herrschte atemloses Schweigen – jetzt war der künftige König rein genug, um die Wohnstatt des Gottes Amun betreten zu können. Der Priester mit der Maske des Horus von Hut-nisut trat von hinten zu Haremhab und legte ihm seine Handflächen auf die Schultern, um anzudeuten, dass der Anwärter auf das Königsamt unter seinem persönlichen Schutz stand. Dort verweilte er einen Moment, bevor er mit bedächtigen und weit ausladenden Schritten zum hoch aufragenden Eingangstor des Tempels ging und dreimal laut vernehmbar an die mächtigen Zedernholzbalken klopfte. Die Menge schwieg vor angespannter Aufregung. „Wer begehrt Einlass?“, donnerte eine besonders tiefe Stimme aus dem Innern. „Mein geliebter ältester Sohn, der Stolz der Stadt Hut-nisut und des gesamten Landes, Haremhab, den ich unter allen Menschen Ägyptens zum neuen König des Reiches auserkoren habe, wünscht den Segen des Herrn der Throne der Beiden Länder, Amun, zu erhalten!“ „Er möge eintreten!“ Das verschlossene Tor wurde von innen mit mächtigem Knarzen entriegelt und ächzend öffneten sich danach sehr langsam die beiden schweren Flügel und gaben den Blick auf das geheimnisvolle Innere preis. Die umstehenden Untertanen machten lange Hälse, um wenigstens einen kurzen Blick in die Räumlichkeiten des ihnen sonst verwehrten Hauses des Gottes Amun erhaschen zu können. Horus von Hut-nisut trat ein und Haremhab folgte ihm benommen. Die beiden Torflügel schlossen sich mit einem lauten Krachen und von innen wurde wieder der riesige Balken vorgelegt. Nun war er also im heiligen Haus des Amun. Unmittelbar vor Haremhab befand sich ein weiterer Pylon, dessen Tore jedoch noch verschlossen waren. Er bekam eine Schale mit Milch gereicht, die 307

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von der heiligen Kuh, der göttlichen Mutter, stammte, wie man ihm sagte und die ihn nun symbolisch säugte, während Haremhab trank. Er leerte die Schale mit einem Zug, die warme Milch rann seine Kehle hinunter, reinigte ihn von innen und ließ ihn seinen menschlichen Ursprung vergessen. Das nächste Tor öffnete sich und Horus von Hut-nisut und Haremhab blickten hoch zu den mit djam beschlagenen Spitzen der Obelisken von Thutmosis Aa-cheper-ka-Ra zu ihrer Rechten und dem der Hatschepsut zu ihrer Linken. Wie Eje ihm einst erzählte hatte, war das Denkmal der Königin zu einem Großteil vermauert, die anderen hatte er selbst einreißen und zum Teil weiterverbauen lassen. Sie mussten noch zwei weitere Pylone durchschreiten, bevor sie endlich rein genug vor dem verschlossenen Tor zum Allerheiligsten standen – in dem Amun wahrhaftig lebte. Auf dem Weg dorthin fielen Haremhab einige Stelen auf, deren Texte er selbst verfasst hatte, sowie eine Statue von Tut-anch-Amun, in der er dem Gott Amun seine Gesichtszüge geliehen hatte. Doch Haremhab durfte noch immer nicht in das Allerheiligste eintreten, sondern er wurde in eine kleine Kapelle am Rand des Weges geführt. Hier legte ihm der Hohepriester eine rote Leinenschärpe mit 60 geknoteten Fransen um den Hals, in die jeweils dreißig rote Kronen Unterägyptens und dreißig weiße Kronen Oberägyptens eingewebt waren. In seine Hände wurden nun die „Stäbe der fremden Länder“ gegeben, an deren Ende sich ein gefesselter Vorderasiate und ein Nubier in schmerzhafter Verrenkung nach hinten bogen. Sie symbolisierten seine von Gott gewollte Macht über sämtliche Fremdländer. Andere Priester schmückten sein Haupt unter gemurmelten Rezitationen mit einem Diadem, legten eine schwere Kette, die göttliches Leben verlieh, um seinen Nacken und besteckten die rote Schärpe mit einer nicht enden wollenden Vielzahl schützender und Macht übertragender Amulette. Den Schurz, den er zuvor getragen hatte, musste er ablegen – er erhielt nun das kurze Beinkleid der Pharaonen aus feinstem plissierten Königsleinen und dem Stierschwanz an der Rückseite und makellose Sandalen aus weißem Antilopenleder schmiegten sich nun an seine Füße. Dann verließen die Priester den Raum und nur Augenblicke später betraten ihn die Personifikationen von Chonsu, dem Sohn 308

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des Gottes Amun, und von Atum, dem uralten Gott des Königtums, der sich einst selbst aus eigenem Willen in den Fluten des Urgewässers erschaffen hatte, als noch nichts auf der Welt existierte. „Du wirst nun zum Göttertempel kommen und deinen Vater, den Herrn der Götter, sehen!“, kündigte Chonsu an. Gereinigt, geschmückt und neu gewandet verließ der Thronanwärter die Kapelle und trat mit Chonsu und Atum wieder auf das Allerheiligste zu. Diesmal öffneten sich die beiden Türflügel langsam und fast lautlos, und aus dem Inneren trieben dicke, schwere Weihrauchschwaden nach draußen. Irgendwo hinter Haremhab setzten Tempelsängerinnen, die von Flöten, Harfen und Sistren begleitet wurden, zu ähnlichen Melodien an, die der Wind schon in der Nacht zuvor aus dem Heiligtum zu ihm auf das Palastdach geweht hatte. Erneut wurde sein Besuch angekündigt. Ehrfürchtig trat er in den Nebel ein, der aus der Kammer drang und leicht in seinen Augen brannte. Der granitene Schrein mit dem goldenen Abbild des Gottes war noch immer verschlossen und versiegelt. Unter leisen Gebeten erbrach der Hohepriester das Siegel des Schreins. Haremhab legte sich bäuchlings auf den Boden und schloss die Augen. Wäre er unwürdig, könnte der Blick des Gottes ihn binnen eines Augenschlags auslöschen. Die schwere Kette klang metallisch auf den Platten. Der Priester löste die Schnur, die die Knäufe beider Flügel der Schreintür umspannte, und öffnete sie feierlich. Eine Figur des Gottes mit seiner hohen Doppelfederkrone aus purem Gold kam zum Vorschein, die das wenige Licht um sie herum reflektierte. Nach einer Weile trat Horus von Hut-nisut auf das Abbild zu und sprach: „Oh Amun, das ist mein ältester Sohn Haremhab. Und ich, der heilige Gott Horus, Herr von Hut-nisut, wünsche in meinem Herzen, meinen Sohn auf dem Thron der Ewigkeit fest einzusetzen!“ Amun rührte sich nicht, er sprach seine Worte so, dass allein der Hohepriester sie vernehmen konnte, und dieser versicherte, dass der Gott jubelte und wünschte, Haremhab zur Kapelle seiner Tochter Weret-heqau zu geleiten. Man gebot Haremhab, sich zu erheben und zum Ausgang des Allerheiligsten zu wenden, während der Gott aus seinem Schrein 309

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gehoben wurde und hinter dem Thronfolger Aufstellung nahm. Der Hohepriester schritt voran und zeigte Haremhab den Weg zur Kapelle der Weret-heqau. Die Götter frohlockten, als sich die kleine Prozession in Bewegung setzte. „Kommt, Amun ist gekommen, seinen Sohn vor sich, zum Palast, um seine Krone auf seinem Haupt zu befestigen und seine Lebenszeit ganz lang zu machen. Wir wollen uns versammeln und ihm seine Doppelkrone befestigen; wir wollen ihm den Schmuck des Ra zuweisen. Wir wollen Amun seinetwegen preisen! Du hast uns unseren Schützer gebracht; gib ihm die königlichen Jubiläumsfeste des Ra, die Jahre des Horus als König“, riefen die verkleideten Priester voller Freude. Die Kapelle war die erste in einer langen Reihe kleiner Heiligtümer, die sich um einen großen Hof hinter dem Allerheiligsten gruppierten und sich zu diesem hin öffneten. Eine Priesterin, die die Göttin Weret-heqau verkörperte, trat jubilierend aus ihrer Kapelle und verbeugte sich vor Haremhab. Dann umarmte sie ihn und befestigte einen Uräus, die Schutzmacht der Könige, an seinem Diadem. Damit war er nun Besitzer des königlichen Schutzes. In den nächsten Kapellen erwarteten ihn weitere Personifizierungen – nun die der beiden Kronengöttinnen Wadjit und Nechbet, die ihm nacheinander die einzelnen Kronen überreichten, die alle schon mit Uräen versehen waren: die hemhemKrone, die cheperesch-Krone aus Straußenleder und viele andere, aber auch verschiedene Kopftücher aus Leinen, unter ihnen das nemes-Kopftuch, erhielt er nun, mit liturgischen Gesängen kurz auf sein Haupt gesetzt. Schließlich musste Haremhab auf dem mittleren von drei Blockthronen auf einem Podest Platz nehmen, das inmitten des Hofes aufgebaut worden war. In seinen Händen hielt er heqa und nechacha vor der Brust gekreuzt. Wadjit und Nechbet setzten sich zu beiden Seiten neben ihn und Horus und Thot brachten ihm die Rote Krone Unterägyptens, die Weiße Krone Oberägyptens und die Doppelkrone der Beiden Länder. Nun hatte Haremhab alle Zepter und Kronen empfangen, die er als König von Ägypten brauchte. Einzig die Anerkennung des Amun war es, die ihm noch fehlte. Doch der Gott war nicht mehr anwesend! Der gekrönte Haremhab stieg unter dem Jubel der anwesenden Götter vom Podest, ließ sich die Doppelkrone vom 310

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Haupt nehmen und die cheperesch-Krone aufsetzen. Dann verließ er den Hof und folgte mit den Göttern dem Hohepriester, der ihn über verschlungene Pfade wieder zu den hintereinanderliegenden Pylonen führte. Sie passierten die beiden Obelisken und bogen dann in südlicher Richtung von der Hauptachse des Tempels ab. Hier hatte Hatschepsut zwei weitere Pylone errichtet, die auf den Tempel der Mut und auf Ipet-resit ausgerichtet waren. Dahinter lag linker Hand ein kleineres, dreigeteiltes Stationsheiligtum, das einst Osiris-Amenophis Aa-cheperu-Ra hatte errichten lassen. Hier erwarteten ihn bereits die goldenen Figuren des Amun, der Göttin Mut und des Chonsu in den geöffneten Schreinen auf ihren Reisebarken, die auf Altären standen. Haremhab stieg die flache Rampe zum Heiligtum hinauf und sank auf die Knie. „Amun wünscht, dass du dich umdrehst“, verkündete der Hohepriester. Haremhab gehorchte, blieb jedoch auf den Knien. Er spürte, dass jemand von hinten den Sitz seiner Krone korrigierte, und er wusste, dass dies die Hände des Gottes Amun waren, der bei jedem neuen König die cheperesch-Krone richtete. „Amun wünscht, dass du dich ihm wieder zuwendest!“ Haremhab gehorchte. „Der erhabene Gott Amun hat soeben Folgendes zu dir gesagt“, sprach der Priester. „‚Du bist mein Sohn, mein Erbe, hervorgegangen aus meinen Gliedern. Wie ich bin, so bist du. Du bist nicht fern von mir. Du bist mein ältester Sohn, den ich auf meinen Thron gesetzt habe, der Herr und Herrscher all dessen, was die Sonnenscheibe umkreist!‘“ Amun hatte ihn anerkannt und als rechtmäßigen König Ägyptens bestätigt. Haremhab war nun der Herrscher von Ober- und Unterägypten! Der Gott übergab ihm durch seinen Priester die Symbole der königlichen Jubiläen und eine Jahresrispe, die ihm eine lange Herrschaft verhießen. Priester salbten ihn untertänig mit Laudanum, einem duftenden Harz, und behängten ihn unter Gebeten und Lobpreisungen mit weiteren Amuletten. Und schließlich wurde das Hieroglyphenzeichen für das Königs­ amt aus zerkauten Brotkrümeln in der Hand des Horus geformt und mit ein wenig Harz verfestigt. 311

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„Kein Sterblicher soll es erhalten“, sagte Horus, als er Haremhab das Zeichen entgegenstreckte. Haremhab nahm es und aß es auf. „Das Zeichen für das Amt des Horus gehört ihm! Die Regierungsgewalt gehört ihm! Das bestätigt das Zeichen, sobald er es schluckt“, rezitierte Horus, während Thot und Seschat die Namen des Königs, die Haremhab zuvor gewählt hatte, auf die Blätter des heiligen isched-Baumes schrieben. Fanfaren vor dem Pylon kündigten den wartenden Untertanen an, dass ihr neuer König ihnen bald erscheinen würde. Der königliche Herold trat vor. „Verneigt euch in Ehrfurcht und Demut vor eurem neuen König“, forderte er sie mit klarer Stimme auf und verlas dann die Titulatur: „Drückt eure Stirn in den Staub vor dem Horus, Ka-nechet Seped-secheru, dem zu den beiden Kronengöttinnen Gehörigen, Wer-biaut-em-Ipet-sut, dem Goldfalken, Heru-her-Maat Secheper-taui, dem König von Ober- und Unterägypten, Djeser-cheperu-Ra Setep-en-Ra, dem Sohn des Ra, Haremhab, dem Leben gegeben werde in Ewigkeit!“ Das Tor öffnete sich und Haremhab trat zum erneuten Klang der Trompeten unter immer lauter werdendem Jubel aus dem Tempel von Ipet-sut. Hinter ihm folgten die Priester, die die Barken von Amun, Mut und Chonsu in jeweils zwei Reihen auf ihren Schultern trugen. Die erhabenen Götterfiguren waren von prächtigen Schreinen vor den Augen der Sterblichen geschützt, denn nur der König und die höchsten Priester durften sie schauen. Der neu erwählte Pharao führte die Prozession in Richtung Süden auf Ipet-resit zu, denn es war der Beginn des Opet-Fests, das nun zum ersten Mal unter seiner Regierung stattfand. Den Menschen Haremhab gab es nun nicht mehr – es existierte ausschließlich der Gott und König Ägyptens. Es war der 16. Tag des 2. Monats der achet-Jahreszeit. „Die Neunbogen sind unter seinen Füßen, der Himmel im Fest, die Erde in Freude; das Herz der Neunheit des Landes Ägypten ist froh. Das ganze Land aber war in Freude, und sie jubelten zum Himmel. Groß und Klein ergriff die Fröhlichkeit, und die ganze Erde jubelte. Als nun dieses Fest vor Ipet-resit beendet war, da war Amun, der König der Götter, wieder in Frieden nach Waset gegangen.“ 312

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* Bevor Haremhab Waset verließ, verhängte er offiziell das iri-emtem-wen über Echnaton, dessen Namen er verbot, fortan weiter zu nennen. Er sei der Feind von Achet-Aton, und als solcher sollte er künftig auch bezeichnet werden. Maja erhielt Anweisung, den Aton-Tempel, den der Feind in seinen frühen Regierungsjahren östlich von Ipet-sut zu Amuns Hohn hatte errichten lassen, abzutragen und in den neuen Bauprojekten, die Haremhab für Ipet-sut in Auftrag gab, als Füllmaterial zu verbauen. „Auf dass die ruhmlose Erinnerung an jene Jahre auf ewig verborgen bleibt“, sprach der König. Haremhab wünschte eine Erweiterung des Tempels von Ipetsut und ordnete an, eine Kolonnade von zehn gigantischen Säulen vor dem Eingangspylon von Osiris-Amenophis Neb-Maat-Ra zu bauen, die von einem neuen Pylon in westlicher Richtung abgeschlossen werden sollte. Nach Süden hin bestimmte er eine Verlängerung der Achse, die von Hatschepsut zum Tempel der Mut und nach Ipet-resit vorgegeben worden war, durch zwei weitere Pylone. Darüber hinaus war die große Kolonnade von Ipet-resit, deren Ausschmückung Tut-anch-Amun begonnen hatte, fertigzustellen. Auf dem Westufer wählte der Pharao den Platz für sein königliches Haus der Ewigkeit in unmittelbarer Nähe zum Grab von Osiris-Amenophis Aa-cheperu-Ra, dessen kriegerische Entschlossenheit er immer bewundert hatte. Als Tempel der Millionen Jahre sollte derjenige des Eje überbaut werden, den dieser seinerseits von Tut-anch-Amun übernommen hatte. Haremhabs verruchter Vorgänger sollte nicht in die Ehre kommen, eine Kultstätte in der Nachbarschaft des großen Osiris-Amenophis NebMaat-Ra zu besitzen. In den annähernd vier Jahren, die Haremhab als Ejes Wesir amtiert hatte, war es ihm möglich gewesen, tiefe Einblicke in die inneren Strukturen des Landes zu gewinnen, die ihm zuvor verschlossen geblieben waren – und er hatte erkennen können, dass sich die isfet seit der Regierung Echnatons tief in Ägyptens Fleisch gegraben und die Maat vertrieben hatte. Die Maat wiederherzustellen war Haremhabs oberstes Gebot – dafür organi313

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sierte er Verwaltung, Steuern und Militär neu und erließ zudem neue, gerechtere Gesetze. Er baute wieder auf, was zerstört, heilte, was beschädigt war und riss ein, was niemals hätte errichtet werden dürfen. Schließlich verhängte Haremhab das iri-em-tem-wen auch über Eje und seine Große Königliche Gemahlin Anch-es-enAmun, die im letzten Regierungsjahr ihres Mannes die Ablehnung nicht mehr hatte ertragen können, mit der man ihr nach ihrer unsäg­lichen Affäre mit dem Prinzen von Chatti allerorts begegnete, und schließlich den Tod als ihren einzigen Ausweg erkannt hatte. Die Beisetzungsfeierlichkeiten für Eje zu leiten und dabei die Rolle seines Sohnes und Nachfolgers zu übernehmen, hatte der neue König abgelehnt. Zwar konnte er dem Verstorbenen verzeihen, dass dieser vor wenigen Jahren versucht hatte, ihm sein Leben zu nehmen, nicht vergeben konnte er jedoch, dass dieser bei dem Versuch, seine eigene Blutlinie durchzusetzen, die Gebote der Maat in jeder nur erdenklichen Form übertreten hatte. Die Bestattung seines Vorgängers überließ Haremhab einem Priester der Nekropolenverwaltung, der ansonsten Privatleute beisetzte – da Eje zeit seines Lebens immer besonderes Gewicht auf seine Herkunft gelegt hatte, glaubte Haremhab, dass dies ohnehin in dessen Sinne gewesen wäre. Doch schon kurz nach der Bestattung veranlasste er Maja durch einen offiziellen Königsbefehl, den Zugang des Grabes im westlichen Nebental wieder freizulegen. Der Schatzhausvorsteher betrat mit seinem jungen Gehilfen, dem Domänenvorsteher Thutmosis, und einigen Arbeitern die düstere Gruft, in der unter ihrer Aufsicht die Gesichter und die Namen Ejes herausgeschlagen wurden. „Was soll mit dem Andenken von Tut-anch-Amun geschehen?“ Der König vernahm Majas Frage, die gut und folgerichtig war, und dachte lange nach. Sicherlich gehörte der junge Tut-anchAmun zu der Blutlinie, die Ägypten großen Schaden zugefügt hatte, aber Haremhab liebte ihn wie seinen eigenen Sohn. „Sein Grab lasse unangetastet“, sagte er schließlich, „und seine Denkmäler zerstöre nicht, sondern ändere den Namen in meinen um.“ 314

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Eines Tages erschien Ra-messu, Haremhabs alter Freund, den dieser inzwischen zu seinem Wesir ernannt hatte, beim König und meinte, dass ein Bildhauer aus Men-nefer, der für den Palast arbeitete, nach seinem Lohn verlangte, den ihm der verstorbene König Eje schuldig geblieben war. „Was hast du für ihn angefertigt?“, fragte Haremhab den über alle Maßen geehrten Bildhauer, der nicht erwartet hatte, zum König vorgelassen zu werden. „Es handelt sich um eine lebensgroße Figurengruppe des Generals Nacht-Min und seiner Gemahlin aus Kalkstein, mein König. Osiris-Eje wünschte, sie ihm nach dessen erfolgreicher Heimkehr aus Kepeni zum Geschenk zu machen!“ Haremhab horchte auf. „Und weshalb glaubst du, ich würde eine Statue des Sohnes meines Vorgängers, den ich mit dem iriem-tem-wen belegt habe, bezahlen wollen?“ Der Künstler hob entmutigt die Schultern. „Warum hat dir der Mann, der die Figur bei dir in Auftrag gab, nicht deinen dir zustehenden Lohn gegeben?“ „Er lehnte die Bezahlung ab, mein König, wegen der Trauer um den Tod seines Sohnes! Er wollte später zahlen, ließ mich aber nicht wieder vorsprechen und gab auch keine weiteren Stücke bei mir in Auftrag. Wir räumten die Statue in einen Lagerraum, wo wir sie nicht ständig sahen, bis mein Lehrling sie heute entdeckt hat.“ „Wo ist die Figur?“ Der König folgte dem Meister in seiner Sänfte zu dessen Werkstatt, in der das Stück stand. Eine herrliche Arbeit, dachte er. Die Arroganz in den Augen seines Widersachers war perfekt eingefangen worden. Dort saß er mit seiner schönen Frau in überheblicher und siegessicherer Selbstgefälligkeit. Haremhab spürte Zorn in sich aufsteigen. Er ging langsam um die Doppelstatue herum und bewunderte die Kunstfertigkeit ihres Schöpfers. Auf der Rückseite ließ ihn eine Inschrift in der Bewegung verharren: „Leiblicher Königssohn und Erbe Nacht-Min“, las er. „Gib mir einen Hammer“, befahl er dem Bildhauer. Dieser sah ihn verunsichert an. „Einen Hammer!“ Haremhab wedelte ungeduldig mit seiner Hand. 315

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Zögernd reichte der Bildhauer der Majestät, was sie verlangte. Der König holte weit aus und schlug der Figur des Nacht-Min mit einem sicheren Hieb den Kopf von den Schultern. Dieser stürzte zu Boden, wobei seine Nase abbrach, was Haremhab mit sichtlicher Befriedigung zur Kenntnis nahm. Danach ließ er den Hammer immer und immer wieder unter den entsetzten Blicken des Meisters auf die Statue niederfahren, bis nur noch unkenntliche Brocken übrig waren. „Gib dem Mann, was er verlangt“, sagte er zu Ra-messu, als er dem erschütterten Meister das Werkzeug zurückgab. * Die Situation in Vorderasien war ruhig: Im Reich von Chatti wütete noch immer die Pest und hinderte den elenden Feind daran, weiterhin Gebiete in diesem Raum einzunehmen. Aus Retjenu kam vielmehr eine Meldung, die Haremhab erfreute: „Dein Ruf umkreist das Ende der Welt, und die Furcht vor dir ist in allen Ländern. Jedes Land fürchtet deine Macht, und die Furcht vor dir ist in ihren Herzen! Dein Schrecken ist in ihre Leiber getreten und die Angst vor dir in ihre Herzen!“ Allerdings begehrten die Nubier kurz nach seiner Thronbesteigung auf, und die ägyptische Armee musste einmal mehr Präsenz im Süden zeigen. Es war kein gefährlicher Einsatz, nur eine Demonstration von Macht, und Haremhab führte diesen Feldzug nach Kusch noch selbst an, obwohl er bereits mehr als 50 Sommer erlebt hatte – es sollte sein letzter militärischer Eingriff bleiben. Auf dem Weg von Men-nefer nach Kusch ließ er am Ufer von Achet-Aton festmachen, und kehrte ein letztes Mal zu den Ruinen zurück, die die Zeit von dem einstigen Alptraum übrig gelassen hatte. „Trage Sorge dafür, dass das iri-em-tem-wen, das ich über den Feind von Achet-Aton verhängt habe, auch hier durchgesetzt wird“, befahl der König seinem Freund Ra-messu, als sie vor den Überresten der verlassenen Stadt standen. Haremhabs Augen funkelten zornig. „Die Gebäude, die noch stehen, sollen abgetragen und das Gelände niemals wieder besiedelt werden, denn siehe, eine schwere Krankheit hat Ägypten von hier aus heimgesucht! 316

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Was den Chatti die Pest, ist den Ägyptern Achet-Aton. Dieses Gebiet ist fortan but! Das ist der Befehl Meiner Majestät!“ Haremhab erreichte den Unruheherd in Kusch und seine Armee warf die Rebellen innerhalb kurzer Zeit nieder – es waren vorwiegend junge Männer, die wie übermütige Stiere ihre Herren abzuschütteln versuchten. Der König beobachtete die Schlacht von einer Anhöhe aus. Einige feindliche Krieger flohen und ein alter Nubier, der nicht bemerkte, dass der Pharao in seiner Nähe stand, rief ihnen fremdländische Worte nach. „Was hat er gesagt“, fragte Haremhab seinen Schreiber Ramose, dessen Vorgänger Semen-taui noch während Ejes Regierung verstorben war. Ra-mose schmunzelte: „Ihr Kinder, die ihr überheblich seid und vergessen habt, was euch gesagt wurde: Lasst nicht den Löwen heraus- und nach Kusch kommen!“ Haremhab lächelte zufrieden. Haremhab verbrachte viel Zeit in Waset. Die Stadt war sein wahrer Ort, an dem sein Herz ruhte. Besonders in den Wintermonaten, wenn in Men-nefer eine feuchte Kälte herrschte, die ihm in den letzten Jahren zunehmend unangenehmer in Knochen und Gelenke kroch und dort ein schmerzhaftes Reißen verursachte, hielt er sich mit Vorliebe in der südlichen Stadt auf, verbrachte viel Zeit mit Maja und besichtigte seine zahlreichen Baustellen in der Umgebung. * In den letzten Jahren seines Lebens fühlte der König die bittere Kälte der Einsamkeit besonders gnadenlos. Es lag nicht daran, dass keine Menschen um ihn herum gewesen wären – davon gab es genug –, es lag daran, dass die alten Weggefährten die große Reise nach Ra-setjau angetreten und sowohl ihr irdisches Leben als auch die große Gerichtshalle des Osiris und seiner Beisitzer bereits seit langem hinter sich gelassen hatten. Sie alle lebten nun im schönen Westen, den zu erreichen es Haremhab immer mehr verlangte. Sein alter Freund Maja, mit dem er vor mehr als 50 Jahren 317

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ein Zimmer im kap von Men-nefer geteilt hatte, starb in Harem­ habs 9. Regierungsjahr. Er hinterließ zwei Töchter, Maja-menti und Tjau-Maja, die Merit ihm spät geboren hatte, kurz nachdem sie, acht Jahre vor Maja, von diesem ging. Es gelang Haremhab, einen vertrauenswürdigen Mann, den Rindervorsteher des Amun, Djehuti mit Namen, ausfindig zu machen, der die beiden kleinen Waisenmädchen bei sich und seiner Frau Tuj aufnahm. Dafür wurde er vom König mit einem Haus der Ewigkeit in der Totenstadt von Men-nefer belohnt. Majas jüngerer Bruder Nahuher übernahm die Leitung der Beisetzungsfeierlichkeiten, an denen Haremhab nicht teilnehmen konnte – das verbot seine Stellung als König. Er besuchte Majas Grab, das sich nur wenige Ellen nördlich seines Generalsgrabes befand, kurze Zeit später und hinterließ ein Speise- und Trankopfer für Maja und Merit in der Opferkapelle. Als er die Anlage verließ, fiel sein Blick auf eine Inschrift, die ihn schmunzeln ließ: „Die Arbeiten der Regierung, die durch mich entstanden sind, sind etwas, das seit meiner Jugend für mich von meinem Gott vorherbestimmt gewesen ist. War mir doch seit meiner Kindheit das Wandeln vor dem Angesicht Seiner Majestät beschieden. Ich erreichte glücklich das Ende meiner Karriere, indem ich unzählige Zeichen der Gunst genoss durch den Herrn der Beiden Länder. Anfangs war ich gut, gegen Ende brillant, einer, dem im Tempel des Ptah friedvolle Verehrung zuteil wurde. Ich führte die Absichten des Königs meiner Lebenszeit aus, ohne irgendeinen seiner Befehle zu vernachlässigen. Ich verschönerte die Tempel, in dem ich die Götterbilder schuf innerhalb meiner Verantwortung. Ich näherte mich von Angesicht zu Angesicht dem erlauchten Antlitz ...“ „Wie recht du hast, alter Freund“, meinte der König leise und trat zu seiner Leibwache, die mit der Sänfte vor dem Pylon des Grabes wartete. Ein Jahr nach Maja starb Haremhabs treuer sandfarbener Begleiter Beh-ka, der sich einst im Lager bei Kepeni todesmutig auf Nacht-Min gestürzt hatte. Wer einem König das Leben rettet, verdient eine besondere Belohnung, dachte Haremhab und ließ im sechet-aat schräg 318

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gegenüber seines eigenen Hauses für die Ewigkeit ein Felsengrab für Beh-ka ausschlagen, in dem der alte Hund, bestens mumifiziert, seine lange Reise antreten konnte. Nur zwei Jahre später wurde auf Wunsch der Königin auch deren Lieblingspavian dort beigesetzt. Seine geliebte Mut-nedjemet verlor bald nach Haremhabs Thronbesteigung all ihre Zähne und konnte nur noch weiche Speisen zu sich nehmen. Haremhab sorgte sich sehr um sie. Keines der Kinder, die sie ihm gebar, überlebte. Das letzte riss sie bei der Geburt sogar selbst mit in den Tod. Das geschah im 1. Monat der achet-Jahreszeit seines 13. Regierungsjahres. Zwar hatte der König ihr ein Felsengrab in set-neferu auf dem Westufer von Waset ausschlagen lassen, aber er entschied, seine Gemahlin und das kleine Kind in dem Grab beizusetzen, das er als General für sich hatte anfertigen lassen und in dem bereits seine erste Frau Amenia, die Haremhab auf dieselbe Weise an Osiris verloren hatte, ruhte. Als der König Mut-nedjemet beigesetzt hatte, ging er noch einmal durch die Höfe seines Grabes und betrachtete auf einen Stock gestützt die Bilder, die inzwischen in die Wände eingemeißelt waren. Auf Geheiß von Peh-ef-nefer, der als Totenpriester noch immer für den Kult zuständig war, waren sämtliche Darstellungen Haremhabs, die ihn als General zeigten mit einem Uräus an der Stirn versehen worden, was den veränderten Status des Bauherrn zum Ausdruck brachte. Der Pharao ließ seinen Blick über die Szenen wandern, die von seinem Leben als General erzählten: von seiner Begegnung mit dem Vizekönig von Kerekemesch, den er zum Friedensschwur aller fremdländischen Fürsten, einschließlich der Tjehenu, zwang; vom Zug der Kriegsgefangenen, die er nach Ägypten führte; den widerspenstigen gefangenen Nubiern, die nur durch Kinnhaken zu belehren waren; seiner Verleihung des Ehrengoldes; vom Lagerleben seiner Truppen und auch von der Ehrengoldverleihung, die er als Regent seinem jetzigen Wesir Ra-messu für die heldenhafte Beseitigung des elenden Chatti-Prinzen Zannanza hatte zukommen lassen. Haremhab wandte sich schließlich zum Gehen und verließ das Haus der Ewigkeit, das er als General des Herrn der Beiden Län319

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der für sich hatte errichten lassen und in dem nun seine beiden Gemahlinnen wohnten. Er drehte sich noch ein letztes Mal um, so als ahnte er, dass er nicht wieder an diesen Ort zurückkehren würde. Dann wandte er sich seinen Sänftenträgern zu, die den schwachen König in den Palast zurückbrachten. * Ra-messu erwachte und bemerkte bestürzt, dass Haremhabs Nase plötzlich spitz wirkte und seine Schläfen eingefallen waren. Das Gesicht besaß nun einen grauen Schimmer und die straff über den Schädel gespannte Haut war hart und trocken wie ein Papyrusblatt. Haremhabs Augen traten hervor. Er starrte ins Leere, sah Menschen oder Orte, die Ra-messu nicht erkennen konnte, und formte Worte, die sein Freund nicht verstand. Er hatte den Kopf erhoben und seine Nackenmuskeln waren verkrampft. Er versuchte etwas zu sagen, aber kein verständlicher Laut drang aus seiner Kehle ... und schließlich sank sein Kopf wieder zurück auf sein Lager. Die Verkrampfungen lösten sich und sein Gesicht entspannte sich, aber die Augen blieben geöffnet. Der König atmete nicht mehr. Anubis hatte Haremhab mit sich genommen. Später betrat Ra-messu den Palastgarten, in dem ein neuer Tag mit all seinem Leben begann. Die frische, kalte Luft schnitt in seine Lungen, als er tief einatmete. Der Sturm hatte sich gelegt. Er war von Westen gekommen, um Haremhab in dessen 14. Regierungsjahr zu seinen Lieben zu bringen.

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Epilog Ra-messu stand mit seinem Sohn Sethos und seinem kleinen Enkel, der ebenfalls auf den Namen Ra-messu hörte, am frisch versiegelten Eingang von Haremhabs Grab, in dem der Verstorbene soeben beigesetzt worden war. Sie sahen zu, wie die Arbeiter den tiefliegenden Zugang mit Geröll zuschütteten und unzugänglich machten. Der alte Mann war inzwischen zum neuen König Ägyptens gekrönt worden: Horus, Ka-nechet Wadj-nesit, der zu den beiden Kronengöttinnen Gehörige, Chai-em-nisut-mi-Atum, der Goldfalke, Semen-Maat-chet-taui, der König von Ober- und Unterägypten, Men-pehti-Ra, der Sohn des Ra, Ra-messu lauteten nun seine Namen. Er legte jeweils einen Arm um seinen Sohn und seinen Enkel. „Er wünschte, dass er unterschieden werde von den Königen, die gewesen waren. Diesen Wunsch hat er sich selbst erfüllt. Haltet die Erinnerung an diesen Mann in Ehren“, sagte er bedeutsam mit einer brüchigen Stimme, die sowohl sein hohes Alter, aber auch seine tiefe Traurigkeit über den Verlust des Freundes verriet, „denn er war es, der unsere Familie zu Königen machte!“ Der Falke, der schon eine geraume Weile über dem Tal gekreist war, beobachtete, wie die drei Personen sich von Haremhabs Grab entfernten. Dann stieß er einen langgezogenen Schrei aus und flog über das Gebirge nach Westen, der untergehenden Sonne entgegen. Es war der 9. Tag des ersten Monats der schemu-Jahreszeit.

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Nachwort Die Könige Sethos I. und Ramses II. erfüllten den Wunsch ihres Ahnherrn Ramses I., den dieser allerdings niemals belegbar ausgesprochen hat. Die Königslisten in ihren Tempeln von Abydos beispielsweise übergehen die Könige der sogenannten Amarnazeit (Echnaton, Semenech-ka-Ra, Tut-anch-Amun und Eje) und setzen Haremhab als direkten Nachfolger von Amenophis III. – was zweifellos in dessen Sinne gewesen wäre. Einen Roman über das Leben des Pharaos Haremhab zu ­schreiben ist – gerade für einen Ägyptologen – ein wirklich spannendes Abenteuer, denn dieser rätselhafte Mann war eine Ausnahmepersönlichkeit innerhalb der langen Reihe von Pharaonen. Haremhab wurde nicht als Kronprinz geboren und als König beigesetzt. Sein Leben verlief offensichtlich viel komplizierter und viel weniger gradlinig – kurz gesagt: interessanter. Es beschreibt eine der unglaublichsten Karrieren des alten Ägypten. Haremhab diente unter fünf der bekanntesten Herrscher Ägyptens, bevor er selbst Pharao wurde und den Weg für die beginnende sogenannte Ramessidenzeit ebnete, aus der er den späteren Ramses I. und Sethos I. und aller Wahrscheinlichkeit nach auch bereits Ramses II. persönlich kannte. Doch während sich die Autoren historischer Romane über das alte Ägypten immer wieder die Biografien von Hatschepsut, Echnaton, Tut-anch-Amun und Ramses II. als Vorlage für ihre Werke wählten, ist Die Toten kehren wieder mit dem Wind bislang die einzige belletristische Würdigung des faszinierenden Lebens von Haremhab. Bei einer Beschäftigung mit den historischen Zeugnissen zu diesem Mann wundert dieser Sachverhalt allerdings nicht, denn wissenschaftlich kann man sich Haremhab nur bedingt nähern. Unvermittelt erscheint er, dekoriert mit allen militärischen Titeln und Ehren, als oberster General und Regent unter Tutanch-Amun. Er scheint aus dem Nichts gekommen zu sein, seine Herkunft liegt völlig im Dunkeln. In einer Krönungsinschrift des späteren Herrschers Haremhab erhält die lokale Ausprägung des Gottes Horus von Hut-nisut einen besonderen Stellenwert, so 322

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dass sein Ursprung – zumindest lokal – in diesem Gebiet zu verankern sein muss. Eine solch bedeutende Position im Staat unter Tut-anch-Amun ist allerdings kaum denkbar, wenn die Laufbahn des Amtsinhabers nicht schon früher greifbar wird, und so muss Haremhab spätestens unter Echnaton am Königshof zu finden sein. Tatsächlich gibt es in Achet-Aton (Amarna) ein unvollendetes Felsengrab mit der modernen Bezeichnung 24, das einem Mann namens Pa-Aton-emhab gehörte, bei dem sowohl Name als auch Titel eine auffällige Ähnlichkeit zu denen aufweisen, die später bei Haremhab belegt sind. Die Idee einer Gleichsetzung dieser beiden Personen ist nicht neu, aber auch nicht unumstritten; m. E. ist sie nicht von der Hand zu weisen, weshalb ich sie für den Roman verwertet habe. Wir wissen, dass Haremhab sich unter Tut-anch-Amun ein besonders prachtvolles Beamtengrab bei Saqqara errichten ließ, in dem zunächst seine erste Frau Amenia beigesetzt wurde. Seine Beziehung zu Eje muss sich im Laufe der Jahre verschlechtert haben, wie die Zerstörungen in dessen Grab im Tal der Könige erahnen lassen. Dass Haremhabs zweite Ehefrau die Schwester der Nofretete und vielleicht eine Tochter des Eje ist, wird vielfach vermutet, gilt jedoch keinesfalls als gesichert. Diese Konstellation ist aber ein interessantes Gedankenspiel, das eine besondere Dynamik in die Personenkonstellation eines Romans bringt. Die Dauer seiner Regierung als König galt in der Wissenschaft bis vor kurzem als unklar, doch konnten jüngste Nachgrabungen im Königsgrab, deren Ergebnisse auf dem 10. Internationalen Ägyptologenkongress auf Rhodos im Jahre 2008 vorgestellt wurden, den Nachweis dafür erbringen, dass eine 14jährige Regierungsdauer des Königs, der höchstwahrscheinlich im 1. Monat dieses Regierungsjahres verstarb, am wahrscheinlichsten ist. Seine Krönung in Ipet-sut und Ipet-resit muss sich in der ersten Septemberhälfte des Jahres 1319 v. Chr. ereignet haben, zwischen dem 15. und 26. Tag des 2. Monats der achet-Jahreszeit. Das Datum seiner Beisetzung ist bekannt: Es war der 9. Tag des ersten Monats der schemu-Jahreszeit, nach unserem julianischen Kalender und bei einer 14-jährigen Regierungsdauer war dieses am 20. März des Jahres 1305 v. Chr. Sein Todeszeitpunkt kann unter Berücksichtigung einer 70tägigen Mumifizierung und der 323

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Überführung des Leichnams von Men-nefer nach Waset etwa auf Ende Dezember 1306 v. Chr. berechnet werden. Die Toten kehren wieder mit dem Wind ist ein historischer Roman, der sich auf Fakten stützt und dessen Akteure in den meisten Fällen historisch belegte Persönlichkeiten sind. Dabei ist der Titel eine Anlehnung an ein Zitat des späteren ägyptischen Totenbuchs, er bezieht sich hier auf die Rahmenerzählung. Wie jeder andere Roman jedoch lebt er von der Fantasie seines Schöpfers. Ich war bemüht, die Fakten über Haremhab in möglichst nachvollziehbarer Weise miteinander zu verbinden. Allerdings war dafür auch eine große Portion Fantasie nötig, und es wurden Behauptungen aufgestellt, die nicht zu beweisen sind. So ist z. B. eine Ehe zwischen dem früh verstorbenen Kronprinzen Thutmosis und der späteren Nebenfrau des Echnaton, Kija, frei erfunden. Aus Gründen des Handlungsflusses wurden einige Fakten vereinfacht dargestellt oder nicht erwähnt, so ist etwa das Beamtengrab des Haremhab in insgesamt drei Hauptbauphasen errichtet und stetig erweitert worden, wodurch sich der Grundriss änderte. Für den Roman wollte ich diese Details nicht vertiefen, die sich schlecht mit der Handlung verbinden ließen, sondern gebe die letztendliche und heutige Erscheinung des Grabes als die von Anfang an geplante Form an. Ferner habe ich mich bemüht, soweit es möglich war, die originalen Bezeichnungen von Ländern, Ortschaften oder Personen zu verwenden. Vielfach musste allerdings aufgrund der besseren allgemeinen Bekanntheit eine andere Fassung gewählt werden (etwa Amenophis statt Amun-hetep; Thutmosis statt Djehutimes; Haremhab statt Hor-em-heb). Für Die Toten kehren wieder mit dem Wind war es möglich, viele ganz neue Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zu berücksichtigen – so ist u. a. inzwischen neben der exakten Regierungslänge des Haremhab bewiesen, dass Echnaton zweifelsfrei der Vater des Tut-anch-Amun gewesen ist. Was darüber hinaus auf archäologischen Fakten und was auf künstlerischer Freiheit beruht, mag der geneigte Leser mithilfe der im Literaturverzeichnis angegebenen Auswahl an Werken selbst erforschen. 324

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Danksagung Bereits als Schüler und während des Studiums habe ich die ersten Fassungen für diesen Roman entworfen und irgendwann als belletristische Ruine zurückgelassen. Meine Frau Nadine Höveler fand diese Aufzeichnungen und ermutigte mich, daran weiterzuarbeiten. Ihr möchte ich für ihre Überzeugungsarbeit, ihr unermüdliches Engagement und ihre zum Teil unerbittliche, doch stets konstruktive Kritik danken, die das Resultat ganz wesentlich beeinflusst hat. Meiner Lektorin Sarah Höxter (Hamburg), die sich für Die Toten kehren wieder mit dem Wind gründlich in die Welt des alten Ägypten eingelebt hat und alles hinterfragte, was nicht eindeutig genug war, verdanke ich umfassende professionelle Hilfestellung bei der Bearbeitung meines ersten Romans. Mein Freund Hans Quintus (Grevenbroich) las einige Fassungen des Rohentwurfs und war ein früher Anhänger des Romanhelden – wenn auch nicht immer des Titels. Er begleitete uns zudem 2004 auf eine ereignisreiche Spurensuche nach Ägypten. Stefan Bojowald, M. A. (Bonn) danke ich für tiefschürfende Diskussionen über das leider so unbekannte Alltagsleben der vergangenen Zeit und für etliche Hinweise aus seiner umfangreichen ägyptischen Wortsammlung, die nicht alle in das Endprodukt eingearbeitet werden konnten. Karin Schul (Neu-Isenburg) sei für die amüsante Begleitung bei den (sozusagen) nicht immer gefahrlosen Besichtigungen der Originalschauplätze in Ägypten herzlich gedankt. Und schließlich darf an dieser Stelle unsere Hündin Kija nicht unerwähnt bleiben, eine sandfarbene ägyptische Schönheit, die aus Luxor stammt und die bei der Wiederbelebung des Hundes von Haremhab ungefragt mitgewirkt hat. Von den vielen fleißigen Helfern im Verlag Philipp von Zabern möchte ich stellvertretend Frau Dr. Annette Nünnerich-Asmus und Herrn Dr. Cornelius Hartz für die erneut gute Zusammenarbeit danken. Beide haben sich von der ersten Minute an für die Geschichte des Haremhab begeistert und dieses Projekt bereitwillig in die noch junge Reihe der historischen Romane bei Zabern aufgenommen. Michael Höveler-Müller Bonn/Rheinbach, im Dezember 2008 325

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Königsliste der 18. und 19. Dynastie* 18. Dynastie Eigenname Ahmose Amenophis (I.) Thutmosis (I.) Thutmosis (II.) Hatschepsut Thutmosis (III.) Amenophis (II.) Thutmosis (IV.) Amenophis (III.) Amenophis (IV./Echnaton) Semenech-ka-Ra/ Nefer-neferu-Aton Tut-anch-Amun Eje Haremhab

Thronname Neb-pehti-Ra Djeser-ka-Ra Aa-cheper-ka-Ra Aa-cheper-en-Ra Maat-ka-Ra Men-cheper-Ra Aa-cheperu-Ra Men-cheperu-Ra Neb-Maat-Ra Nefer-cheperu-Ra Wai-en-Ra Anch-cheperu-Ra

Regierungsdaten 1550–1525 v. Chr. 1525–1504 v. Chr. 1504–1492 v. Chr. 1492–1479 v. Chr. 1479/1473–1458/57 v. Chr. 1479–1425 v. Chr.** 1428–1397 v. Chr.** 1397–1388 v. Chr. 1388–1351 v. Chr. 1351–1334 v. Chr.

Neb-cheperu-Ra Cheper-cheperu-Ra Djeser-cheperu-Ra

1333–1323 v. Chr. 1323–1319 v. Chr. 1319–1305 v. Chr.

1337–1333 v. Chr.**

19. Dynastie Geburtsname Thronname Ra-messu (Ramses I.) Men-pehti-Ra Sethi (Sethos I.) Men-Maat-Ra Ra-messu (Ramses II.) User-Maat-Ra Meri-en-Ptah Ba-en-Ra Amun-messu (Amenmesse) Men-mi-Ra Sethi (Sethos II.) User-cheperu-Ra Ra-messu Sa-Ptah (Siptah) Sechai-en-Ra (später: Ach-en-Ra) Ta-useret Sat-Ra

Regierungsdaten 1305–1303 v. Chr. 1303–1292 v. Chr. 1292–1226 v. Chr. 1226–1216 v. Chr. 1216–1213 v. Chr. 1213–1206 v. Chr. 1206–1200 v. Chr. 1206–1198 v. Chr.

* Von der insgesamt vollständigen fünfteiligen Titulatur der Könige (bestehend aus Horus-, Herrinnen-, Goldfalken-, Thron- und Eigennamen) sind an dieser Stelle nur die beiden Ringnamen, d. h. diejenigen, die von einer Kartusche umschlossen werden und auch im Text Erwähnung finden, ohne die jeweiligen Epitheta aufgeführt. Die Regierungsdaten sind geringfügig modifizierte Angaben nach J. v. Beckerath, Chronologie, S. 189 f.; die angeführten Daten sind als „ca.-Werte“ zu verstehen. ** Die Überschneidungen der Regierungszeit mit der des Vorgängers liegt in einer gemeinsamen co-Regentschaft beider Herrscher begründet.

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Glossar Aa-cheper-en-Ra

„Groß ist die Gestalt des èRa“; èThronname von Thutmosis II. (1492–1479 v. Chr.)

Aa-cheper-ka-Ra

„Groß ist die Gestalt des èKa des Thutmosis I. (1504–1492 v. Chr.)

Aa-cheperu-Ra

„Groß ist das Wesen des èRa“; èThronname von Amenophis II. (1428–1397 v. Chr.)

Abdju

Ort in Oberägypten, heute: Abydos

Abu

Ort in Oberägypten, heute: Elephantine bei Assuan

achet

Horizont

Achet-Aton

„Horizont des Aton“; Ort in Mittelägypten, heute: Tell elAmarna

achet-Jahreszeit

„Überschwemmung“; zu Haremhabs Lebzeiten etwa Mitte Juli bis Mitte November; dieses ‚achet‘ ist nicht zu verwechseln mit dem hieroglyphisch unterschiedlichen ‚achet‘ (Horizont)

„älteste Freunde des Palastes”

èRa“; èThronname

von

Bezeichnung der 12 Würdenträger, die den Sarg des ziehen

èTut-anch-Amun

Ahmose

Begründer der 18. Dynastie und Vertreiber der Fremdländer, die die Herrschaft über Ägypten ausübten

Akujati

nubischer Nomadenstamm

Alalach

Stadt am unteren Orontes; Hauptstadt von Mukisch

Aleppo

syrische Stadt; heute: Haleb

Amenia

Sängerin des Amun, Herrin des Hauses; erste Gemahlin des Haremhab

Amenophis/Echnaton

„Amun ist zufrieden“/ „Der dem Aton wohlgefällig ist“; Geburtsname bzw. geänderter èEigenname des Königs (1351–1334 v. Chr.); Sohn und Nachfolger Amenophis’ III. (1388–1351 v. Chr.) mit seiner Hauptgemahlin èTeje; Gemahl der èNofretete und Vater seines Nachfolgers èTut-anchAmun

Amenophis-Hui (auch nur Hui genannt)

Vizekönig von Nubien unter èTut-anch-Amun

Amenophis, Sohn des Hapu

Rekrutenschreiber und Bauleiter, aus Athribis stammend, unter Amenophis III. (1388–1351 v. Chr.), der vom König über alle anderen Beamten u. a. durch die Erlaubnis der Anlage eines èTempels der Millionen Jahre in unmittelbarer Nähe zu seinem König geehrt wird, in dessen 34. Regierungsjahr er im Alter von über 80 Jahren verstirbt; spätere Generationen vergöttlichten ihn.

Amka

Land auf dem Gebiet des heutigen nördlichen Libanon; ägyptisches Hoheitsgebiet

Amun

„Der Verborgene“; Gott des Windes und Throngott; Reichsgott im Neuen Reich seit der 18. Dynastie; bildet mit der Göttin èMut und dem gemeinsamen Sohn èChonsu die Götterfamilie von èWaset

Anch-cheperu-Ra

„Lebendig sind die Gestalten des Ra“;èThronname von èSemenech-ka-Ra (1337–1333 v. Chr.)

Anch-em-Maat

„Der in (oder: von) der Wahrheit Lebende“; Beiname des èAmenophis/Echnaton

Anch-es-en-pa-Aton „Sie lebt für den Aton“ (bzw. „Sie lebt für Amun“); drittälteste (später: Anch-es-en-Amun) Tochter von èAmenophis/Echnaton in seiner Hauptehe mit èNofretete; Gemahlin des èTut-anch-Amun und wahrscheinlich auch des èEje; nach dem Tod des Letzteren schweigen die Quellen über sie

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Anen

2. Priester des èAmun von èIpet-sut; Sohn des èJuja und der èTuja; Bruder der èTeje und wohl auch des èEje, belegt im 20. Regierungsjahr Amenophis’ III. (1388–1351 v. Chr.); Grab auf dem Westufer von èWaset (TT 120)

Anubis

schakalköpfiger Totengott, Begleiter des Verstorbenen in die Unterwelt, zuständig für die Mumifizierung des Leichnams, Beschützer der Nekropole

Aparel

Wesir von Unterägypten unter Amenophis III. (1388–1351 v. Chr.); Felsengrab beim heutigen Saqqara nahe Kairo (1980 entdeckt)

Arnuwanda

Sohn und frühverstorbener Kronprinz des hethitischen Großkönigs èSchuppiluliuma

Aton

Erscheinungsform der Sonne als Scheibe, von der die lebensspendenden Sonnenarme ausstrahlen; unter èAmenophis/Echnaton zum Reichsgott erhoben

Atum

menschengestaltiger Ur- und Schöpfergott von èIunu; Herr des Königtums und ältester Gott; Sinnbild der untergehenden Sonne

Baki

Ort in Unternubien, heute: Quban, jedoch verloren in den Tiefen des Nasser-Sees

Beide Länder

ägypt. Bezeichnung für Ober- und Unterägypten

Bes

gutartiger kleiner Dämon oder Troll, der besonders den Schwangeren beisteht

but

Tabu

Chai-em-nisut-mi-Atum

„Der als König erscheint wie

èRa-messu

èAtum“; èHerrinnen-Name

Chatti

Hethiter bzw. Land der Hethiter

Chenu

Ort in Oberägypten, heute: Gebel el-Silsila

des

Cheper-cheperu-Ra

„Entstanden sind die Gestalten des

cheperesch-Krone

sog. „Blaue Krone“ aus Straußenleder, fälschlich und irreführend als „Kriegshelm“ bezeichnet; Aufkommen mit der 18. Dynastie

Chnum

widderköpfiger Schöpfergott, der die Gestalt der Menschen auf einer Töpferscheibe formt und mit dem Samen in die Mutter gelangen lässt; auch mit èHeqet als Geburtshelfer tätig; Wächter der Nilquellen

Chonsu

Menschen- bzw. auch falkenköpfiger Mondgott; Herr der Zeit; Sohn des èAmun und der èMut

Deben

Gewichtseinheit u. a. bei Metallen; ca. 91 g

Dewen-anui

„Der beide Krallen spreizt“, falkengestaltiger Gott des 18. oberägyptischen Gaus (èFalkengau) häufig Funktion im Reinigungsritual

Djahi

Gebiet des heutigen Palästina (besonders die Küsten und Ebenen)

djam

Weißgold, Elektron

Djehuti

èRa“,

Thronname des èEje

Rindervorsteher des Amun; adoptierte mit seiner Gemahlin Tuj die Töchter des Schatzhausvorstehers èMaja (èMaja-menti,

èTjau-en-Maja)

djeret-Priesterin

Bedeutende Teilnehmerinnen im Bestattungszug; sie repräsentieren die Göttinnen èIsis und èNephthys, die (z. T. in Falkengestalt) ihren ermordeten Bruder und Gemahl èOsiris finden, betrauern und kurzzeitig ins Leben zurückholen

Djeser-cheperu-Ra Setep-en-Ra

„Geheim ist das Wesen des èRa; Erwählter des Ra“; Thronname des Haremhab

djeser-djeseru

Talkessel mit dem heutigen arab. Namen Deir el-Bahari mit den berühmten Terrassentempeln von Mentu-hotep II. (ca.

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2014–1995 v. Chr.) und èHatschepsut auf dem Westufer von èWaset (èTempel der Millionen Jahre) Djeser-ka-Ra

Thronname von Amenophis I. (1525–1504 v. Chr.)

Djoser

König des Alten Reiches, 3. Dynastie, um 2700 v. Chr., der die erste Pyramide Ägyptens beim heutigen Saqqara nahe Kairo errichten ließ

Echnaton

„Der dem Aton wohlgefällig ist“; vom König selbst gewählter und angenommener èEigenname des èAmenophis/Echnaton

Ehrengold

hohe, oft militärische Auszeichnung in Form eines aus mehreren Reihen aufgefädelter Goldscheiben bestehenden Halskragens, die vom König oder Regenten verliehen wurden

Eigenname

„Sohn des Ra“, Element der fünfteiligen Königstitulatur

Eje

Sohn des èJuja und der èTuja und wahrscheinlicher Bruder der Königin èTeje und des èAnen; Nachfolger des èTutanch-Amun, regierte ca. 1323–1319 v. Chr.

Elle

altägyptisches Längenmaß; eine Elle entspricht etwa 52,5 cm

Falkengau

18. oberägyptischer Gau; zwischen dem Beginn des Mittleren Reichs (um 2050 v. Chr.) und dem Ende des Neuen Reichs (um 1070 v. Chr.) fehlen sämtliche Belege für diesen Gau

Gau

Verwaltungsbezirk; Ägypten bestand aus 22 oberägyptischen und 20 unterägyptischen Gauen

Gebtu

Ort in Oberägypten, auch als griechisches Koptos bekannt, heute: Quft

Gem-pa-Aton

Name des großen Aton-Tempels von èAchet-Aton

Götterneunheit

die Zahl Drei bezeichnete die Mehrzahl, die Neun die Gesamtheit (3 x 3); die berühmteste G. ist die von èIunu und besteht aus èAtum, Schu, Tefnut, Geb, Nut, èOsiris, èIsis, èNephthys und èSeth

Goldfalken-Name

Element der fünfteiligen Königstitulatur

Goldhaus

Bezeichnung der Sargkammer in einem Königsgrab

Großes Grünes (Wadjet-weret)

Mittelmeer

Hapi

meist androgyn dargestellter Gott des Nils

Haremhab

richtiger: Hor-em-heb („Horus ist im Fest“); vielleicht mit dem Besitzer des Grabes 24 in èAchet-Aton (Pa-Aton-em-hab) gleichzusetzen, somit Königlicher Schreiber, General, Aufseher der Arbeiten in Achet-Aton und Haushofmeister unter èAmenophis/Echnaton; unter èTut-anch-Amun höchster General und mit èEje Regent für den König (Grab bei Saqqara nahe Kairo); unter Eje Wesir und designierter Nachfolger; Eigenname des Königs (ca. 1319–1305 v. Chr.), Grab KV 57 im ‚Tal der Könige’ auf dem Westufer von èWaset; zwei Gemahlinnen sind bekannt, èAmenia und èMut-nedjemet

Hasengau

15. oberägyptischer Gau zwischen den modernen Orten Etlîdem und Deir Mawâs; zur Zeit des Haremhab befand sich das Zentrum in der Stadt Nefer-usi, dessen Bürgermeister wahrscheinlich dem Gau vorstand, ohne den speziellen Titel „Gaufürst“ zu führen.

Hathor

menschen- oder kuhgestaltige Muttergottheit, säugt den jungen König; Göttin der Musik, der Freude und des Tanzes; auch Schutzgottheit der Nekropole von èWaset

Hathorkrone

Krone der Göttin Hathor, auch von Königinnen getragen, bestehend aus einem Kuhgehörn, zwischen dem sich die Sonnenscheibe befindet

Hatschepsut

ägyptische Königin, die nach dem Tod ihres Bruder-Gemahls Thutmosis II. (1492–1479 v. Chr.) zunächst kommissarisch die Regierung für dessen unmündigen Sohn, (den späteren Thutmosis III., 1479–1425 v. Chr.) der aus der Verbindung

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mit einer Nebenfrau entstammte, übernahm, dann jedoch als Pharaonin regierte (ca. 1479–1458 v. Chr.) Hattuscha

Hauptstadt des Reiches von èChatti

Hattuscha-ziti

Kammerherr und Gesandter des Großkönigs der Hethiter èSchuppiluliuma, der sich nach dem Tod des Tut-anch-Amun einen Eindruck von der Situation in Ägypten verschaffen sollte.

Haus der Ewigkeit

(ägypt.: per-djet), Bezeichnung für das Grab

Henut-Iunu

Stiefmutter des Vorstehers des Schatzhausvorstehers Maja

heqa

(auch heqat) Königszepter („Krummstab“)

Heqa-Maat

„Beherrscher der Maat“, Goldfalken-Name (Element der fünfteiligen Königstitulatur) des èEje

heqau-chasut (Mehrzahl)

ägypt.: „Herrscher der Fremdländer“ (daraus wurde „Hyksos“); vorderasiatische Fremdherrscher, die während der sog. Zweiten Zwischenzeit (zwischen 1794 und 1550 v. Chr.) die Königsgewalt im nördlichen Teil Ägyptens ausübten

hemhem-Krone

zu beiden Seiten stark ausladende, nur zu besonderen kultischen Anlässen getragene Krone mit reichlich Behang in Form von èUräen

Heqet

froschköpfige bzw. –gestaltige Göttin der Geburtshilfe

heri-seschta (Mehrzahl: heriu-seschta)

Geheimnisträger, Eingeweihter, „Hüter des Geheimnisses“

Heru-her-Maat Secheper-taui

„Zufrieden mit der èMaat; Der die èBeiden Länder entstehen lässt“; Goldfalken-Name des Haremhab

Herrinnen-Name

Element der fünfteiligen Königstitulatur

Horus

Falkenköpfiger bzw. –gestaltiger Gott des ägyptischen Königtums, als solcher Inkarnation im regierenden Pharao; Sohn des èOsiris und der èIsis; Rächer seines ermordeten Vaters

Horus im Nest

Bezeichnung des Thronfolgers

Horus-Name

Element der fünfteiligen Königstitulatur

Horusstraße

Militär- und Handelsweg von èHut-waret nach Osten Richtung èRetjenu

Hui

èAmenophis-Hui

Hut-nisut

Stadt in Mittelägypten (zeitweise Hauptstadt des 18. oberägyptischen Gaus; èFalkengau); heute: Kom el-Ahmar Sawaris/Sharuna

Hut-waret

Stadt im Ostdelta, „Auaris“; heute: Tell ed-Daba

Ikeret

vorderasiatische Stadt an der nordsyrischen Küste, „Ugarit“; heute: Ras Schamra

ima-Baum

unspezifizierter Laubbaum

Imer

Land in Nordsyrien zwischen Choms und Mittelmeer; „Amurru“

Inebu-hedj

ägypt.: „Die weißen Mauern“, erster Name der Stadt Memphis (heute Mit-Rahina bei Kairo)

Inet

ägypt.: Tal

Ipet-resit

ägypt. Bezeichnung des Luxor-Tempels

Ipet-sut

ägypt. Bezeichnung des Karnak-Tempels bei Luxor

Ipu

Stadt in Mittelägypten (Hauptstadt des 9. Oberägyptischen Gaus); heute: Achmim

iri-em-tem-wen

„nicht-existent machen“; Auslöschung des Namens und sämtlicher Hinterlassenschaften; in Ägypten gleichbedeutend mit dem „zweiten Tod“

isched-Baum

unspezifizierter Laubbaum (Ficusart?); èThot und èSeschat schreiben den Namen des neuen Königs bei der Krönung auf dessen Blätter

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isfet

ägypt.: Chaos, ungeordneter Urzustand; das Gegenteil zum Prinzip der èMaat

Isis

menschengestaltige Mutter-, Frauen- und Geburtsgöttin; Gemahlin des èOsiris, Mutter des èHorus, somit Schutzgöttin des Königs; sucht, findet und betrauert gemeinsam mit ihrer Schwester èNephthys ihren ermordeten Gemahl (dann Falkengestalt) und zeugt mit ihm den Horus

Iunu

Unterägyptische Stadt nord-östlich von èMen-nefer, Hauptkultort des èRa; griech. Heliopolis; „südliches Iunu“ bezeichnet èIpet-sut, das heutige Karnak bei Luxor

Iuy

Richter, Vater des Vorstehers des Schatzhausvorstehers èMaja

Juja

Hoherpriester des èMin in Ipu und Oberster Verwalter der Viehbestände; Befehlshaber der königlichen Wagentruppe unter Amenophis III. (ca. 1388–1351 v. Chr.); Vater der èTeje, des èAnen und vermutlich des èEje; Gemahl der èTuja, gemeinsam mit ihr in KV 46 beigesetzt

kap

staatlich finanzierte Schule, in der der Thronfolger, aber auch zukünftige hohe Beamte unterrichtet wurden

Ka-nechet Seped-secheru „Starker Stier, klug an Plänen“, Horus-Name des Haremhab Ka-nechet Tut-mesut

„Starker Stier, vollkommen an Geburt“, Horus-Name des

èTut-anch-Amun

Ka-nechet Tjehen-chau

„Starker Stier, strahlend an Erscheinungen“, Horus-Name des èEje

Ka-nechet Wadj-nesit

„Starker Stier, frisch an Königsherrschaft“, Horus-Name des èRa-messu

Kartusche

langgezogene Form des èschen-Rings, der die Ewigkeit symbolisiert und sich als Schutz um den èThronnamen und den èEigennamen des König befindet

Kepeni

vorderasiatische Stadt im heutigen Libanon, „Byblos“; heute: Gebail

Kerekemesch

„Karkemisch“, ein Stadtstaat am Euphrat; heute Djerablus

Kija

Nebenfrau von èAmenophis/Echnaton; Mutter des èTutanch-Amun

Kupferdeben

èdeben

Kusch

Obernubien (heutiger südlicher Sudan/Äthiopien), èWawat

Maat

menschengestaltige Göttin der Weltordnung, der Wahrheit und der Gerechtigkeit und somit des Gerichtswesen, ihr Symbol ist eine Feder, die bei der Seelenwägung gegen das Herz des Verstorbenen aufgewogen wird, um dessen Unschuld und gerechten Lebenswandel zu prüfen

Maat-ka-Ra

Thronname der Königin Hatschepsut (1479 bzw. 1473 – 1458/57 v. Chr.)

Mahu

Polizeichef von èAchet-Aton unter èAmenophis/Echnaton

Maia, gen. Menat

Amme des èTut-anch-Amun; Felsengrab beim heutigen Saqqara nahe Kairo

Maja

u. a. General, Haushofmeister, Aufseher aller Arbeiten des Königs, königlicher Schreiber, Rekrutenschreiber, Aufseher der Herden im Tempel des èRa in èIunu unter èAmenophis/Echnaton (Grab 14 in èAchet-Aton); u. a. Schatzhausvorsteher unter èTut-anch-Amun und Haremhab (Grab beim heutigen Saqqara nahe Kairo)

Maja-menti

„Maja möge bleiben“; Tochter des Schatzhausvorstehers

èMaja

Maket-Aton

„Schutz des Aton“; zweitälteste Tochter von èAmenophis/ Echnaton in seiner Hauptehe mit èNofretete; stirbt im 13. Regierungsjahr ihres Vaters

Meketi

„Megiddo”, Hügelfestung am Südwestrand der Jesreel-Ebene

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Men-cheper-Ra

èThronname

von Thutmosis III. (1479–1425 v. Chr.)

Men-cheperu-Ra

èThronname

von Thutmosis IV. (1397–1388 v. Chr.)

Men-Maat-Ra

„Bleibend ist die

Men-nefer

Ort in Unterägypten; griech.: Memphis; heute Mit-Rahina südlich von Kairo

Men-nefer-Pepi

Name der Pyramidenanlage und –stadt von Pepi I. (ca. 2335– 2285 v. Chr.), die mit der Stadt èInebu-hedj unter dem Namen èMen-nefer zusammenwuchs

Men-pehti-Ra

„Bleibend ist die Körperkraft des èRa-messu

Meri-Ra

„Liebling des v. Chr.)

Merit

Sängerin des Amun; Gemahlin des Schatzhausvorstehers èMaja

Merit-Aton

„Liebling des Aton“; älteste Tochter des èAmenophis/ Echnaton in seiner Hauptehe mit èNofretete; Gemahlin des èSemenech-ka-Ra

Merit-seger

„Die die Stille liebt“; schlangengestaltige Schutzgöttin, die über die Gräberwelt von èWaset wacht und in der höchsten Ausprägung des westlichen Gebirges ihren Wohnsitz hat

Meschenet

menschengestaltige Göttin der Geburtsziegel, unterstützt die Gebärende

mesqet

Milchstraße

mesta

unbekannte Flüssigkeit; meist zur medizinischen Verwendung

Miam

Ort in Nubien, später Aniba, heute im Nasser Stausee versunken

Min

menschengestaltiger, ityphallischer Gott der Fruchtbarkeit und der Zeugungskraft

Monthu

falkenköpfiger Kriegsgott aus dem Raum von èWaset; sein Attribut ist die hohe Doppelfederkrone mit der Sonnenscheibe

Mundöffnung

Ritual, das an der Mumie des Verstorbenen vor dessen Grab durchgeführt wird, um dessen Sinnesorgane zu aktivieren

Mut

menschengestaltige Himmelsgöttin und Allmutter; meist mit Geierhaube dargestellt; Gemahlin des èAmun und Mutter des èChonsu

Mut-nedjemet

Sängerin des Amun; vermutlich (nicht unumstritten) Tochter des èEje und (Halb-)Schwester der èNofretete; zweite Gemahlin und somit Königin des Haremhab, in dessen 13. Regierungsjahr sie stirbt und vermutlich in seinem Generalsgrab bei Saqqara nahe Kairo beigesetzt wird, aber auch das Grab QV 37 im ‚Tal der Königinnen’ auf dem Westufer von èWaset scheint mit ihrer Bestattung in Verbindung gebracht werden zu können

Nacht-Min

Hoherpriester des èMin in èIpu; unter èEje Oberster Heeresführer; Sohn des Eje, Bruder von èNai, èNofretete und wahrscheinlich èMut-nedjemet

Nacht-pa-Aton

Wesir von Oberägypten unter èAmenophis/Echnaton; Grab 12 in èAchet-Aton

Naharina

„Mitanni”, Land in Nordwest-Mesopotamien

Nai

Sohn des èEje, Bruder von èNacht-Min, èNofretete und wahrscheinlich èMut-nedjemet

Nahuher

königlicher Schreiber und Hausvorsteher; Bruder des Schatzhausvorstehers èMaja

Neb-cheperu-Ra Heqa-Maat

„Herr der Gestalten ist Ra, Herrscher der Maat“,èThronname von èTut-anch-Amun mit Zusatz „Herrscher der èMaat“

nebet-per

ägypt.: Hausherrin

èMaat

des

èRa“; èThronname

von èSethi

èRa“; èThronname

èRa“; èThronname

des

von Pepi I. (ca. 2335–2285

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Neb-Maat-Ra

„Herr der Maat ist Ra“; èThronname von Amenophis III. (ca. 1388–1351 v. Chr.)

Neb-pehti-Ra

„Herr der Körperkraft ist Ra“, èThronname von èAhmose

nechacha

sog. (Fliegen-)Wedel; Königszepter, das häufig in Verbindung mit dem èheqa in Erscheinung tritt

Nechbet

geiergestaltige Schutzgöttin der Weißen Krone von Oberägypten

Necheb

Ort in Oberägypten, heute: El-Kab

Nechen

Ort in Oberägypten, auch als griechisches Hierakonpolis bekannt, heute: Kom el-Ahmar

Nechet

Schreiber des Schatzhauses des Herrn der Beiden Länder; Bruder des Schatzhausvorstehers èMaja

Nefer-cheperu-her- secheper

Bürgermeister von èAchet-Aton; Besitzer des dortigen Grabes 13

Nefer-cheperu-Ra Wai-en-Ra

„Vollkommen sind die Erscheinungen des Ra, Einziger des Ra“; èThronname von èAmenophis/Echnaton

Nefer-hepu Segereh-taui Sehetep-netjeru-nebu

„Vollkommen an Gesetzen, Der die Beiden Länder beruhigt, Der alle Götter zufriedenstellt“,èHerrinnen-Name von èTutanch-Amun

Nefer-neferu-Aton Ta-scherit

„Gut ist die Vollkommenheit des Aton – die Kleine“; viertälteste Tochter von èAmenophis/Echnaton in seiner Hauptehe mit èNofretete; nach dem Tod des Vaters schweigen die Quellen über sie, vermutlich ist sie in das Frauenhaus der Nachfolger gelangt und später dort verstorben

Nefer-neferu-Ra

„Gut ist die Vollkommenheit des Ra“; fünftälteste Tochter von in seiner Hauptehe mit èNofretete; nach dem Tod des Vaters schweigen die Quellen über sie, vermutlich ist sie in das Frauenhaus der Nachfolger gelangt und später dort verstorben

Nefertem

menschengestaltiger Gott der Lotusblüte, die aus dem Urgewässer emporsteigt, auch Gott des Parfums; Sohn des èPtah und der èSachmet

Nefer-usi

Stadt in Mittelägypten (Hauptstadt des 15. oberägyptischen Gaus); heute bei den modernen Orten Kom el-Ahmar und elAshmunain

Neith

menschengestaltige Waffen- und Kriegsgöttin; Attribute sind Pfeil und Bogen und die Rote Krone Unterägyptens

nemes

Königskopftuch aus Leinen, bekannt u. a. von der Maske des èTut-anch-Amun

Nephthys

eigentlich: Nebet-hut („Herrin des Tempels“); menschengestaltige Göttin, Schwester der èIsis und des èOsiris, Gemahlin des èSeth; spielt eine entscheidende Rolle bei der Auffindung und Wiederbelebung des verstorbenen Osiris (dann Falkengestalt)

Neser

ägypt.: Flamme, Entzündung

Nesut-taui

nubische Ortschaft am 4. Nilkatarakt, heute Gebel Barkal

Neunbogen

Bezeichnung für alle Fremdländer

Nofretete

Wahrscheinlich Tochter des èEje mit seiner ersten Frau, die vermutlich bei ihrer Geburt stirbt, denn Ejes zweite Gemahlin èTij wird ihre Amme; Große Königliche Gemahlin des èAmenophis/Echnaton, dem sie aller Wahrscheinlichkeit nach als èSemenech-ka-Ra auf den Thron nachfolgt

Nubien

Gebiet des heutigen Sudan und Äthiopiens (èWawat, èKusch)

Opet-Fest

Einmal jährlich stattfindendes Fest in èWaset, bei dem èAmun den Tempel von èIpet-sut verlässt und mehrere Tage im Tempel von èIpet-resit verbringt

Osiris

menschengestaltiger Toten- und Königsgott; dargestellt als

èAmenophis/Echnaton

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gewickelte Mumie mit den Königszeptern und der Weißen Krone Oberägyptens; Gemahl der èIsis, Vater des èHorus; wird von seinem Bruder èSeth ermordet und später von Sohn gerächt; bei verstorbenen Personen wird gerne der Name des Gottes vor deren Namen gesetzt Pa-ium-en-mu-qed

Rotes Meer

Pa-ren-nefer

Erster Hohepriester des Amun nach dem Tod èAmenophis/ Echnatons

Pa-ren-nefer

Oberst und Vorsteher der Pferde; Bruder des Schatzhausvorstehers èMaja

Peh-ef-nefer

Vorlesepriester und Totenpriester an Haremhabs memphitischen Generalsgrab

Pentju

königlicher Schreiber, erster Diener des èAton und Oberarzt, königlicher Leibarzt von èAmenophis/Echnaton (Grab 5 in èAchet-Aton); vielleicht ist in ihm einer der Wesire des èTutanch-Amun zu erkennen

per

ägypt.: Haus

peret-Jahreszeit

„Aussaat“; zu Haremhabs Lebzeiten etwa Mitte November bis Mitte März

Ptah

Menschengestaltiger Stadtgott von èMen-nefer; auch Gott der Handwerker, Künstler und der schöpferisch Tätigen; dargestellt als gewickelte Mumie mit Zeptern und eng anliegender Kappe; Gemahl der èSachmet, Vater des èNefertem

Ptah-hotep

berühmter Weiser, der um 2300 v. Chr. in Ägypten lebte; seine Lebenslehre war Unterrichtsinhalt und wurde auch später oft von Schülern kopiert

Pylon

Mächtige und begehbare Tortürme, die den Eingang meist zu Tempeln flankieren

Ra

Sonnengott (Sonnengestalt; Falken- oder Widderkopf); befährt in einer Barke den Tages- und in einer anderen den Nachthimmel, wo er den Verstorbenen Licht und Ordnung bringt

Ra-messu

„èRa hat ihn geboren“; u. a. Bogenoberst, Vorsteher der Pferde, Truppenbefehlshaber der Bogenschützen und Wesir unter èTut-anch-Amun, èEje und Haremhab; èEigenname des späteren Königs (Ramses I.)

Ra-mose

Wesir unter Amenophis III. (ca. 1388–1351 v. Chr.; Grab TT 55 auf dem Westufer von èWaset); vielleicht identisch mit dem aus èAchet-Aton belegten General unter èAmenophis/ Echnaton (dortiges Grab 11)

Ra-mose

Privatsekretär des Haremhab, Nachfolger des èSemen-taui

Ra-setjau

ägyptisches Jenseits, in dem sich die Gefilde der Seligen befinden

rechit-Volk

ägypt.: Untertanen

Retjenu

heutiger Bereich von Syrien und Palästina

rit

ägypt.: Eiter

Sachmet

Löwenköpfige Göttin des Krieges und der Krankheit, die Erreger aussendet, aber auch wieder zurückrufen kann, daher auch Arzt- und Heilsgöttin; ihr Attribut ist eine Sonnenscheibe auf dem Kopf; Gemahlin des èPtah, Mutter des èNefertem

Sa-uti

Ort in Mittelägypten, heute: Assiut

Sat-Ra

Gemahlin des èRa-messu, Mutter von èSethi

schemu-Jahreszeit

„Ernte“; zu Haremhabs Lebzeiten etwa Mitte März bis Mitte Juli

schen-Ring

Symbol der Ewigkeit; oft in den Klauen des Horusfalken, der im Flachbild über dem König fliegt; Grundform der è Kartusche

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schepen-Pflanze

Opium (?, Bestimmung umstritten)

Schuppiluliuma

„Elender Feind von Chatti“, Großkönig der Hethiter

sechet-aat

ägypt.: „Großes Feld“; Kurzform für den heute als ‚Tal der Könige’ bekannten Pharaonenfriedhof auf dem Westufer von èWaset; der ausführlichere und offiziellere Name lautet: Große und erhabene Nekropole der Millionen von Jahren des Pharaos – er möge leben, sei heil und gesund – im Westen von Waset’

Selket

meist menschengestaltige Göttin des Lebens und der Toten; ihr Symbol ist der Skorpion

Semenech-ka-Ra

Bedeutung etwa „Hervorragend ist die Lebenskraft des Ra“èEigenname des Mitregenten und Nachfolgers von èAmenophis/Echnaton, 1337–1333 v. Chr.

Semen-Maat-chet-taui

„Der die Maat überall in den Beiden Ländern fest macht“; èGoldfalken-Name des èRa-messu

Semen-taui

Privatsekretär des Oberbefehlshabers Haremhab

Seschat

menschengestaltige Göttin der Schrift, der Mathematik und der Baupläne; Schwester des èThot

Setep-en-Ra

„Erwählte des Ra“; jüngste Tochter von èAmenophis/ Echnaton in seiner Hauptehe mit èNofretete; nach dem Tod des Vaters schweigen die Quellen über sie, vermutlich ist sie in das Frauenhaus der Nachfolger gelangt und später dort verstorben

Seth

Gott des Krieges und der bösen Mächte; Gott der unfruchtbaren Wüste; Gemahl der èNephthys; Mörder seines Bruders èOsiris, der später in der Nachtbarke des èRa Buße als dessen Schützer tut und sich rehabilitiert; seine Gestalt ist ein bislang zoologisch nicht sicher identifiziertes Tier mit langer Schnauze und langen, oben flach endenden Ohren

Sethi

der spätere König Sethi (Sethos) I. (ca. 1303–1292 v. Chr.); Sohn von èRa-messu und èSat-Ra; Vater von Ramses II. (ca. 1292–1226 v. Chr.)

set-neferu

„Stätte der Vollkommenheit“; das heute sog. Tal der Königinnen auf dem Westufer von èWaset, beim heutigen Luxor

Sistrum (Mehrzahl: Sistren) rasselartiges Musikinstrument für den Götterkult, von Frauen gespielt Sobek Sokar

krokodilköpfiger oder -gestaltiger Gott falkengestaltige Schutzgottheit, besonders der Nekropole von

èMen-nefer

Sprüche vom Herausgehen am Tage

ägypt. Bezeichnung des Totenbuchs, einer Sammlung religiöser Sprüche und Gebete, die dem Verstorbenen auf seiner Reise durch die Unterwelt nützlich sind

Ta-weret

(auch als Thoëris zu finden) nilpferdgestaltige Geburtsgöttin, die die Mutter und die Stillende schützt

Teje

Tochter des èJuja und der èTuja, Große Königliche Gemahlin von Amenophis III. (1388–1351 v. Chr.); Mutter des èAmenophis/Echnaton und des èThutmosis

Tempel der Millionen Jahre ägypt. Bezeichnung königlicher Gedächtnistempel, besonders auf dem Westufer von èWaset, die u. a. dem Kult èAmun und dem des (verstorbenen) Königs dienen Tep-ihu

Ort in Unterägypten, heute: Atfih, auf der Höhe der Oase Fayum

Thot

ibisköpfiger oder -gestaltiger bzw. pavianköpfiger/-gestaltiger Gott der Weisheit, des Rechnens, der Schrift und des Mondes, damit des Kalenders und der Zeit; Bruder der èSeschat

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Thronname

„König von Ober- und Unterägypten“, Element der fünfteiligen Königstitulatur

Thutmosis

ältester Sohn und früh verstorbener Kronprinz Amenophis’ III. (1388–1351 v. Chr.)

Thutmosis

Vizekönig von Nubien unter èAmenophis/Echnaton

Thutmosis

Domänenvorsteher der südlichen Stadt (èWaset), Sohn des Hatiai und der Iu-per-nechet; Assistent des Schatzhausvorstehers èMaja

Tij

zweite Gemahlin des èEje und Amme seiner vermutlichen Tochter èNofretete, die aus erster Ehe zu stammen scheint; wahrscheinlich Mutter der èMut-nedjemet, des èNacht-Min und des èNai

Tjau-en-Maja

„Wind des Maja“; Tochter des Schatzhausvorstehers èMaja

Tjebu

Ort in Oberägypten, heute: Qau el-Kebir

Tjehenu

Libyen bzw. Land der Libyer

Tuja

Herrin des Hauses; Gemahlin des èJuja und Mutter der èTeje, des èAnen und vermutlich des èEje

Tut-anch-Amun (vor Umbenennung: Tut-anch-Aton)

„Lebendes Bild des Amun“, èEigenname des Sohnes von èAmenophis/Echnaton und der èKija, 1333–1323 v. Chr., Gemahl der èAnch-es-en-Amun

Tutu

aus Syrien stammender Kammerherr, Erster Diener, Aufseher aller Handwerker und aller Arbeiten, Aufseher über das Gold und Silber des èAmenophis/Echnaton; Grab 8 in èAchetAton

Uräus (Mehrzahl: Uräen)

die an den Kronen befindliche und aufgerichtete Speikobra mit aufgeblähtem Brustpanzer, die den König direkt beschützt

uschebti

Begriff vom Verb uscheb (ägypt.: antworten) abgeleitet; kleine mumiengestaltige Helferfiguren, die im Jenseits für den Grabherrn Arbeiten verrichten sollen und ihm auf Zuruf antworten

User-hat

Name der heiligen Barke des èAmun in èIpet-sut

User-Month

Wesir unter èTut-anch-Amun

uti-Priester

Balsamierungspriester

Utjes-chau-iti-ef-Ra

„Der die Kronen seines Vaters Ra erhebt“, èGoldfalken-Name von èTut-anch-Amun

wab-ra

ägypt.: „Reinigung des Mundes“ (Frühstück)

Wadi

arab.: Tal

Wadjit

auch „Uto“; schlangengestaltige Schutzgöttin der Roten Krone von Unterägypten

Waset

Hauptkultort des èAmun mit den Tempelbezirken èIpet-sut und èIpet-resit auf dem Ostufer; zeitweise Residenzstadt der Könige, Ort der Krönung und des èOpet-Festes; auf dem Westufer ausgedehnte Nekropolenanlagen, u. a. èsechet-aat und set-neferu; in griech. Zeit Theben genannt, heute: Luxor

Wawat

Unternubien (heutiger nördlicher Sudan), èKusch

Wer-biaut-em-Ipet-sut

„Groß an Wunderbarem im (Tempel von) èIpet-sut“; Herrinnen-Name des Haremhab

Weret

Mutter des Vorstehers des Schatzhausvorstehers èMaja

Weret-heqau

èUräus

Zannanza

Sohn des hethitischen Großkönigs èSchuppiluliuma

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Weiterführende Literatur Christian Bayer (Hrsg.), Echnaton. Sonnenhymnen, Stuttgart 2007 Hellmut Brunner, Die Weisheitsbücher der Ägypter. Lehren für das Leben, Düsseldorf/Zürich 1977 Jacobus van Dijk, Horemheb and the Struggle for the Throne of Tutankhamun, in: Bulletin of the Australian Center for Egyptology 7 (1996), S. 29–42 - The Overseer of the Treasury Maya: A Biographical Sketch, in: Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden 70 (1990), S. 23–27 Elmar Edel (Hrsg.), Die ägyptisch-hethitische Korrespondenz aus Böghazköi in babylonischer und hethitischer Sprache (Abhandlungen der Rheinisch-West­ fälischen Akademie der Wissenschaften 77), 2 Bände, Opladen 1994 Arne Eggebrecht (Hrsg.), Ägyptens Aufstieg zur Weltmacht (Ausstellungskatalog Hildesheim), Mainz 1987 Hans-W. Fischer-Elfert, Altägyptische Zaubersprüche, Stuttgart 2005 Alan Gardiner, The Coronation of King Haremhab, in: Journal of Egyptian Archaeology 39 (1953), S. 13–31 Robert Hari, Horemheb et la reine Moutnedjemet, Genf 1964 Wolfgang Helck, Der Einfluss der Militärführer in der 18. Ägyptischen Dynastie (Untersuchungen zur Geschichte und Altertumskunde Ägyptens 14), Hildesheim 1964 - Urkunden der 18. Dynastie (Urkunden des ägyptischen Altertums IV, Heft 22), Berlin 1958 - Urkunden der 18. Dynastie. Übersetzungen zu den Heften 17–22 (Urkunden des ägyptischen Altertums IV), Berlin 1961 - Ein „Feldzug“ unter Amenophis IV. gegen Nubien, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 8 (1980), S. 117–126 Erik Hornung, Altägyptische Dichtung, Stuttgart 1996 - Das Grab des Haremhab im Tal der Könige, Bern 1971 - Das Totenbuch der Ägypter, Zürich/München 1990 Horst Klengel, Hattuschili und Ramses. Hethiter und Ägypter – ihr langer Weg zum Frieden, Mainz 2002 Geoffrey T. Martin, Auf der Suche nach dem verlorenen Grab. Neue Ausgrabungen verschollener und unbekannter Grabanlagen aus der Zeit des Tutanchamun und Ramses II., Mainz 1994 - The Memphite Tomb of Horemheb, Commander-in-chief of Tut’ankhamun I. The Reliefs, Inscriptions, and Commentary (Egypt Exploration Society 55), London 1989 Maarten J. Raaven, The Tomb of Maya and Meryt II. Objects and Skeletal Remains (Egypt Exploration Society 65), London 2001 Donald B. Redford, New Light on the Asiatic Campaigning of Horemheb, in: Bulletin of the American School of Oriental Research 211 (1973), S. 36–49

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Nicholas Reeves, The Complete Tutankhamun – The King. The Tomb. The Royal Treasure, Kairo 1990 - Echnaton. Ägyptens falscher Prophet, Mainz 2002 - /Richard H. Wilkinson, The Complete Valley of the Kings. Tombs and Treasures of Egypt’s Greatest Pharaohs, Kairo 1996 Hermann Schlögl, Echnaton, München 2008 Christian Tietze (Hrsg.), Amarna. Lebensräume – Lebensbilder – Weltbilder, Potsdam 2008 Wolfgang Westendorf, Erwachen der Heilkunst. Die Medizin im Alten Ägypten, Zürich 1992 - Papyrus Edwin Smith. Ein medizinisches Lehrbuch aus dem alten Ägypten, Bern/Stuttgart 1966

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340 Seiten

Umschlagabbildung: Man Walking Towards Pyramid, Richard Schultz/Corbis

©

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; d ­ etaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

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Philipp von Zabern, Mainz am Rhein © 2009 by Verlag ISBN: 978-3-8053-3967-4 Gestaltung: Ragnar Schön, Verlag Philipp von Zabern, Mainz Lektorat: Sarah Höxter, Hamburg Gestaltung des Titelbildes: Max Bartholl, b3K text und gestalt GbR, Frankfurt am Main und Hamburg Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu verviel­fältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten. Printed in Germany by Philipp von Zabern Printed on fade resistant and archival quality paper (PH 7 neutral) · tcf

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HISTORISCHE ROMANE VON ZABERN

Germanien im Jahre 9 n. Chr.: Der römische Statthalter Varus unterliegt mit seinen Legionen einer germanischen Übermacht, angeführt vom Cherusker Arminius, der selbst Offizier in römischen Diensten war. Acht Jahre später werden im Triumphzug des Feldherrn Germanicus eine Frau und ihr kleiner Sohn als Trophäen durch Rom geführt, begleitet von den hämischen Blicken der Römer. Die Frau ist Thusnelda, die Ehefrau des Arminius. Dies ist ihre Geschichte.

Robert Gordian Die Germanin Roman zur Varusschlacht 253 S. ISBN: 978-3-8053-3930-8

In jeder Buchhandlung und unter www.zabern.de

Varusschlacht im Osnabrücker Land Museum und Park Kalkriese 256 S., 176 Farbabb. ISBN 978-3-8053-3949-0

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Matthias Raidt, Christoph Haußner Drei Legionen für Rom Ein Abenteuer um die Varusschlacht 147 S., 22 s/w-Abb. ISBN 978-3-8053-3892-9

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HISTORISCHE ROMANE VON ZABERN

Die islamische Welt im 14. Jahrhundert: Sein halbes Leben lang reist Ibn Battuta, der Marco Polo der Araber, durch die islamische Welt des Spätmittelalters. Besessen sucht er nach dem mythischen Hüter der Lebensquelle, der den hundertsten, den geheimen Namen Gottes kennt – ein Wissen, das zur letzten Erkenntnis führen soll. 650 Jahre später entdeckt der Orientalist Meyrink ein geheimnisvolles arabisches Manuskript. Er beginnt es zu übersetzen, doch schon bald verschmelzen seine eigene Wirklichkeit und die islamische Welt des 14. Jahrhunderts immer mehr miteinander. » ... Ein spannender und überaus lehrreicher Roman ... Man erfährt viel über die arabische Welt des Mittelalters, die ganz anders ist als die heutige.« Neue Ruhr Zeitung

In jeder Buchhandlung und unter www.zabern.de Christian Robert Lange Der geheime Name Gottes 467 S. ISBN: 978-3-8053-3841-7

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HISTORISCHE ROMANE VON ZABERN

Kabul, Afghanistan 1941: Der Zweite Weltkrieg erreicht Afghanistan. Die junge Deutsche Martha von Helm muss sich nach dem Verschwinden ihrer Eltern alleine durch die islamische Welt schlagen. Zugleich droht ihr die Auslieferung an das British-Empire. Der afghanische Fürst Said steht ihr feindlich gegenüber – bis das Schicksal sie zusammenführt ... »Ganz großes (Kopf-)Kino!« BÜCHER »Ein gelungenes Lesevergnügen zwischen Historie, Kultur und Archäologie.« epoc

In jeder Buchhandlung und unter www.zabern.de Michael Pfrommer Hindukusch 489 S. ISBN: 978-3-8053-3790-8

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HISTORISCHE ROMANE VON ZABERN

Das alte Rom – ein brodelnder Kessel. Und mittendrin der junge Dichter Catullus.

Eine Stadt in Aufruhr. Eine Kultur im Untergang. Eine Liebe, die unmöglich scheint.

Eine Patrizierin, ein Bettelmädchen und ein Apotheker geraten in die dunklen Machenschaften der Kölner Unterwelt.

»Obwohl erdacht, ist die römische Welt von Cornelius Hartz realistischer als viele andere Welten, denen man in Historienromanen begegnet. [...] Der Verlag Philipp von Zabern setzt dem Historienroman in jüngster Zeit neue Maßstäbe.« Frankfurter Neue Presse

» ... wer einen Historienschinken von der in Pforzheim lebenden Autorin mit guten Christen, bösen Heiden, gebrochenen Herzen und viel schwarz-weißMalerei erwartet, der sieht sich getäuscht. Einen Geschichtsroman hat sie geschrieben, mit literarischem Anspruch und genau recherchierten Fakten.« Pforzheimer Zeitung

»›Der Krüppelmacher‹ ist ein historischer Festbraten, der den Leser tief in die Kulisse des mittelalterlichen Köln hineinzieht. Er riecht Schmutz und Schweiß, leidet mit den charismatischen Figuren. Günter Ruch wird im Genre ›historischer Roman‹ noch für Aufsehen sorgen.« Bild am Sonntag

In jeder Buchhandlung und unter www.zabern.de Michael CorneliusPfrommer Hartz Das Zweite Buch Excrucior Nach 242 S.einem Originaldrehbuch von Bernd P. Kammermeier ISBN: 978-3-8053-3902-5 und Michael Pfrommer 318 S. ISBN: 978-3-8053-3714-4

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Beate Schaefer Die schwarze Taube 289 S. ISBN: 978-3-8053-3842-4

Günter Ruch Der Krüppelmacher 493 S. ISBN: 978-3-8053-3878-3

02.03.2009 14:34:29 Uhr