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German Pages 258 Year 1999
PETER FRIEDRICH BULTMANN
Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 792
Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
Von Peter Friedrich Bultmann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bultmann, Peter Friedrich:
Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht / von Peter Friedrich Bultmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 792) Zugl.: Berlin, Humboldt-Uni v., Diss., 1998 ISBN 3-428-09958-3
Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09958-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 1998 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt den Höhepunkt ihrer Aktualität bereits überschritten: Durch Gesetz vom 16. Dezember 1997 wurde das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz mit Wirkung zum 1. Juli 1998 geändert. Eine größere Reform des Staatsangehörigkeitsrechts steht - trotz vieler Streitpunkte - bevor. Daß die Arbeit wegen Änderungen der Rechtsmaterie sehr bald eine rechtshistorische Komponente „gewinnen" würde, war von Anfang an klar. Dies ist der Preis, der zu zahlen ist, wenn über ein aktuelles Thema geschrieben wird. Die Arbeit wird durch die künftigen Worte des Gesetzgebers nicht zur Makulatur. Die Grundaussagen zur Einbürgerungspraxis werden in ähnlicher Weise für ein geändertes Einbürgerungsrecht gelten. Die Ergebnisse über lokale Gerechtigkeit als allgemeines Phänomen der Rechtsanwendung werden von den Gesetzesreformen überhaupt nicht betroffen: Aufgabe der Arbeit war es, die Theorie über lokale Gerechtigkeit auf das Einbürgerungsrecht als Beispiel anzuwenden. Je mehr sich das Beispiel selbst wandelt, desto stärker tritt das Beispielhafte in den Vordergrund. Mein verehrter Lehrer Herr Prof. Dr. Thomas Raiser hat mich bei der Themensuche und an entscheidenden Punkten der Arbeit intensiv betreut. Er hat es dabei stets verstanden, die notwendige Reduktion des komplexen Stoffes vorzuzeichnen, und doch zugleich die Fragestellung offen zu lassen. Auf diese Weise entstand eine freie und anregende, besonnene und zielbewußte Arbeitsatmosphäre. Diese Beschreibung einer prägenden Zeit soll die große Dankbarkeit ausdrücken, die ich ihm gegenüber dafür empfinde. Aufrichtig danke ich Herrn Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert, der mich durch die beflügelte Erstellung des Zweitgutachtens sehr ehrte und dadurch mein Dasein als postgraduierter Unpromovierter verkürzte. Bei der Berliner Senatsverwaltung für Inneres durfte ich die sogenannten Staatsangehörigkeitsreferentenprotokolle einsehen. Die Protokolle erwiesen sich wegen ihres hohen Niveaus an sachlicher Kompetenz und Umsichtigkeit als geeignetes Material für meine Arbeit. Herrn Senatsrat a. D. Gunter Britz danke ich für sein großes Verständnis für mein wissenschaftliches Vorhaben. Herrn Amtsrat Ralf Techert danke ich für seine ständige Bereitschaft, mich engagiert über die Berliner Einbürgerungspraxis aufzuklären.
Vorwort
6
Den Herren Prof. Dr. Claus Offe und Dr. Volker H. Schmidt danke ich für die weiterführenden Gespräche über lokale Gerechtigkeit. Besonderen Dank schulde ich Frau Maria Kersten und Herrn Andreas Baudisch vom Rechenzentrum der Humboldt-Universität. Sie haben mir beim Komputieren der statistischen Daten und bei den Graphiken unschätzbare Hilfe geleistet. Den Herren Dr. Martin Hensche, Fabian von Lindeiner und Fabian Löwenberg bin ich - mehr noch als zuvor - verbunden für ihre hilfreichen Anregungen. All jene dagegen, die die Fertigstellung der Arbeit behinderten, sollen unerwähnt bleiben. Dankbar bin ich abschließend den Mitarbeitern im Verlagshaus Duncker & Humblot, die die letzte sorgfältige Hand ans Werk legten. Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin verlieh mir den Zweiten Promotionspreis der Bibliotheksgesellschaft Freunde der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin e.V. 1999. Für diese besondere Ehrung möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken. Meine Eltern Frau Gisela Ida Bultmann und Herr Dr. Hans-Gerd Bultmann bieten mir einen stetigen liebevollen Rückhalt. Ihnen verdanke ich auch meine drei Schwestern Etta, Ulrike und Christine. Meinen Eltern und meinen Schwestern widme ich diese Arbeit. Berlin, im Frühjahr 1999
Peter Friedrich
Bultmann
Inhaltsverzeichnis
Α. Einleitung
15
Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
17
I. Der wissenschaftliche Kontext von lokaler Gerechtigkeit
17
1. Die Geschichte von Local Justice
17
2. Worum geht es bei Local Justice?
17
3. Local Justice als Zweig der empirischen Gerechtigkeitsforschung
19
4. Zum Begriff einer „lokalen Gerechtigkeit"
21
II. Die Elemente von lokaler Gerechtigkeit
24
1. KnappeGüter
24
2. Die Verteiler
27
3. Verteilungskriterien und Verteilungsmechanismen
29
4. Die Verteilungsverfahren
33
5. Mixed Systems
34
III. Die Erklärung von lokaler Gerechtigkeit
38
IV. Lokale Gerechtigkeit und Recht
40
V. Lokale Gerechtigkeit und Rechtskulturen VI. Local Justice und Spheres of Justice
C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts 1. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht
43 44
47 47 47
a) Anspruchseinbürgerungen
50
b) Ermessenseinbürgerungen
51
8
Inhaltsverzeichnis 2. Rechtliche Voraussetzungen als Verteilungskriterien a) Der Ermessenstatbestand des § 8 RuStAG
52 52
(1) Nr. 2 EinbRL: Öffentliches Interesse an der Einbürgerung
54
(2) Nr. 3.1 EinbRL „Staatsbürgerliche und kulturelle Voraussetzungen"
56
(3) § 8 Abs. 1 Hs. 1: „Niederlassung" iVm § 8 Abs. 1 Nr. 3 RuStAG „eigene Wohnung oder ein Unterkommen" und Nr. 3.2 EinbRL: „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, Aufenthaltsdauer"
56
(4) § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG: Kein Ausweisungsgrund
58
(5) § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG: Unterhaltsfähigkeit und Nr. 3.4 EinbRL: „Wirtschaftliche Voraussetzungen"
60
(6) Nr. 4 EinbRL: „Einheitliche Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie"
61
(7) Nr. 5 EinbRL: „Zwischenstaatliche Gesichtspunkte", insbesondere Nr. 5.2: „Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik"
62
(8) Nr. 5.3 EinbRL: „Vermeidung von Mehrstaatigkeit"
64
(9) Nr. 6 EinbRL: „Besondere Fälle"
66
b) Weitere Einbürgerungstatbestände
67
c) Einbürgerungsgebühren
71
3. Verwaltungsaufbau und Rechtsschutz im Einbürgerungsrecht
71
a) Der Verwaltungsaufbau im Einbürgerungsrecht
72
b) Zum Rechtsschutz der Einbürgerungsbewerber
73
4. Das Verteilungssystem des Einbürgerungsrechts a) Staatsangehörigkeit als Sphäre von Gerechtigkeit b) Das Einbürgerungsrecht als Lokus von Gerechtigkeit
75 75 77
(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit als knappes Gut
77
(2) Einbürgerung als Verteilung von Staatsangehörigkeiten
77
II. Schwankungen in der Einbürgerungspraxis
80
1. Die Einbürgerungspraxis: Statistische Darstellung
80
2. Zur Aussagekraft der Statistik
85
3. Berechnungsmodus für die Einbürgerungsquoten
86
4. Auswertung
88
Inhaltsverzeichnis D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis I. Hypothese zur lokalen Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht II. Beschreibung der Methode 1. Der Untersuchungsgegenstand
93 93 94 94
a) Das Untersuchungsmaterial
94
b) Inhaltsanalytische Einheit
96
2. Klassifizierung nach extensiver und restriktiver Auslegung
96
3. Klassifizierung nach Argumenttypen
98
a) Gesetzesargumente
100
b) Prinzipienargumente
101
c) Autoritäre Argumente
102
d) Ökonomische Argumente
103
e) Politische Argumente
103
f) Praktikabilitätsargumente
104
g) Gerechtigkeitsargumente
104
4. Klassifizierungsmethode III. Durchführung der Inhaltsanalyse 1. Die Auslegung der §§ 8 und 9 RuStAG und der Einbürgerungsrichtlinien ....
105 107 107
a) Nr. 2 EinbRL: Öffentliches Interesse an der Einbürgerung
107
b) Nr. 3.1 EinbRL: „Staatsbürgerliche und kulturelle Voraussetzungen"
108
c) § 8 Abs. 1, 1. Hs.: „Niederlassung" iVm § 8 Abs. 1 Nr. 3 RuStAG „eigene Wohnung oder ein Unterkommen" und Nr. 3.2 EinbRL: „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, Aufenthaltsdauer" 110 d) § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG: Kein Ausweisungsgrund
115
e) § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG: Unterhaltsfähigkeit und Nr. 3.4 EinbRL: „Wirtschaftliche Voraussetzungen" 118 f) Nr. 4 EinbRL: „Einheitliche Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie" 120 g) Nr. 5 EinbRL: „Zwischenstaatliche Gesichtspunkte", insbesondere Nr. 5.2: „Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik"
121
h) Nr. 5.3 EinbRL: „Vermeidung von Mehrstaatigkeit"
125
i) Nr. 6 EinbRL: „Besondere Fälle"
132
10
Inhaltsverzeichnis 2. Weitere Einbürgerungstatbestände aus dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz
137
3. Einbürgerung gemäß §§85 ff. Ausländergesetz
144
4. Einbürgerungsgebühren
155
5. Weitere Tatbestände aus dem Staatsangehörigkeitsrecht
158
E. Untersuchungsergebnisse
162
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse 1. Das Auslegungsprofil: extensive und restriktive Auslegung:
162 163
a) Ergebnisse
163
b) Auswertung
164
2. Quantitative Argumentationsanalyse
169
a) Analyse nach rechtlicher und nicht-rechtlicher Argumentation
169
b) Analyse nach Gerechtigkeitsargumenten
176
c) Ergebnis: Vier Regelungstypen im Einbürgerungsrecht
179
3. Qualitative Argumentationsanalyse
180
a) Nr. 2 EinbRL: Öffentliches Interesse an der Einbürgerung
181
b) Nr. 3. 1 EinbRL „Staatsbürgerliche und kulturelle Voraussetzungen"
182
c) § 8 Abs. 1 Hs. 1: „Niederlassung" iVm § 8 Abs. 1 Nr. 3 RuStAG „eigene Wohnung oder ein Unterkommen" und Nr. 3.2 EinbRL: „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, Aufenthaltsdauer" 183 d) § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG: Kein Ausweisungsgrund
184
e) § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG: Unterhaltsfähigkeit und Nr. 3. 4 EinbRL: „Wirtschaftliche Voraussetzungen" 185 f) Nr. 4 EinbRL: „Einheitliche Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie" 186 g) Nr. 5 EinbRL:
„Zwischenstaatliche
Gesichtspunkte", insbesondere Nr.
5.2: „Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik"
186
h) Nr. 5. 3 EinbRL: „Vermeidung von Mehrstaatigkeit"
187
i) Nr. 6 EinbRL: „Besondere Fälle"
189
j) Weitere Einbürgerungstatbestände aus dem Staatsangehörigkeitsrecht ...
190
k) Einbürgerung gemäß §§ 85 ff. Ausländergesetz
192
1) Einbürgerungsgebühren
194
m) Ergebnis: Drei Arten des rechtlichen Denkens im Einbürgerungsrecht ... 195
Inhaltsverzeichnis 4. Vier Zuteilungsmodelle im Einbürgerungsrecht
196
a) Die Gruppe Least - das Verdienstmodell
197
b) Die Gruppe Less - das Billigkeitsmodell I
197
c) Die Gruppe Few - das Bedarfsmodell
198
d) Das Modell Bund - das Billigkeitsmodell II
199
5. Erklärungen für lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht II. Kritik der Ergebnisse
200 203
1. Angemessenheit und Tauglichkeit des Materials zur Klärung der Hypothesen zum Einbürgerungsrecht 204 a) Aussagekraft des Untersuchungsmaterials
204
b) Durchführung der Untersuchung
206
2. Alternative Hypothesen a) Unterschiedliches Ausländerproiii in den Ländern
206 207
b) Erklärung aus dem unterschiedlichen Integrationsgrad der Einbürgerungsbewerber 208 c) Parteipolitischer Erklärungsansatz
209
d) Rechtskultureller Erklärungsansatz
210
e) Unterschiedliche Verwaltungsstruktur in den Länderbehörden
210
f) Einheitsbedingte Umstellung in Berlin
211
3. Würdigung: Variablen lokaler Gerechtigkeit
F. Lokale Gerechtigkeit im Recht I. Ist lokale Gerechtigkeit rechtmäßig? II. Ist lokale Gerechtigkeit gerecht?
212
216 216 223
1. Gerechtigkeitstheoretische Argumente
224
2. Sozialphilosophische Argumente
226
3. Rechtspolitische und rechtsmethodologische Argumente
229
III. Schlußwort
231
12
Inhaltsverzeichnis
G.Anhang I. Statistische Angaben zu den Einbürgerungsquoten II. Tabellen - Auswertung der Inhaltsanalyse nach Ländern III. Ausgewählte Einbürgerungstatbestände 1. Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG)
233 233 237 239 239
2. Ausländergesetz (AuslG) - Siebenter Abschnitt. Erleichterte Einbürgerung .. 242 3. Einbürgerungsrichtlinien
Literaturverzeichnis
244
250
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tab. 1: Empirische Gerechtigkeitsforschungen
20
Tab. 2: Übersichtsschema: Verteilungsprinzipien lokaler Gerechtigkeit
30
Tab. 3: Mechanische und diskretionäre Verteilungsprinzipien
32
Tab. 4: Einbürgerungen nach Bundesländern und Art der Einbürgerung für die Jahre 1991 bis 1996
82
Tab. 5: Ausländer in den Bundesländern für den Zeitraum 1981 bis 1990 in absoluten Zahlen
84
Tab. 6: Die Einbürgerungsquoten der Bundesländer
88
Tab. 7: Die Einbürgerungsquoten nach Ländergruppen
91
Tab. 8: Auslegungsprofil extensiv/restriktiv nach Gruppen
163
Tab. 9: Kontingenztafel extensive zu restriktive Auslegungsentscheidungen nach Gruppen
165
Tab. 10: Anteil der Argumentformen an der Gesamtargumentation nach Gruppen
169
Tab. 11 : Prozentzahlen rechtliche und nicht-rechtliche Argumente nach Gruppen
171
Tab. 12: Kontingenztafel rechtliche zu nicht-rechtliche Argumente nach Gruppen
172
Tab. 13: Gerechtigkeitsargumente nach Gruppen
177
Tab. 14: Gerechtigkeitsargumente „pro/contra potentieller Einbürgerungsbewerber" nach den drei Gruppen, dem Bund und der HM
178
Tab. 15: Einbürgerungsquoten der Bundesländer (Zeiträume 1991-93 und 1993-96) 234 Tab. 16: Statistik aus dem Kolmogorov-Smirnov-Test
235
Tab. 17: Auslegungsprofil extensiv/restriktiv nach Ländern
237
Tab. 18: Einzelne Argumentformen pro Land in absoluten Zahlen und (in Klammern) in Prozent an der Gesamtargumentation dieses Landes 237 Tab. 19: Prozentzahlen rechtliche Argumente und nicht-rechtliche Argumente nach Ländern Tab. 20: Gerechtigkeitsargumente nach Ländern
238 238
Tab. 21: Gerechtigkeitsargumente „pro/contra potentieller Einbürgerungsbewerber" nach Ländern 239
14
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Diagramm 1 : Einbürgerungsquoten der Länder Diagramm 2: Einbürgerungsquoten nach Gruppen
89 91
Diagramm 3: Auslegungsprofil nach Gruppen
164
Diagramm 4: Extensivanteil am Auslegungsprofil zu Einbürgerungsquote
167
Diagramm 5: Argumentationsprofil nach Gruppen
172
Diagramm 6: Extensivanteil am Auslegungsprofil zu Argumentationsprofil
175
Diagramm 7: Variablenschema: „Varianz der Verteilungsverfahren"
213
Α. Einleitung Die Untersuchung verfolgt zwei sich überschneidende Ziele: Sie soll erstens die unterschiedliche Einbürgerungspraxis in den Bundesländern erläutern und erklären. Sie soll zweitens am Beispiel des Einbürgerungsrechts die soziologische Theorie über lokale Gerechtigkeit auf die Rechtsanwendung übertragen. 1. Es wird vermutet, 1 und es ist teilweise belegt,2 daß die Einbürgerunsgsquoten in den Bundesländern trotz gleicher Rechtsgrundlagen unterschiedlich sind. Diese Unterschiede werden untersucht und anhand der Theorie über lokale Gerechtigkeit beschrieben und erklärt. Der Begriff lokale Gerechtigkeit besagt, daß gleiche Güter von verschiedenen Verteilern auf unterschiedliche Weise verteilt werden. Diese Theorie zur Verteilungsgerechtigkeit wurde bislang auf weitgehend gesetzesfreie Verteilungskontexte angewendet. Im durchnormierten Verwaltungsrecht sind die Möglichkeiten der Verteiler, unterschiedliche Verteilungsverfahren und -kriterien anzuwenden, regelmäßig eingeschränkt. Das Verwaltungshandeln ist wegen der Gesetzesbindung verbindlich vorgeschrieben. Übertragen auf das Recht bedeutet lokale Gerechtigkeit, daß gleiche Rechtsvorschriften von verschiedenen Anwendern unterschiedlich verwirklicht werden. Legal ist das nur möglich bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensvorschriften, die den Anwendern einen Entscheidungsspielraum belassen. Das Einbürgerungsrecht enthält eine Fülle derartiger Rechtsvorschriften. Die Arbeit wird zeigen, daß die jeweilige Einbürgerungspraxis der Länder auf einer abweichenden Anwendung des Einbürgerungsrechts beruht. Diese Unterschiede in der Rechtsanwendung werden als divergierende Auffassungen über eine angemessene und gerechte Einbürgerungsregelung gedeutet. Die Staatsbürgerschaft wird weniger als Rechtsstatus, sondern eher als soziales Gut begriffen, an das sich Fragen der Verteilungsgerechtigkeit knüpfen. 3 Die Zuteilung von Staatsangehörigkeiten soll nicht lediglich aus juristischer Sicht als Frage von Einbürgerungsvoraussetzungen und Einbürgerungsansprüchen betrachtet werden.4 Die Rechtsvorschriften werden außerdem einer gerechtigkeitstheoretischen Analyse aus soziologischer Perspektive unterzogen. Weiterhin erfolgt an1 Brubaker (1989a), S. 1 12. Hailbronner (1992), S. 11, Fn. 4 stellt fest, daß die Einbürgerungszahlen in den Ländern eine steigende Tendenz haben, hierbei zwischen den einzelnen Ländern jedoch Unterschiede bestehen und benennt als Beispiele Bayern und Berlin. 3 Zur Staatsbürgerschaft als sozialem Gut vgl. Bauböck (1993), S. 39. 4 Zur rechtlichen Dimension der Güterverteilung ζ. B. Kloepfer/Reinert (1995a), S.47 ff.; Berg (1976), S. 1 ff., insbesondere S. 22 ff., Tomuschat (1973), S. 433 ff. 2
16
Α. Einleitung
hand von verwaltungsinternen Materialien eine quantitative und qualitative Untersuchung über das Verständnis des Einbürgerungsrechts in den Ländern.5 2. Zur Gliederung der Arbeit: Im Kapitel B. wird die empirische Theorie über lokale Gerechtigkeit ausführlich dargestellt. Das Kapitel C. besteht aus zwei Teilen: Zunächst werden die verschiedenen Einbürgerungsvoraussetzungen aus juristischer und gerechtigkeitstheoretischer Sicht beschrieben. Das Einbürgerungsrecht wird als ein bestimmtes Muster der Verteilungsgerechtigkeit charakterisiert. Im Anschluß daran wird gefragt, ob es trotz der bindenden rechtlichen Vorgaben verschiedene „lokale Gerechtigkeiten" 6 geben kann. Diese Ausgangsfrage findet im zweiten Teil dieses Kapitels eine erste empirische Antwort, indem die Statistiken für Ermessenseinbürgerungen zwischen den Bundesländern verglichen werden. Es wird sich zeigen, daß die Einbürgerungsquoten von verschiedenen Ländern signifikant divergieren. Diese Unterschiede sind das empirisch zu klärende „Problem", das Explanandum der Arbeit. Es wird die Hypothese formuliert, daß die Unterschiede in der Einbürgerungsstatistik auf einer unterschiedlichen Rechtsanwendung beruhen. Im Kapitel D. wird die methodische Herangehensweise erläutert, mittels derer diese Hypothese überprüft werden soll. Es enthält eine Inhaltsanalyse von vertraulichen Materialien der Staatsangehörigkeitsreferate der Länder. Im Kapitel E. werden die Ergebnisse dieser Inhaltsanalyse vorgestellt und interpretiert. Die Interpretation bedient sich wiederum der theoretischen Begrifflichkeit über lokalen Gerechtigkeit. Die Unterschiede in der Einbürgerungspraxis werden als lokale Gerechtigkeiten begriffen. Im fünften und letzten Kapitel F. werden die Ergebnisse zusammengefaßt und in einen größeren Zusammenhang gestellt. Eine Gerechtigkeit, die in ihrer Geltung durch Flüsse oder Bergkämme begrenzt wird, bezeichnet Blaise Pascal als „spaßig". Ist lokale Gerechtigkeit rechtmäßig? Ist sie gerecht?
5
Eine vergleichbare Studie findet sich - soweit ersichtlich - nur zur Verteilung von Sozialwohnungen, vgl. Winter/Winter von Gregory (1983). Allerdings greifen auch Kloepfer/ Reinert (1995a), S. 47 ff., insbesondere S. 63 f. einen Aspekt von lokaler Gerechtigkeit auf, wenn sie fur verschiedene knappe Güter (Taxikonzessionen, Marktstandplätze, Studienplätze, etc.) unterschiedliche Verteilungskriterien beschreiben. Diese Darstellung beschränkt sich jedoch auf eine juristische Betrachtung der rechtlichen Regelungen. 6
Die Rede von „Gerechtigkeiten" dokumentiert den Abschied von dem Glauben und der Suche nach „der" objektiven, idealen Gerechtigkeit, vgl. Maclntyre (1988), S. 9.
Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie I. Der wissenschaftliche Kontext von lokaler Gerechtigkeit 1. Die Geschichte von Local Justice
Seit 1987 beschäftigten sich Wissenschaftler mit dem Local-Justice-Projekt. An die Öffentlichkeit traten sie im Jahre 1990 mit einer Konferenz von Wissenschaftlern in Paris und einem Aufsatz über „Local Justice" von Jon Elster. 1 Der Konferenz in Paris folgten Konferenzen in Poitiers (1991) und Oslo (1992). Teilnehmer waren Wissenschaftler aus Brasilien, Deutschland, Frankreich, Norwegen und den Vereinigten Staaten. Diese Wissenschaftler veröffentlichten diverse Artikel und Arbeitspapiere. Bislang sind außerdem mehrere Bücher zu dem Thema erschienen.2 Die beteiligten Wissenschaftler bildeten eine Schule, die sich mit abgesteckten Fragenkreisen befaßte. Die verschiedenen Projekte sind zwar abgeschlossen, es liegen aber noch etliche Themen brach.
2. W o r u m geht es bei Local Justice?
Lokale Gerechtigkeit ist ein Zweig aus der mittlerweile umfangreichen empirischen Gerechtigkeitsforschung. Es geht um die Verteilung von knappen Gütern und notwendigen Lasten durch „relativ autonome"3 Institutionen im Graubereich zwischen staatlicher und marktwirtschaftlicher Verteilung. Typische Verteilungsgüter und -lasten sind Arbeitsplätze, Studienplätze, Plätze in Alten- und Kinderheimen, Sozialwohnungen,4 Kinder zur Adoption,5 Wehr- und Kriegsdienste, Transplantationsorgane, Immigration 6 und Einbürgerung. Alle diese Güter 7 sind unteil1 Elster (1990). Zu diesem Zeitpunkt existierten bereits unpublizierte Manuskripte von Jon Elster (erschienen Elster (1991) und von Frederik Engelstad (1989), sowie weiterer Wissenschaftler des „Local Justice Projekts" am Departement of Political Science der University of Chicago. 2 Zuerst Elsters (1992) theoretische Grundlegung; sodann mehrere Studien: Elster/Herpin (1992) zur Verteilung von „medizinischen Gütern"; Engelstad (1994) zu internationalen Kündigungspraktiken; Elster (1995) zu verschiedenen Verteilungssphären in den USA; Schmidt (1996) zur Organverteilung; Schmidt/Hartmann (1997) zur Verteilung von Studienplätzen und Spendernieren, sowie zur Personalauswahl bei Entlassungen. 3 Elster (1992), S. 2. 4
Dazu die Studie von Winter/Winter von Gregory (1983). 5 Untersucht für die USA von Duffy /Toft (1992).
2 Bultmann
18
Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
bar, das heißt nur als Ganze brauchbar. Bei der Bewerberauswahl werden verschiedene Verteilungskriterien herangezogen. Diese Kriterien werden dokumentiert. Die Forschung rankt sich um drei typische Fragen:8 Erstens. Welche Regeln bestimmen die Verteilung verschiedener knapper Güter und Lasten? Zweitens. Inwiefern variiert die Verteilung eines bestimmten Gutes zwischen verschiedenen Staaten? Drittens. Inwiefern variiert die Verteilung eines bestimmten Gutes zwischen bestimmten Verteilungsinstanzen innerhalb eines Staates? Bei diesen Fragen interessieren nicht die Unterschiede in den Größenordnungen der Verteilung oder in der Qualität der Güter. Allein der Modus der Verteilung von knappen Gütern steht im Blick. Local Justice ist eine empirische Angelegenheit: Die Verteilungspraktiken sollen in ihrer Vielgestaltigkeit beschrieben und soweit wie möglich erklärt und verstanden werden. Die lokalen Verteilungssituationen sind komplex. Es gibt eine Vielzahl von Kriterien, die bei der Güterverteilung berücksichtigt und auf die unterschiedlichsten Weisen miteinander verknüpft werden können. Für jede Güterverteilung gibt es daher theoretisch nicht nur eine richtige, sondern mehrere denkbare Lösungen.9 Bestimmte Gründe bewegen die Verteiler, dieses und nicht jenes Verteilungsverfahren zu implementieren. Jedem Verteilungsmuster ist aber auch ein gewisses Maß an Zufälligkeit eigen. Das ist die unvermeidliche Konsequenz der komplexen - in Extremfällen „byzantinischen"10 Struktur lokaler Entscheidungssituationen. Den Verteilern soll das Maß an Kontingenz und beschränkter - eben nur lokaler - Gültigkeit ihrer Praktiken bewußt gemacht werden, damit sie ihre Auffassungen offen legen und zur öffentlichen Diskussion stellen können, und damit „wenigstens das Spektrum vertretbarer Lösungen" 11 eingegrenzt werden kann. Elster stellt keine Theorie über lokale Gerechtigkeit vor, und er bezweifelt sogar, daß das überhaupt möglich ist. 12 Die komplexe Wirklichkeit lokaler Verteilungsregelungen läßt sich nur durch eine entsprechend vielschichtige Begrifflichkeit beschreiben. Ebensowenig jedoch wie es für die Lösung von lokalen Verteilungspro6 Durch Mackie (1995), S. 227 ff. 7 Da der Schwerpunkt dieser Arbeit bei der Güterverteilung liegt, wird im folgenden in der Regel nur noch mitgedacht, aber nicht mehr erwähnt, daß Local Justice auch die Lastenverteilung betrifft. 8 Vgl. Engelstad (1994), S. 5. 9 Das ist bereits eines der Forschungsergebnisse von lokaler Gerechtigkeit, das im weiteren Verlauf der Darstellung plausibel gemacht wird. Vgl. dazu Schmidt (1995), S. 175 ff., insbesondere S. 189. 10 Elster (1995), S. 11.
" Schmidt (1995), S. 189. 12 Elster (1992), S. 14 f. Logische Taxonomien der Verteilungskriterien seien „pointless", denn die Kriterien seien teilweise mehrdeutig und voneinander abhängig, S. 70.
I. Der wissenschaftliche Kontext von lokaler Gerechtigkeit
19
blemen die eine richtige Lösung gibt, existiert eine konsistente Struktur für die Beschreibung von lokaler Gerechtigkeit. Elster selbst variiert leicht in der Systematik seiner Darstellung. 13 Im folgenden soll es daher nur darum gehen, eine mögliche Strukturierung von lokalen Verteilungsphänomenen vorzustellen, die sich eng an Elsters Konzeption anlehnt. Immerhin geht Elster davon aus, daß die „Liste" seiner Verteilungskriterien und -mechanismen erschöpfend ist. 14 Ein weiteres Ziel der Local-Justice-Forschung ist es, „Stoff 4 für die Bildung von normativen Gerechtigkeitstheorien zu beschaffen. Dahinter steht die Auffassung, daß normative Theorien empirisch fundiert sein müssen. Wenn sie eine Auswirkung auf die Wirklichkeit haben sollen, müssen sie die tatsächlichen Auffassungen und Intuitionen der Menschen berücksichtigen. 15 Das Verhältnis von normativen und empirischen Gerechtigkeitstheorien und der besondere Stellenwert von lokaler Gerechtigkeit ist im folgenden Abschnitt kurz skiziert.
3. Local Justice als Zweig der empirischen Gerechtigkeitsforschung
Elster versteht unter globalen Gerechtigkeitstheorien normative und makrosoziologische Konzepte über Gerechtigkeit - beispielsweise die Theorien von John Rawls und Robert Nozick oder den Utilitarismus in seinen verschiedenen Varianten. 16 Globale Theorien seien durch drei Merkmale gekennzeichnet: Sie seien (1) ein Entwurf für eine gerechte und legitime Gesellschaft als Ganze (2) mit dem kompensatorischen Ziel, die Härten individueller Schicksale auszugleichen, indem sie (3) Maßstäbe für ein Geldtransfer begründeten.17 Vor allem aber sind sie normativ-präskriptiv: Sie entwickeln und bestimmen materielle und prozedurale Prinzipien der Gerechtigkeit, deren Befolgung eine friedliche und legitime gesellschaftliche Ordnung bewirken soll. Lokale Gerechtigkeit gehört zu den sozialpsychologischen und soziologischen Untersuchungen zur Gerechtigkeit. Elster klassifiziert diese Theorien nach zwei Gesichtspunkten, nämlich ihrer Erkenntnisobjekt und ihrem Erkenntnisziel. Er entwirft die folgende Tabelle: 18 13 Vgl. z. B. Elster (1992), S. 67 ff.; Elster (1994), S. 18 ff.; Elster (1995a), S. 11 ff. Die beschriebenen Kriterien lokaler Gerechtigkeit bleiben trotz kleinerer Unterschiede in der Darstellung sachlich dieselben. 14 Elster (1992), S. 16, 67. 15 Elster (1992), S. 192 ff.; weiterführend Schmidt (1994); Rawls (1971), S. 50 verläßt sich auf seine und des Lesers Auffassungen. 16 Elster (1992), S. 188 f., 211 ff. mit Bezug auf Rawls (1971); Nozick (1974) und eine eigene Konzeption über fünf verschiedene Ausformungen des Utilitarismus. π Elster (1992), S. 4. is Vgl. Elster (1994), S. 12. Dieselbe Tabelle diskutiert er etwas ausführlicher in Elster (1995c), S.81 ff. 2*
20
Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie Tabelle 1 Empirische Gerechtigkeitsforschungen Einstellungen / Stellungnahmen
Verhalten
Situationen aus dem wirklichen Leben
Inhaltsanalysen
Lokale Gerechtigkeit; Fairness bei Lohnfestsetzungen, Steuererhebungen, etc.
Künstliche (konstruierte) Situationen
Surveys (Beobachtungen);. Experimente
Experimente
Den Gerechtigkeitsstudien in konstruierten, experimentellen Situationen begegnet der Kardinaleinwand, sie seien nicht aussagekräftig für „das wirkliche Leben". Es handelt sich um hypothetische oder virtuelle Spiele oder Meinungsumfragen. Interessanter sind deshalb die Untersuchungen zu Einstellungen und Verhaltensweisen in gerechtigkeitsbezogenen Situationen des wirklichen Lebens.19 Studien über lokale Gerechtigkeit seien auf tatsächliches Verhalten in „real-life settings" gerichtet. Inhaltsanalytische Untersuchung dagegen seien nur tauglich, Aufschluß über bestimmte Einstellungen zu geben. Inhaltsanalysen von Texten „aus dem wirklichen Leben" zeichnen sich dadurch aus, daß die untersuchten Texte keinen direkten Bezug zu Gerechtigkeitsfragen haben. Ein Beispiel wäre die Analyse von parlamentarischen Debatten auf Gerechtigkeitsauffassungen der jeweiligen Redner. Derartige Inhaltsanalysen sind selten. Elster's „Mißtrauen" hinsichtlich der Aussagekraft von Inhaltsanalysen ist hingegen nicht ganz berechtigt. Elsters Klassifikation ist weder eindeutig noch ausschließlich. Den meisten - jedenfalls den bewußt vorgenommenen - Verhaltensweisen liegen bestimmte Einstellungen zugrunde. Elster präzisiert sein Schema insofern, wenn er sagt, daß „Einstellungen" auch für Studien über lokale Gerechtigkeiten relevant sind, soweit sie Verhaltensweisen prägen. Die Unterscheidung von dem, was Menschen denken, was sie sagen und was sie tun, ist ein generelles methodologisches Problem. Die Gedanken sind frei und auch die Rede ist es weitgehend. Der Schluß von dem, was die Menschen tun, auf das, was sie denken, ist daher problematisch. Elster stellt dieses Problem in den Raum, ohne eine Lösung anzubieten. Eine gänzliche Trennung zwischen dem, was Menschen sagen und dem, was sie tatsächlich tun, ist hingegen lebensfremd und unplausibel. Im Rahmen der Untersuchung werden einige Argumente und Indikatoren dafür genannt, daß eine Inhaltsanalyse durchaus Aufschluß über tatsächliche Gerechtigkeitspraktiken geben kann.
19 Elster (1992), S. 192 f. Beispiele zu „künstlichen" Studien zur Gerechtigkeit finden sich bei Elster (1994), S. 11 f. Vgl. dort auch zu den folgenden Ausführungen. Bekannt sind die experimentellen Untersuchungen von Deutsch (1985).
I. Der wissenschaftliche Kontext von lokaler Gerechtigkeit
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Lokale Gerechtigkeit befaßt sich nicht mit allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen, sondern nur mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und nur hinsichtlich knapper Güter. 20
4. Z u m Begriff einer „lokalen Gerechtigkeit"
1. Der Begriff „lokale Gerechtigkeit" provoziert. Gemeinhin wird Gerechtigkeit als ein absoluter Wert verstanden. Es gibt nur die Gerechtigkeit und nicht etwa mehrere Gerechtigkeiten, geschweige denn Gerechtigkeiten, die sich nach geographischen Koordinaten verändern. Dieser Einwand verliert sich jedoch nach den folgenden Konkretisierungen des Begriffs: Erstens. Es geht nicht um den normativ verstandenen, philosophischen oder theologischen Begriff von absoluter Gerechtigkeit. Im Fokus sind die Gerechtigkeitsvorstellungen verschiedener Menschen und die These, daß sie variieren. Die Gerechtigkeitsauffassungen werden emprisch beschrieben, nicht normativ beurteilt. Zweitens. Der Begriff „lokal" ist nicht nur topographisch im Sinne von „örtlich" gemeint, sondern bildlich. Er bedeutet soviel wie: „beschränkt auf bestimmte Einheiten". Ein „Ort" ist jedes Handlungszentrum, jede gesonderte Aktivität von Menschen. Ein Lokus von gesonderter Verteilungsgerechtigkeit kann daher jede Institution, eine Organisation, ein Verein, ein einzelner „verteilender Mensch", aber auch eine Region oder ein Staat sein. Drittens. Lokale Gerechtigkeit ist die Bezeichnung für divergierende Verteilungspraktiken von Institutionen. Mit dieser Bezeichnung ist nicht gemeint, daß es den Institutionen ausschließlich um eine gerechte Verteilung geht. Das Forschungsetikett „lokale Gerechtigkeit" soll nur besagen, daß die Verteilungspraktiken unter Gerechtigkeitsaspekten analysiert und als Gerechtigkeiten gedeutet werden sollen. Eine vierte Bedeutung von lokaler Gerechtigkeit ergibt sich, wenn man auch die Zeit als „lokal" begreift. Die Zeitläufte schaffen historische Loki mit veränderten Lebensbedingungen für das menschliche Zusammenleben. Wenn sich die Lebensbedingungen einer Gesellschaft ändern, wandeln sich auch die moralischen Begriffe dieser Gesellschaft. Moralvorstellungen sind kulturbezogen und den Lebensformen einer Gesellschaft verhaftet. Teilweise schaffen die Moralvorstellungen selbst bestimmte Lebensformen. 21 Zeitlich verstanden wäre „lokale Gerechtigkeit" die Bezeichnung für eine komplexe Geschichte von Begriff und Wirklichkeit der Gerechtigkeit. Lokale Gerechtigkeit zeigt sich nämlich in der historischen Entwick20 Schmidt (1997a), S. 13. 21 Vgl. Maclntyre (1984), S. 9 f. Auf S. 13 ff. folgt ein Abriß der „vorphilosophischen Geschichte des Wortes ,gut'
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
lung von Verteilungsregelungen. Das läßt sich beispielsweise an der Entwicklung des us-amerikanischen Einwanderungs- und Einbürgerungsverfahren darstellen. 22 2. Trotz dieser Präzisierungen des Forschungsgegenstandes von lokaler Gerechtigkeit bleibt die anfangs aufgeworfene Frage unbeantwortet: Wie kommen die Local-Justice-Forscher dazu, die Art und Weise der Güterverteilung mit Gerechtigkeit in Verbindung zu bringen? Inwiefern kann man berechtigterweise von lokaler „Gerechtigkeit" sprechen? Handelt es sich nicht ausschließlich um verschiedene Rechtskulturen, so daß man nüchterner lediglich von „lokalem Recht" reden sollte? Warum wurden die Verteilungsmuster nicht mit anderen Kategorien wie zum Beispiel der Zweckmäßigkeit (schnell und einfach, local effectivity), volkswirtschaftlicher Effizienz (local efficiency) 23 oder politischen Präferenzen in Verbindung gebracht? Die Rede von „lokaler Gerechtigkeit" verrät in der Tat eine bestimmte Perspektive auf das Verteilungsgeschehen. Die Verteilung wird interpretiert als ein Vorgang, der primär darauf abzielt, ein bestimmtes knappes Gut gerecht zu verteilen, und es geht um die Beurteilung der dabei verwendeten Maßstäbe und Vertei lungs verfahren. Vergegenwärtigt man sich den Gerechtigkeitsbegriff, den Elster seinen Ausführungen zugrunde legt, so scheint sich die Rede von lokaler „Gerechtigkeit" als Trick zu entpuppen, um ein Schlagwort verwenden zu können, das in die Zeit paßt und dem stets eine besondere Aufmerksamkeit zuteil kommt. Elster verwendet einen Begriff, der von den gängigen Vorstellungen, die mit Gerechtigkeit in Verbindung stehen, abweicht. Sein Begriff ist weiter, denn er umfaßt Gesichtspunkte reiner Effizienz oder des Nutzens der Verteilung, die mit Fairness, Billigkeit oder der Wahrung von Grundrechten nichts zu tun haben.24 Dadurch bläht Elster die Vielfalt von Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit auf. Es läßt sich jedoch plausibel begründen, daß die Verteilung von knappen Gütern jedenfalls durch staatliche Instanzen letztlich eine Frage der Gerechtigkeit und nicht der Praktikabilität oder der Effizienz ist. Nach allen Demokratietheorien gewinnen staatliche Institutionen ihre Legitimität dadurch, daß sie ihre Machtausübung vom Willen des Volkes herleiten. Außer durch Wahlen äußert sich die idealiter ständige Übereinstimmung des Volkswillens mit den staatlichen Institutionen dadurch, daß die Bevölkerung das staatliche Handeln (zumindestens stillschweigend) akzeptiert. 25 Auf Akzeptanz kann eine institu22 Nämlich von Mackie (1995), S. 227 ff. 23 Elster (1992), S. 97 „local efficiency" in einem anderen Zusammenhang. Effizienz ist in seiner Konzeption ein Verteilungskriterium. „Global efficiency" nennt er ζ. B. das Bestreben, das Bruttosozialprodukt oder den Gesamtwohlstand zu vermehren. „Local efficiency" ist dagegen jedes beschränktere erfolgsorientierte Handeln. 24 Elster (1992), S. 6. Dort umschreibt Elster auch sein Verständnis von „Effizienz", demzufolge Effizienzdenken die reine Profitmaximierung ausschließt. 25 Das Verhältnis von Legitimität und Akzeptanz ist vielschichtig und komplex, im Zusammenhang der local-justice-Forschung jedoch nebensächlich. Um Mißverständnisse zu vermeiden, definiert Schmidt (1993), S. 85, Fn. 5 Legitimität als die normative Bewertung
I. Der wissenschaftliche Kontext von lokaler Gerechtigkeit
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tionelle Praxis aber nur dann hoffen, wenn sie „gerecht" ist. Gerechtigkeit ist die erste Tugend sozialer Institutionen.26 Eine gute Institution fühlt sich einem ständigem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Die Sprache, in der sie sich rechtfertigen kann, ist die der Gerechtigkeit. Eine Grammatik dazu liefert die Theorie von lokaler Gerechtigkeit. Lokale Gerechtigkeit ist eine besondere Anschauung über Verteilungsgerechtigkeit. Sie betrachtet die verteilenden Institutionen, ihre Wertentscheidungen und ihre Verfahren. Sie beschreibt und erklärt den Umgang von Institutionen mit Verteilungsproblemen. Es gibt besondere Arten von Gerechtigkeiten, und verschiedene Arten werden in unterschiedlichen Situationen benötigt. Je stärker und unmittelbarer eine institutionelle Aufgabe auf Bedürfnisse und Interessen der Betroffenen trifft, desto höher sind die Erwartungen an eine sachgerechte und angemessene Lösung, und desto stärker müssen die Verteilenden darauf achten, daß ihre Verteilungsregelungen vertretbar sind. Insofern unterliegt bei der Verteilung von knappen Gütern nahzu jede Entscheidung der wachsamen Kritik der Betroffenen und der Öffentlichkeit und zwar um so mehr, je wichtiger das zu verteilende Gut für die Betroffenen ist. Je losgelöster eine institutionelle Aufgabe von individuellen Interessen ist, desto wichtiger werden andere Kriterien als jene der Gerechtigkeit. Da es bei den Studien über lokale Gerechtigkeiten nur um knappe Güter geht, ist es hierbei folglich plausibler als bei anderen staatlichen oder institutionellen Handlungen, sämtliche Entscheidungen als bestimmte Interpretationen und Intuitionen über Gerechtigkeit zu deuten. Dafür, daß die Verteiler primär an der Gerechtigkeit statt an der Zweckmäßigkeit orientiert sind, spricht auch, daß es für das gleiche Gut verschiedenste Verteilungsmuster gibt. Sollte die Distribution möglichst einfach und billig sein, so hätte man wohl in den meisten Fällen schlichtweg ein Losverfahren gewählt. Auch die effiziente Verteilung ist selten das alleinige Verteilungsziel. Man findet bei der Verteilung knapper Güter selten Zuteilungsmuster, die allein an dem maximalen Nutzen der Verteilung ausgerichtet sind. In vielen Verteilungsbeispielen (Bildung, Medizin, Arbeitsrecht) wird sozialen Aspekten eine Bedeutung beigemessen.27 Der Gerechtigkeit wird auch hier letztlich das größere Gewicht zukommen, denn ein Verteilungsverfahren, das nicht als gerecht empfunden wird, läßt sich nicht rechtferti-
von etwas als zustimmungs- oder annerkennungswürdig und Akzeptanz als die „faktische Zustimmung zu oder Befolgung und Hinnahme von etwas (einer politischen Ordnung, eines Systems von Regeln, einzelner Entscheidungen usw.)". Es entspricht der allgemeinen Meinung, daß die Legitimität von etwas Zumindestens teilweise auf Anerkennung beruhen kann. Die Bewertung eines Verteilungsprozesses als legitim und „gerecht" kann folglich damit begründet werden, daß der Verteilungsmodus faktisch anerkannt wird. In diesem verkürzt dargestellten Zusammenhang liegt die begriffliche Brücke für die Etikettierung verschiedener Verteilungsmuster als „lokale Gerechtigkeiten". 26 Rawls (1994), S. 19. Vgl. speziell zu diesem Zitat und allgemeiner zur Gerechtigkeitsanalyse von Institutionen Schmidt (1995), S. 173 ff. 27 Schmidt (1997b), S. 265.
24
Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
gen und aufrechterhalten. Das spezifisch „Gerechte" der jeweiligen lokalen Besonderheiten ist der Umstand, daß den Verteilungsmodellen Abwägungsprozesse zugrunde liegen. Wie die inhaltlichen Überlegungen der Verteiler in ein Verteilungsverfahren übersetzt werden können, beschreibt das folgende Kapitel.
II. Die Elemente von lokaler Gerechtigkeit Muster örtlicher Gerechtigkeit wurden bisher in überwiegend gesetzesfreien Räumen untersucht. Insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika werden viele knappe Güter von mediatisierten, nicht-staatlichen Organisationen verteilt. Die Entstehung von lokaler Gerechtigkeit ist von einigen Randbedingungen abhängig. 1. Knappe Güter
Güter sind knapp, wenn zu einem gegebenen Zeitpunkt für eine bestimmte Menge von Gütern mehr Anwärter existieren als befriedigt werden können, wenn also nicht alle etwas davon bekommen können, die gerne etwas davon hätten.28 Das ist besonders dramatisch, wenn kein Nachschub beschafft werden kann, die Knappheit also absolut ist, und wenn das Gut unteilbar ist (oder bei einer Teilung seine Funktion verliert). Es gibt also verschiedene Arten und Grade von Knappheit, die von den Charakteristika eines Gutes abhängen. Die Knappheit ist relativ, nämlich von den potentiellen Rezipienten abhängig, wenn das Gut heterogen ist. 29 Heterogen ist ein Gut, wenn der Nutzen seiner Verteilung auch von den Bewerbern abhängt. Beispielsweise ist eine Leber als Transplantationsorgan nur dann hilfreich, wenn sie bei dem Empfänger medizinisch als Ersatzorgan fungieren kann. Homogen ist ein Gut, wenn die Verteiler und die Empfänger bloß „Ja" oder „Nein" sagen können, die Beschaffenheiten des Gutes oder der Empfänger also egal sind. Das Phänomen lokaler Gerechtigkeit taucht „strictu sensu"30 nur bei der Verteilung knapper und heterogener Güter auf, aber vergleichbare Entscheidungskonstellationen betreffen die Güterzuteilung allgemein. Laut Elster können Knappheiten natürlich oder künstlich bedingt sein. Natürlich sind sie, wenn Nichts getan werden kann, um den Vorrat zu vergrößern. Ein Beispiel sind Ikonen von Andrei Rubljow. Künstlich ist eine Knappheit, wenn die 28 Hierzu und zum folgenden Elster (1995), S. 3 ff.; Elster (1992), S. 20 ff. 29 Anschaulich wird das Verhältnis von relativer zu absoluter Knappheit, wenn man die Umwelt als Verteilungsgut betrachtet. Kennzeichen von Güterknappheit ist aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, daß sie wertbildend ist und ein Wirtschaften erfordert, vgl. Kloepfer/Reinert (1995b), S. 274 ff. 30 Elster (1992), S. 26 f.
II. Die E l n
von lokaler Gerechtigkeit
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Staatsregierung theoretisch jedermann mit dem fraglichen Gut versorgen könnte.31 Elster's Unterscheidung ist insofern nicht überzeugend, als jede künstliche Knappheit letztlich auf natürlichen Knappheiten beruht. Zwar könnte der Staat Kindergarten-, Altenheim- und Studienplätze vermehren. Wegen der allgemeinen Ressourcenknappheit würde er dadurch jedoch andere „künstliche" Knappheiten erzeugen müssen. Überzeugender ist daher die Unterscheidung zwischen ökonomischer Knappheit, die sich über den marktwirtschaftlichen Preismechanismus bestimmt, ökologischer Knappheit, die von den natürlichen Ressourcen abhängt, und politisch-rechtlicher Knappheit, die bewußt durch gesetzliche Vorschriften und Grenzwertvorgaben entsteht.32 Knappheiten werden häufig durch ein „Dringlichkeitsmoment" verschärft: 33 Jemand bedarf eines bestimmten Gutes hier und jetzt, später nützt die Verteilung möglicherweise nichts mehr. In einer Knappheitssituation muß regelmäßig in einem mehrstufigen Verfahren eine Auswahl getroffen werden unter mehreren Bewerbern. Das Auswahlverfahren ist qualifiziert, wenn überhaupt nur bestimmte Bewerber für ein Gut in Frage kommen. Dann muß aus der Menge aller Bewerber zunächst eine Menge „gleich geeigneter" Empfänger ausgegliedert werden. Das ist beispielsweise der Fall bei der Vergabe von Studienplätzen. Geeignet sind - rechtlich - nur Bewerber mit Abitur. Folglich werden alle Nichtabiturienten ausgeschieden. An diesem Beispiel kann man schon, ohne in die Tiefe zu gehen, ein Kardinalproblem der Verteilungsgerechtigkeit aufzeigen. Gemeint ist das Definieren tauglicher Bewerber. Dieser Prozeß besteht regelmäßig aus zwei Schritten: Erstens müssen die überhaupt geeigneten Bewerber ausgegliedert werden. Diese Schwierigkeit spiegelt sich wieder in der Diskussion über die Frage, inwieweit das Fachabitur zum Studium berechtigt. Im zweiten Definitionschritt werden aus den „geeigneten Bewerbern" die „bestgeeigneten Bewerber" herausgelesen. Hier geht es um die Frage der „gerechten" Gewichtung von Faktoren wie Abiturnote, Wohnort, Familienstand, Wartezeit, etc. Die ,3estgeeigneten" erhalten vorrangig ein Gut zugeteilt, unter den „nachrangig Geeigneten" muß gegebenfalls nochmals ausgewählt werden. 34 Auf diesen Definitionsstufen spielen Sachargumente die entscheidende Rolle jedenfalls, wenn es gerecht zugehen soll. Wer ist faktisch tauglich, das knappe Gut entgegenzunehmen? Wer unter den Tauglichen verdient eine bevorzugte Zuteilung? Wer unter den Verbliebenen ist „gleichermaßen geeignet", so daß eine weitere Selektion erfolgen muß? Es geht darum, sachliche Unterschiede einer bestimmten Gruppe gegenüber einer bestimmten anderen Gruppe festzulegen. In dem letz31 Elster (1992), S. 21 f. Elster unterscheidet weiterhin noch quasi-natürliche Knappheiten, die unter großem Aufwand beseitigt werden könnten, erklärt sie jedoch selbst für schwer abgrenzbar zur künstlichen Knappheit. 32 Vgl. Kloepfer/Reinert (1995b), S. 277 ff. 33 Vgl. Schmidt (1997a), S. 11 und Schmidt (1992), S. 5; vgl. auch Berg (1976), S. 10. 34 Diesen letzten Umstand weist Schmidt (1993), S. 88 anhand eines Beispieles als ein besonderes Problem lokaler Gerechtigkeit aus. Eine weitere Selektion der Bewerber um ein Gut kann nur aufgrund zusätzlicher, sekundärer Entscheidungskriterien oder durch Los erfolgen.
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
ten Wort, „sachliche Unterschiede festzulegen", spiegelt sich die ganze Ambivalenz dieses Prozesses wider. Sachliche Unterschiede zwischen Menschen bestehen mannigfach. Aber die sachliche Gleichheit ist selten unmittelbar einsichtig. „Gleichheit ist immer nur Abstraktion von gegebener Ungleichheit unter einem bestimmten Gesichtspunkte"35. Die differentia specifica eines Gegenstandes muß zugleich tertium comparationis zur differentia specifica eines anderen Gegenstandes sein. Dann besteht begriffslogisch eine Gleichheit zwischen beiden Gegenständen. Aber es ist eine andere Frage, ob die differentia specifica eines Gegenstandes tatsächlich einen sachlichen oder auch nur einen formalen Unterschied zu anderen Gegenständen bezeichnet. Die Selektion von Bewerbern um ein knappes Gut ist für alle Beteiligten belastend. Sie ist bei wichtigen Gütern unter Umständen „tragisch" 36 und schwierig zu rechtfertigen. Um diesen Druck auf die Verteilungssituationen zu nehmen, werden häufig Strategien der Problemvermeidung entwickelt. Es stehen grundsätzlich zwei Wege offen, nämlich entweder das Angebot zu vergrößern oder die Nachfrage zu verringern. Das Angebot wird schlichtweg erhöht, indem die Verteilungsgüter soweit wie möglich vermehrt, gestreckt oder substituiert werden. Die Nachfrage wird durch eine Verschärfung der Zuteilungsvoraussetzungen oder durch eine Abschrekkung verringert. Abschreckend wirken zum einen die Bekanntmachung der hohen Zuteilungsanforderungen, zum anderen eine Öffentlichkeitsarbeit, die das Verteilungsgut madig macht. Die Abschreckung zielt auf eine Selbstselektion der potentiellen Empfänger. Eine weitere Möglichkeit dem Rechtfertigungsdruck zu entgehen, besteht darin, die Selektionskriterien positiv zu formulieren in einer Weise, die „negative Kandidaten" ausschließt. Man verlangt beispielsweise von Bewerbern um eine Mietwohnung nicht explizit, daß sie nicht „asozial" sein dürfen, sondern erreicht das gewünschte Ergebnis, indem man postiv formuliert, Bewerber müßten ihre Zahlungsfähigkeit nachweisen. Dadurch wird niemand offen benachteiligt.37 Eine wiederum qualifizierte Form dieser positiven Selektion ist das sogenannte „matching", das „passend machen".38 „Matching" ist nur bei heterogenen Gütern möglich. Es be35 Radbruch (1932), S. 71 = (1994), S. 304. 36 Die „tragic choices" behandeln Calbresi/ Bobbit (1978), deren Buch einen großen Einfluß auf die Entscheidungtheorie hatte und auch in Elsters Schriften mehrfach erwähnt ist. „Tragic choices" zeichnen sich dadurch aus, daß sie nur schlechte Lösungen zulassen und deshalb besonders hart zu treffen sind. 37 Vgl. zu dieser Technik Winter/Winter von Gregory (1983), S. 70. 38 Hiervon gibt es wiederum zwei Formen, nämlich das „ex-ante-matching" und das „expost-matching". Beim ex-ante-matching werden die potentiellen Empfänger abstrakt so präzise definiert, daß es nur einen oder im Extremfall niemanden gibt, der ein passender Empfänger wäre. Die Verteiler können sich dann den bestgeeignetsten Bewerber heraussuchen. Beim ex-post-matching steht der Empfänger schon fest, und es geht nur noch darum, in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, daß der Auserwählte das bestimmte Gut bekommen soll. Beide Formen des matching dürften bei der Stellenbesetzung häufig anzutreffen sein, da hier persönliche Präferenzen einerseits auf eine Kontrolle durch Mitbewerber und beteiligte
II. Die E l n
von lokaler Gerechtigkeit
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deutet, daß jedes Gut nur an einen passenden Empfänger verteilt wird - eine Voraussetzung beispielsweise für die erfolgreiche Zuteilung von Transplantationsorgangen. Trotz der dazu notwendigen vielschichtigen medizinischen Voraussetzungen wird auch bei der Organverteilung auf die „gerechte Verteilung" geachtet.39
2. Die Verteiler
Eine Bedingung für die Entstehung von lokalen Gerechtigkeiten ist, daß die verteilenden Personen und Institutionen dezentral organisiert sind. Die verschiedenen Akteure sind auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Funktionen an der Allokation beteiligt. Elster unterscheidet zwischen vier Typen von Akteuren und drei Entscheidungsinstanzen mit jeweils typischen Gerechtigkeitsintuitio40
nen: 1. Die „political first-order actors" 41 legen in ihren „first-order decisions" fest, wieviel von einem bestimmten knappen Gut verteilt werden kann. Das geschieht in rechtlich strukturierten Gesellschaften typischerweise durch die Gesetzgebung. Der Gesetzgeber legt jedoch selten unmittelbar die Anzahl bestimmter Verteilungsgüter fest, sondern er verteilt Steuergelder in den Haushaltsplänen. Private first-order actors sitzen beispielsweise in den Vorständen von Unternehmen oder Vereinen. Die first-order actors werden insbesondere durch Effizienzgesichtspunkte geleitet. Unter dem Druck der mannigfaltigen Bedürfnisse und dem Streben nach maximaler Bedürfnisbefriedigung sind effiziente Lösungen gefragt. Aber auch unter den first-order actors divergieren die Gerechtigkeitsauffassungen. Das spiegelt sich in den parlamentarischen Diskussionen um die Haushaltspläne wider, in denen die Volksvertreter immer auch bestimmte Partikularinteressen vertreten. Wegen des demokratischen Mehrheits- und Einigungsprinzip kommt diese Meinungsvielfalt auf der nächsten Verteilungsebene als Kompromiß zum Tragen. 42 2. Die „second-order actors" bestimmen, auf welche Art und Weise ein Gut verteilt werden soll. Das sind in Elsters Konzeption meistens andere Personen als die Gremien (ζ. B. Frauenbeauftragte im öffentlichen Dienst) andererseits stoßen. Allgemein zum matching vgl. auch Schmidt (1997), S. 261 f. 39 Vgl Schmidt (1997), S. 55 ff, 112. 40 Die folgende Darstellung stützt sich auf Elster (1995), S. 7 ff.; Elster (1992), S. 5 f., 138 ff., 180 ff.; Schmidt (1992), S. 11. Elster wiederum lehnt sich an Calabresi/Bobbit (1978), S. 19 an. 41
Die „politicalfirst-order actors" lassen sich unterscheiden von den „individual first-order actors". Sie werden in der Darstellung jedoch ignoriert, weil Elster das selber auch tut, Elster (1992), S. 139 und S. 180, Fn. 75. 42
Dieses allgemeine Phänomen und seine Auswirkungen behandelt Elster (1992), S. 172 ff. unter den Stichworten „Koalitionsbildung", „bargaining und Kompromiß" und „accretion" (Zuwachs, d. h. „KuchenVergrößerung").
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
first-order actors, nämlich in staatlichen Institutionen die Angestellten und Beamten in der Verwaltungshierarchie, in privaten Betrieben und Organisationen die nächstrangigen Manager und Angestellte. Elster stellt die Regulierung von Einwanderungen in den USA als Sonderfall vor, denn der Kongreß und der Präsident bestimmten nicht nur über die Anzahl der jährlichen Immigranten. Sie legten zudem noch Kriterien des Zugangs fest und träfen damit untypischerweise auch second-order decisions. Diesbezüglich ist die Situation in Deutschland - und überhaupt in Europa - anders. Die Gesetzgebungsorgane begnügen sich selten bloß mit monetären first-order decisions in den Haushaltsplänen. Gesetzliche Vorschriften für die Verteilung der verschiedensten Güter sind keine Ausnahme, sondern die Norm. 43 Die second-order actors treffen ihre Entscheidungen vor allem nach Billigkeitsund Effizienzüberlegungen. Ihr Effizienzkalkül ist regelmäßig lokal motiviert („lokale Rationalität" 44 ) während die first-order actors den Totalnutzeffekt berechnen. Ein Krankenhaus hat das maximale Wohlergehen seiner Patienten zum Ziel, nicht das allgemeine soziale Wohl. 3. Die „third-order actors" sind alle potentiellen Empfänger eines Gutes. „Thirdorder decisions" können auf vier Wegen, die Verteilungssituation beeinflußen: a) indem sie den Bedarf an einem Gut steigern (ζ. B. Rauchen - Herzkrankheit - Organtransplantation); b) wenn sie durch bestimmte Verhaltensweisen ihre Chancen erhöhen, ein bestimmtes Gut zu bekommen (ζ. B. können bestimmte Berufsgruppen privilegiert immigrieren); c) dadurch, daß bestimmte Verhaltensweisen zwar das Bedürfnis für ein Gut vergrößern, gleichzeitig aber die Zuteilungschance verringern (ζ. B. Drogenabhängige bei der Organtransplantation); d) durch ein Engagement in Verbänden, um mit den verteilenden Institutionen zu verhandeln (ζ. B. Gewerkschaften, die Einfluß auf Entlassungskriterien nehmen). Die Wirkungen a bis c schaffen Anreize für ein bestimmtes Verhalten. Third-order actors folgen grundsätzlich ihren Selbstinteressen. Sie engagieren sich für die Implementation jener Verteilungsprinzipien, die für die Untergruppe potentieller Rezipienten, der sie selber angehören, günstig sind. 4. Die öffentliche Meinung ist ein „quasi-actor", der in der Soziologie und der politischen Theorie schon lange als eigenständige Macht begriffen wird. Sie bildet eine diffuse Gruppe von Akteuren, die sich ständig ändert und auf die verschiedensten Weisen auf ein Verteilungsgeschehen einwirken kann. Die öffentliche Meinung hat am meisten Einfluß, wenn sie durch Skandale aufgerüttelt wird. Dazu sieht sie einen Anlaß vor allem dann, wenn eine Verteilungspraxis nicht der Billigkeit entspricht.
43 Insofern ist Elsters Kategorisierung selbst nur von lokaler, nämlich us-amerikanischer, Gültigkeit. 44 Schmidt (1997a), S. 17.
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Innerhalb der jeweiligen Gruppen lassen sich weitere Typen und Stufen von Entscheidungsträgern benennen. Für den Gesetzgeber als first-order actor wäre beispielsweise zwischen den beteiligten Bundesorganen, den Parteien und den Lobbyisten zu differenzieren; bei den second-order actors wären die Stufen des hierarchischen Verwaltungsaufbaus gesondert zu betrachten. Je höher die Position eines Entscheidenden in der Hierarchie, desto allgemeiner werden seine Anweisungen und desto seltener trifft er eine Entscheidung im Einzelfall. Die verschiedenen Akteure und ihre Untergruppen stehen in vielseitigen Wechselbeziehungen zueinander. Für ein Minimum an Lokalität ist nur erforderlich, daß die Akteure der zweiten Ebene an verschiedenen Schaltstellen arbeiten. Wie sie arbeiten, wird im folgenden Abschnitt erläutert.
3. Verteilungskriterien und Verteilungsmechanismen
Elster gruppiert die möglichen Verteilungskriterien nach vier Kategorien. Das sind egalitäre und zeitbezogene Prinzipien und solche, die sich auf den Status oder andere individuelle Merkmale der Bewerber beziehen.45 Die Verteilungskriterien nennt er „pure principles". Man kann auch von Idealtypen sprechen, denn ihr Kennzeichen ist gerade, daß sie nie „pur" verwendet werden, sondern immer nur in Mixtur. Deshalb läuft die Darstellung der „pure principles" darauf hinaus, die Struktur der „mixed principles" zu verdeutlichen. Diesem Aufbau wird gefolgt, indem zunächst die „pure principles" und ihre Implementierung, anschließend die „mixed systems" dargestellt werden. Die meisten dieser Kriterien sprechen für sich. Es seien daher nur einige Anmerkungen zu jenen Kriterien gemacht, die nicht aus sich heraus verständlich sind: Die gleiche (proportionale) Abweichung von einer Grundlinie erlaubt die Verknüpfung von etablierten Rechtstellungen mit dem Gleichheitsprinzip. Beispielsweise werden bei der Milchquotenregelung oder bei der Reduzierung des Emmissionsausstoßes die neuen Daten für den einzelnen Landwirt oder Staat proportional zu dem festgelegt, was vorher produziert oder emmittiert wurde. Der Unterschied zwischen der Warteschlange und der Warteliste ist der, daß bei der Schlange eine physische Anwesenheit vonnöten ist. Seniorität bezieht sich nicht auf das Geburtsdatum, sondern sie ist eine Nebenerscheinung zu gewissen anderen Aktivitäten. Ein Beispiel sind Kündigungsschutzregelungen, die unter anderem an die Dauer des Arbeitsverhältnisses anknüpfen. 46 45 Hierzu und zum folgenden Elster (1995), S. 11 ff.; Elster (1992), S. 67 ff. 46 Ζ. Β. § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz. Weitere rechtliche Beispiele zum „Kopf-Prinzip (absolute Gleichheit), dem Gießkannen-Prinzip (proportionale Gleichheit), dem Prioritätsprinzip, dem Warteschlangen-Prinzip und dem Anciennitätsprinzip (Seniorität) finden sich bei Tomuschat (1973), S. 444 ff. Berg (1976), S. 22 ff. diskutiert die Rechtmäßigkeit dieser Verteilungskriterien allgemein und an Beispielen.
30
Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie Tabelle 2 Übersichtsschema: Verteilungsprinzipien von lokaler Gerechtigkeit Prinzipien lokaler Gerechtigkeit
1
1
Prinzipien, die sich nicht auf Eigenschaften potentieller Empfanger beziehen
Prinzipien, die sich auf Eigenschaften potentieller Empfanger beziehen
I
1
„egalitäre Prinzipien"
„zeitbezogene Prinzipien"
1 „Status"
1 „andere individuelle Merkmale"
- absolute Gleichheit - Warteschlange
- Alter
- Effizienz
- Lotterien
- Warteliste
- Geschlecht
- Verdienst
- Rotation
- Seniorität
- Sexuelle Orientierung
- Charakter
- proportionale Abweichung von einem Grundlevel
- GeburtsdatenRegelungen
- Ethnische Zugehörigkeit
- Bedürftigkeit
- Körperliche Merkmale
- individueller Nutzenzuwachs
- Geistige Merkmale - Staatsangehörigkeit - Familienstatus/ Verwandtschaft - Wohnort - Beschäftigung - Religion - Bildung - Macht/Geld/ Einfluß - Adel/Kasten
Unter „Familienstatus" sind sämtliche familiären Beziehungen (ledig, verheiratet, verschwistert, verschwägert, etc.) gemeint. Einwanderungsregelungen bevorzugen regelmäßig Verwandte von Staatsangehörigen. Effizienzgesichtspunkte leisten zukünftigen, anderen Zielen Vorschub als den unmittelbaren und gegenwärtigen Interessen individueller Empfänger. Die Vielschichtigkeit dieses Kriteriums entspricht der Vielfalt möglicher Verteilungsziele und -zwecke. Effizienzerwägungen beziehen sich regelmäßig nicht auf ein utilitaristisches oder Gemeinwohlziel, sondern auf ein spezifisches und abgegrenztes Verteilungsoptimum für das jeweilige Gut. Der Gegenbegriff zur Effizienz ist „Equi-
II. Die E l n
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ty" (Billigkeit). 47 Effizienzkriterien werden häufig mit Verdienstkriterien verbunden. 48 Dabei lassen sich zwei Arten von Verdienstkriterien unterscheiden: (1) Die Anknüpfung an vergangene Verdienste kann unabhängig vom konkreten Verteilungskontext sein: Ein Bewerber kann sich die Güterzuteilung verdienen, weil er einen sozial anerkannten Beitrag zur Gemeinschaft geleistet hat. Das Ableisten von Wehr- oder Zivildienst schlägt sich bei den Wartezeiten auf einen Studienplatz positiv zu Buche. (2) Die verlangten Verdienste können aber auch einschlägig sein und sich gerade auf das Verteilungsobjekt beziehen. Das Sorgerecht für ein Kind bekommt regelmäßig der Elternteil, der sich am meisten um das Kind bemühte. Verteiler werden das Verdienstkriterium häufig gerade aus diesem Grunde verwenden, um einen Anreiz für ein derartiges Verhalten zu schaffen. Das „Charakterkriterium" beurteilt die Menschen nicht nach dem, was sie in der Vergangenheit geleistet haben, sondern danach, was sie darstellen. Es knüpft wie das Verdienstkrierium an das Verhalten an, jedoch nicht nur an bestimmte, vergangene Leistungen, sondern an allgemeine Verhaltensweisen und den Lebenslauf. Trotz dieser Differenzierung sind gewisse Überschneidungen beider Merkmale unvermeidlich, da sie beide rückblickend sind. Ein auffälliges Beispiel sind Straffällige. Sie haben sich zugleich sozialschädlich verhalten und schlechte Charakterzüge offenbart. Sie werden deshalb häufiger - unter Umständen auch in Verteilungskontexten, die von der Straftat nicht betroffen waren - benachteiligt.49 Die Verteilung nach der Bedürftigkeit und dem persönlichen Nutzenzuwachs knüpfen beide an das individuelle Wohlstandsniveau der Empfänger an. Ein Unterschied zwischen beiden Betrachtungsweisen besteht nur dann, wenn sich der Grenznutzen für die Verwendbarkeit des Gutes verändert oder wenn einige Empfänger ein Gut effizienter ausnutzen können als andere. Es ist beispielsweise nicht gleichgültig, ob man in die Lehre eines gut oder eines schlecht ausgebildeten Menschen investiert. Der Grenznutzen ist abhängig von den Umständen der Verteilungssituation. Möglicherweise hat der schlechter Ausgebildete mehr von einer Zusatzausbildung, weil er dann überhaupt erst eine Arbeit finden kann. Denkbar ist auch, daß der besser Ausgebildete mehr von einer weiteren Ausbildung profitiert, weil er das neue Wissen besser mit vorhandenen Erkenntnissen verknüpfen kann. Das Beispiel illustriert zugleich, inwiefern bestimmte Empfänger ein Gut effizienter ausnutzen könnten als andere. 50 Nach Elsters Ansicht ist Effizienz das grundlegende Kriterium lokaler Verteilungsgerechtigkeit. 51 In abstrakten Betrachtungen über Gerechtigkeit sei Gleichheit das grundlegende Kriterium, von dem Abweichungen besonders gerechtfertigt 47 Elster (1992), S. 6. 48 Elster (1995b), S. 313 f. 49 Ζ. B. galt Straffälligkeit als „soziale Kontraindikation" bei der Zuteilung von Transplantationsorganen , vgl. Schmidt (1995), S. 55. 50 Das Kriterium des individuellen Nutzenzuwachses wirft komplexe Fragen auf, insbesondere das Problem des intersubjektiven Vergleichs von Wohlstand. Ausführlicher dazu Elster (1992), S. 85 ff. und Elster (1991). 51 Elster (1995b), S. 313 f. und passim.; vgl. dazu auch Schmidt (1992a), S. 809 ff.
32
Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
werden müßten. Bei der konkreten Verteilungsgerechtigkeit dagegen seien Abweichungen vom Effizienzkriterium gesondert zu begründen. Aus diesem Grunde seien jene Verteiler, die andere als Effizienzkriterien bevorzugten, bemüht, ihre Verteilungsprinzipien mit Effizienzgesichtspunkten zu verknüpfen: Bedarfs-Effizienzoder Verdienst-Effizienz-Verbindungen würden gebildet. Begründet werde das beispielsweise damit, daß die Verteilung nach Leistung oder an die Bedürftigen den größten Nutzen bringen würde. Verschiedene Kriterien können durchaus demselben Verteilungsziel dienlich sein. Ein Verteilungsprinzip kann als „Stellvertreter" für ein anderes, zumeist abstrakteres, fungieren, indem die Erfüllung des Stellvertreterkriteriums als Indikator für die Erfüllung des eigentlichen Kriteriums dient. Beispielsweise können das Alter oder die Wartezeit eines Patienten Anhaltspunkte für seine Bedürftigkeit sein. Stellvertreterkriterien bergen zwar das Risiko von Fehlentscheidungen, dafür verbilligen sie aber den Entscheidungsprozeß, weil sie mühsame und kostspielige Abwägungen oder Tatsachenermittlungen ersparen. 52
Tabelle 3 Mechanische und diskretionäre Verteilungsprinzipien Bedürfen einer Einschätzung (Ermessen)
Kein Ermessensspielraum (mechanisch)
Abhängig vom individuellen Verhalten
Bedarf, Verdienst, soziale Nützlichkeit, erworbene Kenntnisse
Körpergewicht, lebensstilbezogene Krankheiten, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Religion, Bildung, andere Statuskriterien, Vermögen
Unabhängig vom individuellen Verhalten
Schmerz, angeborene Fähigkeiten, Intensität von Präferenzen
Alter, Geschlecht, Rassenzugehörigkeit, genetische Krankheiten
Nicht auf individuelle Merkmale/ Verhaltensweisen bezogen
Effizienz
absolute Gleichheit, Lotterieverfahren, Rotationsprinzip
Die Prüfung eines Verteilungskriteriums erfolgt entweder mechanisch oder nach Ermessen im konkreten Einzelfall. Mechanische Kriterien lassen sich leicht und objektiv beobachten. Diskretionäre Merkmale bedürfen einer individuellen Beurteilung. Für den Verteilungsprozeß ist außerdem bedeutsam, ob sich die Kriterien auf feststehende Eigenschaften und Merkmale beziehen oder ob die potentiellen Bewerber durch irgendwelche Handlungen ihr Vorliegen beeinflussen oder mani52
Ausführlicher zu den Stellvertreterkriterien und ihren Beziehungen zu den Verteilungsprinzipien: Elster (1992), S. 65, 123 f.
II. Die E l n
von lokaler Gerechtigkeit
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pulieren können. Es gibt weiter Kriterien, die weder an individuelle Merkmale noch an individuelles Verhalten anknüpfen. 53
4. Die Verteilungsverfahren
Die Verteilungsverfahren lassen sich (1) nach verschiedenen formalen Verfahren der Bewerberauswahl und (2) nach ihrer inhaltlichen Ausrichtung als diskretionäres oder mechanisches Verfahren klassifizieren. 1. Um eine Bewerberauswahl treffen zu können, muß man anhand von Kriterien bewerten, welche unter den Bewerbern vorzugswürdig sind. Es geht also immer um einen relativen Vergleich. Je nach dem formalen Bezugspunkt dieses Vergleiches unterscheidet man nach drei Verfahrensarten, nämlich dem Selektions-, dem Platzierungs- und dem Zulassungsverfahren. 54 Im Selektionsverfahren werden die Bewerber gegeneinander ausgestochen, meistens indem eine Rangliste erstellt wird. Das Platzierungsverfahren regelt die Zuteilung von ausreichend vorhandenen, heterogenen Gütern in einer Weise, daß jeder einen Teil von dem Gut erhält. Im Zulassungs- oder Aufnahmeverfahren müssen die Individuen eine Zugangsschwelle überwinden, also gewissen Mindestanforderungen standhalten. Das Zulassungsverfahren ist grundsätzlich ungeeignet für die Verteilung von quantitativ limitierten Gütern, da die Schwellenregelung nicht dafür Sorge trägt, daß die Anzahl an letztlich qualifizierten Bewerbern mit der Anzahl der zu verteilenden Güter übereinstimmt. Entweder werden also Güter verschwendet, weil sie nicht zugeteilt werden können, oder es muß ein weiteres Auswahlverfahren stattfinden. Wenn die Gütermenge quantitativ variabel ist, können Zulassungsverfahren verwendet werden und zwar entweder mit dem bloßen Ziel die Kandidatenauswahl zu besorgen oder mit dem weitergehenden Zweck, nur einer bestimmten Bewerberkategorie den Zugang zu dem begehrten Gut zu gewähren. Bei der ersten Variante des Zugangsverfahrens kann die Schwelle beliebig verändert werden. Diese Variante ist praktisch ein (stellvertretendes) Selektions verfahren. Bei der zweiten Variante ist die Definition der Zugangsbarriere an sachliche Voraussetzungen geknüpft, denn hier repräsentiert die Erfüllung der Zugangskriterien einen intrinsischen Wert. 55 2. Der Charakter der verwendeten Auswahlkriterien und die Art und Weise ihrer Verknüpfung entscheiden darüber, ob ein Auswahlverfahren mechanisch oder diskretionär ist. 56 Mechanische Verfahren arbeiten praktisch von selbst: In einem 53 Die Tabelle ist eine erweiterte Fassung von jener, die sich bei Elster (1992), S. 69 findet. Elsters Klassifizierung ist insofern verwirrend, als sie einige der von ihm genannten Verteilungskriterien stillschweigend wegläßt. Diese Kriterien finden sich nun in der letzten Zeile der Tabelle wieder. 54 Hierzu Hofstee (1990), S. 745 ff.; Elster (1995), S. 6 f.: Elster (1992), S. 24 ff. 55 Elster (1992), S. 26.
3 Bultmann
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
standardisierten Verfahren werden über alle potentiellen Empfänger eines Gutes dieselben Informationen eingeholt. Diese Informationen sind aus sich selbst heraus verständlich, das heißt, sie müssen nicht mehr ausgelegt werden, sondern ergeben unmittelbar, ob die Auswahlkriterien erfüllt sind und damit, ob das begehrte Gut zugeteilt werden kann oder nicht. Weitere individualisierte Kenntnisse über den einzelnen Bewerber werden nicht benötigt. Diskretionäre Verfahren dagegen stellen die Bewerberauswahl weitgehend in das Ermessen der Verteiler. Die Unterscheidung zwischen diskretionären und mechanischen Verteilungssystemen ist idealtypisch. Es gibt eine Vielzahl von Abstufungen zwischen oder innerhalb von ihnen. Ein Verteilungsprozeß besteht immer aus mehreren pure principles und aus einer bestimmten Mischung von diskretionärem und mechanischen Auswahlverfahren. Zum einen kann der jeweilige Anteil von diskretionären und mechanischen Kriterien in einem Verteilungsmuster sehr verschieden ausfallen. Zum anderen kann das relative Gewicht der Kriterien untereinander variieren: Der Umgang mit einem Verteilungsverfahren ist weniger ermessensabhängig, wenn der Stellenwert eines Kriteriums klar definiert ist, als wenn er erst im Einzelfall abgewogen und festgelegt werden muß. Die gängigen realtypischen Verteilungsverfahren sind das Thema des folgenden Abschnittes.
5. Mixed Systems In verschiedenen Verteilungssphären dominieren bestimmte primäre Kriterien, beispielsweise das Bedarfsprinzip in sozialstaatlichen Bereichen, das Leistungsprinzip im Bildungssystem. Jedoch reichen ein einzelnes Prinzip und seine Konkretisierung selten aus, eine Güterverteilung abschließend zu bestimmen. Sie bestimmen nur die Mindestvoraussetzungen für die Güterzuteilung. In der Praxis werden sie daher durch eine Reihe von sekundären (oder gar tertiären) Verteilungsprinzipien ergänzt. Erst diese weiteren Kriterien bestimmen die „outcomes", die Ergebnisse einer Verteilungsregelung und damit die Antworten auf die oben formulierten Fragen der lokalen Gerechtigkeit: Wer bekommt wann wieviel von einem bestimmten Gut? Jedes Verteilungsmuster ist folglich eine Ausprägung aus einem oder mehreren primären, bereichstypischen und mehreren nachrangigen Entscheidungskriterien. Das ist gemeint, wenn Jon Elster feststellt, „mixed principles" sei ein durchgängiger Grundsatz für lokale Gerechtigkeit. 57 Das erklärt auch, warum es lokale Gerechtigkeit gibt: Die „pure principles" können mannigfaltig konkretisiert und kombiniert werden. Während die primären Kriterien sich weitgehend sachlogisch aufdrängen und einen engen Bezug zum „Charakter" des Gutes haben, fehlt diese Nähe zum Verteilungsgut bei den nachrangigen Entscheidungskriterien. Für die 56 Dazu Schmidt (1993), S. 90 f.; Elster (1992), S. 63, 167 ff. und passim. 57 Elster (1995), S. 11.
II. Die Elemente von lokaler Gerechtigkeit
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Implementation eines Kriteriums lassen sich um so leichter Argumente und daher Zustimmungen finden, je erkennbarer der funktionale Bezug zum Verteilungsproblem ist. 58 Die primären Kriterien der jeweiligen Sphäre sind daher gleich oder ähnlich - jedenfalls weitgehend homogen strukturiert. 59 Die Verwendung der nachrangigen Kriterien dagegen ist schwerer zu begründen und daher zufälliger, so daß jede konkrete Mixtur dieser Kriterien durch alternative Mixturen ersetzt werden könnte. Diese theoretischen Überlegungen finden ihre empirische Bestätigung in den unterschiedlichen Mixturen, die verschiedene Verteiler für die Zuteilung des gleichen Gutes verwenden. Die Struktur dieser Mixturen kann grob drei Formen annehmen. Elster unterscheidet zwischen multivariablen Verfahren, Stufenmodellen und gewichteten mechanischen Verfahren: 60 1. Multivariable Verfahren bezwecken eine Selektion oder eine Platzierung der Bewerber. In ihnen werden mehrere Kriterien gleichzeitig verwendet und dann zusammengefaßt, um für jeden Bewerber oder potentiellen Empfänger einen Gesamtwert zu bilden. Um einen derartigen mulitvariablen Gesamtwert zu ermitteln, gibt es wiederum verschiedene Modelle: a) Lineare Punktesysteme bestehen aus mehreren Kriterien, die unterschiedlich stark gewichtet werden, indem für die Erfüllung eines jeden Kriteriums eine bestimmte Punktzahl vergeben wird. Die Punktwerte werden zu einem Gesamtwert, einem Index, zusammengerechnet. Durch die Zusammenrechnung werden schlechte Ergebnisse bei einigen Kriterien durch gute Ergebnisse bei anderen kompensiert. Punktesysteme treffen insofern eine mechanische Auswahl, als die abgefragten Kriterien scheuklappenmäßig festlegen, was ein Entscheidungsparameter sein kann und was nicht. Außerdem steht das Gewicht der einzelnen Auswahlkriterien fest; es findet also keine Abwägung mehr statt.61 58 Schmidt (1993), S. 88. 59 Elster (1992), S. 3, 138 bemerkt, daß die Verteilungspraxis auch innerhalb ein und derselben „sozialen Sphäre" verschieden sein kann, allerdings überwiege hier die Gleichheit in den Verteilungspraktiken. Riley (1996), S. 460 kritisiert diese Ansicht Elsters zwischen den Zeilen: Elster wolle vermutlich nur die Gefahr beseitigen, daß die Muster lokaler Gerechtigkeit derart kunterbunt würden, daß es sinnlos wäre, überhaupt noch von unterschiedlichen Sphären zu sprechen. Diese Polemik Rileys geht an der Wirklichkeit vorbei, die für bestimmte Verteilungssphären tatsächlich ein beträchtliches Maß an Homogenität aufzeigt, vgl. ζ. B. die Darstellungen über nationale Verteilungssphären in Schmidt/Hartmann (1997), Schmidt (1996) oder Engelstad (1994). 60 Zum folgenden Elster (1992), S. 103 ff. Vgl. auch Schmidt (1992), S. 7 ff. 61
Aus diesem Grunde hat das Bundesarbeitsgericht, B AGE 42, 151 ff., 1983 ein Punkteschema verworfen, das das Landesarbeitsgericht Hamm zur Beurteilung von betriebsbedingten Kündigungen entworfen hatte. Das Gewicht einzelner Kriterien kann nämlich durchaus unterschiedlich sein: Unter der Kategorie „Kinder" erhält ζ. B. jemand mit einem Kind einen Punkt, jemand mit sieben Kindern sieben Punkte. Dabei ist durchaus fraglich, ob dieser rein lineare, summarische Rechnung angemessen ist. Ist der Sprung von keinem zu einem Kind wirklich gleich zu bewerten wie der Sprung vom sechsten zum siebten Kind? Schmidt 3*
36
Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
b) In nicht-kompensatorischen Punktesystemen werden die Bewerber nach ihren extremsten Punktwerten beurteilt. Trennende (disjunctive) Systeme nehmen den schwächsten Wert, verbindende (conjunctive) Systeme den höchsten Wert als ausschlaggebend. Das trennende System verlangt vom Bewerber, daß er in allen Sparten Höchstwerte erreicht, nimmt also nur die Besten. Das verbindende System hat eine größere Streubreite, denn es erfordert ein gutes Ergebnis lediglich in einer Sparte. c) „Lexikographische" oder hierarchische Punktemodelle sind qualifizierte Stufenmodelle, die wie ein Trichter funktionieren. Auf einer ersten Entscheidungsstufe werden lineare Punktesysteme ausgewertet. Für die Auswahl unter Bewerbern mit einer gleichen Gesamtwertung wird ein weiteres, sekundäres Entscheidungskriterium als Tie-Breaker bemüht. Die Kriterien werden also in eine Rangordnung gebracht. Ein Beispiel sind Quotenregelungen, denenzufolge bei gleicher Qualifizierung die weibliche Bewerberin dem männlichen Bewerber vorgezogen wird. Die Bedeutung des sekundären Kriteriums hängt davon ab, wie präzise und gewissenhaft das erste Kriterium angewendet wurde. d) Intuitive Abwägungsmodelle werden für mannigfaltige Verteilungssituationen (mehrere Ziele oder Gegenstände) verwendet, in denen ein Ermessensspielraum besteht. Sie werden meistens informell, ohne feststehende Regeln gehandhabt. Ein Beispiel wäre eine Bewerberauswahl, die sowohl Effizienz- als auch Billigkeitsmaßstäben standhalten soll. 2. In den Stufenverfahren werden mehrere Kriterien nacheinander verwendet. Das kann entweder schlichtweg geschehen, um die Bewerberanzahl zu verringern oder auch um die passendsten Empfänger für ein Gut auszuwählen (matching). Stufenmodelle mischen Zulassungs- und Selektionskriterien. a) Bei der Auswahl aus einem Pool von geeigneten oder qualifizierten Bewerbern besteht der Unterschied zum lexikographischen Modell darin, daß für die Poolbildung ein dichotomisches primäres Kriterium verwendet wird. Die primäre Auswahl erfolgt häufig mechanisch, in dem beispielsweise alle Bewerber zunächst auf eine Warteliste gesetzt werden oder in ein Losverfahren kommen. Die eigentliche Zuteilung resultiert aus der Anwendung eines sekundären (materiellen) Kriteriums. b) In post-allokativen Austauschverfahren werden Güter zunächst administrativ oder institutionell zugeteilt. Diese Güterzuordnung wird alsdann jedoch im legalen oder illegalen Handel wieder verschoben. Ein Beispiel wäre die auf der Klimakonferenz in Kyoto angedachte Regelung, derzufolge die Staaten sich zwar vertraglich verpflichten, ihre Emmissionen zu begrenzen, der Handel mit Emmissionsrechten aber zulässig sein soll. 62 (1993), S. 90 ff. stellt die Entscheidung des BAG in einen gerechtigkeitstheoretischen Zusammenhang. 62 Vgl. ζ. B. den Bericht von Göller (1997).
II. Die E l n
von lokaler Gerechtigkeit
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3. Gewichtete mechanische Verfahren sind in ihrer Anlage mechanische Selektionsverfahren, 63 die durch individualisierte Kriterien ergänzt und modifiziert werden. a) Gewichtete Lotterieverfahren kombinieren das Gleichheitskriterium mit materiellen Kriterien: Alle Bewerber sind dem Zufall ausgesetzt, jedoch haben einige qualifizierte Bewerber eine höhere Auswahlchance. Beispielsweise können soziale oder Leistungsaspekte zusätzlich gewürdigt werden, indem Bewerber mit diesen Merkmalen mehrmals am Losverfahren teilnehmen dürfen. b) Multiple Warteschlangen funktionieren ähnlich wie die gewichteten Losverfahren: Für ein Gut werden mehrere Wartelisten für verschiedene Bewerberkategorien erstellt. Für jede dieser Listen wird dann ein bestimmter Prozentsatz von der Gesamtmenge der zu verteilenden Güter bestimmt. Dieses Prinzip ist die theoretische Rechtfertigung für die Einrichtung von Behindertenparkplätzen. Nur ergänzend seien noch einige Anmerkungen zur Einschätzung von Elsters Einteilungen und zum Zustandekommen der mixed systems gemacht: Elsters Kategorisierung ist insofern einseitig, als sie nur das empirische „Wie" einer Verteilung betrifft. Das wird offenbar vor dem Hintergrund anderer Einteilungen, die mehr das „Warum" einer Verteilungsregelung behandeln. Mit dem „Warum" ist dabei nicht gemeint, warum man sich formal auf dieses und nicht auf jenes Verteilungsmuster geeinigt hat. Dieses „empirische Warum" behandelt Elster in dem Kapitel „Explaining Local Justice". Mit dem „Warum" wird vielmehr gefragt, warum dieser und nicht jener Verteilungsmodus objektiv vorzugswürdig ist. Dieses „normative Warum", das die inhaltliche Zusammenstellung von Verteilungskriterien begründet, läßt sich aus drei Perspektiven beschreiben: der Sachgerechtigkeit, der Verteilungsgerechtigkeit und der Effizienz. 64 Diese Kategorien beschreiben die normativen Kriterien der am Verteilungsverfahren beteiligten Parteien: Die Sachgerechtigkeit stellt Anforderungen an die Empfängereignung. Sachgerecht ist, was zweckmäßig ist und was der „lokalen Rationalität" entspricht. Die Verteilungsgerechtigkeit ist von den Verteilern zu wahren. Sie spaltet sich in eine materiale und eine prozedurale Komponente.65 Materiale Kriterien sind beispielsweise Rechte, Bedürfnisse und Verdienste 66 oder equity (Billigkeit), Gleichheit und Bedarf 67 . Die kontroverse Diskussion um „Equity" (Billigkeit) als Verteilungskriterium 68 spiegelt die Schwierigkeiten wider, ein gültiges, allseits akzeptiertes materiales 63 Jedenfalls bezeichnet Elster (1995), S. 7 Warteschlangen und Losverfahren als Selektionsmechanismen. Sie sind gleichzeitig Zulassungsverfahren, da sie kein materielles Verteilungskriterium enthalten und eine absolute Zugangsschwelle bilden. 64 Diese Kategorien schlägt Schmidt (1997a), S. 17 f. vor.
65 Zur schwierigen und teilweise trügerischen Abgrenzung zwischen prozeduraler und materialer Gerechtigkeit vgl. z. B. Elster (1992), S. 64 und Schmidt (1993), S. 80 ff. 66 Miller (1976). 67 Deutsch (1975), 137 ff. 68 Vgl. z. B. die Kritik von Métraux (1980), S. 193 ff.
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
Kriterium zu finden. Prozedurale Kriterien sind Aspekte, die die formale Korrektheit der Verteilung betreffen. Unter Effizienzgesichtspunkten werden die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigt. Die Effizienz fordert einen möglichst sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen. Beide Beschreibungen, die des empirischen Wie und die des normativen Warum ergänzen, einander. Sie sind trotz ihrer unterschiedlichen Perspektiven insofern gleich, als ihr „Stoff" die Verteilungskriterien sind. Allerdings lassen sich die Verteilungskriterien nicht immer nur einer, sondern häufiger auch zweien oder allen der drei normativen Kategorien zuordnen. Das liegt zum einen an der Abstraktheit und damit der inhaltlichen Unbestimmtheit der Kategorien, zum anderen an den verschiedenen Funktionen der Verteilungskriterien. Sie sind „(normativ) überdeterminiert" 69 in dem Sinne, daß sie mehreren Zwecken und Interessen gleichzeitig dienen können. Das wiederum erklärt, warum sich die verschiedenen Beteiligten überhaupt auf ein Verteilungsverfahren einigen können.
I I I . Die Erklärung von lokaler Gerechtigkeit Verteilungsregelungen werden in der Regel als mixed systems organisiert. Jede lokale Verteilungsregelung ist ein soziales Phänomen. Warum wurde gerade dieses und nicht jenes Verteilungsmuster gewählt? Es gibt viele mögliche Ursachen und verschiedene Arten, sie zu verstehen. Elster unterscheidet zwischen einer kausalen, einer funktionalen und einer intentionalen Erklärung der Dinge. Er präferiert die intentionale Sichtweise. Sie geht davon aus, daß eine Verteilungsregelung aus dem Zusammenspiel verschiedener Absichten und Interessen geboren wird. Die vier Akteurtypen und ihre typischen Präferenzen wurden bereits vorgestellt. Die Hauptrollen spielen freilich die first- und second-order Verteiler. Die Empfänger und die öffentliche Meinung haben - abgesehen von Ausnahmefällen (ζ. B. Gewerkschaftverbände) - nur einen mittelbaren Einfluß auf die Ausformung von Verteilungsregeln. 70 Die Interessen der Akteure und deren jeweilige Gewichtungen, Beschränkungen und Kombinationen sind der Schlüssel zum Verständnis von lokaler Gerechtigkeit.
69 Schmidt (1997a), S. 16. Ebenso Elster (1992), S. 67 f.: Hofstee (1990), S. 745 ff. Schmidt bringt als Bespiel das Senioritätsprinzip beim Schutz vor Entlassungen, das sowohl den Bedürfnissen und Gerechtigkeitsvorstellungen der Arbeitskräfte, als auch den Effizienzinteressen der Arbeitgeber diene. Die normative (Über-) Determination ist häufig relativ. Um beim Beispiel zu bleiben: Das Senioritätsprinzip dient zunächst nur den Bedürfnissen der älteren Arbeitskräfte, und auch dem Effizienzkalkül der Arbeitgeber ist es nur so lange dienlich, als es nicht überzogen wird. 70 Elster (1995), S. 20 f. zählt die öffentliche Meinung zu den Umständen, die die Durchsetzung von Interessen beschränken können.
III. Die Erklärung von lokaler Gerechtigkeit
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Jede Verteilung ist spezifischen Sachzwängen unterworfen, die die Spannbreite möglicher Regelungen einschränken. Beschränkt sind daher auch die Möglichkeiten, bestimmte Interessen zu verwirklichen. Eine natürliche Beschränkung ist bei der Organtransplantation, daß die Blutgruppen des Organs und des Empfängers übereinstimmen müssen. Staatsangehörigkeiten können nicht unbegrenzt verteilt werden, weil sonst die politische Ordnung des Staates gefährdet werden könnte. Elster unterscheidet „harte" Grenzen, die unabänderlich sind und „weiche" Grenzen, die flexibler gesetzt werden können.71 Die Art und das Ausmaß der Sachzwänge bestimmen auch, inwieweit eine Verteilungspolitik stabil oder wandelbar ist. 72 Stabil sind die Kriterien, die sich aus der Natur des Verteilungsgutes ergeben. Beispielsweise werden Wehrpflichtige immer nach ihrer körperlichen Konstitution ausgewählt. Wandelbar sind häufig die konkreten Ausprägungen eines Kriteriums. Wehrpflichtige aus schwachen Geburtsjahrgängen werden wohlwollender gemustert als Wehrpflichtige aus starken Jahrgängen. Die Vielzahl an Verteilungskriterien und -mechanismen bewirkt eine Unzahl möglicher lokaler Variationen. Dennoch verwenden selbst autonome Institutionen relativ homogene Verteilungsmuster. Vier Faktoren drängen zur Vereinheitlichung. Diese Faktoren sind professionelle Normen, die nationale Kultur, politische Regulierung und der Wettbewerb zwischen den Institutionen.73 Der Wettbewerb verpflichtet die Institutionen dem Effizienzkriterium. Die anderen Faktoren sind inhaltlich offen, bedingen jedoch gleiche Rahmenbedingungen für sämtliche Institutionen in einem Staat. Weitere Faktoren, die auf die Verteilung einwirken sind: strukturelle Variablen (Menge der Bewerber und der Güter, Wichtigkeit des Gutes), Interessengegensätze in den Verteilungsinstitutionen, organisierte Gruppeninteressen (Lobbyismus, Verbände), die öffentliche Meinung, Anreizschwierigkeiten (soziale Beziehungen zwischen den Akteuren) und Informationsprobleme (Sachverhaltsermittlung, Folgenbewertung). 74 Im Rahmen des Möglichen müssen die Präferenzen und Interessen der diversen Akteure vereint werden. Dazu gibt es im wesentlichen zwei Mechanismen: die Bildung von Koalitionen (coalition-building) und Verhandeln (bargaining). 75 Ver71 Elster (1995), S. 20. Die Unterscheidung entspricht seinen Kategorien zur absoluten oder flexiblen Knappheit bestimmter Güter. 7 2 Zu dieser Unterscheidung: Elster (1992), S. 137 f. 73 Vgl. Elster (1992), S. 138, 143 ff. 74
Ausführlich zu den einzelnen Faktoren: Elster (1992), S. 143 ff. Elster (1995), S. 22 f. Elster betont, daß damit nur zwei Haupttypen genannt sind, während es in Wirklichkeit für alle vier Akteure verschiedene Mechanismen gibt, diverse Interessen zu aggregieren. Elster (1992), S. 172 ff. unterscheidet drei Mechanismen. Die dritte Form der Interessenvereinheitlichung ist die Zunahme immer weiterer Verteilungskriterien zum Verteilungsverfahren (accretion), S. 177 ff: Wenn sich bei der Implementation einer Verteilungsregelung Schwierigkeiten ergeben oder wenn sich die Verteilungsbedingungen ändern, werden die auftretenden Probleme durch die Hinzunahme weiterer Entscheidungskriterien gelöst. Riley (1996), S. 460 kritisiert, Elster habe im Unklaren gelassen, warum seine Methodologie auch der Erklärung und nicht nur der Beschreibung von lokaler Gerechtigkeit 75
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
schiedene Gruppen können ihre Interessen gegen andere Gruppen durchsetzen, wenn sie Koalitionen bilden. Voraussetzung ist, daß die Koalitionsmitglieder sich einig werden. Das ist möglich, wenn ein Verteilungskriterium normativ überdeterminiert ist und daher verschiedenen Interessen dienlich sein kann. Beispielsweise kommen vergangenheitsorientierte Verdienst- und folgenorientierte regel-utilitaristische Ansätze häufig zu den gleichen Schlußfolgerungen. 76 Wenn keine Koalition gebildet werden kann, müssen sich die verschiedenen Gruppen stärker aufeinander einlassen und verhandeln. Eine Konfliktschlichtung beruht meistens auf Kompromissen der beteiligten Akteure. Das Ergebnis von Kompromissen ist idealtypischerweise ein Punktesystem. Das Gewicht der einzelnen Verteilungskriterien, ihr Punktwert, spiegelt die Verhandlungsmacht oder die Geschicklichkeit der diversen Gruppen wieder. 77 Verhandlungsmacht beruht auf der Fähigkeit, den Gegnern zu drohen, ohne sich selbst schaden zu müssen.78 Sie kann auch auf einer institutionalisierten Machtposition beruhen. Innerhalb des first-order actors Gesetzgeber in der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise konfligieren häufig die Interessen des Bundes und der Länder. 79 Über den Bundesrat haben die Länder eine institutionalisierte Verhandlungsmacht bei der Verabschiedung von Zustimmungsgesetzen gemäß Art. 72 Abs. 2, lit. a GG. Der Gesetzgeber ist der überragende Akteur beim Aushandeln von Verteilungsregelungen. Gleichwohl ist auch er in demokratischen Systemen dem öffentlichen Druck der Wähler ausgesetzt.
IV. Lokale Gerechtigkeit und Recht Es wurde schon bemerkt, daß die Güterverteilung in Deutschland allgemein stärker verrechtlicht ist als in den USA. Daher sind die Bedingungen für lokale Gerechtigkeit in Deutschland grundsätzlich verschieden von den Bedingungen, die Elster im Sinne hat. Die Rolle des Rechts bleibt bei Elster stark unterbelichtet. Folglich zählt Elster „Rechte" nicht zu den Verteilungsprinzipien. In seiner Konzeption ist das schlüssig. Die „Rechte" der Bewerber werden erst durch das Verfahren begründet. Wenn sie schon bestehen würden, wären die Verteiler in ihren Entscheidungen festgelegt und eben keine „lokalen" Verteiler mehr. Diese Argumentation übersieht jedoch mindestens zwei Aspekte. Zum einen können durchaus Rech-
diene. Die Verknüpfung von Präferenzen und konkreten Verteilungskriterien beruht in der Tat auf einer unsystematischen Deutung der Motivationen verschiedener Akteure. Immerhin aber erleichtert die detaillierte Beschreibung der Verteilungsmuster die konkrete Zuordnung von Verteilungskriterien und Motiven für ein Kriterium. 76 So die Beobachtung von Elster (1992), S. 173. 77 Vgl. Elster (1992), S. 174 ff. 78 Elster (1992), S. 175 bezeichnet diese Art der Drohung in Verhandlungssituationen als „credible threats". 79 Jedenfalls vordergründig, häufig konfligieren freilich nur die Parteiinteressen.
IV. Lokale Gerechtigkeit und Recht
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te der Empfänger bestehen, die jedoch die Zuteilung nicht letztlich festlegen, sondern nur den Bewerberkreis verengen und eine weitere Selektion erfordern. Das ist beispielsweise bei Ermessensvorschriften der Fall. Der verwaltungsrechtliche Vorbehalt des Möglichen hat eine vergleichbare Wirkung. 80 Zum anderen kann sich beim Vergleich internationaler Loki durchaus zeigen, daß die Güter in einem Staat primär aufgrund von Rechten zugewiesen werden, in anderen Staaten durch andere Prinzipien, oder daß zwar überall Rechte der Empfänger bestehen, diese aber unterschiedlich verstanden werden. Im folgenden sollen deshalb die Wirkungen von Rechten und einer Verrechtlichung auf das Verteilungsgeschehen erläutert werden. Die rechtliche Perspektive bringt zunächst einen neuen Aspekt von lokaler Gerechtigkeit ans Licht: Vor der Güterverteilung muß festgelegt sein, wer überhaupt Einfluß auf das Verteilungsverfahren nehmen darf. In einer Gesellschaft ist auch Macht ein knappes Gut, das verteilt werden muß. Im demokratischen Rechtstaat wird die politische Macht klassischerweise zwischen den drei Staatsgewalten geteilt. Der Schwerpunkt der Gestaltung des öffentlichen Lebens liegt beim Gesetzgeber. Seine Gesetze werden von der Verwaltung vollzogen. Gesetzgebung und Gesetzesvollzug sind durch die Rechtsprechung kontrollierbar. Entsprechend diesem vereinfachten Modell ist auch die Macht, über die Art und Weise der Güterverteilung zu entscheiden, zwischen mehreren Akteuren verteilt. Die typischen Verteiler sind die Entscheidenden erster und zweiter Ordnung, die Empfänger und die öffentliche Meinung. Ebenso, wie es unzählige Möglichkeiten gibt, eine Gewaltenteilung konkret auszugestalten, können die verschiedensten Akteure im unterschiedlichen Maße an der Güterverteilung beteiligt werden. Alle hierbei denkbaren Variationen haben eine Struktur, die der Gewaltenteilung entspricht: Ein „Grundsatzgeber" (first-order decision-maker) gibt die Parameter der Entscheidung vor. Die Parameter werden von den second-order decision-makers ausgefüllt und angewendet. Beide Vorgänge werden von den Empfängern und der öffentlichen Meinung kontrolliert. Ein Zentralkommitee, das - wie in der DDR - sowohl über die Belange des Gemeinwesens als auch im Einzelfall über die Verteilung von Volleyballschuhen entscheidet, ist im pluralistischen Staat nicht denkbar. Die Gesetzesbindung der Verwaltung (oder die staatliche Sanktionsmacht gegenüber Privatpersonen) 81 bedingt in rechtlich vorgeprägten Verteilungssituationen eine strukturelle Dominanz des Gesetzgebers. Die Verteilungsmacht ist weitgehend auf das Parlament als first-order actor verlagert. Das Parlament kann freilich darauf verzichten, konkrete Vorgaben für die Verteilung zu machen. Es liegt aber allein in seiner Macht, das zu tun. 82 Jede Stufe der Entscheidungsfindung, angefangen bei den Verfassungsnormen bis zur Abwägung im Einzelfall, liefert zuneh80 Vgl. dazu ζ. B. Schmidt-Aßmann (1992), Rn. 108 mwN. 81 Relevant bei gesetzlich normierter Güterverteilung durch andere Akteure als der Verwaltung, ζ. B. bei der Organverteilung. 82 Beispielsweise, indem der Verwaltung die Befugnis zum Erlaß von Rechtsverordnungen übertragen wird.
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
mend dichtere Vorgaben für die Entscheidung und beschränkt die Spannbreite möglicher Entscheidungen. Die Verfassungsnormen setzen einen allgemeinen Rahmen für die Entscheidungsfindung, die Tatbestandsmerkmale der konkret einschlägigen Norm sind präziser und fallbezogener. Im Normalfall normieren die Tatbestandsmerkmale einer gesetzlichen Vorschrift abschließend die Voraussetzungen für staatliches Handeln. Insofern kann man von einer globalen Komponente oder von einer „bounded locality" der Verteilung im Recht sprechen. Lokale Gerechtigkeit im Recht ist abhängig vom Ausmaß konkreter rechtlicher Vorgaben für die Verteilung. Erst die „Öffnung" des Gesetzes gegenüber der Wirklichkeit durch Generalklauseln, unbestimmte Rechtsbegriffe, Ermessensspielräume oder Lücken im Gesetz macht es erforderlich, weitere Entscheidungskriterien zu finden, die im Gesetz keinen oder einen unvollständigen Ausdruck finden. Dann haben die Rechtsanwender einen Entscheidungsspielraum. Im Recht dominiert das Verteilungsprinzip , Jedem gemäß dem ihm durch Gesetz Zugeteilten". 83 Dieses Prinzip beschreibt allerdings lediglich ein formales Prinzip: Die gesetzlichen Entscheidungen sind für den Rechtsanwender verbindlich, Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG. Was das Gesetz wem zuteilt, ist damit noch nicht entschieden. Das gilt zumal im konkreten Fall unklar sein kann, was das Gesetz jemandem zuteilt. Das ist im juristischen Alltag häufig der Fall und zwar um so eher, je mehr Entscheidungsspielraum das Gesetz dem Anwender beläßt, also wiederum bei unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensvorschriften. Um diesen Entscheidungsspielraum ausfüllen zu können, muß der Rechtsanwender weitere Gesichtspunkte heranziehen, nämlich inhaltliche Wertentscheidungen. Perelman faßt diese Kriterien, die dem Einzelfall gerecht werden sollen, unter den Begriff der Billigkeit. Sie ist die „Krücke der Gerechtigkeit" 84. Die These von lokaler Gerechtigkeit im Recht ist, daß diese inhaltlichen Wertentscheidungen variieren können, wenn verschiedene Verteiler das gleiche Gut verteilen, daß es also „lokale Billigkeiten" geben kann. 85 Die grundsätzliche theoretische Darstellung Elsters trifft also auch für lokale Gerechtigkeit im Recht zu: Kein Gesetz ist so konkret, daß es sich von selbst vollzieht. In Details muß die Konzeption jedoch präzisiert werden. Die Parteien in den Parlamenten vertreten diverse Interessen. Es ist daher nicht mehr prima facie plau83 Dieses Prinzip ist eine von sechs Interpretationen die Chaïm Perelman dem Gerechtigkeitsbegriff in konkretisierender Weise zuschreibt, Perelmann (1967), S. 16, 19 f. Dieser Aspekt der Gerechtigkeit entspricht der iustita legalis des Thomas von Aquin (Summa theologia II, 57 ff.). Ihr Ziel ist die Herbeiführung und Aufrechterhaltung einer Ordnung, in der jeder gemäß dem Ciceronischen Grundsatz „suum cuique" behandelt wird. 84 Perelman (1967), S. 48. 85 Es wurde oben schon vermerkt, daß Elster den Begriff der Billigkeit (equity) nicht als Verteilungskriterium auffaßt, sondern lediglich als Kontrapunkt zur Effizienz. Das erweist sich vor dem Hintergrund dieser Überlegungen als richtig. Die Billigkeit ist lediglich die Bezeichnung für ein einzelfallorientiertes Entscheiden, ohne das damit gesagt wäre, welche Kriterien eine Einzelfallgerechtigkeit bewirken.
V. Lokale Gerechtigkeit und Rechtskulturen
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sibel, daß der Gesetzgeber - wie vielleicht andere first-order Akteure - vor allem das Effizienzprinzip bevorzugt. Die starke Stellung des Gesetzes wirft vor allem rechtsmethodologische und rechtstaatliche Fragen der Gesetzesbindung, der Gewaltenteilung und des Gleichheitsgrundsatzes auf. Virulent werden auch Fragen der Rechtschutzmöglichkeiten. Elster behandelt die Gerichte nur als „Schatten", der über den Verteilungsverfahren liegt, nicht aber als integralen Bestandteil jeder Verteilungssituation. Findet lokale Gerechtigkeit im Recht statt, so ist Rechtschutz aber nicht mehr nur insofern relevant, als er bei den Verteilern eine „Angst vor Prozessen" erzeugt. Die Rechtsprechung hat einen besonderen Stellenwert im Rechtssytem. Sie ermöglicht den Bewerbern um ein Gut im Rahmen ihrer subjektiven Rechtschutzmöglichkeiten einen aktiven Einfluß auf das Verteilungsgeschehen. Jeder gerichtliche Präzedenzfall konkretisiert oder erweitert die Verteilungskriterien. Lokale Gerechtigkeit im Recht wird deshalb maßgeblich durch die subjektiven Rechtschutzmöglichkeiten und die materiellen Entscheidungskriterien der Gerichte gestaltet.
V. Lokale Gerechtigkeit und Rechtskulturen Mit den Begriffen „Rechtskultur" und „Rechtspluralismus" verbindet sich ein Forschungszweig der klassischen Rechtssoziologie. Die Rechtskultur bezeichnet den „Inbegriff der in einer Gesellschaft bestehenden, auf das Recht bezogenen Wertvorstellungen, Normen, Institutionen, Verfahrensregeln und Verhaltensweisen" 86 . Es geht also um die Interdependenz zwischen dem geschriebenen Recht und der Gesellschaft. 87 Keine Gesellschaft ist uniform, sondern in vielerlei Gruppen und Verbände untergliedert. In verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen herrschen unterschiedliche Vorstellungen über Recht und Gerechtigkeit. Das meint der Begriff „Rechtspluralismus". 88 Lokale Gerechtigkeit ist mithin ein Ausdruck der Rechtskultur eines Landes, wenn die untersuchten dezentralen Verteilungseinheiten sich nicht nur institutionell, sondern auch geographisch unterscheiden. Das ist bei der Verteilung von Staatsangehörigkeiten der Fall: Die Staatsangehörigkeitsbehörden sind Repräsentanten der jeweiligen Landesverwaltungen und damit der in diesen Ländern herrschenden Rechtskultur. Die Gerechtigkeitsvorstellungen der verschiedenen Verteiler sind in entsprechender Weise Ausdruck rechtspluralistischer Anschauungen. Lokale Gerechtigkeit ist spezieller als Rechtskultur- und Rechtspluralismusforschung. Sie bezieht sich nämlich nur auf die Verteilungsgerechtigkeit bei knappen
86 Raiser (1995), S. 338. 87 Rechtskulturenvergleich ist dementsprechend mehr als eine bloß dogmatische Rechtsvergleichung. 88 Zum Ganzen ζ. B. Raiser (1995), S. 337 ff. mit weiteren Nachweisen.
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
Gütern und nur auf die Praxis von Institutionen. Gesamtgesellschaftliche Betrachtungen, die Beschreibung von Machtverhältnissen, allgemeinen Einstellungen zum Recht, Akzeptanz von Recht, etc. bleiben außer Betracht.
VI. Local Justice und Spheres of Justice Im Jahre 1983 erschien das viel beachtete Buch „Spheres of Justice" von Michael Walzer. 89 Nach Walzer hat jedes Gut in einer Gesellschaft eine spezifische Bedeutung. Aufgrund der bestimmten Eigenheiten - der „Natur" - eines Gutes, kann es für jedes Gut nur einen begrenzten Spielraum der sozialen Bedeutungen geben.90 Die Grenzen dieses Spielraumes markieren die „Sphäre" eines Verteilungsgutes. Jedes Gut wird in Übereinstimmung mit seiner sozialen Bedeutung nach besonderen, bereichsspezifischen Gerechtigkeitskriterien verteilt. In jeder Sphäre der Gerechtigkeit herrschen andere Verteilungsgesetze. Im Bildungssystem bespielsweise herrscht das Leistungsprinzip, in der Medizin das Bedarfsprinzip. Gerechtigkeit wird in diesem Ansatz objektbezogen gedacht. Es werden nicht verschiedene Verteilungsverfahren unterschiedlicher Verteiler verglichen, sondern typische Verteilungsregelungen für unterschiedliche Gegenstände. Ausschlaggebend bei einer solchen Betrachtung sind nicht die Eigenheiten der Verteilungsinstitutionen sondern die Charakteristika der Verteilungsgüter. Dies ist das Konzept verschiedener Sphären der Gerechtigkeit. 91 Die Verteilung verschiedener Güter verlangt je verschiedene Verteilungskriterien. Jedes Gut muß in seiner Sphäre verteilt werden. Überschneidungen der Sphären wären schädlich, weil sie die Chancengleichheit innerhalb einer Verteilungssphäre verhinderten. 92 Jon Elster bezeichnet den Titel von Walzer's Buch als offensichtlichen „Vorläufer" seines eigenen Begriffs von lokaler Gerechtigkeit". 93 Er stimmt mit Walzer in der grundlegenden Annahme überein, daß sich die Welt der Verteilungsgerechtigkeit in unterschiedliche Sphären oder „Arenen" einteilen läßt. 94 Als wesentlichen 89 Walzer (1983). 90 Diese Aussage ist ein wenig wackelig, da sie empirisch nicht geprüft ist. Jedenfalls aber ist sie im höchsten Maße plausibel, wenn man die Betrachtung auf einen einheitlichen Kulturkreis beschränkt. Das haben die Local-Justice-Forscher getan, indem sie ihre Untersuchungen auf die westlich-demokratischen Länder Brasilien, Deutschland, Frankreich, Norwegen und die USA beschränkten, vgl. Elster (1995), S. ix. 91 Vgl. zu diesem mitlerweile bekanntem Konzept: Walzer (1983) und Walzer (1994), S. 21 ff., passim. 92 Walzer (1983), S. 20, 316, passim. 93 Elster (1992), S. 11. 94 Das wird deutlich bei Elster (1992), S. 12 f. Elster spricht von „Arenen" innerhalb der Gesellschaft. Er geht ursprünglich von den drei Arenen Gesundheit, Bildung und Arbeit aus, die er allerdings durch andere Arenen ergänzt bzw. verkleinert und konkretisiert, vgl. Elster (1992), S. 2 ff. und Elster (1995), S. ix f.
VI. Local Justice und Spheres of Justice
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Unterschied zwischen seinem und Walzer's Ansatz konstatiert Elster, Walzer's Aussagen seien „überwiegend normativ" 95 , während er selbst einen empirischen Ansatz habe. Aus der Bedeutung eines Gutes schließe er auf die Vorzugswürdigkeit bestimmter Verteilungsprinzipien. An einigen Stellen argumentiere Walzer dabei aus der „Natur" eines Gutes („goods-specifity"). An anderen Stellen folgere er das Verteilungsprinzip aus der sozialen Bedeutung eines Gutes in einer bestimmten Gesellschaft („country-specifity"). 96 Elster vermutet, daß Walzer beide Ansätze durch die Annahme verknüpfen würde, Güter seien durch ihre soziale Bedeutung konstituiert. 97 Elster folgt dieser letzten Ansicht Walzer's nicht. Daß der Zugang zu höherer Bildung in Norwegen durch Selektion nach Notenleistungen, in Frankreich durch Wartelisten reguliert werde, bedeute nicht, daß es sich hier um zwei verschiedene Güter handele.98 Außerdem kläre Walzer nicht das Verhältnis zwischen einem „allgemeinen Verständnis" und einem konkreten, aktuellen Verständnis über die Bedeutung eines bestimmten Gutes.99 Ein Verteilungsverfahren erschließt sich nicht allein aus der spezifischen Bedeutung eines Gutes. Dafür ist die soziale Bedeutung eines Gutes zu unbestimmt. Es fragt sich also, welche anderen Faktoren die Güterverteilung bestimmen und wie die Güterallokation konkret organisiert wird. Diesbezüglich vermißt Elster in Walzer's Studien die Bedeutung der „Effizienz" als Verteilungskriterium. 100 95 Elster (1992), S. 11. 96 Elster (1992), S. 11. 97 Elster bezieht sich hier zu Recht auf Walzer's Gütertheorie (1983), S. 6 ff., insbesondere S. 7. 98 Hier scheint ein Mißverständnis Elster's vorzuliegen. Obwohl Elster Walzer's Differenzierung zwischen „goods-specifity" und „country-specifity" selber erwähnt, geht er bei seiner Kritik an Walzer an dieser Differenzierung vorbei. Auch in seiner eigenen Konzeption behandelt Elster die besonderen Eigenarten eines bestimmten Verteilungsgutes stiefmütterlich. Zwar wirft er zu Beginn seiner Darstellung die Frage auf, ob die Verteilung bestimmter Güter eher von den Besonderheiten des Gutes oder eher von den Umständen des Verteilungslokus abhänge (S. 3). Er geht dieser Frage dann jedoch nicht mehr nach. Seine Ausführungen zum Charakter eines Verteilungsgutes bleiben allgemein. Gerade zur Verteidigung seiner These, innerhalb einer Arena seien die Verteilungsverfahren „relativ homogen", Elster (1992), S. 138 ff., hätte sich angeboten, auf die „goods-specifity" näher einzugehen. Möglicherweise ist das Thema „goods-specifity" für ihn mit dem Hinweis erledigt, er sei nicht von Walzer's These überzeugt, Güter würden durch ihre soziale Bedeutung gebildet („constituted"), Elster (1992), S. 11. Das bleibt unklar. Walzer scheint indessen nicht davon auszugehen, daß höhere Bildung in Norwegen ein anderes Gut sei als in Frankreich. Lediglich die Bedeutung, die diesem Gut beigemessen wird, divergiert zwischen beiden Ländern. Das ist ein Ausdruck der „country-specifity" eines Gutes. Sie führt zu unterschiedlichen Verteilungsmodi hier und dort. 99 Elster (1992), S. 11 f. 100 Elster (1995c), S. 98. Walzer (1995), S. 295 f. gibt das zu. Er begründet die „Vernachlässigung von Effizienkriterien" in seinen „Sphären" damit, daß Effizienzkriterien im Verhältnis zur sozialen Bedeutung eines Gutes nachrangig seien, weil sie aus sich heraus keine normativen Vorgaben für die Güterverteilung machen könnten. Insofern reden Elster und
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Β. Lokale Gerechtigkeit - Theorie und Empirie
Michael Walzer's und Jon Elster's Konzeptionen überschneiden sich in einem Punkt, nämlich in der grundlegenden Beobachtung, daß die Verteilung verschiedener Güter an verschiedenen Orten unterschiedlich ist. Wenn die Bedeutung eines Gutes sozial bestimmt ist, muß die Güterverteilung zwischen verschiedenen Gesellschaften oder sozialen Gruppen und hinsichtlich verschiedener Güter variieren. Vor diesem Hintergrund berücksichtigt Walzer die Bedeutung eines Gutes an sich und an verschiedenen Orten. In verschiedenen Ländern (im Beispiel Norwegen und Frankreich) herrschen verschiedene Wertvorstellungen, Anschauungen, Sprachgebräuche 101 etc. Sie führen zu divergierenden Verständnissen über die Bedeutung eines Gutes. Aus den divergierenden Verständnissen wiederum folgen unterschiedliche Auffasssungen darüber, was eine gerechte Verteilung eines bestimmten Gutes beinhalten würde. Das, was Walzer als länderspezifische soziale Bedeutungen eines Gutes bezeichnen würde, bezeichnet Elster als unterschiedliche Loki der Güterverteilung. Die Untersuchungen zur lokalen Gerechtigkeit haben sowohl die Verteilung eines bestimmten Gutes in verschiedenen Ländern 102 als auch die Allokation verschiedener Güter in demselben Land 1 0 3 zum Gegenstand. Walzer und Elster haben nur einen unterschiedlichen Blickwinkel: Sphären der Gerechtigkeit untersucht die Eigenheiten der Verteilungsobjekte und formuliert ausgehend von diesen Eigenheiten normative Verteilungsregeln. Lokale Gerechtigkeit untersucht primär empirisch die Eigenheiten der Verteilungsverfahren. Beide Ansätze schließen sich also nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen einander.
Walzer aneineinander vorbei, denn Elster hat eine empirische, Walzer eine normative Sicht auf die Güterverteilung. Schmidt (1992a) begründet den Vorrang der institutionellen Sichtweise auf das Verteilungsverfahren vor der güterspezifischen Sichtweise, indem er Walzer auf der normativen Ebene begegnet: Die „Natur" eines Gutes sage nichts darüber aus, wie das betreffende Gut zu verteilen sei. Allerdings läßt er auf diese Behauptung keine Begründung folgen. Die Diskussion kann an dieser Stelle nicht weiter geführt werden. 101 Walzer's Ansatz für eine Theorie der Gerechtigkeit, nämlich die soziale Bedeutung eines Gutes, könnte man daher auch als semantische Gerechtigkeitstheorie bezeichnen. Damit ließe sich Walzer's Theorie in den allgemeineren Trend der us-amerikanischen Geisteswelt in den siebziger und achtziger Jahren einordnen, philosophische Probleme semantisch anzugehen. Der semantische Zugang Walzer's zur Gerechtigkeit wird noch deutlicher in seinem jüngeren Werk „Thick and Thin", Walzer (1994). 102 Ζ. B. Engelstad (1994).
103 Ζ. B. Schmidt/Hartmann (1997); Elster (1995).
C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht Das Problem, dem sich diese Arbeit zuwendet, ist das bundesdeutsche Einbürgerungsrecht und dessen Umsetzung durch die Länder. Im ersten Hauptabschnitt wird zunächst ein Überblick über die Rechtsgrundlagen und die rechtlichen Besonderheiten des Einbürgerungsrechts geschaffen. Sodann werden die einzelnen Voraussetzungen von § 8 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz und weiterer Einbürgerungstatbestände ausführlich erörtert. Jedes Tatbestandsmerkmal wird mit der Begrifflichkeit von lokaler Gerechtigkeit als Zuteilungskriterium gedeutet: Die Ermessenstatbestände im Einbürgerungsrecht werden den Kategorien von lokaler Gerechtigkeit zugeordnet. Diese gerechtigkeitstheoretische Analyse mündet abschließend in eine Beschreibung des Einbürgerungsrechts als ein bestimmtes Muster von lokaler Gerechtigkeit. Als „Lokus" wird dabei die Bundesrepublik als Ganze verstanden. Das Einbürgerungsrecht beläßt den Ländern Entscheidungsspielräume und damit die Möglichkeit durch ihre konkreten Einbürgerungsregelungen verschiedene lokale Gerechtigkeiten zum Ausdruck zu bringen. Im zweiten Hauptabschnitt werden die Statistiken für Ermessenseinbürgerungen zwischen den Bundesländern verglichen. Dabei treten Unterschiede zu Tage, die nach einer Erklärung verlangen. In den anschließenden Kapiteln wird durch eine eigene empirische Untersuchung ein Zusammenhang zwischen der Umsetzung des Einbürgerungsrechts in den Ländern und der Einbürgerungsstatistik belegt.
I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts 1. Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht1 Die Staatsangehörigkeit ist ein Rechtsinstitut, dessen Gehalt nicht unumstritten ist. Teilweise wird sie als bloßer Status verstanden, teilweise als rechtliche Eigenschaft und überwiegend als ein bestimmtes Rechtsverhältnis.2 Überzeugend und im Einklang mit der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes 3 ist folgen1 Eine umfassende Darstellung der deutschen Staatsangehörigkeit nach dem Grundgesetz, ihres Erwerbs und ihres historischen und internationalen Standortes bietet Ziemske (1995). Einen Rechtsprechungsüberblick bieten Richter, NVwZ 1998, 128; Kemper, NVwZ 1995,1073; NVwZ 1993, 746 und NVwZ 1990,1122; sowie Meyer, NVwZ 1987,15 . 2 Ausführlich zum Meinungsstand: Makarov (1962), S. 19 ff. Vgl. auch Hailbronner/ Renner (1998), Einl. C, S. 26 ff.
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
des Verständnis: Die Staatsangehörigkeit ist eine „Zuordnung von Person und Staat [ . . . ] , die von Rechts wegen staatliche Personalhoheit und individuelle Verbandsmitgliedsschaft verbindet". 4 Die Staatsangehörigkeit ist damit der rechtlich vollkommenste Nexus des Individuums zur staatlichen Gemeinschaft. Der Staatsangehörige Mensch ist „Inländer". Die Rechtsverhältnisse der „Ausländer" zum Staat verbürgen ein Weniger. 5 A m markantesten ist das Weniger an politischer Selbstbestimmung. Die Staatsangehörigkeit ist der bislang einzige Zugang zur nationalen politischen Gemeinschaft. 6 Weitere rechtliche Einschränkungen finden sich in den Grundrechten und deren einfachrechtlichen Ausgestaltungen, insbesondere bei der Freizügigkeit und der Berufsfreiheit. 7 Wenngleich Staatsangehörige mehr Rechte haben als Ausländer, so haben sie doch - abgesehen von der Schöffen- und der Wehrpflicht - nicht mehr Pflichten. Die Grundpflichten sind an die Gebietshoheit, nicht an die Personalhoheit des Staates geknüpft. 8 Die Staatsangehörigkeit ist demnach ein erstrebenswertes Gut. 9 Das Grundgesetz unterscheidet zwischen zwei Arten von Staatsangehörigen. Neben dem deutschen Staatsangehörigen i m technischen Sinne gibt es den soge3 Nottebohm-Fall, ICJ Reports 1955, S. 4 ff., insbesondere S. 23 ff. Marx (1997), S. 39 kritisiert diese Begriffsbestimmung soweit sie eine existentielle Verbindung des einzelnen zum Staat (eine „genuine connection") voraussetzt; ebenso Hailbronner/Renner (1998), Einl. E, Rn. 16 ff. mwN: ausreichend sei es, eine „genuine link", die durch eine „nähere tatsächliche Beziehung" zu dem betreffenden Staat oder „einen sinnvollen objektiven Anknüpfungspunkt an seine Rechtsordnung" gegeben sei, „ohne daß der Staatsangehörigkeit Ausschließlichkeitscharakter zukommt", Rn. 28. 4 Dazu Grawert (1987), Rn. 33; vgl. auch Grawert (1984), S. 184 f. 5 Vgl. Grawert (1984), S. 183 ff. Zum grundrechtlichen Status der Ausländer vgl. Quaritsch (1992). Der verfassungsrechtliche Blickwinkel suggeriert jedoch eine schlechtere Rechtsposition der Ausländer als der Wirklichkeit entspricht. Auf einfachgesetzlicher Ebene sind Ausländer den Deutschen weitgehend gleichgestellt. 6
Das ist nicht ganz richtig, wenn man außerparlamentarische und parteipolitische Partizipationsmöglichkeiten berücksichtigt. Einen diesbezüglichen internationalen Vergleich macht Miller (1989), S. 129 ff., vgl. insbesondere S. 137 ff. zu Deutschland. Dazu auch Schwerdtfeger (1980), A 112 ff.; Zuleeg, DÖV 1973, 361, 369. 7 Die freie Berufswahl gemäß Art. 12 GG ist ein Deutschengrundrecht. Ausländer haben keinen Zugang zur Beamten- und Richterlaufbahn. Bei der Niederlassung in freien Berufen bestehen ausländerspezifische Beschränkungen. Die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union ist beschränkt. In vielen außereuropäischen Ländern bestehen schärfere Visavorschriften. Der Schutz vor Auslieferung an andere Staaten ist gemindert. Ausländer haben einen eingeschränkten Schutz im System der sozialen Sicherung. Diese Ausführungen gelten nur eingeschränkt für Unionsbürger, die kraft supranationalen Rechts der Europäischen Gemeinschaften innerhalb der Europäischen Union besondere Rechte, insbesondere die sogenannten Grundfreiheiten, genießen. s So Hofmann (1992), Rn. 35; Luchterhand (1988), S. 128, 130 f.; a.A. Merten (1978), S. 559. 9 Dennoch wird angesichts der Pflichten, die ein Staatsbürger dem Staat schuldet, und den Opfern für die Einbürgerung (eventuell Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit, Antrag auf Einbürgerungen, etc.) der Grenznutzen einer Einbürgerung kontrovers diskutiert, vgl. ζ. B. Schuck (1989) und Yang (1994).
I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts
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nannten „Statusdeutschen" gemäß Art. 116 Abs. 1 GG. Statusdeutsche sind im Art. 116 Abs. 1 GG definiert als deutsche Volkszugehörige, sowie deren Ehegatten und Abkömmlinge, die in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden haben. Sie sind als Deutsche „im Sinne dieses Grundgesetzes", Art. 116 Abs. 1 GG, den deutschen Staatsangehörigen rechtlich gleichgestellt.10 Die Institution des Statusdeutschen steht gemäß Art. 116 Abs. 1 GG unter einem Gesetzesvorbehalt.11 Automatisch durch Gesetz erwirbt ein Mensch die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn familiäre Bande zu deutschen Staatsangehörigen bestehen oder hergestellt werden. Das sind: Wohnsitznahme von ausgebürgerten Verfolgten in Deutschland, Art. 116 Abs. 2 S. 2 GG, 1 2 Abstammung des ehelichen Kindes von einem deutschen Elternteil und des nichtehelichen Kindes von seiner deutschen Mutter, § 4 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) 13 , Legitimation durch einen deutschen Vater, § 5 RuStAG und Adoption eines minderjährigen Kindes durch einen deutschen Wahlelternteil oder Abstammung von einem derartigen Adoptivkind, § 6 S. 1 und S. 2 RuStAG. 14 Das Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsrecht ist disparat. Es ist in einer Vielzahl von Gesetzen geregelt, die in ergänzender und überschneidender Weise zusammenwirken. Die lex generalis für Einbürgerungen ist die Ermessensvorschrift des § 8 RuStAG. Sie wird durch mehrere Spezialvorschriften umsäumt. Das Staatsangehörigkeitsrecht erfuhr im Jahre 1993 zwei einschneidende Veränderungen. Im Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) 1 5 wurde durch § 4 der sogenannte Spätaussiedlerstatus begründet und damit der Kreis der Statusdeutschen erheblich ausgedehnt. Außerdem wurden die §§ 85 und 86 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) zum 1. Juli 1993 von Regeleinbürgerungen zu Anspruchseinbürgerungen umformuliert. 16 Beide gesetzlichen Änderungen führten zu erleichterten Einbürgerungsvoraussetzungen für eine beträchtliche Zahl von Ausländern. Durch die Einbürgerung wird die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund eines Erwerbstatbestandes verliehen. Juristisch ist die Einbürgerung ein feststellender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, Nr. 2.1 S. 2 Einbürgerungsrichtlinien (EinbRL). Wirksam wird die Einbürgerung „mit der Aushändigung der von der höheren 10
Vgl. allerdings die Kontroverse darum: Darstellung bei v. Mangoldt (1992), Rn. 14.
» Alexy (1989), 2850; v. Mangoldt (1992), Rn. 15, 19 ff.; arg. e contrario aus Art. 16 Abs. 1 GG. Vgl. dazu §§ 6 f. StAngRegG. 12 Vgl. dazu z. B. v. Mangoldt (1992), Rn. 109 ff. 13 Vom 22. 7. 1913 (RGBl. S. 583), (BGBl. III 102-1), in der Fassung vom 30. 6. 1993 (BGBl. I S. 1062) 14 Fassung seit 1.9. 1986. 15 Vom 2. 6. 1993 (BGBl. I S. 829 ff.). 16
Art. 2 des Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften vom 30. 6. 1993 (BGBl. I S. 1062). 4 Bultmann
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
Verwaltungsbehörde hierüber ausgefertigten Urkunde", § 16 Abs. 1 S. 1 RuStAG. Ein Ausländer kann grundsätzlich entweder einen Anspruch auf Einbürgerung haben oder auf Ermessensbasis eingebürgert werden.
a) Anspruchseinbürgerungen Einen Anspruch auf Einbürgerung hat, wer bei Erfüllung der staatsangehörigkeitsrechtlichen Bestimmungen einzubürgern ist. 1. Einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben junge Ausländer, die seit acht Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben und davon sechs Jahre eine Schule (mindestens vier Jahre eine allgemeinbildende Schule) besucht haben, sowie Ausländer, die seit 15 Jahren im Bundesgebiet leben, §§85 und 86 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) 17 . 2. Ebenfalls einen Einbürgerungsanspruch haben Volksdeutsche Aussiedler und ihre Familienangehörigen, die in Deutschland Aufnahme gefunden haben und somit aufgrund von Artikel 116 Absatz 1 GG bereits einen den deutschen Staatsangehörigen vergleichbaren staatsangehörigkeitsrechtlichen Status besitzen (Statusdeutsche), § 6 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (1. StAngRegG).18 Sie werden nach der Rechtsordnung wie Inländer behandelt, aber erst durch die Einbürgerung deutsche Staatsangehörige im Rechtssinne. 3. Weitere, zahlenmäßig unbedeutendere Gruppen von Anspruchsberechtigten sind: - nichteheliche Kinder deutscher Männer, sofern die Voraussetzungen nach § 20 RuStAG erfüllt sind; - seit Geburt Staatenlose, sofern sie die Voraussetzungen nach Artikel 2 des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit19 erfüllen; - deutsche Volkszugehörige, die nicht Statusdeutsche sind, bei der Erfüllung der Voraussetzungen nach §§8 und 9 Abs. 2 1. StAngRegG; - Personen, die von den Sammeleinbürgerungen in den Jahren 1938 bis 1945 ausgeschlossen waren, bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 11 1. StAngRegG; - heimatlose Ausländer, deren Ehegatten und Kinder gemäß § 21 Abs. 1 Gesetz über die Rechtstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet (HAG) 2 0 ; - nichteheliche Kinder von Deutschen gemäß § 10 RuStAG; 21 π Vom 9. 7. 1990 (BGBl. I S. 1354), in der Fassung vom 28. 10. 1994 (BGBl. IS. 3186). is Vom 22. 2. 1955; BGBl. I S. 65. Zum Erwerb der Statusdeutscheneigenschaft vgl. v. Mangoldt (1992), Rn. 50 ff. 19 Vom 29. 6. 1977 (BGBl. I S. 1101). 20 Vom 25. 4. 1951 (BGBl. I S. 269), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 6. 7. 1990 (BGBl. IS. 1354).
I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts
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- frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist und deren Abkömmlinge gemäß Art. 116 Abs. 2 GG. 2 2 2 3
b) Ermessenseinbürgerungen Sieht man von der großen Zahl der Anspruchseinbürgerungen zugunsten von Statusdeutschen ab, so sind Anspruchseinbürgerungen die Ausnahme und Ermessenseinbürgerungen die Regel. 1. Gemäß § 86 Abs. 2 AuslG können Ehegatten und minderjährige Kinder eines nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 AuslG eingebürgerten Ausländers mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit 15 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. 2. Ein weiterer Teil der Ermessenseinbürgerungen betrifft Solleinbürgerungen für ausländische Ehegatten deutscher Staatsangehöriger gemäß § 9 2 4 iVm § 8 RuStAG, für die regelmäßig entweder ein mindestens fünfjähriger Inlandsaufenthalt und eine mindestens zweijährige Ehedauer oder ein mindestens dreijähriger Inlandsaufenthalt nach der Eheschließung verlangt werden. 3. Bei weiteren Ermessenseinbürgerungen handelt es sich - um ehemalige deutsche Staatsangehörige, die im Ausland leben, § 13 RuStAG; 2 5
21 Fassung seit 6. 7. 1977. 22 Vgl. dazu v. Mangoldt (1992), Rn. 105 f. 23 Weitere Erwerbstatbestände ergaben sich aus dem Teso-Beschluß des BVerfGE 77, 137 ff.; ausführlich dazu Ziemske (1995), S. 176 ff. Wer außerhalb der Bundesrepublik, aber in „Deutschland" lebte und nach dem dort geltenden Staatsangehörigkeitsrecht nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hätte, ist deutscher Staatsangehöriger geworden, wenn das nach dem Grundgesetz möglich gewesen wäre. Wenn die gleiche Person zwar nicht nach dem Grundgesetz, wohl aber nach dem dort geltenden Staatsangehörigkeitsrecht deutscher Staatsangehöriger geworden wäre, so ist das dort geltende Recht maßgebend, BVerfGE 77, 137, 147 ff. Das BVerwGE 66, 277 verneint den Erwerb der Staatsangehörigkeit allerdings für den Fall des gesetzlichen Erwerbs außerhalb der Bundesrepublik. Die Situation eines Einbürgerungswilligen wurde so optimiert, indem die alternativ bessere Rechtslage für maßgeblich erklärt wurde. Bis zum 3. Oktober 1990 kamen neben dem Grundgesetz also auch andere Teilrechtsordnungen für den Erwerb oder den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in Betracht. Nur in Ausnahmefällen kommt außerdem noch eine Erklärungs-Einbürgerung gemäß Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAÄndG 1974), (BGBl. I S. 3714) in Betracht. 24 Fassung seit 1.1. 1970. 25 § 13 RuStAG wird in der Praxis selten angewendet, vgl. Bergmann/Korth/Ziemske (1995a), S. 66. *
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
- Ermessenseinbürgerung eines Bundesbeamten im Ausland gemäß § 15 Hs. 2 RuStAG. 4. Die Kapital- und Basisnorm im Recht der Ermessenseinbürgerungen ist § 8 RuStAG. Die Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen konzentriert sich auf diese Norm, weil sie das grundsätzliche Verständnis des Einbürgerungsrechts wiederspiegelt.
2. Rechtliche Voraussetzungen als Verteilungskriterien
Die Tatbestandsmerkmale für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 RuStAG werden im einzelnen vorgestellt. Unter Punkt A. werden jeweils die genauen rechtlichen Kriterien beschrieben. Unter Punkt B. werden die rechtlichen Voraussetzungen in die Sprache von lokaler Gerechtigkeit übersetzt. Die rechtlichen Voraussetzungen werden als Verteilungskriterien beschrieben. Außerdem werden kurz die Besonderheiten der Einbürgerungstatbestände des § 9 RuStAG, des § 13 RuStAG und der §§ 85, 86 Abs. 1 und 86 Abs. 2 AuslG gegenüber § 8 RuStAG herausgestellt.
a) Der Ermessenstatbestand des § 8 RuStAG § 8 RuStAG ist die lex generalis für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Tatbestand des § 8 RuStAG erwähnt vier Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, bevor die Behörde ihr Ermessen ausüben kann. § 8 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz lautet: 26 „(1) Ein Ausländer, der sich im Inland niedergelassen hat, kann von dem Bundesstaat, in dessen Gebiete die Niederlassung erfolgt ist, 21 auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er 1. nach den Gesetzen seiner bisherigen Heimat unbeschränkt geschäftsfähig ist oder nach den deutschen Gesetzen unbeschränkt geschäftsfähig sein würde oder der Antrag in entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 2 Satz 2 von seinem gesetzlichen Vertreter oder mit dessen Zustimmung gestellt wird, 2. keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 1 bis 4, § 47 Abs. 1 oder 2 des Ausländergesetzes erfüllt, 28 26 Siehe dazu u. a. § 1 der VO zur Regelung von Staatsangehörigkeitsfragen (BGBl. III 102-4, Nr. 21 im Sartorius) und das Rundschreiben des BMI - Einbürgerungsrichtlinien - vom 15. 12. 1977 (GMB1. 1978 S. 16, ber. S. 27, geändert durch Rundschreiben des BMI vom 20. 1. 1987, GMB1. S. 58). 27
Zur Zuständigkeit der Einbürgerungsbehörden siehe §§ 17, 27 Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 02. 02. 1955 (BGBl. III 102-5, Sartorius Nr. 22).
I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts
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3. an dem Orte seiner Niederlassung eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat und 4. an diesem Orte sich und seinen Angehörigen zu ernähren imstande ist. (2) Vor der Einbürgerung ist über die Erfordernisse unter Nr. 2 bis 4 die Gemeinde des Niederlassungsortes und, sofern diese keinen selbstständigen Armenverband 29 bildet, auch der Armenverband zu hören." Diese vier Tatbestandsmerkmale sind zwingend notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für eine Einbürgerung. Selbst beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 RuStAG muß die Behörde einen Bewerber nicht positiv bescheiden. Sie kann ihrer Entscheidung im Rahmen des Ermessens weitere Kriterien zugrunde legen. 30 Welche das tatsächlich sind, ergibt sich aus den bundeseinheitlichen Einbürgerungsrichtlinien (EinbRL) aus dem Jahre 1977, in der aktuellen Fassung vom 7. März 1989. Sie konkretisieren die Ermessensvorschriften, indem sie festlegen, welche Gesichtspunkte in das Ermessen eingehen. Demnach spielen die Aufenthaltsdauer und die kulturelle, soziale und politische Integration der Bewerber eine entscheidende Rolle. Außerdem müssen die Bewerber ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben. Die Vorgaben der Einbürgerungsrichtlinien haben den Effekt, daß den Ermessenseinbürgerungen das Typische einer Ermessensentscheidung weitgehend genommen ist: Die Behörde ist verwaltungsintern an die Richtlinien gebunden.31 Die Einbürgerung erfolgt daher nicht so sehr aufgrund einer Abwägung auf der Rechtsfolgenseite der Norm, sondern durch eine Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der Einbürgerungsvoraussetzungen und der Einbürgerungsrichtlinien. Daher erübrigt sich aus der Sicht der Verwaltung eine Differenzierung zwischen den eigentlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 RuStAG und den Ermessenskriterien der Einbürgerungsrichtlinien. Die fragwürdige und problematische Unterscheidung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Rechtsfolgeermessen 32 28 § 8 Abs. 1 Nr. 2 neugefaßt durch Gesetz vom 30. 06. 1993 (BGBl. I S. 1062). Bis zum 1. 7. 1993 normierte § 8 Abs. 1 Nr. 2 einen „unbescholtenen Lebenswandel" als Einbürgerungsvoraussetzung. 29 Nunmehr der Träger der Sozialhilfe gemäß Art. 1 § 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch I (BGBl. 1975 I S. 3015) iVm §§ 9, 96 ff. Bundessozialhilfegesetz (BGBl. 19761 S. 289). 30 Vgl. BVerfGE 67, 177, 179; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 5 f.; Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 7 f. 31 Vgl. Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 1. 32 Allgemein dazu Engisch (1983), S. 106 ff., dort S. 119 f. zur Abgrenzung zwischen Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen. Umfassend zum Verständnis des Verwaltungsermessen in Deutschland: Bullinger (1986), S. 131 ff. Zum unbestimmten Rechtsbegriff und dem damit verbundenen Beurteilungssspielraum der Verwaltung ζ. B. Wolff/ Bachof/Stober (1994), § 31 Rn. 8 ff. Maurer (1997), § 7 Rn. 26 ff.; Ossenbühl, DVB1. 1974, 309 ff. Eine klare Abgrenzung beider Termini ist bislang nicht gelungen, dazu Schuppert, DVB1. 1988, 1191, 1198 ff. und Koch (1979), S. 117ff.Koch (S. 33 ff., 136 ff., 177 ff.) ist anderer Ansicht: Unbestimmte Rechtsbegriffe ließen eine disjunktive Tatbestandsergänzung zu, die eine Aus-
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
spielt für nicht-richterliche Rechtsanwender33 keine Rolle: Sowohl der unbestimmte Rechtsbegriff als auch der Ermessensspielraum müssen auf eine bestimmte Rechtsfolge hin konkretisiert werden. Für die Zwecke dieser Arbeit kann auf eine differenzierende Betrachtung daher verzichtet werden. 34 Ausgeweitet wird der Ermessensspielraum im Rahmen des § 8 RuStAG wiederum durch Nr. 2.2 S. 3 EinbRL: 35 Auch die Erfüllung der Voraussetzungen der Einbürgerungsrichtlinien verbürgt noch keine Einbürgerung. Letztlich kommt die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit nur dann in Betracht, wenn sie im öffentlichen Interesse steht. Das Zusammenwirken von Tatbestandsvoraussetzungen und Ermessensausübung wird im folgenden anhand der einzelnen materiellen 36 Voraussetzungen des § 8 RuStAG dargestellt.
(1) Nr. 2 EinbRL: Öffentliches Interesse an der Einbürgerung A. Nach Nr. 2.2 S. 3 EinbRL kommt die „Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit" nur in Betracht, wenn „ein öffentliches Interesse" an der Einbürgerung besteht. Das staatliche Interesse an der Einbürgerung wird im Rahmen des Ermessens erwogen und nur bejaht, wenn „der Bewerber nach seinen persönlichen Verhältnissen einen wertvollen Bevölkerungszuwachs darstellt [ . . .und... ] seine Einbürgerung nach allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten erwünscht ist" 3 7 . Die Erfüllung dieser Voraussetzung ist „unter Würdidehnung des Anwendungsbereiches einer Norm erlaube. Ermessensvorschriften dagegen seien durch konjunktive Tatbestandsergänzungen charakterisiert, die eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Norm ermöglichten. Diese Abgrenzung überzeugt jedoch nicht, wenn (S. 179) Ermessensvorschriften auch disjunktiv wirken können. Woher weiß der Rechtsanwender, wie die Ermessensvorschrift konkret wirkt? Thieme DÖV 1996, 757, 762. äußert die Vermutung, eine Einigung über die Abgrenzung zwischen beiden Figuren scheitere daran, daß Richter und Verwaltung hier verschiedene Interessen hätten. Eine andere Ursache dürfte das vielfältige Erscheinungsbild sein, das beide Begriffe in den Gesetzen abgeben. Man spräche besser von „Typen" (zu dieser Denkfigur vgl. Larenz (1991), S. 460 ff.) als von „Begriffen". 33
Für das Ausmaß des subjektiven Rechtschutzes ist die Unterscheidung durchaus relevant: Bei Ermessensspielräumen ist das Verwaltungshandeln nur begrenzt der gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Die Auslegung unbestimmter Rechsbegriffe unterliegt dagegen im Regelfall voll derrichterlichen Kontrolle. 34 Entsprechend verfährt Lautmann (1972), S. 107 bei seiner empirischen Studie, wenn er als „Ermessen" jede Situation bezeichnet, in der ein Richter mehrere Entscheidungsalternativen hat. 35 Vgl. ζ. B. Hailbronner (1992), S. 21; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 4. 36 Die Geschäftsfähigkeit, § 8 Abs. 1 Nr. 1 RuStAG, ist eine formelle Voraussetzung, deren Prüfung in der Praxis gänzlich unproblematisch ist. Sie bemißt sich im Inland nach § 2 BGB, enthält im Verhältnis zum bisherigen Heimatrecht der Antragsteller jedoch ein Meistbegünstigungsprinzip, vgl. Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 24.
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gung der Gesamtverhältnisse" in jedem Einzelfall zu prüfen, Nr. 2.1 S. 3 EinbRL. Die Interessen der Bewerber werden nur dann berücksichtigt, wenn sie zugleich öffentliche Interesse sind (beispielsweise aus humanitären Gründen). 38 Eine Abwägung mit den Interessen der Bewerber findet nicht statt. 39 Die Behörde darf das staatliche Interesse an einer Einbürgerung auch dann verneinen, wenn ein öffentliches Interesse von niedrigem Rang gegen sie spricht. 40 Umgekehrt kann ein „herausragendes öffentliches Interesse", Nr. 3.2.3.1 und Nr. 5.3.4.1 EinbRL, aber auch privilegierend wirken. Grundsätzlich wird die Einbürgerung gemäß § 8 RuStAG jedoch als Ausnahme begriffen, die keinesfalls dazu dienen soll, das deutsche Staatsvolk zu vermehren, Nr. 2.3 EinbRL 4 1 Der Generalvorbehalt des öffentlichen Interesses läßt Raum für eine Fülle von abstrakt unvorhersehbaren Einbürgerungshindernissen. B. Der Generalvorbehalt des öffentlichen Interesses ist ein Effizienzkriterium im Sinne der Begrifflichkeit von lokaler Gerechtigkeit. Er soll sicherstellen, daß eine Einbürgerung nicht zur wahllosen Vermehrung des Staatsvolkes beiträgt, sondern eine Ausnahme zugunsten von „wertvollen" Bewerbern bleibt. Dieser Generalvorbehalt erfüllt aus der Perspektive lokaler Gerechtigkeit die Funktion eines sekundären Kriteriums: Die bereichsspezifischen, primären Verteilungskriterien reichen regelmäßig nicht aus, eine Selektion der potentiellen Empfänger zu gewährleisten. Für die Endauswahl müssen daher weitere, sekundäre Kriterien herangezogen werden. Diese Gesetzlichkeit der Güterverteilung demonstriert auch Nr. 2.2 S. 1 EinbRL: Die geschriebenen Einbürgerungsvoraussetzungen nehmen die Selektion der Bewerber nicht endgültig vorweg. Sie werden ausdrücklich als lediglich notwendige Bedingungen hingestellt. Die sekundäre Selektion erfolgt nach dem Effizienzkriterium des öffentlichen Interesses, das somit das gesamte Einbürgerungsverfahren überlagert. Ob ein Bewerber „wertvoll" für die staatliche Gemeinschaft ist, läßt sich nur für jeden Einzelfall beurteilen. Deshalb ist der Vorbehalt des öffentlichen Interesses verknüpft mit dem Prinzip der Einzeleinbürgerung, Nr. 2.1 S. 3 EinbRL. Durch die Einzeleinbürgerung soll verhindert werden, daß „Fehler" auftreten, indem schematisch Ausländer eingebürgert werden, deren Mitgliedschaft in der staatlichen Gemeinschaft vielleicht nicht „wertvoll" ist. Durch die Einzelfallwürdigung bekommt das Einbürgerungsverfahren eine Offenheit, die es dem Rechtsanwender ermöglicht, zusätzliche, eigene Entscheidungskriterien zu bilden und anzuwenden. Das Prinzip der Einzeleinbürgerung ist demnach ein Billigkeitskriterium. 37 BVerwGE 49, 44, 46. Vgl. auch Hailbronner/Renner, § 8 RuStAG, Rn. 39; Goes (1997), S. 49 f.; Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 48; Kemper, NVwZ 1990, 1122, 1132 und Meyer, NVwZ 1987,15, 20 mwN; Oldiges (1986), S. 58 f. 38 BVerwG, Buchholz 130, § 8 RuStAG Nr. 15 und Nr. 16; BVerwGE 7, 237; E 6, 186 f.; E 4,298, 300 f. Vgl. auch Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 48 ff. 39 Z. B. BVerwG, EZAR 271, Nr. 3, 13; BVerwGE 84,93,95. 40 BVerwGE 67, 177, 180. 41 BVerwG, Buchholz 130, § 8 RuStAG Nr. 10, Nr. 14 und Nr. 16.
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(2) Nr. 3.1 EinbRL: „Staatsbürgerliche und kulturelle Voraussetzungen" A. Vor der Einbürgerung soll die „freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland" erfolgen. Sie setzt „Grundkenntnisse unserer staatlichen Ordnung und ein Bekenntnis zur freiheitlichen Grundordnung" voraus, Nr. 3.1 EinbRL. Die Hinwendung soll aus der „grundsätzlichen Einstellung zum deutschen Kulturkreis zu schließen sein", Nr. 3.1.1 Abs. 1 S. 1 EinbRL. Das ist nach dem „bisherigen Gesamtverhalten" des Bewerbers zu beurteilen. Diese Bestimmung wird durch einige positive und negative Merkmale konkretisiert. 42 Die Bewerber sollen die deutschen Sprache ausreichend beherrschen, sowie die freiheitliche, demokratische Grundordnung der Bundesrepublik kennen und bejahen 4 3 Sie sollen dagegen nicht einer politischen - insbesondere keiner totalitären - Emigrantenorganisation angehören und die Einbürgerungen nicht nur aus wirtschaftlichen Nutzenerwägungen anstreben. B. Nr. 3.1 EinbRL ist eine Mischung aus einem Verdienst- und einem charakterlichen Kriterium: Nur diejenigen Ausländer, die eine „Treuebereitschaft" zum deutschen Staat gezeigt haben, sollen auch Deutsche werden. Die Bewerber müssen sich in der Vergangenheit um ihre Integration bemüht haben. Wer das getan hat, demonstriert charakterliche Eigenschaften, die als „wertvoll" angesehen werden können. Ob eine „Hinwendung zu Deutschland" erfolgte, wird anhand mehrerer Indikatoren überprüft. Jeder der Indikatoren deckt ein bestimmtes Gebiet ab, auf dem sich die Integrationsleistung zeigen sollte: Sprache und demokratisches Bewußtsein. Dieses Verteilungskriterium ist diskretionär.
(3) § 8 Abs. 1 Hs. 1: „Niederlassung" iVm § 8 Abs. 1 Nr. 3 RuStAG „eigene Wohnung oder ein Unterkommen" und Nr. 3.2 EinbRL: „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, Aufenthaltsdauer" 44 A. Die Erfüllung der staatsbürgerlichen und kulturellen Voraussetzungen bedingt, daß sich der Ausländer im Inland niedergelassen hat. 45 „Niederlassung" ist die rein tatsächliche Wohnsitznahme im Inland. 46 Die Niederlassung hat eine 42 Vgl. im einzelnen Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 47 ff; Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 62 ff. 43 Vgl. BVerwG, EZAR 271, Nr. 9. Zu dieser Problematik äußert sich eingehend Groth (1984), S. 38 ff. Groth bezweifelt die Verfassungsmäßigkeit der Nr. 3.1.2 EinbRL, weil sie gegen Art. 3 Abs. 3 GG („politischen Anschauungen") und das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG verstoßen könne. 44 Zum Ganzen Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 17 ff., 33 f.; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 12 ff., 30 f., 52 f.; Groth (1984), S. 16 ff., 25 ff. 45 Die diesbezügliche Ausnahme gemäß § 1 der Verordnung zur Regelung von Staatsangehörigkeitsfragen vom 20. Januar 1942 (RGBl. I S. 40; BGBl. III 102-4) ist problematisch. Vgl. Groth (1984), S. 16 und dazu die historische Auslegung bei Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 3 f. 46 BVerwG, Buchholz 130, § 8 RuStAG Nr. 6 und Nr. 13; vgl. Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 21 f. zur Auslegungsgeschichte des Begriffs.
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Indizwirkung für die allgemeine „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse", die Assimilation. Die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nur in § 9 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG genannt ist. Die Verwaltung hat sie jedoch als Einbürgerungsvoraussetzung unter Nr. 3.2 in die Richtlinien aufgenommen. Deshalb ist sie auch bei der Einbürgerung gemäß § 8 RuStAG hieran gebunden. Wenn die Niederlassung ihrer Indizwirkung für die Assimilation tatsächlich gerecht werden soll, sind weitere Anforderungen an die Dauer und die äußeren Umstände der Niederlassung zu stellen. Deshalb verlangt Nr. 3.2.1 Abs. 1 EinbRL eine Niederlassung „auf Dauer", nämlich von grundsätzlich mindestens zehn Jahren. 47 Für bestimmte Gruppen wird eine kürzere Aufenthaltsdauer akzeptiert, Nr. 3.2.2 und 3.2.3 EinbRL. Nach dieser Zeit wird die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse vermutet. Diese mechanische Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Einordnung wurde in der Rechtsprechung anerkannt, zumal die Vermutung im Einzelfall widerlegt werden kann. 48 Während der Aufenthaltsdauer muß der private und berufliche Lebensmittelpunkt im Inland gelegen haben. Die Niederlassung des Ausländer gemäß § 8 Abs. 1 RuStAG setzt tatbestandlich keinen rechtmäßigen Aufenthalt voraus. Es genügt, daß sich der Ausländer tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassen hat. Die Behörde darf also ungeachtet der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes einbürgern. Sie darf aber durchaus den unerlaubten Aufenthalt als Hindernis interpretieren, indem sie in diesen Fällen das öffentliche Interesse an der Einbürgerung verneint, Nr. 3. 2. 4 EinbRL. 49 Relevant wird das, wenn ein Ausländer lediglich im Bundesgebiet geduldet wird, denn die bloße Duldung des Ausländers im Bundesgebiet gilt nicht als rechtmäßiger Aufenthalt. 50 Problematisch wird der Fall unter Umständen auch, wenn der Aufenthalt lediglich zeitweise unrechtmäßig ist oder war. 51 Vordergründig großzügiger sind die Anforderungen an die Art und Weise der Niederlassung, da nach dem Wortlaut von § 8 Abs. 1 Nr. 3 RuStAG nur ein „Unterkommen" verlangt wird. § 8 Abs. 1 Nr. 3 meint mit „eigene Wohnung oder ein Unterkommen" eine „konkrete räumliche Unterkunft" 52 . Umstritten ist, ob eine Schlafstelle beispielsweise in einem Asylbewerberheim ausreicht. 53 Bejaht man 47 48
Zur Entstehung dieser Regelung vgl. Groth (1984), S. 26 f. Unveröffentlichte Urteile des Verwaltungsgerichts Berlin, Nachweise bei Groth (1984),
S. 27. 4 9 BVerwG, Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 6; Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 22; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 16;. Schiedermair/Wollenschläger (1988), 3 H Rn. 13 c. so So HessVGH, StAZ 1981, 328, 330; v. Mangoldt, StAZ 1981, 331. 51 Einzelheiten ζ. B. bei Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 69 ff. 52 So Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 30. 53 Verneinend Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 31; grundsätzlich bejahend ζ. B. Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 34. Differenzierend Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 40.
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das, so ist die Indizwirkung dieses Tatbestandsmerkmales in Frage gestellt, so daß man entweder im Wege der teleologischen Auslegung eine derartige Schlafstelle nicht als „Unterkommen" ansieht oder für diese Fälle jedenfalls die erforderliche Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse verneint. 54 In der Verwaltungspraxis wurde die ständige Unterkunft im Ausländerwohnheim als Gegenindiz angesehen, vgl. Nr. 3. 2. 1. EinbRL. Die Rechtsprechung hat diese Pauschalannahme jedoch verworfen. 55 Von dem Erfordernis der zehnjährigen Aufenthaltsdauer sehen die Nr. 3.2.2 und 3.2.3 EinbRL ab für Bewerber, die eigene oder familiäre Bande zum deutschen Volk haben. Aus Gründen des dringlichen herausragenden öffentlichen Interesses kann außerdem in sonstigen Fällen eine kürzere Aufenthaltsdauer als ausreichend angesehen werden. „Die Aufenthaltsdauer soll aber so bemessen sein, daß die Einbürgerungsbehörde zuverlässig beurteilen kann, ob der Einbürgerungsbewerber im übrigen die allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt.", Nr. 3.2.2 Abs. 2 EinbRL. B. Die Aufenthaltsdauer ist ein überwiegend mechanisches Senioritätskriterium, dessen Erfüllung relativ rigide erwartet wird. Ausnahmen werden grundsätzlich nur für ethnisch dem deutschen Volk Zugehörige gemacht, Nr. 3.2.2.1, 2 oder 3, oder gemäß dem Kriterium „Familienstatus", Nr. 3.2.2.4 und 5. Wie die Aufenthaltsdauer in diesen Ausnahmefällen bemessen werden soll, gibt Nr. 3.2.2 Abs. 2 EinbRL vor - eine diskretionäre Maßgabe, die verhindert, daß die Ausnahmen von der Aufenthaltsdauer das genannte Effizienzkriterium untergraben. Der Sache nach ist die Aufenthaltsdauer ein Stellvertretermerkmal für die „Niederlassung" und die „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse". Ebenfalls ein Stellvertreterkriterium ist die Seßhaftigkeit, die am ehesten als charakterliches Kriterium zu klassifizieren ist, und eine geordnete Eingliederung ins Staatsvolk garantieren soll.
(4) § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG: Kein Ausweisungsgrund A. In den § 46 Nr. 1 bis 4 und § 47 Abs. 1 oder 2 AuslG werden einige Ausweisungsgründe genannt, bei deren Vorliegen eine Einbürgerung versagt wird. Diese Gründe sind: politischer Extremismus, ein nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder sonstige staatliche Anordnungen, „Gewerbsunzucht", Abhängigkeit von schweren Drogen oder eine „besondere Gefährlichkeit" des Bewerbers, die in längeren Freiheitsstrafen zum Ausdruck kommt, § 47 Abs. 1 oder 2 AuslG. Für diese Delikte gelten die Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG), nach deren Ablauf gemäß §§ 51 f. BZRG Straftaten einer Einbürgerung grundsätzlich nicht mehr entgegenstehen. 54 Zum Streitstand Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 34, 57 mwN. Vgl. auch Schiedermair/Wollenschläger (1988), 3 H Rn. 11 b; Groth (1984), S. 17. 55 BVerwG v. 9.4. 1987, - 1 C 25 / 86.
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Die Ersetzung des Merkmales der „Unbescholtenheit" sollte verhindern, daß eine Einbürgerung an Bagatellvergehen des Bewerbers scheitert. 56 Eine Einbürgerung kann jedoch nach wie vor wegen geringerer Rechtsbrüche versagt werden, indem für diese Fälle das öffentliche Interesse an der Einbürgerung verneint wird. 57 Die insgesamt einschlägige Nr. 3.3 EinbRL wurde von den zuständigen Referenten der Innenministerien/-senatsverwaltungen der Länder suspendiert. Möglicherweise werden diese Bestimmungen der Sache nach dennoch angewendet. Die Auffassungen der Länder zur Anwendung des neuen § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG divergieren in etlichen Punkten.58 Bislang kam es zwischen Bund und Ländern zu keiner einvernehmlichen Lösung. Inwieweit innerhalb der Länder verbindliche Arbeitsanweisungen existieren oder lediglich „nach Gefühl und Wellenschlag" entschieden wird, ist nicht bekannt. Sofern die überholten Vorschriften der Einbürgerungsrichtlinien noch in das Ermessen eingehen, sind auch sonstige charakterliche Mängel einbürgerungshindernd. Beispiele wären geringfügigere Straßenverkehrsdelikte oder auch sittlich verwerfliche, außerstrafrechtliche Untaten. B. Dieses Kriterium ist eine komplexe Mischung aus mehreren individuellen Eigenschaften der Bewerber: Vordergründig knüpft es an die charakterlichen Eigenschaften an, die in dem bisherigen Lebenswandel zum Ausdruck kamen. Damit ist gleichzeitig das Verdienstkriterium angesprochen, weil es um die Fehlerfreiheit des Charakters in einer ganz bestimmten, nämlich der strafrechtlichen Hinsicht geht. Ist die Frage, ob ein Ausweisungsgrund vorliegt, beantwortet, so kann dieses Verteilungskriterium mechanisch angewendet werden. Greifbarer kam der Sinn und Zweck der Regelung in der alten Fassung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG zum Ausdruck: Der Bewerber mußte „unbescholten" sein. 59 Die Synonyme achtbar, anständig, rechtschaffen, brav und lauter demonstrieren, daß dieses Tatbestandsmerkmal vor allem den Sinn hatte, eine charakterliche Einschätzung vorzunehmen. Die Gesetzesänderung hatte das primäre Ziel, die Anwendungsunsicherheiten mit dem Merkmal „unbescholten" zu beseitigen. Mit dem Verweis auf die § 46 Nr. 1 bis 4, § 47 Abs. 1 oder 2 AuslG in der geänderten Vorschrift wird zum einen die „Unbescholtenheit" kasuistisch konkretisiert. Zugleich wird der Akzent dieses charakterlichen Entscheidungskriteriums verschoben: Das Gesetz konzentriert sich nun primär funktional auf die Interessen der Allgemein56 Im einzelnen Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 4, 20 ff.; Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 28 ff. 57 So Groth (1984), S. 19 zum Verhältnis zwischen den Voraussetzungen der „Unbescholtenheit" und des öffentlichen Interesses. Groth hält ein solches Vorgehen jedoch nur in Zweifelsfällen für gerechtfertigt, da ansonsten die Rechtssicherheit und die Einheitlichkeit der Verwaltungspraxis gefährdet seien. 58 Vgl. unten D. III. 1., Ordnungspunkte [13] ff. Vgl. auch den Hinweis bei Hailbronner/ Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 25. 59 Unter diesem Begriff wurde das gesamte vergangene Verhalten der Bewerber gewürdigt und zwar mit zeitlich wechselnden Anforderungen, vgl. Bergmann/Korth/Ziemske (1995a), S. 64 f.
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heit und deren Schutz und weniger darauf, daß der Bewerber untadelig und anständig sei 6 0
(5) § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG: Unterhaltsfähigkeit und Nr. 3.4 EinbRL: „Wirtschaftliche Voraussetzungen" A. Dieses Tatbestandsmerkmal soll gewährleisten, daß die Einbürgerungsbewerber gewisse positive Voraussetzungen für ihre Eingliederung in das wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland mitbringen. 61 Ein Indiz dafür ist es, wenn sie ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln beziehungsweise gemeinsam mit einem etwaigen Ehepartner aufbringen können, Nr. 3.40.1 S. 2 und 3.4.2 EinbRL. Ob das daran scheitert, daß sie einen Arbeitsplatz bekommen oder nicht, fällt in ihre Sphäre. 62 Maßstab für die Beurteilung sind die Lebenshaltungskosten (ζ. B. Mietspiegel, Lebensmittelpreise) am jeweiligen Wohnort der Bewerber. Beim Feststellen der Unterhaltsfähigkeit gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG sind mehrere Punkte umstritten: Ist Nr. 3.40.1 S. 3 EinbRL überhaupt rechtmäßig? 63 Sind auch faktisch unterstützte, obgleich nicht unterhaltsberechtigte Angehörige zu berücksichtigen? 64 Ist die Unterhaltsfähigkeit beim Bestehen eines Sozialhilfeanspruches zu bejahen?65 Stehen andere staatliche Leistungen zum Lebensunterhalt (Arbeitslosengeld oder -hilfe, Ausbildungsförderung, Sozialhilfe 66 oder Wohngeld) der Einbürgerung entgegen? Muß die Unterhaltsfähigkeit auch für die Zukunft sichergestellt sein? Zu diesen Fragen schweigen das Gesetz und die Richtlinien. 67 Es wird allgemein als unbeachtlich angesehen, wenn ein Bewerber staatliche Leistungen erhält, die zumindestens teilweise auf eigenen Leistungen beruhen (ζ. B. Arbeitslosengeld, Sozialversicherungsrenten, Pensionen). Auch der Bezug von Wohngeld ist grundsätzlich unbeachtlich, da er nicht dem Sozialhilfebezug ähnlich ist, sondern eine politische Maßnahme darstellt. Für die Bezüge von 60 Dementsprechend wurden die §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 1, 85 Abs. 2 S. 2, 86 Abs. 1 und 3 AuslG unter dem Gesichtspunkt problematisiert, ob die Vorschrift dem Grundsatz der streitbaren Demokratie aus Art. 9 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2 und 28 Abs. 3 GG widerspricht. Das BVerwG, InfAuslR 1995, S. 417 ff., hat das verneint. 61 BVerwGE 6, 207, 208. Zu dieser Rechtsprechung und den genauen Voraussetzungen dieser Einbürgerungsvoraussetzung: Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 32 ff.; Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 41 ff. 62 BVerwG, InfAuslR 1980, 311. 63 Bejahend VGH Bad.-Württ., EZAR 271, Nr. 27. 64 Bejahend Bergmann/Korth (1989), Rn. 86; Lichter/Hoffmann (1966), S. 93; grundsätzlich bejahend Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 37; verneinend Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 32; Schiedermair/Wollenschläger (1988), 3 H Rn. 12. 65 Vgl. die Darstellung des Streitstandes bei Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 35 ff. Grundsätzlich bejahend Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 37,41 f. 66 Bejahend BVerwG, EAR 271, Nr. 29. 67 Im einzelnen zu diesen Schwierigkeiten Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 35 ff.; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 22 ff; Groth (1984), S. 22 ff.
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Ausbildungsförderungsgeldern, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist eine einheitliche Beurteilung nicht erkennbar. B. Die Einbürgerungsbewerber sollen sich in das wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert haben. Diese Voraussetzung ist ein charakterliches Kriterium. Es richtet sich nicht unmittelbar auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, indem es diesbezügliche Leistungen von den Bewerbern erwartet, sondern es ist ein Stellvertreterkriterium dafür, daß ein Bewerber sich in die deutschen Lebensverhältnisse an seinem Wohnsitz eingeordnet hat. Das zu beurteilen, erfordert eine Ermessensabwägung der Einbürgerungsbeamten.
(6) Nr. 4 EinbRL: „Einheitliche Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie" A. Nr. 4 EinbRL entspringt dem Schutzgebot und der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG. 68 Der Grundsatz dient dem öffentlichen Interesse an Rechtssicherheit im internationalen Privatrecht und daran Pflichtenkollisionen zwischen Staat und Familie zu vermeiden, Nr. 4.1 EinbRL. 69 In Nr. 4.2 EinbRL werden insgesamt sechs Ausnahmen zugelassen für: ehemalige Deutsche, Vertriebene, heimatlose Ausländer, Asylberechtigte, in deutsche Obhut übernommene ausländische Flüchtlinge und Staatenlose. Nr. 4.3 EinbRL enthält eine Generalklausel, die weitere Ausnahmen aus „schwerwiegenden persönlichen Gründen" vorsieht. Der Grundsatz einheitlicher Staatsangehörigkeit in der Familie wird seit dem 1. 7. 1993 von der Mehrheit der Länder nicht mehr angewendet.70 B. Die Ausnahmen in Nr. 4.2 EinbRL sind für deutsche Volkszugehörige oder Ausländer in gefährlichen Situationen bereitgehalten. Das Effizienzkriterium wird durch ethnische Status- und humanitäre Bedarfskriterien ergänzt. 71 Die Verbundenheit gegenüber den deutschen Blutsverwandten und gegenüber humanitären Pflichten überwiegt die nationalen Interessen an eindeutigen staatsangehörigkeitsrechtlichen Zuordnungen und privatrechtlicher Rechtssicherheit. Nr. 4.2 EinbRL formuliert also Eine genauere Betrachtung lehrt jedoch, daß die staatlichen „Effizienzinteressen" durch Nr. 4.2 EinbRL nicht gänzlich aufgegeben werden: Für die deutschen Volkszugehörigen kann ohnehin von einer Loyalität zur nationalen Gemeinschaft ausgegangen werden. Gewisse Rechtsunsicherheiten im internationalen 68 BVerwGE 67, 177, 183. Vgl. auch Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 56. 69 Vgl. Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 84 ff. 70 Ausführlicher: Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 55: Mit Ausnahme Bayerns einigten sich die Länder und das BMI auf eine Nichtanwendung ab dem 1. 7. 1993 (wobei umstritten blieb, ob dies auch für Auslandseinbürgerungen gelte); vgl. auch Bergmann/ Korth/Ziemske (1995), S. 51 Fn. 4. 71 Franz, ZAR 1988, 148, 150 bleibt unklar, wenn er ohne weitere Ausführungen äußert: „Der Katalog der vom Grundsatz der staatsbürgerlichen Familieneinheit zugelassenen Ausnahmen (4.2 und 4.3 EbRl) bestärkt die Vermutung, daß dem Einheitsgebot andere Motive als die Sorge um Rechtssicherheit und Konfliktfreiheit zugrundeliegen."
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Privatrecht erscheinen demgegenüber nachrangig, zumal sie ohnehin nicht zwingend auftreten. Für die humanitären Fälle verliert der Verfassungsgrundsatz aus Art. 6 Abs. 1 GG sein Gewicht: Würde an ihm festgehalten, so wäre die Familienbindung ein nachteiliger Ballast für einzelne Familienmitglieder, weil sie daran hinderte, eigene wichtige Interessen, nämlich eine Einbürgerung, verfolgen zu können. Derartige Regelungen ließen sich nicht mehr mit der Geltung des Art. 6 Abs. 1 GG begründen. 72 Außerdem bestehen für die Personen, die aus humanitären Gründen privilegiert werden, im Regelfall keine anderweitigen nationalen Bindungen mehr. Selbst wenn andere Familienangehörige eine abweichende Staatsangehörigkeit haben, dürfte das die Treuebeziehung zum deutschen Staat nicht beeinträchtigen, so daß auch dieses Argument gegen eine Einbürgerung für die „humanitären Fälle" nicht gilt. Deshalb respektiert Nr. 4.3 EinbRL auch sonstige „schwerwiegende persönliche Gründe" einzelner Familienangehöriger gegen eine familieneinheitliche Staatsangehörigkeit. Die Aufgabe dieses Grundsatzes in etlichen Bundesländern demonstriert für diese Länder ein geringes öffentliches Interesse an seiner Durchsetzung. 73
( 7 ) Nr. 5 EinbRL: „Zwischenstaatliche Gesichtspunkte", insbesondere Nr. 5.2: „Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik"
A. Jede Einbürgerung berührt die Personalhoheit eines anderen Staates. Aus außenpolitischer Rücksichtnahme sind bei der Einbürgerungsentscheidung „berechtigte Interessen fremder Staaten" zu achten, Nr. 5.1 EinbRL. 74 Die Einbürgerungsrichtlinien erkennen insbesondere in Nr. 5.2 das Interesse von „Entwicklungsländern" 75 an der Rückkehr „ihrer" Staatsangehörigen an, wenn diese im Zuge der „personellen Entwicklungshilfe" in Deutschland ausgebildet wurden. Wenn entwicklungspolitische Gesichtspunkte einer Einbürgerung entgegenstehen (EH-Bedenken), entscheidet die Behörde nach Zweckmäßigkeit: Die entwicklungspolitischen Interessen gehen den individuellen Interessen der Bewerber und der deutschen Wissenschaft und Wirtschaft vor, Nr. 5.2.1 Abs. 3 und 4 EinbRL. 76 Das gilt um so mehr, wenn die betreffenden Personen eine finanzielle Ausbildungshilfe er-
72 Franz, ZAR 1988, 148, 150 sieht Art. 6 GG verletzt, wenn eine Einbürgerung an der Eheschließung mit einem Ausländer scheitert. 73 Möglicherweise, weil seine Anwendung im Einzelfall auch zu „Härten" führen kann, vgl. Groth (1984), S. 31 f. 74 Vgl. Z. B. BVerwG, EZAR 271, Nr. 5. 75 Die aktuelle Liste der Entwicklungsländer ist gemäß Nr. 5.2.1 Abs. 6 EinbRL durch Rundschreiben des Bundesinnenministeriums festgelegt und als Anlage den Einbürgerungsrichtlinien beigefügt, Abdruck bei Bergmann /Korth/ Ziemske (1995), S. 63. 76 BVerwG, InfAuslR 1984, 319, 320; BVerwGE 67, 177, 180; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 77. Zur Kritik an dieser Vorschrift, die den Menschen zum Mittel mache, Franz, ZAR 1988, 148, 150 f. Ebenfalls kritisch Groth (1984), S. 36 f.
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halten haben (Umkehrschluß aus Nr. 5.2.1 Abs. 1 S. 5 EinbRL). 77 Die Ablehnung eines Einbürgerungsantrages ist ermessensfehlerfrei schon dann, wenn eine Rückkehr nicht gänzlich ausgeschlossen ist 7 8 - also praktisch immer. Das wird damit begründet, daß die EH-Bedenken nur ein vorläufiges Einbürgerungshindernis sind. Sie entfallen gemäß Nr. 5.2.3 und 5.2.5 EinbRL, wenn sich die Bewerber längere Zeit im Inland aufgehalten haben.79 Die erforderliche Aufenthaltsdauer variiert mit dem persönlichen Status der Bewerber. Bei Ehegatten Deutscher oder deutscher Volkszugehöriger entfallen die EH-Bedenken nach acht Jahren, beziehungsweise nach drei Jahren, wenn Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind, die in die deutschen Lebensverhältnisse hineinwuchsen. Bei anderen Bewerbern entfallen die EH-Bedenken erst nach einem zwölfjährigen Aufenthalt. Außer für Ehegatten Deutscher gelten diese Ausnahmen jedoch nur unter „Berücksichtigung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der humanitären Rücksichtnahme im Einzelfall", Nr. 5.2.5 EinbRL. Zurückgestellt werden die EH-Bedenken außerdem bei Asylberechtigten, Nr. 5.2.2 EinbRL. 80 B. Dieses Kriterium knüpft mechanisch an den Staatsangehörigkeitsstatus der Bewerber an. Es ist ein formales Einbürgerungshindernis für Bewerber aus Entwicklungsländern. Nr. 5.2 EinbRL soll die Glaubwürdigkeit der deutschen Entwicklungshilfepolitik sicherstellen. 81 Deshalb sind die Ausnahmen ebenfalls nach klaren äußeren Merkmalen definiert, nämlich nach dem Familienstatus (ledig, Kinder) und dem Senioritätsprinzip der Aufenthaltsdauer. Das zusätzliche Erfordernis der Einzelfallprüfung hat nach dieser schematischen Auslese keinen nennenswerten Anwendungsbereich mehr. Wie schon bei den anderen Voraussetzungen werden deutsche Volkszugehörige privilegiert. Diese Einbürgerungsvoraussetzung wird derzeit großzügiger gehandhabt als noch vor einigen Jahren. 82
77 Allerdings wird Nr. 5.2.6 EinbRL, die eine Rückzahlung von derartigen Stipendien vorschreibt, seit dem 1. 7. 1990 nicht mehr angewendet - Hinweis bei Bergmann /Korth/ Ziemske (1995), S. 54, Fn. 10. Ausführlicher der Hinweis bei Hailbronner/Renner (1992), S. 181, Fn. 2. Vgl. allerdings die Kommentierung des Problèmes bei Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 79 ff. und Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn 11 ff. ™ BVerwGE 67, 177,180 f. 7
9 Vgl. Groth (1984), S. 36.
so Weitere Einzelfälle sind in der „Zusammenstellung von Absprachen zwischen Bund und Ländern bei der Anwendung der entwicklungspolitischen Gesichtspunkte der Einbürgerungsrichtlinien" vom 12. 11. 1981 festgelegt (Abdruck in Hailbronner/Renner (1992), S. 199 ff.). Allerdings dürften diese Richtlinien in etlichen Punkten überholt sein, ζ. B. in Betreff der Nr. 5.2.6 EinbRL. 81 BTagDrs. 8/ 4140. 82 Ein eindeutiges Indiz für diese Tendenz ist beispielsweise die Aufgabe der Nr. 5.2.6 EinbRL, vgl. oben Fn. 73.
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(8) Nr. 5.3 EinbRL: „Vermeidung von Mehrstaatigkeit" A. Grundsätzlich muß die bisherige Staatsangehörigkeit vor der Einbürgerung aufgegeben werden, Nr. 5.3.1 EinbRL, denn nach herrschender Ansicht ist Mehrstaatigkeit ein „Übel". 8 3 Die Bewerber müssen bereit sein, Nachteile, die durch die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit entstehen, auf sich zu nehmen. Ein Beispiel für derartige Nachteile wären Steuer- oder erbrechtliche Zusatzlasten.84 Die Aufgabe der Staatsangehörigkeit erfolgt entweder automatisch durch das Staatsangehörigkeitsrecht der Heimatstaaten oder durch eine „Entlassung" aus der bisherigen Staatsangehörigkeit auf Betreiben der Bewerber, Nr. 5.3.2 EinbRL. In einer Reihe von Ausnahmen wird Mehrstaatigkeit dennoch „hingenommen".85 Nach Nr. 5.3.3 EinbRL sollen „unzumutbare Härten" vermieden werden. Diese liegen vor, wenn der Entlassung unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn - auch langfristige - „Beharrlichkeit zum Ziele führt", Nr. 5.30.3 S. 3 EinbRL. Hat der Bewerber die Schwierigkeiten selbst verschuldet, so liegt - abgesehen von Unterausnahmen, vgl. Nr. 5.3.3.7 und Nr. 5.3.5 EinbRL - keine unzumutbare Lage vor. Weitere Ausnahmen werden aus Gründen des öffentlichen Interesses hingenommen, Nr. 5.3.4 EinbRL, oder wenn ehemalige Deutsche wieder eingebürgert werden möchten, Nr. 5.3.6 EinbRL. Die Ausnahmen lassen sich mit unterschiedlicher Großzügigkeit anwenden, denn die Einbürgerungsbehörden müssen Mehrstaatigkeit nicht in jedem Einzelfall verhindern. 86 Das gilt insbesondere, wenn konkurrierende Gesichtspunkte aus Art. 6 Abs. 1 GG hin83 Zur Praxis und zum Meinungsstand: Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 66 ff.; Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 118 ff. Im Sinne der herrschenden Meinung BVerwG, EZAR 271, Nr. 22, speziell zur Einbürgerung von EG-Bürgern: BVerwG, EZAR 271, Nr. 23. 84 Die immer wieder betonten Nachteile für türkische Staatsangehörige sind mittlerweile eine Legende, weil die Türkei insoweit im Sommer 1995 die Rechtsgrundlagen geändert hat, Hinweis in InfAuslR 1995, 330. 85 Trotz dieser Vorgaben erfolgen etwa 30 % aller Ermessenseinbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit (1990: 4.279 von 20.237 Ermessenseinbürgerungen; 1991: 6.700 von 27.295; 1992: 10.296 von 37.042; 1993: 16.880 von 44.950; 1994: 8.929 von 26.295; 1995: 11.086 von 31.888; 1996: 10.133 von 37.604 - Quelle: Statistisches Bundesamt - VII Β - 175). Vgl. auch Münz/Seifert/Ulrich (1997), S. 113, die davon ausgehen, daß 40 % aller Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit erfolgen. Sie stützen sich auf die Zahlen von 1993: ca. 30.000 von 74.058 Einbürgerungen insgesamt erfolgten unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Inwiefern wird die langjährige und tiefgreifende Diskussion um die doppelte Staatsangehörigkeit dadurch zur Farce? Das läßt sich nicht ohne eine umfassende Darstellung der Problematik sagen. Jedenfalls ist Franz, ZAR 1988, 148, 151 durch die Statistik rechtstatsächlich in seiner - eben nur annähernd richtigen - Aussage widerlegt, der Ausnahmekatalog zum Anti-Mehrstaater-Grundsatz sei so umfangreich, „daß die Ausnahme praktisch zur Regel wird". Groth (1984), S. 34 stützt sich auf eine eigene „Umfrage", wenn er feststellt, die Ausnahmeklausel der Nr. 5.3.3.6 EinbRL sei für die vielfache Hinnahme von Mehrstaatigkeit verantwortlich. Nr. 5.3.3.6 EinbRL findet ihre Entsprechung in § 87 Abs. 2 AuslG. 8
6 Vgl. ζ. B. BVerwG, NJW 1982, 538. Einzelheiten bei Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 141 ff.
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zutreten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Bewerber zur Familie eines deutschen Staatsangehörigen gehört. 87 Das Verhältnis zum Grundsatz einheitlicher Staatsangehörigkeit in der Familie wird in der Rechtsprechung jedoch unterschiedlich bewertet. 88 B. Größer noch als bei abweichenden Staatsangehörigkeiten innerhalb einer Familie ist die Gefahr von Pflichtenkollisionen bei Mehrstaatigkeit. Während der Konflikt zwischen Familienbindung und Staatstreue moralischer Art ist, bestehen bei Mehrstaatigkeit auch rechtliche Pflichtenkollisionen. Deshalb darf die Behörde die Hinnahme von Mehrstaatigkeit selbst dann verweigern, wenn durch die Einbürgerung die Staatsangehörigkeiten innerhalb der Familie der Betroffenen vereinheitlicht würden. 89 Die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit ist ein Verdienstkriterium, denn es verlangt eine Mitwirkung, ein Opfer der Bewerber bei der Einbürgerung. Die Motivation für diese Regelung ist vielseitig: völkerrechtlich geboten90, national, Nr. 5.3.1 EinbRL, und auch im Interesse der Bürger erwünscht.91 Es handelt sich um ein „rechtspolitisches Ordnungsprinzip", Nr. 5.30.3 S. 1 EinbRL. Das Problem der (Treue-) Pflichtenkollision ist das Grundproblem, dessentwegen auf politischer Ebene der Mehrstaatigkeit entgegengewirkt wird. Auf dieser Ebene scheinen sich die nationalen Interessen aller Staaten zu verei92
nen. Die Ausgestaltung dieses Verteilungskriterium bleibt der bisherigen Linie treu: Die Bewerber müssen keine unbilligen Härten hinnehmen. Außerdem werden „die Bedürftigen" - Heimatlose, Asylberechtigte und Flüchtlinge - durch Nr. 5.3.3.3 EinbRL privilegiert. Allerdings sind die Richtlinien bei der Hinnahme von Mehrstaatigkeit „strenger" als bei den anderen Kriterien. Das zeigt sich in dem komple-
87 Vgl. dazu BVerwG, EZAR 271, Nr. 20; BVerwG, Buchholz 130, § 9 RuStAG Nr. 10. s» Vgl. die Darstellung bei Groth (1984), S. 33 f. 89 Vgl. BVerwG, InfAuslR 1981, 309. 90 Zu den vielfachen völkerrechtlichen Bindungen an diesen Grundsatz vgl. Makarov/ v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 51 ff.; Hailbronner (1991), § 8 RuStAG, Rn. 44 ff. 91 So BVerwGE 47,217. Letzteres sehen die Betroffenen häufig anders. Das liegt aber daran, daß sie sich die Vorteile mehrfacher Staatsangehörigkeit ausmalen oder die Nachteile der Aufgabe der bisherigen vergegenwärtigen. Die möglichen Nachteile mehrfacher Staatsangehörigkeit, nämlich mehrfache Pflichten zu haben - beispielsweise mehrfache Wehrpflicht, machen sie sich dagegen nicht bewußt. 92 An dieser theoretischen Einsicht kann man zweifeln, wenn man die diesbezügliche Pfaxis einiger Staaten kennt. Die Türkei beispielsweise entließ in einigen Fällen ihre Landeskinder aus der türkischen Staatsangehörigkeit, damit sie die deutsche erwerben konnten, bürgerte sie anschließend aber wieder ein. § 25 RuStAG enthält insofern eine Lücke, weil er für diese Fälle keinen automatischen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit vorsieht. Weitere Staaten verfahren großzügig bei der Hinnahme von Mehrstaatigkeit, vgl. Groth (1984), S. 34 f. Das Problem der Mehrstaatigkeit ist ein komplexes Thema für sich. Vgl. dazu nur den hervorragenden Aufsatz von Hammar (1989). Zur Geltung des „Mehrstaaterabkommens" (BGBl 1969 II S. 1954), abgedruckt ζ. B. in Bergmann/Korth/Ziemske (1995), S. 35 ff. oder Hailbronner/Renner (1992), S. 120 ff., vgl. Rittstieg, NJW 1990, 1401, 1403 ff.
5 Bultmann
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xen System von Regel-Ausnahme-Unterausnahme-Unterunterausnahme: Von der Ausnahme, daß unzumutbare Härten vermieden werden sollen, wird eine Unterausnahme gemacht. Hat der Bewerber die Härten verschuldet, so ist er sozusagen „selber Schuld" an der Einbürgerungsverweigerung, Nr. 5.30.3 S. 2 EinbRL. Hier kommt das Verdienstkriterium erneut zur Geltung. Die Unterunterausnahme der Nr. 5.3.3.7 und Nr. 5.3.5 EinbRL schränkt das Verdienstkriterium dann wieder ein. Der eigentliche Grund für die Unterunterausnahme sind keine Billigkeitserwägungen, sondern die lange Aufenthaltsdauer der Bewerber, die ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung trotz seines Verschuldens rechtfertigt. Die Regelung zur Mehrstaatigkeit enthält in Nr. 5.3.6 EinbRL auch die übliche Ausnahme für jene, die eine engere Beziehung zu Deutschland haben.
(9) Nr. 6 EinbRL: besondere Fälle" A. Sonderregeln gelten für ausländische Ehegatten von Deutschen, Nr. 6.1 EinbRL; Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes oder vertriebene Aussiedler, Nr. 6.2 EinbRL; Wiedergutmachungsfälle, Nr. 6.3 EinbRL; heimatlose Ausländer 93, Asylberechtigte, ausländische Flüchtlinge und Staatenlose, Nr. 6.4 EinbRL; sowie Antragsteller im Ausland, Nr. 6.5 EinbRL. 1. Die Gruppe der Asylberechtigten ist der zahlenmäßig bedeutsamste „besondere Fall". Im Grundsatz ist eine Einbürgerung nur im öffentlichen Interesse statthaft. Eine Abwägung mit den Interessen der Bewerber steht nicht im staatlichen Interesse, Nr. 2.2 S. 4 EinbRL. Zu Gunsten von Asylberechtigten wird diese Regelung durch ein „Wohlwollensgebot"94 modifiziert: Art. 34 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge 95 begründet ein Wohlwollensgebot, auf dessen Beachtung die Asylberechtigten einen Anspruch haben.96 Sowohl die Bewertung der rechtlichen Voraussetzungen als auch des Sachverhaltes muß großzügig erfolgen, so daß im Ergebnis nur gewichtige Bedenken einer Einbürgerung entgegenstehen können, Nr. 6.4.3 EinbRL. 2. Ein entsprechendes Wohlwollensgebot ergibt sich für staatenlose Einbürgerungsbewerber aus Art. 32 der Übereinkommens vom 28. 9. 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen97, Nr. 6.4.4 EinbRL. Es wird zwischen de-iure und de93
Der einschlägige § 21 HAG enthält seit dem 1. 1. 1991 einen Einbürgerungsanspruch. 94 Zu diesem und den folgenden Wohlwollensgeboten: Marx (1997), S. 168 ff. 95 Vom 28. Juli 1951 in der Fassung vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1953 II S. 559; 1969 II S. 1293; 1970 II S. 194 - Genfer Konvention. Vgl. auch Nr. 6.4.3 EinbRL. 96 BVerwGE 75, 86, 89; E 49, 44, 46 ff.; BayVGH BayVerwBl. 1975, 537; vgl. auch BVerwGE 38, 87 ff. Ausführlicher dazu (mit Zitat des Art. 34 GK) Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 47; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 84 ff; Groth (1984), S. 47 ff. Einschränkend jedoch VGH Bad.-Württ., EZAR 271, Nr. 27: Das Unterhaltserfordernis des § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG wird durch das Wohlwollensgebot des Art. 34 GK nicht außer Kraft gesetzt.
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facto Staatenlosen unterschieden. Im Gegensatz zu den de-iure Staatenlosen haben die de-facto Staatenlosen formell eine Staatsangehörigkeit, von der sie aber nichts haben, weil ihnen ihr „Heimatstaat" die Rechte eines Staatszugehörigen nicht gewährt. 98 Jedenfalls die Verminderung der de-iure Staatenlosigkeit hat sich die Bundesrepublik 1977 gesetzlich99 vorgenommen. B. In der Kategorie „besondere Fälle" werden die allgemeinen Einbürgerungskriterien für verschiedene Gruppen verändert oder ergänzt. Für jede der fünf Gruppen geschieht das aus unterschiedlichen Gründen und auf verschiedene Art und Weise. Die Ehegattenregelung der Nr. 6.1 EinbRL (ergänzt durch Nr. 3.2.2.4) verwendet das Kriterium Familienstatus. Seine Rechtfertigung findet es in Art. 6 GG. Die Privilegierung der vertriebenen deutschen Volkszugehörigen, Nr. 6.2 EinbRL (ergänzt durch Nr. 3.2.2), berücksichtigt das Statusmerkmal „ethnische Zugehörigkeit". Das entspricht der Wertung des Art. 116 Abs. 1 GG. Die Wiedergutmachung von nationalsozialistischem Unrecht, Nr. 6.3 EinbRL (ergänzt durch Nr. 3.2.2.1), bezieht sich auf das persönliche Merkmal einer besonderen Beziehung zu Deutschland. Dieses Kriterium läßt sich nicht eindeutig zuordnen. Es knüpft an den vergangenen Wohnort an, enthält aber auch Bedürftigkeits- und allgemeine Billigkeitsmerkmale. Die Bevorzugung von heimatlosen Ausländern, Asylberechtigten, ausländischen Flüchtlingen und Staatenlosen, Nr. 6.4 EinbRL (ergänzt durch Nr. 6.50.4 S. 6), versucht aus sozialen und humanitären Gründen den Bedürfnissen dieser Gruppen gerecht zu werden. Die Sonderregelung für Antragsteller aus dem Ausland, Nr. 6.5 EinbRL, knüpft an den Wohnort an. Für diese Regelung ist keine materielle Motivation erkennbar außer jener, auch für diese Fälle das Vorliegen der Einbürgerungsvoraussetzungen zu garantieren, also ein Gesetzeslücke zu vermeiden.
b) Weitere Einbürgerungstatbestände A. 1. Neben § 8 ist § 9 RuStAG iVm Nr. 6.1 EinbRL die wichtigste Ermessensvorschrift. Sie sieht erleichterte Einbürgerungsbedingungen für ausländische Ehe97 StlÜbk., BGBl. 1976 II S. 474 abgedruckt in Hailbronner/Renner (1992), S. 87 ff. Dazu BVerwG, EZAR 271, Nr. 21 und 26; Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 48; Hailbronner/Renner (1998), Einl. F, Rn. 59 ff., § 8 RuStAG, Rn. 91 f.; Groth (1984), S. 50 f. 98 Die de-facto Staatenlosigkeit wird von der Rechtsprechung nicht als „Staatenlosigkeit" im Sinne des StlÜbk. anerkannt, BVerwG, EZAR 271, Nr. 11. Für die zahlenmäßig bedeutsame Gruppe der Palästinenser wird die Staatenlosigkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 1 StlÜbk. anerkannt, sofern sie keine andere Staatsangehörigkeit besitzen, BVerwG, EZAR 278, Nr. 1. 99 Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 30. 8. 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit (BGBl. II S. 598, abgedruckt in Hailbronner/Renner (1992), S. 110 ff.) und zu dem Übereinkommen vom 13. 9. 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (BGBl. II S. 613 ff., abgedruckt in Hailbronner/Renner (1992), S. 128) - Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29. 6. 1977 (BGBl. II S. 1101, abgedruckt in Hailbronner/ Renner (1992), S. 132 ff.) 5*
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gatten Deutscher 100 vor, da sie dem behördlichen Ermessen nahezu keinen Spielraum mehr läßt („sollen"), wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. 101 § 9 RuStAG verweist auf § 8 RuStAG und normiert drei weitere Einbürgerungsvoraussetzungen: Erstens verlangt § 9 Abs. 1 Nr. 1 RuStAG kategorisch die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit. Zweitens soll gewährleistet sein, daß sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen, § 9 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG. Wegen der gesetzgeberischen Entscheidung, die Einbürgerung von Ehegatten Deutscher zu begünstigen, sind bezüglich der Assimilation mildere Anforderungen zu stellen als im Rahmen des § 8 RuStAG. 102 Drittens wird über die Voraussetzungen des § 8 RuStAG hinaus, verlangt, daß der Einbürgerurig keine „erheblichen Belange", insbesondere sicherheits- oder außenpolitischer Art entgegenstehen. Deshalb sind auch entwicklungspolitische Belange zu berücksichtigen. 103 Dieses Erfordernis ist als negative Voraussetzung formuliert („es sei denn"). Die Beweislast liegt diesbezüglich daher bei der Behörde. 104 „Erheblich" ist ein Belang, wenn er aufgrund einer Einzelfallabwägung „ein besonders deutliches Übergewicht gegenüber den in § 9 RuStAG gesetzlich anerkannten Interessen an der Einbürgerung hat" 1 0 5 . Das ist umso weniger der Fall, je verfestigter der Ausländer im Inland ist. 1 0 6 Alle drei Voraussetzungen wurden zu § 8 RuStAG bereits behandelt. Die Anwendung des § 9 RuStAG bereitet grundsätzlich keine Schwierigkeiten, ist jedoch in einigen Einzelheiten umstritten. 107 Aus dem Umstand, daß § 9 RuStAG ein Privilegierungstatbestand ist, ergibt sich, daß er nicht schärfere Anforderungen stellen kann als § 8 RuStAG. Das wäre aber der Fall, wenn die Aufgabe der bisherigen Staatangehörigkeit und die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnis nur von Bewerbern im § 9 RuStAG-Verfahren verlangte. Um dieses Schräge zu begradi-
ioo Zuleeg, NJW 1980, 1185, 1186 sieht mit überzeugenden Gründen entgegen Nr. 6.10.1 S. 1 EinbRL auch die Statusdeutschen als deutschen Ehegatten im Sinne des § 9 RuStAG an. Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 11 ist anderer Ansicht. Der Streit kann hier auf sich beruhen. ιοί Das entspricht der völkerrechtlichen Verpflichtung, die die Bundesrepublik gemäß Art 3 Abs. 1 des Übereinkommens vom 20. 2. 1957 über die Staatsangehörigkeit verheirateter Frauen (BGBl. 1973 II S. 1249/1974 II S. 1304) übernommen hat. Vgl. BVerwGE 67, 177, 178. 102 Vgl. allgemein zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" Makarov/v. Mangoldt (1993), § 9 RuStAG, Rn. 21 ff. ι 0 3 Hierzu und allgemein zum Begriff der „erheblichen Belange": BVerwG, EZAR 271, Nr. 16, sowie Hailbronner/Renner (1998), § 9 RuStAG, Rn. 20 ff; Bergmann / Korth / Ziemske (1995a), S. 61; Makarov/v. Mangoldt (1993), § 9 RuStAG, Rn. 26; Groth (1984), S. 62 mwN. 104 Vgl. Groth (1984), S. 60. los BVerwG, InfAuslR 1983, 280, 281. Vgl. auch Makarov/v. Mangoldt (1993), § 9 RuStAG, Rn. 24 ff. 106 BVerwG, InfAuslR 1983, 280, 281. i° 7 So die Einschätzung von Groth (1984), S. 56, der sich auf den folgenden Seiten zu einigen Zweifelsfällen äußert.
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gen, gibt es dogmatisch nur den Weg, die Voraussetzungen des § 9 auf § 8 zu übertragen. Es besteht dann eine Wechselwirkung zwischen beiden Tatbeständen. Die Behörde kann beispielsweise umgekehrt auch bei der Anwendung von § 9 ausnahmsweise eine Mehrstaatigkeit hinnehmen, Nr. 5.3.3 und Nr. 5.3.4 EinbRL. 108 Die Assimilationsgewähr wird nach einem fünfjährigen - oder für Bewerber aus dem deutschsprachigen Raum zweijährigen - Inlandsaufenthalt vermutet, Nr. 3.2.1 iVm Nr. 6.1.3 EinbRL. 1 0 9 2. § 13 RuStAG normiert erleichterte Einbürgerungsbedingungen für ehemalige Deutsche, die sich nicht im Inland niedergelassen haben. Hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen wird lediglich verlangt, daß nicht die Voraussetzungen eines Ausweisungsgrundes nach den § 46 Nr. 1 bis 4, § 47 Abs. 1 oder 2 AuslG vorlie110
gen. 3. Die §§ 85 und 86 AuslG waren durch das Ausländergesetz vom 9. Juli. 1990 111 als Regel-Einbürgerungsansprüche formuliert. Durch die Novelle zum Ausländergesetz vom 30. Juni 1993 112 wurden die §§85 und 86 Abs. 1 AuslG zu Anspruchtstatbeständen umgewandelt. Die Gesetzesänderung hatte das Ziel einer erleichterten Integration von langjährig ansässigen Ausländern. 113 Im Vergleich zu § 8 RuStAG enthalten diese Tatbestände nur noch Rudimente der ursprünglichen EinbürgerungsVoraussetzungen. Gegenüber § 8 RuStAG besteht nicht nur der Unterschied, daß die betreffenden Ausländer einen Einbürgerungsanspruch haben. Auch die Tatbestandsvoraussetzungen sind gelockert. Die Aufenthaltsdauer ist für junge Ausländer zwischen 16 und 23 Jahren auf acht Jahre herabgesetzt. Für Ausländer ab dem 23. Lebensjahr besteht gemäß § 86 Abs. 1 AuslG zwar die gegenüber § 8 RuStAG verschärfte Anforderung eines Daueraufenthaltes von 15 Jahren. 114 Dafür werden im übrigen reduzierte Anforderungen an die Bewerber gestellt: § 87 AuslG normiert Ausnahmen von der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit, die weiter gehen als die Ausnahmen nach Nr. 5.3.3 bis Nr. 5.3.6 der Einbürgerungsrichtlinien. An die strafrechtliche Vergangenheit der Bewerber werden mildere Anforderungen gestellt als bei den Einbürgerungen nach § 8 RuStAG. § 85 Nr. 4 und § 86 Abs. 1 Nr. 2 AuslG iVm § 88 Abs. 1 und 2 AuslG verweigern eine Einbürgerung nur noch beim Vorliegen besonders 108 So Groth (1984), S. 33. 58. 109
Diese Regelung geht auf eine Entschließung des Deutschen Bundestages vom 19. 6. 1969 (BTagDrs. V/3971) zurück, vgl. Groth (1984), S. 26 f., 59. Von der Vermutung kann jedoch im Einzelfall begünstigend oder benachteiligend abgewichen werden. 110 Ausführlicher zu den Einbürgerungsvoraussetzungen: Marx (1997), § 13 RuStAG, Rn. 7 ff. m BGBl. IS. 1354. 112 BGBl. I S. 1062. U3 Zu den weiteren Gesetzesmotiven vgl. Goes (1997), S. 51. n 4 Zum Tatbestandsmerkmal des „gewöhnlichen Aufenthaltes" vgl BVerwG, EZAR 277, Nr. 5.
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schwerer Straftaten. 115 Das Erfordernis, den Unterhalt selbst bestreiten zu können, entfällt für die „jungen Ausländer". Im Übrigen gelten gemäß § 91 AuslG die allgemeinen Vorschriften des Staatsangehörigkeitsrechts, insbesondere auch das Erfordernis der Zustimmung des Bundesinnenministers. 116 4. § 9 RuStAG findet seine Entsprechung in § 86 Abs. 2 AuslG. Ehegatten und mindeijährige Kinder der Ausländer, die einen Einbürgerungsanspruch nach § 86 Abs. 1 AuslG haben, werden auch nach einer kürzeren Aufenthaltsdauer eingebürgert. B. 1. Indem § 9 RuStAG die Ehegatten von Deutschen begünstigt, enthält es ein Mischkriterium aus ethnischer Zugehörigkeit und Familienstatus. Gegenüber der Einbürgerungsregelung des § 8 RuStAG besteht bei § 9 RuStAG vor allem der Unterschied, daß die erforderliche Aufenthaltszeit um fünf Jahre verkürzt wird. Insofern berücksichtigt § 9 stärker die individuellen Interessen der Bewerber (Inlandsverfestigung), da sie ohnehin mit den staatlichen Interessen parallel gehen. 2. Die erleichterte Einbürgerung ehemaliger Deutscher gemäß § 13 RuStAG ist ein ethnisches Statuskriterium, das im Einklang mit der bislang beobachteten Privilegierung von Einbürgerungsbewerbern steht, die dem deutschen Volk in irgendeiner Weise besonders nahe stehen. Das charakterliche Kriterium der Straffreiheit muß erfüllt sein. Ansonsten steht die Einbürgerung ehemaliger Deutscher nur unter dem Generalvorbehalt des öffentlichen Interesses. 3. Die Einbürgerungserleichterungen der §§85 und 86 Abs. 1 AuslG wurden eingeführt, weil ein generelles öffentliches Interesse an der Einbürgerung von Einwanderern der zweiten Generation oder mit langfristiger und endgültiger 117 Niederlassung im Bundesgebiet bejaht wurde. Die ansonsten erforderliche Einzelprüfung mit der Vorbehaltsprüfung des öffentlichen Interesses entfällt. Das bisherige Ziel des Einbürgerungsrechts, einen wertvollen Bevölkerungszuwachs zu „erwirtschaften", wurde damit nicht aufgegeben. Die frühzeitige (§ 85 AuslG) oder die langfristige (§ 86 Abs. 1 AuslG) Einbindung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet eine so große Assimilationswahrscheinlichkeit, daß auf den Generalvorbehalt des öffentlichen Interesses an der Einbürgerung verzichtet werden kann. Die rechtliche Ausgestaltung dieser Anspruchseinbürgerungen demonstriert, welche Verteilungskriterien vom Gesetzgeber als besonders wichtig angesehen wurden: das charakterliche Kriterium der Straffreiheit, (für die älteren Ausländer) die wirtschaftlichen Voraussetzungen und das Verdienst- und Statuskriterium der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit. 4. Ebenso wie § 9 RuStAG die erleichterten Integrationsbedingungen von Ehegatten Deutscher privilegiert, begünstigt § 86 Abs. 2 AuslG die erleichterten Inte115
Leichtere Strafen dürfen nicht kumulativ bewertet werden, BVerwG, EZAR 277, Nr. 7. 116 Vgl. Marx (1997), § 91 AuslG, Rn. 1.
ι 1 7 Aus diesem Grunde wurde durch das Änderungsgesetz von 1993 auch § 85 Abs. 2 AuslG eingeführt, vgl. Marx (1997), S. 263.
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grationsbedingungen für Angehörige von Personen, die gerade deutsche Staatsangehörige werden. Das Verteilungsprinzip, das hier zur Geltung kommt, ist „Familienstatus", das in Art. 6 GG seine Grundlage findet. Im Gegensatz zu § 9 RuStAG hat die Behörde ein Ermessen. Damit kommt das einbürgerungsrechtliche Effizienzprinzip als Einbürgerungsvorbehalt zur Geltung. Das steht zu § 9 RuStAG nicht in Widerspruch, da § 9 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse als ausdrückliche Einbürgerungsvoraussetzung benennt.
c) Einbürgerungsgebühren A. Für Einbürgerungen nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz wird grundsätzlich eine Gebühr von D M 500,- erhoben. Diese Gebühr ermäßigt sich für mindeijährige Kinder, die miteingebürgert werden und keine steuerrechtlich relevanten Einkünfte haben, auf DM 100,-. Für nichteheliche Kinder, die gemäß § 10 eingebürgert werden, und ehemalige Deutsche, die durch Eheschließung mit einem Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, ermäßigt sich die Gebühr auf D M 0,-. Aus Billigkeitsgründen oder aus Gründen des öffentlichen Interesses kann die Gebühr weiter ermäßigt oder aufgehoben werden, § 38 Abs. 2 RuStAG. „Die Gebühr für die Einbürgerung nach den §§ 85 bis 89 [AuslG] beträgt 100 Deutsche Mark", § 90 AuslG. Die Einbürgerungen für deutsche Volkszugehörige nach dem 1. StAngRegG sind gebührenfrei, § 26 1. StAngRegG. B. Die Einbürgerungsgebühren sind übliche Verwaltungsgebühren. Bis zum 1. Juli 1993 sah § 38 Abs. 1 RuStAG eine Gebührenhöchstgrenze von DM 5,- vor. Die tatsächliche Gebührenhöhe wurde nach den monatlichen Bruttoeinnahmen der Bewerber berechnet. Diese Form der Gebührenerhebung war der Sache nach eine Art „Eintrittsgeld" in die staatliche Gemeinschaft. Die relativ hohe Gebühr für Standardeinbürgerungen gemäß §§8 und 9 RuStAG ist als Relikt dieser geänderten Regelung anzusehen. Das Gebührenerfordernis ist ein Verdienstkriterium, weil es eine finanzielle Mitwirkung der Bewerber verlangt. Dieses Leistungskriterium wird vermischt mit Kriterien der ethnischen Zugehörigkeit, des Familienstatus und des Bedarfs. Für ehemalige Deutsche, miteinzubürgernde Kinder sowie in besonderen Fällen aus Billigkeitsgründen wird die Gebühr ermäßigt.
3. Verwaltungsaufbau und Rechtsschutz im Einbürgerungsrecht Die Ausgestaltung der vertikalen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, nämlich die föderalistische Struktur der Ermessensverwaltung, und die Rechtsschutzmöglichkeiten der Einbürgerungsbewerber bedingen die Möglichkeit von lokal divergierenden Einbürgerungsregelungen der Länder und einen etwaigen Schutz hiergegen.
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
a) Der Verwaltungsaufbau
im Einbürgerungsrecht
Die Länder führen das Staatsangehörigkeitsrecht als eigene Angelegenheit im Sinne des Art. 83 GG aus. Die Einzelheiten des Einbürgerungsverfahrens sind gemäß Art. 84 Abs. 1 GG in den Einbürgerungsrichtlinien geregelt. 118 Die Einbürgerungsrichtlinien gelten in den Bundesländern aufgrund von Ministerialerlassen. Die Einbürgerungsbehörden sind daher verwaltungsintern an diese Richtlinien gebunden. 119 Sie werden für Einbürgerungen gemäß §§ 85, 86 AuslG ergänzt oder das ist strittig - ersetzt durch „Vorläufige Ausführungsbestimmungen zu den einbürgerungsrechtlichen Vorschriften im Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts". 120 Es besteht gemäß § 3 S. 1 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit 1 2 1 grundsätzlich für jede Einbürgerung 122 ein Vorbehalt der Zustimmung durch den „Reichsminister des Inneren", der heute durch den Bundesminister des Innern wahrgenommen wird. Zu dieser Vorschrift und ihrer Überleitung in Bundesrecht ist zum einen strittig, ob sie gemäß Art. 128, 84 Abs. 5 G G 1 2 3 oder gemäß Art. 129 GG erfolgte, zum anderen, ob sie auf die jeweiligen Landesinnenministerien oder - entsprechend der herrschenden Meinung - auf das Bundesinnenministerium übergegangen ist. 1 2 4 Der Streit kann hier offen bleiben, denn man hat sich in der Praxis überwiegend auf das folgende Verfahren geeinigt: Jede Einbürgerung unterliegt der Zustimmung der zuständigen Landesinnenministerien oder -senatsverwaltungen. Diese versichern sich sodann der Zustimmung des Bundesinnenministeriums. Einige Länder folgen möglicherweise der genannten Mindermeinung und verzichten daher auf eine Beteiligung des Bundesinnenministeriums. 125 Die 118 Der Rechtscharakter der Einbürgerungsrichtlinien ist umstritten. Nach der überwiegenden Ansicht haben sie einen Mischcharakter. Danach enthalten sie teilweise Auslegungshilfen in der Form von verbindlichen Interpretationen des gesetzlichen Tatbestandes und teilweise Ermessensdirektiven, so VGH Bad.-Württ., ESVGH 31, 180, 183 f.; OVG Hamburg InfAuslR 1986, 108, llO.Weidelener/Hemberger (1993), S. 24; Stein DÖV 1984, 177, 186; Meyer NVwZ 1987, 15, 21. Nach einer anderen Meinung enthalten sie nur Prinzipien für die Ermessensausübung, ohne den Ermessensrahmen endgültig zu bestimmen. So Makarov/ v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 27 jedenfalls bezüglich Nr. 3.3.2 EinbRL. Die Meinungsverschiedenheit ist von keiner praktischen Relevanz, da nach beiden Ansichten jeder Einzelfall gesondert gewürdigt werden soll. 119 BVerwG, DVB1. 1986, 110; vgl. Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 6; Meyer, NVwZ 1987, 15,21.
120 Vom 14. 11. 1990 (HessStAnz. 1990, S. 2517), abgedruckt in Hailbronner/Renner (1992), S. 191 ff. 121 Vom 5. 2. 1934 (RGBl. I S. 85), (BGBl. III 102-2). Also auch für Anspruchseinbürgerungen und Einbürgerungszusicherungen, vgl. Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 67. 123 So BVerwGE 67, 173, 175 ff. Ablehnend Rittstieg, InfAuslR 1989, 307 ff. 124 Vgl. BVerwGE 67, 173 ff.; BVerwGE 20, 279, 282 ff. Zum Streitstand vgl. Makarov/ v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 65 ff.; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 101 f, § 16 RuStAG, Rn. 16 ff; Groth (1984), S. 69. 122
I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts
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Zustimmung kann als rein verwaltungsinterner Mitwirkungsakt von den Bewerbern nicht gerichtlich erstritten werden. 126 Die Zustimmung des Bundesministers des Innern wird durch Rundschreiben als sogenannte „Allgemeinzustimmung" für die meisten Fälle vorab in generalisierter Form erteilt. Das erfolgt in verwaltungsinternen Rundschreiben. Dabei wird immer unterstellt, daß die zuständige Landesbehörde die übrigen Voraussetzungen der Einbürgerung sorgfältig prüft und außerdem festgestellt hat, daß tatsächlich ein Fall vorliegt, der von der Vorabzustimmung erfaßt wird. Ist letzteres nicht gegeben, so ist der Einzelfall dem Bundesinnenministerium zur Zustimmung vorzulegen. Die Allgemeinzustimmungen erfolgen unter Widerrufsvorbehalt. Das maßgebliche Rundschreiben für die Ermessenseinbürgerungen gemäß §§8 und 9 RuStAG und § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit stammt aus dem Jahre 1977. Seitdem wurde dieses Rundschreiben nur in einzelnen Punkten geändert oder aktualisiert. Die Allgemeinzustimmung für die Anspruchseinbürgerungen nach dem Ausländergesetz stammt aus dem Jahre 1990. Zuständig für die Einbürgerungsentscheidung ist die Staatsangehörigkeitsbehörde des Landes, in deren Bereich der Bewerber seinen dauernden Aufenthalt hat, Art. 83 GG, § 27 iVm § 17 1. StAngRegG. 127 Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem einschlägigen Landesrecht. 128
b) Zum Rechtsschutz der Einbürgerungsbewerber Die Einbürgerungsbewerber können als Rechtsmittel ein verwaltungsverfahrensrechtliches Widerspruchsverfahren oder einen Verwaltungsgerichtsprozeß anstrengen. Gegen Verwaltungsakte oberster Bundes- oder Landesbehörden kann grundsätzlich ohne vorgeschaltetes Widerspruchsverfahren geklagt werden, § 68 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Die erforderliche Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ergibt sich aus dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung, den die Bewerber haben, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 8 und 9 RuStAG gegeben sind. Die Einbürgerungstatbestände begründen nämlich wegen der herausragenden rechtlichen Bedeutung der Staatsangehörigkeit eine drittschützende Wirkung und damit eine subjektive Rechtsstellung 125
Ein entsprechender Hinweis findet sich bei Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 65. 126 Vgl. Meyer, NVwZ 1987, 15, 20. Allerdings ist die Bundesrepublik Deutschland, Bundesminister des Innern, in Verwaltungsstreitverfahren notwendig beizuladen, BVerwG, EZAR 271, Nr. 7. 127 Der dauernde Aufenthalt richtet sich nach dem tatsächlichen Lebensmittelpunkt und nicht lediglich nach dem melderechtlichen Aufenthaltsort. Ein Bewerber kann seinen Antrag folglich nicht ohne Weiteres und ad hoc bei der Einbürgerungsbehörde eines anderen Landes stellen, wenn er feststellt, daß seine örtlich zuständigen Behörde ihn nicht einbürgert. 128 Vgl. Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 63 mwN.
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
für die Bewerber. Gegen einen ablehnenden Bescheid kann ein Bewerber daher einwenden, der Bescheid sei möglicherweise rechtswidrig. 129 Die §§8 und 9 RuStAG enthalten unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Auslegung und Anwendung in vollem Umfang verwaltungsgerichtlich nachprüfbar ist. 1 3 0 Die Ermessensausübung prüfen die Gerichte auf einen Fehlgebrauch oder eine Überschreitung, § 114 VwGO. Eine Ermessensüberschreitung ist im Rahmen des § 8 RuStAG wegen des überaus weiten Entscheidungsfreiraumes kaum denkbar. 131 Fehler bei der Anwendung des § 8 RuStAG fallen eher in die Kategorie des Ermessensfehlgebrauchs: Die Behörden sind an die Normen „der umgebenden Rechtsordnung" 132 gebunden. Unter diese Normen fallen die völkerrechtlichen Verträge, aus denen sich beispielsweise ein Wohlwollensgebot für bestimmte Ausländergruppen ergeben kann, die aber auch gegen eine Einbürgerung sprechen können. 133 Weiter sind die Behörden an die Grundrechte, den Vertrauensgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden.134 Bei § 9 RuStAG ist der Ermessenspielraum eingeschränkter. Liegen die Voraussetzungen des § 9 RuStAG vor, so besteht lediglich ein „Restermessen". Die Verweigerung der Einbürgerung ist dann nur in ganz atypischen Ausnahmefällen rechtlich vertretbar, so daß es hier eher zu einer Ermessensüberschreitung kommen kann. 135 Ähnlich verhält es sich mit dem Rechtsschutz bei Einbürgerungen gemäß § 86 Abs. 2 AuslG. 1 3 6 Gänzlich anders ist hingegen die Situation derer, die einen Einbürgerungsanspruch gemäß §§ 85 oder 86 Abs. 1 AuslG haben. Diesbezügliche Verwaltungsentscheidungen sind gerichtlich voll nachprüfbar. 129 BVerwG, EZAR 271, Nr. 15; BVerwGE 41, 277 ff.; Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 7aE f. mwN und Argumenten; Meyer, NVwZ 1987, 15, 20 mwN; aA Stein, DÖV 1984, 177. 130 Vgl. ζ. B. Groth (1984), S. 18 f., 26 f., 35, 60. 131 Groth (1984), S. 30. Die Einbürgerungsrichtlinien entfalten gegenüber den Bewerbern nur insofern rechtliche Wirkungen, als sich die Verwaltung durch deren Anwendung selbst bindet, BVerwG, EAR 271, Nr. 13. Ausführlicher dazu unten F. I. 1. a). 132 Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 9, 45 mit einer ausführlichen Darstellung dieser umgebenden Rechtsnormen unter den folgenden Randnummern. An die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts ist die Bundesrepublik gemäß Art. 25 GG gebunden, sofern sie so bestimmt sind, daß sie von den Behörden unmittelbar angewendet werden können. 133 Einbürgerungshindernisse ergaben sich insbesondere aus Nr. II des Schlußprotokolls zum deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen vom 17. 2. 1929 (RGBl. 1930 II S. 1006; BGBl. 1955 II S. 829), derzufolge die iranische Regierung der Einbürgerung zustimmen mußte (vgl. dazu Hailbronner /Renner (1998), Einl. E, Rn. 10 und F, Rn 6 und die überholte Rspr., EZAR 271, Nr. 11, 17-19), sowie aus zahlreichen bilateralen Auslieferungsverträgen. 134 Vgl. BVerwGE 67, 177, 183 f. Zum Einfluß der Grundrechte auf das Einbürgerungsrecht vgl. insbesondere Deibel, DÖV 1984, 322 ff. 135 BVerwG, InfAuslR 1983, 280, 281; ebenso mit ausführlicher Auslegung Groth (1984), S. 64 ff.; vgl. auch Zuleeg, NJW 1980, 1185 ff. Weitere Einzelheiten zum Verwaltungsgerichtsprozeß im Einbürgerungsrecht finden sich ζ. B. bei Groth (1984), S. 71 ff. 136 Vgl. Marx (1997), § 86 AuslG, Rn. 12.
I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts
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4. Das Verteilungssystem des Einbürgerungsrechts Im vorangegangenen Kapitel wurden die einzelnen rechtlichen Einbürgerungsvoraussetzungen als Verteilungskriterien gedeutet. In diesem Kapitel wird das deutsche Einbürgerungsrecht zusammenfassend als ein besonderes Muster der Verteilung von Staatsangehörigkeit beschrieben.
a) Staatsangehörigkeit
als Sphäre von Gerechtigkeit
Die Eigenarten des Verteilungsgutes Staatsangehörigkeit 137 sind vom Verteilungsmodus niemals klar zu trennen. Sie bilden 1. den Hintergrund, und sie schaffen die Bedingungen für die Verteilung von Staatsangehörigkeiten. Sie bedingen 2. die relative Knappheit der Staatsangehörigkeit als Verteilungsgut. 1. Die besondere soziale Bedeutung der Staatsangehörigkeit und der Einbürgerung werden gegenwärtig überall in Europa und in den Vereinigen Staaten diskutiert. Im Kern geht es dabei um zwei verschiedene Konzeptionen über die Staatsbürgerschaft: Die Locke'sche, liberale Tradition begreift die Staatsbürgerschaft als einen rechtlichen Status, der dem Individuum Freiheit vom Staat verschafft. Die Aristotelische und Rousseau'sche Tradition wird heute von den sogenannten Kommunitaristen vertreten. Staatsangehörigkeit bedeutet danach Teilhabe an der solidarischen, staatlichen Gemeinschaft. 138 Zwischen beiden Lagern gibt es vielerlei Schattierungen. Die Diskussion involviert historische, philosophische, politologische und soziologische Fragestellungen über den Nationenbegriff, Migration, Minderheitenrechte, den Sozialstaat, etc. Die gegenwärtige Diskussion in Deutschland ist insofern von besonderer Art, als sich mit der deutschen Staatsangehörigkeit die Vorstellung einer „Kulturnation", einer kulturellen, „völkisch aufgeladenen" Identität zu verbinden scheint. 139 Sofern diese Vorstellung noch besteht, wird sie teilweise als überkommen abgelehnt, weil sie dem (post-) modernen Migrationsstaat nicht mehr angemessen sei. 1 4 0 Beispielsweise wurde 1993 ein Einbürgerungsanspruch für bestimmte Ausländergruppen geschaffen, weil ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung von Einwanderern der zweiten Generation bejaht wurde. Einige Jahre zuvor war die Normierung eines derartigen Anspruchs noch allgemein abgelehnt worden. 141 Die verschiedenen Auffassungen über die Bedeutung der deut137
Ausführlich hat sich Michael Walzer mit der Bedeutung der Mitgliedschaft in einer staatlichen Gemeinschaft auseinandergesetzt, Walzer (1983), S. 31 ff. Hier findet sich eine überarbeitete Version von Walzer (1981). 138 Vgl. ζ. B. Beiner (1995a), S. 12 ff.; Habermas (1995), S. 261 ff. 139 Insbesondere im Vergleich zu Frankreich: ζ. B. Brubaker (1992), S. 1 ff; Brubaker (1989), S. 1 ff. Kritisch: Ziemske (1995), S. 231 ff. 1 40 Ein aktueller Überblick über einige Stimmen in dieser Diskussion findet sich bei Marx (1997), S. 41 ff. 141 Vgl. Marx (1997), S. 44 mwN.
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
sehen Staatsangehörigkeit können Eingang in die lokalen Verteilungsmuster finden, indem die Einbürgerungsvorschriften unterschiedlich interpretiert und angewendet werden. 2. Der besondere Charakter der Staatszugehörigkeit gegenüber anderen Verteilungsbeispielen der lokalen Gerechtigkeit ist dessen „relative Knappheit": Die Anzahl der Staatsangehörigkeiten, die verteilt werden können, ist theoretisch unendlich. Es gibt keine absolute Knappheit an Staatsangehörigkeiten. Daß die Verteilung von Staatsangehörigkeiten dennoch begrenzt werden muß, ergibt sich aus der folgenden Überlegung: Die relative Knappheit der „Mitgliedschaft in einer Gesellschaft" folgt aus dem „collective-action problem" 142 . Dieses Problem berücksichtigt negative Folgen, die zwar dann nicht entstehen, wenn nur einzelne handeln, die aber virulent werden, wenn alle auf eine bestimmte Art und Weise handeln. Konkret für die Verteilung von Staatsangehörigkeiten heißt das: Die Einbürgerung einzelner Ausländer ist für die staatliche Gemeinschaft unschädlich (vielleicht sogar nützlich). Die Einbürgerung aller oder sehr vieler Ausländer untergräbt die staatliche Gemeinschaft und löst sie praktisch auf. Maßlose Kollektiveinbürgerungen würden die Staatsgrenzen und damit den Staat selbst hinfällig machen.143 Diese Gesetzmäßigkeit der Verteilung von Staatsangehörigkeiten kommt in den Einbürgerungsrichtlinien zum Ausdruck: Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit soll restriktiv gehandhabt werden. Insofern ergibt sich die relative Knappheit der deutschen Staatsangehörigkeit aus der rechtlichen Konstruktion des Einbürgerungsrechts. Die Anforderungen an eine Einbürgerung sind schwer zu erfüllen, und zwar nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv wegen der erforderlichen langen Aufenthaltsdauer. Das Verteilungssystem erzeugt selbst eine künstliche relative Knappheit. Rechtliche Knappheitsvorgaben sind gängige staatliche Steuerungsmaßnahmen, beispielsweise auch im Umweltrecht. 144 Ziel dieser rechtlichen Regelungen ist die optimale, effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen: Die Güter sollen und müssen verteilt werden, aber nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten und an die richtigen Personen. Wie dieses Problem im deutschen Einbürgerungsrecht bewältigt wird, schildert der folgende Abschnitt.
142
Elster (1992), S. 13 bringt das „collective-action problem" als Argument für die Abgeschiedenheit einer Sphäre. Ein Beispiel wäre die Trennung der Sphäre „Geld" oder „Marktwirtschaft" von der Sphäre „Staatsangehörigkeit" oder „politisches System": „Kein Bürger wäre materiell verletzt, wenn wenige ihr Wahlrecht verkaufen würde, aber alle wären verletzt, wenn alle ihr Wahlrecht verkaufen würden". 143 Staatsgrenzen haben unter anderem den Sinn, den Zugang zur staatlichen Gemeinschaft zu kontrollieren. Durch unbegrenzte Einbürgerungen würde diese Kontrolle aufgegeben und zwar mit gewichtigen Folgen, die an dieser Stelle nicht weiter verfolgt zu werden brauchen. Das Argument wird ausführlicher und in den notwendigen Abstufungen erörtert und begründet in Walzer (1983), S. 31 ff. Walzer begründet auch, warum für Einwanderungen und Einbürgerungen die gleichen Zugangsrichtlinien gelten müssen, S. 52 ff.
1 44 Vgl. Kloepfer/Reinert (1995b), S. 280 ff.
I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts
b) Das Einbürgerungsrecht
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als Lokus von Gerechtigkeit
(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit als knappes Gut Die Verteilung der deutschen Staatsangehörigkeit richtet sich nach dem „Blutsprinzip", dem ius sanguinis. Das bedeutet, daß sich die Staatsangehörigkeit nicht nach dem Geburtsort, das wäre das ius soli, sondern nach der Abstammung richtet. Deutscher kann nur werden, wer von Deutschen abstammt, sprich zur Welt gebracht wurde. Die deutsche Staatsangehörigkeit wird grundsätzlich also mit der Geburt erworben. Dieses ist bei genauer Betrachtung das primäre Kriterium für die Verteilung der deutschen Staatsangehörigkeit, 145 wenngleich es im Einbürgerungsverfahren nicht unmittelbar zur Geltung kommt. Das Blutsprinzip ist ein formales Prinzip, das auf einem status beruht. Einbürgerungen sind in einem Rechtssystem, das auf dem Abstammungsprinzip beruht, grundsätzlich wesensfremd. Wenn dennoch Einbürgerungen zugelassen werden, so liegt es in der Logik des ius sanguinis, daß sie eine Ausnahme bleiben müssen. Dementsprechend ist die Regelung in Deutschland: Deutschland ist glaubt man den rechtlichen Regelungen - kein Einwanderungsland, Nr. 2.3 EinbRL. 1 4 6 Einbürgerungen sind restriktiv zu handhaben. Um eine begrenzte Zahl von Einbürgerungen trotz einer großen Menge an potentiellen Bewerbern zu gewährleisten, wird die Einbürgerung rechtlich erschwert. Die Nachfrage wird durch eine Verschärfung der Zuteilungsvoraussetzungen und durch eine Abschreckung niedrig gehalten. Abschreckend wirken zum einen die Bekanntmachung der hohen Einbürgerungsanforderungen, zum anderen eine Öffentlichkeitsarbeit, die das Verteilungsgut madig macht. Die Abschreckung zielt auf eine Selbstselektion der potentiellen Empfänger - eine Wirkung, die auch das deutsche Einbürgerungsrecht hat. 147
(2) Einbürgerung als Verteilung von Staatsangehörigkeiten 1. Wenn restriktiv eingebürgert werden soll, bedarf es für die Verteilungsorganisation einer Regelung, die diese restriktive Handhabung erlaubt. Das Einbürgerungsrecht ist eine Mischung aus einem Punkte- und einem Stufenverfahren: Die Einbürgerungsbewerber müssen drei Hürden von Einbürgerungsvoraussetzungen 145 Vgl. Marx (1997), S. 41 f. 146 Diese Auffassung vertritt die Bundesregierung auch noch am 3. Oktober 1984, BTagDrs. 10 / 2071. Zur Kritik an diesem „Dogma", vgl. z. B. John, ZAR 1981, S. 3 ff.; Quaritsch (1981), S. 18 ff. Vgl. auch BVerwGE 36, 45 und 38, 90. Die Formel ist mißverständlich. In den Einbürgerungsrichtlinien hat sie eigentlich nichts zu suchen, da die Einwanderung die ausländerrechtlich regulierte Immigration betrifft, nicht die staatsangehörigkeitsrechtliche Naturalisation. 147 So z. B. Bischoff/Teubner (1991), S. 171 und Brubaker (1989a), S. 112.
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
bewältigen: Zunächst die gesetzlichen Voraussetzungen des § 8 RuStAG, sodann die ermessenskonkretisierenden Vorgaben der Einbürgerungsrichtlinien. Abschließend muß die Einbürgerung im öffentlichen Interesse liegen, Nr. 2.2 S. 3 EinbRL. 2. Im Verteilungsprozeß fungiert der Generalvorbehalt des öffentlichen Interesses als Effizienzprinzip: Wenn die Einbürgerung eine Ausnahme ist und der Ewerb der deutschen Staatsangehörigkeit grundsätzlich nur denen zusteht, die von Deutschen abstammen, dann sollen jene Ausländer, die eingebürgert werden, wenigstens einen wertvollen Beitrag zur Gemeinschaft darstellen. Sie sollen bereits wie Deutsche in die staatliche Gemeinschaft integriert sein und sich vollständig assimiliert haben oder jedenfall auf dem besten Wege dazu sein (Quasi-Deutsche).148 Der Inhalt des öffentlichen Interesses wird für den Einbürgerungsalltag zwar durch die Einbürgerungsrichtlinien vorgegeben. Die Einbürgerungsbehörden können jedoch allgemein oder für den Einzelfall weitere Entscheidungskriterien hinzuziehen. Diese Möglichkeit eröffnet ihnen das Prinzip der Einzelfallwürdigung aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL, dessen Verknüpfung mit der Vorbehaltsklausel der Nr. 2.2 S. 3 EinbRL deshalb einen Angelpunkt des einbürgerungsrechtlichen Verfahrens bildet. Das gilt umso mehr, als sich bei der Analyse der Einbürgerungskriterien zeigte, daß sie vielfach diskretionär formuliert sind. Außerdem können die Ermessensvorschriften im Lichte des Vorbehaltsprinzips ausgelegt werden. Ein „Kulturnationalist" oder ein Kommunitarist wird Billigkeitserwägungen im Zweifel gegen den Bewerber anstellen und nur die Einbürgerung von Quasi-Deutschen befürworten. Ein politscher Liberalist dagegen wird Billigkeitsgriinde finden, um die Ausnahmevorschriften des Einbürgerungsrechts möglichst weit auszudehnen und jeden Einbürgerungswilligen im Rahmen des rechtlich Vertretbaren einzubürgern. Die niedergeschriebenen Verteilungskriterien haben nur eine „hinleitende" Funktion. 1 4 9 Ihr Vorliegen ist nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Einbürgerung. „Im übrigen entscheidet die Einbürgerungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen." 150 Das Prinzip der Einzelfallwürdigung bekommt damit die Funktion eines Billigkeitskriteriums. 3. Die weiteren Verteilungsprinzipien sind als Verdienst- und als charakterliche Kriterien ausgestaltet. Sie erfüllen die Funktion, die Auswahl der Verteilungsempfänger einzuschränken und zu leiten. Sie konkretisieren das „öffentliche Interesse". Abgesehen von den „besonderen Fällen" sind die einzelnen Verteilungskriterien geeignet, das genannte Effizienzprinzip zu verwirklichen, denn sie dienen unmittelbar dem Verteilungsziel des Einbürgerungsrechts. Sie verlangen von den Bewerbe Vgl. Oldiges (1986), S. 61. 14 9 Das kommt in Nr. 2.2. S. 1 und S. 2 EinbRL zum Ausdruck: „Die gesetzlichen Voraussetzungen in §§ 8, 9, 13 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes [ . . . ] , § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit [ . . . ] sind Mindestvoraussetzungen, ohne die eine Einbürgerung nicht vorgenommen werden darf. Ihr Vorliegen allein rechtfertigt die Einbürgerung noch nicht." 150 BVerwGE 67, 177, 179.
I. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des Einbürgerungsrechts
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bern ein Minimum sozial wertvoller Eigenschaften und Leistungen. Die Einbürgerungsrichtlinien setzen die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse voraus. 151 Der Ausländer wird nicht integriert, sondern er muß sich selbst integrieren und anpassen. Die Einbürgerung ist eine „Prämie" 152 für die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse unter Aufgabe der bisherigen Nationalität. § 8 RuStAG stellt „in väterlicher Besorgtheit wie bei einem Brautwerber vor allem auf Unbescholtenheit und eine gesicherte wirtschaftliche Existenz ab." 1 5 3 Teilweise wird ausdrücklich die „Beurteilung der Persönlichkeit" der Bewerber, insbesondere ihres Lebensweges verlangt, Nr. 3.3.4, 6.3 S. 5, 6.5 S. 1 EinbRL. Überprüft werden moralische Verfehlungen wie beispielsweise Drogenabhängigkeit oder Arbeitsunwilligkeit. Das Verdienst- und Leistungskriterium kommt auch in der Verfahrensgestaltung und der Terminologie des Einbürgerungsrechts zum Ausdruck: Der Ausländer muß einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Er wird damit zum ,3ewerber". 4. Das öffentliche Interesse läßt es jedoch nicht zu, ausschließlich Verdienstund Leistungskriterien zu verwenden. Die einzelnen Voraussetzungen sehen Ausnahmen vor aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit, des familiären Status oder wegen humanitärer Bedürftigkeit. Diese Ausnahmen demonstrieren eine Abwägung verschiedener Gesichtspunkte innerhalb des staatlichen Interesses. 5. Das Verteilungsystem ist nicht völlig konsistent und widerspruchsfrei. In Konflikt treten beispielsweise das Prinzip der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie und das Erfordernis der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit. Die Rangfolge ist umstritten. Wegen Art. 6 GG wird ein sachlicher Grund, die alte Staatsangehörigkeit beibehalten zu wollen, als ausreichend angesehen, wenn durch die Einbürgerung die einheitliche Staatsangehörigkeit in der Familie erlangt werden kann. 154 Ein grundsätzlicher Vorrang der Familieneinheit besteht nicht. Es ist eine Abwägung im Einzelfall vorzunehmen. 155 6. Durch die Einführung der Anspruchseinbürgerungstatbestände der §§ 85 und 86 Abs. 1 AuslG wurde das Prinzip der Einzeleinbürgerung für bestimmte Ausländergruppen abgeschafft. Diese Tatbestände bewirken zwar keine Masseneinbürgerungen, jedoch wird das öffentliche Interesse an der Einbürgerung dieser Auslän151 Diese Formulierung geht aus Nr. 3. 1 und 3.2.1 EinbRL nicht so deutlich hervor. Dort heißt es nüchterner: Die Einbürgerung setzt eine [ . . . ] Hinwendung [.. .und... ] Einordnung [.. .und... ] in der Regel ein langfristiges Einleben in die deutsche Umwelt voraus". In dieser Formulierung kommt jedoch das Verdienstprinzip zum Ausdruck: Die Einbürgerung setzt eine Leistung der Einzubürgernden voraus. 152 Oldiges (1986), S. 60. 153 Oldiges (1986), S. 60. Die Aussage des Zitats hat durch die Ersetzung der „Unbescholtenheit" durch die Ausweisungsgründe tendenziell, aber nicht wesentlich an Bedeutung verloren.
154 Zuleeg, NJW 1980, 1185, 1186 f. 155 Vgl. ζ. B. BVerwG, NJW 1982, 538 f. Ausführlich zu dieser Problematik: Marx (1997), § 8 RuStAG, Rn. 131 ff.
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
dergruppen abstrakt und generell bejaht. Eine Einzelfallprüfung findet nur hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen, nicht aber bezüglich des staatlichen Interesses an der Einbürgerung statt. 7. Die rechtliche Ausgestaltung einer Verteilung als Ermessens verfahren bedeutet immer auch, daß die potentiellen Empfänger weitgehend aus dem Verteilungsgeschehen herausgehalten werden. Ihre Einflußmöglichkeiten beschränken sich auf eine verwaltungsrechtliche Remonstration, ein Widerspruchsverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO und eine ungewiße Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO, mittels der nur die Ermessensausübung kontrolliert werden kann. Auf eine Formel gebracht ist das oberste Prinzip bei der Zuteilung der deutschen Staatsangehörigkeit also ein Effizienzprinzip, nämlich das Bestreben durch die Einbürgerung einen sozial wertvollen Bevölkerungszuwachs zu erhalten. Dieses Effizienzprinzip wird gesetzestechnisch durch die Vorbehaltsklausel der Nr. 2.2 S. 3 EinbRL verwirklicht. Die Verknüpfung der Vorbehaltsklausel mit dem Prinzip der Einzelfallwürdigung aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL ist einerseits notwendig, um die Vorbehaltsklausel zur Geltung zu bringen. Es eröffnet den Einbürgerungsbehörden andererseits die Möglichkeit, bei ihrer Entscheidungsfindung auch Billigkeitserwägungen anzustellen. Inhaltlich formulieren die Einbürgerungsvorschriften eine Reihe von Verdienstkriterien, die die Erfüllung des Effizienzzieles gewährleisten sollen und die lediglich aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit, des familiären Status oder wegen humanitärer Bedürftigkeit durchbrochen sind. Im Ergebnis bestehen vielerlei Spielräume für eine individuelle Einbürgerungspolitik der Länder. 156 „Mit der alleinigen Betonung des staatlichen Interesses an der Einbürgerung als dem Zweck der Ermessenseinräumung ist den Einbürgerungsbehörden die Möglichkeit gegeben, eine eigene umfassende und je nach den Bedürfnissen flexible oder kontinuierliche Einbürgerungspolitik zu entwickeln." 157 Diese Flexibilität spiegelt sich in dem gesamten Verteilungsverfahren wieder. Die einzelnen Verteilungskriterien sind häufig vage, und sie lassen sich unterschiedlich gewichten. Das Verfahren ist überwiegend diskretionär. Diese Besonderheiten des Einbürgerungsrechts bedingen seine Umsetzung. Wie also vollziehen die einzelnen Bundesländer das Einbürgerungsrecht?
II. Schwankungen in der Einbürgerungspraxis 1. Die Einbürgerungspraxis: Statistische Darstellung
Die Ermessensspielräume im Einbürgerungsrecht legen die bereits erwähnte Annahme nahe, daß sich die Einbürgerungsquoten der einzelnen Länder unterschei156 Vgl. nochmals die praxisnahe Beschreibung der Vielfalt möglicher Ermessenskriterien bei Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 57 ff. 157 Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 44.
II. Schwankungen in der Einbürgerungspraxis
81
den. Diese Annahme soll im folgenden statistisch überprüft werden durch einen Vergleich der Ermessens-Einbürgerungsquoten der Länder. Die Beschränkung der statistischen Berechnungen auf die Ermessenseinbürgerungen hat drei Gründe: Erstens sind die Ermessenstatbestände, insbesondere § 8 RuStAG, von der rechtlichen Konstruktion des Einbürgerungsrechts her nach wie vor der Normalfall. Sie betreffen „das Herz" des Einbürgerungsrechts. Die Praxis der Länder bei den Ermessenseinbürgerungen ist daher besonders aussagekräftig für die Einstellung der jeweiligen Länder zum Einbürgerungsrecht insgesamt. Zweitens haben die Einbürgerungsbehörden bei den Ermessenseinbürgerungen den größten Entscheidungsspielraum. Somit wäre hier für die Länder der vorrangige Ort, um auf legale Weise eine eigenständige Einbürgerungspolitik durchzusetzen. Dementsprechend werden, drittens, bei den Staatsangehörigkeitsreferentenbesprechungen überwiegend Fragen zu den Ermessenseinbürgerungen erörtert. Die folgenden Seiten konfrontieren den Leser mit den einschlägigen statistischen Daten: Tabelle 4 enthält die Einbürgerungszahlen nach Bundesländern und Art der Einbürgerung für die Jahre 1991 bis 1996. 158 Um die relative Bedeutung der Ermessenseinbürgerungen abschätzen zu können und der Vollständigkeit halber werden auch die Zahlen für die Anspruchseinbürgerungen wiedergegeben. Tabelle 5 gibt die absolute Zahl an Ausländern in den Bundesländern für den Zeitraum von 1981 bis 1990 wieder. Zunächst wird die Aussagekraft der Statistik für die Zwecke dieser Untersuchung erläutert. Danach wird dargelegt, wie die Einbürgerungsquoten der Länder berechnet werden, um im Anschluß daran die Berechnungen durchzuführen und auszuwerten.
158 Vor 1991 wurden die Einbürgerungstatistiken vom Statistischen Bundesamt nicht nach Art der Einbürgerung und nach Bundesländern aufgeschlüsselt. Eine Statistik für 1997 oder 1998 war zum Abschluß der Arbeit noch nicht erhältlich. Die Einbürgerungsstatistik eines Jahres erscheint etwa im Spätherbst des darauffolgenden Jahres. 6 Bultmann
82
C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht Tabelle 4 Einbürgerungen nach Bundesländern und Art der Einbürgerung für die Jahre 1991 bis 1996 159 Bundesland
1991 Bad.-Württ. Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Nieders. Nordrh.-Wf. Rheinl.-Pf. Saarland Schl.-Holst. Deutschland 1992 Bad.-Württ. Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Nieders. Nordrh.-Wf. Rheinl.-Pf. Saarland Schl.-Holst. Deutschland 1993 Bad.-Württ. Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Nieders. Nordrh.-Wf. Rheinl.-Pf. Saarland Schl.-Holst. Deutschland
Einbürgerungen insg.
Anspruchseinbürgerungen
darunter gem. Ermessenseinbürgerungen160 § 86 II AuslG
33.641 18.538 7.515 477 5.277 9.016 15.038 36.905 10.206 1.196 2.214 141.630
29.696 15.391 1.844 219 3.786 6.511 13.166 31.571 9.295 678 1.520 114.335
3.945 3.147 5.671 258 1.491 2.505 1.872 5.334 911 518 694 27.295
Wurde nicht erhoben.
36.006 29.487 9.743 392 4.233 11.835 17.993 44.058 17.671 1.868 2.234 179.904
31.837 26.243 976 83 1.751 8.295 15.257 37.174 16.303 1.466 1.379 142.862
4.169 3.244 8.767 309 2.482 3.540 2.736 6.884 1.368 402 855 37.042
Wurde nicht erhoben.
39.981 30.692 9.458 1.734 5.234 14.485 21.454 49.900 14.422 1.954 3.127 199.443
33.862 26.633 1.482 1.446 2.122 9.719 17.798 39.264 13.127 1.524 2.298 154.493
6.119 4.059 7.976 288 3.112 4.766 3.656 10.636 1.295 430 829 44.950
Wurde nicht erhoben.
159 Quelle: Statistisches Bundesamt, Tabelle - VIII Β - 175, Einbürgerungen nach Bundesländern und Art der Einbürgerungen. 160 Der sogenannte Erstreckungserwerb gemäß § 16 Abs. 2 RuStAG erstreckt die Ermessenseinbürgerung auf die sorgeberechtigten Kinder. Einbürgerungen nach dieser Norm werden als Ermessenseinbürgerungen verzeichnet. Erfaßt werden Einbürgerungen, die antragsgemäß beschieden wurden; solche, die im Anschluß an ein Widerspruchsverfahren erfolgten und solche, die gerichtlich angeordnet wurden.
II. Schwankungen in der Einbürgerungspraxis Bundesland 1994 Bad.-Württ. Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Nieders. Nordrh.-Wf. Rheinl.-Pf. Saarland Schl.-Holst. Deutschland 1995 Bad.-Württ. Bayern Berlin Bremen Hamburg Hessen Nieders. Nordrh.-Wf. Rheinl.-Pf. Saarland Schl.-Holst. Deutschland 1996161 Bad.-Württ. Bayern Berlin Brandenbg. Bremen Hamburg Hessen Mecklbg.-V. Nieders. Nordrh.-Wf. Rheinl.-Pf. Saarland Sachsen Sachs.-Anh. Schl.-Holst. Thüringen Deutschland
83
Einbürgerungen insg.
Anspruchseinbürgerungen
Ermessenseinbürgerungen
darunter gem. § 86 II AuslG
47.534 32.900 9.903 3.178 4.929 21.453 31.204 73.021 18.004 2.372 5.591 259.170
43.691 30.077 7.029 3.002 3.527 18.943 29.070 65.048 17.166 2.093 5.025 232.875
3.843 2.823 2.874 176 1.402 2.510 2.134 7.973 838 279 566 26.295
1.258 663 1.131 4 498 978 38 2.527 248 51 155 7.570
50.932 40.200 12.228 3.544 7.730 27.116 39.893 86.136 19.605 3.305 7.248 313.606
45.895 37.202 8.904 3.173 6.017 23.271 37.173 77.116 18.533 3.014 6.554 281.718
5.037 2.998 3.324 371 1.713 3.845 2.720 9.020 1.072 291 694 31.888
2.303 992 1.778 28 798 1.832 1.211 3.602 362 66 291 13.290
45.760 39.806 10.268 2.734 3.208 8.726 27.278 1.298 38.423 85.542 18.102 2.772 6.621 3.311 6.578 2.403 302.830
39.119 36.616 7.308 2.600 2.913 6.552 22.185 1.170 35.352 74.733 16.618 2.460 6.324 3.198 5.824 2.254 265.226
6.641 3.190 2.960 134 295 2.174 5.093 128 3.071 10.809 1.484 312 297 113 754 149 37.604
3.373 1.310 1.787 10 179 1.168 2.555 5 1.413 5.173 634 94 16 -
352 1 18.070
Diese Tabelle erfaßt auch die Statistiken für die neuen Bundesländer. Das geschieht nur, um einen Eindruck über die aktuelle Einbürgerungssituation dort zu vermitteln. Für die übrigen Jahre wurde auf eine Wiedergabe der Einbürgerungsstatistiken der neuen Bundesländer verzichtet, da das untersuchte Material über deren Einbürgerungspraxis keinen Aufschluß gibt. Hinzu kommt, daß keine Statistiken über die Ausländeranteile in diesen Gebieten für die Jahre 1981 bis 1990 verfügbar sind. 6*
84
C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht Tabelle 5 Ausländer in den Bundesländern für den Zeitraum 1981 bis 1990 in absoluten Zahlen 162 Ausländer in 1000
Bundesland 1981
1982
1983
1984
1985
Bad.-Württ.
933,1
919,8
874,8
845,2
840,0
Bayern
708,5
709,7
686,9
666,3
667,8
Berlin
225,9
234,7
236,2
240,3
254,3
51,2
51,7
50,3
46,8
46,9
Hamburg
151,6
172,6
173,1
168,6
170,8
Hessen
516,9
522,8
516,1
506,3
512,3
Nieders.
299,1
300,6
290,7
273,7
274,9
Nordrh.-W.
1.435,2
1.443,6
1.403,0
1.324,2
1.319,8
Rheinl.-Pf.
169,2
170,9
166,5
161,5
161,7
Saarland
45,6
46,0
45,0
44,5
45,4
Schl.-Holst.
93,3
94,5
92,5
86,2
85,1
Deutschland
4.629,7
4.666,9
4.534,9
4.363,6
4.378,9
1986
1987
1988
1989
1990
Bad.-Württ.
863,5
867,7
912,1
968,6
1.010,5
Bayern
691,1
631,6
679,2
736,7
842,6
Berlin
257,8
228,9
246,5
276,4
317,6
48,7
46,4
50,2
56,8
63,9
Bremen
Bundesland
Bremen
Ausländer in 1000
Hamburg
175,8
150,2
154,7
166,2
198,6
Hessen
528,4
481,8
509,2
552,4
615,5
286,7
268,4
283,8
310,8
338,8
Nordrh.-W.
1.358,9
1.289,1
1.358,7
1.453,7
1.590,1
Rheinl.-Pf.
167,7
155,6
166,2
182,8
205,5
47,1
44,2
46,7
50,8
57,6
Nieders.
Saarland Schl.-Holst.
87,1
76,8
81,7
90,8
101,9
Deutschland
4.512,7
4.240,5
4.489,1
4.845,9
5.342,5
Quelle: Statistisches Bundesamt, Tabelle Bevölkerung und Ausländer in den Bundesländern. Methodische Hinweise zur Durchführung der Ausländerstatistikfinden sich im Statistischen Jahrbuch (1997) unter Punkt 3.0, Bevölkerungsstatistik. Eine umfassende Beschreibung zur demographischen Entwicklung der „Ausländer im Bundesgebiet" gibt Fleischer (1986) und (1987).
II. Schwankungen in der Einbürgerungspraxis
85
2. Zur Aussagekraft der Statistik Die Datenführung erfolgte nicht immer fehlerfrei. 163 Beispielsweise gab es Probleme mit der statistischen Umstellung bei der Änderung der §§ 85, 86 Abs. 1 AuslG von Ermessenstatbeständen zu Anspruchseinbürgerungen. 164 Die Verläßlichkeit der Statistiken wurde mehrmals auf den Staatsangehörigkeitsreferentenbesprechungen thematisiert, denn die politische Relevanz der Einbürgerungsstatistiken bietet Anlaß genug, die Datenerhebung ständig zu verbessern. Nicht selten erfolgen in den Länderparlamenten oder im Bundestag diesbezügliche Anfragen. 165 Deshalb kann davon ausgegangen werden, daß die Statistiken sorgfältig geführt wurden und ein verläßlicher Indikator für die Einbürgerungspraxis in den einzelnen Bundesländern sind. Hinsichtlich der Ermessenseinbürgerungen ist die Aussagekraft der Statistik in zweifacher Weise beschränkt: 1. Die Statistik für die Ermessenseinbürgerungen differenziert nicht zwischen den verschiedenen Tatbeständen der §§ 8 und 9 RuStAG und bis zum 1. Juli 1993 nach §§85 und 86 AuslG. Diese Unsauberkeit ist für die nachfolgende Untersuchung jedoch ohne große Bedeutung, denn sie stellt die Proportionen zwischen den Ländern hinsichtlich ihrer Einbürgerungsquotienten nicht ernstlich in Frage. Zwar bestehen zwischen §§8 und 9 RuStAG beträchtliche Unterschiede in der Ermessensspanne. Es ist jedoch plausibel davon auszugehen, daß das quantitative Verhältnis zwischen beiden Tatbeständen in allen Ländern vergleichbar ist. Insofern ist es unschädlich, wenn die Statistik zwischen den beiden Tatbeständen nicht unterscheidet. Das Gleiche gilt für die Anteile von Einbürgerungen nach § 8 RuStAG und nach den §§85 und 86 AuslG, die ebenfalls in allen Ländern ähnlich sein dürften. 2. Wegen des beschränkten Umfangs des empirischen Materials bezieht sich die Untersuchung auf die Einbürgerungsjahre von 1991 bis 1996. Die §§85 und 86 Abs. 1 AuslG fungieren seit dem 1. Juli 1993 als Anspruchseinbürgerungen. Die Statistiken für die Ermessenseinbürgerungen beziehen sich daher für die jeweiligen Zeiträume vom 1. 1. 1991 bis zum 31. 6. 1993 und vom 1. 7. 1993 bis zum 31. 12. 1996 teilweise auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Die jeweiligen Vergleichs163 Sie erfolgte auch nicht immer bundeseinheitlich. Zum Beispiel wurde in Berlin einige Jahre lang bei der Einbürgerung türkischer Staatsangehöriger die Hinnahme von Mehrstaatigkeit verzeichnet. Bei Türken erfolgt (ebenso wie ζ. B. bei Spaniern und Portugiesen) die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit erst nach Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Andere Bundesländer verzichteten auf diesen Eintrag im Vertrauen auf die später zu erfolgende Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit. Fehler können auch entstanden sein, wenn eine Verzichtserklärung so behandelt wurde, als führe sie tatsächlich zur Entlassung aus der Staatsangehörigkeit. Gerade diese Fehlerquelle betrifft hingegen nicht die vorliegende Untersuchung. 164 165
Hinweis aus den Staatsangehörigkeitsreferentenbesprechungen.
Vgl. dazu die Darstellung von vier Anfragen im Bundestag im Zeitraum von 1973 bis 1982 bei Hecker (1990), S. 137 ff.
86
C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
jähre vor und nach dem 1. 7. 1993 sind daher nur bedingt vergleichbar. 166 Deshalb wurden die Einbürgerungsquoten für verschiedene Zeiträume berechnet und zwar jeweils für den Zeitraum 1991 bis 1993 und 1993 bis 1996. Hierbei ergaben sich zwischen den beiden Berechnungszeiträumen hinsichtlich der Einbürgerungsquoten der Länder keine wesentlichen Unterschiede. 167 Deshalb wurde die Differenzierung zwischen beiden Zeiträumen aufgegeben und nur die Berechnung für die Einbürgerungsjahre von 1991 bis 1996 insgesamt zugrunde gelegt.
3. Berechnungsmodus für die Einbürgerungsquoten Den jeweiligen Einbürgerungsdaten sind die „einbürgerungstauglichen" Ausländer gegenüber zu stellen. Gemäß Nr. 3.2.1 EinbRL kommt eine Ermessenseinbürgerung erst nach einem zehnjährigem Daueraufenthalt im Bundesgebiet in Betracht. Einbürgerungstauglich sind somit diejenigen Ausländer, die seit mindestens zehn Jahren im Bundesgebiet leben. Die Quote für die Ermessenseinbürgerungen ergibt sich aus dem Verhältnis dieser Ausländer zur Zahl der tatsächlich in einem bestimmten Einbürgerungsjahr auf Ermessensbasis Eingebürgerten. Für die einzelnen Länder existieren jedoch keine statistischen Angaben über die Anzahl der über zehn Jahre dort Ansässigen. Eine Annäherung an diese Zahl ergibt sich aus der absoluten Zahl an Ausländern, die zehn Jahre vor einem Einbürgerungsjahr in dem jeweiligen Bundesland registriert waren (Basisjahr). Das Basisjahr für das Einbürgerungsjahr 1991 ist beispielsweise 1981. Der Untersuchungszeitraum erfaßt die Ermessenseinbürgerungen aus den Jahren 1991 bis 1996. Um jährliche Schwankungen in den Einbürgerungsstatistiken der Länder auszugleichen, wurden die Daten der Einbürgerungsjahre 1991 bis 1996 addiert. Die Einbürgerungsquote für den Zeitraum 1991 bis 1996 ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Einbürgerungen in diesem Zeitraum zu dem Mittel der Ausländerzahlen der Basisjahre 1981 bis 1986. 168 166 Ein Vergleich der Einbürgerungsquote auf der Basis der Jahre 1991 bis 1996 könnte daher nicht aufdecken, ob gewisse Unterschiede zwischen den Ländern lediglich auf einer überproportionalen Anwendung der §§ 85, 86 AuslG vor dem 1. 7. 1993 beruhten, nach der Umformulierung zu Anspruchstatbeständen aber nicht mehr bestanden. Die beiden Einbürgerungszeiträume könnten unbemerkt jeweils gänzlich unterschiedliche Verhältnisse der Einbürgerungsquoten aufweisen, sich im Ergebnis aber ausgleichen und auf diese Weise das Ergebnis der statistischen Untersuchung zumindestens stark verfälschen. 167
Vgl. die Berechnungen für diese Zeiträume im Anhang G. II. Die Gründe für diesen geringen Einfluß der gesetzlichen Änderung der §§ 85, 86 Abs. 1 AuslG auf die Einbürgerungsquoten der Länder werden im Laufe der Untersuchung offenbar. Sie liegen vor allem darin begründet, daß die Gesetzesänderung die Tatbestandsvoraussetzungen im Wesentlichen unberührt ließ, vgl. Anhang G II. 2. am Ende. 168 Die Ausländerzahlen der Basisjahre sind nicht zu addieren, da die Zahlen für die jeweiligen Jahre anders als bei den Einbürgerungsdaten keinen absoluten Zuwachs angeben, sondern nur den relativen Zuwachs oder Abgang im Vergleich zu anderen Jahren.
II. Schwankungen in der Einbürgerungspraxis
87
Dieser Berechnungsmodus ist unsauber, da die unwahrscheinliche Annahme vorausgesetzt wird, daß die gesamte Zahl der i n einem Basisjahr registrierten Ausländer erst in dem betreffenden Basisjahr und nicht schon eher in die Bundesrepublik eingewandert ist. Diese Überlegung wird durch eine weitere Beobachtung verschlimmert: Die Zahl der Ausländer i m Bundesgebiet schwankt zwischen 1981 und 1990. Während die Zahl zwischen 1982 und 1984 wegen der Rückführaktionen der Bundesregierung und sinkender Asylbewerberzahlen rückläufig ist, steigt sie in den übrigen Jahren a n . 1 6 9 Die Schwankungen weisen eine Spannbreite von 712.800 Ausländern auf. Ein markanter Anstieg um 496.600 Ausländer erfolgte von 1989 auf 1990. Die Berechnung wird also unzuverlässig, wenn die Einbürgerungsdaten nur ins Verhältnis zu den jeweiligen Basisjahren 1981 bis 1986 gesetzt werden. Aus diesem Grunde wurde der Zeitraum der Basisjahre von 1991 bis 1986 für die Durchschnittsberechnung ausgedehnt bis 1 9 9 0 . 1 7 0 Dadurch wird wahrscheinlicher, daß die zugrundegelegte Ausländerzahl der tatsächlichen Zahl der rechtlich einbürgerungsfähigen Ausländer nahe kommt. Der Quotient aus der Einbürgerungssumme der Jahre 1991 bis 1996 durch die durchschnittliche Ausländerzahl der Jahre 1981 bis 1990 entspricht dem Anteil der eingebürgerten Ausländer zu potentiell einbürgerungsfähigen Ausländern und damit der Einbürgerungsquot e . 1 7 1 Tabelle 6 läßt das Ergebnis der Berechnungen erkennen.
169 Dazu Quaritsch (1989), 725. no Die Bestimmung des zusätzlichen Zeitraumes (bis 1990 und nicht ζ. B. bis 1989 oder 1991) beruht auf Plausiblität, ist tatsächlich aber ohnehin von geringer Bedeutung, da die Ausländeranteile für alle Bundesländer in ähnlichem Ausmaße schwanken. 171 Nur potentiell einbürgerungsfähig sind diese Ausländer deshalb, weil die zehnjährige Niederlassung nicht die einzige Einbürgerungsvoraussetzung ist. Der Anteil der rechtlich tatsächlich einbürgerungsfähigen Ausländer läßt sich statistisch nicht erfassen. Das beeinträchtigt die statistischen Berechnungen allerdings nicht, weil die Annahme plausibel ist, daß der Anteil der potentiell einbürgerungsfähigen zu den rechtlich einbürgerungsfähigen Ausländern in den jeweiligen Ländern gleich ist. Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus folgender Überlegung: Die tatsächliche Zahl potentieller Einbürgerungskandidaten ist geringer als die aus den Ausländeranteilen errechnete Zahl, da ein Teil der Ausländer bereits aufgrund von Anspruchstatbeständen eingebürgert wurde. Dennoch wurde darauf verzichtet, von den gemittelten Ausländeranteilen die Anspruchseinbürgerungen zu subtrahieren. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens hätten für das erste Beispiel die Gesamtzahl der Anspruchseinbürgerungen für die Jahre 1987 bis 1993 abezogen werden müssen. Eine Statistik, die die Einbürgerungstatbestände nach Bundesländer aufschlüsselt, wird vom Statistischen Bundesamt aber erst seit 1991 geführt. Zweitens besteht der Großteil der Anspruchseingebürgerten (etwa 4/5) aus Statusdeutschen gemäß Art. 116 Abs. 1 GG. Die Statusdeutschen werden in den Bevölkerungsstatistiken aber nicht als Ausländer erfaßt. Drittens ist der Anteil der Statusdeutschen an den Anspruchseinbürgerungen bis zum 1. 7. 1993 nochmals größer, da bis zu diesem Zeitraum auch die für Ausländer einschlägigen §§85 und 86 Abs. 1 AuslG als Ermessenstatbestände formuliert waren. Sinnvoll wäre es folglich höchstens gewesen, für die Jahre 1993 (ab 1. 7 , also etwa hälftig), 1994, 1995 und 1996 etwa ein Fünftel der Anspruchseinbürgerungen von der Zahl der Einbürgerungskandidaten abzuziehen. Die Unterschiede zwischen den Ländern sind jedoch so klar, daß auf diesen Rechenschritt verzichtet werden konnte.
C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
88
Tabelle 6 Die Einbürgerungsquoten der Bundesländer 172 Bundesland
Durchschnittliche Ausländerzahl 1981 bis 1990
Summe Ermessenseinbürgerungen 1991-1996
Einbürgerungen 91-96 pro durchschnittlicher Ausländerzahl 81-90 (Q_91_96) in %
1. Bayern
702.040
19.461
2,77%
2. Bad.-Württ.
903.530
29.754
3,29%
51.290
1.697
3,31%
3. Bremen.
1.397.630
50.656
3,62%
5. Rheinl.-Pf.
170.760
6.968
4,08%
6. Hessen
526.170
22.259
4,23%
4. Nordrh.-Wf.
7. Saarland
47.290
2.232
4,72 %
8. Schl.-Holst.
88.990
4.392
4,94%
292.750
16.189
5,53%
9. Niedersachsen 10. Hamburg
168.220
12.374
7,36%
11. Berlin
251.860
31.572
12,54%
4.600.490
205.074
4,46%
Deutschland
4. Auswertung Aus der Statistik sind für die vorliegende Untersuchung die Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der Ermessenseinbürgerungen interessant. Die Einbürgerungsquoten (rechte Spalte der Tabelle 6) sind insgesamt niedrig und gegenüber den Anspruchseinbürgerungen (dritte Spalte der Tabelle 4) die seltene Ausnahme. Insofern spiegelt die Statistik schon auf den ersten Blick die dargestellte Rechtslage wieder. Die jährlichen Einbürgerungsquoten für die einzelnen Länder sind realiter niedriger als die Tabelle angibt, da sie auf den addierten Zahlen der Jahre 1991 bis 1996 basieren. Auf eine Dividierung dieser Einbürgerungsquoten durch sechs oder eine Errechnung der Quoten für die einzelnen Jahre wurde verzichtet. Die Einbürgerungsquoten sind ohnehin nicht sehr aussagekräftig, da die Zahl der überhaupt einbürgerungsfähigen Ausländer nicht genau bestimmbar ist. Die Einbürgerungsquoten entsprechen der Feststellung Roger Brubaker's, ein ermessensgeprägtes Einbürgerungsrecht gehe mit niedrigen Einbürgerungsquoten einher. 173 Selbst nach Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes am 1. 1. 1991 172
Quelle: eigene Berechnungen. Brubaker (1989a), S. 109. Auf einer wiederum anderen Ebene liegt die Frage, warum ein Land ein ermessensgeprägtes, restriktives Einbürgerungsrecht hat. Eine Antwort auf diese Frage finden Janoski/Gwennie (soll erscheinen). 173
II. Schwankungen in der Einbürgerungspraxis
89
blieb die Zahl der Ermessenseinbürgerungen relativ gering. Das mag hauptsächlich daran liegen, daß viele Ausländer sich sträuben, ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben. 174 Die Vielfalt möglicher Ursachen für die niedrigen Einbürgerungszahlen stehen hier jedoch nicht zur Diskussion, sondern ein anderes Phänomen: Die Einbürgerungspraxis ist nicht nur restriktiv. Sie variiert auch signifikant innerhalb derselben Rechtsordnung. Die rechte Spalte von Tabelle 6 listet die Länder von oben nach unten mit steigendem Einbürgerungsproporz auf. Markant sind die Unterschiede zwischen den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Bremen und Nordrhein-Westfalen auf der einen und Hamburg und Berlin auf der anderen Seite. Diese Verhältnisse werden durch das folgende Säulendiagramm veranschaulicht.
Bundesland Diagramm 1 : Einbürgerungsquoten der Länder
Das Diagramm verzeichnet auf der Abszisse die westlichen Bundesländer und Deutschland, auf der Ordinate die Einbürgerungsquote in %. Die Kürzel Q_91_93, Q_93_96 und Q_91_96 enthalten die jeweils auf der Basis der Einbürgerungsquo174 Mitteilungen der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer (1993), S. 10 und 14.
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
tienten 1991-93, 1993-96 und 1991-96 errechneten Werte. Die einzelnen Säulen zeigen also den jeweiligen Einbürgerungsquotienten der Länder für den Zeitraum 1991-96 an. Die anfänglich (links) untere, dunklere Linie bezeichnet die Werte für Q_91_93 und die anfänglich obere, hellere Linie die Werte für Q_93_96. Das Diagramm läßt ein deutliches Gefälle zwischen Berlin auf der einen Seite und Bayern auf der anderen Seite erkennen. Bayern bürgert verhältnismäßig am wenigsten (2,77 %), Berlin am meisten Ausländer (10,46 %) ein. Die Extrempositionen dieser beiden Länder und ihrer „statistischen Nachbarn" werden verdeutlicht, wenn man den Vergleich zur Einbürgerungsquote für Deutschland zieht. Die Einbürgerungsquote für das gesamte Bundesgebiet (4,46 %) ist das Mittel der Einbürgerungsquoten. Das Säulendiagramm demonstriert außerdem die oben verkündete gleichartige Verteilung der Quoten für die Einbürgerungszeiträume von 1991 bis 1993 und 1993 bis 1996 (dunklere und hellere Linie). Im weiteren Verlauf der Untersuchung sollen die Einbürgerungsquoten der Länder mit den inhaltlichen Aussagen aus den Staatsangehörigkeitsreferentenbesprechungen verglichen werden. Dazu müssen die Aussagen einzelner Länder den jeweiligen Einbürgerungsquoten zugeordnet werden. Damit die Vertraulichkeit der Protokolle dennoch gewahrt bleiben kann, werden cluster gebildet: Den Ländern werden zufällige Großbuchstaben zugewiesen, so daß nicht erkennbar ist, hinter welchem Buchstaben sich welches Land verbirgt. Sodann werden verschiedene Länder in insgesamt drei Gruppen eingeteilt. Auf diese Weise können die Gruppenmitglieder benannt werden, ohne daß die Identität einzelner Länder aufgedeckt werden müßte. Die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen bilden die „Gruppe Least" mit den Buchstabenschlüsseln Α, Β und J. Die Länder Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz die „Gruppe Less", die als G, I und Κ codiert wurden. Die Länder Berlin und Hamburg die „Gruppe Few", codiert als C und F. 1 7 5 Das Einteilungskriterium ist formal definiert: Die Länder der Gruppe Least haben einen Einbürgerungsquotienten zwischen 0,0231 und 0,0284, die Länder der Gruppe Less zwischen 0,032 bis 0,0447 und die Länder der Gruppe Few zwischen 0,0601 und 0,1133. Ausgenommen wurden die Länder Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein. Sie tauchen in den Protokollen so selten auf, daß sich über ihre Verwaltungspraxis allenfalls punktuelle Aussagen machen lassen. Sie bilden zusammen mit einigen neuen Bundesländern, die sich ebenfalls nur sehr vereinzelt in den Protokollen äußern, eine Restgruppe.
17 5 Die Gruppenbezeichnungen sind in keiner Weise polemisch gemeint. Sie finden ihren sachlichen Grund darin, daß Deutschland im internationalen Vergleich die niedrigsten Einbürgerungsraten hat, vgl. ζ. B. Zimmer (1996), S. 85; Brubaker (1989a), S. 108 ff., insbesondere S. 118; vgl. auch Brubaker (1992), S. 75 ff.
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II. Schwankungen in der Einbürgerungspraxis Tabelle 7 Die Einbürgerungsquoten nach Ländergruppen 176 Gruppe
0 Ausländerzahl 1981 bis 1990
Summe Ermessenseinbürgerungen 1991-1996
Einbürgerungen 91 - 9 6 pro 0 Ausländerzahl 81-90 (Q_91_96) in %
3.003.200
99.871
3,33%
Less
989.680
45.416
4,59%
Few
420.080
43.946
10,46%
Least
Q _ 9 3 _ 9 6 Q _ 9 1 _ 9 3 I Least
Less
1Q _ 9 1 _ 9 6
F e w
Bundesland Diagramm 2: Einbürgerungsquoten nach Gruppen
Tabelle 7 enthält die Einbürgerungsquotienten der einzelnen Gruppen. Zwischen den einzelnen Gruppen sind deutliche Unterschiede erkennbar, die durch das nachfolgende Säulendiagramm plastisch gemacht werden. Die Unterschiede zwischen den drei Gruppen sind dort wiederum auch für die Einbürgerungszeiträume 1991 93 und 1993-96 (dunkler und heller Strich) erkennbar. Durch die cluster-Bildung werden die Unterschiede zwischen den Ländergruppen stark verdeutlicht. Die 176 Quelle: eigene Berechnungen.
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C. Lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht
Gruppe Few verzeichnet mit Abstand am meisten Einbürgerungen (10,46 %). Die Länder der Gruppe Least (3,33 %) haben einen geringeren Abstand zum Mittelfeld der Gruppe Less (4,59 %) und sind also weniger extrem als die Länder der Gruppe Few. Um die Unterschiede in den Einbürgerungsquoten statistisch nachzuweisen, wurde die Verteilung der Einbürgerungsquoten mittels des Kolmogorov-SmirnovTestes auf eine Normalverteilung geprüft. 177 Der Kolmogorov-Smirnov Test entdeckt Abweichungen von der Normalverteilung bei kleinen Stichprobenumfängen. 178 Der Test ergab, daß die Einbürgerungsquoten der elf Bundesländer als Stichprobe einer „normalverteilten Grundgesamtheit" angesehen werden dürfen. Die exakten Signifikanzwerte liegen weit über einem Signifikanzniveau von alpha = .05 (zweiseitig). Damit bestätigt der Test das Bild, das sich schon aus dem Säulendiagramm ergeben hat. Der Test auf die Normalverteilung wurde durch einen Ausreißertest nach Dixon ergänzt, der für kleine Stichproben konstruiert ist. 1 7 9 Ausreißer sind extrem gelegene Beobachtungen, die gerade wegen ihrer extremen Lage aussagekräftig für die Grundgesamtheit sein können. Der Beobachter legt dabei ein Modell - im vorliegenden Fall eine Normalverteilung - zugrunde und faßt den extremsten Wert als Abweichung von diesem Modell auf. Der extremste Wert ist in diesem Fall die Einbürgerungsquote von Berlin. Bei Ν = 11 Untersuchungsobjekten (die 11 Bundesländer) ist der Signifikanzwert für alpha = .02 (zweiseitig) auf .669 und für alpha = .1 (zweiseitig) auf .576 festgelegt. Für den Einbürgerungszeitraum 1991 — 96 beträgt der Dixonwert für Berlin .75798. Es besteht also eine Signifikanzwahrscheinlichkeit für ein Niveau von alpha = .02. Die Einbürgerungsquote von Berlin kann mithin als signifkanter Ausreißer innerhalb der Einbürgerungsquoten der Länder angesehen werden. Die statistischen Tests ergaben signifikante Unterschiede in der Einbürgerungspraxis der Länder. Eine mögliche Ursache für diese Unterschiede wird im nächsten Kapitel formuliert und untersucht.
177 Dazu wurde die statistische Nullhypothese H 0 formuliert, derzufolge eine Normalverteilung vorliegt. Die Nullhypothese konnte angenommen werden. Die Ergebnisse der statistischen Berechnungen sind im einzelnen im Anhang G. II. ausgeführt. 178
Vgl. Sachs (1992), S. 427 ff. Die Ausländer- und Einbürgerungsdaten entstammen keiner Stichprobe, sondern sind gleich der Grundgesamtheit. Das hindert nicht den Test auf eine Normalverteilung der Daten. 179 Zum Dixon-Test vgl. Sachs (1992), S. 362 f. Je kleiner eine Stichprobe ist, umso unwahrscheinlicher sind Ausreißer. Der gängige z-Test ist nur bei größeren Stichproben verläßlich. Für kleine Stichproben (n > 25) wird er kaum verwendet.
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis I. Hypothese zur lokalen Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht Im folgenden wird die Hypothese formuliert, daß die Unterschiede in der Einbürgerungsstatistik auf einer unterschiedlichen Rechtsanwendung beruhen. Leithypothese der Arbeit ist die Annahme, daß die unterschiedlichen Einbürgerungsstatistiken der Bundesländer zumindestens teilweise auf unterschiedlichen Auffassungen über eine gerechte Einbürgerungsregelung beruhen. Diese Annahme besteht aus einer Verkettung von drei Unterannahmen: Erstens, die Unterschiede in der Einbürgerungsstatistik finden ihre Ursache in einer unterschiedlichen Einbürgerungspraxis der Ländern. Sie stammen mithin aus der Sphäre der Einbürgerungsbehörden, nicht aus der Sphäre der Bewerber. Zweitens, die jeweilige Einbürgerungspraxis beruht auf einem bestimmten Verständnis und also einer unterschiedlichen Anwendung des Einbürgerungsrechts. Drittens, diese abweichenden Deutungen des Einbürgerungsrechts sind Ausdruck verschiedener Auffassungen über eine gerechte Einbürgerungsregelung. Dieses Phänomen Hesse sich als „lokale Gerechtigkeit" bezeichnen. 1. Die erste Unterannahme innerhalb der Leithypothese, daß die unterschiedlichen Einbürgerungsquoten auf das Handeln der Behörden und nicht der Bewerber zurückzuführen sind, kann mit der geplanten Inhaltsanalyse nicht geprüft werden. Das untersuchte Material gibt über das Verhalten der Ausländer keinen Aufschluß. Diese Lücke in der Untersuchung wird in der anschließenden Auswertung und Kritik gewürdigt. 2. Bezüglich der zweiten Annahme wird die statistisch zu prüfende Hypothese Ho formuliert: Die Unterschiede in der Einbürgerungspraxis beruhen nicht auf einer unterschiedlichen Anwendung des Einbürgerungsrechts. Die Alternativhypothese lautet, daß die statistischen Unterschiede in der Einbürgerungspraxis der Länder gerade auf einem unterschiedlichen Verständnis des Einbürgerungsrechts beruhen. Die Ho ist plausibel, weil die Länderbehörden an dieselben Rechtsgrundlagen gebunden sind und eine einheitliche Rechtsanwendung daher nahe liegt. Deshalb ist sie auch negativ formuliert. Eine positive Formulierung, die gerade davon ausgehen würde, daß die Unterschiede in der Einbürgerungspraxis auf einer unterschiedlichen Rechtsanwendung beruhen, ließe sich statistisch
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
leichter und daher im Ergebnis weniger verläßlich nachweisen. Wenn die Ho bestätigt werden könnte, implizierte das zugleich, daß die Einbürgerungsunterschiede auf andere Ursachen als eine divergierende Rechtsanwendung (ζ. B. Bewerberverhalten, Zufälle) zurückgehen. Falls die Ho falsifiziert werden könnte, wäre die alternative Hypothese wahrscheinlich richtig. 3. Die dritte Unterannahme bezieht sich auf die Motive der Einbürgerungsbehörden. Ihr liegt außerdem eine wertende Betrachtung zugrunde, da sie die Motivationen der Behörden beurteilt. Sofern die Einbürgerungsregelungen der Länder divergieren, sollen diese Regelungen als lokale Gerechtigkeiten gedeutet werden. Eine derartige Hypothese ist keiner streng statistischen Überprüfung zugänglich. Um die Richtigkeit der dritten Unterannahme abschätzen zu können, müssen die Begründungen der Behörden für ihre jeweilige Einbürgerungsregelung analysiert werden. Der Schwerpunkt des empirischen Teils liegt zunächst bei einer empirischen Untersuchung der zweiten Unterannahme: Die Hypothese H 0 und die inhaltliche Hypothese werden mittels einer Inhhaltsanalyse von Protokollen der Staatsangehörigkeitsreferentenbesprechungen überprüft. Das Material und die Methode seiner Untersuchung werden im folgenden dargestellt.
II. Beschreibung der Methode 1. Der Untersuchungsgegenstand a) Das Untersuchungsmaterial Grundlage der Inhaltsanalyse sind 13 Verlaufsprotokolle der sogenannten „Staatsangehörigkeitsreferentenbesprechungen" aus den Jahren 1991 bis 1996. Diese Tagungen finden etwa zweimal pro Jahr an wechselnden Orten im Bundesgebiet statt. Dort treffen sich höhere Verwaltungsbeamte aus den Staatsangehörigkeitsabteilungen des Bundesinnenministeriums und der Innenministerien und Innensenatsverwaltungen der Länder, um über aktuelle Probleme des Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsrechts zu diskutieren. Regelmäßig sind außerdem das Auswärtige Amt und das Bundesverwaltungsamt vertreten. Häufige Teilnehmer sind außerdem Referenten aus anderen Abteilungen des Bundesinnenministeriums (ζ. B. der Vertriebenenabteilung) oder aus anderen Ministerien (ζ. B. des Bundesministeriums für Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit, BMZ). Selten sind alle Bundesländer vertreten. Kleinere Länder lassen sich häufiger entschuldigen als größere. Die meist zweitägigen Veranstaltungen erfolgen auf Einladung des Referates für Staatsangehörigkeitsfragen im Bundesinnenministerium nach vorheriger Absprache mit den Ländervertretern. Von den Referentenbesprechungen wird im Bundes-
II. Beschreibung der Methode
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Innenministerium ein Protokoll erstellt. Sämtliche ausgewerteten Protokolle wurden von demselben Protokollführer erstellt. Die Protokolle versendet der Protokollführer als Entwurf an die Länder mit der Aufforderung, Ergänzungs- oder Änderungswünsche zu äußern. Zu Beginn der daraufhin ergehenden Endfassung vermerkt er zumeist, daß sämtliche Korrekturwünsche berücksichtigt wurden. 1 Dieses Rückkopplungsverfahren gewährleistet die Authentizität des Protokolls. Das Protokoll gibt die wesentlichen Argumentationen zu den einzelnen Diskussionspunkten wieder. Nicht immer, aber meistens werden die Aussagen ihren Urhebern zugeordnet. Die Mehrzahl der Diskussionspunkte wird von den Vertretern des Bundesinnenministeriums angeregt. Sie legen auch die Tagesordnungspunkte fest. Die Zahl der Tagesordnungspunkte variiert etwa zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig. Jene Fragen, die aus Zeitmangel nicht wie vorgesehen behandelt werden können, werden für die nächste Besprechung erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Ziel der Tagungen ist ein Informationsaustausch und die Vereinheitlichung der Rechtsausübung im Staatsangehörigkeitsrecht innerhalb des Bundesgebietes. Die Referenten diskutieren aktuelle Rechtsprobleme, die sich in ihren Verwaltungen ergeben haben.2 Sie stellen ihre Lösungen dieser Schwierigkeiten zur Diskussion oder erbitten einen Erfahrungsaustausch. Der Schwerpunkt dieser Erörterungen liegt im Einbürgerungsrecht. Die aufgeworfenen Fragen werden nicht bis zum Ende ausgestritten. Die erfolgenden Abstimmungen sind nicht im Sinne des Mehrheitsprinzips verbindlich. Eine Festlegung der Einbürgerungspraxis über die unverbindliche Aussprache hinaus erfolgt nicht. Es kommt jedoch häufiger der Wille zur einheitlichen Rechtsausübung zum Ausdruck. Verfolgen einzelne Länder eine Verwaltungspraxis, die von der mehrheitlichen Rechtsausübung abweicht und möchten sie an dieser Praxis festhalten, so begründen sie das regelmäßig. Insofern kann man von einem faktischen „Vereinheitlichungsdruck" sprechen: Ein Abweichen von der herrschenden Meinung sollte nur mit guten Gründen erfolgen. 3
1 Dem Verfasser ist lediglich ein Fall bekannt, in dem einem Änderungswunsch nicht entsprochen wurde. 2 Die referierten Fragen mögen inzwischen andere Antworten finden. Daher bietet diese inhaltsanalytische Darstellung keinen Kommentar zu den Feinheiten des Einbürgerungsrechts. Andererseits demonstriert die Darstellung die Argumentationen von Experten des Einbürgerungsrechts. Insofern wird eine „Fundgrube" für fachkompetente Äußerungen und Begründungen im Einbürgerungsrecht geboten. Die Argumente als Begründungselemente sind stets dauerhafter als die Sache, um die sie sich drehen. Viele Gesichtspunkte dürften in ganz ähnlicher Konstellation ein geändertes Einbürgerungsrecht betreffen. 3
Diese Aussage ist ein wenig spekulativ. Es ist denkbar, daß Mindermeinungen sich einer Diskussion gar nicht erst stellen oder sich in Abstimmungen enthalten. Wahrscheinlich ist das aber nicht. Die Referentenbesprechungen sind eine (rechts-) politische Veranstaltung. Grundsätzlich wird jedes Land die eigene Einbürgerungspraxis für vorzugswürdig halten und dementsprechend versuchen, auf die anderen Länder Einfluß zu nehmen.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
b) Inhaltsanalytische Einheit Die folgenden drei Abschnitte klären, was genau aus den Protokollen erhoben werden soll und auf welche Weise dies geschehen soll. Die Stellungnahmen der Länder zu den einzelnen Erörterungspunkten werden nach bestimmten Kriterien klassifiziert. Die Grundgesamtheit setzt sich aus sämtlichen Argumenten zu einbürgerungsrechtlichen Fragen aus allen Referentenbesprechungen zusammen. Die Besprechungen fanden erstmals Anfang der siebziger Jahre statt. Die untersuchte Stichprobe umfaßt nur die erwähnten 13 Protokollen aus dem Zeitraum von 1990 bis 1996. Die Stichprobenwahl findet ihren Grund in einer Änderung der Rechtsgrundlagen: Am 1. 7. 1990 trat die novellierte Fassung des Ausländergesetzes in Kraft. Darin wurden die Einbürgerungstatbestände der §§ 85 ff. AuslG von Kann- zu Sollvorschriften geändert. Deshalb erschien es sinnvoll, keine Protokolle aus der Zeit vor 1990 zu berücksichtigen, um die Aussagen der Referenten zu aktuellen und einheitlichen Rechtsgrundlagen zu haben. Das verbleibende Material war vom Umfang ausreichend um verläßliche Aussagen zu machen. Aus den Protokollen wurden alle Tagesordnungspunkte referiert, die Zumindestens eine argumentativ belegte Stellungnahme enthalten. Aussageeinheit ist die „Ermessensausübung im Einbürgerungsrecht". Erhebungseinheit sind die geäußerten Sätze der Referenten. Es wurden nur Äußerungen erfaßt, die sich eindeutig einem bestimmten Vertreter zuordnen lassen konnten. Zähleinheit sind die vorgebrachten Argumente der Ländervertreter. Die Argumente werden zum einen danach klassifiziert, ob sie ein enges oder ein weites Verständnis der Einbürgerungsvorschriften dokumentieren (dazu näher sogleich unter 2.). Zum anderen werden die Argumente nach Argumenttypen klassifiziert, um festzustellen, ob sich mit einem bestimmten Verständnis des Einbürgerungsrechts bestimmte typische Argumentationsweisen verbinden (dazu näher unter 3.).
2. Klassifizierung nach extensiver und restriktiver Auslegung Die Alternativhypothese lautet, daß die statistischen Unterschiede in der Einbürgerungspraxis der Länder auf einem unterschiedlichen Verständnis des Einbürgerungsrechts beruhen. Als erste Voraussetzung zur Bestätigung dieser Hypothese wurde verlangt, daß die Anwendung des Einbürgerungsrechts divergiert (entsprechend statistisch zu prüfende HQ: sie divergiert nicht). Die Hypothese ist bestätigt, wenn a) die Länder in signifikanter Weise in der Anwendung des Einbürgerungsrechts voneinander abweichen und b) die Länder mit einem engen Gesetzesverständnis auch die Länder mit niedrigen Einbürgerungszahlen sind, beziehungsweise die Länder mit einem weiten Gesetzesverständnis auch eine hohe Einbürgerungsquote aufweisen.
II. Beschreibung der Methode
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Entsprechend unserer Prämisse wurde für die einzelnen Länder untersucht, bei welchen Diskussionspunkten sie erkennbar - aus welchen Gründen auch immer eine enge oder eine weite Auslegung vertreten. Das Verhältnis der extensiven zu restriktiven Auslegungen kennzeichnet das sogenannte ,Auslegungsprofil" eines Landes oder einer Gruppe. Die Auslegungsentscheidung kann wie eine Weiche wirken. Das ist immer dann der Fall, wenn eine Einbürgerungsbewerbung an einer Auslegungsentscheidung scheitern könnte, das Scheitern rechtlich aber nicht zwingend ist: Nach der vertretbaren Alternative a würden viele Bewerber eingebürgert, die nach der ebenfalls vertretbaren Alternative b scheitern. Eine Auslegungsentscheidung kann sich also im Ergebnis extensiv oder restriktiv auf die Einbürgerungspraxis auswirken. Diese Einordnung bewertet nicht, ob die jeweiligen Gesetzesansichten und -praktiken rechtmäßig sind oder nicht. Die Äußerungen erheben jedenfalls den Anspruch, sich in den Grenzen des geltenden Rechts zu bewegen und es lediglich zu konkretisieren (dazu unten beispielsweise [ l l ] e oder [43]c). Die Verschiedenheit der Ansichten und Standpunkte ist juristisch nichts Ungewöhnliches und zunächst wertfrei festzustellen. Bei der Scheidung nach engem oder weitem Gesetzesverständnis wurden folgende Grundsätze beachtet: Alle Auslegungen, die möglicherweise zur Ablehnung von Einbürgerungsanträgen führen, die in anderen Ländern wahrscheinlich positiv beschieden werden, sind restriktiv. Umgekehrt ist eine Auslegung extensiv, wenn sie möglicherweise zur Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an Ausländer führt, die in anderen Ländern wahrscheinlich Ausländer bleiben müssen. Das kann zum Beispiel schon dann der Fall sein, wenn in den meisten Ländern schematisch eine Rechtsauffassung gepflegt wird, die potentielle Bewerber begünstigt, während andere Länder sich diesbezüglich eine Einzelfallpriifung vorbehalten (ζ. Β. Β [9], AB [34]). Es geht bei diesen Kategorien also um die Chancen potentieller Einbürgerungsbewerber: Je größer die Chance ist, eingebürgert zu werden, desto eher kann von einer extensiven Einbürgerungsregelung gesprochen werden; je geringer die diesbezüglichen Aussichten sind, desto eher kann von einer restriktiven Regelung gesprochen werden. Diese Auswirkungen auf die Einbürgerungspraxis können unmittelbar oder mittelbar erfolgen. Eine unmittelbare Auswirkung liegt vor, a) wenn die Behörde an das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmales „härtere" rechtliche Anforderungen stellt oder b) wenn sie umfassendere Tatsachenermittlungen anstellt. Eine mittelbare Auswirkung entsteht, wenn eine bestimmte Rechtsanwendung potentielle Einbürgerungsbewerber eher abschrecken oder umgekehrt ermutigen könnte. Das Charakteristische an diesen Kategorien von enger und weiter Auslegung ist, daß sie relativ sind: Ein engeres oder ein weiteres Gesetzesverständnis läßt sich nur im Vergleich zu Auslegungsvarianten bestimmen. Land A vertritt Auslegung x, Land Β Auslegung y. Wenn Auslegung χ zu einem weiteren Anwendungsbereich der Norm führt als Auslegung y, wird Land A bei diesem Diskussionspunkt als ex7 Bultmann
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
tensiv, Land Β als restriktiv eingeordnet. Zu einigen Protokollpunkten wurde keine abweichende Meinung verzeichnet. Wenn sich bei diesen Punkten eine andere (vielleicht gar praktizierte, aber nicht geäußerte) Auslegung aufdrängt, wird diese virtuelle Auslegung als Vergleichsmaßstab genommen (ζ. B. verneint bei HM [13]; [23]; [53], bejaht bei AF [35]; Β [55]). Keine Einordnung als extensiv oder restriktiv erfolgt für die herrschende Meinung, wenn ihr soweit ersichtlich nur eine Stimme entgegensteht (ζ. B. H M [1]; [5]; [9]; [60]) oder ersichtlich nur der Wunsch besteht, eine sachgerechte Problemlösung zu finden, von der nicht gesagt werden kann, sie belaste oder begünstige bestimmte Bewerber (ζ. B. Q [2]; HM [7]; HM [10]). Ebenfalls keine Einordnung erfolgt bei Auslegungen, die lediglich Verfahrensfragen betreffen, ohne daß mit ihnen etwas gesagt wäre über die Einbürgerungschance bestimmter Bewerber (ζ. B. Q [3]h, [4]; [21]; [37]). Auch bei den Gebührentatbeständen ([67]-[71]) 4 setzt sich der jeweilige Trend der Länder fort. Sie wurden in die Statistik übernommen, aber nicht deshalb, weil sie die Entscheidung potentieller Bewerber, einen Einbürgerungsantrag zu stellen, beeinflussen können, sondern weil plausiblerweise davon ausgegangen werden kann, daß die Gebühren in der Perzeption der Referenten die Entscheidungen der Einbürgerungsbewerber beeinflussen. 5 Aus der Sicht der Referenten eröffnen die Gebührentatbestände damit eine weitere Möglichkeit, mittelbar die Menge an Einbürgerungen zu steuern. Die Protokolle enthalten sieben Tagesordnungspunkte, die keine Ermessenseinbürgerungen betreffen ([42]-[44] und [72]-[75]). Sie wurden in der Tabelle nicht berücksichtigt, gleichwohl sich die Tendenzen, die sich bei der Auswertung zeigen werden, auch bei diesen Fragen fortsetzen.
3. Klassifizierung nach Argumenttypen Klassifikation und Klassifikationsziel hängen eng zusammen. Um die Argumente, die von den Referenten zu den unterschiedlichen Punkten geäußert und in den Protokollen festgehalten wurden, im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit einordnen und würdigen zu können, war es erforderlich, eine passende, möglichst aussagekräftige Klassifikation vorzunehmen. Es kam darauf an, übersichtliche, eingängige, eindeutige und ausschließliche Kategorien zu bestimmen. Die Klassifikation muß vollständig sein, also sämtliche vorkommenden Elemente erfassen. 4 Punkt [71] betrifft die Gebühren im Widerspruchsverfahren. Sie betreffen die Entscheidung des abgewiesenen Bewerbers, einen Widerspruch einzulegen und damit wiederum seine Chance, doch noch eingebürgert zu werden. 5 Dazu die Stellungnahme Β [32]c, zur „indirekten Einbürgerungsgebühr" der Entlassungsgebühren. Die Relevanz, die den Einbürgerungsgebühren beigemessen wird, ergibt sich auch aus den diesbezüglichen parlamentarischen Anfragen, die im Zeitraum von 1970 bis 1980 im Bundestag gestellt wurden, Quellennachweise bei Hecker (1990), S. 136 f.
II. Beschreibung der Methode
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Andererseits verringert sich die Verläßlichkeit der Inhaltsanalyse mit der Zunahme der Kategorien. 6 Etwaige Überschneidungen und Einordnungsschwierigkeiten werden dargestellt, um unvermeidliche Interpretationen und die dadurch begrenzte Aussagekraft der Inhaltsanalyse offen zu legen. a) Es wurde ein subjektiver Begriff des Arguments verwendet: Ein Argument ist jede singuläre Aussage, die als Beweisgrund für eine bestimmte Entscheidung oder Behauptung angeführt wird. 7 Maßgeblich ist demnach nicht, ob eine Aussage nach objektiven Kriterien tatsächlich als Argument überzeugen kann. Entscheidend ist, daß eine Aussage subjektiv als Argument taugt und als Argument vorgebracht wird. Singulär ist jede Aussage, die sich nicht in mehrere Bedeutungskomponenten zerlegen läßt, die man also als „atomar" bezeichnen könnte. Es kommt nicht darauf an, in wieviele Aussagen ein Argument zerlegt ist, sondern darauf, wie viele Argumente eine Aussage enthält. Die Klassifizierung der Argumente orientiert sich nicht an syntaktischen Kriterien. Wenn beispielsweise höhere Einbürgerungsgebühren eingefordert werden, weil das günstig für die Haushaltskassse sei, wird der Vorschlag eindeutig mit einer bestimmten Zielbestimmung verknüpft (unten A [69]a). Das Argument wäre als ökonomisches Argument einzustufen. Der Sache nach enthält dieses Argument möglicherweise auch eine gerechtigkeitsbezogene Wertung: Die Allgemeinheit (der öffentliche Haushalt) soll weniger mit Ausgaben belastet werden, die primär im Interesse einzelner Personen erfolgen. Eine solche Wendung des ökonomischen Arguments wäre eine Deutung, die den Aussagegehalt des vorgebrachten Arguments unzulässig erweitern und verzerren würde. Anders verhält es sich, wenn einem Argument kein eindeutiger subjektiver Aussagegehalt zugewiesen werden kann. In solchen Fällen soll es dem Adressaten und Diskussionspartner überlassen bleiben, die naheliegendste Bedeutung der Aussage oder die Kernaussage zu erfassen. Die hierbei bestehenden Unsicherheiten gehen im praktischen Diskurs zu Lasten des Senders. Im vorliegenden Kontext ergaben sich in diesem Punkt jedoch keine besonderen Schwierigkeiten, denn regelmäßig folgten für die Einordnung einer Aussage als Argument genügend Anhaltspunkte aus dem Aussagenkontext: Jedes Argument steht an einem bestimmten Ort in der Diskussion und bekommt durch diesen Kontext einen bestimmten Sinn. Der Diskutant bezieht sich auf eigene oder fremde Behauptungen, reagiert auf Gegenargumente oder ein angesprochenes Problem. Soweit in wenigen Fällen Einordnungszweifel blieben, ermöglichte eine plausible Deutung des Sinngehaltes eine Einordnung. b) Inhaltlich kam es darauf an, die verschiedenen Aspekte von Gerechtigkeit aufzugliedern und zu erfassen. „Gerechtigkeit" im Sinne von lokaler Gerechtigkeit wird sehr weit gefaßt. 8 Sämtliche Verteilungsprinzipien sind dazu geeignet, Ge6 Dazu Friedrichs (1990), S. 87 ff., 93 ff., 321 ff., insbesondere S. 332 und S. 378 ff. Zur Inhaltsanalyse insgesamt Friedrichs (1990), S. 314ff. jeweils mit weiteren Nachweisen. ι Diese Definition ist inspiriert durch Schroth (1980), S. 120. 8 Vgl. Elster (1992), S. 4 ff. 7*
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
rechtigkeitsintuitionen widerzuspiegeln. Gerechtigkeit umfaßt auch Gesichtspunkte von Effizienz sowie Fairness und Billigkeit. In der rechtlichen Betrachtung gehören auch Ausblicke über die Vertretbarkeit gegenüber höheren Instanzen und die Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung zur Effizienz einer Entscheidung. Entscheidungen, die an anderer Stelle wieder aufgehoben werden, können kaum als effizient gelten. Weitere Effizienzaspekte sind die Praktikabilität und die Kosten einer Entscheidung. Der Gedanke der Rechtssicherheit ist das rechtliche Pendant zum Fairnessgesichtspunkt. Diese verschiedenen möglichen Inhalte von Gerechtigkeitserwägungen sind folglich gesondert zu kategorisieren. Im Ergebnis wurden die folgenden sieben Kategorien für richtig erachtet:
a) Gesetzesargumente In diese Kategorie fallen alle Bezugnahmen auf bindene Vorgaben des geltenden Rechts. Erfaßt werden von dieser Kategorie damit nicht nur die klassischen Kanonesargument. Voraussetzung für die Einordnung eines Argumentes in diese Kategorie ist einseits, daß es ganz konkret an die problematische Norm anknüpft und andererseits außer der Herleitung einer Entscheidung aus dem Gesetz keinen eigenständigen Gehalt hat. Merkmal der Gesetzesargumente ist gerade der rein formale Bezug zum geschriebenen Gesetz. Darin unterscheiden sich die gesetzesbezogenen Argumente von politischen, ökonomischen, Gerechtigkeits- und Praktikabilitätsargumenten. Eine Stellungnahme, die eine über das Gesetz und dessen Auslegung hinausgehende Wertung enthält, transportiert ein eigenständiges Entscheidungskriterium. Dementsprechend wurde auch mit den Interpretations- und Kategorisierungsunsicherheiten, insbesondere im Verhältnis zu Gerechtigkeitsargumenten umgegangen.9 Besonders weit ist die Kategorie der systematischen Gesetzesargumente. Jeder Bezug zu Rechtsnormen fällt hierunter. In einigen Fällen ist die Bezugnahme eng verknüpft mit rechtstaatlichen Prinzipien, beispielsweise dem Prinzip des Vorrangs des Gesetzes.10 Im Vordergrund steht hierbei jedoch, daß eine bestimmte Norm angeführt wird, deren Relevanz für das erörterte Problem behauptet wird. Eine besondere Art der Gesetzesargumente sind jene, die ein bestimmtes Verständnis einer Norm zum Anlaß nehmen, ihre Regelungsgrenzen zu bestimmen, also die methodischen Auslegungsprinzipien: Spezialvorschriften sind eng auszulegen; Gesetzesanalogien sind nur zulässig, wenn eine Regelungslücke im Gesetz besteht; der Anwendungsbereich einer Norm findet seine Grenze im Wortlaut. Diese Argumente ließen sich auch als Prinzipienargumente einordnen, da sie sich auf anerkannte Grundsätze der juristischen Methodenlehre stützen. Die Anwendung dieser Auslegungsregeln setzt aber stets ein bestimmtes Gesetzesverständnis 9 Vgl. z. B. Q [42] h ; [67]b. 10 So bei den Argumenten [17] a und [68]f.
II. Beschreibung der Methode
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voraus: Die Norm ist speziell; das Gesetz ist lückenhaft; die Wortlautgrenze ist erreicht. 11 Deshalb sind diesbezügliche Äußerungen als Gesetzesargumente zu verstehen.
b) Prinzipienargumente Diese Kategorie erfaßt bereichsspezifische Grundsätze des Einbürgerungsrechts. Im Unterschied zu den einfachen Gesetzesvorschriften zeichnen sich Prinzipien dadurch aus, daß sie an mehreren Stellen im Gesetz kodifiziert sind. Während bei den Gesetzesargumenten davon ausgegangen wird, daß kein Entscheidungsspielraum besteht, werden Prinzipienargumente gerade herangezogen, um einen bestehenden Entscheidungsfreiraum einzuengen. Das volitive Elemente und die Eigenständigkeit der Prinzipienargumente als Entscheidungskriterium liegen nun gerade darin, daß ein Prinzipienargument und eben nicht ein anderes Argument herangezogen wird. Bereichsspezifische Grundsätze des Einbürgerungsrecht sind beispielsweise die folgenden: 12 (1) Reines Abstammungsprinzip (ius sanguinis), vgl. § 4 RuStAG; (2) Unmittelbarer Erwerb der deutschen (nicht erst der Landes-) Staatsangehörigkeit; (3) Antragsprinzip (gestaltende Akte der Staaatsangehörigkeitsbehörden nur „auf Antrag" der Betroffenen); (4) Grundsätzliches Ermessen bei der Einbürgerung mit Vorrang des Staatsinteresses, vgl. § 8 RuStAG; (5) Einheitliche Staatsangehörigkeit in der Familie, vgl. Nr. 4 EinbRL; 13 (6) Vermeidung von Mehrstaatigkeit, vgl. Nr. 5. 3 EinbRL; (7) Beachtung von Gesichtspunkten der Entwicklungspolitik, vgl. Nr. 5. 2 EinbRL; (8) Vermeidung von Staatenlosigkeit. Die Einordnung als Prinzipienargument erfolgt in Abgrenzung zu den Gesetzesargumenten, wenn ausdrücklich von einem „Grundsatz" gesprochen wird oder wenn ersichtlich kein konkreter Bezug zu einer Norm besteht, in der der fragliche Grundsatz gesetzlich verankert ist. 14 Ein Prinzipienargument liegt auch dann vor, wenn pauschal auf die Eigenständigkeit des Einbürgerungsrechts gegenüber ande11 Dazu unten die Argumente [68]a (Spezialvorschrift), [54]c, [58]d und [71]d (Analogie) und [14]f (Wortlautgrenze). 12 In teilweiser Anlehnung an die Praktikereinführung von Weidelener/Hemberger (1993), S. 9 ff. 13 Weidelener/Hemberger (1993), S. 253 machen in einer Fußnote darauf aufmerksam, daß diese Bestimmung in einigen Bundesländern nicht mehr berücksichtigt wird. Ebenso Bergmann / Korth / Ziemske (1995), S. 51. Vgl. dazu unter Punkt E, VI. 14 Bei den Argumenten [64]d und [64]f wird ausdrücklich von einem Grundsatz gesprochen. Bei diesen Argumenten wird mit dem Grundsatz, daß die Ableistung des Wehrdienstes im Heimatland als Entlassungsbemühung generell zumutbar ist, für ein bestimmtes Verständnis von § 87 Abs. 2 AuslG argumentiert, der an sich die Ableistung des Wehrdienstes aus den zumutbaren Entlassungsbemühung gerade herausnimmt. Argument [64]a erklärt Entlassungsbemühungen apodiktisch für zumutbar, obwohl sie unter den Voraussetzungen der Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3 EinbRL nicht genannt sind.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
ren Rechtsgebieten hingewiesen wird. 15 Teilweise formuliert das Gesetz ausdrücklich einen bestimmten Grundsatz. Nr. 2.1 S. 3 EinbRL schreibt beispielsweise das Prinzip der Einzelfallwürdigung vor. Schwierig ist in einigen Fällen die Abgrenzung zu Gerechtigkeitsargumenten: Es werden nur jene Gesichtspunkte als Prinzipienargumente eingeordnet, die keinen wertenden Bezug zu konkreten Tatsachen aufweisen, sondern allein mit der normativen Geltungskraft des Prinzips argumentieren. 16 Die Charakterisierung eines Argumentes als Gesetzes- oder als Prinzipienargument unterliegt den positiv-rechtlichen Vorgaben und ist insofern „zufällig". Je genauer ein Prinzip konkretisiert und kodifiziert ist, desto eher läßt sich eine Argumentation am Wortlaut festmachen und damit als Gesetzesargument klassifizieren. Besonders deutlich wird das bei dem Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit aus Nr. 5.3.1 EinbRL. Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3 EinbRL erfassen viele real vorkommende Einzelfälle, so daß eine Stellungnahme zu diesbezüglichen Zweifelsfragen sich im Zweifel am Gesetzeswortlaut festmachen läßt. 17 Diese Abgrenzungszufälligkeiten beschränken die Aussagekraft der Kategorien indes nur unwesentlich. Um die Entscheidungsfindung zu beschreiben ist nämlich vor allem relevant, daß der rechtliche Weg beschritten wird und daß rechtliche Kriterien ausschlaggebend sind, nicht andere Gesichtspunkte. Insofern werden Gesetzes- und Prinipienargumente bei der späteren Auswertung der Analyse ohnehin in Beziehung zueinander gestellt und gemeinsam in ihrer Beziehung zu anderen Entscheidungskriterien betrachtet.
c) Autoritäre Argumente Immer dort, wo eine Klagebefugnis Betroffener besteht, hat die Justiz das letzte Wort. Die Verwaltung ist faktisch an die Präjudizien der Rechtsprechung gebunden und rechtlich über die Rechtsfigur der Selbstbindung der Verwaltung an ihre eigene Verwaltungspraxis. Die Verwaltungsgerichte binden die Verwaltung an das Recht und an seine eigene Verwaltungspraxis, denn sie kontrollieren das Verwaltungshandeln auf seine Rechtmäßigkeit, und gegebenenfalls ordnen sie eine Korrektur an, §§ 42, 113, 114, 115 Verwaltungsgerichtsordnung. Rechtlich kann die Wie bei den Argumenten [ll]b, [ll]e und [46]c. 16 Vgl. zu Prinzip der Nr. 2.1 S. 3 EinbRL die Argumente [9]a, [16]b, [22]e, [27]c, und [44]b, [57]c, die für konkrete Fallkonstellationen eine gerechte Lösung ansteuern, einerseits und [34]b, [57]a, [62]h und [63]c, die abstrakt am Erfordernis der Einzelfallwürdigung festhalten, andererseits. 17 Beispielsweise bei den Argumenten [29]a, [30]a, [31]a, [31]c oder [65]d, die lediglich pauschal an den Wortlaut der Richtlinie erinnern. Die Argumente [64]a, [64]d, [64]f machen (wie oben beschrieben) die prinzipielle Geltung des Entlassungserfordernisses geltend. Die Argumente [28]a oder [32]a enthalten demgegenüber Wertungen, nämlich konkrete normative Erwartungen gegenüber den Einbürgerungsbewerbern. Argument [32]b wiederum äußert eine wertende Ausnahme von den Erwartungen aus Argument [32]a aus Billigkeitsgründen.
II. Beschreibung der Methode
103
Verwaltung an die behördeneigene Praxis, jene anderer Verwaltungseinheiten oder übergeordneter Verwaltungseinheiten gebunden sein. Entscheidungen können mit dem Hinweis auf Vorentscheidungen ausgeräumt oder gegen Vorentscheidungen durchgesetzt werden. Diese Kategorie erfaßt demnach Argumente, die auf Präjudizien oder eine Verwaltungspraxis Bezug nehmen. In einem Fall wurde auch eine Literaturmeinung als „Autorität" anerkannt. d) Ökonomische Argumente Ökonomische Kriterien bei der Entscheidungsfindung beziehen sich auf ein Kosten-Nutzen-Kalkül: Bringt die Einbürgerung bestimmter Individuen oder typischer Ausländergruppen wirtschaftliche Vorteile oder eher Nachteile? Ein Beispiel ist die Argumentation zu der Frage, ob ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung von Aidsinfizierten besteht.18 e) Politische Argumente Das Einbürgerungsrecht steht aus vielerlei Gründen im lebhaften Interesse der Öffentlichkeit. Mit politischen Argumenten reagieren die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung auf die öffentliche Meinung im weitesten Sinne, namentlich auf perzipierte Wählerwünsche. Die Entscheider setzen sich mit politischen Problemen auseinander, die durch den hohen Ausländeranteil in der Bevölkerung entstehen. Das sind insbesondere Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen Integration und die Ausländerkriminalität. Sie orientieren sich möglicherweise an Parteiprogrammen. Auch außenpolitische Erwägungen gelangen in den Prozeß der Entscheidungsfindung. 19 Als „politisch" werden auch solche Äußerungen verstanden, die voraussetzungslos oder rhetorisch eine bestimmte Einbürgerungsregelung propagieren, ohne auf die öffentliche Meinung oder sonstige sachliche Erwägungen Bezug zu nehmen. Diese Einordnung rechtfertigt sich daraus, daß in diesen Stellungnahmen offenbar eine bestimmte Rechts- oder Einbürgerungspolitik erwünscht wird. 20 Rechtspolitisch sind auch Entscheidungen, die nicht lediglich auf ein bestimmtes einbürgerungsrechtliches Prinzip verweisen, sondern dieses Prinzip ausdrücklich unterstützen oder ablehnen.21 Die meisten politischen Argumente beziehen sich in irgendeiner Form auf die öffentliche Meinung, sei es direkt (z. B. Q [2], F [14]b, 10 [24]c) oder mittelbar, beispielsweise indem zur Einheitlichkeit in der Rechtsanwendung angehalten wird (z. B. G [33]d). 18
Vgl. unten Ordnungspunkt [1]. 19 Ζ. Β. Β [21]a, CJ [24]e. 20 Ζ. B. G [47]c. 21 Ζ. Β. I [18]c, A [19]a und D [5]a.
104
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
f) Praktikabilitätsargumente Sie beziehen sich auf den Nutzen oder den Schaden einer bestimmten Auslegung für die Effizienz der Rechtsausübung. Bei Praktikabilitätsüberlegungen schwingt häufig auch der Gedanke der Rechtssicherheit mit: Eine einfache Verwaltungspraxis ist leichter zu durchschauen und berechenbarer als eine komplexe Regelung, die von Ausnahmen und Unterausnahmen beherrscht wird. Praktikabilitätsargumente schmeißen die Interessen der Verwaltung in die Waagschale.
g) Gerechtigkeitsargumente Gerechtigkeitsargumente oder Argumente der Fairneß sind alle Beweisgründe, die Kriterien der Gleichheit, der Billigkeit, des Verdienstes oder des Bedarfs für eine bestimmte Interpretation anführen. 22 Gerechtigkeitsargumente bewerten Personen, Situationen oder Handlungen. Sie finden eine auf die Interessenkonflikte zwischen dem Staat mit seinen rechtlichen Anforderungen und den Einbürgerungsbewerbern: a) Argumente der Kategorie „Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit" stellen Beziehungen her zwischen bestimmten Gruppen von Einbürgerungsbewerbern und anderen Gruppen von Einbürgerungsbewerbern oder der deutschen Bevölkerung. Sie behaupten das Vorliegen von wesentlichen Gemeinsamkeiten oder erheblichen Unterschieden zwischen diesen Gruppen und fordern daraufhin eine formale Gleichbehandlung oder eben eine Ungleichbehandlung.23 b) In die Kategorie „Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit" fallen Stellungnahmen, die erkennbar eine Einzelfallgerechtigkeit anstreben. Das geschieht in zwei Fällen: Erstens, wenn über Fallkonstellationen gesprochen wird, deren tatsächliche Umstände nur in Umrissen bekannt sind, die in concreto indessen eine Reihe von wichtigen Besonderheiten aufweisen mögen und zweitens, wenn von einer schematischen Regelung im Einzelfall oder für eine Mehrzahl ähnlicher Einzelfälle Abstand genommen werden soll. In letzterer Funktion ist die Billigkeit die „Krücke der Gerechtigkeit" 24. c) Die Unterkategorie „Gerechtigkeitsarg.-Verdienst" erfaßt normative Verhaltenserwartungen, die bezüglich potentieller Einbürgerungsbewerber geäußert werden. Sie antworten auf die Frage: „Was muß ein Bewerber tun oder getan haben, damit er verdient, deutscher Staatsangehöriger zu werden?" Die Einbürgerung wird bei diesen Argumenten als Austauschbeziehung begriffen. Der Bewerber wird ein22
Vgl. zu diesen drei Gerechtigkeitskriterien und ihrer spezifischen Problematik beispielsweise Raiser (1995), S. 228 ff. 2 3 Als Gesetzesargumente wurden diese Gesichtspunkte nur dann eingeordnet, wenn Art. 3 GG ausdrücklich genannt wurde, vgl. Argumente [31]c und [48Jj. 24 Perelman (1967), S. 48.
II. Beschreibung der Methode
105
gebürgert, dafür muß er aber auch selber etwas tun, seine „Schuldigkeit" gegenüber rechtlichen oder auch moralischen Anforderungen erfüllen. Der Bewerber muß sich als „würdig" erweisen, deutscher Staatsangehöriger werden zu dürfen. Erfaßt werden Argumente, die sich auf diese Würdigkeit beziehen und sie entweder verneinen oder bejahen. d) Die Klassifizierung als „Gerechtigkeitsarg.-Bedarf 4 erfolgt dann, wenn ein Argument in erster Linie als schutzwürdig erkannte Interessen der Bewerber verteidigt. Diese Argumente antworten auf die Frage: ,3esteht die Notwendigkeit, einen Bewerber unter erleichterten Voraussetzungen einzubürgern oder auf sonstige Art und Weise rechtlich zu privilegieren?" Auch hier gilt, was für die anderen Argumente gesagt wurde: Die Bedürftigkeit kann bejaht oder verneint werden. Demnach werden die Argumente nach sieben Kategorien klassifiziert: Gesetzesargumente, Prinzipienargumente, Autoritäre Argumente, ökonomische Argumente, politische Argumente, Praktikabilitätsargumente und Gerechtigkeitsargumente. Bei der Kategorienbildung ging es darum, möglichst zweckmäßige und sachgerechte, eindeutige, ausschließliche und vollständige Argumenttypen zu bilden. Bei der Klassifizierung geht es darum, die Argumente präzise den festgelegten Kategorien zuzuordnen. Nur so können die Kategorien ihre erkenntnisleitende Funktion erfüllen. Unter den Bedingungen einer klaren Kategorienbildung und einer sauberen Klassifizierung wird die Untersuchung intersubjektiv nachvollziehbar und damit objektiv. Die Objektivität der Untersuchungsmethode wiederum ist die Voraussetzung für stichhaltige Schlußfolgerungen. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wurden folgende Einteilungsprinzipien beachtet:
4. Klassifizierungsmethode Die nachfolgenden Auslegungsdiskussionen geben Aufschluß über das Entscheidungsverhalten verschiedener Länderadministrationen. Aus Vertraulichkeitsgründen werden die einzelnen Bundesländer verschlüsselt durch die zufälligen Großbuchstaben A bis P. Außerdem gibt es vier anonyme Diskutanten Q, R, S und Τ aus dem Bundesinnenministerium, dem Bundesverwaltungsamt, dem Auswärtigen Amt, sowie dem Bundesministerium für Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Mit X wurde jede Aussage gekennzeichnet, die sich nicht eindeutig zuordnen ließ. HM bedeutet „herrschende Meinung". Unter HM fällt jede Aussage, die ausdrücklich oder erkennbar von der überwiegenden Zahl der Diskutanten gebilligt wird. Erkennbar „HM" ist ein Argument, wenn es von mehr als fünf Ländervertretern geäußert wird. Dieses großzügige Verständnis eines Argumentes als „herrschende Meinung" rechtfertigt sich dadurch, daß in diesen Fällen die Aussage nicht mehr als lokale Besonderheit verstanden werden kann. Die herr-
106
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
sehende Meinung gibt den „main-stream" der Länder an. Was erkennbar die meisten billigen, kann als „nationales Gerechtigkeitsverständnis" interpretiert werden. Die Streitstände werden systematisch den einschlägigen Tatbestandsmerkmalen des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes und der Einbürgerungsrichtlinien zugeordnet. Die Vorschriften werden zur besseren Verständlichkeit des Diskussionstopos wörtlich oder sinngemäß wiedergegeben. In einleitenden Sätzen wird jeweils das Problem geschildert. Daran schließt sich eine konkrete Frage an. 25 Diese Frage wird den Erörterungen jeweils vorangestellt. Die Äußerungen der Referenten wurden teilweise umformuliert. Das geschah, um die Aussagen verständlicher zu machen, sie ihrem Sinn nach besser auf die Eingangsfrage abzustimmen oder schlichtweg, um Ausführungen wegzukürzen, die für die Untersuchung ohne Belang sind. Dort, wo es auf die Formulierung ankommt, wurde zitiert, freilich ohne die Äußerungen als Zitate zu kennzeichnen. Jedes Auslegungsproblem erhält eine durchlaufende Ordnungsnummer. Die Argumente werden jeweils dem einschlägigen Argumenttypus zugeordnet. Da nach unserer Definition jeder angesprochene Gesichtspunkt ein Argument ist, kann eine Aussage mehrere Argumente gleichzeitig enthalten. So kommt es, daß eine Aussage mehrfach klassifiziert werden kann. Das ist jedoch nur in wenigen Ausnahmefällen der Fall. Die Argumentationen wurden nicht kommentiert. Es ist kein Ziel der Untersuchung, die vorgebrachten Argumente kritisch zu durchleuchten, Schein- oder Fehlargumente aufzudecken. Die vorgetragenen Argumente wurden auch nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft. Lediglich an einzelnen Stellen wurden Hinweise gegeben, die das Verständnis der Ausführungen fördern sollen. Die Selbstdarstellung der Diskutanten sollte möglichst nicht durchbrochen werden. Jedes Argument, das eine Entscheidung stützt, bekommt zur Kennzeichnung die zugehörige chronologische Ordnungsnummer des diskutierten Problems. Kleinbuchstaben kennzeichnen die verschiedenen Argumente unter der gleichen Ordnungsnummer. Ein oder mehrere Großbuchstaben zeigen an, welche Bundesländer das betreffende Argument geäußert haben. In einigen wenigen Fällen geht aus den Protokollen hervor, daß zwar nur ein bestimmtes Land ein Argument geäußert hat, andere Länder dem aber zustimmen. In diesen Fällen werden die anderen Länder der Meinungsäußerung beigesellt. Jedes Argument bekommt demnach die Chiffre: »Argumenttyp. Großbuchstabe [Ordnungsnummer] Litera".
25 Die Erörterungen der Referenten wurden nicht vor dem Hintergrund einer Frage, sondern unter einem Tagesordnungspunkt geführt, der sachlich aber natürlich eine Frage enthält. Zur besseren Verständlichkeit wurden die Tagesordnungspunkte in konkrete Fragen umformuliert.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
107
I I I . Durchführung der Inhaltsanalyse 1. Die Auslegung der §§ 8 und 9 RuStAG und der Einbürgerungsrichtlinien a) Nr. 2 EinbRL: Öffentliches
Interesse an der Einbürgerung
[1] Zu Nr. 2.2 S. 3 - 6 iVm Nr. 3 ff. EinbRL „Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur in Betracht kommen, wenn ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung bestehtNr. 2.2 S. 3 EinbRL. Besteht ein öffentliches
Interesse an der Einbürgerung Aids-Kranker?
A (r): Nein, da mit großer Wahrscheinlichkeit (ζ. B. bei Ausbruch der Krankheit) dem Staat hohe zusätzliche Kosten entstehen, ζ. B. weil der Staat im Einzelfall für die hohen medizinischen Kosten aufkommen müßte {ökonomisches arg. A [ l ] a } 2 6 . Aids-Kranke können sich mit großer Sicherheit nicht auf Dauer selbst ernähren, so daß § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG nicht erfüllt wäre {wortlautbezogenes Gesetzesarg. A [l]b}. Die H M unternimmt keine allgemeine Gesundheitsprüfung mehr: Meistens besteht ohnehin ein gesicherter Aufenthaltstitel {Die Untersuchung wäre also überflüssig. = Praktikabilitätsarg. HM [l]c; zugleich Argument gegen die Behauptung, durch die Einbürgerung Aids-Kranker entständen zusätzliche Kosten = ökonomisches arg. H M [l]d}. Eine Verneinung des öffentlichen Interesses trotz gegenwärtigen Vorliegens der erforderlichen Einbürgerungsvoraussetzungen ist nicht gerechtfertigt {Argument gegen die Behauptung, § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG sei nicht auf Dauer erfüllt, bzw. müsse überhaupt auf Dauer erfüllt sein = Gesetzesarg. HM [l]e}. Eine Ablehnung der Einbürgerungsbewerbung aus gesundheitlichen Gründen wegen einer Aidsinfizierung ist deshalb nicht vertretbar. [2] Zu Nr. 2.2 S. 6, Nr. 3.2.3.1 und Nr. 5.3.4.1 EinbRL Eine kürzere Aufenthaltsdauer oder Mehrstaatigkeit können hingenommen werden, „wenn ein herausragendes öffentliches Interesse besteht, den Einbürgerungsbewerber durch die Einbürgerung für eine Tätigkeit im Bundesgebiet zu gewinnen oder zu erhalten, sofern das öffentliche Interesse so dringlich ist, daß eine alsbaldige Einbürgerung geboten erscheint; das herausragende öffentliche Interesse ist von einer obersten Behörde des Bundes oder eines Landes zu bestätigen und im einzelnen zu begründen", Nr. 3.2.3.1 und Nr. 5.3.4.1 EinbRL. Ist dieser Umstand erfüllt bei Spitzensportlern ?27 26 Zu dieser Darstellung nochmals: Jedes Argument bekommt die Chiffre: »Argumenttyp. Großbuchstabe [Ordnungsnummer] Litera".
108
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Q: Die Häufigkeit der Fälle entspricht nicht der Seltenheit des Einzelfalles, an den bei der Einführung der Vorschrift gedacht war {Bezug zur Entstehungsgeschichte = Gesetzesarg. Q [2]a}. Die Sportvereine kalkulieren mittlerweile mit der Einbürgerung: In vielen Verfahren stehen die wirtschaftlichen Interessen des Sportlers und der Vereine im Vordergrund {Hinweis auf Nr. 3.1.1 Abs. 3 EinbRL = Gesetzesarg. Q [2]b}. Außerdem wirkt sich diese Praxis demoralisierend auf den deutschen Nachwuchs aus {politisches arg. Q [2]c}. Es sollte eine Mindestaufenthaltsdauer von drei Jahren veranschlagt werden. Dann läßt sich die Integration in die deutschen Lebensverhältnisse besser beurteilen {Orientierung am einbürgerungsrechtlichen Prinzip der Nr. 3.2 EinbRL = Prinzipienarg. Q [2]d}. Falls für den Fall der Ablehnung eines Einbürgerungsantrages Abwanderungspläne gehegt werden, fehlt es regelmäßig an der freiwilligen und dauernden Hinwendung zu Deutschland {Prinzipienarg. Q [2]e aus Nr. 3.1 EinbRL}. Augenblicklich ist nicht feststellbar, welche Kriterien die einzelnen Einbürgerungsbehörden anlegen. Die Öffentlichkeit und insbesondere andere Einbürgerungsbewerber beäugen diese Entwicklung zunehmend kritisch. Deshalb ist eine strengere Anwendung dieser Regelung angeraten {Abstellen auf die mangelnde Akzeptanz und den schleichenden Legitimitätsverlust = politisches arg. Q [2]f}. Eine großzügigere Auslegung ist im Einzelfall bei Wissenschaftlern, Künstlern oder Wirtschaftsfachleuten leichter zu begründen {Es geht hier nicht darum, daß diese Personengruppen auch tatsächlich privilegierungs würdiger sind, sondern bloß um die Interessen der Verwaltung. = Praktikabilitätsarg. Q [2]g}.
b) Nr. 3.1 EinbRL: „Staatsbürgerliche
und kulturelle
Voraussetzungen "
[3] Zu Nr. 3.10.2 S. 2 und 3 EinbRL (zugleich zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG) Der Einbürgerungsbewerber „muß nach seinem Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart Gewähr dafür bieten, daß er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und für ihre Erhaltung eintreten wird. Personen, die in innerer Abhängigkeit zu totalitären Ideologien stehen, ist die Einbürgerung zu versagen. Nr. 3.10.2 S. 2 und S. 3 EinbRL. Welche Tatsachenermittlungen
sind hierzu angeraten?
A, Β (r): In jedem einzelnen Einbürgerungsverfahren sind die Verfassungsschutzbehörden zu beteiligen. Nur so kann eine sachgerechte Prüfung dieser Einbürgerungsvoraussetzung erfolgen {Diese Erklärung bezieht sich auf die Schutzfunktion der Normen = Gesetzesarg. AB [3]a}. H M (e): Eine Erweiterung des Ermittlungsverfahrens ist bei der derzeitigen Arbeitsbelastung nicht vertretbar {Praktikabilitätsarg. HM [3]b}. Ausreichend ist die 27 Seit 1988 wurden weit mehr als 100 Spitzensportler auf der Basis dieses Tatbestandes eingebürgert.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
109
Auswertung der Ausländerakten, die erkennen lassen, ob der Verfassungsschutz auf den Einbürgerungsbewerber aufmerksam wurde 28 . Nur wenn sich Hinweise auf eine politisch extremistische Betätigung aus den Ausländerakten, dem Asylbescheid oder einer Mitteilung des Bundeszentralregisters ergeben, sollte eine Anfrage bei der Verfassungsschutzbehörde erfolgen {Verfahrendserleichterung = Praktikabilitätsarg. HM [3]c}. A: Eine einmalige Anfrage beim Verfassungsschutz ist dennoch zweckmäßiger und kostengünstiger {Praktikabilitätsarg. A [3]d; ökonomisches arg. A [3]e}. Die Landesämter für Verfassungsschutz informieren die Ausländerbehörden nicht zuverlässig gemäß § 76 Abs. 2 AuslG, zumal die Verfassungsschutzbehörden nicht in die Ausländerdatenübermittlungsverordnung 29 aufgenommen wurden {systematisches Gesetzesarg. A [3]f}. B: Außerdem sind die Einbürgerungsbearbeiter regelmäßig nicht zur Einsichtnahme in die Ausländerakten berechtigt, so daß keine umfassende Information über Verfassungsschutzgefahren erfolgen kann {Ein solches Verfahren wäre also unzweckmäßig. = Praktikabilitätsarg. Β [3]g}. Q: Die Mitteilungspflicht von Daten der Verfassungsschutzbehörden an die Ausländerbehörden ergibt sich aus der Natur der Sache. Am besten wäre eine zuverlässigere Weitergabe von Informationen durch die Landesämter für Verfassungsschutz gemäß § 76 Abs. 2 AuslG und eine routinemäßige Verwertung der Ausländerakten im Einbürgerungsverfahren {Streben nach einer einfachen und sachgerechten Lösung = Praktikabilitätsarg. Q [3]h}. 3 0 [4] Weiter zu Nr. 3.10.2 S. 2 und 3 EinbRL (und zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG) Soll im Einbürgerungsverfahren reicht ein ausgefülltes „ Formblatt"
31
die Ausländerakte beigezogen werden der Ausländerbehörde?
Α, Β, I, J: Es sollte die Ausländerakte konsultiert werden. Es ist zweifelhaft, ob die Ausländerbehörden die Formblätter sorgfältig ausfüllen und ob die Formblätter alle einbürgerungsrechtlich relevanten Daten erfassen {Formblätter sind also unzweckmäßig, weil ohnehin weitere Ermittlungen nötig sind. = Praktikabilitätsarg. ABIJ [4]a; außerdem gefährdet ihre alleinige Verwendung die Verwirklichung des 28
Vgl. § 76 II AuslG und die Ländergesetze zur Errichtung des Verfassungsschutzes. 9 Verordnung über Datenermittlungen an die Ausländerbehörden (AuslGÜV).
2
30
Auf einer späteren Besprechung ergab sich eine Verschiebung in der Praxis: Nur ein Bundesland führte die Anfrage beim Verfassungsschutz in jedem Fall durch. Einige verzichteten ganz darauf und andere verzichteten bei Anspruchseinbürgerungen, insbesondere nach dem Ausländergesetz, darauf. 31 In mindestens einem Bundesland wird ein solches Formblatt gar nicht erstellt. Zur Einbürgerung nach dem Ausländergesetz, vgl. Nr. 2. 1. 1 VwVf AuslG, ist die Ausländerakte „beizuzuziehen, um festzustellen, ob sich der Ausländer die erforderlichen Zeiten rechtmäßig im Inland aufgehalten hat".
oder
110
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Normzweckes. = Gesetzesarg. ABIJ [4]b}. Die Formblätter sind außerdem datenschutzrechtlich bedenklich, da sie persönliche Daten speichern {systematischer Bezug zum Datenschutzrecht = Gesetzesarg. ABIJ [4]c}. C, G, K : Es ist sinnvoll, die Formblätter zu verwenden. Die Ausländerbehörden haben einen besseren Überblick über die Aktenlage {Praktikabilitätsarg. CGK [4]d}.
c) §8 Abs. 1, 1. Hs.: „Niederlassung" iVm §8 Abs. 1 Nr. 3 RuStAG „eigene Wohnung oder ein Unterkommen " und Nr. 3.2 EinbRL: „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, Aufenthaltsdauer" [5] Zu Nr. 3.2.1 EinbRL „ Weitere Voraussetzung der Einbürgerung ist die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse; sie setzt in der Regel ein langfristiges Einleben in die deutsche Umwelt voraus. Deswegen ist für die Einbürgerung ein langjähriger Inlandsaufenthalt erforderlich. Der Inlandsaufenthalt soll in der Regel mindestens zehn Jahre betragen Nr. 3.20.1 S. 1, 2 und 3, 1. Hs. EinbRL. Kann von dieser Vorschrift
Abstand genommen werden?
D (e): Eine frühzeitige Einbürgerung würde die Integration in die deutschen Lebensverhältnisse erleichtern {Hier wird gerade gegen das positiv-rechtliche Prinzip der Nr. 3.2 EinbRL votiert. = politisches arg. D [5]a}. H M : Die Einbürgerung steht am Ende, nicht am Anfang der Integration. Die Einbürgerung schließt die Integration ab {allgemeines einbürgerungsrechtliches Prinzipienarg. HM [5]b}. Ausnahmen sind nur nach Nr. 2.2 S. 6 der Einbürgerungsrichtlinien zulässig {systematisches Gesetzesarg. HM [5]c}. [6] Weiter zu Nr. 3.20.1 S. 1 EinbRL Ist dieses Erfordernis
erfüllt,
wenn jemand in Bigamie lebt? 32
Β (r): Nein, denn Bigamie steht der deutschen öffentlichen Ordnung entgegen {so daß das Tatbestandsmerkmal der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse nicht gegeben ist = Gesetzesarg. Β [6]a}. Eine Doppelehe darf nicht durch eine erleichterte Einbürgerung privilegiert werden {Aus einem Verhalten, das in Deutschland als unmoralisch empfunden wird, sollen einbürgerungsrechtlich keine Vorteile erwachsen. = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst Β [6]b}. I (e): Bigamie an sich ist kein Einbürgerungshindernis {Toleranzprinzip, besonderes Verständnis der „freiheitlichen Grundordnung" = Gesetzesarg. I [6]c}. Die 32
Es war häufiger vorgekommen, daß bigamisch lebende pakistanische Staatsangehörige einen Einbürgerungsantrag gestellt hatten.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
111
Fortführung einer rechtmäßig im Ausland geschlossenen Doppelehe fällt nicht unter den Straftatbestand des § 171 Strafgesetzbuch, so daß auch kein Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 2 AuslG vorliegt {systematisches Gesetzesarg. I [6]d}. [7] Weiter zu Nr. 3.20.1 S. 1 EinbRL Welche Tatsachenermittlungen sind angemessen, um Doppel-, Schein- oder Zweckehen pakistanischer Einbürgerungsbewerber zu vermeiden (zur Problemstellung siehe oben unter [6])? HM: Nur in Verdachtsfällen soll mittels Vertrauensanwaltes bei der Vertretung in Islamabad angefragt werden, da das Verfahren kostspielig und aufwendig ist {ökonomisches arg. HM [7]a; zugleich Praktikabilitätsarg. HM [7]b}. Die Kosten soll regelmäßig der Einbürgerungsbewerber tragen und zwar unabhängig vom Ergebnis der Anfrage {Verursacherprinzip: Die Anfrage erfolgt im Interesse des Bewerbers. = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit HM [7]c}. A, D: wie HM, aber die Kosten soll der Bewerber nur tragen, wenn der Verdacht bestätigt wurde {Verschuldensprinzip = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit AD [7]d}. C (e): Derartige Ermittlungen gegen Pakistani verstoßen gegen das Gleichheitsprinzip, weil sie bei Mohammedanern anderer Staatsangehörigkeit nicht durchgeführt werden. Rechtmäßig sind sie nur, wenn ein begründeter Verdacht besteht, daß der Bewerber in Bigamie lebt {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit C [7]e}. Τ (r): Sie ließen sich auch bei anderen Mohammedanern durchführen. Allerdings bestand hierzu bislang kein Anlaß {Insofern besteht also keine Vergleichbarkeit. = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Τ [7]f}. [8] Zu § 8 Abs. 1 Hs. 1 RuStAG iVm Nr. 3.20.1 S. 3,1. Hs. EinbRL „Der Inlandsaufenthalt soll in der Regel mindestens zehn Jahre betragen Nr. 3.20.1 S. 3, 1 Hs. EinbRL. Welchen Anforderungen adoptiert wurden?
begegnen Personen, die als Volljährige
von Deutschen
Q (r): Wenn die Adoptierten mit den Adoptierenden in einer Haus- und Beistandsgemeinschaft und nicht bloß in einer Begegnungsgemeinschaft leben, reicht ein rechtmäßiger Inlandsaufenthalt von insgesamt fünf Jahren und eine Adoptionszeit von drei Jahren. Die Adoption gehört zur Familiengründung und ist daher nach Art. 6 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützt {verfassungsrechtliches Gesetzesarg. Q [8]a}. So hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden {autoritäres arg. Q [8]b}. Andererseits ist auch für diese Einbürgerungsbewerber gefordert, daß sie sich zu Deutschland hinwenden, was einen angemessenen Inlandsaufenthalt voraussetzt {einbürgerungsrechtliches Hin Wendungsprinzip = Prinzipienarg. Q [8]c}. Außerdem muß die Lösung dieses Problems ein angemessenes
112
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Wertungsverhältnis zur Einbürgerung von Ehegatten Deutscher gemäß § 9 RuStAG iVm Nr. 3.20.1 S. 3, 2. Hs. iVm Nr. 6.1.3 EinbRL finden. Eine Adoption erfüllt nicht die gleiche Bindungswirkung wie eine Ehe, für die das Gesetz einen besonderen Integrationsvorschuß vorsieht, zumal die Adoption die Verwandschaft zur bisherigen Familie regelmäßig bestehen läßt {wertender Vergleich zu einer anderen Gruppe von Einbürgerungsbewerbern = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [8]d}. G (e): Volljährige Adoptierte sollten so wie ehemalige Deutsche behandelt und nach § 13 RuStAG eingebürgert werden, denn selbst wenn der Adoptierende sich später vom Adoptierten abwendet, bleibt er ihm doch unterhaltspflichtig {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit G [8]e}. I (r): Dann bestände eine Mißbrauchsgefahr: Personen ließen sich nur adoptieren, um schnell eingebürgert werden zu können {Die Folgen einer solchen Auslegung würden also zu unverdienter Vorteilserschleichung führen können. = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst I [8]f}. Β (r): Außerdem würden dadurch die allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen umgangen werden {Orientierung an den anderen Einbürgerungstatbeständen = Prinzipienarg. Β [8]g}. F (r): § 13 RuStAG ist für andere Fälle gedacht {genetisches Gesetzesarg. F[8]h}.
[9] Weiter zu § 8 Abs. 1 Hs. 1 RuStAG iVm Nr. 3.20.1 S. 3,1. Hs. EinbRL Ist der gesamte Inlandsaufenthalt eines abgelehnten Asylbewerbers als Aufenthalt im Sinne der Nr. 3.2 EinbRL anzurechnen unter der Voraussetzung, daß zum Zeitpunkt des Einbürgerungsantrages ein dauerhafter Aufenthaltstitel vorliegt? H M : Es kommt auf eine Einzelfallbetrachtung an, bei der auch humanitäre Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf HM [9]a}: Grundsätzlich widerspricht es wegen § 55 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz dem deutschen staatlichen Interesse, derartige Zeiten auf die Aufenthaltszeit anzurechnen {Eine Einbürgerung erfolgt aber grundsätzlich nur im öffentlichen Interesse, Nr. 2.2. S. 2 ff. = Prinzipienarg. HM [9]b}. Eine Anrechnung kann bei Personen erfolgen, die dem generellen Abschiebestop nach § 54 AuslG unterfallen. Diese Personen haben sich lange Jahren geduldet im Bundesgebiet aufgehalten und sich dabei im Hinblick auf den bereits früher existierenden Abschiebestop auf einen dauernden Aufenthalt eingerichtet {Betonung des Integrationsaspektes der Nr. 3.2.1 EinbRL = Prinzipienarg. HM [9]c und zugleich des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit = Gerechtigkeitsarg.-Bedarf HM [9]d}. Mit dem gleichen Argument kann eine Anrechnung erfolgen bei Ausländern, die gemäß § 35 Abs. 1 AuslG eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten haben und bei solchen, die eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG hatten, es sei denn, sie hatten die Unmöglichkeit der Abschiebung zu vertreten {denn dann ist ihnen die Unmöglich-
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
113
keit der Abschiebung zuzurechnen = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst HM [9]e}. Regelmäßig sollte keine Anrechnung erfolgen bei Ausländern, die bloß eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG erhalten konnten {da kein Vertrauenstatbestand geschaffen = Gerechtigkeitsarg.-Bedarf HM [9]f}. Β (r) lehnt eine Einzelfallbetrachtung ab. 33 [10] Zu Nr. 3.2.2.2 EinbRL „Nach Lage des Einzelfalles kann eine [...] kürzere Aufenthaltsdauer als ausreichend angesehen werden bei deutschen Volkszugehörigen, die keinen Einbürgerungsanspruch haben. " Erfaßt diese Vorschrift lediglich deutsche Volkszugehörige im Sinne des Bundesvertriebenen und Flüchtlingsgesetzes (BVFG), d. h. Personen aus den im BVFG aufgeführten Vertreibungsgebieten? A (r): Ja, denn nur diesen Personen könnte gegebenenfalls überhaupt ein Einbürgerungsanspruch zustehen {den sie im Einzelfall dann vielleicht nicht haben: Bezug zum Wortlaut „die keinen Einbürgerungsanspruch haben" = Gesetzesarg. A [10]a}. Nr. 3.2.2.2 EinbRL wurde in Anknüpfung an das BVFG geschaffen, um deutschen Volkszugehörigen ohne Einbürgerungsanspruch zumindestens eine erleichterte Einbürgerung ermöglichen zu können (genetisches Gesetzesarg. A[10]b}. C, F (e): Nein. Nr. 3.2.2.2 EinbRL findet einen weiteren Anwendungsbereich. Eine vergleichbare Konstellation wie für Personen, die unter das BVFG fallen, gilt zum Beispiel für Personen aus Südtirol oder Mennoniten aus deutschen Siedlungsgebieten in Südamerika. Eine unterschiedliche Behandlung deutscher Volkszugehöriger nach Herkunftsgebieten ist nicht schlüssig. Letztlich sind die besseren Integrationsbedingungen zu berücksichtigen {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit CF [10]c}. Q (e): Nein, denn die Herkunft aus einem deutschen Kulturkreis kann sich auf die Integrationsdauer verkürzend auswirken {Orientierung am Integrationsgrundsatz aus Nr. 3.2.1 EinbRL = Prinzipienarg. Q [10]d}. In der Vergangenheit wurde einer verkürzten Aufenthaltsdauer bei Mennoniten zugestimmt, wenn die Eingliederung in die deutschen Lebensverhältnisse auch unter aufenthaltsrechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfolgt war {autoritäres arg. Q [10]e}. X: Ja, denn es wäre schwierig, eine Begriffsbestimmung des „deutschen Volkszugehörigen" unabhängig vom BVFG zu finden {Praktikabilitätsarg. X [10]f}.
33 Als einziges Bundesland sprach sich Β gegen diese Regelung aus. Ein Argument oder eine alternative Verfahrensweise wurden entweder nicht geäußert oder nicht protokolliert. Die HM einigte sich im Anschluß an ihre Prämisse der Einzelfallbetrachtung auf weitere konkretisierende Regeln bezüglich der aufgeworfenen Frage auf.
8 Bultmann
114
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
H M : Eine sachgerechte Entscheidung läßt sich im Einzelfall auch ohne eine Anwendung der Nr. 3.2.2.2 EinbRL unter Hinweis auf Nr. 2.2 letzter Satz EinbRL finden (Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit HM [10]g}. 34 [11] Zu § 8 Abs. 1 Hs. 1 RuStAG iVm Nr. 3.2.4 EinbRL „Ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung kann nur bejaht werden, wenn sich der Einbürgerungsbewerber rechtmäßig im Inland aufhält", Nr. 3.2.4 EinbRL Ist hierzu ein Aufenthaltstitel
nach dem Ausländergesetz erforderlich?
J (e): Nein. Das RuStAG macht den erforderlichen Aufenthalt nicht von einem rechtmäßigen Aufenthaltstitel abhängig {wortlautbezogenes Gesetzesarg. J [ l l ] a } . Die Staatsangehörigkeitsbehörden dürfen sich nicht „zum Sklaven des Ausländerrechts" machen {Sie haben eigene rechtliche Kompetenzen und sollen ihren eigenen Rechtsprinzipien verpflichtet bleiben. = Prinzipienarg. J [ l l ] b } . Q (r): Andererseits darf die Systematik des Ausländerrechts nicht durch das Einbürgerungsrecht unterlaufen werden. Das gilt selbst dann, wenn ansonsten ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung besteht {Prinzip der Einheit der Rechtsordnung = Prinzipienarg. Q [ l l ] c } . F, I (r): Zwischen Zuwanderung und Einbürgerung besteht ein Zusammenhang, der beachtet werden muß. Deshalb kann eine Einbürgerung grundsätzlich nur erfolgen, wenn ein Aufenthalt ausländerrechtlich dauerhaft zugelassen ist {systematisches Gesetzesarg. FI [ l l ] d } . Das Einbürgerungsrecht kann nicht dazu herangezogen werden, eventuelle Fehlwertungen des Ausländerrechts zu korrigieren {Pauschaler Hinweis auf die Eigenständigkeit des Einbürgerungsrechts = Prinzipienarg. FI[ll]e}. B (R): ES ist aber auch umgekehrt so, daß beim Vorliegen einer Aufenthaltsbefugnis oder Aufenthaltsbewilligung regelmäßig nicht von einem Daueraufenthalt im Sinne des § 8 RuStAG ausgegangen werden kann. Das ergibt sich aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluß vom 19. 9. 1995-1 Β 236.94 - 3 5 zum Merkmal des „gewöhnlichen Aufenthaltes" in den §§ 85 ff. AuslG {autoritäres arg. Β [ l l ] f } . 3 6
34
Im Ergebnis stimmten 7 : 4 Länder für den Vorschlag von A. 35 InfAuslR 1 /1996, 19. 36
Mehrheitlich wurde eine Einbürgerung nach den §§ 8, 9 RuStAG nur bei Vorliegen eines Daueraufenthaltes für möglich gehalten.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
115
[12] §§ 8 Abs. 1,1. Hs., 9 RuStAG „Niederlassung" iVm Nr. 3.2.4 EinbRL und Nr. 2.2 S. 3 Hinweise zur Einbürgerung nach dem Ausländergesetz (VwVf AuslG) 37 Entgegen Nr. 2.2, S. 3 VwVf AuslG genügt regelmäßig eine Aufenthaltsbefugnis gemäß §§ 323S oder 100 AuslG der Einbürgerungsvoraussetzung der „Niederlassung Kann auch eine Aufenthaltsbefugnis ausreichen?
gemäß § 70 Asylverfahrensgesetz
(AsylVfG)
G (e): Ja, denn diese Ausländer sind gemäß § 51 Abs. 1 AuslG als schutzbedürftige Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt {systematisches Gesetzesarg. G [12]a}. Auch das Wohlwollensgebot aus Art. 34 der Genfer Flüchtlingskonvention gilt für diese Gruppe {systematisches Gesetzesarg. G [12]b}. Die Rechtsstellung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG unterscheidet sich hinsichtlich des Erlöschens, des Widerrufs und der Rücknahme nicht von einer Asylberechtigung nach § 68 AsylVfG. {Dieses Argument strebt eine Gleichbehandlung schützenswerter Ausländer an. = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit G [12]c}. Q (r): Dennoch hat das Wohlwollensgebot für Asylberechtigte und sonstige Konventionsflüchtlinge nicht die gleichen Folgen. Im Unterschied zu Asylberechtigten sind Flüchtlinge nur Flüchtlinge, solange sie nicht in ein sicheres Drittland ausreisen können {unterschiedliche Fälle = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [12]d}. „Flüchtlinge" haben ihren Status nur deshalb, weil sie mit Erfolg verschleiert haben, wie sie in das Bundesgebiet gelangt sind {Aus unrechtmäßigen Verhalten soll keine Privilegierung erwachsen. = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst Q [12]e}. Der Gesetzgeber hat deshalb den sonstigen Konventionsflüchtlingen - anders als den Asylberechtigten - keine dauerhafte Niederlassung zugestanden {systematisches Gesetzesarg. Q [12]f}. Das Wohlwollensgebot ist außerdem schon in den Einbürgerungsrichtlinien in Nr. 3.4.1 und 6.4.3 berücksichtigt {systematisches Gesetzesarg. Q[12]g}.
d) § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG: Kein Ausweisungsgrund [13] Zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG und § 85 Abs. 2 S. 2 AuslG Eine Einbürgerung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG oder § 85 Abs. 2S.2 AuslG wird versagt, wenn ein Ausweisungsgrund nach §§ 46 Nr. 1-4 oder 47 Abs. 1, Abs. 2 AuslG besteht.
37 Abgedruckt z. B. in Weidelener/Hemberger (1993), S. 273 ff. 38 Die Aufenthaltsbefugnis gemäß § 32 AuslG jedoch nur, wenn sie auf Dauer erteilt wurde, also keine Verlängerungsprüfung gemäß § 34 Abs. 2 AuslG mehr erfolgt. *
116
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Was ist unter einem „Ausweisungsgrund" zu verstehen: einfach das Vorliegen eines Ausweisungstatbestandes der §§ 46 Nr. 1-4, 47 Abs. 1, Abs. 2 AuslG oder muß die Ausweisung gemäß §§ 45 ff. AuslG tatsächlich ausgesprochen werden können? H M : Es reicht, wenn ein Ausweisungstatbestand gegeben ist. Ansonsten wäre § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG überflüssig: Würde man verlangen, daß die Ausweisung tatsächlich ausgesprochen werden kann, so käme § 8 RuStAG ohnehin nicht mehr zur Anwendung, falls die Ausweisung vollzogen würde. Würde die Ausländerbehörde auf einen Vollzug der Ausweisung verzichten, würde die Ausweisemöglichkeit ausländerrechtlich „verbraucht". Wenn dieser Verbrauch auf das Einbürgerungsrecht ausstrahlen würde, käme § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG nicht zur Anwendung {Diese Betrachtung stellt § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG ins Verhältnis zu §§ 45 ff. AuslG. = systematisches Gesetzesarg. HM [13]a}. [14] Weiter zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG und § 85 Abs. 2 S. 2 AuslG 39
Läßt sich § 88 Abs. 1 S. 1 AuslG auf § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG und § 85 Abs. 2 S. 2 AuslG anwenden, so daß bestimmte Verurteilungen oder Erziehungsmaßregeln von vorneherein keine Ausweisung begründen können? F (e): Ja. § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG ist zu eng gefaßt. Der Tatbestand ist entsprechend zu § 88 Abs. 1 S. 1 AuslG (und nicht entsprechend zu § 46 Nr. 2 AuslG) auszulegen. Ansonsten beständen Wertungswidersprüche zu Einbürgerungen nach dem Ausländergesetz {systematisches Gesetzesarg. F [14]a}. Dieser Wertungswiderspruch würde in der Öffentlichkeit nicht verstanden werden {politisches arg. F[14]b}. I (r): Eine Gleichsetzung von § 46 Nr. 2 und § 88 Abs. 1 S. 1 AuslG ist rechtlich nicht möglich, denn § 88 ist eine Sondervorschrift für einen eingegrenzten Personenkreis {Sie ist als Sondervorschrift daher eng auszulegen. = Gesetzesarg. I[14]c} J (r): Eine Gleichsetzung von § 46 Nr. 2 mit § 88 Abs. 1 S. 1 AuslG würde die Wertungen des Gesetzgebers unterlaufen {genetisches Gesetzesarg. J [14]d}. A (r): Die Neuregelung zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG sollte das Verwaltungsermessen einschränken 40. Dieser gesetzgeberische Wille würde durch das vorgeschlagene Gesetzesverständnis konterkariert {genetisches Gesetzesarg. A [14]e}.
39
Zu dieser und der vorhergehenden Fragestellung auch unten [59]. 40 Anmerkung: § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG wurde durch Gesetz vom 30. 6. 1993 (BGBl. I S. 1062) geändert. Bis dahin wurde verlangt, der Einbürgerungsbewerber müsse „unbescholten" sein. Dieser Ausdruck hatte zu mancherlei Unsicherheiten in der Anwendung und folglich zu einem sehr breiten Ermessensspielraum geführt.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
117
Β, Κ (r): Wegen des klaren Wortlauts läßt sich die vorgeschlagene Rechtsanwendung nur de lege ferenda einführen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde sie die Grenzen der Rechtsfortbildung überschreiten {Die Wortlautgrenze wäre überschritten. = Gesetzesarg. BK [14]f}. [15] Zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG iVm § 46 Nr. 2 AuslG Eine Einbürgerung scheidet aus, wenn der Bewerber einen Ausweisungsgrund gemäß § 46 Nr. 2 erfüllt: Nach dem Gesetzeswortlaut sind zwei Auslegungsalternativen möglich: (1) Ein vereinzelter oder geringfügiger Rechtsverstoß ist unbeachtlich (ζ. B. also eine schwerwiegende, aber vereinzelte Rechtsgüterverletzung); (2) Ein vereinzelter und geringfügiger Rechtsverstoß ist unbeachtlich. In beiden Fällen gelten die Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes. Wie ist dieses Tatbestandsmerkmal
zu verstehen?
Q (r): Ein Ausweisungsgrund besteht nicht, sofern ein nur vereinzelter und geringfügiger Rechtsverstoß vorliegt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn (auch im Wiederholungsfall) eine Straftat nicht mit mehr als DM 1000,- geahndet wird 4 1 , ein Verfahren eingestellt wurde oder eine fahrlässige Tat mit nicht mehr als 30 Tagessätzen geahndet wurde, vgl. § 46 Nr. 2 AuslG {Klare Regelung im Hinblick auf die Voraussehbarkeit = Praktikabilitätsarg. Q [15]a}. Im Rahmen der staatsangehörigkeitsrechtlichen Entscheidung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG ist es angemessen, § 46 Nr. 2 AuslG weiter einzuschränken, wenn nur zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Das ist nicht im Rahmen des Ermessens möglich, da die Bindung an die Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes iVm § 46 Nr. 2 AuslG besteht. Allerdings kann die Behörde darauf erkennen, der Ausweisungsgrund liege zeitlich nicht mehr vor. Dieser Ansatz entspricht dem ausländerrechtlichen Gesichtspunkt des Verbrauchs. Unklar ist, wann die Verbrauchsfristen zu laufen beginnen sollen {Ohne weiteres Zusatzargument wird versucht, eine sachgerechte Auslegung zu finden = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit Q[15]b}. H M (e): Jedenfalls sollten unter dem „Aspekt des vorzeitigen Verbrauchs" zugunsten überwiegend rechtstreuer Einbürgerungsbewerber „Öffnungsklau-seln" für die Anwendung dieses Tatbestandsmerkmals vereinbart werden, die von den jeweiligen obersten Landesbehörden genutzt werden könnten {Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit HM [15]c}. Q: Insbesondere wenn Bundesressorts am Einbürgerungsverfahren beteiligt wären, wäre eine solche Regelung problematisch. Sie würde nämlich zu einer bundes41 § 76 Abs. 4 S. 3 AuslG lautet demgegenüber: „Satz 1 gilt nicht für Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit, die nur mit einem Bußgeld bis zu tausend Deutsche Mark geahndet werden kann." Es kommt also eindeutig nicht auf das konkrete Bußgeld, sondern auf die abstrakte Bußgeldandrohung an.
118
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
uneinheitlichen Verfahrensweise führen {Rücksichtnahme auf die Wirkung in der Öffentlichkeit = politisches arg. Q [15]d}. X: Andererseits bestand schon beim Tatbestandsmerkmal der „Unbescholtenheit" in § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG alte Fassung eine uneinheitliche Verwaltungspraxis {Das letzte Argument von Q wird entkräftet, also ebenfalls = politisches arg. X [15]e}. Es gibt landestypische Unterschiede in der Spruchpraxis der Strafgerichte und in den Kriminalstatistiken. Ein Einbürgerungsbewerber ist eher nach den Merkmalen der jeweiligen Landesbevölkerung und weniger nach den Merkmalen von Einbürgerungsbewerbern in anderen Bundesländern zu beurteilen {Man sollte von einem Einzubürgernden nicht mehr verlangen, als man selber zu bieten vermag. = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit X [15]f}.
e) §8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG: Unterhaltsfähigkeit und Nr. 3.4 EinbRL: „ Wirtschaftliche Voraussetzungen "
[16] Zu Nr. 3.4.1 EinbRL § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG fordert, „daß der Einbürgerungsbewerber [...] sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen zu unterhalten imstande ist. Grundsätzlich ist vorauszusetzen, daß er diesen Unterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln aufbringen kann Nr. 3. 4. 1 S. 1 und 2 EinbRL. Ist die nachhaltige Sicherung des Lebensunterhaltes zu bejahen, wenn das bestehende Arbeitsverhältnis befristet ist? Q: Das wurde in der Vergangenheit bejaht bei Studenten, selbst wenn unsicher war, ob sie nach Abschluß des Studiums eine Anstellung erhalten {autoritäres arg. Q [16]a}. Zu dieser Frage ist immer eine Einzelfallösung zu suchen {einbürgerungsrechtliches Prinzip der Einzelfallwürdigung aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL = Prinzipienarg. Q [16]b}. [17] Weiter zu Nr. 3.4.1, insbesondere S. 3 EinbRL „Ist der Einbürgerungsbewerber aus einem nicht von ihm zu vertretenden Grunde außerstande, die erforderlichen Mittel für den Unterhalt selbst aufzubringen, so soll ein Anspruch auf Sozialhilfe oder ein entsprechender Anspruch auf Unterhalt aus öffentlichen Mitteln als ausreichend angesehen werden, wenn der Einbürgerungsbewerber ehemaliger Deutscher ist, von einem Deutschen oder einem ehemaligen Deutschen abstammt oder als Kind angenommen ist; Entsprechendes gilt für Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit, heimatlose Ausländer, Asylberechtigte, in die deutsche Obhut übernommene Flüchtlinge, Staatenlose, Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung sowie für Fälle mit Wiedergutmachungsgehalt", Nr. 3.40.1 S. 3 EinbRL
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
Ist diese Vorschrift
119
mit § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG vereinbar?
Β hat die Anwendung dieser Norm durch Erlaß gestoppt; A kündigt einen entsprechenden Erlaß an. In C wird an der bisherigen Praxis weitgehend festgehalten. A, B, Q (r): Die Norm sollte nicht mehr angewendet werden, sie verstößt gegen § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG {Hinweis auf die einschlägige höherrangige Vorschrift = Gesetzesarg. ABQ [17]a}. Außerdem zwingen die veränderten finanziellen Rahmenbedingung zu einer restriktiveren Praxis {ökonomisches arg. Q [17]b}. Etwas anderes gilt nur für die Personen, die durch § 13 RuStAG iVm Nr. 3.40.1 S. 3 EinbRL privilegiert sind {systematisches Gesetzesarg. Β [17]c}. Außerdem gibt es seit Jahren keine billigende Entscheidung der Verwaltungsgerichte zu dieser Frage {autoritäres arg. ABQ [17]d}. Laut Rechtsprechung des BVerwG 42 ist der Sozialhilfeanspruch kein Vermögen iSd § 27 Abs. 2 Nr. 2 AuslG. Deshalb wird in diesen Fällen keine Aufenthaltsberechtigung erteilt. Dieser Rechtsgedanke ist hier entsprechend anzuwenden {autoritäres arg. Β [17]e}.Der VGH Baden Württemberg 43 vertritt mit einer überzeugenden Begründung die Ansicht, Nr. 3.40.1 S. 3 EinbRL entbehre der rechtlichen Grundlage {autoritäres arg. Q [17]f}. G (e): Bereits die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 195 δ 4 4 hat strengere Anforderungen an die Voraussetzung der Unterhaltsfähigkeit gestellt. Diese Entscheidung hat schon damals nicht zu einer Praxisänderung geführt {(anti-) autoritäres arg. G [17]g}. Der Wortlaut von § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG erlaubt es, den verfassungsfesten Sozialhilfebezug als ausreichend anzusehen {Gesetzesarg. G [17]h}. Im Ausländergesetz kann der verfestigte Aufenthalt nicht beendet werden, wenn der Ausländer sozialhilfebedürftig wird. Dieser Zusammenhang muß beachtet werden {systematisches Gesetzesarg. G [17]i}. J (e): Die Begründungen der einschlägigen Gerichtsentscheidungen sind nicht so zwingend, daß eine Umstellung der bisherigen Praxis unbedingt geboten ist {(anti-) autoritäres arg. J [17]j}. I (e): Nach nur zwei obergerichtlichen Entscheidungen45 kann nicht von einer gefestigten Rechtsprechung ausgegangen werden {(anti-) autoritäres arg. I [17]k}. Q: Die belastete finanzielle Situation des Staates legt einen Anwendungsstop der Vorschrift nahe {günstige Folgen für die Haushaltskasse = ökonomisches arg. Q[17]l}. C (e): In C wurde noch nichts veranlaßt, um die Diskussion auf Länderebene abzuwarten {politisches arg. C [17]m}. Die erwähnten Entscheidungen weichen von der bisher bekannten einschlägigen Rechtsprechung ab. Zumindestens eines 4
2 Entscheidung vom 27. 10. 1995. 43 Entscheidung vom 16. 3. 1996-13 S 1908/95. 44 I C 99. 56. 45 Außer der erwähnten Entscheidung des VGH Baden-Württemberg gibt es einen Beschluß vom OVG Berlin vom 9. 10. 1995 - OVG 5 M 25. 95.
120
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
der Urteile ist nur ergangen, weil die Richter schwierigen tatsächlichen Fragen ausweichen wollten {(anti-) autoritäres arg. C [17]n}. Bislang wurde die Norm in der Verwaltungspraxis als gesetzmäßig angesehen {autoritäres arg. C [17]o}. Zusätzliche wirtschaftliche Belastungen der Bundesrepublik Deutschland sind derzeit nicht erkennbar {ökonomisches arg. C [17]p}.
f) Nr. 4 EinbRL: „Einheitliche Staatsangehörigkeit
innerhalb der Familie "
[18] Zu Nr. 4.2.1 EinbRL „Eine unterschiedliche Staatsangehörigkeit in der Familie kann ausnahmsweise hingenommen werden, wenn der Einbürgerungsbewerber [...] ehemaliger Deutscher" ist. Erstreckt Deutscher?
sich die Gültigkeit
dieser Norm auf die Abkömmlinge ehemaliger
F (e): Die Norm kann großzügig angewendet werden. Der Grundsatz einheitlicher Statsangehörigkeit in der Familie hat seine Bedeutung eingebüßt. In den Bestimmungen zum Ausländergesetz von 1990 46 hat er keine Berücksichtigung mehr gefunden {Rückschluß von der Genese des AuslG auf den offenbar gewandelten, mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers = historisches Gesetzesarg. F [18]a}. Q (r): Die Arbeitsgruppe zu Einbürgerungsfragen aus dem Jahre 1986 sah von einer Erstreckung dieser Regelung auf Abkömmlinge ab {genetisches Gesetzesarg. Q [18]b}. Bislang wurde in der Verwaltungspraxis dementsprechend verfahren {autoritäres arg. Q [18]c}. Eine andere Gesetzesanwendung würde die Abkömmlinge ehemaliger Deutscher übermäßig privilegieren insbesondere gegenüber den nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 47 Erklärungsberechtigten {gleichheitsorientiert = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [18]d}. I (r): Wenn ein Mitglied in der Familie deutscher Staatsangehöriger ist, hat das wichtige ausländerrechtliche Auswirkungen. Der Grundsatz einheitlicher Staatsangehörigkeit in der Familie hat seine Bedeutung durchaus nicht verloren {Das Prinzip aus Nr. 4.1 EinbRL wird rechtspolitisch bejaht. = politisches arg. I [18]e}. Selbst wenn man unterstellt, daß eine Lockerung in der Anwendung dieses Grundsatzes bewirkt werden soll, so sind die selteneren Einbürgerungsanträge aus dem Ausland hierzu ein untaugliches Mittel {weil dadurch kein maßgeblicher Anstoß für eine Regelungsänderung gegeben wird = politisches arg. I [18]f}.
46 Vom 9. 7. 1990 (BGBl. I S. 1354). Gesetz zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. 12. 1974 (BGBl. I S. 3714, BGBl. III 102-9). Nach Absatz 1, Satz 1 dieser langen Vorschrift können eheliche Kinder einer ehemaligen Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wenn sie zwischen dem 31.3. 1953 und dem 31. 12. 1975 geboren wurden.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
121
[19] Zu Nr. 4 EinbRL „Eine unterschiedliche Staatsangehörigkeit in der Familie kann ausnahmsweise hingenommen werden" für bestimmte Personengruppen oder aus einem „wichtigen Grund " gemäß Nr. 4.3 EinbRL. Kann im Zuge des Asylkompromisses auf diese Regelung verzichtet werden? A (r): Nein, denn eine einheitliche Staatsangehörigkeit in der Familie ist nach wie vor erstrebenswert {Hinter diesem Argument stehen rechtspolitische Erwägungen, die auch in Nr. 4.1 S. 1 und 2 EinbRL niedergelegt sind. Es wird jedoch nicht einfach auf diese Prinzip Bezug genommen, sondern es wird ausdrücklich befürwortet. = politisches arg. A [19]a}. H M (e): Ja, und zwar auch für Auslandseinbürgerungen. Das ergibt sich aus den Gründen zum Gesetzesentwurf {genetisches Gesetzesarg. HM [19]b}. Außerdem sollten die Einbürgerungsregelungen vereinfacht werden {Praktikabilitätsarg. HM [19]c }.
g) Nr. 5 EinbRL: „Zwischenstaatliche Gesichtspunkte " 48, insbesondere Nr. 5.2: „ Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik" [20] Zu Nr. 5.2 und Nr. 5.2.3 EinbRL „Bei mit deutschen Ehegatten verheirateten Einbürgerungsbewerbern, die Angehörige eines Entwicklungslandes sind und im Rahmen der personellen Entwicklungshilfe eine Aus- oder Weiterbildung erfahren haben, kommt Artikel 6 des Grundgesetzes, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Rechtsordnung stellt, gegenüber Belangen der Entwicklungspolitik erhebliche Bedeutung zu. Entwicklungspolitische Bedenken gegen eine Einbürgerung können daher zurückgestellt werden, wenn sich der Einbürgerungsbewerber mindestens acht Jahre im Inland rechtmäßig aufhält und sein Abschlußxamen oder eine andere Aus- oder Weiterbildung mindestens seit zwei Jahren beendet hat", Nr. 5.2.3 EinbRL. Lassen sich die Entwicklungshilfe-Bedenken (EH-Bedenken) umfassender zurückstellen a) bei Ehegatten deutscher Staatsangehöriger oder b) bei Personen, die Kinder mit deutschen Ehegatten haben, für die sie das Sorgerecht besitzen? H M (e): Ja. Sofern diese Personen einen ausländerrechtlichen Daueraufenthaltstitel besitzen, besteht für sie rechtlich kein Zwang mehr, in ihr Herkunftsland zu48 Der Konkretisierungsspielraum zu dieser Vorschrift wird anschaulich ζ. B. durch die Verwaltungsvorschriften des Ministeriums des Inneren (Rheinland-Pfalz) vom 29. August 1990 (316/149-34/02), MinBl. 389, „Berücksichtigung der Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik nach Nummer 5.2 Einbürgerungsrichtlinien"; abgedruckt in Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG (Anhang).
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
rückzukehren. Der entwicklungspolitische Aufenthaltszweck ist in diesen Fällen verfehlt {EH-Bedenken entfallen daher als rechtliches und sachliches Argument gegen eine Einbürgerung. = Gesetzesarg. HM [20]a}. Unter diesen Umständen verringert die Einbürgerungsverweigerung sogar die Chance, daß die Ausbildung doch noch der Entwicklungshilfe zugute kommt. Die betreffenden Personen müssen bei der Heimkehr in ihr Heimatland nämlich befürchten, ihren Aufenthaltstitel zu verlieren {Vermeidung widersprüchlicher Regelungen im Recht: Einerseits wird Entwicklungshilfe rechtlich bejaht, andererseits aber erschwert. = politisches arg. HM[20]b}. Q, R (r): An den EH-Bedenken wird festgehalten. Vor der Einbürgerung besteht keine endgültige Inlandsverfestigung {Hinweis auf den qualitativen Unterschied zwischen Ausländerrecht und Staatsangehörigkeitsrecht und auf die Bedeutung der Einbürgerung = politisches arg. QR [20]c}. Es gibt Reintegrationsprogramme für Äthiopien, Ghana, Jugoslawien, Marokko und die Türkei, die trotz langjährigen Inlandsaufenthaltes rege in Anspruch genommen werden {Erfahrung mit entwicklungspolitischen Bemühungen = politisches arg. QR [20]d}. Außerdem besteht eine politische Verpflichtung gegenüber den Entwicklungsländern {diese würden bei einer erleichterten Einbürgerung vernachlässigt = politisches arg. QR [20]e}. Der staatliche Eingriff in die Konkurrenz um Ausbildungsplätze und Arbeitsplätze begründet eine Verpflichtung gegenüber der einheimischen Bevölkerung, das Ziel „Entwicklungshilfe" ernst zu nehmen und für die Rückführung dieser Ausländer zu sorgen {Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit QR [20]f}. Allerdings kann der entwicklungspolitische Nutzen vom erlernten Beruf und der Bedarfsstruktur in dem betreffenden Land abhängen {Streben nach Billigkeit: keine unnötige Behinderung der betreffenden Personen = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit QR [20]g}. H M : Nr. 5.20.3 S. 2 EinbRL sollte dahingehend ergänzt werden, daß entwicklungspolitische Bedenken zurückgestellt werden können, wenn der Einbürgerungsbewerber entweder (a) im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist und mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt oder (b) die Ehe zwar nicht mehr besteht, aber aus der Ehe deutsche Kinder hervorgegangen sind, die in die deutschen Lebensverhältnisse hineingewachsen sind und für die der Einbürgerungsbewerber das Sorgerecht besitzt.
[21] Weiter zu Nr. 5.2 und Nr. 5.2.3 EinbRL Lassen sich die Anforderungen
an den Inlandsaufenthalt
lockern?
B: Ja. Vorgeschlagen wird ein fünfjähriger Inlandsaufenthalt, vierjährige Ehezeit und zwei Jahre seit Abschlußexamen. Seit der Entstehung dieser Norm ist einige Zeit verstrichen. Entwicklungspolitische Bedenken gegen eine Einbürgerung (EHBedenken) bestehen heute nicht mehr in gleichem Maße wie früher {Reaktion auf die veränderte weltpolitische Lage = politisches arg. Β [21]a}.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
123
F: Ausländer, die eine Aufenthaltsberechtigung haben und die wegen des Charakters des erlernten Berufes im Heimatland keine Verwendung finden, sollten mit Zustimmung des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erleichtert eingebürgert werden {denn es wäre unbillig diese Ausländer trotz Verfehlung des Entwicklungshilfezieles an der Einbürgerung zu hindern = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit F [21]b}. F, N, O: Am einfachsten wäre es, primär an den Aufenthaltstitel anzuknüpfen {Praktikabilitätsarg. FNO [21]c}. Außerdem sollte das BMZ eine generalisierte Zustimmung für typisierte Fälle erteilen, um die aufwendige Zusammenarbeit im Einzelfall zu ersparen {Praktikabilitätsarg. FNO [21]d}. [22] Zu Nr. 5.2 und insbesondere Nr. 5.2.5.3 EinbRL Die personelle Entwicklungshilfe durch Ausbildung von Fachkräften wird unterlaufen, wenn die betreffenden Personen eingebürgert werden und folglich nicht mehr in ihren entwicklungsbedürftigen Heimatstaat zurückkehren. Entwicklungspolitische Bedenken (EH-Bedenken) werden in einigen Fällen zurückgestellt „unter Berücksichtigung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der humanitären Rücksichtnahme im Einzelfall", Nr. 5.2.5 EinbRL. Das gilt unter der weiteren Voraussetzung, daß „der Einbürgerungsbewerber sich länger als fünfzehn Jahre nicht mehr im Heimatstaat und davon zwölf Jahre im Bundesgebiet rechtmäßig aufhält, über fünfunddreißig Jahre alt ist und sein Abschlußexamen oder eine andere Ausoder Weiterbildung seit mindestens drei Jahren beendet hat", Nr. 5.2.5.3 EinbRL. Läßt sich diese Ausnahmeregelung weiterfassen, fristete Aufenthaltserlaubnis besteht?
insbesondere, wenn eine unbe-
Q, S (r): EH-Bedenken können zurückgestellt werden, wenn der Bewerber kein Stipendium erhielt {Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit QS [22]a, denn dann besteht nicht die Gefahr, daß die geleisteten Stipendien nachträglich ihren Zweck verlieren und also ungerechtfertigt erlangt wurden}. H M (e): EH-Bedenken entfallen stets, wenn der Bewerber im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels ist. Die „Stipendiumbedenken" sind in diesen Fällen ausländerrechtlich verbraucht, weil der Ausländer ohnehin ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hat {Bezug zu anderen Rechtsvorschriften = systematisches Gesetzesarg. HM [22]b}. Die unübersichtlichen Bestimmungen zu Nr. 5.2 EinbRL verursachen ohnehin einen Verwaltungsaufwand, der außer Verhältnis zur praktischen Relevanz steht {Praktikabilitätsarg. HM [22]c}. A (e): Die Altersgrenze von 35 Jahren, Nr. 5.2.5.3 EinbRL, kann entfallen {da zufälliges und unsachgerechtes Kriterium = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit A [22]d} G (e): Die ausschließliche Beachtung der erweiternden Auslegung von Nr. 5.2.2 und Nr. 5.2.5.3 EinbRL kann den Bewerber jedoch benachteiligen. Deshalb ist im Einzelfall zu prüfen, ob die bislang gültigen Regeln heranzuziehen sind {Meistbegünstigungsprinzip = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit G [22]e}.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
[23] Zu Nr. 5.2 und Nr. 5.2.2 EinbRL EH-Bedenken können ferner zurückgestellt werden, „ wenn der Einbürgerungsbewerber als Asylberechtigter anerkannt ist", Nr. 5.2.2 EinbRL. Gilt eine entsprechende Regelung auch fir Einbürgerungsbewerber, Flüchtling einem Asylberechtigten gleichgestellt oder staatenlos sind?
die als
H M : Ja, denn diese Personen sind gleichermaßen schutzbedürftig {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit HM [23]a}, was auch rechtlich anerkannt ist {Hinweis auf § 70 Abs. 1 AsylVfG, §§51, Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 100 AuslG, Nr. 6. 4. 4 EinbRL = systematisches Gesetzesarg. HM [23]b}.
[24] Zu Nr. 5 EinbRL allgemein Sollte überhaupt an den entwicklungspolitischen rungentscheidungfestgehalten werden ?
Bedenken bei der Einbürge-
K, O: Zumindestens einige Bundesressorts scheinen daran festzuhalten {relevant wegen des Zustimmungserfordernisses = autoritäres arg. KO [24]a}. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 31. 3. 1987 ausdrücklich anerkannt, daß die Berücksichtigung entwicklungspolitischer Gesichtspunkte im Einbürgerungsverfahren rechtens ist {autoritäres arg. KO [24]b}. I, Ο (e): Nein. Der Widerspruch zwischen einem aufenthaltsrechtlich unbefristeten Bleiberecht und der im Einbürgerungsverfahren vorgetragenen Erwartung der Rückkehr in das Heimatland ist den Betroffenen nur schwer darzustellen {Im Kern geht es hier weder um die Unpraktikabilität wegen der vorgetragenen Begründungsprobleme noch um die Bedürftigkeit der Bewerber, sondern darum, daß die Behörde „ihr Gesicht nicht verlieren möchte". = letztlich also ein politisches arg. 10 [24]c}. C, J (e): In Einzelfällen führt die Berücksichtigung von EH-Bedenken zu problematischen Konstellationen ζ. B., wenn Ärzten die Berufsausbildung als Ausländer nicht möglich ist und diese ihren Lebensunterhalt durch Sozialhilfe decken müssen {ökonomisches arg. CJ [24]d}. In einigen Fällen bestätigte der Heimatstaat schriftlich, daß an einer Rückkehr des Einbürgerungsbewerbers kein Interesse mehr bestehe, da in dem betreffenden Berufszweig der Bedarf gedeckt sei {politisches arg. CJ [24]e} Q (r): Die Haltung der zuständigen Bundesressorts ist nicht eindeutig. Letztlich sollte man eine Entscheidung auf der politischen Ebene abwarten {politisches arg. Q [24]f}. Die Einbürgerung vermittelt gegenüber der Erteilung einer - auch einer unbefristeten - ausländerrechtlichen Aufenthaltserlaubnis eine wesentlich weitergehende Rechtsposition, die eine unterschiedliche Bewertung der entwicklungspolitischen Gesichtspunkte im Einbürgerungsrecht durchaus rechtfertigt (Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit Q [24]g}.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
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Κ (e): Von der politischen Seite wird für diese Argumentation wenig Verständnis aufgebracht, da mit dem neuen Ausländergesetz gerade Einbürgerungserleichterungen angestrebt werden (politisches arg. Κ [24]h}. h) Nr. 5.3 EinbRL: „ Vermeidung von Mehrstaatigkeit" [25] Zu Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3 EinbRL Einbürgerungsbewerber müssen sich aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen 49 lassen, sofern sie ihre Staatsangehörigkeit nicht kraft Gesetzes bei der Einbürgerung oder kraft einseitiger Willenserklärung verlieren. Die Entlassungsbemühungen hat der Bewerber auch bei rechtlichen Hindernissen konsequent zu betreiben. Ausnahmen kommen nur in Frage, „wenn vorrangige Gesichtspunkte es erfordern, daß das rechtspolitische Ordnungsprinzip, Mehrstaatigkeit zu vermeiden, zurücktritt, und die Versagung der Einbürgerung eine unzumutbare Härte darstellen würde", Nr. 5.30.3 S. 1. Dazu werden in Nr. 5.3.3.1 bis Nr. 5.3.6 EinbRL konkrete Bestimmungen normiert. Bei den Entlassungsbemühungen von Iranern gibt es erfahrungsgemäß ein praktisches Informationsproblem: Wenn beim Generalkonsulat angefragt wird, ob ein Entlassungsantrag gestellt worden ist, wird das meistens verneint. Die Bewerber behaupten, das sei eine Schikane der iranischen Behörden. Wie ist mit diesem Problem umzugehen? H M : Letztlich entsteht der Eindruck, die Bewerber betrieben ihr Entlassungsverfahren nicht engagiert. Man sollte die Bewerber durch ein Informationsblatt aufklären, daß die Entlassungsbemühungen nach 18 Monaten kontrolliert, also kritisch verfolgt würden {moralisierende Reaktion auf tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten der Bewerber = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst HM [25]a}. A, F, I: Die Behörden sollten auf die Entlassungbemühungen bestehen. Nachfragen beim Generalkonsulat werden häufig beantwortet {Die anvisierte Maßnahme wird als durchführbar eingeschätzt. = Praktikabilitätsarg. AFI [25]b}. [26] Weiter zu Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3, insbesondere Nr. 5.3.3.2 EinbRL Mehrstaatigkeit kann hingenommen werden, „wenn der Heimatstaat die Entlassung durchweg verwehrt oder von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht, der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen einer Einbürgerung nach internationaler Gepflogenheit zweifelsfrei erfüllt und die Verweigerung dadurch den Charakter des Willkürhaften erhält. " 49 Der Terminus der „Entlassung" ist in Nr. 5.3.2 S. 2 EinbRL erklärt: „Unter Entlassung im Sinne dieser Richtlinie ist jeder Hoheitsakt seines Heimaatlandes zu verstehen, der das Ausscheiden aus der bisherigen Staatsangehörigkeit zur Folge hat (wie Entlassung, Genehmigung oder Erlaubnis zum Staatsangehörigkeitswechsel u. a.)."
126
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Ist dieser Tatbestand erfüllt bezüglich türkischer Kurden, die vor der Entlassung ihren Wehrdienst in der Türkei ableisten sollen? I (e): Ja, sofern die Aussetzung der Abschiebung gemäß § 54 S. 1 AuslG angeordnet ist {Dieses humanitäre Argument berücksichtigt, daß die Kurden ähnlich gefährdet sein könnten wie Asylbewerber. Es berücksichtigt die Bedürftigkeit des Bewerbers. = Gerechtigkeitsarg.-Bedarf I [26]a}. H M (r): Nicht zwingend. Die Anwendbarkeit der Nr. 5.3.3.2 EinbRL stellt sich erst, wenn ein ausreichender Aufenthaltstitel besteht {Hinweis auf die anderen Einbürgerungsvoraussetzungen = systematisches Gesetzesarg. HM [26]b}. Die wehrpflichtigen Kurden werden bewußt nicht in ihren Herkunftsgebieten eingesetzt. Sie sind also nicht gezwungen auf Landsleute zu schießen. Der Wehrdienst kann also mit diesem Argument nicht für unzumutbar erklärt werden {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf H M [26]c}. [27] Weiter zu Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3.2 EinbRL Ist der Tatbestand generell erfüllt, wenn dem Einbürgerungsbewerber ein Bleiberecht gemäß § 32 AuslG gewährt wurde (ζ. B. also bei syrischen Christen oder Jesiden aus der Türkei) und die Entlassung von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig gemacht wird? I, J:: Zwar wird grundsätzlich der Wehrdienst nur bei Asylberechtigten für unzumutbar gehalten {mit denen „Bleibeausländer" formal keine rechtlichen Gemeinsamkeiten teilen = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit LT [27]a}. Andererseits sehen aber jene Ausländer, die ein Bleiberecht haben, häufig davon ab, ein Asylverfahren einzuleiten, zumal ein Bleiberecht häufig nur unter der Bedingung gewährt wurde, daß der Asylantrag zurückgenommen würde {keine Benachteiligung wegen eines Verhaltens, das von den Behörden verlangt wurde = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit U[27]b}. H M : Die Unzumutbarkeit von Entlassungsbemühungen muß dennoch für jeden Einzelfall festgestellt werden {Prinzip aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL = Prinzipienarg. HM [27]c}. Behauptungen, daß Christen beim Wehrdienst in der türkischen Armee zwangsbeschnitten würden, konnten von der deutschen Auslandsvertretung nicht bestätigt werden. A: Außerdem haben Türken gegen eine Ausgleichszahlung nur einen verkürzten Wehrdienst abzuleisten (DM 10,- bei einem Monat, DM 5,- bei zwei Monaten). Bei einem verkürzten Wehrdienst besteht keine Gefährdung der Betroffenen {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf. A [27]d}. [28] Weiter zu Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3.2 EinbRL In einigen Fällen wurden in der Vergangenheit christliche Türken während ihres Wehrdienstes zwangsbeschnitten. Kann deshalb bei christlichen Türken auf Bemü-
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
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hungert um Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit verzichtet werden, wenn die Entlassung von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig gemacht wird? 50 A (r): ES sind Fälle bekannt, in denen Türken ohne Wehrdienst entlassen wurden. Deshalb wird am Entlassungserfordernis festgehalten {Das Privilegium des Entlassungsverzichts wäre also unverdient. Die Bewerber sollen sich um ihre Entlassung bemühen. = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst A [28]a}. Ein verkürzter Wehrdienst ist zumutbar, da nicht bekannt ist, daß auch beim verkürzten Wehrdienst Repressalien zu befürchten wären. Eine generelle Freistellung ist daher nicht vertretbar und auch nicht erforderlich {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf A [28]b}. G (e): Eine solche Regelung provoziert nur, daß vermehrt Asylanträge gestellt werden {brächte also nur unnötigen Mehraufwand für die Verwaltung = Praktikabilitätsarg. G [28]c}. K : Die Differenzierung zwischen vollem und verkürztem Wehrdienst ist unplausibel, da in beiden Fällen eine Versetzung zu „gefährlichen Einheiten" erfolgen kann {gleiche Beurteilung beider Fälle, da ähnliche Konsequenzen = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Κ [28]d}. [29] Weiter zu Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3.2 EinbRL In der Vergangenheit waren die Entlassungsbemühungen tunesischer Staatsangehöriger erfolglos. Es scheint Bewegung in diese Angelegenheit gekommen zu sein. Wie verfahren
die einzelnen Länder?
Α, Β, I, Κ (R): ES werden zunächst Entlassungsbemühungen verlangt. Subsidiär wird ein Verzichtsverfahren durchgeführt {möglichstes Bemühen um Vermeidung von Mehrstaatigkeit, d. h. Festhalten am Regelungszweck von Nr. 5. 3. 2 EinbRL = Gesetzesarg. ABIK [29]a}. F, G, Ο (e): Angesichts der Mißerfolgsquote bei den Entlassungsbemühungen ist der Verwaltungsaufwand in den anderen Ländern unverhältnismäßig {Praktikabilitätsarg. FGO [29]b}. [30] Weiter zu Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3.2 EinbRL Die Entlassungspraxis der Republik Bosnien-Herzegowina ist unregelmäßig und widersprüchlich.
so Im Urteil des BVerwG (9 C 118. 90) vom 5. 11. 1991 wird „im Hinblick auf die nach Art und Umfang schwerwiegenden Vorkommnisse [ . . . ] , daß an allen türkischen Standorten die Gefahr einer Zwangsbeschneidung gestiegen ist, [ . . . ] eine Rückkehr als unzumutbar" angesehen.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Gibt das Anlaß zur Hinnahme von Mehrstaatigkeit Herzegowina?
für Bewerber aus Bosnien-
Β (e): Eine Mehrstaatigkeit sollte vorübergehend hingenommen werden unter der Auflage, weiterhin eine Entlassung herbeizuführen {Diese Auslegung hält sich an den engen Ausnahmecharakter und den Regelungszweck der Norm. = teleologisches Gesetzesarg. Β [30]a}. A (r): Nein. Eine Privilegierung von Einbürgerungsbewerbern aus Bosnien-Herzegowina ist gegenüber anderen, die warten müssen, nicht gerechtfertigt {Dringen auf Gleichberechtigung = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit A [30]b}. Q, Κ (e): Es fehlt an einer Vergeichbarkeit, da in Bosnien-Herzegowina eine besondere politische Lage herrscht. Art. 3 Grundgesetz ist daher nicht verletzt, wenn Einbürgerungsbewerber aus Bosnien-Herzegowina erleichtert eingebürgert werden {verfassungsrechtliches Gesetzesarg. QK [30]c}. [31] Weiter zu Nr. 5.3.2 und Nr. 5.3.3.2 EinbRL Seit 1989 verzichten Staatsangehöriger.
einige Länder auf Entlassungsbemühungen afghanischer
Wie verhält es sich mit dieser Praxis? A (r): Die afghanische Botschaft nimmt Entlassungsanträge entgegen. Zwar erfolgte bislang keine Bearbeitung durch innerafghanische Stellen. Immerhin jedoch bietet diese Sachlage Anlaß, an den Entlassungsbemühungen festzuhalten {normative Ausrichtung am Regelungszweck restriktiver Hinnahme von Mehrstaatigkeit, Nr. 5.3.2 und 5.3.3 EinbRL = Gesetzesarg. A [31]a}. Q (r): Das ist richtig. Auch in anderen Staaten gibt es unklare politische Verhältnisse {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [31]b}. Die generelle Entlassungsverweigerung eines Staates führt nicht zum Verzicht auf die Entlassungsbemühungen, solange die Entlassung rechtlich möglich ist {Verstärkung des von A geäußerten Gesichtspunktes = teleologisches Gesetzesarg. Q [31]c}. In jedem Fall sollte ein Verzichtsverfahren 51 durchgeführt werden {Das kann von jedem Bewerber billigerweise verlangt werden. = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst Q [31]d}. H M (e): Entlassungsbemühungen sind fruchtlos, da es gegenwärtig keine staatliche Zentralverwaltung in Afghanistan gibt {Praktikabilitätsarg. HM [31]e}. Möglicherweise werden Angehörige der Einbürgerungsbewerber verfolgt, wenn in Afghanistan bekannt wird, daß sich ein Verwandter in Deutschland um die deutsche Staatsangehörigkeit bemüht {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf HM [31]f}. 51
Verzichtsverfahren werden subsidiär zu gescheiterten Entlassungsbemühungen verlangt. Sie beinhalten die schriftliche Verzichtserklärung des Einbürgerungskandidaten und die anschließende Weiterleitung dieser Erklärung an den Heimatstaat durch die Einbürgerungsbehörde. Verzichtsverfahren werden beispielsweise durchgeführt aus Anlaß der Einbürgerung tunesischer, syrischer oder marokkanischer Staatsangehöriger.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
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[32] Weiter zu Nr. 5.3.3 und Nr. 5.3.3.2 EinbRL Sind die Entlassungsbemühungen unzumutbar, wenn der Heimatstaat überhöhte Entlassungsgebühren einfordert ? G: Die Entlassungsgebühren sind generell zumutbar {Gerechtigkeitsarg.-Verdienst G [32]a}, es sei denn, sie übersteigen eine obere Zumutbarkeitsgrenze. Diese Grenze ist überschritten, wenn die Entlassungsgebühren im Einzelfall die Einbürgerungsgebühren übersteigen {die „Zumutbarkeit" betrifft die Frage, ob ein Verhalten oder ein Zustand nach einer sachgerechten Würdigung der Umstände hingenommen werden muß = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit G [32]b}. Β (e): Eine Senkung der Höhe zumutbarer Entlassungsgebühren unterstützt das politische Interesse an einer erleichterten Einbürgerung {politisches arg. Β [32]c} X: Eine unterschiedliche Zumutbarkeitsgrenze für Anspruchs- und Ermessenseinbürgerungen läßt sich nicht rechtfertigen {Rücksichtnahme auf die Wirkung in der Öffentlichkeit = politisches arg. X [32]d}. Die Zumutbarkeitsgrenze muß nach dem Willen des Gesetzgebers nach den persönlichen Verhältnissen jedes einzelnen Einbürgerungsbewerbers beurteilt werden {genetisches Gesetzesarg. X [32]e}. Das ergibt sich auch aus dem Gesetz, da § 87 Abs. 1 S. 1 AuslG die Voraussetzung einer „besonders schwierigen Bedingung" festgelegt hat {systematisches Gesetzesarg. X[32]f}. Τ (r): Die generelle Bewertung, die Entlassungsgebühren eines bestimmten Staates seien „unzumutbar", könnte die auswärtigen Beziehungen zu diesem Staat belasten {politisches arg. Τ [32]g} H M (r): Die Festlegung einer Untergrenze würde in einigen Fällen verhindern, daß sich der Bewerber zunächst um eine Entlassung bemühte {Die dadurch entstehenden Ungleichheiten sollen vermieden werden = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit HM [32]h}. In jedem Fall sollte ein Verzichtsverfahren durchgeführt werden {Das ist die Mindestanforderung, die an einen Einbürgerungsbewerber gestellt werden muß. = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst HM. [32]i}. [33] Zu Nr. 5.3.3 iVm Nr. 5.3.3.5 EinbRL „Ausnahmen vom Einbürgerungshindernis eintretender Mehrstaatigkeit" kommen in Betracht, wenn „minderjährige Kinder eingebürgert werden sollen und ihre Entlassung auf unverhältnismäßige Schwierigkeiten stößt", Nr. 5.3.3.5 EinbRL. Einige Staaten entlassen nicht vor Volljährigkeit aus der Staatsangehörigkeit. Nach allgemeiner Praxis erhalten Kinder über 16 Jahren nur eine Einbürgerungszusicherung unter der Auflage, sich mit Eintritt der Volljährigkeit auszubürgern. Kinder unter 16 Jahren werden unter vorläufiger Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert mit der Verpflichtung ihrer Sorgeberechtigten, die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit nach Volljährigkeit des Kindes zu betreiben. Wie verhält es sich mit dieser Praxis, insbesondere bezüglich Kinder unter 16 Jahren? 9 Bultmann
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
C, G (e): Kinder über 16 Jahren sollten vollständig eingebürgert werden unter der Bedingung, daß sie mit Volljährigkeit das Entlassungsverfahren betreiben (G: unter der Bedingung, daß die Volljährigkeit innerhalb der nächsten vier Jahre eintritt). Bei Kindern unter 16 Jahren sollte eine Mehrstaatigkeit endgültig hingenommen werden. Eine langfristige Überwachung dieser Einbürgerungskandidaten ist zu aufwendig {Praktikabilitätsarg. CG [33]a}. Es ist ohnehin schwierig im Falle der Nichtentlassung eine geeignete Sanktion durchzusetzen {Dieses Argument stärkt das vorherige Praktikabilitätsargument. = Praktikabilitätsarg. CG [33]b}. Diese Lösung bringt eine Verminderung des Verwaltungsaufwandes mit sich und entspricht damit auch der allseitigen Forderung nach einem „schlanken Staat" {politisches arg. CG [33]c}. Jedenfalls sollte eine Länderabsprache darüber erfolgen, unter welchen Umständen in Fällen von Nr. 5.3.3.5 EinbRL Mehrstaatigkeit endgültig hingenommen werden könnte {Rücksichtnahme auf die einheitliche Darstellung der Verwaltung in der Öffentlichkeit = politisches arg. G [33]d}. J: Ein Widerruf der Einbürgerung ist rechtlich bedenklich und daher als Lösungsansatz unzweckmäßig {Praktikabilitätsarg. J [33]e}. A (r): Man kann ein Zwangsgeld erheben {Praktikabilitätsarg. A [33]f}. Das ist auch gerichtlich 52 bestätigt worden {autoritäres arg. A [33]g}. Es kann daher bei der bisherigen Praxis bleiben: Minderjährige unter 16 Jahren werden nur unter der Verpflichtung der Sorgeberechtigten, nach Eintritt der Volljährigkeit die Entlassung zu betreiben, eingebürgert. Ohnehin ist die gesetzliche Einführung einer Kinderstaatsangehörigkeit geplant, so daß eine Einbürgerung Minderjähriger dann nicht mehr erforderlich sein wird {Verweis auf die politische Diskussion = politisches arg. A [33]h}. [34] Zu Nr. 5.3.3 iVm Nr. 5.3.3.6 EinbRL Mehrstaatigkeit kann hingenommen werden, bei Bewerbern, die „den überwiegenden Teil ihrer Schulausbildung in deutschen Schulen erhalten haben und hier in deutsche Lebensverhältnisse und in das wehrpflichtige Alter hineingewachsen sind, sofern die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit von der Leistung des Wehrdienstes abhängig ist", Nr. 5.3.3.6 EinbRL. Inwiefern rigkeit zu?
trifft
diese Regelung auf Heranwachsende griechischer Staatsangehö-
H M (e): Bei Einbürgerungen gemäß § 87 Abs. 2 oder § 8 RuStAG wird generell auf Entlassungsbemühungen verzichtet {da diese erfahrungsgemäß fruchtlos verlaufen = Praktikabilitätsarg. HM [34]a}. A, B (r): Hier werden nur Einzelfallentscheidungen getroffen {Grundsatz der Einzelfall Würdigung aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL = Prinzipienarg. AB [34]b}.
52 Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. 1. 1991 - 5 CS 90. 3237.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
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[35] Weiter zu Nr. 5.3.3 iVm Nr. 5.3.3.6 EinbRL (zugleich zu § 87 Abs. 2 AuslG) Werden diese Ausnahmevorschriften habt?
in den Bundesländern großzügig gehand-
A, F (r): Nein, denn es werden die Erwartungen enttäuscht, daß diese Doppelstaater dann in Deutschland zum Wehrdienst herangezogen werden {Vorstellung, daß die Doppelstaater nicht gegenüber deutschen Wehrpflichtigen privilegieren werden sollen = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit AF [35]a}. Die Vorschrift ist auch strukturell gleichheitswidrig, da deutsche Wehrpflichtige mit Volljährigkeit wehrpflichtig sind, die eingebürgerten Doppelstaater erst mit Aushändigung der Einbürgerungsurkunde. Wenn die Betreffenden sich also erst spät einbürgern lassen, entscheiden sie faktisch selbst, ob sie Wehrdienst leisten wollen oder nicht. Jüngere Wehrpflichtige werden nämlich bevorzugt eingezogen {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit AF [35 ]b}.
[36] Zu Nr. 5.3.4.2 EinbRL Mehrstaatigkeit, kann hingenommen werden, wenn „ein herausragendes öffentliches Interesse " an der Einbürgerung besteht. Ist diese Vorschrift
anwendbar bei Ausländern, die im Polizeidienst stehen?
J (e): Ja. Das erleichtert die Gewinnung von Ausländern für den Polizeidienst {weil ein positiver Anreiz geschaffen wird = politisches arg. J [36]a}. Die Akzeptanz und Integration ausländischer Polizisten unter den deutschen Kollegen wären gefördert {bessere Kooperation innerhalb der Polizei = politisches arg. J [36]b}. Auch die Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur Verwendung von Ausländern im Polizeidienst wäre leichter zu erhalten {politisches arg. J [36]c}. Die in Deutschland lebenden Ausländer würden mehr Vertrauen zur Polizei bekommen {politisches arg. J [36]d}. B, G, Q (r): Die beamtenrechtlichen Vorschriften für die Gewinnung von Ausländern für den Polizeidienst reichen aus {Eine Änderung der Einbürgerungspraxis ist deshalb überflüssig. = Praktikabilitätsarg. BGQ [36]e}. I (r): Eine Begünstigung von Polizeibeamten gegenüber anderen Beamten ist nicht einsichtig {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit I [36]f}. A (r): In A gibt es keine Nachwuchsprobleme bei der Polizei {Eine Praxisänderung ist diesbezüglich also irrelevant. = Praktikabilitätsarg. A [36]g}. Die Akzeptanz von ausländischen Polizeidienstleistenden hängt allein von deren Eignung und Leistung ab {ein weiterer Grund für die Unzweckmäßigkeit einer Praxisänderung = Praktikabilitätsarg. A [36]h}. *
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
[37] Zu Nr. 5.30.7 S. 2 - 4 EinbRL Nach der Zustimmung zur Einbürgerung doch vor der Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit kann eine schriftliche Einbürgerungszusicherung erteilt werden. Sie ist „in der Regel" auf zwei Jahre zu befristen, kann aber verlängert werden. Sollte die Einbürgerungszusicherung
künftig für drei Jahre erteilt werden?
A: Ja. Das führt zur Arbeitserleichterung {Praktikabilitätsarg. A [37]a}. H M stimmt dagegen. Die Einbürgerungsbewerber ließen sich sonst zu viel Zeit mit der Entlassung {Hier wird eine Beziehung hergestellt zwischen der „Schuldigkeit" der Bewerber und der Einbürgerung als „Gegenleistung". = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst H M [37]b}. Q: Das erklärte Ziel aller gegenwärtiger Bemühungen ist die Beschleunigung des Einbürgerungsverfahrens. Eine Fristverlängerung würde suggerieren, die Behörden gingen nunmehr von noch längeren Bearbeitungsphasen aus. Es sei also eine ungünstige politische Wirkung in der Öffentlichkeit zu befürchten {politisches arg.Q[37]c}. K : Nach Umfragen in unserem Geschäftsbereich werden 90% der Fälle, in denen ein besonderes Antrags- oder Verzichtsverfahren durchgeführt werden muß, innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen. In den übrigen Fällen aber dauern die Verfahren länger als drei Jahre. Der vorgebrachte Vorschlag geht also ins Leere {Praktikabilitätsarg. Κ [37]d}. B, J: Nr. 5.30.7 S. 4 EinbRL, „in der Regel", lassen schon jetzt Ausnahmen zu {Dieses Argument bezieht sich auf den Normtext. = Gesetzesarg. BJ [37]e}.
i) Nr. 6 EinbRL: „Besondere Fälle" [38] Zu Nr. 6.1.3 EinbRL Ein deutschverheirateter Ausländer „soll unter den sonstigen Voraussetzungen des § 9 RuStAG eingebürgert werden, wenn gewährleistet ist, daß er sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnet Nr. 6.10.3 S. 1 EinbRL. Dazu ist für Bewerber aus dem nicht deutschsprachigen Raum unter anderem erforderlich, daß ein Inlandsaufenthalt von fünf Jahren oder drei Jahren nach der Eheschließung vorliegt. Muß der Inlandsaufenthalt
ununterbrochen bestanden haben?
A (r): Mindestens die Hälfte der erfordlichen Zeit muß ununterbrochen im Inland zugebracht worden sein. Das ergibt sich aus Nr. 3.2.1 Abs. 1 S. 4 EinbRL, der Entsprechendes allgemein regelt {systematisches Gesetzesarg. A [38]a}.
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III. Durchführung der Inhaltsanalyse
H M (e): Nein. Nr. 6.1.3 EinbRL ist eine Spezialnorm, die eine Einschränkung nicht vorsieht {wortlautbezogenes Gesetzesarg. HM [38]b}. [39] Zu Nr. 6.4.3 EinbRL Die Einbürgerung „der Asylberechtigten und der in die deutsche Obhut übernommenen ausländischen Flüchtlinge " erfolgt unter erleichterten Bedingungen. Begünstigt diese Norm auch 1991 noch Asylberechtigte Ungarn und der Tschechoslowakei?
aus Polen, Rumänien,
B, F (r): Die Einbürgerungserleichterung entfällt, wenn die Bewerber nicht mehr materiell asylberechtigt sind, weil sie in ihrem Herkunftsland nicht mehr verfolgt werden. Das ist hier der Fall, denn die politischen Verhältnisse haben sich in den betreffenden Ländern grundlegend geändert. Deshalb sollen sie nicht mehr gemäß Nr. 6. 4. 3 der Einbürgerungsrichtlinien begünstigt werden {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf BF [39]a}. Diese Auffassung steht auch in Einklang mit den Entscheidungen des VGH Baden-Württemberg 53 {autoritäres arg. BF [39]b}. Zwar ist die Asylrechtsentscheidung gemäß § 18 Asylverfahrensgesetz bindend für die Einbürgerungsbehörde. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAF1) hat aber auch Verpflichtung, die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erneut zu prüfen, wenn die Asylgründe wegfallen. Dieser Widerrufsverpflichtung sollte Rechnung getragen werden, indem zuerst ein dementsprechendes Verfahren eingeleitet wird {Gesetzesarg. BF [39]c}. Die Einbürgerungspraxis kann nicht dadurch beeinflußt werden, daß das maßgebliche Bundesamt wegen personeller Gründe nicht zu einer kurzfristigen Überprüfung in der Lage ist {Die einbürgerungsrechtlichen Voraussetzungen müssen gegeben sein und Nr. Nr. 5.3.3. S. 4 EinbRL sagt ausdrücklich, daß Bewerber Wartezeiten hinnehmen müssen. = Gesetzesarg. BF [39]d}. A (r): Eine allgemeine Überprüfung läßt sich politisch kaum vertreten. Möglich wäre allenfalls ein genereller Widerruf der Asylentscheidungen {politisches arg. A [39]e}. Den Bewerbern wird (so entspricht es auch der Praxis in F) empfohlen einen Nationalpaß zu beantragen. Wird der verweigert, so wird der Asylstatus überprüft. Die Bewerber wissen selbst, ob die Gefahr noch andauert. Ihnen nicht zustehende Vergünstigungen sollen sie nicht in Anspruch nehmen {Gerechtigkeitsarg.-Verdienst A [39]f}. I, Ο (r): Ein Widerruf gemäß § 16 Asylverfahrensgesetz ist wegen der Überforderung des BAF1 praktisch ausgeschlossen. Bei Ermessensentscheidungen ist der formelle Status irrelevant, maßgeblich ist die materielle Lage {Regelungszweckbetrachtung = Gesetzesarg. I [39]g}. Bei Einbürgerungsbewerbern mit Asylstatus aus den drei Ländern wird eine Ausnahme vom Grundsatz der Familieneinheit nicht mehr hingenommen. Die Vergünstigungen aus den Einbürgerungsrichtlinien könn53 VGH BW vom 10. 5. 1976 (-1 1319/75) und vom 27. 4. 1987 (-B S 2706/86).
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
ten auch durch weitere Absprachen zurückgenommen werden. Das ist jedenfalls überzeugender, als das Verfahren, einen Nationalpaß zu verlangen, um dann auf die geänderten Bedingungen (ζ. B. zehnjährige Aufenthaltsdauer) hinzuweisen {Rücksichtnahme auf die Plausibilität des vorgeschlagenen Verfahrens = politisches arg. 10 [39]h}. G (e): Maßgeblich ist der formale Status der Asylberechtigung unabhängig vom Herkunftsland. Artikel 3 der Genfer Flüchtlingskonvention fordert eine Gleichbehandlung aller Asylberechtigten ohne Ansehung des Herkunftslandes {systematisches Gesetzesarg. HM [39]i}. Q (r): Die materielle Bedürftigkeit sollte im Rahmen des Ermessens (im Anschluß an eine Anhörung) geprüft werden. Eine generelle Begünstigung dieser Gruppen ist nicht gerechtfertigt (Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [391j}. H M (e): Die Entscheidung des BAF1 ist bindend, denn die Asylberechtigung hat Gültigkeit, bis sie gemäß § 16 Asylverfahrensgesetz widerrufen wurde {systematisches Gesetzesarg. HM [39]k}. Eine abändernde Entscheidung über die Asylberechtigung ist ausschließlich dem Β AFI übertragen {Hinweis auf rechtstaatliche Kompetenzentrennung = Gesetzesarg. HM [39]1}. Außerdem würde eine materielle Betrachtungsweise die Einbürgerungsbehörden überfordern {Praktikabilitätsarg. HM [39]m}.
[40] Zu Nr. 6.4.4 und Nr. 6.4.1.4 EinbRL Staatenlose sollen erleichtert eingebürgert werden (ζ. B. schon nach siebenjährigem Aufenthalt, „wenn die volle Eingliederung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist"). „Staatenlos ist, wer von keinem Staat nach seinem innerstaatlichen Recht als eigener Staatsangehöriger angesehen wird. Als Staatenloser kann in der Regel angesehen werden, wer sich durch einen Reiseausweis nach Artikel 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen ausweist u, Nr. 6.4.1.4 EinbRL. Gilt diese Vorschrift für Staatenlose aus der ehemaligen Sowjetunion oder der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien? Q (r): Nein. Es gibt zwei Fälle: Erstens, der „Staatenlose" kann die Staatsangehörigkeit seines ehemaligen Heimatlandes durch Anerkennung erwerben, zweitens, ein solcher Erwerb aus dem Ausland ist nicht möglich. Die Statenlosen der ersten Gruppe sind nicht schutzbedürftig im materiellen Sinne, wenn sie sich in ihren ehemaligen Heimatstaaten Pässe besorgen können in einem Anerkennungsverfahren {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf Q [40]a}. Die Regelung der Probleme aus den Transformationsprozessen soll nicht zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland gehen {Zurechnung von Schadensverursachung auf der außenpolitischen Ebene = politisches arg. Q [40]b}. Das ergibt sich auch aus dem völkerrechtlichen Grundsatz, daß sich kein Staat der Verantwortung für seine Bürger entziehen kann
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
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{systematisches Gesetzesarg. Q [40]c}. Wenn eine Anerkennung als Staatsangehöriger aus dem Ausland nicht möglich ist, handelt es sich um ein außenpolitisches Problem. Die Vorausetzungen für eine ausländerrechtliche Staatenlosenbehandlung liegen dann nicht vor. Eine Privilegierung der Betroffenen ist einbürgerungsrechtlich für diese Fälle nicht gerechtfertigt {Bezug zu Nr. 6. 4. 10.4 S. 1 EinbRL = Gesetzesarg. Q [40]d}. Es ist nicht unzumutbar, von diesen Staatenlosen eine Heimreise in ihr Heimatland zu verlangen, um einen Paß zu erlangen. Ausländer in Deutschland unterliegen der Paßpflicht {normative Äußerung zu den Mitwirkungspflichten der Ausländer = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst Q [40]e}. Eine Einbürgerung kann erst nach zehnjährigem Aufenthalt in Betracht kommen, es sei denn es wurde vorher aus irgendwelchen Gründen ein Paß für Staatenlose ausgestellt {Berücksichtigung des Integrationsaspektes = Prinzipienarg. Q[40]f}. [41] Weiter zu Nr. 6.4.4 und Nr. 6.4.1.4 EinbRL Kurden oder Palästinenser werden von libanesischen Behörden nicht als libanesische Staatsangehörige anerkannt, selbst wenn sie im Libanon geboren wurden. Im Gegensatz dazu steht die rechtliche Lage, derzufolge jeder die libanesische Staatsangehörigkeit erwirbt, der im Libanon geboren wird, es sei denn er weist den Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit nach. Es entsteht fiir Kurden und Palästinenser folglich eine de-facto Staatenlosigkeit. Sind im Libanon geborene Abkömmlinge von Staatenlosen (ζ. B. palästinensische oder kurdische Volkszugehörige) nur de-facto oder auch de-iure staatenlos? C, I (e): Die Betroffenen werden als de-iure staatenlos betrachtet mit der Folge, daß ein Einbürgerungsanspruch nach Art. 2 des Gesetzes zur Verminderung von Staatenlosigkeit (AGStlMindÜbk) 54 besteht {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf CI [41]a}. A, Β (r): Ausländerrechtlich sind diese Personen nicht de-iure staatenlos. Insbesondere haben sie keinen Reiseausweis für Staatenlose {formalistisches, systematisches Gesetzesarg. AB [41]b}. Außerdem besitzen diese Personen nach dem libanesischen Staatangehörigkeitsrecht die libanesische, Kurden eventuell die türkische oder die irakische, Staatsangehörigkeit {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf AB [41]c}. I: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 55 sind nicht nur die staatsangehörigkeitsrechtlichen Vorschriften sondern auch deren Auslegung und Praxis durch Justiz und Verwaltung des betreffenden Landes zu beachten, so daß eine de-iure Staatenlosigkeit besteht {autoritäres arg. I [41]d}. 54 Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 30. 8. 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. 9. 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (Gesetz zur Verminderung von Staatenlosigkeit) vom 29. 6. 1977 (BGBl. I S. 1101); abgedruckt in Weidelener/Hemberger (1993), S. 233. 55 Kammerbeschluß vom 5. 10. 1990-2 BvR 650/89.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
B: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. IO. 1995 56 trifft keine materiell erhebliche Aussage zu dem Problem {autoritäres arg. Β [41]e}. [42] Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit Gemäß der Anlage Nr. 3 zum „Mehrstaateriibereinkommen " vom 6. Mai 196357 muß der Bund einen fremden Staat um Zustimmung bitten, wenn dieser einen deutschen Staatsangehörigen unter Beibehaltung der bisherigen deutschen Staatsangehörigkeit einbürgern soll. Wie ist der folgende Fall zu beurteilen: Ein deutscher Ehemann ist als Wissenschaftler zeitlich befristet in Österreich tätig und möchte die österreichische Staatsangehörigkeit erwerben unter Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit. Seine Ehefrau kann ihren Beruf als Ärztin nur nach Erwerb der österreichischen Staatsangehörigkeit ausüben. Die Kinder haben zwischenzeitlich die österreichische Staatsangehörigkeit erworben unter Beibehaltung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit, da die Voraussetzungen der §§ 25, 19 RuStAG nicht erfüllt waren. Die Familie beabsichtigt, zu gegebener Zeit nach Deutschland zurückzukehren. Ist die Genehmigung der deutschen Seite zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit gerechtfertigt? O: Ja. Die familiären Gründe in Verbindung mit dem persönlichen Interesse an der Ausübung des erlernten Berufes sind so schwerwiegend, daß die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung gerechtfertigt ist {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf 0[42]a}. H M : Die Erteilung von Beibehaltungsgenehmigungen sollte nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden wie die Hinnahme von Mehrstaatigkeit {gleiche Behandlung von einzubürgernden Ausländern und auszubürgernden Deutschen = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit HM [42]b}. Der Antragsteller muß ein besonderes Interesse an der Beibehaltung haben. In jedem Fall muß die Erteilung der Beibehaltungsgenehmigung mit den sonstigen staatlichen Belangen, dem öffentlichen Interesse, vereinbar sein {vgl. Nr. Nr. 2.2 S. 3 ff. EinbRL = Prinzipienarg. HM [42]c}. B: In Β wurde ein Vergleichsfall negativ beschieden. Zweifelhaft erscheint, ob die österreichische Seite bei dem vorgetragenen Sachverhalt - beabsichtigte Rückkehr nach Deutschland - die österreichische Staatsangehörigkeit überhaupt verleihen würde. Es läßt sich nicht ausschließen, daß dort eine andere Argumentation vorgetragen wird {Mutmaßungen darüber, ob der Antragsteller moralisch gut handelt und nicht lügt = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst Β [42]d}.
56 1 Β 138.95. 57 Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern (BGBl. 1969 II 1954), ratifiziert für die Bundesrepublik Deutschland durch gesetz vom 29. 9. 1969 (BGBl. 1969 II 1953), abgedruckt ζ. B. in Staatsangehörigkeitsrecht (1993), S. 120 ff. oder auszugsweise in Bergmann / Korth/Ziemske (1995), S. 36 ff.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
137
A, B: Da es viele Fälle vergleichbarer Art gibt, sollte in diesem Fall negativ beschieden werden, da ansonsten die Beibehaltungsgenehmigung ausufern würde, denn die vorgetragenen Argumente dürften auf eine Vielzahl von „Auswanderern" zutreffen {politisches arg. AB [42]e}. Der Grundsatz, daß die Antragsteller bei einem Staatsangehörigkeitswechsel die Vor- und Nachteile abwägen, muß erhalten bleiben {einbürgerungsrechtliches Prinzipienarg. AB [42]f}. Im Übrigen kann der Antragsteller bei der Ausbürgerung seine Gründe aktenkundig machen lassen, um dann später erleichtert wieder eingebürgert werden zu können {Gerechtigkeitsarg.Bedarf AB [42]g}. Q: Ein öffentliches Interesse an der Mehrstaatigkeit kann auch dann nicht bejaht werden, wenn ζ. B. durch die Änderung der amerikanischen Erbschaftssteuergesetze für Personen, die nicht amerikanische Staatsangehörige sind, höhere Belastungen vorgesehen sind. Auch hier müssen die Betroffenen die möglichen Vor- und Nachteile eines Staatsangehörigkeitswechsels gegeneinander abwägen {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [42]h}.
2. Weitere Einbürgerungstatbestände aus dem Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz [43] Zu § 4 Abs. 1 RuStAG (neue Fassung)58 „Durch die Geburt erwirbt ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Ist bei der Geburt eines nichtehelichen Kindes nur der Vater deutscher Staatsangehöriger, bedarf es zur Geltendmachung des Erwerbs einer nach den deutschen Gesetzen wirksamen Feststellung der Vaterschaft § 4 Abs. 1 S. I und 2, I. Hs. Gemäß Satz 2 dieser Vorschrift erwerben auch nichteheliche Kinder mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn nur deren Väter die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG (alte Fassung) 59 war dieser Staatsangehörigkeitserwerb nichtehelichen Kindern deutscher Mütter vorbehalten. Nach welcher Vorschrift erwerben Kinder deutscher Väter und ausländischer Mütter, die vordem 1. 7. 1993 geboren wurden, die deutsche Staatsangehörigkeit? Q: Zunächst kommt nur eine Einbürgerung nach § 10 RuStAG in Frage. Möglicherweise kann aber eine Bevorzugung im Rahmen des Wohlwollensgebotes bei einer Einbürgerung gemäß §§8 und 9 RuStAG erfolgen {Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit Q [43]a}. Ein entsprechendes Wohlwollensgebot wurde vom BVerwG zu Art. 3 RuStAÄndG 60 abgelehnt. Allerdings ist Art. 3 RuStAÄndG eine ausdrückte § 4 RuStAG wurde neu gefaßt durch Gesetz vom 30. 6. 1993 (BGBl. I S. 1062). 59
Fassung eingeführt durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. 12. 1974 (BGBl. I S. 3714; BGBl. III 102-9). 60 BGBl. I S. 3714, BGBL III 102-9.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
liehe Übergangsregelung. Die Entscheidung läßt sich daher nicht uneingeschränkt auf den vorliegenden Fall übertragen {(anti-) autoritäres arg. Q [43]b}. B: Der Gesetzgeber hat keine ausdrückliche Übergangsregelung geschaffen. Die Verwaltung ist nicht berufen, diesen Willen zu korrigieren {genetisches Gesetzesarg. Β [43]c}. Eine Übergangsregelung wurde deshalb für entbehrlich gehalten, weil es die Einbürgerungsmöglichkeit nach § 10 RuStAG gibt {genetisches und systematisches Gesetzesarg. Β [43]d}. Q: An der Verfassungsmäßigkeit von § 4 RuStAG (alte Fassung) bestehen begründete Zweifel, so daß der gesetzgeberische Wille durchaus eine Korrektur verdiente {verfassungsrechtliche Überlegung = Gesetzesarg. Q [43]e}. Β, I: Das Bundesverfassungsgericht hat über die Verfassungsmäßigkeit von § 4 RuStAG (alte Fassung) nicht entschieden, auch deshalb reicht die Regelung von § 10 RuStAG aus {autoritäres arg. BI [43]f}. [44] Zu § 10 RuStAG „Das nichteheliche Kind eines Deutschen ist einzubürgern, wenn [... ] das Kind seit drei Jahren rechtmäßig seinen dauernden Aufenthalt im Inland hat [...]", § 10 S. 1 RuStAG. Welche Anforderungen stellen?
sind an den Aufenthaltstitel
im Rahmen dieser Norm zu
F, J, K : Beim erforderlichen Aufenthaltstitel soll wegen der Rechtsänderung zu § 4 RuStAG möglichst großzügig verfahren werden. Danach dürfte eine Aufenthaltsbewilligung61 im Regelfall ausreichen {Reaktion auf die Parallelnorm § 4 RuStAG = systematisches Gesetzesarg. FJK [44]a}. F: Die Aufenthaltsbewilligung kann durchaus einen dauernden Aufenthalt vermitteln, zum Beispiel beim Aufenthalt des Studenten am Studienort {ob ein Aufenthalt „dauerhaft" ist, bemißt sich auch nach den Tatsachen. Hier wird eine solche Konsequenz der Aufenthaltsbewilligung bejaht. Notwendig ist also eine Einzelfallentscheidung. = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit F [44]b}. A, I: Es besteht eine starke Mißbrauchsgefahr, wenn schon die Aufenthaltsbewilligung ausreichen soll {so daß erleichtert ungerechtfertigte Vorteile erschlichen werden können = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst A I [44]c}. Studenten haben laut den Urteilen des BayVerwGH vom 13. 10. 1992 (zu § 26 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 RuStAG) und des BVerwG vom 23. 2. 1993 (Staatenlosigkeit von Palästinensern) keinen Daueraufenthalt am Studienort {autoritäres arg. A I [44]d}.
61
Vgl. § 28 Abs. 1 S. 1 AuslG: Eine Aufenthaltsgenehmigung hat die Rechtsform der Aufenthaltsbewilligung, „wenn einem Ausländer der Aufenthalt nur für einen bestimmten, seiner Natur nach einen nur vorübergehenden Aufenthalt erfordernden Zweck erlaubt wird".
139
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
I: In den Niederlanden sind „Scheinanerkenntnisse" verbreitet: Der Aufenthaltstitel bietet dann beispielsweise nur eine Einreisemöglichkeit zum Zwecke der Prostitution. Bei Einbürgerungsanträgen sollte deshalb vorsichtig verfahren werden, wenn es um die Anerkennung eines Aufenthaltstitels geht, der einen dauernden Aufenthalt indizieren soll {Es soll verhindert werden, daß eingebürgert werden kann, wer sich unredlich verhält. = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst I [44]f}. Q: Diese Frage wurde schon früher diskutiert. Damals wurde eine Aufenthaltsbewilligung nicht als ausreichend angesehen {Selbstbindung der Verwaltung = autoritäres arg. Q [44]g}. Bei einer großzügigen Auslegung des „Aufenthaltes" im Rahmen des § 10 RuStAG besteht die Gefahr, daß diese Praxis auf § 8 RuStAG übertragen wird {Das wäre eine unerwünschte Konsequenz = politisches arg. Q [44]h}. Die Öffentlichkeit würde nicht nachvollziehen können, warum bei § 8 RuStAG ein strengerer Maßstab bestehen würde als bei § 10 RuStAG {politisches arg.Q[44]i}. G: Eine Differenzierung zwischen § 8 und § 10 RuStAG ist sachgerecht, da das Erfordernis eines Aufenthaltstitels bei § 8 RuStAG mit in das Ermessen einfließt. Die Behörde hat hier also einen größeren Entscheidungsfreiraum {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit G [44]j}. Eine differenzierte Behandlung beider Tatbestände ist daher auch in der Öffentlichkeit vermittelbar {politisches arg. G [44]k}. [45] Zu § 13 RuStAG (analog) iVm § 8 RuStAG und Nr. 3.2.2.1 EinbRL „Ein ehemaliger Deutscher, der sich nicht im Inland niedergelassen hat, kann [... ] auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er den Erfordernissen des §8 Abs. I Nrn. I, 2 entspricht§ 13 S. 1, 1. Hs. RuStAG. Gilt § 13 RuStAG analog, wenn der Einbürgerungsantrag stellt wird?
aus dem Inland ge-
F, G, I (e): Ja. Der Inlandsaufenthalt bedeutet gegenüber dem Auslandsaufenthalt „ein Mehr". Besteht also ein Inlandsaufenthalt, so kann „erst-recht" eingebürgert werden {logischer Schluß aus dem Sinn und Zweck der Norm = teleologisches Gesetzesarg. FGI [45]a}. G: Die Bewerber, die nach § 13 RuStAG eingebürgert werden können, werden nämlich auch schon durch § 10 ArbeitsaufenthaltVO privilegiert {systematisches Gesetzesarg. G [45]b}. A (r): § 13 RuStAG kann aus rechtsdogmatischen Gründen nicht analog auf die Inlandseinbürgerung angewendet werden {Die Inlandseinbürgerung wird durch Spezialtatbestände geregelt. = systematisches Gesetzesarg. A [45]c}. Bei Inlandseinbürgerungen besteht generell die Voraussetzung, daß der Einbürgerungsbewerber einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel besitzen muß {systematisches Gesetzesarg. A [45]d}. Diese Linie wurde in der Praxis jahrelang vertreten {autoritäres arg. A[45]e}.
140
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
H M (e): Ja, denn es ist unsinnig und unverhältnismäßig, den Bewerber erst wieder in sein Heimatland zurückzuschicken {Gerechtigkeitsarg.-Bedarf HM [45]f}. Der Antrag aus dem Inland sollte sogar dann entgegengenommen werden, wenn der Aufenthalt rechtswidrig und nur geduldet ist. Das sollte jedoch nur gelten, sofern der Bewerber diesen Umstand nicht zu vertreten hat, beispielsweise weil er wegen eines Bürgerkrieges nicht in sein Heimatland zurückkehren kann {Erweiterung der ersten Erwägung. Selbst wenn man verlangen würde, der Bewerber sollte zurückkehren, wäre das in diesen Fällen besonders unverhältnismäßig, da die Heimreise faktisch nahezu unmöglich ist. = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit HM[45]g}. [46] Weiter zu § 13 RuStAG (analog) iVm § 8 RuStAG und Nr. 3.2.2.1 EinbRL 1st für die Einbürgerung von Bewerbern aus dem Inland erforderlich, daß sie einen Daueraufenthalt im Sinne des § 8 RuStAG iVm Ν κ 3. 2 EinbRL gefunden haben? F, G, I (e): Nein. Die Einbürgerung nach § 13 RuStAG setzt keinen Inlandsaufenthalt voraus. Wenn eine analoge Anwendung für Bewerber aus dem Inland bejaht wird, ist konsequenterweise die Aufenthaltsdauer nicht zu prüfen {Gesetzesarg. FGI [46]a}. Β (r): Wenn nicht geprüft würde, ob ein dauernder Aufenthalt vorliegt, würde das Ausländerrecht unterlaufen werden {Gesetzesarg. Β [46]b}. F: In diesem Bereich stehen Ausländerrecht und Einbürgerungsrecht unverbunden nebeneinander {weil das Einbürgerungsrecht eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt = Prinzipienarg. F [46]c}. 62 [47] Zu § 13 RuStAG (analog) iVm § 8 RuStAG und Nr. 3.2. EinbRL Gemäß dieser Gesetzesanalogie kann nach der herrschenden Meinung ein ehemaliger Deutscher einen Einbürgerungsantrag auch aus dem Inland stellen (siehe oben [45]). „(D)em ehemaligen Deutschen steht gleich, wer von einem solchen abstammt oder als Kind angenommen ist", § 13 S. 1, 2. Hs. RuStAG. Wenn aber nicht feststellbar ist, daß während des Aufenthaltes im Ausland eine freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland bestand, muß die erforderliche Dauer des Inlandsaufenthaltes geprüft werden. Bei der folgenden Erörterung geht es um die Konkretisierung der diesbezüglichen Einbürgerungsvoraussetzungen und um den Umfang einer Vorabzustimmung des Bundesinnenministeriums. Welche Personengruppen sollten unter welchen Voraussetzungen von einer derartigen Vorabzustimmung erfaßt sein? 62 Im Ergebnis stimmten alle Länder mit einer Ausnahme gegen das Erfordernis eines einen Daueraufenthalt sichernden Aufenthaltstitels.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
141
Q (r): Die Vorschrift erfaßt verschiedene Fallgruppen: ehemalige Deutsche, deren Kinder, volljährige Adoptivkinder von Deutschen sowie weitere Kinder von Deutschen (ehemals gemäß Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. 12. 1974 (RuStAÄndG 1974) Erklärungsberechtigte, Stief- und Adoptivkinder von Spätaussiedlern mit nichtdeutschen Ehegatten und Kinder, deren Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit erst in jüngerer Zeit durch Einbürgerung erwarben). Anders als bei § 9 RuStAG kann bei diesen Personengruppen nicht regelmäßig von einer Integration ausgegangen werden. 63 Die langandauernde kulturelle Bindung zu Deutschland ist bei diesen Gruppen unterschiedlich, so daß es nicht gerechtfertigt ist, sie alle bereits nach einem ein- oder zweijährigen Inlandsaufenthalt einzubürgern {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [47]a}. Da die Einbürgerung als Mittel zur Integration abzulehnen ist, besteht für diese Personengruppen das Erfordernis bestimmter Niederlassungsfristen im Bundesgebiet. Es kann bei einer Vorabzustimmung nur darum gehen, die Niederlassungsfristen zu vereinheitlichen {Bindung an das einbürgerungsrechtliche Strukturprinzip aus Nr. 3. 2 EinbRL = Prinzipienarg. Q [47]b}. G (e): In eine derartige Regelung sollten allerdings alle Abkömmlinge, nicht nur die Kinder einbezogen werden {politisches arg. G [47]c}. Β (r): § 13 RuStAG wird in einer Weise angewendet, die über den Wortlaut hinausgeht und sollte daher eine einschränkende Auslegung finden {Gesetzesarg. Β [47]d}. Außerdem sollte der fragliche Personenkreis im Ausländerrecht und Staatsangehörigkeitsrecht einheitlich behandelt werden {Das wäre bei einer analogen Anwendung des § 13 RuStAG für Abkömmlinge von Deutschen nicht der Fall, da diese aufenthaltsrechtlich nicht bevorzugt werden. = Gerechtigkeitsarg.-GleichheitB [471e}. 64
63 Zur Illustration wurde folgender Fall beschrieben: Ein Bewerber stammt von zwei nichtdeutschen Eiternteilen ab. Diese Ehe wird aufgelöst, anschließend geht der (gebenenfalls sorgeberchtigte) Elternteil eine weitere Ehe mit einem deutschen Staats- oder Volkszugehörigen ein. Nach der Einreise in das Bundesgebiet wird der leibliche (nichtdeutsche) Elternteil ζ. B. gemäß § 6 StARegG eingebürgert. Das (minderjährige oder volljährige) Kind kann sich nun auf eine analoge Anwendung von § 13 RuStAG berufen. In der Regel hat dieses Kind vor seiner Einreise in das Bundesgebiet aber keinerlei Beziehung zu Deutschland gehabt. 64 Im Ergebnis einigten sich die Referenten auf eine Verkürzung des Aufenthaltserfordernis für die Kinder deutscher Staatsangehöriger und für die Kinder ehemals deutscher Staatsangehöriger und Personen, denen das Erklärungsrecht nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 zustand. Ausdrücklich wurde zu dieser Vorabzustimmung betont, daß sie keine „Regelniederlassungsdauern" enthält, bei deren Vorliegen die Einbürgerung erfolgen muß, sondern daß weiterhin auf den Einzelfall abzustellen sei. Kein Einvernehmen wurde erreicht hinsichtlich der ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung der bisherigen Verfahrensabsprachen.
142
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
[48] Zu § 16 Abs. 2 S. 1 RuStAG Die „Einbürgerung erstreckt sich, insofern nicht in der Urkunde ein Vorbehalt gemacht wird, [... ] auf diejenigen Kinder, deren gesetzliche Vertretung dem [...] Eingebürgerten kraft elterlicher Sorge zusteht §16 Abs. 2 S. 1 RuStAG. Gilt dieser Erstreckungserwerb 65 auch für Einbürgerungstatbestände des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes?
außerhalb
X: Ja. Die Vorschrift gilt für Ermessenseinbürgerungen. Dann kann sie erst recht auf Anspruchs- und Regeleinbürgerungen angewendet werden {logischer Schluß aus dem Sinn und Zweck der Norm = teleologisches Gesetzesarg. X [48]a}. Im Einbürgerungsrecht besteht keine Anspruchskonkurrenz. Die Erwerbstatbestände sind nebeneinander anwendbar {Hinweis auf dogmatische Besonderheiten des Einbürgerungsrechts = Prinzipienarg. X [48]b}. Die Vorschrift begünstigt das anerkannte Prinzip der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie {Prinzipienarg. X [48]c}. Ursprünglich galt die Norm für das gesamte Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht also für sämtliche Einbürgerungstatbestände {historisches Gesetzesarg. X [48]d}. Unerwünschte Ergebnisse können durch die Ausschlußklausel nach § 16 Abs. 2 RuStAG vermieden werden {Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit X [48]e}. H M (r): § 16 Abs. 2 RuStAG soll ausschließlich im Rahmen des RuStAG angewendet werden. Die Möglichkeit, von der Ausschlußklausel („insofern nicht in der Urkunde ein Vorbehalt gemacht wird") „nach Belieben" Gebrauch zu machen, könnte zu einer auseinanderlaufenden Verwaltungspraxis führen {was rechtspolitisch unerwünscht ist = politisches arg. HM [48]f}. Der Bund hat hierauf nämlich keinen Einfluß, da das Zustimmungserfordernis nach § 3 der Verordnung vom 5. 2. 1934 nicht gilt {systematisches Gesetzesarg. HM [48]g}. Außerdem liefe die Norm dadurch leer. Ihre Bedeutung beschränkte sich dann auf die Verwendung einer einheitlichen Einbürgerungsurkunde und auf eine gemeinschaftliche Gebührenbemessung {Das kann nicht dem Regelungszweck entsprechen. = Gesetzesarg. HM[48]h}. Zwar galt die Norm ursprünglich für alle Einbürgerungstatbestände. Inzwischen hat sich jedoch Einiges geändert: Das Prinzip der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie gilt nicht im Staatsangehörigkeits-Regelungsgesetz oder im Ausländergesetz {Verweis auf die Entstehungsgeschichte vergleichbarer Normen = systematisches Gesetzesarg. HM [48]i}. Aus Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes ist jedenfalls für die Ehefrau zu folgern, daß die Erstreckungswirkung nicht mehr gelten kann {verfassungsrechtliches Gesetzesarg. HM [48]j}. Es können sich praktische Anwendungsprobleme ergeben, da die elterliche Sorge regelmäßig beiden Eltern zusteht. Wenn der Tatbestand schon in sich problematisch ist, sollte er nicht noch erweiternd angewendet werden {Praktikabilitätsarg. HM [48]k}. § 16 Abs. 2 6 5 Ursprünglich war es zwischen dem Bund und den Ländern umstritten, ob § 16 Abs. 2 RuStAG ein eigener Einbürgerungstatbestand ist oder ob es sich um einen gesetzlichen Erstreckungserwerb handelt. Die Frage wurde zugunsten der letzten Alternative entschieden.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
143
RuStAG wirkt systemsprengend dort, wo Sondertatbestände für die Einbürgerung von Kindern vorhanden sind {Die Norm wird in Bezug gesetzt zu ähnlichen Normen = systematisches Gesetzesarg. HM [48]1}. Es wird gegen den klaren Willen des Gesetzgebers verstoßen, wenn § 16 Abs. 2 RuStAG neben § 86 Abs. 2 AuslG angewendet werden sollte {genetisches Gesetzesarg. HM [48]m}. Zwar besteht in § 85 AuslG eine Regelungslücke. Diese läßt sich aber besser analog § 86 Abs. 2 AuslG schließen. Der erst-recht-Schluß von Ermessens- zu Anspruchseinbürgerungen geht fehl, da die Sachlagen nicht vergleichbar sind (ζ. B. kein Prinzip einheitlicher Staatsangehörigkeit in der Familie bei Anspruchseinbürgerungen) {paralogisches Argument aus dem Vergleich zu den dogmatischen Besonderheiten der Anspruchseinbürgerungen = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit HM [48]n}. [49] Weiter zu § 16 Abs. 2 S. 1 RuStAG Wann soll von der Ausschlußklausel Gebrauch gemacht werden? A, Β (r): Immer dann, wenn eine Einbürgerung nach den einbürgerungsrechtlichen Vorschriften nicht möglich wäre {Das Vorliegen der Einbürgerungstatbestände ist eine Mindestvoraussetzung für eine Einbürgerung, Nr. 2.2 S. 1 EinbRL. = Prinzipienarg. AB [49]a}. F, G, I (e): Es ist nach den „Anwendungsgrundsätzen" der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung 66 zu verfahren {systematisches Gesetzesarg. FGI [49]b}. G: Von der Vorbehaltsmöglichkeit sollte über die in diesen Anwendungsgrundsätzen genannten Beispielsfälle hinaus auch dann Gebrauch gemacht werden, wenn das Kind nicht im Inland lebt {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit G [49]c}. 67 [50] Zu § 1 der Verordnung zur Regelung von Staatsangehörigkeitsfragen vom 20. 1. 1942 68 Nach dieser Verordnung kann ein Ausländer „ auch ohne Begründung einer Niederlassung im Inland eingebürgert werden § 1 Abs. 1 S. I der Verordnung. 66
Nach dieser Verwaltungsvorschrift sollte sich die Einbürgerung des gesetzlichen Vertreters auf die Kinder gemäß § 16 Abs. 2 RuStAG erstrecken, wenn die gesetzlichen Vertreter der Erstreckung zustimmten. Von den Vorbehalt sollte Gebrauch gemacht werden , wenn der Erstreckung öffentliche Belange oder andere sachliche Gründe entgegenstanden (ζ. B. Rauschmittelsucht oder Bestrafungen des Kindes). Diese Voraussetzungen für einen Vorbehalt sind enger als in dem Vorschlag von A und B, da zum Vorliegen der Einbürgerungsvoraussetzungen ζ. B. auch die „staatsbürgerlichen und kulturellen Voraussetzungen" nach Nr. 3. 1 EinbRL oder bestimmte Aufenthaltszeiten (vgl. Nr. 3. 2. 2. 5 EinbRL) erfüllt sein müssen. 67 Die Schlußabstimmung ergab eine knappe Mehrheit für diese um die Initiative von G ergänzte Meinung. 68 RGBl. I S. 40.; BGBl. III 102-4. Abgedruckt ζ. B. bei Makarov/v. Mangoldt (1993), Rn. 3 zu § 8 RuStAG. Dort auch zur Diskussion um diese Vorschrift Rn. 18 ff.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Bislang wurde das Erfordernis des öffentlichen Interesses am Auslandsaufenthalt (ζ. B. im Rahmen der Entwicklungshilfe) auf den deutschen Ehegatten des Antragstellers bezogen. Ist es ausreichend, daß allein der Auslandsaufenthalt des ausländischen Antragsteller selbst im öffentlichen Interesse liegt? A, Β (r): Nein. Eine Gleichbehandlung findet im Gesetz keine Stütze {wortlautbezogenes Gesetzesarg. AB [50]a} H M (e): Eine Gleichbehandlung soll erfolgen unter der Bedingung, daß die Rückkehrabsicht genau geprüft wird. Die Norm wollte jene Ausländer nicht benachteiligen, die ihrem deutschen Ehepartner ins Ausland folgen und deshalb die erforderlichen Aufenthaltszeiten nicht wahrnehmen können. Ein entsprechender Fall liegt aber vor, wenn ein Deutscher seinem ausländischen Ehepartner folgt, der sich im öffentlichen Interesse im Ausland aufhält {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit HM[50]b}.
3. Einbürgerung gemäß §§ 85 ff. Ausländergesetz [51] Zu §§ 85 ff. AuslG: „Gewöhnlicher Aufenthalt" Voraussetzung der Einbürgerung nach den §§ 85, 86 AuslG ist, daß der Bewerber seit acht Jahren, § 85 AuslG, beziehungsweise 15 Jahren, § 86 AuslG, „ rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat". 69 Wie ist dieses Tatbestandsmerkmal
zu verstehen?
F, I (e): „Gewöhnlich" ist jeder tatsächliche und rechtmäßige Aufenthalt von einer gewissen Dauer ungeachtet des Aufenthaltstitels {gewöhnliche Wortlautinterpretation =Gesetzesarg. FI [51]a}. A (r): Nur der dauerhafte Aufenthalt ist „gewöhnlich" im Sinne dieser Normen. Das ergibt sich aus den Urteilen vom VG Regensburg vom 13. 12. 1991 und vom BVerwG (Palästinenser) vom 23. 2. 1993 {autoritäres arg. A [51]b}. [52] Weiter zu §§ 85 ff. AuslG: „Gewöhnlicher Aufenthalt" Hat ein Student seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Studienort? H M (e): Ein Student hat nach der Lebensanschauung seinen gewöhnlichen Aufenthalt am Studienort {Diese Behauptung beruht auf einer Alltagstheorie. = politisches arg. HM [52]a}. A (r): Studenten fahren häufig nach hause und haben deshalb ihren gewöhnlichen Aufenthalt gerade nicht am Studienort {Replik auf das vorherige Argument = politisches arg. A [52]b}. 69
Dazu auch das Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 29. 9. 1995-1 Β 236. 94, InfAuslR 1/1996, 19.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
145
[53] Weiter zu §§ 85 ff. AuslG: „Gewöhnlicher Aufenthalt" Fehlt es an der Rechtmäßigkeit des Iniandaufenthaltes, wenn die Gültigkeitsdauer der Ausweispapiere des Bewerbers abgelaufen ist? H M : Nein, grundsätzlich nicht, denn das Fehlen eines gültigen Ausweispapieres führt nicht automatisch zum Erlöschen der Aufenthaltsberechtigung (systematisches Gesetzesarg. HM [53]a}. Wenn aber bereis die Einreise ohne gültigen Paß erfolgte, liegt ein Straftatbestand wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 AuslG vor. Ein derartiger Bewerber ist nicht „unbescholten" {systematisches Gesetzesarg. HM [53]b}. Deshalb ist eine Anfrage bei der Ausländerbehörde notwendig, ob wegen einer Einreise ohne gültige Ausweispapiere ein Ermittlungsverfahren oder der Widerruf der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 43 Abs. 1 AuslG beabsichtigt ist. [54] Weiter zu §§ 85 ff. AuslG: „Gewöhnlicher Aufenthalt" Erörterung einer Fallkonstellation: Der Einbürgerungsbewerber hatte ursprünglich nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis /-bewilligung für Studienzwekke. Diese wurde später nicht verlängert. Später erhielt der Bewerber erneut eine Aufenthaltserlaubnis, ζ. B. wegen Eheschließung mit einer Deutschen. Wie ist eine derartige Aufenthaltsunterbrechung, AuslG fällt, zu beurteilen?
die nicht unter § 89 Abs. 3
Β (e): Der Bewerber soll so gestellt werden, als sei er nach Ablauf der befristeten Aufenthaltsbewilligung ausgereist, mit der Folge, daß die Rechtmäßigkeitslükke für die Aufenthaltsdauer bis zu sechs Monaten nach § 89 Abs. 1 AuslG, die über sechs Monate nach § 89 Abs. 2 AuslG zu beurteilen ist {Bemühen um eine Gleichbehandlung zum „Normalfall" = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Β [54]a}. A (r): Diese Regelung überzeugt nicht, da nach der Rechtsprechung des VG Regensburg ein Student schon keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat {autoritäres arg. A [54]b}. F (r): Die Fälle des unschädlichen rechtmäßigen Aufenthaltes sind in § 89 Abs. 3 AuslG abschließend geregelt. Eine darüber hinausgehende analoge Anwendung ist deshalb nicht möglich {Rekurs auf die Auslegungsregel, daß Analogien nur zur Füllung von Lücken im Gesetz zulässig sind, eine solche Lücke aber nicht vorliegt = Gesetzesarg. F [54]c). Im geschilderten Fall kann also nicht von einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt ausgegangen werden. Etwas anderes gilt nur in den Fällen, in denen dem Betroffenen eine Duldung gewährt wurde, da der geduldete Ausländer nicht schlechter gestellt sein kann als derjenige, der tatsächlich ausgereist ist: Nur dann kann dem Vorschlag von Β gefolgt werden {Die Betonung liegt auf der Gleichbehandlung rechtlich Gleichgestellter = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit F [54]d}. 70 70 Dieser Vorschlag von F wurde mehrheitlich angenommen. 10 Bultmann
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
[55] Weiter zu §§ 85 ff. AuslG: „Gewöhnlicher Aufenthalt" Wie ist im obigen Fall [54] zu entscheiden, wenn die Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthaltes nur deshalb nicht eingetreten ist, weil die Behörde über eine Verlängerung einer befristeten Aufenthaltsbewilligung noch nicht entschieden hat und diese Zeit bis zur Entscheidung der Behörde nach § 21 Abs. 3 AuslG alter Fassung, beziehungsweise nach § 69 Abs. 3 AuslG neuer Fassung, als rechtmäßig gilt? B: Die Wartezeiten sollten dann nicht fiktiv als rechtmäßige Aufenthaltszeiten gewertet werden, wenn später eine negative Entscheidung ergeht {denn diese Ausländer sollten eigentlich das Bundesgebiet verlassen und gerade nicht erleichtert eingebürgert werden = Betonung des Regelungsziels des Ausländerrechts = Gesetzesarg. Β [55]a} oder wenn eine positive Entscheidung nur wegen einer späteren Änderung der Sachlage möglich war {denn dann ist eine Anrechnung unverdient = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst Β [55]b}. 71 [56] Zu § 85 Abs. 1 AuslG Junge Ausländer zwischen 16 und 23 Jahren haben einen Einbürgerungsanspruch unter erleichterten Einbürgerungsvoraussetzungen, wenn sie „ vor Vollendung des 23. Lebensjahres die Einbürgerung beantragen]", § 85 Abs. 1 AuslG. Müssen die Einbürgerungsvoraussetzungen schon vorliegen?
zum Zeitpunkt der Antragstellung
Β (e): Nein. Die Tatbestandsvoraussetzungen müssen innerhalb von zwei Jahren nach Antragstellung vorliegen {Diese Behauptung knüpft weder an das Gesetz an, noch ist ein solches Gesetzesverständnis praktikabel. Es dient auch nicht der Rechtssicherheit. Die Ursache für dieses großzügige Gesetzesverständnis liegt also in dem Bestreben, eine großzügige Lösung zu finden, die Härtefälle vermeidet. = politisches arg. Β [56]a}. X: Die Einräumung einer „Zusatzfrist", deren Länge der durchschnittlichen Bearbeitungszeit entsprechen würde, ist unpraktikabel {Praktikabilitätsarg. X [56]b}. H M (r): Der Antrag wird grundsätzlich nur entgegengenommen, wenn eine „Aussicht auf Erfolg" besteht. Es kann nicht Aufgabe der Verwaltung sein, den Willen des Gesetzgebers zu übergehen. Eine „Antragstellung auf Vorrat" läge nämlich sicher nicht im Willen des Gesetzgebers {genetisches Gesetzesarg. HM [56]c}. Die Einbürgerung wird in der Bundesrepublik Deutschland restriktiv betrieben. Die großzügige Fassung des § 85 AuslG ist deshalb eng auszulegen {„Deutschland ist kein Einwanderungsland", Nr. 2.3 EinbRL = Prinzipienarg. HM [56]d}. Es gibt bei allen rechtlichen Fristen „Härtefälle", in denen der maßgebliche Zeitpunkt nur knapp verpaßt werden kann {Es wird ein Vergleich gezogen zu anderen „FristenBetroffenen". Jene des § 85 AuslG sollen ihnen gegenüber nicht bevorzugt werden. 71
Dieser Vorschlag fand mehrheitlich keine Zustimmung.
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III. Durchführung der Inhaltsanalyse
= Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit HM [56]e}. Praktische Probleme treten ohnehin nur auf, wenn der Aufenthalt im Bundesgebiet unterbrochen wurden {Eine Ausnahmeregelung ist daher irrelevant. = Praktikabilitätsarg. HM [56]f}. [57] Zu § 85 Abs. 2 S. 2 (ggf. iVm § 86 Abs. 3) AuslG iVm § 46 Nr. 1 AuslG Nicht eingebürgert wird, wer die „freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet" oder sich gewalttätig gegen sie auflehnt, § 47 Nr. 1 AuslG. Ist eine konkrete Gefährdung dieses Rechtsgutes erforderlich strakte Gefährdung?
oder reicht die ab-
A (r): In A erfolgt eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Aufgrund dieser Informationen wird je nach den Umständen des Einzelfalles entschieden {entsprechend Nr. 2.1 S. 3 EinbRL = Prinzipienarg. A [57]a}. Die Norm soll Gewalttäter von der Einbürgerung ausschließen. Der Sicherheitsklausel kommt deshalb eine große Bedeutung zu. Ein Einbürgerungshindernis ist deshalb schon die abstrakte Gefährdung {weil anders der Regelungszweck der Norm verfehlt wird = teleologisches Gesetzesarg. A [57]b}. Bei bloßer extremistischer Einstellung erfolgt eine Einzelfallentscheidung {Zwar wird hier auch das Prinzip der Einzelfallprüfung aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL angesprochen. Im Kern geht es aber um eine Ausnahme von der vorherigen Wertung, daß schon die abstrakte Gefährdung ein Einbürgerungshindernis ist. = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit A [57]c}. Grundsätzlich ist die Meldepflicht des Landesamtes für Verfassungsschutz gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3 AuslG ausreichend, um den Regelungszweck zu wahren {Auslegung im Zusammenhang anderer Schutznormen = systematisches Gesetzesarg. A [57]d}. Β (r): Das Meldeverhalten der Landesämter für Verfassungsschutz ist unbefriedigend und führt zu Informationslücken {Der Schutzzweck der Norm wird also nicht erfüllt. = Gesetzesarg. Β [57]e}. J (e): Die Schwelle des § 46 Nr. 1 AuslG ist hoch anzusetzen {politisches arg. J[57]f}. H M (e): Die Einbürgerungsversagung soll nur bei einer konkreten Gefährdung erfolgen. Nur ein solches Normverständnis wird dem Erfordernis der Einzelfallprüfung gerecht {Prinzip aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL = Prinzipienarg. HM [57]g}. [58] Zu § 86 Abs. 1 Nr. 2 AuslG Wer „wegen einer Straftat verurteilt worden ist", kann nicht nach dieser Vorschrift erleichtert eingebürgert werden. Schließt eine nach den §§ 61ff. Strafgesetzbuch verhängte Maßregel der Besserung und Sicherung einen Einbürgerungsanspruch nach § 86 Abs. 1 S. 2 AuslG (analog) aus? 10*
148
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Q (r): Ja. Auch ohne schuldhaftes Handeln kann der Ausschluß einer Einbürgerung wegen eines entgegenstehenden öffentlichen Interesses in Betracht kommen, wenn ein gewichtiger Verstoß gegen geschützte Rechtsgüter vorliegt {Rekurs auf den Grundsatz, daß eine Einbürgerung nur im öffentlichen Interesse liegen soll, Nr. 2. 2 S. 2 ff. EinbRL = Prinzipienarg. Q [58]a}. X: Nein, denn dann müßte auch die Tötung in Notwehr ein Einbürgerungshindernis sein. Der Gesetzgeber hat aber auf das Verschulden des betreffenden Antragstellers abgestellt {genetisches Gesetzesarg. X [58]b}. G (e): Das ergibt sich auch aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. 12. 1993 72 {autoritäres arg. G [58]c}. Eine Regelungslücke des Ausländergesetzes ist nicht erkennbar, so daß nur Verurteilungen wegen einer Straftat die Einbürgerung hindern {Die methodische Vorausssetzung für einen Analogieschluß liegt also nicht vor, da das Ausländergesetz nach diesem Verständnis keine Lücke beläßt = Gesetzesarg. G [58]d}. [59] Weiter zu § 86 Abs. 1 Nr. 2 iVm § 46 Nr. 2 und § 88 Abs. 1 S. 1 AuslG Gemäß § 88 Abs. 1 des Ausländergesetzes sind bestimmte leichtere Delikte der Bewerber nicht als „Straftaten" im Sinne der § 85 Abs. 1 Nr. 4 oder § 86 Abs. 1 Nr. 2 AuslG anzusehen. Müssen Verurteilungen, die im Ausland ausgesprochen wurden, überhaupt nach § 88 AuslG beurteilt werden? G (e): § 88 AuslG verwendet nur die deutsche Strafrechtsterminologie. Daraus folgt, daß diese Norm nicht für Auslandsverurteilungen gilt {wortlautbezogenes Gesetzesarg. G [59]a}. Q (r): Eine Berücksichtigung ist erforderlich, wenn das bestrafte Verhalten auch im Bundesgebiet strafbar gewesen wäre {gleiche Behandlung gleicher Taten = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [59]b}. A (r): § 46 Nr. 2 AuslG wird durch § 8 RuStAG in Bezug genommen. § 8 RuStAG berücksichtigt ausdrücklich auch Auslandsstraftaten. Da das Staatsangehörigkeitsrecht ein einheitliches Rechtsgebiet ist, folgt daraus, daß auch im Rahmen der §§ 85 ff. AuslG Auslandsstraftaten zu berücksichtigen sind {systematisches Gesetzesarg. A [59]c}. I (e): Das ist zweifelhaft, da schon die Auslegung des § 46 Nr. 2 AuslG streitig ist, ζ. B. bei der Verurteilung Jugendlicher {systematisches Gesetzesarg. I [59]d}. H M (e): Lediglich bei bestimmten Verurteilungen hat der Gesetzgeber sich ausdrücklich auf Inlandstaten bezogen. Bei Auslandsverurteilungen soll über § 88 Abs. 1 S. 2 AuslG eine Parallelwertung zum deutschen Strafrecht vorgenommen
72 2 BvR 2632/93. Abgedruckt in BayVerwBl. 1994,175 f.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
149
werden {Mutmaßungen über den Willen des Gesetzgebers = genetisches Gesetzesarg. HM [59]e}.
[60] Zu § 86 Abs. 1 Nr. 3 AuslG „Ein Ausländer, der seit 15 Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn er den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann; von der in Nummerr 3 bezeichneten Voraussetzung wird abgesehen, wenn der Ausländer aus einem nicht von ihm zu vertretenden Grunde den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann", § 86 Abs. 1 Nr. 3 AuslG. Ist die Sozialhilfebedürftigkeit zu vertreten, Grundlage eine Familie gegründet wird?
wenn trotz fehlender wirtschaftlicher
E (r): Ja. Eine fehlerhafte Lebensplanung, die zur finanziellen Abhängigkeit führt (z. B. zu viele Kinder), ist zu vertreten {normativer Anspruch an sorgfältiges Verhalten der Einbürgerungsbewerber = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst E [60]a}. H M : Nein. Die Familiengründung betrifft die private Lebensgestaltung {innerhalb derer ein individueller Sorgfaltsmaßstab besteht = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit HM [60]b}. Die Familiengründung ist durch Art. 6 GG geschützt {verfassungsrechtliches Gesetzesarg. HM [60]c}. Dem entspricht es, wenn in den Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz andere Beispiele zum „Vertretenmüssen" gebracht werden, z. B. daß die Voraussetzungen für eine Sperrzeit nach § 119 Arbeitsförderungsgesetz erfüllt sind oder Hinweise auf eine dauernde Arbeitsunwilligkeit bestehen {systematisches Gesetzesarg. HM [60]d}. Das dargestellte Problem kann nur ausländerrechtlich gelöst werden {dogmatische Abgrenzung zwischen ausländerrechtlicher und einbürgerungsrechtlicher Regelungsmaterie und Kompetenz = Prinzipienarg. HM [60]e}. [61] Zu § 87 Abs. 1 AuslG Diese Vorschrift schreibt eine Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung gemäß §§ 85, 86 AuslG vor, „ wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann", § 87 Abs 1. Daran schließt § 87 S. 2 an: „Das ist anzunehmen, wenn" und listet dann in Nr. 1-4 vier Fälle auf, in denen Absatz 1 erfüllt ist. Entfaltet diese Norm einen eigenen, exklusiven Regelungsgehalt, so daß die Ausnahmetatbestände abschließend geregelt sind? Oder ist die Norm im Sinne einer Generalklausel zu verstehen? A, B, M (r): Die Norm ist abschließend, denn so wurde es vom VGH BadenWürttemberg am 7. 11. 1991 und vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
5. 5. 1993 entschieden {autoritäres arg. A B M [61]a} und entsprechend kommentiert von Hailbronner/Renner {autoritäres arg. ABM [61]b}. G (e): Die Entscheidungsgründe dieser Urteile sind nicht zwingend gültig für die Verwaltungspraxis. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg enthält nur den lapidaren Hinweis, § 87 Abs. 1 S. 2 AuslG enthalte einen abschließenden Exklusivkatalog von Ausnahmetatbeständen {anti- autoritäres arg. G[61]c}. X: Allein aus dem Wortlaut des ersten Satzes läßt sich der Wille des Gesetzgebers nicht ermitteln {wortlautbezogenes Gesetzesarg. X [61]d}. § 87 Abs. 1 S. 1 AuslG kam erst später hinzu, so daß § 87 Abs. 1, S. 1 vorher als Generalklausel gedacht war {historisches Gesetzesarg. X [61]e}. Die Norm ist daher im Sinne einer Generalklausel zu verstehen. [62] Weiter zu § 87 Abs. 1 AuslG Bei der Entlassung iranischer Staatsangehöriger bestehen besondere Schwierigkeiten. 73 Soll die Einbürgerung iranischer Staatsangehöriger unter der Hinnahme einer doppelten Staatsangehörigkeit erfolgen, ist dazu grundsätzlich die Zustimmung des Bundesinnenministers vorgeschrieben. Gilt dieser Zustimmungsvorbehalt auch dann, wenn die betreffenden Bewerber nicht nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz sondern gemäß §§ 85, 86 und 87 AuslG eingebürgert werden können? 74 Q (r): Ja, denn die Bundesrepublik ist an Abschnitt II des Schlußprotokolls zum deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen vom 17. 2. 1929 gebunden, derzufolge eine Einbürgerung nur mit Zustimmung der iranischen Regierung erfolgen soll. 75 Wird im Einzelfall eine Einbürgerung ohne diese Zustimmung vorgenommen, so ist die Verantwortung der Bundesregierung im besonderen Maße gegeben, so daß eine Einzelfallzustimmung des Bundesinnenministeriums obligatorisch ist {(außen-) politisches arg. Q [62]a}. Außerdem sichert diese Praxis in besonderer Weise eine rechtzeitige und einheitliche Berücksichtigung neuer Erkenntnisse bezüglich der Entlassungsbemühungen von Iranern aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit {und ist daher besonders zweckmäßig = Praktikabilitätsarg. Q [62]b}. Es ist bekannt, daß Iraner bezüglich der Einbürgerungspraxis der Länder einen weiten Erfahrungsaustausch betreiben. Deshalb ist eine einheitliche Praxis besonders wichtig, um ein Taktieren der Bewerber zu verhindern {politisches arg. Q [62]c}. 73 Vgl. oben Punkt [25]. 74 Die Frage wurde deshalb aufgeworfen, weil in Berlin eine deratige Einbürgerung ohne Zustimmung durch den Bundesminister des Inneren erfolgt war. Seit Mitte 1997 besteht eine eng umrissene Vorabzustimmung für diese Fälle. 75 Dieser Abschnitt Nr. II des Schlußprotokolls wurde mit Gesetz vom 20. 12. 1996 (BGBl. 1997 II S. 2) im Einverständnis mit der Islamischen Republik Iran aufgehoben, vgl. Hailbronner/Renner (1998), Einl. E, Rn. 10, F, Rn. 6.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
151
Derzeit ist die Bearbeitung von Einzelfällen zurückgestellt, da überhaupt unklar ist, welche iranischen Stellen über die Entlassungsanträge entscheiden {und eine weitere Bearbeitung deshalb sinnlos ist = Praktikabilitätsarg. Q [62]d}. H M (e): Die derzeitige Verfahrensweise ist im politischen Raum und gegenüber den Bewerbern kaum vertretbar {politisches arg. HM [62]e}. Die Bearbeitungszeiten gehen über die Zwei-Jahres-Frist, die im Mehrstaaterabkommen vom 10. 10. 1986 angepeilt ist, weit hinaus {systematisches Gesetzesarg. HM [62]f}. Q: Diese Frist hat keine rechtlichen Konsequenzen. Die Hinnahme von Mehrstaatigkeit kann erst dann in Betracht kommen, wenn ein Fortgang des Entlassungsverfahrens nicht mehr erwartet werden kann {§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG = Gesetzesarg. Q [62]g}. Dabei sind die Besonderheiten des Einzelfalles und die Entlassungspraxis des jeweiligen Heimatstaates zu berücksichtigen {Rekurs auf Nr. 2. 1 S. 3 EinbRL = Prinzipienarg. Q [62]h}. Das entspricht auch den bisherigen Regelungen: Die Ausnahmevorschrift des § 87 AuslG lehnt sich weitgehend an die Regelungen in den Einbürgerungsrichtlinien an. Entsprechende Verfahrensabsprachen sollten daher sachgerechterweise auch bei der Anwendung von § 87 AuslG Anwendung finden {systematisches Gesetzesarg. Q [62]i}. Insofern hat auch die Rechtsprechung keine durchgreifenden Bedenken erhoben {autoritäres arg. Q [62]j}. Bei den Einbürgerungsbewerbern ist teilweise der Eindruck entstanden, die Regelung des Abschnitts I I aus dem besagten Schlußprotokoll gelte nicht für Tatbestände der §§ 85 und 86 AuslG. Dieser Erwartungshaltung kann jedoch nicht entsprochen werden, solange die Einbürgerungsvoraussetzungen rechtlich nicht vorliegen {Ihr Vorliegen ist nämlich eine Mindestvoraussetzung für die Einbürgerung, Nr. 2. 2 S. 1 EinbRL. = Prinzipienarg. Q [62]k}. G (e): Sowohl die Verfahrensabsprachen als auch die Iran-Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. 9. 1988 beziehen sich auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz und sind deshalb nicht maßgeblich {(anti-) autoritäres arg. G [62]1}. Nach dem Inkrafttreten des Ausländergesetzes ist insoweit eine neue Situation entstanden {Rekurs auf den politischen Prozeß eines veränderten Gesetzgeberwillens = politisches arg. G [62]m}. I (e): Eine Vorabzustimmung ist wünschenswert, um den Verwaltungsaufwand sowohl für die Landesverwaltungen als auch für die Bundesressorts zu verringern {Praktikabilitätsarg. I [62]n}. Eine einheitliche und konkrete Regelung für die Hinnahme doppelter Staatsangehörigkeit bei Iranern wäre ebenfalls erwünscht {politisches arg. I [62]o}. In den vergangenen Jahren wurden die eigenen Anforderungen an die Entlassungsbemühungen mehrfach an Änderungen in der iranischen Entlassungspraxis angepaßt {Bezug zur bisherigen Verwaltungspraxis = autoritäres arg. I [62]p}. Gegenwärtig kann den Bewerbern keine zeitliche Perspektive hinsichtlich des Abschlusses ihres Einbürgerungsverfahrens aufgezeigt werden. Das ist nicht mehr vermittelbar {politisches arg. I [62]q}.
152
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
[63] Weiter zu § 87 Abs. 1 AuslG Sollten die Einbürgerungsbehörden den iranischen Einbürgerungsbewerbern ihren Entlassungsbemühungen behilflich sein (zur Problemstellung siehe oben [62])?
bei
G (e): Ja. Deutschland sollte seine eigenen Interessen stärker vertreten und sich in seiner Entscheidungspraxis nicht in einem solchen Maße von den iranischen Auffassungen beeinflussen lassen. Das Entlassungsverfahren sollte von Amts wegen begleitet werden {politisches arg. G [63]a}. A, Β (r): Ein derartiges standardisiertes Verfahren würden letztlich zu einer vermehrten Hinnahme von Mehrstaatigkeit führen {politisches arg. AB [63]b}. Es ist fraglich, ob in einem solchen Verfahren die Besonderheiten des Einzelfalles noch in der erforderlichen Weise berücksichtigt werden {Deren Berücksichtigung ist aber durch Nr. 2. 1 S. 3 EinbRL vorgeschrieben = Prinzipienarg. AB [63]c}. Es würde zudem die oberste Landesbehörde zusätzlich belasten {Praktikabilitätsarg. AB [63]d}. I: In I wird der Stand der jeweiligen Entlassungsverfahren auf amtlichem Wege bei den iranischen Behörden angefragt. Im Ergebnis gibt das regelmäßig einen aussagekräftigen Schriftverkehr {Praktikabilitätsarg. I [63]e}. A: In A hatten die Antragsteller geltend gemacht, ihnen würden keine Entlassungsformulare ausgehändigt. Das iranische Generalkonsulat hat uns jedoch Formulare zur Weiterleitung an die Bewerber übersendet {Die Entlassungsbemühungen können also durchaus von den Bewerbern verlangt werden. = Gerechtigkeitsarg.-Verdienst A [63]f}. B: Der Vorschlag von G verstößt gegen geltendes Recht. Er führt nämlich zu einer Anwendung von § 87 Abs. 1 S. 1 des AuslG, obgleich dieser Bestimmung nach der Rechtsprechung des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofes kein eigener Regelungsgehalt zukommt {autoritäres arg. Β [63]g}. Q (r): Der Vorschlag von G hätte außerdem zur Folge, daß auf die Einzelvorlage beim Bundesinnenministerium verzichtet würde. Das ist aus den dargestellten Gründen nicht konsensfähig {politisches arg. Q [63]h}. Andererseits wird immer wieder festgestellt, daß die Behörden sich über die Entlassungsbemühungen der Bewerber erst beim Ablauf der Einbürgerungszusicherung erkundigen. Unzureichenden Bemühungen kann damit nicht rechtzeitig begegnet werden. Die Folge ist, daß sich die Verfahren lange hinziehen.
[64] Zu § 87 Abs. 2 AuslG Mehrstaatigkeit kann hingenommen werden, „ wenn der Heimatstaat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit von der Leistung des Wehrdienstes abhängig macht und wenn der Ausländer den überwiegenden Teil seiner Schulaus-
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
153
bildung in deutschen Schulen erhalten hat und im Bundesgebiet in deutsche Lebensverhältnisse und in das wehrpflichtige Alter hineingewachsen ist u. Diese Vorschrift wird in den Bundesländern unterschiedlich angewendet. Welche Entlassungsbemühungen sind zumutbar? Κ (r): Entlassungsgebühren in einer Höhe zwischen DM 6 b i s DM 10,- sind hinzunehmen, denn Entlassungsgebühren bis zu einer Höhe des zweifachen Monatseinkommens gelten als zumutbar {Prinzip, daß der Bewerber zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit auch zumutbare Opfer bringen muß = Prinzipienarg. Κ [64]a}. C, I (e): Entlassungsgebühren sind generell unzumutbar. § 87 Abs. 2 AuslG ist uneingeschränkt anwendbar, da bei derartigen Ablösesummen ein eindeutiger Bezug zum Wehrdienst besteht {Nach dieser Norm soll die Wehrpflicht gerade keine Einbürgerungserschwernis darstellen. = teleologisches Gesetzesarg. CI [64]b}. Q (r): Zunächst ist zu fragen, ob der Wehrdienst zumutbar ist. Falls das bejaht wird, ist auch die entsprechende Ablösesumme zumutbar {klare Orientierung am Regelungsziel = Gesetzesarg. Q [64]c}. Auf einer späteren Besprechung wurde folgende Einschätzung des Problèmes als H M protokolliert: Nach Nr. 5.3.3 EinbRL ist es dem Einbürgerungsbewerber grundsätzlich zuzumuten, daß er den allgemein geltenden und den besonders übernommenen Pflichten gegenüber seinem bisherigen Heimatstaat nachkommt. Demnach wird von ihm prinzipiell verlangt, seine Wehrpflicht zu erfüllen, wenn dies zur Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlich ist {Prinzipienarg. HM [64]d}. Ist danach die Leistung des Wehrdienstes zumutbar, kann es von vorneherein nicht darauf ankommen, unter welchen Voraussetzungen ein „Freikauf* von der Wehrpflicht möglich ist; dem Einbürgerungsbewerber wird in diesem Fall nur eine zusätzliche Möglichkeit eröffnet, ohne daß er von ihr Gebrauch machen müßte {Diesen Bewerbern soll also kein Vorteil gewährt werden gegenübern Bewerbern aus anderen Ländern, in denen ein Freikauf nicht möglich ist = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit HM [64]e}. Wenn der Wehrdienst hingegen unzumutbar ist, besteht auch keine echte Wahlmöglichkeit zwischen Wehrdienst und Freikauf. Der Bewerber ist auf den Freikauf angewiesen. Allgemein wird der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung zurückgestellt oder kann jedenfalls zurückgestellt werden, wenn die Bemühungen um die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar sind {Prinzipienarg. HM [64]f}. Ob die Bemühungen unzumutbar sind, ist nach dem konkret vom Heimatstaat geforderten Verhalten zu beurteilen {Prinzip aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL = Prinzipienarg. HM [64]g}. [65] Weiter zu § 87 Abs. 2 AuslG; außerdem zu § 85 Abs. 1 Nr. 3 AuslG „Ein Ausländer [... ] ist einzubürgern, wenn er sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule, davon mindestens vier Jahre eine allgemeinbildende Schule besucht hat", § 85 Abs. 1 Nr. 3 AuslG.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
Zählen auch Berufs-, Hoch- und Fachhochschulen zur Schulausbildung im Sinne dieser Vorschrift? H M (r): Nein, sondern nur der Besuch an allgemeinbildenden Schulen im Bundesgebiet {systematisches Gesetzesarg. HM [65]a aus § 85 Abs. 1 Nr. 3 AuslG} und nur die Schulausbildungszeit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres {offensichtlich wortlautbezogenes Gesetzesarg. HM [65]b aus § 87 Abs. 2 HS. 3 AuslG „in das wehrpflichtige Alter hineingewachsen"}. Letztlich geht es bei § 87 Abs. 2 AuslG um die Frage, ob die Wehrdienstleistung im Heimatland zumutbar ist. Diese Zumutbarkeit entfällt nicht schlechthin beim Besuch einer deutschen Schule {wortlautbezogenes Gesetzesarg. Q [65]c}. R (e): Ja, denn es geht darum, daß der Bewerber in die deutschen Lebensverhältnisse hineingewachsen sein soll, § 87 Abs. 2, letzter Hs. AuslG {teleologisches Gesetzesarg. R [65]d}. Die Vorschrift nimmt dementsprechend auf § 85 Abs. 1 AuslG Bezug. § 85 Abs. 1 AuslG betrifft Jugendliche von 16 bis 23 Jahren {also auch Jugendliche, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind = systematisches Gesetzesarg. R [65]e}. Wo das Gesetz nur den Besuch allgemeinbildender Schulen berücksichtigt wissen will, wird das ausdrücklich erwähnt, vgl. § 85 Abs. 1 Nr. 3 AuslG {systematisches Gesetzesarg. R [65]f}. D, G (e): § 85 Abs. 1 Nr. 3 AuslG berücksichtigt den Integrationseffekt. In diesem Rahmen wirkt jeder Besuch einer deutschen Schule, z. B. auch der Besuch einer Auslandsschule, integrationsfördernd {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit G [65]g}. 76 [66] § 89 AuslG iVm Nr. 5.1 der „Hinweise zur Einbürgerung nach dem Ausländergesetz" 77 Veranlaßt durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts stimmt die H M einer Änderung der Nr. 5.1 der Hinweise zu.
vom 29. 9. 1995 78
Die Vorschrift lautete bislang: „Nach Abs. 1 Satz 1 [des § 89 AuslG] sind mehrere Auslandsaufenthalte bis zu sechs Monateninnerhalb der acht bzw. fünfzehn Jahre rechtmäßigen Inlandsaufenthaltes nicht zu berücksichtigen, wenn die zwischenzeitlichen Inlandsaufenthalte jeweils mindestens sechs Monate gedauert haben und die Prüfung des gewöhnlichen
76 Die Teilnehmer sprachen sich einhellig dafür aus, nur den Besuch von Schulen im Bundesgebiet im Rahmen von § 87 Abs. 2 AuslG zu berücksichtigen. Zwei Länder stimmten gegen die Auffasung, daß Hochschulen nicht als Schulen im Sinne von § 85 Abs. 1 Nr. 3 AuslG anzusehen wären. 77
Vorläufige Ausfuhrungsbestimmungen zu den einbürgerungsrechtlichen Vorschriften im Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 14. November 1990 (HessStAnz. 1990 S. 2517), abgedruckt beispielsweise in Staatsangehörigkeitsrecht (1992), S. 191 ff. 7 » 1 Β 236.94, abgedruckt in InfAuslR 1 /1996, 19.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
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Aufenthaltes des Einbürgerungsbewerbers (Lebensmittelpunkt) ergibt, daß dieser in Deutschland liegt. Die Summe der Auslandsaufenthalte darf jedoch ein Drittel des erforderlichen Gesamtaufenthaltes nicht übersteigen. Bei dieser Berechnung sind bis zu zweimonatige Aufenthalte im Ausland nicht zu berücksichtigen, wenn es sich um Ferienaufenthalte gehandelt hat." Nunmehr soll aus Satz 1 die Passage „die zwischenzeitlichen Inlandsaufenthalte jeweils mindestens sechs Monate gedauert haben und" gestrichen werden. Die Sätze 2 und 3 sollen ersetzt wreden durch: „Von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Einbürgerungsbewerbers kann regelmäßig dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn die Summe der Auslandsaufenthalte die Hälfte des erforderlichen Gesamtinlandsaufenthaltes übersteigt." A (r): Hier besteht eine Lücke, wenn zwar die erste Hälfte des Gesamtaufenthaltes im Inland, die zweite Hälfte aber nur mit kurzen Unterbrechungen ausschließlich im Ausland verbracht wird {Festhalten am Integrationserfordernis = Prinzipienarg. A [66]a}. In A wird eine eigene Definition erarbeitet, die in diesen Fällen nicht von einer Integration ausgeht.
4. Einbürgerungsgebühren [67] Zu § 9 RuStAG iVm §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, lit. a Staatsangehörigkeits-Gebührenverordnung (StAGebV) 79 und §§ 86 Abs. 2,90 AuslG Für die Einbürgerung von Ehegatten nach § 9 RuStAG ist gemäß §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 lit. a StAGebV ein Gebührenrahmen von DM 300- bis DM 2500,- vorgesehen. Für Einbürgerungen von Ehegatten nach § 86 Abs. 2 AuslG DM 100,- (§ 90 AuslG). Sollte für die Einbürgerung nach § 9 RuStAG stets die Mindestgebühr verlangt werden? F, L (e): Ja, denn sonst besteht eine klare Ungleichbehandlung vergleichbarer Fälle {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit FL [67]a}. A, Β (r): Durch § 90 AuslG wird eine bestimmte Gruppe bewußt privilegiert. Aus systematischen Gründen scheidet eine Erweiterung dieser Normgeltung aus {Die Gruppen sind rechtlich nämlich unterschiedlich bedacht. = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit AB [67]b}. Wenn stets die Mindestgebühr genommen würde, entstände ein Mißklang zu den Regelungen des Verwaltungskostenrechtes, bei denen ein gesetzlicher Gebührenrahmen auch ausgeschöpft werden sollte {systematisches Gesetzesarg. AB [67]c}. Eine Gebührenermäßigung wird durch § 5 StAGebV er79 Staatsangehörigkeits-Gebührenverordnung (StAGebV) vom 28. 3. 1974 (BGBl. I S. 809) in der Fassung vom 24. 9. 1991 (BGBl. I S. 1916), abgedruckt ζ. B. in Weidelener/ Hemberger (1993), S. 345 ff.; Hailbronner/Renner (1992), S. 135 ff.
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D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
möglicht. Diese Norm ist für den Einzelfall konzipiert, nicht für gruppentypische Regelungen. Eine gruppentypische Ermäßigung ist also nicht im Sinne der Gesetzessystematik {Das wortgebundene Verständnis von § 5 StAGebV bietet also eine systematische Stütze gegen die Auslegung von F und L. = systematisches Gesetzesarg. AB [67]d}. [68] Zu § 38 Abs. 2 RuStAG Bei Einbürgerungen nach dem RuStAG wird eine Gebühr von DM 500,- erhoben. Für bestimmte Personengruppen gibt es gemäß § 38 Abs. 2S.2 und 3 RuStAG Ermäßigungen. Weiterhin „kann aus Gründen der Billigkeit oder des öffentlichen Interesses Gebührenermäßigung oder -befreiung gewährt werden ", § 38 Abs. 2 S. 4 RuStAG. Es stehen drei Auslegungsalternativen zur Wahl: (1) Die Gebühr wird gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1, lit. 1 StAGebV auf die Hälfte reduziert. (2) Die Gebühr wird im Rahmen des § 38 Abs. 2 RuStAG aus Billigkeitsgründen stets auf DM 100- reduziert. (3) Gemäß § 38 Abs. 2 RuStAG beträgt die Gebühr stets DM 500,-. Soll die Gebühr für die Einbürgerung von Ehegatten deutscher Staatsangehöriger gemäß § 9 RuStAG ermäßigt werden? F (e): § 2 Abs. 3 Nr. 1, lit. a StAGebV ist eine Spezialnorm, die nicht auf diese Fälle übertragen werden kann {Der Sinn und Zweck der Norm gebietet eine restriktive Auslegung. = teleologisches Gesetzesarg. F [68]a}. Angemessen ist nur Alternative 2, die eine Einbürgerungsgebühr in Höhe von DM 100,- vorsieht. Ansonsten würden die Ehegatten deutscher Staatsangehöriger in gravierender Weise benachteiligt gegenüber den miteingebürgerten Ehegatten gemäß § 86 Abs. 2 AuslG {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit F [68]b}. I, J, K, Q (r): Diese Problematik wurde schon im Gesetzgebungsverfahren gesehen und bewußt so geregelt {genetisches Gesetzesarg. IJKQ [68]c}. Die Alternative 3 (Einbürgerungsgebühr = DM 500,-) entspricht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, da hier ein höherer Verwaltungsaufwand besteht als bei Einbürgerungen gemäß § 86 Abs. 2 AuslG {teleologisches Gesetzesarg. Q [68]d}. Insofern besteht kein Anlaß für eine Gleichbehandlung {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Q [68]e}. Das höherrangige Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz verdrängt die Staatsangehörigkeits-Gebührenverordnung {systematisches Gesetzesarg. Q [68]f}. 80 [69] Zu § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 iVm § 2 StAGebV § 2 StAGebV sieht für Einbürgerungsgebühren DM 300,- bis DM 5,- vor.
einen Bemessungsrahmen von
Sollten diese Gebühren erhöht werden? 8° Im Ergebnis folgten die Ländervertreter mit einer Ausnahme der Ansicht von Q.
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III. Durchführung der Inhaltsanalyse
A (r): Ja. Die schlechte Situation der öffentlichen Haushalte hängt nämlich auch mit der fehlenden Kostendeckung des Einbürgerungsverfahrens zusammen {ökonomisches arg. A [69]a}. [70] Zu § 5 StAGebV Bei einer Einbürgerung „ kann aus Gründen der Billigkeit oder des öffentlichen Interesses Gebührenermäßigung oder -befreiung gewährt werden Soll diese Regelung generell für polnische Staatsangehörige gelten? I (r): Nein, die Norm bezieht sich ausdrücklich auf den Einzelfall und will auch nur ihn erfassen {wortlautbezogenes Gesetzesarg. I [70]a}. Τ (e): Ja. Die Höhe des polnischen Durchschnittseinkommens steht außer Verhälnis zur regelmäßigen Einbürgerungsgebühr {sozialer Grund = Gerechtigkeitsarg.-Bedarf Τ [70]b}. Wegen dieser gesetzmäßigen Bedürftigkeit birgt eine Einzelfallbetrachtung die Gefahr der Ungleichbehandlung {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit T[70]c}. H M : Man kann den polnischen Einbürgerungsbewerbern ein Merkblatt geben mit dem Hinweis, sie könnten eine Gebührenbefreiung beantragen {Dieser Vorschlag beinhaltet ein überobligationsmäßiges Engagement der Verwaltung aus sozialen Gründen. = Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit HM [70]d}. [71] Zu § 1 Abs. 1 S. 2, Nr. 1 und 3, § 3 a Nr. 1 und 3 StAgebV 81 Im Widerspruchsverfahren kann der Widerspruchsführer fahrens belastet werden, § 15 Verwaltungskostengesetz.
mit den Kosten des Ver
Soll von einer Kostenerhebung abgesehen werden, wenn die Einbürgerung selbst kostenfrei wäre? Q (e): Ja, denn sonst könnte ein Einbürgerungsbewerber wegen der Kostengefahr von der Erhebung eines Widerspruchs absehen {obwohl hierzu aus Gründen des Rechtsschutzes ein Bedürfnis besteht = Gerechtigkeitsarg.-Bedarf Q [71]a}. Κ (r): ES handelt sich hierbei um das allgemeine Problem, daß der Rechtssuchende auch ein Kostenrisiko eingehen muß. Eine bevorzugende Sonderregelung ist nur gerechtfertigt, wenn sie sich aus den Besonderheiten des Staatsangehörigkeitsrechts ergibt {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit Κ [71]b}. H M (e): Die einschlägigen Kostenvorschriften aus dem Ausländergesetz (ζ. B. § 81 Abs. 5 und 6 AuslG) lassen sich analog auf das allgemeine Kostenrecht anwenden, so daß die Gebühren im Einzelfall gemindert werden könnten {Gerechtigkeitsarg.-Billigkeit H M [71]c}. 8i Vom 23. 6. 1970 (BGBl. I S. 821, BGBl. III 202-4).
158
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
A (r): Es besteht keine Lücke im Kostenrecht. Die analoge Anwendung der Kostenregeln aus dem Ausländerrecht ist deshalb system widrig {Der methodische Grundsatz, daß analoge Anwendungen nur zur Lückenfüllung zulässig sind, wäre also verletzt, weil die allgemeinen Kostenregeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes abschließend sind. = systematisches Gesetzesarg. A [71]d}.
5. Weitere Tatbestände aus dem Staatsangehörigkeitsrecht [72] Zu § 26 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 RuStAG Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 RuStAG darfein Wehrpflichtiger nicht aus der deutschen Staatsangehörigkeit entlassen werden, ohne daß das Bundesministerium der Verteidigung seine Zustimmung erteilt hat. Die Verzichtserklärung gemäß § 26 RuStAG ist jedoch zu genehmigen, wenn der Wehrpflichtige „in einem der Staaten, deren Staatsangehörigkeit er besitzt, Wehrdienst geleistet hat". Muß das Bundesamt für Wehrverwaltung werden?
(BAW) an diesem Verfahren
beteiligt
X: Ja, denn das BAW wacht über die Wehrgerechtigkeit, die verletzt ist, wenn sich der Wehrpflichtige in dem anderen Staat nur vom Wehrdienst frei gekauft hat {Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit X [72]a}. I, K , T: Es ist Sache der jeweiligen Staaten, über Art und Weise ihrer Wehrpflichtregelungen selbst zu bestimmen. Eine andere Wertung könnte die außenpolitischen Beziehungen belasten {politisches arg. IKT [72]b}. B: Eine Beteiligung des BAW ist im Normtext nicht vorgeschrieben {wortlautbezogenes Gesetzesarg. Β [72]c}, und sie würde den Arbeitsaufwand erhöhen {Praktikabilitätsarg. Β [72]d}. A, B, Q: Nein. Gegenwärtig werden junge eingebürgerte Ausländer nur zögerlich zur Wehrpflicht herangezogen. Insofern besteht ohnehin keine Wehrgerechtigkeit in Deutschland {Vergleich zu einer weiteren Bezugsgruppe = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit ABQ [72]e}. F, G, J: Der Gesetzgeber hat in § 26 RuStAG dem Aspekt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit den Vorrang eingeräumt vor dem Aspekt der Wehrgerechtigkeit {bestimmtes Verständnis der Normratio gestützt durch Behauptungen zur Normgenese = genetisches Gesetzesarg. FGJ [72]f}. [73] Zu Art. 116 Abs. 1 GG „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist [...], wer [... ] als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatten oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. 12.
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
159
1937 Aufiiahme gefunden hat", Art. 116 Abs. 1 GG. Zum Begriff der „Aufnahme": Bis zum 1. Januar 1993 nahm das Bundesverwaltungsamt eine sogenannte Nachregistrierung vor. Darin wurde teilweise die „Aufiiahme" gesehen. Worin ist nun die Aufnahme zu sehen? B: Die ausländerrechtliche Duldung zum Zwecke der Durchführung des Vertriebenenausweisverfahrens ist als Aufnahme anzusehen, denn die Aufnahme setzt einen legalen Aufenthalt voraus {Gesetzesarg. Β [73]a}. I: Der Zeitpunkt für die Aufnahme sollte frühzeitig angesetzt werden. Wenn der Vertriebenenstatus bereits mit der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet entsteht, dann sollte für die Aufnahme auf den Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet abgestellt werden {politisches arg. I [73]b}. G: Solange kein Vertriebenenausweis ausgestellt ist, wird ein Betroffener nicht als Deutscher behandelt sondern lediglich ausländerrechtlich geduldet {systematisches Gesetzesarg. G [73]c}. F, Q: Es sollte auf den Zeitpunkt der Ausstellung des Vertriebenenausweises abgestellt werden, denn mit der Ausstellung des Ausweises steht rückwirkend fest, daß eine Aufnahme erfolgte. Die ausländerrechtliche Duldung ist im Grunde unter der aufschiebenden (nicht auflösenden) Bedingung der Ausstellung des Vertriebenenausweises erteilt. Zwar enthält bereits die Duldung die Aufnahme. Sie gestattet einen dauernden Verbleib im Bundesgebiet aber nur, wenn ein Vertriebenausweis ausgestellt wird {Gesetzesarg. FQ [73]d}. 82 [74] Weiter zu Art. 116 Abs. 1 GG Werden angenommene Kinder von Spätaussiedlern in diese Regelung miteinbezogen? B: Eine Differenzierung zwischen Adoptivkindern, die als Minderjährige angenommen wurden und solchen, die als Volljährige angenommen wurden, ist mit dem Wortlaut von § 27 Abs. 1 S. 2 und § 4 Abs. 3 S. 2 BVFG unvereinbar. Denn nach diesen Vorschriften müssen alle Abkömmlinge in den Aufnahmebescheid einbezogen werden, womit sie durch Aufnahme die Deutscheneigenschaft erwerben {Gesetzesarg. Β [74]a}. Q: Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Begriff des Abkömmlings so ausgelegt wird, daß als Volljährige Adoptierte nicht unter diesen Begriff fallen {wortlautbezogenes Gesetzesarg. Q [74]b}. J: In der Vergangenheit wurden Adoptivkinder nicht zu den Abkömmlingen im Sinne von Art. 116 Abs. 1 oder Abs. 2 GG gerechnet {autoritäres arg. J [74]c}. B: Diese Auslegung sollte beibehalten werden. 82
Diese Betrachtungsweise wurde allgemein akzeptiert.
160
D. Eine inhaltsanalytische Untersuchung zur Einbürgerungspraxis
I: Das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976 hat bewußt die völlige Gleichstellung von als Minderjährigen Adoptierten mit leiblichen Kindern eingeführt. Deshalb kann an der überkommenen Auslegung von Art. 116 Abs. 1 GG nicht festgehalten werden {systematisches Gesetzesarg. I [74]d}. H M : Die zum Staatsangehörigkeitserwerb nach § 6 RuStAG entwickelten Grundsätze lassen sich auf den Erwerb der Deutscheneigenschaft nach Art. 116 Abs. 1 GG übertragen. Durch Aufnahme erwirbt danach das angenommene Kind eines Spätaussiedlers die Rechtstellung eines Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, wenn der Annahmeantrag vor Vollendung des 18. Lebensjahres gestellt worden ist und durch die Adoption eine echte Eltern-Kind-Beziehung zustande kommt (Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit HM [74]e}. [75] Zu Art. 116 Abs. 1 GG iVm § 4 Abs. 3 S. 2 Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG): Der Erwerb der Rechtstellung eines Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (Statusdeutsche) gemäß § 4 BVFG iVm Art. 116 Abs. 1 GG setzt eine „Aufnahme" im Bundesgebiet voraus. Gemäß § 8 Abs. 2 BVFG können „sonstige Familienangehörige" eines Spätaussiedlers in das vertriebenenrechtliche Aufnahmeverfahren einbezogen werden. Sie werden in einer Anlage zum Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers aufgeführt, sofern die zuständige Ausländerbehörde ihre Zustimmung erteilt. Genügt dieses Prozedere den Anforderungen §4 Abs 3 BVFG?
an die „Aufnahme" im Sinne des
A: Nein, denn § 4 Abs. 3 BVFG setzt die Durchführung eines Aufnahmeverfahrens und die Erteilung eines Aufnahmebescheides voraus. § 8 Abs. 2 BVFG ist keine Rechtsgrundlage für eine ausländerrechtliche Entscheidung über einen Daueraufenthalt {wortlautbezogenes Gesetzesarg. A [75]a}. Die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid beinhaltet lediglich die Aufenthaltsgenehmigung in der Form eines befristeten Sichtvermerkes. Die ausländergesetzlichen Aufenthaltstatbestände sind in diesen Fällen nicht erfüllt {systematisches Gesetzesarg. A [75]b}. Außerdem ist Nr. 1. 7 der vorläufigen Richtlinie zu § 4 BVFG zu unpräzise, weil dort allgemein „Familienangehörige" erfaßt sind. Das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG) wollte nur Kindern der Spätaussiedler, die unter Vertreibungsdruck standen und vor dem Inkrafttreten des KfbG geboren sind, den Erwerb der Rechtstellung als Deutscher gemäß Art. 116 Abs. 1 GG gewähren. Damit ist es unvereinbar, unbegrenzten Generationenfolgen die Zuwanderung zu ermöglichen {da die Fälle nicht mehr vergleichbar sind = Gerechtigkeitsarg.-Gleichheit A [75]c; in Verbindung mit dem Rekurs auf den Gesetzeszweck des KfbG = systematisches Gesetzesarg. A [75]d}. H M : Ja, denn »Aufnahme" ist jedes behördliche Verhalten, das dem Betroffenen den Daueraufenthalt nicht verweigert. Das ist in diesen Fällen gegeben, da § 8
III. Durchführung der Inhaltsanalyse
161
Abs. 2 BVFG ein besonderes ausländerrechtliches Verfahren ist {hier wird ein Bezug hergestellt zum Sinn des »Aufnahmeerfordernisses" = teleologisches Gesetzesarg. HM [75]e}. Die „sonstigen Familienangehörigen" finden im Rahmen des vertriebenenrechtlichen Aufnahmeverfahrens nach ihrer „Umstufung" zum Ehegatten oder Abkömmling im Sinne des § 7 Abs. 2 BVFG eine Aufnahme gemäß Art. 116 Abs. 1 GG iVm § 4 Abs. 3 S. 2 BVFG {systematisches Gesetzesarg. HM [75]f}. Der Gesetzgeber hat bewußt keinen Generationenschnitt eingeführt, sondern stattdessen geregelt, daß nur vor dem 1. Januar 1993 geborene Personen den Status eines Spätaussiedlers erwerben können. Deren Abkömmlinge können gemäß § 4 Abs. 3 S. 2 BVFG die Rechtstellung von Deutschen erlangen. Unter diese Personen fallen auch Enkel und weitere Abkömmlinge. Das ist bei der Beratung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes im Bundesrat ausdrücklich anerkannt worden {genetisches Gesetzesarg. HM [75]g}.
11 Bultmann
E. Untersuchungsergebnisse Dieses Kapitel besteht aus zwei Hauptabschnitten. Im ersten Abschnitt werden die Ergebnisse der Inhaltsanalyse vorgestellt und ausgewertet. Im zweiten Abschnitt erfolgt eine Kritik der Ergebnisse.
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse Die Ergebnisse werden in drei Schritten ausgewertet: 1. nach den jeweiligen Auslegungsprofilen, 2. formal nach den Argumentationsprofilen und 3. nach den inhaltlichen Stellungnahmen. Wegen der Vertraulichkeit der analysierten Protokolle findet eine Auswertung der Ergebnisse nur hinsichtlich der verschiedenen Gruppen statt.1 Als Gruppen werden hierbei die Gruppen Least, Less und Few sowie der Bund und die herrschende Meinung (HM) verstanden. Es wird versucht, bestimmte Linien in den Einstellungen der Gruppen auszumachen. Der Vollständigkeit halber werden im Anhang die Ergebnisse jeweils auch für die anonymisierten Länder aufgelistet. Im vierten Unterabschnitt werden die Ergebnisse der ersten drei Abschnitte zusammengefaßt, indem vier Modelle für die Zuteilung der deutschen Staatsangehörigkeit beschrieben werden. Im fünften und letzten Unterabschnitt wird das Entstehen verschiedener Zuteilungsmodelle im Einbürgerungsrecht erklärt.
1
Eine Auswertung nach einzelnen Länder ist nicht besonders ergiebig, da die Charakteristika eines Landes hinsichtlich seines Auslegungs- und Argumentationsverhaltens wegen der Vertraulichkeit der Materialien nicht mit der jeweiligen Einbürgerungsquote in Zusammenhang gebracht werden können. Ein weiterer Grund für die Vernachlässigung der Länder liegt darin, daß sämtliche Tabellen für eine aussagekräftige Analyse nach Ländern zu differenziert und daher zu dünn besiedelt sind.
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
163
1. Das Auslegungsprofil: extensive und restriktive Auslegung a) Ergebnisse Tabelle 8 Auslegungsprofil extensiv/restriktiv nach Gruppen extensive Auslegung
restriktive Auslegung
Relativer Anteil der extensiven Auslegung
Least
11
52
.1775
Less
33
14
.7021
Few
17
5
.7727
Bund
5
22
.1852
16
5
.7619
Gruppen
HM
Die Tabelle gibt nur die allgemeine Tendenz der jeweiligen Gruppen wieder. Der Grad oder das Ausmaß eines extensiven oder restriktiven „Einschlags" in der Rechtsanwendung läßt sich nur abschätzen. Der relative Rang einer Gruppe in einer Skala von äußerst extensiv bis äußerst restriktiv kann sich nämlich nicht ausschließlich an der Zahl der erfaßten engen und weiten Auslegungen orientieren. Diese Zahl gibt nämlich nur wieder, wie häufig Länder einer Gruppe sich für eine enge oder weite Auslegung entscheidet. Der relative Rang hängt aber auch vom Widerspruch ab, den eine Auslegung durch andere Länder erhält: Eine unwidersprochene Sondermeinung fallt statistisch weniger ins Gewicht als eine widersprochene Ansicht. Der Widerspruch verstärkt die Distanz zwischen extensivem und restriktivem Auslegungstypus. Ob ein Widerspruch erhoben wird, ist sicherlich nicht ganz zufällig. Hier bestehen jedoch weitere Unwägbarkeiten, die die Verläßlichkeit der Statistik einschränken. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor besteht darin, daß sich allein aus der rechtlichen Stellungnahme die tatsächliche Bedeutung einer Auslegungsentscheidung für das Einbürgerungsverfahren nicht ersehen läßt. Allerdings läßt sich eine Aussage zweifelsfrei machen: Es gibt einen überwiegend extensiven und einen überwiegend restriktiven Umgang mit den Regelungen des Einbürgerungsrechts. Die Verhältnisse von extensiver zu restriktiver Auslegung veranschaulicht als rein summarische Darstellung das folgende Säulendiagramm.
11
E. Untersuchungsergebnisse
164
Gruppe Diagramm 3: Auslegungsprofil nach Gruppen
b) Auswertung Das Verhältnis von extensiver zu restriktiver Auslegung ist das sogenannte „Auslegungsprofil" einer Gruppe. Das Auslegungsprofil ist in dem Diagramm auf der Ordinatenachse verzeichnet. Meßeinheit ist die Häufigkeit der einzelnen Entscheidungen für eine extensive respektive restriktive Auslegung. Der „Extensivanteil" im Auslegungsprofil gibt die relative Häufigkeit der extensiven Argumente bezogen auf die Gesamtzahl der erkennbaren Auslegungen einer Gruppe wieder (vgl. rechte Spalte in Tabelle 8). 2 Die Gruppe Least hat mit einem Extensivanteil von .1746 den relativ höchsten Anteil an restriktiven Auslegungsentscheidungen. Der Bund hat mit einem Wert von .1852 ein ähnliches Profil wie die Gruppe Least. Die Gruppen Less und Few und die herrschende Meinung zeigen mit einem Wert von jeweils über .7 ein untereinander vergleichbares Profil. Die Gruppe Less hat von den drei Gruppen den niedrigsten Extensivanteil mit einem Wert von .7021. 2 Extensivanteil = „absolute Zahl an extensiven Auslegungen : (absolute Zahl an extensiven Auslegungen + absolute Zahl an restriktiven Auslegungen)". Durch diese Anteilsberechnungen werden Verzerrungen abgeschwächt, die besonders bei kleinen Zahlen auftreten können, wenn man den Quotienten „absolute Zahl an extensiven Auslegungen : absolute Zahl an restriktiven Auslegungen" benutzen würde.
165
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
Die Gruppe Few und die herrschende Meinung bilden mit Werten von .7727 und .7619 ein diametralentgegengesetztes Bild zum Auslegungsprofil der Gruppe Least und dem Bund.3 Die untersuchte Hypothese gleicher Rechtsanwendung in den Länder scheint also widerlegt zu sein. Statistisch ist sie jedoch nur abzulehnen, wenn sich die Auslegungsprofile der Gruppen signifikant voneinander unterscheiden und ein Zusammenhang zwischen den Auslegungsprofilen und den Einbürgerungsquoten besteht. Zur Prüfung der statistischen Hypothese wurde für die drei Gruppen, den Bund und die herrschende Meinung eine Kontingenztafel erstellt. Sie soll die Unterschiede bezüglich des Auslegungsprofiles zwischen den Gruppen verdeutlichen. Zusätzlich werden die Extensivanteile mit den Einbürgerungsquotienten der Länder korreliert.
Tabelle 9 Kontingenztafel extensive zu restriktive Auslegungsentscheidungen nach Gruppen Least
Less
Few
Bund
HM
Total
Extensive Auslegung
11 29 17,46%
33 21 70,21%
17 10 77,27%
5 12 18,52%
16 10 76,19%
82
Restriktive Auslegung
52 34 82,54%
14 26 29,79%
5 12 22,73%
22 15 81,48%
5 11 23,81%
98
63
47
22
27
21
180
Häufigkeit erwartete H. Verhältnis pro Gruppe
Total
Die Kontingenztafel stellt die tatsächliche Häufigkeit einer Variable der statistisch zu erwartenden, theoretischen Häufigkeit gegenüber. Vorausgesetzt wird eine bestimmte Anzahl unabhängiger Beobachtungen, die sich durch ausschließliche und die beobachtete Vielseitigkeit erschöpfende Alternativen beschreiben lassen. Die Homogenitätshypothesen werden mit einem chi-Quadrat-Test geprüft. 4 Der chi-Quadrat-Wert für die vorliegende Kontingenztafel beträgt 56.398 bei einem Freiheitsgrad von FG = 4. Bei diesem Wert ist die Signifikanzwahrscheinlich3 Beachtenswert ist, daß die Extensivanteile der Länder innerhalb der einzelnen Gruppen disparat verteilt sind, vgl. dazu Tabelle 17 im Anhang G. II. Dieser Umstand wird bei der Auswertung weiter unten aufgegriffen. 4 Vgl. zu Kontingenztafeln, ζ. B. Sachs (1992), S. 579 ff. Zur chi-Quadrat-Verteilung ders., S. 211 ff.
166
E. Untersuchungsergebnisse
keit deutlich unter einem Signifikanzniveau von alpha = .05 (zweiseitig). Die Extensivanteile sind also nicht homogen verteilt. Zwischen den Gruppen bestehen signifikante Unterschiede. Diese Unterschiede werden plastisch durch die prozentualen Anteile der jeweiligen Auslegungen an den erkennbaren Entscheidungen insgesamt (dritte Zeile). Außerdem werden sie durch die sehr großen Abweichungen der tatsächlichen von den theoretischen Häufigkeiten bestätigt (erste und zweite Zeile). Fraglich ist, ob diese Unterschiede im Zusammenhang mit den Einbürgerungsstatistiken stehen. Zur Klärung dieser Frage wurde der Extensivanteil der Gruppen (und Länder) mit deren Einbürgerungsquotienten korreliert und in eine lineare Regression gebracht. Der Korrelationskoeffizient r ist eine Maßzahl für die Stärke und die Richtung eines linearen Zusammenhanges. Wenn kein linearer Zusammenhang besteht, ist er gleich Null. Wenn ein hoher Zusammenhang besteht, ist r = 1 oder r = - l . 5 Zur Korrelationsprüfung wurden die Rangkorrelationskoeffizienten nach Kendall und nach Spearman benutzt. Im Gegensatz zur parametrischen Produktmoment-Korrelation (Pearson) ist die Rangkorrelation auch bei kleinen Stichproben, die nicht binormalverteilt sind, exakt. Insbesondere wird durch die Rangkorrelation die Wirkung von Ausreißern abgeschwächt. Der Korrelationskoeffizient nach Kendall zeigt für alle drei Einbürgerungsquotienten einen Wert mit einer hohen Signifikanzwahrscheinlichkeit bei einem zweiseitigen Test mit einem Signifikanzniveau von alpha = .05 (N = 8). Am schwächsten ist die Korrelation zwischen dem Gesetzesverständnis und dem Einbürgerungsquotienten für den Zeitraum 1991-93 (r = .571, Sig. = .048), am höchsten ist die Korrelation für den Einbürgerungsquotienten 1993-96 (r = .714, Sig. = .013). Dazwischen liegt die Korrelation für den Zeitraum 1991-96 (r = .643, Sig. = .026). Diese Abhängigkeiten werden grundsätzlich durch die Korrelation nach Spearman bestätigt. Allerdings zeigt die Spearmankorrelation eine niedrigere Signifikanz der Variablen. Für den Einbürgerungsquotienten 1991-93 wird bei zweiseitiger Fragestellung und alpha = .05 die Signifikanz verfehlt (r s = .643, Sig. = .086). Für die Zeiträume von 1993-96 (r s = .810, Sig. = .015) und von 1991 - 9 6 (r 5 = .738, Sig. = .037) sind die Korrelationen signifikant. Ein Exkurs in die Tiefen der Statistik, um die Unterschiede zwischen den beiden (ähnlichen) Tests herauszuarbeiten, erübrigt sich.6 Die Testergebnisse sind ähnlich. Außerdem sind für beide Tests die Zusammenhänge zwischen den Einbürgerungszeiträumen sehr hoch. Sie liegen beim Kendalitest nicht unter r = .857 und beim Spearmantest nicht unter r - .929. Deswegen erübrigt sich auch eine Differenzierung zwischen den drei Einbürgerungszeiträumen. 7 Als Testergebnis kann festgehalten werden, daß eine hohe posi5 Zur Korrelations- und Regressionsanalyse und zum Korreleationskoeffizienten vgl. z. B. Sachs (1992), S. 489 ff. 6
Hinweise zu weiterführender Literaur finden sich z. B. bei Sachs (1992), S. 515. Die relativ höhere Signifikanzwahrscheinlichkeit für den Zeitraum von 1993-96 hängt damit zusammen, daß für diesen Zeitraum kaum von einer Normalverteilung gesprochen werden kann. (Ablehnung einer Normalverteilung durch den Kolmogorov-Smirnov-Test, 7
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
167
tive Korrelation zwischen den Extensivanteilen und den Einbürgerungsquotienten der Gruppen besteht. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß die Rechtsanwendung in den Gruppen mitursächlich ist für die Frage, ob eine hohe oder eine niedrige Einbürgerungsrate vorliegt. Die Nullhypothese wird abgelehnt. Die Alternativhypothese, die von einen Zusammenhang zwischen Rechtsanwendung und Einbürgerungsquote ausgeht, wird angenommen.
Regression Equation: Q_91_96 = 2.26195 + 5.689535*G_EXT Diagramm 4: Extensivanteil am Auslegungsprofil zu Einbürgerungsquote
Den Korrelationszusammenhang zwischen der Art der Auslegung und der Einbürgerungspraxis verdeutlicht das vorstehende Regressionsdiagramm. Die Extensivanteile wurden für die einzelnen Länder in eine lineare Regression mit deren Einbürgerungsquotienten für den Zeitraum 1991-96 gebracht.8 Die Länder werden zwar einzeln in der Regression aufgeführt. Um weiterhin die Vertraulichkeit des Materials zu wahren, wurde jedoch nur die Gruppenzugehörigkeit eines Landes offengelegt. 9 hohe Dixonwert-Signifikanz). Die Regressionslinie und der Korrelationskoeffizient werden für diesen Zeitraum also stärker durch Ausreißer verzerrt. 8 Der Zeitraum 1991-96 ist der größte Zeitraum. Er deckt sich mit dem Zeitraum, aus dem die Protokolle stammen und ist daher die „natürliche" Bezugsgröße für die Auslegungsprofile. Außerdem verzeichnet der Einbürgerungszeitraum 1991-96 gegenüber den anderen Zeiträumen einen mittleren Wert für die Korrelationsanalyse.
168
E. Untersuchungsergebnisse
Auf der Abszisse befindet sich der Extensivanteil als unabhängige Einflußgröße und auf der Ordinate der Einbürgerungsquotient 1991-96 als abhängige Ziel variable. Der Korrelationskoeffizient ist r = 0.6356. Die Korrelation ist hoch, jedoch besteht keine Signifikanz des Ergebnisses. Bei einem F-Wert von F = 4.066 und einem Freiheitsgrad von FG = 7 ist die Signifikanzwahrscheinlichkeit Sig. = .0903, also größer als alpha = .05. Immerhin besteht eine Signifikanzwahrscheinlichkeit bei einem Niveau von α = .1. Die Länder mit einem hohen Anteil an extensiven Auslegungsentscheidungen haben auch einen hohen Einbürgerungsquotienten. Das Diagramm ist insofern aufschlußreich, als es die breite Streuung innerhalb der untersuchten Gruppen verdeutlicht. Die Homogenität der cluster besteht offenbar nur hinsichtlich der Einbürgerungsquotienten, weniger hinsichtlich der Extensivanteile. Für alle drei Gruppe zeigt sich ein Ausreißer. Die gruppenbezogene Darstellung über lokale Gerechtigkeiten im Einbürgerungsrecht erfährt an dieser Stelle eine Einschränkung, die bei den weiteren Ausführungen zu beachten ist. Die Untersuchungen des Auslegungsprofiles der Länder ergaben Unterschiede, die den Unterschieden in den Einbürgerungsquotienten der Länder(gruppen) entsprechen. Aus dieser Beobachtung kann nicht der pauschale Schluß gezogen werden, daß eine überwiegend extensive oder restriktive Rechtsanwendungskultur auch eine extensive oder restriktive Einbürgerunspraxis bezweckt.10 Eine extensive oder restriktive Auslegung ist zunächst das Produkt rechtlicher Überlegungen, nicht das unmittelbare Ziel dieser Überlegungen. Allerdings liegt der Schluß nahe, daß sich hinter einer Rechtsanwendung, die sich im Ergebnis eher extensiv oder restriktiv auswirkt, je ein bestimmtes Verständnis des Einbürgerungsrechts, ein Konzept, verbirgt. Ob ein solches Konzept mittelbar eine hohe oder geringe Zahl von Einbürgerungen anstrebt, ist eine Folgefrage. Bei ihrer Beantwortung wird von einem allgemeinen Erfahrungssatz ausgegangen: Die Auswirkungen einer Rechtsanwendung sind umso eher beabsichtigt, je bewußter und konsistenter die konzeptionellen Entscheidungen sind, die einer Rechtsanwendung zugrunde liegen. Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Inhaltsanalyse daraufhin untersucht, ob sie bestimmte Konzeptionen aufweisen, die in signifikanter Weise voneinander abweichen.
9 Die Werte für die Länder ergeben sich aus der jeweils rechten äußeren Spalte der Tabellen 6 im Kapitel C. II. und 19 im Anhang G. II. 10 Die Tatsache, daß einige Länder entweder fast ausschließlich extensiv oder restriktiv auslegen, gibt diesem Schluß gleichwohl eine gewisse Plausibilität. An dieser Stelle wäre über das Problem der „finalen Auslegung" zu reflektieren. Allerdings geben unsere Untersuchungsergebnisse zu dieser Fragestellung nicht mehr her, als ohnehin bekannt ist. Die finale Subsumtion ist möglich. Wie häufig sie vorkommt und unter welchen Bedingungen, ist ein dunkles Kapitel der Rechtsanwendungspsychologie. Es läßt sich folglich nicht sagen, ob eine Auslegung auf rechtlicher oder politischer Überzeugung beruht.
169
.Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
2. Quantitative Argumentationsanalyse Die Auswertung der Argumenttypenanalyse erfolgt im wesentlichen in zwei Schritten. Unter a) werden die sogenannten Argumentationsprofile der Gruppen charakterisiert. Das Argumentationsprofil gibt den Argumentationsstil einer Gruppe, das heißt die Zusammensetzung der verwendeten Argumenttypen, wieder. Sodann wird unter b) speziell die Verwendung von Gerechtigkeitsargumenten untersucht.
a) Analyse nach rechtlicher und nicht-rechtlicher
Argumentation
Die nachfolgende Tabelle 10 gibt die Häufigkeiten der Argumenttypen nach Gruppen in absoluten und (jeweils in Klammern) in Prozentzahlen wieder. Die Prozentzahlen beziehen sich auf den Anteil eines Argumenttyps an der Gesamtzahl der von einer Gruppe verwendeten Argumente. Diese Prozentzahlen sind die Merkmale des Argumentationsprofils einer Gruppe, weil sie anzeigen, mit welchen Gesichtspunkten eine Gruppe vorrangig argumentiert und damit vermutlich auch, welche Argumente eine Gruppe für besonders schlagkräftig hält.
Tabelle 10 Anteil einzelner Argumentformen an der Gesamtargumentation nach Gruppen Gruppe
Gesetzes- Prinzipien- autoritäres ökonomi- politisches Prakti- Gerechtig- Gesamt/ argument argument Argument sches Argument abilitätskeitsAnteil an Argument Insg. argument argument
Least
58 (37,7)
12 (07,8)
19 (12,4)
4 (02,6)
17 (11,0)
15 (09,7)
29 (18,8)
154 100%
Less
34 (36,6)
2 (02,2)
11 (11.8)
0 (0%)
16 (17,2)
12 (12,9)
18 (19,5)
93 100%
Few
16 (34,8)
2 (04,5)
3 (06,5)
2 (04,5)
4 (08,7)
7 (15,2)
12 (26,1)
46 100%
Bund
24 (24,5)
11 (11,2)
9 (09,2)
2 (02,0)
19 (19,4)
6 (06,1)
27 (27,6)
98 100%
HM
30 (36,1)
11 (13,3)
0 0%
2 (02,4)
4 (04,8)
11 (13,3)
25 (30,1 )
83 100%
Insg. Äußerungen
169 (33,4)
40 (07,9)
46 (09,1)
10 (02,0)
65 (12,9)
58 (11,5)
118 (23,3)
506 100%
Insg. Argument
131 (32,4)
35 (08,7)
35 (08,7)
9 (02,2)
54 (13,4)
40 (09,9)
100 (24,8)
404 100%
170
E. Untersuchungsergebnisse
Die Auflistung nach verschiedenen Argumentformen läßt für den Bund, die herrschende Meinung und die drei Gruppen keine markanten Unterschiede in den Argumentationsprofilen erkennen. Lediglich die Gesamtzahl der von den einzelnen Gruppen vorgebrachten Argumente variiert beträchtlich. 11 Dennoch zeigt die Statistik einige Auffälligkeiten, die im folgenden kurz aufgegriffen werden sollen. Die meisten Besonderheiten zeigt der Bund. Er verwendet überdurchschnittlich viele politische Argumente (19,39 % bei einem Durchschnitt von 12,85 %) und unterdurchschnittlich wenige Gesetzesargumente (24,5 % bei durchschnittlich 33,4 %) und Praktikabilitätsargumente (6,12 % bei durchschnittlich 11,46 %). Diese Werte erklären sich aus der besonderen Stellung des Bundes: Seine Einbürgerungspraxis ist überwiegend theoretisch, abgehoben von den verwaltungstechnischen Problemen „vor Ort". Er wendet weniger die einbürgerungsrechtlichen Vorschriften an, als daß er sich um deren politische Auswirkungen im öffentlichen Leben kümmert. In der Gruppe Few wird auffallend selten autoritär argumentiert (6,52 % bei durchschnittlich 9,09 %). Bei den Prinzipienargumenten ist die Gruppe Less unterrepräsentiert (2,15 % bei durchschnittlich 7,91 %). Dafür argumentiert die Gruppe Less überdurchschnittlich häufig mit politischen Argumenten (17,24 % bei durchschnittlich 12,85 %). Für diese und andere kleinere Abweichungen der einzelnen Länderpraktiken von dem durchschnittlichen Argumentationsprofil drängen sich an dieser Stelle keine Erklärungen auf. Gebenenfalls sind sie jedoch an späterer Stelle aufzugreifen. Für eine statistische Auswertung ist die Tabelle zu differenziert und die einzelnen Felder zu dünn besiedelt. Etliche Zellen sind unterbesetzt oder sogar gänzlich unbesetzt. Deshalb wurde die komplexe Tabelle der Argumentformen auf zwei Arten von Argumenten reduziert: auf die Unterscheidung zwischen rechtlichen und nicht-rechtlichen Argumenten. Als rechtliche Argumente wurden die autoritären, die Gesetzes- und die Prinzipienargumente verstanden. Diese Argumente stellen einen Bezug zum Rechtssystem her. Die übrigen Argumentformen sind allgemeinerer Natur und auch in nicht-rechtlichen Kontexten zu finden. Die Unterscheidung zwischen rechtlichen und nicht-rechtlichen Argumenten ermöglicht es, den Argumentationsstil eines Landes quantitativ zu beschreiben. In der Methodenlehre unterscheidet man grob zwischen zwei Arten der Rechtsanwendung: Die Fallösung kann sich am Gesetz orientieren und streng systematisch und dogmatisch eine Lösung deduzieren. Sie kann sich aber auch an den Einzelheiten und Gegebenheiten des Sachverhaltes selbst orientieren, um problemorientiert (topisch) und argumentativ eine Fallösung herbeiführen. Nach dem rhetorisch-topischen Verständnis muß die Problemlösung „unter Abwägung aller für den konkreten Fall relevanten Gesichtspunkte gefunden werden" 12 .
11 Die Gruppe Least bringt über ein Drittel mehr an Argumenten als die Gruppe Less und das dreifache an Argumenten im Vergleich zur Gruppe Few. Diese Unterschiede sind für die Arbeit nur von marginalem Interesse, da sie zunächst lediglich die Diskussionsfreudigkeit einzelner Staatsangehörigkeitsreferenten widerspiegeln.
171
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
Geht man davon aus, daß es diese beiden Arten der Rechtsanwendung gibt, so läge es in der Natur der Sache, daß ein systematisch-dogmatisch denkender Jurist häufiger rechtliche Argumente verwendet, ein topisch denkender Rechtsanwender dagegen eher nicht-rechtliche Argumente heranzieht. Ein topisch denkender Rechtsanwender ist - im Gegensatz zum rechtlich Argumentierenden - vermutlich eher geneigt, den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen und Billigkeitserwägungen anzustellen. Wie sich ein nicht-rechtlich Argumentierender typischerweise entscheiden würde, wäre damit nicht vorgegeben. Denkbar ist, daß er sich primär an den Bedürfnissen der Rechtsunterworfenen orientiert. Möglicherweise präferiert er die Interessen des Staates oder andere Gesichtspunkte. Die Unterscheidung zwischen rechtlicher und nicht-rechtlicher Argumentation ist also rein formal. Wenn sich Unterschiede zwischen den Länder feststellen ließen, wären sie inhaltlich zu untermauern. Im folgenden soll der aufgezeigte Gedankengang zunächst weiter quantitativ anhand des statistischen Materials verfolgt werden.
Tabelle 11 Prozentzahlen rechtliche und nicht-rechtliche Argumente nach Gruppen Rechtliche Argumente
Nicht-rechtliche Argumente
Anteil rechtl. Argumente an Argumenten insgesamt
Least
89 57,78 %
65 42,21%
.5779
Less
47 50,54%
46 49,46%
.5054
Few
21 45,65%
25 54,35%
.4565
Bund
44 44,90%
54 55,10%
.4490
HM
41 49,40%
42 50,60%
.4940
Insg.
255 50,40%
251 49,60%
.5040
Gruppe
12
Ehmke (1963), S. 55 unter Hinweis auf Josef Essers und Theodor Viehwegs Arbeiten. Instruktiv zur topischen Rechtsanwendungslehre auch Larenz (1991), S. 145 ff. und Koch/ Rüßmann (1982), S. 175 f. und passim. Die Unterscheidung zwischen systematischen und topischen Vorgehen bei der Rechtsanwendung führt in die Tiefen der Methodenlehre. Hier ist Vieles umstritten und unklar. Letztlich geht es um die Frage, ob sich Entscheidungsspielräume, die bei der Rechtsanwendung bestehen, im Rekurs auf das Gesetz, auf sonstige normative Maßstäbe (ζ. B. Gerechtigkeit, Utilitarismus) oder auf die Wirklichkeit zu lösen sind. Grundlegend dazu: Koch/Rüßmann (1982). Auf diese Problematik kann hier nicht im Mindesten eingegangen werden. Die (fragwürdige) Unterscheidung zwischen einer gesetzesorientierten und einer wirklichkeitsorientierten Rechtsanwendung wird hier lediglich als Modell verwendet. Die Unterscheidung soll verdeutlichen, welche Einstellung „dem Rechtsverständnis eines Landes" möglicherweise zugrunde liegt.
172
E. Untersuchungsergebnisse
100
IG ρ c ο Β
I
IRECKTL
I
I NICHT.R
3
less
few
bund
Gruppe Diagramm 5: Argumentationsprofil nach Gruppen
Tabelle 12
Kontingenztafel rechtliche zu nicht-rechtliche Argumente nach Gruppen Häufigkeit
Least
Less
Few
Bund
HM
Total
Rechtliche Argumente
89 79 57,79%
47 48 50,54%
21 23 45,65%
44 50 44,90%
41 42 49,40%
242
Nicht-rechtl. Argumente
65 75 42,21%
46 46 49,46%
25 23 54,35%
54 48 55,10%
42 41 50,60
232
154
93
46
98
83
474
erwartete H. Verhältnis pro Gruppe
Total
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
173
Das Verhältnis von rechtlicher zu nicht-rechtlicher Argumentation verrät das sogenannte „Argumentationsprofil" einer Gruppe. Das Argumentationsprofil ist in dem Diagramm auf der Ordinatenachse verzeichnet. Meßeinheit ist die Häufigkeit der einzelnen rechtlichen oder nicht-rechtlichen Argumente. Der Begriff „Argumentationsprofil" bezeichnet die relative Häufigkeit der rechtlichen Argumente bezogen auf die Gesamtzahl der vorgebrachten Argumente einer Gruppe (vgl. rechte Spalte in Tabelle I I ) . 1 3 Das Argumentationsprofil der Gruppe Least hat mit einem Wert von .5779 den relativ höchsten Anteil an rechtlichen Argumenten. Die Gruppen Less und die herrschende Meinung haben vergleichbare Werte, nämlich ungefähr .5. Wiederum ein ähnliches Argumentationsprofil ist für die Gruppe Few und den Bund ersichtlich, deren Werte um .45 schwanken.14 Die Tabelle 11 zeigt Unterschiede im Argumentationsprofil der Länder und Gruppen. Die Unterschiede scheinen indessen nicht sehr groß zu sein. Die Werte für den Anteil der rechtlichen Argumente an der Gesamtzahl der von einer Gruppe vorgebrachten Argumente pendeln etwa um den Wert von .5 (rechte Spalte der Tabelle 11). Es wurde analog zur statistischen Auswertung der Tabelle zur extensiven und restriktiven Auslegung verfahren: Zunächst werden die Argumentationsprofile der Gruppen in obigen Säulendiagramm 5 veranschaulicht. Außerdem zeigt die Kontingenztafel in Tabelle 12, ob sich die Argumentationsprofile der Gruppen signifikant voneinander unterscheiden, ob die χ-Quadrat-Verteilung also inhomogen ist. Anschließend wird das Argumentationsprofil der einzelnen Länder in eine lineare Regression mit den Extensivanteilen der Länder gebracht. Ziel dieser Regressionsanalyse ist es, festzustellen, ob ein Zusammenhang zwischen der Art und Weise der Argumentation und den Auslegungsentscheidungen der Länder besteht. Das Säulendiagramm verdeutlicht ein gleich geartetes Argumentationsprofil für alle Gruppen und auch aus der Kontingenztafel ergeben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Prozentwerte für die rechtlichen und nicht-rechtlichen Argumente aus den Tabellen 11 und 12 bewegen sich innerhalb einer schmalen Spannbreite. Außerdem stehen für alle Gruppen die tatsächlichen Häufigkeiten mit den erwarteten Häufigkeiten in relativer Übereinstimmung miteinander (vgl. Tabelle 12, zweite und dritte Zeile). Die Argumentationsprofile der Gruppen sind folglich ähnlich. Die Hypothese einer homogenen Verteilung der Argumentationsprofile wird bestätigt: Der chi-Quadratwert ist 4.923 bei einem Freiheitsgrad von 4. Die Signifikanzwahrscheinlichkeit ist bei einer exakten Berech13
Argumentationsprofil = „absolute Zahl an rechtlichen Argumenten : (absolute Zahl an rechtlichen Argumenten + absolute Zahl an nicht-rechtlichen Argumenten)". Durch diese Anteilsberechnungen werden Verzerrungen abgeschwächt, die besonders bei kleinen Zahlen auftreten können, wenn man den Quotienten „absolute Zahl an rechtlichen Argumenten : absolute Zahl an nicht-rechtlichen Argumenten" benutzen würde. 14 Die Argumentationsprofile der Länder innerhalb der einzelnen Gruppen sind wiederum disparat, vgl. dazu Tabelle 19 im Anhang G. II. Die diesbezüglichen Besonderheiten bestimmter Länder werden bei der Auswertung berücksichtigt.
174
E. Untersuchungsergebnisse
nung gleich 0.297, also weit über einem Signifikanzniveau von α = .05 (zweiseitig). Trotz der statistischen Homogenität fragt sich, ob die immerhin bestehende Spannbreite hinsichtlich der Argumentationsprofile im Zusammenhang mit den Einbürgerungsquoten der jeweiligen Gruppen steht. Um einen ersten Bezug zwischen der Art und Weise der Argumentation eines Landes und seiner Einbürgerungspraxis herzustellen, wurde folgender Zusammenhang untersucht: Der Anteil extensiver Auslegungen im Auslegungsprofil (Extensivanteil) wurde mit dem jeweiligen Argumentationsprofil der Gruppen korreliert. Mit dieser Korrelation sollte geklärt werden, ob beispielsweise ein überwiegend rechtliches Argumentationsprofil zu einem überwiegend restriktiven Auslegungsprofil führen könnte. Möglicherweise hängt - umgekehrt - eine überwiegend nicht-rechtliche Argumentationsstrukur statistisch mit einem hohen Extensivanteil zusammen. Das wäre ein Hinweis darauf, daß die betreffenden Länder vielfach fallorientiert argumentieren und sich gleichzeitig stärker für die Bedürfnisse der Einbürgerungsbewerber einsetzen als die überwiegend rechtlich Argumentierenden. Für diese Korrelation zeigt der statistische Test nach Kendall einen Korrelationskoeffizient von r = -.643 und einen Signifkanzwert von Sig. = .0260. Es besteht demnach eine relativ hohe Signifikanzwahrscheinlichkeit bei einem zweiseitigen Test mit einem Signifikanzniveau von α = .05 (Ν = 8). Die Abhängigkeit des Anteils an rechtlichen Argumenten vom Extensivanteil (und umgekehrt) wird durch die Korrelation nach Spearman bestätigt. Die Spearmankorrelation zeigt einen Wert von r$ = -.738 und einen Signifikanzwert von sig. = .0366 unter denselben Testbedingungen wie beim Kendalltest. Das gleiche Ergebnis zeigt die lineare Regression für die entsprechenden Werte der Länder, die in dem folgenden Diagramm dargestellt ist. Die Abszisse zeigt die Extensivanteile der Länder als unabhängige Einflußvariable, die Ordinate zeigt als abhängige Variable den Anteil rechtlicher Argumente. Der Korrelationskoeffizient ist r = -.7237. Die Korrelation ist also hoch. Bei einem F-Wert von F = 6.6 und einem Freiheitsgrad von FG = 7 ist die Signifikanzwahrscheinlichkeit Sig. = .0424, also kleiner als a = .05. Auffällig ist, daß das Argumentationsprofil der Gruppen homogen ist, dennoch aber eine hoher Zusammenhang zwischen der Art und Weise der Argumentation und dem Auslegungsprofil besteht. Im Unterschied zu der Kontingenztafel rechnet die Regressionsanalyse mit den einzelnen Ländern und nicht nur den Gruppen. 15 Das Diagramm zeigt - wie schon bei der Korrelation des Auslegungsprofils mit den Einbürgerungsquotienten - eine Streuung innerhalb der Gruppen. Während sich diese Streuungen bei der Kontingenzanalyse ausgleichen, kommen sie bei der Regressionsanalyse zum Tragen. Das erklärt die hohe Korrelation.
15 Die Werte für die Länder ergeben sich aus der jeweils rechten äußeren Spalte der Tabellen 17 und 19 im Anhang G. II.
175
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
Extensivanteil Regression Equation: Q_R_NR = 0.650835 - 0.26598*G_EXT Diagramm 6: Extensivanteil am Auslegungsprofil zu Argumentationsprofil
Als Ergebnis der Regressionsanalyse steht fest, daß die Gruppen mit einem höheren Anteil an nicht-rechtlichen Argumenten auch einen höheren Anteil an extensiven Auslegungen in ihrem Auslegungsprofil haben. Umgekehrt legen jene Gruppen, die überwiegend rechtlich argumentieren, das Gesetz eher restriktiv aus. Diese Regressionsanalyse steht im Zusammenhang mit der vorangegangenen Regressionsanalyse über den Zusammenhang zwischen den Extensivanteilen und den Einbürgerungsquotienten. Über das Bindeglied des Extensivanteiles sind die beiden Regressionen miteinander verknüpft. Liest man beide Regressionen zusammen, so ergibt sich die folgende Gesetzmäßigkeit: Das Argumentationsprofil beeinflußt das Auslegungsprofil und das Auslegungsprofil bedingt den Einbürgerungsquotienten. Diese Gesetzmäßigkeit gilt in folgender Weise: Die Ländergruppen mit einem hohen Anteil rechtlicher Argumente in ihrem Argumentationsprofil haben einen niedrigen Anteil extensiver Entscheidungen in ihrem Auslegungsprofil und weiterhin eine niedrige Einbürgerungsquote. Die umgekehrte Verknüpfung besteht bei Ländergruppen mit einem niedrigen Anteil rechtlicher Argumente in ihrem Argumentationsprofil: Sie haben einen hohen Anteil extensiver Auslegungen in ihrem Auslegungsprofil und eine hohe Einbürgerungsquote. Dieses Ergebnis läßt sich durch zwei weitere Überlegungen präzisieren. Erstens scheint das Ergebnis der Regressionsanalysen widerlegt zu sein, wenn man die Anteilszahlen aus den Tabellen zu den Auslegungs- und Argumentationsprofilen vergleicht. Die Gruppe Few und der Bund haben diametral entgegenge-
176
E. Untersuchungsergebnisse
setzte Extensivanteile bei sehr ähnlichen Argumentationsprofilen. Beide Gruppen haben einen hohen Anteil an nicht-rechtlichen Argumenten in ihrem Argumentationsprofil. Sie argumentieren also „topisch" im Sinne der beschriebenen Typologie der Rechtsanwendung. Die oben aufgeworfene These, daß die Frage, ob topisch oder systematisch begründet wird, nichts austrägt für die Frage, wie inhaltlich entschieden wird, ist damit bestätigt. Die Unterscheidung ist rein formal. Allerdings stellt diese Beobachtung die beschriebene Gesetzmäßigkeit nicht grundsätzlich in Frage. Die Korrelationskoeffizienten für die jeweiligen Zusammenhänge zwischen Argumentationsprofil, Extensivanteil am Auslegungsprofil und Einbürgerungsquote sind relativ hoch. Diese Statistik spricht dafür, daß der Bund eine Ausnahme von der beschriebenen Gesetzmäßigkeit ist. Der Bund hat in den untersuchten Diskussionen eine Sonderstellung. Seine „Einbürgerungspraxis" ist überwiegend theoretisch, ohne praktische Umsetzung. Der Bund hat eine andere institutionelle Stellung im Verwaltungsaufbau, und er vertritt andere Interessen als die Länder. Die Sonderstellung des Bundes zeigte sich bereits bei der Detailanalyse zum Argumentationsprofil der Länder und Gruppen. Sie ist weiter zu verfolgen, insbesondere bei der nachfolgenden inhaltlichen Analyse der Referentenprotokolle. Zweitens zeigt sich wie schon bei der linearen Regression des Extensivanteils mit den Einbürgerungsquotienten für jede Gruppe ein Ausreißer. Die Ausreißer befinden sich bei beiden Regressionen jeweils an der gleichen Stelle. Das spricht dafür, daß es sich um die gleichen Länder handelt. Die Korrelationsbeziehungen werden in ihrer Verläßlichkeit durch diese Beobachtung bestärkt. Weil in den Kontingenztafeln nur die Gruppen analysiert wurden, sind die Signifikanzwahrscheinlichkeiten niedriger als sie hätten sein müssen, wenn der Vertraulichkeitsaspekt der Untersuchung wegfiele. Die bereits aufgeworfene Kritik an der - notwendigen gruppenbezogenen Darstellung über lokale Gerechtigkeiten im Einbürgerungsrecht bleibt aufrechterhalten und wird verstärkt. Trotz gewisser inhomogener Gruppenstrukturen lassen sich jedoch Unterschiede zwischen den Gruppen festhalten, denen im folgenden weiter nachgegangen wird.
b) Analyse nach Gerechtigkeitsargumenten In diesem Abschnitt wird die bisherige quantitative Analyse vertieft. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand ist das Auslegungsprofil zwar grundsätzlich unabhängig vom Argumentationsprofil (Ergebnis des Vergleiches der Gruppen Few und Bund). Die Regressionsanalysen zeigten konkret aber eine Gesetzmäßigkeit für die Länder(gruppen) dahingehend, daß eine „topische" Argumentation zu einem überwiegend extensiven Gesetzesverständnis führt. Möglicherweise erhärtet sich diese Gesetzmäßigkeit, wenn man ein spezielles Augenmerk auf die Gerechtigkeitsargumente legt. Diese Annahme ist deshalb
177
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
plausibel, weil sich mit dem Gedanken der topischen Rechtsanwendung ein einzelfallbetontes und daher gerechtigkeitsbezogenes Gesetzesverständnis verknüpft. Der Schlüssel für das Verständnis der unterschiedlichen Rechtsanwendungskulturen könnte also bei den Gerechtigkeitsargumenten liegen. Aus diesem Grunde wurden die Gerechtigkeitsargumente nach Argumenten der Gleichheit, der Billigkeit, des Verdienstes und des Bedarfs klassifiziert. Das Ergebnis zeigt die folgende Tabelle.
Tabelle 13 Gerechtigkeitsargumente nach Gruppen Gleichheit
Billigkeit
Verdienst
Bedarf
Gesamt
Least
11 37,93 %
4 13,79%
7 24,14%
7 24,14%
29 100%
Less
9 50,00%
3 16,67%
4 22,22%
2 11,11%
18 100%
Few
8 66,67%
2 16,67%
0 0%
2 16,67%
12 100%
Bund
12 44,44%
9 33,33%
3 11,11%
3 11,11%
27 100%
HM
8 32,00%
7 28,00%
4 16,00%
6 24,00%
25 100%
Insg.
50 42,37%
28 23,73%
19 16,10%
21 17,80%
118 100%
Gruppe
Die Häufigkeiten an Gerechtigkeitsargumenten sind zu gering, als daß eine statistische Auswertung erfolgen könnte. Eine Zelle ist unbesetzt, viele Zellen sind unterbesetzt. Die Gruppe Less und der Bund zeigen keine besonderen Abweichungen von der durchschnittlichen Verteilung der Gerechtigkeitsargumente. Auffallend ist der hohe Anteil von Gleichheitsargumenten bei der Gruppe Few (66,67 % bei durchschnittlich 42,37 %). Er ist wegen der insgesamt geringen Zahl an Gerechtigkeitsargumenten der Gruppe Few jedoch kaum aussagekräftig. Insgesamt ist auffallend, daß die Gruppe Few und der Bund relativ zu ihrem sonstigen Argumentationsprofil am meisten Gerechtigkeitsargumente verwenden (Few 26,09 %, Bund 27,55 % bei durchschnittlich 23,32 %, vgl. oben Tabelle 10, zweite Spalte von rechts). Diese beiden Gruppen haben auch hinsichtlich der Verteilung von rechtlichen zu nicht-rechtlichen Argumenten ein sehr ähnliches Argumentationsprofil. Insofern bestätigt sich die zugrundegelegte These, daß in der topischen Denkweise überdurchschnittlich häufig gerechtigkeitsbezogen argumentiert wird. Ebenso wurde bereits der rein formale Charakter der Unterscheidung nach systematischen oder topischen Rechtsdenken festgehalten. Diese Beobachtung wieder12 Bultmann
E. Untersuchungsergebnisse
178
holt sich für die Gerechtigkeitskategorien: Ob mit Gleichheits-, Billigkeits-, Bedarfs- oder Verdienstargumenten argumentiert wird, ist eine formale Unterscheidung. Sie sagt noch nichts über den Inhalt dieses Argumentes aus. Die Kategorie ist insofern offen. Alle diese Argumente lassen sich sowohl zugunsten der Staatsinteressen als auch zugunsten der Bewerberinteressen einsetzen. Auch hier wurde deshalb der Versuch unternommen, einen stärkeren Bezug zwischen der Form der Argumente und ihrem Inhalt wiederzugeben. Das Ergebnis ist in der folgenden Tabelle zu sehen. Tabelle 14 Gerechtigkeitsargumente „pro/contra potentieller Einbürgerungsbewerber" nach den drei Gruppen, dem Bund und der H M Land / Gerechtigkeits- Gerechtigkeits- Gerechtigkeits- Gerechtigkeits- Anteil der Arargument argument Gruppe argument„pro" argument „congumente „pro" tra" Bewerber Bewerber insgesamt „neutral" zu Argumenten insgesamt Least
4 13,79%
19 65,52%
6 20,07%
29 99,38%
0,1176
Less
8 44,44%
7 38,89%
3 16,67%
18 100%
0,4444
Few
9 75%
2 16,67%
1 08,33%
12 100%
0,75
Bund
5 18,52%
12 44,44%
10 37,04%
27 100%
0,1859
HM
9 36,00%
10 40,00%
6 24,00%
25 100%
0,36
Insg.
39 33,05%
51 43,22%
28 23,73 %
118 100%
0,3305
Die Klassifizierung nach den drei Kategorien erfolgt danach, ob ein Gerechtigkeitsargument zugunsten eines Bewerbers oder gegen seine Interessen eingesetzt wird. Wenn keine Ausrichtung eines Gerechtigkeitsargumentes erkennbar ist, wird es als „neutral" klassifiziert. Die Häufigkeiten in den Zellen sind teilweise so gering, daß sich eine statistische Auswertung wiederum nicht anbietet. Jedoch zeigt auch die prozentuale Verteilung der drei Gerechtigkeitskategorien innerhalb der Argumentationsprofile der Gruppen erhebliche Unterschiede. Die Gruppe Least argumentiert überdurchschnittlich häufig „gegen die Bewerber" (in 65,52 % ihrer Äußerungen bei einem Durchschnitt von 43,22 %, Anteil „pro" von .1176), die Gruppe Few überdurchschnittlich häufig „pro Bewerber" (in 75 % ihrer Äußerungen bei einem Durchschnitt von 33,05 %, Anteil „pro" von .75). Die Gruppe Less und die herrschende
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
179
Meinung der Länder bieten ein ausgeglichenes Bild, das den durchschnittlichen Häufigkeiten nahe kommt (Anteile „pro" von .4444 und .36). Der Bund hat einen niedrigen Anteil an Argumenten „pro Bewerber" (Anteil von .1859). Dafür ist die Repräsentanz von „neutralen" Gerechtigkeitsargumenten in der Argumentation des Bundes groß (37,04 % bei durchschnittlich 23,73 %). Diese Beobachtungen stimmen mit der bislang festgestellten Gesetzmäßigkeit überein und ergänzen sie. Die überwiegend rechtlich argumentierende Gruppe Least verwendet unterdurchschnittlich selten Gerechtigkeitsargumente. Wenn sie mit Gerechtigkeitsaspekten argumentiert, dann im Zweifel gegen die Bewerber. Die Gruppe Few gibt ein umgekehrtes Bild. Sie argumentiert überwiegend nichtrechtlich mit relativ vielen Gerechtigkeitsargumenten, die sie zugunsten der Einbürgerungsbewerber einsetzt. Ebenso fallen die Auslegungsentscheidungen der Gruppe Few zugunsten der Bewerber - nämlich extensiv - aus. Die Gruppe Less und die herrschende Meinung lassen keine Besonderheiten erkennen (leicht über dem durchschnittlichen Wert von .3305), obwohl sie im Ergebnis einen ähnlichen Extensivanteil in ihrem Auslegungsprofil verzeichnen wie die Gruppe Few. Diese Beobachtung deutet darauf hin, daß vermutlich kein besonders großer (kausaler) Zusammenhang zwischen dem Anteil der Gerechtigkeitsargumente „pro Bewerber" und dem Extensivanteil im Auslegungsprofil besteht. Der geringe Anteil an Argumenten „pro Bewerber" beim Bund hängt mit dessen relativ hohen Anteil an neutralen Argumenten zusammen. Möglicherweise liegt hierin eine Mitursache für den geringen Extensivanteil im Auslegungsprofil des Bundes.
c) Ergebnis: Vier Regelungstypen im Einbürgerungsrecht Unsere Forschungshypothese über lokale Gerechtigkeiten im Einbürgerungsrecht konnte bestätigt werden. Es besteht eine hohe Korrelation zwischen dem Gesetzesverständnis und den jeweiligen Einbürgerungsquoten der Ländergruppen. Die Gruppen die überwiegend mit rechtlichen Argumenten aufwarten, haben einen niedrigen Anteil extensiver Entscheidungen in ihrem Auslegungsprofil und weiterhin eine niedrige Einbürgerungsquote. Die Gruppen mit einem niedrigen Anteil rechtlicher Argumente in ihrem Argumentationsprofil haben einen hohen Anteil extensiver Auslegungen in ihrem Auslegungsprofil und eine hohe Einbürgerungsquote. Dieses Ergebnis läßt sich für die einzelnen Gruppen präzisieren. Die Gruppe Least hat einen hohen Anteil rechtlicher Argumente in ihrem Argumentationsprofil. Wenn sie gerechtigkeitsbezogene Argumente verwendet, was relativ selten vorkommt, dann meistens gegen die Bewerber. Sie hat einen niedrigen Anteil extensiver Interpretationen in ihrem Auslegungsprofil und weiterhin eine niedrige Einbürgerungsquote. Die umgekehrte Verknüpung besteht bei der Gruppe Few. Sie hat einen niedrigen Anteil rechtlicher Argumente in ihrem Argumentationsprofil. Sie argumentiert überwiegend „topisch", das heißt mit überdurchschnittlich vielen nicht-rechtlichen und Gerechtigkeitsargumenten, die sie zu Gunsten der 12*
180
E. Untersuchungsergebnisse
Bewerber einsetzt. Diese bewerberfreundliche Argumentation korreliert mit einem hohen Anteil extensiver Auslegungsentscheidungen der Gruppe Few, und dieses Auslegungsprofil korreliert mit einer relativ hohen Einbürgerungsquote. Die Gruppe Less steht zwischen diesen beiden Gruppen, in allen ihren Merkmalen der Gruppe Few aber näher als der Gruppe Least. Die Argumentationsstruktur des Bundes ähnelt jener der Gruppe Few mit dem wesentlichen Unterschied, daß das Auslegungsprofil des Bundes jenem der Gruppe Least nahe kommt. Darin äußert sich offenbar eine Sonderstellung des Bundes, die nur durch eine inhaltliche Analyse spezifiziert werden könnte. Die herrschende Meinung steht etwa zwischen den Gruppen Less und Few. Weiterhin wurde festgestellt, daß mit der Argumentationsform noch nichts über die inhaltliche Ausrichtung der Argumente gesagt ist. Um die blutleere quantitative Analyse mit Leben zu füllen, wird das Untersuchungsmaterial im folgenden qualitativ ausgewertet.
3. Qualitative Argumentationsanalyse Das Einbürgerungsrecht wurde als ein Verteilungsverfahren beschrieben, das verschiedene Verteilungskriterien und Prinzipien in einem System integriert. Als oberstes Verteilungsprinzip wurde das Effizienzprinzip erkannt, das durch eine Reihe von Verdienstkriterien verwirklicht wird. Das Prinzip der Würdigung des Einzelfalles hat im Zuteilungsverfahren die Funktion eines Billigkeitskriteriums. Innerhalb der einzelnen Einbürgerungsvoraussetzungen werden vielfache Erleichterungen für verschiedene bedürftige Gruppen gemacht, so daß auch das Bedarfsprinzip vertreten ist. Weitere Verteilungskriterien sind die ethnische Zugehörigkeit und der familiäre Status. Dieser Abschnitt geht der Hypothese nach, daß die Gruppen ein unterschiedliches Gewicht auf die jeweiligen Prinzipien des Einbürgerungsrechts legen. Das geschieht entlang der rechtlichen Einbürgerungsvoraussetzungen. Zu jedem Themenkomplex werden unter Punkt A zunächst die Diskussionen zusammengefaßt. Sodann werden unter Punkt Β die Positionen und Äußerungen kommentiert und interpretiert. Es wird wiederum versucht, bestimmte Linien in den Einstellungen der Bundesressorts, der herrschenden Meinung und der Gruppen Least, Less und Few auszumachen. Mangels Häufigkeit von Stellungnahmen läßt sich dies nicht zu jedem Punkt in verläßlicher Weise leisten. Dennoch ergibt sich am Ende ein Gesamtbild: Im Anschluß an die Darstellung und Analyse werden der Bund und die drei Gruppen als unterschiedliche Modelle innerhalb der deutschen Einbürgerungspraxis charakterisiert.
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
a) Nr. 2 EinbRL: Öffentliches
181
Interesse an der Einbürgerung
A. Eine Aussage des Bundesvertreters bezieht sich auf die erleichterte Einbürgerung von Spitzensportlern, die in der Vergangenheit gehäuft vorkamen. Der Bund fordert nun eine „vorsichtigere" Praxis in dieser Hinsicht, weil die Kritik der öffentlichen Meinung zunehme (Q [2]d und f). Diese Äußerung steht in Übereinstimmung mit Nr. 2.2 S. 5 und 6 EinbRL: „Ob ein öffentliches Interesse besteht, beurteilt sich nach den in den Nummern 3 ff. aufgeführten Gesichtspunkten. Das schließt nicht aus, daß in Ausnahmefällen aus anderen als den darin erwähnten Gesichtspunkten das öffentliche Interesse an einer Einbürgerung bejaht oder verneint wird." In Ausnahmefällen kann also trotz NichtVorliegens der Voraussetzungen aus Nr. 3 ff. eingebürgert werden. Der Bund rügt, daß dieser Ausnahmecharakter bei der Einbürgerung von Spitzensportlern verloren gegangen sei. Zu einer anderen Frage bejaht die herrschende Meinung das öffentliche Interesse, sobald die Einbürgerungsvoraussetzungen gegeben sind und befürwortet deshalb auch die Einbürgerung von aidsinfizierten Bewerbern (HM [l]e). A aus der Gruppe Least ist dagegen der Auffassung, daß das öffentliche Interesse im Einzelfall dazu führen kann, daß trotz Vorliegens der Einbürgerungsvoraussetzungen eine Einbürgerung zu versagen ist (ζ. B. weil der Bewerber nicht gesund ist oder aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus, A [l]aund b). B. An diesen beiden Erörterungspunkten zeigen sich andeutungsweise drei Arten des rechtlichen Denkens im Einbürgerungsrecht: A hat das Regelungsziel einer restriktiven Einbürgerungsregelung im Sinn. Dieses Regelungsziel findet seinen normativen Niederschlag in der Vorbehaltsklausel der Nr. 2.2 S. 3 EinbRL, derzufolge jede Einbürgerung im öffentlichen Interesse liegen muß. Diese Vorbehaltsklausel beinhaltet das erwähnte Effizienzprinzip des Einbürgerungsrechts, das mit dem Billigkeitsprinzip der Einzelfallwürdigung aus Nr. 2.1 S. 3 EinbRL verknüpft ist. 16 Expliziert wird dieses Effizienzprinzip außerdem in Nr. 2.2 S. 1 EinbRL, derzufolge die gesetzlichen Voraussetzungen der Einbürgerungsgesetze lediglich „Mindestvoraussetzungen" für eine Einbürgerung sind. Die Behörde kann also trotz des Vorliegens der Einbürgerungsvorausetzungen einen Antrag ablehnen. Eine solche Praxis schlägt A beispielsweise bei aidsinfizierten Bewerbern vor. Diese Praxis verwirklicht den Effizienzaspekt des Einbürgerungsrechts. Der Bund scheint sich stärker auf die Ausnahmevorschriften in den Einbürgerungsrichtlinien einzulassen. Er verwirklicht damit - wie A - das Billigkeitsprinzip der Einzelfallwürdigung, aber nicht erkennbar im Sinne einer restriktiven Einbürgerungspraxis, sondern in abgewogener, moderater Form (Ausnahmen ja, aber nicht zu exzessiv). Er hat insofern - ebenfalls in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorschriften eine differenzierte Vorstellung vom Regelungsziel des Einbürgerungsrechts. Allerdings betont er gerade die Notwendigkeit, den Ausnahmecharakter der angewendeten Ausnahmevorschriften auch ernst zu nehmen. Die herrschende Meinung befindet sich ebenfalls in Übereinstimmung mit Nr. 2.2 S. 1 EinbRL, wenn sie die Qua16 Vgl. oben C. I. 4.
182
E. Untersuchungsergebnisse
lifikation eines Bewerbers nicht weiter problematisiert, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Daß es sich bei den gesetzlichen Anforderungen um Mindestvoraussetzungen handelt, schließt nicht aus, das Vorliegen dieser Mindestvoraussetzungen regelmäßig ausreichen zu lassen. Darin kommt eine grundsätzlich einbürgerungsfreundliche Haltung zum Ausdruck. Von vereinzelten Äußerungen auf bestimmte „Arten" des Denkens zu schließen, bleibt ein kühnes Unterfangen, solange es sich nicht an weiteren Punkten bestätigen läßt. Dem wird im folgenden nachgegangen.
b) Nr. 3. 1 EinbRL „ Staatsbürgerliche
und kulturelle
Voraussetzungen "
A. Zu diesen Voraussetzungen wurde nur Nr. 3.10.2 S. 2 und 3 EinbRL diskutiert. Ein Einbürgerungsbewerber muß ein überzeugter Demokrat sein und darf nicht „in innerer Abhängigkeit zu totalitären Ideologien stehen". Uneinigkeit scheint lediglich darin zu bestehen, in welchem Umfang die Behörde diese Voraussetzung prüfen soll. Der Bund und die herrschende Meinung werten (unter anderem aus Gründen der Arbeitsüberlastung, HM [3]b) grundsätzlich nur die Ausländerakten aus. Nur wenn sich Hinweise auf eine politisch-extremistische Haltung eines Bewerbers ergeben, wird eine Anfrage beim Landesverfassungsschutz als erforderlich angesehen (Q [3]h; HM [3]c). In einigen Ländern wird von dieser Praxis abgewichen und zwar in zwei entgegengesetzten Richtungen: Aus der Gruppe Least erfolgt in den Ländern A und Β außer der Auswertung der Ausländerakte in jedem Fall eine Anfrage bei den Verfassungsschutzbehörden (AB [3]a). Diese seien über verfassungsfeindliche Aktivitäten etwaiger Bewerber besser informiert als die Ausländerbehörden (A [3]f; Β [3]g). Aus der Gruppe Less überlassen die Länder G und K, aus der Gruppe Few das Land C die Prüfung weitgehend den Ausländerbehörden, indem sie dort ausgefüllte „Formblätter" verwenden, anstatt die Ausländerakten selbst auszuwerten. Die Ausländerbehörden besäßen eine umfassendere Aktenkenntnis (CGK [4]d). B. Bei dieser Erörterung wiederholt sich das bereits festgestellte Schema dreierlei Verständnisses des Rechts. Zugleich zeigt sich, daß sich ein abweichendes Rechtsverständnis nicht nur bei der Auslegung des geschriebenen Wortes, sondern auch bei der Ermittlung des Sachverhaltes äußern kann. Die herrschende Meinung demonstriert eine gewissenhafte, aber praktikable Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen. Sie überzeugt sich routinemäßig anhand der Ausländerakten nach eigenen Kriterien, ob die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind oder ob eine weitere Tatsachenermittlung erforderlich ist. Die Länder A und Β der Gruppe Least gehen „auf Nummer sicher", indem sie stets die weitestmögliche Tatsachenaufklärung betreiben. Sie verhindern so, daß Hinweisen auf eine extremistische Betätigung nicht nachgegangen wird, weil sie beim Studium der Ausländerakten übersehen wurden oder in den Akten gar nicht auftauchen. Darin drückt sich im Vergleich zu den anderen Ländern eine stärkere Skepsis gegenüber der politischen Integrität
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
183
der Bewerber aus und zugleich das Bestreben, das Effizienzziel des wertvollen Bevölkerungszuwachses zur Geltung zu bringen. Daß sich mit dieser Praxis auch eine strengere Prüfung hinsichtlich der Nr. 3.1 EinbRL als Verdienstkriterien verbindet, dafür bietet eine andere Quelle, die hier mit Vorsicht ergänzend herangezogen werden soll, ein Indiz. Im Bundestag wurde 1975 in einer parlamentarischen Anfrage berichtet, in Bayern würde Einbürgerungsbewerbern ein 47-Punkte-Fragebogen vorgelegt, in dem unter anderem Kenntnisse über bayerische Politiker, Verwaltung, Feiertage und die bayerische Nationalhymne abgefragt würden. Der zuständige parlamentarische Staatssekretär dementierte zwar die Existenz derartiger Fragebögen. 17 Immerhin wird die parlamentarische Anfrage nicht völlig aus der Luft gegriffen worden sein, mag es sich dabei auch um eine beschränkte Zahl von Fällen aus dem Jahre 1974 gehandelt haben. Die Länder C, G und Κ verzichten auf eine eigenständige Prüfung der politischen Tragfähigkeit der Bewerber und verlassen sich auf die Auskünfte der Ausländerbehörden. Damit ist freilich nicht beschrieben, in welchem Umfang und nach welchen Maßstäben in C, G oder Κ die sonstigen „staatsbürgerlichen und kulturellen Voraussetzungen" geprüft werden.
c) §8 Abs. 1 Hs. 1: „Niederlassung" iVm §8 Abs. 1 Nr. 3 RuStAG „ eigene Wohnung oder ein Unterkommen " und Nr. 3.2 EinbRL: „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, Aufenthaltsdauer " A. Es entspricht in Übereinstimmung mit Nr. 3.1 EinbRL der allgemeinen Meinung der Staatsangehörigkeitsreferenten, daß die Einbürgerung am Ende der Integration eines Bewerbers in die deutschen Lebensverhältnisse steht (HM [5]c). Verschiedene Ansichten bestehen in mehreren Einzelfällen darüber, ob die Integration eines Bewerbers schon oder noch nicht gegeben ist. Die Praxis des Bundes und der herrschenden Meinung ist zumeist vielschichtig ausgewogen zwischen den gesetzlichen Erfordernissen (Q [8]c; HM [9]b, c; Q [10]d), dem staatlichen Interesse an der Sicherstellung dieser Erfordernisse einerseits, den Anforderungen aa die Verwaltung andererseits (HM [7] a, b), der Rechtsprechung (Q [8]b), der Proportionalität verschiedener Einbürgerungsvoraussetzungen (Q [8]d; Q [10]e) und den besonderen Bedingungen des Einzelfalles (HM [9]a,d; Q [12]d, e). Innerhalb der Gruppe Least achtet insbesondere Β formalistisch auf das Vorliegen der erforderlichen Aufenthaltsdauer (B [8]g; Β [9]; Β [ll]f)· Aus derselben Gruppe legt A den personellen Anwendungsbereich der in dieser Hinsicht begünstigenden Nr. 3.2.2.2 EinbRL einschränkend aus (A [10]a,b). J scheint insofern ein Außenseiter zu sein, als es für die Einbürgerung keinen Aufenthaltstitel verlangt (J [ll]b). Aus der Gruppe Less schlägt G - gegen Β, I und F - vor, als Volljährige Adoptierte wie ehemalige Deutsche zu behandeln und erleichtert nach § 13 RuStAG einzubürgern (G [8]e). I toleriert die bigamische Lebensweise einiger Bewerber aus Pakistan (I [6]c). In der Gruppe Few wird hinsichtlich der erforderlichen Einordnung in die 17
Darstellung dieser parlamentarischen Anfrage bei Hecker (1990), S. 140 f.
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E. Untersuchungsergebnisse
deutschen Lebensverhältnisse auf die diesbezüglich gleiche Ausgangslage sämtlicher deutscher Volkszugehöriger abgestellt (CF [10]c). B. Der Bund und die herrschende Meinung zeigen sich wie bei den vorherigen Punkten eng den Prinzipien des Einbürgerungsrechts verbunden. Beide verlieren dabei die Interessen der Bewerber jedoch nicht aus den Augen und streben folglich vermittelnde Lösungen an. Diese vermittelnden Lösungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie einerseits eine klar bestimmte Regelung anstreben, andererseits aber differenziert genug sind, um die in Nr. 2.1 S. 3 EinbRL verlangte Einzelfallwürdigung vornehmen zu können (vgl. nochmals [8], [9], [10], [12]). A und Β aus der Gruppe Least sind wieder auf die formal-rechtlichen Vorgaben fixiert, indem sie streng auf ihre Einhaltung bestehen (vgl. auch A [38]a). Sie behandeln die Aufenthaltsdauer auf diese Weise praktisch als Selbstzweck. Die anderen Länder orientieren sich dagegen mehr am Sinn der Aufenthaltsdauer, nämlich die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse zu gewährleisten. An einer Stelle geht A auf die Interessen der Bewerber ein (A [7]d). Das bleibt jedoch eine Ausnahme. Aus der Gruppe Less stellt G das Interesse der Bewerber an einer erleichterten Einbürgerung auch ihrer Adoptivkinder in den Vordergrund, wenn es von der gesetzlichen Anforderung eines zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Ausnahme macht. Bei Flüchtlingen beachtet G weniger die rechtlichen Bedingungen für deren dauerhafte Niederlassung, sondern mehr ihre Schutzbedürftigkeit und bringt auf diese Weise das nachrangige humanitäre Bedürftigkeitsprinzip des Einbürgerungsrechts zur Geltung (G [12]a,b,c). Eine vergleichbare Tendenz findet sich in der Gruppe Few, schwächer immerhin in F.
d) § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG: Kein Ausweisungsgrund A. Der Bund findet für die Frage, was unter einem „Ausweisungsgrund" zu verstehen sei, eine liberale Lösung, die merklich zum Ziel hat, eine klare und bundeseinheitliche Praxis zu begründen (Q [15]a,b,d). Die herrschende Meinung stimmt hierin grundsätzlich überein, behält sich aber vor, einzelfallbedingt von dieser Lösung abzuweichen (HM [15]c). Bei der Frage, ob § 88 Abs. 1 S. 1 AuslG seine privilegierende Wirkung im Einbürgerungsrecht entfalten kann, schränkt die Gruppe Least mit Hinweis auf den gesetzgeberischen Willen (A [14]d; J [14]e) und die Wortlautgrenze (B [14]f) den Regelungsbereich der Norm ein. Aus der Gruppe Less stimmen I und Κ darin überein, argumentieren jedoch nicht mit dem Willen des Gesetzgebers, sondern mit dem Wortlaut und dem Sinn der Norm (I [14]c; Κ [14]f). Aus der Gruppe Few erweitert F aus Gründen der Gesetzessystematik und der öffentlichen Meinung den Anwendungsbereich von § 88 Abs. 1 S. 1 AuslG (F [14]b). B. Die bislang festgestellten Neigungen hinsichtlich des Rechts Verständnisses zeigen sich erneut in diesem Abschnitt. Auffallend ist der ausdrückliche Rekurs von F auf die öffentliche Meinung.
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
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e) §8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG: Unterhaltsfähigkeit und Nr. 3. 4 EinbRL: „ Wirtschaftliche Voraussetzungen " A. Der Bund sowie A und Β aus der Gruppe Least lehnen einen Einbürgerungsantrag ab, wenn der Bewerber Sozialhilfe bezieht. Das geschieht unter Hinweis auf höherrangiges Recht (ABQ [17]a), die veränderte wirtschaftliche Lage in Deutschland (Q [17]b,l) und die Rechtsprechung (B [17]e; Q [17]f). Zur Frage, ob denn eine befristete Einkommensquelle ausreichend sei, ist der Bund grundsätzlich positiv gestimmt, stellt jedoch auf den Einzelfall ab (Q [16]a, b). J wendet sich von der Praxis seiner Gruppe ab. Die zitierte Rechtsprechung sei für das diskutierte Problem nicht präjudiziell (J [17]I). G und I aus der Gruppe Less stimmen damit überein (G [17]g; I [17]k). G widerspricht der Begründung, Nr. 3. 4. 1 S. 3 EinbRL verstoße gegen § 8 Abs. 1 Nr. 4 RuStAG. Die Wortlautgrenze sei nicht verletzt (G [17]h). Auch C aus der Gruppe Few hält an seiner bisherigen Praxis fest, den Sozialhilfebezug für eine Einbürgerung genügen zu lassen. Bislang hätten Rechtsprechung und Verwaltung diese Norm akzeptiert. Deshalb habe man eine Länderabsprache abwarten wollen (C [17]m, n, o). Außerdem werde die wirtschaftliche Belastung der Bundesrepublik durch eine Einbürgerung nicht vergrößert (C [17]p). B. Der Bund sowie A und Β argumentieren dogmatisch, indem sie sich eng an das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz halten und sich nicht durch den Inhalt der niederrangigen Einbürgerungsrichtlinien irritieren lassen. Sie stützen sich dabei auf die Rechtsprechung. Mit dem Hinweis auf die veränderte wirtschaftliche Lage in Deutschland lösen sie sich aus dem einbürgerungsrechtlichen Bezugsrahmen. Das staatliche Interesse an einem soliden Haushalt ist ein Motiv für eine restriktive Auslegung. Darin deutet sich eine grundsätzliche Wertung an: Die Einbürgerungsbewerber sind in der „Bringschuld". Sie sollen sozial wertvoll sein und einen „Gewinn" - oder jedenfalls keine Belastung - für das staatliche Gemeinwesen darstellen und nicht um ihrer selbst Willen eingebürgert werden. Unklar bleibt, ob sich hinter der grundsätzlich offenen Äußerung des Bundes (Q [16]a,b) eine Praxis verbirgt, die von A und Β abweicht. Die zitierten Länder aus den Gruppen Less und Few bleiben ihrer bisherigen einbürgerungsfreundlichen Linie treu. Sie bringen keine neuen Gesichtspunkte, sondern reagieren lediglich spiegelbildlich auf die vorgebrachten Begründungen des Bundes und von A und Β aus der Gruppe Least. Dieses Vorgehen und das Argument von C, man habe zu dieser Frage eine Einigung auf der Länderebene abwarten wollen, deuten daraufhin, daß in diesen Länder kein Rechtfertigungsdruck verspürt wird. Möglicherweise steht dahinter die Auffassung, daß nur das Abgehen von einer bisherigen Verwaltungspraxis einen besonderen Begründungsaufwand erfordert oder daß diese Begründungsregel jedenfalls dann gilt, wenn eine großzügige Einbürgerungspraxis zurückgenommen werden soll. Denkbar ist aber auch, daß schlichtweg keine weiteren Argumente gesehen wurden.
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E. Untersuchungsergebnisse
fi Nr. 4 EinbRL: „Einheitliche Staatsangehörigkeit
innerhalb der Familie"
A. Wahrend der Bund an diesem Grundsatz generell festhält und unter Hinweis auf die gleiche Behandlung verschiedener Bewerbergruppen und die bisherige Praxis eine erweiternde Auslegung der diesbezüglich großzügigeren Nr. 4.2.1 EinbRL ablehnt (Q [18]c,d), hält die herrschende Meinung diese Regelung für überkommen, seitdem im Zuge des Asylkompromisses der Trend bestehe, die Einbürgerungsvoraussetzungen zu vereinfachen (HM [18]d; HM [19]b,c). A aus der Gruppe Least und I aus der Gruppe Less halten den Grundsatz aus rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Gründen für wünschenswert (I [18]e; A [19]a). F aus der Gruppe Few verneint die rechtspolitische Bedeutung des Grundsatzes. In den Bestimmungen zum Ausländergesetz von 1990 habe er keine Berücksichtigung mehr gefunden (F[18]a). B. Alle Diskutanten gehen davon aus, daß abweichende Staatsangehörigkeiten innerhalb einer Familie problematisch sind. Deshalb geht es in der Diskussion nur noch darum, ob dennoch aus besonderen Gründen von diesem Grundsatz abgewichen werden soll. Dazu muß abgewogen werden zwischen dem staatlichen Interesse an einer einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie und den Interessen des Staates oder der Bewerber an einer erleichterten Einbürgerung. Der Bund und A und I sind aus juristischen Erwägungen heraus nicht bereit von dem Grundsatz der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie abzurücken. Sie entscheiden sich bei der Abwägung zugunsten der Staatsinteressen. Die herrschende Meinung und besonders F begründen ihre abweichende Position mit dem aktuelleren gesetzgeberischen und politischen Geschehen.
g) Nr. 5 EinbRL: „Zwischenstaatliche Gesichtspunkte", insbesondere Nr. 5. 2: „ Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik" A. Die Bundesressorts halten grundsätzlich an den entwicklungspolitischen Bedenken gegen eine Einbürgerung (EH-Bedenken) fest. Sie erwägen die außenpolitische Verpflichtung gegenüber den Entwicklungsländern, die Verantwortung gegenüber der arbeitssuchenden deutschen Bevölkerung, die praktischen Bemühungen um eine Reintegration der betroffenen Ausländer in ihre Heimatländer und die aktuellere Haltung der verschiedenen Bundesressorts (QR [20]d,e,f; Q [24]f). Außerdem stehen sie hinter der dogmatischen Tradition, die die Verleihung der Staatsangehörigkeit in Übereinstimmung mit Nr. 2.1 S. 1 und Nr. 2.2 S. 4 EinbRL als einen qualitativen Unterschied zur Gewährung eines dauernden Aufenthaltes begreift (QR [20]c, Q [24]f). Sie bleiben insofern flexibel, als sie in die EH-Bedenken die Bedürfnisse des jeweiligen Entwicklungslandes einfließen lassen (QR [20]g). Außerdem verzichten sie auf EH-Bedenken, wenn der Bewerber kein Stipendium erhielt (QS [22]a). Die herrschende Meinung hat keine EH-Bedenken, wenn der Bewerber ausländerrechtlich einen unbefristeten Aufenthaltstitel hat. In
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
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diesem Fall bestehe für ihn ohnehin kein Zwang zur Rückkehr ins Heimatland (HM [20]a; HM [22]b). Aus der Gruppe Least verringern A und Β im Hinblick auf eine verminderte Bedürftigkeit der Entwicklungsländer geringfügig die formalen Kriterien bei den EH-Bedenken (A [22]d; Β [21 ]a). Aus der Gruppe Less stimmt G diesen Erleichterungen zu und schlägt zusätzlich vor, auch die bisherigen Regelungen zu beachten und die für die Bewerber jeweils günstigste Lösung anzuwenden (G [22]e). I vertritt die Meinung, daß die EH-Bedenken den Bewerbern nur schwer plausibel zu machen sind und rückt vollständig von ihnen ab (I [24]c). J aus der Gruppe Least und C aus der Gruppe Few stellen für bestimmte Einzelfälle die Widersinnigkeit der EH-Bedenken dar (CJ [24]e). F stellt EH-Bedenken zurück, wenn in den jeweiligen Heimatländern kein Bedarf an der Arbeitskraft des betreffenden Bewerbers besteht (F [21]b). B. Während die Bundesressorts ihre Praxis im allgemeinen positivistisch nach den einbürgerungsrechtlichen Prinzipien ausrichten, halten sie die EH-Bedenken für ein Politikum. Sie erwägen die verschiedenen Interessen wie ein Gesetzgeber, der überhaupt erst vor der Frage steht, ob er eine bestimmte Regelung treffen sollte oder nicht. Es liegt in der Natur des Gesprächsgegenstandes, daß der Bund hierbei auch außenpolitisch denkt. Seiner bisherigen Linie bleibt der Bund treu, insofern er vielseitig argumentiert und sich auch für die Interessen der Bewerber einsetzt: Die staatlichen Interessen an der Entwicklungspolitik stellt er zurück, wenn der Bewerber finanziell nicht unterstützt wurde. Die herrschende Meinung und insbesondere I haben einen realistischeren, rechtstatsächlichen Standpunkt, wenn sie argumentieren, wer ausländerrechtlich dauerhaft bleiben dürfe, werde auch durch einen ablehnenden Bescheid der Einbürgerungsbehörde nicht zur Rückkehr ins Heimatland veranlaßt. A und Β hinterfragen die EH-Bedenken kaum. Sie lassen sich wie schon an anderen Punkten - nicht auf eine inhaltliche Regelung ein, sondern schlagen eine schematische Lösung vor, die nur eine geringfügige Einbürgerungserleichterung bedeutet. Auffallend ist außerdem, daß A und Β sich zu dieser Diskussion insgesamt nur zwei Mal, also im Vergleich zu ihrer sonstigen Äußerungsbereitschaft verhältnismäßig selten, melden. G aus der Gruppe Less und die Gruppe Few nehmen die Perspektive der Bewerber und der Entwicklungsländer ein. Sie haben damit den Sinn und Zweck der EH-Bedenken im Auge und kommen zu einzelfallbedingten, abgewogenen Lösungen. Im Ergebnis gehen die Standpunkte quer durch die Gruppen. Insgesamt ist in diesem Punkt Bewegung zu verzeichnen. Allerdings sind A, B, Q, R und S diesbezüglich unbeweglicher als die Länder der Gruppen Less und Few.
h) Nr. 5. 3 EinbRL: „ Vermeidung von Mehrstaatigkeit" A. In dem Grundsatz, daß Mehrstaatigkeit vermieden werden soll, sind sich alle Referenten einig. Bei diesem Themenkomplex geht es um die Frage, unter welchen Umständen ausnahmsweise eine Einbürgerung vollzogen werden soll, obwohl
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E. Untersuchungsergebnisse
durch die Einbürgerung bei dem betreffenden Bewerber eine Mehrstaatigkeit entsteht. Das entspricht auch der gesetzlichen Regelung, die generell die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit vor der Einbürgerung verlangt, jedoch gewisse Ausnahmen vorsieht. Folglich wird in diesem Abschnitt kaum grundsätzlich argumentiert, sondern auf der Grundlage dargelegter oder unausgesprochener Tatsachenbehauptungen lediglich der jeweilige Standpunkt geäußert. Der Bund und die herrschende Meinung verlangen häufig Entlassungsbemühungen (HM [25]a; Q [31]b; HM [32]h; Τ [32]g). Dem Bund kommt es in Übereinstimmung mit Nr. 5.30.3 S. 2 ff. EinbRL darauf an, daß die Betroffenen die möglichen Vor- und Nachteile eines Staatsangehörigkeitswechsels gegeneinander abwägen und bereit sind, als Opfer für eine Einbürgerung ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben (Q [42]h). Der Bund und die herrschende Meinung sind aber bereit, auf Entlassungsbemühungen zu verzichten, wenn sie fruchtlos verlaufen (Q [30]c; H M [31]e, f; HM [34]a). Eine klare Linie fährt lediglich Land A aus der Gruppe Least: A hält grundsätzlich konsequent an dem Erfordernis der Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit fest (A [25]b; [27]d; [28]a; [30]b; [31]a; [33]f-h; [35]a). Erst wenn die Entlassungsbemühungen keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, wird subsidiär der Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit verlangt (A [28]a). A zögert auch, eine „Unzumutbarkeit von Entlassungsbemühungen" zuzubilligen. Solange eine Entlassungschance besteht, soll diese genutzt werden (A [27]d). Dieses Praxis findet sich auch in den anderen Gruppen (ζ. B. FI [25]b; IK [29]a), aber nicht so durchgängig wie in Α. Β und J weichen nur vereinzelt von der Praxis in A ab (B [30]a; J [33]e; J [36]a-d). Jedoch hält Β möglicherweise eine Lockerung in diesem Punkt für politisch wünschenswert (B 32]c) und macht, wie J, teilweise Ausnahmen vom Entlassungserfordernis (B [30]a; J [27]b; J [36]a-d). A und Β befürchten ein Ausufern von Ausnahmeregelungen, wenn sie in Einzelfällen Mehrstaatigkeit hinnehmen würden (AB [42]e). In der Gruppe Less fährt I einen vergleichbaren Kurs wie Β und J, indem es zumeist auf Entlassungsbemühungen besteht (I [25]b; [29]a; [36]f). Aus humanitären Gründen sieht I die Bemühungen in einigen Fällen aber als untunlich an (I [26]a; [27]b). G aus derselben Gruppe verzichtet - wie die herrschende Meinung - bei hohen Mißerfolgsquoten auf Entlassungsbemühungen, um den Verwaltungsaufwand für eine diesbezügliche Kontrolle der Bewerber zu vermeiden (G [29]b). Als unzumutbar gelten hier bereits Entlassungsbemühungen, die zu einer Gefährdung des Bewerbers führen können (ζ. B. Wehrdienst Κ [28]d) oder sonstige schwere Nachteile bringen (ζ. B. Entlassungsgebühren G [32]b). G stimmt für eine großzügige Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei Mindeijährigen und wird darin von C aus der Gruppe Few unterstützt (CG [33]a,b,c). Ansonsten läßt sich für die Gruppe Few kaum eine Tendenz erkennen. In einem Fall verzichtet, in zwei Fällen besteht F auf Entlassungsbemühungen (F [29]b; F [25]b; F [35]a). In einem dieser Fälle verlangt F von den Bewerbern, daß sie in ihrem Heimatstaat ihren Wehrdienst ableisten, falls das eine Entlasssungsvoraussetzung ist. Andernfalls sei im Verhältnis zu den deutschen Männern die Wehrgerechtigkeit nicht gegeben (F [35]a).
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
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B. Bei der Vermeidung von Mehrstaatigkeit geht es vor allem um eine Leistung der Bewerber, denn sie sollen ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben. Die Diskussion zu diesen Fragen zeigt vor allem, daß die Referenten ein unterschiedlich starkes Engagement von den Bewerbern verlangen. Der Bund und die herrschende Meinung haben weitgehend eine gleiche Praxis, derzufolge der Einbürgerungsbewerber bereit sein muß, Unannehmlichkeiten und Nachteile bei seinen Entlassungsbemühungen hinzunehmen. Sie erkennen aber auch an, daß diese Bemühungen maßgeblich von der Entlassungspraxis des jeweiligen Heimatstaates oder anderen objektiven Faktoren abhängen können. In diesen Fällen wenden sie zu Gunsten der Bewerber die Ausnahmevorschriften an. A und Β sehen diese Schwierigkeiten ebenfalls, halten sie jedoch in kaum einem Fall für ausreichend, um von dem staatlichen Anspruch abzurücken. Hier zeigt sich die bereits notierte Beobachtung, daß die Einbürgerung in A und Β als eine Art staatliche Leistung begriffen wird, um die sich ein Einbürgerungsbewerber bemühen muß. Über J aus derselben Gruppe läßt sich nur vorsichtig dasselbe sagen. Es wurde weder ein direkter Widerspruch gegen die Praxis in A und Β protokolliert noch eine ausdrückliche Zustimmung. J meldet sich vier Mal zu Wort. In drei Fällen läßt sich aus der Stellungnahme keine eindeutige Tendenz ableiten (J [27]a, b, [33]e, [37]e) und in einem Fall nimmt J aus politischen Gründen Mehrstaatigkeit hin (J [36]a-d). Für C und F aus der Gruppe Few lassen sich keine Abweichungen von ihren bisherigen Einstellungen ausmachen. C meldet sich nur ein Mal zu Wort, um eine einbürgerungsfreundliche Regelung vorzuschlagen. F besteht zwar in zwei Fällen auf Entlassungsbemühungen, läßt aber nur in einem Fall erkennen, daß es Bemühungen von den Bewerbern erwartet. Bei den übrigen Stellungnahmen berücksichtigt F die staatlichen Interessen an einem geringen Verwaltungsaufwand und an der Wehrgerechtigkeit.
i) Nr. 6 EinbRL: „ Besondere Fälle " A. In diesem Abschnitt werden diverse Sonderfälle (ausländische Ehegatten, Asylberechtigte, Staatenlose) behandelt. Allgemeine Strömungen in der Sache lassen sich nicht feststellen. Der Bund tritt zweimal in Erscheinung. Zur Frage der einbürgerungsrechtlichen Behandlung von Staatenlosen aus der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien bringt er eine Vielzahl verschiedener Argumente: die Interessen der Bewerber (Q [40]a; [40]d), die (außen-) politische Bewertung (Q [40]b,d) und die Interessen der Bundesrepublik, insbesondere wie sie sich im Einbürgerungsrecht darstellen (Q [40]b,f) und verneint im Ergebnis eine Privilegierung. Bei der Frage, wie mit Asylberechtigten aus den ehemaligen Ostblockstaaten umzugehen ist, bevorzugt er eine Einzelfallösung (Q [39]I). Die herrschende Meinung findet hier eine für die Asylberechtigten günstige Lösung auf der Basis einer Argumentation, die sich am Gesetzeswortlaut orientiert (HM [39]k,l). Aus der Gruppe Least verneinen A und Β die einbürgerungsrechtliche Begünstigung dieser Gruppe von Asylberechtigten aus Nr. 6.4.3 EinbRL. In
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E. Untersuchungsergebnisse
ihrer Argumentation stellen sie zunächst fest, die betreffenden Bewerber seien nicht mehr schutzbedürftig (B [39] a), und begründen dann unter anderem mit Hinweis auf die Rechtsprechung, daß die einbürgerungsrechtliche Begünstigung unter solchen Umständen nicht einschlägig ist (B [39]b,d; A [39]f). F aus der Gruppe Few schließt sich dieser Argumentation an (F [39]a-d). Während A und Β zu dieser Frage mit Blick auf die Tatsachen argumentieren, begründen sie ihren Standpunkt zur Frage der einbürgerungsrechtlichen Bevorzugung von Staatenlosen aus dem Libanon formal-rechtlich: Eine Bevorzugung dieser Personen durch Nr. 6.4.4 und Nr. 6.4.1.4 EinbRL käme nicht in Betracht, weil sie keinen Reiseausweis für Staatenlose hätten und ausländerrechtlich nicht de-iure staatenlos seien (AB [41]b,c). Das Land I aus der Gruppe Less argumentiert in den beiden letzten Fällen genau spiegelverkehrt: Die fraglichen Asylberechtigten seien nach ihrem formalen Rechtsstatus zu behandeln und deshalb einbürgerungsrechtlich zu privilegieren (I [39]g). I wird darin von seinem Gruppengenossen G unterstützt (G [39]i). Die Staatenlosen aus dem Libanon seien de-iure staatenlos und daher gemäß Nr. 6.4.4 und 6.4.1.4 EinbRL erleichtert einzubürgern, weil sich die Staatenlosigkeit laut verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung auch nach der tatsächlichen Rechtspraxis der „Heimatländer" der Staatenlosen beurteile (I [41]a, d). Land C aus der Gruppe Few pflichtet dem bei (C [41]a). B. Wiederum finden sich nur Hinweise, die die bisherige Analyse über verschiedene Rechtsauffassungen der Referenten stützen. Der Bund und die herrschende Meinung nehmen abgewogene und vermittelnde Standpunkte ein. Ein Bruch in der Argumentationsweise zeigt sich für A und Β aus der Gruppe Least einerseits, für I aus der Gruppe Less andererseits: Sie bleiben nicht bei einer formal-juristischen beziehungsweise tatsachenbezogenen Bewertung der Zweifelsfragen stehen, sondern wechseln zwischen beiden Betrachtungsweisen. Dadurch entsteht der Eindruck, nicht die Argumente seien für eine bestimmte Entscheidung ausschlaggebend, sondern umgekehrt - sie jonglierten mit den Argumenten, um das angestrebte Ergebnis zu rechtfertigen. Im Ergebnis bleiben diese Länder ihren Auffassungen einer eher reglementierenden beziehungsweise ausdehnenden Einbürgerungsregelung verhaftet.
j) Weitere Einbürgerungstatbestände
aus dem Staatsangehörigkeitsrecht
A. Für nichteheliche Kinder, die nur einen deutschen Vater haben, gibt es erst seit dem 1. Juli 1993 einen Geburtserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 4 RuStAG. Der Bund lehnt zwar auch eine generelle Anwendung dieser Norm auf Kinder ab, die vor dem Inkrafttreten dieser Norm geboren wurden. Allerdings erwägt er eine erleichterte Einbürgerung dieser Kinder im Rahmen des Wohlwollensgebotes und damit eine Umgehung des sonst einschlägigen § 10 RuStAG, da § 4 RuStAG in seiner alten Fassung verfassungswidrig gewesen sei (Q [43]a,b,e). Eine ausdehnende Auslegung des § 10 RuStAG dahingehend, daß
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
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für den erforderlichen Aufenthaltstitel bereits eine Aufenthaltsbewilligung ausreichen soll, lehnt er dagegen ab. Er verweist auf vorangegangene Absprachen. Außerdem sei die Beschränkung einer entsprechenden Einbürgerungserleichterung auf § 10 RuStAG nicht plausibel zu machen und daher eine Ausdehnung auf § 8 RuStAG zu befürchten (Q [44]g,h,i). Β aus der Gruppe Least und I aus der Gruppe Less wenden für die betreffenden Kinder nur § 10 RuStAG an. Der Gesetzgeber habe bewußt keine Übergangsregelung geschaffen und über die Verfassungsmäßigkeit von § 4 RuStAG alte Fassung habe das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden (B [43]c; BI [43]f). Bei der Anwendung von § 10 RuStAG stimmen A und I mit dem Bund überein. I argumentiert damit, daß bei einer vergleichbaren Regelung in den Niederlanden Mißbräuche betrieben würden (I [44]f). J aus der Gruppe Least, G und Κ aus der Gruppe Less und F aus der Gruppe Few lassen grundsätzlich eine Aufenthaltsbewilligung ausreichen. Sie stützen sich weniger auf die formale Rechtslage als auf die Tatsache, daß der Gesetzgeber seinen Willen geändert habe (FJK [44]a). F beurteilt das Vorliegen eines Daueraufenthaltes nach den tatsächlichen Umständen und nicht nach dem rechtlichen Aufenthaltstitel (F[44]b). Unter den Diskutanten ist umstritten, ob § 13 RuStAG, der eigentlich Einbürgerungen aus dem Ausland betrifft, auf Einbürgerungen der betreffenden Personen angewendet werden kann, wenn sich diese schon im Inland aufhalten: Die herrschende Meinung versetzt sich in die Lage der Betroffenen, hält es für unsinnig, sie erst ins Heimatland zurückzuschicken und bejaht die Anwendbarkeit von § 13 RuStAG auf Einbürgerungsanträge, die im Inland gestellt werden. A und Β aus der Gruppe Least lehnen das ab. Sie fordern für Inlandseinbürgerungen aus rechtsdogmatischen Gründen das Vorliegen eines Aufenthaltstitels (A [45]c,d; Β [46]b). Wenn die Norm aber doch auf Inlandseinbürgerungen angewendet werden sollte, so wäre die Wortlautgrenze überschritten und dann sollte wenigstens ein Aufenthaltstitel vorliegen (B [47]d,e). Die Länder G, I und F aus den Gruppen Less und Few ergänzen die herrschende Meinung dahingehend, daß sie keinen Aufenthaltstitel für Inlandseinbürgerungen analog § 13 RuStAG verlangen mit dem formalen Argument, § 13 RuStAG verlange tatbestandlich keinen Aufenthaltstitel (FGI [46]a). Der Anwendungsbereich von § 16 Abs. 2 RuStAG beschränkt sich nach allgemeiner Ansicht vor allem auf der Basis von sechs Gesetzesargumenten (HM [48]g,h,I,j,m,l) auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz. Die Anwendung der Vorbehaltsklausel, die den Erstreckungserwerb für Angehörige unter einen Vorbehalt stellt, ist umstritten. A und Β aus der Gruppe Least machen stets dann einen Vorbehalt, wenn der Abkömmling des Eingebürgerten nicht selbstständig eingebürgert werden könnte (AB [49]a). G und I aus der Gruppe Less und F aus der Gruppe Few sind sich darin einig, einen Vorbehalt nur aus Gründen des öffentlichen Interesses zu machen (FGI [49]b). Bei der Anwendung von § 1 der Verordnung zur Regelung von Staatsangehörigkeitsfragen vom 20. Januar 1942 behandelt die herrschende Meinung aus werten-
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E. Untersuchungsergebnisse
den Erwägungen heraus Ausländer, die sich im öffentlichen Interesse im Ausland aufhalten und dort einen deutschen Ehegatten haben, genauso wie Ausländer, deren deutscher Ehegatte sich im öffentlichen Interesse im Ausland aufhält (HM [50]b). A und Β lehnen das ab, weil eine solche Auslegung im Gesetz keine Stütze finde (AB [50]a). B. Der Bund und die herrschende Meinung lassen erleichterte Voraussetzungen gelten, sofern sie mit dem Sinn und Zweck der Einbürgerungsvorschriften vereinbar sind. Der Bund sorgt sich dabei jedoch um eine Erosion des Einbürgerungsrechts (Q [44]h). A und Β akzeptieren Einbürgerungserleichterungen nur dort, wo das Gesetz sie ausdrücklich vorschreibt. In allen Zweifelsfällen prüfen sie, ob wirklich in jedem Fall die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für eine Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit vorliegen. Besonders rigide sind sie, wie oben schon bemerkt, bezüglich der erforderlichen Aufenthaltsdauer ([44], [45], [46], [50]). J aus derselben Gruppe äußert sich nur zu einer Frage, bei der es A nicht zustimmt. In drei Fällen vertreten F, G und I dieselbe Meinung. Sie scheinen im Rahmen des rechtlich Vertretbaren für eine einbürgerungsfreundliche Regelung zu sein, solange sie nicht dem öffentlichen Interessen zuwider läuft. Dementsprechend votiert I in einem Fall, in dem es Mißbräuche einer weichen Regelung fürchtet, für eine strengere Regelung (I [44]f).
k) Einbürgerung gemäß §§ 85 ff. Ausländergesetz A. Zur Frage des erforderlichen Aufenthaltes besteht weitgehende Einigkeit unter allen Gruppen, daß das gesetzliche Erfordernis eines rechtmäßigen Aufenthaltes tatsächlich gegeben sein muß und daß dazu auch ein ausländerrechtlicher Aufenthaltstitel erforderlich ist. Bezüglich dieser und der weiteren Einbürgerungsvoraussetzungen sieht es die herrschende Meinung bei § 85 Abs. 1 AuslG als ausreichend an, wenn sie alsbald nach der Antragstellung erfüllt sind. Das vertritt die herrschende Meinung mit dem Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers oder allgemeiner auf das Regelungsziel des Ausländergesetzes (B [56]a; HM [56]c). Β achtet zwar darauf, daß die erforderliche Aufenthaltsdauer gegeben ist, erweitert aber die in dieser Hinsicht großzügige Regelung des § 89 AuslG auf die Fälle eines unrechtmäßigen Inlandaufenthaltes (B [54]a; Β [55]a,b). Die herrschende Meinung lehnt sich - gegen die weitere Auffassung des Bundes und gegen G aus der Gruppe Less - eng an den Gesetzeswortlaut an, wenn sie lediglich den Besuch an allgemeinbildenden Schulen im Rahmen der §§ 85 Abs. 1 Nr. 3 und 87 Abs. 2 AuslG anerkennt (HM [65]a,b). G ist diesbezüglich großzügiger als die herrschende Meinung, denn es erkennt jeglichen Besuch einer deutschen „Schule" im Rahmen des § 85 Abs. 1 Nr. 3 AuslG an (G [65]g). Sonderstellungen nehmen A aus der Gruppe Least und F und I ein. A kapriziert sich auf ein Urteil, das Studenten abspreche, sie könnten einen dauerhaften Aufenthalt am Studienort haben (A [51]b; [52]b; [54]b, vgl auch A [44]d). F und I verlangen keinen Aufenthaltstitel für die Anerkennung
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
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eines gewöhnlichen Aufenthaltes (FI [51]a). Bei der Aufenthaltsunterbrechung nach § 89 Abs. 3 AuslG dagegen besteht F zumindestens auf eine ausländerrechtliche Duldung (F [54]c,d). Eine Gefährdung der Sicherheit öffentlicher Güter als Einbürgerungshindernis bejaht die herrschende Meinung lediglich, wenn ein Bewerber diese Güter konkret gefährdet (HM [57]g). Allerdings seien auch Auslandsstraftaten zu berücksichtigen, so als seien sie in Deutschland begangen worden (HM [59]e). Der Bund lehnt bei gewichtigen Verstößen gegen geschützte Rechtsgüter, die durch eine Maßregel der Besserung und Sicherung nach §§ 61 ff. Strafgesetzbuch geahndet wurden, ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung ab (Q [58]a). A und Β aus der Gruppe Least begreifen bereits eine potentielle Gefährdung öffentlicher Güter als Einbürgerungshindernis (A [57]b,c) und machen diesbezüglich eine Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden (A [57]a; Β [57]e). J aus derselben Gruppe sowie G und I aus der Gruppe Less bewerten leichtere Delikte nicht als einbürgerungshinderlich (G [58]c,d; J [57]f). Straftaten, die im Ausland begangen wurden, bewerten sie gar nicht (G [59]a, I [59]d). Bei der Anwendung von § 87 AuslG scheiden sich die Auffassungen des Bundes und der Länder an der Frage, ob die völkerrechtliche Vereinbarung, vor Einbürgerungen von Iranern die Zustimmung der iranischen Regierung einzuholen, auch für die ausländerrechtlichen Tatbestände gilt. Der Bund rückt den einschlägigen § 87 AuslG in die Nähe der Einbürgerungsrichtlinien und bejaht das. Außerdem argumentiert er mit den außenpolitischen Verpflichtungen der Bundesrepublik. Weiter sei die bisherige Regelung, für diese Einbürgerungen eine Einzelzustimmung des Bundesinnenministers einzuholen, praktikabel, politisch vorzugswürdig und von der Rechtsprechung bestätigt worden (Q [62]I; [62]a-d, g-k). Die herrschende Meinung und insbesondere I verneinen die aufgeworfene Frage. Die bisherige Praxis führe zu Verzögerungen bei der Einbürgerung, die nicht mehr vertretbar seien (HM [62]e,f; I [62]q). G weist die Argumente des Bundes zurück. Die angeführte Rechtsprechung sei zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz ergangen und gelte daher nicht für § 87 AuslG (G [62]l,m). A und Β aus der Gruppe Least verstehen die Hinnahme von Mehrstaatigkeit im Rahmen des § 87 Abs. 1 S. 2 AuslG als eng umgrenzte Ausnahme. Sie stützen sich dabei auf Rechtsprechung und Literatur (AB [61]a,b). G aus der Gruppe Less versteht die Norm als Generalklausel, da es die von A und Β behauptete Präjudizierung der Verwaltungspraxis nicht sieht (G [61]c). A und Β befürchten eine vermehrte Hinnahme von Mehrstaatigkeit, falls die Einbürgerungsbehörden die Entlassungsverfahren von Iranern begleiten würden (AB [63]b,c), während G und I aus der Gruppe Less ein solches Verfahren gerade vorschlagen (G [63]a; I [63]e). Bezüglich der Entlassungsgebühren pflegen die Länder I und Κ der Gruppe Less und C aus der Gruppe Few tendenziell eine bewerberfreundliche Einbürgerungspraxis (K [64]a; CI [64]b). B. Die Einbürgerungstatbestände des Ausländergesetzes privilegieren bestimmte Gruppen von Ausländern. 18 Sie stellen damit Ausnahmen vom grundsätzlich re13 Bultmann
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E. Untersuchungsergebnisse
striktiven Charakter des Einbürgerungsrechts dar. Das bedeutet, daß hier das Bestreben, bestimmte Ausländer erleichtert einzubürgern, mit dem Prinzip, Einbürgerungen zu beschränken, konkurriert. Der Rechtsanwender steht damit vor der Entscheidung, welchem Prinzip er im Zweifelsfall Vorschub leisten soll. Das Verständnis dieser Regelungen ist insofern besonders aufschlußreich und aussagekräftigTatsächlich finden sich bei diesem Themenkomplex die entsprechenden Positionen wie bei den Einbürgerungen nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz wieder: Bei der Diskussion um den Zustimmungsvorbehalt für die iranische Regierung im Rahmen des § 87 AuslG stellt der Bund klar, daß die Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei Einbürgerungen nach dem Ausländergesetz keinen anderen Maßgaben unterliegt als bei Einbürgerungen nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz. Der Bund hält damit an dem grundsätzlich restriktiven Charakter des Einbürgerungsrechts fest (dementsprechend: ([58]). Die herrschende Meinung verfährt tendenziell großzügiger als der Bund (HM [56]c), bewahrt jedoch die enge Gesetzesbindung (HM [57]g, [59]e, [65]a). Auch A und Β aus der Gruppe Least folgen ihrer bisherigen Linie einer restriktiven Einbürgerungsregelung, die im Verhältnis zu den anderen Ländern schärfere Anforderungen an die Bewerber stellt. Das zeigt sich wieder bei den Tatbestandsmerkmalen „Aufenthaltsdauer" und »Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit". Sie verlangen mehr Anstand von den Bewerbern, wenn sie bereits eine potentielle Gefährdung öffentlicher Güter als Einbürgerungshindernis begreifen. Allerdings löst Β sich in seiner Betrachtung leicht von der rein rechtlichen Betrachtung ([54], [55]). J aus derselben Gruppe und G und I sehen großzügiger über vergangene Untaten der Bewerber hinweg ([57], [58], [59]). G betont den eigenständigen Charakter der ausländergesetzlichen Einbürgerungstatbestände und akzeptiert damit den einbürgerungsfreundlichen Charakter des Ausländerrechts (G [62]l,m, dazu auch noch [63]a, [65]g). I, K, F und C legen keine Positionen offen, die den bisherigen Eindruck verschieben würden.
I) Einbürgerungsgebühren A. Der Bund lehnt eine Gebührenermäßigung für die Einbürgerung von Ehegatten Deutscher ab. Der Gesetzgeber habe für diese Gruppe bewußt eine höhere Gebühr verlangt, da auch der Verwaltungsaufwand in diesen Fällen hoch sei. Für eine Gleichbehandlung zur Ehegatteneinbürgerung gemäß § 86 Abs. 2 AuslG bestehe daher kein Anlaß (Q [68]c-f). Bei polnischen Bewerbern befürwortet der Bund eine generelle Gebührenermäßigung, da deren Durchschnittseinkommen sehr gering sei (T [70]c). Entgegen der herrschenden Meinung verzichtet der Bund auf die Kostenerhebung im Widerspruchsverfahren, falls die versagte Einbürgerung ko-
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Und zwar auch schon vor dem 1. 7. 1993, da sie seit dem 1.1. 1990 als Regeltatbestände formuliert waren.
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
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stenlos gewesen wäre (Q [71]a). Der herrschenden Meinung widerstrebt auch eine generelle Privilegierung von polnischen Bewerbern (HM [70]d). A äußert den Wunsch, die Einbürgerungskosten stärker auf die Einzubürgernden zu verlagern (A [69]a). Folgerichtigerweise lehnen A und Β eine generelle Angleichung von Einbürgerungsgebühren für Ehegatten Deutscher, die nicht nach dem Ausländergesetz sondern gemäß § 9 RuStAG eingebürgert werden, ab (AB [67]b-d). I und Κ aus der Gruppe Less stimmen mit der herrschenden Meinung überein. F dagegen befürwortet eine generelle Gebührenermäßigung für Einbürgerungen gemäß § 9 RuStAG aus Gründen der Gleichbehandlung (F [67]a; [68]a,b). B. Der Bund ist offenbar der Auffassung, daß bei der Gebührenerhebung im Rahmen des Gesetzes möglichst großzügig verfahren werden sollte. Eine Einbürgerung soll nicht an den Gebühren scheitern. Die Interessenlage des Bundes und der Länder scheiden sich in diesem Punkt: Die Länder, nicht der Bund tragen die Kosten der Einbürgerungsverfahren, profitieren aber auch von den Gebühren. Die Länder müßten daher prinzipiell eine Kostendeckung anstreben. Ein wirkliches Streben in diese Richtung ist nur bei A und Β erkennbar. Die herrschende Meinung sowie I und Κ widersetzten sich zwar der großzügigeren Haltung des Bundes, sind aber im Einzelfall bereit, Milde walten zu lassen. F aus der Gruppe Few stellt aus Gründen der Gleichbehandlung die finanziellen Interessen seines Landes hintan.
m) Ergebnis: Drei Arten des rechtlichen Denkens im Einbürgerungsrecht Die vier Regelungstypen, die sich bei der quantitativen Analyse herauskristallisiert haben, finden sich bei der inhaltlichen Untersuchung des Erhebungsmaterials wieder. Zwar ist die Struktur der Verteilungskriterien in jedem Land gleich und in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Einbürgerungsrechts. 19 Die drei Ländergruppen, und der Bund unterscheiden sich jedoch im Umgang mit den einbürgerungsrechtlichen Zuteilungsprinzipien. Unterschiedlich ist die Handhabung einzelner Einbürgerungsvoraussetzungen zum einen bei der Ermittlung des Sachverhaltes, zum anderen beim normativen Verständnis der Tatbestandsmerkmale: Die qualitative Analyse der Diskussion offenbarte drei Arten des rechtlichen Denkens im Einbürgerungsrecht:
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Es kann aufgrund der vorliegenden Untersuchung nicht ausgeschlossen werden, daß in einigen Ländern zusätzliche Kriterien ausschlaggebend sein können, die nicht in den Einbürgerungsrichtlinien normiert sind. Wahrscheinlich ist das aber nicht, denn die wesentlichen Verteilungsentscheidungen stehen in den Länderverwaltungen nicht mehr zur Dispostion, weil sie in den Bundesgesetzen schon festgelegt wurden. Ob einige Länder bestimmte Kriterien überhaupt nicht anwenden, kann ebenfalls nicht gesagt werden, weil nicht zu jeder Einbürgerungsvoraussetzung die Stellungnahme eines jeden Landes vorliegt. Es ist bekannt, daß der Grundsatz einheitlicher Staatsangehörigkeit in der Familie nur noch in einigen Ländern angewendet wird. 1*
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E. Untersuchungsergebnisse
1. Die Länder der Gruppe Least haben das Regelungsziel einer restriktiven Einbürgerungsregelung und das Effizienzziel des wertvollen Bevölkerungszuwachses im Sinn. Dementsprechend betonen sie die Verdienstkriterien für die Zuteilung der deutschen Staatsangehörigkeit. Sie verwirklichen auf diese Weise das Effizienzkriterium des Vorbehalts des öffentlichen Interesses aus Nr. 2.2 S. 3 EinbRL. 2. Die Länder der Gruppe Less, der Bund und die herrschende Meinung akeptieren den restriktiven Charakter des Einbürgerungsrechts. Sie berücksichtigen aber auch die Interessen der Bewerber und rücken insofern etwas ab vom einseitig durch die staatlichen Interessen indizierten Effizienziel des Einbürgerungsrechts. Die in Nr. 2.1 S. 3 EinbRL verlangte Einzelfall Würdigung nehmen sie häufiger zum Anlaß, von den Ausnahmen der Einbürgerungsrichtlinien Gebrauch zu machen. Diese drei Gruppen verkörpern das Billigkeitsprinzip im Einbürgerungsrecht. 3. Die Gruppe Few trägt den Interessen und Bedürfnissen der Bewerber Rechnung, indem sie die Tatbestandsanforderungen herabsetzt oder - durch die Ausnahmevorschriften der Einbürgerungsrichtlinien - aussetzt. Die Länder dieser Gruppe zeigen eine Präferenz für die Bedarfskriterien im Einbürgerungsrecht.
4. Vier Zuteilungsmodelle im Einbürgerungsrecht Nach der quantitativen Analyse wurden nun auch die inhaltlichen Positionen der einzelnen Gruppen zu den Themen des Einbürgerungsrechts aufgezeigt. In diesem Abschnitt sollen die jeweiligen Gruppen zusammenfassend beschrieben werden, indem sie als verschiedene Zuteilungsmodelle, als Loki von Gerechtigkeit, begriffen werden. Die ursprünglich realtypische Beschreibung der Stellungnahmen in der qualitativen Protokollanalyse bekommt dabei unweigerlich eine idealtypische Komponente: Erstens entscheiden die Gruppenmitglieder nicht in sämtlichen Fällen in Übereinstimmung mit dem entscheidungstheoretischen Zuteilungsmodell, dem sie zugeordnet werden. Innerhalb der jeweiligen Gruppenprofile zeigen sich Schattierungen unter den jeweiligen Gruppenmitgliedern. Am auffälligsten war die Sonderposition des Landes J in der Gruppe Least. Hinzu kommt, zweitens, daß das untersuchte Material nur einen Ausschnitt aus der Einbürgerungspraxis der Gruppen enthält. Möglicherweise enthalten die Protokolle nur „hard cases", die Unterschiede vorgaukeln, die sich im Einbürgerungsalltag der Sachbearbeiter „vor Ort" aber nicht belegen lassen. Sofern die Unterschiede unter den Gruppenmitgliedern erkennbar waren, werden sie bei der Charakteristik der Zuteilungsmodelle aufgedeckt. Die herrschende Meinung wird nicht als eigenständiges Modell begriffen. Jedes der Länder kann in unterschiedlichem Maße Teil der herrschende Meinung sein. Die fiktive Person „herrschende Meinung" kann mithin nicht einer natürlichen
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I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
oder juristischen Einheit zugeordnet werden. Sie soll daher lediglich als Kontrollmeinung herangezogen werden: Sie ist ein natürliches Mittel für die verschiedenen Auffassungen zum Einbürgerungsrecht. Die Abweichung von der herrschenden Meinung indiziert daher den relativen Standpunkt eines Modells im Verhältnis zur überwiegenden Meinung aller.
a) Die Gruppe Least-das Verdienstmodell Die Gruppe Least stellt eine Einbürgerung grundsätzlich unter den Vorbehalt des öffentlichen Interesses. Die Einbürgerungsvoraussetzungen werden als „Mindestvoraussetzungen", Nr. 2.2 S. 1 EinbRL, begriffen. Damit wird dem Charakter des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts als grundsätzlich einbürgerungsfeindlichem Recht entsprochen. Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit wird als Ausnahme betrachtet und nur für jene Ausländer ermöglicht, die einen „wertvollen Bevölkerungszuwachs" darstellen. Die Gruppe Least ist vorrangig um eine effiziente Durchsetzung dieses Zieles bemüht. Diese Grundhaltung spiegelt sich in mehreren Einzelheiten wider. Am auffälligsten ist das besondere Gewicht, daß die Gruppe Least auf die Kriterien „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse" inklusive der strafrechtlichen Voraussetzungen und „Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit" legt. Beide Einbürgerungsvoraussetzungen verkörpern Verdienstkriterien. Die Bewerber haben nur dann eine Chance auf die Aufnahme in die Staatsgemeinschaft, wenn sie sich ernsthaft darum bemüht haben. Nur in seltenen Fällen wird auf diese Voraussetzungen verzichtet, beispielsweise wenn die Bemühungen um die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit völlig aussichtlos sind. Den Bewerbern wird eine skeptische Grundhaltung entgegengebracht. Die Länder der Gruppe Least weichen kaum von einer formal-gesetzlichen Sichtweise ab. Sie argumentieren häufig dogmatisch: In den meisten Fällen zählt nur die Frage: Erfüllt der Bewerber die Einbürgerungsvoraussetzungen oder erfüllt er sie nicht? Dieses Rechtsverständnis paart sich mit einer regelmäßig verhältnismäßig engen Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale. Entscheidungsspielräume werden tendenziell eher ausgenutzt um den staatlichen Interressen Vorschub zu leisten. Das Land J nimmt diesbezüglich eine Sonderstellung innerhalb der Gruppe Least ein, da es häufig einbürgerungsfreundliche Auffassungen vertritt.
b) Die Gruppe Less - das Billigkeitsmodell
I
In der Gruppe Less wird die Vorbehaltsklausel der Nr. 2.2 S. 1 EinbRL weitgehend ignoriert. Stattdessen wird den Besonderheiten des Einzelfalles und seiner angemessenen Würdigung Priorität eingeräumt. Die Gruppe Less ist hinsichtlich des einbürgerungsrechtlichen Effizienzkriteriums unbekümmerter als die Gruppe
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E. Untersuchungsergebnisse
Least. Liegen die Einbürgerungsvoraussetzungen vor, so scheint am öffentlichen Interesse an der Naturalisation nicht mehr gezweifelt zu werden. Dieses Rechtsverständnis läßt sich auf die Perspektive der Bewerber und ihrer Interessen ein. Die Gruppe Less macht dabei keinen erkennbaren Unterschied zwischen den ethnisch zugehörigen Einbürgerungsbewerbern und den „sonstigen" Ausländern. Das Auslegungs- und das Argumentationsprofil der Gruppe Less zeigte eine ausgewogene Mischung von rechtlicher und nicht-rechtlicher Argumentation und von extensiver und restriktiver Auslegung. Die Gruppe Less verkörpert eine „unparteiische" Haltung, einen Mittelweg: Teilweise kommen die staatlichen Interessen, teilweise die Interessen der Bewerber zur Geltung. In der Gruppe Less geraten beide Interessen nicht aus dem Blickfeld. Deswegen läßt sich die Gruppe Less am schwierigsten greifen und typologisch charakterisieren. Hinsichtlich sämtlicher Einbürgerungsvoraussetzungen unternehmen die Länder dieser Gruppe eine sorgfältige Prüfung. Dies geschieht jedoch weniger dogmatisch und formalistisch als bei der Gruppe Least sondern lebensnah und pragmatisch: Das zeigte sich insbesondere bei den Integrationsvoraussetzungen und bei der Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit. Wenn die Bewerber bezüglich dieser Voraussetzungen nur schwache Punktwerte erreichen, verweigern die Länder der Gruppe Less nicht unbedingt und mechanisch eine Einbürgerung, sondern geben sich in begründeten Einzelfällen mit Weniger zufrieden. Darin kommt eine liberale und sozialstaatliche Haltung zum Ausdruck.
c) Die Gruppe Few - das Bedarfsmodell Die Einbürgerungsregelung der Gruppe Few ist jener der Gruppe Less ähnlich. Die Gruppe Few ist noch stärker zugunsten der Bewerber am Bedarfsprinzip orientiert als die Gruppe Less. Die Statistik zu den Gerechtigkeitsargumenten verdeutlicht das. C und F verwenden Gerechtigkeitsargumente überwiegend, um eine Auslegung zu begründen, die den Bewerbern günstig ist. Auffallend ist, daß dies formal weniger in der Form von Bedarfsargumenten geschieht als mit Gleichheitsargumenten: Nichtprivilegierte Einbürgerungsbewerber werden häufig den privilegierten Gruppen, insbesondere den deutschen Volkszugehörigen gleichgestellt. Seinen sachlichen Grund findet diese Gleichbehandlung in der Wertung, daß sowohl der Staat als auch die seßhaften Ausländer ein Bedürfnis für die vollständige Integration in die deutsche Gesellschaft haben. Die Gruppe Few geht stärker als die anderen Gruppen davon aus, daß ein Ausländer schon vor seiner Einbürgerung festes Mitglied der Gesellschaft ist. Der im Inland seßhafte Ausländer muß seinen Wert nicht mehr unter Beweis stellen und sich auf diese Weise die deutsche Staatsangehörigkeit verdienen. Diese Haltung kommt treffend in dem Schlag wort vom „ausländischen Mitbürger" zum Ausdruck. 20 20
Der Begriff des „ausländischen Mitbürgers" enthält eine contradictio in adjecto, weil Ausländer ohne politisches Wahlrecht gerade keine Bürger sind. Das entspricht jedenfalls der
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I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
Die Gruppe Few überschreitet bei ihren überwiegend extensiven Auslegungen nicht den Rahmen des rechtlich Vertretbaren. Die Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzungen wird von den Bewerbern erwartet. Den einzelnen Kriterien, insbesondere den Integrations- und Assimilationserfordernissen sowie der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit wird jedoch kein symbolischer Wert beigemessen. Die einbürgerungsrechtlichen Kriterien werden nicht als „Verdienstkriterien" verstanden, die das Einbürgerungsziel des „wertvollen Bevölkerungszuwachses" verwirklichen sollen. Die Einbürgerung langzeitig im Inland lebender Ausländer ist im Zweifel erwünscht. Nur wenn die Bewerber sich den Einbürgerungsvoraussetzungen nachhaltig widersetzen oder die Einbürgerung mißbraucht werden soll, um andere Ziele als den Eintritt in die staatliche Gemeinschaft zu erreichen, wird eine Einbürgerung versagt. Die Gruppe Few verwendet vielfach nicht-rechtliche Argumente.
d) Das Modell Bund - das Billigkeitsmodell
II
Der Bund begründet seine Stellungnahmen vielschichtiger und ausgewogener als die Länder der Gruppe Least, mit denen er die restriktive Einstellung zum Einbürgerungsrecht teilt. Zu mehreren Diskussionspunkten bringt er eine Fülle von Aspekten in die Erörterung ein: die Interessen der Bewerber, die (außen-) politische Folgen einer Gesetzesanwendung und die Interessen der Bundesrepublik, insbesondere wie sie sich im Einbürgerungsrecht darstellen. Er räumt in Übereinstimmung mit Nr. 1.2 S. 3 EinbRL den Besonderheiten des Einzelfalles einen großen Stellenwert ein. Dementsprechend zeigt sich der Bund prinzipiell aufgeschlossen gegenüber den Ausnahmetatbeständen der Einbürgerungsrichtlinien. Der Bund verwendet überdurchschnittlich häufig Billigkeitsargumente, mit denen er konkret am Fall argumentiert. Daher verwendet er auch relativ am häufigsten nicht-rechtliche Argumente. Er verliert dabei den restriktiven Charakter des Einbürgerungsrechts aber nicht aus den Augen. Nur auf jedes zweite Argument, mit dem er gegen eine den Bewerbern günstige Auslegung votiert, kommt ein Gerechtigkeitsargument „pro Bewerber". Etliche seiner Gerechtigkeitsargumente lassen sich am ehesten als sachlich und neutral klassifizieren. Die rechtlichen und tatsächlichen Aspekte eines Anwendungsproblemes werden sorgsam ausbalanciert. Die letztendlich restriktive Einbürgerungspraxis drückt sich formal in der häufigen Verwendung von Prinzipienargumenten aus. Die Stellung des Bundes als Zustimmungsinstanz, die bundesweit - also „global" und nicht „lokal" - arbeitet und keine alltägliche Einbürgerungspraxis hat, führt zu einigen weiteren Besonderheiten seiner Argumentation. Die Bundesorgane sind die „Hüter des Einbürgerungsrechts". Sie stehen auf der Seite des Gesetzes, gängigen Definition, derzufolge „Bürger" nur die Einwohner sind, die die Bürgerrechte besitzen, insbesondere also das aktive Wahlrecht, vgl. ζ. B. Creifelds (1997). Insofern ist das Schlagwort „ausländischer Mitbürger" ein Euphemismus.
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E. Untersuchungsergebnisse
denn sie sind als Ministerialbürokratie an der Gesetzgebung beteiligt. Der Bund tritt bei den Referentenbesprechungen daher als first-order Akteur auf und nicht als second-order Akteur wie die Ländervertreter. Die deutsche Staatsangehörigkeit wird vom Bund als ein besonderer Status begriffen. Zwar befürwortet er in Einzelfällen eine privilegierende Auslegung. Sein Interesse besteht jedoch darin, die Prinzipien des Einbürgerungsrechts zur Geltung zu bringen. Der Bund wacht darüber, daß das Einbürgerungsrecht nicht durch wahllose Ausnahmeregelungen langsam erodiert: „Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland." Er bemüht sich daher um klare und eindeutige, insbesondere bundeseinheitliche Regelungen. Das Prinzip der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie soll die gewünschte Rechtssicherheit, das Festhalten an den EH-Bedenken die außenpolitische Integrität gewährleisten. Beide Ziele liegen im originären Interesse des Bundes, der die Interessen des Bundesstaates vertritt. Das Festhalten an diesen beiden Verteilungskriterien hängt also vermutlich weniger als bei der Gruppe Least damit zusammen, daß den Bewerbern bestimmte Mitwirkungen abverlangt werden. In der Argumentation des Bundes verbinden sich mehrere Grundeinstellungen: Die Bindung an die inhaltlichen Bestimmungen der Verfassung; das Bestreben, jedem zu seinem Recht kommen zu lassen, auch wenn das eine Billigkeitsentscheidung notwendig macht, die von einer schematischen Gesetzesanwendung abweicht, und eine Sorge darum, daß das Einbürgerungsrecht seinen gesetzlich fixierten Charakter nicht verliert - das heißt, ein sparsamer Umgang mit der deutschen Staatsangehörigkeit.
5. Erklärungen für lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht Dieser Abschnitt versucht, einige Erklärungen für die Varianz der Einbürgerungsregelungen zu finden. Die Bedingungen, unter denen lokale Einbürgerungsregelungen entwickelt werden können, sind für alle Länder gleich. Im Vordergrund stehen die Bindung an das Gesetz und die organisatorische Verknüpfung von Bundes- und Länderverwaltungen. Unterschiedlich sind dagegen die Interessen, die die jeweiligen Länder verfolgen. Dieses Wechselspiel zwischen der Gesetzesbindung und der Interessenpolitik wird im folgenden verdeutlicht. Trotz der Gesetzesbindung und der Verknüpfung von Bundes- und Länderverwaltungen werden die Länder nicht zu einer ganz einheitlichen Ermessensausübung gezwungen. Der Bund und die Länder ziehen in ihrer einbürgerungsrechtlichen Interessenpolitik zwar gemeinsam am „deutschen Strang". Das schließt jedoch nicht aus, daß die verschiedenen Interessen in vielen Einzelfällen divergieren und der Bund spezifische Bundes- oder die Länder ihre jeweiligen Länderinteressen vertreten.
I. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
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1. Das einende Element zwischen Bund und Ländern ist die Eigenart der verwaltungsrechtlichen Konstruktion: Einerseits vollziehen die Länder das Einbürgerungsrecht in eigener Zuständigkeit. Andererseits ist gemäß § 3 S. 1 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. 2. 1934 für jede Einbürgerung die Zustimmung des Bundesministers für Inneres erforderlich. 21 Damit hat der Bund ein „Letztentscheidungsrecht". Das setzt eine Einigung zwischen Bund und Ländern bezüglich ihrer jeweiligen Handhabung des Einbürgerungsrechts voraus.22 Diese verwaltungsrechtliche Besonderheit spiegelt sich in den Protokollen wider: Der Ton, der aus den Protokollen hervorklingt, ist eher sanft und höflich als scharf und kontrovers. Es werden „Vorschläge" gemacht und »Ansichten" geäußert. Es erfolgt eine Art „do ut des", ein „bargaining" der Interessen. Die Länder stimmen häufig mit den Ansichten des Bundes überein. Wenn sie es im begründeten Einzelfall nicht tun, so kann sich der Bund - ganz im Sinne des beschriebenen sensiblen Vorgehens - durchaus „kulant" im Sinne eines kooperativen Föderalismus zeigen. Jedenfalls an einer Stelle antwortet ein Vertreter des Bundes auf die gezielte Frage eines Landesvertreters, wie der Bund bei der erforderlichen Zustimmung mit der abweichenden Auffassung dieses Landes umgehen werde, ausdrücklich, man werde „nicht so genau hinsehen". In einem anderen Fall war die Kontrolldichte sehr hoch: Ein Landeskultusministerium hatte das öffentliche Interesse an einer Einbürgerung bejaht. Das Bundesinnenministerium hatte dennoch selbstständig eine Stellungnahme des zuständigen Bundesressorts eingeholt und aufgrund dieser Stellungnahme seine Zustimmung versagt. Als das betreffende Land sich eine derartige Kontrolle (und in diesem Fall einen Eingriff in seine „Kulturhoheit") verbat, wies das Bundesinnenministerium darauf hin, daß es nicht darum gegangen sei, oberste Landesbehörden zu überprüfen. Es sei jedoch die Erfahrung gemacht worden, daß die Maßstäbe der obersten Landesbehörden in diesen Fragen sehr verschieden seien und zum Teil stark von der Nähe zu den betreffenden Antragstellern geprägt seien. 2. Das grundlegende Strukturprinzip und die Kernursache für die unterschiedliche Einbürgerungspraxis sind die verschiedenen Interessen des Bundes und der einzelnen Länder. Die Länder begreifen ihre Einbürgerungspraxis als Interessenpo21
Eine genauere Darstellung findet sich oben unter B I. 1. Jedenfalls der Tendenz nach. Da die Länder das Einbürgerungsverfahren selbstständig verwalten, sind sie faktisch auch in der Lage, den Zustimmungsvorbehalt des Bundesinnenministers zu ignorieren. Der Bund könnte dann gegebenenfalls seine Allgemeinzustimmung widerrufen. Diese Sanktion ist praktisch jedoch nur in begrenzten Maße (für bestimmte Arten von Einbürgerungen) denkbar, da das BMI im Einzelzustimmungsverfahren mit Akten aus den Ländern zugeschüttet werden würde. Eine andere Umgehungsstrategie bestände darin, die Einbürgerungskriterien so zu verschärfen, daß bestimmte Anträge von den Einbürgerungsbehörden stets abgelehnt werden und daher dem Bundesinnenminister gar nicht vorgelegt zu werden brauchen. Beim Zustimmungsvorbehalt gerät die „überobligationsmäßige" Rechtsanwendung nicht in das Blickfeld der Kontrollinstanz. Ein Beispiel für diese Strategie deutet sich bei A unter Ordnungspunkt [66] an. 22
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E. Untersuchungsergebnisse
litik und nicht als Verteilungsproblem. Bei der Bildung ihrer Interessen stehen sie im Fadenkreuz von Recht (Gesetze, Selbstbindung und Spruchpraxis der Gerichte), öffentlicher Meinung (der Einbürgerungsbewerber, der Wähler und der Medien) und ihren eigenen staatlichen Interessen (praktikable Einbürgerungsverfahren, „sozial wertvolle" Ausländer einzubürgern, ihren Haushalt zu schonen). Ein Beispiel für einen Interessenkonflikt zwischen Bund und Ländern zeigt sich bei der Einbürgerung ausländischer Akademiker, die in Deutschland studiert haben und während ihres Studiums gefördert wurden. Nach Nr. 5.2.6 EinbRL kommt eine Einbürgerung nur in Betracht, wenn die Ausbildungshilfen zurückgezahlt werden. Die Länder haben an der Anwendung dieser Vorschrift zunächst nur insoweit ein Interesse, als diese Mittel aus dem Landeshaushalt stammen. Ein ähnlicher Konflikt, der jedoch mehr das Ausländerrecht betrifft, besteht, wenn der Bund aus Gründen der Entwicklungshilfe ausländische Studenten gewinnen möchte. Die Länder haben hieran ein geringeres Interesse, weil sie die erforderlichen Studienplätze bereitstellen müssen, obwohl sie diese vielleicht lieber für Deutsche bereitstellen. Ein paralleles Beispiel ist die Beurteilung der Einbürgerungsgebühren. Der Bund zeigt die Tendenz in diesem Punkt großzügig zu sein (T [70]b,c; Q [71]a). Er hat kein Interesse daran, ansonsten „taugliche" Einbürgerungsbewerber an dieser Hürde scheitern zu lassen. Die Länder möchten dagegen ihre Verwaltungskosten möglichst durch die Einbürgerungsgebühren abdecken (A [69]a). Ein weiteres Beispiel betrifft die automatische Überleitung von Statusdeutschen in die deutsche Staatsangehörigkeit bei ihrer Aufnahme im Bundesgebiet. Die Länder wünschen sich ein derartiges Überleitungsgesetz, um die Verwaltung zu entlasten. Der Bund hat hieran ein geringeres Interesse und weist darauf hin, daß der verfassungsrechtliche Status des Statusdeutschen nicht einfachgesetzlich aufgehoben werden kann. Grundsätzlich verschiedene Ansichten scheinen darüber zu bestehen, welches Ziel mit der Einbürgerung verfolgt wird. Einige Bundesländer scheinen die Einbürgerung als mögliches Integrationsmittel zu verstehen. Andere die Einbürgerung als notwendiges Übel, das nun einmal gesetzlich vorgeschrieben ist, in Wirklichkeit aber nur die Volksgemeinschaft auflöst und zerstört. So jedenfalls lassen sich die signifikanten Unterschiede hinsichtlich einer extensiven oder einer restriktiven Einbürgerungsregelung deuten. Derartige Positionen kamen für den Bund und die Länder Baden-Württemberg und Bayern aus der Gruppe Least auch in der Kommission „Ausländerpolitik" aus dem Jahre 1982/83 zum Ausdruck. 23 Bei der Diskussion um eine erleichterte Einbürgerung von Ausländern der ersten Generation votierten der Bund, Baden-Württemberg und Bayern für eine Beibehaltung der bisherigen Regelungen. Berlin, Bremen und Hessen befürworteten eine auf fünf Jahre 23
Diese Kommission arbeitete unter Federführung des Bundesministers des Innern (damals Dr. Friedrich Zimmermann) vom 16. 11. 1982 bis zum 2. 3. 1983. Diverse Vertreter des Bundes und der Länder diskutierten in vier Arbeitsgruppen über aktuelle Probleme des Ausländerrechts. Die Wiedergabe im Text bezieht sich auf die Zusammenfassung des Abschlußberichts der Kommission von Haberland (1983), S. 55 ff.
II. Kritik der Ergebnisse
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befristete Einbürgerungserleichterung, sofern die Betroffenen vor dem 1. Januar 1974 legal zur Erwerbstätigkeit eingereist waren. Mit Ausnahme Bayerns stimmten alle Teilnehmer für eine erleichterte Einbürgerung von Ausländern der zweiten und dritten Generation. Bayern Schloß sich auch nicht der allgemeinen Meinung an, daß in Ausnahmefällen eine Mehrstaatigkeit hingenommen werden kann. Diese Positionen sind nicht mehr aktuell, aber sie sind beispielhaft. Ein grundsätzlicher Zielkonflikt ergibt sich aus der folgenden Überlegung: Einerseits sind möglichst hohe Einbürgerungsquoten erstrebenswert. Sie drücken nämlich die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer und wirken so dem latenten oder offenen Gefühl einer Überfremdung in der Bevölkerung entgegen. Andererseits besteht ein öffentliches Interesse nur an der Einbürgerung „guter Ausländer", die für den Staat und die Gesellschaft auf irgendeine Weise wertvoll sind. Art und Schwere der Interessenkonflikte zwischen dem Bund und den einzelnen Ländern resultieren aus dem besonderen Charakter eines Landes. Je nach Regierung, Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur treten unterschiedliche Interessen in den Vordergrund. Diese Faktoren bestimmen auch die landesinternen Interessenund Zielkonflikte. Alle diese Faktoren beeinflussen die landesspezifische Einbürgerungspolitik und die Vielfalt der zu beobachtenden Einbürgerungspolitiken.
I L Kritik der Ergebnisse Die Hypothese zur lokalen Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht war dreigliedrig: Erstens, die Unterschiede in der Einbürgerungsstatistik finden ihre Ursache in einer unterschiedlichen Praxis der Einbürgerungsbehörden. Zweitens, die jeweilige Einbürgerungspraxis beruht auf unterschiedlichen Anwendungen des Einbürgerungsrechts. Drittens, diese abweichenden Einbürgerungsregelungen sind Ausdruck lokaler Gerechtigkeiten im Einbürgerungsrecht. Die erste Unterannahme innerhalb der Leithypothese konnte mit der Inhaltsanalyse nicht geprüft werden. Der Einfluß diverser anderer Faktoren als der Rechtsanwendung auf die Einbürgerungsquote der Länder konnte mit den untersuchten Materialien nicht ermittelt werden. Ebensowenig konnten die weiteren Ursachen für die divergierenden Einbürgerungsregelungen erklärt werden. Der Einfluß dieser Faktoren betrifft jedoch den Aussagegehalt der vorliegenden Untersuchung. Wenn zu vermuten ist, daß andere Faktoren als lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht die verschiedenen Einbürgerungsquoten bedingen, könnte jedenfalls nicht von einem kausalen Einfluß der Einbürgerungsregelungen auf die Einbürgerungsraten ausgegangen werden. Hier besteht eine Lücke in der Darstellung. Deshalb wird nun zunächst unter 1. die Plausibilität dieser Unterannnahme und die Verläßlichkeit der Untersuchung diskutiert. Sodann wird unter 2. die zweite Unterannahme präzisiert, indem andere Hypothesen als die über lokale Gerechtigkeit im Ein-
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E. Untersuchungsergebnisse
bürgerungsrecht untersucht werden. Der Abschnitt schließt mit einem allgemeinen Modell zur Entstehung und Erklärung von lokaler Gerechtigkeit.
1. Angemessenheit und Tauglichkeit des Materials zur Klärung der Hypothesen zum Einbürgerungsrecht a) Aussagekraft des Untersuchungsmaterials Im folgenden werden einige Aspekte aufgeworfen, die die Aussagekraft der Referentenbesprechungen relativieren. 1. Die erste Unterannahme verknüpft die Einbürgerungsstatistik mit der Einbürgerungspraxis der Länder. Die Inhaltsanalyse betrifft jedoch nicht das Verhalten der Sachbearbeiter, das heißt der eigentlichen Entscheidungsträger in den Einbürgerungsbehörden, sondern bloß das Entscheidungsverhalten der Verwaltungsspitze, nämlich der Innenministerien und Innensenatsverwaltungen der Länder. Dagegen kann die plausible Annahme angeführt werden, daß die Aussagen der Referenten repräsentativ sind für die Umsetzung des Einbürgerungsrechts in dem jeweiligen Bundesland. Anordnungen von höherer Ebene werden regelmäßig durch eine Vielzahl von Rundbriefen und Arbeitsanweisungen umgesetzt. Diese Verwaltungsvorschriften garantieren die hierarchische Umsetzung von Entscheidungen der oberen Ebene. Der hierarchische Aufbau der Verwaltung mit einer Fach- und Rechtsaufsicht der unteren Ebenen durch die Verwaltungsleiter schließt es, abgesehen von Ausnahmefällen, praktisch aus, daß die unteren Ebenen von dem abweichen, was „oben" beschlossen wurde. 24 Möglicherweise weichen jedoch die Diskussionsgegenstände von dem ab, was die Bearbeiter „vor Ort" beschäftigt. Es fragt sich, wie hoch der Anteil der von den Ministerialbeamten diskutierten Problemfälle an allen Einbürgerungsfällen ist. Vielleicht sind die von der Verwaltungsspitze erörterten Probleme nicht deshalb klärungsbedürftig, weil sie die große Masse der tagtäglich vorkommenden Einbürgerungsanträge betreffen, sondern weil sie politisch brisant sind (Beispiel: Aids) oder weil sie in den letzten Monaten verstärkt aufgetreten sind oder deshalb, weil sie rechtlich und verwaltungsorganisatorisch besonders schwierig sind. Wäre dem so, dann würde ihre ministerielle Klärung zwar den Sachbearbeitern in einigen „harten Fällen" weiter helfen. Die Masse der Einbürgerungsentscheidungen wäre davon aber nicht betroffen. Gegen diesen Einwand streitet die Beobachtung, daß die erörterten Probleme breit gefächert sind. Sie betreffen sämtliche Tatbestands24 Mit denselben Argumenten wäre auf den methodischen Einwand zu reagieren, die Hypothese und die falsifizierende Untersuchung müßten sich auf demselben Aggregationsniveau befinden. Während die Hypothese die kollektive Einheit Einbürgerungspraxis der Bundesländer betreffe, würden nur die Einstellungen individueller Referenten gemessen. Wegen des engen Zusammenhanges der Referentenbesprechungen mit der Einbürgerungspraxis der Länder ist dieser Einwand nicht schlagkräftig.
II. Kritik der Ergebnisse
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merkmale im Einbürgerungsrecht. Die Probleme waren - abgesehen von Ausnahmefällen (Beispiel: Aids) - keineswegs derart speziell, daß sie „vor Ort" selten auftauchen dürften. Auch der Einwand, die diskutierten Zweifelsfragen seien nur aktuell relevant, greift nicht durch. Auf keiner Besprechung wurden sämtliche angesetzte Tagesordnungspunkte bewältigt. Sie tauchten dann auf der nächsten oder übernächsten Besprechung erneut auf, wurden also auch nach längeren Zeiträumen immer noch als erörterungswürdig angesehen. 2. Ein weiteres methodisches Problem wurde bereits als generelles Problem empirischer Gerechtigkeitsforschung erwähnt: Der Rückschluß von dem, was Menschen sagen, auf das, was sie denken oder tun, ist unsicher. Das Untersuchungsmaterial enthält Meinungsäußerungen zum Einbürgerungsrecht. Für jede Stellungnahme werden Gründe genannt. Kann die Argumentationsanalyse einen Beitrag zu der Frage liefern, wie sich die Rechtsanwender tatsächlich entscheiden? Oder kann nur festgestellt werden, wie eine Entscheidung begründet wird? Offenbaren die Stellungnahmen die wirklichen Überzeugungen der Referenten bezüglich der aufgeworfenen Fragen? Oder enthalten sie lediglich unmaßgebliche, unverbindliche Äußerungen oder vorgeschobene Rechtfertigungen? Nur wenn die Begründungen die wahren Sachentscheidungen und Überzeugungen der Referenten wiedergeben, sind sie ein tauglicher Indikator für Gerechtigkeitsintuitionen und deren Konkretisierungen. Und nur dann wiederum kann die Inhaltsanalyse aufzeigen, welche Erwägungen Eingang in die rechtlichen Entscheidungen finden. Diese Fragen sind in gewisser Weise Scheinfragen. Es kommt nämlich gar nicht so sehr auf die Einstellungen der Referenten an, sondern auf ihr tatsächliches Verhalten und darauf, daß ihre Entscheidungen auch in die Einbürgerungspraxis umgesetzt werden. Diese Frage wurden soeben thematisiert. Abgesehen davon ist die Annahme plausibel, daß die Referenten tatsächlich die Begründungen vortragen, die ihrer Meinung nach ihre Entscheidungen stützen oder sogar erzwingen. Gerade weil die Erörterungen der Referenten unverbindlich und vertraulich sind, brauchen die Referenten keine Scheu zu haben, ihre Gedanken offen vorzutragen. 3. Die Häufigkeit der Stellungnahmen ist für die verschiedenen Länder verschieden. Einige Bundesländer kommen sehr häufig, andere nur selten oder gar nicht zu Wort. Darin könnte eine Verzerrung des Meinungsprofils liegen: Wenn ein Argument bereits geäußert wurde, braucht es nicht wiederholt zu werden. Es ist insofern dem Zufall überlassen, ob ein Bundesland mit einem Argument aufwarten kann oder ob dieses Argument schon anderwärtig geäußert wurde. Dieser Einwand wird weitgehend dadurch ausgeräumt, daß das Material häufig Angaben darüber enthält, welche Länder jeweils einem bestimmten Argument zustimmen und die Zustimmungsäußerungen auch mitgezählt wurden. 4. Nicht immer läßt das Untersuchungsmaterial eindeutige Entscheidungen erkennen. In einigen Fällen behalten sich die Länder eine nochmalige Reflektion über mögliche Problemlösungen vor. Selbst wenn Entscheidungen fallen, ist nicht sicher, ob an dieser Entscheidung festgehalten wird. Andererseits waren derartige
206
E. Untersuchungsergebnisse
Entscheidungsunsicherheiten oder Meinungsinstabilitäten nicht häufig, so daß auch in diesem Umstand kein Kardinaleinwand gegen die Angemessenheit des untersuchten Materials zur Evaluierung der Hypothesen zu sehen ist. Außerdem kam es in der Untersuchung weniger auf die Diskussionsergebnisse an, als auf die vorgetragenen Begründungen. Entscheidend für die Charakterisierung bestimmter Verteilungsmodelle im Einbürgerungsrecht waren die vorgetragenen Sachargumente. Im Ergebnis schränken diese Einwände die Verläßlichkeit der Untersuchung nur in begrenztem Maße ein.
b) Durchführung der Untersuchung 1. Trotz des sorgfältigen Bemühens, eindeutige Kategorien zu bilden, erwies sich die Einordnung eines Argumentes zu einem Argumenttyp in einigen Fällen als schwierig. Häufig bringen die Diskussionsteilnehmer einen Gesichtspunkt ins Spiel, ohne selbst zu bezeichnen, auf welcher Ebene sie ihr Entscheidungskriterium verstanden wissen wollen. Manchmal mußte das Argument, das hinter einer Äußerung steht, in die Aussage hineininterpretiert werden. Das geschah jedoch selten und nur in den Fällen, in denen die Zuordnung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" der Intention des Äußernden entsprach. Es wurde stets so klassifiziert, daß das betreffende Argument in seinem Schwerpunkt charakterisiert war. Es wurde vermieden, in einer Aussage mehr als ein Argument zu sehen, um die Untersuchungen von Interpretationen möglichst frei zu halten. Eine Residualkategorie von nicht klassifizierbaren Aussagen wurde nicht vermißt. Insgesamt waren die Kategorien und die Klassifizierungsmethode geeignet, das untersuchte Material auszuwerten. 2. Problematischer als die quantitative Auswertung des Materials war die qualitative Analyse. Sie enthält Deutungen der Stellungnahmen und Argumente. Es gibt für dieses Vorgehen keine weiteren Anhaltspunkte als eine Plausibilität und eine (hypothetische) intersubjektive Übereinstimmung in diesen Interpretationen.
2· Alternative Hypothesen Die Forschungshypothese über lokale Gerechtigkeiten im Einbürgerungsrecht konnte bestätigt werden. Es besteht eine hohe Korrelation zwischen dem Gesetzesverständnis und den jeweiligen Einbürgerungsquoten der Länder. Die jeweiligen Einbürgerungsregelungen sind Ausdruck besonderer Einstellungen zum Einbürgerungsrecht. Allerdings sind die Ergebnisse nicht so eindeutig, daß die unterschiedlichen Einbürgerungsregelungen als ausschließliche Ursache für die divergierende Einbürgerungspraxis der Länder angesehen werden können. Das Untersuchungsmaterial enthält Aussprachen zum Einbürgerungsrecht. Es bezieht sich also auf das
207
II. Kritik der Ergebnisse
Rechtssystem und taugt auch nur dazu, eine diesbezügliche Hypothese zu falsifizieren. Der Einfluß regionaler kultureller Besonderheiten auf die Verwaltungspraxis wird nur erfaßt, soweit er in den Argumentationen sichtbar wird. Im Umkehrschluß kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein solcher Einfluß nicht besteht, weil er nicht explizit in den Diskussionen erscheint. Im folgenden sollen einige Hypothesen vorgestellt werden, die andere Ursachen als eine divergierende Rechtsanwendungskultur als Ursachen für die lokalen Einbürgerungsregelungen und für die divergierenden Einbürgerungsstatistiken benennen könnten. Diese Hypothesen werden auf ihre Plausibilität hin untersucht. Sie sollen zur bestätigten Hypothese über lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht ins Verhältnis gesetzt werden, so daß klar wird, inwiefern sie die Ergebnisse relativieren oder bloß ergänzen. Die Alternativhypothesen entspringen juristischen, soziologischen und politologischen Überlegungen.
a) Unterschiedliches
Ausländerprofil
in den Ländern
Möglicherweise sind die Unterschiede in der Einbürgerungspraxis auf das unterschiedliche Ausländerproiii in den Ländern zurückzuführen. Die Zahlen für die Ermessenseinbürgerungen sind von 1990 bis 1993 um 125 % gestiegen. Im Jahre 1990 wurden 20.237 Ausländer eingebürgert, 1993 waren es 44.950. Dieser Anstieg wird auf das Inkrafttreten der Einbürgerungstatbestände §§85 und 86 AuslG zum 1. Januar 1991 zurückgeführt. 25 Bei den Türken stieg die Einbürgerungszahl 1993 (12.071) auf das sechsfache der Einbürgerungen im Jahre 1990 (2.016). Der relative Anstieg an Einbürgerungen ist folglich nicht für alle Ausländergruppen gleich. Da das Ausländerprofil in den Bundesländern verschieden ist, liegt hierin möglicherweise eine weitere Ursache für die auseinandergehenden Einbürgerungsquoten. Diese Hypothese verliert auf den zweiten Blick an Plausibilität. Die Zahlen, mit denen im Rahmen dieser Hypothese argumentiert wird, lassen nämlich offen, was Ursache und was Wirkung ist. Diesen Sachverhalt demonstriert das folgende Beispiel: In Berlin leben überdurchschnittlich viele Türken. Entweder sind die hohen Einbürgerungszahlen Berlins durch die große Antragsbereitschaft oder Geeignetheit türkischer Bewerber erklärlich oder die hohen Einbürgerungszahlen der türkischen Ausländer sind durch die liberale Einbürgerungspolitik der berliner Verwaltung erklärlich. Möglicherweise besteht hier eine Ursache-Wirkung-Spirale: Die berliner Einbürgerungsregelung ist liberal, 26 also sind die türkischen Einwohner der Stadt motiviert, Einbürgerungsanträge zu stellen. Einbürgerungsbewerber lassen sich nicht nur selektieren, sie selektieren sich unter Umständen von selbst.27 25
Kanther in seiner Bundestagsrede vom 9. 2. 1995, Bundesministerium des Innern (1995). Vgl. auch Tränhardt (1995), S. 83 ff. 26 Vgl. dazu John, ZAR 1983, 5, 10 f.
208
E. Untersuchungsergebnisse
Schon diese kurze Analyse zeigt, daß die Hypothese, die die Einbürgerungsunterschiede durch das jeweilige Auslanderprofil der Länder erklären will, so nicht überzeugt. Überprüfen ließe sie sich am ehesten durch eine Strukturanalyse der jeweiligen Ausländergruppen mit dem Ziel herauszufinden, ob bestimmte Ausländergruppen einen größeren Anteil an Mitgliedern haben, die den Einbürgerungsvoraussetzungen standhalten, als andere Gruppen. Unerläßlich wären zudem Interviews in den betreffenden Ausländergruppen über ihre Motivation, Einbürgerungsanträge zu stellen. Eine diesbezügliche Erhebung wird alle fünf Jahre in den sogenannten „Repräsentativuntersuchungen" durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung veranlaßt. 28 Einen gewissen Einfluß des Ausländerprofils auf die Einbürgerungsquote demonstriert die folgende Statistik. Im Befragungszeitraum September bis Dezember 1995 hatten von den Italienern 12 % und von den Griechen nur 11,3 % die Absicht die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Demgegenüber hatten 26,2 % der befragten Türken die Absicht, sich einbürgern zu lassen.29 Vergleicht man nur die Länder mit den extremsten Einbürgerungsquoten, so zeigen sich durchaus Unterschiede im Ausländerprofil. Am 31.12. 1996 waren die Anteile der drei Ausländergruppen in Baden-Württemberg, Bayern und Berlin - in dieser Reihenfolge: Griechen: 6,62 %; 6,2 %; 2,23 %; Italiener: 14,15 %; 7,83 %; 2,24 %; Türken: 27,47 %; 23,73 %; 29,18 %. 3 0 Der prozentuale Anteil an besonders einbürgerungswilligen Ausländern ist in Bayern also am geringsten. Diese Zahl korreliert mit der niedrigen Einbürgerungsquote in Bayern. Die etwas höhere Einbürgerungsquote von Baden-Württemberg reflektiert sich ebenfalls statistisch in einem größeren Türkenanteil als in Bayern. Berlin hat die höchste Einbürgerungsquote und den größten Türkenanteil in seiner ausländischen Bevölkerung.
b) Erklärung aus dem unterschiedlichen Integrationsgrad der Einbürgerungsbewerber Möglicherweise integrieren sich Ausländer in einigen Bundesländern leichter in die Gesellschaft als in anderen Bundesländern. Auffällig ist immerhin, daß Berlin und Hamburg, die beiden großen Stadtstaaten, die höchste Einbürgerungsquote haben. Die großen Flächenstaaten Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-West27 Vgl. Brubaker (1989a), S. 112. 28 Vgl. den jüngsten Bericht: S. 411 ff. zur Einbürgerungsbereitschaft verschiedener Ausländergruppen. 29 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (1996), S. 412 f. Die Befragung ist insofern fragwürdig, als nicht sichergestellt war, daß die befragten Ausländer sich zum Befragungszeitraum gleich lange im Bundesgebiet aufgehalten hatten. Der Faktor Aufenthalt im Bundesgebiet spielt nach der rechtlichen (und wohl auch nach der emotionalen) Lage aber ein wesentliche Bedeutung. 30
Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.
II. Kritik der Ergebnisse
209
falen haben dagegen die niedrigsten Einbürgerungsraten. Der Ausländerproporz ist in Berlin relativ hoch. Es ist unklar, inwiefern dieser Umstand die Integration der Ausländer als Einzelpersonen oder als Kollektiv beeinflußt. 31 Ein Ausländer, der nach Berlin kommt oder dort lebt, hat es verhältnismäßig leichter, einen Anschluß bei seinen Landsleuten zu finden, als beispielsweise ein Ausländer in Bayern. Der Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz wird durch persönliche Kontakte regelmäßig erleichtert. Das könnte dazu führen, daß ein „berliner Ausländer" sich insgesamt leichter in die deutsche Gesellschaft integriert. Möglicherweise hält die starke Einbindung in den jeweiligen ethnischen Gruppen die Ausländer aber auch fern von einer Integration ab. Diese Hypothese müßte durch präzise Unterscheidungsmerkmale und Voruntersuchungen 32 konkretisiert werden. Dem kann an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Im Ergebnis kann das allgemeine gesellschaftliche „Klima" oder die Ausländerpolitik in einem Land einen diffusen Einfluß auf die Einbürgerungsstatistik haben.
c) Parteipolitischer
Erklärungsansatz
Möglicherweise sind die Einbürgerungsstatistiken das Ergebnis unterschiedlicher Parteipolitiken. Es ist unklar, welche Macht die gewählten politischen Amtsund Entscheidungsträger auf die Verwaltung ausüben. Sicherlich verändert sich die Stärke des Einflusses mit der Höhe der Verwaltungshierarchie. Die politische Einflußnahme kennt zwei Wege: Zum einen das innerdienstliche Weisungsrecht der politischen Regierung gegenüber der Verwaltung. Die Weisung kann für den Einzelfall oder durch Verwaltungsvorschriften erfolgen. 33 Zum anderen bei der Einstellung von Verwaltungsbeamten. Während die Einflußnahme bei der Besetzung höherer Verwaltungspositionen stärker sein wird, sinkt er mit der hierarchischen Bedeutung der Positionen. Je größer die Einflußnahme der Parteien bei der Besetzung von Positionen ist, desto eher werden die Positionen mit parteinahen oder parteitreuen Leuten besetzt. Desto eher wiederum werden die internen Weisungen in verläßlicher Weise umgesetzt. Die untere personelle Struktur der Behörden ist gegenüber einem politischen Einfluß weitgehend immun. Dementsprechend besteht ein stärkerer politischer Einfluß bei der Erarbeitung von Rechtsverordnungen gemäß Art. 80 GG, ein geringerer Einfluß bei Rundbriefen. Jedenfalls ist zu vermuten, daß der politische Einfluß auf die Verwaltungsentscheidungen so groß ist, daß er sich signifikant bemerkbar macht.
31
Eine Darstellung von Integrationsbemühungen und der wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung von Ausländern in Berlin bieten die Aufsätze in dem Sammelband von Bischoff (1985). 32 Einschlägig wäre etwa die Befragung zum Integrationsverständnis von Italienern und Polen in Berlin von Schäfer/Meubauer (1990). 33
Vgl. zum Weisungsrecht ζ. B. Maurer (1997), § 9, Rn. 27 f.; § 23, Rn. 16, 23; § 24,
Rn. 1. 14 Bultmann
210
E. Untersuchungsergebnisse
Konkret würde das bedeuten, daß die geringeren Einbürgerungsraten in Bayern auf die restriktive Einbürgerungspolitik der CSU zurückzuführen wären oder umgekehrt die höhere Einbürgerungsquote in Berlin auf eine liberalere Politik der dortigen Regierungsparteien. 34 Diese Hypothese Hesse sich durch eine Längsschnittuntersuchung testen: Ändert sich die Einbürgerungsstatistik eines Landes nach einem politischen Wechsel der Landesregierung? Oder stimmen Länder mit der gleichen Regierungspartei in ihren Einbürgerungsregelungen überein? In allen drei Ländergruppen sind die Parteizugehörigkeiten der Regierungen uneinheitlich. Die jeweiligen Verteilungsmodelle der Gruppen lassen folglich keinen eindeutigen Parteieinfluß erkennen. Zwar zeigte die Inhaltsanalyse auch uneinheitliche Auffassungen innerhalb der Gruppen, eine genauere Zuordnung der Positionen zu den Ländern verbietet sich aber wegen der Vertraulichkeit der Materialien. Daher ist selbst eine globale Überprüfung der parteipolitischen Hypothese nicht möglich. Eine präzise Untersuchung müßte vor einem organisationstheoretischen Hintergrund die genauen Wege der Einflußnahme nachzeichnen und gewichten.
d) Rechtskultureller
Erklärungsansatz
Denkbar ist auch, daß die Einbürgerungsstatistiken durch die Rechtsprechung in den einzelnen Länder beeinflußt sind. Der Richter hält sich bei der Entscheidungsfindung an die höchstrichterliche Rechtsprechung. Vorrangig beachtet er die Rechtsprechung der Rechtsmittelinstanzen seines Gerichtes. Das führt zu einer regionalen Ausrichtung der Entscheidungsfindung. Man kann auch von einer „lokalen Auslegungsmethode" sprechen: Im Zweifel entscheidet sich ein Richter für die lokal anerkannte Auslegung eines Tatbestandsmerkmales. Was den Richter bewegt, bewegt auch den Verwaltungsbeamten. Da der Verwaltungsbeamte stets mit einer rechtlichen Anfechtung seiner Entscheidung rechnen muß, orientiert sich auch der Beamte an der regionalen Rechtsprechung. Eine lokal divergierende Rechtspraxis kann daher auch die Folge einer lokal divergierenden Rechtsprechung sein. Zur Prüfung dieser Hypothese wäre eine Rechtsprechungsanalyse quer durch die Länder erforderlich.
e) Unterschiedliche
Verwaltung sstruktur in den Länderbehörden
Die Einbürgerungsstatistik kann auch von den Einbürgerungskapazitäten der Einbürgerungsbehörden abhängen. Die Länder mit einem hohen Ausländeranteil und einer hohen absoluten Zahl von Ermessenseinbürgerungen sind verwaltungsorganisatorisch stärker belastet als Länder mit einem gemäßigten Andrang. Die ent34 Weiterführend könnte man untersuchen, ob die religiöse Konfession, sofern sie in einem Land relativ einheitlich ist, einen direkten oder mittelbaren Einfluß auf die Einbürgerungskultur zeitigt.
II. Kritik der Ergebnisse
211
sprechende Hypothese sieht in diesem Umstand die eigentliche Ursache für die relativ niedrige Einbürgerungsquote in den Ländern mit einem großen Andrang. Hinzu kommt, daß die Länder mit einer aufwendigeren Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen mehr Zeit für das einzelne Einbürgerungsverfahren und folglich mehr Arbeitskräfte benötigen. Insofern bestände hier ein institutioneller Verstärkungseffekt in Ländern mit einer restriktiven Einbürgerungsregelung. Diese Hypothese findet eine Resonanz in den Einbürgerungsstatistiken. Die Länder aus der Gruppe Least mit einer relativ geringen Einbürgerungsquote bürgern absolut am meisten ein. Der äußere Rahmen des Einbürgerungsverfahrens, das organisatorische Vorgehen von der ersten Anfrage eines Ausländers bis zum abschließenden Bescheid, blieb außerhalb der Betrachtung, denn für diesbezügliche Aussagen gibt das Untersuchungsmaterial nichts her. 35 Auch hier können jedoch erhebliche Unterschiede in der Praxis auftauchen. Beratende Vorgespräche können freundlich und werbend oder kühl und abweisend geführt werden. Die tatbestandlichen Ermittlungen können gründlich, oberflächlich, zügig oder langwierig erfolgen. Dieser äußere, organisatorische Ablauf bestimmt die zeitliche Dimension der Entscheidungsfindung.
f) Einheitsbedingte
Umstellung in Berlin
Mit der Vereinigung von Ost- und West-Berlin gingen viele Einbürgerungsanträge, die noch in der Deutschen Demokratischen Republik gestellt worden waren, in die Zuständigkeit der damals einzigen westberliner Einbürgerungsbehörde im Senat für Inneres über. Im Mai 1991 gab es noch etwa 2.500 anhängige Altverfahren. Informationen aus dieser Behörde zufolge, wurden viele dieser Anträge in einem vereinfachten „Einbürgerungsmarathon" erledigt. Trotz dieser Schnellverfahren gab es Anfang 1992 bei der Senatsverwaltung für Inneres einen Überhang von etwa 16.000 Einbürgerungsanträgen bei steigenden Antragszahlen. Da zum 1. Juli 1992 die Einbürgerungszuständigkeiten auf die Bezirksämter übertragen werden sollten, entschloß man sich Ende Februar 1992 die Einbürgerungsverfahren „bis zur Grenze des Vertretbaren" zu vereinfachen. Damit ist nicht zwangsläufig gesagt, daß auch erleichtert eingebürgert wurde. Ziel dieses Entschlusses war es lediglich, die Bearbeitungszeiten zu verkürzen. Man meinte, die Öffentlichkeit würde ansonsten kein Verständnis mehr für die überlangen Bearbeitungszeiten aufbringen. Außerdem wollte man die Überlastung der Verwaltungsbeamten einschränken. Beispielsweise wurde angestrebt, die Sprechzeiten zu verringern. Es läßt sich im Ergebnis nicht ausschließen, daß die einheitsbedingten Umstellungen in Berlin zu einem außerordentlichen Einbürgerungsschub geführt haben. 35 Vgl. ausführlich dazu Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 61 ff.; Hailbronner/Renner (1998), Rn. 94 ff. 14*
212
E. Untersuchungsergebnisse
Diese Hypothese ließe sich am ehesten durch gezielte Interviews der damals beteiligten Sachbearbeiter und eine Analyse der Einbürgerungsakten aus dieser Zeit falsifizieren. Selbst wenn sich der geschilderte hypothetische Verdacht bestätigen würde, wäre das Konzept von lokaler Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht dadurch unwesentlich eingeschränkt. Das Land Berlin hat als besonders abgelegener Ausreißer ohnehin einen „statistischen Bonus" in der Einbürgerungsquote, der gesondert erklärungsbedürftig ist. Der oben durchgeführte Dixon-Test zeigte lediglich für Berlin eine signifikante Ausreißerstellung.
3. Würdigung: Variablen lokaler Gerechtigkeit Die Diskussion ergab, daß die Unterschiede in den Einbürgerungsstatistiken auch durch einige andere Hypothesen erklärbar wären. Der tatsächliche Einfluß dieser Hypothesen läßt sich nur aufgrund von Plausibilitätsannahmen abschätzen, jedenfalls lassen sie sich in der vorliegenden Untersuchung nicht ausschließen. Die Hypothese über den ursächlichen Einfluß der Rechtsanwendung könnte vollständig nur durch eine breit angelegte Analyse von Einbürgerungsakten in verschiedenen Länder bestätigt werden. 36 Die beschriebenen Hypothesen relativieren zunächst jedoch nur die Annahme einer Kausalbeziehung zwischen den lokalen Verteilungsmustern und den divergierenden Einbürgerungsquoten. Die diesbezüglich hohen Korrelationen und die Beschreibung der Verteilungsmuster selbst greifen sie nicht an. Außerdem spricht die folgende Überlegung für einen kausalen Einfluß der jeweiligen Einbürgerungsregelungen auf die Einbürgerungsquote: Die vorgestellten Alternativhypothesen lassen sich nicht nur als Erklärungen für die divergierenden Einbürgerungsquoten verstehen, sondern auch als Erklärungen für divergierende Einbürgerungsregelungen. Insofern konkurrieren die verschiedenen Hypothesen nicht miteinander sondern sie ergänzen sich. Allerdings dürfte den Hypothesen, die sich auf das Ausländerprofil und die Verwaltungsorganisation beziehen gegenüber den Einbürgerungsregelungen ein eigener Einfluß zukommen. Das Zusammenwirken der verschiedenen Hypothesen verdeutlicht sich, wenn man die Hypothesen als variable Faktoren begreift. Das ist in dem folgenden Variablenschema geschehen.
36 Einen Beleg für die Notwendigkeit einer Aktenanalyse bietet folgendes Beispiel: In Berlin konnte eine Zeitlang die beabsichtigte Anfrage bei der Ausländerbehörde, ob ein aktueller Ausweisungsgrund vorliege, nicht durchgeführt werden. Die Ausländerbehörde war aus internen Gründen nicht in der Lage an dem vereinbarten Verfahren festzuhalten. Die Umsetzung von Aussagen bei den Staatsangehörigkeitsreferentenbesprechungen kann also scheitern. Derartige Hindernisse oder weitere ergänzende Verfahrensvorschriften liegen jenseits des Horizontes der untersuchten Protokolle. Im übrigen wären auch Beobachtungen oder Interviews vonnöten, beispielsweise um das „Klima" von Vorgesprächen, die dem Einbürgerungsantrag regelmäßig, eventuell auch telefonisch, vorgeschaltet sind, zu eruieren.
^—
^
Politische und persönliche Wichtigkeit des Verteilungsgutes
•
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Demographische, ökonomische und kulturelle Unterschiede
Politisches System, Regierungsvielfalt
—
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Kontrolle der Verteilung durch die Öffentlichkeit
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Kontrolle der Verteilung durch eine zentrale Aufsichtsinstitution
Organisatorische Unterschiede, ^ zB privat-/ öffentlich-rechtlich ^^
/ ( den verteilenden Institutionen
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2 Τ
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Varianz der Verteilungspraktiken
Weite der gesetzlichen Vorschrift bzw. des Ermessensspielraumes ^
^ Unterschiede zwischen
Unterschiedliche WirkungsZentren der Institutionen ^
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Komplexität des Verteilungsziels
Diagramm 7: Variablenschema „Varianz der Verteilungsverfahren"
Komplexität der Wirklichkeit im
Vielschichtigkeit des Verteilungsgutes
II. Kritik der Ergebnisse 213
214
E. Untersuchungsergebnisse
Das Schema abstrahiert von dem konkreten Beispiel der lokalen Gerechtigkeiten im Einbürgerungsrecht. Es erklärt allgemein die Varianz von lokalen Gerechtigkeiten als abhängiger Variable. Die Linien bezeichnen „je-desto-Zusammenhänge". Die durchgezogenen Linien symbolisieren einen positiven Zusammenhang zwischen den Variablen; die gestrichelten Linien einen negativen Zusammenhang. Die Inhaltsanalyse bezog sich auf die Variable „Weite des Ermessens". Je weiter der Entscheidungsspielraum der lokalen Akteure ist, desto größer ist im Regelfall die Varianz der Verteilungsmuster. Die abhängigen Variablen „Komplexität des Verteilungsziels" und „Komplexität der Wirklichkeit im Hinblick auf das Verteilungsziel" bestimmen die Weite des eingeräumten Ermessens. Ein breiter Ermessensspielraum kann freilich auch das Ergebnis einer gesetzgeberischen Zufallsentscheidung sein. Im Normalfall bedingt aber die Komplexität eines Lebenssachverhaltes, daß er sich einer präzisen Allgemeinregelung entzieht. Die Rechtsanwender müssen dann die Umstände des Einzelfalles stärker berücksichtigen, und dem trägt der Gesetzgeber Rechnung, indem er ein Ermessen einräumt. Die beide Variablen bezeichnen verwandte Bedingungen einer Verteilungsregelung. Die Komplexität des Verteilungsziels ist hoch bei inhaltlich unbestimmten Zielvorstellungen. Das Ziel „wertvoller Bevölkerungszuwachs" ist hierfür ein Beispiel, weil es eine Wertung erfordert. Ein Beispiel für eine geringe Komplexität wäre das klare Ziel „hunderttausend Einbürgerungen pro Jahr". Die Komplexität der Wirklichkeit ist groß bei einer Vielzahl von Sonderumständen und Ausnahmekonstellationen. In Verteilungssituationen wird diese Variable häufig durch die Empfänger eines Gutes bestimmt, bespielsweise, wenn das Regelungsziel „Vermeidung von Mehrstaatigkeit" Ausnahmen zuläßt, die Ausnahmebedingungen aber für jedes Herkunftsland neu festzustellen sind. Diese beiden Variablen werden von der abhängigen Variable „Vielschichtigkeit des Verteilungsgutes" beeinflußt. Diese Variable bezieht sich auf das Verteilungsobjekt und seine (soziale, wirtschaftliche, politische, etc.) Bedeutung. Je mehr Dimensionen von einem Gut betroffen sind, desto größer ist die Zahl der beteiligten Akteure und desto komplizierter wird die Bestimmung des Verteilungsziels und des Verteilungskontextes. In dem Schema tauchen einige Variablen auf, die bislang nicht diskutiert wurden. Sie entstammen dem Kontext der Theorie über lokale Gerechtigkeit. Die Variable „Unterschiede zwischen den verteilenden Institutionen" beschreibt die verteilenden Akteure in ihrer Arbeit „vor Ort". Die abhängigen Variablen „Unterschiedliche Wirkungszentren der Institutionen" und „Organisatorische Unterschiede" enthalten die wesentlichen Merkmale, anhand derer sich die Verteilungsinstitutionen vergleichen lassen. Das sind zum einen die äußeren Umstände und Anforderungen, mit denen eine Institution zu kämpfen hat, zum anderen die innere Struktur, mit der sie auf die äußeren Bedingungen reagiert. Die innere Struktur betrifft unter anderem die Rechtsform, die Verwaltungsstruktur, die Auswahl der Arbeitnehmer und die technische Ausrüstung. Die „Sorgfalt" mit der eine Institution ausgerüstet wird, hängt von der Wichtigkeit ihrer Aufgaben ab. Je wichtiger ihre Funktionen für die Allgemeinheit, für bestimmte Individuen oder Gruppen sind,
II. Kritik der Ergebnisse
215
desto stärker sind die Interessen am Funktionieren der Institution selbst. Diese Wichtigkeit wird durch die Bedeutung des Verteilungsgutes bestimmt. Sie variiert mit der Verschiedenheit der Verteilungsgüter und den kulturellen Umständen: Was in dem einen Land lebensnotwendig und knapp ist, kann in einem anderen Land im Überfluß vorhanden sein. Maßgeblich bestimmt wird die Organisationsstruktur von den rechtlichen (rechtstaatlichen), ökonomischen (Haushaltspläne, etc.), sozio-kulturellen und bevölkerungsstrukturellen Faktoren. Diese Faktoren bedingen ebenfalls die Eigenheiten der „Verteilungswirklichkeit". Die unabhängige Variable „Politisches System, Regierungsvielfalt" soll den besonderen Einfluß politischer Akteure auf die Verteilungsumstände demonstrieren. Diese drei unabhängigen Variablen bestimmen letztlich die Charakteristika der Verteiler eines Gutes. Die Erfahrung lehrt, daß diese Faktoren sich umso stärker unterscheiden, je größer die geographische Distanz zwischen den Verteilungsorten ist. Die verteilenden Institutionen sind im Regelfall eben auch räumlich getrennt. Die unabhängige Variable „politische und persönliche Wichtigkeit des Verteilungsgutes" ist der ausschlaggebende Faktor für die Mobilisierung von Kontrollinstanzen. Die Verteilungspraxis wird regelmäßig von der Öffentlichkeit begleitet. Maßgeblichen Einfluß gewinnt sie häufig nur bei der Bewältigung von Skandalfällen, wenn sie zeitlich und sachlich punktuell die Aufmerksamkeit der Medien und verantwortlichen Politiker konzentriert. Das ist beispielsweise der Fall, wenn in gewissen zeitlichen Abständen das Einbürgerungsrecht oder Probleme der Ausländerintegration in den Parlamenten thematisiert werden. Im Anschluß an derartige Debatten rühren sich auch die Medien und individuelle Kommentatoren, die allgemeine Diskussion wird angeregt. Das dabei ein spürbarer Druck erzeugt wird, spiegelt die Untersuchung an den Stellen wider, an denen die Referenten mit der öffentlichen Meinung argumentieren. Eine beständige Kontrolle dagegen muß organisiert sein. Möglich ist das beispielsweise durch staatliche Aufsichts- oder Regulierungsbehörden oder durch privatrechtliche Zusammenschlüsse (ζ. B. Bund der Steuerzahler). Die Zustimmungsregelung im Einbürgerungsrecht macht das Bundesinnenministerium faktisch zu einer Aufsichtsbehörde. Allerdings zeigte die Untersuchung, daß trotz dieser bundeseinheitlichen Aufsicht eine Varianz der Einbürgerungsregelungen besteht.
F. Lokale Gerechtigkeit im Recht Die empirische Untersuchung hat lokale Gerechtigkeiten im Einbürgerungsrecht nachgewiesen. Zwar ist das Einbürgerungsrecht in seiner Konstruktion mit vielen unbestimmten Rechtsbegriffen und einem Generalvorbehalt des öffentlichen Interesses ein Rechtsgebiet besonderen Charakters. Das allgemeine Merkmal des Einbürgerungsrechts ist jedoch dessen breiter Ermessensspielraum. Ermessensvorschriften sind im Verwaltungsrecht nichts Ungewöhnliches.1 Lokale Gerechtigkeit existiert vermutlich auch in anderen rechtlich geregelten Verteilungsbereichen. Lokale Gerechtigkeit erzeugt Ungleichheiten. Gleichheit und Gleichbehandlung sind der Ausgangspunkt aller normativen Überlegungen zur Gerechtigkeit. Man kann die gesamte Philosophie zur Gerechtigkeit als Versuche lesen, bestehende Ungleichheiten zu rechtfertigen - oder umgekehrt als ungerecht zu verdammen. Das gilt vor allem in gesetzlich geprägten Verteilungsbereichen, in denen die verteilenden Institutionen ,jene[r] Objektivierung [...], welche dem Rechtsanwendungsgedanken in dem vom Begriff 'Recht' und seinen Implikationen geforderten Postulat der kontrollierbaren Gleichsamkeit und Kontinuität gerecht" 2 werden sollen. Insofern mag lokale Gerechtigkeit einen Anstoß erregen.
I· Ist lokale Gerechtigkeit rechtmäßig? Das Phänomen lokaler Gerechtigkeit könnte 1. gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG 3 oder 2. gegen den rechtstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes verstoßen. 1. a) Lokale Gerechtigkeit verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, wenn die Verwaltungsbehörden der Länder wegen Art. 3 Abs. 1 GG das Bundesrecht gleichförmig anwenden müssen. Grundsätzlich ist die Verwaltung gemäß Art. 3 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 3 GG („vor dem Gesetz") zur sogenannten Rechtsanwendungsgleichheit verpflichtet. Die Frage ist, was in diesem Zusam1 Vgl. ζ. B. die rechtlich geregelten Verteilungsbeispiele in Kloepfer/Reinert (1995), S. 48 ff. Elster (1992), S. 63 f. beobachtet einen Trend in westlichen Gesellschaften, Ermessensvorschriften durch mechanische Verfahren zu ersetzen. 2 Esser (1972), S. 190. 3
Die lex specialis des Art. 3 Abs. 3 GG ist nicht einschlägig, da „Heimat" nicht die Staatsangehörigkeit umfaßt, vgl. BVerfGE 51, 1, 30; 23, 288, 295 f., 314; BVerwGE 22, 66, 69 f.; Stern (1984), S. 273, Fn. 125 mwN.
I. Ist lokale Gerechtigkeit rechtmäßig?
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menhang unter dem Begriff der „Verwaltung" zu verstehen ist, wie weit der Grundsatz der Rechtsanwendungsgleichheit also reicht. Die Antwort auf diese Frage hängt ab von dem Verhältnis, in dem das Bundesstaatsprinzip und der Gleichheitssatz zueinander stehen. Die föderative Staatsstruktur, die bundesstaatliche Ordnung, ist gemäß Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG ein integraler und unumstößlicher Verfassungsgrundsatz. 4 Das Bundesstaatsprinzip garantiert den einzelnen Ländern einen Kernbereich an Eigenstaatlichkeit.5 Dementsprechend führen sie die Bundesgesetze gemäß Art. 83, 84 GG „als eigene Angelegenheit" aus. Es liegt in der Konsequenz dieser kompetenzrechtlichen Gliederung, daß die Länderverwaltungen Gestaltungsfreiräume haben und nutzen. In den verschiedenen Ländern enstehen jeweils Rechtsanwendungspraktiken, die unter Gleichheitsgesichtspunkten als „Gefällesituationen" 6 erscheinen können. Eine divergierende Behördenpraxis unter den Ländern ist rechtlich jedoch vom Grundsatz der ländereigenen Verwaltung gedeckt.7 Neben dem allgemeinen Homogenitätsgebot aus Art. 28 Abs. 1 GG 8 ist das einzige rechtsdogmatische Vehikel zur „Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse" im Bundesgebiet der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Er entfaltet eine bundesweite horizontale Geltung unmittelbar jedoch erstens nur im öffentlichen Recht9 und zweitens nur bei der Anwendung von Bundesrecht 10. Das Ausmaß der rechtlich zu erwartenden Gleichbehandlung ist dabei von der Regelungsdichte des betreffenden Gesetzes und der Homogenität der Einzelfälle abhängig. Die bundesweite Rechtsanwendung ist umso einheitlicher, je präziser ein Sachverhalt durch ein Bundesgesetz geregelt ist. Das Problem lokaler Gerechtigkeit stellt sich aber 4 Vgl. nur BVerfGE 34, 9, 19 ff. 5 Kurzer Überblick bei Ossenbühl, DVB1. 1989,1230, 1231 f. 6 Vgl. Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 233 und 241. Zum Problem des Gleichheitsgefälles innerhalb eines Landes vgl. Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 243 ff. 7 Vgl. Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 237. Zu den gesetzgeberischen Mechanismen landesstaatlicher Eigenheiten, vgl. Rn. 234 ff. s Vgl. Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 242, der als anschauliches Beispiel für homogenitätsfeindliche Regelungen „diametral verschiedene Wahlsysteme" nennt. Das Homogenitätsgebot verlangt nur eine allgemeine Gleichförmigkeit in der verfassungsmäßigen Ordnung in den Ländern und ist vorliegend deshalb nicht weiter einschlägig. 9 Im Privatrecht gilt der Gleichheitssatz unmittelbar nur in Ausnahmefällen (ζ. B. bei der Monopolstellung eines Unternehmens oder über § 611a BGB im Arbeitsrecht), ansonsten mittelbar über Generalklauseln. Die Verwirklichung der Grundrechte im Privatrecht ist Sache des Gesetzgebers, vgl. Hesse (1995), Rn. 351 ff. Das Ausmaß der Einwirkung von Grundrechten auf das Privatrecht wird gegenwärtig jedoch heftig diskutiert. Bislang ist der Gleichheitssatz jedoch kein unmittelbarer Maßstab für die Privatrechtskontrolle und damit auch nicht für lokale Gerechtigkeit im Privatrecht. 10 Bei der Anwendung von Landesgesetzen ist die Geltung des Gleichheitssatzes von vorneherein auf das betreffende Landesterritorium beschränkt. Sofern die Gesetzgebungskompetenz für einen Regelungsbereich gemäß Art. 70 ff. GG bei den Ländern liegt, sind Phänomene lokaler Gerechtigkeit daher über Art. 3 Abs. 1 GG nicht angreifbar.
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gerade nicht in den Fällen, in denen ein Verteilungsbereich durch Bundesgesetze präzise ausgestaltet ist, sondern wenn unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessenklauseln an die Stelle konkreter gesetzlicher Tatbestandsmerkmale treten. In diesen Fällen existieren lediglich faktische Gebräuche der Verwaltungsbehörden oder interne Verwaltungsvorschriften, die die vagen Gesetzesnormen konkretisieren. Fraglich ist, ob die Verwaltung hinsichtlich der Rechtsanwendungsgleichheit bei der Anwendung dieser Normen freier ist. An interne Verwaltungsvorschriften - gleich ob sie bundeseinheitlich formuliert oder erlassen sind oder nicht - ist die Verwaltung gegenüber den Betroffenen nur dann gebunden, wenn diese Vorschriften eine „Außenwirkung" entfalten. Eine Außenwirkung entsteht, wenn die Verwaltungsvorschriften in einer beständigen und gleichmäßigen Verwaltungspraxis gegenüber den Betroffenen angewendet werden. In diesen Fällen bindet sich die Verwaltung über den Gleichheitssatz selbst an ihre Vorschriften, das heißt, sie darf nicht ohne sachlichen Grund von ihrer bisherigen Verwaltungspraxis abweichen.11 Die Behörde ist gerichtlich nachprüfbar an ihre Verwaltungsvorschriften gebunden.12 Daher richtet sich die Rechtmäßigkeit von lokaler Gerechtigkeit zunächst nach der zugrundeliegenden Rechtsmaterie - deren Regelungsdichte und deren Anwendung. In ermessensgeprägten Verteilungsbereichen kommt der vereinheitlichende Gleichheitssatz hauptsächlich über die rechtsdogmatische Figur der Außenwirkung zur Geltung. Vorausgesetzt, die einschlägigen Verwaltungsvorschriften entfalten eine Außenwirkung, stellt sich die weitere Frage, in welchem räumlichen Umfang eine Selbstbindung der Verwaltung bestehen kann. Nach allgemeiner Meinung ist die Selbstbindung örtlich beschränkt. Sie gilt immer nur für die Behörde oder die Behörden, die eine bestimmte Praxis herausgebildet haben.13 Eine solche Lösung vermeidet die praktischen und normativen Probleme, die eine Kollision unterschiedlicher Verwaltungsgebräuche verschiedener Behörden mit sich brächte. Die Verwaltung kann daher maximal auf Landesebene, nicht aber auf Bundesebene eine Selbstbindung auslösen.14
u Z. B. BVerwG, DVB1. 1986, 110. Speziell hinsichtlich der Einbürgerungsrichtlinien, BVerwG, EZAR 271, Nr. 13. Die Dogmatik um die Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften ist freilich komplizierter, hier jedoch ohne weiteren Belang, vgl. ζ. B. Maurer (1997), § 24, Rn. 20 ff. und die dort zitierte Literatur. 12 Verstöße gegen rein interne Verwaltungsvorschriften ohne Außenwirkung kann ein Betroffener allenfalls in eine Dienstaufsichtsbeschwerde anfechten. Ein Betroffener kann vor Gericht nicht geltend machen, eine Behörde wende ihre eigenen Verwaltungsvorschriften falsch an, vgl. v. Münch/Kunig (1992) - Gubelt, Art. 3 GG, Rn. 39. 13 Vgl. das BVerfG in einer frühen Entscheidung E 1, 82, 85; BVerwGE 70, 127, 132; Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 440 ff.; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 46; Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 10. Die Feinheiten der Selbstbindungsproblematik interessieren hier nicht. Entscheidend ist allein, daß die ganz herrschende Meinung mit überzeugenden Argumenten davon ausgeht, daß die Selbstbindung der Verwaltung jedenfalls nicht über die Ländergrenzen hinausreichen kann.
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Im Einbürgerungsrecht besteht die weitere Besonderheit, daß das Bundesrecht durch die bundeseinheitlichen Einbürgerungsrichtlinien konkretisiert wird. Die Einbürgerungsrichtlinien wurden zwar von den Länderverwaltungen jeweils gesondert erlassen, jedoch in allen Ländern gleichlautend. Aus diesem Umstand könnte sich die Verpflichtung der Länderbehörden zur einheitlichen Anwendung der einbürgerungsrechtlichen Verwaltungsvorschriften ergeben. Hingegen ergibt sich der konkrete Inhalt des Handelns, an das die Verwaltung gebunden werden soll, allein aus dem tatsächlichen Verhalten der Behörden. Der Wortlaut der Verwaltungsvorschriften oder ihre Auslegung sind unbeachtlich und von den Gerichten nicht zu erwägen, wenn die Behörde selbst von dem Vorschriftentext abgeht.15 Insofern ergibt sich allein aus dem Umstand, daß die Einbürgerungsrichtlinien bundeseinheitlich formuliert sind, keine Verpflichtung der Einbürgerungsbehörden zu einer bundesweit einheitlichen Einbürgerungspraxis. Der rechtsstaatliche Gleichheitssatz und die bundesstaatliche Verwaltungsvielfalt stehen folglich in keinem Spannungsverhältnis zueinander, sondern koexistieren friedlich miteinander. Regional divergierende Rechtsverständnisse fallen unter den Kernbereich des Bundesstaatsprinzips. Sie lassen sich durch die normative Kraft des Gleichheitsgrundsatzes nicht beheben. b) Wenn die Länderverwaltungen nicht durch den Gleichheitssatz zur einheitlichen Anwendung von Bundesrecht gewungen sind, fragt sich, ob der Bundesgesetzgeber wegen Art. 3 Abs. 1 GG einschreiten muß, um die bestehende Ungleichbehandlung bei der Rechtsanwendung auszuräumen. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG ist auch der Gesetzgeber an den Gleichheitssatz gebunden.16 Er ist daher verpflichtet, Gesetze zu schaffen, die inhaltlich dem Gleichheitsgebot genügen, indem sie wesentlich gleiche Sachverhalte im wesentlichen gleich regeln. Dieses materielle Gleichheitsgebot ist jedoch nicht das vorliegende Problem. Der Gesetzgeber kann zur Rechtsanwendungsgleichheit nur dann beitragen, wenn er durch seine Gesetzgebung dafür sorgen müßte, daß die Verwaltung die Gesetze gleich anwendet. Da14 Allerdings lehrt die Sicht der Rechtsunterworfenen, daß diese bei ihrer Beurteilung der Rechtsordnung nicht an kompetenzrechtlichen Grenzen halt machen. Der Geltungsbereich einer Rechtsvorschrift oder einer Behördenpraxis interessiert nicht den, der sich ungleich behandelt vorkommt, vgl. Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 239 f. Die Bewerber und potentiellen Empfänger eines Verteilungsgutes oder sonstiger staatlicher Leistungen sind weitgehend Opfer institutioneller Verteilungspraktiken. Als third-level actors oder über die öffentliche Meinung üben sie regelmäßig nur einen punktuellen Einfluß auf die Verteilungsgestaltung aus. 15 BVerwGE 44, 6, 138, Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 9. Entscheidend ist, ob die Behörde ihr Ermessen anders ausgeübt hat als bislang. Das ist gegenüber dem Betroffenen nur dann gerechtfertigt, wenn die Behörde einen sachlichen Grund für diese Abweichung nennen kann. Beispielsweise müßte sie nachweisen, daß sich die Verwaltungspraxis bereits geändert hatte, vgl. BVerwG, DVB1. 1986, 110; Meyer, NVwZ 1987, 15, 21; Stein, DÖV 1984, 177, 186; allgemein Maurer (1997), § 24, Rn. 21 ff. und die dort zitierte Literatur. 16 Zur Bindung des Gesetzgebers an Art. 3 Abs. 1 GG aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur: Martini (1997), S. 17 ff.
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zu müßten die Gesetze so detailliert und bestimmt sein, daß sie den Entscheidungsspielraum der Verwaltung gegen Null verengten. Das ist eine Frage der Regelungsdichte von Gesetzen. (1) Soweit die Regelungsdichte zwecks bundeseinheitlicher Gesetzesanwendung im Raum steht, betrifft sie das Gleichheitsgebot. Das Verhältnis zwischen Gleichheitsgebot und Bundesstaatsprinzip wird für die Gesetzgebung ähnlich beurteilt wie für die Rechtsanwendung. Eine rechtliche Überlagerung des Bundesstaatsprinzips durch den Gleichheitssatz lehnt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung ab. Der Gesetzgeber ist nur innerhalb seines Kompetenzbereiches an den Gleichheitssatz gebunden und der einzelne hat auch nur in diesem Rahmen einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Die Gesetzgeber in Bund und Ländern müssen sich bei ihrer jeweiligen Gesetzgebung also nicht an bestehenden Regelungen anderer Gesetzgeber orientieren. Insofern ist die „Autonomie der Normsetzungsorgane" anerkannt. Eine Angleichung unterschiedlicher rechtlicher Regelungen durch verschiedene Normsetzer ist von Art. 3 GG nicht verlangt. 17 Dieses Verhältnis zwischen dem Bundesstaatsprinzip und Art. 3 Abs. 1 GG wird durch das numerus-clausus-Urteil 18 allenfalls tendenziell verändert. 19 In diesem Urteil wird festgestellt, daß „einseitige Begünstigungen der Einwohner eines Landes eine Ungleichbehandlung anderer Staatsbürger bewirken" 20 können. Das sei der Fall, wenn in grundrechtlich geschützten Bereichen ein Lebenssachverhalt betroffen sei, „der seiner Natur nach über die Landesgrenzen hinausgreift und eine für alle Staatsbürger der Bundesrepublik in allen Bundesländern gleichermaßen gewährleistete Rechtsposition berührt" 21 . Der „Gesetzgeber in Bund und Land" 22 müsse sich in diesen Fällen als Einheit behandeln lassen, selbst wenn die betreffende Materie in die Gesetzgebungskompetenz der Länder falle. Ausgehend von dieser Rechtsprechung müßten Bundes- und Landesgesetzgeber unter den genannten Voraussetzungen jede Ungleichbehandlung der Staatsbürger gleich, ob sie unmittelbar auf einer Gesetzesregelung oder erst auf deren Anwendung beruhte - beseitigen: Sie müßten für das gesamte Bundesgebiet einheitliche Rechtsvorschriften schaffen, die darüber hinaus so konkret formuliert sein müßten, daß eine gleichförmige Anwendung dieses Rechts gewährleistet wäre. Für das kon-
n BVerfGE 76, 1, 73; 33, 303, 352; 33, 224, 231; 32, 346, 346. Vgl. auch Maunz/Dürig (1997) - Herzog (1994), Anh Art. 3, Rn. 38. 18
BVerfGE 33, 303, 358. Zur Kritik an diesem Urteil, dessen föderativer Aspekt „am schwächsten ausgefallen" sei, vgl. Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 242a. 19 So auch die Einschätzung von Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 242a. Maunz/Dürig (1997) - Herzog (1994), Anh Art. 3, Rn. 39 schreibt, es sei „offen geblieben", ob das Urteil eine generelle Beachtung fordere. 20 BVerfGE 33, 303, 352. 21 BVerfGE 33, 303, 352 und 358. 22 BVerfGE 33, 303, 358.
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krete Problem divergierender Rechtsanwendung des Einbürgerungsrechts hat die numerus-clausus-Rechtsprechung jedoch aus zwei Gründen keine Auswirkungen. Zum einen ist die Einbürgerung kein grundrechtlich verbrieftes Recht der Ausländer. 23 Zum anderen ergibt sich aus der Zusammenschau der Art. 73 Nr. 2 und 74 Nr. 8 GG, daß die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nur Sache des Bundes ist. Die Länder besitzen eine Eigenstaatlichkeit mit einem eigenen Staatsvolk.24 Sie haben die Kompetenz, eigene Staatsangehörigkeitsgesetze zu erlassen. Folglich greift die Staatsangehörigkeit nicht einseitig über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus. (2) Soweit diese Frage allgemein das Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Verwaltung betrifft, gehört sie nicht mehr in die rechtsdogmatische Kategorie des Gleichheitssatzes, sondern des rechtstaatlichen Gebots der Gewaltenteilung und wird sogleich unter 2. diskutiert. 2. Der Verwaltungsspielraum der Länder und damit das Entstehen von lokalen Gerechtigkeiten beruhen auf den zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensvorschriften des Einbürgerungsrechts. Möglicherweise verstoßen Rechtsnormen diesen Typs und insbesondere die § 8 oder § 9 RuStAG gegen den rechtstaatlichen Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und die Wesentlichkeitstheorie. Der Gesetzesvorbehalt besagt, daß Verwaltungshandeln grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage, einer Ermächtigungsnorm bedarf. Dieser Grundsatz ist ein Ausfluß aus dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG. 25 Wenn die Teilung der Staatsgewalt zwischen Parlament und Exekutive funktionieren soll, müssen die ermächtigenden Gesetze nach Inhalt und Zweck hinreichend bestimmt sein (Bestimmtheitsgebot). Andernfalls führt die Verwaltung nicht mehr die Gesetze aus, sondern entscheidet selbst anstelle des Gesetzgebers.26 Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensvorschriften könnten daher wegen mangelnder Bestimmtheit grundsätzlich verfassungswidrig sein. Die genauere Betrachtung der Gewaltenteilung unter dem Grundgesetz lehrt jedoch, daß der Gesetzesvorbehalt nicht uneingeschränkt und in der Weise gilt, daß Parlamentsgesetze jegliches Verwaltungshandeln im Detail vorschreiben müßten. Die Gewalten sind nach dem Grundgesetz nicht strikt getrennt, sondern in einem vielschichtigen Kompetenz- und Kontrollgefüge miteinander verwoben. 27 Lediglich der „Kernbereich" jeder Gewalt ist verfassungsrechtlich geschützt.28 Der Um23 Aus dem einfachrechtlichen Einbürgerungsanspruch für bestimmte Ausländergruppen, vgl. oben unter C. I. 1. a, folgt noch kein „Grundrecht auf Einbürgerung", das überwiegend abgelehnt wird, vgl. unten Fn. 36. 24 Vgl. ζ. B. Stern (1984), S. 260 f., 667 ff. 2 5 Ζ. B. BVerfGE 49, 89,126.; 40, 237, 248.
BVerfGE 8, 274, 325. Grundsätzlich zum Bestimmtheitsgebot auch BVerfGE 56, 1, 12 ff. 2 ? Vgl. zur Zuordnung der einzelnen Gewalten ζ. B. Hesse (1995), Rn. 476 ff.
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fang des Kernbereichs ist nicht abstrakt festgelegt, sondern im Einzelfall erst argumentativ zu begründen. Trotz dieser Unsicherheiten in der Bestimmung der jeweiligen Kernbereiche führt die Vorstellung von Kernbereichen weiter zu dem Gedanken, daß die Exekutive - selbst wenn das rechtstatsächlich möglich wäre - nicht vollständig den Vorschriften der Legislative unterworfen sein darf. Wo es Kernbereiche gibt, existieren auch Randbereiche, in denen die verfassungsrechtlichen Kompetenzen nicht klar geschieden sind. Deshalb sind unbestimmte Gesetzesbegriffe 29 und Ermessensvorschriften 30, die der Verwaltung einen Entscheidungsspielraum belassen, verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Das Scharnier zwischen den Lehren vom Gesetzesvorbehalt und vom Kernbereich der Gewalten bildet die Wesentlichkeitstheorie. Die Wesentlichkeitstheorie legt stillschweigend einen Kernbereich der Verwaltung zugrunde und gibt vor allem vor, welche Entscheidungen zwingend vom Parlament zu treffen sind. Wegen des demokratischen Prinzips der Volkssouveränität, Art. 20 Abs. 2 GG, ist das den Volkswillen repräsentierende Parlament gehalten, „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen" 31 und sie gerade nicht der Verwaltung zu überlassen. Diese Kompetenz gehört zum Kernbereich der Legislative. Die Wesentlichkeitstheorie ist problematisch, denn sie ist vage, umstritten und kaum geeignet, handhabbare Beurteilungskriterien zu liefern. 32 Gesichert ist wohl nur, daß ein Gesetz umso ausführlicher und bestimmter sein muß, je umfassender und intensiver durch das Gesetz in Rechtspositionen der Betroffenen eingegriffen werden soll. 33 Gesetze, die diesen Anforderungen nicht standhalten, oder Anordnungen, die aufgrund derartiger Gesetze ergehen, sind verfassungswidrig. Vor dem Hintergrund dieser Prämisse wird die Verfassungsmäßigkeit von § 8 und § 9 RuStAG problematisiert. Die verfassungsrechtlich verlangte Bestimmtheit sei bei § 9 RuStAG bedenklich und bei § 8 RuStAG nicht gegeben.34 Viele „wesentlichen" Entscheidungen fielen erst auf der Verwaltungsebene. Ein Ausländer, dem ein Einbürgerungsbegehren versagt werde, sei in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit beeinträchtigt. Wegen Art. 2 Abs. 1 GG bedürfe eine derart belastende Maßnahme einer gesetzlichen Grundlage, die bindende Maßstäbe enthalten müsse. Die Gegenmeinung argumentiert, Ausländer hätten gerade keine grundrechtlich verbürgte Einbürgerungschance. Die Entscheidung, ob ein Einbürgerungsanspruch zuerkannt werde, stehe daher zur Disposition des Gesetzgebers, der 28 BVerfGE 34, 52,59; 30, 1, 27 f.; 9, 268, 280. 29 Diesbezüglich ζ. B. BVerfGE 49, 89, 133. 30 Hierzu ζ. B. BVerfGE 9, 137, 146 ff. 31 32 33 34
BVerfGE 61, 270, 275. Vgl. auch BVerfGE 49, 89, 126; BVerwGE 68, 69,72. Vgl. ζ. B. die Darstellung bei Umbach (1984), S. 111 ff. Vgl. BVerfGE 49, 89, 127. Zuleeg, DÖV 1973, 361, 365.
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diese Entscheidung mittels einer Ermessensregelung der Verwaltung übertragen könne.35 Die Einbürgerung sei mithin keine wesentliche Entscheidung. Mit diesen Gründen wird die Verfassungsmäßigkeit der §§ 8 und 9 RuStAG überwiegend bejaht. 36 Allerdings demonstriert die Diskussion um diesen Punkt, daß hier ein Grenzfall vorliegt. 37 Gemessen an Gleicheitssatz und Gesetzesvorbehalt ist lokale Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht als eine rechtmäßige Ausprägung des Bundesstaatsprinzips zu beurteilen. Die Rechtmäßigkeit von lokaler Gerechtigkeit als mutmaßlich gängiges Phänomen in ermessensgeprägten Bereichen des Verwaltungsrechts läßt sich nicht abstrakt und ohne Betrachtung der konkret einschlägigen Bestimmungen beurteilen. Immerhin waren die Möglichkeiten und Grenzen für eine divergierende Behördenpraxis in den Ländern erkennbar.
I I . Ist lokale Gerechtigkeit gerecht? Weder rechtstaatliche noch bundesstaatliche Gesichtspunkte konnten das Phänomen einer lokalen Gerechtigkeit anfeinden. Die Unterschiede in den Länderverwaltungen treten nicht in das rein juristische Blickfeld. Deshalb werden nun gerechtigkeitstheoretische, sozialphilosophische sowie rechtspolitische und rechtsmethodische Überlegungen angestellt. Zuvor muß die Fragestellung genau eingegrenzt werden: Ausgegangen wird von der Idee, daß Gerechtigkeit die erste Tugend von Institutionen ist. 38 Diesbezüglich 35 Schapp, DÖV 1973, 593 f., der Zuleeg allerdings zugesteht, daß bezüglich § 8 RuStAG ein „Defizit an ,objektiver Rechtsstaatlichkeit' festzustellen ist". 36 Mit knapper Selbstverständlichkeit BVerwGE 67, 177, 182; Makarov/v. Mangoldt (1993), § 8 RuStAG, Rn. 7; Schnapp, DÖV 1973, 593; kritisch, aber ohne klare conclusio Müller (1986), S. 120 ff. Möglicherweise hat sich das Meinungsgefüge etwas verschoben. Bleckmann, NJW 1990, 1397,1399 f. begründet den Begriff einer „materiellen Staatsangehörigkeit", die im Gegensatz zur formellen Staatsangehörigkeit nicht die rechtliche Zugehörigkeit betrifft, sondern die erfolgreiche Integration und tatsächliche Zugehörigkeit zur deutschen Nation. Die materielle Staatsangehörigkeit begründe ein Treuverhältnis zwischen dem Staat und dem Individuum, das den Staat zur Einbürgerung verpflichte. Ein Einbürgerungsanspruch bestehe entgegen der herrschenden Meinung jedenfalls für Einbürgerungen gemäß § 9 RuStAG, wenn die Behörde bereits eine Zusicherung erteilt habe. Marx (1997), S. 43 ff. geht noch weiter. Er kommentiert ausführlich und kritisch die „Doktrin der materiellen Staatsangehörigkeit", weil sie einer Ausländerintegration überaus hinderlich sei. Franz, ZAR 1988, 148 ff. plädiert für einen „Einbürgerungsanspruch für Nichtdeutsche mit Bleiberecht". Das sei durch das demokratische Prinzip und die grundgesetzlichen Menschenrechte geboten. Alle drei Autoren nehmen jedoch keine Stellung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 8 und 9 RuStAG. 37 Fraglich ist insbesondere, inwieweit § 8 RuStAG „sehenden Auges" für verfassungsmäßig erklärt wurde. Empirische Untersuchungen über die Einbürgerungspraxis der Länder lagen bislang nicht vor. Das Ausmaß divergierender Rechtsanwendung konnte nur geahnt werden. Vor dem Hintergrund empirischer Erkenntnisse über lokale Gerechtigkeiten könnte die Diskussion auf eine breitere Basis gestellt werden.
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soll es im folgenden nicht um die Frage gehen, ob sich die angestrebte Gerechtigkeit sozialer Institutionen darin erschöpft, daß sie rechtmäßig handeln.39 Ebensowenig soll die gerechte Auswahl der jeweiligen Verteilungskriterien eines Verfahrens erwogen werden, die Frage also, ob ein Muster lokaler Gerechtigkeit adäquate und konsensfähige Verteilungskriterien verwendet. 40 Im Fokus ist also nicht die einzelne Institution oder die Bewertung bestimmter Verteilungsverfahren. Hier geht es nur um die Frage, ob eine Welt gerecht ist, in der verschiedene Institutionen unterschiedliche Gerechtigkeitskonzeptionen verwirklichen. Wäre es wünschenswert, die institutionellen Praktiken stärker „gleichzuschalten"? Wäre das überhaupt möglich?
1. Gerechtigkeitstheoretische Argumente „Lokale Gerechtigkeit - globale Ungerechtigkeit?" dieser Frage stellt sich Jon Elster nur nebenbei.41 Wenn verschiedene Institutionen unterschiedlich verteilen, kann es global Ungleichheiten und damit Ungerechtigkeiten geben. Die Lösung, die Elster anbietet, ist ein „interinstitutioneller Ausgleich": Ungerechtigkeiten in einem Bereich sollten aufgefangen werden durch Privilegierungen in anderen Bereichen. Kriegsveteranen beispielsweise würden in vielen Verteilungsbereichen bevorzugt behandelt und auf diese Weise für ihre Opfer als Kriegsteilnehmer entschädigt. Hinsichtlich der verbleibenden Ungerechtigkeiten verweist Elster fatalistisch auf das Schicksal, das sich eben nicht aus dem Leben verbannen lasse.42 Es ist un38 Oben Β. 1.4. 39 Diese Frage stellt sich Jürgen Habermas (1992), S. 541 ff.: „Wie ist Legitmität durch Legalität möglich?" Beispielsweise wäre auch das rechtspositivistische Argument zu diskutieren, das Otfried Höffe (1989), S. 18 referiert und später kritisiert: „In einem komplex austarierten, dennoch uneingeschränkt positiven Gefüge hat die Berufung auf eine überpositive Kritikinstanz [ . . . ] ihren Sinn verloren. Die Gerechtigkeitsperspektive, so scheint es, lebt politisch im Nirgendwo; für das Gemeinwesen der Moderne ist sie utopisch geworden." 40 Rechtliche Überlegungen dazu unternimmt Berg (1976), S. 22 ff., insbesondere S. 29 f. Aus soziologischer Sicht ζ. B. Arts (1995), S. 108, insbesondere S. 120 if. Aus philosophischer Sicht ζ. B. Gethmann (1995), S. 8 ff. Elster (1992), S. 236 ff, (1995c), S. 95 ff. entwikkelt eine „common-sense conception of justice". Sie beschreibt aber lediglich empirisch, wie Praktiker sich mit Verteilungsprobleme auseinandersetzen. Die Frage nach der richtigen Auswahl von Verteilungskriterien läßt sie ungelöst, denn sie entwickelt keine normativen Maßstäbe für diese Auswahl. Schmidt (1995), S. 173 ff. und (1993), S. 93 ff. widmet sich speziell vor dem Hintergrund von lokaler Gerechtigkeit der Frage, inwiefern eine verteilende Institution Gerechtigkeitsstandards verwirklichen kann. Elster (1992), S. 132 ff. 42 Elster vertritt mit dieser Position wie schon mit seiner „common-sense conception of justice" eine bodenständige Theorie der Gerechtigkeit. Eine Gerechtigkeitstheorie, die das Schicksal unglücklicher Menschen ungeschehen machen möchte, vgl. Rakowski (1991), hat einen starken moralischen und ethischen Impetus, aber leider (?) kaum Aussicht auf Resonanz, wenn es um die Umsetzung geht.
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terdessen unklar, mit welchen Verfahren und nach welchen Kriterien eine interinstitutionelle Kompensation praktisch durchzusetzen wäre. Sinnvoller schiene daher eine Regelung zu sein, die Kompensationszwänge gar nicht erst entstehen ließe. Dieser Gedanke führt zur Idee einer sphärischen Kompetenzverteilung verschiedener Verteilungsinstitutionen: Es ist eine Erkenntnis des Nachdenkens über Gerechtigkeit, daß die gerechte Verteilung eines Gutes sich nach den Eigenheiten des Gutes selbst beurteilt (Sphären der Gerechtigkeit). Je nach der kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung eines Gutes können die Verteilungskriterien divergieren. Die Beurteilung, ob eine Verteilung gerecht ist oder als gerecht empfunden wird, bestimmt sich dann danach, ob den Besonderheiten eines Gutes in adäquater Weise Rechnung getragen wurde. Diese sphärische Betrachtung läßt sich auf die Beurteilung lokaler Verteilungsdivergenzen übertragen: Liegt es im Charakter, der Bedeutung oder der Funktion eines Verteilungsgutes, daß regionale Kräfte seine Verteilung maßgeblich bestimmen? Oder ist eine Verteilung nach den generell gleichen Kriterien, die durch eine zentrale Institution festgelegt werden könnten, angemessen? Die Antwort auf diese Frage kann zur Festlegung von konkreten „Verteilungszonen" führen. Der Charakter eines Gutes kann es beispielsweise rechtfertigen, daß es ausschließlich in kleinsten lokalen Einheiten verteilt wird. Ein Beispiel wäre die Verteilung von Taschengeld in der Familie. Umgekehrt könnte die Betrachtung dazu führen, lokale Unterschiede als nicht akzeptabel zu beurteilen. Ein Beispiel hierzu wäre die Verteilung von Brot oder Reis auf dem Globus, die durch einen zentralen „Welt-B rot Verteiler" organisiert werden müßte. Kombiniert man diese Idee der Festlegung bestimmter institutioneller Verteilungszonen mit der Theorie von Sphären der Gerechtigkeit, so ergibt sich ein komplexes System von Verteilungskompetenzen, die mit der sozialen Bedeutung der zu verteilenden Güter veränderlich sind: Während die Theorie über Sphären der Gerechtigkeit normativ festlegt, welche Verteilungskriterien für ein bestimmtes Gut adäquat sind, legt die normative Idee über Verteilungszonen fest, welche Institution das Verteilungsverfahren bis zu welchem Grade bestimmen soll. Beim Beispiel der Verteilung von Taschengeld würde man als inhaltliches Verteilungskriterium für die Höhe des Taschengeldes beispielsweise das Alter der Kinder favorisieren. Einem zentralen first-order-actor würde man für dieses Gut jegliche Verteilungskompetenzen absprechen. Als verteilende Institution kämen nur die Eltern in Betracht, die in diesem Fall first-order- und second-order-actor zugleich wären. Es sei denn, man käme auf die Idee, zu sagen, daß es diskrimierend ist, wenn in derselben Gesellschaft einige Kinder viel, andere Kinder vielleicht gar kein Taschengeld bekommen. Die Konsequenz aus dieser Wertung könnte sein, daß man einen first-order-actor bestellte, der zumindestens festlegte, daß jedes Kind etwas Taschengeld zu bekommen hat. Der first-order-actor könnte eventuell darüber hinaus ein bereichsspezifisches Verteilungskriterium vorschreiben, das dann von den Eltern für ihre eigenen Bedürfnisse zu konkretisieren wäre. 15 Bultmann
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Die bereichsspezifische Kompetenzverteilung zwischen Institutionen ist in der Idee der Gewaltenteilung enthalten. Sie ist seit den Anfängen der Verfassungstheorie zugleich anerkannt und im konkreten Fall häufig problematisch und umstritten. Der kritische Punkt an dieser Idee ist die Bestimmung der bereichsspezifischen Grenzen. Hier wären viele Gesichtspunkte anzuführen und zu gewichten. Es wäre darüber nachzudenken, welche Kriterien normativ überhaupt von Gewicht für die Entscheidung einer solchen Frage sein können, und wie diese Kriterien gegebenenfalls zu gewichten wären. Es wäre weiter im Sinne von Elsters oben beschriebenem Anliegen, 43 die normative Ebene mit der empirischen Ebene zu verknüpfen: Welche Einstellungen haben die betroffenen Menschen? Inwieweit ist eine bereichsspezifische Kompetenzverteilung - beispielsweise durch das Gewaltenteilungsprinzip - bereits verwirklicht? Diese Fragen sind für die Arbeit zu groß. 44 Hier bleibt lediglich Platz für eine kurze Stellungnahme zur Gerechtigkeit von lokaler Gerechtigkeit im Einbürgerungsrecht: Sollte vor dem Hintergrund der gerade angestellten normativen Überlegungen der Bund die Zuteilung von Staatsangehörigkeiten mehr in seine Hand nehmen und die Einbürgerungsgesetze stärker konkretisieren? Oder sollte es bei einer divergierenden Einbürgerungspraxis in den Ländern bleiben? Zwar verleiht die Einbürgerung nicht mehr die Länder - sondern die Bundestaatsangehörigkeit.45 Die Auswirkungen dieser Verleihung zeigen sich - abgesehen von der Teilnahme an den nationalen Wahlen - jedoch in den Ländern. Die Bundesländer besitzen rechtlich eine Eigenstaatlichkeit, und sie haben (rechts-)kulturelle Besonderheiten. Die Staatsangehörigkeit entfaltet ihre soziale Bedeutung also nicht nur für die bundesstaatliche Gemeinschaft als Ganze, sondern gerade auch in den einzelnen Ländern. Deshalb ist es angemessen, den Bundesländer einen Freiraum bei der Einbürgerung zu belassen. Eine Gleichschaltung der Länderpraktiken ist aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht nicht angezeigt. Diese These leitet über zu sozialphilosophischen Argumenten.
2. Sozialphilosophische Argumente Sozialphilosophische Argumente sind Gesichtspunkte, die sich aus dem Nachdenken über eine gute gesellschaftliche Ordnung ergeben. Aktuell vollzieht sich dieses Nachdenken auf einem Terrain, das schlagwortartig als „Kommunitarismus43 Kapitel Β. I. 2. am Ende. 44 Anzusetzen wäre in Betreff der Verteilungsgerechtigkeit weiterhin bei den Ideen von Jon Elster und Michael Walzer. Sie Hessen sich mit rechtsdogmatischen Ansätzen zu Problemen der Gewaltenteilung kombinieren: vgl. ζ. B. die Kriteriologie zur normativen, funktionell-rechtlichen Abgrenzung bereichsspezifischer Kontrollkompetenzen von Verwaltungsund Verfassungsgerichtsbarkeit bei Schuppert, DVB1. 1988, 1191, 1193 f. und 1197 ff. 45 Vgl. Makarov/v. Mangoldt (1993), § 3 RuStAG, Rn. 3, § 8 RuStAG, Rn. 2; Hailbronner/Renner (1998), § 8 RuStAG, Rn. 2.
II. Ist lokale Gerechtigkeit gerecht?
227
Liberalismus-Debatte" bezeichnet wird. 46 Der Kommunitarismus ist eine Reaktion auf die allgemeinen Globalisierungstendenzen. Die sogenannten Kommunitaristen vertreten unter anderem die Einsicht, daß sich viele Dinge des Gemeinwesen besser auf untergeordneter politischer Ebene regeln lassen. Diese Lokalisierung ist häufig keine Tendenz, etwas zu verändern, sondern gerade das Bestreben, etwas zu bewahren. So liegt vielerorts die Betonung auf der „Heimat". Sie soll als „community of character" 47, als Gemeinschaft mit gemeinsamen Merkmalen, bewahrt werden. Der populäre Liberalismus in seiner Reinform strebt demgegenüber die Verwirklichung größtmöglicher Freiheit des einzelnen an. In dieser Freiheit sollen alle gleich sein, so daß in dieser Konzeption kein Platz bleibt für eine wie auch immer geartete Ungleichbehandlung. Lokale Gerechtigkeit wäre demnach in einer liberalistischen Kritik als „gleichheitsfeindlich" zu beurteilen. Für die Kommunitaristen wäre sie ein Paradigma für die Freiheitsrechte, nämlich der Freiheit lokaler Institutionen. Darin liegt verfassungsrechtlich die Legitimität der föderalen Staatsstruktur der Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG: Durch die vertikale Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern wird die Staatsgewalt gehemmt, und dadurch werden in den Ländern Handlungs- und Gestaltungsfreiräume geschaffen. 48 Eine völlige Gleichordnung der Lebensverhältnisse ist auf der räumlichen Ebene rechtlich nicht ohne das Einverständnis der lokalen Einheiten möglich. Die sozialphilosophische Frage bleibt dennoch im Raum: Welches Ausmaß an gesellschaftlicher Gleichordnung ist aber erstrebenswert? 49 Bejaht man ein Recht einer bestehenden Gesellschaft, sich neu hinzukommende Mitglieder (frei?) 50 auszuwählen, so würde das lokal divergierende Einbürgerungskriterien rechtfertigen. Jedes Bundesland zeichnet sich durch kulturelle Besonderheiten aus. Seine Bewohner bilden eine „community of character". Diesen Charakter zu bewahren, erstrebt eine regionale Einbürgerungspraxis. Das Ausmaß dieser bundesstaatlichen Vielfalt ist wiederum eine Frage der Politik. Gegenwärtig wird ^ Aufschlußreich zu dieser Debatte Selznick (1995). Für den Kommunitarismus stehen ζ. B. die Werke von Amitai Etzioni, Alisdair Maclntyre, Michael J. Sandel und Charles Taylor. Walzer (1983), S. 62, der den Begriff bei Otto Bauer entlehnt. Er definiert als community of character einen historisch stabilen Verband von Frauen und Männern, die eine spezielle gegenseitige Verpflichtung füreinander verspüren und einen gewissen Sinn für das gemeinsame Leben haben. 48 Vgl. Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 238. Zum Bundesstaat als Ausdruck der vertikalen Gewaltenteilung vgl. Stern (1984), S. 666, dort Fn. 131 mwN. 49
Die Frage stellt sich genauso, wenn man das Problem grundrechtstheoretisch betrachtet. Nach dem Grundgesetz stehen das Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und das Gleicheitsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht in konkurrierender, sondern sich gegenseitig ergänzender Funktion zueinander. Sie sind miteinander in eine praktische Konkordanz zu bringen. Die konkrete Ausgestaltung dieser praktischen Konkordanz ist damit nicht vorgegeben, sondern nur das Prinzip ihrer Bestimmung. Ausführlich zum Verhältnis von Art. 2 Abs. 1 GG zu Art. 3 Abs. 1 GG: Maunz/Dürig (1997) - Dürig (1973), Art. 3 Abs. 1, Rn. 120 ff. so Zu dieser Frage vgl. Walzer (1983), S. 31 ff. 15*
228
F. Lokale Gerechtigkeit im Recht
im Zuge der europäischen Integration mittels des Subsidiaritätsprinzips 51 ein „Wiedererstarken des deutschen Föderalismus über den europäischen Regionalismus" 52 beobachtet. Da die Einfuhrung von Länderstaatsangehörigkeiten illusorisch ist, könnte diesem Trend am ehesten dadurch entsprochen werden, daß das Einbürgerungsrecht weiterhin ein breites Ermessen einräumt. Die Ermessensspielräume für die Länderverwaltung könnten auch noch vergrößert werden, um die Vielfalt lokaler Verteilungsmuster zu erhöhen. Argumentiert man vom Standpunkt der „community of character", so ließen sich weitere Bewertungsmaßstäbe für die Beurteilung spezifischer Einbürgerungskriterien gewinnen: Nur jene Einbürgerungsvoraussetzungen, die nachweislich dem Erhalt kultureller Besonderheiten der einbürgernden Gesellschaft dienen, wären prima facie legitim und gerecht. Doch wie lassen sich die einschlägigen kulturellen Besonderheiten bestimmen und gewichten? In demokratischen Gesellschaften ist diese Frage über die Wahlen dem Volkswillen überlassen: Programm und Verwaltungsstil der regierenden Parteien bilden selbst eine kulturelle Besonderheit. Das Landesvolk gibt sich eine Regierung, die den mehrheitlichen Vorstellungen einer „angemessenen" Politik entspricht. Der Charakter einer Landesregierung ist Ausdruck und Indikator für die Mentalität der regierten Landeseinwohnerschaft. Die Verwaltungspraxis der Landesregierung ist durch die Parlamentswahlen demokratisch legitimiert und im Zweifel sogar intendiert. Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine positivistische Legitimation für länderspezifische Einbürgerungsregelungen. Ob eine Gesellschaft eine ethnisch homogene community of character, eine multikulturelle community of character oder eine offene globale Gesellschaft ohne character sein soll, wird über die Wahlen von den Landeseinwohnern selbst bestimmt.53 Problematisch wäre lokale Gerechtigkeit lediglich dann, wenn sie allein ein autopoietisches Produkt des Subsystems „Einbürgerungsverwaltungen" wäre. Ungeachtet dieses Problems läßt sich die Ausgangsfrage verneinen: Gerechtigkeitstheoretische und sozialphilosophische Agrumente sprechen nicht für, sondern eher gegen eine Gleichschaltung der lokalen Gerechtigkeiten im Einbürgerungsrecht.
51
Vgl. Art. 3 b EG-Vertrag „.. .wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können..."; außerdem Präambel zum EU-Vertrag „möglichst bürgernah". 52 Isensee (1992), S. 154 ff. Vgl. auch Ossenbühl, DVB1. 1989, 1230, 1235 f., der von einer „Reföderalisierung" spricht. Daß Neuseeland dieses Prinzip jüngst in seine Verfassung integrierte, mag als Indikator für dessen weltweite Popularität dienen. 53 Die diesbezüglich auftretenden weiteren Probleme demokratischer Willensbildung und demokratischer Kontrolle können hier nicht betrachtet werden.
I . Ist lokale Gerechtigkeit
echt?
229
3. Rechtspolitische und rechtsmethodologische Argumente Dieser Abschnitt widmet sich der Frage, ob es gesetzestechnisch überhaupt möglich wäre, die lokalen Gerechtigkeiten in den Ländern zu beseitigen, und an welchen rechtsdogmatischen Punkten man rechtspolitisch ansetzen müßte, um derartige Gesetze erlassen zu können. Ist Kerngegenstand der juristischen Methodenlehre das „Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt" 54 , zwischen Sachverhalt und Norm, so ist das Thema dieses Abschnittes die Wechselwirkung zwischen Recht und Wirklichkeit. Rechtspolitisch könnte man, dem Gleichheitssatz gegenüber dem Bundesstaatsprinzip mehr Gewicht einräumen. Soweit die Anwendung von Verwaltungsvorschriften betroffen ist, läßt sich eine solche Überlagerung des Bundesstaatsprinzip dogmatisch jedoch nicht über eine erweiterte Selbstbindung der Verwaltung konstruieren. Dagegen sprechen die bereits genannten Gründe, die eine bundesweite Geltung regionaler Verwaltungsvorschriften ausschließen. Eine andere dogmatische Konstruktion liefe auf eine strengere Anwendung des Gesetzesvorbehaltes hinaus: Soweit die Länder Bundesgesetze unmittelbar anwenden, sind sie auch an den Gleichheitssatz gebunden. Der Gleichheitssatz gewinnt folglich an Bedeutung, sobald die gesetzliche Regelungsdichte auf Bundeseben zunimmt. De lege lata wurde eine Ausdehnung des Gesetzesvorbehaltes im Einbürgerungsrecht abgelehnt. Allerdings wurde in der bisherigen Diskussion lediglich mit Argumenten aus dem Gewaltenteilungskontext argumentiert. Es ist immerhin bedenkenswert, dem Gleichheitssatz auch im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt ein stärkeres normatives Gewicht zu geben, insbesondere wenn der Gleichheitssatz mit anderen verfassungsrechtlichen Prinzipien wie beispielsweise dem Sozialstaatsprinzip einhergeht. Ein solches Verständnis des Gleichheitssatzes scheint auch der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe von neueren Urteilen im Sinne einer „Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" entschieden. Zu § 8 RuStAG wurde in der Literatur moniert, hier sei ein „Defizit »objektiver Rechtsstaatlichkeit4 festzustellen" 55. Die präzise rechtliche Ausgestaltung von staatlichen Leistungen oder privaten Verteilungskontexten ist jedoch zwiespältig. Einerseits erleichtert sie den täglichen Legitimationskampf der Verteiler: Das Recht schafft ein verbindliches Verhaltensmuster, das allen Betroffenen gegenüber gleich anzuwenden ist. Undurchsichtiges Verteilungsverhalten wird verhindert. Die Verteiler schlagen sich auf die sichere Seite des Gleichheitssatzes. Andererseits ist die Gleichbehandlung nur ein formales Prinzip, das die eigentliche Frage nicht löst: Welche Menschen sind inwiefern gleich zu behandeln? Selbst vielschichtig differenzierende Gesetze kommen nicht umhin, typisierte Fälle schematisch gleich zu behandeln. Die absolute Gleichbehandlung ist in vielen Fällen kontraintuitiv. 56 54 Engisch (1960), S. 15. 55 Schnapp, DÖV 1973,593,594.
230
F. Lokale Gerechtigkeit im Recht
Bleibt die rechtliche Regelung dagegen zu allgemein, so bietet sie den lokalen Verteilern unter Umständen zu viel Entscheidungsfreiraum, den sie dann unter Umständen gegen den Regelungszweck eines Gesetzes nutzen.57 Die lokalen Verteiler bestimmen dann nämlich in concreto selbst, wer gleich zu behandeln ist und wer nicht. Sie sind - wie im Einbürgerungsrecht - nicht auf die gesetzlich vorgegebenen Unterscheidungskriterien beschränkt. Den Verteilern ist prinzipiell freigestellt, zu taktieren und vorgeschobene Selektionskriterien zu verwenden, um ihre eigentlichen individuellen oder lokalen Ziele zu verfolgen. 58 Das ausdifferenzierte System lokaler Gerechtigkeit kann eine Hilfestellung bieten, wenn es darum geht, ein praktikables Verteilungsverfahren zu ersinnen, das optimal zum Verteilungsziel hinführt. Im Regelfall wird man die gerechte Auswahl der Verteilungskriterien den Fachleuten „vor Ort" überlassen müssen. Abgesehen von gewissen Rahmenkriterien kann eine »Anpassung" eines Verteilungsverfahrens an die Anforderungen im konkreten Verteilungsproblem nur erfolgen, wenn die lokalen Akteure Entscheidungsfreiräume haben. Die globale Steuerung durch Akteure fernab vom Verteilungsort kann zu Nebeneffekten und Einzelfallungerechtigkeiten führen, die schlimmer sein können, als die Gefahren, deren Verwirklichung man durch eine globale Fernsteuerung begegnen möchte.59 Die Frage der Verrechtlichung von Verteilungskontexten müßte für eine abschließende Würdigung des Problems indessen auf einer breiteren Basis erörtert werden. Der Nutzen und der Schaden einer intensiven Verrechtlichung und auch die generellen Möglichkeiten der Steuerung durch Recht wären zu diskutieren. 60 Es gibt nicht das Entweder-Oder zwischen absoluter Gleichbehandlung und diskretionärer Einzelfallgerechtigkeit. In gesetzesgeberischen Erwägungen gibt es diesbezüglich die Abwägung zwischen einem Mehr-oder-Weniger. Das Ausmaß lokaler Entscheidungsfreiheit kann austaxiert und auf bestimmte Aspekte einer Problemregelung beschränkt werden. Es ist fragwürdig, ob eine Gleichschaltung rechtsmethodisch durchsetzbar wäre. Jedenfalls aber wären im Austausch für eine Gleichschaltung und die Beseitigung von lokaler Gerechtigkeit Nachteile zu befürchten. Dieser Gedanke wird im Schlußwort aufgegriffen und präzisiert.
56 Vgl. Schmidt (1997b), S. 263 zum Beispiel der zentralen Studienplatzvergabe. 57 Vgl. die Umgehungspraktiken deutscher Unternehmen bei der Entlassung von Arbeitnehmern, Hartmann (1994). 58 Vgl. Schmidt (1997b), S. 263 zum Beispiel der Entlassungspraxis deutscher Unternehmen. Dazu Hartmann (1994). Eine Abwägung zwischen Nutzen und Schaden diskretionärer Verteilungsregelungen findet sich bei Schmidt (1993), S. 90 ff. und Elster (1992), S. 145, 168 ff. und 182. 59 So auch das Fazit von Schmidt (1992a), S. 810 f. Schmidt bezeichnet das Konzept von lokaler Gerechtigkeit daher auch als „adaptive justice", dazu auch Schmidt (1995), S. 183 f. 60
Vgl. ζ. B. den Überblick über den Forschungsstand zur Wirksamkeit rechtlicher Programme, bei Raiser (1995), S. 266 ff.
III. Schlußwort
231
I I I . Schlußwort Will man die Verwaltungspraxis vereinheitlichen, so wäre es am naheliegendsten, die Ermessenstatbestände des Einbürgerungsrechts in Anspruchstatbestände umzuformulieren. Außerdem müßten diskretionäre Tatbestandsmerkmale durch mechanische ersetzt werden. Diese Vorstellung steht bei den Reformvorhaben zum Staatsangehörigkeitsrecht tatsächlich im Raum - wenn auch aus einer anderen Motivation als der Vereinheitlichung der Einbürgerungspraxis, nämlich vor dem folgenden Hintergrund: In der Politik der Bundesregierung wird davon ausgegangen, daß das ius-soliPrinzip und die Einbürgerung durch Ermessenstatbestände einerseits und das iussanguinis-Prinzip, die Vermeidung von Mehrstaatigkeit und die Regelung der Einbürgerung durch Anspruchstatbestände andererseits zwei verschiedene Lösungswege sind, um dasselbe Ziel zu erreichen, nämlich die dauerhafte Zuordnung der Staatsangehörigen zur staatlichen Gemeinschaft zu garantieren. Die Bundesregierung hält eine Beibehaltung des Abstammungsprinzips und des Grundsatzes der Vermeidung von Mehrstaatigkeit für sinnvoll. Dementsprechend wird eine Umgestaltung sämtlicher Einbürgerungstatbestände zu Anspruchseinbürgerungen angestrebt. Die Anspruchstatbestände sollen klare gesetzliche Voraussetzungen formulieren, wobei besonderer Wert darauf gelegt werden soll, daß die Einzubürgernden der deutschen Sprache mächtig sind. 61 Ob dadurch als mittelbares Ziel oder als Reflex eine Vereinheitlichung der Einbürgerungspraxis zu erreichen wäre, ist fraglich. Die Suche nach einer Antwort würde in komplexe Zusammenhänge der juristischen Methodenlehre und in die rechtssoziologische Debatte um Möglichkeiten der Steuerung und Regulierung durch Recht führen. 62 Hinweise darauf, daß eine einheitliche Einbürgerungsregelung in Deutschland nicht ohne weiteres durch eine rechtliche Steuerung zu erreichen wäre, bietet die Inhaltsanalyse der Staatsangehörigkeitsreferentenprotokolle: Viele der Punkte, in denen die Meinungen und Konzepte der Referenten auseinandergingen, betrafen die Beurteilung von Tatsachen. Das Charakteristische und Unberechenbare, das den Ermessenstatbeständen und unbestimmten Rechtsbegriffen eigen ist, wird durch den breiten normativen Bewertungs- und Beurteilungsspielraum verursacht. Dieser Spielraum in der normativen Fallbewertung verstärkt sich, wenn schon die Tatsachen, die bewertet werden sollen, mehrdeutig sind. Die Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse, die den diversen Einbürgerungen zugrunde liegen, wirkt auf das Recht, das diese Wirklichkeit regeln soll, zurück. Eine vorläufige und weitgehend ungeprüfte Prognose wäre also, daß die bisherigen Unsicherheiten in der Rechtsanwendung in ganz ähnlicher Weise auftreten würden, wenn die Einbürgerungsbehörden es mit Anspruchstatbeständen zu tun hätten. 61 Bundesinnenminister Kanther in seiner Bundestagsrede vom 9. 2 1995 (Bundesministerium des Innern (1995). 62 Hierzu nochmals Raiser (1995), S. 266 ff.
232
F. Lokale Gerechtigkeit im Recht
Einen weiteren Anlaß zur Skepsis bietet die folgende Überlegung: Im Einbürgerungsrecht ist alles im Ruß. Das liegt zum einen an der herausragenden politischen Stellung dieses Rechtsgebietes. Die „öffentliche Meinung" verfolgt das Einbürgerungsrecht und die Einbürgerungspraxis mit großem Interesse. Die öffentliche Reaktion auf diesbezügliche Entwicklungen oder Tatsachen bietet einen ständigen Anlaß, Recht und Praxis der Einbürgerungen zu überdenken. Zum anderen sind Einbürgerungsrecht und -praxis auch der Sache nach in besonderem Maße von der Wirklichkeit abhängig. Die einzelnen Einbürgerungstatbestände beziehen sich auf komplexe Sachverhalte. Manchmal entsteht der Eindruck, nicht das Recht präge die Wirklichkeit, sondern umgekehrt die Wirklichkeit das Recht (genauer: die Rechtsanwendung). Insofern bietet das Einbürgerungsrecht einen Nachweis für das berühmte Diktum Georg Jellineks von der „normativen Kraft des Faktischen". Die Diskussionen spiegeln beispielsweise wider, wie mancherlei Schwierigkeiten mit der Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit den normativen Anspruch der Vermeidung von Mehrstaatigkeit erschüttern. Auch die Entwicklungen des Ausländerrechts stellen die Einbürgerungsbehörden vor neue Situationen: Ist es noch sinnvoll eine Einbürgerung aus entwicklungspolitischen Erwägungen zu verweigern, wenn ein Ausländer ohnehin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat und also ohnehin nicht genötigt ist, in seinen Heimatstaat zurückzukehren? Ein weiteres Exemplum bietet die Beantwortung der Frage, ob die Abhängigkeit von Sozialhilfe der Einbürgerung entgegensteht. Hier war und ist Vieles in Bewegung. Der nächste Gedanke wäre dann, die Tatbestandsmerkmale in den Anspruchstatbeständen so zu präzisieren, daß die Beurteilung der Sachlage eingeengt und eindeutiger wäre. Eine stärkere Vereinheitlichung ließe sich damit vermutlich erzielen. Allerdings wäre dann wiederum eine sinnvolle Einbürgerungsregelung in Frage gestellt. Die Einbürgerungstatbestände müßten sich überwiegend an formalen Kriterien wie zum Beispiel dem Alter, der Aufenthaltsdauer oder der Herkunft orientieren. Die Protokolle zeigen jedoch, daß selbst bei formalen Fragen, wie beispielsweise der Aufenthaltsdauer, Anwendungsprobleme auftreten. Außerdem ließe sich das völkerrechtliche Grundprinzip jeglichen Einbürgerungsrechts auf diese Weise vielleicht nicht gewährleisten: Die Einbürgerung wird als Zeichen einer dauerhaften Bindung der betreffenden Person zum jeweiligen Staat begriffen. Sie basiert mithin auf einer „Zuordnungsprognose" 63. Um eine derartige Prognose einigermaßen verläßlich machen zu können, bedarf es inhaltlicher Indizien, die sich auf den Einzelfall beziehen und die sich einer schematischen Regelung entziehen. Das Recht kann der Wirklichkeit, die es gestalten will, nicht ausweichen.
« Bundesinnenminister Kanther in seiner Bundestagsrede vom 9. 2 1995, Bundesministerium des Innern (1995). Das Ausmaß der Zuordnungsprognose und der dazu erforderlichen besonderen Anknüpfung an den Staat („genuine connection" oder „genuine link") sind freilich umstritten, vgl. aber Nr. 5.1 EinbRL. Ein knapper Überblick über den Meinungsstand findet sich bei Hailbronner/Renner (1998), Hailbronner/Renner (1998), Einl. E, Rn. 16 ff mwN; vgl. auch Schiedermair / Wollenschläger (1997), 3 H Rn. 1.
G. Anhang I . Statistische Angaben zu den Einbürgerungsquoten Die folgenden Statistiken befassen sich mit den Einbürgerungsquoten für die Zeiträume von 1991-93 und 1993-96. Die anschließenden Ergebnisse der statistischen Berechnungen beziehen sich ebenfalls auf diese Zeiträume. Außerdem dokumentieren sie die im Text erwähnten Ergebnisse der Signifikanztests hinsichtlich des Einbürgerungszeitraumes von 1991-96. 1. Außer dem Einbürgerungszeitraum 1991-96 wurden jeweils Berechnungen für die Zeiträume von 1991-93 und von 1993-96 durchgeführt. Da sich die Statistik für das Jahr 1993 nicht nach erster und zweiter Jahreshälfte („Stichtag": 1. 7. 1993) trennen läßt, wurde das Einbürgerungsjahr 1993 in die zu unterscheidenden Zeiträume jeweils miteinbezogen. Durch den Vergleich der drei Zeiträume untereinander zeigt sich, daß die Gesetzesänderung keinen maßgeblichen Einfluß auf die Einbürgerungspraxis der Länder hatte. Die folgenden beiden Tabellen geben die durchschnittlichen Ausländerzahlen, die Summe der Einbürgerungen und die Quoten der Einbürgerungszeiträume 1991-93 und 1993-96 wieder, und zwar sowohl für die einzelnen Länder, als auch schon für die drei Gruppen:
G. Anhang
234
Tabelle 15 Einbürgerungsquoten der Bundesländer (Zeiträume 1991-93 und 1993 - 9 6 ) 1 Bundesland/ Gruppe
1. Bayern 2. Bad.-Württ.
0 Ausländerzahl 1981 bis 1986
Summe Einbürgerungen 1991-1993
Quotient aus Einbürgerungssumme 91-93 und 0 Ausländerzahl 81-86 (Q_91_93) in % 1,52%
688.380
10.450
879.400
14.233
1,62%
49.270
855 22.854
1,74%
3. Bremen. 4. Nordrh.-Westf.
1.380.780
Least (1,2,4)
2.948.570
5. Rheinl.-Pfalz 6. Hessen
1,66%
166.250
47.537 3.574
2,15%
517.130
10.811
2,09%
45.600
1.350
2,96%
2.378 8.264
2,65%
9. Niedersachsen
89.780 287.700
Less (5,6,9)
971.000
22.649
2,33%
7. Saarland 8. Schl.-Holstein
1,61%
2,87%
10. Hamburg
168.750
7.085
4,20%
11. Berlin
241.530
22.414
9,28%
410.280
29.499
4.514.450
109.287
7,19% 2,42%
Few (10,11) Deutschland
Bundesland/ Gruppe
0 Ausländerzahl 1986 bis 1990
Summe Einbürgerungen 1993-1996
Quotient aus Einbürgerungssumme 93-96 und 0 Ausländerzahl 81-86 (Q_93_96) in %
1. Bayern
716.240
13.070
1,82%
2. Bad.-Württ.
924.480
21.640
2,34%
53.200
3. Bremen. 4. Nordrh.-Westf.
1.130
2,12%
1.410.100
38.438
2,73%
Least (1,2,4) 5. Rheinl.-Pfalz
3.050.820 175.560
73.148
2,40% 2,67% 3,02% 2,66%
6. Hessen 7. Saarland 8. Schl.-Holstein 9. Niedersachsen Less (5,6,9) 10. Hamburg 11. Berlin Few (10,11) Deutschland 1
537.460 49.280
4.689 16.214 1.312
87.660 297.700 1.010.720
2.843 11.581 32.484
169.100 265.440
8.401 17.134
434.540
25.535
6,45% 5,88%
4.686.180
140.737
3,00%
Quelle: eigene Berechnungen.
3,24% 3,89% 3,21% 4,97%
235
I. Statistische Angaben zu den Einbürgerungsquoten
2. Der Kolmogorov-Smirnov-Test ergab, daß für alle drei Einbürgerungszeiträume von einer Normalverteilung der Daten ausgegangen werden konnte. Um dies übersichtlicher darzustellen, wurden die Werte in eine Tabelle gebracht:
Tabelle 16: Statistik aus dem Kolmogorov-Smirnov-Test Q_91_93
Q_93_96
11
11
11
Mittel
29,7530
32.6563
51.2597
Standardabweichung
27.6751
Anzahl (N)
Q_91_96
22.3764
13.6989
Minimum
15.18
18.25
27.72
Maximum
92.80
64.55
125.36
Kolmogorov-Smirnov-Z
1.064
.775
.863
Exakte Signifikanz (zweiseitig)
.166
.511
.380
Die Spalten Q_91_93, Q_93_96 und Q_91_96 enthalten die jeweils auf der Basis der Einbürgerungs^uotienten 1991-93, 1993-96 und 1991-96 errechneten Werte. Die Signifikanzwahrscheinlichkeit ist für den Zeitraum 1991-93 am höchsten (.166). Für diesen Zeitraum kommt die Verteilung der Einbürgerungsquoten einer Normalverteilung am nächsten. Am weitesten ist der Zeitraum 1993-96 von einer Normalverteilung entfernt (Signifikanzwert .511). Die Verteilung der Einbürgerungsquoten der Länder ist in diesem Zeitraum also am breitesten gestreut, was visuell bereits in den Säulendiagrammem zum Ausdruck kam. Demgegenüber ist für den Zeitraum 1993-96 die Standardabweichung am höchsten (27.6751). Der Verursacher ist das Land Berlin, das für diesen Zeitraum einen besonders großen Abstand von den übrigen Ländern aufweist. Der Test auf die Normalverteilung wurde durch einen Ausreißertest ergänzt.2 Ausreißer sind extrem gelegene Beobachtungen, die gerade wegen ihrer extremen Lage bedeutungsvoll sein können. Der Beobachter legt dabei ein Modell - im vorliegenden Fall eine Normalverteilung - zugrunde und fast den Extremwert als Abweichung von diesem Modell auf. Je kleiner eine Stichprobe ist, umso unwahrscheinlicher sind Ausreißer. Der gängige z-Test ist umso reliabler je größer die Stichproben sind. Für kleine Stichproben (n > 25) wird er kaum verwendet. Deshalb wurde ein Ausreißertest nach Dixon durchgeführt, der für kleine Stichproben konstruiert ist. 3 Mit dem Dixon-Test wird die Ausreißerstellung des extremsten Wertes geprüft. Das ist in diesem Fall die Einbürgerungsquote von Berlin. Bei Ν = 11 Untersu2 Allgemein zu Ausreißertests, vgl. Sachs (1992), S. 363 ff. 3 Zum Dixon-Test vgl. Sachs (1992), S. 362 f.
236
G. Anhang
chungsobjekten (die 11 Bundesländer) ist der Signifikanzwert für alpha = .02 (zweiseitig) auf .669 und für alpha = .1 (zweiseitig) auf .576. festgelegt. Für den Einbürgerungszeitraum 1991-93 hat Berlin einen Dixonwert von .8247. Es besteht also eine Signifikanzwahrscheinlichkeit für ein Niveau von alpha = .02. Das Gleiche gilt für den Zeitraum 1991-96 bei dem der Dixonwert für Berlin .75798 beträgt. Für den Zeitraum 1993-96 besteht sogar eine Signifikanzwahrscheinlichkeit für ein Niveau von alpha = .1 bei einem Dixonwert von .59224. Damit bestätigt der Dixon-Test, was oben der Kolmogorov-Smirnov-Test für den Zeitraum 1993-96 ergeben hatte, nämlich die besonders hohe Signifikanz der Extremposition der Einbürgerungsquote von Berlin (Standardabweichung = 27.6751). Die Einbürgerungsquote von Berlin kann jedoch für alle drei Zeiträume als Ausreißer angesehen werden. Die Unterschiede zwischen den Ländern zeigten sich für alle drei berechneten Zeiträume mit ähnlichen Signifikanzwerten. Allerdings sind die Unterschiede für den Einbürgerungszeitraum 1991-93 größer als für den Zeitraum 1993-96. Vermutlich hat die Gesetzesänderung bezüglich der Einbürgerungen gemäß §§85 und 86 Abs. 1 AuslG die Unterschiede in den Einbürgerungsquotienten der Länder verringert. Das wäre ein weiteres Indiz dafür, daß die Unterschiede in den Einbürgerungsstatistiken tatsächlich auf einer divergierenden Ermessensausübung des Einbürgerungsrechts beruhen. Einbürgerungen nach den §§ 85 und 86 Abs. 1 AuslG fallen quantitativ jedenfalls ins Gewicht. Im Jahre 1994 betrugen sie 40.093, im Jahre 1995 48.752 und im Jahre 1996.4 Allerdings divergieren die Statistiken auch für den Zeitraum 1993-96 in signifikanter Weise. Wahrscheinlicher ist, daß die unterschiedliche Handhabung dieser Tatbestände unabhängig davon ist, ob sie als Ermessens- oder als Anspruchseinbürgerungen formuliert sind. Letztere Annahme wird dadurch plausibler, daß die Darstellung der rechtlichen Grundlagen gerade auch für die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschriften Anwendungsschwierigkeiten aufzeigte. 5
4 Quelle: Statistisches Bundesamt, Tabelle 3.23, Eingebürgerte Personen nach Altersgruppen, Aufenthaltsdauer sowie ausgewählten fhihreren Staatsangehörigkeiten. 5 Die Inhaltsanalyse bestätigt diesen Umstand: Die Anwendungsunterschiede, die sich in der Inhaltsanalyse wiederspiegelten, sind auf einzelne Tatbestandsmerkmale bezogen und nicht auf die Ermessensausübung. Insofern ist die Inhaltsanalyse von der Gesetzesänderung gar nicht betroffen. Sie könnte theoretisch insgesamt im Zeitraum vor dem 1. 7. 1993 stattgefunden haben.
II. Tabellen - Auswertung der Inhaltsanalyse nach Ländern
237
II. Tabellen - Auswertung der Inhaltsanalyse nach Ländern Tabelle 17 Auslegungsprofil extensiv/restriktiv nach Ländern Länder A Β C F G I J Κ HM QRST DELMNOX Insg.
restriktive Auslegung 30 20 0 5 1 8 2 5 5 22 3 101
extensive Auslegung 1 4 7 10 19 12 6 2 16 5 5 87
Relativer Anteil der extensiven Auslegung .0323 .1667 1.000 .6667 .9500 .6000 .7500 .2857 .7619 .1852
Tabelle 18 Einzelne Argumentformen pro L a n d in absoluten Zahlen und (in Klammern) in Prozent an der Gesamtargumentation dieses Landes Absolut/ in Prozent A Β C F G I J Κ Q
HM RST DELMNOX Insg. Äußerungen Insg. Arg.
Gesetzesar- Prinzipien- autoritäres ökonomi- politisches Pratika- Gerechtig- Insges. gument argument Argument sches Arg. Argument bilitätsarg. keitsarg. 3 6 8 17 25 6 8 73 (08,2) (08,2) (23,3) (34,3) (04,1) (11,0) (11,0) 59 25 5 9 0 5 5 10 (42,4) (08,5) (08,5) (17,0) (08,5) (15,3) (0) 2 14 2 3 1 0 3 3 (14,3) (21,4) (21,4) (21,4) (07,1) (14,3) (0) 1 1 4 9 32 15 2 0 (46,9) (03,1) (12,5) (28,1) (06,3) (03,1) (0) 12 4 0 0 6 6 8 36 (22,2) (33,3) (0) (16,7) (16,7) (0) (11,1) 17 1 4 5 0 8 8 43 (39,5) (02,3) (18,6) (09,3) (18,6) (11,6) (0) 1 2 1 8 6 2 2 22 (36,4) (04,6) (09,1) (04,6) (09,1) (09,1) (27,3) 5 1 2 0 2 2 14 2 (35,7) (07,1) (14,3) (14,3) (14,3) (14,3) (0) 21 11 9 2 14 21 84 6 (25,0) (02,4) (10,7) (13,1) (16,7) (07,1) (25,0) 30 11 0 2 4 11 25 83 (36,1) (02,4) (13,3) (04,8) (13,3) (30,1) (0) 3 0 0 0 5 0 6 14 (21,4) (35,7) (42,9) (0) (0) (0) (0) 4 7 2 0 5 7 7 32 (21,9) (06,3) (12,5) (15,6) (21,9) (21,9) (0) 169 40 46 10 65 58 118 506 (33,4) (07,9) (09,1) (02,0) (12,9) (23,3) (11,5) 131 35 35 9 54 404 40 100 (32,4) (08,7) (02,2) (08,7) (13,4) (09,9) (24,8)
238
G. Anhang Tabelle 19 Prozentzahlen rechtliche Argumente und nicht-rechtliche Argumente nach Ländern Land
Rechtliche Argumente
Nicht-rechtliche Argumente
Anteil rechtl. Argumente an Argumenten insgesamt
A
39
34
.5342
Β
39
20
.6610
C
3
11
.2143
F
18
14
.5625
16
20
.4444
20
.5349
G
23
I J
11
11
.5000
Κ
8
6
.5714
HM
41
42
.4940
Q
41
43
.4881
3
11
.2143
13
19
.4063
RST DELMNOX Insg.
255 50,40%
251 49,60%
.5040
Tabelle 20 Gerechtigkeitsargumente nach Ländern Land
Gleichheit
Billigkeit
Verdienst
Bedarf
Gesamt
A
6
3
4
4
17
Β
4
0
3
3
10
C
2
0
0
1
3
F
6
2
0
1
9
G
5
2
1
0
8
I
2
1
3
2
8
J
1
1
0
0
2
Κ
2
0
0
0
2
HM
8
7
4
6
25
10
6
3
2
21
2
3
0
1
6
Q
RST DELMNOX Insg.
2 50 42,37%
3 28 23,73 %
1 19 16,10%
1 21 17,80%
7 118 100%
III. Ausgewählte Einbürgerungstatbestände
239
Tabelle 21 Gerechtigkeitsargumente „pro/contra potentieller Einbürgerungsbewerber" nach Ländern Gerechtigkeitsargument „neutral"
Gerechtigkeitsargument insgesamt
Gerechtigkeitsargument „pro" Bewerber
Gerechtigkeitsargument „contra" Bewerber
A
2
11
4
17
Β
1
7
2
10
Land
C
3
0
0
3
F
6
2
1
9
G
5
2
1
8
I
3
3
2
8
J
1
1
0
2
Κ
1
1
0
2 25
HM
9
10
6
RST
2
1
3
6
Q
3
11
7
21
4
1
2
7
DELMNOX Insg.
39 33,05%
51 43,22%
28 23,73%
118 100%
I I I . Ausgewählte Einbürgerungstatbestände 1. Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) vom 22. 7. 1913 (RGBl. S. 583; BGBl. III 102-1); zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. 12. 1997 (BGBl. I S. 2942)
§ 3 [Erwerb der Staatsangehörigkeit] Die Staatsangehörigkeit... wird erworben 1. durch Geburt (§4), 2. durch Legitimation (§ 5), 3. durch Annahme als Kind (§ 6), 4. für einen Ausländer durch Einbürgerung (§§8 bis 16).
§ 4 [Geburt] (1) 1 Durch die Geburt erwirbt ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Ist bei der Geburt des Kindes nur der Vater deutscher Staatsangehöriger und ist zur Begründung der Abstammung nach den deutschen Geset-
240
G. Anhang
zen die Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erforderlich, so bedarf es zur Geltendmachung des Erwerbs einer nach den deutschen Gesetzen wirksamen Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft; die Anerkennungserklärung muß abgegeben sein oder das Feststellungsverfahren muß eingeleitet sein, bevor das Kind das 23. Lebensjahr vollendet hat.
§ 5 Erklärungsrecht für vor dem 1. Juli 1993 geborenen Kinder. Durch die Erklärung, deutscher Staatsangehöriger werden zu wollen, erwirbt das vor dem 1. Juli 1993 geborene Kind eines deutschen Vaters und einer ausländischen Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn 1. eine nach den deutschen Gesetzen wirksame Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft erfolgt ist, 2. das Kind seit drei Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat und 3. die Erklärung vor der Vollendung des 23. Lebensjahres abgegeben wird. 4. an diesem Orte sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist.
§ 6 [Annahme als Kind] Mit der nach den deutschen Gesetzen wirksamen Annahme als Kind durch eine Deutschen erwirbt das Kind, das im Zeitpunkt des Annahmeantrages das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, die Staatsangehörigkeit. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit erstreckt sich auf die Abkömmlinge des Kindes.
§ 8 [Einbürgerung eines Ausländers mit Niederlassung im Inland] I. Ein Ausländer, der sich im Inland niedergelassen hat, kann von dem Bundesstaat, in dessen Gebiete die Niederlassung erfolgt ist, auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er 5. nach den Gesetzen seiner bisherigen Heimat unbeschränkt geschäftsfähig ist oder nach den deutschen Gesetzen unbeschränkt geschäftsfähig sein würde oder der Antrag in entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 2 Satz 2 von seinem gesetzlichen Vertreter oder mit dessen Zustimmung gestellt wird. 6. keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 1 bis 4, § 47 Abs. 1 oder 2 des Ausländergesetzes erfüllt, 7. an dem Orte seiner Niederlassung eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat und 8. an diesem Orte sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist. II. Vor der Einbürgerung ist über die Erfordernisse unter Nummer 2 bis 4 die Gemeinde des Niederlassungsorts und, sofern diese keinen selbständigen Armenverband (jetzt „Träger der Sozialhilfe") bildet, auch der Armenverband zu hören.
III. Ausgewählte Einbürgerungstatbestände
241
§ 9 [Einbürgerung von Ehegatten Deutscher] I. Ehegatten Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 8 eingebürgert werden, wenn 1. sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben und 2. gewährleistet ist, daß sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen, es sei denn, daß der Einbürgerung erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere solche der äußeren oder inneren Sicherheit sowie der zwischenstaatlichen Beziehungen entgegenstehen. II. Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tode des deutschen Ehegatten oder nach Rechtskraft des die Ehe auflösenden Urteils beantragt wird und dem Antragsteller die Sorge für die Person eines Kindes aus der Ehe zusteht, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. III. Minderjährige stehen Volljährigen gleich.
§ 10 [Einbürgerung nichtehelicher Kinder] - aufgehoben mit Wirkung vom 01. 07.1998 durch Gesetz vom 16.12.1997. Das nichteheliche Kind eines Deutschen ist einzubürgern, wenn eine nach den deutschen Gesetzen wirksame Feststellung der Vaterschaft erfolgt ist, das Kind seit drei Jahren rechtmäßig seinen dauernden Aufenthalt im Inland hat und den Antrag vor der Vollendung des dreiundzwanzigsten Lebensjahres stellt. § 7 Abs. 2 Satz 2 ist anzuwenden.
§ 13 [Einbürgerung eines ehemaligen Deutschen] Ein ehemaliger Deutscher, der sich nicht im Inland niedergelassen hat, kann von dem Bundesstaate, dem er früher angehört hat, auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er den Erfordernissen des § 8 Abs. 1 Nr. 1,2 entspricht: dem ehemaligen Deutschen steht gleich, wer von einem solchen abstammt oder als Kind angenommen ist. Vor der Einbürgerung ist dem Reichskanzler Mitteilung zu machen; die Einbürgerung unterbleibt, wenn der Reichskanzler Bedenken erhebt.
§ 16 [Einbürgerungsurkunde] I. Die ... Einbürgerung wird wirksam mit der Aushändigung der von der höheren Verwaltungsbehörde hierüber ausgefertigten Urkunde. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechts Verordnung die zuständige Behörde abweichend von Satz 1 zu bestimmen. Sie können diese Ermächtigung auf oberste Landesbehörden übertragen. II. Die ... Einbürgerung erstreckt sich, insofern nicht in der Urkunde ein Vorbehalt gemacht wird, zugleich ... auf diejenigen Kinder, deren gesetzliche Vertretung dem ... Eingebürgerten kraft elterlicher Sorge zusteht. Ausgenommen sind Tochter, die verheiratet sind oder verheiratet gewesen sind. 16 Bultmann
G. Anhang
242
2. Ausländergesetz (AuslG) - Siebenter Abschnitt Erleichterte Einbürgerung vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354); zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. 12. 1997 (BGBl. I S. 2970) § 85 Erleichterte Einbürgerung junger Ausländer I. Ein Ausländer, der nach Vollendung seines 16. und vor Vollendung seines 23. Lebensjahres die Einbürgerung beantragt, ist einzubürgern, wenn er 1. seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert, 2. seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, 3. sechs Jahre im Bundesgebiet eine Schule, davon mindestens vier Jahre eine allgemeinbildende Schule besucht hat und 4. nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist. II ^ i n Einbürgerungsanspruch besteht nicht, wenn der Ausländer nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung ist. 2 Die Einbürgerung kann versagt werden, wenn ein Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 1 vorliegt. § 86 Erleichterte Einbürgerung von Ausländern mit langem Aufenthalt I. Ein Ausländer, der seit 15 Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn er 1. seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert, 2. nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist und 3. Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann; von der in Nummer 3 bezeichneten Voraussetzung wird abgesehen, wenn der Ausländer aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grunde den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann. II. Der Ehegatte und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit 15 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. III. § 85 Abs. 2 gilt entsprechend. § 87 Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit I. ^on der Voraussetzung des § 85 Nr. 1 und des § 86 Abs. 1 Nr. 1 wird abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. 2Das ist anzunehmen, wenn 1. das Recht des Heimatstaates das Ausscheiden aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht, 2. der Heimatstaat die Entlassung regelmäßig verweigert und der Ausländer der Einbürgerungsbehörde einen Entlassungsantrag zur amtlichen Weiterleitung an seinen Heimatstaat übergeben hat,
III. Ausgewählte Einbürgerungstatbestände
243
3. der Heimatstaat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit willkürhaft versagt oder über den vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag nicht in angemessener Zeit entschieden hat, 4. bei Angehörigen bestimmter Personengruppen, insbesondere politischen Flüchtlingen, die Forderung nach Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit eine unzumutbare Härte bedeuten würde. II. Von der Voraussetzung des § 85 Nr. 1 und des § 86 Abs. 1 Nr. 1 kann abgesehen werden, wenn der Heimatstaat die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit von der Leistung des Wehrdienstes anhängig macht und wenn der Ausländer den überwiegenden Teil seiner Schulbildung in deutschen Schulen erhalten hat und im Bundesgebiet in deutsche Lebensverhältnisse und in das wehrpflichtige Alter hineingewachsen ist. III. Erfordert die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit die Volljährigkeit des Ausländers, erhält dieser, wenn er nach dem Recht seines Heimatstaates noch minderjährig ist, eine Einbürgerungszusicherung. § 88 Entscheidung bei Straffalligkeit I. ^ach § 85 Nr. 4 und § 86 Abs. 1 Nr. 2 bleiben außer Betracht 1. die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz, 2. Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen und 3. Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist. 2Ist der Ausländer zu einer höheren Strafe verurteilt worden, wird im Einzelfall entschieden, ob die Straftat außer Betracht bleiben kann. II. Im Falle der Verhängung von Jugendstrafe bis zu einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt ist, erhält der Ausländer eine Einbürgerungszusicherung für den Fall, daß die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen wird. III. 1 Wird gegen einen Ausländer, der die Einbürgerung beantragt hat, wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt, ist die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluß des Verfahrens, im Falle der Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils auszusetzen. 2Das gleiche gilt, wenn die Verhängung der Jugendstrafe nach § 27 des Jugendgerichtsgesetzes ausgesetzt ist. § 89 Unterbrechungen des rechtmäßigen Aufenthalts I. *Der gewöhnliche Aufenthalt im Bundesgebiet wird durch Aufenthalte bis zu sechs Monaten außerhalb des Bundesgebiets nicht unterbrochen. 2 Hat der Ausländer sich aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebiets aufgehalten, wird auch diese Zeit bis zu einem Jahr auf die für die Einbürgerung erforderliche Aufenthaltsdauer angerechnet. II. Hat der Ausländer sich aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebiets aufgehalten, kann die frühere Aufenthaltszeit im Bundesgebiet bis zu fünf Jahren auf die für die Einbürgerung erforderliche Aufenthaltsdauer angerechnet werden. 16*
G. Anhang
244
III. Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bleiben außer Betracht, wenn sie darauf beruhen, daß der Ausländer nicht rechtzeitig die erstmals erforderliche Erteilung oder die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung beantragt hat oder nicht im Besitz eines gültigen Passes war. § 90 Einbürgerungsgebühr Die Gebühr für die Einbürgerung nach den §§85 bis 89 beträgt 100 Deutsche Mark.
3. Einbürgerungsrichtlinien (in der Fassung vom 7. 3. 1989 (UMB1. 89, S. 195) unter Berücksichtigung der Änderungen bis zum 31.3 1994)6 1
Bedeutung der Richtlinien Die zwischen dem Bundesminister des Innern und den Innenministern (-Senatoren) der Länder abgestimmten Richtlinien geben Grundsätze für die Einbürgerung im Ermessenswege.
2
Allgemeine Grundsätze für die Einbürgerung
2.1
Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit an Ausländer begründet Rechte und Pflichten; sie gewährt ein Heimatrecht und ist Voraussetzung für das Wahlrecht und die Wählbarkeit. Die Einbürgerung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Einbürgerungsanträge bedürfen in jedem Falle einer eingehenden Prüfung unter Würdigung der Gesamtverhältnisse.
2.2
Die gesetzlichen Voraussetzungen in §§ 8, 9, 13 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes - RuStAG - , § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit - 1. StARegG - sind Mindestvoraussetzungen, ohne die eine Einbürgerung nicht vorgenommen werden darf. Ihr Vorliegen allein rechtfertigt die Einbürgerung noch nicht. Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur in Betracht kommen, wenn ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung besteht. Öffentliches Interesse von gleichem Rang; die persönlichen Wünsche und wirtschaftlichen Interessen des Einbürgerungsbewerbers können nicht ausschlaggebend sein, zumal auch die hier ansässigen Ausländer nach der deutschen Rechtsordnung weitgehende Rechte und Freiheiten genießen. Ob ein öf-
6 Anmerkung: Die Einbürgerungsrichtlinien werden laufend geändert. Die aktuellste Veröffentlichung der Fassung vom 7. 3. 1989 steht auf dem Stand vom 31. 3. 1994 (Abdruck ζ. B. in Schiedermair/Wollenschläger (1997), 3 H IV; Bergmann/Korth/Ziemske (1995), S. 46 ff.) Einzelne Vorschriften werden von einzelnen Ländern nicht mehr angewendet. Anregungen auf den Staatsangehörigkeitsreferentenbesprechungen, die Richtlinien zu überarbeiten, wurden jedes Mal beiseite geschoben: In der Erwartung einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts sei eine Revision der Richtlinien nicht zweckmäßig. Sie würde nur die bestehenden Unsicherheiten verstärken. Anwendungsprobleme sollten lieber bei der Gesetzesreform anstatt im Vorgriff hierauf beseitigt werden. Diesen Überlegungen macht der anhaltende politische Dissens bezüglich einer Gesetzesreform einen Strich durch die Rechnung.
III. Ausgewählte Einbürgerungstatbestände
245
fentliches Interesse besteht, beurteilt sich nach den in den Nummern 3 ff. aufgeführten Gesichtpunkten. Das schließt nicht aus, daß in Ausnahmefällen aus anderen als den darin erwähnte Gesichtspunkten das öffentliche Interesse an einer Einbürgerung bejaht oder verneint wird. 2.3
Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland; sie strebt nicht an, die Anzahl der deutschen Staatsangehörigen gezielt durch Einbürgerung zu vermehren.
3
Einbürgerungsvoraussetzungen
3.1
Staatsbürgerliche
und kulturelle
Voraussetzungen
Die Einbürgerung setzt eine freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland, Grundkenntnisse unserer staatlichen Ordnung und ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung voraus. 3.1.1
Die freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland wird aus der nach dem bisherigen Gesamtverhalten zu beurteilenden grundsätzlichen Einstellung zum deutschen Kulturkreis zu schließen sein. Eine dauernde Hinwendung zu Deutschland ist grundsätzlich nicht anzunehmen, wenn sich der Einbürgerungsbewerber in einer politischen Emigrantenorganisation betätigt. Der Einbürgerungsbewerber soll insbesondere die deutsche Sprache in Wort und Schrift in dem Maße beherrschen, wie dies von Personen seines Lebenskreises erwartet wird. Bei älteren Einbürgerungsbewerbern können Bildungsstand und gewisse Schwierigkeiten, die deutsche Sprache zu erlernen, berücksichtigt werden; das gilt vor allem, wenn die übrigen Familienangehörigen die deutsche Sprache hinreichend beherrschen und die Einbürgerung der gesamten Familie wünschenswert erscheint. Eine Einbürgerung kann nicht in Betracht kommen, wenn sie lediglich zur Erlangung wirtschaftlicher Vorteile erstrebt wird, ohne daß eine Hinwendung zu Deutschland erkennbar ist.
3.1.2
Der Einbürgerungsbewerber soll eine seinem Lebenskreis entsprechende Kenntnis der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland besitzen. Er muß nach seinem Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart Gewähr dafür bieten, daß er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und für ihre Erhaltung eintreten wird. Personen, die in innerer Abhängigkeit zu totalitären Ideologien stehen, ist die Einbürgerung zu versagen. Gibt die Einstellung eines Familienangehörigen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung Anlaß zu Bedenken, so sind die staatsbürgerlichen Voraussetzungen einer Einbürgerung der übrigen Familienangehörigen sorgfältig zu prüfen.
3.2
Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, Aufenthaltsdauer
3.2.1
Weitere Voraussetzungen der Einbürgerung ist die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse; sie setzt in der Regel ein langfristiges Einleben in die deutsche Umwelt voraus. Deswegen ist für die Einbürgerung ein langjähriger Inlandsaufenthalt erforderlich. Der Inlandsaufenthalt soll in der Regel mindestens zehn Jahre betragen. [ . . . ]
246
G. Anhang
3.2.4 3.3
Ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung kann nur bejaht werden, wenn sich der Einbürgerungsbewerber rechtmäßig im Inland aufhält. Unbescholtenheit
3.3.1
7
§ 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG fordert eine einwandfreie Lebensführung als Voraussetzung für eine Einbürgerung; dies ist nicht ausschließlich nach strafrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Die Feststellung, daß über den Einbürgerungsbewerber Nachteiliges nicht bekanntgeworden ist, genügt für sich allein nicht. Bei der Prüfung müssen vielmehr Feststellungen getroffen werden, die Aufschlüsse über den Lebensweg und das Persönlichkeitsbild des Einbürgerungsbewerbers geben.
3.3.2
Die Voraussetzung der Unbescholtenheit erfüllt in der Regel nicht, wer bestraft worden ist. [ . . . ]
3.4
Wirtschaftliche
3.4.1
§ 8 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 RuStAG fordern, daß der Einbürgerungsbewerber im Inland eine Wohnung hat und daß er sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen zu unterhalten imstande ist. Grundsätzlich ist vorauszusetzen, daß er diesen Unterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln aufbringen kann. [ . . . ]
4
Einheitliche Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie8 [ . . . ]
5
Zwischenstaatliche Gesichtspunkte
5.1
Jede Einbürgerung eines fremden Staatsangehörigen berührt die Personalhoheit eines anderen Staates. Wenn auch die Rechtsordnungen vieler Staaten die persönliche Entscheidung eines Bürgers respektieren, mit dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit aus der bisherigen auszuscheiden, mißbilligen andere Länder die Abwanderung von Arbeitskraft und Intelligenz und verstehen die Einbürgerung ihrer Staatsangehörigen als eine Beeinträchtigung ihrer Interessen. Dies wird vor allem dann zutreffen, wenn qualifizierte Kräfte abwandern und wenn die Abwanderung auch der Anzahl nach ins Gewicht fällt.
Voraussetzungen
Bei der Entscheidung über den Einbürgerungsantrag sind berechtigte Interessen fremder Staaten zu berücksichtigen. Von Einbürgerungen, denen deutsche außenpolitische Belange entgegenstehen, ist abzusehen, 5.2
Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik
5.2.1
Die zwischenstaatlichen Beziehungen können in besonderer Weise belastet werden, wenn Staatsangehörige der Entwicklungsländer eingebürgert werden. [ . . . ]
5.3
Vermeidung
5.3.1
Mehrstaatigkeit schafft die Gefahr der Rechtsunsicherheit, besonders im internationalen Privatrecht, und führt zum Widerstreit von Pflichten gegenüber verschiedenen Rechtsordnungen. Der diplomatische und konsularische Schutz, den die Staatsangehörigkeit im Ausland verleiht, ist gegenüber Mehrstaatern zudem ein-
von Mehrstaatigkeit
7 § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAGist mit Wirkung vom 1. 7. 1993 geändert worden. Danach kann die Einbürgerung eines Ausländers nunmehr in Betracht kommen, wenn er keinen Ausweisungsgrund nach § 46 Abs. 1 bis 4, § 47 Abs. 1 oder Abs. 2 des Ausländergesetzes erfüllt. 8
Wird seit dem Ol. 07. 1993 von der Mehrheit der Länder nicht mehr angewendet.
III. Ausgewählte Einbürgerungstatbestände
247
geschränkt. Aus rechtspolitischen Gründen ist es deshalb erforderlich, bei Einbürgerungen dem Entstehen von Mehrstaatigkeit entgegenzuwirken. Die Vermeidung von Mehrstaatigkeit ist daher bis in die neueste Zeit des Ziel internationaler Abkommen - so u. a. des Übereinkommens über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern - und der nationalen Gesetzgebung vieler Staaten. Deshalb soll eine Einbürgerung nur vollzogen werden, wenn nachgewiesen ist, daß der Einbürgerungsbewerber spätestens mit der Einbürgerung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit ausscheidet. 5.3.2
Sofern der Einbürgerungsbewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht kraft Gesetzes verliert oder, wenn dies das Recht seines Heimatstaates zuläßt, durch einseitige Willenserklärung aufgibt, ist er auf eine Entlassung angewiesen. Unter Entlassung im Sinne diese Richtlinie ist jeder Hoheitsakt seines Heimatstaates zu verstehen, der das Ausscheiden aus der bisherigen Staatsangehörigkeit zur Folge hat (wie Entlassung, Genehmigung oder Erlaubnis zum Staatsangehörigkeitswechsel u. a.). Stehen der Entlassung Hindernisse entgegen, so hat der Einbürgerungsbewerber grundsätzlich die sich für ihn aus den Besonderheiten des Rechts seines Heimatstaates ergebenden Bindungen hinzunehmen. Ein gescheiterter Versuch einer Entlassung oder eine Verzögerung im Entscheidungsprozeß allein können noch keine Rechtfertigung dafür bieten, von dem Einbürgerungshindernis entstehender Mehrstaatigkeit abzusehen.
5.3.3
Ausnahmen können in Betracht kommen, wenn vorrangige Gesichtspunkte es erfordern, daß das rechtspolitische Ordnungsprinzip, Mehrstaatigkeit zu vermeiden, zurücktritt, und wenn die Versagung der Einbürgerung eine unzumutbare Härte darstellen würde. Das ist nicht der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber eintretende Schwierigkeiten in zurechenbarer Weise selbst verursacht hat, so wenn er beispielsweise seine - finanziellen oder dienstrechtlichen - Verpflichtungen gegenüber dem Heimatsaat verletzt hat. Es ist dem Einbürgerungsbewerber zuzumuten, daß er den allgemein geltenden und den besonders übernommenen Pflichten nachkommt. Zumutbar ist auch, daß er längere, unter Umständen mehijährige Wartefristen bei Entlassungsanträgen hinnimmt, wenn nach den gewonnenen Erfahrungen Beharrlichkeit zum Ziele führt. Zumutbar sind ferner wirtschaftliche Nachteile im Heimatstaat (ζ. B. Erbrechtsbeschränkungen oder die Auflage, Grundbesitz zu veräußern). Der Einbürgerungsbewerber muß bereit sein, solche Folgen eines Staatsangehörigkeitswechsels zu tragen, zumal der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit häufig auch wirtschaftlich vorteilhaft sein wird. Danach kommen Ausnahmen vom Einbürgerungshindernis eintretender Mehrstaatigkeit in Betracht, wenn
5.3.3.1
das Recht des Heimatstaates das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit überhaupt nicht ermöglicht,
5.3.3.2
der Heimatstaat die Entlassung durchweg verwehrt oder von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht, der Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen einer Einbürgerung nach internationaler Gepflogenheit zweifelsfrei erfüllt und die Verweigerung dadurch den Charakter des Willkürhaften erhält,
248
G. Anhang
5.3.3.3
der Einbürgerungsbewerber Vertriebener (Nummer 6.2), heimatloser Ausländer (Nummer 6.4.1.1), Asylberechtigter (Nummer 6.4.1.2) oder in deutsche Obhut übernommener ausländischer Flüchtling (Nummer 6.4.1.3) ist und die Forderung der Entlassung eine unzumutbare Härte darstellen würde,
5.3.3.4
der Einbürgerung älterer Personen ausschließlich das Hindernis eintretender Mehrstaatigkeit entgegensteht, die Entlassung auf unverhältnismäßige Schwierigkeiten stößt und die Versagung der Einbürgerung eine besondere Härte darstellen würde,
5.3.3.5
minderjährige Kinder eingebürgert werden sollen und ihre Entlassung auf unverhältnismäßige Schwierigkeiten stößt,
5.3.3.6
Einbürgerungsbewerber den überwiegenden Teil ihrer Schulausbildung in deutschen Schulen erhalten haben und hier in deutsche Lebensverhältnisse und in das wehrpflichtige Alter hineingewachsen sind, sofern die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit von der Leistung des Wehrdienstes abhängig ist,
5.3.3.7
der Einbürgerungsbewerber zwar die Verweigerung der Entlassung zu vertreten hat, sich aber schon länger als zwanzig Jahre nicht mehr im Heimatstaat aufgehalten hat, davon mindestens zehn Jahre im Bundesgebiet, und über vierzig Jahre alt ist.
5.3.4
Ausnahmen kommen ferner in Betracht, wenn
5.3.4.1
ein herausragendes öffentliches Interesse an der Einbürgerung besteht (s. hierzu Nummer 3.2.3.1),
5.3.4.2
die Hinnahme von Mehrstaatigkeit im öffentlichen Interesse geboten ist.
5.3.5
Bei fremden Staatsangehörigen, die mit deutschen Ehegatten verheiratet sind, sind bei Einbürgerungen nach § 8 RuStAG Ausnahmen darüber hinaus vertretbar, wenn der Einbürgerungsbewerber zwar die Verweigerung der Entlassung zu vertreten hat, sich aber seit mehr als fünfzehn Jahren nicht mehr im Heimatstaat aufgehalten hat, davon mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet, und über fünfunddreißig Jahre alt ist.
5.3.6
Ausnahmen können auch bei Einbürgerungen nach § 8 oder § 13 RuStAG in Betracht kommen, wenn ehemalige deutsche Staatsangehörige durch Eheschließung mit Ausländern die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben.
5.3.7
Der Nachweis der Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit ist erst zu fordern wenn die Zustimmung zur Einbürgerung erteilt ist. Dem Einbürgerungsbewerber kann alsdann eine schriftliche Einbürgerungszusicherung erteilt werden. Durch sie wird die Einbürgerung für den Fall zugesagt, daß der Einbürgerungsbewerber die Entlassung aus der hisherigen Staatsangehörigkeit nachweist. In der Regel ist die Einbürgerungzusicherung auf zwei Jahre zu befristen; die Verlängerung der Frist ist zulässig. Die Einbürgerungszusicherung wird unter dem Vorbehalt erteilt, daß sich die für die Einbürgerung maßgeblichen persönlichen Verhältnisse bis zum Ablauf der Frist nicht ändern. Bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit der Einbürgerungsbehörde werden Bund und Länder bereits erteilte Einbürgerungszusicherungen anerkennen.
III. Ausgewählte Einbürgerungstatbestände 6
Besondere Fälle
6.1
Mit deutschen Ehegatten verheiratete
249
Ausländer [...]
6.2
Vertriebene [ . . . ]
6.3
Fälle mit Wiedergutmachungsgehalt [ . . . ]
6.4
Heimatlose Ausländer, Asylberechtigte, ausländische Flüchtlinge, Staatenlose [.·.]
6.5
Antragsteller im Ausland [ . . . ]
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