Logische Probleme der Realisierbarkeits- und Unendlichkeitsbegriffe [Reprint 2021 ed.] 9783112563243, 9783112563236


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Logische Probleme der Realisierbarkeits- und Unendlichkeitsbegriffe [Reprint 2021 ed.]
 9783112563243, 9783112563236

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J. A. PETROV

Logische Probleme der Realisierbarkeits- und Unendlichkeitsbegriffe

J. A. PETROV

Logische Probleme der Realisierbarkeitsund Unendlichkeitsbegriffe mit einem Nachwort von HORST WESSEL

AKADEMIE-VERLAG•BERLIN

1971

Russischer

Originaltitel:

10. A. IleTpoB JIoriiiecKne

n p o S n e M H a S c T p a m m i i ß e c K O H e i H o c r a h ocymecTBHMOcni Hs^aTejibCTBO H a y n a , M o c K B a 1 9 6 7

Deutsche Ausgabe aus dem Russischen übersetzt und bearbeitet von Horst Wessel

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3 - 4 Copyright 1971 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/18/70 Umschlag-Gestaltung: Werner Streese Herstellung: IV/2/14 V B B Werkdruck, 445 Gräfenhainichen • 3423 Bestellnummer: 5812 E S 3 B 2 EDV 751 790 4 12,-

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

7

Einleitung. Realisierbarkeit und Kybernetik

9

Erstes

Kapitel

Logische Analyse der Abstraktionen der Realisierbarkeit und der Unendlichkeit

17

§ 1. Die Abstraktionen der potentiellen Realisierbarkeit und der potentiellen Unendlichkeit

17

Die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit

17

Die Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit

18

Die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit und konstruktive Objekte

20

Endliche und unendliche konstruktive Mengen

21

Konstruktive Objekte und formale Logik

24

Konstruktiv unendliche Mengen und formale Logik

26

Die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit in Mathematik und Kybernetik

32

§ 2. Die Abstraktionen der „absoluten" Realisierbarkeit und der aktuellen Unendlichkeit

38

Die Abstraktion der „absoluten" Realisierbarkeit

38

Die Abstraktion der aktualen Unendlichkeit . . . . . . . . Logische Fragen des Zusammenhangs von potentieller und „absoluter" Realisierbarkeit

41 44

Logische Probleme der Abstraktion der aktualen Unendlichkeit

49

§ 3. Die Abstraktionen der „faktischen" Realisierbarkeit und der „faktischen" Unendlichkeit

53

Die Abstraktion der „faktischen" Realisierbarkeit und ihre Verwendung in der theoretischen Kybernetik

55

Die Abstraktion der „faktischen" Unendlichkeit

58

Logische Probleme der Abstraktionen der „faktischen" Realisierbarkeit und Unendlichkeit

60

5

Die Beziehungen von Theorien mit verschiedenen Abstraktionen der Realisierbarkeit

65

| 4. Der historische Aspekt der Abstraktionen der Realisierbarkeit und der Unendlichkeit

66

Probleme der Unendlichkeit in der voraristotelischen Periode der griechischen Wissenschaft

68

Das Verhältnis von Aristoteles zum Problem des Unendlichen .

80

Besonderheiten bei der Betrachtung der Unendlichkeit und der Realisierbarkeit in der griechischen Wissenschaft

84

E n t s t e h u n g und Entwicklung moderner Vorstellungen von der aktualen Unendlichkeit

88

Klassifikation der Richtungen in der mathematischen Grundlagenforschung nach ihrem Verhältnis zur Abstraktion der aktualen Unendlichkeit

90

Zweites

Kapitel

D a s Problem der logischen Abbildung der Bewegung und die Abstraktionen der Unendlichkeit § 1. Analyse einiger moderner Konzeptionen Bewegung

101

zur Abbildung der 101

Einführung

101

Analyse der Konzeption von B. Russell

103

Axiomatische Theorie der Kontinuität von Sadeo Shiraishi . .

114

Theorie der Kontinuität der Bewegung von A. Grünbaum

118

. .

Einige Schlußfolgerungen § 2. Die dialektische Lösung der Schwierigkeiten bei der logischen Abbildung der Bewegung Einführung Idealisierungen bei der Abbildung der mechanischen Bewegung von Makroobjekten Definition der Begriffe Bewegung und Ruhe Logische Analyse der Schwierigkeiten bei der Abbildung der Bewegung

128 135 135 138 139 142

Erkenntnistheoretische Analyse der Schwierigkeiten bei der Abbildung der Bewegung

6

146

Nachwort des Herausgebers

155

Literaturverzeichnis

180

Personenverzeichnis

185

Vorwort

Das vorliegende Buch wurde unter Anleitung der inzwischen verstorbenen Sofia Alexandrovna Janovskaja geschrieben; sie beeinflußte wesentlich die Gesamtkonzeption des Buches und die in ihm entwickelten methodologischen Gedanken. Der Verstorbenen sei an dieser Stelle für die mir erwiesene unschätzbare wertvolle Hilfe in tiefer Dankbarkeit gedacht. Weiterhin fühle ich mich den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Mathematische Logik an der Mechanisch-Mathematischen Fakultät der Lomonossow-Universität, A. A. Markov, N. M. Nagorni, W. A. Uspenski und A. W. Kuznecov, für die Anregungen, die ich in ihren Vorlesungen erhielt, zu Dank verpflichtet. A. W. Kuznecov half mir außerdem mit wichtigen Ratschlägen. Herzlich danke ich ebenfalls dem Mitarbeiter des Logik-Lehrstuhls der Philosophischen Fakultät J . K. Woischwillo, dessen Hinweise einen spürbaren Einfluß auf meine Arbeit ausübten. Gedankt sei auch der Leitung der Sektion „Philosophische Fragen der Kybernetik" des Wissenschaftlichen Rates für Kybernetik und des Wissenschaftlichen Rates für philosophische Fragen der modernen Naturwissenschaft beim Präsidium der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, die das Buch zum Druck empfahl. Schließlich danke ich J . A. Gastjev, B. V. Birjukov und N. M. Nagorni für eine Reihe wertvoller inhaltlicher und redaktioneller Hinweise, die zu einer Verbesserung des Buches führten. Dem Leser wäre ich sehr dankbar, wenn er mir die ihm aufgefallenen Unzulänglichkeiten des Buches mitteilen würde. J . P. Petrov

EINLEITUNG

Realisierbarkeit und Kybernetik

Die logische Analyse der Abstraktionen der Realisierbarkeit und der Unendlichkeit war stets ein untrennbarer Bestandteil der philosophischen und logischen Begründung der Mathematik. Gegenwärtig in teressieren sich für diese Problematik insbesondere die Wissenschaften, in denen mathematische Modelle verwendet werden. Besondere Bedeutung besitzt diese Analyse für die Kybernetik, wo bei der Verwendung mathematischer und technischer Modelle häufig verschiedenartige Mißverständnisse auftreten. Die wichtigste Aufgabe dieser logischen Analyse ist die Lösung von logischen Schwierigkeiten, die bei der Verwendung der Abstraktionen der Realisierbarkeit und der Unendlichkeit entstehen. Es sei vermerkt, daß die logische Analyse stets mit der philosophischen Analyse dieser Abstraktionen verbunden war. Die philosophische Analyse konzentriert sich dabei hauptsächlich auf erkenntnistheoretische Aspekte der logischen Schwierigkeiten. Unter philosophischem Gesichtspunkt treten die verschiedenen Begriffe der Realisierbarkeit abstrakter Objekte als verschiedene Bedeutungen der Kategorie des Möglichen in bezug auf idealisierte abstrakte Objekte auf (bezüglich der Begriffe „Abstraktion", „abstraktes Objekt", „Idealisierung" siehe z. B. [3]) 1 . Gegenwärtig ist für viele Wissenschaften eine exakte Analyse des Sinnes der Termini „Mögliches" und „Unmögliches" notwendig. Eine Methode zur Präzisierung des Sinnes dieser Termini besteht darin, daß man ihren Inhalt mit Hilfe der Begriffe der Realisierbarkeit beschreibt. Man kann beispielsweise beliebig lange über „das Mögliche" und „ d a s Unmögliche" in der Kybernetik diskutieren. Man bringt die Lösung der Frage aber keinen Schritt voran, wenn vorher nicht präzisiert wird, was „das Mögliche" (oder Realisierbare) und was „das Unmögliche" (oder das Nichtrealisierbare) bezüglich dieser oder jener Objekte, abstrakter Objekte eingeschlossen, bedeuten. Wenn man in der Kybernetik von der Realisierbarkeit (oder Möglichkeit) einer Modellierung gewisser Funk1

Die Zahlen in eckigen Klammern verweisen auf die unter dieser Nummer im Literaturverzeichnis angegebene Literatur. Zur Problematik der Abstraktion vgl. auch Nachwort des Herausgebers. (Alle Anm. stammen vom Hrsg.)

9

tionen spricht (von Lebens- oder Denkfunktionen, von Funktionen ökonomischer, sozialer und anderer Systeme), so muß man sich sehr genau überlegen, in welchem Sinne der Terminus „Realisierbarkeit" (oder „Möglichkeit") verstanden werden soll. Im vorliegenden Buch werden drei Realisierbarkeitsbegriffe betrachtet. Diese Begriffe sind die Abstraktionen „absolute", „potentielle" und „faktische" Realisierbarkeit. Wir weisen den Leser darauf hin, daß alle drei angegebenen Begriffe die reale physische Realisierbarkeit idealisiert abbilden, daß von irgendwelchen Faktoren der realen Realisierbarkeit abstrahiert wird, daß andere Faktoren idealisiert werden, daß bestimmte Vereinfachungen und Vergröberungen vorgenommen werden. Wenn deshalb über die Realisierbarkeit irgendwelcher Hirnfunktionen mit Hilfe mathematischer Modelle gesprochen wird, etwa ihre Beschreibung mit Hilfe „formaler Neuronennetze", so folgt hieraus noch lange nicht die Realisierbarkeit dieser Funktionen durch technische Modelle, die schon eine bestimmte Form der realen (oder physischen) Realisierbarkeit voraussetzt. Diese Form der realen Realisierbarkeit ist natürlich von der im Hirn des Menschen anzutreffenden realen Realisierbarkeit verschieden. In diesem Zusammenhang entstehen spezifische Probleme, die wir nicht betrachten werden. Wir betrachten nur die Realisierbarkeitsbegriffe, die mit der mathematischen Modellierung verbunden sind, und ihr Verhältnis zur realen (praktischen) Realisierbarkeit. Von diesem Standpunkt aus mag der Terminus „faktische Realisierbarkeit" unangemessen erscheinen, da er, wie wir bereits sagten, keineswegs die reale Realisierbarkeit bedeutet. Hierzu läßt sich nur sagen, daß dieser Terminus schon in einigen Arbeiten verwendet wurde und daß wir keinen passenderen Terminus gefunden haben. In der Kybernetik haben mathematische Modelle sehr wesentliche Bedeutung. Natürlich ist man bei ihrem Aufbau bestrebt, möglichst Realisierbarkeitsbegriffe mit einem geringen Abstraktionsgrad zu verwenden, die nicht allzu weit hinter der realen Realisierbarkeit zurückbleiben. Den in diesem Sinne höchsten Abstraktionsgrad finden wir bei dem Begriff der „absoluten Realisierbarkeit". Diese Bezeichnung, wiederum traditionell bedingt, drückt aus, daß hier die reale Realisierbarkeit bis zum äußersten, bis zum „Absoluten" idealisiert ist. Der Begriff der „faktischen" Realisierbarkeit ist im obenerwähnten Sinne am wenigsten idealisiert. Es wäre voreilig, wollte man behaupten, daß die Abstraktion der „faktischen" Realisierbarkeit beim Aufbau mathematischer und kybernetischer Modelle schon häufig verwendet werde. In dieser Richtung wird jedoch sowohl in der Sowjetunion als auch in anderen Ländern gearbeitet. Ein Beispiel für die Verwendung dieser 10

Abstraktion im Bereich der theoretischen Kybernetik ist die Arbeit von W. A. Kosmidiadi [13]. Am häufigsten wird, insbesondere in der Kybernetik, die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit verwendet. Diese Abstraktion liegt solchen Theorien zugrunde, wie der Algorithmentheorie, der Theorie der abstrakten Automaten, der Theorie der Boolschen Algebra, die das theoretische Fundament der Kybernetik bilden. Eine der Aufgaben des vorliegenden Buches besteht darin, zu zeigen, daß die Abstraktionen der Realisierbarkeit sehr eng mit den Abstraktionen •der Unendlichkeit verbunden sind. In dem Buch werden drei Abstraktionen der Unendlichkeit betrachtet: 1. die sogenannte Abstraktion der „aktualen" Unendlichkeit, 2. die Abstraktion der „potentiellen" Unendlichkeit und 3. die Abstraktion der „faktischen" Unendlichkeit, die entsprechend mit den Abstraktionen der „absoluten", „potentiellen" und ,,faktischen" Realisierbarkeit verbunden sind. Wir machen nochmals darauf aufmerksam, daß all diese Abstraktionen Idealisierungen darstellen und folglich nur eine vermittelte Beziehung zur realen Wirklichkeit besitzen. Während potentiell unendliche Prozesse, die mit Hilfe der Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit modelliert werden, noch intuitiv vorstellbar sind, so ist es schon schwieriger, sich Objekte vorzustellen, die mit Hilfe der Abstraktionen der „aktualen" Unendlichkeit oder der „faktischen" Unendlichkeit modelliert werden. Dieser Umstand verringert jedoch keineswegs den theoretischen Erkenntniswert dieser Abstraktionen. In der modernen Erkenntnistheorie ist allgemein anerkannt, daß das Fehlen einer anschaulichen oder intuitiv zugänglichen Interpretation gewisser Abstraktionen einer Theorie kein Hindernis für die Entwicklung dieser Theorie ist, sondern deren Erkenntniswert sogar vergrößern kann. So gibt es zwei Begriffe einer unendlichen Menge: einmal als Menge, die eine ihr äquivalente echte Teilmenge besitzt, und zum anderen als Menge, die entsteht, wenn man einen unendlichen Prozeß „bis zu E n d e " durchführt. Gegenwärtig wird in wissenschaftlichen Theorien der erste der erwähnten Begriffe einer unendlichen Menge verwendet, während der zweite als logisch widersprüchlich verworfen wird, obwohl dieser intuitiv zugänglicher ist. Die zweite Auffassung von einer unendlichen Menge herrschte mehr als zweieinhalbtausend Jahre (bis zur Ausarbeitung der Mengenlehre durch G. Cantor) gerade wegen ihrer intuitiven Zugänglichkeit vor, denn die erste Auffassung lief den intuitiven Vorstellungen zuwider und erschien deshalb paradox (es genügt, an die „Paradoxie" von Galilei und viele andere „Paradoxien" zu erinnern, mit deren Lösung sich B. Bolzano [42] beschäftigte).

11

Die Abstraktion der „faktischen" Unendlichkeit ist schon deshalb intuitiv weniger zugänglich, weil wir an diesen Begriff nicht gewöhnt sind, ungeachtet dessen, daß er logisch das gleiche Existenzrecht besitzt wie die anderen Unendlichkeitsbegrifle. Eine aktual-unendliche Menge wird definiert als eine Menge, die eine ihr äquivalente Teilmenge enthält. Diesen Satz kann man als Postulat einer Theorie unter der Bedingung benutzen, daß er nicht im Widerspruch zu anderen Postulaten dieser Theorie steht. In diesem Falle ist der Bereich, der zur Interpretation dieser Theorie dient, ein „aktual-unendlicher" Bereich. Auf analoge Weise läßt sich auch die Abstraktion der „faktischen" Unendlichkeit einführen. Hierzu betrachten wir das Axiom der vollständigen mathematischen Induktion, das in einem potentiell-unendlichen Bereich wahr ist. Wir bezeichnen dieses Axiom mit dem Buchstaben A. Symbolisch läßt sich der Satz A wie folgt schreiben: P(0) A (P(n) -

P(n))

V

w

P(n),

wobei das Symbol P eine bestimmte Eigenschaft, das Symbol O das Ausgangsobjekt, das Symbol n ein beliebiges Objekt, das Symbol ' die Operation der unmittelbaren Nachfolge und die Symbole /\, V entsprechend die logischen Operatoren „und", „wenn . . ., so . . . " , „alle" bedeuten. Wir betrachten jetzt die Negation des Satzes A und bezeichnen ihn als "7 A. Nach gewissen elementaren Umformungen nimmt er die folgende Gestalt an: P(0)

A

(P(n) -

P(n))

A

7

P(n),

wobei das Symbol 3 den logischen Operator „es gibt" und das Symbol ~7 die logische Operation der Negation bedeuten. Es ergibt sich die Frage, wie man sich intuitiv einen Bereich vorstellen kann, in dem der Satz "7 A wahr ist und den man „faktisch-unendlich" nennen kann. Die Anwendung des Terminus „unendlich" auf diesen Bereich ist genauso berechtigt wie seine Anwendung auf einen Bereich, der dem Satz A genügt. In dem Satz 1 A ist jedoch die Existenzbehauptung eines Elementes n enthalten, das nicht die angegebene Eigenschaft P besitzt, das heißt der Satz 3,i

7

P(n).

Die Existenz eines Objektes n, das nicht die Eigenschaft P besitzt, kann man sich im gegebenen Falle aus folgenden Gründen schwer vorstellen: Wir sind gewohnt, nach der Regel der vollständigen mathema12

tischen Induktion zu schließen, wenn aus der Tatsache, daß ein Objekt eine gewisse Eigenschaft besitzt, folgt, daß das unmittelbar darauffolgende Objekt diese Eigenschaft ebenfalls besitzt, und wir neigen dazu, den Satz A als wahr und den Satz ~7 A als falsch anzusehen. Deshalb beruhen die Argumente gegen die Erfüllbarkeit von ~7 A in einem Bereich, der induktiv aus 0 mit Hilfe der Operation ,,'" aufgebaut ist (ansonsten könnte man triviale Beispiele in der Art der natürlichen Zahlenreihe plus noch „irgendein" Element anführen), inhaltlich selbst auf A. Deshalb können sie nicht als Argument gegen die Wahrheit von "7 A dienen, wenn A nicht offensichtlich als wahr akzeptiert wird. Wenn man von der Erfüllbarkeit von A in irgendeinem Bereich spricht, so ergibt sich natürlich die Aufgabe, Beispiele zu finden, die zumindest annähernd die Wahrheit des Satzes "7 A, der in diesem Bereich interpretiert wird, bestätigen würden. Solche Beispiele werden wir später anführen. Wissenschaftliche Theorien können sowohl auf Grund der Annahme der Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit (die intuitiv am besten vorstellbar ist) als auch auf der Annahme der Abstraktionen der „aktualen" und der „faktischen" Unendlichkeit aufgebaut werden. Die Abstraktion der faktischen Unendlichkeit läßt sich ziemlich schwierig mit der Intuition in Einklang bringen, und es entstehen nicht wenige Schwierigkeiten, deren Uberwindung Aufgabe der logischen Analyse der Unendlichkeits- und Realisierbarkeitsbegriffe ist. Diese Problematik wird im vorliegenden Buch noch breiten Raum einnehmen. Die Auswahl eines bestimmten Unendlichkeitsbegriffes und die Art seiner Verwendung hängen vom Charakter der jeweiligen konkreten Aufgaben ab. Es sind sehr viele Beispiele bekannt, in denen sogar endliche Objekte (Wegabschnitte, Zeitzwischenräume usw.) als aktual unendliche Mengen betrachtet werden. In der Algorithmentheorie ist eine solche Betrachtungsweise von Objekten im allgemeinen nicht zulässig, jedoch auch sie verwendet eine Abstraktion der Unendlichkeit — nämlich die Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit, und sie spielt in dieser Theorie eine sehr spezifische Rolle. Wenn die Anwendung eines Algorithmus auf ein Wort zu einem potentiell unendlichen Prozeß führt, so ist der vorliegende Algorithmus auf das gegebene Wort nicht anwendbar. In der Kybernetik werden komplizierte selbstregulierende Systeme untersucht, das heißt Systeme, die sich im Zustand der Bewegung (der Veränderung) befinden. Hieraus folgt, daß eines der wichtigsten erkenntnistheoretischen und logischen Probleme der Kybernetik das Problem der 13

Abbildung der Bewegung, in erster Linie der Abbildung der Bewegung mit Hilfe mathematischer Modelle ist. Diese Aufgabe führt jedoch selbst dann zuweilen zu emsthaften Schwierigkeiten, wenn wir es mit einer so relativ einfachen Form der Bewegung wie der mechanischen Bewegung von Makroobjekten zu tun haben. Die Ursache dieser Schwierigkeiten besteht darin, daß wir die Bewegung nicht abbilden können, ohne den realen Prozeß der Bewegung zu vereinfachen und zu idealisieren. Diese Vereinfachung und Idealisierung beim Aufbau mathematischer Modelle der Bewegung führten mit Notwendigkeit zur Einführung von Unendlichkeitsbegrifl'en. i m § 1 des zweiten Kapitels werden wir einige moderne Lösungsversuche zum Problem der Abbildung der Bewegung kritisch betrachten, bei denen verschiedene Abstraktionen der Unendlichkeit verwendet werden. Diese Lösungsversuche lassen sich im wesentlichen in zwei Richtungen einteilen, die diametral entgegengesetzte Standpunkte in bezug auf die Zulässigkeit der Abstraktion der aktualen Unendlichkeit bei der Abbildung der Bewegung vertreten. Die Vertreter der einen Richtung (zum Beispiel A. Grünbaum) nehmen auf Grund verschiedener Überlegungen an, daß die Abstraktion der aktualen Unendlichkeit für die mathematische Beschreibung der Bewegung durchaus geeignet ist. Sie sind sogar der Auffassung, daß der reale Raum und die reale Zeit unendliche Mengen von der Mächtigkeit des Kontinuums darstellen, und glauben, daß von ihrer Position aus alle Schwierigkeiten bei der Abbildung der Bewegung gelöst werden können. Die Vertreter der anderen Richtung (z. B. Sadeo Shiraishi) sehen es als unzulässig an, den Raum und die Zeit mit Hilfe der Abstraktion der aktualen Unendlichkeit zu beschreiben, und schlagen ihre eigenen, teilweise recht originellen Mittel zur Beschreibung dieser Objekte vor. Die Auffassungen der letzten Richtung sind besonders für die theoretische Kybernetik wichtig, weil dort die Abstraktion der aktualen Unendlichkeit ausgeschlossen wird. Die Vertreter jeder der angegebenen Richtungen glauben, nur ihr Verfahren zur Beschreibung der Bewegung gestatte es, die reale Bewegung absolut genau abzubilden und alle Schwierigkeiten zu lösen, die mit dieser Abbildung verbunden sind. Der Anspruch, die Bewegung mit Hilfe mathematischer Abstraktionen absolut genau abzubilden, ist unseres Erachtens unbegründet. Jede Abstraktion vereinfacht und vergröbert die Bewegung. Die Schwierigkeiten bei der Abbildung der Bewegung erweisen sich in Wirklichkeit stets als relativ und nicht als im absoluten Sinne überwindbar. Der metaphysische Charakter der Anschauungen über die Abbildung der Bewegung mit 14

Hilfe m a t h e m a t i s c h e r Abstraktionen b e s t e h t n i c h t darin, d a ß f ü r diese Abbildung m a t h e m a t i s c h e Unendlichkeitsbegriffe b e n u t z t werden, sondern darin, d a ß diese Abbildungen als absolut genaue Beschreibungen der Bewegung b e t r a c h t e t werden u n d d a ß m a n glaubt, vollständig u n d endgültig alle Schwierigkeiten ü b e r w u n d e n zu h a b e n , die m i t einer solchen A b bildung v e r b u n d e n sind. Obwohl die verschiedenen in diesem Buch b e t r a c h t e t e n Konzeptionen zu dieser Problematik recht unterschiedlich sind, gehen sie doch alle von der gleichen Methode aus. Diese Methode b e s t e h t darin, d a ß m a n die Schwierigkeiten m i t Hilfe einer gewissen formalisierten Theorie lösen will und daß diese Theorie eine absolut genaue Abbildung der Wirklichkeit darstellen soll. Erstens k a n n jedoch keine Theorie diesen Anspruch voll erfüllen, da jede Theorie die wirkliche Bewegung idealisiert, v e r e i n f a c h t und vergröbert. Zweitens verlagern diese Lösungen die Schwierigkeiten faktisch n u r in die Voraussetzungen (in die Ausgangsabstraktionen) d e r Theorie, mit deren Hilfe die Schwierigkeiten gelöst werden. Mit dieser Theorie sind jedoch wiederum n i c h t weniger Schwierigkeiten v e r b u n d e n . In diesem Sinne ist es unberechtigt, von einem „ e n d g ü l t i g e n " Überwinden der Schwierigkeiten bei der Abbildung der Bewegung zu sprechen. W i r berücksichtigen dies u n d schlagen im § 2 des zweiten Kapitels einen anderen Lösungsweg vor. Wir unterstreichen weiter, d a ß jede formale Theorie, die die Bewegung mit Hilfe m a t h e m a t i s c h e r Abstraktionen der Unendlichkeit beschreibt und logisch widerspruchsfrei ist, notwendigerweise n i c h t alle Eigenschaften der Bewegung beschreibt. Von einigen Eigenschaften der Bewegung wird unvermeidlich abgesehen, weil deren Beschreibung einfach über den R a h m e n der gegegebenen Theorie hinausgeht. Nur auf G r u n d dieser Abstraktion wird die Widerspruchsfreiheit der Theorie erreicht. Widersprüche entstehen d a n n , wenn die Beschreibung gegebener Eigenschaften in der Sprache einer Theorie d u r c h g e f ü h r t wird, in deren R a h m e n von der Beschreibung dieser Eigenschaften abgesehen werden m u ß . Wird diese F o r d e r u n g nicht beachtet, so treten die „unüberwindlichen Schwierigkeiten" der von Zenon formulierten Aporien auf. Die Eigenschaften der Bewegung, die im R a h m e n einer gegebenen formalisierten Theorie nicht beschrieben werden können, lassen sich jedoch teilweise (aber wiederum nicht vollständig) in einer anderen formalisierten Theorie oder aber m i t Hilfe von inhaltlichen Sätzen, die auf G r u n d v o n empirischen Daten formuliert werden, beschreiben. Die Abbildung der Bewegung stellt ein synthetisches Wissen von d e r Bewegung dar, das sich sowohl aus formalen Theorien, die die Bewegung mit Hilfe m a t h e m a t i s c h e r Abstraktionen beschreiben, als auch aus inhalt-

15

liehen Theorien, die aus empirischen Aussagen bestehen, zusammensetzt. Eine solche synthetische Abbildung enthält keinerlei logische Widersprüche, denn von einem logischen Widerspruch kann man nur in bezug auf eine gegebene formalisierte Theorie sprechen. Das synthetische Wissen über die Bewegung stellt aber keine solche formalisierte Theorie dar. In der Wissenschaft liegt eine ähnliche Situation vor bei der Geometrie, der Wissenschaft von den Eigenschaften des Raumes. Auch die Geometrie ist eine Synthese vieler formalisierter Theorien (die teilweise miteinander unverträglich sind) und deren Interpretationen, sie ist jedoch keine einheitliche Theorie. Es ist sinnlos, von der Widerspruchsfreiheit der Geometrie überhaupt zu sprechen, man kann nur sinnvoll von der Widerspruchsfreiheit der euklidischen Geometrie oder der Geometrie von Lobatschewski sprechen (bekanntlich sind die beiden genannten Geometrien unverträglich). Die von uns betrachteten Schwierigkeiten lassen sich also immer nur relativ überwinden. Sie werden überwunden durch eine dialektische Synthese der verschiedensten Theorien, von denen jede unbedingt logisch widerspruchsfrei sein muß.

16

ERSTES KAPITEL

Logische Analyse der Abstraktionen der Realisierbarkeit und der Unendlichkeit

§ 1. Die Abstraktionen der potentiellen und der potentiellen

Realisierbarkeit

Unendlichkeit

Die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit Den Sinn der Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit können wir dadurch verdeutlichen, daß wir die Annahmen beschreiben, die die in bezug auf den realen Prozeß idealisierten Bedingungen ausdrücken, unter denen der Aufbauprozeß gewisser Objekte als realisierbar und die im Resultat dieses Prozesses entstehenden Objekte als existent angesehen werden. Diese Annahmen lassen sich folgendermaßen charakterisieren. 1. Es wird angenommen, daß die Prozesse beim Aufbau von Objekten diskret sind, d. h., daß diese Prozesse in einzelne genau voneinander unterscheidbare Schritte zerlegbar sind (obwohl reale Prozesse durchaus nicht immer so beschaffen sind). 2. Es wird vorausgesetzt, daß Regeln (Methoden, Prozeduren, Operationen) vorhanden sind, nach denen der Aufbau der Objekte schrittweise vollzogen wird. Manchmal wird vorausgesetzt, daß diese Regeln Algorithmen (im exakten Sinne dieses Terminus) sind. In Wirklichkeit verfügen wir durchaus nicht immer über eine genaue Angabe der Regeln, nach denen sich die realen Prozesse vollziehen (z. B. Prozesse der Steuerung, der Organisation). 3. Es wird vorausgesetzt, daß der Aufbauprozeß unabhängig von den vorhandenen materiellen Bedingungen ist und daß eine beliebig große, jedoch immer endliche Anzahl von Schritten dieses Prozesses vollzogen werden kann. Diese Unabhängigkeit kann man in dem Sinne verstehen, daß von den materiellen Bedingungen des Aufbaus abstrahiert wird. Man kann sie aber auch so verstehen, daß die materiellen Bedingungen des Aufbaus immer als gegeben vorausgesetzt werden. N. A. Schanin hatte die letztere Auffassung im Auge, als er die Abstraktion der potentiellen Reali2

Petrov, Logische Probleme

17

sierbarkeit in bezug auf den Aufbauprozeß von Worten oder Formeln charakterisierte: „Die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit, die als eine zulässige Idealisierung betrachtet wird, gestattet es, unter ,Aufbau' nicht nur einen unter den gegebenen materiellen Bedingungen praktisch durchführbaren Aufbau zu verstehen, sondern auch einen potentiell realisierbaren Aufbau, d. h. realisierbar unter der Annahme, daß wir nach jedem Schritt im Prozeß des Aufbaus des erforderlichen Wortes über die materiellen Möglichkeiten zur Durchführung des folgenden Schrittes verfügen." ([33], S. 229.) Es ist offensichtlich, daß die letzte Annahme eine Idealisierung darstellt. Schon deshalb haben es Theorien, die die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit benutzen, offensichtlich mit idealisierten abstrakten Objekten zu tun.

Die Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit Beispiele für potentiell realisierbare Objekte sind endliche Mengen und unendliche Folgen. Wenn wir die Realisierbarkeit im oben betrachteten Sinne idealisieren, so ist wirklich eine beliebige endliche Menge als potentiell realisierbares Objekt vorstellbar. Wir können dann nämlich diese Menge in der Form eines Verzeichnisses ihrer Elemente darstellen. Es versteht sich, daß die Regeln und materiellen Möglichkeiten zur Herstellung eines solchen Verzeichnisses zu den Voraussetzungen gehören, die als erfüllt angenommen werden. Auf Grund der Voraussetzungen über die Realisierbarkeit, die den Inhalt des Begriffes der potentiellen Realisierbarkeit ausmachen, sind potentiell unendliche Prozesse ebenfalls realisierbar (eine Vollendung dieser Prozesse ist jedoch nicht möglich). Deshalb ist der Begriff der potentiellen Unendlichkeit in solchen Theorien zulässig, die die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit akzeptieren (zulassen), denn man nennt einen solchen diskreten Prozeß potentiell unendlich, der aus voneinander verschiedenen Schritten besteht und in dem es auf jeden Schritt einen folgenden Schritt gibt. Es ist offensichtlich, daß ein solcher Prozeß kein „ E n d e " hat, d. h. keinen letzten Schritt, und in diesem Sinne ist er auch unendlich. Mit welchem Schritt des Prozesses wir es auch zu tun haben, wenn wir die Möglichkeit haben, unabhängig von den materiellen Möglichkeiten immer den folgenden Schritt zu realisieren, so wird früher oder später jede vorher festgelegte Anzahl von Schritten überboten. In diesem Sinne ist der gegebene Aufbau unendlich und besitzt keinen letzten Schritt.

18

Ein Beispiel für die Realisierung des Begriffs der potentiellen Unendlichkeit ist die unendliche Folge der natürlichen Zahlen 0, 1, 2, 3, . . ., n die man durch aufeinanderfolgendes Hinzufügen einer Einheit zu der Zahl, die man im vorhergehenden Schritt des Aufbaus erhalten hat, gewinnt, wobei die Ausgangszahl 0 ist. Im Rahmen der Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit kann man nicht davon sprechen, daß die Realisierung aller Schritte eines beliebigen Aufbauprozesses möglich ist. Wenn diese Prozesse endlich sind, so gestattet es uns die vorliegende Abstraktion, alle Schritte derartiger Prozesse als realisierbar anzusehen. Wenn jedoch der Aufbauprozeß unendlich ist, so kann man das nicht behaupten. Eine solche Behauptung wäre offensichtlich widersprüchlich, denn ein Aufbau, in dem es für jeden Schritt einen darauffolgenden gibt, kann keinen letzten Schritt besitzen. Es ist offensichtlich, daß die Abstraktionen der potentiellen Realisierbarkeit und der potentiellen Unendlichkeit die realen Prozesse stark idealisieren. Die Ergebnisse von Theorien, die von der Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit ausgehen, werden jedoch erfolgreich bei der Lösung praktischer Aufgaben benutzt. Das ist deshalb möglich, weil diese Lösung nur mit einer gewissen Genauigkeitsstufe durchgeführt wird. So stellt der Prozeß zur Berechnung der Größe des Verhältnisses von Umfang und Durchmesser eines Kreises ein Beispiel eines diskreten unendlichen Prozesses dar, der durch den Aufbau der Zahl 7C — 3,1415 . . . ausgedrückt wird. Dieses Verhältnis kann man praktisch nur mit einer bestimmten Genauigkeitsstufe verwenden, indem man sich bei Berechnungen auf eine endliche Anzahl von Zeichen der Zahl n beschränkt. Ohne solche Bedingungen wäre eine praktische Verwendung der Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit unmöglich. Da der Begriff der potentiellen Unendlichkeit auf einer Idealisierung der Realisierbarkeit beruht, kann er keine unmittelbare („direkte" oder „spiegelmäßige") Abbildung derjenigen Prozesse sein, die sich in der Natur und im Denken vollziehen. In der Geschichte der Wissenschaft gibt es jedoch nicht wenige Versuche, den Prozessen der objektiven Realität genau den Charakter zuzuschreiben, den die mathematischen Vorstellungen von einer potentiellen unendlichen Folge haben. Die Klassiker der marxistischen Philosophie haben sich ständig gegen solche Auffassungen der Abstraktion, darunter auch der Abstraktion der potentiellen Unendlichkeit gewandt, die die Abstraktionen als „spiegelmäßige" Abbildungen objektiver Prozesse ansehen. Engels widmete insbesondere einen ganzen Abschnitt seiner Arbeit „Anti-Dühring" der Kritik an der Konzeption Dührings in bezug auf die Unendlichkeit von Raum und Zeit ([65], S. 4 3 - 5 2 ) . 2*

19

In der objektiven Realität besitzen die Prozesse im allgemeinen nicht einen solchen diskreten Charakter, der es gestatten würde, sie in voneinander verschiedene, streng unterscheidbare Schritte zu zerlegen. Engels nennt nicht zufällig derartige Vergröberungen und Idealisierungen der realen Prozesse ein absolutes ideelles Erfordernis der Mathematik, jedoch „das ideelle Bedürfnis des Mathematikers ist aber weit davon entfernt, ein Zwangsgesetz für die reale Welt zu sein" ([65], S. 47). Derartige Vergröberungen besitzen gerade deshalb einen großen Erkenntniswert, weil sie es gestatten, in „reiner" Form die uns interessierenden Gesetzmäßigkeiten der realen Prozesse herauszuheben. Auf Grund der vorgenommenen Vergröberung ist man jedoch nicht berechtigt, die realen Prozesse mit ihren ideellen Vorstellungen zu identifizieren, denn die letzteren haben nur angenäherten Charakter. Gerade das Wissen um einen möglichen Fehler drückt ein absolutes Moment der gegebenen relativen Wahrheit aus. Für die Algorithmentheorie, die mathematische Logik, die Theorie der abstrakten Automaten und ähnliche Disziplinen, die eine wichtige Rolle in der theoretischen Kybernetik spielen, besitzt nicht nur die Beschränkung auf die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit beim Aufbau ihrer Objekte große Bedeutung, sondern auch die Präzisierung des Begriffes „Aufbau eines Objektes" selbst. Diese Präzisierung führt zum Begriff der konstruktiven Objekte.

Die Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit und konstruktive Objekte Konstruktive Objekte nennt man solche Objekte, die entweder der unmittelbaren Beobachtung zugänglich sind oder aber durch ein effektives (exaktes und vollständiges) Aufbauverfahren (Algorithmus) angegeben werden. Ein effektives Aufbauverfahren setzt einem Aufbau voraus, der unter Beachtung der Bedingungen verwirklicht wird, die einem Aufbau durch die Annahme der Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit auferlegt werden. Außerdem setzt er das Vorhandensein eines Algorithmus voraus, nach dem jeder Schritt des Aufbaus verwirklicht wird. Objekte, für deren Aufbau mehr vorausgesetzt werden muß, sind nicht konstruktiv. So ist zum Beispiel die Reihe der natürlichen Zahlen, wenn sie als aktual unendliche Menge gedacht wird, die aus allen natürlichen Zahlen besteht, kein konstruktives Objekt, denn es existiert kein Algorithmus für den Aufbau dieses Objekts. Wie wir bereits sagten, setzt die potentielle Realisierbarkeit nicht die Realisierbarkeit aller Schritte eines beliebigen Prozesses voraus, so auch insbesondere nicht den Aufbau aller natürlichen Zahlen. 20

Endliche und unendliche konstruktive Mengen Im Rahmen der Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit lassen sich konstruktive Objekte, insbesondere konstruktive Mengen aufbauen, d. h. durch ein effektives Verfahren angeben. Diese Mengen können sowohl konstruktiv endlich als auch konstruktiv unendlich sein. Konstruktive und nichtkonstruktive Mengen haben nur gemeinsam, daß sie durch zwei Methoden angegeben werden können: durch ein Verzeichnis der Elemente der Menge oder durch ein Prädikat, d. h. durch eine Bedingung, die der Menge auferlegt wird. Mit Hilfe der ersten Methode werden nur endliche Mengen angegeben, mit Hilfe der zweiten sowohl endliche als auch unendliche. Zwischen der konstruktiven und der nichtkonstruktiven Auffassung dieser Methoden besteht jedoch ein prinzipieller Unterschied. Mit Hilfe welcher Methode eine Menge auch angegeben wird, die konstruktive Auffassung von der Angabe einer Menge ist immer an das Vorhandensein einer effektiven Methode zu ihrer Erzeugung gebunden. Wenn eine Menge durch ein Verzeichnis angegeben wird, so muß eine effektive Methode zur Angabe dieses Verzeichnisses existieren. Wenn eine Menge mit Hilfe eines Prädikates angegeben wird, so muß eine effektive Methode existieren, die es gestattet, zu erkennen, ob ein beliebiges Element (aus einem bestimmten Bereich) das gegebene Prädikat erfüllt, d. h., ob das Element zur Wahrheitsmenge dieses Prädikates gehört. In der konstruktiven Mengenlehre ist der Begriff der unendlichen Menge nicht mit der „Aktualität" der Mengen (d. h. mit ihrem „Vollendetsein", mit dem „Gegebensein" aller ihrer Elemente) verbunden, wie das in der klassischen Mengenlehre der Fall ist. Das Hauptaugenmerk wird in dieser Theorie den Verfahren zur Angabe von Mengen gewidmet. Eine Menge wird als gegeben angesehen, wenn es ein effektives Verfahren zum Aufbau eines beliebigen Elementes der Menge gibt. So ist es beispielsweise für den Aufbau der Menge der natürlichen Zahlen wesentlich, daß es ein effektives Verfahren zum Aufbau eines beliebigen Elementes (einer beliebigen natürlichen Zahl) gibt. Dieses Verfahren wird durch die folgende induktive Definition angegeben. 1. Das mit dem Symbol 0 bezeichnete Ausgangsobjekt ist eine natürliche Zahl. Wir schreiben das wie folgt: N (O). 2. Wenn das Objekt n eine natürliche Zahl ist, so ist auch das Objekt n | eine natürliche Zahl, d. h. N (n) —• /V(n|). 21

Mit Hilfe dieser Definition läßt sich die konstruktive Menge der n a t ü r lichen Zahlen 0 , 0 | , O||, . . . angeben. Die Reihe der natürlichen Zahlen läßt sich deshalb als eine unendliche Menge ansehen, die durch das folgende konstruktive P r ä d i k a t 9? (n) angegeben ist: 3l(n)=

(N(0)

A (Ar (n) —• N («!)))•

Ebenso wie die Reihe der natürlichen Zahlen läßt sich eine beliebige kons t r u k t i v e Menge durch ein konstruktives P r ä d i k a t angeben, dessen Definition mit einem effektiven Erzeugungsprozeß verbunden ist. In der konstruktiven Mengenlehre läßt sich eine Menge nicht n u r durch ein P r ä d i k a t angeben, sondern man k a n n darüber hinaus eine Menge einfach als ein effektiv angegebenes einstelliges Prädikat oder als eine Formel m i t einer freien Variablen (P (x), Q(x) usw.) betrachten. Solche Formeln sind Formeln mit einem Parameter. Über die Eigenschaften von Mengen läßt sich in diesem Falle an Hand der Eigenschaften von Formeln m i t einem Parameter urteilen. Die Begriffe „ k o n s t r u k t i v e Mengen", „ F o r m e l mit einem Parameter in einer gegebenen S p r a c h e " und „konstruktives Präd i k a t " lassen sich im Wesen nicht unterscheiden. Da die Formeln einen genau beschriebenen A u f b a u besitzen u n d Formeln einer bestimmten Sprache mit angegebenem Alphabet sind, wird der U m f a n g des Begriffs Menge durch die gegebene Sprache definiert. So dient die logisch-arithmetische Sprache zum A u f b a u von logisch-arithmetischen Formeln. J e d e Formel d r ü c k t eine gewisse Teilmenge der Menge der natürlichen Zahlen aus. Die durch diese Sprache angegebene „universale Menge" ist die Reihe der natürlichen Zahlen. Die Formel (x — x), wobei x eine Variable ist, die als Werte Namen der natürlichen Zahlen annimmt, gibt beispielsweise die Reihe der natürlichen Zahlen an, die die universale Menge der logisch-arithmetischen Sprache ist. Die Formel 1 (x = x) drückt die leere Menge aus (d. h. die Menge, die keine Elemente enthält), die Formeln 3 y (x = 2 y) u n d 3 y (x — 2 y 1), wobei das Symbol 3 als „es g i b t " gelesen wird, drücken entsprechend die Mengen der geraden und der ungeraden Zahlen aus. Operationen m i t Mengen und Urteile über Mengen stellen konstruktive Operationen mit Formeln und Urteile über Formeln dar. (Die Wahrheit der Urteile wird hierbei konstruktiv verstanden, beispielsweise als Realisierbarkeit im Sinne Kleenes [63].) Eine beliebige Menge P wird also durch eine Formel P, mit x als einzigem Parameter angegeben. Wenn solche Formeln zur logisch-arithmetischen Sprache gehören, so werden sie mit Mengen von natürlichen Zahlen identifiziert. Operationen mit Mengen u n d Urteile über Mengen werden auf Operationen mit Formeln und auf Urteile über Formeln zu22

rückgeführt. Wir geben ein Beispiel für eine solche Reduktion. ,,u" sei ein beliebiger konstanter Term, der irgendeinen individuellen Gegenstand bezeichnet, beispielsweise eine natürliche Zahl. Das Symbol € bezeichnet die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zu einer Menge. Der Ausdruck F*LPi bezeichnet die Einsetzung des Termes u für die Variable x in der Formel P, das Symbol ^ bedeutet Definitionsgleichheit. Dann gilt ( u € p)^

(uep)^Filp}-,

7(ueP).

P cz Q möge bedeu ten, daß P eine Teilmenge von Q ist. Dann gilt P c ^ V . t P ^ P ^ i » ^ ; P = Q^PdQ

f\Qcz

P.

Wenn die Symbole U> Pl> un

A A

7A

3x P Wenn sich ein Spezialfall einer Regel als nicht verwendbar erweist, so ist damit auch die Regel selber nicht verwendbar, Nehmen wir an, daß wir aus der Annahme der Wahrheit des Urteils V x ~7 P auf indirektem Wege einen Widerspruch hergeleitet und die Wahrheit von 3 x P bewiesen haben, ohne ein einziges Beispiel für den Aufbau eines Objekts an derart gegeben zu haben, daß P (an) wahr ist, dann hat das Urteil 3 x P vom Standpunkt der konstruktiven Semantik keinen Sinn, denn vom Standpunkt dieser Semantik ist weder seine Wahrheit noch seine Falschheit begründet. Das letztere folgt aus der Tatsache, daß auch die Annahme der Wahrheit des Urteils 3 a; P nicht zum Widerspruch führen kann. Die Regel des indirekten Beweises, die dann zu Unsinn führen kann, wenta die Existenz eines Objektes mit nichteflektiven Methoden bewiesen wird, ohne ein Verfahren für einen potentiell realisierbaren konstruktiven Aufbau des Objektes anzugeben, darf man in konstruktiven Erörterungen über potentiell-realisierbare konstruktive Objekte also nicht verwenden. Diese Regel führt zu Existenzbeweisen von Objekten, die potentiell nicht realisierbar sind, den Voraussetzungen gemäß haben wir es hingegen nur mit potentiell-realisierbaren Objekten zu tun. Um diese Regel aus dem System der von uns akzeptierten logischen Mittel auszuschließen, muß man diejenigen Regeln und Gesetze ausschließen, die es gestatten, diese Regel abzuleiten, und man muß sich dabei bemühen, möglichst keine zulässigen Regeln und Gesetze zu verwerfen. 29

Am einfachsten wäre es beispielsweise, die Regel der „reductio ad absurdum" zu verwerfen, die in indirekten Beweisen verwendet wird. Es. gibt jedoch keinerlei ernsthafte Gründe, auf diese nicht nur zulässige, sondern auch sehr wichtige und nötige Regel zu verzichten. Deshalb werden andere Regeln und Gesetze eliminiert, deren Verwerfung berechtigt erscheint. Es gibt schwerwiegende Gründe, das Gesetz zur Beseitigung der doppelten Negation ( 7 7 P —* P) und das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten (P \J ~7 P) zu verwerfen. Erstens ist dies ausreichend zur Ausmerzung der Regel des indirekten Beweises und damit auch der „reinen" Existenztheoreme und der nicht effektiven Beweise 1 . Zweitens ist dies auf Grund folgender Überlegungen berechtigt: Die potentielle Realisierbarkeit eines Objektes ist nicht mit beliebigen, sondern mit effektiven Methoden zum Aufbau des Objektes verbunden. Wenn man beispielsweise von der potentiellen Realisierbarkeit einer gewissen Zahl k, die der Bedingung P genügt, spricht, so setzt man dabei das Vorhandensein eines effektiven Verfahrens zur Berechnung der Zahl k derart voraus, daß P (k) wahr ist. Es gibt jedoch nicht immer effektive Verfahren zur Lösung eines solchen Massenproblems, wie es die Feststellung der Wahrheit solcher Urteile über reelle Zahl wie V j ( P V 7 P ) u » d V i ( 7 7 P — P) darstellt. Mehr noch, wenn man den Begriff der effektiven Methode mit Hilfe einesexakten Algorithmusbegriffes präzisiert, so läßt sich zeigen, daß eine derartige allgemeine Methode für die Lösung der oben angegebenen Probleme überhaupt nicht existiert. Beispielsweise läßt sich beweisen, daß es keinen normalen Algorithmus für die Lösung des Massenproblems der Gleichheit der reellen Zahlen mit Null gibt, d. h., daß es keine effektive Methode zur Feststellung der Wahrheit des Urteils V x (x = 0 V 7 (a; = 0)) gibt, wobei x eine Variable für reelle Zahlen ist. Dann kann man jedoch das Urteil V x ( P \J 7 P) nicht als wahr ansehen. Hieraus folgt, daß man die Formel ( i V 7 A) nicht als Gesetz akzeptieren kann, d. h. als Formel, die für alle Werte der Variablen A wahr ist. Im entgegengesetzten Fall könnten wir aus der Wahrheit von (.¡4 y ~7 A) auf die Wahrheit von V x (P \J 7 P) schließen. Die letzte Formel läßt sich jedoch durch Gegenbeispiele widerlegen. Wenn wir annehmen, daß die Formel (A \J 1A) für alle Werte der Variablen wahr ist, so erhalten wir, wenn wir für A die Formel P mit einer freien Variablen einsetzen, die 1

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Die Ausführungen Petrovs zu der Rolle von indirekten Beweisen in der konstruktiven Logik sind nicht ganz exakt. Vgl. hierzu Nachwort des Herausgebers^

Formel (P \J 7 P). Diese Formel binden wir mit dem Allquantor V und erhalten das wahre Urteil V i ( P y 1 P). Bei der von uns gewählten Semantik ist dieses Urteil jedoch falsch. Da wir einen Widerspruch erhielten, haben wir bewiesen, daß die Formel (A y "JA) nicht als eine Formel betrachtet werden kann, die ein logisches Gesetz ausdrückt, wenn die Semantik auf der Grundlage der Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit aufgebaut wird, die mit algorithmischen Verfahren zum Aufbau der Objekte (der konstruktiven Objekte) verbunden ist. Die oben angeführten Beispiele zeigen, daß die logischen Mittel in Erörterungen über konstruktive Objekte, die im Rahmen der Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit realisierbar sind, im allgemeinen Falle von den logischen Mitteln unterschieden werden müssen, die für Erörterungen über nichtkonstruktive Objekte, die im Rahmen der Abstraktion der aktualen Unendlichkeit denkbar sind, zulässig sind. Diese Tatsache zeigt die Abhängigkeit der logischen Mittel von ihrem Anwendungsbereich, genauer gesagt, die Abhängigkeit der logischen Mittel von denjenigen Abstraktionen, in deren Rahmen die Möglichkeit des Aufbaues der Objekte des gegebenen Bereiches gedacht wird. Die genaue Ermittlung der logischen Mittel, die in Erörterungen über konstruktive Objekte zulässig sind, ergibt den konstruktiven Prädikatenkalkül. Wenn man jedoch in gewissen Fällen genau präzisiert, welche konkreten Eigenschaften die Objekte besitzen und welche logischen Mittel für die betreffenden Erörterungen ausreichend sind, so lassen sich die logischen Mittel erweitern, die in konstruktiven Erörterungen anwendbar sind. Die logischen Mittel des klassischen Aussagenkalküls sind nicht ohne Vorbehalte in Erörterungen über beliebige endliche Mengen anwendbar,, wenn diese Erörterungen konstruktiv sein sollen. Um so mehr sind diese Zweifel in bezug auf aktual unendliche Mengen berechtigt, die überhaupt keine konstruktiven Objekte darstellen. Es läßt sich aber zeigen, daß der klassische Aussagenkalkül, der einen sehr wichtigen Teil der klassischen Logik darstellt, in konstruktiven Erörterungen über rekursive Mengen, sowohl über endliche als auch über unendliche, verwendet werden kann. Für Erörterungen über aufzählbare Mengen sind vom konstruktiven Standpunkt aus diese Mittel schon nicht mehr geeignet. Es sei P eine Formel mit einer freien Variablen, die eine aufzählbare Menge ausdrückt. Bekanntlich erhalten nicht alle Operationen des Aussagenkalküls die Eigenschaft der Aufzählbarkeit. Wenn beispielsweise die Formel P eine aufzählbare Menge ausdrückt, so drückt die Formel V P nicht unbedingt eine aufzählbare Menge aus. Es kann dann sein, daß die

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Formel (P \/ 7 P) keine aufzählbare Menge a u s d r ü c k t und daß die F r a g e nach der Wahrheit der Formel (P \J 7 P) algorithmisch nicht entscheidbar ist. Die F r a g e nach der Wahrheit ist gerade deshalb unentscheidbar, weil die F r a g e nach der Wahrheit dieser Formel von der L ö s u n g der F r a g e nach der Wahrheit der Formel 7 P a b h ä n g t . Die Ursache für die NichtVerwendbarkeit der klassischen Logik in E r örterungen über aufzählbare Mengen besteht darin, daß nicht beliebige Formeln, die aus Formeln, die aufzählbare Mengen ausdrücken, mit Hilfe der logischen Operatoren 7 , A> V u n < ^ a u f g e b a u t sind, ihrerseitswieder aufzählbare Mengen ausdrücken. Die Operationen 7 und —» vererben nicht die E i g e n s c h a f t der Aufzählbarkeit. Wenn die Ausgangsmengen aufz ä h l b a r sind, d. h., wenn die atomaren Formeln aufzählbare Mengen ausdrücken, so ist in Erörterungen über diese Mengen die Formel ( 7 7 P—*P) als logisches Gesetz anwendbar, während die Formel (P y ~7 P) nicht als logisches Gesetz verwendet werden kann. Hierbei ist wichtig, daß die Formel P eine atomare Formel und keine beliebige Formel ist, denn bei einer beliebigen Formel P ist die Formel ("7 7 P —* P) kein logisches Gesetz, weil sie bei gewissen P falsch sein kann. E s genügt hierzu anzunehmen, d a ß P ^ [Q \/ 7 Q), wobei Q eine aufzählbare Menge ist. D a n n erhalten wir die Formel ( 7 7 (Q V 7 Q)-* (Q V "7