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German Pages 180 [184] Year 2001
Andreas Blank Der logische Aufbau von Leibniz' Metaphysik
W DE G
Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß, Günther Patzig, Wolfgang Wieland
Band 51
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2001
Der logische Aufbau von Leibniz' Metaphysik von Andreas Blank
Walter de Gruyter • Berlin · New York
2001
@ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufiuhme Blank, Andreas: Der logische Aufbau von Leibniz' Metaphysik / von Andreas Blank. Berlin ; New York : de Gruyter, 2001 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 51) Zugl.: Konstanz, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-11-016878-2
© Copyright 2001 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Dieses Buch ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 1998 von der philosophischen Fakultät der Universität Konstanz angenommen wurde. Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß hat die Arbeit von Anfang an mit großer Umsicht betreut. Prof. Dr. Wolfgang Spohn gab mir Gelegenheit, frühere Fassungen der Kapitel Π, DI und IV in seinem Forschungskolloquium vorzutragen. Prof. Dr. Gereon Wolters übernahm freundlicherweise die Erstellung des zweiten Gutachtens. Jürgen Mittelstraß, Wolfgang Spohn und Prof. Dr. Alexander Patschovsky standen für die mündliche Prüfung am 14. Juli 1998 bereitwillig zur Verfügung. Ihnen allen möchte ich herzlich für ihre Unterstützung danken. Berlin, im Oktober 2000
Andreas Blank
Inhalt Vorwort Abkürzungen Einleitung 1. Système nouveau und système commun 2. Logik, Metaphysik und philosophische Hypothesen 3. Metaphysische Begriffe und die Analyse des Denkens 4. Die Analyse der Materie und die Theorie der angeborenen Ideen . . . 5. Die Vernunftprinzipien und die Theorie der einfachen Substanzen . . Kapitel I: Logik und Metaphysik 1. Die These von der Identität von individueller Substanz und vollständigem Begriff 1.1. Strukturelle Parallelen zwischen vollständigen Begriffen und einfachen Substanzen 1.1.1. Die logische Rekonstruktion der Repräsentation des Universums 1.1.2. Die logische Rekonstruktion von Aktivität und Einheit.. 1.2. Die Unterscheidung von Essenz und Substanz 1.2.1. Die Unveränderlichkeit der Essenz 1.2.2. Das Streben zur Existenz 1.3. Terminologische Beobachtungen 1.3.1. „Subjekt" und „SubjektbegrifF' 1.3.2. „Begriff'und „Substanz" 1.4. Ideen und Substanzen 2. Die Ableitung der Substanztheorie aus der Logik 2.1. Probleme der Ableitung der Metaphysik aus logischen Prämissen 2.2. Probleme der Ableitung der Metaphysik aus logischen und nicht-logischen Prämissen
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Inhalt
2.3. Die Substanztheorie als spekulative Ergänzung des logischen Substanzbegriffs 2.4. Synthesis und Analysis 2.5. Das Verschwinden der logischen Begründungsstrategie 3. Die Theorie der einfachen Substanzen als Hypothese 3.1. Das hypothetisch-deduktive Modell der euklidischen Geometrie 3.2. Alternativen zum hypothetisch-deduktiven Modell Kapitel II: Die Theorie der metaphysischen Begriffe 1. Das Problem der Aktualisierung angeborener Ideen 1.1. Reflexion und Selbstevidenz 1.2. Reflexion und innere Erfahrungen 2. Innere Erfahrung 2.1. Innere Erfahrung, Induktion, Abstraktion 2.2. Innere Erfahrung und die Struktur des Denkens 2.3. Innere Erfahrung und das Problem der Gewißheit 3. Elemente des metaphysischen Beweisgangs 3.1. Die Identität des Individuums und die Verknüpfung unter den Perzeptionen 3.1.1. Die Analyse des Bewußtseins 3.1.2. Die Analyse der Erinnerung 3.1.3. Die Analyse der unmerklichen Perzeptionen 3.2. Aktivität und Spontaneität 3.2.1. Die Analyse des Willens 3.2.2. Die Analyse von Denken und Bewußtsein 3.2.3. Die Analyse des logischen Denkens 3.3. Teil und Einheit 3.4. Repräsentation und Perspektivität 3.4.1. Repräsentation und Perzeption 3.4.2. Die Repräsentation des Universums in materiellen Gegenständen 3.4.3. Die Repräsentation des Körpers in der Seele Kapitel ΙΠ: Die Analyse der materiellen Welt 1. Die Immaterialität der Seele: Das „Mühlenargument" 2. Die Existenz immaterieller Substanzen in der Materie: Die Analyse der Ausdehnung
32 33 35 36 38 41 45 46 47 49 52 52 54 58 60 60 62 65 65 67 69 70 71 72 74 75 77 78 81 83 87
Inhalt 2.1. Sein, Einheit und Organisation 2.2. Die Existenz einfacher Substanzen und die Theorie der körperlichen Substanzen 2.3. Körperliche Substanzen und die Realität der Außenwelt 2.4. Das theologische Argument für die Existenz einer Vielzahl immaterieller Substanzen 2.5. Die Analyse der Ausdehnung und die Theorie der angeborenen Begriffe 3. Immaterielle Substanzen als Fundament der Materie: Der Begriff der vis viva und die Passivität der Materie 3.1. Die Passivität der Materie 3.2. Die Immaterialität der Seele und die Existenz immaterieller Substanzen in der Natur 3.3. Vis viva und die Aktivität einfacher Substanzen 3.4. Vis viva und die Theorie der angeborenen Begriffe 3.5. Der Begriff der vis viva und die panpsychistische Deutung der Substanztheorie 4. Autarkie 5. Mathematik, Physik und Metaphysik Kapitel IV: Die Vernunftprinzipien 1. Das Prinzip des zureichenden Grundes 1.1. Logische und methodologische Deutungen des Prinzips 1.2. Die ontologischen Aspekte des Prinzips und die Theorie der einfachen Substanzen 1.3. Die logischen Aspekte des Prinzips und die Ontologie der Begriffe 1.4. Die theologische Begründung der Theorie der vollständigen Begriffe 1.5. Ideen und die Repräsentation des Universums 2. Das Prinzip des Widerspruchs 2.1. Das Prinzip des Widerspruchs und die Ontologie der Begriffe 2.2. Das Prinzip des Widerspruchs und das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten 2.3. Das Prinzip des Widerspruchs und das Prinzip der Identität . . 3. Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren 3.1. Logische und theologische Begründungen des Prinzips
IX 88 91 96 98 99 101 102 103 107 108 109 112 114 117 118 120 124 127 129 131 134 135 137 137 139 140
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Inhalt 3.2. Drei Modelle der Repräsentation des Universums 3.2.1. Perspektivische Repräsentation: Modelli 3.2.2. Perspektivische Repräsentation: Modell II 3.2.3. Perspektivische Repräsentation: Modell ΠΙ 3.3. Die Geltung des Prinzips fìir Gegenstände in der materiellen Welt
Zusammenfassung
141 143 144 145 146 148
1. Logik und der hypothetische Charakter von Leibniz' Metaphysik . . . 148 2. Die Analyse des Denkens und die Theorie der angeborenen Begriffe 150 3. Die Analyse der materiellen Welt und die Theorie der einfachen Substanzen 153 4. Die Vernunftprinzipien und die metaphysischen Grundlagen der Logik
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Bibliographie
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1. Ausgaben 1.1. Schriften von Leibniz 1.2. Andere Quellentexte 2. Hilfsmittel 2.1. Lexikon 2.2. Bibliographien 3. Literatur Personenregister Sachregister
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Abkürzungen Schriften von Leibniz DM Mon. NE PNG SN Th.
Discours de Métaphysique [1686] Monadologie [1714] Nouveaux Essais sur l'Entendement Humain [1705] Principes de la Nature et de la Grace, fondées en Raison [1714] Système Nouveau de la Nature et de la Communication des Substances, aussi bien que de l'Union qu'il y a entre l'Ame et le Corps [1695] Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l'Homme et l'Origine du Mal [1710]
Ausgaben A
G. W. Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe, hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Darmstadt-Berlin-Leipzig 1923 ff. C Opuscules et fragments inédits de Leibniz. Extraits des manuscrits de la Bibliothèque royale de Hanovre, ed. L. Couturat, Paris 1903. GM G. W. Leibniz: Mathematische Schriften, ed. C. I. Gerhardt, 7 Bde., Berlin-Halle 1849-1863. GP Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, ed. C. I. Gerhardt, 7 Bde., Berlin 1875-1890. Grua G. W. Leibniz: Textes inédits d'après les manuscrits de la Bibliothèque provinciale de Hanovre, ed. G. Grua, 2 Bde., Paris 1948.
Einleitung Für das gegenwärtige Bild von Leibniz' Metaphysik ist das Urteil von C.Wilson charakteristisch, die in ihr ein Beispiel für „revisionäre" Metaphysik im Sinne Strawsons sieht1: eine Metaphysik, die das alltägliche Verständnis der Welt durch ein ganz anderes ersetzt, im Gegensatz zu einer „deskriptiven" Metaphysik, die die impliziten Strukturen unseres alltäglichen Verständnisses der Welt offenlegt. Auch Strawson stellt Leibniz im wesentlichen auf die Seite der revisionären Metaphysik.2 Die Untersuchungen in diesem Buch bestätigen eher Strawsons Einsicht, daß kein wirklicher Philosoph je eine Metaphysik entwickelt hat, die ausschließlich einem dieser beiden Typen angehört.3 Zu zeigen wird sein, daß Leibniz die Metaphysik nicht nur als hypothetisches Gebilde betrachtet hat, das unser alltägliches Bild der Welt ersetzt, sondern daß seine Metaphysik auch auf der Analyse der impliziten Strukturen unseres Verständnisses von uns selbst und von der materiellen Welt beruht. Neben Elemente eines revisionären Vorgehens treten bei Leibniz Elemente einer deskriptiven Begründung metaphysischer Aussagen. Erst die Berücksichtigung beider Strategien, einer revisionären und einer deskriptiven, ergibt ein adäquates Bild vom logischen Aufbau von Leibniz' Metaphysik.
1. Système nouveau und système commun Für eine Interpretation von Leibniz' Metaphysik als einer revisionären Metaphysik scheint zunächst Leibniz' eigene Unterscheidung zwischen dem Standpunkt des „système nouveau" - des Systems seiner Theorie der „einfachen Substanzen" - und dem Standpunkt des „système commun" - des alltäglichen Verständnisses der Welt - zu sprechen. Kaulbach hat in enger Anlehnung an Leibniz' eigene Darstellung4 den Gedanken eines solchen Standpunktwechsels ' 2 3 4
C.Wilson, Leibniz 's Metaphysics, S. 307-311. Strawson, Individuals, S.9. Ebd. DM § 27 (A VI, 4, 1571-1572).
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Einleitung
als „kopernikanisches Prinzip" charakterisiert5: Genauso, wie die Rede vom Aufgehen der Sonne auch nach der kopernikanischen Wende in der Alltagssprache ihre Berechtigung behält, hat auch die alltägliche Weltsicht ihre relative Berechtigung nach der Entwicklung der Theorie der einfachen Substanzen; genauso, wie das Aufgehen der Sonne vom Standpunkt der kopernikanischen Astronomie neu interpretiert wird, interpretiert der Standpunkt der Theorie der einfachen Substanzen die alltägliche Sicht auf die Welt neu. Tatsächlich scheinen die Sätze des système nouveau die alltägliche Interpretation der Welt durch eine ganz andere zu ersetzen. Denn was könnte vom alltäglichen Verständnis der Welt weiter entfernt sein, als ein Universum, das aus einfachen Substanzen aufgebaut ist: aus Substanzen, die keine Ausdehnung und keine Teile besitzen6, auf natürlichem Weg weder entstehen noch vergehen können7, die mit anderen einfachen Substanzen nicht in kausaler Wechselwirkung stehen8, sondern in dem Sinn aktiv sind, daß alle ihre Veränderungen aus einer inneren Ursache erfolgen9. Dies scheint einer alltäglichen Sicht der Welt, für die ausgedehnte und aus Teilen zusammengesetzte, in einem stetigen Wechsel von Entstehen und Vergehen begriffene, in kausaler Interaktion stehende und voneinander wechselseitig abhängige Gegenstände charakteristisch sind, genau entgegengesetzt zu sein. Dieser Gegensatz zwischen der Weltsicht des système commun und des système nouveau scheint für den rein revisionären Charakter von Leibniz' Metaphysik zu sprechen: Die Theorie der einfachen Substanzen scheint die alltägliche Weltsicht zu ersetzen.
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Kaulbach, „Das Copemicanische Prinzip und die philosophische Sprache bei Leibniz", S.333-334; vgl. Schüßler, Leibniz'Auffassung des menschlichen Verstandes, S.12-17. DM § 9 (A VI, 4, 1541-1542); DM § 18 (A VI, 4, 1558-1559); PNG § 1 (GP VI, 599); Mon. § 1 (GP VI, 607). DM § 9 (A VI, 4, 1541-1542); Mon. §§ 4-6 (GP VI, 607). DM § 14 (A VI, 4, 1549-1551); Mon. § 7 (GP VI, 607). DM § 32 (A VI, 4, 1580-1581); Mon. § 11 (GP VI, 608). Der Terminus „einfache Substanz" („substance simple") tritt zum ersten Mal im Resumée des Discours de Métaphysique auf, und zwar in Form einer nachtraglichen Einfügung zu Abschnitt (35). Vgl. die Reproduktion der Abschnitte (34X37) des Resumées und die Erläuterungen in Becco, Du simple chez Leibniz, S.66-68. Etwa seit der Zeit von De Ipsa Natura (1698) verwendet Leibniz den Terminus „Monade" für die in dieser Weise gekennzeichneten einfachen Substanzen. Vgl. De Ipsa Natura (GP IV, 511-512); Leibniz an de Voider, 20. luni 1703 (GP II, 250; 252); PNG § 3 (GP VI, 599); Mon. § 1 (GP VI, 607).
Logik, Metaphysik und philosophische Hypothesen
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2. Logik, Metaphysik und philosophische Hypothesen Der Eindruck einer revisionären Metaphysik wird von den heute dominierenden Interpretationen des logischen Aufbaus von Leibniz' Metaphysik noch verstärkt. Leibniz selbst bringt den ontologischen Begriff der einfachen Substanz in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem logischen Begriff des „vollständigen Begriffs": Eine einfache Substanz wird nach Leibniz dadurch individuiert, daß sie einen Begriff besitzt, der alle Prädikate enthält, die ihr zukommen. Aus diesem Umstand leitet Leibniz auch die Eigenschaften der einfachen Substanzen - die Spontaneität ihrer Aktivitäten, ihre Einheit, ihre Unabhängigkeit - ab. An verschiedenen Stellen scheint er sogar vollständige Begriffe selbst als einfache Substanzen aufzufassen. Die Verbindung zwischen der Theorie der einfachen Substanzen und der Theorie der vollständigen Begriffe hat zu unterschiedlichen Deutungen gefuhrt. Zunächst ist hier die Deutung zu nennen, daß die Metaphysik auf dem (seinerseits hypothetischen) Gedanken der Identität von einfacher Substanz und vollständigem aufgebaut ist.10 Einer weiteren Deutung zufolge ist die Theorie der einfachen Substanzen ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil aus der Theorie der vollständigen Begriffe abgeleitet, die ihrerseits entweder als ein selbstevidentes oder als ein rein hypothetisches Axiom verstanden wird.11 Die dritte und heute wohl einflußreichste Interpretation geht davon aus, daß Leibniz sowohl die Theorie der einfachen Substanzen, als auch die Theorie der vollständigen Begriffe als miteinander verknüpfte Hypothesen betrachtet hat, die zwar geeignet sind, traditionelle philosophische Probleme zu lösen, selbst aber nicht auf methodische Weise begründet werden können.12
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Couturat, „Sur les rapports de la logique et de la métaphysique de Leibniz", S.81-82; 87-89; Guéroult, „La constitution de la substance chez Leibniz", S.55-62; Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S.64-65; 69-74; Gurwitsch, Leibniz, S.16; 184-185; 287; 324-325; Castañeda, „Leibniz's 1686 Views on Individual Substances, Existence, and Relations", S. 688; Zalta, Abstract Objects, S.84-90. B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.42-48; Nason, „Leibniz and the Logical Argument for Individual Substances", S.ll-13; Broad, „Leibniz's Predicate-InNotion-Principle and Some of its Alleged Consequences", S.2-3; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.141-145; 150-154; Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S. 502-528; Liske, Leibniz ' Freiheitslehre, S.6-9; Rutherford, Leibniz and the Rational Order of Nature, S.134-135. Johnson, „Leibniz's Method and the Basis of his Metaphysics", S.55; 58-61; Mondadori, „The Leibnizian Circle", S.89-90; 94; S.Brown, Leibniz, S.4-5; 8-9; 67-78; Rescher, „Leibniz and the Concept of a System", S.33-34; 38; Mates, The Philosophy of Leibniz, S.4-5; 243-244.
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Einleitung
Wenn in diesen Deutungen alle wesentlichen Aspekte des logischen Aufbaus von Leibniz' Metaphysik erfaßt wären, würde sich die These bestätigen, daß Leibniz ein rein revisionäres Vorgehen im Sinn hat: die Ersetzung unseres alltäglichen Verständnisses der Welt durch methodisch nicht weiter abgesicherte metaphysische Hypothesen. In Kapitel I sollen einige Probleme deutlich gemacht werden, die diese Deutungen mit sich bringen. Die These von der Identität von individueller Substanz und vollständigem Begriff, so soll gezeigt werden, ist eine Deutungshypothese, die wegen der weitreichenden strukturellen Parallelen zwischen der Theorie der einfachen Substanzen und der Theorie der vollständigen Begriffe zwar mit vielen Aspekten der Substanztheorie vereinbar ist, aber aus Leibniz' Texten nicht zwingend motiviert werden kann und in einigen Hinsichten den Intentionen von Leibniz sogar entgegenzulaufen scheint. Die These von der Ableitung der Metaphysik aus der Logik kann sich zwar auf Passagen aus dem Discours de Métaphysique und anderen Texten aus der Zeit um 1686 stützen.13 Doch die Ableitung der Metaphysik aus der Logik bringt verschiedene systematische Probleme mit sich, und Leibniz selbst scheint diese Begründungsstrategie nach der Zeit des Discours de Métaphysique aufgegeben zu haben. Bis in die spätesten Schriften hinein findet sich hingegen eine Verteidigung der Theorie der einfachen Substanzen als der besten zur Verfügung stehenden metaphysischen Hypothese14, und bis in die vorbereitenden Studien zu den Nouveaux Essais zeigt sich Leibniz überzeugt von den Vorteilen eines hypothetischdeduktiven Vorgehens in der Metaphysik15. Dies sind die dauerhaftesten revisionären Elemente in Leibniz' Methodologie. Dennoch gewinnt in den Nouveaux Essais an der Stelle des Gedankens einer hypothetisch-deduktiven Begründung der Metaphysik die Absicht zu einer stärkeren, aber von rein hypothetischen Annahmen unabhängigen Fundierung der Metaphysik an Bedeutung. Dieser Plan findet in der Theorie der metaphysischen Begriffe als „angeborener Ideen" und in einer vom Standpunkt des système nouveau unabhängigen Analyse der materiellen Welt ihren Ausdruck.
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Vgl. Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1644-1647); DM § 9 (A VI, 4, 1541-1542); DM § 33 (A VI, 4, 1581-1583); Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 46); Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 57). Vgl. GP IV, 498-499; GP IV, 500-501; Leibniz an de Voider, 24. März/ 3. April 1699 (GP II, 168). Vgl. Quelques remarques sur le livre de Möns. Lock intitulé Essay of Understanding (A VI, 6, 5).
Metaphysische Begriffe und Strukturen des Denkens
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3. Metaphysische Begriffe und die Analyse der Strukturen des Denkens Dies ist der Punkt, an dem die deskriptiven Elemente von Leibniz' Methodologie in den Blick rücken. Deskriptive Elemente spielen, wie die vorliegenden Untersuchungen zeigen sollen, bei Leibniz zum einen in der Theorie der metaphysischen Begriffe als „angeborener Ideen", zum anderen in der Analyse der materiellen Welt eine wesentliche Rolle. Daß die deskriptiven Aspekte der Theorie der metaphysischen Begriffe relativ wenig Beachtung gefunden haben, erklärt sich aus zwei Umständen. Zum einen hat Leibniz auf der Ebene des système nouveau eine Theorie des menschlichen Verstandes entwickelt, in der im eigentlichen Sinn alle Ideen „angeborene Ideen" sind, und in der er die metaphysische Erkenntnis als ein unmittelbares Bewußtwerden der Eigenschaften der einfachen Substanzen interpretiert wird.16 Eine solche metaphysische Theorie des menschlichen Verstandes kann offensichtlich keine erkenntnistheoretische Grundlage für die Theorie der einfachen Substanzen liefern. Zum andern scheint es ausgeschlossen zu sein, daß Überlegungen zur Struktur geistiger Aktivitäten, die sich auf der Ebene des système commun, d.h. auf der Ebene alltäglicher psychologischer oder physiologischer Beobachtungen bewegen, allein hinreichen, die Sätze der Theorie der einfachen Substanzen zu begründen. Einerseits liegt es also nahe anzunehmen, daß Leibniz gar keine Erkenntnistheorie im eigentlichen Sinn entwickelt hat17, andererseits scheinen erkenntnistheoretische Überlegungen auch gar nicht geeignet zu sein, die Theorie der einfachen Substanzen zu stützen'8. Kapitel Π versucht zunächst, die methodologischen Aspekte der Theorie der angeborenen Ideen herauszuarbeiten, die Leibniz auf der Ebene des système commun entwickelt. Die heute fast allgemein anerkannte Ansicht ist, daß Leibniz den Begriff" der angeborenen Idee in methodologischer Hinsicht nicht weiter geklärt hat.19 Bei Loemker findet sich hingegen der Vorschlag, die methodo16 17
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Vgl. Schüßler, Leibniz ' Auffassung des menschlichen Verstandes, Kap. III. Vgl. Heimsoeth, Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz, S.296; Serres, Le système de Leibniz et ses modèles mathématiques, S.6S. Naert, Mémoire et conscience de soi chez Leibniz, S.57; Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.516. Schüßler, Leibniz' Auffassung des menschlichen Verstandes, S.110-112; Naert, Mémoire et conscience de soi selon Leibniz, S.79-81; Tonelli, „Leibniz on Innate Ideas and the Early Reactions to the Publication of the Nouveaux Essais (1765)", S.441-443; M.D.Wilson, „Leibniz and Materialism", S.508; Kulstad, „Leibniz's Theory of Innateness in the New Essays", S.410-415; Kulstad, Leibniz on Apperception, Consciousness, and Reflection, S.139-140; Mates, The Philosophy of Leibniz, S.194-195.
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Einleitung
logischen Aspekte des Begriffs der angeborenen Idee mit Hilfe des Begriffs der inneren Erfahrung zu präzisieren.20 Dieser Vorschlag soll gegen Einwände von Cassirer und Schüßler21 verteidigt werden: Innere Erfahrungen werden trotz ihres aposteriorischen Charakters von Leibniz zu den ersten, unbezweifelbaren Wahrheiten gezählt; auch kommt der Begriff der inneren Erfahrung bei Leibniz nicht erst auf der Ebene des système nouveau vor, sondern tritt auch auf einer von der Substanztheorie unabhängigen Ebene (der Ebene des système commun) auf, und kann deshalb fur die Begründung der Metaphysik von Bedeutung sein. Auch in inhaltlicher Hinsicht läßt sich der Begriff der inneren Erfahrung weiter konkretisieren. Was Leibniz hier im Sinn hat, ist nicht eine Art methodisch nicht weiter abgesicherter, selbstevidenter Intuition: „Innere Erfahrungen" sind fur Leibniz Aussagen über geistige Aktivitäten, und das Ziel der Methode der inneren Erfahrung ist, die Strukturen geistiger Aktivitäten offenzulegen. Metaphysische Begriffe werden als Beschreibung dieser Strukturen und damit als notwendige Voraussetzungen aufgefaßt, die in unser Denken implizit immer schon eingehen. In enger Anlehnung an Lockes Verständnis von reflection, spricht Leibniz bei dieser Analyse der Strukturen des Denkens von „Reflexion". Von hier aus stellt sich die Aufgabe, diesen methodologischen Rahmen für einzelne metaphysische Begriffe auszufüllen. Leibniz hat seine allgemeinen Vorstellungen von der Erkenntnis angeborener Ideen tatsächlich in verschiedene argumentative Schritte umgesetzt. In ihnen versucht Leibniz zu zeigen, daß die Begriffe, die er zum Aufbau seiner Theorie der einfachen Substanzen benötigt (die Begriffe der Verknüpfung unter Perzeptionen, der spontanen Aktivität, der Einheit und der Repräsentation) in der Struktur geistiger Aktivitäten (den Phänomenen des Bewußtseins, der Erinnerung, der unterschwelligen Wahrnehmung, des Willens, des logischen Denkens, der sinnlichen Wahrnehmung) bereits implizit enthalten sind. Auf diese Weise kann Leibniz zwar noch nicht die spezifischen Aussagen der Substanztheorie - die Thesen von der vollkommenen Verknüpfung unter den Perzeptionen, der absoluten Spontaneität ihrer Aktivitäten - begründen. Aber er gewinnt den begrifflichen Apparat, mit deren Hilfe diese Theorie formuliert werden kann. Um zur Theorie der einfachen Substanzen zu gelangen, muß eine Analyse der materiellen Welt mit Hilfe dieser begrifflichen Voraussetzungen hinzukommen.
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Loemker, „Leibniz's Conception of Philosophical Method", S. 146-149. Cassirer, Leibniz ' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, S.396; Schüßler, Leibniz ' Auffassung des menschlichen Verstandes, S. 176-179.
Die Analyse der Materie und angeborene Ideen
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4. Die Analyse der Materie und die Theorie der angeborenen Ideen Bereits unmittelbar nach der Entwicklung des Begriffs der vis viva (1678) setzt Leibniz die Rückkehr zu einer Theorie der „substantiellen Formen" oder immateriellen Substanzen in Beziehung zum Kraftbegriff.22 Dennoch sind viele Interpreten der Auffassung, daß Leibniz zwischen physikalischen Überlegungen und der Theorie der einfachen Substanzen keinen wirklichen Begründungszusammenhang hergestellt hat.23 Die geringe Bedeutung, die deskriptiven Elementen damit auch hier beigemessen wird, erklärt sich damit, daß es Leibniz in erster Linie darum zu gehen scheint, die materielle Welt vom Standpunkt des système nouveau aus neu zu interpretieren, indem er die materiellen Gegenstände und ihre Eigenschaften als das Resultat der einfachen Substanzen und ihrer Aktivitäten versteht.24 Über gewisse strukturelle Analogien hinaus scheint deshalb die Metaphysik von der Physik unabhängig zu sein. Dem entgegen hat bereits Russell auf zwei Argumente für die Existenz einfacher Substanzen hingewiesen. Im ersten Argument spielt die Analyse der Ausdehnung und die Kritik an den mechanistischen Atomtheorien eine wesentliche Rolle. Das zweite Argument stützt sich auf den von Leibniz entwickelten Kraftbegriff (den Begriff der vis viva).25 Auch ein drittes Argument, das als das „Mühlenargument" bezeichnet werden soll, tritt bei Leibniz auf. Da die Prämissen, von denen diese Argumente ausgehen - die unendliche Teilbarkeit der Ausdehnimg, die Existenz physikalischer Kräfte, die Struktur mentaler Repräsentation - von der Theorie der einfachen Substanzen unabhängig sind und sich damit auf der Ebene des système commun bewegen, kommen diese Argumente für eine Begründung von Aussagen des système nouveau in Frage. In diesem Kapitel wird es darum gehen, die konkrete Gestalt und die systematische Stellung dieser drei Argumente zu rekonstruieren.
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An Herzog Johann-Friedrich von Braunschweig-Lüneburg [1679] ( A l l , 225). Heimsoeth, Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz, S.269-271; Guéroult, Leibniz. Dynamique et métaphysique, S. 161; Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S.46; 53; Buchdahl, Metaphysics and the Philosophy of Science, S.389; 406-407; Buchdahl, „The Interaction Between Science, Philosophy and Theology in the Thought of Leibniz", S.74-76; Mittelstraß, „Leibniz and Kant on Mathematical and Philosophical Knowledge", S.240; M.D.Wilson, „Leibniz's Dynamics and Contingency in Nature", S.136. DM § 18 (A VI, 4, 1558-1559); Remarques sur les Objections de M. Foucher (GP IV, 491); Leibniz an Lady Masham, 10. Juli 1705 (GP III, 367); Leibniz an de Voider, 19. Januar 1706 (GP II, 282); Leibniz an des Bosses, 16. Oktober 1706 (GP II, 324); Leibniz an des Bosses, 31. Juli 1709 (GP II, 378); Leibniz an Remond, 11. Februar 1715 (GP III, 636). B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.101-107.
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Einleitung
Nach M.D.Wilson formuliert Leibniz im Mühlenargument den Fehlschluß, den Kant in der Kritik der reinen Vernunft als den zweiten Paralogismus der reinen Vernunft darstellt.26 Davon abweichend soll eine Rekonstruktion vorgeschlagen werden, die sich auf Leibniz' Unterscheidung zwischen zwei Arten von Repräsentation stützt, die für unbelebte physikalische Systeme und für das menschliche Denken charakteristisch sind: Vergangene Zustände werden im Geist als vergangene Zustände repräsentiert, während die Zustände materieller Maschinen, die sich von Mühlen nur durch die jeweiligen Größenverhältnisse unterscheiden, nur in kausaler Kovarianz zu früheren Ereignissen stehen. Auch für das Argument von der Analyse der Ausdehnung soll eine von Russell abweichende Interpretation vorgeschlagen werden. Nach Russell fuhrt dieses Argument unmittelbar zur Existenz unausgedehnter, unteilbarer und in diesen Sinn „einfacher" Substanzen.27 Dem entgegen soll gezeigt werden, daß das Argument bei Leibniz einen Zwischenschritt enthält, in dem die Existenz „körperlicher" Substanzen begründet wird, die ihrerseits die Existenz einfacher Substanzen voraussetzen. Nur die Annahme der Existenz „körperlicher" Substanzen kann nach Leibniz die Realität der physikalischen Welt gewährleisten und die Auffassung einer bis ins Unendliche mit Lebewesen erfüllten Natur begründen. In der Analyse des Kraftbegriffs schließlich versucht Leibniz zu zeigen, daß die Theorie der vis viva bewegten Gegenständen aktive Merkmale zuschreibt. Diese aktiven Merkmale, so argumentiert Leibniz, können durch die rein passiven Merkmale der Materie nicht erklärt werden. Deshalb setzt die Existenz physikalischer Kräfte die Existenz immaterieller, aktiver Substanzen in der Natur voraus, deren Immaterialität ihrerseits eine mechanische kausale Wechselwirkung ausschließt. Bei allen drei Argumenten, die von der Analyse der materiellen Welt zur Existenz einfacher Substanzen fuhren, wird nach der Rolle der in der inneren Erfahrung gegebenen Begriffe der Repräsentation, der Einheit und der spontanen Aktivität zu fragen sein. Diese Argumente, so soll gezeigt werden, setzen diese Besitz dieser metaphysischen Begriffe und damit einen bestimmten Stand der metaphysischen Erkenntnis voraus. Umgekehrt ermöglicht die Anwendimg dieser Begriffe in der Analyse der materiellen Welt eine Art von Einsicht in die 26
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M.D.Wilson, 'Leibniz and Materialism', S.509-513; ebenso Jolley, Leibniz and Locke, S.123; Kitcher, 'Kant's Paralogisms', S.543-544. Vgl. auch Robinet, Architectonique disjonctive, automates systémiques et idéalité transcendental dans l'Oeuvre de G. W. Leibniz, S.343-344; Rutherford, „Leibniz's 'Analysis of Multitude and Phenomena into Unities and Reality'", S.534; Baxter, „Corporeal Substances and True Unities", S.162-163.
Vernunftprinzipien und einfache Substanzen
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Struktur der äußeren Welt, die allein aufgrund der Methode der inneren Erfahrung nicht zu erreichen ist. Erst die Verbindung der Analyse der inneren Erfahrung mit der Analyse der materiellen Welt kann auf die Existenz immaterieller Substanzen in der Natur fiihren. In dieser Verbindung von Analyse der Struktur der Denkens und Analyse der Strukturen der physikalischen Welt besteht das deskriptive Element von Leibniz' Metaphysik: Die Analyse des Denkens und der Materie legt ontologische Voraussetzungen offen, die in unserem Verständnis des Geistes und der Welt implizit bereits enthalten sind.
5. Die Vernunftprinzipien und die Theorie der einfachen Substanzen Kapitel IV versucht schließlich, die Vernunftprinzipien in dieses Bild eines analytischen Aufbaus der Metaphysik zu integrieren. Hier soll zum einen gezeigt werden, daß die ontologischen Formulierungen des Prinzips des zureichenden Grundes - der Gedanke, daß alle Ereignisse einen Grund haben - und des Prinzips des Widerspruchs - der Gedanke, daß alle Wirkliche widerspruchsfrei ist - nicht auf ihre logischen Formulierungen reduziert werden können und ihrerseits aus der Theorie der einfachen Substanzen folgen. Zum andern scheinen auch die logischen Aspekte dieser Prinzipien mit Leibniz' Metaphysik zusammenzuhängen. Mates hat auf eine theologische Begründung der Theorie der vollständigen Begriffe und damit der logischen Aspekte dieser Prinzipien hingewiesen28: Um ein mögliches Individuum von jedem anderen möglichen Individuum unterscheiden zu können, muß Gott von jedem einzelnen Individuum einen vollständigen Begriff besitzen. Mates betrachtet dieses theologische Argument als Teil eines hypothetischen Vorgehens in der Metaphysik. Doch auch die theologischen Annahmen, die in dieser Begründung eine Rolle spielen, bilden in den Augen von Leibniz keine bloßen Hypothesen, sondern bilden Konsequenzen der Theorie der einfachen Substanzen, insbesondere der Fähigkeit vernünftiger einfacher Substanzen, spontane und in diesem Sinn freie Entscheidungen zu treffen. Vor allem aber erlaubt es Leibniz' eigene ontologische Deutung von Begriffen als „Ideen" und damit als einer Art von geisti-
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Mates, The Philosophy of Leibniz, S.104; vgl. Brody, „Leibniz's Metaphysical Logic", S.51; Frankel, „From a Metaphysical Point of View: Leibniz and the Principle of Sufficient Reason", S.322; 325; Hübener, ,,'Notio completa'. Die theologischen Voraussetzungen von Leibniz' Postulat der Unbeweisbarkeit der Existentialsätze und die Idee des logischen Formalismus", S.l 12-114.
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Einleitung
gen Zuständen, die logischen Formulierungen dieser Prinzipien ontologisch zu reformulieren. Dadurch wird es möglich, diese logischen Formulierungen auch unmittelbar als Konsequenzen der Substanztheorie zu verstehen: Da die einfachen Substanzen das ganze Universum repräsentieren, enthalten ihre Ideen alles, was sich über einen Gegenstand aussagen läßt. In diesem Fall kann jede wahre Aussage über einen Gegenstand prinzipiell mit Hilfe der Analyse der Idee des betreffenden Gegenstandes begründet werden, und genau die Aussagen, die in dem Sinn widerspruchsfrei sind, daß in ihnen etwas erkannt wird, was in der Idee eines Gegenstandes enthalten ist, sind wahr. Auch das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren, - das Air Leibniz ein weiteres wichtiges Vernunftprinzip bildet, läßt sich mit der Theorie der einfachen Substanzen in Verbindung bringen. Dieses Prinzip bildet für Leibniz nicht nur einen Folgesatz der theologischen Erwägung, daß Gott unter qualitativ ununterscheidbaren möglichen Gegenständen keine Entscheidung hätte treffen können29, oder der logischen Überlegung, daß nur ein einziger Gegenstand unter ein und denselben vollständigen Begriff fallen kann.30 Der Gedanke der Identität des Ununterscheidbaren wird von Leibniz auch unmittelbar als eine Konsequenz der Perspektivität der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz aufgefaßt: Die Perzeptionen zweier einfacher Substanzen können aufgrund der Perspektivität der Repräsentation des Universums niemals miteinander qualitativ identisch sein. Die Vernunftprinzipien bilden folglich selbst Konsequenzen der Theorie der einfachen Substanzen. Vor allem sind sie Konsequenzen deqenigen Aspekte der Theorie der einfachen Substanzen, die selbst deskriptive Begründungen besitzen: der These von der spontanen Aktivität einfacher Substanzen, und der These von der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz. Auf diese Weise lassen sich auch die Vernunftprinzipien als Teil einer in Strawsons Sinn deskriptiven Metaphysik auffassen.
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Vgl. Frankel, „Leibniz's Principle of the Identity of Indiscernibles", S.194-195; Vinci, „What is the Ground for the Principle of the Identity of Indiscernibles in Leibniz's Correspondence with Clarke?", S.98-100; Rodriguez-Pereyra, „Leibniz's Argument for the Identity of Indiscernibles in His Correspondence with Clarke", S.429-438. Vgl. Couturat, La logique de Leibniz, S.228-229; B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.55-58; Broad, Leibniz, S.39-42; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.129-132; Troisfontaines, „L'approche logique de la substance et le principe des indiscernables", S.94-97; Hacking, „The Identity of Indiscernibles", S.255;
Kapitel I: Logik und Metaphysik Die revisionären Aspekte von Leibniz' Metaphysik sind eng mit seiner logischen Substanzdefìnition verbunden. Die Interpretationen seiner Substanztheorie als einer revisionären Metaphysik lassen sich deshalb als unterschiedliche Deutungen des Verhältnisses von Logik und Metaphysik verstehen. Leibniz selbst gibt im Discours de Métaphysique mit Hilfe des Begriffs des vollständigen Begriffs eine logische Definition des Begriffs der individuellen Substanz: es ist die Natur einer individuellen Substanz oder eines vollständigen Seienden, einen so vollständigen Begriff zu haben, daß er hinreicht, alle Prädikate des Subjekts, dem er zukommt, zu verstehen und aus ihm abzuleiten. la nature d'une substance individuelle ou d'un estre complet, est d'avoir une notion si accomplie qu'elle soit suffisante à comprendre et à en faire déduire tous les prédicats du sujet à qui cette notion est attribuée.1 Diese Defïniton bildet ihrerseits eine Erläuterung der zuvor gegebenen Erklärung („explication") der Definition der Substanz als des Subjekts, dem mehrere Prädikate zukommen und das keinem anderen Subjekt zukommt.2 Bereits in einem um 1679 entstandenen Fragment gibt Leibniz mit Hilfe des Begriffs des vollständigen Begriffs ein logisches Kriterium für die Individuierung (principium individuationis) von Substanzen an: Jener Begriff (...) aus dem alles folgt, was über ihn gesagt werden kann, ist der Begriff seiner einzelnen Substanz. Conceptus (...) ille ex quo omnia ista sequuntur quae de eo dici possent, est conceptus substantiae ejus singularis.3 In beiden Passagen spielt der (seinerseits spekulative und in diesem Sinn revisionäre) Begriff des vollständigen Begriffs eine entscheidende Rolle für die Einführung des Substanzbegriffs: Im Discours de Métaphysique werden die
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DM § 8 (A VI, 4,1540); vgl. Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 41). DM § 8 (A VI, 4,1540); vgl. SN (GP IV, 475). Definitiones: Aliquid, Nihil (A VI, 4, 306-307).
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Logik und Metaphysik
Eigenschaften der individuellen Substanzen, insbesondere ihre kausale Unabhängigkeit, aus dieser logischen Substanzdefinition abgeleitet. In dem um 1679 entstandenen Fragment scheint darüber hinaus nicht nur die einzelne Substanz, sondern auch der vollständige Begriff selbst als das letzte Subjekt der Prädikation aufgefaßt zu werden; logische und ontologische Subjekte scheinen hier ineinander überzugehen. Dieser Problemlage entsprechend spielen seit dem Erscheinen von Russells A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz (1900) und Couturats La Logique de Leibniz (1901) drei Thesen zum Verhältnis zwischen der Theorie der vollständigen Begriffe und der Theorie der einfachen Substanzen eine dominierende Rolle in der Literatur über Leibniz: (1) Die Theorie der einfachen Substanzen ist auf dem Gedanken der Identität von individueller Substanz und ihrem vollständigen Begriff aufgebaut. (2) Die Theorie der einfachen Substanzen wird von Leibniz aus der Theorie der vollständigen Begriffe abgeleitet. (3) Die Theorie der einfachen Substanzen und die Theorie der vollständigen Begriffe sind bloße Hypothesen, die miteinander logisch verknüpft sind, selbst aber kein methodisch ausgewiesenes Fundament haben. Diese Thesen werden von verschiedenen Autoren in unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert. Couturat vertritt die Thesen (1) und (2)4, Jalabert Thesen (1), (2) und (3)5, Gurwitsch die Thesen (1) und (3), nicht aber These (2 f , Russell und Parkinson vertreten (2), nicht aber (1) und (3)7, S.Brown und Rescher verbinden (2) mit (3)8, während Mates und Mondadori These (3), nicht aber Thesen (1) und (2) vertreten9. Diese Thesen bilden in ihren unterschiedlichen Kombinationen den Kern der Deutung von Leibniz' Substanztheorie als einer revisionären Metaphysik: einer Metaphysik, die das alltägliche Bild der Welt durch ein ganz anderes Bild ersetzt, ohne selbst eine Grundlage in der Analyse der alltäglichen Auffassungen von uns und der Welt zu besitzen. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, daß keiner dieser Ansätze zu einer Interpretation fuhrt, die alle wesentlichen erkenntnistheoretischen Aspekte von 4
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Couturat, La Logique de Leibniz, S.X-XII; „Sur les rapports de la logique et de la métaphysique de Leibniz", S.81. Jalabert, La Théorie leibnizienne de la substance, S.54-56; 62-71. Gurwitsch, Leibniz, S. 16. B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.v-viii; 1-10; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.182-185. S.Brown, Leibniz, S.67-78; Rescher, „Leibniz and the Concept of a System", S.33-34; 38. Mates, The Philosophy of Leibniz, S.4-5; Mondadori „The Leibnizian Circle, S.94.
Individuelle Substanz und vollständiger Begriff
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Leibniz' Metaphysik erfaßt: These (1) scheint den Intentionen von Leibniz nicht zu entsprechen, während die Thesen (2) und (3) zwar revisionäre Aspekte von Leibniz' Metaphysik berücksichtigen, die aber ihrerseits systematische Schwierigkeiten mit sich bringen, und neben denen auch deskriptive Elemente eine Rolle spielen.
1. Die These von der Identität von individueller Substanz und vollständigem Begriff Eine Interpretation des Substanzbegriffs, der zufolge die in der Welt existierenden individuellen Substanzen selbst als existierende vollständige Begriffe aufzufassen sind, wurde zum ersten Mal von Couturat vorgeschlagen. Ihm zufolge sind individuelle Substanzen nichts anderes als vollständige Begriffe, denen Gott im Schöpfungsakt Existenz in der Welt verliehen hat.10 Deshalb vertritt Couturat die Auffassung, daß sich bei Leibniz das individuelle Subjekt auf einen unendlich komplexen Begriff reduzieren läßt." Diese Interpretation wurde von Jalabert weiterentwickelt. Nach Jalabert sind die individuellen Substanzen im Zustand der reinen Möglichkeit, in dem sie sich befinden, bevor sie in der Welt existieren, mit den essences in Gottes Verstand gleichzusetzen, die ihrerseits nichts anderes sind als vollständige Begriffe.12 Ihm zufolge sind deshalb die Substanzen in der Welt, betrachtet unter dem Aspekt ihrer wirklichen Existenz, etwas Seiendes, und zugleich, betrachtet unter dem Aspekt ihrer Möglichkeit, vollständige Begriffe.'3 Mit der Deutung der individuellen Substanzen als existierenden Essenzen verbindet Jalabert den Gedanken, daß fur Leibniz die Bedingungen des Denkens und des Seins identisch sind. Dies betrachtet Jalabert als Erklärung für die Möglichkeit der Ableitung der Metaphysik aus der Logik.14 Auch Gurwitsch betrachtet die individuellen Substanzen als intelligible begriffliche Gebilde, und zwar als realisierte vollständige Begriffe.15 Die Substanzen als erzeugende Prinzipien ihrer Zustände sind ihm zufolge selbst begriffliche Prinzipien, die aus einem vollständigen Subjektbegriff ableitbaren Prädikatbe-
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Couturat, „Sur les rapports de la logique et de la métaphysique de Leibniz", S.81 -82. Couturat, La Logique de Leibniz, S.X-XH. Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S.64-65; 69. Ebd., S.70-74. Ebd., S.93. Gurwitsch, Leibniz, S. 16; 237; 287.
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Logik und Metaphysik
griffe zugleich Prädikate oder Akzidentien von individuellen Substanzen.16 Gurwitsch zieht die über die Deutung von Jalabert hinausreichende Konsequenz, daß für Leibniz kein Unterschied zwischen logischer Konstruktion und Wirklichkeit und daher auch kein Unterschied zwischen Logik und Ontologie besteht; in diesem Sinn charakterisiert er die Philosophie von Leibniz als eine Philosophie des „Panlogismus".17 An die Stelle der Frage nach der Priorität von Logik oder Metaphysik tritt bei Gurwitsch die These von der Äquivalenz von Logik und Ontologie. Der Wechsel zwischen ontologischen und logischen Formulierungen ist ihm zufolge ein bloßer Wechsel zwischen terminologischen Ebenen, denen kein sachlicher Unterschied entspricht.18
1.1. Strukturelle Parallelen zwischen vollständigen Begriffen und individuellen Substanzen Gurwitsch hat, anders als Couturat oder Jalabert, ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich bei der Gleichsetzung von individueller Substanz und vollständigem Begriff um eine Deutungshypothese handelt, d.h. um eine Deutung, die nicht eine von Leibniz ausdrücklich formulierte Theorie wiedergibt.19
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Ebd., S.287; 324-325. Gurwitsch, Leibniz, S.3-4; 11-12. Couturat verwendet den Terminus „Panlogismus", um die Möglichkeit der Ableitung der Metaphysik aus der Logik zu kennzeichnen (La Logique de Leibniz, S.X-XII); Jalabert verwendet diesen Terminus, um die Identität der Bedingungen des Seins und der Erkenntnis zu charakterisieren (La théorie leibnizierme de la substance, S.77). Gurwitsch, Leibniz, S. 16. Die These von der Identität von individueller Substanz und vollständigem Begriff wurde von verschiedenen Autoren übernommen. Guéroult bezeichnet die einfachen Substanzen als „notions infiniment complexes" und spricht davon, daß Leibniz die Substanz als vollständigen Begriff definiert habe („La constitution de la substance chez Leibniz", S.55-62). Serres beschreibt die individuelle Substanz als „sujet logico-ontologique", als „notion complète développable en série infinie, dont chaque terme est écrit dans l'intériorité monadique" (Le système de Leibniz et ses modèles mathématiques, S.103-104). Auch Deleuze spricht vom logisch-metaphysischen Doppelcharakter der Begriffe und Prädikate: „le concept n'est pas un simple être logique, mais un être métaphysique; ce n'est pas une généralité ou une universalité, mais un individu; il ne se définit pas par un attribut, mais par des prédicats-événements." (Le pli, S.56) Nach Castañeda schwankt Leibniz in der Zeit um 1686 zwischen zwei Auflassungen von der individuellen Substanz, einer Auffassung, der zufolge eine individuelle Substanz ein existierender vollständiger Begriff ist (,,C(S) [complete concept] cum existence"), und einer Auffassung, in der individuelle Substanzen von vollständigen Begriffen unterschieden werden („Leibniz's 1686 Views on Individual Substances, Existence, and Relations", S.688). Zalta hat ein formales Modell für individuelle Substanzen als abstrakte Gegenstände entwickelt, die er ihrerseits als vollständige Begriffe versteht (Abstract Objects, S.84-90). Gurwitsch, Leibniz, S.9.
Individuelle Substanz und vollständiger Begriff
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Der möglicherweise stärkste Anhaltspunkt für diese Deutungshypothese liegt in den weitreichenden Parallelen zwischen der Theorie der vollständigen Begriffe und der Theorie der einfachen Substanzen. Am offensichtlichsten sind diese Parallelen in Bezug auf die Theorie der Repräsentation des Universums. Parallelen bestehen aber auch zwischen der Theorie der Aktivität und Einheit der einfachen Substanzen und der These von der Ableitbarkeit aller Prädikatbegriffe eines Individuums aus einem vollständigen Begriff.
1.1.1. Die logische Rekonstruktion der Repräsentation des Universums Nach Leibniz repräsentiert ein vollständiger Begriff das Universum, indem in ihm, verknüpft durch RelationsausdrUcke, die Namen aller in der Welt existierenden Gegenstände enthalten sind.20 Damit besitzt er eine Eigenschaft, die Leibniz den individuellen Substanzen zuschreibt: Auch die individuellen Substanzen repräsentieren das Universum: Eine einfache Substanz ist ein „Spiegel" des Universums, indem der gegenwärtige Zustand einer einfachen Substanz ihre vergangenen und zukünftigen Zustände21 und die gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Zustände aller anderen einfachen Substanzen repräsentiert oder ausdrückt22. Auch zwischen den materiellen Gegenständen und den einfachen Substanzen, wie Leibniz in der Monadologie hervorhebt, ein Verhältnis der Repräsentation: Darin, daß jeder materielle Gegenstand das Universum repräsentiert, drücken die materiellen Gegenstände die einfachen Substanzen aus, die ihrerseits das Universum repräsentieren.23 Auch repräsentiert jede einfache Substanz den ihr zugeordneten materiellen Körper.24 Ahnlich spricht Leibniz davon, daß der Begriff, der einem materiellen Gegenstand zukommt, diesen Gegenstand repräsentiert.25 Vollständige Begriffe scheinen deshalb in der selben Weise das Universum und materielle Gegenstände zu repräsentieren, wie einfache Substanzen.26
M
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Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 41); Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1646). DM § 8 (A VI, 4, 1541 ); Mon. § 22 (GP VI, 610). DM § 9 (AVI,4, 1541-1542); DM § 14 (AVI,4, 1549-1551); Mon. § 56 (GP VI, 616). Mon. §61 (GP VI, 617). Mon. §62 (GP VI, 617). NE II 27 § 22 (A VI, 6,243). Vgl. Gurwitsch, Leibniz, S.400; 406-407. Gurwitsch, Leibniz, S.236-238; 293-95; 306; ebenso Zalta, Abstract Objects, S. 115-116.
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Logik und Metaphysik 1.1.2. Die logische Rekonstruktion von Aktivität und Einheit
Parallelen bestehen auch in Bezug auf die Theorie der spontanen Aktivität der individuellen Substanzen. Alle Prädikatbegriffe, die einem Individuum zukommen, lassen sich aus seinem vollständigen Begriff ableiten27 oder sind in ihm enthalten28. Dies bildet eine Parallele dazu, daß eine individuelle Substanz alle ihre Zustände aus sich selbst hervorbringt. Leibniz selbst zieht eine Analogie zwischen dem Verhältnis, in dem in einer einfachen Substanz das aktive Prinzip zu ihren Zuständen steht, und dem Verhältnis zwischen dem Gesetz einer mathematischen Folge und den einzelnen Gliedern dieser Folge.29 Bereits Couturat faßt deshalb den vollständigen Begriff als ein aktives Prinzip auf, das in Analogie zum Gesetz einer mathematischen Folge seine Zustände aus sich selbst hervorbringt.30 Jalabert schlägt eine formale Rekonstruktion vor, die sich auf die von Leibniz getroffene Unterscheidung zwischen „primitiven" und aus ihnen abgeleiteten „derivativen" Prädikatbegriffen stützt. Leibniz selbst verwendet diese Unterscheidung, um den vollständigen Begriff als die Konjunktion der primitiven Prädikatbegriffe eines Gegenstandes zu definieren.31 Jalabert versteht die einfache Substanz als eine Konjunktion von primitiven Prädikatbegriffen, die in der Weise ein aktives Prinzip bilden, daß aus ihnen die übrigen Prädikatbegriffe folgen.32 Gurwitsch hingegen greift auf die Theorie der kausalen Definition zurück, die Leibniz ursprünglich in mathematischem Zusammenhang entwickelt hat.33 Dabei versteht er das allgemeine Glied einer arithmetischen Folge als die „kausale" Definition dieser Folge. Als Sonderfall davon läßt sich ihm zufolge das Gesetz betrachten, nach dem eine geometrische Figur konstruiert werden kann.34 Diese Theorie hat Leibniz auf den außermathematischen Bereich übertragen. So spricht er von den kausalen Definitionen z.B. des Goldes35 oder eines Parabolspiegels36. In diesen Definitio27 a 29
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Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 41). Leibniz an Emst von Hessen-Rheinfels, 1. Februar 1686 (GP II, 12); GP II, 68 [1686]. Leibniz an de Voider, 10. November 1703 (GP II, 258): „res se habet velut in legibus serierum". Couturat, „Sur les rapports de la logique et de la métaphysique de Leibniz", S.87-89. Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 44): „Car tous les prédicats d'Adam dépendent d'autres prédicats du même Adam, ou n'en dépendent point. Mettant donc à part ceux qui dépendent d'autres, on n'a qu'à prendre ensemble tous les prédicats primitifs pour former la notion complete d'Adam suffisante à en déduire tout ce qui luy doit jamais arriver (...)". Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S.70. Vgl. Cassirer, Leibniz ' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, S. 113-119. Gurwitsch, Leibniz, S.65-71 ; vgl. De Synthesi et Analysi universali (GP VII, 295). NE III 3 § 18 (A VI, 6, 294-295). NE IV 4 § § 6 - 1 0 (A VI, 6, 393).
Individuelle Substanz und vollständiger Begriff
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nen wird angegeben, wie der definierte Gegenstand entstehen kann. Nach Gurwitsch läßt sich auch eine solche kausale Definition im außermathematischen Bereich als das allgemeine Glied einer Folge auffassen, deren Werte die Eigenschaften des definierten Gegenstandes sind.37 Da die kausale Definition als das allgemeine Glied einer Folge die Prädikatbegriffe aus sich selbst hervorbringt, und zwar in der Weise, daß sich aus jedem gegebenen Glied der Folge alle anderen ableiten lassen, versteht Gurwitsch die vollständigen Begriffe selbst als kausale Definitionen.38 Mit Hilfe dieser logischen Rekonstruktion der Aktivität der einfachen Substanzen läßt sich dem Einwand von Parkinson begegnen, daß vollständige Begriffe bloße Aggregate von Teilbegriffen und damit aufgrund von Leibniz' Entgegensetzung von Aggregaten und Substanzen keine Substanzen sind39. Die Analogie zwischen der einfachen Substanz und dem Gesetz einer mathematischen Folge fuhrt auf eine Analogie zwischen der Einheit des Begriffs und der Einheit der Substanz. In Jalaberts Modell nimmt die Konjunktion von primitiven Prädikaten die Rolle eines Prinzips der Einheit gegenüber den derivativen Prädikaten ein.40 Nach dem Modell von Gurwitsch läßt sich der vollständige Begriff im Sinn einer generativen Definition als das Prinzip der Einheit der Prädikatbegriffe auffassen.41 Aus ähnlichem Grund ist der von Parkinson vorgebrachte Einwand, daß einfache Substanzen im Gegensatz zu vollständigen Begriffen temporale Existenz besitzen42, nicht überzeugend. Jalabert weist darauf hin, daß die panlogistische Deutung Leibniz' Auffassung vom Wesen der temporalen Existenz der einfachen Substanzen nachbilden kann: Während die einfache Substanz als Prinzip ihrer Aktivitäten von der Erschaffung des Welt bis zu ihrem Ende andauert und in diesem Sinn atemporal ist, bildet die Folge ihrer Perzeptionen eine temporale Abfolge; analog dazu läßt sich der vollständige Begriff als das Prinzip, aus dem sich Prädikatbegriffe ableiten lassen, als etwas Atemporales, die Folge der Prädikatbegriffe als etwas Temporales auffassen.43
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Gurwitsch, Leibniz, S.313-315. Ebd., S.307. Bereits Brunschvicg hat die Monaden als allgemeine Glieder mathematischer Folgen interpretiert {Les étapes de la philosophie mathématique, S.220-224; ebenso Guéroult, Leibniz. Dynamique et métaphysique, S. 174-175). Parkinson, Logic and Reality in Leibniz 's Metaphysics, S.135. Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S.62; 70. Gurwitsch, Leibniz, S. 187. Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.135; ebenso Frankel, „Leibniz's Principle of Identity of Indiscernibles", S.195-196. Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S. 139-161.
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Logik und Metaphysik
Für die zentralen Eigenschaften der einfachen Substanzen lassen sich also logische Analogien finden, die in Leibniz' Theorie der vollständigen Begriffe angelegt sind. Dennoch bilden die strukturellen Parallelen zwischen der Theorie der individuellen Substanzen und der Theorie der vollständigen Begriffe auch kein zwingendes Argument fur die Identität von individueller Substanz und vollständigem Begriff. Im Gegenteil spricht, wie im folgenden gezeigt werden soll, einiges dafür, daß Leibniz trotz der weitreichenden strukturellen Parallelen die Unterscheidung zwischen logischen und ontologischen Entitäten aufrecht erhalten möchte.
1.2. Die Unterscheidung von Essenz und Substanz Eine von Couturat, Jalabert und Gurwitsch44 angeführte Begründung für die Deutung der individuellen Substanzen als existierender vollständiger Begriffe greift auf zwei Elemente in Leibniz' Auffassung des Schöpfungsvorgangs zurück. Zum einen verändert nach Leibniz der göttliche Schöpfungsakt nicht die essence der Dinge; die Dinge bleiben so, wie sie im Zustand der reinen Möglichkeit waren: es ist ersichtlich, daß dieser Entschluß nichts in der Konstitution der Dinge verändert, und daß er sie so beläßt, wie sie im Zustand der reinen Möglichkeit waren, d.h. daß er nichts ändert, weder in ihrer Essenz oder Natur, noch in ihren Akzidentien, die bereits vollkommen in der Idee dieser möglichen Welt repräsentiert sind. il est visible que ce décret ne change rien dans la constitution des choses, et qu'il les laisse telles qu'elles etaient dans l'état de pure possibilité, c'est à dire qu'il ne change rien, ni dans leur essence ou nature, ni même dans leurs accidens, représentés déjà parfaitement dans l'idée de ce monde possible.45 Zum andern findet sich nach Leibniz in den möglichen Dingen ein „Streben zur Existenz": in den möglichen Dingen oder in der Möglichkeit oder Essenz selbst findet sich ein Streben zur Existenz (...) und, um dies so auszudrücken, die Essenz strebt von selbst zur Existenz.
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Couturat, „Sur les rapports de la logique et de la métaphysique de Leibniz", S 82; Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S.64-66; Gurwitsch, Leibniz, S.5; 458. Th. §52 (GP VI, 131).
Individuelle Substanz und vollständiger Begriff
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aliquam in rebus possibilibus seu in ipsa possibilitate vel essentia esse exigentiam existentiae (...) et, ut verbo complectar, essentiam per se tendere ad existentiam.44
Dies könnte dafür sprechen, daß existierende Gegenstände für Leibniz nichts anderes als existierende Essenzen sind. Da Essenzen für Leibniz ihrerseits Begriffe oder Definitionen sind47, wären in diesem Fall existierende Gegenstände nichts anderes als existierende begriffliche Gebilde.
1.2.1. Die Unveränderlichkeit der Essenzen Dennoch macht keiner dieser Befunde die Gleichsetzung des existierenden Gegenstandes mit seinem vollständigen Begriff zwingend. Dies gilt zunächst für die Auffassung, daß der Schöpfungsakt die Essenz der Dinge nicht verändert. Leibniz spricht zwar davon, daß Gott einen vollständigen Begriff von Adam im „Bereich der möglichen Dinge" („dans le pays des possibles") und damit in seinem Verstand vorfindet48; mögliche Substanzen (possibilia) sind folglich für Leibniz nichts anderes als vollständige Begriffe. Dies schließt es aber fiir Leibniz nicht aus, existierende Substanzen von ihren vollständigen Begriffen oder ihren Essenzen zu unterscheiden. Essentia im Sinn der Möglichkeit (possibilitas) eines Gegenstandes49 weist graduelle Abstufungen auf und wird von dem, was möglich ist (dem possibile), ausdrücklich unterschieden50. Auch im Sinn der Idee, des Begriffs oder der Definition einer Sache, wird die essentia selbst von dem Gegenstand, der eine essentia besitzt, unterschieden.51 Dieses Verhältnis von Gegenstand, Möglichkeit und Begriff wird besonders deutlich in einer Passage aus den Nouveaux Essais: Die Essenz ist im Grund nichts anderes als die Möglichkeit dessen, was man sich vorstellt. Das, was man als möglich annimmt, ist durch eine Definition ausgedrückt, aber diese Definition ist nur nominal, wenn sie nicht zugleich die Möglichkeit ausdrückt, weil man dann daran zweifeln kann, ob diese Definition etwas Reales, d.h. Mögliches ausdrückt (...). Um auch die Essenz und die Definition besser zu unterscheiden, ist zu beachten, daß es nur eine Essenz eines Gegenstandes gibt, aber mehrere Definitionen, die die gleiche Essenz ausdrücken (...). 46
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De rerum originatione radicali (GP VII, 303); vgl. Veritates absolutae primae (A VI, 4, 1442): „Omne possibile exigit existere, et proinde existeret nisi aliud impedirei, quod etiam existere exigit et priori incompatibile est". DM § 16 (A VI, 4, 1554-1555); GP II, 68; Leibniz an Bourguet, 3. April 1716 (GP III, 592). Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 42). Leibniz an Foucher [1686] (GP 1,385); GP III, 226; NE III 3 § 15 (A VI, 6,293-294). Veritates absolutae primae (A VI, 4,1442); De rerum originatione radicali (GP VII, 303). NE III 6 § 27 (A VI, 6, 320); NE III 10 §§ 17-18 (A VI, 6, 345).
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Logik und Metaphysik L'essence dans le fonds n'est autre chose que la possibilité de ce qu'on propose. Ce qu'on suppose possible est exprimé par la definition, mais cette definition n'est que nominale quand elle n'exprime point en même temps la possibilité, car alors on peut douter si cette definition exprime quelque chose de reel, c'est a dire possible (...)• Pour mieux distinguer aussi l'Essence et la definition, il faut considérer qu'il n'y a qu'une essence de la chose, mais qu'il y a plusieurs definition qui expriment une même essence (...)·52
Auch in dieser Passage wird die Essenz und die Definition von dem Gegenstand unterschieden, der eine Essenz hat, oder dem eine Definition zukommt. Wenig später macht Leibniz deutlich, daß die Essenzen allein dem Bereich des Möglichen, und das heißt eben nicht dem Bereich des Existierenden angehören: „die Essenzen sind ewig, weil es sich dabei nur um das Mögliche handelt" („les Essences sont perpetuelles parce qu'il ne s'y agit que du possible").53 Daß der Schöpfixngsakt die Essenz der Dinge nicht verändert, reicht deshalb nicht hin, die These von der Identität von existierendem Gegenstand und seiner Essenz zu begründen.
1.2.2. Das Streben zur Existenz Ergibt sich ein anderes Bild aus Leibniz' Auffassung, daß die possibilia ein Streben hin zur Existenz haben? Eine wörtliche Interpretation dieses Motivs würde tatsächlich fur die Auffassung sprechen, daß existierende Substanzen für Leibniz nichts anderes als verwirklichte logische Subjekte sind. Gegen eine wörtliche Interpretation das Strebens der possibilia zur Existenz haben Rescher und Blumenfeld den Einwand geltend gemacht, daß die bestmögliche Kombination von possibilia in diesem Fall notwendigerweise existieren müßte, was Leibniz' Auffassung von der Kontingenz des Existierenden widersprechen würde.54 Shields weist hingegen darauf hin, daß sich der von Rescher und Blumenfeld angenommene Widerspruch aus einer wörtlichen Interpretation des Strebens der possibilia zur Existenz nicht ergibt: Denn um notwendigerweise zu existieren, muß nach Leibniz die Existenz in der Essenz eines Gegenstandes bereits enthalten sein55, und auf eine solche Annahme verpflichtet sich eine wörtliche
52 55 54
55
NE III 3 § 1 5 (AVI, 6, 293). NE III 3 § 19 (AVI, 6,294). Rescher, „Leibniz on Creation and the Evaluation of Possible Worlds", S.3; Blumenfeld, „Leibniz's Theory of the Striving Possibles", S.85. Vgl. De rerum originatione radicali (GP VII, 303).
Individuelle Substanz und vollständiger Begriff
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Interpretation des Strebens der possibilia zur Existenz nicht56. Shields weist auch auf verschiedene Passagen hin, in denen Leibniz die Theorie des Strebens der possibilia zur Existenz ohne weitere Einschränkungen formuliert57, und vertritt deshalb eine wörtliche Interpretation dieses Motivs. Eine solche wörtliche Deutung läßt sich jedoch mit Hilfe einer von Rescher, Blumenfeld und Shields nicht beachteten Passage aus der Théodizee eindeutig ausschließen. Dort formuliert Leibniz: Man kann sagen, sobald Gott sich entschlossen hat, etwas zu erschaffen, besteht ein Wettstreit unter den möglichen Dingen, die alle nach der Existenz streben; und diejenigen, die gemeinsam die meiste Realität, die meiste Vollkommenheit, die meiste Verständlichkeit herstellen, überzeugen ihn. Es ist wahr, daß dieser Wettstreit nur ideal, d.h. nur ein Konflikt der Gründe im vollkommensten Verstand sein kann, der nur auf vollkommenste Weise handeln und deshalb das Beste wählen kann. L'on peut dire qu'aussitost que Dieu a decerne de créer quelque chose, il y a un combat entre tous les possibles, tous pretendane à l'existence; et que ceux qui joints ensemble produisent le plus de realité, le plus de perfection, le plus d'intelligibilité, l'emportent. Il est vray que tout ce combat ne peut être qu'idéal, c'est à dire il ne peut être qu'un conflit des raisons dans l'entendement le plus parfait, qui ne peut manquer d'agir de la maniere la plus parfaite, et par consequence choisir le mieux.58 Wenn aber das Streben der possibilia zur Existenz in einem übertragenen Sinn als ein Widerstreit der Gründe in Gottes Verstand verstanden wird, ergibt sich daraus kein Anhaltspunkt fur die These, daß existierende Gegenstände nichts anderes als existierende vollständige Begriffe sind. Im Gegenteil scheinen es gar nicht die Essenzen selbst zu sein, die zur Existenz streben. In diesem Fall spricht auch nichts dafür, daß die existierenden Gegenstände nichts anderes als Essenzen sind.
1.3. Terminologische Beobachtungen In die gleiche Richtung deuten auch einige Beobachtungen zu Leibniz' Terminologie. Für die panlogistische Deutung der Substanztheorie scheint zunächst zu sprechen, daß Leibniz oft keine Unterscheidung zwischen Subjekten und Subjektbegriffen trifft, und daß er verschiedentlich Begriffe ausdrücklich als 56 57 M
Shields, „Leibniz's Doctrine of the Striving Possibles", S.347-354. Ebd., S.349-350. Th. § 201 (GP VI, 236).
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Logik und Metaphysik
Substanzen bezeichnet. Dennoch scheint es sich hier eher um terminologische Besonderheiten zu handeln, die die Unterscheidung zwischen Begriffen und Substanzen nicht aufheben.
1.3.1. „Subjekt" und „Subjektbegriff' Viele Passagen bei Leibniz lassen nicht erkennen, ob mit „Subjekt" und „Prädikat" logische oder nichtlogische Entitäten gemeint sind. An mehreren Stellen beziehen sich „Subjekt" und „Prädikat" sogar eindeutig auf Begriffe.59 Daß ein Prädikat in einem Subjekt enthalten ist, heißt, wie Leibniz im Zusammenhang mit der Korrespondenz mit Arnauld hervorhebt, nichts anderes, als daß der Prädikatbegriff im Subjektbegriff eingeschlossen ist.60 Die auf der terminologischen Ebene fehlende Unterscheidung zwischen Subjekten und Subjektbegriffen oder zwischen Prädikaten und Prädikatbegriffen könnte dafür sprechen, so argumentieren Jalabert und Gurwitsch, daß Leibniz zwischen logischen und nichtlogischen Subjekten keine Unterscheidung treffen und folglich auch in der eben zitierten Definition der Substanz als dem letzten Subjekt die Substanzen selbst als logische Gebilde charakterisieren möchte.61 Dem läßt sich entgegenhalten, daß Leibniz wiederholt zwischen dem vollständigen Begriff einer individuellen Substanz und der individuellen Substanz selbst unterscheidet.62 Ausdrücklich spricht er davon, daß eine individuelle Substanz einen vollständigen Begriff „hat"63 oder daß ihr ein vollständiger Begriff „zugeordnet" werden kann64. Auch den Gedanken von der Substanz als dem Subjekt, dem mehrere Prädikate zukommen, ohne daß es selbst einem anderen Subjekt zukommt, erläutert er damit, daß es das Wesen einer individuellen Substanz ist, einen vollständigen Begriff zu haben, aus dem alle Prädikate des Subjekts abgeleitet werden können, dem er zukommt.65 Ähnlich verbindet Leib-
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Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 43); Leibniz an Amauld, 14. Juli 1686 (GP II, 52). Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 43). Jalabert, La théorie leibnizierme de la substance, S.59; Gurwitsch, Leibniz, S. 11 ; 287-288. Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 39; 45-46); Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 49); Principium scientiae humanae (A VI, 4, 672); Notationes Generales (A VI, 4, 553). Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 41); Specimen inventorum de Admirandis naturae Generalis arcanis [ca. 1686] (A VI, 4, 1626): „Substantiae enim singularis natura est ut habeat notionem completarci, cui omnia eiusdem subjecti praedicata involvuntur." Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 42). DM § 8 (A VI, 4, 1539-1541).
Individuelle Substanz und vollständiger Begriff
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niz den Gedanken von der Substanz als dem letzten Subjekt mit der Vorstellung, daß der vollständige Begriff die Substanz „ausdrückt": Das letzte Subjekt wird Substanz genannt. Die übrigen Dinge heißen Akzidentien. Und da aus dem Begriff des Subjekts immer ein Grund angegeben werden kann, ist er der Begriff dieser Substanz, und der vollständige Begriff drückt diese Substanz aus. Ultimum Subjectum Substantia appellato. Reliquiae res vocantur accidentia. Et cum ex notione subjecti semper ratio reddi potest, est notio ipsius substantiae, et Terminus completus ipsam substantiam exprimit.66 Die Auffassung der Substanz als dem letzten Subjekt reicht deshalb nicht hin, die Substanzen selbst als begriffliche Gebilde zu verstehen.
1.3.2. „Begriff' und „Substanz" Allerdings scheint Leibniz vollständige Begriffe und individuelle Substanzen an verschiedenen Stellen ausdrücklich gleichzusetzen. Bereits in dem anfangs schon erwähnten, um 1679 entstandenen Fragment scheint Leibniz nicht nur die einzelne Substanz, sondern auch den vollständigen Begriff als das letzte Subjekt der Prädikation zu verstehen. Dort findet sich auch die Formulierung: Der Begriff einer bestehenden Entität (...) ist deijenige, der alle jene Attribute enthält, die von dem ausgesagt werden können, wovon er selbst ausgesagt werden kann. So daß das Bestehende nichts anderes ist als ein vollständiger Begriff, oder in dem alles enthalten ist, was ihm oder dem Gegenstand, dem er zukommt, zugeschrieben werden kann. Conceptus autem subsistentis (...) est qui omnia illa attributa includit, quae de eodem dici possunt, de quo ipse dici potest. Ita ut subsistens nihil aliud sit quam Terminus completus, seu cui omnia insunt, quae ipsi vel eidem cui ipsum, attribuì possunt.67 Ähnlich formuliert Leibniz in einem auf die Zeit zwischen 1683 und 1686 datierbaren Fragment: Die Substanz ist ein vollständiger Begriff oder ein Begriff, der alles enthält, was von dem Gegenstand gesagt werden kann, dem er zukommt.
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Enumeratio Terminorum Simpliciorum (A VI, 4,388-389). Definitiones: Aliquid, Nihil (A VI, 4, 306).
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Logik und Metaphysik Substantia est Terminus completas seu omnia involvens quae de eodem dici possunt, de quo ipse.48
Obwohl hier Substanz und Begriff zunächst scheinbar gleichgesetzt werden, trifft die Wendung „omnia involvens quae de eodem dici possunt, de quo ipse" eine Unterscheidung zwischen dem Begriff und dem Gegenstand, den er bezeichnet. Auch in einem anderen Fragment aus dieser Zeit wird zunächst der vollständige Begriff und die individuelle Substanz scheinbar gleichgesetzt, schließlich aber doch eine Unterscheidung zwischen Begriff und Substanz getroffen: Ein konkreter Begriff ist entweder eine Substanz bzw. ein Ding, oder ein Akzidens bzw. ein Modus (...). Ein vollständiger konkreter Begriff ist ein Begriff, der bereits alles enthält, was von ein und demselben Subjekt ausgesagt werden kann; er wird auch einzelne Substanz genannt, bzw. wer den Begriff einer einzelnen Substanz vollkommen erkennen würde, würde durch ihn schon alle ihre Prädikate kennen. Terminus concretas est vel substantia seu Res, vel accidens seu Modus (...). Terminus concretas completas est, qui jam omnia comprehendit, quae de eodem subjecto praedicari possent, dicitur et substantia singularis seu qui notionem singularis alicuius substantiae perfecte intelligeret jam omnia ejus praedicata ex ea cognosceret.6' Diese verwirrende Sachlage läßt sich am besten anhand der Beilage von Leibniz' Brief an des Bosses vom 12. Dezember 1712 erläutern. Dort führt Leibniz zunächst die Unterscheidung zwischen den „bloß realen Begriffen" („termini mere reales", z.B. „Mensch") und den „konnotationalen Begriffen" („termini connotionales") ein, unter denen er wiederum zwischen „essentiellen" und „akzidentellen" unterscheidet (z.B. „vernünftiger Mensch" im Gegensatz zu „gelehrter Mensch"). Nachdem diese Unterscheidungen eingeführt sind, findet sich die folgende Äußerung, in der Begriffe und Substanzen wiederum scheinbar gleichgesetzt werden: Begriffe sind entweder konkret oder abstrakt. Die bloß realen konkreten Begriffe sind Substanzen. (...) Abstrakte Gegenstände sind ebenfalls entweder etwas Seiendes oder Prädikate. Termini sunt Concreti vel Abstracti. Concreti mere reales sunt Substantiae. (...) Abstracta sunt itidem aut Entia, aut praedicata.70 Was hier wie eine Gleichsetzung von Begriffen und Gegenständen oder Eigenschaften aussieht, bildet jedoch, wie der weitere Zusammenhang dieser Passage 68
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Genera Terminorum. Substantiae (A VI, 4, 568). Vgl. Defmitiones: Aliquid, Nihil, Impossibile, Possibile (A VI, 4, 939-940). Divisiones (A VI, 4, 574-575). GP II, 471.
Individuelle Substanz und vollständiger Begriff
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zeigt, kaum mehr als eine terminologische Inkonsequenz. Etwas weiter oben im selben Text formuliert Leibniz: Die realen Begriffe sind selbst ein Ding, weil nichts anderes als dieses ausgedrückt wird; die konnotationalen sind ein Ding mit einer Ergänzung. Termini Reales sunt ipsae Res, cum nihil exprimitur praeter ipsum; connotionales sunt res cum addito.71 Auch dies läßt sich zunächst im Sinn einer Identität von Begriff und Gegenstand lesen, doch kommt hier eine Beziehung der Expression zwischen Begriff und Gegenstand hinzu.72 Vor allem aber formuliert Leibniz einige Zeilen zuvor: Die möglichen Begriffe sind reale Entitäten, die unmöglichen Vernunftgegenstände. Jedoch sind Begriff etwas anderes als Entitäten, z.B. das Dreieckige und das Dreiseitige sind die gleiche Entität, aber verschiedene Begriffe, die formal, nicht material voneinander abweichen. Termini possibiles sunt Entia realia, impossibilia sunt Entia rationis. Interim aliud sunt Termini quam Entia, v.g. Triangulum et Trilaterum sunt idem Ens, sed sunt termini diversi differuntque formaliter, non materialiter.73 An dieser Stelle trifft Leibniz ausdrücklich eine Unterscheidung zwischen Begriffen („Termini") und Gegenständen („Entia"), die darauf beruht, daß zwei Begriffe zwar die gleiche Extension und dennoch unterschiedliche Intensionen haben können, und in diesem Sinn „formal", nicht aber „material" voneinander sind. Die Bezeichnung von Begriffen als „Substanzen", „Dingen" oder „Eigenschaften" ist also nicht unbedingt in einem wörtlichen Sinn zu verstehen, sondern eher in dem Sinn, den der an allen zitierten Stellen greifbare Begriff der Expression nahelegt: Substanzen, Dinge und Eigenschaften werden von den Begriffen, die sie bezeichnen, ausgedrückt.
1.4. Ideen und Substanzen Auch Leibniz' Reaktionen auf Spinoza sind fur seine Sicht des Verhältnisses zwischen Begriffen (Ideen) und Substanzen aufschlußreich. Bereits in frühen Auseinandersetzungen mit Spinozas Ethik hebt Leibniz hervor, daß nicht die Ideen, sondern der Geist tätig ist: 71 72
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Ebd. Ähnlich formuliert Leibniz in NE III 7 § 1 (A VI, 6, 330): „Les [termes] abstraits réels (...) sont ou essences et parties de l'essence, ou accidens", gebraucht aber einige Zeilen später die Wendung: „ces Estrés abstraits et incomplets signifiés par des Termes Abstraits Réels (...)". GPII, 471.
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Logik und Metaphysik Ideen handeln nicht. Der Geist handelt. Die ganze Welt ist in Wirklichkeit das Objekt jedes einzelnen Geistes, und die ganze Welt wird von jedem Geist auf eine bestimmte Weise perzipiert. Es gibt eine Welt und dennoch verschiedene Geister. Der Geist entsteht also nicht durch die Idee des Körpers, sondern weil Gott die Welt auf unterschiedliche Weise betrachtet, wie ich eine Stadt. Ideae non agunt. Mens agit. Totus mundus revera est objectum cujusque mentis, totus mundus quoddammodo a quavis mente percipitur. Mundus unus et tarnen mentes diversae. Mens igitur fit non per ideam corporis, sed quia variis modis Deus mundum intuetur ut ego urbem.74
In der späteren Korrespondenz mit de Voider nimmt Leibniz diesen Gedanken wieder auf. Obwohl in der Seele die Idee der materiellen Welt enthalten ist, kann sie nach Leibniz dennoch nicht selbst als die Idee der materiellen Welt betrachtet werden. Sie ist vielmehr der Ursprung der Ideen. Die Ideen faßt Leibniz dabei als etwas auf, was selbst keine Aktivität besitzt: In der Seele ist die adäquate Idee der Materie, doch ist die Seele fur mich nicht die Idee der Materie, sondern die Quelle der Ideen, die ihr im Innern aus ihrer Natur erwachsen (...). Die Idee ist etwas sozusagen Totes und Unveränderliches, wie eine Figur, die Seele hingegen etwas Lebendiges und aktives, und in diesem Sinn sage ich nicht, sie sei eine Idee, die von sich aus zur Veränderung strebt, sondern sie lasse in sich verschiedene Ideen aufeinander abfolgen, von denen die eine aus der anderen erschlossen werden kann. In anima est idea materiae adaequata, attamen anima mihi non est ipsa materiae idea, sed fons idearum ipsi in ipsa ex natura sua nascentium (...). Idea est aliquid ut sic dicam mortuum et in se immutabile, ut figura, anima vero aliquid vivum et actuosum, et hoc sensu non dico esse unam aliquam ideam, quae ex se ad mutationem tendat, sed varias sibi succedere ideas, quarum una tamen ex alia colligi possit.75 Obwohl er anschließend einräumt, daß man die Seele in einem übertragenen Sinn als lebendige Idee bezeichnen kann, betont er, daß sie im eigentlichen Sinn keine Idee, sondern der Ursprung von Ideen ist: In einem anderen Sinn könnte ich zwar irgendwie sagen, die Seele sei eine lebendige oder substantielle Idee, im eigentlichen Sinn aber ist sie eine Substanz, die Ideen hervorbringt. Alio quidem sensu vocis dicere aliquo modo possim, Animam esse ideam vivam seu substantialem, rectius tamen esse substantiam ideantem.76
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Aus und zu Spinozas Opera Posthuma [ca. 1678] (A VI, 4, 1713). Vgl. Spinoza, Etìlica ordine geometrico demonstrate, Pars Secunda, Prop. XII. Leibniz an de Voider, 23. Juni 1699 (GP II, 184). Ebd., (GP II, 184).
Die Ableitung der Substanztheorie aus der Logik
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Die hier ausgedrückten Vorbehalte, individuelle Substanzen selbst als „lebendige Ideen" zu bezeichnen, machen deutlich, welche Vorbehalte Leibniz gegen eine Gleichsetzung von Begriffen und individuellen Substanzen hat: Ideen oder Begriffe sind veränderliche Zustände vernünftiger Substanzen. Sie gehören in die Kategorie der Eigenschaften oder Akzidentien, nicht in die Kategorie der Substanzen. Diese Einordnung der Ideen unter die Eigenschaften vernünftiger Substanzen liegt Leibniz' Theorie der Ideen als psychischer Dispositionen zugrunde.77 Die These von der Identität von individueller Substanz und vollständigem Begriff bleibt folglich eine Deutungshypothese, die weder durch die strukturellen Parallelen zwischen der Theorie der vollständigen Begriffe und der Theorie der einfachen Substanzen, noch durch Leibniz' Auffassung von der Rolle der Essenzen im Schöpfungsvorgang oder durch terminologische Besonderheiten einiger Texte eine starke Motivation erhält. Im Gegenteil scheint Leibniz die Unterscheidung zwischen logischen und ontologischen Entitäten sowohl auf terminologischer Ebene als auch in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Substanzen und Ideen aufrechterhalten zu haben: Vollständige Begriffe sind nicht individuelle Substanzen, sondern drücken sie aus, und individuelle Substanzen sind nicht lebendige Ideen, sondern Substanzen, die Ideen hervorbringen.
2. Die Ableitung der Substanztheorie aus der Logik
Verschiedene Interpreten vertreten unabhängig von der These der Identität von vollständigen Begriffen und individuellen Substanzen die Auffassung, daß Leibniz' Metaphysik eine Konsequenz seiner Logik ist.78 Drei Varianten dieser These lassen sich unterscheiden: (2.1) In den Augen von Leibniz reichen logische Prämissen allein aus, um die Theorie der einfachen Substanzen zu begründen. (2.2) Leibniz fügt den rein logischen Prämissen implizit noch weitere, nicht-logische Prämissen hinzu.
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Vgl. unten Kapitel IV, Abschnitt 2.3. B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.42-48; Nason, „Leibniz and the Logical Argument for Individual Substances", S.ll-13; Broad, „Leibniz's Predicate-InNotion-Principle and Some of its Alleged Consequences", S.2-3; Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.502-528; Mittelstraß, „Substance and Its Concept in Leibniz", S. 150; 154.
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Logik und Metaphysik (2.3) In der logischen Begründung der Metaphysik ist ein argumentativ nicht einlösbares, spekulatives Element enthalten.
Gemeinsamer Ausgangspunkt für diese Deutungen des Systems sind verschiedene Texte aus der Zeit um 1686, in denen Leibniz zentrale Teile der Metaphysik als Konsequenzen seiner „analytischen" Urteilstheorie darstellt, der zufolge in jeder wahren affirmativen Aussage der Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten ist; dies gilt nach Leibniz nicht nur für die notwendigen, sondern auch für die kontingenten Aussagen.79 Als eine Konsequenz dieser Urteilstheorie faßt Leibniz dort das Prinzip des zureichenden Grundes auf: Nichts ist ohne Grund oder Ursache, weil es andernfalls Wahrheiten gäbe, die nicht a priori, d.h. allein aufgrund der Kenntnis der in ihr auftretenden Begriffe, bewiesen werden könnten.80 Eine weitere Konsequenz bildet das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren: Es kann in der Natur nicht zwei qualitativ identische, aber numerisch verschiedene Gegenstände geben, weil in diesem Fall kein Grund für ihre Verschiedenheit angegeben werden könnte.81 Aus der analytischen Urteilstheorie folgt auch, daß im vollständigen Begriff einer individuellen Substanz alle ihre gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Prädikate enthalten sind.82 Dies bringt es mit sich, daß im vollständigen Begriff einer individuellen Substanz alle Prädikate für die Relationen enthalten sind, in denen diese Substanz zu allen Gegenständen im Universum steht.83 Aus dem Umstand, daß im vollständigen Begriff einer individuellen Substanz auf diese Weise das ganze Universum enthalten ist, zieht Leibniz die Folgerung, daß die individuelle Substanz eine Repräsentation des ganzen Universums ist.84 Da alle ihre Prädikate in ihrem vollständigen Begriff enthalten sind, bringt eine individuelle Substanz außerdem alle ihre Zustände aus sich selbst hervor und kann keinen kausalen Einfluß auf andere individuellen Substanzen ausüben.85 Zwischen Leib und Seele und allgemeiner zwischen individuellen Substanzen muß deshalb in dem Sinn eine Harmonie bestehen, daß der Veränderung in einer
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Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1644-1655). Zur analytischen Urteilstheorie vgl. Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum (A VI, 4, 740-741). Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1644). Ebd. (AVI, 4, 1645). Ebd. (AVI, 4, 1646). Ebd. Ebd.; De plenitudine mundi [1676] (A VI, 3, 524-525); Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 46); Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 57). Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1647); DM § 9 (A VI, 4, 1541-1542); DM § 33 (A VI, 4, 1581-1583); Specimen inventorum de Admirandis naturae Generalis arcanis (A VI, 4, 1617); De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (A VI, 4,1503-1504).
Die Ableitung der Substanztheorie aus der Logik
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bestimmten individuellen Veränderungen in allen anderen individuellen Substanzen entsprechen.86 Ferner kann das Wesen der individuellen Substanzen nicht ausschließlich in Ausdehnung und Bewegung bestehen, da es sonst qualitativ identische, aber numerisch voneinander unterschiedene Substanzen geben könnte.87
2.1. Probleme der Ableitung der Metaphysik aus logischen Prämissen Die These, daß die zentralen Sätze von Leibniz' Metaphysik allein auf logischen Prämissen beruhen, wird bis in die aktuelle Literatur hinein vertreten. So betrachtet Liske die in der analytischen Urteilstheorie enthaltene Wahrheitsdefinition als die Grundlage des ganzen Systems der Metaphysik. Liske versteht dabei das Prinzip des Widerspruchs und die logische Formulierung des Prinzips des zureichenden Grundes unmittelbar als Folgesätze der Wahrheitsdefinition, und die ontologischen Formulierungen des Prinzips des zureichenden Grundes und dessen ontologischen Konsequenzen als Resultat der Anwendung der logischen Formulierung des Prinzips auf kontingente Aussagen.88 Auch Rutherford ist der Auffassung, daß Leibniz die These von der Unabhängigkeit und Spontaneität der individuellen Substanzen allein aus der mit der analytischen Urteilstheorie verbundenen Auffassung von der Substanz als dem letzten Subjekt der Prädikation abgeleitet hat.89 Obwohl der Versuch der Ableitung der Metaphysik aus der Logik in Texten aus der Zeit des Discours de Métaphysique auf einer relativ breiten Basis dokumentiert ist, wirft dieser Versuch selbst systematische Schwierigkeiten auf. Zweifel an der Gültigkeit der logischen Begründung der Substanztheorie wurden von Heimsoeth bereits bald nach dem Erscheinen von Couturats La Logique de Leibniz geäußert.90 Wie sollten die Thesen von der expression und spontanéité der individuellen Substanzen allein aus den betrachteten logischen Thesen folgen? Leibniz hat diesen Zusammenhang an keiner Stelle näher expliziert, und zumindest auf den ersten Blick scheint der Umstand, daß ein Gegenstand eine
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Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4,1647). Ebd. Liske, Leibniz ' Freiheitslehre, S.6-9. Rutherford, Leibniz and the Rational Order of Nature, S. 134-135. Heimsoeth, Die Methode der Erkenntnis bet Descartes und Leibniz, S.196-199; Vgl. S. Brown, Leibniz, S. 162; 168; Macdonald Ross, „Logic and Ontology in Leibniz", S.20-24.
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Logik und Metaphysik
vollständige Kennzeichnung besitzt, nicht auszuschließen, daß dieser Gegenstand von außen kausal beeinflußt werden kann. Aber auch unmittelbar aus den Texten aus der Zeit des Discours de Métaphysique ergeben sich Schwierigkeiten. Johnson hat darauf hingewiesen, daß Leibniz in den Principia LogicoMetaphysica fur die Begründung der prästabilierten Leib-Seele-Harmonie nicht nur logische Überlegungen anfuhrt, sondern auch auf das Wirken Gottes zurückgreift: Daß sich die wechselseitige Übereinstimmung von Körper und Seele aus ihrem jeweiligen Begriff ergibt, wird dort seinerseits durch den göttlichen Schöpfungsakt erklärt.91 Dies läßt sich um weitere Beobachtungen ergänzen. In einem in zeitlicher Nähe zu den Principia Logico-Metaphysica entstandenen Text spricht Leibniz von zwei oder drei Thesen, aus denen alle anderen Sätze der Philosophie folgen. Dort stellt er die These, daß in jeder wahren affirmativen Aussage der Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten ist, nur als eine dritte These neben die beiden andern Thesen, daß Gott immer aus Vollkommenheit oder Weisheit handelt („Deus semper agit cum charactere perfectionis seu sapientiae") und daß nicht alles Mögliche zur Existenz gelangt („Non omne possibile ad existentiam pervenit").92 Auch hier wird deutlich, daß nicht nur logische Prämissen in der Begründung der Metaphysik eine Rolle spielen. Im letzten Brief an Arnauld (1690) findet sich darüber hinaus eine Passage, in der Leibniz die zentralen Sätze seiner Metaphysik als Konsequenzen der These darstellt, der Körper sei keine Substanz, sondern ein Aggregat von Substanzen.93 Auch wenn an dieser Stelle die vermittelnden Schritte ausgelassen sind, die von dieser These zu den Aussagen der Metaphysik führen, deutet sich hier eine Begründungsstrategie an, die von der Analyse der materiellen Welt zur Existenz einfacher Substanzen führt.
2.2. Probleme der Ableitung der Metaphysik aus logischen und nicht-logischen Prämissen Eine naheliegende Lösung fur die Probleme, die Substanztheorie allein aus logischen Prämissen abzuleiten, liegt im Vorschlag, die logischen Prämissen um "
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Johnson, „Leibniz's Method and the Basis of his Metaphysics", S.51-52. Vgl. Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1647): „Nam DEUS ab initio ita condidit animam pariter et corpus tanta sapientia et tanto artificio, ut ex ipsa cujusque prima constitutione notioneve omnia quae in uno fiunt per se perfecte respondeant omnibus quae in altero fiunt, perinde ac si ex uno in alterum transiissent, quam ego Hypothesin concomitantiae appello". De contingentìa [1689-1690] (A VI, 4,1652). Leibniz an Arnauld, 23. März 1690 (GP II, 135-136).
Die Ableitung der Substanztheorie aus der Logik
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weitere, von Leibniz stillschweigend vorausgesetzte Prämissen zu ergänzen, die keine Aussagen der Logik sind. Bereits Russell hat versucht, die wesentlichen Teile von Leibniz' Philosophie aus der Kombination einer kleinen Zahl von Prämissen zu deduzieren, von denen drei zur Logik gehören, während die beiden anderen ontologische Prämissen sind.*4 Dieser Ansatz wurde von Parkinson weiter differenziert. Ihm zufolge leitet Leibniz die Sätze der Metaphysik aus Definitionen von Vernunftbegriffen wie den Begriffen Gottes, der Vollkommenheit, des vollständigen Begriffs oder der identischen Aussage, und aus Axiomen ab, die sich mit ihrer Hilfe formulieren lassen, von denen aber nur eines rein logischer Natur ist." Gegen den konkreten Vorschlag von Russell wurde verschiedentlich eingewandt, daß von seinen fünf Prämissen die zweite („A subject may have predicates which are qualities existing at various times. Such a subject is called a substance") die dritte („True propositions not asserting existence at particular times are necessary and analytic, but such as assert existence at particular times are contingent and synthetic") nicht Leibniz' Auffassung vom Substanzbegriff und vom Wesen der Aussage entspricht, während die erste („Every proposition has a subject and a predicate") und die vierte („The Ego is a substance") als Prämissen für das System von Leibniz' Metaphysik zu unspezifisch sind.96 Allerdings ist auch die Rekonstruktion von Parkinson, die versucht, diese Schwierigkeiten zu lösen, nicht ohne Probleme. Unter den Axiomen nennt Parkinson den Satz: „Moral perfection is natural to minds" (A 4), unter den daraus abgeleiteten Theoremen „The world (...) is morally perfect" (Τ 7). Hier läßt sich einwenden, daß sich diese Sätze (zumindest in dieser Form) nicht bei Leibniz finden. Vor allem bietet die von Parkinson vorgeschlagene Ergänzung der analytischen Urteilstheorie und der Theorie der vollständigen Begriffe um weitere, nicht-logische Prämissen für den zentralen Schritt der Ableitung der Eigenschaften der einfachen Substanzen keine wirkliche Entlastung der logischen Prämissen. Parkinson leitet das Theorem, daß alle Substanzen miteinander verbunden sind (T 9), aus der Existenz einer Vielzahl geschaffener Substanzen (T 8) und der Auffassung ab, daß alle Substanzen einen vollständigen Begriff besitzen (D 9). Aus der Existenz und Verbundenheit der geschaffenen Substanzen wird das Theorem abgeleitet, daß jede Substanz alle Zustände aller anderen Substanzen ausdrückt (T 11), und daraus wiederum die Autarkie der geschaffenen Substanzen (T 12), ihre Unteilbarkeit und Einfachheit (T 14) und die Sponta94
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B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.l-10. Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.182-185. Ebd., S. 182-183.
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Logik und Metaphysik
neität ihrer Aktivitäten (Τ 18).97 Nur das Theorem von der Existenz einer Vielzahl von Substanzen wird nach der Rekonstruktion von Parkinson durch nicht-logische Axiome und Theoreme begründet: die Annahmen der Existenz Gottes (A 1), seines Willens zur Erschaffung der bestmöglichen Welt (A 2) und die These, daß die geschaffene Welt deshalb das höchste Maß an Realität besitzt (T 5). Doch gewinnt Parkinson durch die Einführung dieser nicht-logischen Axiome und Theoreme nur die Annahme der Existenz einer unendlichen Vielzahl von geschaffenen Substanzen, während die Ableitung der Eigenschaften dieser geschaffenen Substanzen wieder allein auf der Theorie der vollständigen Begriffe beruht.
2.3. Die Substanztheorie als spekulative Ergänzung des logischen Substanzbegriffs Eine Alternative zu den Rekonstruktionen von Russell und Parkinson bildet die von Mittelstraß vorgeschlagene Interpretation, die das spekulative Element in der logischen Begründung des Substanzbegriffs hervorhebt. Nach Mittelstraß rechtfertigt bei Leibniz die Konstruktion vollständiger Begriffe die Einfuhrung des Substanzbegriffs. Dabei weist Mittelstraß zum einen auf die methodische Unvollkommenheit der Einführung des Begriffs des vollständigen Begriffs bei Leibniz hin98, zum andern betrachtet er den Satz, daß das Individuum durch seine Perzeptionen konstituiert sei99, als eine spekulative Ergänzung der logischen Rekonstruktion des Substanzbegriffs100. Allgemeiner spricht er davon, die Sätze der Substanztheorie seien „partly conceptual consequences, partly (also speculative) supplementations".101 Das Problem des fehlenden methodischen Fundaments fur die Einführung des Begriffs des vollständigen Begriffs ist ein Problem, das sich für alle bisher betrachteten Rekonstruktionen des Ableitungszusammenhangs zwischen logischen und metaphysischen Aussagen stellt. Ausdrücklich stellt Leibniz die analytische Urteilstheorie im Zusammenhang mit der logischen Begründung der Eigenschaften der einfachen Substanzen als ein bloß hypothetisches Axiom
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Ebd., S.185; vgl. S.141-145; 150-151. Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.513. NE, préf. (A VI, 6, 55). Mittelstraß, „Substance and Its Concept in Leibniz", S.155. Mittelstraß, „Leibniz and Kant on Mathematical and Philosophical Knowledge", S.242; vgl. Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.522.
Die Ableitung der Substanztheorie aus der Logik
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dar, aus dem sich andere Aussagen beweisen lassen.102 An anderer Stelle beruft sich Leibniz darauf, daß die analytische Urteilstheorie auf Aristoteles zurückgeht.103 Tatsächlich entspricht dies, worauf Parkinson hingewiesen hat104, einer in der mittelalterlichen Aristoteles-Interpretation verbreiteten Auffassung105. Dies könnte dafür sprechen, daß Leibniz die analytische Urteilstheorie als eine in der Tradition gegebene (und nicht-hypothetische) Grundwahrheit betrachtet hat. Für eine solche nicht-hypothetische Auffassung der analytischen Urteilstheorie könnte eine Formulierung in der Korrespondenz mit Arnauld sprechen.106 Doch ist natürlich weder mit dem Rückgriff auf die mittelalterliche Aristoteles-Interpretation, noch mit einer apodiktischen Formulierung der analytischen Urteilstheorie eine methodische Begründung dieser Theorie gewonnen. Wenn nun zwischen der logischen Definition des Substanzbegriffs mit Hilfe des Begriffs des vollständigen Begriffs und den Aussagen über die Eigenschaften, die Leibniz im einzelnen den einfachen Substanzen zuschreibt, seinerseits ein Zusammenhang der bloßen spekulativen Ergänzung besteht, dann bliebe die Substanztheorie an sich eine methodisch nicht fundierte Hypothese oder, wie Mittelstraß hervorhebt, ein spekulatives Gebilde.107 Dies rückt die Interpretation von Mittelstraß in unmittelbare Nähe zu Darstellungen, in denen das System von Leibniz' Metaphysik als ein Netz von bloßen Hypothesen aufgefaßt wird. Dies erfaßt jedoch, wie noch deutlich werden wird, nur einen Aspekt von Leibniz' Methodologie, neben dem auch andere Aspekte eine Rolle spielen.
2.4. Synthesis und Analysis
Ein Einwand, der in gleicher Weise alle bisher betrachteten Versuche, die Ableitung der Metaphysik der Logik ins Zentrum des logischen Aufbaus von
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Leibniz an Foucher [1686] (GP 1,382). Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum (A VI, 4, 751; 776); Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1644-1655). Parkinson, „Leibniz's Philosophical Aims", S.74. So übersetzt etwa Gerardus von Cremona An. post 81bl0 ff. mit den Worten: „Et omnis sillogismi esse non constituitur nisi ex tribus terminis. Unus terminorum est cuius ostenditur esse inesse C, [et] est A mediante Β et Β inest C." (Aristoteles Latinus, IV, 3,38). Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 56): „Enfin j'ay donné une raison decisive, qui à mon avis tient lieu de demonstration: c'est que tousjours, dans toute proposition affirmative, veritable, necessaire ou contingente, universelle ou singulière, la notion du prédicat est comprise dans celle du sujet, praedicatum inest subjecto; ou bien je ne scay ce que c'est que la vérité". Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.528.
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Logik und Metaphysik
Leibniz' Metaphysik zu stellen, betrifft, ergibt sich aus Leibniz' Unterscheidung zwischen Analysis und Synthesis. Ein Vorgehen, das den Beschreibungen von Couturat, Russell oder Mittelstraß folgt, kann als eine rein synthetische Methode bezeichnet werden: die Gegenstände der Metaphysik werden konstituiert, indem man ihre Definition angibt, und die Aussagen der Metaphysik folgen, wenn man bestimmte Axiome hinzunimmt, aus diesen Definitionen. Doch Leibniz faßt bereits in seinen frühen Schriften und auch in der Zeit des Discours de Métaphysique, ähnlich wie Descartes108, Analyse und Synthese als komplementäre Verfahren auf 09 : Die analytische Methode geht von einem gegebenen Problem aus, und geht zurück zu den Präsuppositionen, die zu seiner Lösung hinreichen; die synthetische Methode geht von Theoremen aus, aus denen sich die Lösung eines gegebenen Problems ableiten läßt.110 Die analytische Methode ist die Methode der Forschung (ars irtveniendi); die synthetische Methode dagegen besitzt drei Aspekte: sie ist die Methode der Darstellung; sie ist die Methode der Beurteilung (ars iudicandi); und sie kann ihrerseits zu neuen Entdeckungen fuhren. Im Idealfall bleibt die synthetische Methode aber abhängig von der analytischen: der Ableitung von Konsequenzen aus Axiomen und Definitionen geht in diesem Fall eine analytische Begründung der Axiome und Definitionen selbst voraus."1 Die vollkommenste wissenschaftliche Methode, so macht Leibniz in einem zwischen 1683-1686 entstandenen Fragment deutlich, würde einerseits von den einfachsten und allgemeinsten Begriffen und Axiomen ausgehen und mit ihrer Hilfe alle zusammengesetzten und speziellen Begriffe und Sachverhalte erklären. Andererseits würden die Elemente, von denen diese synthetische Methode ausgeht, zuvor mit Hilfe der Methode der Analyse gewonnen.112 Dieser
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Descartes, Secundae responsiones, Oeuvres VII, 155-156. Loemker, „Leibniz's Conception of Philosophical Method", S.510-517; Kauppi, Über die Leibnizsche Logik, S.14-16; 117-118; Mittelstraß, „The Philosopher's Conception of Mathesis Universalis from Descartes to Leibniz", S.595-603, Mittelstraß, „Leibniz and Kant on Mathematical and Philosophical Knowledge", S.235-236. 110 Elementa nova matheseos universalis [ 1684-1687] (A VI, 4, 523). "' Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae [1667] (A VI, 1, 279); De methoda synthetica aut analytica [ca. 1676] (A VI, 4, 351); Leibniz an Conring, 19. März 1678 (GP I, 194); GP VII, 62. 112 Methodus docendi una popularis altera scientifica perfectior [ca. 1683-1686] (A VI, 4, 582): „At Methodus scientifica, maxime perfecta, incipiet non a posterioribus natura atque compositis et specialibus, quae in sensus incurrunt, sed a notionibus et veritatibus maxime simplicibus ac generalibus, quae primum intellectui obversantur, unde paulatim ad notiones speciales et compositas descendit. (...) Haec Methode Synthetica (si semel haberetur) nihil foret clarius et facilius. Sed antequam constituantur ejus Elementa, hoc est summa genera seu primae notiones, et simplicissima axiomata aliaeque primae veritates, opus est analysi difficili et diuturna (...)".
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Die Ableitung der Substanztheorie aus der Logik
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Konzeption entsprechend wendet Leibniz gegen Descartes ein, daß dieser seine Axiome nicht bewiesen und damit die wahre Analyse verfehlt habe.1'3 In Analogie zu Descartes' eigener Auffassung von der analytischen Struktur der Meditationesm spricht Leibniz auch noch in einem Brief aus der Zeit nach dem Erscheinen des Système Nouveau ausdrücklich davon, daß die theoretische Philosophie (die Metaphysik und die natürliche Theologie) auf die Analyse gegründet ist, wie sie in der Mathematik angewandt wird.115 An diesen Stellen wird deutlich, daß Leibniz Axiome und Definitionen, von denen die Deduktion metaphysischer Sätze ausgeht, als Sätze betrachtet, die im Idealfall selbst auf dem Weg der Analyse begründet werden können.
2.5. Das Verschwinden der logischen Begründungsstrategie Ein letzter Einwand ergibt sich aus dem Umstand, daß die betrachtete Ableitung der Metaphysik aus der Logik in Leibniz' Texten nach dem Discours de Métaphysique und der Korrespondenz mit Arnauld nicht mehr auftritt. Die logische Substanzdefinition mit Hilfe der Theorie der vollständigen Begriffe kommt bei Leibniz, worauf Utermöhlen hingewiesen hat, noch einmal in den Randnotizen zu Thomasius' Dialogus de definitione Substantiae (1694) vor.116 Leibniz vertritt auch über diese Zeit hinaus die Auffassung, daß die individuellen Substanzen die letzten Subjekte sind. Allerdings formuliert er diesen Gedanken dann innerhalb des ontologischen Schemas von Substanz und Akzidens, ohne auf das logische Schema von Subjektbegriff und Prädikatbegriff zurückzugreifen.117 Ganz verschwindet jedoch der Versuch, die Eigenschaften der einfachen Substanzen aus der Theorie der vollständigen Begriffe oder der analytischen Urteilstheorie abzuleiten. Dies spricht dafür, daß eine solche Begründungsstrategie fur Leibniz in späteren Jahren keine zentrale Rolle mehr gespielt hat.
114 115 116 117
Bodemann, Die Leibniz-Handschrifien der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover, S.59. Descartes, Secundae responsiones, Oeuvres VII, 156-157. Leibniz an Burnett, l./l 1. Februar 1697 (GP III, 193) Utermöhlen, „Leibniz' Antwort auf Christian Thomasius' Frage Quid sit substantia", SM. Leibniz an des Bosses, 20. September 1712 (GP II, 457).
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Logik und Metaphysik 3. Die Theorie der einfachen Substanzen als Hypothese
Die heute wohl einflußreichste Auffassung des Systems von Leibniz' Metaphysik geht davon aus, daß die Theorie der einfachen Substanzen in den Augen von Leibniz nichts anderes als eine spekulative Hypothese bildet, die zwar geeignet ist, bestimmte philosophische Probleme zu lösen, selbst aber methodisch nicht fundiert ist. Dafür, daß Leibniz die Möglichkeit einer methodischen Fundierung fur die Metaphysik gesehen hat, spricht auf den ersten Blick eine Äußerung, der zufolge es in seiner ganzen Metaphysik nichts gibt, was nicht bewiesen oder beweisbar ist."8 Allerdings spricht Leibniz in der Korrespondenz mit Lady Masham davon, daß die Hypothese der prästabilierten Harmonie eine mögliche Hypothese und den alternativen Theorien des psychophysischen Interaktionismus (Descartes) und des Okkasionalismus (Malebranche) überlegen und daher bewiesen sei.119 Auch im Système Nouveau faßt Leibniz die Theorie der prästabilierten Harmonie als etwas auf, was in dem Sinn mehr als eine bloße Hypothese ist, daß es nicht möglich erscheint, die Dinge auf eine andere Weise zu erklären.120 Diese Auffassung des metaphysischen Systems als der besten verfügbaren Hypothese findet sich bereits in der Korrespondenz mit Arnauld121 und auch in späteren Schriften an verschiedenen Stellen122. Johnson weist auf eine Passage aus einem Brief an de Voider hin123, in der Leibniz davon spricht, daß auch wenn die Unmöglichkeit der cartesianischen Auffassung der Materie nicht wirklich bewiesen wäre, wir dennoch damit zufrieden sein könnten, Begriffe zu entwickeln, die mit der Erfahrung übereinstimmen, die in der Praxis nützlich sind, und die geeignet sind, Probleme zu lösen.124 Ahnlich faßt Leibniz
" ' NE IV 3 § 18 (A VI, 6, 383): „il n'y a rien en tout cela, que je ne croye demonstré ou demonstrable". 119 Leibniz an Lady Masham, 30. Juni 1704 (GP III, 355): ,je diray (1) qu'il semble que c'est quelque chose de considerable qu'une hypothese paroisse possible quand toutes les autres ne le paraissent point, et (2) qu'il est extrêmement probable qu'une telle hypothese est la veritable"; vgl. ebd. (GP III, 353): „supposé que les choses ordinaires se doivent foire naturellement, et non pas par miracle, il semble qu'on peut dire, qu'après cela mon Hypothese est demontréé". 120 SN (GP IV, 486): „Outre tous ces avantages qui rendent cette Hypothese recommandable, on peut dire que c'est quelque chose de plus d'une Hypothese, puisqu'il ne paroist gueres possible d'expliquer les choses d'une autre maniere intelligible, et que plusieurs grandes difficultés qui ont jusqu'icy exercé les esprits, semblent disparoistre d'elles mêmes quand on l'a bien comprise". Vgl. SN (GP IV, 487). 121 Leibniz an Amauld, 30. April 1687 (GP II, 95). 122 Vgl. GP IV, 498-499; GP IV, 500-501. 123 Johnson, „Leibniz's Method and the Basis of his Metaphysics", S.55. 124 Leibniz an de Voider, April 1702 (GP II, 241 ).
Die Theorie der einfachen Substanzen als Hypothese
37
das Kontinuitätsprinzip als eine Hypothese auf, die wenn auch nicht zu beweisen, so dennoch klar ist, und die mit anderen solchen Hypothesen und den Phänomenen gut übereinstimmt125. Im Eclaircissement du nouveau système und später in der Korrespondenz mit Basnage de Beauval wird schließlich die Theorie der prästabilierten Harmonie als eine metaphysische Hypothese aufgefaßt, die zusätzlich einen apriorischen Grund in den Vernunftprinzipien hat.126 Die Auffassung der Metaphysik als einer mit der Erfahrung übereinstimmenden Hypothese schlägt sich nach Johnson nieder in den zahlreichen empirischen Beobachtungen, die Leibniz zur Bestätigung einzelner metaphysischer Aussagen anführt127. So beruft sich Leibniz in Bezug auf das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren auf die Beobachtung, daß es nicht möglich ist, zwei Eier, zwei Blätter oder zwei Grashalme zu finden, die genau gleich sind.128 Auch für die allgemeine Formulierung des Prinzips der Kontinuität, der zufolge jeder Übergang von Ort zu Ort oder von Zustand zu Zustand in einem kontinuierlichen Prozeß stattfindet, nimmt Leibniz in Anspruch, daß dies durch die Erfahrung bestätigt wird.129 Für die Annahme, daß der Veränderung einer einzelnen Substanz Veränderungen aller anderen Substanzen entsprechen, führt er die Beobachtung an, daß in einem mit Flüssigkeit gefüllten Gefäß eine Bewegung in der Mitte sich bis an die Ränder ausbreitet.130 Für die Theorie des inneren Ursprungs der Entwicklung eines Lebewesens und für die Auffassung, daß Zeugung und Tod eines Lebewesen nur eine Transformation darstellen, führt Leibniz aus der zeitgenössischen Biologie die Theorie der Präformation von Lebewesen an131. Hierin sieht Johnson 125
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Leibniz an de Voider, 24. Marz/ 3. April 1699 (GP II, 168): „Sed est aliquid prodire tenus: quae rigidis demonstrationibus munire nondum in proclivi est, commendabunt sese interim jure hypotheseos clarae et sibi ac phaenomenis pulchre consentiendis. (...) Tale est Axioma quo utor: nullam transitionem fieri per saltum. Id fluere arbitrer ex ordinis lege". Vor allem auf diese Stelle stützt Marschlich ihre Auffassung vom hypothetischen Charakter der Substanztheorie (Die Substanz als Hypothese, S.182-192). Eclaircissement du système nouveau (GP IV, 496): „Si cela veut dire que je suis porté à mon Hypothese encor par des raisons a priori, ou par de certains principes, comme cela est ainsi en effet, c'est plustost une louange de l'hypothese qu'une objection"; Leibniz an Basnage de Beauval, 19. Februar 1706 (GP III, 144): „II me semble queje puis dire aussi, que mon Hypothese n'est point gratuite, puisque je crois d'avoir fait voir qu'il n'y a que trois de possibles, et qu'il n'y a que la mienne, qui soit en même temps intelligible et naturelle, mais elle se peut Même prouver a priori (...)". Johnson, „Leibniz's Method and the Basis of his Metaphysics", S.51; 58-61. principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1644-1645); Leibniz an Kurfllrstin Sophie, 31. Oktober 1705 (GP VII, 563). Leibniz an de Voider, 24. Marz/ 3. April 1699 (GP II, 168); Leibniz an Remond, 11. Februar 1715 (GP III, 635); Animadversiones in partem generalem Principiorum Caxtesianorum (GP IV, 376-377). Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4,1646-1647). Leibniz an Hartsoeker, 30. Oktober 1710 (GP III, 508); Th. préf. (GP VI, 41 ).
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Logik und Metaphysik
eine Lockerung der anfänglichen rationalistischen Orientierung in den Plänen zur Anwendung der characteristica universalis in der Metaphysik und eine Tendenz hin zu pragmatischen Lösungen. Eine ähnliche Auffassung vertritt, allerdings zeitlich beschränkt auf die für die mit der Veröffentlichung des Système Nouveau beginnende Phase, auch Loemker132.
3.1. Das hypothetisch-deduktive Modell der euklidischen Geometrie Bereits Jalabert hat die Methode von Leibniz' Metaphysik als eine apriorische Deduktion aus Prinzipien und Definitionen charakterisiert.133 Er stützt sich dafür auf eine frühe Äußerung von Leibniz, der zufolge die metaphysischen Aussagen ebenso wie arithmetische, geometrische oder logische Aussagen allein von Definitionen abhängen.134 Spezifischer verbindet S.Brown die These vom hypothetischen Charakter von Leibniz' Metaphysik mit einem an der euklidischen Geometrie orientierten Modell. Nach Brown bilden den Ausgangspunkt für Leibniz' Metaphysik Annahmen, die selbst noch zu beweisen sind, aus denen aber andere Aussagen deduziert und mit deren Hilfe bestimmte Probleme gelöst werden können. In dieser Weise interpretiert Brown auch die Ableitung der zentralen Sätze der Metaphysik aus der analytischen Urteilstheorie als eine Ableitung der Metaphysik aus hypothetischen Annahmen.135 Auch Rescher zufolge ist das System von Leibniz nach euklidischem Muster auf einer Zahl miteinander verbundener metaphysischer Prinzipien aufgebaut, aus denen die übrigen Sätze abgeleitet werden.136 Brown stützt sich für diese Deutung auf Texte aus den frühen 1680-er Jahren und einen Brief an Foucher aus dem Jahr 1686. In diesen Texten vertritt Leibniz die Idee einer hypothetisch-deduktiven Methodologie in der Metaphysik. Das Ziel dieser Methode ist die Ableitung metaphysischer Sätze aus einer als Hypothesen gekennzeichneten Menge von Axiomen.137 Der Vorteil einer solchen
132 133 134
135 136 137
Loemker, „Leibniz's conception of philosophical method", S.138-139. La théorie leibnizienne de la substance, S.16-20. Leibniz an Magnus Hesenthaler [1671] (A II, 1, 200: „quae pendent ex definitionibus vocabulorum, seu clans distinctisque ideis rerum"). S.Brown, Leibniz, S.4-5; 8-9; 67-78. Rescher, „Leibniz and the Concept of a System", S.33-34; 38. GP VII, 165; Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianonun (GP IV, 355); Leibniz an Foucher [1686] (GP I, 381-382). Vgl. Conveisatio cum Domino Episcopo Stenonio de Libertate [1677] (AVI, 4, 1375).
Die Theorie der einfachen Substanzen als Hypothese
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Methode besteht nach Leibniz in der Reduktion der Anzahl der Aussagen, deren Beweis noch offen steht138. Im Brief an Foucher stellt Leibniz die analytische Urteilstheorie und das Prinzip des Widerspruchs, dem zufolge zwei sich widersprechende Aussagen nicht zugleich wahr sein können und etwas in sich widersprüchliches nicht existieren kann, als solche unbewiesene Hypothesen dar.139 Noch einmal formuliert Leibniz die Idee eines hypothetisch-deduktiven Vorgehens in der Philosophie in den von Brown nicht herangezogenen, zwischen 1693 und 1696 entstandenen Quelques remarques sur le livre de Möns. Lock intitulé Essay of Understanding. Dort betrachtet er das Prinzip des Widerspruchs als ein axiome primitif, ohne das es keinen Unterschied zwischen wahr und falsch geben würde. Alles, ausgenommen dieses Prinzip und die unmittelbaren Erfahrungen, ist, wie Leibniz an dieser Stelle sagt, beweisbar. Dies bringt er wiederum unmittelbar in Verbindung mit der euklidischen Methode. Dabei macht er deutlich, daß es sich hier um eine Zurückfuhrung auf eine geringe Zahl von Prämissen handelt, die ihrerseits hypothetisch sind: Euklid hat recht damit gehabt, einige Axiome für zugestanden zu nehmen, nicht in der Weise, als wären sie wirklich ursprünglich und unbeweisbar, sondern weil er sich aufgehalten hätte, wenn er erst nach einer exakten Diskussion der Prinzipien zu Schlußfolgerungen hätte kommen wollen. So hat er sich entschlossen, sich damit zu begnügen, die Beweise bis zu einer kleinen Zahl von Aussagen vorangetrieben zu haben, sodaß man sagen kann, wenn sie wahr sind, ist es auch alles, was er sagt. Euclide a eu raison de prendre quelques Axiomes pour accordés, non comme s'ils estoient véritablement primitifs et indemonstrables, mais parce qu'il se seroit arresté, s'il n'avoit voulu venir aux conclusions qu'après une discussion exacte des principes. Ainsi il a jugé à propos de se contenter d'avoir poussé les preuves jusqu'à ce petit nombre de propositions, en sorte qu'on peut dire que si elles sont vrayes, tout ce qu'il dit l'est aussi.140 An dieser Stelle überträgt Leibniz diese Vorstellung von der Methode des mathematischen Denkens noch einmal ausdrücklich auf die Philosophie: Dieses Vorgehen sollte von den Philosophen nachgeahmt werden, um endlich zu Ergebnissen zu gelangen, die nicht nur provisorisch sind (...). Cette maniere de proceder doit estre imitée des Philosophes, pour venir enfin à quelques établissemens, quand ils ne seroient que provisionnels (...).141
"» Leibniz an Foucher [1686] (GP 1,381). 139 Ebd. (GP 1,382). 140 A VI, 6, 5. 141 Ebd.
40
Logik und Metaphysik
Die Vorstellung eines hypothetisch-deduktiven Vorgehens in der Philosophie bildet also ein unübersehbares und auch über die Schriften aus den 1680-er Jahren hinausreichendes Element in Leibniz' Denken. Dennoch kommt diese Vorstellung in den Schriften nach Quelques remarques sur le livre de Morts. Lock intitulé Essay of Understanding in expliziter Gestalt an keiner Stelle mehr vor. Dies gilt vor allem auch für die Nouveaux Essais, die Leibniz' ausführlichste Überlegungen zu den methodischen Grundlagen der Metaphysik enthalten. Dort wird das euklidische Modell zwar erwähnt, ohne daß dabei aber ein Bezug zur Methode der Philosophie hergestellt würde.142 In einem etwas später entstandenen Text entwickelt Leibniz sogar einen prinzipiellen Einwand gegen die Anwendung der axiomatisch-deduktiven Methode in der Metaphysik: In der Metaphysik, im Gegensatz zur Mathematik, kann die für eine logische Deduktion von Sätzen aus bestimmten Axiomen und Definitionen erforderliche formale Klarheit nicht erreicht werden, denn die Begriffe der Metaphysik sind immer mehrdeutig, und die logische Form der metaphysischen Argumente ist niemals vollkommen deutlich.143 Anstelle eines hypothetisch-deduktiven Modells der Begründung der Metaphysik tritt in den Nouveaux Essais die Auffassung der metaphysischen Ideen und Wahrheiten als angeborener Ideen und Wahrheiten in den Vordergrund. Bereits in den Quelques remarques sur le livre de Morts. Lock intitulé Essay of Understanding findet sich die Konzeption eine „unmittelbaren Intuition", mit deren Hilfe metaphysische Begriffe wie der Begriff der Existenz erkannt wird. Im Echantillon des Reflexions sur le I. Livre de l'Essay de l'Entendement (1698) kommt eine mit der Theorie der angeborenen Ideen verbundene und vom euklidischen Modell grundlegend abweichende Auffassung von der Rolle der Deduktion in der Metaphysik zum Ausdruck. Dort spricht Leibniz von der Ableitung derivativer angeborener Ideen und Wahrheiten aus den primitiven angeborenen Ideen und Wahrheiten, die ihrerseits nicht gebildet werden müssen, sondern immer schon im Verstand virtuell vorhanden sind.144 Vor allem aber entwickelt Leibniz mit der Theorie der angeborenen Ideen und Wahrheiten eine Auffassung von den metaphysischen Ideen und Wahrheiten, die sich von der Auffassung metaphysischer Sätze und Definitionen als bloßer Hypothesen grundlegend unterscheidet. Metaphysische Begriffe und Wahrheiten treten in der Theorie der angeborenen Ideen und Wahrheiten nicht mehr als
142 143 144
NE IV 12 §§ 4-6 (A VI, 6 , 4 4 9 - 4 5 3 ) . GP VI, 349 [1711]. A VI, 6, 12.
Die Theorie der einfachen Substanzen als Hypothese
41
hyothetische Axiome auf, sondern als implizite Voraussetzungen des Denkens, die auf dem Weg der Analyse erkannt werden können.145
3.2. Alternativen zum hypothetisch-deduktiven Modell Auch Mates vertritt die These vom hypothetischen Charakter von Leibniz' Metaphysik. Allerdings hat nach der Auffassung von Mates die Philosophie von Leibniz keinen Anfang im Sinn einer Menge von Axiomen. Nach Mates betrachtet Leibniz seine Philosophie stattdessen als ein Netz von Aussagen mit vielfältigen logischen Beziehungen untereinander, die es erlauben, einzelne Aussagen in unterschiedlicher Ordnung aus jeweils anderen Aussagen abzuleiten.146 In ähnlicher Weise versteht Mondadori Leibniz' System als ein Netz miteinander verknüpfter Aussagen, in dem sich die Metaphysik ebenso gut aus der Logik ableiten läßt, wie die Logik aus der Metaphysik.147 Diese Auffassung einer in sich geschlossenen logischen Struktur von Leibniz' System bezeichnet Mondadori als „Leibnizian Circle". Um den Teil des Kreises nachzuvollziehen, der von der Metaphysik zur Logik führt, versucht Mondadori, die Theorie der vollständigen Begriffe unmittelbar aus der Theorie der einfachen Substanzen abzuleiten. Ausgangspunkt seiner Rekonstruktion ist Leibniz' Begriff der Kompossibilität. Mondadori argumentiert, daß die Begriffe von Substanzen, die gemeinsam in einer Welt vorkommen und in diesem ontologischen Sinn kompossibel sind, in einem logischen Sinn kompossibel sein müssen. Daraus leitet er ab, daß diese Begriffe auch vollständig sein müssen.148 Dieser Schluß von der logischen Kompossibilität zur Vollständigkeit der Begriffe von Substanzen beruht auf einer von Mondadori vorgeschlagenen Analyse des Begriffs der Kompossibilität. Dieser Analyse zufolge sind zwei Begriffe χ und y genau dann kompossibel, wenn (1) jeder in χ enthaltene Prädikatbegriff aus y deduziert werden kann, und umgekehrt, und (2) kein in χ nicht enthaltener Prädikatbegriff aus y deduziert werden kann, und umgekehrt.149
145 146 147 141 149
Vgl. unten Kapitel II, Abschnitt 2. Mates, The Philosophy of Leibniz, S.4-5. Mondadori, „The Leibnizian 'Circle'", S.94. Ebd., S.89-90. Ebd., S.73.
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Logik und Metaphysik
Eine solche Analyse des Begriffs der Kompossibilität findet sich jedoch an keiner Stelle bei Leibniz. Sicher sind Begriffe, die das von Mondadori formulierte Kriterium erfüllen, kompossibel. Ein solches Kriterium scheint jedoch keine notwendige Bedingung für Kompossibilität zu bilden. Daß nicht alle possibilia auch compossibilia sind, wird von Leibniz nur damit erläutert, daß manche von ihnen miteinander inkompatibel sind („alia aliis incompatibilia sunt").150 Das läßt sich so verstehen, daß zwischen manchen possibilia ein Widerspruch auftritt. Damit zwei Begriffe χ und y kompossibel sind, genügt es folglich, daß zwischen ihnen kein Widerspruch besteht. In diesem Fall impliziert Kompossibilität von Begriffen nicht deren Vollständigkeit. Mates stützt sich für seine Rekonstruktion des metaphysischen Systems darauf, daß die Prinzipien, die in diesem System eine Rolle spielen, wie Leibniz ausdrücklich sagt, kaum voneinander getrennt werden können: „wer eines von ihnen kennt, kennt alle" („qui unum novit, omnia novit").151 Aus dieser Perspektive macht es, wie Mates hervorhebt, keinen Sinn zu fragen, ob die Metaphysik aus der Logik oder die Logik aus der Metaphysik abgeleitet ist. Dennoch hebt Mates die Bedeutung theologischer Argumente in diesem Netz miteinander verknüpfter philosophischer Aussagen hervor.152 Solche Schritte finden sich nach Mates bei der Begründung der analytischen Urteilstheorie, der These von der Existenz einer Vielzahl von Monaden, der These von der Existenz der bestmöglichen Welt, der Ablehnung der absoluten Auffassung von Raum und Zeit, und schließlich für das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren. Von besonderer Bedeutung ist hier Mates' Hinweis, daß Leibniz die Theorie der vollständigen Begriffe über die Forderung nach der Bestimmtheit der Ideen individueller Substanzen im Verstand Gottes begründet: Damit ein Begriff hinreicht, vom göttlichen Erkenntnisstandpunkt aus ein Individuum von allen Individuen in der selben Welt und von allen Individuen in allen anderen möglichen Welten zu unterscheiden, muß dieser Begriff alle Merkmale dieses Individuums enthalten.153 Tatsächlich argumentiert Leibniz in Antwort auf Arnaulds Ablehnung der Theorie der vollständigen Begriffe in dieser Weise.154 Dies ist ein wichtiger (wenn auch allein noch nicht hinreichender) Anhaltspunkt dafür, wie Mondadoris Leibnizian Circle zu schließen sein könnte.155 150 151 152 153 154
155
GP VII, 289. Leibniz an des Bosses, 7. November 1710 (GP II, 412). Mates, The Philosophy ofLeibniz, S.243-244. Mates, The Philosophy ofLeibniz, S. 104. Leibniz an Ernst von Hessen-Rheinfels [1686] (GP II, 19); Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 40). Vgl. unten Kapitel IV, Abschnitt 1.4. Auf dieses Argument weist auch Brody, „Leibniz's
Die Theorie der einfachen Substanzen als Hypothese
43
Zwei programmatische Äußerungen von Leibniz sprechen schließlich dafür, daß auch in den Deutungen von Mates und Mondadori wesentliche methodologische Aspekte seiner Metaphysik nicht erfaßt sind. Zum einen spricht Leibniz in der Zeit der Nouveaux Essais davon, daß wir gar keine Kenntnis des Substanzbegriffs besäßen, wenn wir nicht die innere Erfahrung unserer selbst hätten: Daß wir keine Substanzen sind, widerspricht der Erfahrung, denn tatsächlich hätten wir keine Kenntnis der Substanz, wenn nicht durch die unmittelbare Erfahrung unserer selbst, wenn wir das Ich wahrnehmen, und nach diesem Beispiel Gott und die anderen Monaden Substanzen nennen. Nos non esse substantias experientiae contrarium est, cum revera nullam substantiae notitiam habeamus, nisi ex intima nostri ipsius experientia, cum percipimus to Ego, eoque exemplo ipsi Deo et aliis Monadibus substantiae appellationem tribuamus.'36 Dies stellt die Erkenntnis des Substanzbegriffs in einen Zusammenhang mit der Theorie der angeborenen Ideen und gibt gleichzeitig ein Hinweis darauf, wie Leibniz seine Vorstellung von den angeborenen Ideen in methodologischer Hinsicht konkretisiert. An anderer Stelle, ebenfalls in der Zeit der Nouveaux Essais, spricht Leibniz davon, daß die Analyse der Materie die Existenz einfacher Substanzen beweist: die Analyse der Materie, die sich tatsächlich im Raum befindet, führt uns auf beweisendem Weg zu substantiellen Einheiten, zu einfachen, unteilbaren, unvergänglichen Substanzen und folglich zu Seelen oder Lebensprinzipien, die (...) überall in der Natur verteilt sind.
Metaphysical Logic", S.51, hin. Brody versucht, bei Leibniz weitere metaphysische Argumente ftlr logische Annahmen zu finden. An drei Stellen, die Brody anführt, argumentiert Leibniz jedoch gerade in der umgekehrten Richtung: Eine Substanz besitzt Identität durch die Zeit hindurch, weil ihr vollständiger Begriff die Prädikatbegriffe für alle ihre aufeinanderfolgenden Zustände enthält (Remarques sur la lettre de M. Amauld, GP II, 43). Eine Substanz ist unteilbar, weil sie einen vollständigen Begriff besitzt (Leibniz an Amauld, 28. November/ 8. Dezember 1686, GP II, 76). Durch den einzigen Entschluß Gottes, Adam zu schaffen, sind alle Ereignisse in der Welt determiniert, weil ein Individuum einen vollständigen Begriff besitzt und dieser vollständige Begriff alle Dinge in der Welt umfaßt (Remarques sur la lettre de M. Amauld, GP II, 37). Ähnlich wie Mates und Brody vertreten Frankel und Hübener die Auffassung, daß es ohne theologische Behauptungen über die Allwissenheit Gottes für Leibniz keinen Grund gäbe, die analytische Urteilstheorie zu akzeptieren (Frankel, „From a Metaphysical Point of View: Leibniz and the Principle of Sufficient Reason", S.322; 325; Hübener, ,,'Notio Completa'. Die theologischen Voraussetzungen von Leibniz' Postulat der Unbeweisbarkeit der Existentialsätze und die Idee des logischen Formalismus", 112-114). 156
Grua 558 [nach 1704],
44
Logik und Metaphysik l'analyse de la Matière qui se trouve actuellement dans l'Espace, nous mene demonstrativement aux Unités de substance, aux substances simples, indivisibles, impérissables et par consequent aux Ames ou aux principes de vie, qui (...) sont répandues par toute la nature.157
In die gleiche Richtung geht auch die schon erwähnte Begründung der Theorie der einfachen Substanzen über den Aggregatcharakter materieller Gegenstände im letzten Schreiben an Arnauld.158 Leibniz' eigenes Verständnis von der Begründung der Theorie der einfachen Substanzen scheint folglich über die Auffassung der Metaphysik als einer bloßen Hypothese hinauszureichen. Damit rücken aber die deskriptiven Elemente von Leibniz' Metaphysik in den Blick, die neben den in diesem Kapitel betrachteten revisionären Elementen eine Rolle spielen, und die neben dem synthetischen Vorgehen in der Metaphysik Ansätze zu einem analytischen Vorgehen bilden: metaphysische Überlegungen, die sich aus der Analyse alltäglicher Beschreibung unseres geistigen Lebens ergeben, und solche, die aus der Analyse der Beschreibung der materiellen Welt folgen. Die Analyse der inneren Erfahrung führt in den Augen von Leibniz auf die metaphysischen Kategorien, die Analyse der materiellen Welt auf die Existenz einfacher Substanzen.
157
Leibniz an Kurflirstin Sophie, 31. Oktober 1705 (GP VII, 565). » Leibniz an Arnauld, 23. März 1690 (GP II, 135-136).
15
Kapitel II: Die Theorie der metaphysischen Begriffe Hat Leibniz' Überzeugung, die Aussagen der Metaphysik ließen sich auch auf anderem Weg als über die Logik methodisch fundieren, zu greifbaren Ergebnissen geführt? Hat Leibniz das Verfahren der Synthesis - der Ableitung metaphysischer Aussagen aus Axiomen und Definitionen - tatsächlich durch ein Verfahren der Analysis - der Beschreibung der ontologischen Voraussetzungen der alltäglichen Erfahrung - ergänzt? Finden sich neben den revisionären Elementen seiner Methodologie auch deskriptive Elemente, die über den Zustand eines bloßen Planes hinausgelangt sind? Der Auffassung vom rein hypothetischen Charakter von Leibniz' Metaphysik entsprechend kommt Mates zu einer negativen Einschätzung des methodischen Fundaments von Leibniz' Metaphysik: At any rate, it is clear enough that for Leibniz the only substances are the monads, even though it is quite unclear how he reached this conclusion.' Eine etwas positivere Einschätzung der methodologischen Vorstellungen von Leibniz findet sich bei Loemker. Zwar ist auch Loemker der Auffassung, daß Leibniz etwa seit 1695 das System der Metaphysik als eine Hypothese betrachtet hat, die zwar in dem Sinn mehr als eine bloße Hypothese ist, als sie in sich und mit den Phänomenen konsistent und nützlich zur apriorischen Lösung von Problemen in einzelnen Bereichen der Wissenschaft ist, die aber eben doch nicht im vollen Sinn bewiesen werden kann.2 Dennoch geht Loemker zumindest in Umrissen auch auf die Idee der Analyse als dem grundlegenden Vorgang fur die Begründung der Metaphysik ein. Loemker spricht von den inneren Erfahrungen, in der die Struktur von Perzeption und Appetition und die Ordnungsbegriffe gegeben sind, die von ihnen impliziert werden.3 Die inneren Erfahrungen stützen Urteile über unsere eigene Natur und, auf dem Weg der Analysis, Urteile über die ontologischen Kategorien, die unsere eigene Natur impliziert4. Dies bildet für
' 2 3 4
Mates, The Philosophy of Leibniz, S.194-195. Loemker, „Leibniz's conception of philosophical method", S.138-139. Ebd., S. 144. Ebd., S. 156.
46
Die Theorie der metaphysischen Begriffe
Loemker den Kern der analytischen Reduktion von Überzeugungen auf erste Prinzipien und Begriffe. 5 In diesem Kapitel stellen sich drei Aufgaben. Erstens soll Loemkers Rekonstruktion der Analyse, die von Aussagen über unsere Natur zu den metaphysischen Begriffen und Wahrheiten führt, gegen verschiedene in der Literatur erhobene Einwände zu verteidigen. Zum zweiten soll Leibniz' eigene Vorstellung von der Methode der Analyse von Aussagen über unsere Natur inhaltlich näher geklärt werden. Zum dritten ist der Frage nachzugehen, welchen Gebrauch Leibniz von der Methode der inneren Erfahrung im Hinblick auf die für den Aufbau der Theorie der einfachen Substanzen zentralen Begriffe im Einzelnen macht.
1. Das Problem der Aktualisierung Ideen und
der
angeborenen
Wahrheiten
Leibniz rechnet metaphysische Begriffe wie Substanz, Einheit, Tätigkeit, Sein zu den angeborenen Ideen: Kann man bestreiten, daß es viel unserem Geist Angeborenes gibt, da wir ja sozusagen uns selbst angeboren sind? und daß sich in uns findet: Sein, Einheit, Substanz, Dauer, Veränderung, Handlung, Perzeption, Lust und tausend andere Gegenstände unserer intellektuellen Ideen? peut on nier qu'il y a beaucoup d'inné en nostre esprit, puisque nous sommes innés, pour ainsi dire, à nous mêmes? et qu'il y a en nous mêmes: Estre, Unité, Substance, Durée, Changement, Action, Perception, Plaisir, et mille autres objets des nos idées intellectuelles?6
Ebd., S. 149. Bereits Maine de Biran hat auf die Bedeutung der inneren Erfahrung für die Begründung der Metaphysik von Leibniz hingewiesen („Exposition de la doctrine philosophique de Leibnitz", S.455). Allgemein charakterisiert er die Methode der Metaphysik als „analyse réflexive" (ebd., S.458). „Sa méthode abstracto-réflexive fait, pour ainsi dire, le départ des elements divers de ce composé si vaguement appelé la sensation" (ebd., S.466). Diese Analyse führt nach Maine de Biran zu den Kategorien des Verstandes („catégories de l'entendement"), die keine bloßen Formen der Anschauung sind, sondern die Realität der Dinge erfassen, „à cause de l'immediation même entre la notion et son objet" (ebd., S.473-474). Auch Mittelstraß hebt die Bedeutung der Analyse der Strukturen des Denkens für die Erkenntnis metaphysischer, logischer und ethischer Begriffe hervor (Mittelstraß, „Der Philosoph und die Königin", S.15-17). NE I 1 § 23 (A VI, 6, 85); vgl. Sur ce qui passe les sens et la matière [1702] (GP VI, 489); Leibniz an Sophie Charlotte [1702] (GP VI, 503); Leibniz an KurfUrstin Sophie [1700] {Die Werke von Leibniz, ed. O.Klopp, VIII, 173-178).
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Die metaphysischen Wahrheiten können deshalb nach Leibniz nicht allein durch Erfahrungen oder die äußeren Sinne beweisen werden, sondern entspringen dem „angeborenen Licht" („lumiere innée") oder der „natürlichen Vernunft" („raison naturelle").7 Die Einordnung der metaphysischen Begriffe unter die angeborenen Begriffe gibt einen ersten Hinweis auf die Weise, in der die Begriffe und Wahrheiten der Metaphysik erkannt werden, denn der Begriff der angeborenen Idee gehört, worauf Schiißler hingewiesen hat8, aufgrund der Unterscheidung zwischen den durch Sinneswahrnehmung erworbenen und den im Verstand angelegten angeborenen Begriffen einer Ebene der Philosophie von Leibniz an, welche die Metaphysik nicht schon voraussetzt. Leibniz selbst unterscheidet diese Ebene seines Denkens als die Ebene des système commun von der Ebene der Theorie der einfachen Substanzen als der Ebene des système nouveauDer Weg zur Erkenntnis der angeborenen Begriffe fuhrt also nicht über die Theorie der einfachen Substanzen, sondern beginnt unabhängig von ihr. Damit stellt sich Frage, ob Leibniz die von der Substanztheorie unabhängige Aktualisierung der angeborenen Begriffe in methodischer Hinsicht konkretisiert hat.
1.1. Reflexion und Selbstevidenz Leibniz bringt die Erkenntnis der angeborenen Ideen zunächst in Zusammenhang mit dem Begriff der Reflexion. Dabei faßt er die angeborenen Ideen als etwas auf, was nicht erst durch Reflexion entsteht, sondern in impliziter Weise immer schon im Geist vorhanden ist. Reflexion wird von Leibniz deshalb als Aufmerksamkeit gegenüber den angeborenen Ideen verstanden, wobei der Geist von den Bedürfhissen des Körpers absehen muß, welche unter normalen Umständen die angeborenen Ideen verdecken.10 Aufmerksamkeit fuhrt nach Leibniz zur Aktualisierung der Verstandeserkenntnis, wenn die Sinneswahrnehmung als notwendigen Gelegenheitsursache hinzutritt". Doch worin besteht
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Leibniz an Sophie Charlotte, 7. Dezember 1703 {Die Werke von Leibniz, ed. O.Klopp, X, 220-221). Schiißler, Leibniz ' Auffassung des menschlichen Verstandes, S.74-82. NEI 1 § 1 (AVI,6, 74-75). NE 11 § 25 (A VI, 6, 86); NE 12 § 20 (A VI, 6, 98). Schüßler, Leibniz ' Auffassung des menschlichen Verstandes, 107-110; vgl. NE II 1 § 2 (A VI, 6, 109-111). Auch Johnson sagt zu den angeborenen Ideen und Wahrheiten nur, daß sie als natürliche Dispositionen oder Anlagen angeboren sind, und daß zu ihrer Erkenntnis die Sinneswahmehmung eine notwendige Bedingung darstellt (Johnson, „Leibniz's Method and the Basis of his Metaphysics", S.54).
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Die Theorie der metaphysischen Begriffe
die hier gemeinte Form der Aufmerksamkeit? Nach Schüßler handelt es sich dabei um ein mit Anstrengung verbundenes Forschen, um ein Ordnen bereits gefundener angeborener Erkenntnisse und die Ableitung neuer Erkenntnisse aus diesen.12 Obwohl Kulstad diesem Bild einen weiteren Schritt der Abstraktion hinzufügt13, findet sich auch in seiner Darstellung keine nähere Klärung des grundlegenden Schrittes der Aufmerksamkeit. Für Kulstad bedeutet Reflexion nicht mehr als ein Abwenden der Aufmerksamkeit von der Sinneserfahrung zu dem hin, was in uns ist. Dies versteht er immittelbar als ein Gewahrwerden der Eigenschaften des Ich („attending to the properties of self').14 Ähnlich versteht M.D.Wilson die Erkenntnis der angeborenen Ideen. Sie schreibt Leibniz die Auffassung zu, „we can self-evidently experience ourselves as simple or immaterial entities".15 Auch Rutherford versteht Aufmerksamkeit in Leibniz' Sinn als „mind's reflective awareness of its own nature and properties".16 Eine solche Interpretation der Erkenntnis der angeborenen Ideen scheint sich auch bei Leibniz zu finden, wenn er sagt, wir würden uns der Substanz und des Geistes unmittelbar bewußt („nous appercevons immédiatement"), indem wir unserer selbst bewußt werden.17 Auch bei der Erkenntnis unserer Existenz spricht Leibniz von einer „unmittelbaren Intuition" („intuition immediate").18 Ähnlich sagt er, daß die angeborenen Wahrheiten der Metaphysik von der „Betrachtung der Natur unserer Seele" („consideration der la nature de nostre ame") abhängen, die ein Seiendes und eine Substanz ist, die Einheit, Identität, Aktivität, Passivität und Dauer besitzt.19 Würde die Aufmerksamkeit auf selbstevidente Weise die Eigenschaften des Geistes offenlegen, dann bliebe der Begriff der Aufmerksamkeit in methodologischer Hinsicht unbestimmt. Dies entspräche nicht nur den Darstellungen von Schüßler und Kulstad, Wilson und Rutherford, sondern
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Schüßler, Leibniz' Auffassung des menschlichen Verstandes, S.110-112. Ähnlich bereits Naert, Mémoire et conscience de soi selon Leibniz, S.79-81; Tonelli, „Leibniz on Innate Ideas and the Early Reactions to the Publication of the Nouveaux Essais (1765)", S.441-443. Vgl. NE I 1 § 20 (A VI, 6, 83-84); NE I 1 § 23 (A VI, 6, 85); NE I 3 § 3 (A VI, 6, 101-102); NE II 1 § 2 (A VI, 6, 109-110); NE II 1 §§ 9-10 (A VI, 6,111-112). Kulstad, „Leibniz's Theory of Innateness in the New Essays", S.410-415; Kulstad, Leibniz on Apperception, Consciousness, and Reflection, S. 139-140. Kulstad, Leibniz on Apperception, Consciousness, and Reflection, S. 140. M.D.Wilson, „Leibniz and Materialism", S.508. Rutherford, Leibniz and the Rational Order of Nature, S.82-83. Remarques sur le Livre de l'origine du mal (GP VI, 403). Quelques Remarques sur le Livre de Möns. Lock, intitulé Essay of Understanding (A VI, 6, 8): „II est très vray que nous connoissons nôtre existence par une intuition immediate". Leibniz an Burnett, 26. Mai 1706 (GP III, 307): „les vérités innées de la métaphysique dependent de la consideration de la nature de nostre ame, laquelle est un estre, une substance, ayant de l'unité, de l'identité, de l'action, de la passion, de la durée etc".
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auch der Interpretation von Martin. Ausdrücklich vertritt Martin die Ansicht, daß Leibniz den Begriff der angeborenen Ideen und Wahrheiten weder methodisch geklärt, noch im Einzelnen konkrete Begründungen fur angeborene Ideen und Wahrheiten entworfen hat.20 Dies würde wiederum die Auffassung von Heimsoeth und Serres bestätigen, daß Leibniz zwar vom Standpunkt der Monadenlehre aus eine Theorie des menschlichen Verstandes, nicht aber unabhängig von diesem Standpunkt eine Erkenntnistheorie im eigentlichen Sinn entwickelt hat.21
1.2. Reflexion und innere Erfahrung Solche Darstelltingen der Sachlage erklären sich zum Teil dadurch, daß die bisher betrachteten Interpretationen die Möglichkeit nicht ausschöpfen, den Begriff der Reflexion mit Hilfe des Begriffs der inneren Erfahrung zu konkretisieren. Ein solches Vorgehen legt jedoch Leibniz selbst nahe, denn er schlägt für die Philosophie in Abgrenzung gegenüber der in seinen Augen unzureichenden cartesianischen Methode der klaren und deutlichen Erkenntnis ausdrücklich den Beginn mit den inneren Erfahrungen vor.22 Auch die schon erwähnte programmatische Äußerung setzt die Substanztheorie ausdrücklich in Bezug zur Theorie der inneren Erfahrung: Nach Leibniz hätten wie ohne die innere Erfahrung unserer selbst gar keine Kenntnis des Substanzbegriffs und deshalb auch keine Möglichkeit, Gott oder andere Monaden als Substanzen zu bezeichnen.23 Dies steht in einem deutlichen Gegensatz zur Darstellung Cassirers, der zufolge Leibniz selbst die innere Erfahrung als Grundlage für die Metaphysik für unzureichend erachtet hat.24 Cassirer stützt sich hierfür auf verschiedene Belegen. In der Korrespondenz mit Arnauld sagt Leibniz, daß uns zwar die innere Erfahrung von der Identität unserer Person überzeugt, daß es aber auch apriorische Gründe für die persönliche Identität geben müsse; diese apriorischen Gründe sucht Leibniz dort in dem Umstand, daß alle Prädikate, die einer Person 20 21
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Martin, Leibniz, S. 10. Heimsoeth, Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz, S.296; Serres, Le système de Leibniz et ses modèles mathématiques, S.65: „il n'y a pas d'épistémologie leibnizienne". GP IV, 327 [ca. 1691]: „Prima Experimenta nostra constat esse ipsas internas perceptiones nempe non tantum me esse qui cogitem, sed et varietatem esse in meis cogitationibus (quae duo a se invicem independentia et aeque originaria judico) ab ipsis Scepticis est inculcatimi, qui apparentias a se admitti fatebantur." Grua 558 [nach 1704], Vgl. oben Kapitel I, Abschnitt 3.3. Cassirer, Leibniz ' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, S.396.
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Die Theorie der metaphysischen Begriffe
zukommen, in ihrem vollständigen Begriff enthalten sind.25 In einem späteren Brief an Arnauld spricht Leibniz davon, daß wir zwar unser Denken durch ein sentiment intérieur kennen, nicht jedoch die Aktivitäten aller anderen einfachen Substanzen, da diese Aktivitäten nicht Gegenstand unserer Erfahrung sein können.26 Auch erwähnt Cassirer eine zustimmende Äußerung von Leibniz zu Malebranches Auffassung, daß wir keine klare Idee von unserer Seele haben.27 Diese Beobachtungen zeigen, daß Leibniz in der Zeit des Discours de Métaphysique der inneren Erfahrung eine gegenüber logischen Begründungsstrategien untergeordnete Stellung zuweist, und daß er bereits in dieser Zeit die Grenzen dieser Methode sieht: weder ist mit ihrer Hilfe eine vollständige Beschreibung der Natur unserer Seele, noch mit ihr allein die Erfassung der Wirklichkeit außerhalb des eigenen Verstandes möglich. Dies schließt allerdings nicht aus, daß die Methode der inneren Erfahrung innerhalb dieser Beschränkungen nach der Zeit des Discours de Métaphysique eine zentrale Bedeutung gewinnt. Tatsächlich sagt Leibniz in den Nouveaux Essais an einer Stelle, die in einem bemerkenswerten Kontrast zu der erwähnten Stelle aus der Korrespondenz mit Arnauld steht, das Bewußtsein oder Empfinden des Ich („la consciosité ou le sentiment du moy") beweise die moralische oder persönliche Identität.28 Die einzige Beobachtung aus der Zeit nach dem Discours de Métaphysique, die Cassirer anfuhrt, ist der Umstand, daß Leibniz den Satz „Cogito ergo sum", der nach Leibniz auf einer unmittelbaren Erfahrung („expérience immediate") beruht, als eine kontingente Wahrheit betrachtet.29 Daraus schließt Cassirer, daß dieser Satz in den Augen von Leibniz nicht als Fundament der objektiven metaphysischen Erkenntnis gelten kann. Dies entspricht jedoch nicht der Darstellung von Leibniz, der diesen Satz trotz seiner Kontingenz als eine „unmittelbare Wahrheit" („vérité immediate") und „ursprüngliche Wahrheit" („vérité primitive") bezeichnet.30 Damit gehört er zu den Sätzen, die Leibniz „absolute erste Wahrheiten" („veritates absolutae primae") nennt, von denen ihm zufolge alle menschliche Erkenntnis ausgeht31, und 25 26 27
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Leibniz an Arnauld, 4. Juli 1686 (GP II, 52). Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 121 ). Bodemann, Die Leibniz-Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover, S.106-107. NE II 27 §9 (AVI, 6,237). NE IV 7 § 7 (A VI, 6, 411). Kontingent ist dabei in den Augen von Leibniz nicht der Zusammenhang der Begriffe des Denkens und der Existenz, sondern der Zusammenhang der Begriffe des Ich und der Existenz; der Satz „Cogito ergo sum" ist nach Leibniz kontingent, weil nur Gott sieht, warum ich existiere. Ebd. NE IV 2 § 1 (A VI, 6,361-362); Veritates absolutae primae (A VI, 4, 1442).
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die nicht ihrerseits durch etwas begründet werden können, was noch gewisser wäre als sie selbst32. Ausdrücklich sagt Leibniz, daß die inneren Erfahrungen das Fundament für alle Tatsachenwahrheiten bilden.33 Obwohl also die innere Erfahrung auf kontingente Aussagen führt, scheint Leibniz sie als ein Fundament objektiver Erkenntnis zu betrachten. Die Kontingenz von Aussagen, die durch innere Erfahrungen begründet sind, schließt folglich nicht aus, daß solche Aussagen eine Grundlage fur die Metaphysik bilden. Daß die innere Erfahrung die Idee von der Aktualisierung der angeborenen Ideen konkretisieren kann, setzt allerdings weiter voraus, daß der Begriff der inneren Erfahrung nicht von den spezifischen Aussagen der Substanzmetaphysik abhängt. Entgegen Schüßler, der diesen Begriff allein der Ebene des système nouveau zuweist34, scheint der Begriff bei Leibniz auch auf der Ebene des système commun aufzutreten. In den Nouveaux Essais werden die experiences internes immediates oder perceptions immédiates internes von den perceptions mediates et externes, d.h. von den Sinneswahrnehmungen, unterschieden35, eine Unterscheidung, die sich nur innerhalb des système commun treffen läßt36. Auch im Discours de Métaphysique sagt Leibniz, unabhängig davon, wie man dies auffaßt - gemeint ist wohl die zuvor entwickelte Unterscheidung zwischen dem Standpunkt des système nouveau und des système commun - falsch zu sagen, daß alle Begriffe aus den Sinnen kommen, denn die Begriffe der Substanz, der Aktivität, der Identität etc. kommen aus der inneren Erfahrung.37 Der klarste Beleg fur eine vom Standpunkt der Substanzmetaphysik unabhängige Verwendung des Begriffs der inneren Erfahrung findet sich in der um 1679-1681 entstanden Conversation du Marquis de Pianese et du Pere Emery Eremite: Es gibt nur zwei Arten von Aussagen, die unmöglich bewiesen werden können: die ersten sind diejenigen, deren Gegenteil einen Widerspruch impliziert (...). Die anderen sind diejenigen, die in einer inneren Erfahrung bestehen, die nicht weiter durch Indizien oder Zeugnisse korrigiert werden kann, weil sie mir unmittelbar
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NE IV 2 § 1 (A VI, 6,367). GPIV, 327. Schüßler, Leibniz ' Auffassung des menschlichen Verstandes, S.176-179. NE II 27 § 13 (AVI, 6,238). Vgl. NE I 1 § 1 (A VI, 6, 74): „Maintenant je vay encore plus loin en conformité du nouveau système; et je crois meme que toutes les pensées et actions de notre ame viennent de son propre fonds, sans lui pouvoir être donnés par les sens (...). Mais à present je metrai cette recherche à part, et m'accomodant aux expressions receues, puis qu'en effet elles sont bonnes et soutenables, et qu'on peut dire dans un certain sens, que les sens externes sont causes en partie de nos pensées; j'examinerai comment on doit dire à mon avis, encore dans la systeme commun (...), qu'il y a des idées et des principes qui ne nous viennent point des sens (...)". DM §27 (A VI, 4, 1572).
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Die Theorie der metaphysischen Begriffe gegenwärtig ist und es nichts zwischen ihr und mir gibt, wie dies die Aussagen sind: Ich bin, ich nehme -wahr, ich denke, ich will dies oder jenes. Il n'a que deux sortes de propositions qu'il est impossible de prouver: les premières sont celles dont le contraire implique contradicition (...)· Les autres sont celles, qui consistent dans une experience intérieure, qui ne peut plus rectifiée par des indices ou témoins, puisque'elle m'est immédiatement presente et qu'il n'y a rien entre elle et moy, comme sont ces propositions: Je suis, je sens, je pense, je veux telle ou telle chose
Der Begriff der inneren Erfahrung hängt folglich nicht von den Aussagen der Substanztheorie ab, und kann deshalb auch fur die Begründung metaphysischer Aussagen von Bedeutung sein.
2. Innere Erfahrung Der Versuch, den Begriff der Reflexion mit Hilfe des Begriffs der inneren Erfahrung zu erläutern, fuhrt jedoch nur dann weiter, wenn sich der Begriff der inneren Erfahrung in methodologischer Hinsicht konkretisieren läßt. Tatsächlich hat Leibniz verschiedene Hinweise gegeben, die die Methode der inneren Erfahrung (1) gegen andere methodologische Vorstellungen abgrenzen, (2) sie über die Idee der Analyse der unmittelbar gegebenen Strukturen des Denkens inhaltlich greifbar machen, und (3) verständlich machen, weshalb Leibniz die durch innere Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse für gewiß hält.
2.1. Innere Erfahrung, Induktion, Abstraktion Zunächst ergeben sich einige Abgrenzungen gegenüber anderen methodologischen Konzeptionen. Ein induktives Verfahren kann die Methode der inneren Erfahrung nicht sein, denn Induktion vermittelt nach Leibniz keine Gewißheit39, während er die metaphysischen Sätze für gewiß hält40. Leibniz unterscheidet allgemein den Bereich des Angeborenen von den induktiv gewonnenen Kenntnissen.41 Deshalb betrachtet er auch den Erfolg der Vemunfiprinzipien in der 38
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A VI, 4,2261. Sur ce qui passe les sens et la matiere (GP VI, 490). NE 11 §§ 2-4 (A VI, 6, 75); NE 12 § 13 (A VI, 6,96-97); NE IV 12 §§ 4-6 (A VI, 6,449-450); Th. § 300 (GP VI, 295). Leibniz an Burnett, 3. Dezember 1703 (GP III, 291); NE préf. (A VI, 6, 49); ebenso für angeborene Axiome oder Maximen wie z.B. „Das Ganze ist größer als seine Teile": NE IV 12 §§ 1-2 (AVI, 6,448-449).
Innere Erfahrung
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Erfahrung nur als eine zusätzliche Bestätigung, nicht aber als einen Beweis dieser Prinzipien.42 Methodischer Ausgangspunkt der Metaphysik können auch nicht die inneren Erfahrungen im psychologischen Sinn sein (z.B. das Erleben von Freude oder Trauer), welche nach Leibniz bei der Erkenntnis der praktischen Prinzipien (z.B. „Man soll die Freude suchen und die Trauer meiden") eine Rolle spielen43; denn obwohl Leibniz auch in diesem Fall von der Perzeption einer angeborenen Wahrheit durch eine natürliche Empfindung (sentiment naturel) spricht44, handelt es sich dabei nach Leibniz um eine Erkenntnis durch instinct oder instinct naturel, nicht durch Reflexion45. Leibniz unterscheidet die Erkenntnis metaphysischer Ideen auch von der Erkenntnis der Ideen der Arithmetik und der Geometrie. Die Elemente des Erkenntnisvorgangs, der zu den mathematischen Ideen führt, sind (1) die äußeren Sinne, mit deren Hilfe physische Gegenstände wahrgenommen werden; (2) ein innerer Sinn (sens interne), verstanden als ein sens commun, mit dessen Hilfe diejenigen Eigenschaften wahrgenommen werden, die gleichzeitig von mehreren Sinnen wahrgenommen werden können (Anzahl und äußere Gestalt); (3) die Vorstellungskraft (imagination), welche die Ideen der äußeren Sinne und die Ideen des sens commun umfaßt; und schließlich (4) eine nicht näher erläuterte Tätigkeit der Vernunft, durch welche die Ideen des sens commun zur vollen Klarheit und Deutlichkeit gelangen.46 Leibniz betont, daß dieser Erkenntnisweg nicht der Weg der Induktion ist.47 Am ehesten läßt sich der Erkenntnisvorgang, um den es hier geht, als ein Vorgang der Abstraktion beschreiben, der mit bestimmten sinnlich wahrnehmbaren Gegebenheiten beginnt. Aufgrund der Rolle, welche die Sinne und die Imagination dabei spielen, sind die Begriffe der Mathematik zugleich sinnlich {sensible), der Vorstellungskraft zugänglich (iimaginable) und intelligibel (intelligible).** Dies unterscheidet sie von den Begriffen der Metaphysik, der Logik und der Ethik, die weder sinnlich, noch der Vorstellungskraft zugänglich, sondern allein intelligibel sind.49 Daraus ergibt sich, daß die Methode der inneren Erfahrung nicht in der gleichen Weise ein
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NEI 1 § 5 (A VI, 6, 75-76). NE 12 § 1 (A VI, 6, 88-89). 44 NE 12 § 9 (A VI, 6,92-94). 45 NE I I § 21 (AVI, 6, 84); NE 12 § 1 (AVI, 6, 88-89); NE 12 § 4 (AVI, 6,91-92). 44 Leibniz an Sophie Charlotte [1702] (GP VI, 500-501). 47 Ebd. (GP VI, 501). 4 « Ebd. (GP VI, 502). 49 Ebd. Dies spricht gegen den Vorschlag von Mittelstraß, die Erkenntnis der metaphysischen, logischen und ethischen Begriffe mit Hilfe des Begrifft der Einbildungskraft zu analysieren (Vgl. Mittelstraß, „Der Philosoph und die Königin", S.16). 45
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Die Theorie der metaphysischen Begriffe
Vorgang der Abstraktion aus sinnlichen Gegebenheiten wie die Methode der Erkenntnis mathematischer Begriffe sein kann.
2.2. Innere Erfahrung und die Struktur des Denkens Was Leibniz unter den inneren Erfahrungen versteht, von denen die metaphysischen Begründungen ausgehen, zeigen die folgenden Beobachtungen. Nach Leibniz kennen wir unser Denken durch eine innere Wahrnehmung (sentiment intérieur). Durch diese innere Wahrnehmung wird unser Denken zum Gegenstand einer Erfahrung.50 Aus einer einfachen Wahrnehmung (simplex percepito sive experientia) urteilt man über dasjenige, dessen man sich in sich gewahr wird: Zum Beispiel daß ich Verschiedenes denke, daß verschiedene Erscheinungen im Geist existieren, daß ich eine bestimmte Sinneswahrnehmung habe, daß ich träume, oder daß ich, der träumt, existiere.51 Dem entsprechend versteht Leibniz unter den ersten Erfahrungen (premieres experiences) die ersten Tatsachenwahrheiten, auf welche die „unmittelbare Apperzeption unserer Existenz und unserer Gedanken" („l'apperception immediate de nostre Existence et de nos pensees") fuhrt.52 Die Aussage „Ich existiere", die er nicht durch die Aussage „Ich denke" beweist, sondern die er mit der Aussage „Ich bin denkend" gleichsetzt, ist fur ihn eine solche erste Tatsachenwahrheit, die auf der unmittelbaren Erfahrung gegründet ist („fondée sur une experience immediate").53 Diesen Grundgedanken Descartes' führt Leibniz in zwei Richtungen fort. Zum einen gehört nach Leibniz auch die Erfahrung, daß sich in unseren Gedanken viele Unterschiede finden, zu den ersten Wahrheiten, die wir unmittelbar in uns wahrnehmen.54 Diese Wahrheit bildet ihrerseits eine Quelle fur die Erkenntnis des Begriffs der Veränderung.55 Zum anderen gewinnt Leibniz
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Leibniz an Araauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 121). De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (A VI, 4,1502). NE IV 9 §§ 2-3 (A VI, 6, 434). Leibniz unterscheidet zwei Arten der absoluten ersten Wahrheiten: identische Vernunftwahrheiten und (nur virtuell identische) erste Tatsachenwahrheiten: NE IV 2 § 1 (A VI, 6, 361-363); Veritates absolutae primae (A VI, 4, 1442). NEIV 7 §§2-4 (AVI, 6,408). De Synthesi et Analysi universali [ca. 1683-1686] (A VI, 4, 543): „In rebus ergo facti sive contingentibus quae non a ratione sed observatione sive experimento pendent, primae veritates (quoad nos) sunt, quaecunque immediate intra nos percipimus seu quorum nobis de nobis conscii sumus, haec enim per alia experimenta nobis propiora magisque intrinseca probari impossibile est. Percipio autem intra me, non tantum me ipsum qui cogito, sed et multas in cogitationibus differentias (...)". Vgl. Leibniz an de Voider, 10. November 1703 (GP II, 258).
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über die erste Tatsachenwahrheit des „Ich denke" auch den Begriff des Bewußtseins: Daß der Satz „Ich denke, also bin ich" zu den ersten Wahrheiten gehört, wurde sehr gut von Descartes erkannt. Aber er hätte nicht andere, gleich wichtige Sätze übersehen dürfen (...)• Ich bin mir nicht nur bewußt, daß ich denke, sondern ich bin mir auch meiner Gedanken bewußt, und es ist nicht wahrer oder gewisser, daß ich denke, als daß diese von mir gedacht werden. Ego cogito, adeoque sum inter primas veritates esse praeclare a Cartesio notatum est. Sed aequum est, ut alias non negligeret huic pares (...). Non tantum mei cogitantis, sed et meorum cogitatorum conscius sum, nec magis verum certumve est me cogitare quam illa vel illa a me cogitali.56 Dem entsprechend definiert Leibniz bereits vor der Zeit des Discours de Métaphysique: unmittelbare Erfahrungen nenne ich aber jene Aussagen, mit denen wir wahrnehmen, daß uns etwas erscheint. immediatas autem experientias voco illas propositiones, quibus percipimus nobis aliquid apparere.57 Ahnlich spricht Leibniz in der schon zitierten, um 1679-1681 entstandenen Conversation du Marquis de Pianese et du Pere Emery Eremite von nicht weiter beweisbaren Aussagen, die in einer inneren Erfahrung „bestehen" („qui consistent dans une experience intérieure"), wie die Aussagen „Ich bin", „Ich nehme wahr", „ich denke", „ich will dies oder jenes".5* Die inneren oder „unmittelbaren" Erfahrungen, die einen methodischen Ausgangspunkt für die Metaphysik bilden, sind also Gedanken oder Aussagen über unsere Gedanken und Wahrnehmungen. Daraus ergeben sich Konsequenzen für den Begriff der Reflexion. Nach Schüßler ist der Begriff der reflexion bei Leibniz so weit vom Begriff der reflection bei Locke entfernt59, daß die Reflexion, die im Sinne von Leibniz auf die Erkenntnis angeborener Ideen führt, sich weder auf die Tätigkeiten des Geistes bezieht, noch überhaupt eine Tätigkeit des diskursiven Denkens ist60. Allerdings entfernt sich diese Deutung des Reflexionsbegriffs vom Wortlaut von 56 57 5Í
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Animadversiones in partem general em Principiorum Cartesianorum (GPIV, 357). GP IV, 329. A VI, 4,2261. Vgl. Locke, Essay concerning human understanding, II, i, 4: „[reflection] is the perception of the operations of our own minds within us"; „By REFLECTION then, in the following part of this discourse, I would be understood to mean that notice which the mind takes of its own operations, and the manner of them". Schüßler, Leibniz 'Auffassung des menschlichen Verstandes, S.85-86.
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zwei Passagen, auf die sich Schüßler selbst stützt. In der einen von ihnen sagt Leibniz, daß sich die Reflexion oder der sens interne nicht allein auf die Tätigkeiten des Geistes beschränkt, sondern bis zum Geist selbst vordringt.61 In der andern Passage stimmt er der Position Lockes darin zu, daß die Perzeption der Ideen entweder aus der sinnlichen Wahrnehmung (sensation) oder aus der Reflexion, d.h. den Beobachtungen, die wir an den inneren Tätigkeiten unsere Seele machen, herkommt.62 An einer weiteren Stelle der Nouveaux Essais faßt Leibniz die Reflexion oder das Bewußtsein (conscience), das eine geistige Aktivität begleitet, als eine Form von Erinnerung, nämlich als die Erinnerung an zeitlich unmittelbar Vorhergegangenes auf.63 In einem zwischen 1683 und 1686 entstandenen Fragment unterscheidet Leibniz zwischen Selbstbewußtsein im allgemeinen Sinn und Reflexion im speziellen Sinn: Wenn ich aber sage, daß sich in uns ein Bewußtsein dessen findet, was sich in unserer Seele ereignet, meine ich damit nicht, daß wir immer reflexive Akte ausführen, und über unsere Gedanken und Überlegungen nachdenken, sondern daß wir uns unserer Gedanken immer so bewußt sind, daß, wenn uns jemand nach unseren vorhergehenden Gedanken fragt oder wir uns selber danach fragen, wir wissen, daß wir sie hatten. Cum autem conscientiam nobis inesse dico eorum quae in anima nostra geruntur, non hoc volo nos semper actus reflexos exercere, et cogitationes nostras atque considerationes considerare, sed nos semper nostrae cogitationis ita conscios esse, ut si quis nos admoneat aut ipsi nos admoneamus cogitationis nostrae praecedentis sciamus nos earn habuisse.64 Hier wird Reflexion eindeutig im Sinn eines Nachdenkens über das Denken selbst charakterisiert.65 Verbunden mit der Deutung der inneren Erfahrungen als
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Echantillon de Reflexions sur le IL livre (A VI, 6, 14): „II est très vray que nos perceptions des idées, viennent ou des sens exterieurs, ou du sens interne, qu'on peut appeller reflexion; mais cette reflexion ne se borne pas aux seules operations de l'esprit, comme est dit chap. I. §.4. elle va jusqu'à l'esprit luy meme, et c'est en appercevant de luy, que nous appercevons la substance". NE Π 1 § 2 (A VI, 6, 111): „Cela s'accorde assez avec vostre Auteur de l'Essay, qui cherche la source d'une bonne partie des idées dans la reflexion de l'esprit sur sa propre nature". NE II27 § 13 (A VI, 6, 238-239). Reflexio(AVI,4,1471). Vgl. Leibniz' kommentierter Auszug aus einem heute verschollenen logischen Manuskript von Jungius (Logica de Notionibus [1685], A VI, 4,1298): „[Notiones secundae fiunt] per reflexionem supra notiones et comparationem notionum. (...) Conceptus reflexus est quo mentis operatio concipitur, ut Conceptus vel Ermnciatio"·, Generates Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum (A VI, 4,776): „Dupliciter fit resolutio, vel conceptuum in mente, sine experimento (nisi reflexivo quod ita concipiamus) vel perceptionum seu experimentarum". Die Unterscheidung zwischen Erfahrung und Reflexion macht deutlich, daß der Begriff der Reflexion auch hier unabhängig vom Standpunkt des système nouveau verwendet wird.
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Aussagen über geistige Aktivitäten, lassen sich diese Äußerungen von Leibniz jetzt so verstehen, daß sich die Reflexion in dem Sinn auf die Tätigkeit des Geistes bezieht, daß das Ergebnis der Reflexion zunächst Aussagen sind, welche diese Tätigkeiten beschreiben. Doch auf welche Weise gelangt die Reflexion über die Tätigkeiten des Geistes hinaus und zur Natur des Geistes selbst? Wie sich bereits gezeigt hat, erfolgt die Begründung der Metaphysik nach Leibniz' Vorstellung im Idealfall auf dem Weg der Analyse66. Die Charakterisierung der inneren Erfahrungen als Aussagen über unsere Gedanken mach deutlich, daß es sich bei der Methode der Reflexion um eine Analyse von Aussagen - im Gegensatz zur Analyse von Begriffen67 - handeln muß. Diese Art der Analyse beginnt mit gegebenen Aussagen und führt zurück zu deren Präsuppositionen (principia).6* Die principia werden dabei aufgefaßt als die Definitionen, Axiome und Hypothesen, aus deren Gesamtheit die gegebenen Aussagen ihrerseits als Folgesätze folgen.6' Die Analyse von Aussagen kann entweder unmittelbar (per saltum) auf die principia führen, wie im Idealfall die Analyse in der Arithmetik, oder sie kann zunächst auf Aussagen führen, die eine Zwischenstellung zwischen den gegebenen Aussagen und ihren principia einnehmen. Leibniz spricht hier von der „reduktiven Analyse".70 Daß die Analyse der inneren Erfahrungen eher dieser zweiten, über Zwischenschritte führenden Art zuzuordnen ist, wird sich zeigen, wenn im folgenden einzelne argumentative Schritte betrachtet werden, die zu den Begriffen führen, die Leibniz für den Aufbau der Theorie der einfachen Substanzen benötigt. Auch in späterer Zeit vertritt Leibniz die Auffassung, daß die angeborenen Ideen und Wahrheiten nicht sofort offenliegen, sondern erst durch Nachdenken aus unserem Inneren ermittelt werden können.71 Die Reflexion, die zur Erkenntnis der angeborenen Begriffe und Aussagen der Metaphysik führt, ist folglich eine diskursive Tätigkeit des Verstandes, die in der Analyse von Aussagen über unsere Gedanken und Wahrnehmungen die Voraussetzungen offenlegt, unter denen diesen Aussagen stehen. In diesem Sinn ist es auch zu verstehen, wenn Leibniz in den Nouveaux Essais davon spricht, daß wir ohne die
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Methodus docendi una popularis altera scientifica perfectior [ca. 1683-1686] (A VI, 4, 582). Vgl. De Synthesi et Analysi universali (A VI, 4, 538-540). Ebd. (A VI, 4, 544-545). Consilium de Encyclopaedia [1679] (A VI, 4,341). De Synthesi et Analysi universali (A VI, 4, 544-545); De methoda synthetica aut analytica [ca. 1676] (AVI,4,351). GP III, 36: „Licet enim ideae veritatesque in nobis latentes non statini sint in promptu, meditando tarnen ex mentis nostra penetralibus erui possunt".
58
Die Theorie der metaphysischen Begriffe
a n g e b o r e n e n K e n n t n i s s e (connoissances innées)
n i e m a l s zur tatsächlichen, d.h.
aktualen Erkenntnis der notwendigen Wahrheiten und der Gründe der Tatsachen gelangen könnten.72 Da Leibniz die angeborenen Vernunftprinzipien ebenso wie die angeborenen Begriffe der Metaphysik73 als notwendige Voraussetzungen des Denkens betrachtet, die implizit in alle unsere Gedanken eingehen, kann die Charakterisierung des Reflexionsbegriffs noch weiter präzisiert werden: Die Reflexion, mit deren Hilfe die Begriffe und Aussagen der Metaphysik erkannt werden, führt über die Analyse von Aussagen über unsere Gedanken und Wahrnehmungen zur Erkenntnis von notwendigen Voraussetzlingen des Denkens. Die Reflexion beschränkt sich nicht auf Aussagen über unsere Gedanken, sondern dringt zum Geist selbst vor, weil die Begriffe und Wahrheiten, die die Natur des Geistes charakterisieren, ihrerseits notwendige und deshalb implizit immer schon in unsere Gedanken eingehende Voraussetzungen des Denkens sind.
2.3. Innere Erfahrung und das Problem der Gewißheit Von hier aus läßt sich (zumindest zu einem Teil) erklären, weshalb Leibniz die Auffassung vertritt, daß metaphysische Erkenntnis zur Gewißheit führen kann. Auf den ersten Blick will diese Auffassung nicht zum Ausgangspunkt des Beweisganges passen, der zur Metaphysik führt. Denn die Erkenntnis dessen, was uns angeboren ist, ist nach Leibniz zunächst nur eine Kenntnis der Natur unseres Geistes.74 Dennoch werden die inneren Erfahrungen (und zwar unabhängig vom Standpunkt der Substanzmetaphysik) als Aussagen beschrieben, die ihrem Wesen nach wahr sind. Nach Leibniz kann die Methode der Reflexion nicht täuschen, weil das Bewußtsein, das eine innere Aktivität begleitet, auf natürlichem Weg nicht täuschen kann.75 Wären diese inneren Erfahrungen nicht gewiß, gäbe es nach Leibniz keine Tatsachenwahrheiten, deren wir uns gewiß sein könnten.76 Deshalb glaubt Leibniz, daß die inneren Erfahrungen einen Ausgangspunkt bilden, der Gewißheit beanspruchen darf: Die Skeptiker verderben, wie er sagt, ihre guten Einsichten, indem sie ihre Zweifel zu weit, nämlich auf die unmittelbaren Erfahrungen und auf die geometrischen Wahrheiten, aus72 73
74 75 76
NEI 1 §25 (AVI, 6,86). NE 11 § 20 (A VI, 6, 83-84); NE I 3 § 3 (A VI, 6, 101-102): „L'idee de l'être, du possible, du Même, sont si bien innées, qu'elles entrent dans toutes nos pensées et raisonnemens (...)"; vgl. Schüßler, Leibniz'Auffassung des menschlichen Verstandes, S.78. N E I l §21 (AVI, 6, 84). NE II 27 § 13 (A VI, 6, 238-239). Ebd.
Innere Erfahrung
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dehnen.77 Die Erkenntnis unserer inneren Zustände ist unmittelbar und bedarf keines weiteren Beweises: Die Aktivitäten des Geistes werden aus einfacher Perzeption erkannt, und ihre Erkenntnis setzt im Gegensatz zur Erkenntnis empirischer Phänomene keinen Beweis ihrer Realität voraus.78 Eine Rolle dabei spielt die Auffassung, daß obwohl die Erinnerung über eine bestimmte zeitliche Entfernung hin immer täuschen kann, die Erinnerung an das unmittelbar Vorangegangene (Leibniz spricht hier von einem „souvenir present ou immédiat") auf natürlichem Weg nicht täuscht; als eine solche unmittelbare Erinnerung an geistige Aktivitäten interpretiert Leibniz das Bewußtsein.79 Allgemein formuliert Leibniz: „Jede Perzeption meines gegenwärtigen Denkens ist wahr" („Omnis perceptio cogitationis meae praesentis est vera").80 Die ersten Erfahrungen sind demzufolge ebenso wie die ersten Vernunftwahrheiten unbeweisbar und unmittelbar: es besteht eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Verstand und seinem Objekt („immediation entre l'entendement et son object"), wie bei den Vernunftwahrheiten eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Subjekt und dem Prädikat („immediation entre le sujet et le predicatimi") besteht.81 Deshalb sagt Leibniz, es sei die Fülle an Evidenz einer unmittelbaren Perzeption, welche die Gewißheit eines Satzes wie „Cogito ergo sum" ausmacht.82 Wenn die inneren Erfahrungen nicht gewiß (certain) wären, so gäbe es keine Tatsachenwahrheiten, deren man sich sicher (asseure) sein kann.83 Im selben Sinn spricht Leibniz davon, daß die unmittelbare Erfahrung der erste Ursprung der Tatsachenwahrheiten ist, und keine Wahrheit bewiesen werden könnte, wenn man diese Erfahrung nicht zugibt.84 Aus diesem Grund kann er auch sagen, daß bei der Erkenntnis der angeborenen Vernunftprinzipien die Erkenntnis unseres eigenen Geistes mit der Erkenntnis der Natur der Dinge zusammenfallt.85
77 78 79 10 81 82 83 84
"
NE IV 2 § 14 (A VI, 6, 372-375). De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (A VI, 4,1502). NE II 27 § 13 (A VI, 6,238-239). Introductio ad Encyclopaediam Arcanam (A VI, 4, 530, Anm.5). NE IV 9 §§2-3 (AVI, 6,434). Anhang Β zum Schreiben an Th. Burnett [1698] (GP III, 233). NE Π 27 § 13 (A VI, 6,238-239). GP IV, 329. NEI 1 §21 (AVI, 6, 84).
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Die Theorie der metaphysischen Begriffe
3. Elemente des metaphysischen Beweisgangs Die Methode der inneren Erfahrung fuhrt also durch die Analyse von Aussagen über unsere seelischen oder geistigen Aktivitäten auf Begriffe und Aussagen, die von ihnen impliziert werden, und legt auf diese Weise notwendige Voraussetzungen des Denkens offen. Bereits deutlich wurde, wie Leibniz mit dieser Methode zu den Begriffen der Existenz, des Ich, des Bewußtseins, der Verschiedenheit der Perzeptionen und damit auch den Begriff der Veränderung kommt. Nun stellt sich die Frage, wie Leibniz zu den für die Theorie der einfachen Substanzen zentralen Begriffen der Identität, der Spontaneität, der Einheit und der Repräsentation gelangt. Handelt es sich in Bezug auf diese Begriffe überhaupt um mehr als einen bloßen Plan, hat Leibniz die Methode der inneren Erfahrung tatsächlich durchgeführt? Selbst Loemker kommt hier zu einer pessimistischen Einschätzung: he soon began to recognize the impossibility for finite minds to achieve a completely demonstrated order of being.86
Statt dessen hebt Loemker die pragmatischen Aspekte von Leibniz' Denken hervor: die Überlegenheit bestimmter metaphysischer Begriffe und Prinzipien ist nach Loemker etwas, was relativ zu ihrer Nützlichkeit für die Probleme bleibt, auf die sie angewendet werden.87 Dem entgegen soll im folgenden gezeigt werden, daß Leibniz die Theorie der inneren Erfahrung tatsächlich in verschiedene argumentative Schritte umgesetzt hat, die zu den für die Theorie der einfachen Substanzen zentralen Begriffen führen.
3.1. Die Identität des Individuums und die Verknüpfung unter den Perzeptionen Die bekannteste Formulierung der Definition der Identität der individuellen Substanz findet sich im Vorwort der Nouveaux Essais. Sie greift ausdrücklich auf die Theorie der unmerklichen Perzeptionen (petites perceptions) zurück, die Leibniz unmittelbar zuvor entwickelt hat: Diese unmerklichen Perzeptionen kennzeichnen und konstituieren das identische Individuum, das charakterisiert ist durch die Spuren, die sie von den früheren
16
"7
Loemker, „Leibniz's Conception of Philosophical Method", S.138. Ebd., S.139.
Elemente des metaphysischen Beweisgangs
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Zuständen dieses Individuums bewahren, und dadurch den Zusammenhang mit seinem gegenwärtigen Zustand herstellen. Ces perceptions insensibles marquent encore et constituent le même individu, qui est caractérisé par les traces, qu'elles conservent des estats précedens de cet individu, en faisant la connexion avec son estât present.'8 Diese Äußerung steht ihrerseits im Kontext der Auffassung des système nouveau, der zufolge jede Substanz zu jeder Zeit Spuren aller vergangenen und zukünftigen Ereignisse enthält.8' Auf der Ebene des système nouveau besteht eine vollkommene liaison von Vergangenheit und Zukunft in der einfachen Substanz90: Die Zukunft jeder Substanz hat eine vollkommene Verbindung mit der Vergangenheit, dies ist es, was die Identität des Individuums ausmacht. L'avenir dans chaque substance a une parfaite liaison avec le passé, c'est ce qui fait l'identité de l'Individu.91 Nach der Auffassung von Naert können aufgrund der systematischen Stellung dieser Auffassung der Identität der einfachen Substanz im système nouveau die empirischen Bestätigungen, die Leibniz fur die Existenz von petites perceptions anfuhrt, als Fundament für diese Theorie nicht hinreichen. Ihr zufolge beruht Leibniz' Theorie der Identität auf einer methodisch nicht weiter gesicherten Intuition.92 Auch Mittelstraß weist darauf hin, daß Leibniz auf keinen Fall angenommen haben kann, die einfachen Substanzen ließen sich über physiologische oder psychologische Beobachtungen hinreichend bestimmen.'3 Daher vertritt Mittelstraß die Auffassung, daß für den anfangs zitierten „Perzeptionensatz" empirische Ergebnisse keine fundierende Rolle spielen, sondern daß dieser Satz allein eine Fortführung der logischen Bestimmung des Begriffs der individuellen Substanz mit Hilfe der Theorie der vollständigen Begriffe bildet.94 Ähnlich vertritt Jolley die Auffassung, daß Leibniz nur apriorische, diesmal jedoch metaphysische Gründe für seine Auffassung von Identität hat.95 In diesem
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" 92 93 94
95
NE préf. (A VI, 6, 55). Jolley, Leibniz and Locke, S.137-141. Vgl. Naert, Mémoire et conscience de soi selon Leibniz, S.57-60. NEU 1 § 12 (A VI, 6, 114). Naert, Mémoire et conscience de soi selon Leibniz, S.57. Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.516. Ebd., S.516-518; 521. Ebenso di Bella, „La substance leibnizieime: Histoire individuelle et identité", S.117; 121-125. Jolley, Leibniz and Locke, S. 141.
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Die Theorie der metaphysischen Begriffe
Sinn betrachtet er Leibniz' Position zur persönlichen Identität als dogmatisch, als eine bloße Konsequenz der Theorie der einfachen Substanzen.96 Dennoch scheint Leibniz, wie im folgenden zu zeigen ist, sowohl im Zusammenhang mit Überlegungen auf der Ebene des système nouveau, als auch im Zusammenhang mit Überlegungen auf der Ebene des système commun Begründungen für das Konzept der liaison unter den Perzeptionen zu entwerfen, die von der Methode der inneren Erfahrung Gebrauch machen. Leibniz geht dabei von drei Ausgangspunkten aus: (1) der Analyse des Bewußtseins; (2) der Analyse der Erinnerung; und schließlich (3) der Analyse des Verhältnisses zwischen merklichen und unmerklichen Perzeptionen.
3.1.1. Die Analyse des Bewußtseins Nach der Auffassung von M.D.Wilson ist für Leibniz das Ich-Bewußtsein das, „what provides our original and true understanding of the nature of substance in general (as a „true unity", comprising a multiplicity within itself)". Diese Auffassung präzisiert sie weiter: „and further that it [the consciousness of self] must involve consciousness of the identity, simplicity and substantiality of this entity."97 Tatsächlich tritt im Discours de Métaphysique das Ich-Bewußtsein als Grundlage fur die Identität des Ich auf: die vernünftige Seele, die weiß, was sie ist und ICH sagen kann, was viel bedeutet, hat nicht bloßen Bestand und existiert im metaphysischen Sinn, wie die anderen, sondern sie bleibt auch in moralischer Hinsicht die selbe und macht die selbe Person aus. Denn es ist die Erinnerung, oder die Kenntnis dieses Ich, die sie Strafe und Belohnung zugänglich macht. l'ame intelligente connoissant ce qu'elle est, et pouvant dire ce ΜΟΥ, qui dit beaucoup, ne demeure pas seulement et subsiste metaphysiquement, bien plus que les autres, mais elle demeure encor la même moralement et fait le même personnage. Car c'est le souvenir, ou la connoissance de ce may, qui la rend capable de chastiment et de recompense.98 In einer ersten Fassung von Nouveaux Essais Π 27 § 9 findet sich auch die Auffassung, daß persönliche Identität im Selbstbewußtsein besteht:
96 97
*
Ebd., S.125. M.D.Wilson, „Leibniz: Self-Consciousness and Immortality", S.341. DM §34 (A VI, 4, 1584).
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Ich bin auch der Meinung, daß das Bewußtsein oder das Empfinden des Ich die moralische oder persönliche Identität ausmacht. Je suis aussi de cette opinion, que la consciosité ou le sentiment du moy fait l'identité morale ou personelle." Hier ergeben sich für Leibniz jedoch zwei Schwierigkeiten: Erstens wäre eine solche Theorie der Identität prinzipiell nicht von der menschlichen Seele auf einfache Substanzen übertragbar, die nicht über ein Ich-Bewußtsein verfügen. Leibniz macht dies in der zitierten Passage aus dem Discours de Métaphysique selbst deutlich. Zweitens formuliert Leibniz eine solche Selbstbewußtseinstheorie der Identität nur für die persönliche Identität, die er in den Nouveaux Essais als moralische Identität im Sinne Lockes von der realen Identität unterscheidet.100 Das Verhältnis zwischen Selbstbewußtsein und realer Identität scheint also komplizierter zu sein, als es Wilson annimmt. Tatsächlich fällt Selbstbewußtsein für Leibniz nicht schon mit dem Bewußtsein der realen Identität, Einfachheit und Substantialität des Ich zusammen, sondern steht in einem Begründungsverhältnis zur Annahme der realen Identität, Einfachheit und Substantialität. In einer zweiten Fassung von Nouveaux Essais Π 27 § 9 vertritt Leibniz für die persönliche Identität eine modifizierte Ansicht. Hier spricht Leibniz nicht mehr davon, daß die persönliche Identität im Selbstbewußtsein besteht, sondern davon, daß das Selbstbewußtsein die persönliche Identität beweist: Ich bin auch der Meinung, daß das Bewußtsein oder die Empfindung des Ich eine moralische oder persönliche Identität beweist. Je suis aussi de cette opinion, que la consciosité ou le sentiment du moy prouve une identité morale ou personelle.101 Während für Locke Bewußtsein und Erinnerung eine notwendige Voraussetzung für persönliche Identität bildet, rückt Leibniz von dieser Position ausdrücklich ab: Eine Person bewahrt nach Leibniz ihre Identität, auch wenn ihre Erinnerung Lücken aufweist oder sie zwischenzeitlich das Bewußtsein verliert. Ein gewisses Maß an bewußter Verbindung einzelner Zustände genügt zur Wahrung der persönlichen Identität und kann durch die Berichte anderer Menschen als einer 99
100 101
A VI, 6, 236. Vgl. Locke, Essay concerning human understanding, II, xxvii, 9: „Since consciousness always accompanies thinking, and 'tis that, that makes one to be, what he calls self (...) in this alone consists personal identity. And as fer as this consciousness can be extended backwards to any past Action or Thought, so fer reaches the Identity of that Person (·..)". NE II27 §9 (A VI, 6,236). Ebd.
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Die Theorie der metaphysischen Begriffe
weiteren Grundlage für die persönliche Identität ergänzt werden.102 Reale Identität bleibt nach Leibniz hingegen auch dann bestehen, wenn Bewußtsein und Erinnerung ganz aufhören.103 Gleichzeitig betrachtet Leibniz Selbstbewußtsein auch als einen Beleg fur reale Identität: Die Identität, die der Person selbst erscheint, die sich als die selbe empfindet, setzt die reale Identität bei jedem weiteren Übergang voraus, der von Reflexion oder einem Empfinden des Ich begleitet ist: denn eine innere und unmittelbare Perzeption kann auf natürlichem Weg nicht täuschen. l'identité apparente à la personne même, qui se sent la même, suppose l'identité réelle à chaque passage prochain, accompagné de reflexion ou de sentiment du moy: une perception intime et immediate ne pouvant tromper naturellement.104 In dieser Passage scheinen Selbstbewußtsein und das Bewußtsein von den eigenen geistigen Aktivitäten untrennbar miteinander verbunden zu sein: Das Bewußtsein, das bestimmte geistige Aktivitäten zum Gegenstand hat, ist immer von dem Bewußtsein begleitet, daß es meine geistigen Aktivitäten sind; und das Bewußtsein, daß es sich um meine geistigen Aktivitäten handelt, tritt nicht ohne das Bewußtsein von diesen Aktivitäten auf.105 Die Auffassung vom Selbstbewußtsein als einem Beleg für das Bestehen von persönlicher und realer Identität faßt Leibniz in dieser Weise zusammen: Die reale und persönliche Identität wird so sicher, wie dies im Bereich der Tatsachen möglich ist, durch die gegenwärtige und unmittelbare Reflexion bewiesen. L'identité reelle et personelle se prouve le plus certainement qu'il se peut en matiere de fait, par la reflexion presente et immediate.106 Die Tatsache, daß meine geistigen Aktivitäten von dem Bewußtsein begleitet sind, daß es meine geistigen Aktivitäten sind, wird hier in der Weise analysiert, daß zwischen dem Zustand, in dem ich mir meiner geistigen Aktivitäten bewußt
102 m 104 105
106
Ebd. NEU 1 § 12 (AVI, 6, 113-114). NE II 27 § 9 (AVI, 6,236). Für eine solche Interpretation spricht auch die schon zitierte Stelle aus den Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (GP IV, 357): „Non tantum mei cogitantis, sed et meorum cogitatorum conscius sum, nec magis verum certumve est me cogitare quam illa vel illa a me cogitan". NE II 27 § 9 (A VI, 6, 236).
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bin, und den geistigen Aktivitäten, deren ich mir bewußt bin, ein realer Zusammenhang besteht, der seinerseits der realen und persönlichen Identität zugrunde liegt.
3.1.2. Die Analyse der Erinnerung Leibniz erweitert dieses Argument auch auf das Phänomen der Erinnerung und allgemein der Apperzeption vergangener Eindrücke: Diese Fortsetzung und Verknüpfung von Perzeptionen macht das identische Individuum real aus, aber die Apperzeptionen (d. h. wenn man sich vergangener Wahrnehmungen bewußt wird) beweisen auch eine moralische Identität, und bringen die reale Identität zum Vorschein. Cette continuation et liaison de perceptions fait le même individu réellement, mais les apperceptions (c'est à dire lorqu'on s'appercoit des sentimens passés) prouvent encor une identité morale, et font paroistre l'identité reelle.107 Das läßt sich so verstehen, daß Erinnerungen oder Apperzeptionen vergangener Wahrnehmungen die moralische Identität beweisen und die reale Identität zum Vorschein bringen, indem sie eine reale Verknüpfung zwischen vergangenen Wahrnehmungen und der gegenwärtigen Erinnerung oder Apperzeption voraussetzen: Die Erinnerungen oder Apperzeptionen vergangener Wahrnehmungen hängen in ihrem Bestehen und in ihrem Inhalt von vergangenen Perzeptionen ab. Auf diese Weise bildet auch die Analyse der Phänomens der Erinnerung ein vom Standpunkt des système nouveau unabhängiges Argument fur das Bestehen einer realen Verknüpfung zwischen verschiedenen Perzeptionen.
3.1.3. Die Analyse der unmerklichen Perzeptionen Eine weitere Strategie, mit der Leibniz die Existenz einer realen Verknüpfung zwischen Perzeptionen zu begründen versucht, fuhrt über die Analyse des Verhältnisses zwischen merklichen und unmerklichen Perzeptionen. Wichtig ist hier, den Begriff der petites perceptions und mit ihm die Theorie der Spuren früherer Perzeptionen in den gegenwärtigen Perzeptionen nicht ausschließlich der Ebene des système nouveau zuzuordnen, wie das etwa Schüßler tut.108 Sicher
107
NE II 27 § 14 (AVI, 6,239).
IM
Schüßler, Leibniz ' Auffassung des menschlichen Verstandes, S. 19.
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kann die Theorie der petites perceptions, wie dies den Darstellungen von Naert, Parkinson und Jolley entspricht, als eine Konsequenz der Theorie der universellen Harmonie unter den einfachen Substanzen verstanden werden, von denen jede das ganze Universum perzipiert.109 Aber bei Leibniz finden sich verschiedene Überlegungen, die vom système nouveau unabhängig sind, und die die Existenz von petites perceptions mit Hilfe der inneren Erfahrung belegen sollen. Diese Überlegungen gehen von der Beobachtung aus, daß es Wahrnehmungen geben muß, die zunächst nicht von Aufmerksamkeit, Erinnerung oder Reflexion begleitet sind, aber dennoch vorhanden sind, weil sie bemerkbare Wirkungen haben oder nachträglich bewußt werden können.110 Als Beispiele für solche Wahrnehmungen führt Leibniz die ungezählten Eindrücke an, die in eine bestimmte Sinneswahrnehmung eingehen, ohne einzeln unterschieden werden zu können (wie im Fall des Meeresrauschen-Hörens)111 oder bestimmte Sinneseindrücke, die wir während des Schlafes nicht bemerken, uns aber nach dem Aufwachen bewußt werden112. Einen weiteren Beleg fur die Existenz von petites perceptions bietet die Beobachtung, daß manche Gedanken wieder kommen, von denen wir vergessen haben, daß wir sie hatten. Dies muß nicht immer in Form einer bewußten Erinnerung stattfinden, wie das Beispiel des Dichters zeigen soll, der ohne dies zu bemerken eine Formulierung verwendet, die er früher einmal gelesen hatte."3 Auch führt Leibniz die Beobachtung an, daß wir manche Dinge leichter erfassen, weil wir sie früher schon erfaßt haben, ohne daß wir uns daran aber erinnern müssen.114 Leibniz weist auch darauf hin, daß in unseren Träumen Gedanken wieder auftreten können, die wir zu einer früheren Zeit hatten, ohne daß wir uns an sie erinnern können. Als Beispiel erwähnt Leibniz, daß Julius Scaliger während der Arbeit an einer Darstellung der berühmten Persönlichkeiten Veronas ein ihm unbekannter Grammatiker namens Brugnolus im Traum erschien und sich beklagte, er sei in dieser Darstellung vergessen worden; erst später stellte sich heraus, daß diese Person tatsächlich in Verona gelebt hat.115 Dies führt 109
110
111 112
113 1,4 115
Naert, Mémoire et conscience de soi selon Leibniz, S.59-60; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.180-181; Jolley, Leibniz and Locke, S.l 10-111; 140. DM § 33 (A VI, 4, 1581-1583); Leibniz an Amauld, 30. April 1687 (GP II, 90); Quelques remarques sur le livre de Möns. Lock intitulé Essay of Understanding (A VI, 6,6-7); NE préf. (A VI, 6, 53-61); NE II 1 § 15 (A VI, 6, 116); Mon. § 23 (GP VI, 610). DM § 33 (GP IV, 459); Leibniz an Amauld, 30. April 1687 (GP II, 91 ). Quelques remarques sur le livre de Möns. Lock intitulé Essay of Understanding (A VI, 6, 6-7); NE préf. (A VI, 6, 53-55). NEI 3 §20 (AVI, 6, 106-107). Ebd. Ebd.
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Leibniz ausdrücklich zur Verteidigung der These an, daß auch Perzeptionen, an die wir keine Erinnerung haben, Spuren hinterlassen: Es hat wohl den Anschein, daß Julius Scaliger etwas von Brugnolus wußte, woran er sich nicht mehr erinnern konnte, und daß der Traum zum Teil die Erneuerung einer alten Idee war, obwohl es hier diese Erinnerung im eigentlichen Sinn nicht gab, die uns die Erkenntnis vermittelt, daß wir diese Idee schon einmal hatten. Zumindest sehe ich keinerlei Notwendigkeit zu behaupten, daß keine Spuren einer Perzeption zurückbleiben, wenn es nicht genug von ihnen gibt, um sich zu erinnern, daß man sie hatte. Il y a bien l'apparence, que Jules Scaliger avoit sceu quelque chose de Brugnol dont il ne se souvenoit plus, et que le songe avoit esté en partie le renouvellement d'une ancienne idée, quoyqu'il n'y ait pas eu cette reminiscence proprement appellée ainsi, qui nous fait connoistre que nous avons déjà eu cette même idée. Du moins je ne vois aucune nécessité qui nous oblige d'asseurer qu'il ne restent aucunes traces d'une perception, quand il n'y en a pas assés pour se souvenir qu'on l'a eue."6
Eine solche Argumentation läßt sich auch auf die beiden zuvor genannten Belege für die Existenz von petites perceptions übertragen. Auch sie bieten einen Beleg für die Spuren (traces), die die petites perceptions in anderen Perzeptio-
nen, zunächst den unmerklichen, dann auch in den merklichen Perzeptionen hinterlassen. Deutlich wird, daß die betrachteten Belege fur die Existenz von petites perceptions, die Leibniz auch hier auf der Ebene des système commun
entwickelt, zugleich Belege für das Bestehen einer realen Verknüpfung unter Perzeptionen bilden. Gleichzeitig ermöglicht der Gedanke der Verknüpfung unter unmerklichen Perzeptionen die Übertragung des Begriffs der Verknüpfung unter Perzeptionen auf Wesen, denen Erinnerung und Bewußtsein fehlen. Dies wiederum ermöglicht es Leibniz, die Identität des Individuums auf der Ebene des système nouveau, wie im anfangs zitierten „Perzeptionensatz", mit Hilfe der
Verknüpfung unter den unmerklichen Perzeptionen zu definieren.
3.2. Aktivität und Spontaneität Läßt sich ein ähnlicher Zusammenhang der Theorie der inneren Erfahrung mit den bei Leibniz eng miteinander verbundenen Begriffen der Aktivität und der Spontaneität finden? Auf der Ebene des système nouveau formuliert Leibniz die
These von der vollkommenen Spontaneität der Aktivitäten der einfachen 1,6
Ebd.
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Die Theorie der metaphysischen Begriffe
Substanzen: Eine einfache Substanz bringt alle ihre Zustände aus sich selbst hervor, in der Weise, daß jeder Zustand eine natürliche Folge des ihm vorhergehenden Zustandes bildet."7 Die Theorie von der spontanen Aktivität der einfachen Substanzen wird von Leibniz als eine Wiederaufnahme und Neubegründung der aristotelischen Auffassung vom natürlichen Ding als dem Ding verstanden, das einen Ursprung der Bewegung und der Ruhe in sich trägt.118 Finster betrachtet die Theorie der Spontaneität nur vom Standpunkt des système nouveau aus.119 In seiner Darstellung bleibt offen, wie Leibniz den Begriff der spontanen Aktivität gewinnt. Nach S.Brown wiederum leitet Leibniz die These von der Spontaneität der einfachen Substanzen aus der Theorie der vollständigen Begriffe ab. Da Brown zufolge das Argument von der Theorie der vollständigen Begriffe zur Spontaneität einfacher Substanzen nicht schlüssig ist, betrachtet er die Theorie der Spontaneität als eine bloße Hypothese.120 Dies entspricht jedoch nicht der Auffassung von Leibniz, der ausdrücklich hervorhebt, daß der Begriff der Aktivität nicht willkürlich in der Definition der Substanz eingeschlossen ist.121 So stellt sich die Frage, wie Leibniz den Begriff der spontanen Aktivität unabhängig vom système nouveau entwickelt. In diesem Punkt, so scheint es, lehnt sich Leibniz in methodologischer Hinsicht noch näher an die Position von Locke an, als dies beim Begriff der Identität der Fall war. Das heißt, daß der Weg, auf dem diese Begriffe erkannt werden, (zumindest zu einem Teil) dem Weg der reflection bei Locke nachgebildet ist. Dabei darf nicht aus den Augen verloren werden, daß Leibniz' Interpretation dieser Begriffe eine andere als die Interpretation Lockes bleibt. Nach Locke werden diese Begriffe auf dem Weg der reflection erst gebildet, während sie nach der Vorstellung von Leibniz als implizite Voraussetzungen des Denkens immer schon im Verstand vorhanden sind und durch reflexion nur erkannt werden. Diese ontologische, die Theorie der menschlichen Verstandes betreffende These bildet einen der Kernpunkte von Leibniz' Kritik an Lockes Auffassung der Vemunftbegriffe. Dennoch folgt Leibniz in methodologischer Hinsicht der Strategie Lockes, zum Begriff der Aktivität über eine Analyse von Aussagen über Willensphänomene zu gelangen. Daneben geht Leibniz aber auch über Locke hinaus und verwendet die selbst-
117 1,8 119 120 121
DM § 32 (A VI, 4, 1580-1581); Mon. § 11 (GP VI, 608). De Natura (A VI, 4,1504-1505); GP IV, 393 [1702], Vgl. Aristoteles, Phys., 192 b 9-23. Finster, „Spontaneität, Freiheit und unbedingte Kausalität bei Leibniz, Crusius und Kant", S.274-277. S.Brown, Leibniz, S.162. Leibniz an de Voider, 10. November 1703 (GP II, 256).
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bezügliche Struktur des Denkens und die Fähigkeit, notwendige Aussagen zu bilden, als weitere Belege für die Existenz spontaner geistiger Aktivität.
3.2.1. Die Analyse des Willens Vor dem Hintergrund der Auffassung, daß Vernunftbegriffe nur erkannt, nicht erst gebildet werden, ist es zu verstehen, daß Leibniz sich mit Locke einverstanden erklärt, daß die klarste Idee des aktiven Vermögens aus unserem eigenen Geist kommt: Ich stimme Ihnen zu, daß uns die klarste Idee des aktiven Vermögens aus dem Geist kommt: auch findet sich dieses nur in den Dingen, die eine Analogie zum Geist haben, d.h. in den Entelechien, denn die Materie im eigentlichen Sinn ist nur durch das passive Vermögen gekennzeichnet. je suis d'accord tousjours avec vous, que la plus claire idée de la puissance active nous vient de l'esprit: aussi n'est-elle que dans les choses qui ont de l'analogie avec l'esprit, c'est à dire dans les Entelechies, car la matière proprement ne marque que la puissance passive.122 Philalèthe gibt anschließend die Position Lockes wieder: Wir finden in uns selbst das Vermögen, verschiedene Tätigkeiten unserer Seele und verschiedene Bewegungen unseres Körpers zu beginnen oder nicht zu beginnen, fortzusetzen oder zu beenden und dies einfach durch einen Gedanken oder einen Entschluß unseres Geistes (...). Dieses Vermögen ist das, was wir Willen nennen. Nous trouvons en nous mêmes la puissance de commencer ou de ne pas commencer, de continuer ou de terminer plusieurs actions de nostre ame et plusieurs mouvemens de nostre corps, et cela simplement par ime pensée ou un choix de nostre esprit (...). Cette puissance est ce que nous appelions Volonté.123 Leibniz stimmt dem in der Person Theophiles im wesentlichen zu und macht an dieser Stelle nur darauf aufmerksam, daß die gleichen Ergebnisse auch aus unbewußten Neigungen folgen können, die besser als „appetitions" und nicht als
m 123
NE II 21 §4 (AVI, 6, 171-172). NE II 21 § 5 (A VI, 6, 172-173). Vgl. Locke, Essay concerning human understanding, II, xxi, 5: „This at least I think evident, That we find in our selves a Power to begin or forbear, continue or end several actions of our minds, and motions of our Bodies, barely by a thought or preference of the mind ordering, or as it were commanding the doing or not doing such or such a particular action. This Power which the mind has, thus to order the consideration of any Idea, or the forbearing to consider it; or to prefer the motion of any part of the body to its rest, and vice versâ in any particular instance is that which we call the WiW\
70
Die Theorie der metaphysischen Begriffe
„volitions" zu bezeichnen sind.124 Erst später nimmt Theophile die Strategie Lockes wieder auf und begründet das aktive Vermögen des Geistes mit der Beobachtung, daß wir Gedankenketten willkürlich in Gang setzen und Gedanken, die uns unwillentlich kommen, willentlich auch wieder anhalten können.125 Diese Beobachtungen bilden fur Leibniz auch in De ipsa natura die Grundlage für die Erkenntnis des Begriffs der Spontaneität. Sie sind dort gleichzeitig auch der Ausgangspunkt dafür, den Begriff der Spontaneität auch auf andere Lebewesen zu übertragen: Da nicht nur vernünftigen Seelen Willensakte zugeschieben werden können, kann die Idee der Spontaneität auf Substanzen übertragen werden, die Willen, aber keine Vernunft besitzen.126
3.2.2. Die Analyse von Denken und Bewußtsein Ein zweiter (und diesmal von Locke unabhängiger) Weg führt unmittelbar von der Analyse der Phänomene des Denkens und des Bewußtseins zum Begriff der spontanen Aktivität. Denken wird von Leibniz als ein auf sich selbst bezogenes Handeln (agere in seipsum) verstanden. Über Gott sagt Leibniz in einem frühen Fragment: Das notwendige Seiende wirkt auf sich selbst ein oder denkt. Denn nichts anderes ist Denken als sich wahrnehmen. Ens necessarium agere in se ipsum sive cogitare. Nihil enim aliud cogitare quam se sentire.127 In einem weiteren Fragment bestimmt Leibniz das Bewußtsein (conscientia) als eine „auf sich selbst bezogene Handlung, insofern sie in mir selbst ist" („actio in se ipsum, qualis in me est").128 Diese Auffassung findet sich auch in einem Entwurf zur characteristica universalis·. „Die denkende Substanz, die auf sich selbst einwirkt, wird auch Geist genannt" („Substantia cogitans quae agit in 114 125
IM
127
NE II 21 § 5 (AVI, 6, 172-173); vgl. NE II 21 § 29 (AVI, 6,183). NE II 21 § 12 (A VI, 6, 177); NE II 21 §§ 17-19 (A VI, 6, 180); Entwurf zum Briefen de Voider 19. Januar 1706 (GP II, 282, Anm.). De ipsa natura (GP IV, 510): „Quod si vero menti nostrae vim insitam tribuimus, actiones immanentes producendi vel quod idem est, agendi immanenter, jam nihil prohibet, imo consentaneum est, aliis animabus vel fonnis (...) eandem vim inesse; nisi quis solas in natura rerum nobis obvia mentes nostras activas esse, aut omnem vim agendi immanenter (...) cum intellectu conjunctam arbitretur." Aufzeichnungen zur Metaphysik [ca. 1676] (A VI, 3, 399-400). De affectibus [10. April 1679] (A VI, 4,1411).
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seipsam, dicitur et Mens.")129 Auch in einem zwischen 1683 und 1686 entstandenen Fragment charakterisiert Leibniz das Selbstbewußtsein (conscientia sui) als ein auf sich selbst bezogenes Handeln („agere in seipsam")130. Diese Auffassung des Denkens hat Leibniz auch in späterer Zeit vertreten. In den Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum definiert er die denkende Substanz (cogitans oder conscium) als „Eines, das Mehreres mit immanenter Tätigkeit ausdrückt" („Unum plura exprimens cum actione immanente").131 Dabei läßt der Begriff der immanenten Aktivität nicht nur den Aspekt der auf sich selbst gerichteten Aktivität, sondern auch den Aspekt des inneren Ursprungs der Aktivität anklingen. Auch in einer Reaktion auf Bayles Kritik an der Theorie der einfachen Substanzen bezeichnet er das Denken als „Tätigkeit ein und desselben Gegenstandes auf sich selbst" („l'action d'une même chose sur elle même").132 Diese Stelle macht die argumentative Funktion dieser Analyse des Phänomens des Denkens noch deutlicher als das Zitat aus den Generales Inquisitiones. Die auf sich selbst bezogene Aktivität, die das Denken bildet, muß zugleich eine von innen heraus determinierte Aktivität sein. Das Phänomen des Denkens belegt, wie Leibniz hier formuliert, die Existenz eines „Prinzips einer wirklich inneren Aktivität" („principe d'une action véritablement interne").133
3.2.3. Die Analyse des logischen Denkens Ein drittes, ganz analoges Argument fur die Existenz von spontaner geistiger Aktivität geht vom Phänomen der Bildung notwendiger Aussagen aus. Der Beweis notwendiger Aussagen entspringt, wie Leibniz in einer wichtigen Passage aus den Nouveaux Essais hervorhebt, allein dem Verstand, während alle anderen Aussagen aus den Erfahrungen oder der Sinneswahrnehmung stammen.134 Die Unterscheidung zwischen den Vernunftwahrheiten und den Wahrheiten, die aus der Erfahrung oder der sinnlichen Wahrnehmung stammen, zeigt, daß Leibniz an dieser Stelle auf der Ebene des système commun spricht. Die Sinne reichen, wie Leibniz hier argumentiert, nicht aus, um die Notwendigkeit der notwendigen
129 130 131 132 133 134
Introducilo ad Encyclopaediam arcanam [ca. 1683-1685] (A VI, 4, 530-531). Reflexio(AVI,4, 1471). C 361 [1686]. Leibniz an Bayle [Dezember 1702] (GP III, 69). Ebd. NEI 1 § 5 (A VI, 6, 76-77).
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Aussagen zu erkennen. Also muß der Verstand eine Disposition besitzen, diese Wahrheiten aus sich selbst hervorzubringen: denn es ist unbezweifelbar, daß die Sinne nicht hinreichen um ihre Notwendigkeit sichtbar zu machen, und daß unser Geist deshalb eine (sowohl aktive wie auch passive) Disposition hat, sie aus sich selbst hervorzubringen. car il est incontestable que les sens ne suffisent pas pour en faire voir la nécessité, et qu'ainsi l'esprit a une disposition (tant active que passive) pour les tirer luy même de son fonds.133 Dies ist einer der wesentlichen Kritikpunkte, die Leibniz gegen den Empirismus Lockes vorbringt.136 Zugleich bildet diese Überlegung aber auch einen weiteren Beleg auf der Ebene des système commun fur die Existenz spontaner geistiger Aktivität. Diese drei Argumente für die Existenz spontaner Aktivität bilden fur Leibniz neben der These von der liaison unter den Perzeptionen einen weiteren wichtigen Ausgangspunkt für die Substanztheorie. Der Begriff der spontanen Aktivität schließt in den Augen von Leibniz eine Konzeption der Substanz als bloßer Abfolge von Akzidentien aus, die nach seiner Auffassung in letzter Konsequenz zum Spinozismus fuhrt.137 Wäre die Substanz nichts anderes als eine Abfolge von Akzidentien, wäre sie nach Leibniz „eine sukzessive Entität wie die Bewegung" („un être succesif, comme le mouvement"); sie wäre ebenso wenig wie ihre Akzidentien über den Moment hinaus die selbe Substanz. Aktivität hingegen setzt nach Leibniz eine über die Zeit hin bestehende Substanz als dem aktiven Prinzip der Akzidentien voraus.138 Durch den Begriff der spontanen Aktivität werden die Akzidentien auf ein bleibendes Prinzip der Aktivität bezogen. Dies wiederum ist die wesentliche Grundlage fur die Bestimmung der Substanz als eines „aktiven Dings" („res agens").139
3.3. Teil und Einheit Ein weiterer für die Theorie der einfachen Substanzen zentraler Begriff ist der Begriff der Einheit. Den Hintergrund für Leibniz' Überlegungen bildet hier die traditionelle aristotelische Unterscheidung zwischen einem Ganzen, das eine 135 136 137 138 139
Ebd. Vgl. dazu SchUßler, Leibniz ' Auffassung des menschlichen Verstandes, S.69-75. Th. § 393 (GP VI, 350-351). Ebd. (GP VI, 351) Vgl. De ipsa natura (GP IV, 509).
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bloße Ansammlung von Teilen ist, und einem Ganzen, das eine Einheit bildet.140 Im ersten Fall ist das Ganze ontologisch „später" als die Teile, in dem Sinn, daß die Teile ohne das Ganze existieren können; im zweiten Fall ist das Ganze ontologisch „früher" als die Teile, in dem Sinn, daß die Teile nicht ohne das Ganze existieren können.141 Leibniz hat diese zweite Konzeption in Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen der göttlichen Substanz und den göttlichen Vollkommenheiten vertreten.142 Ein wahres Ganzes, so macht Leibniz hier deutlich, geht aller Zusammensetzung voraus und kann nicht durch die Addition von Teilen gebildet werden.143 Eine solche Ansicht bildet einen Kontrast zu der an vielen Stellen getroffene Kennzeichnung von materiellen Gegenständen als Aggregate144: Ein Ganzes von der Art eines Aggregats besitzt eine Einheit nur im erkennenden Verstand und wird von Leibniz von den Substanzen, die eine wahre Einheit besitzen, unterschieden.145 Nun ist es an den Stellen, an denen Leibniz die bloßen Aggregate von den wahren Einheiten unterscheidet, der Umstand, daß die wahren Einheiten nicht aus materiellen Teilen zusammengesetzt sind, der für ihre Einheit verantwortlich ist. In diesem Sinn stellt Leibniz in der Korrespondenz mit Arnauld den Aggregaten die unteilbaren Substanzen (substances indivisibles) gegenüber.146 Eine solche Auffassung findet sich auch in den Nouveaux Essais, wo Leibniz davon spricht, das Ich sei ohne Teile, indem es keine materiellen Teile besitzt.147 Auch in der Monadologie kontrastiert Leibniz die Aggregate mit den einfachen Substanzen, die keine Teile haben.148 Eine solche Auffassung von Einheit würde sich aber erst aus dem Nachweis der Immaterialität der Seele ergeben. Auch würde ein solcher Nachweis zwar die Möglichkeit ausschließen, daß einfache Substanzen in materielle Teile teilbar sind, allein aber nicht hinreichen, den einfachen Substanzen eine wahre Einheit im betrachteten aristotelischen Sinn zuzuschreiben. Denn die Vorstellung von der Einheit der einfachen Substanzen im Sinn ihrer Unteilbarkeit wird von Leibniz mit der Theorie einer unendlichen Vielzahl von Perzeptionen in der einfachen Substanz verbunden.149 Der Umstand, daß eine
140 141 142 143 144
145 144 147 148 149
Aristoteles, Met, Δ 1023 b 26-36. Aristoteles, Met., Ζ 1036 a 12-26; Met., Δ 1019 a 2-14. Vgl. Burkhardt/Degen, „Mereology in Leibniz's Logic and Philosophy", S.7. NE II 17 § 1 (A VI, 6,157); NE II 17 § 3 (A VI, 6, 158). Vgl. Leibniz an Amauld, 28. November 1686 (GP II, 76); Eclaircissement du nouveau système (GP IV, 494); Antibarbanis physicus (GP VII, 344). Leibniz an Arnauld, 30. April 1687 (GP Π, 97). Leibniz an Amauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 119). NEU 27 §11 (AVI, 6,238). Mon §§ 1-2 (GP VI, 607). Mon. § 13 (GP VI, 608).
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einfache Substanz keine materiellen Teile besitzt, sichert nicht, daß die Abfolge einer Vielzahl seelischer Zustände eine wahre Einheit im Sinn der anfangs genannten aristotelischen Unterscheidung bildet. An dieser Stelle ist die Bestimmung des Begriffs der Einheit mit Hilfe der Begriffe der liaison unter den Perzeptionen und der spontanéité, durch die sie auf ein aktives Prinzip bezogen werden, von entscheidender Bedeutung. Deutlich tritt diese Bestimmung von Einheit in einem Brief an des Bosses hervor, wo Leibniz schreibt: Die der Seele eigentümliche Tätigkeit ist die Perzeption, und die Einheit des Perzipierenden wird hergestellt durch die Verknüpfung der Perzeptionen, gemäß der die folgenden Perzeptionen aus den vorhergehenden abgeleitet werden. Operatio autem animae propria est perceptio, et unitatem percipientis facit perceptionum nexus, secundum quem sequentes ex praecedentibus derivantur.150 In diese Bestimmimg gehen die beiden bisher betrachteten Begriffe der liaison unter den Perzeptionen und der spontanen Aktivität ein. Die liaison unter den Perzeptionen stellt einen Zusammenhang her, der nicht als ein bloßes Aggregat von Teilen beschrieben werden kann. Aufgrund der Spuren, welche frühere Perzeptionen in den späteren hinterlassen, kann man sagen, daß kein einziger geistiger Zustand außerhalb des Zusammenhangs von anderen geistigen Zuständen vorkommen kann. Dies ist ein Modell fur ein Ganzes, das im aristotelischen Sinn ontologisch früher als seine Teile ist. Dabei handelt es sich zwar noch nicht um die Einheit im Sinn einer vollkommenen Verknüpfung aller nachfolgenden Perzeptionen mit allen vorhergehenden. Erst durch die These von der absoluten Spontaneität kann die These von der vollkommenen liaison unter Perzeptionen begründet werden. Dennoch läßt sich bereits auf der Ebene des système commun ein Begriff von Einheit formulieren, der sich in der vom système nouveau geforderten Weise von der bloßen Einheit eines Aggregats von Teilen unterscheidet.
3.4. Repräsentation und Perspektivität Schließlich stellt sich die Frage, wie Leibniz zum Begriff der Repräsentation und zu der für die Substanztheorie zentralen Auffassung von der Repräsentation des Universums in den Perzeptionen der einfachen Substanz gelangt ist. In der Tradition der von Couturat und Jalabert entwickelten Interpretation sieht Kulstad 150
Leibniz an des Bosses, 24. April 1709 (GP II, 372).
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hier eine Ableitung aus der analytischen Urteilstheorie.151 Allerdings wirft dies das sachliche Problem auf, in welcher Weise die Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz aus der Repräsentation des Universums in ihrem vollständigen Begriff folgt. Diese Schwierigkeit fuhrt S.Brown zu der Ansicht, daß die These von der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz eine apriorische Behauptung („a priori claim") bleibt.152 Tatsächlich hat Leibniz aber für die These der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz Begründungsstrategien entworfen, die über solche hypothetischen Konstruktionen hinausgehen. Obwohl Leibniz die Methode der inneren Erfahrung auch für die Erkenntnis des Begriffs der Repräsentation heranzieht, ist hier allerdings ein Punkt erreicht, an dem die Methode der inneren Erfahrung allein nicht hinreichen kann, die These von der Repräsentation des Universums in den geistigen Zuständen eines Individuums zu begründen. Zur Analyse der inneren Erfahrungen kommt hier die Analyse von Aussagen über die kausale Struktur des Universums hinzu. Zunächst ist es von Bedeutung, daß die These von Repräsentation des Universums nicht nur auf der Ebene des système nouveau, sondern auch auf der Ebene des système commun auftritt. Die Auffassung, daß jeder Geist das ganze Universum perzipiert, wenn auch auf konfuse Weise, findet sich schon in einem vor dem Discours de Métaphysique entstandenen Fragment, das selbst keinen Hinweis auf die Theorie der einfachen Substanzen enthält.153 Auch in den oben schon zitierten frühen Reaktionen auf Spinoza vertritt Leibniz die Auffassung, daß jeder Geist das ganze Universum auf seine Weise, in Analogie zu den verschiedenen perspektivischen Ansichten einer Stadt, wahrnimmt.154 Dies spricht dafür, daß sich die These von der geistigen Repräsentation des Universums in den Augen von Leibniz nicht erst vom Standpunkt des système nouveau vertreten läßt.
3.4.1. Repräsentation und Perzeption Den Begriff der Repräsentation selbst, so scheint es, gewinnt Leibniz über eine Analyse des Phänomens der Perzeption. Den Begriff der Perzeption rechnet
151 152 153 154
Kulstad, Leibniz's Expressions Thesis, S.141-181. S. Brown, Leibniz, S.168. De plenitudine mundi [1676] (A VI, 3, 524). A VI, 4,1713. Vgl. oben Kapitel I, Abschnitt 1.4.
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Leibniz ausdrücklich zu den angeborenen Ideen.155 Eine Perception wird von Leibniz (auf der Ebene des système nouveau) als ein vorübergehenden Zustand aufgefaßt, der eine Vielheit in einer Einheit repräsentiert.156 Diese Auffassung setzt er in einen Zusammenhang mit der Theorie der inneren Erfahrung: Wir erfahren die Mannigfaltigkeit in einer Einheit dadurch in uns selbst, daß wir uns bewußt werden, daß jede Perception eine Mannigfaltigkeit in ihrem Objekt umfaßt.157 Repräsentation oder Expression einer Entität durch eine andere meint, wie Leibniz in der Korrespondenz mit Arnauld erläutert, „eine konstante und regelmäßige Entsprechung zwischen dem, was von der einen Entität, und dem, was von der anderen Entität gesagt werden kann".158 Auch hier beruft sich Leibniz auf die innere Erfahrung, indem er als die Möglichkeit der Repräsentation mehrerer Gegenstände in einem einzelnen Gegenstand mit dem Beispiel mentaler Repräsentation belegt: Man kann nicht an der Möglichkeit einer solchen Repräsentation mehrerer Dinge in einem einzigen Gegenstand zweifeln, weil uns unsere Seele dafür ein Beispiel liefert. On ne peut point douter de la possibilité d'une telle representation de plusieurs choses dans une seule, puisque notre ame nous en fournit un exemple.159 Daß die Seele tatsächlich andere Gegenstände repräsentiert, wird in der Addition à l'explication du système nouveau explizit vom Standpunkt des système commun aus verteidigt. Dort vertritt Leibniz die Auffassung, daß es eine Ähnlichkeit (ressemblance) zwischen den Spuren, die materielle Gegenstände in unseren Organen hinterlassen, und unseren sinnlichen Wahrnehmungen (sensations) gibt.160 Ihm zufolge besteht diese Ähnlichkeit nicht zwischen Wahrnehmungen und dem makroskopischen Verhalten materieller Körper, sondern zwischen dem für die Wirkung auf die Sinnesorgane relevanten mikroskopischen Verhalten materieller Körper und den dadurch verursachten Wahrnehmungen.161 Diese Ähnlichkeit bringt es mit sich, daß Wahrnehmungen nicht willkürlich sind, sondern in einer Beziehung (jrapport) zu den Spuren in unseren Organen
155 154
N E I l §23 (AVI, 6, 85). Mon. § 14 (GP VI, 608): „L'état passager qui enveloppe et represente une multitude dans l'unite, ou dans la substance simple, n'est autre chose que ce qu'on appelle la Percep-
tion (...)". 157
Mon. §16 (GP VI, 609). » Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 112). 159 Ebd. 160 Addition à l'explication du système nouveau (GP IV, 576). 161 Ebd. (GP IV, 575). ,5
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stehen.162 Deshalb repräsentieren Wahrnehmungen die Spuren materieller Gegenstände in den Organen und damit auch die Bewegungen oder allgemeiner die Modifikationen materieller Gegenstände.163 Um von hier zur These von Repräsentation des ganzen Universums in der Seele zu kommen, versucht Leibniz zwei Dinge zu zeigen. Zum einen möchte er zeigen, daß der Zustand eines materiellen Körpers die Zustände aller anderen materiellen Körper repräsentiert. Zum andern möchte er nachweisen, daß die Perzeptionen eines Lebewesens alle Vorgänge im Organismus dieses Lebewesens repräsentieren.
3.4.2. Die Repräsentation des Universums in materiellen Gegenständen Den entscheidenden Schritt zur Begründung des ersten Punktes bildet die These, daß kausale Verknüpfungen zwischen allen materiellen Körpern bestehen.164 Das bedeutet, daß die Zustände aller materiellen Körper zueinander in Beziehungen der kausalen Kovarianz stehen: Zwischen den Veränderungen eines materiellen Gegenstandes und den Veränderungen aller anderen materiellen Gegenstände bestehen gesetzmäßige Verbindungen. Dies ermöglicht es Leibniz, die Beziehungen unter den materiellen Gegenständen mit dem in der inneren Erfahrung gegebenen Begriff der Repräsentation oder Expression zu analysieren. Aufgrund der Kausalbeziehungen unter den materiellen Körpern besteht ein konstanter und gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen dem, was von einem beliebigen materiellen Körper, und dem, was von allen anderen materiellen Körpern gesagt werden kann. Deshalb spricht Leibniz von der expression zwischen dem materiellen Körper und dem (materiellen) Universum.165 In diesem Sinn faßt er den materiellen Körper auch als einen Spiegel des Universums (mirioir de l'univers) auf.166 Dabei ist wiederum von Bedeutung, daß sich die materiellen Körper je nach räumlicher Entfernung in mehr oder weniger starker
1(3 165 164
165 166
Ebd. Ebd. (GPIV, 575-576). Leibniz an Amauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 112). Kulstad geht ausführlich auf die Rolle ein, die Leibniz' Plenismus, seine Theorie der aktualen unendlichen Geteiltheit der Materie und seine Ablehnung der Gravitationstheorie für diese These spielen. (Leibniz's Expression Thesis, S. 191-200). Mon. §62 (GP VI, 617). Response aux reflexions contenues dans la seconde Edition du Dictionnaire Critique de M. Bayle, article Rorarius (GP IV, 557).
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Weise kausal beeinflussen. Dies beschreibt Leibniz als einen Unterschied im „Grad" der Expression: was einen Ort hat, muß diesen Ort in sich ausdrücken; sodaß es den Abstand und die Abstufungen der Distanz enthält und auch einen Grad, eine entfernte Sache auszudrücken, sie zu beeinflussen und von ihr einen Einfluß zu empfangen. Sodaß in Wirklichkeit die Lage einen Grad an Expression beinhaltet. opportet locatum exprimere locum in se; ita ut distantia distantiaeque gradus involvat etiam gradum exprimendi in se rem remotam, earn afficiendi aut ab ea affectionem recipiendi. Ita ut revera situs realiter involvat gradum expressionum.167 Auch steht jeder materielle Gegenstand aufgrund seiner räumlichen Lage in anderen kausalen Beziehungen zum Rest des materiellen Universums als ein beliebiger anderer materieller Gegenstand.168 Die Abschwächung kausaler Wirkungen und die Unterschiedlichkeit der kausalen Beziehungen bilden für Leibniz die Grundlage für den Gedanken der Perspektivität der Repräsentation des Universums im materiellen Körper: Jeder materielle Körper repräsentiert aufgrund seiner räumlichen und kausalen Beziehungen das Universum auf eine andere Weise als ein beliebiger anderer Körper.169
3.4.3. Die Repräsentation des Körpers in der Seele In einem zweiten Schritt versucht Leibniz die These zu begründen, daß in der Seele oder in den Perzeptionen eines Individuums alle organischen Vorgänge im Körper dieses Individuums repräsentiert sind. Nach Kulstad ist Leibniz' Begründung für diesen zweiten Schritt zirkulär, indem die Annahme, daß die Seele alle Vorgänge im Körper repräsentiert, ihrerseits damit begründet wird, daß die Seele alle Vorgänge im Universum repräsentiert.170 Dafür verweist Kulstad zum einen auf eine Stelle aus der Monadologie, an der Leibniz tatsächlich in diese Richtung argumentiert.171 Dieses Argument, das den Standpunkt der Theorie der einfachen Substanzen bereits voraussetzt, wird von Leibniz jedoch durch weitere Überlegungen ergänzt, die nicht schon von der Theorie der einfachen Substanzen abhängen. Dies wird in einer Passage aus einem Brief an Arnauld deutlich, die
167
Q
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C 15. Leibniz an Kurfürstin Sophie, 4. November 1696 (GP VII, 542); Specimen inventorum (GP VII, 316-317). Kulstad, Leibniz 's Expression Thesis, S.203-204. Mon. §62 (GP VI, 617).
170 171
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Kulstad als einen weiteren Beleg fur seine Deutung betrachtet.172 In dieser Passage führt der Gedankengang zwar auch von der Repräsentation des Universums zur Repräsentation des Körpers; doch macht Leibniz unmittelbar vor dieser Passage auf das Phänomen aufmerksam, daß wir von vielen Vorgängen im Körper eine konfuse Wahrnehmung haben, der eine Vielzahl von petites perceptions zugrunde liegen, die wir nicht unterscheiden können.173 Ähnlich zieht Leibniz die Phänomene des Wohlbefindens und des unbestimmten Unwohlseins oder der unbestimmten Unruhe als Beleg fur die Existenz von petites perceptions heran, die undeutlich erkannte körperliche Vorgänge zum Gegenstand haben.174 Auch in einem undatierten Fragment findet sich der Ansatz zu einem Argument für die Repräsentation aller körperlicher Vorgänge in der Seele. Dort erläutert Leibniz seine These, daß wir unseren Körper immer wahrnehmen, in der Weise: und es geschieht nichts im Körper, ohne daß es die Seele wahrnimmt; auch wenn sie nur neue Eindrücke bemerkt, die sich abheben. Aber auch neue Eindrücke im Körper würde die Seele nicht sogleich spüren, wenn sie nicht zuvor die gewohnten gespürt hätte. nec quicquam in corpore fit non percipiente anima; etsi non attendat nisi novis, quae se distinguunt. Sed nec nova statim in corpore sentiret anima, nisi antea etiam solita sentiret.175
Gemeinsam ist diesen Argumenten, daß sie sich auf die Existenz von petites perceptions stützen, die den Zustand des Körpers repräsentieren. Eine Ergänzung dieser Auffassung bildet die These, daß tatsächlich alle körperlichen Vorgänge in solchen petites perceptions repräsentiert werden. Diese These wird in der zuletzt betrachteten Passage ihrerseits durch Kontinuitätserwägungen gestützt: Ein Wahrnehmungszustand kann nach Leibniz nur graduell aus einem anderen, unbewußten Wahrnehmungszustand entstehen, da die Seele andernfalls zwischen dem normalen und einem davon abweichenden Zustand des Körpers nicht unterscheiden könnte. Die bewußte Wahrnehmung eines einzelnen abweichenden Zustandes setzt deshalb die unbewußte Wahrnehmung des normalen Gesamtzustandes des Organismus voraus. Nachdem die Entsprechung zwischen der Seele und dem Körper begründet ist, gewinnt schließlich die folgenden beiden Argumente Bedeutung: Zum einen kann die Seele, da der Körper aufgrund des durchgehenden kausalen Zusammen172 173 174 175
Leibniz an Arnauld, 6. Oktober 1687 (GP Π, 113). Ebd. NE II 20 § 6 (A VI, 6, 164-166). Semper corpus nostrum percipimus [ca. 1683-1686] (A VI, 4,1493).
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hangs der materiellen Welt niemals in völliger Ruhe sein kann, auch nie völlig ohne Perception sein.176 Zum andern repräsentiert die Seele, wenn sie den Körper repräsentiert, und dieser das Universum aus seiner Perspektive repräsentiert, von einem bestimmten Standpunkt aus das ganze Universum.177 Der physikalisch begründete kausale Zusammenhang aller Körper fuhrt auf diese Weise zum Gedanken von der perspektivischen Repräsentation des Universums in der Seele. Bemerkenswert ist, daß dieses Argument für die Perspektivität der Repräsentation des Universums in der Seele aus einem Text stammt, auf den Couturat und Jalabert die These von der rein logischen Begründung der Substanztheorie stützen. Daß ein solches Argument in diesem Zusammenhang vorkommt, zeigt noch einmal deutlich, daß die Ableitung der Substanztheorie aus der analytischen Urteilstheorie in den Augen von Leibniz schon in den Texten aus der Zeit des Discours de Métaphysique nicht die einzige Begründungsstrategie in der Metaphysik bildet.
176
177
NE II 1 §§ 9-10 (A VI, 6, 111-112): „on peut croire que si le corps n'est jamais en repos, l'ame qui y repond ne sera jamais non plus sans perception". C 15.
Kapitel ΠΙ: Die Analyse der materiellen Welt Die auf der Ebene des système commun entwickelten Aspekte der Theorie der metaphysischen Begriffe, so haben die Untersuchungen im vorangegangenen Kapitel gezeigt, führen weit in das Projekt einer deskriptiven Metaphysik hinein: in den Versuch, metaphysische Kategorien als Beschreibung der Strukturen des Denkens, Erinnerns und Wahrnehmens zu verstehen. Bisher wurde deutlich, wie sich Leibniz die Erkenntnis zentraler metaphysischer Begriffe - der Begriffe der Verknüpfung von Perzeptionen, der Spontaneität, der Einheit und der Repräsentation - vorstellt. Diesen Begriffen ist gemeinsam, daß sie in der inneren Erfahrung gegeben sind, und daß sie auf dem Weg der Analyse von Aussagen über unsere geistigen Aktivitäten erkannt werden können. Deutlich wurde aber auch, daß eine These wie die von der Repräsentation des Universums in den Perzeptionen eines Lebewesens über den in der inneren Erfahrung gegebenen Begriff der Repräsentation hinaus Erwägungen zum Aufbau der materiellen Welt voraussetzt. Ahnliche Verhältnisse lassen sich nun auch für die These von der Existenz immaterieller Substanzen in der Natur vermuten, die ihrerseits eine notwendige Voraussetzung für die These von der Autarkie der einfachen Substanz und damit auch für die These von der vollkommenen Verknüpfung und der vollkommenen Spontaneität ihrer Aktivitäten bildet. Die deskriptiven Aspekte von Leibniz' Theorie der Natur bestehen in der Analyse von Aussagen über die in der alltäglichen und der physikalischen Erfahrung gegebenen materiellen Welt mit Hilfe der auf dem Weg der Reflexion gewonnenen metaphysischen Begriffe. Für einen Zusammenhang zwischen physikalischen Überlegungen und Leibniz' Metaphysik spricht die schon erwähnte Äußerung, der zufolge die Analyse der Materie auf beweisendem Weg zur Theorie der einfachen Substanzen führt.1 Daß physikalische Überlegungen für die Begründung der Metaphysik eine Rolle spielen, wird auch dadurch nahegelegt, daß Leibniz die Substanztheorie wiederholt in einen Zusammenhang mit der Physik setzt, insbesondere mit dem von ihm entwickelten Kraftbegriff (dem Begriff der vis
Leibniz an Kurfllrstin Sophie, 31. Oktober 1705 (GP VII, 565).
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Die Analyse der materiellen Welt
viva)2 und mit der Ablehnung der Atomtheorie3. Der Mehrzahl der neueren Darstellungen zufolge besteht jedoch der Zusammenhang zwischen Physik und Metaphysik nur darin, daß Leibniz metaphysische Begriffe in Analogie zu physikalischen Begriffen gebildet hat, und daß er umgekehrt bestimmte physikalische Annahmen mit Hilfe der Metaphysik philosophisch rechtfertigt.4 Dies hat einige Interpreten zu der Auffassung gefuhrt, daß Leibniz' Metaphysik, wenn man sie vom systematischen Standpunkt aus betrachtet, von der Physik vollkommen unabhängig ist.5 Tatsächlich argumentiert Leibniz an verschiedenen Stellen von der Metaphysik zur Physik. So widerlegt er die Annahme der Existenz vollkommen unelastischer, qualitativ miteinander identischer Atome das Prinzip des zureichenden Grundes und (als dessen Folgesätze) das Kontinuitätsprinzip und das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren.6 Gegen die Realität des Raums und gegen die Existenz des Vakuums, beides Voraussetzungen der mechanistischen Atomtheorie, fuhrt Leibniz das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren an.7 Ahnlich widerlegt er die Bewegungsgesetze von Descartes durch das Prinzip des zureichenden Grundes und das Kontinuitätsprinzip.8 Auch versucht er, die Eigenschaften materieller Gegenstände als Resultat der Aktivitäten von einfachen Substanzen zu erklären, indem er physikalische Kräfte und die Trägheit materieller Körper als Modifikationen der Aktivitäten der einfachen Substanzen und in diesem Sinn als „derivative" Kräfte auffaßt.9
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DM § 18 (A VI, 4, 1558-1559); Leibniz an Emst von Hessen-Rheinfels l./ll. Februar 1686 (GP II, 13); De prima philosophia emendatione [1694] (GP IV, 469). Die beiden zuerst genannten Belege sprechen auch gegen die These von C.Wilson, erst seit dem Système nouveau orientiere sich Leibniz an der Dynamik {Leibniz 's Metaphysics, S. 156). SN (GP IV, 477-479). Guéroult, Leibniz. Dynamique et métaphysique, S.161, Hacking, „Individual Substance", S. 143-145, Buchdahl, Metaphysics and the Philosophy of Science, S.389; 406; Buchdahl, „The Interaction Between Science, Philosophy and Theology in the Thought of Leibniz", S.74-76; Martin, Leibniz, S.190-191; Garber, „Leibniz and the Foundations of Physics: The Middle Years", S.29; 77-91; C.Wilson, Leibniz's Metaphysics, S.121-122. Couturat, „Sur la métaphysique de Leibniz", S.22-25; Heimsoeth, Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz, S.269-271; Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S.46; 53; Mittelstraß, „Leibniz and Kant on Mathematical and Philosophical Knowledge", S.240; M.D.Wilson, „Leibniz's Dynamics and Contingency in Nature", S.136. NE préf. (A VI, 6, 57-58); NE Π 27 § 3 (A VI, 6, 230-231); Leibniz an Hartsoeker [1710] (GP III, 497); Leibniz an Hartsoeker 30. Oktober 1710 (GP III, 506); Leibniz an Hartsoeker, 16. Februar 1711 (GP III, 519); 4. Schreiben an Clarke (GP VII, 372; 378). NE préf. (A VI, 6, 57-58); 5. Schreiben an Clarke (GP VII, 395). Lettre de M. L. sur un principe general (GP III, 53). DM § 18 (A VI, 4, 1558-1559); Erster Entwurf zum SN (GP IV, 473); Leibniz an de Voider, 20. Juni 1703 (GP II, 251).
Das Mühlenargument
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Dennoch hat Leibniz für seinen Kraftbegriff auch Begründungen entworfen, die von der Theorie der einfachen Substanzen unabhängig sind.10 Die wichtigste dieser Begründungen geht von der Idee aus, Kräfte nach den Wirkungen zu bemessen, die bewegte Körper hervorbringen können.11 Diese Begründung setzt zwar, worauf Costabel hinweist, ein apriorisches und in diesem Sinn metaphysisches Prinzip der Gleichheit von Ursache und Wirkung voraus.12 Leibniz muß hier jedoch keine der spezifischen Aussagen des système nouveau voraussetzen. Auch gegen die Existenz unteilbarer Atome formuliert Leibniz Einwände, die von der Substanzmetaphysik und den metaphysischen Vernunftprinzipien unabhängig sind13 (auf einen von ihnen wird später noch einzugehen sein14). Dynamik und Atomismuskritik scheiden also nicht von vornherein als Grundlage für metaphysische Argumente aus.
1. Die Immaterialität der Seele: Das Mühlenargument Zunächst ist ein Argument fur die Immaterialität der Seele zu betrachten, das in den allgemeinen Kontext der Analyse der Materie gehört. Jolley hat die These formuliert, daß sich in den Nouveaux Essais keine positiven Argumente für die Immaterialität der Seele finden.15 Stattdessen vertritt Jolley die Auffassung, daß Leibniz die Immaterialität der Seele als etwas betrachtet hat, was keines positiven Beweises, sondern nur der Verteidigung gegen Einwände (z.B. der Verteidigung der Theorie der angeborenen Ideen als einer Konsequenz der Theorie der Immaterialität der Seele) bedarf.16 Ähnlich verweist M.D.Wilson auf eine Passage aus der Korrespondenz mit Arnauld, in der Leibniz sagt, wir könnten die
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Guéroult, Leibniz. Dynamique et métaphysique, stellt diese Begründungen ausführlich dar; zur Methode a posteriori: S. 21-55; zur Methode a priori: S. 118-154. Vgl. Brevis demonstratio erroris memorabilis Cartesii (A VI, 4, 2027-2029). Das Argument dort lautet: Ein Körper A mit Masse 1 kann, wenn er die Strecke 4 fällt, einen Körper Β mit Masse 4 um Strecke 1 heben, und umgekehrt; also hat A nach der Fallstrecke 4 die selbe Kraft, wie Β nach der Fallstrecke 1. Nach dem Fallgesetz von Galilei ist Fallhöhe proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit. Also ist Kraft = mv2. Costabel, Leibniz et la Dynamique, S.40; ebenso L.J.Russell, „Leibniz's Philosophy of Science", S. 13. Diese Argumente werden dargestellt von C.Wilson, „Leibniz and Atomism", S.186-199; C.Wilson, Leibniz's Metaphysics, S.131-137. Vgl. De ipsa natura (GP IV, 511); Leibniz an Hartsoeker 30. Oktober 1710 (GP III, 506); Leibniz an Hartsoeker, 8. Februar 1712 (GP III, 534). Vgl. unten Abschnitt 5. Jolley, Leibniz and Locke, S.104. Ebd., S.124.
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Möglichkeit einer einfachen und unteilbaren Substanz nicht bezweifeln, weil unsere Seele uns ein Beispiel für eine solche Substanz gibt.17 Auch in der Monadologie heißt es, daß wir eine Vielheit in einer einfachen Substanz erfahren, wenn wir erkennen, daß jeder unserer Gedanken eine Vielfalt in seinem Objekt enthält.18 Für diese Passagen schlägt Wilson zwei mögliche Deutungen vor: Entweder vertritt Leibniz die Auffassung, wir könnten uns auf selbstevidente Weise als einfache oder immaterielle Substanzen erfahren, ohne daß dabei ein Argument im Sinn einer logischen Folgerung eine Rolle spielt.19 Oder das Argument, das bei Leibniz unausgesprochen hinter diesen Äußerungen steht, ist der von Kant in der Kritik der reinen Vernunft als zweiter Paralogismus der reinen Vernunft kritisierte Fehlschluß von der Einheit der Erfahrung zur Erfahrung der Einheit.20 Wilson stellt hier eine Parallele her zwischen Leibniz' Überlegung in der auf den zitierten Abschnitt aus der Monadologie unmittelbar folgenden Passage und Kants Erläuterungen zum logischen Aufbau des zweiten Paralogismus. In der betreffenden Passage der Monadologie (und auch schon in früheren Texten) entwickelt Leibniz den Gedanken, daß sich alle Maschinen nur durch einen Unterschied in den Größenverhältnissen unterscheiden. Wenn wir etwa in eine Mühle eintreten, nehmen wir nur einzelne Teile wahr, die aufeinander einwirken, nicht aber etwas, was Perzeptionen erklären könnte, sodaß Gedanken und Perzeptionen als Resultat des Wirkens auch unendlich viel kunstvollerer natürlicher Maschinen nicht erklärbar sind.21 Kant erläutert die Prämisse des zweiten Paralogismus in der Weise, daß wir keinen Gedanken erhalten, wenn wir uns die Teile des Gedankens auf verschiedene Wesen verteilt denken.22 Wenn dies tatsächlich das Argument ist, das Leibniz vorgeschwebt hat, wäre die Position von Leibniz durch Kants Erwiderung auf ein solches Argument zu widerlegen. Diese Erwiderung lautet: die Einheit des Gedankens, der aus vielen Vorstellungen besteht, ist kollektiv und kann sich, den bloßen Begriffen nach, ebensowohl auf die kollektive Einheit der
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Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 112). Moa § 16 (GP VI, 609). M.D. Wilson, „Leibniz and Materialism", S.508. Ebd., S.509-513; ebenso Jolley, Leibniz and Locke, S. 123. Vgl. Kant, KrV, A 351-355. Dieser Paralogismus lautet bei Kant: „Dasjenige Ding, dessen Handlung niemals als die Konkurrenz vieler handelnden Dinge angesehen werden kann, ist einfach. Nun ist die Seele, oder das denkende Ich, ein solches: Also usw." (KrV, A 351). Mon § 17 (GP VI, 609); vgl. Leibniz an Bayle [Dezember 1702] (GP III, 68); NE préf. (A VI, 6, 65). KrV, A 352.
Das MUhlenargument
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daran mitwirkenden Substanzen beziehen, (...) als auch auf die absolute Einheit des Subjekts.23 Vor dem Hintergrund der von Kant in der Subjektiven Deduktion entwickelten Auffassung von der synthetischen Einheit des Denkens läßt sich diese Entgegnung, wie dies Kitcher vorschlägt24, so verstehen, daß nach Kant die Einheit des Denkens zwar nicht als das Resultat einer Ansammlung unverbundener Entitäten, wohl aber als das Resultat eines Systems zusammenwirkender Entitäten erklärt werden kann. In diesem Fall würde dem Mühlenargument bei Leibniz der von Kant offengelegte Fehlschluß zu Grunde liegen. So stellt sich die Frage, ob Leibniz die These von der Immaterialität der Seele auch auf eine andere Weise begründet hat. Eine interessante Unterscheidung zwischen der Repräsentation unter Körpern und der Repräsentation in der Seele findet sich in einem Fragment aus der Zeit des Discours de Métaphysique·. Der Seele hat die Aufgabe, verschiedene Zustände des Körpers miteinander zu verknüpfen, sodaß mit ihrer Hilfe Vergangenes und Zukünftiges gleichzeitig existiert, Vergangenes durch eine Art von Erinnerung, Zukünftiges durch Vorahnung. Und obwohl es wahr ist, daß auch der Körper sich auf seine vergangenen und gegenwärtigen Zustände bezieht: so besteht doch der Unterschied, daß im Körper nichts anderes als der gegenwärtige Zustand vorhanden ist, auch wenn dieser die Wirkung eines vergangenen und auf diesen als seine Ursache und er selbst Ursache eines zukünftigen und auf diesen als seine Wirkung bezogen ist. Hingegen in der Seele ist jeder Zustand an sich repräsentiert, ein vergangener als vergangener, ein zukünftiger als zukünftiger, ein gegenwärtiger als gegenwärtiger: jeder von ihnen wird nicht nur durch eine Folgerung ausgedrückt, sondern auch repräsentiert. Animae est connectera inter se différentes corporis status, ut ejus ope praeterita et futura simul existant, praeterita per quandam reminiscentiam, futura per praesensionem. Et licet verum sit corpus etiam praeteritos et praesentes suos status referre: hoc tamen interest, quod in corpore non est nisi praesens status, etsi is sit effectus praeteriti referons causam; et idem sit causa futuri referens effectum. Sed in anima omnis status per se repraesentatur, praeteritus ut praeteritus, futuras ut futuras, praesens ut praesens: unusquisque non solum exprimitur per consequentiam, sed et repraesentatur.25 Diese Unterscheidung läßt sich als eine Unterscheidung zwischen Repräsentation im Sinn von kausaler Kovarianz unter den Zuständen materieller Gegenstände und Repräsentation im Sinn des Gehalts geistiger Zustände interpretieren.
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KrV, A 353. Kitcher, „Kant's Paralogisms", S.543-544. Infiniti possunt gradus esse inter animas [ca. 1686] (A VI, 4, 1524-1525).
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Die These von Leibniz wäre in diesem Fall, daß der Gehalt geistiger Zustände über die Information hinausgeht, die in den Zuständen materieller Körper enthalten sind. Geistige Zustände sind intentionale Zustände, während Zustände materieller Körper dies prinzipiell nicht sein können. Wenn die betrachtete Passage in dieser Weise verstanden werden kann, bilden diese Überlegungen bei Leibniz ein Motiv für die Annahme der Immaterialität der Seele. Möglicherweise ist dies auch der Gedanke, der hinter dem Mühlenargument steht: Wenn Leibniz sagt, daß das Zusammenwirken materieller Teile nicht hinreicht, Perzeptionen zu erklären, so könnte er damit meinen, daß die kausale Kovarianz unter den Zuständen materieller Teile nicht hinreicht, um den intentionalen Charakter geistiger Zustände zu erklären. Dies wäre eine Möglichkeit, das Mühlenargument auf eine andere Weise zu verstehen, als nach dem Muster von Kants zweitem Paralogismus. Dem Mühlenargument würde in diesem Fall kein einfacher Fehlschluß zugrunde liegen. Im Gegenteil hätte Leibniz mit dem Mühlenargument den Kern der (allerdings vielleicht nicht prinzipiell unüberwindlichen26) Schwierigkeiten angesprochen, den das Phänomen der Intentionalität für eine physikalistische Theorie der Geistes aufwirft. In dem Brief an Bayle, in dem Leibniz das Mühlenargument zum ersten Mal entwickelt, ergänzt Leibniz dieses Argument um zwei weitere Argumente für die Immaterialität der Seele, die seiner Ansicht nach auch dann gelten würden, wenn das Mühlenargument nicht gültig wäre.27 Das erste dieser beiden Argumente lautet: da das Denken die auf sich selbst bezogene Tätigkeit ein und desselben Gegenstandes ist, findet dies nicht statt in den Figuren und den Bewegungen, die niemals ein Prinzip einer wahrhaft inneren Tätigkeit aufweisen können. la pensée estant l'action d'une même chose sur elle même, cela n'a point de lieu dans les figures et dans les mouvemens, qui ne sauraient jamais monstrer le principe d'une action véritablement interne.2"
Das zweite Argument lautet: Es muß einfache Entitäten gegen, andernfalls gäbe es keine zusammengesetzten Entitäten oder in einer Ansammlung bestehende Entitäten, die eher Phänomene als Substanzen sind, und die eher „dem Gesetz nach" als „in der Natur" (d.h. eher auf moralische oder vernunftabhängige als auf physikalische Weise) exisitieren, um mit Demokrit zu sprechen.
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Vgl. Saporiti, Die Sprache der Geistes, S. 19-36. Leibniz an Bayle [Dezember 1702] (GP III, 69). « Ebd.
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il faut des estres simples, autrement il n'y aurait point d'estres composés ou estres par aggregation, lesquels sont plustot des phenomenes que des substances, et existent plustost νομω que φύσει (c'est à dire plustost moralement ou rationalement que physiquement) pour parler avec Democrite.29 Diese beiden Argumente sollen (in umgekehrter Reihenfolge) in den folgenden beiden Abschnitten betrachtet werden.
2. Die Existenz immaterieller Substanzen in der Materie: Die Analyse der Ausdehnung Das zweite der eben betrachteten Argumente läßt sich als ein Argument von der Analyse der Ausdehnung zur Existenz von einfachen Substanzen beschreiben. Nach Russell hat dieses Argument die folgende Gestalt: What can be divided into several (...) is an aggregate of several; an aggregate is one only for the mind, and has no reality but what is conferred by its constiuents. Hence there are in things indivisible unities, because otherwise there will be in things no true unities (...).30 Auch in der neueren Literatur wird das Argument in dieser Weise wiedergegeben, d.h. als ein Argument, das von den Annahmen, daß nur unteilbare Einheiten Realität besitzen, und der Tatsache, daß Materie ausgedehnt und damit unterteilbar ist, unmittelbar zu der These fuhrt, daß wenn Materie etwas Reales ist, ihr unteilbare und daher immaterielle Substanzen zugrunde liegen müssen.31 Eine solche Rekonstruktion, so soll im folgenden gezeigt werden, ist in verschiedenen Hinsichten unzureichend: Zum einen macht sie nicht alle Voraussetzungen explizit, unter denen das betrachtete Argument steht. Zum zweiten erfaßt sie, obwohl auch Leibniz das Argument an einigen Stellen in der 29
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Ebd.; vgl. Ad Constitutionen! Scientiae Generalis [ca. 1682] (A VI, 4, 477): „Hoc saltern animadversione dignum censeo, quod Democritus saepe asseruit solummodo spatium et materiam (sive ut ille loquebatur, vacuum et inane) et materiae figuras motusve revera in rebus coiporeis esse, ceateras vero qualitates corporum existere tantum νομω hoc est, quod pauci assecuti sunt, non natura sed lege sive opinione". Zu Demokrit vgl. Aristoteles, Met. A 4,985b5; Phys., 188a22-23; Sextus Empiricus, Adversus Mathematicos, VII, 135. B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S. 104-106. Russell verweist hier auf den Brief an de Voider vom 30. Juni 1704 (GP II, 267) und auf parallele Passagen aus der Korrespondenz mit Amauld (29. November/ 8. Dezember 1686, GP II, 77; 9. Oktober 1687, GP II, 127) und einem Brief an Lady Masham (September 1704, GP III, 363). Robinet, Architectonique disjonctive, automates systémiques et idéalité transcendental dans l'Oeuvre de G. W. Leibniz, S.343-344; Rutherford, „Leibniz's 'Analysis of Multitude and Phenomena into Unities and Reality'", S.534; Baxter, „Corporeal Substances and True Unities", S.162-163.
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selben verkürzten Weise formuliert, nicht alle argumentativen Schritte, die in diesem Argument enthalten sind. Und schließlich sagt sie nichts über die systematische Stellung aus, die dieses Argument im Aufbau von Leibniz' Metaphysik hat.
2.1. Sein, Einheit und Organisation Zu den Voraussetzungen des Arguments gehört, worauf auch Russell aufmerksam macht32, die scholastische Gleichsetzung von Seiendem (ens) und Einem (unum), die Leibniz aufnimmt33. Für den Sinn, den Leibniz mit diesem Prinzip verbindet, ist sein ausdrücklicher Verweis auf Parmenides und Piaton von Bedeutung.34 Leibniz gibt damit einen indirekten Hinweis darauf, daß der Begriff der Identität das verbindende Glied zwischen den Begriffen der Einheit und des Seienden bildet: Bereits Parmenides versteht das Seiende als etwas, was mit sich identisch ist und dafür eine unteilbare Einheit besitzen muß35. Auch bei Piaton ist das Seiende das, was Identität mit sich selbst besitzt, und nur das, was eine unwandelbare Einheit aufweist, ist für ihn in diesem Sinn etwas Seiendes.36 Im Hintergrund steht bei Leibniz also nicht ein bloßer Rückgriff auf ein dogmatisches Prinzip, sondern eine Überlegung, die in neuerer Gestalt in einem Prinzip wie Quines „No entity without identity"37 zum Ausdruck kommt: Um etwas als etwas Seiendes ansprechen zu können, muß es Identität besitzen. Und diese Bedingung, so lautet der Gedanke von Leibniz, kann etwas nur erfüllen, wenn es in einem bestimmten Sinn eine Einheit bildet. Diese Verbindung zwischen den Begriffen der Einheit und der Identität spielt eine Rolle in Leibniz' Diskussion des Problems der Einheit und Identität materieller Gegenstände. Bereits im Discours de Métaphysique argumentiert Leibniz, daß Eigenschaften, die etwas auf die Perzeptionen eines erkennenden Subjekts Bezogenes an sich haben, wie Größe, Gestalt, Bewegung oder die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften wie Farbe oder Wärme, allein keine Substanz konstituieren können.38 Auch sind materielle Gegenstände für Leibniz 32
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B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S. 101. Leibniz an Arnauld, 30. April 1687 (GP II, 97); Leibniz an de Voider, 20. Juni 1703 (GP II, 250-251). Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 119). Plutarch, Adv. CoL 13, 1114 B-D (Diels/ Kranz 28 A 34, Β 10). Platon, Phaid., 78 D, 80 B; Tim., 27 D. Vgl. Quine, 'On what there is', S.4. DM § 12 (A VI, 4, 1545); Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 119)
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bloße Aggregate aus Teilen, die auf beliebige Weise zu Einheiten zusammengefaßt werden können: Die Individuierung von Aggregaten hängt in der Weise von der Wahrnehmung oder vom Verstand ab, daß Aggregate nur im Geist eine Einheit bilden.39 Daraus zieht Leibniz die Konsequenz, daß wenn es kein anderes Prinzip der Identität im Körper gäbe - nämlich eine Seele oder substantielle Form - die Körper keine über den Augenblick hinaus andauernde Identität besitzen würde40 Leibniz hat seine Auffassung, daß nur eine immaterielle Substanz die Einheit und Identität eines Lebewesens gewährleisten kann, ausdrücklich in Kontrast zu Lockes Auffassimg entwickelt, daß die Einheit des Lebewesens in der konstanten Organisation von Teilen besteht.41 In den Nouveaux Essais entwickelt Leibniz für die These, daß nur eine immaterielle Substanz die Einheit eines Lebewesens ausmachen kann, ein in der Literatur oft übersehenes Argument. Der Vorschlag von Philalèthe, der im Dialog die Position Lockes vertritt, lautet, daß die Organisation von Teilen die Einheit oder Identität eines Lebewesens ausmacht.42 Leibniz erwidert darauf in der Person von Theophile: Die Organisation oder Konfiguration ohne ein zugrundeliegendes Lebensprinzip, das ich Monade nenne, genügt nicht für den Fortbestand des numerisch Identischen oder des selben Individuums; denn die Konfiguration kann spezifisch fortbestehen, ohne individuell fortzubestehen. L'organisation ou configuration sans un principe de vie subsistant, que j'appelle Monade, ne suffiroit pas pour faire demeurer idem numero ou le même individu; car la configuration peut demeurer spécifiquement, sans demeurer individuellement.43
Leibniz fügt diesem Argument ein (etwas unglücklich gewähltes) Beispiel an, in dem er auf die Möglichkeit der chemischen Veränderung von Eisen zu Kupfer
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Leibniz an Arnauld, 30. April 1687 (GP II, 97); Leibniz an de Voider, 20. Juni 1703 (GP II, 250); NE II 24 §1 (A VI, 6,226); Entretien de Philarete et d'Ariste (GP VI, 586). DM § 12 (A VI, 4, 1545); Leibniz an Arnauld, 30. April 1687 (GP II, 97). SN (GP IV, 482): „De plus, par le moyen de l'ame ou forme, il y a une veritable unité qui repond à ce qu'on appelle moy en nous; ce qui ne scauroit avoir lieu ny dans les machines d'art, ny dans la simple masse de la matiere, quelque organisée qu'elle puisse estre; qu'on ne peut considérer que comme une armée ou un troupeau, ou comme un estang plein de poissons (...)". Vgl. Locke, Essay Concerning Human Understanding, II, xxvii, 4: „That being then one Plant, which has such an Organization of Parts in one coherent Body, partaking of one Common Life, it continues to be the same Plant, as long as it partakes in the same Life, though that Life be communicated to new Particles of Matter vitally united to the living Plant, in a like continued Organization, conformable to that sort of Plants". NE II27 § 4 (A VI, 6,231).
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unter Beibehaltung der äußeren Form hinweist.44 Hier läßt sich einwenden, daß zwar die äußere Form des Gegenstandes, nicht aber die innere chemische Struktur gleichbleibt. Davon unberührt bleibt aber der Kern des Arguments von Leibniz: Zwei Dinge der gleichen Art können die gleiche innere Struktur haben, ohne daß sie deshalb das gleiche Individuum wären; folglich reicht der Fortbestand der inneren Struktur als Kriterium für die Einheit und Identität eines Individuums nicht hin. Dies wiederum ist eine notwendige Voraussetzung für das betrachtete Argument von der Teilbarkeit der Materie zur Existenz einfacher Substanzen. Denn wenn die Organisation materieller Teile hinreichen würde, die Einheit und Identität materieller Gegenstände zu sichern, würden die Prämisse, daß nur wahre Einheiten etwas Reales sind, und die Annahme, daß materielle Gegenstände etwas Reales sind, zwar auf die Notwendigkeit wahrer Einheiten in der materiellen Welt, nicht aber auf die Existenz immaterieller Substanzen führen. Auch auf eine weitere Voraussetzung des Arguments von der Analyse der Ausdehnung der Existenz einfacher Substanzen wurde bereits von Russell hingewiesen. In Hinblick auf die verbreitete Ansicht, daß die Metaphysik von Leibniz von physikalischen Überlegungen vollkommen unabhängig ist, ist es sinnvoll, die Bedeutung dieser Voraussetzung zu betonen. Es ist offensichtlich, daß das Argument nur dann gültig ist, wenn zugleich ausgeschlossen wird, daß die Atome die unteilbaren Einheiten in der Materie sind.45 Diesen Zusammenhang macht Leibniz in einer Passage aus dem Système Nouveau deutlich (an der er aber alle vermittelnden Schritte ausläßt). Dort wird aus der Tatsache, daß die Realität der materiellen Gegenstände wahre Einheiten voraussetzt, und der Annahme, daß es keine Atome gibt, erschlossen, daß es immaterielle Einheiten gibt.46 Leibniz' Atomismuskritik bildet also eine notwendige Voraussetzung des Argumentes für die Existenz einfacher Substanzen. Auf diese Weise treten physikalische Überlegungen in einen unmittelbaren Begründungszusammenhang zur Metaphysik.
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Ebd. B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.105. SN (GPIV, 478); vgl. GPII, 72; Leibniz an Amauld, 30. April 1687 (GPII, 96).
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2.2. Die Existenz einfacher Substanzen und die Theorie der körperlichen Substanzen Die möglicherweise genaueste Fassung des Arguments von der Analyse der Ausdehnung zur Existenz einfacher Substanzen findet sich im Brief an de Voider vom 21. Januar 1704.47 Diese Fassung deutet daraufhin, daß die Rekonstruktion von Russell die konkrete Gestalt des Arguments nicht vollständig erfasst, daß vielmehr bei Leibniz die Analyse der Ausdehnung nur über einen Zwischenschritt auf die Existenz immaterieller Substanzen führt. Der Gedankengang beginnt hier mit der Definition des unum als dem, was nicht in mehreres geteilt werden kann. Weiter sagt Leibniz, daß er die Existenz von unitates verae et reales vertrete, um damit die Existenz von Entelechien (d.h. einfachen Substanzen) zu beweisen. Die Existenz dieser unitates verae et reales begründet Leibniz nun wiederum damit, daß andernfalls in den Körpern nichts wäre. Und dies wird seinerseits durch die drei Prämissen erschlossen (1) was in mehreres geteilt werden kann, ist ein Aggregat aus Mehrerem, (2) ein Aggregat besitzt nur eine Einheit im Geist und hat keine andere Realität, (3) das Teilbare hat nur Realität, wenn Unteilbares in ihm enthalten ist. Obwohl Leibniz nicht näher erläutert, was er unter den unitates verae et reales versteht, lassen sie sich als Entitäten verstehen, die Leibniz an anderer Stelle als „körperliche Substanzen" („substances corporelles") bezeichnet. Bereits die Form des betrachteten Arguments aus der Korrespondenz mit de Voider legt es nahe, daß es sich bei den unitates verae et reales um etwas anderes als um einfache Substanzen handeln muß; denn andernfalls würde die Existenz einfacher Substanzen auf zirkuläre Weise über die Existenz einfacher Substanzen begründet. Für die Gleichsetzung der unitates verae et reales mit körperlichen Substanzen sprechen parallele Stellen aus der Korrespondenz mit Arnauld, in denen, worauf auch Rutherford hinweist48, die Existenz einfacher Substanzen über die Existenz körperlicher Substanzen begründet wird. Am deutlichsten kommt dies in einer Passage zum Ausdruck, in der Leibniz formuliert: Ich schreibe substantielle Formen allen körperlichen Substanzen zu, die eine mehr als maschinenartige Einheit besitzen. (...) Wenn es keine körperlichen Substanzen gäbe, wie ich es annehme, würde folgen, daß die Körper nichts anderes als wahrhafte Phänomene wären, wie der Regenbogen. 41
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GP II, 261-262. Rutherford, „Leibniz's 'Analysis of Multitude and Phenomena into Unities and Reality'", S.532-533.
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Die Analyse der materiellen Welt je donne des formes substantielles à toutes les substances corporelles plus que machinalement unies. (...) s'il n'y a aucunes substances corporelles, telles que je veux, il s'ensuit que les corps ne seront que des phenomenes véritables, comme Γ arc en ciel.49
Der Zwischenschritt über die Existenz körperlicher Substanzen findet sich auch an anderer Stelle: Sie sagen, daß Sie nicht sehen, was mich dazu führt, diese substantiellen Termini oder vielmehr jene durch eine wahrhafte Einheit gekennzeichneten körperlichen Substanzen zuzulassen; doch dies geschieht, weil ich keine Realität ohne eine wahrhafte Einheit anerkenne. Vous dites de ne pas voir ce qui me porte à admettre ces termes substantielles ou plustost ces substances corporelles douées d'une veritable unité; mais c'est parcequeje ne concois nulle realité sans uns veritable unité.50 Eine Rekonstruktion des Arguments aus dem Brief an de Voider entlang diesen Linien steht allerdings in einem Gegensatz zu der von Garber, C. Wilson, Adams und Rutherford vertretenen Ansicht, Leibniz habe etwa seit 1704, d.h. etwa seit der Zeit, aus der auch der hier betrachtete Brief an de Voider stammt, den Begriff der körperlichen Substanz aufgegeben oder die Existenz körperlicher Substanzen zumindest nicht mehr explizit vertreten.51 Für diese These scheint zu sprechen, daß Leibniz in einem weiteren Brief an de Voider aus dem Jahr 1704 sagt, es gebe in den Dingen nichts anderes als einfache Substanzen und in den einfachen Substanzen Perzeptionen und das Streben von Perzeption zu Perzeption, während Materie und Bewegung als bloße Phänomene zu betrachten sind.52 In der Zeit des Discours de Métaphysique und des Système Nouveau, bis hin zur Korrespondenz mit de Voider im Jahr 1703, ist die Theorie der „körperlichen" Substanzen gut belegt. Leibniz betrachtet dabei einen organischen Körper zusammen mit einer dominierenden einfachen Substanz als eine
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Leibniz an Arnauld, 28. November/ 8. Dezember 1686 (GP II, 77). Leibniz an Arnauld, 30. April 1687 (GP II, 97). Garber, „Leibniz and the Foundations of Physics: The Middle Years", S.28-29; C.Wilson, Leibniz's Metaphysics, S.190-196; Adams, Leibniz, S.295-299; Rutherford, „Leibniz's 'Analysis of Multitude and Phenomena into Unities and Reality'", S.533; Rutherford, Leibniz and the Rational Order of Nature, S.266-276. Ähnlich vertritt Smith die Auffassung, daß das Thema der körperlichen Substanzen nach 1704 durch das Thema des Organismus ersetzt wurde („On the Fate of Composite Substances After 1704", S.204-205). Leibniz an de Voider, 30. Juni 1704 (GP II, 270).
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körperliche oder „zusammengesetzte" Substanz.53 Was einen organischen von einem anorganischen Körper unterscheidet, ist dabei der Bezug auf die Perzeptionen einer einfachen Substanz. Vom Standpunkt der Theorie der einfachen Substanzen aus betrachtet Leibniz den Körper seinerseits als ein Aggregat einfacher Substanzen54. Eine einfache Substanz dominiert andere einfache Substanzen, indem sie deren Zustände distinkter perzipiert als die Zustände aller anderen einfachen Substanzen55. Diese Konzeption erlaubt es Leibniz, die Auffassung, daß es in der Welt nichts anderes als einfache Substanzen und deren Zustände gibt56, in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Auffassung zu vertreten, daß neben den einfachen Substanzen auch körperliche Substanzen existieren. Die These, daß Leibniz diese Auffassung von der Existenz körperlicher Substanzen in späterer Zeit aufgegeben hat, stützt sich vor allem auf eine kurze Antwort von Leibniz auf einen Artikel von de Tournemine im Journal de Trévoux, in der Leibniz hervorhebt, daß seine Theorie der prästabilierten Harmonie zwischen Leib und Seele keine Erklärung der urtio metaphysica im von de Tournemine geforderten Sinn einer Inhärenz der Seele im Leib ist.57 Dies hindert Leibniz jedoch keineswegs, Lebewesen auch weiterhin als körperliche Substanzen aufzufassen. Noch 1715 spricht er davon, daß die Realität der Materie die Existenz körperlicher Substanzen voraussetzt.58 Auch einem Text aus dem unmittelbaren Umfeld der Monadologie zufolge konstituieren Seele und Masse eine körperliche Substanz.59 Nach einem Brief von 1711 konstituieren eine Monade und ein organischer Körper die substantia corporea.60 Und auch für die Zeit um 1704/1705 läßt sich die Theorie der körperlichen Substanzen
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Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 120); SN (GPIV, 481); Leibniz an de Voider, 20. Juni 1703 (GP II, 252). Silva de Choudens, „Are there Corporeal Substances for Leibniz?", stellt die Theorie der körperlichen Substanzen nur für die Phase um 1686 dar. Nach Cassirer und Baxter sind die körperlichen Substanzen nichts anderes als die dominierenden einfachen Substanzen (Cassirer, Leibniz' System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, S.408; Baxter, „Corporeal Substances and True Unities", S. 167). Für eine solche Gleichsetzung fehlen jedoch direkte Textbelege. Sie beruht auf der problematischen Annahme, daß eine Vielzahl von einfachen Substanzen in den Augen von Leibniz keine wahre Einheit bilden können. Vgl. Adams, Leibniz, S.241; Hoffinan, „The Being of Leibnizian Phenomena", S.l 10-112; Rutherford, „Phenomenalism and the Reality of Body", S. 16-20; Rutherford, „Leibniz and the Problem of Monadic Aggregation", S.86-90. Vgl. Adams, Leibniz, S.285-291. DM§ 14 (A VI, 4, 1549-1551). Remarque de l'Auteur du Système de l'Harmonie préétablie (GP VI, 595); vgl. de Tournemine, Conjectures sur l'Union de l'ame et du corps, S.869-871. Leibniz an Remond, 4. November 1715 (GP III, 684-685). Entretien de Philarète et d'Ariste (GP VI, 588). Leibniz an Bierling, 12. August 1711 (GP VII, 501).
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nachweisen.61 Diese Beftmde sprechen dafür, daß Leibniz die Theorie der körperlichen Substanzen nicht aufgegeben hat. Hat Leibniz die körperlichen Substanzen aber auch weiterhin als wahre Einheiten betrachtet? Adams hat auf eine interessante Passage hingewiesen, in der Leibniz für die Erklärung der Einheit der körperlichen Substanzen auf die scholastische Theorie zugreift, der zufolge Substanzen, die in der Natur nie voneinander getrennt vorkommen, fur sich betrachtet unvollständig sind.62 Erst in ihrer Verbindung bilden diese Substanzen eine vollständige Entität. In diesem Fall bildet etwa nach Suárez eine Entität, die aus mehreren Entitäten gebildet wird, dennoch eine Einheit ( unum per se).63 Leibniz greift diese Theorie wenigstens an einer Stelle explizit auf, um die Einheit von Leib und Seele vom Standpunkt der Theorie der prästabilierten Harmonie aus zu verteidigen: Die Schulmeinung, Seele und Materie hätten etwas Unvollständiges an sich, ist nicht so absurd, wie man denkt. Denn Materie ohne Seelen und Formen oder Entelechien ist nur passiv, und Seelen ohne Materie wären nur aktiv: Die vollständige körperliche Substanz, wahrhaft Eine, die die Scholastik „Eines an sich" (im Gegensatz zu einer durch Ansammlung entstandenen Entität) nennt, muß aus dem aktiven Prinzip der Einheit und der Masse, die die Vielheit ausmacht, resultieren (...). L'opinion de l'Ecole, que l'ame et la matiere ont quelque chose d'incomplet, n'est pas si absurde qu'on pense. Car la matiere sans les ames et formes ou entelechies n'est que passive, et les ames sans matiere ne seraient qu'actives: la Substance corporelle complete, véritablement une, que l'Ecole appelle unum per se (opposé à l'estre par aggregation), devant résulter du principe de l'unité qui est actif, et de la masse qui fait la multitude (...).64 Die Masse, die unseren Körper ausmacht, besteht, wie Leibniz anschließend deutlich macht, ihrerseits aus körperlichen Substanzen.65 Seele und Körper sind also für sich genommen unvollständige Entitäten, während sie gemeinsam eine vollständige Entität und damit eine Einheit im genannten scholastischen Sinn bilden. Gegen Adams' These, daß Leibniz eine solche Konzeption der Einheit körperlicher Substanzen nach der Kritik von de Tournemine aufgegeben hat, spricht der Umstand, daß Leibniz auch nach seiner Reaktion auf de Tournemine Seelen und organische Körper als Entitäten betrachtet, die in der Natur nicht
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Leibniz an Lady Masham, 30. Juni 1704 (GP III, 357); GP VI, 550 [1705], Adams, Leibniz, S.293-294. Suárez, Disputationes Metaphysicae, IV, iii, 8. Addition à l'Explication du système nouveau (GP IV, 572). Ebd.
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getrennt voneinander vorkommen können. So schreibt er etwa im Dezember 1711 an Hartsoeker: ich stimme zu, daß es unter den erschaffenen Dingen keine von jeglichem Körper getrennte und entkleidete Substanz gibt. je demeure d'accord qu'il n'y a point de substance separée et destituée de tout corps parmi les creatures." Daß gemäß der Ordnung der Natur keine Monade ohne einen Körper vorkommt, ist ein Gedanke, der in Texten aus dem Jahr 1704 und auch danach an einer Vielzahl von Stellen wiederkehrt.67 Auch daß Seele und Körper unvollständige Entitäten im Sinn der betrachteten scholastischen Auffassung sind, bleibt ein fester Bestandteil von Leibniz' Denken. Im Jahr der Antwort auf de Tournemine spricht Leibniz davon, daß die Seele allein etwas Unvollständiges ist, während Leib und Seele gemeinsam eine vollständige Substanz bilden.68 Die Seele ohne Körper und den Körper ohne Seele bezeichnet er auch als „unvollständige substantielle Dinge" („choses substantielles incompletes").69 In einem Brief aus dem Jahr 1710 sagt Leibniz, daß es seiner Meinung nach keine „vollständige Kreatur" („créature complete") ohne Körper und daher auch keine gänzlich von einem Körper getrennte Seelen gibt.70 Noch 1715 spricht Leibniz davon, daß Leib und Seele gemeinsam ein unum per se bilden.71 Es finden sich also verschiedene Anhaltspunkte für die Annahme zu, daß das Argument für die Existenz einfacher Substanzen in dem betrachteten Brief an de Voider über den Zwischenschritt der Existenz körperlicher Substanzen führt: Die unitates verae et reales, deren Existenz die Existenz einfacher Substanzen beweisen soll, müssen selbst etwas anderes sein, als einfache Substanzen. Das Argument über die Existenz körperlicher Substanzen ist ein vor 1704 mehrfach belegtes Argumentationsmuster. Und schließlich hat Leibniz die Theorie der körperlichen Substanzen und die These von ihrer Einheit weit über 1704 hinaus vertreten.
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Leibniz an Hartsoeker 7. Dezember 1711 (GP III, 529); vgl. Leibniz an Hartsoeker, 30. Oktober 1710 (GP III, 507). GP III, 340 [1704]; GP III, 363 [1704]; GP VI, 545 [1705]; GP VII, 570 [1706]; GP VII, 530 [1710]; GP VII, 535 [1711]. Th. § 90 (GP VI, 152); Mon. § 72 (GP VI, 619). Leibniz an Lady Masham, 30. Juni 1704 (GP III, 357). Leibniz an Lady Masham, September 1704 (GP III, 363). Leibniz an Hartsoeker, 30. Oktober 1710 (GP III, 509). Leibniz an Remond, 4. November 1715 (GP III, 658).
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Die Analyse der materiellen Welt 2.3. Körperliche Substanzen und die Realität der Außenwelt
Die vorangegangenen Überlegungen werfen die Frage auf, ob der betrachtete Zwischenschritt über die Existenz körperlicher Substanzen nicht eine unnötige Komplizierung des Arguments für die Existenz einfacher Substanzen bildet. Zunächst spricht der Umstand, daß Leibniz diesen scheinbaren Umweg über die Existenz körperlicher Substanzen nimmt, gegen Robinets These, daß Leibniz eine Ontologie, die allein auf der Existenz einfacher Substanzen aufbaut, und eine Ontologie, die neben der Existenz einfacher Substanzen auch die Existenz körperlicher Substanzen annimmt, als zwei miteinander unvereinbare theoretische Optionen betrachtet hat.72 Da die körperlichen Substanzen, vom Standpunkt des système nouveau betrachtet, ihrerseits aus einer Vielzahl einfacher Substanzen resultieren, ist die Annahme der Existenz körperlicher Substanzen mit der Auffassung vereinbar, daß es in der Welt nichts anderes als einfache Substanzen gibt. Tatsächlich scheint Leibniz den Zwischenschritt über die Existenz körperlicher Substanzen aber auch unter systematischen Gesichtspunkten als notwendig betrachtet zu haben. Bereits in Texten aus den frühen 1680-er Jahren formuliert Leibniz als die grundlegende Alternative zwischen zwei miteinander unvereinbaren theoretischen Optionen die Alternative zwischen der Realität und der Irrealität der materiellen Welt, verstanden als Alternative zwischen der Annahme der Existenz der materiellen Welt und einem extremen Phänomenalismus, dem zufolge materielle Gegenstände nichts anderes als geistige Vorstellungsbilder sind73. Unter diesen Voraussetzungen ist aber der Zwischenschritt über die Existenz körperlicher Substanzen eine notwendige Voraussetzung für die Begründung der Existenz einfacher Substanzen. Denn Leibniz betrachtet die Annahme der Realität der Materie gleichbedeutend mit der Annahme, daß es körperliche Substanzen, d.h. identifizierbare Einheiten in der Materie gibt: es ist völlig unmöglich uns Gewißheit zu verschaffen über die Existenz der Körper, oder jemals mit philosophischen Argumenten zu beweisen, ob Körper Erscheinungen oder Substanzen sind. (...) Auf keine Weise kann mit natürlicher Vernunft bewiesen werden, ob es teilbare oder körperliche Substanzen gibt. Robinet, Architectonique disjonctive, automates systémiques et idéalité transcendental dans l'Oeuvre de G. W. Leibniz, S. 13-36. A VI, 4, 307 [1681-1686]: „Itaque non alio modo sciri potest realitas objectorum quae sensus nostras afficiunt quam a priori, considerando nos non posse esse solos in Mundo (...): et licet possibile videatur in se omnia illa esse Phantasmata, non tarnen est possibile in Mundo considerata ratione rerum universali. Illud tamen nondum demonstrare possum, quod Corpora sint Entia realia (...) ".
Die Analyse der Ausdehnung
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impossibile est ullo modo nos certos reddi posse, de existentia corporum, seu impossibile esse rationibus philosophicis probari unquam corpora ne sint apparentiae an substantíae. (...) Nullo modo probari potest ratione naturali, quod dentur substantiae divisibiles seu corporeae.74 Dem entsprechend formuliert Leibniz die Alternative zwischen der Realität und der Irrealität der materiellen Welt als eine Alternative zwischen der Existenz körperlicher Substanzen und einem radikalen Phänomenalismus: ich möchte zeigen, daß alle Körper, in denen keine Seele oder substantielle Form ist, bloße Erscheinungen sind, ähnlich wie Träume (...). Daraus folgt, daß Körper entweder keine realen Entitäten, oder auf eine bestimmte Weise beseelt sind. ostendam omnia corpora in quibus nulla inest Anima vel forma substantialis esse apparentia tantum, instar somniorum (...). Unde sequitur aut corpora non esse Entia realia, aut omnia corpora esse quoddammodo animata.75 Gäbe es keine identifizierbaren Einheiten in der materiellen Welt, gäbe es also nach Leibniz keinen Grund, überhaupt von der Realität der materiellen Welt zu sprechen. Die Existenz immaterieller Substanzen läßt sich nur dadurch erschließen, daß nur durch den Bezug auf immaterielle Substanzen Identitätsbedingungen für materielle Körper angegeben werden können. Ohne die Voraussetzung der Existenz körperlicher Substanzen würde die Analyse der Ausdehnung keinen Grund ergeben, die materielle Welt als Erscheinung einfacher Substanzen zu betrachten. Zugunsten der Rekonstruktion des Arguments für die Existenz einfacher Substanzen über den Zwischenschritt der Existenz körperlicher Substanzen spricht auch, daß auf diese Weise nicht nur die Auffassung von der Existenz immaterieller Substanzen, sondern auch die These vom organischen Aufbau der Materie begründet wird. Daß sich in jedem noch so kleinen Teil der Materie Organismen mit einer dominierenden Monade finden, ist ein Grundgedanke von Leibniz' Ontologie.76 Wird das betrachtete Argument für die Existenz einfacher Substanzen in der Weise rekonstruiert, wie dies Russell vorschlägt, wäre damit keine Begründung für eine solche Auffassung verbunden. Da auch das im folgenden Abschnitt zu betrachtende Argument vom Begriff der vis viva und der 74 75
76
Distinctio mentis et corporis [ca. 1677-1678] (A VI, 4, 1368-1369). Notationes generates [ca. 1683-1686] (A VI, 4, 555). Vgl. Leibniz an Amauld, 30. April 1687 (GP II, 97): „Vous objectez, Monsieur, qu'il pourra être de l'essence du corps de n'avoir pas de vraie unité, mais il sera donc de l'essence du corps d'être un phénomène, dépourvu de toute réalité, comme serait un songe réglé, car les phénomènes mêmes comme l'arc-en-ciel, ou comme un tas de pierre seraient tout à feit imaginaires, s'ils n'étaient composés d'êtres qui ont une véritable unité". Mon. §§ 66-70 (GP VI, 618-619); PNG § 1 (GP VI, 598); PNG § 3 (GP VI, 598).
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Die Analyse der materiellen Welt
Passivität der Materie zur Existenz einfacher Substanzen keine solche Begründung leisten kann, müßte Russells Rekonstruktion zu dem Ergebnis fuhren, daß Leibniz diesen zentralen Punkt auf dem Weg einer bloßen spekulativen Hypothese eingeführt hätte. Die Rekonstruktion, die einen Zwischenschritt über die körperlichen Substanzen vorsieht, bindet hingegen die These, daß jeder Teil der Materie bis ins Unendliche hinein aus Organismen aufgebaut ist, in den argumentativen Aufbau der Metaphysik ein.
2.4. Das theologische Argument für die Existenz einer Vielzahl immaterieller Substanzen Von hier aus läßt sich nun die These von Mates und Parkinson in den Blick nehmen, die Annahme der Existenz einer Vielzahl immaterieller Substanzen in der Natur habe bei Leibniz nur eine theologische Begründung. Nach Mates ist nur die Existenz des eigenen Geistes als einer immateriellen Substanz durch Introspektion gegeben, während die Existenz anderer immaterieller Substanzen allein aus der These von der Güte Gottes erschlossen wird, welche die Existenz all dessen verlangt, was mit dem, was existiert, kompossibel ist: Eine Welt, in der nicht alles existiert, was mit dem Existierenden kompossibel ist, wäre weniger vollkommen, als die bestmögliche Welt, die Gott aufgrund seiner Güte gewählt hat.77 Ahnlich leitet auch Parkinson die These von der Existenz unendlich vieler geschaffener Substanzen aus einer Reihe theologischer Axiome ab: der Annahme der Existenz Gottes, seiner Vollkommenheit, die eine unendliche Weisheit, Macht und Güte umfaßt, und der Annahme, daß die göttliche Güte sich mitteilt („Goodness communicates itself'). Aus diesen Axiomen folgen nach Parkinson die Theoreme, daß Gott eine Welt geschaffen hat (T 3) und daß die geschaffene Welt das höchste Maß an Realität besitzt (T 5). Aus diesen beiden Theoremen wiederum folgt nach Parkinson die Existenz unendlich vieler geschaffener Substanzen (T 8).78 Für die Interpretationen von Mates und Parkinson spricht Leibniz' Definition der existierenden Entität als deijenigen Entität, die mit mehr Dingen kompatibel ist als die mit ihr inkompatiblen Entitäten.79 Nach Leibniz ist damit nichts anderes gemeint, als daß existierend das genannt werden kann, was dem unbegrenzten Verstand und Willen Gottes
77
Mates, The Philosophy of Leibniz, S.242. ™ Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.184-185; 118-120. 79 Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum (A VI, 4, 762-763).
Die Analyse der Ausdehnung
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gefällt.80 Aus der Güte Gottes folgt nach Leibniz weiter, daß die Welt so reich an Substanzen sein muß wie nur möglich; deshalb muß es nicht nur viele, sondern unendlich viele Substanzen geben.81 Die Darstellungen von Mates und Parkinson erfassen also tatsächlich einen bei Leibniz angelegten Argumentationsstrang. Es scheint sich aber hier nicht um eine Begründung für die Immaterialität, sondern nur um eine Begründung für die unendlich große Zahl der Substanzen in der Welt zu handeln. Dies ist ein Ergebnis, das Leibniz aber auch unabhängig von theologischen Voraussetzungen erreicht. Auch das Argument über die Analyse der Ausdehnung bildet unter der Voraussetzung, daß es über den Zwischenschritt führt, in dem die Existenz körperlicher Substanzen begründet wird, ein Argument für die unendliche Zahl der einfachen Substanzen. Denn wenn die Realität der Materie Einheiten in der Materie voraussetzt, und diese Einheiten körperliche Substanzen sind, die ihrerseits aus einem materiellen Körper und einer dominierenden einfachen Substanz konstituiert sind, dann setzt die Realität jedes Teils des materiellen Körpers einer körperlichen Substanz voraus, daß auch dieser Teil aus Einheiten und damit aus körperlichen Substanzen konstituiert ist. Deshalb ist nach Leibniz der Körper jeder körperlichen Substanzen seinerseits aus einer unendlichen Zahl von körperlichen Substanzen zusammengesetzt.82 Da jede körperliche Substanz eine dominierende einfache Substanz voraussetzt, führt diese Auffassung einer unendlichen Vielzahl körperlicher Substanzen auf die Existenz einer unendlichen Vielzahl von einfachen Substanzen.
2.5. Die Analyse der Ausdehnung und die Theorie der angeborenen Begriffe Schließlich stellt sich die Frage, ob das betrachtete Argument, wie es der Darstellung von Russell entspricht, ganz ohne metaphysische Voraussetzungen auskommt. Offenbar setzt das Argument keine Aussagen der Theorie der einfachen Substanzen voraus. Dennoch macht das Argument Gebrauch vom Begriff der Einheit, der nach Leibniz in der inneren Erfahrung gegeben ist. Für die Aktualisierung der Erkenntnis dieses Begriffs spielt, wie sich gezeigt hat, das
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Ebd. (AVI,4, 763). Leibniz an des Bosses, 20. September 1712 (GP II, 460). Leibniz an Arnauld, 20. April 1687 (GP II, 100); Leibniz an Amauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 118); Remarques sur les objections de M. Foucher (GP IV, 492); Addition à l'explication du système nouveau (GP IV, 572).
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Die Analyse der materiellen Welt
Phänomen der Verknüpfung unter den Perzeptionen eine entscheidende Rolle.83 Die Verknüpfung unter den Perzeptionen erlaubt es, einen Begriff von Einheit zu gewinnen, der dem aristotelischen Begriff eines Ganzen entspricht, das ontologisch „früher" als seine Teile ist. Wenn die hier vorgeschlagene Rekonstruktion des Arguments für die Existenz einfacher Substanzen über die Existenz körperlicher Substanzen zutrifft, würde Leibniz genau diesen Begriff von Einheit verwenden: Eine körperliche Substanz bildet ein Ganzes (ein unum per se), das im aristotelischen Sinn „früher" als seine Teile ist, indem die Teile der körperlichen Substanzen - ihr Körper und die Entelechie, die seine Einheit gewährleistet - (zumindest in der Natur) nicht unabhängig voneinander existieren können. Der Zusammenhang zwischen innerer Erfahrung und dem Begriff der Einheit, der im Argument für Existenz einfacher Substanzen in der Natur eine Rolle spielt, wird besonders deutlich in einem um 1685 entstandenen Fragment: Dort stellt Leibniz den bloßen Ansammlungen materieller Teile die in der inneren Erfahrung einer Verknüpfung unter gegenwärtigen und vergangenen Perzeptionen gegebenen Erfahrung von Einheit gegenüber und begründet damit die Wiederaufnahme der antiken Strategie, den Entitäten, die als wahre Einheiten aufgefaßt werden sollen, substantielle Formen wie Seelen oder Entelelchien zuzuschreiben.84 Auch an anderer Stelle stellt Leibniz dem bloßen materiellen Aggregaten die in der Erfahrung des Wahrnehmens und Wollens gegebenen Einheit des Menschen gegenüber.85 Dies macht deutlich, daß die Gewinnung des Begriffs der Einheit auf dem Weg der Reflexion dem von der Analyse der Ausdehnung ausgehenden Argument für die Existenz einfacher Substanzen in der Natur logisch vorangeht. Das Argument setzt also bereits einen bestimmten Stand der metaphysischen Erkenntnis voraus. Gleichzeitig ermöglicht die Analyse der Ausdehnung, über
83 84
"
Vgl. oben Kapitel II, Abschnitte 3.1. und 3.3. Definitiones notionum metaphysicarum atque logicarum (A VI, 4, 627-628): „Si pluribus positis, eo ipso unum aliquod poni immediate intelligatur, illa dicuntur partes, hoc totum. (...) Revera autem nullum ex partibus pluribus componitur Ens vere unum, et omnis substantia est indivisibilis et quae partes habent non sunt Entia, sed phaenomena tantum. Unde recte philosophi veteres his rebus, quas Unum per se tacere dixerunt, tribuerunt formas substantiates, ut Mentes, Animas seu primas Entelechias, et negarunt Materiam per se aliquod Unum Ens esse. Certe quae his carent, non magis unum Ens sunt quam strues lignorum (...). Certe nec momento amplius persévérant, cum tarnen verae substantiae maneant sub mutationibus; id enim in nobis experimur, alioqui enim ne nosmet ipsos quidem percipere liceret, cum omnis nostri perceptio memoriam aliquam involvat." Notationes Generales [ca. 1683-1685] (A VI, 4, 555-556): „Sed quod in homine partes illas unum fecit, attributa habet, quae sine isto vinculo enuntiari non possunt; facultatem scilicet sentiendi, appetendique".
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die der Methode der inneren Erfahrung als einer Methode der Erkenntnis des eigenen Geistes gesetzten Beschränkungen hinaus und zu Aussagen über die Struktur der natürlichen Welt zu gelangen.
3. Immaterielle Substanzen als Fundament der Materie: Der Begriff der vis viva und die Passivität der Materie Auch für den dritten Argumentationsstrang, der zur Existenz immaterieller Substanzen in der Materie fuhrt, ist es sinnvoll, die Rekonstruktion von Russell zum Ausgangspunkt zu nehmen. Das Argument von der Dynamik zur Metaphysik hat nach Russell die folgende Gestalt: he believed himself, on a purely dynamical basis, to have shown matter to be the appearance of something substantial. For force, which he regarded as equivalent to activity, is required by the laws of motion, and is required in each piece of matter. That there must be entelechies dispersed everywhere throughout matter, follows from the fact that Principles of motion are thus dispersed.86 Diese Auffassung hat in der jüngeren Literatur so gut wie keine Resonanz gefunden.87 Eine Äußerung von M.D.Wilson ist hier charakteristisch: As far as I know, Leibniz never fills in any of the steps that might take one from 'forces' in physics to 'souls' in metaphysics."*' In ähnlicher Weise vertritt Gale die Auffassung, daß die Annahme der Existenz aktiver einfacher Substanzen in der Materie allein eine Konsequenz von Leibniz' Substanzbegriff ist, dem zufolge nur das, was aktiv ist, auch existiert89; der Begriff der vis viva ist nach der Interpretation von Gale dem Modell der Aktivität der einfachen Substanz nachgebildet und fungiert als physikalisches Analogon zu ihr90. Dennoch spricht die historische Entwicklung von Leibniz' Denken dafür, daß der Kraftbegriff von zentraler Bedeutung für die Annahme der Existenz einfacher Substanzen ist. Leibniz schreibt 1679 in einem Brief an Herzog 86
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" 90
B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.107. Russell verweist hier auf GP VII, 330. Eine Ausnahme bildet die Darstellung von Robinet, der - allerdings ohne dies näher zu erläutern - die Theorie der einfachen Substanzen als „hypothèse rationelle dont la dynamique fournit la preuve" bezeichnet. (Architectonique disjonctive, automates systémiques et idéalité transcendental dans l'Oeuvre de G. W. Leibniz, S.343). M.D.Wilson, „Leibniz's Dynamics and Contingency in Nature", S. 136. Gale, „Leibniz's Dynamical Viewpoint", S.59-60. Ebd., S.64-65.
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Die Analyse der materiellen Welt
Johann-Friedrich von Braunschweig-Lüneburg, daß er die Existenz substantieller Formen bewiesen habe91, ein Jahr, nachdem er in De corporum concursu den Begriff der Kraft als vis viva entwickelt hatte92. In einem Fragment auf der Zeit um 1679 stellt Leibniz ausdrücklich einen Zusammenhang zwischen seiner aufgrund des Kraftbegriffs gewandelten Auffassung von der Materie und der Annahme der Existenz substantieller Formen her: Es ereignen sich im Körper Dinge, die nicht durch die Notwendigkeiten der Materie erklärt werden können; dazu gehören die Bewegungsgesetze, die von einem metaphysischen Prinzip der Gleichheit von Ursache und Wirkung abhängen. Man muß also von der Seele handeln und zeigen, daß alles beseelt ist. Fiunt quaedam in corpore quae ex sola necessitate materiae explican non possunt; qualia sunt leges motus; quae pendent ex principio Metaphysico de aequalitate causae atque effectus. Hic ergo agendum de anima, et ostendendum omnia esse animata.93 Im folgenden soll das Argument, das vom Begriff der vis viva zur Existenz einfacher Substanzen führt, hinsichtlich seiner Voraussetzungen, seiner konkreten Gestalt und seiner systematischen Stellung genauer dargestellt werden.
3.1. Die Passivität der Materie Eine wesentliche Voraussetzung des betrachteten Arguments ist die Annahme, daß Materie ausschließlich durch passive Merkmale gekennzeichnet ist. Dies ist nicht nur die Auffassung von Descartes94, Boyle95 und Locke9*, sondern auch eine Auffassung, die Newton in Manuskripten der 1690-er Jahre und in der zweiten Auflage der Principia Mathematica vertritt97. Vor allem in seinen 91
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„Car je rétablis démonstrativement les formes substantielles que les Cartésiens prétendent d'avoir exterminées comme des chimeres inexplicables (...)." (A 1,2,225; vgl. AII, 1,490). Vgl. Fichant, „Mechanisme et métaphysique. Le rétablissement des formes substantielles (1679)", S.27-29. Conspectus libelli elementoram Physicae [ca. 1679-1679] (A VI, 4, 1988). Meditationes de Prima Philosophia, Meditatio V (Oeuvres VII, 64-65). Works of the Honourable Robert Boyle, V, 46. An Essay Concerning Human Understanding, IV, χ, 10. Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (1713), lib. III, reg. III. Die (klarere) Formulierung dieser Regel in der englischen Ausgabe von 1729 lautet: „The qualities of bodies, which admit neither intension nor remission of degrees, and which are found to belong to all bodies within the reach of our experiments, are to be esteemed the universal qualities of all bodies whatsoever" (The Mathematical Principles of Natural Philosophy, II, 203). Während Descartes nur der Materie nur Ausdehnung und Bewegung zuschreibt, zahlt Newton dartlber hinaus auch Undurchdringlichkeit, Harte und Trägheit zu den „essential qualities" der Materie (Vgl. McGuire, Tradition and Innovation, S.239-261).
Vis viva und die Passivität der Materie
103
Manuskripten geht Newton davon aus, daß Kräfte nicht durch die Eigenschaften der Materie, sondern nur durch die Gegenwart Gottes in der Natur erklärt werden können." Diesen Standpunkt vertritt auch Clarke in seinen theologischen Schriften." Auf der Grundlage der These von der Passivität der Materie wendet Leibniz in der Korrespondenz mit Clarke gegen Newtons Gravitationstheorie ein daß die Anziehung der Körper ein Wunder ist, da sie nicht durch die Natur der Körper erklärt werden kann100. Dies ist die Strategie, der auch das vom Kraftbegriff ausgehende Argument fur die Existenz immaterieller Substanzen folgt: Unter der Voraussetzung, daß Materie nur passive Merkmale aufweist, können aktive Merkmale natürlicher Phänomene, wenn sie auf natürliche Weise (d.h. nicht durch göttliches Einwirken auf die Natur) erklärt werden sollen, nicht durch das Wesen der Materie erklärt werden. Die Erklärung aktiver Merkmale natürlicher Phänomene setzt deshalb die Existenz immaterieller Substanzen voraus, deren Aktivitäten den aktiven Merkmalen der materiellen Welt zugrunde liegen.
3.2. Die Immaterialität der Seele und die Existenz immaterieller Substanzen in der Natur Die These von der Passivität der Materie liegt bei Leibniz zwei voneinander unterscheidbaren argumentativen Schritten zugrunde, die die Existenz immaterieller Substanzen begründen. Der erste Schritt fuhrt von der Spontaneität der Aktivitäten der Seele und der Passivität der Materie zur Immaterialität der Seele. Ausdrücklich zieht Leibniz in der zu Beginn des Kapitels schon zitierten Passage aus dem Schreiben an Bayle den durch die Analyse des Phänomens des Denkens gewonnenen Begriff der Aktivität zur Begründung der Immaterialität der Seele heran.101 Noch deutlicher formuliert er an anderer Stelle den Gegensatz zwischen der Passivität der Materie und der Spontaneität des Denkens: Daraus folgt, daß das, was seinem Wesen nach passiv ist, nicht die Eigenschaft des Denkens annehmen kann, ohne gleichzeitig ein aktives substantielles Prinzip aufzunehmen, das ihm hinzugefügt wird. * " 100 101
Vgl. McGuire, Tradition and Innovation, S.190-197. A Discourse Concerning the Unchangeable Obligation of Natural Religion and the Truth and Certainty of Christian Revelation (Works, II, 697-698); Works III, 847; 904. Vgl. Vailati, Leibniz & Clarke, S.141-144. 3. Schreiben an Clarke (GP VII, 367). Leibniz an Bayle [Dezember 1702] (GP III, 69).
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Die Analyse der materiellen Welt Or de cela il resulte, que ce qui est essentiellement passif ne scauroit recevoir la modification de la pensée, sans recevoir en même temps quelque principe substantiel actif qui luy soit adjoint.102
Auch in einem zwischen 1683 und 1686 entstandenen Fragment bringt er den aktiven Charakter des Selbstbewußtseins in einen Gegensatz zur Passivität der Materie: Selbstbewußtsein: ein Gegenstand, der auf sich selbst einwirken kann, scheint sich wesentlich von einem zu unterscheiden, der dies nicht kann. (...) aus dem Begriff der Ausdehnung kann die Eigenschaft, auf sich selbst einzuwirken, nicht abgeleitet werden. Conscientia sui: res quae agere potest in seipsam, essentialiter differre videtur, ab ea quae id non potest. (...) ex extensionis conceptu non posse deduci modum agendi in seipsam.103 Bereits in einem um 1680 entstandenen Text macht Leibniz deutlich, daß dadurch, daß das Selbstbewußtsein Teil aller normalen Vorgänge des Denkens und Wahrnehmens ist, und als eine auf sich selbst gerichtete Tätigkeit aktiven Charakter besitzt, die normalen Vorgänge des Denkens und Wahrnehmens selbst einen aktiven Charakter besitzen, der durch die passiven Merkmale der Größe, Figur und Bewegung nicht erklärt werden kann.104 Mit anderen Worten: Der allein durch passive Merkmale charakterisierte Begriff der Materie kann die in der inneren Erfahrung gegebenen aktiven Merkmale der Seele nicht erklären. Ausdrücklich spricht Leibniz deshalb von der „Immaterialität des Denkens" („l'immatérialité de la pensée").105 Der zweite Schritt fuhrt vom KraftbegrifF zur Existenz von immateriellen Substanzen überall in der Natur. Dies ist das Argument, das Russell zu rekonstruieren versucht hat. Leibniz stellt dieses Argument in verschiedenen Texten dar, die zum Teil früher, zum Teil aber auch etwas später als der von Russell herangezogene Brief an de Voider entstanden sind.
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Leibniz an Burnett [1699] (GP III, 261); vgl. Th. préf. (GP VI, 45): „Aussi est-il vray que l'ame est l'Entelechie ou le principe actif, au lieu que le corporel tout seul ou le simple materiel ne contient que le passif (...)". Reflexio(AVI,4,1471). Ars Lulliana Ivonis (A VI, 4, 1092-1093): „Sed Magnitudo figura, motus, supponunt alicujus rei magnitudinem et figuram, velut subjecti; quod ipsum subjectum denique rursus cogitans est. Itaque cum in rebus reperiuntur: extensio, motus, cogitatici, necesse est esse aliquid in cogitatione quod in his non est. Cogitatio est expressio objecti mulitiplicis in uno subjecto. Imo videtur praeterea in cogitationes esse expressio sui. Actio haec in seipsam videtur intimimi constituere naturam cogitationis. Nam etsi expresse mihi sunt objecta, si cognoscere non possim, ea mihi expressa esse, nihil agam". Leibniz an Bayle [Dezember 1702] (GP III, 69).
Vis viva und die Passivität der Materie
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Bereits in De corporum concursu (1678), der ersten Formulierung der Theorie der vis viva, geht Leibniz von dem Prinzip aus, daß sich Kräfte nach den Wirkungen bemessen, die sie hervorbringen.106 Dies impliziert, daß der Kraftbegriff nicht nur eine mathematische Größe ist, sondern daß Kräfte zugleich als Ursachen bestimmter Wirkungen aufgefaßt werden.107 Dies fuhrt Leibniz zu der These, daß durch den Kraftbegriff der Materie eine virtus agendi zugeschrieben wird. Bereits in De corporum concursu klingt dieser Gedanke an: daraus folgt, daß Körper gewöhnlich von sich selbst bewegt werden, nachdem sie einmal einen Impuls empfangen haben (...). ex his sequitur corpora usu a se ipsis ferri, Ímpetu concepto (...).108 Besonders deutlich werden die metaphysischen Implikationen des Begriffs der vis viva in den an Bayle gerichteten Erläuterungen zur Brevis Demonstratio (1686), in der Leibniz seinen neuen Kraftbegriff zum ersten Mal öffentlich vertreten hatte: Ich möchte eine Bemerkung von Bedeutung für die Metaphysik anfügen. Ich habe gezeigt, daß sich die Kraft nicht nach dem Produkt von Geschwindigkeit und Masse, sondern nach der zukünftigen Wirkung bemißt. Dennoch scheint es, daß die Kraft oder Potenz etwas von der Gegenwart an Reales ist, und die zukünftige Wirkung ist dies nicht. Daraus folgt, daß man in den Körpern etwas von Masse und Geschwindigkeit Verschiedenes anerkennen muß, es sei denn, man wollte den Körpern jedes aktive Vermögen absprechen. J'adjouteray une remarque de consequence pour la Métaphysique. J'ay monstré que la force ne se doit pas estimer par la composition de la vistesse et de la grandeur, mais par Γ effect futur. Cependant il semble que la force ou puissance est quelque chose de reel dès à present, et l'effect futur ne l'est pas. D'où il s'ensuit, qu'il faudra admettre dans les corps quelque chose de different de la grandeur et de la vistesse, à moins qu 'on veuille refuser aux corps toute la puissance d'agir.109 Den aktiven Aspekt physikalischer Kräfte erläutert Leibniz in späteren Texten weiter: Die Kraft, die die Materie befähigt, Wirkungen hervorzubringen und 106
De corporum concursu, cap. 1: „Vis est quantitas effectue, sive quod hinc sequitur factum ex quantitate corporis ducta in quantitatem velocitatis" (G.W.Leibniz, La réforme de la dynamique. De corporum concursu (1678) et autres textes inédits, ed. M.Fichant, S.71). Vgl. Conspectus libelli elementorum Physicae [ca. 1678-1679] (A VI, 4, 1988). 107 Vgl. Hacking, „Why Motion is Only a Well-Founded Phenomenon", S. 144. "* De corporum concursu, cap. 6-2; an dieser Stelle versucht Leibniz allerdings noch, diesen Gedanken in einen quasi-okkasionalistischen Rahmen zu integrieren: „sed necesse est vel ea perpetuo ferri a motore generali (...) vel potius continuo impelli a sapientissima causa (...)" (G.W.Leibniz, La réforme de la dynamique. De corporum concursu (1678) et autres textes inédits, ed. M.Fichant, S. 134) 109 Leibniz an Bayle [ 1687] (GP III, 48).
106
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Widerstand auszuüben, ist keine bloße faculté (facultas) oder possibilité (possibilitas), die eines äußeren Anstoßes bedarf, um eine action (actus) hervorzubringen. Vielmehr fuhrt sie durch sich selbst zur action (actus), wenn sie nicht von außen daran gehindert wird.110 Kräfte sind also keine bloßen physikalischen Dispositionen, sondern weisen darüber hinaus selbst einen aktiven Aspekt auf. Im Gegensatz zum Begriff der Bewegung konstruiert Leibniz den Begriff der Kraft deshalb als einen nicht-relativen Begriff. Während es beliebig ist, welchem Körper man Bewegung und welchem man Ruhe zuschreibt, kann man Kräfte nicht beliebig zuschreiben; es ist immer ein bestimmter Körper, in dem eine Kraft ist, und er selbst bringt eine Wirkung hervor."1 In diesem Sinn spricht Leibniz davon, daß das, was an der Bewegung real ist, die Kraft ist, die die Bewegung bewirkt.112 Da Leibniz den Kraftbegriff über eine Grenzfallbetrachtung auch auf den ruhenden Körper anwendet113, kann er sagen, daß ein Körper nie aufhört, Kräfte auszuüben und Wirkungen hervorzubringen114. Kräfte sind folglich etwas, was in materiellen Körpern real vorhanden ist, aber durch passive Eigenschaften wie Ausdehnung und Bewegung nicht zu erklären ist. Da physikalische Kräfte etwas Veränderliches sind, so fuhrt Leibniz das Argument weiter, müssen sie durch modificatio von etwas Beständigem entstanden sein.115 Sie können aber, weil ein Körper durch sie ein aktives Vermögen besitzt, anders als etwa die Bewegung, wenn man sie fur sich allein betrachtet, nicht Modifikationen der ausgedehnten Masse sein, weil diese nur passive Merkmale besitzt.116 Aktive Vermögen können nicht Modifikationen von etwas rein Passivem sein, weil Modifikationen eher eine Einschränkung als eine Erweiterung mit sich bringen.117 Kräfte müssen deshalb als Modifikationen von etwas Immateriellem und Aktivem betrachtet werden. Dabei stellt die begriffliche Festlegung der Substanz als res agens einen Zusammenhang zwischen dem Begriff der physikalischen action und der Substanztheorie her: Wenn Kräfte als Modifikationen von etwas Aktivem betrachtet werden, und Aktivität ein Kriterium für Substantialität ist, kann man sagen, daß Kräfte die Existenz bestimmter Substanzen voraussetzen. Entsprechend wird die physikalische Kraft
1,0
111 112 113 114 115 116 117
GP IV, 395 [Mai 1702]; Erster Entwurf zum SN [1694] (GP IV, 472); Leibniz an Sophie Charlotte [1702] (GP VI, 506). SN (GP IV, 486); vgl. DM § 18 (A VI, 4, 1558-1559). Specimen dynamicum (GM VI, 235). Leibniz an de Voider [1699] (GP II, 154). De prima philosophia emendatione (GP IV, 470). GP IV, 397. Ebd.; Leibniz an Sophie Charlotte (GP VI, 506). Leibniz an Joh. Bemouilli [1698] (GM III, 552).
Vis viva und die Passivität der Materie
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von Leibniz als eine Modifikation einer substantiellen virtus primitiva essentialis aufgefaßt."8 Da Aktivität nicht durch die passiven Eigenschaften der Materie erklärt werden kann, handelt es sich um immaterielle Substanzen, denen diese virtus primitiva essentialis zukommt. Unter der Voraussetzung, daß es überall in der Materie Kräfte gibt, muß es deshalb auch überall in der Materie immaterielle Substanzen geben.119
3.3. Vis viva und die Aktivität der einfachen Substanzen Das Argument vom Kraftbegriff und der Passivität der Materie zur Existenz immaterieller Substanzen führt zu dem Ergebnis, daß die grundlegenden Bausteine der Natur aktive und immaterielle Substanzen sind. Verbunden mit Leibniz' Auffassung von den Kausalbeziehungen unter den materiellen Körpern, reicht dieses Argument aber auch hin, die Vorstellungen vom Wesen der Aktivität der einfachen Substanzen in der Natur zu begründen. Zunächst müssen aufgrund der Repräsentationsbeziehungen unter den materiellen Körpern auch Repräsentationsbeziehungen unter den ihnen zugrundeliegenden einfachen Substanzen bestehen. Damit ist der Begriff der Perzeption gegeben: Jede einfache Entelechie muß Perzeptionen haben. Denn jede erste Entelechie weist innere Veränderungen auf, gemäß denen auch die äußeren Veränderungen repräsentiert werden. Perzeption ist aber nichts anderes, als die Repräsentation der äußeren Veränderung in der inneren. omnis Entelechia primitiva debet habere perceptionem. Nam omnis Entelechia prima habet variationem internam, secundum quam etiam variantur actiones externae. Sed perceptio nihil aliud est, quam illa ipsa repraesentatio variationis extemae in interna.120 Gleichzeitig begründet die Perspektivität der Repräsentation des Universums im materiellen Körper die Perspektivität der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz. Denn wenn den materiellen Körpern einfache Substanzen zugrunde liegen, muß die durch unterschiedliche räumliche und kausale Beziehungen konstituierte Perspektivität der Repräsentation
120
GPIV, 397; Erster Entwurf zum SN (GPIV, 472); Leibniz an Sophie Charlotte [1702] (GP VI, 506); De ipsa natura (GP IV, 511). Leibniz an Sophie Charlotte [1702] (GP VI, 506); GP VII, 330. GP VII, 329.
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Die Analyse der materiellen Welt
des Universums im materiellen Körper aus der Perspektivität der Perzeptionen der einfachen Substanzen resultieren.121 Weiter setzt die Spontaneität physikalischer Kräfte die Spontaneität der Aktivitäten der einfachen Substanzen voraus. Damit ist der Begriff der Appetition, des spontanen Strebens von Perzeption zu Perzeption, erreicht: weil es sich um substantielle Einheiten handelt, muß es Kraft und Perzeption in diesen Einheiten geben, denn ohne dies hätte es keine Kraft und keine Perzeption in dem, was daraus geformt ist (...). puisqu'il s'agit des Unités de substance, il faut qu'il y ait de la force et de perception dans ces unités mesmes, car sans cela il n'y aurait point de force ny de perception dans ce qui en est formé (...).122 Auf diese Weise reicht das von der Analyse des Kraftbegriffs ausgehende Argument hin, den einfachen Substanzen Perzeption und Appetition zuzuschreiben.
3.4. Vis viva und die Theorie der angeborenen Begriffe Für die begrifflichen Voraussetzungen des Arguments von der Theorie der vis viva zur Existenz einfacher Substanzen ergibt sich ein ganz ähnliches Bild, wie beim von der Analyse der Ausdehnung ausgehenden Argument. Beide Argumente setzen metaphysische Begriffe voraus, die nach Leibniz in der inneren Erfahrung gegeben sind. Obwohl das vom Kraftbegriff ausgehende Argument unabhängig von bestimmten Inhalten der Substanztheorie ist, setzt es den Besitz des Begriffs der spontanen Aktivität voraus. Die Gewinnung dieses Begriffs aus der inneren Erfahrung geht ihm folglich logisch voran. Tatsächlich hat Leibniz den Begriff der Aktivität bereits in Notizen der 1670-er Jahre mit der Analyse des Phänomens des Denkens in Verbindung gebracht.123 Durch die Anwendung dieses Begriffs in der Analyse des 1678 entwickelten Begriffs der vis viva gewinnt Leibniz eine metaphysische Interpretation physikalischer Sachverhalte. Folglich steht auch das vom Kraftbegriff ausgehende Argument nicht am Beginn des metaphysischen Beweisgangs, sondern setzt eine bestimmte Stufe der metaphysischen Erkenntnis schon voraus. Umgekehrt ermöglicht es die
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122 123
Leibniz an Amauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 112-113); Eclaircissement des difficultés que Monsieur Bayle a trouvées dans le système nouveau (GP IV, 523). Leibniz an KurfUrstin Sophie, 12. Juni 1700 (GP VII, 552). Vgl. oben Kapitel II, Abschnitt 3.2.
Vis viva und die Passivität der Materie
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Analyse des Kraftbegriffs, über Beschränkungen der Methode der inneren Erfahrung hinauszugelangen. Wieder ist es erst die Kombination der Analyse physikalischer Phänomene mit der Analyse der Strukturen des Denkens, die zu einer These über die Struktur der natürlichen Welt fuhrt.
3.5. Vis viva und die panpsychistische Deutung der Substanztheorie Sind nun mit Hilfe der Analyse des Kraftbegriffs die Aktivitäten der einfachen Substanzen hinreichend charakterisiert? Diese Frage stellt sich vor allem in Hinblick auf die bis heute einflußreiche panpsychistische Deutung von Leibniz' Substanztheorie. Diese Deutung geht von der These aus, daß alle einfachen Substanzen, d.h. auch diejenigen, die den unbelebten materiellen Gegenständen zugrunde liegen, von psychischer Natur sind.124 Dem gegenüber reicht das vom Kraftbegriff ausgehende Argument nicht hin, den der Materie zugrundeliegenden immateriellen Substanzen spezifisch psychische Eigenschaften zuzuschreiben. Hat Leibniz hier die Theorie der einfachen Substanzen um weitere, argumentativ nicht mehr abgestützte Annahmen ergänzt? Tatsächlich liegen die Probleme eher auf der Seite der panpsychistischen Deutung. Zu ihren Gunsten scheint zwar zunächst zu sprechen, daß Leibniz die einfachen Substanzen an vielen Stellen „Seelen" nennt123, oder daß er - wie in der anfangs angeführten Passage - die Wendung gebraucht, es sei alles „beseelt" („tout est animé")126. Dennoch möchte Leibniz mit der Bezeichnung aller einfachen Substanzen als „Seelen", wie er selbst hervorhebt, nicht mehr ausdrücken, als daß alle einfachen Substanzen Perzeptionen und Appetitionen, d.h. das Streben von Perzeption zu Perzeption besitzen.127 Der wichtigste Anhaltspunkt für die panpsychistische Deutung liegt auch nicht in diesen terminologischen Besonderheiten, sondern in dem Umstand, daß nach Leibniz die Hierarchie der einfachen Substanzen eine nur graduell abgestufte Hierarchie 124
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126 127
Brunschvicg, Les étapes de la philosophie mathématique, S.222-224; Lovejoy, The great chain o/Being, S. 144; Guéroult, Leibniz. Dynamique et métaphysique, S.208-209; Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, 35, 42-43; Edwards, „Panpsychism", S.31; Serres, Le système de Leibniz et ses modèles mathématiques, vol. I, S.95-99; Deleuze, Le pli, S.l 16-120; L.Sprung/ H.Sprung, „Panpsychismus", S.50; Bouveresse, „Le panpsychisme de Leibniz", S. 193-195. Leibniz an de Voider [1699] (GP II, 194); Leibniz an Sophie Charlotte [1702] (GP VI, 539); Leibniz an Sophie Charlotte, 8. Mai 1704 (GP III, 347); Considerations sur les Principes de Vie (GP VI, 539); Leibniz an des Bosses, 16. Juni 1712 (GP II, 451). Conspectus libelli elementorum Physicae (A VI, 4,1988). Mon. § 19 (GP VI, 610).
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Die Analyse der materiellen Welt
bildet.12' Dies legt die Möglichkeit nahe, daß zwischen den Aktivitäten der bloßen einfachen Substanzen und den Aktivitäten der Seelen im eigentlichen Sinn ein nur gradueller Unterschied besteht, sodaß kein prinzipieller Unterschied zwischen bloßen einfachen Substanzen und Seelen angegeben werden kann. Allerdings scheinen bei Leibniz für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen bloßen einfachen Substanzen und Seelen sowohl rein graduelle Unterschiede, als auch Unterschiede eine Rolle zu spielen, die keine graduelle Vermittlung erlauben. In den Nouveaux Essais Leibniz bringt die Theorie der petites perceptions in Zusammenhang mit dem Prinzip der Kontinuität, und in den Briefwechseln mit Königin Sophie Charlotte und Lady Masham begründet Leibniz mit diesem Prinzip die Annahme, daß alle einfachen Substanzen eine Analogie zur Seele aufweisen müssen.129 Als eine Konsequenz dieses Prinzips betrachtet er die Auffassung, daß zwischen den petites perceptions und den merklichen Perzeptionen (perceptions remarquables) rein graduelle Unterschiede bestehen.130 Auch spricht er davon, daß sich distinkte Perzeptionen nur durch ein Mehr oder Weniger von konfusen Perzeptionen unterscheiden.131 Da unmerkliche Perzeptionen von Leibniz in gleicher Weise allen einfachen Substanzen zugeschrieben werden132, besteht folglich ein nur gradueller Unterschied zwischen den unmerklichen Perzeptionen der bloßen einfachen Substanzen und den merklichen Perzeptionen der Seelen. Dennoch sind merkliche oder distinkte Perzeptionen allein noch nicht mit Sinneswahrnehmungen gleichzusetzen, die nach Leibniz fur die Seelen im 128
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Jalabert, La théorie leibnizienne de la substance, S.34; 42; Bouveresse, „Le panpsychisme de Leibniz", S.196. Jalabert verweist hierfür auf NE III 6 § 12 (A VI, 6, 307) und auf Leibniz' Brief an Lady Masham, Mai 1704 (GP III, 339-340). Vgl. Eclaircissement sur les Natures Plastiques et les Principes de Vie (GP VI, 548): „Ainsi mon systeme gardant une parfaite uniformité dans toute la nature (...)· En sorte que dans ce système (...) on pourrait dire (...), que c'est tout comme icy par tout et tousjours, aux degrées de grandeur et de perfection près. (...) Je tiens, qu'il y a une infinité d'especes et de degrés de perfection dans les Ames (...)"; Leibniz an Sophie Charlotte, 8. Mai 1704 (GP III, 343): „la nature est uniforme dans le fond des choses, quoyqu'il y ait de la varieté dans le plus et dans le moins et dans les degrés de perfection". Leibniz an Lady Masham, Mai 1704 (GP III, 339); Leibniz an Sophie Charlotte, 8. Mai 1704 (GP III, 343). Zum Verhältnis zwischen der panpsychistischen Deutung des Substanzbegriffs und Leibniz' Kontinuitätsprinzip vgl. Blank, „Leibniz und die panpsychistische Deutung der Theorie der einfachen Substanzen", Abschnitt 4. NE préf. (A VI, 6, 56): „Rien ne se fait tout d'un coup, et c'est une de mes grandes maximes et des plus verifiées, que la nature ne fait jamais des sauts: ce que j'appellois la loi de la continuité. (...) Et tout cela fait bien juger, que les perceptions remarquables viennent par degrés de celles, qui sont trop petites pour estre remarquées". Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 123); Response aux reflexions contenues dans la seconde Edition du Dictionnaire Critique de M. Bayle, article Rorarius (GP IV, 563). NE préf. (A VI, 6, 55).
Vis viva und die Passivität der Materie
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eigentlichen Sinn charakteristisch sind133. Sinnliche Wahrnehmung wird von Leibniz in der folgenden Weise definiert: Sinneswahrnehmung (...) ist eine Perception, die etwas Distinktes enthält, und die von Aufmerksamkeit und Erinnerung begleitet ist. Sensio (...) est perceptio, quae aliquid distincti involvit, et cum attentione et memoria conjuncta est.134 Für eine sinnliche Wahrnehmung müssen also zwei Bedingungen erfüllt sein: Zum einen muß die Perzeption einen gewissen Grad an Distinktheit aufweisen. Zum andern müssen zu dieser distinkten Perzeption Aufmerksamkeit und Erinnerung, also Perzeptionen zweiter Stufe, die ihrerseits eine Perzeption zum Gegenstand haben, hinzukommen. Deshalb spricht Leibniz davon, die Seelen im eigentlichen Sinn seien solche einfachen Substanzen, deren Perzeption einen höheren Grad an Distinktheit aufweist und von Erinnerung begleitet ist.135 Mit dieser Auffassung von der Struktur der sinnlichen Wahrnehmung fuhrt Leibniz aber eine Unterscheidung zwischen den Seelen und den bloßen einfachen Substanzen ein, die ein Element enthält, das keine graduelle Vermittlung zuläßt: Seelen sind einfache Substanzen, die zu Perzeptionen zweiter Stufe, d.h. zu Perzeptionen von Perzeptionen, fähig sind, während bloße einfache Substanzen diese Fähigkeit nicht besitzen. Dies bildet eine Analogie zu Leibniz' Auffassung, daß auch zwischen sinnlicher Wahrnehmung und der Fähigkeit zur Reflexion, die für vernünftige Substanzen charakteristisch ist, keine graduelle Abstufung möglich ist.136 Die Gradualität in der Hierarchie der einfachen Substanzen beruht auf der Gradualität zwischen unmerklichen (konfusen) und bemerkbaren (distinkten) Perzeptionen, ohne daß eine nur graduelle Abstufung zwischen den Aktivitäten der bloßen einfachen Substanzen und spezifisch psychischen Aktivitäten wie der sinnlichen Wahrnehmung oder den reflexiven Akten besteht. Daraus folgt, daß Leibniz den bloßen einfachen Substanzen genau diejenigen Eigenschaften zuschreibt, die ihnen auch in dem vom Begriff der vis viva ausgehenden Argument für die Existenz einfacher Substanzen und in seiner Analyse des Begriffs der Repräsentation zugeschrieben werden: Die bloßen einfachen Substanzen repräsentieren in ihren Aktivitäten das Universum und streben von einem Zustand zu einem nächsten, ohne im eigentlichen Sinn psychische Eigenschaften zu besitzen.
133 134 135 134
Mon. § 19 (GP VI, 610); Leibniz an Bierling, 12. August 1711 (GP VII, 502). GP VII, 330. Mon. § 19 (GP VI, 610). PNG § 4 (GP VI, 599).
112
Die Analyse der materiellen Welt 4. Autarkie
In einem letzten Schritt ist nun zu klären, wie Leibniz zur These von der Autarkie der einfachen Substanzen gelangt. Gerade diese These scheint in Leibniz' Metaphysik am weitesten vom alltäglichen Verständnis der Welt entfernt zu sein. Deshalb stellt sich besonders hier die Frage, ob es Leibniz gelungen ist, diese These in eine analytische, deskriptive Methodologie mit einzubeziehen. Primär scheint Leibniz die Autarkie als eine Konsequenz der Immaterialität der einfachen Substanzen zu betrachten. So schließt er eine kausale Wechselwirkung zwischen Körper und Seele aus, weil eine Wechselwirkung zwischen einer materiellen und einer immateriellen Substanz nach seiner Auffassung unerklärlich ist.137 Genauer unterscheidet Leibniz zwischen den mechanischen Gesetzen, nach denen ihm zufolge alles in der materiellen Welt geschieht, und den spezifischen Gesetzen des seelischen Geschehens, die sich im Wollen und Überlegen äußern.138 Diesen Punkt erläutert Leibniz dahin, daß es keine mechanische Einwirkung der Seele auf den Körper (oder umgekehrt) geben kann, weil es zwischen einer immateriellen Substanz und einem materiellen Gegenstand keine Berührung gibt. Auch die Undurchdringlichkeit materieller Gegenstände kann für die wechselseitige Einwirkung von Seele und Körper keine Rolle spielen. Und da diese mechanischen Grundlagen für kausale Wechselwirkung fehlen, kann auch keine gegenseitige Bewegungsänderung erfolgen.13' Eine solche Argumentation läßt sich auf eine Ebene übertragen, in der die materiellen Körper ihrerseits als Resultate einfacher Substanzen interpretiert werden. Auch unter einfachen Substanzen gibt es keine Berührung, gegenseitige Undurchdringlichkeit oder Bewegungsänderung. Einfache Substanzen können nicht aufeinander einwirken, weil es keine durch Veränderung unter Teilen hervorgerufene innere Bewegung geben kann.140 Dies ergänzt Leibniz durch die Überlegung, daß unter einfachen Substanzen eine mechanische Wechselwirkung auch nicht durch das Aussenden und Empfangen materieller Teile entstehen kann.141 In einem Universum, dem einfache Substanzen
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139 140 141
Leibniz an de Voider, 9./20. Januar 1700 (GP II, 206). Ebd. (GP II, 205); Leibniz an Lady Masham, Mai 1704 (GP III, 340); Leibniz an Sophie Charlotte, 8. Mai 1704 (GP III, 346). Leibniz an Jaquelot [1704] (GP VI, 570); Leibniz an Lady Masham, Mai 1704 (GP III, 341). Mon. § 7 (GP VI, 607). SN (GP IV, 486).
Autarkie
113
zugrunde liegen, kann es folglich keine kausale Interaktion im charakterisierten mechanischen Sinn geben142. Leibniz begründet die Autarkie der einfachen Substanzen daneben auch auf dem Weg einer Kritik an der scholastischen Theorie des kausalen Einflusses (influxus physicus) im Sinn einer von mechanischen Wechselwirkungen unabhängigen Übertragung von Akzidentien von einer Substanz auf eine andere.143 Nach der Auffassung von Leibniz können sich Akzidentien nicht von deijenigen Substanz lösen, die ihr Träger ist.144 Obwohl er mehrfach darauf zurückkommt, hat Leibniz dieses Argument nicht näher ausgearbeitet, sondern hebt lediglich hervor, daß die von ihm kritisierte Theorie unverständlich und falsch ist.145 Der Grund dieser Ablehnung könnte darin liegen, daß die Möglichkeit der Übertragung von Akzidentien in den Augen von Leibniz voraussetzen würde, daß Akzidentien einen Grad an Selbständigkeit besitzen, der nur Substanzen zukommt. Darauf deutet in der Monadologie die Formulierung hin, es sei fur Akzidentien unmöglich, sich außerhalb von Substanzen aufzuhalten („se promener hors des substances").146 Auch diese Form der kausalen Wechselwirkung, die vom materiellen oder immateriellen Charakter von Substanzen unabhängig ist, erscheint Leibniz deshalb ausgeschlossen. Die These von der Autarkie der einfachen Substanzen scheint also auf einem für Leibniz' Denken typischen Nebeneinander von deskriptiven und apriorischen und in diesem Sinn revisionären Überlegungen zu beruhen: Einerseits ist es eine Konsequenz der auf dem Weg einer Analyse der Materie und der Strukturen des Denkens gewonnenen These von der Immaterialität der einfachen Substanzen, daß es keine auf Druck, Stoß oder Übertragung materieller Teile beruhende mechanische Interaktion zwischen einfachen Substanzen geben kann. Andererseits sprechen in den Augen von Leibniz apriorische Überlegungen, die auf einer Analyse des Substanzbegriffs und des in ihm enthaltenen Kriteriums der Selbständigkeit beruhen, prinzipiell gegen die Übertragbarkeit von Akzidentien und damit gegen eine Kausalitätstheorie nach dem Muster der scholastischen Theorie des Influxus physicus.
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146
Leibniz an de Voider, 9./20. Januar 1700 (GP II, 206); Th. § 300 (GP VI, 296). Suárez, Disputationes metaphysicae, xvii, ii, 6; xii, ii, 4; vgl. O'Neill, Jnfluxus physicus", S.28-29. Mon. § 7 (GP VI, 607). Eclaircissement du nouveau système de la communication des substances (GP IV, 495); Addition à l'Explication du système nouveau (GP IV, 573); Leibniz an Basnage de Beauval [1696] (GP III, 122); Leibniz an Remond, 4. November 1715 (GP III, 658). Mon. § 7 (GP VI, 608).
114
Die Analyse der materiellen Welt 5. Mathematik, Physik und Metaphysik
An die Überlegungen zur Rolle von Leibniz' Analyse der materiellen Welt in der Begründung der Theorie der einfachen Substanzen lassen sich einige Bemerkungen zur Rolle der Mathematik für die Begründung von Leibniz' Metaphysik anschließen. Eine Verbindung zwischen der Mathematik und der Metaphysik wird insbesondere durch die Bezeichnung der Monaden als „metaphysischer Punkte" („points métaphysiques") nahegelegt147, wodurch die Monaden in einen Zusammenhang mit dem Begriff der unendlich kleinen mathematischen Größe (des mathematischen Punktes) gesetzt werden. Auch sagt Leibniz an einer bekannten, aber schwer verständlichen Stelle, daß die Infinitesimalmathematik zum Teil durch seine philosophischen Thesen (philosophemata) erhellt worden sei, zum Teil aber auch diesen philosophischen Thesen Autorität verliehen habe.148 Eine unmittelbare Ableitung der Substanztheorie aus der Inifinitesimalmathematik, wie sie Brunschvicg annimmt149, kann damit aber nicht gemeint sein. Denn wie sich gezeigt hat, können die einfachen Substanzen nicht als generative Definitionen in Analogie zu den allgemeinen Gliedern mathematischer Funktionen aufgefaßt werden. Eine weniger weitreichende Auffassung vertritt Serres. Für Serres bestehen keine deduktiven Beziehungen zwischen der Mathematik und der Metaphysik, sondern ihm zufolge bilden die Analogien zwischen mathematischen und metaphysischen Begriffen das grundlegende Strukturprinzip von Leibniz' Philosophie.150 Nach Mittelstraß beschränkt sich der Teil der Philosophie, der mit der Infinitesimalmathematik in Verbindung steht, auf die vormathematischen Kontinuumsbetrachtungen, die durch die Infinitesimalmethode ein besseres theoretisches Fundament erhalten, während die Infinitesimalmathematik und die Monadentheorie systematisch voneinander getrennt bleiben.151 Anstelle eines systematischen Zusammenhangs besteht ihm zufolge zwischen der Mathematik und der Metaphysik die Analogie, daß die metaphysischen Punkte innerhalb physikalischer Kontexte, ähnlich wie die mathematischen Punkte, ideale Konstruktionen des Verstandes sind, die zwar zur Erklärung realer Vorgänge dienen, selbst aber fiktive Größen bleiben. Konkret schlägt er vor, die meta-
147 ,4!
1,0 151
SN (GPIV, 482-483); vgl. GP III, 623. Leibniz an Fardelli», 3./13. September 1696 (FC 328). Brunschvicg, Spinoza et ses contemporains, S.385; Etapes de la philosophie S.228. Serres, Le système de Leibniz et ses modèles mathématiques, S.62-70. Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.497-498.
mathématique,
Mathematik, Physik und Metaphysik
115
physischen Punkte zumindest ihrer ursprünglichen Konzeption nach als Massenpunkte zu interpretieren, die ihrerseits ausdehnungslos und damit unteilbar sind und in ihrer vollständigen Kennzeichnung alles enthalten, was sich über die Welt sagen läßt.152 Allerdings kann sich eine solche Deutung nicht auf unmittelbare Belege aus den Texten aus der Zeit des Discours de Métaphysique (oder davor) stützen. Seit der Zeit des Système Nouveau wendet sich Leibniz sogar ganz ausdrücklich gegen eine solche Auffassung. Die metaphysischen Punkte unterscheiden sich, wie er hervorhebt, von idealen Konstruktionen in der Art der mathematischen Punkte dadurch, daß der Begriff der unendlich kleinen Größe in sich unmöglich ist; unendlich kleine mathematische Größen sind bloße Fiktionen des Verstandes, die sich zur Erfassung der Realität als nützlich erweisen, selbst aber keine Realität besitzen.153 Dagegen betrachtet Leibniz die metaphysischen Punkte als etwas Reales154, als entia realia und nicht als entia rationis155. Aber auch von den Massenpunkten (den physikalischen Punkten) werden die metaphysischen Punkte ausdrücklich unterschieden: die Massenpunkte sind zwar real, aber nicht exakt, weil mit ihrer Hilfe Teilbares als Unteilbares dargestellt wird; allein die metaphysischen Punkte sind real und exakt.156 Was die Monaden von den Massenpunkten unterscheidet, ist also der Umstand, daß ihr Begriff im Gegensatz zum Begriff des Massenpunktes nicht durch eine Beschränkung des Aussagebereichs gebildet wird. Bedeutet das aber, daß gar keine Verbindung zwischen der Mathematik und der Metaphysik besteht? Eine indirekte Verbindung ergibt sich daraus, daß Leibniz' Atomismuskritik von Kontinuumsbetrachtungen ausdrücklich Gebrauch macht, und zwar nicht erst in der ausgearbeiteten Form des Kontinuitätsprinzips, das die Metaphysik schon voraussetzt. So hält Leibniz der Annahme, daß Atome keine Ausdehnung besitzen, entgegen, daß die Atome damit zu Punkten würden, die das physikalische Kontinuum nicht konstituieren können.157 Gegen die alternative Annahme, Atome hätten Ausdehnung, wendet er ein, daß eine Ausdehnung immer unterteilt werden kann.158 Wenn aber immer nur ein Teil eines 152
154
156 157 151
Ebd., S.499-501; ebenso Janich, „Logischer Atomismus", S.211. SN (GPIV, 478; 482); Leibniz an Joh. Bernouilli, 7. Juni 1689 (GM III, 499-500); Leibniz an Varignon, 20. Juni 1702 (GM IV, 110); Leibniz an des Bosses, 11. März 1706 (GP Π, 305). SN (GP IV, 479; 482); Remarques sur les Objections de M. Foucher (GP IV, 491 ). Leibniz an de Voider, 23. Juni 1699 (GP II, 182). SN (GP IV, 483). De ipsa natura (GP IV, 511 ). Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (GP IV, 386); Leibniz an Hartsoeker, 30. Oktober 1710 (GP ΠΙ, 506); Leibniz an Hartsoeker, 6. Februar 1711 (GP III, 517).
116
Die Analyse der materiellen Welt
Atoms in der Impulslinie eines Stoßes liegt, muß eine physikalische Erklärung für den Zusammenhalt seiner Teile angegeben werden.,S9 Da also das Atom in mehrere Massen unterteilt werden kann - und wie Leibniz betont, folgt dies allein aus den angeführten Vernunftgründen - enthält das Atom trotz der Untrennbarkeit seiner Teile eine Vielfalt (diversité) und bildet keine Einheit.160 Die Kontinuumsbetrachtungen, die in diesen Argumenten auftreten, haben zwar keine mathematisch ausgearbeitete Gestalt. Wenn sie aber durch die Infmitesimalmathematik eine theoretische Fundierung erhalten, und wenn die Annahme, daß es keine Atome gibt, ihrerseits eine notwendige Voraussetzung für das von der Analyse der Ausdehnung ausgehende Argument für die Existenz einfacher Substanzen ist, dann trägt die Infinitesimalmathematik tatsächlich dazu bei, die Geltung von Leibniz' Metaphysik zu sichern.
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Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (GP IV, 386-387); NE préf. (A VI, 6, 60); Leibniz an Hartsoeker 30. Oktober 1710 (GP III, 506); Leibniz an Hartsoeker, 6. Februar 1711 (GP III, 517). SN (GP IV, 482).
Kapitel IV: Die Vernunftprinzipien In den beiden vorangegangenen Kapiteln wurden die einzelnen Bausteine von Leibniz' Theorie der einfachen Substanzen Schritt fiir Schritt entwickelt. Zunächst die in der inneren Erfahrung gegebenen Begriffe der Existenz, der Verschiedenheit, der Veränderung und des Bewußtseins, dann die spezifischeren Begriffe der Verknüpfimg unter Peizeptionen, der Spontaneität, der Einheit und der Repräsentation. Schließlich, über die Anwendung dieser Begriffe auf Aspekte des in der Physik des 17. Jahrhunderts entwickelten Bildes von der materiellen Welt, die These von der Immaterialität der Seele, die These von der Existenz körperlicher Substanzen, die für ihre Einheit ihrerseits die Existenz unteilbarer Substanzen voraussetzen, die These von der Existenz aktiver immaterieller Substanzen und schließlich die These von der Autarkie und Autonomie dieser einfachen Substanzen. Damit ist das Bild der Welt erreicht, wie es in der Theorie der universellen Harmonie unter einfachen Substanzen entworfen wird. Vor allem aber ist auf diese Weise eine Begründungsstrategie fiir die Theorie der einfachen Substanzen charakterisiert, die einerseits von logischen Sätzen unabhängig ist und andererseits Uber die Auffassung der Substanztheorie als einer bloßen Hypothese hinausreicht. Leibniz selbst hat diese Begründungsstrategie als die Methode der Analyse gekennzeichnet, die von bestimmten Gegebenheiten ausgeht und zu deren impliziten Voraussetzungen führt, und im Sinn der Unterscheidung zwischen deskriptiver und revisionärer Metaphysik lassen sich die in den Kapitel Π und ΠΙ betrachteten Argumente als die deskriptiven Elemente von Leibniz' Metaphysik charakterisieren. Nun stellt sich die Frage, auf welche Weise Leibniz Vernunftprinzipien wie das Prinzip des zureichenden Grundes, das Prinzip des Widerspruchs und das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren in den analytischen Aufbau des Systems der Metaphysik integriert. Finden sich bei Leibniz Begründungsstrategien, die eine Alternative zur Ableitung des Prinzips des zureichenden Grundes und des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren aus der analytischen Urteilstheorie in der Zeit des Discours de Métaphysique bilden1, und die über 1
Vgl. Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4,1644-1645).
118
Die Vernunftprinzipien
Leibniz' Auffassung der analytischen Urteilstheorie und des Prinzips des Widerspruchs als bloßer Hypothesen hinausgehen2? Im folgenden soll gezeigt werden, daß in einem bestimmten Maß beides tatsächlich der Fall ist. In den ersten beiden Abschnitten geht es um drei miteinander eng verbundene Fragen, die den Sinn und die systematische Stellung des Prinzips des Widerspruchs und des Prinzips des zureichenden Grundes betreffen. Zum einen ist danach zu fragen, ob diese beiden obersten Vernunftprinzipien, auf denen nach Leibniz alles vernünftige Denken beruht3, einen ausschließlich logischen oder einen eigentlich ontologischen (metaphysischen) Sinn besitzen. Zum zweiten ist der innere Zusammenhang zwischen den verschiedenen (logischen und ontologischen) Formulierungen jedes der beiden Prinzipien zu klären. Die dritte und für den Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung entscheidende Frage schließlich gilt den Verknüpfungen zwischen der Substanztheorie und den einzelnen Formulierungen dieser beiden Prinzipien. In das Bild, das sich von diesen Verknüpfungen ergibt, wird anschließend das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren einzubeziehen sein, das Leibniz als ein weiteres zentrales philosophisches Prinzip betrachtet.
1. Das Prinzip des zureichenden Grundes Dem principe de la raison sufficiente oder principe de la raison determinante gibt Leibniz, oft auch nebeneinander, mehrere Formulierungen: (1) Jede wahre Aussage hat einen zureichenden Grund.4 (2) Alle Tatsachen und Ereignisse haben einen zureichenden Grund.5
2
' 4
5
Vgl. Leibniz an Foucher [1686] (GP1,382). Moa §32 (GP VI, 612). Deflnitiones cogitationesque Metaphysicae [1678-1682] (A VI, 4, 1394); De arte characteristica (A VI, 4, 912); De liberiate, contingentia et serie causarum (A VI, 4, 1656); Introducilo ad Encyclopaediam Arcanam (A VI, 4, 530); Leibniz an Amauld, 14. Juli 1686 (GP Π, 56); Remarques sur le Livre de l'origine du mal (GP VI, 413); Mon. § 32 (GP VI, 612). Initia et Specimina Scientiae novae Generalis (GP VII, 109); Elementa Verae Pietatis [ca. 1677-1678] (A VI, 4, 1360); De contingentia (A VI, 4, 1651); De libertate, contingentia et serie causarum (A VI, 4,1656); Conversatio cum Domino Episcopo Stenonio de Libertate (A VI, 4, 1375); Leibniz an Burnett, 22. November 1695 (GP III, 168); GP VII, 289; NE II 21 § 13 (A VI, 6, 179); Leibniz an Coste, 19. Dezember 1707 (GP III, 402); PNG § 7 (GP VI, 602); Moa § 32 (GP VI, 612); Leibniz an Bourguet, 20. April 1716 (GP III, 594); Leibniz an Remond, 19. Oktober 1716 (GP III, 678); 2. Schreiben an Clarke (GP VII, 356).
Das Prinzip des zureichenden Grundes
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(3) Gottes Handeln hat einen zureichenden Grund.6 (4) Alles, was in der Welt existiert, hat einen zureichenden Grund, weshalb es existiert und so ist, wie es ist.7 Dabei wird Formulierung (3) als eine Implikation von (2) betrachtet", und zwar genauer als der Spezialfall einer allgemeineren Aussage9. Formulierung (4) wird einmal als eine Implikation von (2) behandelt10, ein andermal mit (2) gleichgesetzt", einmal auch allein als der Sinn des Prinzips des zureichenden Grundes angegeben12. Ferner betrachtet Leibniz das Prinzip der Vollkommenheit (principe du meilleur), dem zufolge Gott die bestmögliche Welt geschaffen hat, als eine Implikation von (3)13 oder unmittelbar von (2)14. Eine traditionelle Deutungsstrategie versucht, die ontologische Terminologie von (2), (3) und (4) neben dem logischen Inhalt von (1) zu berücksichtigen, indem sie von einem bloßen Nebeneinander von logischen und ontologischen Anwendungen, Intentionen oder Bedeutungen des Prinzips ausgeht.15 Eine solche Strategie läßt allerdings die systematischen Zusammenhänge unter den einzelnen Formulierungen ebenso offen, wie ihren Zusammenhang zur Substanztheorie. Auch Saames Versuch, die Sätze (1) und (2) als die Folgesätze eines hinsichtlich seines logischen oder ontologischen Inhaltes unbestimmten „Kernsatzes vom Grund" zu deuten16, bleibt in dieser Hinsicht unbefriedigend. Denn zum einen besitzt der Satz „Jedes Prädikat ist im Subjekt enthalten" („Omne praedicatum inest subiecto"), den Saame als diesen Kernsatz auffaßt, bei Leibniz eindeutig
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Deus vult nihil sine ratione (A VI, 4, 1388-1389); De contingentia (A VI, 4, 1651); De liberiate, contingentia et serie causarum (A VI, 4, 1656); Initia et Specimina Scientiae novae Generalis (GP VII, 109); Leibniz an Burnett, 22. November 1695 (GP III, 168); NE II 21 § 13 (A VI, 6,179); Leibniz an Coste, 19. Dezember 1707 (GP III, 402); Th. § 196 (GP VI, 232); Moa § 53 (GP VI, 615); 3. Schreiben an Clarke (GP VII, 364). GP VII, 289; Conversatio cum Domino Episcopo Stenonio de Libertate (A VI, 4, 1375); De ratione cur haec existant potius quam alia [ca. 1689] (A VI, 4,1635); C 533; Th. § 44 (GP VI, 127); Remarques sur le Livre de l'origine du mal (GP VI, 614); PNG § 7 (GP VI, 602); 2. Schreiben an Clarke (GP VII, 356); Leibniz an Remond, 19. Oktober 1716 (GP III, 678). Leibniz an Coste, 19. Dezember 1707 (GP III, 402). 2. Schreiben an Clarke (GP VII, 365); NE II 21 § 13 (A VI, 6, 178-179). GP VII, 289. Leibniz an Remond, 19. Oktober 1716 (GP III, 678). Th. § 44 (GP VI, 127). Th. § 196 (GP VI, 232); Th. § 226 (GP VI, 253). Elementa Verae Pietatis (A VI, 4, 1363); Leibniz an Coste, 19. Dezember 1707 (GP III, 402). B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.30-39; Heimsoeth, Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz, S.198; Kauppi, Über die Leibnizsche Logik, S.87-91; Martin, Leibniz, S.13-15; Rescher, G. W. Leibniz's Monadology, S.l 18-119. Saame, Der Satz vom Grund bei Leibniz, S.12; 31-41.
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Die Vemunftprinzipien
einen rein logischen Sinn.17 Zum andern bezeichnet Saame den Kernsatz vom Grund als einen „letztursprünglichen" oder „uranfänglichen" Satz.18 Das Problem einer Erklärung der systematischen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Formulierungen des Prinzips wird also nur scheinbar gelöst, indem ein Satz eingeführt wird, von dem angenommen wird, daß er selbst nicht durch den systematischen Zusammenhang mit anderen Sätzen erklärt werden kann. Und schließlich ist es nicht klar, wie ein Satz, der weder einen logischen, noch einen ontologischen Sinn besitzt, sondern vom Grund an sich spricht, Uberhaupt zu verstehen ist.
1.1. Logische und methodologische Deutungen des Prinzips In verschiedenen Darstellungen wird das Prinzip des zureichenden Grundes als ein rein logisches Prinzip aufgefaßt. Diese Deutungen stimmen darin überein, daß sie das Prinzip des zureichenden Grundes als das Prinzip der Beweisbarkeit aller wahren Aussagen verstehen.19 Unter der Voraussetzung, daß in jeder wahren affirmativen Aussage der Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten ist20, besteht der Beweis einer solchen Aussage in der Analyse dieser Begriffe. Von einem idealen Erkenntnisstandpunkt aus besitzen daher alle wahren affirmativen Aussagen einen apriorischen Beweis. Tatsächlich gibt dies Leibniz wiederholt als den Sinn des Prinzips des zureichenden Grundes an.21 Damit eröffcen sich zwei Möglichkeiten, eine logische Deutung des Prinzips zu stützen. Zum einen könnte Formulierung (2) als ein bloßes Korollar zu (1)
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Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 56); Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1644); De liberiate, contingentia et serie causarum (A VI, 4,1656-1657). Saame, Der Satz vom Grund bei Leibniz, S.21-23. Couturat, La logique de Leibniz, S.213-217; „Sur la métaphysique de Leibniz", S.7-8; Jalabert, La théorie leibnizierme de la substance, S.57; Broad, „Leibniz's Predicate-InNotion-Principle and Some of its Alleged Consequences", S.55; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.64; Gurwitsch, Leibniz, S.87-93; Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.460-476; Ishiguro, Leibniz's Philosophy of Logic and Language, S.149-150; Sleigh, „Leibniz on the Two Great Principles of All Our Reasonings", S.205-206; Sleigh, „Truth and Sufficient Reason in the Philosophy of Leibniz", S.209-242. Elementa calculi [1679] (A VI, 4, 195; 199-200); Calculus consequentiarum [1679] (A VI, 4, 222-223); Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum [1686] (A VI, 4, 751); DM § 8 (A VI, 4, 1539-1541); Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 43; 46); Praecognita ad Encyclopaediam [ca. 1678/1679] (A VI, 4,135). Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 62); De arte characterstica [ca. 1688] (A VI, 4, 910-911); De principiis praecipue contradictionis et rationis sufficientis (A VI, 4, 804-805); Specimen inventorum (A VI, 4, 1616).
Das Prinzip des zureichenden Grundes
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und dementsprechend (1) als die eigentliche und einzige Formulierung des Prinzips aufgefaßt werden.22 Für eine solche Auffassung spricht auf den ersten Blick, daß Leibniz den Satz „Nichts geschieht ohne Ursache" als den alltagssprachlichen Ausdruck von (1) bezeichnet23, und daß er den Satz „Nichts ist ohne Grund", den er mit dem Satz „Nichts geschieht ohne Ursache" gleichsetzt24, als „alltagssprachliches Axiom" („axiome vulgaire") und bloßes Korollar zu (1) bezeichnet25. Wie Leibniz dabei deutlich macht, handelt es sich bei den Ursachen oder Gründen, von denen im Satz „Nichts geschieht ohne Ursache" die Rede ist, nicht nur um die Ursachen im physikalischen Sinn, sondern auch um die Ziele, die eine menschliche Handlung bestimmen. Frankel wendet gegen diese Deutungsstrategie ein, daß ohne weitere metaphysische Voraussetzungen aus der Annahme, daß jeder Aussagesatz einen apriorischen Beweis hat, keinesfalls folgt, daß jedes Ereignis oder jeder existierende Gegenstand eine Ursache oder einen Grund für sein Auftreten oder seine Existenz hat.26 Auch läßt sich einwenden, daß Leibniz (2) wiederholt als „großes Prinzip" („magnum principium" oder „grand principe") und als „grundlegendes Axiom" („axiome fondamental") bezeichnet27, und daß er diesen Satz auch ausdrücklich unter den Titel „Prinzip des zureichenden Grundes" stellt. Obwohl er das metaphysische Kausalund Finalprinzip ebenso wie das Prinzip der Vollkommenheit (principe du meilleur) auch an zwei weiteren Stellen als eine Folge der logischen Formulierung des Prinzips des zureichenden Grundes darstellt28, möchte Leibniz offenbar in (2) etwas ausdrücken, was im Prinzip des zureichenden Grundes selbst enthalten ist. Die andere Möglichkeit besteht darin, (2) selbst als einen Satz über die Beweisbarkeit aller wahren kontingenten Aussagen zu verstehen.29 Tatsächlich 22
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Couturat, La logique de Leibniz, S.213-216; „Sur la métaphysique de Leibniz", S.8; Jalabert, La théorie ¡eibnizienne de la substance, S.58; Sleigh, „Leibniz on the Two Great Principles of AU Our Reasonings", S.205-206. Specimen inventorum (A VI, 4,1616). A VI, 4, 804-805 [1679?]; Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1645). Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GPII, 56). Frankel, „From a Metaphysical Point of View: Leibniz and the Principle of Sufficient Reason", S.322. Leibniz an Burnett, 22. November 1695 (GP III, 168); Leibniz an Coste, 19. Dezember 1707 (GP III, 402); Leibniz an Remond, 19. Oktober 1716 (GP III, 678); NE II 21 § 13 (A VI, 6, 179); PNG § 7 (GP VI, 602); vgl. Th. § 44 (GP VI, 127), wo auch die Formulierung (4) als „grand principe" bezeichnet wird. principium scientiae humanae [ca. 1685/1686] (A VI, 4, 671); De liberiate, contingentia et serie causarum [ca. 1689] (AVI, 4, 1655-1656). Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.464; 469; 472-473; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.64-66; Mates, The Philosophy of Leibniz, S.157. Nach Gurwitsch stützt eine solche logische Deutung des Prinzips des zureichenden Grundes, weil sie nicht
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enthält (2) den Gedanken, daß ein Grund angegeben30 und sogar a priori angegeben werden kann31, weshalb die Dinge sind und so sind, wie sie sind. Die Begründung einer Tatsache ist also immer zugleich auch der apriorische Beweis der Aussage, die sie beschreibt.32 Dennoch finden sich bei Leibniz auch Gründe, die - unter der Voraussetzung, daß die einfachen Substanzen keine vollständigen Begriffe sind, und daß allgemein zwischen logischen und nicht-logischen Entitäten ein Unterschied in der Realität besteht - selbst keinen logischen Charakter besitzen. Allgemein spricht Leibniz davon, daß die geschaffenen Dinge immer durch innere und äußere Gründe determiniert sind.33 Ausdrücklich bezeichnet er die Ursache (causa) als „realen Grund" („ratio realis").34 Und zwar ist nicht nur im Bereich des Materiellen die Kraft der Grund der Veränderung eines Gegenstandes35 und beim willentlich Handelnden der Wille der Grund der Handlung36. Sondern allgemeiner ist der Grund eines Gegenstands die Gesamtheit seiner ersten Voraussetzungen (requisita primitiva)37 oder der Voraussetzungen für seine Existenz (requisita existentiae)38. Der Grund der Existenz der Dinge schließlich ist ein „Grund in der Natur" („ratio in natura").39 Formulierung (2) kann also auch nicht auf die Behauptung der Begründbarkeit aller wahren kontingenten Aussagen reduziert werden. Die Behauptung einer allgemeinen Begründungsmöglichkeit macht folglich nur einen Teil dessen aus, was im Prinzip des zureichenden Grundes ausgedrückt ist. Mit der logischen Deutung des Prinzips verbindet sich in einigen Darstellungen eine methodologische Deutung. Diese Deutung besagt: Das Prinzip des zureichenden Grundes behauptet nicht nur die allgemeine Begründungsmöglichkeit, die Leibniz in diesem Prinzip ausdrücklich vertritt, sondern es formuliert darüber hinaus eine Begründungsverpflichtung: seiner eigentlichen Bedeutung
zwischen Seinsgrund und Erkenntnisgrund unterscheidet, die Identifikation von einfacher Substanz und vollständigem Begriff (Gurwitsch, Leibniz, S.91-92). 30 PNG § 7 (GP VI, 602); vgl. De libertate, contingentia et serie causarum (A VI, 4, 1656): „[principium] quod nihil fit sine ratione, seu quod semper praedicatum aliquâ ratione subjecto inest". 31 Th.§44(GPVI, 127). 32 NE IV 17 §§ 1-3 (GP V, 457). Vgl. Couturat, La logique de Leibniz, S.222. 33 Initia et specimina scientiae novae generalis (GP VII, 109): „creaturae semper ex rationibus intemis extemisque determinantur". 34 De contingentia (A VI, 4, 1650-1651); vgl. Elementa Verae Pietatis (A VI, 4, 1360): „causa est ratio rei extra rem, seu ratio productionis rei". 35 Leibniz an de Voider, 6. Juli 1701 (GP II, 227). 36 Leibniz an Bourguet, 11. April 1710 (GP III, 550); Th. § 45 (GP VI, 127). 37 Specimen inventorum (A VI, 4,1616-1617). 3 « Grua 263 [1676]; Grua 267 [1676?]. 39 GP VII, 289.
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nach ist das Prinzip des zureichenden Grundes eine methodologische Anweisung, die Forderung nämlich, jede Aussage auch zu begründen.40 Bei Leibniz finden sich zwei Passagen, die unmittelbar für eine solche Deutung sprechen. In einem um 1680 entstandenen Fragment sagt Leibniz: Jede Wahrheit kann entweder aus absolut ersten Wahrheiten bewiesen werden (...), oder ist selber eine absolut erste Wahrheit. Und das ist gemeint, wenn man zu sagen pflegt, nichts solle ohne Grund behauptet werden, oder vielmehr nichts geschehe ohne Grund. Omnis Veritas aut demonstrari potest ex absolute primis (...), aut ipsa est absolute prima. Et hoc est quod dici solet, nihil debere asserì sine ratione, imo nihil fieri sine ratione.41
Auch in einem weiteren Fragment formuliert Leibniz die methodologische Aufforderung, alle Aussagen zu begründen und keine Widersprüche zuzulassen.42 Die methodologische Deutung des Prinzips des zureichenden Grundes stützt sich jedoch nicht auf diese Passagen, sondern auf den Umstand, daß Leibniz das Prinzip auch „principium reddendae rationis" nennt. Hier läßt sich einwenden, daß diese Wendung in den Schriften von Leibniz, soweit sie durch das Leibniz-Lexicon und die Register der einzelnen Textausgaben erschlossen sind, nur an drei Stellen auftritt. An zwei Stellen bleibt sie ganz ohne Erläuterung43; an der dritten Stelle wird sie so erläutert, daß diesem Prinzip zufolge fur jede wahre Aussage ein Grund angegeben werden kann44. Auch alle Stellen, an denen eine Form von „rationem reddere" oder „rendre la raison" vorkommt und die sich auf das Prinzip des zureichenden Grundes beziehen45, sind ohne Ausnahme mit einer Form von „pouvoir" oder „posse" formuliert44. Selbst in dem eben zitierten, um 1680 entstandene Fragment scheint der Sinn der Wendung „nichts soll ohne Grund behauptet werden" primär in der theoretischen 40
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Couturat, „Sur la métaphysique de Leibniz", S.8; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz 's Metaphysics, S.63; Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.476-477; Gurwitsch, Leibniz, S.88. De veritatibus primis (A VI, 4, 1443). Enumeratici Terminorum Simplicionim [ca. 1680-1685] (A VI, 4, 394): „Principia autem inveniendi propositiones sunt observatio et ratiocinatio. Ratiocinatio ex his duobus fhiit, ut contradictoria non admittamus et ut nihil sine ratione statuamus". C 525; C 528. Specimen inventorum (A VI, 4,1616). Da dies sehr viele Stellen sind, sei hier auf die Microfiche-Ausgabe des Leibniz-Lexicon und die Register in A, C und Grua verwiesen. Ebenso lautet die Erläuterung des principe de la raison à rendre in einem Brief ohne Adresse und Datum (Bodemann, Die Leibniz-Handschrifien der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover, S. 115): „scavoir que rien n'arrive sans qu'il y ait quelque raison que celuy qui scauroit tout, pouiToit rendre, pourquoy il soit plustost arrivé que non".
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Annahme zu bestehen, daß jede wahre Aussage a priori bewiesen werden kann. Die Betonung bei Leibniz liegt also weniger auf der Begründungsverpflichtung, als auf der Begründungsmöglichkeit. Trotz seiner methodologischen Aspekte scheint das Prinzip des zureichenden Grundes ein primär theoretisches Prinzip zu sein. Hinzu kommt ein Einwand, der in gleicher Weise die logischen und die methodologischen Deutungen des Prinzips betrifft. Die Formulierungen (3) und (4) werden in diese Deutungen nur in eingeschränkter Weise einbezogen. Vom Sinn dieser Aussagen wird nur soviel berücksichtigt, daß nach Leibniz der Bereich der physikalischen Wirkursachen auch aus einer teleologischen Perspektive erklärt werden kann, d.h. als ob es Gott gäbe.47 Was außerdem in (3) und (4) ausgedrückt ist, wird zu den theologischen Aspekten des Prinzips gerechnet und beiseite gestellt.48 Auch Parkinson trennt das principe du meilleur vom Prinzip des zureichenden Grundes und sieht hier zwei voneinander unabhängige Prinzipien.49 Damit bleibt aber offen, weshalb Leibniz (3) und (4) dennoch zum Prinzip des zureichenden Grundes rechnet, und auf welche Weise diese beiden Formulierungen mit (1) und (2) zusammenhängen.
1.2. Die ontologischen Aspekte des Prinzips und die Theorie der einfachen Substanzen Für empirische Gegenstände und die ihnen zugrundeliegenden einfachen Substanzen, auf den sich Formulierung (2) bezieht50, gebraucht Leibniz die Wendung „einen zureichenden Grund haben" in verschiedenen Weisen: Einerseits ist ein Zustand eines Gegenstands in der Welt der Grund für einen anderen Zustand in der Welt". Dies gilt auf unterschiedliche Weise für empirische Ge-
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Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.475; vgl. DM §§ 19-22 (A VI, 4, 1560-1566). Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, S.461 ; 476. Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.105-106. Leibniz hat die Begriffe der Tatsache und des Ereignisses, die in (2) vorkommen, nie definiert. Doch erläutert er eine auf Ereignisse bezogene Fassung von (2) damit, daß es einen zureichenden Grund gebe, warum die Dinge existieren und warum sie so sind, wie sie sind (Th. § 44, GP VI, 127). Auch verwendet er die Termini „faits" und „existences" als Synonyme (Leibniz an Amauld, 14 Juli 1686, GP II, 49). Außerdem bestimmt er Wahrheit im Sinn der Korrespondenz mit der Wirklichkeit nicht als Übereinstimmung einer Aussage mit einer Tatsache, sondern mit einem Gegenstand (NE IV 5 §§ 4-11, A VI, 6, 397). Offenbar sind Tatsachen und Ereignisse keine Entitäten, die für Leibniz zu den Gegenständen und ihren Zuständen hinzukommen. De rerum originatione radicali (GP VII, 302).
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genstände und fur einfache Substanzen. Der Bereich der empirischen Gegenstände folgt gemäß den naturwissenschaftlichen Gesetzen den Wirkursachen (causes efficientes)52; auch die Zielursachen (causes finales) im Bereich der empirischen Naturordnung verwirklichen sich mittels dieser Wirkursachen53. Der Bereich der einfachen Substanzen hingegen folgt den Zielursachen (und ausschließlich ihnen)54 in dem Sinn, daß ein Zustand einer einfachen Substanz, wenn er in einen anderen Zustand übergeht, dies von sich aus durch eine appetition oder eine innere Tendenz tut.55 Außerdem ist ein Zustand einer einfachen Substanz der Grund für einen Zustand einer anderen einfachen Substanz, und zwar in dem Sinn, daß die Zustände der einfachen Substanzen, ohne daß diese Substanzen physischen Einfluß aufeinander nehmen, in einem System der prästabilierten Harmonie aneinander angepaßt sind.56 Auf diese Weise sind die einfachen Substanzen in der Welt durch innere und äußere Gründe determiniert.57 Die Kette der Zustände der Gegenstände in der Welt würde jedoch, was Leibniz ablehnt, ins Unendliche zurückführen ohne die Annahme eines ersten Grundes.58 Dem entsprechend bestimmt Leibniz den zureichenden Grund andererseits auch als einen Grund, „der keines anderen Grundes mehr bedarf" („qui n'ait plus besoin d'une autre raison").59 Der zureichende Grand fur die Existenz und die Beschaffenheit der Dinge findet sich, wie er ausdrücklich sagt, nicht im Bereich der Dinge.60 In diesem Sinn nennt er Gott den „zureichenden Grund der Dinge"61 oder auch den „zureichenden Grund des Existierens" („sufficiens ratio existendi")62. Wie an mehreren Stellen hervorgehoben wird, impliziert Formulierung (2) den Gedanken, daß auch die Handlungen Gottes aus inneren Gründen
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Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 58); Leibniz an Burnett [ca. 1695] (GP III, 228); PNG § 3 (GP VI, 549); De rerum originatìone radicali (GP VII, 303). DM § 22 (A VI, 4,1564-1566). PNG § 2 (GP VI, 598); PNG § 3 (GP VI, 599); Mon. § 15 (GP VI, 609). GP VII, 330; Leibniz an Sophie Charlotte, 8. Mai 1704 (GP m, 347); Leibniz an Bourguet, Dezember 1714 (GP III, 575); Mon. § 11 (GP VI, 608); Mon. § 15 (GP VI, 609). Mon. § 52 (GP VI, 615); Leibniz an des Bosses, 24. Januar 1713 (GP II, 475). Initia et Specimina Scientiae novae Generalis, H. (GP VII, 109-110). De rerum originatìone radicali (GP VII, 302); Specimen inventorum (A VI, 4, 1617-1618). PNG § 8 (GP VI, 602). De rerum originatìone radicali (GP VII, 302-303); Moa § 46 (GP VI, 614). PNG § 8 (GP VI, 602); GP VII, 189; GP III, 444; Lettre de M. L. sur un principe general (GP III, 54). De rerum originatìone radicali (GP VII, 302); vgl. De ratione cur haec existant potius quam alia (A VI, 4, 1635), wo Gott als „fons Existentianim" bezeichnet wird.
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Die Vernunftprinzipien
- dem Wesen Gottes und der daraus folgenden Absicht, die bestmögliche Welt zu schaffen - determiniert sind.63 Auf welche Weise hängen diese Aspekte miteinander zusammen? Daß alles in der Welt Gründe in der Welt hat, kann bei Leibniz nicht von dem Gedanken getrennt werden, daß Gott der erste Grund der Welt ist. Dann und nur dann nämlich, wenn jeder Zustand einer Substanz die Folge des ihm vorhergehenden ist, und wenn jeder ihrer Zustände eine Entsprechung in den Zuständen aller anderen Substanzen besitzt, hat jeder Zustand einer Substanz im eben charakterisierten Sinn zureichende Gründe in der Welt. Daß sich aber die Zustände aller Substanzen gegenseitig entsprechen, impliziert, wie Leibniz immer wieder hervorhebt, daß Gott der Ursprung dieser Entsprechung ist.64 Dies drückt Leibniz auch so aus, daß jede erschaffene Substanz das „Resultat" einer Sichtweise Gottes auf das Universum ist.65 Als eine Folge dieser Annahme läßt sich der in Formulierung (4) ausgedrückte Gedanke auffassen, Gott sei der zureichende Grund der Existenz und Beschaffenheit der Gegenstände in der Welt. Würde also verneint, daß Gott der erste Grund der Gegenstände ist, so müßte auch der Gedanke verneint werden, daß alles einen zureichenden Grund in der Welt hat. Daß die Aktivitäten der Substanzen in der Welt durch innere Gründe determiniert sind, kann seinerseits nicht getrennt werden von dem Gedanken, daß dies auch für die Handlungen Gottes gilt. Zwar bezeichnet Leibniz das principe du meilleur, dem zufolge Gott das Bestmögliche wählen will, in einmal als eine unbeweisbare Aussage.66 Dennoch findet sich im Rahmen der Theorie der einfachen Substanzen auch eine Begründung für die Annahme, daß Gottes Handeln zureichende Gründe besitzt. Zunächst gäbe es, wenn Gott bei der Schöpfung der Welt nicht unter mehreren möglichen Welten hätte wählen können, nach Leibniz weder Kontingenz noch Freiheit.67 Daß die vernünftigen Substanzen frei und ihre Handlungen kontingent sind, folgt aber aus der These, daß vernünftige Substanzen, wie alle einfachen Substanzen, ihre Zustände aus sich selbst hervorbringen: Leibniz definiert Freiheit als die Spontaneität, die
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Initia et Specimina Scientiae novae Generalis, H. (GP VII, 109-111); NE II 21 § 13 (A VI, 6, 178-179); 3. Schreiben an Clarke (GP VII, 365); vgl. Moa §§ 53-55 (GP VI, 615-616). DM § 14 (A VI, 4, 1549-1551); GP II, 70; Leibniz an Amauld, 28. November/ 8. Dezember 1686 (GP II, 75); SN (GP IV, 475); Remarques sur les objections de M. Foucher (GP IV, 492); De ipsa natura (GP IV, 510); Mon § 51 (GP VI, 615); Leibniz an Wolff[1707] {Briefwechsel zwischen Leibniz und Christian Wolff, ed. C.I.Gerhardt, S.44). DM § 14 (AVI, 4, 1549). De liberiate a necessitate in eligendo [ca. 1680-1684] (A VI, 4,1454). Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 45); Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 55).
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durch vernünftige Überlegung geleitet ist6*. Vernünftige Überlegung und Notwendigkeit schließen sich aber nach Leibniz gegenseitig aus, oder anders: Vernünftige Überlegung setzt die Realität möglicher Welten voraus69. Wenn es aber in den Ideen Gottes unendlich viele mögliche Welten gibt, aber nur eine einzige existieren kann, so argumentiert Leibniz, muß es einen zureichenden Grund für die Wahl Gottes geben.70 Der in Formulierung (3) ausgedrückte Gedanke bildet deshalb eine notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit von Freiheit als vernünftiger Spontaneität. Das Phänomen der Spontaneität und die Fähigkeit zu vernünftiger Überlegung sind aber für Leibniz bereits in der inneren Erfahrung gegeben und durch die Methode der Reflexion zu erkennen.71 Leibniz' Konzeption der Freiheit bildet folglich ein weiteres deskriptives Element seiner Metaphysik. Auf diese Weise ist Formulierung (3) in die Theorie der einfachen Substanzen eingebunden, und steht mit ihren deskriptiven Aspekten in einem engen Zusammenhang.
1.3. Die logischen Aspekte des Prinzips und die Ontologie der Begriffe Auch in Bezug auf die wahren Aussagen, von denen in Formulierung (1) die Rede ist, findet sich eine doppelte Bedeutung von „einen Grund haben". Einerseits hat jede wahre affirmative Aussage dadurch einen zureichenden Grund, daß der Prädikatbegriff im Subjektbegriff entweder offensichtlich enthalten ist oder daß dies durch Begriffsanalyse ermittelt werden kann. Der Grund der Wahrheit einer Aussage in diesem Sinn ist die Verknüpfung von Prädikat- und Subjektbegriff.72 Da Leibniz eine negative Aussage als eine affirmative Aussage interpretiert, die behauptet, daß der verneinte Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten ist73, läßt sich dies auch auf die wahren negativen Aussagen übertragen. Andererseits ist aber Gott die letzte Grundlage der Wahrheiten und die reale Grundlage der Gewißheit der ewigen Wahrheiten.74 Nach Leibniz ist die Realität der Möglichkeiten, Ideen und Wahrheiten auf Gott gegründet
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Initia et Speciraina Scientiae novae Generalis (GP VII, 108); DM § 32 (A VI, 4, 1581); Th. § 65 (GP VI, 138); Causa Dei (GP VI, 441); A VI, 4,1375. Causa Dei (GP VI, 441). Mon. §53 (GP VI, 615). Vgl. oben Kapitel II, Abschnitt 3.2. C 11 [1676]; A VI, 4, 912. Calculus consequentiarum (A VI, 4,223). NE IV 11 §§ 13-14 (A VI, 6,447); vgl. Leibniz an Bourguet, 11. April 1710 (GP III, 550).
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(fondée).1* Genauer ist die Verknüpfung von Subjektbegriff und Prädikatbegriff in einer wahren kontingenten Aussage nicht nur auf Gottes Verstand und die reinen Vernunftideen, wie im Fall der notwendigen Aussagen, sondern auch auf Gottes Willen und die Abfolge der Dinge in der Welt gegründet.76 Für den Zusammenhang dieser beiden Aspekte - der logischen Gründe und der Fundierung einer wahren Aussage in Gott - sind zunächst die ontologischen Bestimmungen von Bedeutung, die Leibniz den Begriffen und Aussagen gibt. Aussagen sind für Leibniz Gedanken77, Begriffe Ideen78. Als Gedanken gehören die Aussagen zu den Aktivitäten der menschlichen Seele.79 Auch die Begriffe sind als Ideen etwas, was in der menschlichen Seele ist.80 Eine Idee wird ontologisch genauer bestimmt als eine „Eigenschaft unserer Seele insofern sie eine Natur, Form oder Essenz ausdrückt" („qualité de nostre ame en tant qu'elle exprime quelque nature, forme ou essence").*1 Die ontologische Interpretation der Begriffe als Ideen hat auf diese Weise unmittelbare Konsequenzen fur die logische Formulierung des Prinzips des zureichenden Grundes. Daß jede wahre Aussage einen zureichenden Grund im logischen Sinn besitzt, läßt sich ontologisch reformulieren: Jeder wahre Gedanke hat dadurch einen zureichenden Grund, daß in ihm etwas erkannt wird, was in einer Idee enthalten ist. Ideen sind aber nach Leibniz auch etwas, was im Verstand Gottes ist.82 Wie er hervorhebt, denken wir mit unseren eigenen Ideen83; dennoch versteht Leibniz die menschliche Seele auch als ein Bild des Wesens Gottes und der Ideen im
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Th. 184 (GP VI, 226); Mon. § 44 (GP VI, 614); vgl. NE IV 5 § 1 (A VI, 6, 397); Mon. § 48 (GP VI, 615); Specimen inventorum (GP VII, 311). DM § 13 (A VI, 4, 1546-1549); vgl. Specimen inventorum (GP VII, 311), DM § 2 (A VI, 4, 1532-1533); Th. § 174 (GP VI, 218); Moa § 43 (GP VI, 614); Mon. § 46 (GP VI, 614). Dialogus [1677] (A VI, 4,20-21); Analysis linguarum [1678] (A VI, 4,102-103). Specimen calculi universalis (A VI, 4, 288): „Per Terminum non intelligo nomen sed conceptum seu id quod nomine significatur, possis et dicere notionem, ideam"; vgl. GP I, 213; C 187; C 235; C 300; Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 40); Anhang zum Schreiben an Burnett [1698] (GP III, 224); Remarques sur le Livre de l'origine du mal (GP VI, 405). Ein davon leicht abweichender Gebrauch von „Idee" und „Begriff' findet sich in DM § 27 (A VI, 4, 1572):,Ainsi ces expressions qui sont dans notre ame, soit qu'on les conçoive ou non, peuvent estre appellées idées, mais celles qu'on concoit ou forme se peuvent dire notions, conceptos". NE II 1 § 2 (A VI, 6, 109-111); NE IV 5 §§ 4-11 (A VI, 6, 397-398); Introductio ad Encyclopaediam arcanam (A VI, 4, 528); Leibniz an des Bosses, 1. September 1706 (GPII, 314). Quid sit Idea [ca. 1677] (A VI, 4,1370-1371). DM § 26 (A VI, 4, 1570); vgl. Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis (A VI, 4, 591592); Definitiones: Aliquid, Nihil (A VI, 4, 309); NE II 1 § 1 (A VI, 6, 110). Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 42); Moa § 43 (GP VI, 614). DM §29 (AVI, 4, 1574).
Das Prinzip des zureichenden Grundes
129
göttlichen Verstand84. Bereits in Quid sit Idea entwickelt Leibniz die Theorie von den menschlichen Ideen als psychischen Dispositionen: Ideen bestehen nicht in einem Denkakt, sondern in einer Disposition zum Denken (facultas cogitarteli).85 Ebenfalls in Quid sit Idea formuliert Leibniz eine theologische Begründung der Korrespondenz zwischen den menschlichen Ideen und den Dingen: Daß also die Idee der Dinge in uns ist, ist nichts anderes, als daß GOTT, der Schöpfer zugleich der Dinge und des Geistes, dem Geist eine Fähigkeit zu Denken eingeprägt hat, sodaß er aus seinen Aktivitäten das ableiten kann, was vollkommen dem entspricht, was aus den Dingen folgt. Ideam itaque rerum in nobis esse, nihil aliud est, quam DEUM, autorem pariter et rerum et mentis, earn menti facultatem cogitandi impressisse, ut ex suis operationibus ea ducere possit, quae perfecte respondeant his quae sequuntur ex rebus."6
Bereits hier klingt der Gedanke an, daß in einem wahren Gedanken etwas erkannt wird, was in einer Idee bereits enthalten ist. Auf diese Weise erhält die bereits einige Jahre zuvor in der Dissertatio de arte combinatoria entwickelte analytische Urteilstheorie*7 und die mit ihr verbundene Theorie der vollständigen Begriffe eine theologische Begründung.
1.4. Die theologische Begründung der Theorie der vollständigen Begriffe Bereits in Quid sit Idea wird deutlich, daß Leibniz die Auffassung, daß aus den Ideen alles abgeleitet werden kann, was über ihre Gegenstände gesagt werden kann, in Zusammenhang mit theologischen Überlegungen stellt. Diese theologischen Überlegungen hat Leibniz an anderer Stelle weiter ausgeführt. Zum einen hat er eine Begründung für die Vollständigkeit der Ideen in Gottes Verstand, zum andern eine Begründung fur die Entsprechung zwischen göttlichen und menschlichen Ideen entworfen. Für die Ideen in Gottes Verstand gilt nach Leibniz, daß sie alles enthalten, was sich von dem Objekt, für das sie M
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DM § 28 (A VI, 4, 1573-1574); PNG § 14 (GP VI, 604); vgl. Jolley, The Light of the Soul, S.149-152. a VI, 4, 1370. Zu Leibniz' Theorie der Ideen vgl. McRae, Jdea as a Philosophical Term in the Seventeenth Century", S.186-190; Mugnai, „Idee, espressioni delle idee, pensieri e caratteri in Leibniz", S.219-231; Jolley, The Light of the Soul, S.132-139; 154-165; Poser, „Der Begriff der Idee bei Leibniz", S.223-230. A VI, 4, 1371; vgl. Heinekamp, „Sprache und Wirklichkeit nach Leibniz", 559. Dissertatio de arte combinatoria [1666] (A VI, 1,194-195).
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Die Vernunftprinzipien
stehen, aussagen läßt.88 In der Korrespondenz mit Arnauld führt er zur Begründung das Argument an, auf das Mates und Brody aufmerksam gemacht haben:89 Damit ein Begriff hinreicht, vom göttlichen Erkenntnisstandpunkt aus ein Individuum von allen Individuen in der selben Welt und von allen Individuen in allen anderen möglichen Welten zu unterscheiden, muß dieser Begriff alle Merkmale dieses Individuums enthalten.90 Die Bestimmtheit der Ideen in Gottes Verstand setzt also voraus, daß diese Ideen vollständige Begriffe sind. Daß Gott unter verschiedenen möglichen Welt wählen muß, bildet für Leibniz, entgegen der Auffassung von Mates jedoch für Leibniz keine bloße Hypothese. Wie schon deutlich wurde, betrachtet Leibniz dies als eine notwendige Voraussetzung für die Möglichkeit vernünftiger Spontaneität.91 Damit lassen sich aber auch die Prämissen, von denen die von Mates und Brody hervorgehobene theologische Begründung der Theorie der vollständigen Begriffe ausgeht, unmittelbar als Konsequenzen der Theorie der einfachen Substanzen verstehen. Wie gelangt Leibniz von hier aber zu der These, daß auch die Ideen im menschlichen Verstand schon alles enthalten, was sich von einem Gegenstand aussagen läßt? Auch wenn nach Leibniz jeder Mensch mit Hilfe seiner eigenen Ideen, nicht mit Hilfe der Ideen Gottes denkt92, stehen die menschlichen Ideen in einer besonderen Beziehung zu den Ideen Gottes. Daß jede erschaffene Substanz das Resultat einer Sichtweise Gottes auf das Universum ist, bringt es mit sich, daß die erschaffene Substanz das Universum gemäß dieser Sichtweise ausdrückt.93 Dadurch entsteht nach Leibniz eine Entsprechung zwischen den Ideen im menschlichen Verstand und den Ideen im Verstand Gottes: Ausdrücklich werden die menschlichen Vernunftideen im Discours de Métaphysique als Abbild (imitation, image) der Vernunftideen Gottes verstanden.94 Diesen Gedanken nehmen auch die Nouveaux Essais auf: auch dort spricht Leibniz davon, daß die menschlichen Vernunftideen - die idées distinctes - ihre Archetypen (archetypes) in den Ideen Gottes oder der „ewigen Möglichkeit der Dinge" haben95, oder daß die Ideen Gottes das Urbild (original) der menschlichen M 89 90
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Leibniz an Ernst von Hessen-Rheinfels [ca. 1687] (GP II, 131 ). Mates, The Philosophy of Leibniz, S.104; Brody, „Leibniz's Metaphysical Logic", S.51. Leibniz an Ernst von Hessen-Rheinfels [1686] (GP II, 19); Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 40). Vgl. oben Abschnitt 1.2. Entgegen Loemker, der die Auffassung vertritt, daß Idee für Leibniz keine mentalen Zustände sind: „ideas are not to be defined (...) as contents or objects of the mind." („Leibniz's Doctrine of Ideas", S.39-40). DM § 14 (A VI, 4, 1549-1651). DM § 28 (A VI, 4, 1573-1574). NE II 31 § 3 (A VI, 6, 268); NE IV 4 §§ 1-5 (A VI, 6, 293).
Das Prinzip des zureichenden Grundes
131
Vernunftideen sind96. In diesem Sinn sind die idées distinctes in der menschlichen Seele eine Repräsentation Gottes.97 Dieses Verhältnis zwischen menschlichen und göttlichen Ideen führt dazu, daß der Umfang der menschlichen Ideen dem der Ideen Gottes entspricht: alles, was auf distinkte Weise im göttlichen Geist ist, ist auf konfuse und unvollkommene Weise in unserem. tout ce qui est distinctement dans l'esprit divin, est confusément et imparfaitement dans le nostre.91 Wenn also die Ideen in Gottes Verstand alles enthalten, was sich von ihren Objekten aussagen läßt, gilt dies folglich auch von ihren Abbildern im menschlichen Verstand. Das bedeutet: Aufgrund des Verhältnisses von Urbild und Abbild zwischen Gottes Ideen und den Ideen im menschlichen Verstand enthalten alle menschlichen Ideen (wenn auch nicht immer auf distinkte Weise) alles, was sich von ihren Objekten aussagen läßt.
1.5. Ideen und die Repräsentation des Universums Auch im Discours de Métaphysique vertritt Leibniz die Auffassung, daß wahre Gedanken nur etwas bewußt machen können, was in den Ideen bereits vorhanden ist: Es gab immer schon in ihrer Natur Zeichen der zukünftigen Produktion dieses Gedankens und Dispositionen, ihn zu seiner Zeit hervorzubringen. Und all dies umfaßt bereits die Idee, die in diesem Gedanken enthalten ist. il y a tousjours eu dans sa nature des marques de la production future de cette pensée et des dispositions à la produire en son temps. Et tout cecy enveloppe déjà l'idee comprise dans cette pensée.99 In jedem wahren Gedanken wird demzufolge etwas erkannt, was in der Idee bereits enthalten ist, die ihm als Disposition zugrunde liegt. Um eine Wahrheit zu erkennen, benötigt man nach Leibniz daher nur Aufmerksamkeit (animadversion) gegenüber einer Idee.100 In diesem Sinn nennt Leibniz die Idee nicht nur das 96
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NE IV 11 §§ 13-14 (A VI, 6,446-447). NEU 1 § 1 (AVI, 6,110). Leibniz an Jaquelot, 4. September 1704 (GP VI, 559). DM § 29 (A VI, 4, 1574); vgl. Meditationes de Cognitìone, Ventate et Ideis (A VI, 4, 591): „rerum vero etiam a nobis non cogitatarum ideae sunt in mente nostra, ut figura Herculis in rudi marmore". DM §26 (AVI, 4, 1571).
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Die Vernunftprinzipien
„unmittelbare Objekt" („object immédiat"), sondern auch die „Materie des Gedankens" („matière de la pensée").101 Im Discours de Métaphysique stellt Leibniz die ontologische Theorie der Ideen in den Zusammenhang der Auffassung, daß unsere Seele nicht nur Gott, sondern auch das Universum repräsentiert: Und ich glaube, daß diese Eigenschaft unserer Seele insofern sie eine Natur, Form oder Essenz ausdrückt, im eigentlichen Sinn die Idee des Gegenstandes ist, die in uns ist, und die immer in uns ist, ob wir nun an sie denken oder nicht. Denn unsere Seele drückt Gott und das Universum aus, und alle Essenzen ebenso wie alles Existierende. Et je crois que cette qualité de nostre ame entant qu'elle exprime quelque nature, forme, ou essence, est proprement l'idee de la chose, qui est en nous, et qui est tousjours en nous, soit que nous y pensions ou non. Car nostre ame exprime Dieu et l'univers, et toutes les essences aussi bien que toutes les existences.102 Dadurch, daß die Seele in ihren Perzeptionen das ganze Universum ausdrückt, entstehen demzufolge bleibende psychische Dispositionen, die Leibniz als Ideen versteht. Wie verhalten sich aber Ideen zu den Perzeptionen? Da es in der Leibniz-Welt nichts anderes als einfache Substanzen und in ihnen Perzeptionen und das Streben von einer Perzeption zur nächsten gibt,103 können Ideen und Dispositionen keine selbständige Ebene in der Ontologie von Leibniz bilden. Nach Jolley, der einen Vorschlag von Broad aufgreift104, sind Ideen für Leibniz nichts anderes als bleibende unbewußte Perzeptionen („persistent unconscious perceptions")105. Dagegen läßt sich einwenden, daß Perzeptionen bei Leibniz immer das Streben zu neuen Perzeptionen in sich tragen106, daß es also im eigentlichen Sinn keine bleibenden Perzeptionen, sondern nur eine Folge von Perzeptionen gibt. Der gegenwärtige Zustand einer einfachen Substanz enthält aber nach Leibniz Spuren (traces) aller vorangegangenen Zustände dieser Substanz und Vorahnungen {presentiments) aller nachfolgenden Zustände, in dem schon erwähnten Sinn, daß alle vorangegangenen und nachfolgenden Zustände im gegenwärtigen Zustand repräsentiert sind.107 Jeder vergangene Teil-
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Ebd.; vgl. Paraensis de Scientia Generali Tradenda [ca. 1688] (A VI, 4, 973): „De Materia Veritatum sive conceptibus atque ideis". DM §26 (AVI, 4, 1570). Leibniz an de Voider, 30. Juni 1704 (GP II, 270). Broad, Leibniz, S.134-135; Broad spricht in Bezug auf die Ideen allerdings weniger bestimmt nur von einer „persistent but unconscious experience". Jolley, The Light of the Soul, S. 162. Moa §§ 14-15 (GP VI, 608-609). DM § 14 (AVI, 4, 1551); PNG § 13 (GP VI, 604).
Das Prinzip des zureichenden Grundes
133
zustand (modification partiale) hat, wie Leibniz auch sagt, Einfluß auf den gegenwärtigen Gesamtzustand (modification totale) einer einfachen Substanz.108 Dem entsprechend werden die Ideen in den Nouveaux Essais aufgefaßt als Dispositionen, die die Reste vergangener Eindrücke in der Seele wie im Körper sind, die man aber nicht bemerkt, außer die Erinnerung findet eine Gelegenheit dazu. dispositions qui sont des restes des impressions passées dans l'ame aussi bien que dans le corps, mais dont on ne s'appercoit que lorsque la memoire en trouve quelqu'occasion. 10 '
Da den Eindrücken des Körpers nach Leibniz immer auch Eindrücke der Seele (d.h. Perzeptionen) entsprechen110, läßt sich diese Stelle als Anhaltspunkt dafür heranziehen, in welcher Weise Leibniz Ideen als Dispositionen auf nichtdispositionelle Eigenschaften der Seele reduziert: Ideen sind die Spuren, die vergangene Perzeptionen in den gegenwärtigen Perzeptionen hinterlassen. Wenn nun die Perzeptionen, die eine einfache Substanz oder einen ihrer Zustände zum Gegenstand haben, aufgrund der prästabilierten Harmonie unter den Substanzen alles enthalten, was sich von ihrem Objekt aussagen läßt, gilt dies aufgrund der Repräsentationsbeziehungen zwischen den aufeinander folgenden Zuständen einer einfachen Substanz auch von den Spuren, die die früheren Perzeptionen in den gegenwärtigen hinterlassen. Vorübergehende Perzeptionen, die alles enthalten, was sich von ihrem Objekt aussagen läßt, lassen bleibende Dispositionen entstehen, an alles zu denken, was sich von den betreffenden Objekten sagen läßt. Diese Dispositionen lassen sich mit vollständigen Begriffen gleichsetzen. Die idées confuses, d.h. die Ideen, die wir von den Gegenständen in der Welt haben111, werden deshalb zu Beginn des zweiten Buches der Nouveaux Essais ausdrücklich als eine „Repräsentation des Universums" („représentation de l'univers") bezeichnet.112 Die Theorie der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz ist also nicht nur mit der analytischen Urteilstheorie vereinbar, sondern sie führt zu einer Auffassung des menschlichen Geistes und seiner Dispositionen, wahre Gedanken zu bilden, die der analytischen Urteilstheorie genau entspricht. Wieder
108 109 1,0
111
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Extrait du Dictionnaire de M. Bayle, article Rorarius (GPIV, 548). NEU 10 § 2 (AVI, 6, 140). Leibniz an Amauld, 6. Oktober 1687 (GP II, 112); Réponses aux reflexions contenues dans la seconde Edition du Dictionnaire Critique de M. Bayle (GP IV, 563); Grua 545. Vgl. Th. § 66 (GP VI, 158): „c'est proprement par ses pensées confuses, que l'ame represente les corps qui l'environnent, (...)". NE II 1 § 1 (A VI, 6, 110).
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Die Vernunftprinzipien
sind es die deskriptiven Elemente der Theorie der einfachen Substanzen, die eine entscheidende Rolle dabei spielen. Denn die Theorie der Repräsentation des Universums in den Perzeptionen wird von Leibniz bereits auf der Ebene des système commun entwickelt.113 Auch die in Quid sit Idea entwickelte Dispositionstheorie der Ideen ist vom Standpunkt des système nouveau unabhängig. Daß in jedem wahren Gedanken etwas erkannt wird, was in einer Idee schon enthalten ist, erhält auf diese Weise eine ontologische Begründung. Dies entspricht aber genau dem, was in der logischen Formulierung des Prinzips des zureichenden Grundes ausgedrückt wird: Jede wahre Aussage hat dadurch einen apriorischen Beweis, daß der Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten ist.
2. Das Prinzip des Widerspruchs Auch dem zweiten der beiden obersten philosophischen Prinzipien, dem Prinzip des Widerspruchs, gibt Leibniz mehrere Formulierungen: (1) Jede widerspruchsfreie Aussage ist wahr, jede widersprüchliche falsch.114 (2) Jede Aussage ist entweder wahr oder falsch.115 (2.1) Eine Aussage kann nicht zugleich wahr und falsch sein.116 (2.2) Eine Aussage kann nicht weder wahr noch falsch sein.117 (3) A ist A und nicht nicht-A.118 Da Leibniz von einem einzigen Prinzip spricht, führt auch hier die Annahme nicht weiter, er habe ein logisches Prinzip (oder besser zwei logische Prinzipien: 113
Vgl. oben Kapitel II, Abschnitt 3.4. De arte characteristica (A VI, 4, 912); De liberiate, contingentia et serie causarum (A VI, 4, 1654); Specimen inventorum (A VI, 4,1616); De principiis (A VI, 4, 124); Moa § 31 (GP VI, 612). 115 GP VII, 299 [1679?]; Definitiones cogitationesque metaphysicae [ca. 1678-1682] (A VI, 4, 1394); Principium scientiae humanae (A VI, 4, 672); NE IV 2 § 1 (A VI, 6, 362); Th. § 44 (GP VI, 127); Th. § 169 (GP VI, 211); Remarques sur le Livre de l'origine du mal (GP VI, 413); Grua 479. 116 NE IV 2 § 1 (A VI, 6, 362); 2. Schreiben an Clarke (GP VII, 355). 117 NE IV 2 § 1 (A VI, 6, 362). Dabei faßt Leibniz die Aussagen (2.1) und (2.2) als die beiden in (2) enthaltenen Teilaussagen auf. "« De Elementis Cogitandi [1676] (A VI, 3, 505); 2. Schreiben an Clarke (GP VII, 355); vgl. NE I 1 § 18 (A VI, 6, 82-83); NE IV 2 § I (A VI, 6, 362). In frühen Fragmenten findet sich auch die Formulierung: „Tale principium metaphysicum est: non posse idem simul esse et non esse" (A VI, 4,2215); ebenso Grúa 263 [1676]; Grúa 536 [1679],
114
Das Prinzip des Widerspruchs
135
das Prinzips des Widerspruchs und das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten) und ein ontologisches Prinzip (das Prinzip der Identität) nur unter einen gemeinsamen Titel gestellt.119 Vom Standpunkt der panlogistischen Deutung des Substanzbegriffs aus interpretiert Gurwitsch Formulierung (3) in einem logischen Sinn und schließt daraus auf den rein logischen Charakter des Prinzips.120 Dies steht jedoch unter der Voraussetzung der problematischen Annahme, bei Leibniz bestehe zwischen einfachen Substanzen und vollständigen Begriffen kein Unterschied in der Realität. Auch bei Ishiguro findet sich eine rein logische Interpretation des Prinzips des Widerspruchs, in der jedoch Formulierung (3) nicht berücksichtigt wird.121 Im folgenden soll die im vorangegangenen Abschnitt eingeschlagene Deutungsstrategie fortgesetzt werden. Gezeigt werden soll, daß das Prinzip des Widerspruchs nicht auf seine logischen Formulierungen reduziert werden kann, und daß auch hier logische und ontologische Überlegungen in einem engen systematischen Zusammenhang stehen.
2.1. Das Prinzip des Widerspruchs und die Ontologie der Begriffe Für den Bereich der affirmativen Aussagen gilt nach Leibniz, daß eine widerspruchsfreie Aussage eine explizit oder implizit identische Aussage ist. Eine identische Aussage ist eine Aussage, deren Prädikatbegriff im Subjektbegriff explizit oder implizit enthalten ist122, und die drei weitere Bedingungen erfüllt: Erstens dürfen Prädikatbegriff und Subjektbegriff keine miteinander unvereinbaren Begriffe (inotions incompatibles) enthalten123. Zweitens darf der Prädikatbegriff keine incompatibilia enthalten.124 Drittens darf auch der Subjektbegriff keine unvereinbaren Begriffe enthalten, denn ein Begriff, der Begriffe enthält, die nicht zusammen möglich (compossible) sind, ist nicht widerspruchsfrei.125
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123 124 125
Heimsoeth, Die Methode der Erkenntnis bei Descartes und Leibniz, S.209; Martin, Leibniz, S.10; Mates, The Philosophy of Leibniz, S.152-154. Gurwitsch, Leibniz, S. 16, Anm.35. Ishiguro, Leibniz 's Philosophy ofLogic and Language, S.56-58. Specimen calculi universalis (A VI, 4, 280-281); GP VII, 300; Specimen inventorum (GP VII, 309) NEI1 § 18 (AVI, 6, 83). Ad Specimen calculi universalis addenda (A VI, 4,290). NE II 30 § 4 (A VI, 6, 265). Da Leibniz die negativen Aussagen als affirmative Aussagen versteht, die behaupten, daß der verneinte Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten ist, lassen sich diese Kriterien auch auf die negativen Aussagen anwenden.
136
Die Vernunftprinzipien
Auch Aussage (1) läßt sich ontologisch reformulieren. Eine Aussage ist, wie sich gezeigt hat, fur Leibniz ein Gedanke, d.h. eine bestimmte Art der geistigen Aktivität. Deshalb lassen sich die eben genannten Kriterien für die Widerspruchsfreiheit einer Aussage auch auf die Gedanken anwenden. Zu berücksichtigen ist dabei, daß Leibniz einen widerspruchsfreien Begriff im übertragenen Sinn auch eine „wahre" Idee nennt, wobei ihm zufolge das Merkmal einer wahren Idee ihre Widerspruchsfreiheit ist.126 Ein widerspruchsfreier Gedanke ist also ein Gedanke, der eine widerspruchsfreie Idee zum Gegenstand hat. In ihm wird etwas erkannt, was in dieser Idee enthalten ist, was deshalb in sich widerspruchsfrei und mit allem, was die betreffende Idee enthält, vereinbar ist. (1) besagt also: Ein widerspruchsfreier Gedanke ist wahr, ein widersprüchlicher falsch. Formulierung (1) steht unter zwei miteinander verbundenen Voraussetzungen: Zum einen ist dies die schon betrachtete Annahme, daß die Ideen alles enthalten, was sich von ihrem Objekt aussagen läßt. Würden nicht alle Ideen alles enthalten, was sich von ihrem Objekt aussagen läßt, könnten Gedanken wahr sein, in denen nicht etwas erkannt wird, was in einer Idee schon enthalten ist. Hinzukommen muß aber zum andern die bei Leibniz von den Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis bis zu den Nouveaux Essais wiederholt auftretende Annahme, daß alle Ideen widerspruchsfrei sind und alle widersprüchlichen Termini keine Ideen bezeichnen.'27 Denn aus einer in sich widersprüchlichen Idee könnten Aussagen erschlossen werden, die sich gegenseitig ausschließen128; in diesem Fall wären alle Beweise nutzlos, weil dann Aussagen, die sich gegenseitig ausschließen, gleichzeitig wahr sein könnten.129 Die Annahme widersprüchliche Ideen würde zu einer Aufhebung der Unterscheidung zwischen wahren und falschen Aussagen führen.130 Gemeinsam bilden die beiden genannten Annahmen auch eine hinreichende Voraussetzung für (1): Wenn alle Ideen widerspruchsfrei sind und alles enthalten, was sich von ihrem Objekt aussagen läßt, dann ist jeder Gedanke, und nur ein solcher Gedanke wahr, in dem etwas erkannt wird, was in einer widerspruchsfreien Idee enthalten ist.
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Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis (GPIV, 425); Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 63); Leibniz an Burnett [1699] (GP III, 257); NE II 32 §§ 1-5 (A VI, 6,269). Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis (GP IV, 424); DM § 25 (GP IV, 450); Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 62); GP IV, 404; NE II 30 § 3 (A VI, 6,264). Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis (GP IV, 424); Specimen inventorum (A VI, 4, 1617). De organo sive arte magna cogitandi [ca. 1679] (A VI, 4,158). Leibniz an Foucher [1686] (GP I, 384).
Das Prinzip des Widerspruchs
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2.2. Das Prinzip des Widerspruchs und das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten Für die systematischen Zusammenhänge zwischen den Formulierungen (1) und (2) ergibt sich daraus folgendes. Zunächst läßt sich (2) aufgrund der ontologischen Bestimmung der Aussage als Gedanken ontologisch reformulieren. (2) besagt: Ein Gedanke kann nur entweder wahr oder falsch sein. Nach Formulierung (1) macht die Widerspruchsfreiheit einer Aussage oder eines Gedankens die Wahrheit dieser Aussage oder dieses Gedankens aus. Aus den oben dargestellten Bedingungen für die Widerspruchsfreiheit einer Aussage (eines Gedankens) ergibt sich, daß diese Widerspruchsfreiheit nur entweder gegeben oder nicht gegeben sein kann. Daraus kann gefolgert werden, daß eine Aussage (ein Gedanke) nur entweder wahr oder falsch sein kann. Auf diese Weise lassen sich Aussage (2) und damit auch die in (2) enthaltenen Teilaussagen (2.1) und (2.2) als Folgen von Aussage (1) auffassen. Dies erklärt, weshalb Leibniz das traditionell vom Prinzip des Widerspruchs unterschiedene Prinzip des ausgeschlossenen Dritten ausdrücklich zu den Aussagen rechnet, die im Prinzip des Widerspruchs enthalten sind.131
2.3. Das Prinzip des Widerspruchs und das Prinzip der Identität Der einzige Anhaltspunkt dafiir, daß Leibniz auch Aussage (3) zu den Formulierungen des Prinzips des Widerspruchs rechnet, findet sich im zweiten Schreiben an Clarke: Das große Fundament der Mathematik ist das Prinzips des Widerspruchs oder der Identität, d.h. daß eine Aussage nicht wahr und falsch zur gleichen Zeit sein kann, und daß folglich gilt, A ist A und kann nicht nicht-A sein. Le grand fondement des Mathématiques est le Principe de la Contradicition, ou de l'Identité, c'est à dire, qu'une Enontiation ne sauroit etre vraye et fausse en même temps, et qu'ainsi A est A, et ne sauroit etre non A.132
Der Satz „A ist A" wird hier als eine Folge der in (2) enthaltenen Aussage (2.1) verstanden, und er wird gleichgesetzt mit dem Satz ,A ist nicht nicht-A". Diese zweite Beobachtung ist sowohl fur den Inhalt als auch für die systematische
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Vgl. GPVII,299;2. Schreiben anClaike(GP VII, 355); NE I V 2 § 1 (AVI, 6,361-362); Th. § 44 (GP VI, 127); Remarques sur le Livre de l'origine du mal (GP VI, 413). GP VII, 355.
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Die Vernunftprinzipien
Stellung von (3) von Bedeutung. In den Nouveaux Essais bringt Leibniz den Satz „A ist nicht nicht-A" in Zusammenhang mit dem Prinzip des Widerspruchs.133 Zunächst stellt er in der Person Théophiles fest, daß Sätze wie „Das Quadrat ist kein Kreis" oder „Die Farbe Gelb ist nicht die Süße", die er als Beispiele für Sätze der Form „A ist nicht nicht-A" anführt134, nach dem Prinzip des Widerspruchs als dem Prinzip der identischen Aussagen wahr sind. Daraufhin schlägt Philalèthe, der die Position Lockes vertritt, vor, die Maxime „Was das selbe Ding ist, ist nicht anders" („Ce qui est la même chose n'est pas different") als das Prinzip aufzufassen, auf dem die Wahrheit von Sätzen wie „Das Quadrat ist kein Kreis" beruht. Dem hält Théophile entgegen: Ich sehe nicht, wie der Satz: was das selbe Ding ist, ist nicht anders, der Ursprung des Prinzips des Widerspruchs sein könnte, und einfacher als dieses Prinzip; denn es scheint mir, man nehme sich mehr Freiheit zu sagen, daß A nicht Β ist, als zu sagen, daß A nicht nicht-A ist. Und der Grund, der A daran hindert Β zu sein, ist daß Β nicht-A enthält. Je ne vois pas bien comment ceci: ce qui est la même chose n'est pas different, soit l'origine du principe de contradiction, et plus aisé; car il me paroist qu'on se donne plus de liberté en avançant qu'A n'est point B, qu'en disant qu'A n'est point non A. Et la raison qui empeche A d'estre B, est que Β enveloppe non A.135
Daß A nicht nicht-A ist, so wäre das Argument hier zu ergänzen, folgt seinerseits aus dem Prinzip des Widerspruchs, weil nach dem Prinzip des Widerspruchs jede Aussage der Form „A ist nicht nicht-A" wahr und jede Aussage der Form „A ist nicht-A" falsch ist. Wenn diese Passage in dieser Weise zu verstehen ist, dann wird in ihr das Prinzip der Identität als eine Folge von (1) aufgefaßt. Doch wie erklärt sich dieses Verhältnis von (1) und (3)? Was existiert oder möglich ist, nennt Leibniz das „Seiende".136 Den Begriff des Seienden definiert er in dieser Weise: Ein Seiendes ist etwas, dessen Begriff etwas Positives enthält (...), nämlich insofern das, was wir begreifen, möglich ist und keinen Widerspruch enthält (...). Ens est, cujus conceptus aliquid positivi involvit (...), modo id quod concipimus sit possibile nec involvat contradictionem (...). 137
1,3 134 135 136 137
NEI 1 § 18 (AVI, 6, 82-83). Vgl. NE IV 2 § 1 (A VI, 6, 362). NEI 1 § 18 (AVI, 6, 82-83). De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (A VI, 4,1500). Ebd. Entsprechend sagt Leibniz: „Je supposeray (...), que deux contradictoires ne scauroient estre vrayes, et que ce qui implique contradiction, ne scauroit estre" (Leibniz an Foucher [1686], OP 1,382).
Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren
139
Dies wird aber in Aussage (3) ausgedrückt. Denn wenn (3) durch „A ist nicht nicht-A" erläutert wird, und wenn „A ist nicht nicht-A" als die gegenüber „A ist nicht B" grundlegende Aussage betrachtet wird, wird in (3) Identität als die Widerspruchsfreiheit einer Entität, nicht als die Verschiedenheit einer Entität von einer anderen bestimmt. Aussage (1) und Aussage (3) ergänzen sich also inhaltlich in der Weise, daß in (3) die Widerspruchsfreiheit alles Seienden, in (1) die Widerspruchsfreiheit aller wahren Aussagen festgelegt wird. Tatsächlich vertritt Leibniz die Auffassung, daß das Prinzip des Widerspruchs bereits alles enthält, was in Bezug auf die Essenzen oder die möglichen Gegenstände zu wissen ist.13* In dieser Weise ist Aussage (3) eine Konsequenz von Aussage (1). Gleichzeitig ist er der Ansicht, daß das Prinzip des Widerspruchs eine Konsequenz der Definition des Möglichen bildet, der zufolge dasjenige möglich ist, fur das etwas zu sein und nicht nicht etwas zu sein dasselbe ist.139 Demzufolge wäre auch Aussage (1) eine Konsequenz von Aussage (3). In diesem Fall hätte Leibniz die Aussagen (1) und (3) als logisch äquivalente Formulierungen ein und desselben Prinzips betrachtet. Dies macht deutlich, daß bei Leibniz von Anfang an auch ontologische Überlegungen in das Prinzip des Widerspruchs eingegangen sind. Allerdings handelt es sich dabei um apriorische Überlegungen, die von einer Analyse des Begriffs der Möglichkeit ausgehen. Während die Bestimmung der Widerspruchsfreiheit einer Aussage als Enthaltensein des Prädikatbegriffs im Subjektbegriff mit der deskriptiven Bestätigung der analytischen Urteilstheorie selbst ein deskriptives Fundament erhält, spielt hier in der Begründung des Prinzips des Widerspruchs ein Stück revisionärer Metaphysik die entscheidende Rolle.
3. Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren Nun ist abschließend die systematische Stellung des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren zu klären, das Leibniz neben dem Prinzip des zureichenden Grundes und dem Prinzip des Widerspruchs als ein weiteres zentrales philosophisches Prinzip betrachtet.140 Das Prinzip der Identität des
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1,9
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De liberiate a necessitate in eligendo [ca. 1680-1684] (A VI, 4, 1454): „Qui recte considérât fatebitur mihi ut principium contradictionis est origo omnium quae sciri possunt essentias". De affectibus [1679] ( A VI, 4,1440): „Reliqua pendent ex definitionibus. Possibile est quod esse aliquid et non-non esse aliquid est idem. Itaque principium contradictionis continetur in definitione possibilitatis." De ipsa natura (GPIV, 514); 4. Schreiben an Clarice (GP VII, 372).
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Die Vernunftprinzipien
Ununterscheidbaren besagt: In der Natur kann es keine zwei Dinge geben, die in jeder Hinsicht voneinander ununterscheidbar sind; Dinge, die voneinander verschieden sind, müssen eine Art von innerer, d.h. qualitativer Verschiedenheit aufweisen.141 Leibniz bezeichnet dies an einer Stelle als ein besonders offensichtliches Axiom („manifestissimum axioma"), was dafür sprechen könnte, daß er das Prinzip zumindest an dieser Stelle als einen selbstevidenten Satz betrachtet hat.142 An anderer Stelle führt er hingegen als empirische Bestätigung des Prinzips die Erfahrung an, daß es sich als unmöglich erweist, in einem Garten zwei genau ähnliche Blätter aufzufinden143, oder daß sich in zwei dem Augenschein nach vollkommen ähnlichen Wassertropfen auf mikroskopischer Ebene ganz unterschiedliche Ansammlungen von Mikroorganismen finden144. Der Gedanke einer möglichen Selbstevidenz des Prinzips und die Suche nach Bestätigungen des Prinzips in der empirischen Welt hindern Leibniz jedoch nicht, für das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren auch philosophische Begründungen zu entwickeln.
3.1. Logische und theologische Begründungen des Prinzips Bereits Couturat hat darauf hingewiesen, daß Leibniz das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren in Texten aus der Zeit um 1686 zu den Konsequenzen der analytischen Urteilstheorie zählt.145 Allerdings liegt hier der Einwand nahe, daß der Umstand, daß der Begriff eines Gegenstandes alle Prädikatbegriflfe umfaßt, die ihm zukommen, allein nicht ausschließt, daß mehr als ein einziger Gegenstand unter einen solchen Begriff fallt.146 Dem entsprechend findet sich die betrachtete logische Begründung des Prinzips nicht mehr in späteren Texten von Leibniz. 141
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Leibniz an de Voider, 20. Juni 1703 (GP II, 249): „Quae différant, debent aliquo differre seu in se assignabilem habere diversitatem"; vgl. GP VII, 372. Leibniz an de Voider, 20. Juni 1703 (GP II, 249). 4. Schreiben an Clarke (GP VII, 372); Leibniz an Kurfürstin Sophie, 31. Oktober 1705 (GP VII, 563); NE II 27 § 3 (A VI, 6,231). 4. Schreiben an Clarke (GP VII, 372); Leibniz an Kurfürstin Sophie, 31. Oktober 1705 (GP VII, 563). Couturat, La logique de Leibniz, S.228-229. Ebenso B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.58; Broad, Leibniz, S.39; Paridnson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.129; Frankel, „Leibniz's Principle of Identity of Indiscernibles", S.194-195; Troisfontaines, „L'approche logique de la substance et le principe des indiscernables", S.9497. Vgl. DM § 9 (A VI, 4, 1541-1542); Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 42); Principia Logico-Metaphysica (AVI, 4,1645). Vgl. Frankel, „Leibniz's Principle of Identity of Indiscernibles", S.197-209.
Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren
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Die zweite Begriindungsstrategie, die in der Literatur einige Aufmerksamkeit gefunden hat, ist die theologische Begründung des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren in der Korrespondenz mit Clarke.147 Dort argumentiert Leibniz, daß wenn Gott mehrere qualitativ identische Gegenstände geschaffen hätte, es keinen Grund für deren numerisch Verschiedenheit gäbe; in diesem Fall würde Gott ohne zureichenden Grund handeln.148 Dies bildet bei Leibniz zugleich ein Argument gegen die absolute Auffassung von Raum und Zeit.149 Die Prämissen dieses Arguments - die Existenz Gottes, das Prinzip des zureichenden Grundes, die Geltung des Prinzips ftir die Handlungen Gottes - lassen sich ihrerseits als Konsequenzen der Theorie der einfachen Substanzen auffassen. Über die Vermittlung dieser theologischen Prämissen ergibt sich damit eine erste Verknüpfung zwischen dem Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren und der Theorie der einfachen Substanzen.150
3.2. Drei Modelle der Repräsentation des Universums Die logischen und theologischen Begründungen des Prinzips lassen jedoch die Frage offen, ob das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren auch in einen unmittelbaren Zusammenhang zur Theorie der einfachen Substanzen gesetzt werden kann. Parkinson vertritt die Ansicht, daß es vom Standpunkt der Theorie der prästabilierten Harmonie möglich ist, daß zwei Seelen exakt die selben Perzeptionen haben.151 Eine solche Deutung würde es ausschließen, das Prin147
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B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.55-56; Broad, Leibniz, S.41-42; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.132; Hacking, „The Identity of Indiscernibles", S.255; Vinci, „What is the Ground for the Principle of the Identity of Indiscernibles in Leibniz's Correspondence with Clarice?", S.98-100; Clatterbaugh, „Leibniz's Principle of the Identity of Indiscernibles", S.251-252; Frankel, „Leibniz's Principle of Identity of Indiscernibles", S.209-211 ; Grover, „West or Best? Sufficient Reason in the Leibniz-Clarke Correspondence", S.84-87; Rodriguez-Pereyra, „Leibniz's Argument for the Identity of Indiscernibles in His Correspondence with Clarke", S.429-438. 5. Schreiben an Clarice (GP VII, 393-394). Ebd. (GP VII, 395). Eine weitere theologische Begründungsstrategie für das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren hat Mates vorgeschlagen. Nach seiner Auffassung muß die Identität des Ununterscheidbaren gelten, weil in dem Fall, daß zwei voneinander prinzipiell, d.h. von einem vollkommenen Erkenntnisstandpunkt ununterscheidbare Individuen existieren, es Dinge geben würde, die Gott nicht wissen kann (The Philosophy of Leibniz, S. 244). Doch macht Leibniz von dem von Mates vorgeschlagenen Argument keinen expliziten Gebrauch. Dies spricht dafür, dem Argument von der göttlichen Allwissenheit zur Identität des Ununterscheidbaren keine zentrale Bedeutung einzuräumen. Parkinson, Logic and Reality in Leibniz 's Metaphysics, S. 134.
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Die Vemunftprinzipien
zip der Identität des Ununterscheidbaren als eine Konsequenz der Theorie der einfachen Substanzen aufzufassen. In unterschiedlicher Weise versuchen hingegen Gurwitsch und C.Brown, das Prinzip aus der Substanztheorie abzuleiten. Gemeinsam ist beiden Darstellungen, daß sie das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren in eine Beziehung setzen zu Leibniz' These von der Perspektivität der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz.152 Brown weist auf eine Passage aus dem Discours de Métaphysique hin, in der Leibniz das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren aus der Theorie der vollständigen Begriffe und der These ableitet, daß die einfache Substanz das ganze Universum repräsentiert.153 Gurwitsch stützt sich auf eine Passage aus dem Briefwechsel mit de Voider, in der Leibniz davon spricht, daß die einfachen Substanzen sich notwendigerweise voneinander unterscheiden müssen, da sie das Universum jeweils von ihrem eigenen Standpunkt aus repräsentieren.154 In die selbe Richtung geht eine von Gurwitsch nicht herangezogene Äußerung von Leibniz, der zufolge die Identität des Ununterscheidbaren eine unmittelbare Konsequenz der Theorie der petites perceptions bildet: aufgrund der unmerklichen Veränderungen können zwei individuelle Gegenstände nicht vollkommen gleich sein, und (...) müssen sich immer mehr als numerisch voneinander unterscheiden. en vertu des variations insensibles, deux choses individuelles ne sauraient estre parfaitement semblables, et (...) elles doivent toujours différer plus que numero.1" Die Theorie der petites perceptions schließt folglich aus, daß zwei einfache Substanzen vollkommen ähnliche Perzeptionen haben. Dies bildet einen dritten wichtigen Beleg für eine Begründung des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren durch die Theorie der einfachen Substanzen. Die Interpretationen von Gurwitsch und Brown unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Modelle für die Weise, in der die einfachen Substanzen das Universum von ihrem Standpunkt aus repräsentieren.
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Gurwitsch, Leibniz, S.239; C.Brown, Leibniz and Strawson, S.90; 103. DM § 9 (AVI, 4,1541-1542). Leibniz an de Voider, 20. Juni 1703 (GP II, 251): „Entelechias differre necesse est, seu non esse penitus similes inter se, imo principia esse diversitatis, nam aliae aliter exprimunt universum ad suum quaeque spectandi modum". NE préf. (A VI, 6, 57).
Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren
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3.2.1. Perspektivische Repräsentation: Modell I Die Perspektivität der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz ergibt sich nach dem von Brown vorgeschlagenen Modell allein dadurch, daß die einfache Substanz durch die Beziehung ihres Körpers zu anderen Körpern und nur durch diese Beziehung die Welt perzipiert.156 Dafür führt Brown zum einen eine Passage an, der zufolge die Seele den Zustand des Universums entsprechend der Beziehung anderer Körper zu ihrem eigenen in einer bestimmten Weise und von einem bestimmten Zeitpunkt aus wahrnimmt: auf bestimmte Weise und für bestimmte Zeit, gemäß der Beziehung anderer Körper zum ihrigen, drückt die Seele den Zustand des Universums aus. c'est en quelque facon et pour un temps, suivant le rapport des autres corps au sien, que l'ame exprime Testât de l'univers.157 Zum andern beruft sich Brown auf eine Stelle aus den Nouveaux Essais, an der Leibniz deutlich macht, daß es ohne Sinneswahrnehmungen keine Reflexion und ohne Organe keine Sinneswahrnehmung gibt.158 Für Browns Modell sprechen auch Äußerungen von Leibniz, denen zufolge im Körper der Standpunkt der Seele ist oder der Körper ihren Standpunkt ausmacht.159 Eine solche Auffassung scheint auch der schon betrachteten Begründung der perspektivischen Repräsentation des Universums in der Seele über die perspektivische Repräsentation des Universums im Körper und die Repräsentation des Körpers in der Seele zu entsprechen.160 Dennoch stellt Leibniz in dem von Brown zitierten Abschnitt aus dem Discours de Métaphysique die Harmonie zwischen Leib und Seele als einen Sonderfall der Harmonie unter allen einfachen Substanzen dar.161 Deshalb spricht er unmittelbar vor dem von Brown zitierten Satz davon, daß die Perzeptionen in der Seele allem, was im Universums geschieht, und nur in besonderer Weise dem entspricht, was in ihrem Körper geschieht.162 Dies stellt die These von der perspektivischen Repräsentation des Körpers in der Seele in den Kontext der Theorie der universellen Harmonie unter allen einfachen Substanzen. Die
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C.Brown, Leibniz and Strawson, S.93: „Each finite monad is effectively bodied, and it is through and only through the relation of its body to other bodies that the finite monad perceives its world"; vgl. ebd., S.45. DM §33 (AVI, 4, 1582) NE II21 §73 (A VI, 6, 212). SN (GP IV, 484); Leibniz an Jaquelot, 9. Februar 1704 (GP III, 464); Extrait du Dictionnaire de M. Bayle, article Rorarius (GP IV, 530). Vgl. oben Kapitel Π, Abschnitt 3.4. DM §33 (A VI, 4, 1582). Ebd.; vgl. Mon. § 62 (GP VI, 617).
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Die Vernunftprinzipien
Repräsentation des Körpers ist folglich nicht allein konstitutiv für die Perspektivität der Repräsentation des Universums in der Seele.
3.2.2. Perspektivische Repräsentation: Modell Π Nach dem Modell von Gurwitsch betrifft die perspektivische Repräsentation in gleicher Weise alle einfachen Substanzen in der Welt, ohne die Vermittlung über den Körper einer einfachen Substanz vorauszusetzen. Im Gegenteil wird die perspektivische Repräsentation des ganzen Universums als eine notwendige Voraussetzung dafür aufgefaßt, daß eine einfache Substanz eine Gruppe anderer Substanzen, eben diejenigen, die ihren Körper konstituieren, besonders klar und distinkt perzipieren kann.163 Gurwitsch weist darauf hin, daß nach Leibniz der durch unterschiedliche räumliche Beziehungen und kausale Einflüsse konstituierten Perspektivität der Repräsentation des Universums im materiellen Körper auf der Ebene der einfachen Substanzen die durch unterschiedliche Grade der Klarheit und Distinktheit konstituierte Perspektivität der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz zugrunde liegt.164 Das von Gurwitsch vorgeschlagene Modell der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz läßt sich folglich als eine Konsequenz der These von der perspektivischen Repräsentation des Universums im materiellen Körper und der Auffassung verstehen, daß der scheinbaren kausalen Interaktion und den räumlichen Beziehungen unter den materiellen Körpern eine universelle Harmonie unter einfachen Substanzen zugrunde liegt. Gurwitsch interpretiert die Repräsentation des Körpers in der Seele jedoch einseitig in dieser Weise als Ausdruck der perspektivischen Repräsentation aller einfacher Substanzen in der Seele.165 Die zugunsten des Modells von Brown angeführten Passagen deuten darauf hin, daß das Modell von Gurwitsch seinerseits die konstitutive Rolle des Körpers einer einfachen Substanz für die Perspektivität ihrer Perzeptionen nicht hinreichend berücksichtigt.
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Gurwitsch, Leibniz, S.235-238. Ebenso Pape, „Perspectivity: G.W.Leibniz on the Representation of Ontological Structure", S.7-9. Gurwitsch, Leibniz, S.232. Vgl. Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 112-113); Eclaircissement des difficultés que Monsieur Bayle a trouvées dans le système nouveau (GP IV, 523). Gurwitsch, Leibniz, S.233-235.
Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren
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3.2.3. Perspektivische Repräsentation: Modell ΠΙ Dieser Sachlage am besten angemessen scheint ein Modell zu sein, das von einer zweistufigen Konzeption der Perspektivität der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz ausgeht. Bei Leibniz scheinen sich zwei Aspekte gegenseitig zu ergänzen: die Auffassung, daß die Seele von ihrem Standpunkt aus das Universum und daher mit besonderer Deutlichkeit ihren Körper repräsentiert, und die Auffassung, daß die Seele das Universum in besonderer Weise über die Vermittlung ihres Körpers repräsentiert. Beide Aspekte treten in einer Passage aus der Monadologie deutlich zum Vorschein: obwohl jede erschaffene Monade das ganze Universum repräsentiert, repräsentiert sie distinkter den Körper, der mit ihr besonders verbunden ist und dessen Entelechie sie ausmacht; und da dieser Körper das ganze Universum aufgrund der Verknüpfung aller Materie im Plenum ausdrückt, repräsentiert die Seele ebenfalls das ganze Universum, indem sie diesen Körper repräsentiert, der ihr auf besondere Weise angehört. quoique chaque monade créée represente tout l'univers, elle represente plus distinctement le corps qui lui est affecté particulièrement et dont elle fait l'entelechie; et comme ce corps exprime tout l'univers par la connexion de toute matière dans le plein, l'âme represente aussi tout l'univers en représentant ce corps, qui lui appartient d'une maniere particulière.166 Die perspektivische Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz ist folglich einerseits eine notwendige Voraussetzung für die Repräsentation eines ihr zugeordneten Körpers. Die Repräsentation des Körpers spielt aber andererseits eine konstitutive Rolle für der Perspektivität der Repräsentation des Universums: Die einfache Substanz repräsentiert aufgrund der Perspektivität ihrer Perzeptionen nicht nur die Zustände einiger anderer einfacher Substanzen mit größerer Klarheit und Distinktheit, sondern repräsentiert auch mittels dieser Zustände die Zustände anderer einfacher Substanzen mit größerer Klarheit und Distinktheit. Deshalb kann Leibniz sagen, daß wir andere Körper nur durch die Beziehung apperzipieren, den sie zu unserem Körper haben.167 Die perspektivische Repräsentation des ganzen Universums ist folglich nicht nur die Voraussetzung für die Repräsentation des eigenen Körpers, sondern die Repräsentation des eigenen Körpers trägt ihrerseits zu der Perspektive bei, aus der wir das Universum repräsentieren.
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Moa §62 (GP VI, 617). Leibniz an Arnauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 113): „nous ne nous appercevons des autres corps, que par le rapport qu'ils ont au nostre".
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Die Vernunftprinzipien
Ein solches zweistufiges Modell der perspektivischen Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz erfaßt am genauesten, was Leibniz damit meint, daß die einfachen Substanzen Prinzipien der Verschiedenheit sind, und daß sich die einfachen Substanzen aufgrund der petites perceptions, mit denen sie das ganze Universums repräsentieren, notwendigerweise voneinander unterscheiden müssen. Dieses Modell trägt beiden Begründungen für die Perspektivität der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz Rechnung, die sich bei Leibniz finden: einerseits der Begründung über die Perspektivität der Repräsentation des Universums im materiellen Körper und die ihr zugrundeliegende prästabilierte Harmonie unter einfachen Substanzen, andererseits der Begründung über die Perspektivität der Repräsentation des Universums im materiellen Körper und die Repräsentation aller körperlicher Vorgänge in der ihn dominierenden einfachen Substanz. Auf diese Weise verknüpft das vorgeschlagene Modell das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren nicht nur mit der Theorie der einfachen Substanzen, sondern bindet das Prinzip auch so eng als möglich an den metaphysischen Beweisgang an, der ihr zugrunde liegt.
3.3. Die Geltung des Prinzips fur Gegenstände in der materiellen Welt Ein letztes Problem scheint sich aus dem Anwendungsbereich des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren zu ergeben. Die vorangegangenen Überlegungen, so sieht es aus, betreffen zunächst nur die Identität des Ununterscheidbaren auf der Ebene der einfachen Substanzen. Nach einer verbreiteten Auffassung gilt das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren nur für individuelle Substanzen.168 Dies steht in einem Gegensatz zu der wiederholten Formulierung von Leibniz, der zufolge das Prinzip allgemein fur Dinge „in der Natur" gilt.169 Eine solche Formulierung schließt, was Leibniz an anderer Stelle auch explizit zum Ausdruck bringt170, zwar die Geltung des Prinzips für abstrakte 16
* B.Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz, S.54; Parkinson, Logic and Reality in Leibniz's Metaphysics, S.129; Clatterbaugh, „Leibniz's Principle of the Identity of Indiscernibles", S.249; Frankel, „Leibniz's Principle of Identity of Indiscernibles", S.195; C.Brown, Leibniz and Strawson, S.90. 169 Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1645); 5. Schreiben an Clarke (GP VII, 393). 170 GM VII, 265: „Et in universum quicquid de uno congruorum fieri dicive potest, id de altero quoque fieri potest et dici, hoc uno excepto, quod ea quae in uno adhibentur, numero différant seu positione ab iis quae in alio adhibentur"; vgl. GM VII, 275.
Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren
147
Vernunftgegenstände wie etwa geometrische Figuren aus, bezieht aber Gegenstände in der materiellen Welt mit ein. Nur so wird auch der Versuch einer empirischen Bestätigung des Prinzips durch den Vergleich von materiellen Gegenständen wie Blättern im Garten oder Wassertropfen verständlich. Wie begründet Leibniz aber die Geltung des Prinzips auf der Ebene der materiellen Gegenstände? Gurwitsch weist hier daraufhin, daß die einfachen Substanzen der materiellen Welt in der Weise zugrunde liegen, daß sich Unterschiede auf der Ebene der einfachen Substanzen auf die Ebene der materiellen Gegenstände übertragen.171 Tatsächlich begründet Leibniz die Geltung des Prinzips der Identität des Ununterscheidbaren auf der Ebene der materiellen Gegenstände ausdrücklich durch die Geltung des Prinzips auf der Ebene der einfachen Substanzen: Jene Unähnlichkeit oder Abweichung der Eigenschaften, und damit Andersheit oder Verschiedenheit, die Aristoteles nicht genügend dargestellt hat, entsteht durch die verschiedenen Grade und Richtungen der Kräfte, und damit durch die Modifikationen der in ihnen existierenden Monaden. Dissimilitude autem illa vel qualitatum diversitas, atque adeo αλλοιωσις vel alteratio, quam non satis exposuit Aristoteles, ipsis diversis nisuum gradibus directionibusque, monadumque adeo inexistentium modificationibus obtinetur.172 Der qualitativen Verschiedenheit materieller Gegenstände liegen folglich Unterschiede in der Stärke und der Richtung von Kräften, und diesen wiederum Unterschiede in den Aktivitäten der einfachen Substanzen zugrunde. Auf diese Weise läßt sich nicht nur die Geltung des Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren auf der Ebene der einfachen Substanzen, sondern auch die Geltung des Prinzips auf der Ebene der materiellen Gegenstände als eine Konsequenz der Theorie der einfachen Substanzen verstehen.
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Gurwitsch, Leibniz, S.239. De ipsa natura (GPIV, 514).
Zusammenfassung Was hat Leibniz dazu gebracht, eine Theorie der einfachen Substanzen zu vertreten? In Leibniz' Metaphysik finden sich, so wurde in diesen Untersuchungen zu zeigen versucht, nebeneinander revisionäre und deskriptive Elemente, die für die Begründung seiner Metaphysik in gleicher Weise eine Rolle spielen: Revisionäre Elemente sind der Versuch, die Theorie der einfachen Substanzen aus der (ihrerseits hypothetischen) Theorie der vollständigen Begriffe abzuleiten, die Idee einer hypothetisch-deduktiven Methodologie, die Rechtfertigung der Theorie der einfachen Substanzen als der besten zur Verfügung stehenden ontologischen Hypothese, und apriorische Überlegungen zu Begriffen wie dem Begriff Gottes, des Möglichen und der Substanz. Deskriptive Elemente hingegen liegen in den vom Standpunkt des système nouveau unabhängigen Aspekten von Leibniz' Theorie der metaphysischen Begriffe, die von Leibniz in einer Theorie der inneren Erfahrung methodologisch konkretisiert werden, in der Analyse der materiellen Welt mit Hilfe dieser metaphysischen Begriffe, und schließlich in der Auffassung von Aspekten der Vernunftprinzipien als Konsequenzen der deskriptiven Elementen der Theorie der einfachen Substanzen, insbesondere der Theorie der Spontaneität mentaler Vorgänge und der Theorie der Repräsentation des Universums in der Seele.
1. Logik und der hypothetische Charakter von Leibniz ' Metaphysik Zu Beginn wurden einige Probleme dargestellt, die mit den drei in der neueren Leibniz-Literatur dominierenden Interpretationen des logischen Aufbaus von Leibniz' Metaphysik verbunden sind. Gegen die bis heute einflußreiche These von der Identität von individueller Substanz und vollständigem Begriff, so hat sich gezeigt, lassen sich drei Dinge einwenden. (1) Die strukturellen Parallelen zwischen der Theorie der einfachen Substanzen und der Theorie der vollständigen Begriffe machen eine Gleichsetzung von einfacher Substanz und vollständigem Begriff nicht zwingend. (2) Leibniz' These, daß der Schöpfungs-
Logik und Hypothesen
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akt die Essenz der Dinge nicht verändert, schließt eine Unterscheidung zwischen Essenz und existierendem Gegenstand nicht aus.1 Seine Formulierung, daß Essenzen ein Streben hin zur Existenz besitzen, ist eine metaphorische Wendung, die fur den Widerstreit der Gründe in Gottes Verstand steht.2 (3) Die bei Leibniz an verschiedenen Stellen fehlende Unterscheidung ontologischer und logischer Sprechweisen scheint auf terminologischen Inkonsequenzen zu beruhen, die sachlich die Unterscheidung zwischen Begriffen und Gegenständen nicht aufheben.3 (4) Leibniz betrachtet einfache Substanzen nicht als lebendige Ideen, sondern als Substanzen, die Ideen hervorbringen.4 Eine weitere Auffassung, die kritisch betrachtet wurde, rückt die Ableitung der Metaphysik aus der Logik in den Mittelpunkt der Darstellung des systematischen Aufbaus von Leibniz' Metaphysik. Auch hier ergeben sich verschiedene Einwände. (1) Eine solche Argumentationsweise findet sich ausschließlich in Texten aus dem unmittelbaren Umfeld des Discours de Métaphysique und der Korrespondenz mit Arnauld.5 In späteren Texten verliert sich diese Begründungsstrategie vollständig. (2) Das logische Argument fur die Existenz einfacher Substanzen steht vor inhaltlichen Problemen: Leibniz hat an keiner Stelle gezeigt, auf welche Weise aus der Vollständigkeit ihres Begriffs die Autarkie und Autonomie der einfachen Substanz folgt. (3) Diese inhaltlichen Probleme bleiben auch dann bestehen, wenn man das logische Argument fur die Existenz einfacher Substanzen um weitere Prämissen ergänzt, aus denen etwa die Existenz einer Vielzahl von geschaffenen Substanzen in der Welt folgt. (4) Die Unterscheidung zwischen Synthese und Analyse enthält die Forderung, daß der Ableitung von bestimmten Sätzen aus einer gegebenen Zahl von Axiomen eine Begründung der Axiome vorangeht, in der gezeigt wird, daß diese Axiome eine Voraussetzung von bereits akzeptierten Sätzen bilden.6 1
2 J
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NE ΙΠ 3 § 15 (A VI, 6, 293-294); NE III 6 § 27 (A VI, 6, 321); NE III 10 §§ 17-18 (A VI, 6, 345). Th. § 201 (GP VI, 236). Beilage zum Schreiben an des Bosses 12. Dezember 1712 (GP II, 471); Genera Terminorum. Substantiae (A VI, 4, 568); Divisiones (A VI, 4, 574-575). Leibniz an de Voider, 23. Juni 1699 (GP II, 184). Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4, 1644-1647); Remarques sur la lettre de M. Amauld (GP II, 46); Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 57); DM § 9 (AVI, 4, 1541-1542); DM § 33 (A VI, 4, 1581-1583); Specimen inventorum de Admirandis naturae Generalis arcanis (A VI, 4,1617); De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (A VI, 4, 1503-1504). Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae [1667] (A VI, 1, 279); Leibniz an Conring, 19. März 1678 (GP I, 194); A VI, 4, 351; Elementa nova matheseos universalis [1684-1687] (A VI, 4, 523); Leibniz an Burnett, 1./ 11. Februar 1697 (GP III, 193); Bodemann, Die Leibniz-Handschriften der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, S.59.
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Zusammenfassung
Die heute wohl einflußreichste Interperpretation geht davon aus, daß Leibniz im System seiner Metaphysik nichts anderes als ein Netz von miteinander verbundenen Hypothesen gesehen hat. Auch gegen diese Auffassung lassen sich verschiedene Punkte einwenden. (1) Obwohl Leibniz die These von der prästabilierten Harmonie tatsächlich als eine Hypothese verteidigt, die traditionelle philosophische Probleme lösen kann7, bildet dies nur eine Minimalstrategie zur Verteidigung des metaphysischen Systems. (2) Leibniz formuliert das Ideal einer hypothetisch-deduktiven Methodologie in der Metaphysik nach dem Vorbild der euklidischen Geometrie nur in einer zeitlich eng begrenzten Periode (etwa von 1686 bis zu den ersten Reaktionen auf Lockes Essay concerning human understanding).8 Diese Haltung läßt sich nach der Ausarbeitung der Theorie der angeborenen Ideen, zu denen Leibniz die Begriffe der Metaphysik zählt, nicht mehr nachweisen. (3) Neben der Theorie der angeborenen Ideen vertritt Leibniz auch die Ansicht, daß die Analyse der Materie auf beweisendem Weg zur Theorie der einfachen Substanzen führt.9
2. Die Analyse des Denkens und die Theorie der angeborenen Begriffe Um die Rolle der Analyse in der Begründung der Metaphysik zu konkretisieren, wurde im folgenden versucht, die methodologischen Aspekte der Theorie der angeborenen Ideen und Wahrheiten, zu denen Leibniz die Begriffe und Aussagen der Metaphysik zählt, mit Hilfe des Begriffs der inneren Erfahrung zu erfassen. Innere Erfahrungen, so hat sich gezeigt, sind fur Leibniz Aussagen über unsere geistigen Aktivitäten,10 und die angeborenen Ideen und Wahrheiten sind die Begriffe und Aussagen, die von diesen Aussagen impliziert werden.11 Die Analyse der inneren Erfahrungen führt auf diese Weise zu notwendigen Voraussetzungen des Denkens.12
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Leibniz an Lady Masham, 30. Juni 1704 (GP III, 353; 355); SN (GP IV, 486-487); GP IV, 498-499; GP IV, 500-501. Animadversiones in partem generalem Principiorum Cartesianorum (GP IV, 355); Leibniz an Foucher [1686] (GP I, 381-382); Quelques remarques sur le livre de Möns. Lock intitulé Essay of Understanding (A VI, 6, 5). Leibniz an Kurfürstin Sophie, 31. Oktober 1705 (GP VII, 565). GP IV, 329. Leibniz an Amauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 121); Bodemann, Die Leibniz-Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Hannover, S.100. NE I 1 § 20 (A VI, 6, 83-84); NE I 1 § 25 (A VI, 6, 85); NE I 3 § 3 (A VI, 6, 101-102).
Die Analyse des Denkens
151
Zu den inneren Erfahrungen, von denen die metaphysische Analyse ausgeht, gehören bei Leibniz die folgenden Aussagen: (1) Wir sind uns bestimmter geistiger Aktivitäten bewußt.13 (2) Wir haben Erinnerungen.14 (3) Manche unmerklichen sinnlichen Eindrücke werden uns später bewußt.15 (4) Vergessenes kann uns bewußt werden, ohne daß wir es, wenn es uns bewußt wird, als Erinnerung erkennen.16 (5) Wir erfassen manche Dinge leichter, weil wir sie, auch wenn wir uns nicht mehr daran erinnern, früher schon einmal erfaßt haben.17 (6) Wir können unsere Gedanken willentlich beeinflussen.18 (7) Wir denken nach.19 (8) Wir bilden notwendige Aussagen.20 (9) Wir haben sinnliche Wahrnehmungen.21 (10) Geistige Zustände repräsentieren gegenwärtige, vergangene und zukünftige Ereignisse als gegenwärtige, vergangene und zukünftige.22 Mit Hilfe der Analyse dieser Aussagen über die Struktur des Denkens gewinnt Leibniz die Erkenntnis einzelner metaphysischer Begriffe und Aussagen. So betrachtet er als eine Implikation von (1) und (2) die Aussage (11) Zwischen dem Zustand, in dem wir uns einer geistigen Aktivität bewußt sind oder uns an sie erinnern, und dieser geistigen Aktivität besteht ein realer Zusammenhang.23
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" " 20 21 22 23
NE II 27 § 9 (AVI, 6,236). NE II 27 § 14 (A VI, 6,239). Quelques remarques sur le livre de Möns. Lock intitulé Essay of Understanding (A VI, 6, 6-7); NE préf. (A VI, 6, 53-55). NE I 3 § 20 (A VI, 6,106-107). Ebd. NE II 21 § 5 (A VI, 6, 172-173); NE II 21 § 12 (A VI, 6, 177). Introductio ad Encyclopaediam arcanam [ca. 1683-1685] (A VI, 4, 530-531); Leibniz an Bayle [Dezember 1702] (GP III, 69). NE I 1 § 5 (A VI, 6, 76-77). Mon. § 16 (GP VI, 609). Infiniti possunt gradus esse inter animas [ca. 1686] (A VI, 4,1524-1525). NE II 27 § 9 (A VI, 6, 236); NE II 27 § 14 (A VI, 6, 239).
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Zusammenfassung
Als eine Implikation von (3), (4) und (5) versteht er die Aussagen (12) Auch zwischen unbewußten und bewußten geistigen Zuständen besteht ein realer Zusammenhang24, und (13) Dieser Zusammenhang muß auch vor dem Bewußtwerden, d.h. zwischen unbewußten geistigen Zuständen bestehen.25 Mit den Aussagen (11), (12) und (13) hat Leibniz den für die Theorie der einfachen Substanzen zentralen Begriff der liaison unter geistigen Zuständen charakterisiert. Als eine Implikation der Aussagen (6), (7) und (8) betrachtet er (14) Es gibt einen in uns liegenden Ursprung unserer Aktivitäten.26 Mit Aussage (14) ist der für die Theorie der einfachen Substanzen zentrale Begriff der Spontaneität gegeben. Die Begriffe der liaison unter geistigen Aktivitäten und der Spontaneität dieser Aktivitäten gehen, wie sich gezeigt hat, ihrerseits ein in die Definition des Begriffs der Einheit: Spontan hervorgebrachte und miteinander verknüpfte Aktivitäten bilden in der Weise eine Einheit, daß die Teile nicht auch außerhalb dieses Zusammenhangs existieren könnten. Als Implikation von Aussage (9) betrachtet Leibniz (15) Geistige Zustände stehen in einem regelmäßigen Zusammenhang mit Ereignissen in der äußeren Welt.27 Mit Aussage (15) ist der Begriff der Repräsentation gegeben.28 Um von hier nun zu der These von der Repräsentation des Universums in der Seele zu gelangen, wendet Leibniz diesen in der inneren Erfahrung gegebenen Begriff auf die Verhältnisse in der materiellen Welt an. Die gesetzmäßigen Kausalbeziehungen unter materiellen Körpern fuhren in dieser Weise zu der These von der Repräsentation des Univerums im materiellen Körper.29 Verbunden mit der These von der Repräsentation aller körperlicher Vorgänge in der Seele begründet dies die These von der Repräsentation des Universums in der Seele.30
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NEI 3 § 2 0 (AVI, 6, 106-107). Ebd. NE II 21 § 12 (A VI, 6, 177); Leibniz an Bayle [Dezember 1702] (GP III, 69); NE I 1 § 5 (A VI, 6, 76-77). Addition à l'explication du système nouveau (GP IV, 575-576) Leibniz an Arnauld, 6. Oktober 1687 (GP II, 112). Ebd.; Mon. § 6 2 (GP VI, 617). Leibniz an Arnauld, 6. Oktober 1687 (GP Π, 113); NE II 20 § 6 (A VI, 6, 164-166).
Die Analyse der materiellen Welt
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3. Die Analyse der materiellen Welt und die Theorie der einfachen Substanzen Ähnliche Argumentationsmuster finden sich auch in Leibniz' Analyse der materiellen Welt. Auch hier spielt die Anwendung von in der inneren Erfahrung gegebenen Begriffen auf die materielle Welt eine entscheidende Rolle. So impliziert Aussage (10) nach Leibniz: (16) Geistige Zustände haben Inhalte.31 Die Analyse der Kausalbeziehungen unter materiellen Körpern fährt hingegen zu der Aussage: (17) Die Zustände materieller Körper stehen nur in kausaler Kovarianz zueinander.32 Aus (16) und (17) zieht Leibniz die Konsequenz: (18) Geistige Zustände sind nicht Zustände materieller Körper.33 Dies bildet ein erstes Argument für die Immaterialität der Seele. Die Aussagen (19), (20) und (21) sind die Prämissen eines weiteren Arguments für die Existenz immaterieller Substanzen:34 (19) Materielle Gegenstände sind unendlich teilbar. (20) Was unendlich teilbar ist, besitzt keine Einheit. (21) Nur was eine Einheit besitzt, ist real. Aus diesen Prämissen zieht Leibniz zwei miteinander verbundene Konklusionen. (21) impliziert (22) Die Realität materieller Gegenstände setzt materielle Einheiten voraus,35 und aus (19), (20) und (22) folgt
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Infiniti possunt gradus esse inter animas [ca. 1686] (A VI, 4,1524-1525). Ebd. Ebd. Leibniz an Bayle [Dezember 1702] (GP III, 69); Leibniz an de Voider, 30. Juni 1704 (GP II, 267); Leibniz an Arnauld, 29. November/ 8. Dezember 1686 (GP II, 77); Leibniz an Amauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 127); Leibniz an Lady Masham [September 1704] (GP III, 363). Leibniz an Amauld, 29. November/ 8. Dezember 1686 (GP II, 77); Leibniz an Amauld, 30. April 1687 (GP II, 97); Leibniz an de Voider, 21. Januar 1704 (GP II, 261-262).
Zusammenfassung
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(23) Materielle Einheiten kann es nur dann geben, wenn zu einem materiellen Körper eine immaterielle Substanz hinzutritt.36 Die materiellen Einheiten, um die es in diesem Argument geht, nennt Leibniz auch „körperliche Substanzen". Das Argument, so wie es hier rekonstruiert ist, führt also über die Existenz körperlicher Substanzen auf die Existenz einfacher Substanzen. Ein drittes Argument geht aus von der physikalischen Annahme (24) Materie besitzt nur passive Merkmale.37 Daraus folgert Leibniz: (25) Die Seele, die zu spontanen Akten fähig ist, ist kein materieller Gegenstand.38 Der Begriff der vis viva beinhaltet: (26) Materielle Gegenstände in Bewegung üben Kräfte aus, die die Ursache bestimmter Wirkungen sind.39 (26) impliziert: (27) Kräfte sind aktive Aspekte materieller Gegenstände.40 Aus (24) und (27) folgt: (28) Materiellen Gegenständen müssen immaterielle Substanzen zugrunde liegen, aus deren Aktivität die Aktivität materieller Gegenstände resultiert.41 Bis zu diesem Punkt läßt sich Leibniz' Vorgehen als eine analytische, deskriptive Methode beschreiben: Die in der inneren Erfahrung gegebenen Begriffe der Aktivität und Einheit werden in der Analyse der materiellen Welt angewendet. Die Analyse der ontologischen Voraussetzungen von Aussagen über
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DM § 12 (A VI, 4, 1545); SN (GP IV, 482); Leibniz an de Voider 21. Januar 1704 (GP II, 261-262). Leibniz an Bayle (GP III, 69); GP VII, 330. Th. préf. (GP VI, 45); Leibniz an Burnett [1699] (GP III, 261). GP IV, 395; Erster Entwurf zum SN (GP IV, 472); Leibniz an Sophie Charlotte [1702] (GP VI, 506). De corporum concursu, cap. 6,2 (G.W.Leibniz, La réforme de la dynamique. De corporum concursu (1678) et autres textes inédits, ed. M.Fichant, S. 134); GP IV, 395; Erster Entwurf zum SN (GP IV, 472). GP IV, 395-397; Erster Entwurf zum SN (GP IV, 472); Leibniz an Sophie Charlotte [1702] (GP VI, 506); De ipsa natura (GP IV, 561).
Die Vernunftprinzipien
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unsere geistigen Aktivitäten führt gemeinsam mit der Analyse der Materie auf Elemente der Theorie der einfachen Substanzen. Beim Schritt zur kausalen Unabhängigkeit der immateriellen Substanzen scheinen schließlich deskriptive und revisionäre Begründungsstrategien zusammenzukommen. Einerseits sprechen nach Leibniz apriorische Überlegungen zum SubstanzbegrifF dafür, daß Akzidentien nicht von einer Substanz auf eine andere übertragen werden können.42 Auf der deskriptiven Seite begründet die Immaterialität der Substanzen, die der materiellen Welt zugrunde liegen, begründet die Auffassung, daß weder unter immateriellen noch zwischen immateriellen und materiellen Substanzen eine mechanische Wechselwirkung stattfinden kann.43 Die Autarkie der einfachen Substanzen impliziert schließlich ihrerseits, daß zwischen einfachen Substanzen eine prästabilierte Harmonie besteht.44
4. Die Vernunftprinzipien und die metaphysischen Grundlagen der Logik Auch die Vemunftprinzipien, und mit ihnen die Grundlagen von Leibniz' Logik, so wurde abschließend argumentiert, lassen sich in das System der Theorie der einfachen Substanzen integrieren. Auch hier sind es vor allem die deskriptiven Elemente der Substanztheorie, die eine ontologische Begründung von Aspekten der Vernunftprinzipien sorgen. (1) Leibniz reduziert die ontologischen Formulierungen des Prinzips des zureichenden Grundes und des Prinzips des Widerspruchs nicht auf ihre logischen Formulierungen. Dagegen lassen sich die logischen Formulierungen dieser Prinzipien mit Hilfe der ontologischen Bestimmung von Begriffen als Ideen und damit als psychischen Dispositionen zu Denkakten45 ontologisch reformulieren. (2) Leibniz begründet die Theorie der vollständigen Begriffe, die dem Prinzip des zureichenden a
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Eclaircissement du nouveau système de la communication des substances (GPIV, 495); Addition à l'Explication du système nouveau (GP IV, 573); Leibniz an Basnage de Beauval [1696] (GP III, 122); Leibniz an Remond, 4. November 1715 (GP III, 658); Mon. § 7 (GP VI, 60S). Leibniz an de Voider, 9./ 20. Januar 1700 (GP II, 206); Leibniz an Jaquelot [1704] (GP VI, 570); Mon. § 7 (GP VI, 607). Eclaircissement du nouveau système de la communication des substances (GP IV, 495); Addition à l'explication du système nouveau (GP IV, 573). Quid sit Idea (A VI, 4, 1370-1371); Specimen calculi universalis (A VI, 4, 288); GP I, 213; C 187; C 235; C 300; Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 40); Anhang zum Schreiben an Burnett [1698] (GP III, 224).
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Zusammenfassung
Grundes und dem Prinzip des Widerspruchs zugrunde liegt, mit der Notwendigkeit der Bestimmtheit der Ideen in Gottes Verstand: Nur vollständige Begriffe reichen hin, eine mögliche Substanz von allen anderen möglichen Substanzen zu unterscheiden.46 (3) Die Existenz Gottes, die Existenz der Ideen möglicher Welten im Verstand Gottes, und die Determination des göttlichen Schöpfungsaktes durch den Willen zum Besten, die in diesem theologischen Argument für die Theorie der vollständigen Begriffe vorausgesetzt werden, werden von Leibniz als Konsequenzen der Theorie der einfachen Substanzen verstanden: Freiheit als vernünftige Spontaneität setzt die Realität einer Vielzahl möglicher Welten voraus, und wenn Gott unter verschiedenen möglichen Welten wählen kann, dann muß seine Entscheidung durch Gründe determiniert sein, die seiner Natur entsprechen.47 (4) Die Vollständigkeit der Ideen der existierenden Gegenstände im menschlichen Verstand läßt sich als eine Konsequenz der Vollständigkeit der Repräsentation des ganzen Universums in jeder einfachen Substanz verstehen48. Die Repräsentation des Universums in den Perzeptionen läßt bleibende Dispositionen entstehen, in denen bereits alles enthalten ist, was von einem Gegenstand erkannt werden kann. Die analytische Urteilstheorie, die sowohl dem Prinzip des zureichenden Grundes als auch dem Prinzip des Widerspruchs zugrunde liegt, erhält auf diese Weise eine ontologische Begründung. (5) Leibniz betrachtet das Prinzip des Widerspruchs auch als eine Konsequenz der Annahme der Widerspruchsfreiheit jedes möglichen Gegenstandes49; diese Annahme beruht ihrerseits auf einer apriorischen Definition des Begriffs der Möglichkeit. Hier spielen also neben deskriptiven Elementen auch Elemente einer revisionären Metaphysik eine Rolle. (6) Das Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren wird von Leibniz nicht nur über die Theorie der vollständigen Begriffe50 und über die Determination des Schöpfiingsaktes durch den Willen zum Besten51, sondern auch unmittelbar über die Perspektivität der Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz
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Leibniz an Ernst von Hessen-Rheinfels [1686] (GP II, 19); Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 40). Causa Dei (GP VI, 441); Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 45); Leibniz an Arnauld, 14. Juli 1686 (GP II, 55); PNG § 8 (GP VI, 602); Mon. § 46 (GP VI, 614); Mon. § 53 (GP VI, 615). 41 DM § 26 (A VI, 1571); DM § 29 (A VI, 4, 1574); Meditationes de Cognitione, Ventate et Ideis (A VI, 4, 591). "» De affectibus [1679] ( A VI, 4, 1440). so DM § 9 (A VI, 4, 1541-1542); Remarques sur la lettre de M. Arnauld (GP II, 42); Principia Logico-Metaphysica (A VI, 4,1645). 51 5. Schreiben an Clarke (GP VII, 393-394). 47
Die Vernunftprinzipien
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begründet52. Für die Perspektivität der Repräsentation des Universums ist sowohl die perspektivische Repräsentation aller anderen einfacher Substanzen als auch die perspektivische Repräsentation des materiellen Universums im Körper einer einfachen Substanz konstitutiv.53 Auf diese Weise lassen sich Aspekte der Vernunftprinzipien ebenso wie die Grundideen von Leibniz' Logik - die Theorie der vollständigen Begriffe und die analytische Urteilstheorie - als Konsequenzen der Theorie der einfachen Substanzen verstehen. Der Beweisgang, der ausgehend von der Analyse der inneren Erfahrung und der Analyse der materiellen Welt zu den Sätzen der Substanztheorie führt, begründet folglich zugleich auch die Geltung der Vernunftprinzipien und der mit ihnen verbundenen logischen Grundannahmen.
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DM § 9 (A VI, 4, 1541-1542); Leibniz an de Voider, 20. Juni 1703 (GP II, 251); NE préf. (A VI, 6, 57); Mon § 62 (GP VI, 617). DM § 33 (GP IV, 458); SN (GP IV, 484); Leibniz an Jaquelot, 9. Februar 1704 (GP III, 464); Extrait du Dictionnaire de M. Bayle, article Rorarius (GP IV, 530); NE II 21 § 73 (A VI, 6, 212); Leibniz an Amauld, 9. Oktober 1687 (GP II, 112-113); Eclaircissement des difficultés que Monsieur Bayle a trouvées dans le système nouveau (GP IV, 523).
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Personenregister Adams, R.M. 92-94. Aristoteles 33-34, 68 Anm. 118, 73 Anm. 140, 73 Anm. 141, 87 Anm. 29,147. Amauld, A. 33, 35, 36, 44, 49, 72, 78, 130, 149. Baxter, D.L.M. 8 Anm. 27, 92-93 Anm. 53, 87 Anm. 31. Basnage de Beauval, H. 37. Bayle, P. 69, 84,101,103. Becco, Α. 2 Anm. 9. Bella, S. di 61 Anm. 94. Blank, Α. 110 Anm. 129. Blumenfeld, D. 20-21. Bosses, Β. des 24, 73. Boyle, R. 102. Bouveresse, R. 109 Anm 124. Broad, C.D. 3 Anm. 11,10 Anm. 30,27 Anm. 78,120 Anm. 19,132,141 Anm. 147. Brody, B. 9 Anm. 28,42-43 Anm. 155,130. Brown, C. 142-144,146 Anm. 168. Brown, S. 12, 28 Anm. 93, 38-39, 68, 75. Braunschweig-Lilneburg, Johann-Friedrich, Herzog v. 101-102. Brunschvicg, L. 17 Anm. 38, 109 Anm. 124, 114. Buchdahl, G. 7 Anm. 23, 82 Anm. 4. Burckhardt, H. 73 Anm. 142. Cassirer, E. 6, 16 Anm. 33,92-93 Anm. 53 Castañeda, H.-N. 3 Anm. 10, 14 Anm. 18. Clatterbaugh, K.C. 141 Anm. 147, 146 Anm. 168. Clarke, S. 103, 137, 141. Costabel, P. 81. Couturat, L. 3 Anm. 10, 10 Anm. 30, 12-18, 29, 82 Anm. 5, 120 Anm. 19, 121 Anm. 22, 122 Anm. 32, 123 Anm. 40, 140. Degen, W. 73 Anm. 142. Deleuze, G. 14 Anm. 18, 109 Anm. 124. Demokrit 86-87.
Descartes, R. 34-36, 54-55, 82, 102. Edwards, P. 109 Anm. 124. Euklid 39-40. Fichant, M. 102 Anm. 92. Finster, R. 68. Foucher, S. 38. Frankel, L. 9 Anm. 28, 10 Anm. 29, 17 Anm. 42, 42-43 Anm. 155, 45, 121 Anm. 26, 140 Anm. 145, 140 Anm. 146, 141 Anm. 147, 146 Anm. 168. Gale, G. 101. Galilei, G. 83 Anm. 11. Garber, D. 82 Anm. 4, 90. Gerardus von Cremona 34 Anm. 124. Graver, S. 141 Anm. 147. Guéroult, M. 3 Anm. 10, 7 Anm. 23, 14 Anm. 18, 17 Anm. 38, 82 Anm. 4, 83 Anm. 10, 109 Anm. 124. Gurwitsch, A. 3 Anm. 10, 13-18, 22, 120 Anm. 19, 121-122 Anm. 29, 123 Anm 46, 142, 144-147. Hacking, I. 10 Anm. 30, 82 Anm. 4, 105 Anm. 107, 141 Anm. 147. Hartsoeker, N. 94. Heimsoeth, H. 5 Anm. 17, 7 Anm. 23, 29, 49, 82 Anm. 5, 119 Anm. 15, 135 Anm. 119. Heinekamp, A. 129 Anm. 86. Hoffman, P. 93 Anm. 54. Hübener, W. 9 Anm 28,42-43 Anm. 155. Ishiguro, H. 120 Anm. 19,135. Jalabert, P. 3 Anm. 10, 7 Anm. 23, 12-18, 22, 38, 82 Anm. 5, 109 Anm. 124, 120 Anm. 19, 121 Anm. 22. Janich, P. 115 Anm. 152. Johnson, A.H. 3 Anm. 12, 30, 36-38,47 Anm. 11.
Personenregister
Jolley, Ν. 8 Anm. 26, 61, 66, 83, 84 Anm. 20, 129 Anm. 84,129 Anm. 85, 132. Jungius, J. 56 Anm. 65. Kant, I 84-85. Kaulbach, F. 1-2. Kauppi, R. 34 Anm. 110, 119 Anm. 15. Kitcher, P. 8 Anm. 26. Kulstad, M. 5 Anm. 18, 48-49, 74-75, 77 Anm. 164, 78. Liske, M.-T. 3 Anm. 11,28. Locke, J. 58-60, 63, 69 Anm. 123, 89,102. Loemker, L. E. 34 Anm. 109, 38, 45-46, 60, 130 Anm. 82. Lovejoy, A.0.109 Anm. 124. Maine de Biran, F.-P.-G. 46 Anm. 5. Malebranche, N. 36, 50. Marschlich, A. 37 Anm. 125. Martin G. 49, 82 Anm. 4, 119 Anm. 15, 135 Anm. 119. Masham, Lady 31,36,110. Mates, Β. 3 Anm. 12, 5 Anm. 18, 41-43, 45, 98-99, 121 Anm. 29, 130, 135 Anm. 119, 139 Anm. 150. Macdonald Ross, G. 29 Anm. 90. McGuire, J.E. 102 A 97. McRae, R.129A85. Mittelstraß, J. 3 Anm. 11, 5 Anm. 18, 7 Anm. 23, 27 Anm. 78, 32-33, 46 Anm. 5, 53 Anm. 49, 61, 82 Anm. 5, 114- 115, 120 Anm. 19,121 Anm. 29,123 Anm. 40. Mondadori, F. 3 Anm. 12,12,41-43. Mugnai, M. 129 Anm. 85.
Rescher, N. 12,20-21, 38,119 Anm. 15. Robinet, Α. 8 Anm. 27, 87 Anm. 31, 96, 101 Anm. 87. Rodriguez-Pereyra, G. 10 Anm. 29, 141 Anm. 147. Russell, B. 3 Anm. 11, 7-8, 10 Anm. 30, 12, 27 Anm. 78, 31-32, 87, 90, 99, 101, 103, 119 Anm. 15, 140 Anm. 145, 141 Anm. 147,146 Anm. 168. Russell, L.J. 83 Anm. 12. Rutherford, D. 3 Anm. 11,8 Anm. 27, 28, 48, 87 Anm. 31, 91, 93 Anm. 54. Saame, O. 119-121. Saporiti, Κ. 86 Anm. 26. Scaliger, J. 66. Schüßler, W. 2 Anm.5, 5 Anm. 16, 6, 47-51, 55, 58 Anm. 73, 65, 72 Anm. 136. Serres, M. 5 Anm. 17, 14 Anm. 18,49,114. Sextus Empiricus 87 Anm. 29. Shields, C. 20-21. Silva de Choudens, J.R. 92 Anm. 53. Sleigh, R.C. 120 Anm. 19,121 Anm. 22. Smith, J.E. 92 Anm. 51. Sophie Charlotte, Königin von Preußen 110. Spinoza, B.de 25-26, 75. Sprung, H. 109 Anm. 124. Sprung, L. 109 Anm. 124. Strawson, P. F. 1,10. Suárez,F. 92,113 Anm. 143. Thomasius, C. 35. Tonelli, G. 5 Anm. 18,48 Anm. 12. Toumemine, R.-J.de 93-94. Troisfontaines, C. 10 Anm. 30, 140 Anm. 145.
Naert, É. 5 Anm. 18,48 Anm. 12, 61,66. Nason, J. 3 Anm. 11,27 Anm. 78. Newton, I. 102-103.
Utermöhlen, G. 35.
O'Neill, E. 113 Anm 143.
Vailati, E. 103 Anm. 98. Vinci, T.C. 10 Anm. 29,141 Anm. 147. Voider, Β. de 26, 36,92,95.
Pape, H. 144 Anm. 163. Parkinson, G.H.R. 3 Anm. 11, 10 Anm. 30, 12-13, 17, 31-32, 66, 98-99, 120 Anm. 19, 120 Anm. 29, 123 Anm. 40, 124, 140 Anm. 145, 141 Anm. 147, 146 Anm. 168. Pannenides 88. Piaton 88. Poser, H. 129 Anm. 85. Quine, W. V. O. 88.
167
Wilson, C. 1, 82 Anm. 2, 82 Anm. 4, 83 Anm. 13,92. Wilson, M.D. 5 Anm. 18, 7 Anm. 23, 62-63, 82 Anm. 5, 83-84, 101. Zalta, E.N. 3 Anm. 10, 14 Anm. 18, 15 Anm. 26.
Sachregister Abstraktion 46 Anm. 5; 52-54. Aggregate 17, 30, 44, 45, 73-74, 86-87, 89, 92. Ähnlichkeit 76. Aktivität, immanente 69-71, 86, 152; spontane 2-3, 6, 8, 16-17, 25-26, 28, 30, 60, 67-72,73, 108, 148, 154. Akzidens 14, 27, 71-72; Übertragung von Akzidentien 113-114. Analysis 33-34,44,45-46, 57-58, 149. Analyse, reduktive 57. Apperzeption 54, 65. Appetition 45, 108, 125. Archetypen 130-131. Ars inveniendi 34. Ars iudicandi 34. Atome 7, 82, 90, 115-116. Aufinerksamkeit 47-48,66,111. Ausdehnung 2, 7-8,29, 87-88. Aussagen, affirmative 28-30; kontingente 28-29, 50; negative 127, 135 Anm. 125; notwendige 28, 71-72; Aussagen und Gedanken 129-131. Autarkie 3, 28-29,31-32, 112-113, 155. Axiome 29-32, 37-38, 57, 149. Begriffe, abstrakte 24; angeborene 47, 99, 108-109; konkrete 24; konnotationale 24-25; metaphysische 46, 53, 81; reale 24-25; vollständige 3-4, 12-20, 50, 61, 68, 129, 148-149, 156; Begriffe und Ideen 9, 127-129. Berührung 112. Bestätigung, empirische 37-38, 52-53, 140. Bewegung 29, 71, 86,92. Bewegungsgesetze 82. Bewußtsein 6, 50, 55-56, 59-60, 151; Bewußtsein und Aktivität 70-71, 104; Bewußtsein und Identität 62-63. Characteristica universalis 38. Cogito 50, 54, 59.
Dauer 46. Deduktion aus Prinzipien und Definitionen 38-39; Deduktion derivativer angeborener Ideen und Wahrheiten aus primitiven 40. Definition, generative 16-17; kausale 16-17; nominale 19-20; reale 19-20. Denken, diskursives 55-56; logisches 71-72, 151 ; Denken und Aktivität 70-71. Ding, natürliches 67. Disposition, physikalische 105-106; psychische 26,47 Anm. 11,72, 129, 155. Einbildungskraft s. Vorstellungskraft Einheit 3, 6, 17, 46, 60, 72-74, 86-87, 100, 116, 152; Einheit und unum per se 94-95, 100. Empirismus 71. Entelechie 68-69,100. Ereignis 124 Anm. 50. Erfahrung, innere 6, 8-9, 31,43-44,46,49-52, 55, 58, 81, 100, 104, 150-152, 154; physikalische 81; psychologische 53; unmittelbare 51-52, 55; Erfahrung und Reflexion 52-58. Erinnerung 6, 56, 59, 65-67,81,85,111,151. Erkenntnistheorie 5,49. Essenz 13-14, 18-21, 132; Essenz und Definition 18-20; Essenz und Möglichkeit 19-20. Existenz 13, 48, 54, 60; Grund der Existenz 125-126; Streben zur Existenz 18, 20-21, 149. Expression s. Repräsentation Figur 86, 104, 147. Folge, mathematische 16-17; und generative Definitionen 16, 114; und einfache Substanzen 16, 114. Form, substantielle 7, 91-92, 100. Freiheit 126-127, 156.
Sachregister
Ganzes 72-74,100. Gedächtnis s. Erinnerung. Gedanken 54-55 Geist 47-48,58. Gelegenheitsursache 47. Geometrie, euklidische 38, 150. Geteiltheit, unendliche 76 Anm. 164. Gewißheit 52,58-59. Gott und die Identität des Ununterscheidbaren 10, 141; und physikalische Kräfte 103; und das principium melioris 98, 119,126, 156; und der Schöpfungsakt 18-20, 148-149; und vollständige Begriffe 9, 41-42,129-130,156; und die Vielzahl der Substanzen 30,98-99. Gravitation 76 Anm. 164,103. Härte 102 Anm. 97. Harmonie, prästabilierte 28-29, 36-37. Hypothesen 3, 9,12, 33-42,45,57,98,150.
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Lebewesen 8, 76, 81, 89. Leibnizian Circle 41-42. Licht, angeborenes 47. Lust 47. Materie, Analyse der 44; Passivität der 7-8, 68-69, 98, 102-103. Meeresrauschen-Hören 66. Metaphysik, deskriptive 1, 5, 7, 9-10, 13, 43, 45, 81, 112-114, 127, 148, 154; revisionäre 1-4,11-12,44,113-114,148,155. Methode, analytische 44, 112; hypothetischdeduktive 4, 37-39, 148-150; induktive 52-53; Methode der klaren und deutlichen Erkenntnis 49. Mikroorganismen 140. Modifikation 106-107. Möglichkeit 13, 18-20, 138-139. Monade 2 Anm. 9,45. Neigungen, unbewußte 69.
Ich 30,48, 54, 62-63, 73. Ideen, angeborene 4-6, 40-41, 43-44, 46-47; distinkte 130-131; intellektuelle 46; intelligible 53; konfuse 131; lebendige 2627; mathematische 53-54; metaphysische 53-54; wahre 136; Ideen als Dispositionen 129, 131-133, 155; Ideen und Perzeptionen 132-133,156. Identität, persönliche 49-50, 60-62, 65; reale 48, 62-67; persönliche Identität und vollständiger Begriff 42-43 Anm. 155, 49-50. Individuationsprinzip 11. Infinitesimalkalkül 114-115. Influxus physicus 113. Instinkt 53; natürlicher Instinkt 53. Intentionalität 86. Interaktionismus, psycho-physischer 36. Intuition, unmittelbare 40,48. Kategorien, ontologische 45. Kontinuum 115-116. Kopernikanisches Prinzip 1-2. Kompossibilität 41-42,98. Kovarianz, kausale 8,95. Kraft 101-102; derivative 83, 106-107; primitive 106-107, Kraft als mv2 83 Anm. 11; Kraft als vis viva 7, 81-82, 97-98, 102, 105; vis viva und Aktivität 105-106, 110, 154.
Objektivität 51. Okkasionalismus 36. Organe 76. Organisation 89-90. Organismus 76,92-93, 97. Panlogismus 14,21,135. Panpsychismus 109-112. Paralogismen 8, 84-85. Perspektivität s. Repräsentation Perception 17, 32, 45-46, 75-77, 84-85, 107; distinkte 31, 109-110; merkliche 110-111; unmerkliche 65-66; petites perceptions 60-61, 65-67, 78-79, 1 ΙΟΙ 11, 142. Phänomene 91-92. Phänomenalismus 96-97. Plenismus 76 Anm. 164. Prädikatbegriff 16-17, 22, 28, 30, 35, 41, 42-43 Anm. 155, 135; primitiver 16; derivativer 16. Präformation 37. Präsupposition 57-58. Prinzip des ausgeschlossenen Dritten 135, 137. Prinzip der Identität 134,137-139. Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren 10, 33, 38, 42, 82, 115, 139-147, 156-157; Geltungsbereich des Prinzips 146-147.
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Sachregister
Prinzip der Kontinuität 36-37, 82, 110. Prinzip des Widerspruchs 9, 39, 148, 155-156; Formulierungen des Prinzips 134. Prinzip des zureichenden Grundes 9, 28-29, 31, 82, 148, 155-156; Formulierungen des Prinzips 118-119; und analytische Urteilstheorie 120-122; principium reddendae rationis 122-124. Problemlösungskapazität 3, 36-37, 45. Punkt, mathematischer 114; metaphysischer 114-115; physischer 114-115. Raum, absoluter 42, 82,142. Realität und Einheit 88-89; Realität der Außenwelt 96-97; Realität und Widerspiuchsfreiheit 137-138. Reflexion 6, 47-52, 55-58, 64, 66, 68, 81, 100,111, 150. Relationen 28. Repräsentation 6, 59, 81; begriffliche 15, 24; körperliche 77-78, 107; mentale 7, 86, 151; perspektivische 10, 75, 77-79, 107-108, 143-146; Repräsentation und kausale Kovarianz 77-78; Repräsentation des Körpers in der Seele 78-79; Repräsentation des Universums in der einfachen Substanz 15,28,65, 74,148. Seele, Immaterialität der 83-85, 103-104; Seele und bloße einfache Substanzen 109-111. Seiendes 138. Selbstbewußtsein s. Bewußtsein Sinn, innerer 53. Sinne, äußere, 47. Subjekt, logisches 12, 22-24, 59; ontologisches 11, 13, 22-24,28, 30,35. Subjektbegriff22-23,27, 35, 135. Substanz, dominierende 92-93; einfache 2-3, 11-26; individuelle 11-12, 17-18; körperliche 8, 91-93, 96-97, 99; mögliche 20-22; existierende 20-22; unteilbare 73; zusammengesetzte 92; Substanz als res agens 72, 106. Spinozismus 72. Spontaneität s. Aktivität Synthesis 31-32,45, 149. Système commun 1-2, 5-7, 47, 51, 61-62, 74-75,81.
Système nouveau 1-2, 4, 6-7, 47, 51, 61-62, 67,74-75, 83. Tatsache 124 Aran. 50. Teil, materieller 73, 83-86, 89-90, 113. Theologie, natürliche 33. Trägheit 102 Anm. 97. Traum 51,66. Unabhängigkeit s. Autarkie. Undurchdringlichkeit 102 Anm. 97, 112. Unteilbarkeit 30,42-43 Anm. 155, 71. Unruhe 79. Unwohlsein 79. Ursache als causa efficiens 125; als causa finolis 125; Gleichheit von Ursache und Wirkung 83,102. Urteilstheorie, analytische 28-29, 32-33, 38, 74, 80, 129, 140, 156. Vakuum 82. Veränderung 46, 54, 60. Verknüpfung unter Perzeptionen 6, 62-67, 73, 100, 151-152; unter petites perceptions 65-67, 152; von Vergangenheit und Zukunft 61. Vernunft, natürliche 47. Vemunftprinzipien s. Prinzipien Verschiedenheit 54,60,147. Verstand 45,49. Vis viva s. Kraft. Vorstellungskraft 53. Wahrheit als Korrespondenz 124 Anm. 50. Wahrheiten, angeborene 40-41; erste 50-51; geometrische 58; kontingente 50; unmittelbare 50; ursprüngliche 50; Tatsachenwahrheiten 51, 54,58-59. Wahrnehmung, innere 50; sinnliche 6, 47, 51, 56, 71, 76, 81, 100, 110-111; unbewußte 6, 65-67,78-79. Wechselwirkung, kausale 2,112-113. Welt, bestmögliche 42,119. Welten, mögliche 127. Willen 6,69-70,100. Wunder 103. Zeit, absolute 42,141.