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German Pages 172 Year 1982
Linguistische Arbeiten
86
Herausgegeben von Herbert E. Breide, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner
Gabriel Falkenberg
Lügen Grundzüge einer Theorie sprachlicher Täuschung
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982
Für EVA (die schneller war)
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Falkenberg, Gabriel: Lügen : Grundzüge e. Theorie sprachl. Täuschung Gabriel Falkenberg.-Tübingen : Niemeyer, 1982. (Linguistische Arbeiten ; 86) NE: G T ISBN 3-484-10378-7
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1982 D 61 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: fotokop Wilhelm Weihert KG, Darmstadt.
INHALTSVERZEICHNIS
I. 1. 2. 3. 4.
EINLEITUNG Vorspann und Plan Einige Bemerkungen zur Methode Abstecken des Terrains: ausgesparte Probleme Ist eine linguistische Theorie der Lüge möglich?
II.
DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14
Fünf allgemeine Eigenschaften der Lüge Die Form des Analysandums Die simple Theorie Lexikonexplikationen von "Lüge" Zwei Beispiele für die simple Theorie Sagen Lügen und Sagen Wissen und Lügen I Einschub: Die klassizistische Theorie Wissen und Lügen II
III.
IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
15. 16. 17. 18. 19. 20.
Falschheit, Irrtum, Lüge Wahrheit und Wahrhaftigkeit Erkenntnistheoretische Abschweifung: Unfehlbarkeit Die Wahrheit sagen Zum Paradox des Lügners Wurzeln der klassischen Theorie: Sprachhistorische Spekulationen
IV.
LÜGEN: DER ZENTRALE FALL
21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.
Einführung des zentralen Falls Zur Geschichte der Behauptungsbedingung Behaupten Glücken, Gelingen und Erfolg von Behauptungen Lüge und Behauptung Lügen, Anlügen, Belügen Drei Gegenbeispiele: Theater, Zwang, Ritual Grundbegriffe der Analyse
1 2 7 12
14 17 19 22 24 25 30 35 43 45
50 54 59 61 65 68
71 77 79 92 99 106 110 113
VI V.
IM UMFELD DES LÜGENS
29. 30. 31.
Lüge und Täuschung Meint der Lügner nicht, was er sagt? Sind Lügen scheinbare Behauptungen?
VI.
DREI ARTEN DER LÜGE
32. 33. 34. 35.
Starke und schwache Lüge Direkte und indirekte Lüge Harte und weiche Lüge Ausblick
115 121 127
135 136 138 140
ANHANG: Verzeichnis der Analysen und Abkürzungen
141
LITERATUR
145
SACHVERZEICHNIS
155
"le
mensonge...a
figures
et
un
cent champ
Montaigne
mille indefiny"
(1588:§I.IX)
Vili
"die Lüge...hat der Figuren bey hunderttausend, und ist ein Feld ohne Grenzen" (Montaigne I, 1793:64)
I.
E I N L E I T U N G
1. Vorspann und Plan Was ist eine Lüge? Oder anders gefragt, was ist das, lügen? Lügen, so könnte man antworten, heißt sprachlich zu handeln. Aber was für eine sprachliche Handlung ist das Lügen? Eine, in der auseinanderfällt, was einer sagt, und was er weiß. Diese simple, weit verbreitete und - wie ich glaube - falsche Theorie wird mir als Angriffspunkt für meine eigenen Überlegungen dienen. Da keine zusammenhängende Theorien über die Lüge vorliegen, kann hier ein gesonderter Forschungsüberblick entfallen. Vías es an verstreuten Beobachtungen, Hinweisen und Vorarbeiten zum Thema gibt, habe ich an den betreffenden Stellen dargestellt und diskutiert, soweit es nicht in Abschnitt 3 ausgegrenzt wird. In Kapitel II werde ich die klassische Theorie der Lüge, d. h. die simple Theorie mitsamt verschiedenen weiteren Versionen Schritt für Schritt auseinandernehmen. Als Ergebnis werden sich eine noch immer recht einfache Theorie sowie einige Ansprüche herauskristallisieren, die an jede Theorie der Lüge zu stellen sind. Aus dem Scheitern der klassischen Theorie werden in Kapitel III erste Konsequenzen gezogen und eine Reihe vorläufiger Unterscheidungen getroffen. Die einfache Theorie erfaßt zwar nur einen einfachen, aber zentralen Fall der Lüge. Dieser wird in Kapitel IV untersucht, und in Kapitel V zu verwandten Begriffen in Beziehung gesetzt. Ausgehend vom zentralen Fall werden dann in Kapitel VI verschiedene Arten der Lüge voneinander abgegrenzt. Im Anhang habe ich alle wichtigen Explikationen und Definitionen noch einmal übersichtlich zusammengestellt.
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I EINLEITUNG
Mit meinen Überlegungen hoffe ich einige Bausteine zu einer allgemeinen Theorie der Unaufrichtigkeit geliefert zu haben. Für Anregungen, Hilfe und Kritik, die ich bei der Abfassung dieser Arbeit erhielt, danke ich insbesondere Beatrix Falkenberg, Hans Grünberger, Hans Heringer, Rudi Keller, Manfred Kohrt, Günther Öhlschläger, Jürgen Pafel, Ria Scherschel, Landfried Schröpfer, Georg Stötzel, Dieter Wunderlich sowie den Teilnehmern des Linguistischen Kolloquiums der Univeristät Düsseldorf, denen ich die Grundgedanken der Arbeit am 14.7.77 vortrug. Eine verbesserte, der vorliegenden Veröffentlichung zugrundeliegende Fassung bildet meine Dissertation (Falkenberg 1978).
2. Einige Bemerkungen zur Methode^ Ich habe ziemlich lose von "Theorie" gesprochen, als ich etwa die Auffassung, lügen sei das Auseinanderfallen von sagen und wissen, eine "simple Theorie" genannt habe (§1); ich möchte diesen Sprachgebrauch beibehalten und unter "Theorie" jede explizite oder implizite Auffassung mit Erklärungsanspruch verstehen. Dieser weite Theoriebegriff erlaubt es, wissenschaftliche und alltägliche Auffassungen nicht als prinzipiell verschieden zu sehen, sondern als auf ein und demselben Spektrum liegend. Da ich keine formale Theorie entwickle, werde ich nicht streng zwischen verschiedenen Sprachstufen unterscheiden und unbekümmert Ausdrücke wie "der Begriff "Lüge"" (formale Redeweise) neben "der Begriff der Lüge" (materiale Redeweise) verwenden. Im folgenden sollen vier wichtige methodische Forderungen genannt werden, die meines Erachtens an sprachwissenschaftliche Theoriebildung zu stellen sind, und an die ich mich zu halten gedenke. Ich werde hier keinen Versuch unternehmen, diese Forderungen weiter zu begründen. Zudem glaube ich, daß methodische Reflexion besser an der Durchführung als an einem vorgeschalteten methodologischen Credo erkennbar ist. Die erste Forderung besagt, sich so weit wie möglich deut1
An Methodenfragen nicht interessierte Leser mögen diesen § überspringen.
2 Bemerkungen
zur Methode
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scher umgangssprachlicher Ausdrücke zu bedienen (was "so weit wie möglich" heißen soll, wird gleich erläutert). Ich möchte dies "die Forderung der P r i o r i t ä t der U m g a n g s s p r a c h e " nennen. Unter "Ausdrücke" verstehe ich Worte und Wortfolgen. Wissenschaftliche Theorien und Alltagstheorien unterscheiden sich voneinander unter anderem im Grad ihrer E x p l i z i t h e i t und K o h ä r e n z . Diese beiden Forderungen versuche ich im folgenden vor allem dadurch einzulösen, daß für wichtige Ausdrücke (die ich " B e g r i f f e " nennen will) n o t w e n d i g e und h i n r e i c h e n d e B e d i n g u n g e n angegeben werden. Die Angabe von notwendigen Bedingungen für einen Begriff "X" hat die Form (2-1)
...X... nur dann wenn ...
Die Angabe von notwendigen und gemeinsam hinreichenden Bedingungen für einen Begriff "X" hat im einfachsten Fall die Form (2-2)
...X... genau dann wenn ...Y...
und soll "A η a 1 y s e" heißen, wenn zusätzlich gewisse Bedingungen erfüllt sind. Da es um Analyse von Begriffen geht, in unserem Beispiel (2-2) um eine Analyse des Begriffs "X" vermittels des Begriffs "Y", kann man der Deutlichkeit halber auch von "Begriffsanalyse" sprechen. Dabei heißt "X", der zu analysierende Begriff, " A n a l y s a n d u m", und "Y", der Begriff, vermittels dessen analysiert wird, "A η a 1 y s a η s" (Langford 1942); genauer müßte man sagen, die gesamten Sätze "...X..." und "...Y...", in denen die Begriffe vorkommen, heißen so. Den Ausdruck "genau dann wenn" (Varianten: "dann und nur dann wenn", "wenn und nur wenn") werde ich mit "g d w" abkürzen. Nehmen wir zur Illustration ein einfaches Beispiel. Wenn etwas ein Schimmel ist, so ist es weiß. Also gilt (2-3)
Etwas ist ein Schimmel nur wenn dieses Etwas weiß ist.
Durch Einführung einer Variablen "N" erhält man die Satzform (2-4)
Ν ist ein Schimmel nur wenn Ν weiß ist.
Mit anderen Worten: "weiß" (genauer, "N ist weiß") ist eine notwendige Bedingung für "Schimmel" (genauer, für "N ist ein
I EINLEITUNG
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Schimmel"). Eine Analyse des Begriffs "Schimmel", also eine Angabe von Bedingungen, die notwendig und gemeinsam hinreichend sind für "Schimmel", wäre: (2-5)
Ν ist ein Schimmel gdw
(a) Ν ist ein Pferd (b) Ν ist weiß.
In dieser Analyse ist "Schimmel" (genauer, der Satz "N ist ein Schimmel") das Analysandum, "Pferd" und "weiß" (genauer, die beiden Sätze (a) und (b), in denen sie vorkommen) sind gemeinsam das Analysans. Die Sätze eines Analysans heißen auch " K l a u s e l n " ; sofern nicht anders angegeben, ist zwischen ihnen ein "und" anzunehmen (wie in 2-5). Ich hoffe, der Grund für meine etwas angestrengte Redeweise "der Begriff "X" ( g e n a u e r , d e r g e s a m t e S a t z "...X...", in dem er vorkommt)" ist mittlerweile klar geworden: es geht um Begriffe, die aber in Sätzen vorkommend analysiert werden; solange jedoch der Restsatz ("N ist ein" bzw. "N ist") konstant gehalten wird, kann man den stillschweigenden Übergang von der Analyse der Sätze zur Analyse der in ihnen vorkommenden Begriffe· ohne weiteres vollziehen. Bei der Einführung des Begriffs der Analyse hatte ich davon gesprochen, daß Analysen die Form (2-2) "...X... gdw ...Y..." nur im einfachsten Fall haben. Dieser liegt vor, wenn ein Begriff ("X") vermittels genau e i n e s anderen ("Y") analysiert wird. Nur wenige Analysen sind von dieser einfachen Form. Das Beispiel (2-5) etwa war bereits der Fall einer Analyse eines Begriffs ("Schimmel") vermittels zweier anderer ("Pferd" und "weiß"). Mehr über den Begriff der Analyse möchte ich nicht sagen; befriedigend können wir ihn ohnehin erst dann analysieren, wenn wir über eine entwickelte semantische Theorie verfügen. Die durch Analyse erzielbare Explizitheit ist Voraussetzung begrifflicher K o h ä r e n z . Sie wird dadurch erreicht, daß Begriffe, vermittels derer andere Begriffe analysiert wurden, selbst wieder zum Gegenstand der Analyse gemacht werden, so daß ein überschaubarer Begriffszusammenhang entsteht.
2 Bemerkungen
zur Methode
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Begriffe werden erschöpfend selten auf einen Schlag analysiert; gewöhnlich ist eine Analysekette erforderlich, d.h. eine endliche Folge von Analysen, in der das Analysans einer Analyse das Analysandum der jeweils folgenden bildet. Sofern wir uns dabei nicht im Kreis bewegen, bleiben einige Begriffe unanalysiert. Dieser mißliche Zustand kann etwas erträglicher dadurch gemacht werden, daß die Zahl der unanalysierten Begriffe, der sogenannten " G r u n d b e g r i f f e " , so klein wie möglich gehalten wird. Diese Forderung nenne ich "die M i n i m a l i s i e r u n g der G r u n d b e g r i f f e " . Die vier methodischen Forderungen sind also: Priorität der Umgangssprache, Explizitheit, Kohärenz, und Minimalisierung der Grundbegriffe. Die Spannung zwischen den verschiedenen Forderungen ist durchaus gewollt. Da die letzten drei eng mit dem Begriff der Analyse verbunden sind, stellt sich die Frage, wie vorgeschlagene Analysen beurteilt werden können. Nehmen wir wieder unser Beispiel (2-5). Hier beurteilen wir die vorgeschlagene Analyse von "Schimmel" danach, ob sie das explizit macht, was wir unter "Schimmel" verstehen; mit anderen Worten - um einen gängigen wenn auch leicht mißzuverstehenden Ausdruck zu gebrauchen - wir beurteilen sie danach, ob sie mit unserer sich auf die Bedeutung des Ausdrucks "Schimmel" beziehenden s p r a c h l i c h e n I n t u i t i o n übereinstimmt. Ich werde in dieser Arbeit von meiner eigenen Intuition als Sprachbenutzer des Deutschen Gebrauch machen und auch an diejenige des Lesers appellieren, etwa durch suggestive Benutzung des "wir". Dabei verstehe ich unter "dem Deutschen" nicht allein das, was man "die deutsche Umgangssprache" zu nennen pflegt, sondern auch einige der deutschen Fachsprachen; die Grenzen zwischen beidem sind fließend. Aber nicht alle Analysen sind von der Art unseres Beispiels (2-5) und demzufolge auch nicht alle allein durch Rückgriff auf die sprachliche Intuition zu beurteilen; sondern nur solche sind es, die wir als " E x p l i k a t i o n e n " vorhandener, mehr oder minder verbreiteter Ausdrücke bezeichnen könnten. Denn das Streben vor allem nach Explizitheit, Kohärenz,
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I EINLEITUNG
und Minimalisierung der Grundbegriffe erzwingt, daß wir neue Begriffe einführen, Begriffe, die entweder nicht in der Umgangssprache vorkommen oder eine andere Bedeutung haben als ihre gleichlautenden Entsprechungen in der Umgangssprache. Wir geben also den letzten drei unserer vier Forderungen in manchen Fällen den Vorzug vor der ersten, - dies war mit der Einschränkung "so weit wie möglich" in der Formulierung der ersten Forderung gemeint. Es gibt infolgedessen Begriffe (wie "propositionale Einstellung", "epistemisch", "illokutionär"), die nicht der deutschen Umgangssprache angehören, sondern einer wissenschaftlichen Fachsprache. Solche Begriffe heißen " T e r m i n i". Analysen von Termini haben mehr den Status von D e f i n i t i o n e n ; wir beurteilen sie, sollte der Terminus in einer Fachsprache verbreitet sein, nach unserer fachsprachlichen Intuition (z.B. unserer Intuition als Sprachbenutzer eines linguistischen Jargons), und vor allem nach unserer l i n g u i s t i s c h e n , oder allgemein wissenschaftlichen, I n t u i t i o n , wie man es nennen könnte: danach, ob sie methodischen Forderungen wie Kohärenz und Minimalisierung der Grundbegriffe entsprechen. Die Skala der Analysearten reicht demnach von reiner Explikation über verschiedene Mischformen aus Explikation und Definition zur reinen Definition. Die vorhin eingeführten Begriffe "Analysans"/"Analysandum", "Klausel", u.a. übertragen sich auf. Explikation und Definition: wir werden dort analog von "Explikans"/"Explikandum" und "Definiens"/"Definiendum" sprechen. Von der Art der Analyse hängt die Art ihrer Beurteilung ab: sprachliche Intuition bei reinen Explikationen, linguistische Intuition bei reinen Definitionen, eine Mischung aus sprachlicher und linguistischer Intuition bei Analysen, die zwischen reiner Explikation und reiner Definition liegen. Nicht von allen wichtigen Ausdrücken in dieser Arbeit werden Analysen vorgelegt; vielfach begnüge ich mich mit E r l ä u t e r u n g e n (Charakterisierungen). Begriffe und Termini ser Art chrittweise eingeführt, auch um ihre Brauchbarkeit dem Leser eutlich zu machen. Dabei nehme ich in den ersten Kapiteln in Κ £, mich manchmal etwas gewunden ausdrücken zu müssen, da
2 Bemerkungen
zur
Methode
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ich mich unterwegs noch nicht der später eingeführten Begrifflichkeit bedienen kann. Um dieses Manko auszugleichen und zur besseren Orientierung sind im Anhang die wichtigsten Analysen, in der am Ende der Arbeit verfügbaren Begrifflichkeit, zusammengestellt.
3. Abstecken des Terrains: ausgesparte Probleme Leser, die von dieser Arbeit in erster Linie praktische Tips zur Enttarnung von Lügnern oder taktische Anleitungen zum geschickteren Lügen erhoffen, muß ich enttäuschen; darüber hinaus werden auch eine Reihe von theoretischen Problemen, deren Behandlung man erwarten mag, hier ausgeklammert oder nur gestreift: an erster Stelle die E t h i k der Lüge, - welche die Philosophen, Theologen und Rechtswissenschaftler, die über die Lüge geschrieben haben, fast ausschließlich bewegt hat; zweitens die l o g i s c h e n P a r a d o x i e n , - z u denen die sogenannte "Antinomie des Lügners", gehört; und schließlich S o z i a l p s y c h o l o g i e , P a t h o l o g i e und S y m p t o m a t o l o g i e der Lüge. Das allgemeine Problem der Bedingungen der Zuschreibung einer Lüge wird nur am Rande behandelt, das Erlernen des Lügens nicht berührt, und der Fall des sich-selbst-Belügens als komplexes Grenzphänomen aus der Betrachtung ausgeschlossen (Sartre 1943, Demos 1960, Fingarette 1969). Biologische und anthropologische Abschweifungen habe ich strikt vermieden. Aussparen muß ich auch die Frage des Zusammenhangs von Dichtung und Lüge. Was das erstgenannte Problem, die Ethik der Lüge, betrifft, so glaube ich zum einen, daß es mit Erfolg erst nach einer Analyse des Begriffs der Lüge angegangen werden kann. Erst wenn klar ist, was lügen heißt, kann man hoffen, das Problem der moralischen Bewertung des Lügens zu lösen. (Die erschöpfendste moderne Darstellung findet sich in Bok 1978). In berühmten p h i l o s o p h i s c h e n Arbeiten darüber, ob und, wenn überhaupt, unter welchen Umständen es erlaubt ist zu lügen
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I EINLEITUNG
- etwa bei Kant (1797a, 1797b) - wird der Begriff der Lüge durchweg als klar oder geklärt vorausgesetzt; eine der wenigen Ausnahmen bildet die klassische Abhandlung von Augustinus (395) , die erste überlieferte monographische Darstellung des Themas überhaupt. (Ein von dem Aristotelesschüler Theophrast verfaßtes Werk über die Lüge in drei Bänden ist verloren gegangen.) Doch auch neuzeitliche t h e o l o g i s c h e Diskussionen - etwa Locke (1886), Kern (1930), Hörmann (1953) und Müller (1962) bringen durch das Interesse, Lügen nach ihrer Schwere (Sündhaftigkeit) zu klassifizieren, interessante Ergebnisse zutage. Ebenso wurde die Lüge im r e c h t s w i s s e n s c h a f t l i c h e n Bereich eingehend erörtert (Ortloff 1862, Ihering 1883, Sick 1915, Adam 1927, Hirschberg 1929, Becker 1948, Seelig 1955), speziell etwa im Hinblick auf die Wichtigkeit der Zeugenaussage im deutschen Strafprozeß (Marcus 1901, Peters 1939) und die sogenannte Wahrheitspflicht im Zivilprozeß (Wurzer 1920, Gerold 1935,Hippel 1939). Obwohl die Lüge, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nach unserem Recht keinen Straftatbestand darstellt, spielt sie dennoch bei vielen Delikten eine entscheidende Rolle, etwa bei Betrug, Meineid, Falschbeurkundung, schwerem Wucher. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß bereits die frühesten in unserem Kulturkreis bekannten Gebote, nicht zu lügen, im Kontext von Rechtsvorschriften stehen (Klopfenstein 1964). Es kann nämlich auf der anderen Seite nicht davon abgesehen werden, daß unser Begriff "Lüge" ein m o r a l i s c h e r ist und dementsprechend unsere sich auf die Ausdrücke "lügen", "Lüge", usw. beziehende sprachliche Intuition von unserer moralischen Intuition nicht streng zu trennen ist. Gewiß ist es nicht unsinnig oder widersprüchlich, eine bestimmte Lüge als moralisch richtig zu bezeichnen; doch bringen wir gewöhnlich unsere moralische Mißbilligung zum Ausdruck, wenn wir sagen, jemand habe gelogen, wir erheben einen Vorwurf oder eine Beschuldigung; und wollen wir unsere Mißbilligung nicht zum Ausdruck bringen, so weichen wir meist auf andere Ausdrücke aus (wie "nicht ganz bei der Wahrheit bleiben", "kohlen", "flunkern", usw.). Jemanden "Lügner" zu nennen, erfüllt in der Praxis der
3 Abstecken
des Terrains
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deutschen Rechtsprechung zwar per se nicht den Tatbestand der Beleidigung im Sinne von § 185 Strafgesetzbuch, gilt aber z.B. im Deutschen Bundestag als Ordnungsverletzung. Eine Reihe von Beispielen ist aufgeführt in Falkenberg (1980b). Das zweite Problem ist das L ü g n e r p a r a d o x , das bereits in der Antike bekannt war (Rüstow 1910). Jemand sagt: "Ich lüge (immer)". Sagt er die Wahrheit oder lügt er? Wenn man annimmt, daß er die Wahrheit sagt, kann man folgern, daß er lügt, und umgekehrt - so jedenfalls eine verbreitete Auffassung. Ich werde in Abschnitt 19 zeigen, warum hier keine logische Antinomie vorliegt, und welche Schlußfolcerungen aus dem Paradox des Lügners für die Theorie der Lüge zu ziehen sind. Schwieriger auszugrenzen ist der dritte Problembereich, Sozialpsychologie, Pathologie und Symptomatologie der Lüge. Menschen lügen gewöhnlich nicht aus heiterem Himmel, es gibt für ihr Lügen Ursachen, Gründe, Motive und weitergehende Absichten; auf diese stoßen wir, wenn wir fragen: "Warum hat er oder sie gelogen?" Zum Beispiel aus Angst, Geltungssucht, Rücksichtnahme, Streben nach Beherrschung anderer. Zur Analyse dieser Ursachen und Gründe ist in verschiedenen Disziplinen reiches Material zusammengetragen worden, vor allem in der S o z i o l o g i e und der P s y c h o l o g i e . Soziologen betrachten aufgrund ihres Interesses an dem Unterschied von Öffentlichem und Privatem die Lüge in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Verbergens und Verheimlichens (Tönnies 1906, Simrnel 1908, Ross 1920, Tönnies 1923, Stok 1929, Geiger 1953, Goffman 1959, 1964, 1967, 1974, Luhmann 1968, Sievers 1974, Sacks 1975). Psychologen sehen dagegen mehr auf den Innenaspekt der Lüge und ihre Folgen für die Bewußtseinsorganisation (Heinroth 1834, Duprat 1903, Dromard 1910, Schrötter 1912, Freud 1913, Lowinsky 1913-14, Lipmann 1927, Küppers 1928, Scherleitner 1954, Eck 1965). Hierzu beigesteuert hat auch die pädagogisch ausgerichtete K i n d e r und J u g e n d p s y c h o l o g i e (Hall 1890-91, Stern & Stern 1909, Baumgarten 1917, Reininger 1927, Hartshorne & May 1928, Zillig 1930, Krout 1932, Piaget 1932, Wile 1941-42, Spieler 19 50), wobei der Schwerpunkt auf dem Erlernen des Lügens liegt. Weiterhin ist seit dem letzten Jahrhundert ein Krankheits-
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I EINLEITUNG
bild bekannt, die P s e u d o l o g i e (Pseudologia phantastica) oder auch pathologische Lügenhaftigkeit (Delbrück 1891, Healy & Healy 1915, Birnbaum 1927, Baeyer 1935, Schaar 1964). Die Symptomatologie der Lüge, d.h. die Erforschung physischer Symptome des Lügens (z.B. schnellere Atmung, ansteigender Puls, Rotwerden) wird, ebenfalls seit dem 19. Jahrhundert, extensiv vor allem in der medizinischen Tatbestandsdiagnostik und Kriminologie behandelt (siehe die Überblicke bei Mager 1931-32, Trovillo 1938-40 und Tent 1967). Mit der spektakulären Konstruktion sogenannter " L ü g e n d e t e k t o r e n " (Polygraphen) zieht dieser Forschungszweig seit den zwanziger Jahren besonders in den U.S.A. das öffentliche Interesse auf sich. Polygraphen haben sich jedoch als nicht zuverlässig erwiesen; die ihrer Konstruktion zugrunde liegende kausalistische Annahme, daß jede Lüge von einem spezifischen physischen Prozeß begleitet wird, dessen technische Messung die Lüge dingfest zu machen erlaubt, hat sich nicht bestätigen lassen. Weiterhin sind die postulierten physischen Prozesse derart uneindeutig, daß sich für den kausalistischen Ansatz bisher unüberwindbare Deutungsprobleme bei der Frage ergeben haben, ob die Prozesse, wenn sie gemessen werden, als Symptome für eine Lüge anzusehen sind oder nicht vielmehr als Symptome für Aufregung, Nervosität, Angst, schlechtes Gewissen usw. Die Anwendung des Polygraphen ist in der Rechtspflege verschiedener Länder, in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von § 136a Strafprozeßordnung, nicht gestattet (eine Darstellung gibt Schwabe 1979). Doch hat die im Rahmen des aufkommenden Behaviorismus verfahrende Symptomatologie der Lüge mit euphorischen Verheißungen auf schnelle praktische Verwertbarkeit z.B. für die Verbrechensbekämpfung (Larson 1932) das Augenmerk der Forschung auch hierzulande eine Zeitlang von der Lüge auf tatsächliche oder vermeintliche Symptome der Lüge abgelenkt. 2
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Zu denken gibt etwa folgender Bericht, für den ich mich allerdings nicht verbürgen kann: Die Ärzte einer Heilanstalt in den U.S.A. unterzogen einen Patienten vor seiner geplanten Entlassung einem routinemäßigen Test mit dem Polygraphen. Eine der gestellten Fragen lautete: "Sind Sie Napoleon?" Der Patient antwortete "Nein". Das Gerät zeigte an, daß er gelogen hatte.(Siehe auch die Kritik von Lykken 1974.)
3 Abstecken
des
Terrains
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Wenngleich symptomatologische und pathologische Aspekte der Lüge aus einer linguistischen Arbeit weitgehend ausgeblendet werden können, so gibt es doch sprachliche und andere Anzeichen und Kriterien für eine Lüge, durch die sich der Lügner in Verdacht bringen oder verraten kann (z.B. beteuern, verplappern, sich in Widersprüche verwickeln, usw.). Hierunter fallen auch einige Symptome (z.B. Rotwerden). Kriminologische und psychologische Aussageforschung (Gross 1893, 1898, Stöhr 1911, Mönkemöller 1930, Undeutsch 1967), moderne Verhörtechniken (Schneickert 1924, Hellwig 1927, Inbau & Reid 1953), militärärztliche, psychiatrische und psycholinguistische Untersuchungsmethoden (Ekman & Friesen 1969, 1974, Baskett & Freedle 1974, Todd-Mancillas & Kibler 1979) - sie alle haben eine Fülle wichtiger Erkenntnisse auf diesem Gebiet systematisiert, die von der Linguistik durchweg noch ignoriert werden. Sie wären in einer Theorie der Zuschreibung der Lüge zu berücksichtigen . Ich trenne demnach methodisch zwischen Problemen der Zus c h r e i b u n g und Problemen der K o n s t i t u t i o n ; in dieser Arbeit bin ich vorrangig an der Konstitution der Lüge interessiert, daran, was eine Lüge ausmacht, welche Arten der Lüge es gibt, usw. In einer Theorie der Zuschreibung der Lüge, die hier nur vorbereitet werden kann, sind die Bedingungen zu klären, unter denen man eine Lüge (be)merkt und erkennt, Menschen der Lüge verdächtigt, beschuldigt und überführt. Das Problem der Zuschreibung der Lüge - unter das ich, in Überdehnung des Ausdrucks "Zuschreibung", auch die Beziehung von Menschen zu ihrer eigenen Lüge rechne - reicht in die Erkenntnistheorie hinein. Beides, Konstitution und Zuschreibung, bildet zusammen das, was ich als T h e o r i e der L ü g e im e n g e r e n S i n n ansehen möchte. Eine solche Theorie ist weder Ethik noch Logik, weder Psychologie noch Soziologie, und sie ist auch nicht, im engeren Sinn, Erkenntnis- oder Wahrheitstheorie. Es soll nicht bestritten werden, daß ethische, rechtliche, sozialpsychologische, pathologische und manche symptomatologische Überlegungen in eine u m f a s s e n d e Theorie der Lüge gehören. Aber deren Entwicklung - das ist durch den kurzen Überblick des vorliegenden Abschnitts hoffentlich deutlich geworden -
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I EINLEITUNG
ist ein interdisziplinäres Unternehmen; freilich eines, zu der die Linguistik mit einer Theorie der Lüge im engeren Sinn Grundsätzliches beisteuern kann.
4. Ist eine linguistische Theorie der Lüge möglich? Es ist oft bezweifelt worden, daß eine Theorie der Lüge in die Zuständigkeit der Sprachwissenschaft fällt, und die große Vielfalt der im letzten Abschnitt genannten Arbeiten könnte auf den ersten Blick in der Tat dagegen sprechen. Wellershoff hat diese Zweifel vor einigen Jahren so formuliert: "Meine Frage an die Linguistik ist: Hat sie überhaupt Mittel zur Hand, die Negation von Sachverhalten weiterreichend als bloß logisch oder formal zu interpretieren und sie etwa als Lüge, Verleugnung, Verdrängung oder Verfälschung kenntlich zu machen? Oder liegt hier eine Kompetenzgrenze der Linguistik vor?" (1975:437). Meine Auffassung ist, daß eine linguistische Theorie die Mittel zur Analyse der Lüge entwickeln kann, sofern sie sich als Teil einer Theorie der menschlichen Persönlichkeit, des menschlichen Handelns und Bewußtseins, versteht. Das heißt nicht, die Linguistik in imperialistischer Manier zu einer neuen Art von UberWissenschaft zu erklären, sondern ihr eine zentrale Stellung bei der Untersuchung eines Phänomens zuzubilligen, dessen Komplexität vielfältige Ansätze und Methoden erforderlich macht. Dieses Verständnis und das daraus entspringende Forschungsinteresse ist bei den Autoren der letzten großangelegten Zusammenschau zum Problem der Lüge aus der Sicht verschiedener Disziplinen (Lipmann & Plaut 1927) noch vorhanden gewesen. Es ging in Deutschland in den dreißiger und vierziger Jahren mit dem Faschismus verloren: wo die Lüge zum System wurde, war für die Analyse der Lüge kein Platz mehr. Doch es konnte auch nach dem 2. Weltkrieg in der germanistischen Sprachwissenschaft nicht wiedergewonnen werden: zum einen - soweit man an einer Rekonstruktion faschistischer Demagogie und Propaganda interessiert war - blieb man aus Mangel an theoretischem Rüstzeug bei einer philologischen Kritik "faschistischer Sprache" stehen, so daß Betz (1963) daran erinnern mußte, daß nicht die Sprache es
4 Bine
linguistische
Theori
der
Lüge?
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war und ist, die lügt; zum andern glaubte man - in verspäteter Rezeption des amerikanischen Strukturalismus -, nur durch selbstauferlegte Beschränkungen in der Sprachtheorie Fortschritte erzielen zu können. Die Leitfigur war hier Chomsky, der etwa schreibt : "Language can be used for all kinds of... purposes. It can be used to inform or to mislead... In either case, I may be using language in a perfectly normal way." und daraus den Schluß zieht: "If one wants to find out something significant about the nature of language, I think it is important to look not at its uses..., but, rather, at its structure - to ask what it is, not what is done with it" (1967:74). Dieses Diktum kennzeichnet ein Forschungsprogramm, das in verhängnisvoller Gegenüberstellung von Struktur und Verwendung die Sprachverwendung aus dem Bereich linguistischer Theorie verbannt (vergleiche die Kritik an Chomsky in Bennett 1976:§2). Dogmatisch wird der Gedanke abgewiesen, daß wir entscheidendes über das Wesen der Sprache erfahren, wenn wir untersuchen, wie und wozu sie verwendet wird. Erst seit Ende der sechziger Jahre ließen vor allem drei Faktoren das Interesse an Fragen der sprachlichen Täuschung und Manipulation in der Bundesrepublik wieder aufleben: die wachsende Einsicht in die Begrenztheit syntaktisch ausgerichteter Grammatiktheorie, die durch die Studentenbewegung vorgetragene Forderung nach einer gesellschaftlich relevanten Sprachtheorie, und schließlich die verstärkte Kenntnisnahme von Überlegungen der analytischen Sprachphilosophie und Handlungstheorie (siehe etwa Heringer 1972, Maas 1972, Guhl 1972, sowie die Beiträge in Wunderlich 1972c) . Entsprechende Entwicklungen sind auch in den Vereinigten Staaten zu beobachten (Bolinger 1973, Sebeok 1975). Mit dieser Arbeit möchte ich einen Ansatz zu einer Theorie der Lüge vorlegen; einen Ansatz, bei dem die in Abschnitt 3 genannten Probleme vorerst ausgeklammert bleiben. Denn, wie Gross (1898:661) einmal bemerkt hat, "...über das Wesen der Lüge erschöpfend schreiben, hieße eine Naturgeschichte des Menschen verfassen".
XI.
DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
5. Fünf allgemeine Eigenschaften der Lüge Von jeder Analyse ist zu verlangen, daß sie bestimmte allgemeine Eigenschaften des analysierten Begriffs rekonstruiert. Die folgende Aufzählung einiger Eigenschaften der Lüge - die den Leser an die Verwendung des Begriffs "Lüge" erinnern will hat den systematischen Zweck, Bedingungen zu formulieren, die den Rahmen jeder angemessenen Theorie der Lüge abstecken sollen; allgemeine Forderungen niederzulegen, an denen vorgeschlagene Analysen zu messen sind. Dabei werden in zweierlei Hinsicht auch geringfügige Eingrenzungen des Begriffs "Lüge" vorgenommen. In Anlehnung an Carnap (1950:§2) kann man die vorbereitende Tätigkeit dieses Abschnitts als "Klärung des Analysandums" bezeichnen . Folgende fünf Eigenschaften treffen auf Lügen zu: (5-1)
Lügen sind p e r s o n a l d e s Lügen.
(5-2)
Lügen sind s o z i a l (oder f r e m d p e r s o n a l ) sie richten sich an a n d e r e .
(5-3)
Lügen sind werden.
(5-4)
Lügen sind i n t e n t i o n a l s i c h t l i c h .
(5-5)
Lügen sind s e r u n g
t e m p o r a l
:
:
sie sind immer
sie können :
j e m a n-
d a t i e r t
sie geschehen
v e r b a l : sie bestehen in der von V« o r t e n .
ab-
Ä u s -
Diese fünf Bedingungen sind natürlich nichts weiter als eine Entfaltung der allgemeinen Annahme, mit der ich diese Arbeit eröffnet habe: daß Lügen sprachliche Handlungen sind - eine Entfaltung in eine Reihe von einzelnen Sätzen, die analytisch
5 Eigenschaften
der Lüge
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zu sein scheinen; und soweit sie dies nicht bereits sind, möchte ich sie in diesen Rang erheben. Das erfordert, daß die schlagwortartigen Begriffe in (5-1) bis (5-5) etwas genauer erläutert werden. Ich will sie der Reihe nach durchgehen. Zu (5-1). Wenn eine Lüge vorliegt, so gibt es jemanden, der lügt: den Lügner (siehe §6). Lügende Worte, Sätze oder Sprachen - all diese Wendungen hilfloser, zumal antifaschistischer Sprachkritik - sind ebensolcher Unsinn wie denkende Worte oder ängstliche Sätze. Freilich enthebt diese Einsicht nicht von der Notwendigkeit zu sagen, was es heißen kann, daß sich in bestimmten Ausdrücken Lügen sedimentiert zu haben scheinen, etwa dem berüchtigten von der "Frontbegradigung", aber auch eingebürgerten wie dem vom "Arbeitnehmer" oder von der "Preisanpassung". (Ich werde dies Problem hier nicht behandeln.) Zu (5-2). Wenn eine Lüge vorliegt, so gibt es (mindestens) einen Adressaten (siehe §6): jemanden, den der Lügner anlügen will. Der Adressat, so will ich annehmen, ist mit dem Lügner nicht identisch. Mit dieser zusätzlichen Forderung greife ich die Ausgrenzung des sich-selbst-Belügens (§3) auf. Zu (5-3). Wenn eine Lüge vorliegt, so gibt es einen bestimmten Zeitpunkt, zu dem sie stattfindet. Anders ausgedrückt: eine Lüge ist ein Ereignis (Geschehnis). Zu (5-4). Wenn eine Lüge vorliegt, so gibt es eine bestimmte Absicht, die hinter ihr steht. Diese lügnerische Absicht, so kann man vorgreifend sagen, besteht darin, den anderen zu täuschen. Absichten sind in gleicher Weise personal wie die Lügen selbst: es sind immer j e m a n d e s Absichten. Stellt sich heraus, daß einer, den wir der Lüge verdächtigten, diese Absicht nicht hatte, so müssen wir vernünftigerweise unseren Verdacht fallenlassen. Es gibt keine unabsichtlichen Lügen (Heinroth 1 834 :§1.III.3, Linsky 1 963:§9), so wie es etwa unabsichtliche Kränkungen gibt. In der Lüge ist die Intentionalität eingebaut. "Lügen" gleicht darin Ausdrücken wie "Mord" im Unterschied zu "Tötung". Zu (5-5). Wenn eine Lüge vorliegt, so gibt es Gesprochenes oder Geschriebenes, Äußerungen von V/orten, in (oder mit) denen die Lüge erfolgt. Man kann nur lügen dadurch, daß man sich ent-
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II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
weder der Laut- oder der Schriftsprache bedient. Diese Bedingung hat, ähnlich wie die zweite, auch eingrenzenden Charakter, denn wir sprechen bei manchen gestischen, mimischen und anderen körpersprachlichen Äußerungen ebenfalls von "Lüge": z.B. bei Kopfnicken als Antwort auf eine Frage. Ich möchte diese Fälle aus der Betrachtung aber vorerst ausschließen. Ihr von verbalen Äußerungen derivativer Status wird daran deutlich, daß sie nur insoweit als "Lüge" bezeichnet werden können, als sie verbale Äußerungen - etwa, in unserem Beispiel, "Ja" - ersetzen. Um die gerade implizit getroffenen Festsetzungen explizit zu machen, wollen wir vereinbaren, daß sprachliche Äußerungen entweder verbal oder körpersprachlich (non-verbal) sind, und daß verbale Äußerungen ihrerseits entweder lautsprachlich oder schriftsprachlich sind: (5-6)
Eine Äußerung χ ist sprachlich gdw (a) χ ist verbal, oder (b) χ ist körpersprachlich (non-verbal).
(5-7)
Eine Äußerung χ ist verbal gdw (a) χ ist lautsprachlich, oder (b) χ ist schriftsprachlich.
Die fünf Bedingungen (5-1) bis (5-5) können herangezogen werden, wenn es gilt, unsere auf sprachlicher Intuition beruhenden Urteile zu rechtfertigen, warum wir dies als Lüge zu bezeichnen geneigt sind und jenes nicht. Zum Beispiel: Wir können uns zwar irren, allein indem wir denken (etwa wenn wir denken, daß 2 x 2 = 5 ) ; aber wir können nicht lügen, indem wir nur denken. Viarum nicht? Als Rechtfertigung werden wir Bedingungen wie (5-2) und (5-5) nennen, die explizit machen, daß lügen, im Gegensatz zu sich-irren, seinem Wesen nach sozial (fremdpersonal) ist und in jedem Falle der Äußerung von Worten bedarf. Es ist diese letzte Bedingung (5-5), die den eigentlichen Beweggrund dafür bildet, die Lüge als legitimen Gegenstand der Linguistik zu betrachten. Ein Nachweis ist sie freilich nicht; dieser kann erst dadurch erbracht werden, daß eine Theorie der Lüge vorgelegt wird.
17 6. Die Form des Analysandums Als Analysandum möchte ich zunächst nicht das Substantiv "Lüge" wählen, von dem bisher hauptsächlich die Rede war, sondern das Verb "lügen", genauer, die Satz form (6-1)
A hat gelogen,
wobei "A" eine Variable für menschliche Akteure, denkende und handelnde Personen, ist. Wenn es um Äußerungen geht - und um solche handelt es sich ja bei Lügen immer (5-5) -, so heiße die äußernde Person A allgemein "der Ä u ß e r n d e " (oder "Zeichenproduzent") ; je nachdem, ob es sich um lautsprachliche oder schriftsprachliche Äußerungen handelt, auch "der Sprecher" oder "Schreiber". In Bezug auf (6-1) werde ich von A als "dem L ü g n e r " sprechen, obwohl dieser Ausdruck umgangssprachlich bei einer einmaligen Lüge zu stark ist und gewöhnlich jemanden bezeichnet, der öfter oder regelmäßig lügt, der "verlogen" ist. Aufbauend auf der Analyse der Satzform (6-1) werde ich später den komplexeren Begriff der Lüge analysieren (§25) und andere mit diesem enger verwandte Begriffe wie den der Unwahrhaftigkeit (§16) .
Neben dem einwertigen Verb "lügen" sind die zweiwertigen Verben "belügen" und "anlügen" ("etwas vorlügen") zu betrachten, und zwar in den folgenden Satzformen: (6-2)
A hat Β angelogen. (A hat Β etwas vorgelogen.)
(6-3)
A hat Β belogen.
"B" ist ebenfalls eine Variable für menschliche Akteure; Β heiße allgemein "der
A d r e s s a t " ,
bei gelungener Äußerung auch
"Zeichenrezipient" und je nachdem, ob es sich um lautsprachliche oder schriftsprachliche Äußerungen handelt, "der Hörer" oder "Leser". Ich werde mich in dieser Arbeit im wesentlichen auf sprachliche Kommunikation in einer Mini-Gesellschaft aus zwei
1
Man bedenke, daß mit dieser Festsetzung u.a. Tiere und Säuglinge als Lügner aus der Betrachtung ausgeschlossen werden.
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Personen beschränken, genauer: auf verbale dyadische Kommunikation zwischen A und B. Die Ausdrücke "A" und "B" dienen dabei sowohl als Namen für die Akteure wie auch als Bezeichnungen ihrer kommunikativen Rollen - in Dialogen fällt beides selbstverständlich nicht mehr zusammen, da jeder abwechselnd Sprecher und Hörer ist. Auf eine saubere Unterscheidung, nach der die zweite Funktion der Ausdrücke durch wechselnde Indizes übernommen werden müßte, habe ich zugunsten der Lesbarkeit verzichtet. Welche logischen Beziehungen bestehen zwischen den drei Satzformen (6-1) bis (6-3)? Wenn jemand einen andern angelogen oder ihn belogen hat, so hat er gelogen - soviel ist jedenfalls klar. Also folgt (6-1) logisch aus jeder der beiden Satzformen (6-2) und (6-3). Die beiden letzten Satzformen sind untereinander nicht logisch äquivalent, doch folgt aus der dritten Satzform logisch die zweite: Wenn jemand einen andern belogen hat, so hat er ihn in jedem Fall angelogen. Die Umkehrung gilt dagegen nicht. Folgendes Beispiel möge dies verdeutlichen: (6-4)
A: "Ich habe gestern Karl gesehen." B: "Du lügst!"
Nehmen wir an, A habe in der Tat gelogen; dann würden wir hier sagen, daß A den Β zwar angelogen, aber nicht belogen habe. (Oder, daß A versucht habe, Β zu belügen.) Diese Redeweise ist gegenüber dem Sprachgebrauch der Umgangssprache allerdings etwas eingegrenzt, wo wir in einem solchen Fall durchaus auch sagen könnten, daß A den Β belogen habe. Die logischen Beziehungen zwischen den drei Satzformen können danach folgendermaßen dargestellt werden: (6-5)
(6-3) nur wenn (6-2) nur wenn (6-1).
Dieses Beziehungsgefüge gibt die Reihenfolge der Analyse vor, - wenn wir das Komplexere nach dem Einfacheren angehen wollen: erst (6-1), dann (6-2), dann (6-3). Man könnte versucht sein, außerdem anzunehmen, daß (6-2) aus (6-1) logisch folgt, mit anderen Worten, daß wenn jemand gelogen hat, er immer j e m a n d e n angelogen hat. Ich werde später zeigen, warum ich dies für falsch halte, und welche
6 Das
Analysandwn
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Satzformen stattdessen aus (6-1) logisch folgen (§26). Vorgreifend auf dort genauer explizierte Unterscheidungen will ich folgenden Sprachgebrauch festlegen: Eine Lüge ist g e g l ü c k t (genauer, etwas ist eine Lüge) gdw (6-1), g e l u n g e n gdw (6-2), und e r f o l g r e i c h gdw (6-3). In den letzten beiden Fällen kann man von Β jeweils als "dem Angelogenen" und "dem Belogenen" sprechen. Da jede erfolgreiche Lüge nach dem Gesagten eine gelungene Lüge ist, ist damit auch jeder Belogene ein Angelogener. Die Perfektform des Verbs "lügen" in (6-1) bis (6-3) soll die in (5-3) erwähnte Tatsache bewußt halten, daß lügen - wie jede andere Handlung - ein Ereignis und damit datierbar ist. Später wird sich die Einführung einer Zeitvariablen als nötig erweisen (§21) .
Nach diesen etwas trockenen Erörterungen - durchweg terminologischen Konsequenzen aus dem vorhergehenden Abschnitt -, die nicht ohne Vorgriffe auf später Behandeltes abgingen, will ich nun die klassische Theorie der Lüge in ihrer simplen Form und ihren anderen Versionen darstellen und einer Kritik unterziehen.
7. Die simple Theorie Die klassische Theorie der Lüge - besser gesagt, ihr Kernstück sieht in ihrer simplen Form folgendermaßen aus: (7-1)
A hat gelogen gdw (a) A hat gesagt... (b) A hat gewußt...,
wobei die Punkte". .."in (a) und (b) so auszufüllen sind, daß sich ein Widerspruch ergibt zwischen dem, was gesagt, und dem, 2 was gewußt wurde. 2
Ab §21 werden wir den Begriff der Proposition zur Verfügung haben und auf das Hilfsmittel der "..."verzichten können. Den im folgenden verwendeten Widerspruchsbegriff betrachte ich später noch genauer (§21, §32).
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Welche Gründe gibt es, die Form (7-1) und die in späteren Abschnitten eingeführten Versionen als k l a s s i s c h e Theorie der Lüge zu bezeichnen? Der Ausdruck "klassisch" soll nicht zu der Annahme verleiten, die Tradition, in der (7-1) und verwandte Analysen stehen, sei in der Geschichte der Explikation der Lüge die einzige gewesen, noch, diese Tradition sei vollkommen einheitlich; schließlich reicht der Streit um die korrekte Explikation der Lüge wenigstens bis in die Spätantike zurück: seit Augustinus (395) wird beispielsweise diskutiert, ob die Täuschungsabsicht als eigene Bedingung hinzuzurechnen ist oder nicht (siehe §29). Der Ausdruck "klassisch" soll nur unterstreichen, daß die Analyse (7-1) geistesgeschichtlich und wissenschaftsgeschichtlich dominierend war und auch heute noch sehr verbreitet ist (siehe §8-9), selbst wenn sie sich nicht immer in der reinen Form nachweisen läßt, in der sie oben formuliert wurde. Gerade das könnte übrigens mit ein Grund dafür sein, warum sie sich mit solcher Zähigkeit hält. Weiterhin soll die Bezeichnung "klassisch" hervorheben, daß die Analyse, vor allem in Klausel (b), Annahmen macht, die wir erkenntnistheoretisch als "klassisch" im Sinne von "vor der Neuzeit liegend" zu bezeichnen gewohnt sind. Diese Annahmen haben oft zu irrigen Auffassungen über das Wesen der Lüge geführt. So wird uns z.B. die verkehrte Gegenüberstellung von Lüge und Wahrheit immer wieder begegnen. Vor allem aber soll der Ausdruck "klassisch" dazu dienen, in einprägsamer Weise ein Theorienbündel zu kennzeichnen, von dem ich mich abheben möchte. Die duale Form der klassischen Analyse wird allerdings beibehalten werden, eine Dualität, die im Begriff der Lüge und in verwandten Begriffen enthalten zu sein scheint. Schon die frühesten Erläuterungen zum Thema machen dies deutlich. Homer läßt in der Ilias den listenreichen Odysseus sagen, verhaßt sei ihm, wer "eh1 héteron mèn keuthä eni phresin, allo de eipä"^, und ein geflügeltes Wort von Sallust lautet, menschliche Falschheit 3
"...das eine verbirgt im Sinn und anderes ausspricht" (Homer: §IX.312-13.
7 Die simple
Theorie
21
bestehe darin, "aliud clausuni in pectore, aliud in lingua 4 promptum habere". Auch ich werde lügen als Widerstreit zweier Seiten der Person auffassen, als E n t z w e i u n g von verbaler Handlung und Bewußtsein. Diese Entzweiung ist keine Spaltung, durch welche der Betroffene schizophrenieartig in zwei verschiedene Personen zerfällt; sie ist eher eine "duplicity" (Ogden & Richards 1923:317=1949:194), eine, wie Bally es plastisch ausdrückt, "dédoublement de la personalité" (1 932 :§37=1965 :§31). Wir unterstellen dem Lügner, daß ihm diese Entzweiung bewußt ist: in dem Maße, in dem ein Hochstapler oder Fabuliersüchtiger sich in den Glauben an das Erzählte hineinsteigert, hört er auf, ein Lügner zu sein. Das die Lüge begleitende Diskrepanzbewußtsein erzeugt gewöhnlich eine Spannung, welche der Lügner meistern muß, und es ist nicht unplausibel anzunehmen, daß die von Polygraphen gemessenen physischen Prozesse (§3) Symptome eben dieser Spannung sind. Um Bezeichnungen zur Verfügung zu haben, die allgemein genug sind, auf Theorien verschiedenster Herkunft wenigstens lose anwendbar zu sein, werde ich zu expositorischen Zwecken von der einen Seite als der "H a η d 1 u η g s s e i t e" des Lügens sprechen, von der anderen als der "B e w u ß t s e i η s s e i t e" . In (7-1 ) steht "sagen" für die Handlungs-, "wissen" für die Bewußtseinsseite. Diese Begriffe sollen kein dualistisches Innen-Außen-Modell der menschlichen Person nahelegen. Zunächst (§10-11) werde ich die Handlungsseite des Lügens diskutieren und Argumente gegen die Klausel (a) der simplen Theorie vorbringen. Anschließend (§12-14) werde ich die Bewußtseinsseite des Lügens diskutieren und Argumente gegen die Klausel (b) der simplen Theorie vorbringen. Die beiden aus der kritischen Diskussion der klassischen Theorie resultierenden Bedingungen werden mir dann in Kapitel IV als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen dienen.
4
"...anders im innersten Herzen zu denken als mit Worten offen zu bekennen"(Sallust um 40 v.Chr.:§X.5). Ähnliche Vorstellungen sind wirksam im Begriff des "duplex cor"(Augustinus 395: §3), der "falschen Zunge"(Psalmen 120,2) oder der "gespaltenen Zunge" der Indianersprachen.
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8. Lexikonexplikationen von "Lüge" Es wird später deutlich werden, daß eine Reihe von Linguisten und Philosophen die simple Theorie der Lüge (7-1), Teile oder Versionen von ihr, akzeptiert. Um jedoch gleich der Vermutung entgegenzutreten, es könnte sich bei dieser Theorie um einen Popanz handeln, der nur zum Zwecke einer mühelosen Destruktion aufgebaut wurde, möchte ich in diesem Abschnitt belegen, daß die Theorie, Teile oder Versionen von ihr, in einer Anzahl von bekannten Wörterbüchern^ und Enzyklopädien^ zu finden ist; in diesen haben Auffassungen über den Begriff der Lüge eine, oft normierende, Explikation gefunden, die ihrerseits wiederum die Grundlage für ein gängiges Verständnis der Lüge gebildet hat und bildet. Adelung charakterisiert "lügen" als "eine Unwahrheit sagen, besonders, eine wissentliche Unwahrheit...vorbringen" (1796:Sp. 2128). Campe präzisiert, unter Hinzunahme des Begriffs der Absichtlichkeit: "wissentlich und absichtlich eine Unwahrheit sagen"(1809:167).
5
J.C.Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber des Oberdeutschen II. Leipzig 21796, J.H.Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache III. Braunschweig 1809. J.C.A.Heyse, Handwörterbuch der Deutschen Sprache II. Magdeburg 1849. 2 F.L.K. Weigand, Deutsches Wörterbuch I. Gießen 1873. J.Grimm & W.Grimm, Deutsches Wörterbuch VI. Leipzig 1885. M.Heyne, Deutsches Wörterbuch II. Leipzig 21906. A. Götze (Hg.), Trübners Deutsches Wörterbuch IV. Berlin 1943. D. Sanders, Wörterbuch der Deutschen Sprache II.1. Leipzig 1 863. The Oxford English Dictionary VI. Oxford 1933. „ Webster's New Collegiate Dictionary. Springfield 1975. P.Grebe & W.Müller, Duden. Vergleichendes Synonymwörterbuch. Mannheim 1964. G. Wahrig (Hg.), Deutsches Wörterbuch. Gütersloh 1968. L. Mackensen, Deutsches Wörterbuch. München -51967.
6
Meyers Großes Konversationslexikon XII. Leipzig 61906. Der Große Knaur III. Stuttgart 1967. 1 7 Brockhaus Enzyklopädie XI. Wiesbaden 1970. Britannica World Language Dictionary I. Chicago 1962.
8
Lexikonexplikationen
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Diese Bestimmung zieht sich durch die wichtigsten Wörterbücher des Deutschen hindurch bis in unsere Zeit: sie wird entweder wörtlich übernommen (etwa von Heyse 1849:95), in Teilen angeführt (Weigand 1873:976 "absichtliche Unwahrheit sagen", Grimm 1885:Sp.1273 "eine wissentliche Unwahrheit sagen", Heyne 1906: Sp.696 und Trübner 1943:509 "wissentlich die Unwahrheit sagen") oder sie wird durch den Begriff der Täuschung ergänzt (Sanders 1863:178 "täuschend die Unwahrheit sagen, nam. wissentlich und absichtlich"). Klarer heißt es im Oxford English Dictionary unter dem Stichwort "lie": "a false Statement made with intent to deceive" (1933:251), und im Webster's: "an assertion of something known or believed by the speaker to be untrue with intent to deceive" (1 975:663) . Moderne deutsche Wörterbücher sind, verglichen mit diesen Bestimmungen, wesentlich oberflächlicher und unschärfer: "etwas Unwahres bewußt als Wahres ausgeben, um jmdn. zu täuschen" (Duden 1964:441) ist zu weit - es fehlt die Einschränkung auf Sprache; "absichtlich Unwahres sagen, um andere zu täuschen" (Wahrig 1 968 :Sp.2321) ist nichts weiter als eine Verkürzung der zitierten Angabe bei Sanders; und "die Unwahrheit sagen" (Mackensen 1967:588) oder "das Gegenteil der Wahrheit sagen" (Wahrig 1968: Sp.2 321) sind, wörtlich genommen, falsch (siehe §12), in ihrer Inexplizitheit ohnehin nur ein schwacher Abglanz der älteren lexikalischen Erklärungen. Moderne Enzyklopädien sind demgegenüber genauer; sie ziehen unter dem Stichwort "Lüge" zur Erläuterung gewöhnlich die vier Begriffe der Falschheit, des Wissens, der Aussage und der Täuschungsabsicht heran, oder Varianten dieser Begriffe. So heißt es in Meyers Konversationslexikon : "absichtliche, mit dem Vorsatz der Irreführung andrer erfolgende Mitteilung einer bewußten Unwahrheit" (1906:832). Und im Großen Knaur: "bewußt unwahre Aussage, i.w.S. jede der Wirklichkeit entgegengesetzte Mitteilung mit der Absicht, andere zu täuschen" (1 967: 1 13) . Der Große Brockhaus faßt es bündiger: "eine bewußt falsche, auf Täuschung berechnete Aussage"(1970:677). Ähnlich konzis ist die
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II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
Angabe in einem bekannten englischen Lexikon: "the uttering of what one knows to be false with intent to deceive" (Britannica 1 962 :736) . Dieser kursorische Überblick über verschiedene Lexikonerklärungen von "lügen" und "Lüge" zeigt, daß "sagen" und "wissen" oder Varianten dieser beiden Ausdrücke üblicherweise zur Erläuterung herangezogen werden. Ein mit der Lüge vertrauter Politiker hat also offenbar eine gängige Auffassung formuliert, als er vor 7 dem Deutschen Bundestag ausführte: "In diesem Hause sollte es über die Definition des Begriffes "Lüge" doch keinen Zweifel geben... "Lüge" heißt, daß jemand in Kenntnis der Wahrheit bewußt das Gegenteil der Wahrheit sagt" (F.J.Strauß am 13.5.76).
9. Zwei Beispiele für die simple Theorie Die simple Theorie (7-1) findet sich nicht nur in Lexika, liegt nicht allein alltäglichen Erklärungen über das Wesen der Lüge zugrunde; auch - was VJunder - Philosophen und Linguisten haben sie explizit vertreten oder vertreten sie noch. So notiert Wittgenstein in den dreißiger Jahren: "Lying about what I see, you might say, is knowing what I see and saying something else" (Wittgenstein 1934-36: 280) .
Er legt diese Auffassung allerdings seinem imaginären Widerpart in den Mund, so daß sie nicht Wittgenstein direkt zugeschrieben werden kann. Der stark von ihm beeinflußte Waismann schreibt etwa um dieselbe Zeit, in einem Werk, das ursprünglich als systematische Darstellung der Gedanken Wittgensteins geplant war: "Das Lügen besteht darin, daß man weiß, was die Wahrheit ist, und absichtlich das Falsche sagt" (Waismann 1929-39: §XIV.9) . Ähnliche Auffassungen sind auch in der Linguistik zu finden. So behauptet Weinrich kategorisch: 7
Der Kontext dieser Bemerkung ist in Falkenberg 1980b:§2 dokumentiert.
9 Zwei
Beispiele
25
"Die Linguistik sieht...eine Lüge als gegeben an, wenn hinter dem (gesagten) Lügensatz ein (ungesagter) Wahrheitssatz steht, der von jenem kontradiktorisch...abweicht" (Weinrich 1966:40). In diesen Aussagen Waismanns und Weinrichs tritt uns die klassische Theorie der Lüge in ihrer simplen Form entgegen: Lügen ist das Auseinanderfallen von sagen und wissen. Ich möchte hinzufügen, daß beide Aussagen nicht etwa böswillig aus dem Zusammenhang gerissen sind, sondern die zentralen Explikationen darstellen, die beide Autoren uns anbieten. Weitere Anhänger der klassischen Theorie - was die Wissensklausel betrifft - werden in Abschnitt 12 zu Wort kommen. In den nächsten zwei Abschnitten will ich mich mit dem beschäftigen, was ich "die Handlungsseite des Lügens"(§7) genannt habe, also der Klausel mit "sagen". Viaismann und Weinrich scheinen diesen Ausdruck für unproblematisch zu halten, denn sie erläutern ihn nicht weiter.
10. Sagen Der Begriff "sagen" hat jedoch - ähnlich wie sein Gegenstück "verstehen" - ein breites Spektrum von Verwendungsweisen, und die meisten davon sind nicht geeignet, den Begriff "lügen" explizieren zu helfen. Ich möchte daher zunächst zwischen drei verschiedenen Verwendungsweisen von "sagen" im Deutschen unterscheiden. Von diesen wird sich eine Erweiterung des ersten und ein besonderer Fall des zweiten Sinns als für die Analyse von "lügen" nützlich erweisen. Betrachten wir die folgenden Beispiele : (10-1a)
Er sagte (zu mir): "Hannibal ist ein Dummkopf".
b
Er sagte (zu mir): "Hau ab!"
c
Was sagtest du gerade (zu mir)?
d
(Arzt zum Patienten) Sagen sie mal: "Aaah"!
II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
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(10-2a)
Er sagte (zu mir), daß Hannibal ein Dummkopf ist. Er sagte mir, daß Hannibal ein Dummkopf ist.
b
Er sagte (zu mir), daß ich abhauen soll. Er sagte mir, daß ich abhauen soll.
c
Kant sagt das Gegenteil.
d
Er sagte mir, er werde kommen.
e
Ich sagte ihm, wie man die Schraube reindrehen muß.
(10-3a)
Er wollte (mir) damit sagen, daß Hannibal ein Dummkopf ist.
b
Er wollte (mir) damit sagen, daß ich abhauen soll.
c
Im Grunde hat er damit gesagt, daß Hannibal ein Dummkopf ist.
Schon aus diesen wenigen Beispielen wird, denke ich, die große Flexibilität des Ausdrucks "sagen" deutlich, mit dem auf nahezu jeden Aspekt der sprachlichen Kommunikation Bezug genommen werden kann. Meine Einteilung in drei Gruppen (es gibt mehr) soll nicht so zu verstehen sein, daß "sagen" etwa drei (oder mehr) verschiedene Bedeutungen hätte. Ich werde lax von "Sinn" oder "Verwendungsweise" sprechen, und anderen die Lösung der Frage überlassen, wieviele verschiedene Bedeutungen "sagen" gegebenenfalls hat. In den Beispielen der Gruppe (10-1) heißt "sagen" soviel wie "die Laute äußern", "die Worte äußern" oder auch "sprechen". Es bezieht sich auf das, was von Austin (1962:92) "phonetischer" und "phatischer Akt", von Searle (1969:§2.1) "Äußerungsakt" genannt wird. Austin nennt diese Verwendungsweise von "sagen" auch "'inverted commas' use" (1962:96), weil hier die direkte Rede folgt oder vorausgeht, die in geschriebener Sprache mithilfe von Anführungszeichen gekennzeichnet wird. Schiffer bezeichnet deshalb den Austins phatischem Akt korrespondierenden Sinn von "sagen" mit "sayd" (1 972 :§IV.4b). In Anlehnung daran möchte ich "s a g e n^" für "sagen" in den Beispielen (10-1) verwenden. Vendler (1 972 :§11. 14 , 1 976) spricht vom "schwachen" Sinn von "sagen", Kneale vom "reduzierten" Sinn (1972:§II). Die Austinsche Unterscheidung von phonetischem und phatischem Akt igno-
ΙΟ
27
Sagen
riere ich hier. Man beachte aber, daß "sagen" im rein phonetischen Sinn - also "sagen" in (10-1d), vorausgesetzt man zählt "Aah" nicht als Ausdruck der deutschen Sprache - durch "machen" ersetzbar ist: "Machen sie mal: "Aaaah"!". In den Beispielen der Gruppe (10-2) folgt auf "sagen" ein abhängiger Satz, typischerweise ein "daß"-Satz. Es heißt hier soviel wie "behaupten" oder "mitteilen" (10-2a), "auffordern" (1o2b), "versichern" (10-2d), "erklären" (10-2e), usw. "Sagen" in diesem Sinn bezieht sich auf das, was von Austin (1962:98) "illokutionärer Akt" genannt wird, und scheint in der Tat nichts anderes als ein Platzhalter für die verschiedensten illokutionären Verben. Austin selbst spricht an einer Stelle (1962:123) von "illokutionärem 'sagen'". Da hier ein ganzer Satz in indirekter Rede folgt, schreibe ich "s a g e η/' für "sagen" in den Beispielen (10-2), wiederum in Anlehnung an Schiffer (1972: §IV.4b). Vendler spricht vom "vollen" oder "starken" Sinn von "sagen" (1 972 :§11.14 , 1 976). In den Beispielen der Gruppe (10-3) schließlich folgt zwar auch ein "daß"-Satz in indirekter Rede, aber "sagen" heißt hier soviel wie "andeuten", "nahelegen", "zu verstehen geben". Diesen dritten Sinn von "sagen", in dem es typischerweise mit "wollen" verbunden ist, will ich hier nicht weiter untersuchen. Stattdessen möchte ich mich der Beziehung zwischen den beiden ersten Verwendungsweisen zuwenden. Obwohl wir sehr häufig etwas sagen^, dadurch daß wir etwas sagen¿, sind "sagen^" und "sagen^" logisch unabhängig voneinander. Was wir sagen^, sind Worte oder Laute und Folgen von Worten oder Lauten: Wenn wir wiedergeben, was jemand gesagt, hat, so geben wir die Ausdrücke 8
wieder, die er gesagt^ hat,
ohne uns notwendigerweise darauf
festzulegen, daß er auch etwas oder was er gesagt^ hat. Es gilt also : (10-4)
8
Man kann etwas sagend ohne etwas zu sagen·^.
Wieviel an Kürzungen, kleinen Korrekturen von Aussprache, Wortstellung, usw. gestattet ist, wenn man einen andern wörtlich zitiert, ist ein heikles Thema, auf das ich hier nicht eingehen kann.
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II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
Ich will einige Beispiele geben, die dann in späteren Abschnitten wieder aufgenommen werden: (10-5a)
A schläft fest und sagt^: "Hannibal ist ein Dummkopf".
b
A sagt ein Gedicht auf.
c
A sagtjj: "The rain in Spain stays mainly in the plain" (um seine englische Aussprache zu üben).
d
A wird durch Gewalt oder Androhung von Gewalt gezwungen zu sagen^: "Ich bin ein gemeiner Volksschädling".
e
A sagt¿: "Hannibal ist ein - " (und wird unterbrochen).
f
A sagtd: "Tralala".
In allen Fällen würden wir nicht ohne weiteres zugestehen, daß A auch etwa gesagt^ hat (gesagt hat, daß...). Vías fehlt? Vías hätte hinzukommen müssen, damit man hätte sagen können, daß A auch etwas gesagt^ hat? Eine Bemerkung von Moore aus dem Jahre 1941 oder 1942 bei der Diskussion ähnlicher Beispiele scheint in die richtige Richtung zu weisen: "there is lacking the i n t e n t i o n to make people believe or to let them know that..." (1962:§IV.15). Was wir s a g e n s i n d demgegenüber keine Worte, auch wenn wir es mit Worten sagen^. Wenn wir wiedergeben, was jemand gesagt^ hat, so geben wir gewissermaßen den Inhalt dessen wieder, was er gesagt^ hat - wir haben dabei recht große Freiheiten -, ohne uns notwendigerweise darauf festzulegen, daß er etwas oder was er gesagt^ hat. Es gilt also auch umgekehrt: (10-6)
Man kann etwas sagen^ ohne etwas zu sagen^.
Beispiel (10-2c) ist ein Beleg: Kant hat etwas gesagt^, ohne notwendigerweise etwas gesagt^ zu haben, denn er hat es geschrieben^. Dies weist auf die Tatsache hin, daß man Laute äußern muß, um etwas zu sagen^, aber nicht, um etwas zu sagen^; das kann man auch tun, dadurch daß man schreibt^ oder mit dem Kopf nickt. Freilich: irgendwie gehandelt haben muß man, wenn man etwas gesagt^ hat - in dem Sinne von "handeln", in dem es Unterlassungen nicht mit einschließt. (Anders bei dem dritten Sinn von "sagen": Da ist es möglich, etwas zu sagen, dadurch daß man schweigt.) Wir können dies explizit machen, wenn wir, in Übereinstimmung mit unserem Gebrauch von "Äußerung" (§5), den Aus-
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Sagen
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druck " ä u ß e r n " so weit verstehen, daß er sagen^ (lautlich äußern), schreiben^ (schriftlich äußern) und nonverbales machen umfaßt, d.h. jegliche Art von Zeichenproduktion. Das entspricht der künstlich ausgeweiteten Verwendung von "äußern" in der Intentionalen Semantik bei Grice ( 1969 : §XX) und Schiffer (1972:§I.3), präziser: von "etwas äußern", nicht von "sich äussern" im Sinne von "zum Ausdruck bringen". Es gilt dann: (10-7)
Wenn A etwas gesagt, hat, so dadurch, daß er χ geäußert hat.
Tatsächlich besteht noch eine stärkere Beziehung. Denn wenn jemand etwas gesagt^ hat, so muß er eine v o l l s t ä n d i g e Äußerung geäußert haben, etwa einen Satz oder eine Geste; das ist der Grund, warum A in Beispiel (10-5e) nichts gesagt^ hat. Wir können das, was jemand gesagt^ hat, verbal ja auch nur durch Verwendung eines ganzen Satzes, etwa eines "daß"-Satzes wiedergeben. Einfacher, und nur für den Fall lautlicher Äußerungen ausgedrückt: wenn wir etwas gesagt^ haben, dann müssen wir in ganzen Sätzen gesprochen haben, eingeschlossen Satzworte wie "Ja", usw. Für diesen Fall kann man den Unterschied von sagen^ und sagen^ kurz so charakterisieren: wir sagen^ (sprechen) Sätze und sprechen in Sätzen, aber wir sagen^ etwas mit Sätzen. Und was wir sagen^, sind keine Sätze. Bedingung (10-7) läßt sich also durch die stärkere Bedingung ersetzen: (10-8)
Wenn A etwas gesagt¿ hat, so dadurch, daß er eine vollständige Äußerung geäußert hat.
Eine Anmerkung zu meiner unscharfen Verwendungsweise von "äußern" und verwandten Ausdrücken, sowie der damit verbundenen Stellung der Variablen "x". Um die Darstellung nicht unnötig zu komplizieren, unterscheide ich nicht strikt zwischen Zeichentypen und Zeichenvorkommnissen. Ich werde also weiter davon sprechen, daß Zeichen (Sätze, Worte, Ausdrücke, Laute, Gesten, usw.) geäußert werden, wo es genauer heißen müßte, daß Zeichenvorkommnisse produziert werden. Das gleiche gilt für "verwenden" (gebrauchen) und "produzieren" (hervorbringen): verwenden kann man Zeichentypen, nicht Zeichenvorkommnisse, produzieren kann man Zeichenvorkommnisse, nicht Zeichentypen. Mein Gebrauch von "äußern"
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II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
deckt "verwenden" und "produzieren" ab, ist also systematisch type-token-ambig. Das schadet nichts, solange man auf die eben angegebene umständlichere Formulierung zurückgehen kann, wo die Genauigkeit es erfordert. Hinzukommt, daß der Ausdruck "Äuße:rung" akt-objekt-ambig ist (Grice 1957:380), sich mithin auf den Vorgang des Äußerns wie auf sein Ergebnis, das Geäußerte, beziehen kann. Auch diese Ambiguität ist für meine Zwecke eher nützlich. In der Redeweise "eine Äußerung äußern" (10-8) liegt also nichts logisch Widersinniges, so wenig wie in "einen Gedanken denken", "einen Lauf laufen" oder "ein Spiel spielen". Die Bedingung (10-8) gibt selbstverständlich noch immer eine recht schwache Beziehung an zwischen sagen^ und äußern, der Erweiteruncj von sagen^; aber sie eröffnet die Möglichkeit, äußern als Substrat von sagen^ aufzufassen. Bedeutsamer für die Beschreibung der Beziehung zwischen sagen.^ und äußern ist natürlich die Frage, wie das, was gesagt^ wird, mit dem zusammenhängt, was geäußert wird und unter welchen Umständen es geäußert wird. Auf dieser allgemeinen Ebene werde ich die Frage jedoch nicht aufnehmen - das käme dem Unterfangen gleich, eine Theorie der illokutionären Akte zu entwickeln -, sondern nur für einen bestimmten Fall von sagen^: den, der für die Analyse des Lügens relevant werden wird.
11. Lügen und Sagen Im vorletzten Abschnitt hatte ich Explikationen des Begriffs der Lüge von Viaismann und Weinrich zitiert, die beide vom Begriff des Sagens Gebrauch machten. Es sollen nun die im letzten Abschnitt gewonnenen Unterscheidungen benutzt werden, um zu klären, welche Verwendungsweisen von "sagen" bei Waismann und Weinrich in Anspruch genommen werden, und ob diese für eine Analyse von "lügen" brauchbar sind. Weinrich hatte erklärt, eine Lüge liege vor, wenn "hinter dem (gesagten) Lügensatz ein (ungesagter) Wahrheitssatz" stehe (1966:40). Das kann nur heißen, daß Weinrich sagen, (§10) als Bedingung für
11 Lügen
und
Sagen
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lügen annimmt, genauer: (11-1)
A hat den Satz s gesagt^.
Denn allein in diesem Sinn läßt sich im Deutschen davon sprechen, daß jemand "einen Satz sagt"; und da Weinrich nicht zu erkennen gibt, daß ihm ein künstlicher Sinn von "sagen" vorschwebt, muß man ihm unterstellen, daß er deutsche Umgangssprache redet. Aber die Bedingung (11-1) ist weder notwendig noch hinreichend. Sie ist nicht notwendig, weil man auch lügen kann, dadurch daß man etwas schreibt; das aber wird durch (11-1) ausgeschlossen. Sie ist nicht hinreichend, weil wir in den Fällen (10-5a) bis (10-5d) nicht von Lüge sprechen würden, obgleich dort Sätze gesagt^ werden: wer im Schlaf spricht, ein Gedicht rezitiert, seine Aussprache übt, usw., lügt dadurch nicht, ganz gleich, was er dabei sagt^; das aber wird durch (11-1) nicht ausgeschlossen. Das nackte lautliche Äußern (Sagen^) eines Satzes kann also in keinem Fall eine Bedingung für das Lügen sein. Weinrichs Bestimmung scheitert in zweifacher Hinsicht: sie erfaßt nicht den vollen verbalen Charakter der Lüge (5-5), und sie erfaßt erst recht nicht ihren intentionalen Charakter (5-4). Während der erste Defekt leicht behoben werden könnte, dadurch, daß man (11-1) um "schreiben^" erweitert, ist der zweite Defekt irreparabel, jedenfalls innerhalb der Grenzen von Weinrichs Überlegungen. Er hält nämlich das Fehlen einer Bezugnahme auf Absichten von Personen gerade für den entscheidenden Vorteil seiner Bestimmung (1966:40), durch welche die Lüge sprachwissenschaftlicher Beschäftigung überhaupt erst zugänglich gemacht werde; ob eine Absicht vorliege oder nicht, entscheide sich "in der Seele und ist, wenn überhaupt, nur psychologischer Betrachtung zugänglich" (1966:14). Die Weigerung, die Intentionalität der Lüge anzuerkennen - auf Weinrichs obskure Ansichten über Intentionalität will ich gar nicht eingehen (siehe schon Eggs 1976: §2)—, kann die Lüge aber gerade nicht als Gegenstand der Linguistik etablieren helfen, es sei denn als Gegenstand der Phonetik. Denn Weinrich reduziert die Lüge auf die reine lautliche Äußerung, so daß man sich fragen muß, was die Linguistik zum Problem der Lüge besonderes beizutragen hat, wenn sie diese nicht einmal
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II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
von solchen sprachlichen Äußerungen wie in (10-5) abzugrenzen vermag. Dem widerspricht nicht, daß er auch einige interessante Bemerkungen über die Lüge macht; denn glücklicherweise betrachtet er sich dabei nicht an seinen eigenen Explikationsversuch gebunden. Konsequent weitergedacht führt jedoch Weinrichs Weigerung, die Intentionalität der Lüge anzuerkennen, ganz im Gegenteil dazu, daß die Lüge als Gegenstand der Linguistik eliminiert wird. Gegenüber diesem oberflächlichen Ansatz stößt Waismanns Erklärung weiter vor, die den Begriff der Absicht enthält. Lügen, so hatte Waismann gesagt, bestehe unter anderem darin, daß man "absichtlich das Falsche" (1 929-39 :§XIV.9) sage. Welcher Sinn von "sagen" hier in Anspruch genommen wird, ist nicht genau zu entscheiden. Es scheint, daß Waismann "sagen" im zweiten Sinn (sagen^) verwendet, und in der von ihm selbst stammenden englischen Fassung heißt es denn auch klarer: "...intentionally saying what is false" (§XIV.10). Wenn man etwas gesagt hat, was falsch ist, so muß man etwas gesagt^ haben; es genügt nicht, noch ist es überhaupt notwendig, daß man etwas gesagt^ hat. Das gilt nicht nur für "etwas sagen, was falsch ist", sondern auch für "etwas sagen, was wahr ist", und für Varianten dieser beiden Wendungen. Ich will wenigstens die wichtigsten nennen: (11—2a) b
A hat etwas gesagt, was falsch ist. A hat die Unwahrheit gesagt (gesprochen).
c d e
A hat nicht die Wahrheit gesagt. A hat etwas gesagt, was nicht der Wahrheit entspricht, A hat etwas gesagt, was unwahr ist.
f
A hat etwas gesagt, was nicht wahr ist.
(11-3a) b c
A hat etwas gesagt, was wahr ist. A hat die Wahrheit gesagt (gesprochen). A hat etwas gesagt, was der Wahrheit entspricht.
Es gibt eine kaum übersehbare Zahl von Abwandlungen der Ausdrücke "falsch" und "wahr" in den Satzformen (11-2) und (11-3):
11 Lügen
und
Sagen
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"verkehrt", "(nicht) richtig", "unrichtig", "(nicht) stimmend", " (un)zutreffend", "(nicht) den Tatsachen entsprechend", usw. Den Nuancen zwischen den verschiedenen Formen will ich hier nicht weiter nachgehen. In all diesen Fällen wird der starke Sinn von "sagen" beansprucht, nicht sagen^. Daher ist es nicht zulässig, davon zu sprechen, daß die Wahrheit, die Unwahrheit, usw. gesagt wurde, wenn allein etwas gesagt^ wurde, wie in den Beispielen (10-5). So verstehe ich auch die folgenden provozierenden Fragen Wittgensteins : "...wenn Einer im Schlaf spräche "Ich schlafe"/ - würden wir sagen "Er hat ganz recht"? [beantwortet in 1949-51: §676] Spricht einer die [Wahrheit], der mir sagt: "Ich bin nicht bei Bewußtsein"..., wenn er's bewußtlos sagt? Und wie, wenn ein Papagei sagte "Ich verstehe kein Wort", oder ein Grammophon "Ich bin bloß eine Maschine"?" (Wittgenstein 1945-48:§396). Ähnlich bemerkt Malcolm über das Sprechen im Schlaf (unser Beispiel 10-5a): "...we should not consider an utterance of the words 'I am asleep1 as...either a trustworthy or untrustworthy claim. In saying them to us a man can neither lie nor tell the truth" (Malcolm 1959:§2). Wenn wir sagen, daß jemand etwas gesagt hat, was wahr ist, oder etwas gesagt hat, was falsch ist, usw., so schreiben wir ihm alles das zu, was notwendig dafür ist, daß er etwas gesagt^ hat. Waismanns Bedingung für die Handlungsseite des Lügens kann also folgendermaßen präzisiert werden: (11-4)
A hat absichtlich etwas gesagt^, was falsch ist.
Diese Bedingung läßt, für sich genommen, im zweiten Teil noch immer wenigstens zwei Interpretationen zu: sie kann heißen, daß A absichtlich etwas gesagt^ hat, was falsch ist, ohne daß A wußte, daß es falsch war. Sie kann aber auch heißen, daß A absichtlich etwas gesagt^ hat, was falsch ist, und A zudem wußte, daß es falsch war. Die zweite Interpretation liegt selbstverständlich näher; und sie scheint oft im Spiel, wenn von jemandem gesagt wird, er habe "nicht, oder nicht ganz, die Wahrheit
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II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
gesagt" (der Ausdruck "absichtlich kann hier fehlen). Diese Wendung und die anderen in (11-2) werden dann so verstanden, daß A absichtlich etwas gesagt hat, von dem er wußte, daß es falsch war; in diesem Sinn werden sie dazu benutzt, um andere auf mehr 9
oder weniger direkte Weise der Lüge zu bezichtigen. Auch ein Teil der in Abschnitt 8 zitierten Lexikonexplikationen geht davon aus, daß "die Unwahrheit sagen" einschließt "wissentlich (bewußt) die Unwahrheit sagen" oder "absichtlich die Unwahrheit sagen", wobei die beiden letzten Wendungen vielfach als austauschbar betrachtet werden. Umgekehrt heißt "die Wahrheit sagen" in solchen Fällen soviel wie "nicht lügen", so daß "lügen" und "die Wahrheit sagen" geradezu als Gegenbegriffe erscheinen (siehe §18).
Waismann hat wohl bei seiner von mir präzisierten Bedingung (11-4) die zweite Interpretation im Sinn, "absichtlich etwas sagen, von dem man weiß, daß es falsch ist", denn er hatte ja zusätzlich gefordert, daß A "weiß, was die VJahrheit ist" (1929-39: §XIV.9). Ich möchte jedoch die Diskussion des zweiten Teils von (11-4) noch bis zum nächsten Abschnitt aufschieben, da sie ein Eingehen auf "wissen" und verwandte Begriffe verlangt. Entscheidend ist zunächst, daß Waismann sagen^ als Bedingung für lügen annimmt, und aus (11-4) weiterhin gefolgert werden darf, daß das, was gesagt ist, falsch sein kann. Das heißt aber, daß nicht sagen^ allgemein, sondern nur der besondere Fall von sagen^ in Betracht kommt, in dem es soviel heißt wie "behaupten", 9 Vergleiche etwa folgende zwei Ausschnitte aus Debatten des Deutschen Bundestages (zitiert nach den Stenographischen Berichten): (11-5) Vizepräsident von Hassel: "(...) Es ist eben ein Zwischenruf von Herrn Kroll-Schlüter gefallen: "Sie lügen!" Ich rufe Sie dieserhalb zur Ordnung." Beifall bei Abgeordneten der SPD Franke (CDU/CSU): "Sagen wir, Herr Schmidt hat nicht ganz die Wahrheit dargestellt!" (17.9.75). (11-6) Wolfram (SPD): "Das stimmt doch gar nicht, was Sie sagen! (...) Er lügt!" Vizepräsident von Hassel: "Herr Abgeordneter Wolfram, ich tadle Sie wegen des Zurufs "Er lügt!"." Geiger (SPD): "Er sagt nicht ganz die VJahrheit !" (20.3.75) Zur besonderen Struktur dieser Debatten und weiteren Belegen siehe Falkenberg 1980b:§2.
11 Lügen
und
Sagen
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"mitteilen", usw. (siehe (10-2) und die zugehörigen Bemerkungen); denn was man befiehlt, verspricht, usw. läßt sich nicht ohne weiteres als falsch, allgemeiner: als wahr oder falsch, bezeichnen. Man kann also den ersten Teil von (11-4) entsprechend verschärfen und erhält: (11-7) A hat etwas behauptet. Diese Klausel möchte ich als vorläufiges Ergebnis der bisherigen Untersuchung festhalten, bevor ich mich der zweiten Bedingung der klassischen Theorie der Lüge zuwende. Wir haben jetzt die zu Beginn des Abschnitts gestellte Frage beantwortet, welche Verwendungsweisen von "sagen" für die Analyse von "lügen" in Betracht kommen. Lügen heißt, daß der Lügner in einem bestimmten Sinn etwas sagt (sagt^), nämlich einen illokutionären Akt vollzieht, genauer, etwas behauptet; dies wiederum setzt nach (10-8) voraus, daß er eine vollständige Äußerung, etwa einen Satz äußert, aber nicht unbedingt sagt^. Was die Handlungsseite des Lügens angeht, sind demnach einige Versionen der klassischen Theorie falsch, z.B. Weinrichs; andere sind, gutwillig interpretiert, nicht explizit genug, z.B. Viaismanns. Die nichtklassische Auffassung, daß behaupten eine notwendige Bedingung für lügen ist, wird von einer Reihe von Autoren vertreten (§22), und auch ich werde in Kapitel IV eine Form dieser Auffassung zu verteidigen versuchen.
12. Wissen und Lügen I Ich will nun zur Diskussion der Klausel (7-1b) kommen, also zu dem, was ich die Bewußtseinsseite des Lügens genannt habe. Die klassische Theorie nimmt an, daß der Lügner etwas weiß, und daß, was er weiß, dem widerspricht, was er sagt. Die meisten Lexikonexplikationen (§8) gehen von dieser Annahme aus, Waismann und Weinrich sind, wie wir in Abschnitt 9 gesehen haben, dieser Ansicht, und mit ihnen viele Autoren der unterschiedlichsten Provenienz, die sich zum Thema geäußert haben (z.B. Heinroth 1834 :§1.III.3 , Sartre 1 94 3 :§1.II.I, Rotenstreich 1956:§111, Kneale 1972:§I).
II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
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Wenn durch die bisherigen Ausführungen eine unmodifizierte "sagen"-Klausel als für die Analyse der Lüge ungenügend erwiesen wurde - was ich unterstellen will -, so brauchen wir uns jetzt nur noch mit der entsprechend korrigierten Form der klassischen Theorie auseinanderzusetzen. Deren Kernstück kann man dann als die Auffassung formulieren, daß Lügen wissentlich falsches Behaupten ist. Ich werde jedoch gelegentlich genötigt sein, die unkorrigierte Form der klassischen Theorie zur Sprache zu bringen, ohne dabei jedesmal die in den letzten beiden Abschnitten entwickelten Modifikationen vorzunehmen. Frege schreibt in einer der Vorstudien zu seinem 1918-19 erschienenen Aufsatz "Der Gedanke": "Kenn jemand mit behauptender Kraft etwas sagt, wovon er weiß, daß es falsch ist, so lügt er" (1914 :252) . Allerdings scheint es nicht, als ob Frege hier eine Definition habe geben wollen (die Stelle ist in 1918-19 nicht mehr enthalten) , ebensowenig wie Wittgenstein mit seiner in Abschnitt 9 zitierten Bemerkung. Scholz dagegen, der Freges Manuskripte kannte, nimmt wie Waismann die Wissensklausel entschlossen in die Definition der Lüge auf: eine falsche Behauptung sei eine Lüge, wenn der Behauptende "weiß, daß der von ihm behauptete Gedanke falsch ist. Dann und nur dann" (Scholz 1944:§5.2.8; eine ausführlichere Fassung dieses Zitats hier in §15). Andere sprachanalytische Philosophen teilen diese Ansicht. So sagt Ayer: "...to tell a lie is not just to make a false statement: it is to make a statement that one knows to be false" (Ayer 1959:§II). Und von Wright stellt fest: "...1 y i η g can be defined as asserting a proposition knowing that it is false" (1957 :§1). Auch in der Linguistik und Kommunikationstheorie ist die Wissensklausel verbreitet (außer bei Weinrich findet sie sich z.B. bei Bally 1932 :§37=1965 :§31, Lehrl und Schlegel 1972, Ikle 1973:
12 Wissen
und Lügen
I
37
838, Wunderlich 1974:352, Gabriel 1975:§3.4, Eggs 1976:§5, Miller & Johnson-Laird 1976:§7.4.5 und Stempel 1979:§1.2). Alle Autoren nehmen, explizit oder sinngemäß, an, daß der Lügner weiß, daß das, was er sagt, falsch ist. Zum Zwecke der Diskussion möchte ich diese Annahme in zwei Teile zerlegen: (12-1)
A hat gewußt, daß das, was er gesagt hat, falsch war (die Wissensklausel)
(12-2)
Das, was A gesagt hat, ist falsch (die Falschheitsbedingung)
Denn es gibt Autoren wie Russell (1 948 :§11.VIII) oder Kenny (1971:222), die sich auf die zweite, aber nicht auf eine bestimmte Form der ersten Bedingung festlegen;^0 und es gibt Autoren, die überhaupt nur die zweite Bedingung erwähnen. Da (12-2) für sich genommen gewissermaßen die primitivste Theorie der Lüge ist - sie verdient kaum noch den Namen "Theorie" -, will ich zunächst sie kritisieren. Ein Beispiel für diese Primitivtheorie ist die Auffassung, für eine Aussage, "die der Erfahrungswirklichkeit nicht entspricht", stehe "umgangssprachlich das Wort L ü g e zur Verfügung" (Hennig & Huth 1975:§1.51). Darauf kann man nur antworten, daß d i e s der sprachlichen Erfahrungswirklichkeit nicht entspricht; für das, was hier umschrieben wird, steht umgangssprachlich das Wort "Irrtum", oder besser "irrige Behauptung", zur Verfügung. Die Auffassung, daß lügen im aussprechen oder behaupten von etwas besteht, das nicht so ist oder das falsch ist, scheitert bereits an der einfachen Forderung, Lüge von irriger Behauptung zu unterscheiden. Deshalb sind auch die in Abschnitt 8 genannten Lexikonexplikationen von Mackensen und Wahrig ("die Unwahrheit sagen", "das Gegenteil der Wahrheit sagen") wörtlich genommen falsch. In einer etwas wohlwollenderen Interpretation ist die Auffassung eher unvollständig, insofern vermutlich die Klausel (12-1) mitverstanden werden soll. Ich hatte ja schon im letzten Abschnitt 10 Siegler (1966:§3) weist zwar (12-2) für die Satzform (6-1) zurück, versucht sie aber für "x war eine Lüge" zu retten. Dagegen hat Mannison (1969:§11) überzeugend Einwände vorgebracht .
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II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
darauf hingewiesen, daß die Wendung "etwas sagen, was falsch ist" und ihre Varianten (11-2) so gebraucht werden können. Aber obwohl dieser Ausdruck im Alltag dazu benutzt werden kann, um jemanden der Lüge zu bezichtigen (Husserl 1901:§VI.68, Strawson 1954:225, Tugendhat 1976:§26.1), so ist er doch wegen seiner vielfältigen Verwendungsweise und seiner Inexplizitheit zur Analyse des Begriffs der Lüge nicht ohne weiteres brauchbar. Wenn also die Auffassung auch nur eine Spur von Plausibilität besitzen soll, muß man sie ergänzen, beispielsweise um (12-1). Die Bedingung (12-12) allein kann in keinem Fall eine hinreichende Bedingung für lügen sein. Aber ist sie eine notwendige Bedingung? Daß sie notwendig ist, wird von allen Autoren angenommen, die (12-1) und zusätzlich die folgende Bedingung als für "A weiß, daß..." notwendig akzeptieren: (12-3a)
Es ist wahr, daß...
Anders ausgedrückt: (12-3b)
Wenn A weiß, daß..., so ist es wahr, daß...
(wobei die Punkte ... jedesmal gleich auszufüllen sind). Wenn aber (12-3b) gilt, so beinhaltet Bedingung (12-1) die Bedingung (12-2). Da keiner der erwähnten Autoren - auch sonst, soweit ich weiß, niemand - die Gültigkeit von (12-3b) bestritten und eine davon abweichende Explikation des Wissensbegriffs vorgelegt hat, dürfen wir Verfechtern der Klausel (12-1) unterstellen, daß sie ( 12 —3b) akzeptieren und sich damit auch auf (12-2) festlegen. Ich werde im folgenden ebenfalls davon ausgehen, daß (12-3b) gilt. Vías durch diese Bedingung - die Hintikkas Bedingung (C.K) entspricht (1962:§3.2) - explizit gemacht wird, ist die Tatsache, daß jemand nur dann etwas weiß, wenn das, was er weiß, wahr ist. Sie entspricht der umgangssprachlichen Verwendung von "wissen", die faktiv ist. Wenn man von jemand anderem oder sich selbst sagt, er oder man selbst wisse, daß..., so kann dies nur dann wahr sein, wenn es der Fall ist, daß... Und wenn man behauptet, jemand anderer oder man selbst wisse, daß..., so bringt man damit seine Uberzeugung zum Ausdruck, daß es der
12 Wissen
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Fall ist, daß... Deshalb kann man auch nicht von jemand anderem oder sich selbst sagen: Es sei nicht wahr, was er oder man selbst gewußt habe; was man sagen kann, ist: Es sei nicht wahr, was er oder man selbst zu wissen glaubte. Meine Argumentation gegen (12-1) wird folgendermaßen verlaufen: Ich werde zunächst zu zeigen versuchen, daß gegeben ( 12 —3b) die Wissensklausel zu stark ist, d.h. sie viele Lügen ausschließt; in Abschnitt 14 werde ich dann zu zeigen versuchen, daß die Wissensklausel in anderer Hinsicht zu schwach ist, d.h. sie viele Nicht-Lügen einschließt. Die erste Hälfte der Argumentation ist destruktiv, da die Analyse nicht durch Zusätze gerettet werden kann. Nehmen wir folgendes Beispiel: 11 (12-4a)
Β fragt A nach der Uhrzeit. A schaut auf seine Uhr, die halb neun zeigt und gibt - im Glauben, es sei halb neun - hinterhältigerweise zur Antwort: "Es ist jetzt halb zehn".
Und nehmen wir zudem an, daß folgendes der Fall ist: (12-4b)
A's Uhr geht um eine Stunde nach.
Was A behauptet hat, ist wahr, nicht falsch. (Also trifft (12-2) nicht zu.) Daher kann A, sofern (12-3b) gilt, nicht gewußt haben, daß das, was er behauptet hat, falsch war. (Also trifft (12-1) nicht zu.) Nach der klassischen Theorie wird demnach ausgeschlossen, daß es möglich ist, daß A im vorliegenden Beispiel lügt. 12
Dennoch ist es möglich, daß A's Antwort ein Fall von Lüge ist, den die klassische Theorie somit nicht erfaßt. 11
Ähnliche Beispiele finden sich bei Augustinus 395:§3, Kant 1797b:306=1912:427, Sartre 1937, Moore um 194θ[=1962]:§111.12, Russell 1940:§14, Isenberg 1963-64:§2, Siegler 1966:§3.
12
Ich sage "es ist möglich" und nicht "es ist ein Fall von Lüge", weil das Beispiel unterbeschrieben ist. Mit geschickten Zusätzen kann es leicht als eines etabliert werden, in dem klarerweise nicht gelogen wird. Hier und bei anderen Beispielen bin ich darauf angewiesen, daß der gutwillige Leser von sich aus einige Ergänzungen vornimmt, wenn ich davon spreche, daß gelogen oder nicht gelogen wird. Eine vollständige Beschreibung von Situationen wird nicht angestrebt.
II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
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Ein entschlossener Anhänger der Wissensklausel (12-1) würde vielleicht auf diese Kritik entgegnen, es liege dann eben in (12-4) keine Lüge vor. Er würde möglicherweise hervorheben, daß Β ja auch nicht irregeführt wurde. Was könnten wir dann noch vorbringen außer dem Hinweis, daß unsere sprachliche Intuition dem zuwiderläuft? Wir könnten darauf verweisen, daß diese willkürliche Definition die Zahl möglicher Lügen drastisch reduziert, indem sie dem Lügner eine Art Unfehlbarkeit verleiht (Lindley 1971:§I). Denn nach der klassischen Theorie darf nur dann von "Lüge" gesprochen werden, wenn A das Wissen (12-1) wirklich hat, und d.h., es ausgeschlossen ist, daß er sich bezüglich der Falschheit des Gesagten irrt. So unterstreicht Sartre: "L'essence du mensonge implique, en effet, que le menteur soit complètement au fait de la vérité qu'il déguise. On ne ment pas sur ce qu'on ignore, on ne ment pas lorsqu'on répand une erreur dont on est soi-même dupe, on ne ment pas lorsqu'on se trompe" (Sartre 1943:86). Damit aber beschränkt die klassische Theorie Lügen auf diejenigen Bereiche, über die Menschen ein"Wissen haben
k ö n n e n
.
Nehmen wir dagegen folgendes Beispiel: (12-5)
A, fest davon überzeugt, daß es keine intelligenten Viesen auf anderen Sternen gibt, sagt zu B: "Du mußt wissen, draußen im All gibt es intelligente Wesen."
Ich habe mit Absicht ein Beispiel gewählt, in dem es zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Wissen nicht gibt, sondern nur Vermutungen. Sollte der Leser dieses Beispiel deshalb nicht für überzeugend halten, weil er anderer Ansicht über außerirdische Intelligenz ist und zu wissen glaubt, wie es sich damit verhält, so möge er es durch ein Beispiel seiner Wahl ersetzen, in welchem es seiner Meinung nach zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Vermutungen geben kann. Nach (12-1) ist es nun unmöglich, daß jemand zum gegenwärtigen Zeitpunkt lügt, dadurch daß er behauptet, es gebe außerirdische Intelligenz im All, und zwar einfach deshalb, weil niemand zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiß, daß 13 dies falsch ist. Ich finde das willkürlich: es ist durchaus 13
Diese Auffassung wird etwa von Coulmas vertreten: "Glaubensinhalte, die sich der Überprüfung entziehen... können daher nicht Inhalt von Lügen sein" (1977 :§IV.5.VII).
12 Wissen und Lügen I
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möglich, daß jemand lügt, dadurch daß er dies behauptet. Vorgreifend auf eine Theorie der Zuschreibung von Lügen kann man gegen die Notwendigkeit von (12-2) weitere Argumente finden, die freilich ebenfalls darauf hinauslaufen, unsere sprachliche Intuition zur Geltung zu bringen. Stellen wir uns zu diesem Zweck einmal vor, A sei, gewieft wie er ist, ein Anhänger der Viissensklausel und versuche, sich in verschiedenen Situationen zu verteidigen. Nehmen wir unsere Beispiele (12-4a)und (12-5) und denken wir uns jeweils folgende Fortsetzungen der Situation:
(12-6) (Anschließend an 12-4a) Β zu A: "Hast du etwa qerade gelogen?" A: "Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Sicher, ich war und bin der Meinung, daß es falsch ist, was ich sagte. Aber ob ich gelogen habe, hängt schließlicn davon ab, ob ich g e w u ß t habe, daß es falsch war. Das wiederum hängt davon ab, ob es wirklich falsch war. Vielleicht hatte ich Glück und meine Uhr ging nicht richtig?! Augenblick, ich muß das eben überprüfen." (12-7a) (Anschließend an 12-6) A, aufatmend: "Meine Uhr ging tatsächlich nicht richtig! Du siehst also, ich habe nicht gelogen." (12-7b) (Ebenfalls anschließend an 12-6) A: "Verdammt, sie ging richtig. Es war also falsch, was ich dir sagte. Folglich habe ich wirklich gelogen." (12-8)
(Anschließend an 12-5) Β zu A: "Du lügst!" B: "Sachte, sachte. Wissenschaftlich ist das noch lange nicht bewiesen. Gewiß halte ich nichts von der Ansicht, es gebe intelligente Wesen auf anderen Sternen. Aber niemand vermag heute mit Bestimmtheit zu sagen, ob das wahr ist oder falsch. Auch ich weiß daher nicht, ob es wahr ist oder falsch. Also weiß ich auch nicht, d a ß es falsch ist. Denn wer weiß, vielleicht stimmt es sogar; aber das wird man frühestens in ein paar Jahren wissen. Von einer Lüge meinerseits kann jedenfalls keine Rede sein. Falls es sich nach der vollständigen Erforschung des Weltalls allerdings als falsch herausstellt, daß es andere intelligente Wesen gibt, so würde jemand, der d a n n wüßte, daß es falsch ist, lügen, wenn er es behaupten würde."
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II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
Ich hoffe, der Leser versteht diese fiktiven Beispiele nicht nur als Persiflage auf die klassische Theorie, die danach gerade so aussieht, als sei sie von cleveren Lügnern erfunden worden, um sich dem Nachweis einer Lüge zu entziehen. Schließlich müßten ja gerade radikale Skeptiker die Theorie dankbar aufgreifen: denn da sie von sich behaupten, sie wüßten nichts, könnten sie sich als zur Lüge konstitutionell unfähig erklären. Jedenfalls würde A in der Kommunikation wohl Schiffbruch mit seinen Rechtfertigungsversuchen (12-7a) und (12-8) erleiden, die ihm günstigstenfalls als Sophistereien angerechnet würden. Was sie jedoch hervorheben, ist, daß folgende Bedingungen mit der klassischen Theorie verträglich sind: (12-9)
Es ist möglich, daß A zum Zeitpunkt der Lüge nicht weiß, ob er selbst gelogen hat (nach 12-6).
(12-10) Es ist möglich, daß A einzig und allein durch nachträgliche Untersuchung der Außenwelt herausfindet, ob er selbst gelogen hat (nach 12-7). (12-11) Es ist möglich, daß es allein vom anschließenden Erkenntnisfortschritt abhängt, ob A mit einer bestimmten Behauptung gelogen hat (nach 12-8). Wahrscheinlich müßte die klassische Theorie sogar annehmen, daß das, was in (12-9) bis (12-11) als "möglich" bezeichnet wird, in sehr vielen oder den meisten Fällen von Lüge zutrifft. Und wahrscheinlich müßte sie auch annehmen, daß es oft zutrifft, daß A sich irrt in dem Glauben, er habe gelogen. Aber wie eine Theorie, die das annimmt, sich noch als Theorie der Lüge legitimieren kann, weiß ich nicht. Denn sie mißbraucht unseren umgangssprachlichen Begriff "Lüge". Die Wissensklausel (12-1) muß also fallengelassen und durch eine schwächere Klausel ersetzt werden, aus der (12-2) nicht logisch folgt. A lügt in" den Beispielen (12-4) und (12-5), denn er sagt etwas, von dem er glaubt, annimmt, denkt oder überzeugt ist, daß es falsch ist. Ob es tatsächlich falsch ist, ist für die Frage der Lüge unerheblich. Deshalb kann A, wie in (12-4), durchaus lügen und sich gleichzeitig irren bezüglich der Falschheit des Gesagten. Die Klausel (12-1) sollte also ersetzt werden durch. (12-12)
A hat geglaubt, daß das, was er gesagt hat, falsch sei
12 Wissen
und Lügen
I
43
oder etwas Ähnliches. In Kapitel IV werde ich eine Form dieser Auffassung zu verteidigen versuchen.
13. Einschub: Die klassizistische Theorie Nun gibt es eine Reihe von Autoren, die sich nicht eindeutig auf entweder (12-1) oder (12-2) festlegen, sondern eine Zwischenposition vertreten wollen. Ich möchte diese Position folgendermaßen formulieren: (13-1)
A hat gelogen gdw
A hat gewußt oder geglaubt, daß das, was er behauptet hat, falsch war
und sie in einem kurzen Einschub kritisch beleuchten. Um eine einprägsame Bezeichnung zur Verfügung zu haben, nenne ich (13-1) "die k l a s s i z i s t i s c h e Theorie der Lüge". Schon Augustinus schreibt an einer Stelle (395:§3), ohne eine Definition geben zu wollen, daß der Lügner "weiß oder meint, daß es falsch ist", was er spricht ("sciens falsam esse vel putans"). Moderne Philosophen, etwa Singer (1961 :§IX.2,1971 :§1), sind vielfach ähnlicher Ansicht. So sagt, um nur einen zu zitieren, Moore : "...in the immense majority of cases a man who makes such an assertion as this [that he went to the pictures last Tuesday] does believe or know what he asserts: lying, though common enough, is vastly exceptional" (Moore 1942:542-43). Auch in der neueren Linguistik ist die klassizistische Theorie zu finden, etwa bei Maas, Wunderlich, und Coulmas ( 1977 :§IV.5.VII) : "Bei einer B e h a u p t u n g s h a n d l u n g ist die direkte Art der Täuschung eine L ü g e, d.h. der Sprecher behauptet 'p1, obwohl er das Gegenteil weiß bzw. glaubt" (Maas 1 972 :§8.7). Wunderlich redet in (1974:§9.30) wechselweise von "glauben" und "wissen", gibt jedoch abschließend folgende als "grob" bezeichnete Bestimmung:
44
II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
"lügende [soll wohl heißen: gelogene] Behauptung S [der Sprecher] weiß, daß nicht-p" (Wunderlich 1974:352). Gabriel definiert Lüge als "eine wider besseres Wissen aufgestellte nicht wahre Behauptung." Er erwähnt aber noch eine "interessante Nuance", wie er es nennt: "Man könnte auch...von Lüge... sprechen, je nachdem ob der Sprecher g l a u b t , daß seine Behauptung falsch ist...". Aber eine Entscheidung, ob "wissen" oder "glauben" der für die Lüge angemessene Begriff sei, müsse "hier nicht herbeigeführt werden. Meist wird "Wissen" verwendet" (1975:§3.4). In einer späteren Veröffentlichung desselben Autors wird folgende Definition vorgelegt: "Lüge: e i n e f a l s c h e B e h a u p t u n g w i d e r b e s s e r e s W i s s e n " . Erneut weist er darauf hin, man könne erwägen, ob man von Lüge sprechen will, "nicht erst, wenn der Sprecher weiß, daß seine Behauptung falsch ist, sondern schon dann, wenn er nur glaubt, daß sie falsch ist". Doch wiederum legt er sich nicht fest und bemerkt: "Eine endgültige Entscheidung läßt sich hier wohl nicht herbei-" führen" (Gabriel 1976:10). Die Analysen Wunderlichs und Gabriels fallen unter die bereits diskutierte Klausel (12-1) der klassischen Theorie. Aber wie verhält es sich mit den Aussagen von Moore und Maas? Und was ist der Grund für das Schwanken aller genannten Autoren zwischen "wissen" und "glauben" als Analysans für "lügen"? Da keiner der Autoren an den angegebenen Stellen irgendwelche Gründe anführt, ist man darauf angewiesen zu spekulieren. Dies ist vor allem deshalb riskant, weil die Autoren nicht explizit sagen, wie sie sich die Beziehung von "wissen" und "glauben" vorstellen. Es scheint, daß die klassizistische Theorie die Wissensklausel (12-1) als allgemein zu stark ansieht, die Glaubensklausel
(12-12) dagegen als allgemein
zu schwach. Das erste stimmt mit meiner bisherigen Argumentation überein, das zweite vermag ich ohne weiteres nicht einzusehen. Ich vermute jedoch, daß hier die Annahme im Hintergrund steht, die Wissensklausel sei zwar nicht für alle Lügen notwendig, aber doch für eine, und vielleicht die wesentliche,. Form der Lüge.
13 Die klassizistische
Theorie
45
Wenn diese Vermutung stimmt, so ist die klassizistische Theorie eine halbherzige oder aufgeweichte Version der klassischen Theorie, insofern sie die Wissensklausel als für diese Form der Lüge notwendig akzeptiert. Darum auch die polemische Bezeichnung. (Möglicherweise ist auch das Motiv bestimmend, keine erkenntnistheoretischen Festlegungen zu treffen.) Zum Abschluß dieses Einschubs sei noch angemerkt, daß zwei der genannten Autoren, nämlich Moore und Wunderlich, bei lügen zwischen "glauben" und "wissen" schwanken, weil sie - wie auch aus den Zitaten hervorgeht - behaupten als notwendige Bedingung für lügen ansehen (11-7) und bei behaupten in genau der gleichen Weise schwanken (Moore in dem zitierten Abschnitt; Wunderlich 1974:351).
14. Wissen und Lügen II Vorerst sehe ich keinen Grund, von der vorgenommenen Ersetzung der Wissensklausel (12-1) durch eine Klausel mit "glauben"(12-12) abzugehen. Auf dieselbe Ersetzung zielt auch die angekündigte zweite Hälfte meiner Argumentation gegen (12-1) ab. Die Bedingung ist nämlich in anderer Hinsicht zu schwach: sie schließt viele Nicht-Lügen ein. Denn für "A weiß, daß..." gilt neben (12 — 3b) die folgende Bedingung: (14-1)
Wenn A weiß, daß..., so ist es nicht notwendigerweise der Fall, daß ihm zu jedem Zeitpunkt, zu dem er dieses Wissen hat, bewußt (klar, gegenwärtig) ist, daß...
Kürzer ausgedrückt: Wissen beinhaltet nicht notwendigerweise Bewußtheit (was nicht dasselbe ist wie Bewußtsein). Statt die Bedingung ausführlich zu rechtfertigen, will ich gleich auf ein Beispiel eingehen. (14-2a) A steht drei Tage nach seiner Exmatrikulation an der Kinokasse. Die Kassiererin Β fragt ihn: "Sind Sie Student?" A antwortet: "Ja". Nun ist es aber sicher möglich, daß A im vorliegenden Beispiel lügt. Ich habe jedoch denjenigen Fall im Auge, in dem zusätzlich folgendes gegeben ist:
46
II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
(14-2b) A weiß, daß er kein Student mehr ist. Aber ihm ist momentan nicht bewußt, daß er kein Student mehr ist. A hat gewußt, daß er kein Student mehr ist; er hat gewußt, daß es falsch ist, daß er noch Student ist. (Also trifft (12-1) zu.) Aber er hat im Moment "nicht daran gedacht": er glaubte, er sei noch Student. Es war ihm, da (14-1) gilt, im Augenblick nicht bewußt (klar, gegenwärtig), daß er kein Student mehr ist. Auf der anderen Seite hat er behauptet, daß er Student ist. Beide Klauseln der klassischen Theorie, auch in der korrigierten Form, treffen also zu. Trotzdem würden wir nicht sagen, daß A in (14—2) gelogen hat. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie man abstreiten könnte, daß A im vorliegenden Fall behauptet hat, er sei Student. Aber man könnte vielleicht auf die Idee kommen zu bestreiten, daß A das Wissen hat, daß er kein Student mehr ist. Doch dem widerspricht unsere sprachliche Intuition. Denken wir uns etwa, A selbst versuche, in der folgenden Fortsetzung der Situation plausibel zu machen, er habe nicht gewußt, daß er kein Student sei: (14-3)
(Anschließend an 14-2a) Β zu A: "Dann zeigen Sie mir bitte Ihren Studentenausweis." A: "Ach, Entschuldigung, ich bin zwar schon seit drei Tagen exmatrikuliert, und ich weiß, daß die Exmatrikulation das Ende meines Studentendaseins bedeutet, aber ich wußte gar nicht, daß ich kein Student mehr bin."
Ich fürchte, A würde hier ebensowenig auf Verständnis stoßen wie in unseren früheren Beispielen (12-7a) und (12-8). Die Wissensklausel (12-1) ist also zu weit, denn sie schließt, gegeben (14-1), den Fall (14-2) ebenso ein wie alle anderen Fälle, in denen A etwas, das er weiß, momentan vergessen oder verdrängt hat; alle Fälle also, in denen A's Wissen nicht aktiv ist (Hintikka 1962). Da der entsprechende Unterschied sich im übrigen auch für Glauben geltend machen läßt, werden wir später bei der Glaubensklausel eine Einschränkung auf aktives Glauben machen müssen. Es scheint zunächst, als ob folgende Ersetzung der Wissensklausel diesen Fällen Rechnung trüge:
14 Wissen und Lügen
(14-4)
II
47
Es war A bewußt, daß das, was er gesagt hat, falsch war.
Aber dies wäre nur eine Variante der klassischen Klausel und verfiele daher der in Abschnitt 12 geübten Kritik. Das liegt daran, daß - obgleich "wissen" und "bewußt sein" Bezeichnungen für recht verschiedene Bewußtseinszustände sind - ihre Logik in einem wesentlichen Punkt übereinstimmt, nämlich darin, daß beide faktiv sind: Wissen und Bewußtheit sind nur dann gegeben, wenn das, was man weiß oder was einem bewußt ist, wahr ist. Deshalb kann man auch nicht von jemand anderem oder sich selbst sagen: Es sei nicht wahr, was ihm oder einem selbst bewußt gewesen sei; was man sagen kann, ist: Es sei nicht wahr, was ihm oder einem selbst bewußt gewesen zu sein schien. Wir können somit die Diskussion der Bewußtseinsseite des Lügens zu einem vorläufigen Abschluß bringen. Die Wissensklausel (12-1) ist zum einen zu stark, zum andern zu schwach und muß durch eine Glaubensklausel der Form (12-12) ersetzt werden. Anschließend will ich einen weiteren Versuch unternehmen, der klassischen Theorie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und fragen: Was könnte ein Anhänger der Theorie zu der bisher vorgebrachten Kritik sagen? Da kann man sich verschiedenes vorstellen. Er könnte sagen, er habe mit "wissen" eigentlich glauben oder etwas Ähnliches gemeint. Darauf ist zu erwidern, daß er das explizit hätte sagen sollen, vor allem, wenn es ihm um die Entwicklung einer wissenschaftlichen Theorie geht. Er könnte, wenn ihn die vorgetragene Kritik kalt läßt, vielleicht eine oder mehrere der folgenden Positionen beziehen: (14-5a) Die Kritik ist nur stichhaltig unter Annahme eines künstlich eingeschränkten, rigorosen Begriffs von Wissen, der nicht dem der Umgangssprache entspricht. (14-5b) Sicherlich stimmt es, daß bei manchen peripheren Formen der Lüge die Wissensklausel nicht zutrifft. Aber in den meisten Fällen trifft sie zu. Die angeführten Beispiele sind ausnahmslos an den Haaren herbeigezogen. (14-5c) Das alles zeigt nur, "daß sich keine scharfe Grenze rund um die Fälle ziehen läßt, die wir als Lügen bezeichnen ". Ich will keine Argumente gegen die drei Positionen vorbringen.
48
II DIE KLASSISCHE THEORIE DER LÜGE UND IHRE DESTRUKTION
Denn wer Positionen dieses Typs vertritt, trägt meiner Meinung nach selber die Beweislast für sie. Daher möchte ich mich mit den folgenden kommentierenden Bemerkungen begnügen. Zu (14-5a). Solange Anhänger der klassischen Theorie nicht genauer erklären, was sie unter "wissen" verstehen, ist man bei einer Kritik darauf angewiesen, selber eine Interpretation oder Teilinterpretation dieses Begriffs zu geben und sie den Anhängern der klassischen Theorie zu unterstellen - sofern nichts dagegen spricht, was die Unterstellung unzulässig macht. Das ist die übliche Schwierigkeit bei der undankbaren Aufgabe einer Kritik inexpliziter Auffassungen. Ich habe zwei elementare und wenig kontroverse Bedingungen für "wissen" angeführt und mich in der Kritik auf sie gestützt, nämlich (12-3b) und (14-1); wenn also jemand die Position (14-5a) aufrecht erhalten möchte, so müGte seine Replik an diesen beiden Bedingungen ansetzen. Zu (14-5b). Auch hier fällt die Beweislast den Vertretern der betreffenden Position zu, eine Position, auf die sich vielleicht einige Anhänger der Theorie stellen würden, die ich im letzten Abschnitt als "klassizistisch" bezeichnet habe. Es bleibt ihnen überlassen, anzugeben, wann etwas eine periphere Form der Lüge ist und wann nicht, wie die Beziehung zwischen peripheren und nicht-peripheren Formen der Lüge aussieht, und inwiefern periphere Formen eigentlich Lügen sind. Ich möchte nicht verhehlen, daß mich Konter wie (14-5b) hellhörig machen; schließlich wissen wir aus der Historiographie der Wissenschaftsgeschichte, daß Positionen dieses Typs gern von Anhängern etablierter und im Verfall begriffener Theorien eingenommen werden, um sich dem drohenden Zusammenbruch ihrer Theorie zu entziehen (Lakatos 1976:§I). Solange die Position selbst nicht begründet wird, kann ich in ihr nicht mehr als ein Rückzugsgefecht der klassischen Theorie sehen. Zu (14-5c). Hier scheint nun die letzte und auf den ersten Blick stärkste Verteidigungslinie der klassischen Theorie erreicht. Aber ich bin nicht sicher, ob es stimmt, "daß sich keine scharfe Grenze rund um die Fälle ziehen läßt, die wir als Lügen bezeichnen" - eine Aussage, die nicht etwa von Wittgenstein stammt, wie man vielleicht denken könnte, sondern von Wittgensteinianern wie Waismann (1 92 9-39 :§XIV.9) und Malcolm. Wiederum
14 Wissen
und Lügen
II
49
wüßte ich gern, warum sich keine scharfe Grenze ziehen läßt, bevor ich dazu Stellung nehme. Purer Dogmatismus ist jedenfalls, es bei der Feststellung bewenden zu lassen: "The word "lying", like the word "game", is applied over a broad range of diverse cases" (Malcolm 1967:fn 40). So oder so liegt es nicht in meiner Absicht, den Begriff der 14 Lüge dort scharf zu begrenzen, wo in der Umgangssprache "keine scharfen Grenzen gezogen sind". Mein Ziel ist nicht, wie man in Anlehnung an eine Formulierung von Wittgenstein ( 1936-45 :§133) sagen könnte, die Verwendungsweise des Wortes "Lüge" in unerhörter Weise zu verfeinern. Was ich möchte, ist: eine Analyse der Lüge zu geben, die jede existierende unscharfe Grenze zwischen Lügen und Nicht-Lügen deutlich macht, und zwar so klar wie möglich. Oder, um es etwas anders auszudrücken: Wenn das, was eine Lüge ist, innerhalb eines bestimmten Spielraums vage ist - und das scheint ja wohl so zu sein - sollte die Analyse der Lüge diese Vagheit erkennen lassen. Und das so genau wie möglich. Die klassische Theorie der Lüge könnte nicht für sich reklamieren, daß die gegen sie angeführten Beispiele deshalb keine Gegenbeispiele seien, weil sie in einen unscharfen Grenzbereich zwischen Lügen und Nicht-Lügen fielen. Denn die klassische Theorie hat den Spielraum längst verlassen, der durch unsere alltägliche Verwendung von "Lüge" eröffnet ist.
14
Ich habe allerdings in §5 den Begriff der Lüge in zweierlei Hinsicht geringfügig eingegrenzt. Selbstverständlich gestehe ich zu, daß meine Überlegungen unvollständig sind und die dort ausgegrenzten Fälle von Lügen nicht erfassen.
III.
IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
15. Falschheit, Irrtum, Lüge In diesem und den folgenden Abschnitten werde ich aus dem Scheitern der klassischen Theorie einige miteinander zusammenhängende Konsequenzen ziehen, die zum Teil auch Überlegungen in späteren Kapiteln vorbereiten. Als erstes will ich die Frage der Be Ziehung von Falschheit, Irrtum und Lüge etwas weiter verfolgen. Mit "Falschheit" bezeichne ich dabei wie bisher nicht den Sachverhalt, daß jemand falsch ist, sondern daß etwas falsch ist. Überdies wird angenommen, daß Behauptungen und Überzeugungen nur entweder wahr oder falsch sein können (siehe 21-4). Greifen wir zu diesem Zweck noch einmal die zurückgewiesene Falschheitsbedingung (12-2) auf. Gegen sie hatte ich zunächst argumentiert, daß sie keinesfalls hinreichend ist, denn Lüge würde dann von irriger Behauptung nicht unterschieden. Daß die Bedingung nicht einmal notwendig ist, hatte anschließend unser Beispiel mit der Uhr gezeigt, (12-4): A hat gelogen und sich gleichzeitig geirrt bezüglich der Falschheit des von ihm Behaupteten; denn was er gesagt hat, ist nicht falsch, sondern wahr, wenn er auch glaubte, es sei falsch. In beiden Fällen spielte der Begriff des Irrtums eine wesentliche Rolle, den wir bisher ohne genauere Erläuterung verwendet haben. Ich schlage folgendes als erste Explikation von "sich irren" vor: (15-1)
A hat sich geirrt gdw
(a) (b)
A hat geglaubt, daß... Es ist falsch, daß...
Die klassische Theorie nimmt an, der Lügner könne sich per definitionem nicht irren in der Annahme, das, was er sage, sei falsch. Sie ignoriert damit den Tatbestand, daß, wenn auch der
15 Falschheit,
Irrtum,
Lüge
51
Lügner nach der Falschheit zielt, der Wahrhaftige aber nach der Wahrheit, beide dennoch vom gleichen Irrtumsrisiko bedroht sind; sie verleiht, so hatten wir in Abschnitt 12 gezeigt, auf diese Weise dem Lügner eine übermenschliche Art von Unfehlbarkeit nämlich generelle Xrrtumslosigkeit - und schränkt dadurch die Zahl und Art möglicher Lügen ganz erheblich ein. Wir können jetzt genauer sehen, wie. Denn da die klassische Theorie ausschließt, daß es möglich ist, daß A lügt und sich gleichzeitig irrt bezüglich der Falschheit seiner Behauptung, es aber nicht ausschließt, daß A glaubt, seine Behauptung sei falsch (15-1a), so schließt sie, wenn (15-1) zutrifft, aus, daß es möglich ist, daß A lügt und es gleichzeitig falsch ist, daß seine Behauptung falsch ist. Demnach scheiden der klassischen Theorie zufolge alle Behauptungen von vornherein als Lügen aus, die wahr sind, wie in unserem Beispiel (12-4). Insbesondere wäre es dann ausgeschlossen, daß man lügt, dadurch daß man etwas sagt, was logisch wahr (analytisch) ist. Nehmen wir einmal an, der Satz (15-2)
Katzen sind Säugetiere
sei analytisch. Es wäre danach unmöglich, mittels dieses Satzes zu lügen. Denn es ist nicht möglich, daß man von etwas, was logisch wahr ist, weiß, daß es falsch ist. Aber es ist nicht unmöglich, daß jemand glaubt, Katzen seien keine Säugetiere. Es hilft nichts, sich auf die Position zurückzuziehen, wer so etwas glaube, könne es eigentlich nicht von Katzen glauben. Das hieße bestreiten - wozu es im übrigen gute Gründe gibt - , daß der Satz (15-2) analytisch ist. Jedenfalls ist die Phantasie, die es uns kostet, uns (15-2) als einen Fall von Lüge vorzustellen, dieselbe Phantasie, die es uns kostet, uns vorzustellen, daß jemand glaubt, Katzen seien keine Säugetiere. Und das bestätigt, daß die unscharfen Grenzen der Lüge nicht mit den unscharfen Grenzen dessen zusammenfallen, was wir wissen können, sondern dessen, was wir glauben können. Es ist also verkehrt, die Lüge unter die falsche Behauptung oder unter Falschheit allgemein zu rechnen, wie z.B. Russell (1948 :§11.VIII) und noch Lang (1977 :§111.2.1) es tun (anders Russell in 1940:§XIV). Als Folge dieser verkehrten Auffassung werden
52
III IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
Irrtum und Lüge nicht nur von Anhängern der klassischen Theorie analytisch gewaltsam aneinander angeglichen und unter eine künstliche Oberkategorie subsumiert, beispielsweise "Negation" (Sartre 1943:86-87, Weizsäcker 1956:§10), "unbegründetes Urteil" (Scholz 1944 :§5.2) , "Fiktion" (Kamiah & Lorenzen 1 967 :§IV.3), "Irrtum des Sprechers" (Gabriel 1975:§3.4) oder "epistemische Aberration" (Keller 1978:§4). Das kann selbstverständlich nicht gutgehen, denn weder braucht ein Irrtum verbal zu sein (§5), noch braucht eine Lüge falsch zu sein (§12). Von dieser Subsumtion ist es dann nicht mehr weit bis zu den seltsamsten Auffassungen, etwa, das Aussprechen eines Irrtums sei eine Lüge (dagegen schon Krause 1844:§5); oder, einige Fälle von "Irrtümern des Sprechers" stellten moralische Verstöße dar, andere Fälle nicht (so Gabriel 1975:§3.4); oder gar, der Unterschied von Lüge und Irrtum liege im "Grade der Bewußtheit" (Anschütz 1966:94). Betrachten wir den explizit formulierten Versuch einer Angleichung vom Irrtum und Lüge bei Scholz, der sich, allerdings nicht völlig konsequent, terminologisch an Frege (1918-19) anlehnt: Ein Urteil ist. . . u n b e g r ü n d e t . . . , wenn der Gedanke, auf den es sich bezieht,... falsch...ist. l^ann und nur dann. 2.8. Ein unbegründetes Urteil ist ein I r r t u m , wenn der Behauptende von der Wahrheit des von ihm behaupteten Gedankens überzeugt ist, eine L ü g e , wenn er weiß, daß der von ihm behauptete Gedanke falsch ist. Dann und nur dann" (Scholz Î944:§5; der letzte Teil der Definition wurde schon in §12 zitiert). Die Definition von "Irrtum" ist nicht allgemein genug: im Gegensatz zu unserer Explikation (15-1) erfaßt sie nur irrige Behauptungen, nicht irrige Überzeugungen.^ Wenn man sie jedoch zu korrigieren versucht, indem man die Ausdrücke "Urteil" und "urteilen" im Sinne Freges (1918-19) für die beiden auf behaupten bezogenen Ausdrücke ersetzt, so erhält man: 1 Ebenso wie die sinngemäß gleichen Explikationen bei Rotenstreich (1956 :§1) , Klaus (196 4 :§3.4.1) und Eggs (1976 :§5). Wunderlich dagegen weist seine Bestimmung korrekt nur als eine von "irrende [soll wohl heißen: irrige] Behauptung" aus (1974:351-52). Kellers Definition wiederum ist zu weit, da ihr zufolge auch Ignoranten und Unentschiedene im Irrtum wären (1978 :§4). Jeder, der irrt, hat zwar eine Wissenslücke, aber nicht umgekehrt.
15 Falschheit,
(15-3)
Irrtum,
Lüge
53
Ein unbegründetes Urteil ist ein Irrtum, wenn der Urteilende von der Wahrheit des von ihm geurteilten Gedankens überzeugt ist, eine Lüge, wenn er weiß, daß der von ihm behauptete Gedanke falsch ist.
Man sieht, daß die nur scheinbar bestehende direkte Verbindung von Irrtum und Lüge vollends zerrissen wird, und die gesamte Konstruktion des "unbegründeten Urteils" auseinanderbricht, das aus dem Behauptungsirrtum und der Falschheitsbedingung künstlich zusammengesetzt war. Doch der gewichtigste Einwand gegen alle Versuche, Irrtum und Lüge unter einen Hut zu bringen, ist, daß sie die Tatsache ignorieren, daß Lügen intentional (5-4) sind, Irrtümer dagegen nicht. Deshalb findet man, wie Augustinus treffend bemerkt, zwar "multos..., qui mentiri velint; qui autem falli, neminem" (Augustinus 397:§40). Lügen sind verbale Handlungen, Irrtümer sind weder notwendigerweise verbal noch sind es Handlungen: es sind Dinge, die uns beim Denken und Handeln unterlaufen. Irrtum und Lüge haben nur die eine Bedingung gemein, daß A etwas glaubt. Aber diese Bedingung - auf die sich ein beschuldigter Lügner zurückzuziehen versuchen kann mit der gelogenen Standardausrede, er habe sich geirrt - rechtfertigt keinerlei Angleichung von Lüge und Irrtum, zwischen denen es eine direkte Beziehung nicht gibt. Aber es gibt folgende indirekte Beziehung (ähnlich Jerusalem 1895:§V.2, Simmel 1908:342): (15-4)
Wenn A gelogen hat, so hat er beabsichtigt, daß Β sich irrt.
Diese Bedingung scheint logisch wahr zu sein: Lügen sind, wie man
2 "viele, die lügen wollen, hingegen niemanden, der sich irren wollte". Weizsäcker hat darauf hingewiesen, daß im Menschen "Irrtum fortgesetzt in Lüge verwandelt, Lüge durch Irrtum ersetzt wird", und auf folgenden Zusammenhang beider aufmerksam gemacht: "Die Barmherzigkeit verlangt, daß die Lügen eigentlich Irrtümer sind ('Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun'), aber die Gerechtigkeit gebietet, daß selbst die Irrtümer wie Lügen bestraft werden ('Unkenntnis des Gesetzes schützt nicht vor Strafe')" (1956:§10). Tugendhat sagt, jede sprachliche Handlung, die irrig sein kann, kann auch eine Lüge sein ( 1976 :§26.1).
54
III IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
sagen kann, intendierte Irreführungen. Damit A den Β wirklich irreführt, muß es falsch sein, was er sagt (siehe §29). Aber A's Intention braucht sich nicht zu erfüllen. Gleichwohl, um "geschickt und gesellschaftlich wirksam lügen zu können, muß man... wissen, wie es um die Sachverhalte, deren Existenz man verbergen... oder die man falsch darstellen möchte, tatsächlich bestellt ist" (Klaus 1 964 :§2.2.2.2).
16. Wahrheit und Wahrhaftigkeit Nehmen wir noch einmal das Beispiel mit der Uhr (12-4), oder auch das Beispiel (15-2) auf, und betrachten sie aus einem etwas anderen Blickwinkel. Die paradox anmutende Moral, die sich aus ihnen ziehen läßt, ist: Man kann auch lügen, indem man die Wahrheit sagt, - und zwar die Wahrheit sagt in genau einer der beiden im Anschluß an (11-4) unterschiedenen Interpretationen von "die Wahrheit sagen^", oder einer Variante dieser Wendung (11-3). Es ist möglich, zu lügen und gleichzeitig die Wahrheit zu sagen, 3 nämlich dann, wenn man irrigerweise annimmt, das, was man hauptet, sei falsch; oder, wie Augustinus es formuliert, "...possit verum dicere mentiens, si putat falsum esse et pro vero enuntiat, quamvìs revera ita sit ut enuntiat" (Augustinus 395:§3).4 Thomas von Aguin schließt messerscharf: "Opposite...non possunt esse simul. Sed mendacium simul potest esse cum veritate: qui enim verum loquitur quod falsum esse credit, mentitur, ut Augustinus dicit... Ergo mendacium non opponitur veritati" (Thomas von Aquin 1265-73:§II.II.110,1).5 3 4
5
Aber nicht nur dann. Man kann auch noch anders lügen, dadurch daß man die Wahrheit sagt (§30,§33). Man kann "die Wahrheit sagen und dabei doch lügen..., wenn man meint, es sei unwahr und es als wahr ausspricht, mag es auch in Wirklichkeit so sein, wie man es sagt". "Gegensätzliches kann nicht zugleich bestehen. Die Lüge aber kann zugleich mit der Wahrheit sein. Denn wer die Wahrheit sagt, dabei aber glaubt, es sei die Unwahrheit, lügt, wie Augustinus sagt. Also ist die Lüge der Wahrheit nicht entgegengesetzt" .
16 Wahrheit
und
Wahrhaftigkeit
55
Was die W a h r h e i t des Behaupteten angeht, so kreuzen sich in den Beispielen (12-4) und (15-2) A's Irrtum und A's Lüge so, daß das Behauptete wahr ist. Aber nicht, was A's W a h r h a f t i g k e i t angeht: sein Irrtum macht seine Lüge zwar ungefährlich, aber nicht - wie etwa Sartre meint (1 94 3 : 86 ; siehe §12) - ungeschehen. Das Gegenteil der Lüge ist nicht die Wahrheit - wie die klassische Theorie annimmt, wenn sie die Falschheit zum Konstituens der Lüge erklärt (12-2) und dadurch Lüge und Irrtum in einen Topf wirft (§15) -, sondern die Wahrhaftigkeit; und umgekehrt ist das Gegenteil der Wahrheit nicht die Lüge, sondern die Falschheit. Wahrhaftigkeit und Wahrheit, Lüge und Falschheit fallen nicht ineins, weil es die Möglichkeit des Irrtums gibt. Deshalb muß man auch nicht wissen, was die Wahrheit ist, um zu wissen, ob etwas eine Lüge ist, und aus dem gleichen Grund brauchte eine Theorie der Lüge sich nicht auf eine bestimmte Theorie darüber festzulegen, was Wahrheit ist. Die verkehrte Gegenüberstellung von Lüge und Wahrheit ist eines der Haupthindernisse für eine tiefergehende linguistische Behandlung der Lüge (etwa noch bei Meid 19 76, Lang 1977 und Verschueren 1979:§IV.C). Zwischen der Tatsache, daß eine bestimmte Behauptung wahr oder falsch ist, und der Tatsache, daß sie wahrhaftig oder gelogen ist, existiert im allgemeinen keine direkte Beziehung (Bühler 1920:12, Kainz 1927:219, 1941:233, Bollnow 1946-47:236, Leonard 1959:§IX). Es gibt also, wie zuerst Laplace festgestellt hat (1814:70), bei Behauptungen gewöhnlich vier verschiedene Möglichkeiten der Kombination von wahr oder falsch und wahrhaftig oder gelogen, nämlich: (16-1a)
wahr und wahrhaftig
b
falsch und wahrhaftig (etwa 14-2)
c
falsch und gelogen
d
wahr und gelogen (etwa 12-4).
Illustrieren wir dies an dem folgenden hübschen Beispiel von Utitz:
III
56
IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN
THEORIE
"Jemand sagt: "Ich bin herzkrank." Da sind verschiedene Fälle zu unterscheiden: 1. Er glaubt es wirklich und hat tatsächlich dieses Gebrechen. Er spricht also wahr, und seine Worte sind richtig. 2. Er hält sich für herzkrank, ohne es zu sein, sei es aus Hypochondrie, sei es aus Unkenntnis seines eigentlichen Leidens. Er befindet sich demnach im Irrtum. Es liegt von ihm aus keinerlei Täuschungsabsicht vor, und er verhält sich wahrhaft, wenn auch seine Aussage falsch ist. 3. Er betrachtet sich nicht als herzkrank und ist es auch nicht. Das ist der Fall einer eindeutigen Lüge. 4. Er hält sich nicht für herzkrank, aber er ist es. Hier verknüpfen sich Lüge und Irrtum. Er lügt genau so wie im dritten Fall, nur irrt er noch dazu" (Utitz 1918:§IV). Wir können dann die Begriffe "wahrhaftig" und "unwahrhaftig" in einem ersten Schritt folgendermaßen explizieren: (16-2)
A war wahrhaftig gdw (a) A hat etwas behauptet (b) A hat etwas geglaubt (c) A hat nicht gelogen
(16-3)
A war unwahrhaftig gdw
(16-4)
χ war wahrhaftig gdw
(16-5)
A hat gelogen Es gab äußert
einen hat
A,
der
wahrhaftig
war,
indem
er
χ
ge-
χ war unwahrhaftig gdw
χ war gelogen.
Die Zerlegung in (16-2) und (16-3) einerseits sowie (16-4) und (16-5) andererseits ist nötig, um die beiden Verwendungsweisen von "wahrhaftig" und "unwahrhaftig" auseinanderzuhalten, in denen sie sich zum einen auf Personen, zum anderen auf ihre Äußerungen beziehen können. Es wäre möglich, zwischen personaler Unwahrhaftigkeit und der Unwahrhaftigkeit von Äußerungen begrifflich so zu unterscheiden, daß man im ersten Fall von "lügenhaft" und im zweiten von "lügnerisch" spricht. Dabei gibt es folgende sprachliche Eigentümlichkeiten zu beachten, die nicht allein für das Deutsche gelten, sondern entsprechend auch für andere indogermanische Sprachen (Frisk 1936). Die Begriffe "Lüge" und "Wahrhaftigkeit" sind keine echten Gegenbegriffe. Die Lüge ist eine Handlung, oder allgemeiner gesagt,
16 Wahrheit und Wahrhaftigkeit
57
ein Akt; die Wahrhaftigkeit dagegen ist, ebenso wie die Unwahrhaftigkeit, eine Eigenschaft von Personen und ihren Äußerungen. Es gibt zwar "Lügen" im Plural, aber keine "Wahrhaftigkeiten", und auch kein Verb "wahrhaften". Im Deutschen fehlt, wie schon Krause (1844:§13) bemerkt hat, ein eigenes Substantiv für einen Akt der Wahrhaftigkeit; wie er behelfen wir uns an dessen Stelle mit dem Ausdruck "wahrhaftige Äußerung". Andererseits entspricht der Unwahrhaftigkeit, sofern wir sie Personen als dauerhafte oder Charaktereigenschaft zulegen, der Ausdruck "Verlogenheit"; diesen Sinn habe ich in den Explikationen nicht berücksichtigt, aber er ist unschwer zu erhellen, und zwar als Hang, unwahrhaftig (lügenhaft) zu sein. Die Analyse der personalen Wahrhaftigkeit (16-2) weist zwei Klauseln mehr auf als ihr Gegenstück (16-4). Selbstverständlich würde die Klausel (c) allein nicht ausreichen: hätten wir in (16-2) nur gesagt, wahrhaftig sei, wer nicht lüge, so wäre danach insbesondere jeder wahrhaftig, der überhaupt nichts sagt, d.h. entweder Unsinn redet (nichts sagt.) oder schweigt (nichts äussert; hätten wir in (16-4) gesagt, eine nicht gelogene Äußerung sei wahrhaftig, so wäre danach auch jede Äußerung wahrhaftig, die unsinnig oder keine Behauptung ist. Der Begriff der Wahrhaftigkeit schließt aber, ebenso wie der Begriff der Lüge, den Bezug auf sprachliche Äußerungen einer bestimmten Art, nämlich Behauptungen, bereits ein. Es wird sich später zeigen, daß die Asymmetrie in den vorläufigen Explikationen nur eine scheinbare ist und bei der Einsetzung des Analysans von "gelogen" in (16-2) bis (16-5) verschwindet. Wir analysieren "wahrhaftige Äußerung" als Gegenbegriff zu "Lüge" und identifizieren die unwahrhaftigen Äußerungen mit den Lügen. In beiden Fällen nehmen wir gemäß unserer früheren Einschränkung (5-5) an, daß es sich um verbale Äußerungen handelt. Diese Einschränkung wird sich später (§23) als Konsequenz der entsprechenden Einschränkung bei den Behauptungen erweisen. Statt "Wahrhaftigkeit" sind in der Philosophie und Linguistik auch "Ehrlichkeit" oder "Aufrichtigkeit" gängig (etwa Wunderlich 6
Vergleiche Lewis 1969:§V.4, 1975:12.
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III IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
1972a:§3.6, 1976:§VI.1, Eggs 1976:§5). Ich möchte diese Ausdrücke jedoch umfassender verstehen und für andere Zwecke reservieren. Den Begriff "Wahrhaftigkeit" verwende ich ungefähr so, wie er sich seit Kant in der deutschen philosophischen Fachsprache etabliert hat, und nehme dafür in Kauf, daß der Begriff in der heutigen deutschen Umgangssprache leicht antiquiert klingt und einen etwas feierlichen und formellen Beigeschmack hat. Eine tiefergehende Untersuchung der Beziehung von Wahrheit und Wahrhaftigkeit gehört in den Rahmen der Wahrheitstheorie. In unserer Explikation der Wahrhaftigkeit (16-2) und (16-4) wurde jedenfalls vom Begriff der Wahrheit kein Gebrauch gemacht. Umgekehrt die Behauptungswahrheit direkt von der Wahrhaftigkeit dergestalt aufzubauen, daß eine Behauptung wahr ist gdw sie wahrhaftig ist und zusätzlich noch andere Bedingungen erfüllt sind, wäre zirkulär, da zur Formulierung der zusätzlichen Bedingungen Begriffe nötig scheinen, die den Wahrheitsbegriff bereits voraussetzen, etwa bei der Bedingung, daß kein Irrtum vorliegt. Dennoch könnte folgender allgemeiner Zusammenhang zwischen Wahrheit und Wahrhaftigkeit bestehen: es gehört zu unserem Begriff von Wahrheit, daß wir nach ihr streben - auch der Lügner will ja dem Irrtum nicht anheim fallen (§15). Das Streben nach Wahrheit heißt aber für die Kommunikation, daß wir uns bemühen, Behauptungen zu machen, die wahr sind (Dummett 1959:143). Können wir doch nur dann dann damit rechnen, dieses Ziel zu erreichen, wenn wir wahrhaftig sind.
7
Vor allem in (1797a:II. Ethische Elementarlehre §9, 1797b). Zu Kants Konzeption von Wahrhaftigkeit siehe Singer (1961: §VIII-IX), Hofmeister 1972 und Schwarz 1973. Einen ausgezeichneten Überblick über die philosophische Vorgeschichte des Wahrhaftigkeitsbegriffs geben Schmidt (1882: §10) und Wilpert 1940, über die theologische Begriffsgeschichte Müller 1962.
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17. Erkenntnistheoretische Abschweifung: Unfehlbarkeit Bei der Aufzählung der Kombinationen von wahr oder falsch und wahrhaftig oder gelogen hatte ich gesagt, es gebe bei Behauptungen g e w ö h n l i c h die vier in (16-1) genannten Möglichkeiten (siehe auch Keller 1978:§4). Meine vorsichtige Redeweise hat ihren Grund in folgendem. Sollte ein Bereich existieren, in dem Personen unfehlbar oder auch nur irrtumslos sind, d.h. sich nicht irren können oder sich faktisch nicht irren, so wäre jede Behauptung über diesen Bereich, sofern wahrhaftig, auch wahr, und sofern gelogen, auch falsch. Die Möglichkeiten (b) und (d) in (16-1) fielen dann aus. Wo der Irrtum ausgeschlossen ist, würde also eine sehr enge Beziehung zwischen Wahrhaftigkeit und Wahrheit, und zwischen Lüge und Falschheit, bestehen (ähnlich Leonard 1959:§IX, Kenny 1971:226, Rundle 1972:152). Husserl hat die " e i g e n e n m o m e n t a n e n Erl e b n i s s e des Sprechenden" als Kandidaten für einen derartigen Bereich vorgeschlagen, von dem er sagt: "...bei den so formulirten subjectiven Urtheilen kann keine sachliche Einrede gemacht werden. Sie sind zwar wahr oder falsch, aber W a h r h e i t f ä l l t h i e r mit W a h r h a f t i g k e i t z u s a m m e n " (Husserl 1901:§VI.70, Sperrungen im Original). Ähnlich hat Wittgenstein geschrieben: ''Für die Wahrheit des G e s t ä n d n i s s e s , ich hätte das und das gedacht, sind die Kriterien nicht die der wahrheitsgemäßen B e s c h r e i b u n g eines Vorgangs. Und die Wichtigkeit des wahren Geständnisses liegt...in den besondern Konsequenzen, die sich aus einem Geständnis ziehen lassen, dessen Wahrheit durch die besonderen Kriterien der Wahrhaft i g k e i t verbürgt ist" (Wittgenstein 1946-49:§XI). Wittgenstein gibt weitere Beispiele. Als zweites führt er das Erzählen der eigenen Träume an: "Die Frage, ob den Träumer sein Gedächtnis täuscht, wenn er nach dem Erwachen den Traum berichtet, kann sich nicht erheben, es sei denn, wir führten ein gänzlich neues Kriterium für eine 'Übereinstimmung' des Berichts mit dem Traum ein, ein Kriterium, das hier eine Wahrheit von der Wahrhaftigkeit unterscheidet" (Wittgenstein 1946-49 :§XI) ; eine Darlegung der gleichen Auffassung bei Malcolm 1959:§12.
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III IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
Das dritte Beispiel betrifft Wissen: "Er muß... wissen, daß er weiß: das Wissen ist ja sein eigener Seelenzustand; er kann darüber - außer durch eine besondere Verblendung - nicht im Zweifel oder Unrecht sein. Wenn also...er sich darin, ob es ein Wissen ist, nicht irren kann; dann ist er (also) auch unfehlbar darin... Und das deutet allerdings auf eine mögliche Art der Verwendung von "Ich weiß". "Ich weiß, daß es so ist", heißt dann: Es ist so oder ich bin verrückt. Also: wenn ich, ohne zu lügen, sage: "Ich weiß, das es so ist", so kann ich nur durch eine besondere Verblendung im Unrecht sein" (Wittgenstein 1 945-48 :§408) . Wie überzeugend die Beispiele sind, steht hier nicht zur Diskusg sion. Es ist eine im engeren Sinne erkenntnistheoretische Frage, ob es einen Bereich gibt, in dem Irrtum unmöglich ist, in welchem Sinn von "unmöglich", und wie eng die Grenzen dieses Bereichs zu ziehen wären. Wenn es ihn gibt - Husserls und Wittgensteins Auffassungen legen die Vermutung nahe, daß der Bereich notwendigerweise individuell verschieden ist - so gilt von jeder Behauptung über ihn, daß ihre Wahrhaftigkeit ihre Wahrheit und ihre Unwahrhaftigkeit ihre Falschheit garantiert. Husserls Meinung scheint jedenfalls zu sein, daß auch die Umkehrung gilt. Nennen wir den Bereich, Uber den eine Person A sich nicht im Irrtum befinden kann, den Unfehlbarkeitsbereich Ψ^, so läßt sich damit als allgemeine These festhalten: (17-1)
Jede Behauptung von A über Ψ Α ist wahr gdw sie wahrhaftig ist, und falsch gdw sie gelogen ist.
Der Verdacht liegt nahe, daß einige Anhänger der klassischen Theorie die Wissensklausel (12-1) deshalb vertreten, weil sie an Beispielen orientiert sind, bei denen ein Irrtum der Möglichkeit nach oder faktisch ausgeschlossen wird. Man denke etwa an bestimmte Zeugenaussagen vor Gericht. Von einem Zeugen, der aufgefordert wird, die Wahrheit zu sagen, möchte man schließlich 8
Wittgenstein scheint in späteren Jahren zumindest von dem letzten Beispiel selbst nicht mehr überzeugt gewesen zu sein. Das hängt damit zusammen, daß er seine Auffassung über Wissen, oder einige Formen von Wissen, als "Seelenzustand" (1936-45: §1 48-55) änderte, etwa in 1 949-51 :§588-90. Zu Wittgensteins Behandlung der Lüge siehe auch Falkenberg 1980a.
17 Unfehlbarkeit
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nicht etwas hören, was zwar wahrhaftig, aber möglicherweise falsch ist; vielmehr möchte man von ihm wissen, wie es sich wirklich verhält, und kann dies nur, weil und sofern man in einem bestimmten Bereich entweder Unfehlbarkeit oder faktische Irrtumslosigkeit unterstellt. Überhaupt ist der Gedanke, daß alle Lügner immer aus Versehen die Wahrheit sagen könnten, deshalb seltsam, weil der Gedanke seltsam ist, daß man sich immer irren könnte. Für ein Wesen, das generell unfehlbar wäre, würden Wahrheit und Wahrhaftigkeit, würden Falschheit und Lüge ineins fallen; nicht jedoch für gewöhnliche Sterbliche. Für diese erwächst, so könnte man sagen, die Chance zur Wahrhaftigkeit im allgemeinen gerade aus ihrer Fehlbarkeit.
18. Die Wahrheit sagen Wir sind jetzt in der Lage, die beiden verschiedenen Interpretationen des Ausdrucks "die Wahrheit sagen", "die Unwahrheit sagen", und ihrer Varianten etwas genauer zu erläutern, die schon in den Abschnitten 11 und 12 zur Sprache kamen. Dort wurde herausgestellt, daß nur der Sinn von sagen in Betracht kommt, den wir mit "sagen/1 bezeichnet hatten. Ich beschränke mich im folgenden der Einfachheit halber in erster Linie auf "die Wahrheit sagen"; die Erläuterungen gelten analog für "die Unwahrheit sagen". In der ersten Interpretation dieser Wendung, die ich eingangs des Abschnitts 16 anhand der Beispiele (12-4) und (15-2) aufgegriffen hatte, kann man die Wahrheit sagen und gleichzeitig lügen (eben wenn man sich irrt). Diesen Sinn möchte ich als den "f a k t i ν e η" Sinn bezeichnen: (18-1)
A hat im faktiven Sinn die Wahrheit gesagt.^ nur wenn das, was er gesagt^ hat, wahr ist.
In der zweiten Interpretation von "die Wahrheit sagen" ist es nicht möglich, die Wahrheit zu sagen und gleichzeitig zu lügen; denn in dies Sinn heißt "die Wahrheit sagen" soviel wie "wahr-
III IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
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haftig sein", und dies wiederum hieß ja nach der vorläufigen lyse (16-2) gerade soviel wie "nicht lügen", dadurch daß man was behauptet (vergleiche Moore 1941-42[=1962]:§IV.15). Hier che ich, in einem Vorgriff auf Abschnitt 21, vom "e ρ i s t m i s c h e n " Sinn von "die Wahrheit sagen": (18-2)
Anaetspree -
A hat im epistemischen Sinn die Wahrheit gesagt^ nur wenn er geglaubt hat, daß das, was er gesagt^ hat, wahr ist.
"Die Wahrheit sagen" im epistemischen Sinn bezeichnet Handlungen, nicht hingegen im faktiven Sinn. Darauf weist Thomas von Aquin hin, der entsprechend zwischen "material" und "formal" unterscheidet
(1265-73:§II.II.110,1): "...Veritas dupliciter accipi potest. Uno modo, secundum quod veritate aliquid dicitur "verum". Et sic Veritas non est virtus, sed objectum vel finis virtutis. Sic enim accepta veritas non est habitus... Alio modo potest dici "veritas qua aliquis verum dicit: secundum quod per earn aliquis dicitur verax". Et talis veritas, sive veracitas, necesse est quod sit virtus: quia hoc ipsum quod est dicere verum est bonus actus" (Thomas v. Aquin 1 265-73 :§11.II.109,1) . 9
Im epistemischen Sinn kann daher jemand aufgefordert werden, die Wahrheit zu sagen, kann jemand guten Gewissens schwören, die Wahrheit zu sagen; und in diesem Sinn kann von einer Wahrheitspflicht die Rede sein (§ 138 Zivilprozeßordnung, Hippel 1939), oder von einem Recht auf Wahrheit. Aber strenggenommen "ist anzumerken, daß der Ausdruck: ein Recht auf die Wahrheit haben, ein Wort ohne Sinn ist. (...) Denn objektiv auf eine Wahrheit ein Recht haben, würde so viel sagen als: es komme... auf seinen W i l l e n an, ob ein gegebener Satz wahr oder
9
"Die Wahrheit läßt sich in zweifacher Weise auffassen: Einmal, sofern mit Wahrheit etwas als wahr bezeichnet wird. So ist die Wahrheit keine Tugend, sondern Gegenstand oder Ziel einer Tugend. Denn in dieser Bedeutung ist Wahrheit nicht ein Gehaben... In einem zweiten Sinne kann das Wahrheit genannt werden, wodurch jemand das Wahre sagt: insofern ihretwegen jemand wahrhaftig genannt wird. Und diese Wahrheit oder Wahrhaftigkeit ist notwendig eine Tugend; denn eben dies: das Wahre sagen, ist ein guter Akt."
18 Die Wahrheit
sagen
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falsch sein solle; welches dann eine seltsame Logik abgeben würde" (Kant 1797b : 303-4=1912 : 426) . Nun sind die beiden Lesarten von "die Wahrheit sagen" zwar insofern verschieden, als nur die erste mit "lügen" verträglich ist; beide sind aber verträglich mit der Wahrheit des Gesagten, da ja zwischen Lüge und Wahrheit bzw. Falschheit im allgemeinen keine direkte Beziehung besteht (§16). Am Ende des letzten Abschnitts kam der Ausdruck "die Wahrheit sagen" bereits in einer Verwendung vor, die epistemisch, aufgrund der Unterstellung jedoch, daß ein Irrtum ausgeschlossen ist, auch faktiv zu verstehen ist. Faktive und epistemische Lesart schließen sich also gegenseitig nicht aus. Es scheint ein allgemeines Prinzip zu geben dergestalt, daß Äußerungen der Form "A hat das-und-das getan" jedenfalls auch epistemisch zu verstehen sind, solange nichts dieser Annahme widersprechendes vorliegt; etwa die Hinzufügung von Ausdrücken wie "unwissentlich", "ohne zu wollen" usw., oder die Tatsache, da3 A in schlafendem, hypnotisiertem, alkoholisiertem oder sonstwie unzurechnungsfähigem Zustand war. Ich will das Prinzip, gemäß dem wir mit den genannten sprachlichen Äußerungen Akteuren ein Bewußtsein um ihr Tun unterstellen, "das Prinzip der e p i s temischen Z u s c h r e i b u n g " nennen. Man betrachte etwa die Handlungsausdrücke in den folgenden Sätzen: (18-3a) b c d e
A hat gefälschte Banknoten in Umlauf gebracht. A hat eine terroristische Vereinigung unterstützt, 13 Millionen Deutsche haben 1932 einen Massenmörder gewählt. Der Bundeskanzler lud einen Terroristen zu sich ein. Sie hat vergifteten Blumenkohl zu sich genommen.
Es ist entscheidend, ob die Verwendung eines Handlungsausdrucks auch epistemisch aufzufassen ist; beispielsweise ist entscheidend, ob der Ausdruck "eine terroristische Vereinigung unterstützen" so verstanden wird, daß er einschließt "wissen oder annehmen, daß man eine terroristische Vereinigung unterstützt". Denn jemand kann eine terroristische Vereinigung allein schon dadurch unterstützen, daß er für einen Freund eine Wohnung mietet. Die Tendenz, einige der Beispiele in (18-3) unserem besseren Wissen zum Trotz auch
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epistemisch zu verstehen, unterstreicht die Geltung des Prinzips der epistemischen Zuschreibung. Im juristischen Bereich ist es häufig erforderlich, tatsächlich nicht bestehende epistemische Einstellungen zuzudiktieren, um Gesetze anwenden und Recht sprechen zu können; man bezeichnet dies als "Rechtsfiktion". Jedoch wird das Prinzip der epistemischen Zuschreibung in der umgangssprachlichen Kommunikation oft ausgenutzt, um Personen, die etwas taten, ohne zu wissen oder zu glauben, daß sie dies taten, mehr oder weniger unterschwellig zu unterstellen, sie hätten es gewußt oder geglaubt (vergleiche Wimmer 1978). Ich kann dieses interessante Thema hier nicht weiter verfolgen, da es mir darum geht, welches Licht auf die beiden Verwendungsweisen von "die Wahrheit sagen" fällt. Denn das Prinzip erklärt, warum Ausdrücke wie "etwas sagen, was wahr ist", "etwas sagen, was falsch ist" und ihre zahlreichen Varianten (11-2 und 11-3) eher auch epistemisch als rein faktiv aufgefaßt werden, worauf ich bereits in Abschnitt 11 hingewiesen hatte. Es würde damit die ebenfalls erwähnte Tatsache erklärt (§11 und 12), warum man die Behauptung, jemand anderes habe etwas gesagt, was falsch ist, auch als Vorwurf der Lüge verstehen kann: denn gemäß dem Prinzip der epistemischen Zuschreibung wird dem Betreffenden mit dieser Behauptung auch das Wissen oder die Uberzeugung um die Falschheit des von ihm Gesagten zugeschrieben. Das Hauptergebnis dieses Abschnitts und der beiden vorhergehenden läßt sich demnach so zusammenfassen: Eine direkte Beziehung zwischen Wahrhaftigkeit und Wahrheit einer bestimmten Behauptung gibt es im allgemeinen nicht, ebensowenig wie eine direkte Beziehung zwischen Lüge und Irrtum, die ja davon nur die Kehrseite ist. Aber wiederum gibt es folgende indirekte Beziehungen: (18-4a) (18-5a) (18-6a) (18-7a)
Wenn A wahrhaftig war, so hat er geglaubt, etwas zu sagen^, was wahr ist. Wenn A unwahrhaftig war, so hat er geglaubt, etwas zu sagen^, was falsch ist. Wenn A wahrhaftig war, so hat er beabsichtigt, etwas zu sagen^, was wahr ist. Wenn A unwahrhaftig war, so hat er beabsichtigt, etwas zu sagen., was falsch ist.
18 Die
Wahrheit
sagen
65
Unter Benutzung der Begriffe "die Wahrheit sagen" und "die Unwahrheit sagen" in den beiden gerade unterschiedenen Lesarten kann man diese Bedingungen auch so formulieren: (18-4b)
Wenn A die Wahrheit gesagt^ hat (epistemisch), so hat er geglaubt, die Wahrheit zu sagen^ (faktiv).
(18—5b)
Wenn A die Unwahrheit gesagt^ hat (epistemisch), so hat er geglaubt, die Unwahrheit zu sagen^ (faktiv).
(18—6b)
Wenn A die Wahrheit gesagt^ hat (epistemisch), so hat er beabsichtigt, die Wahrheit zu sagen^ (faktiv).
(18—7b)
Wenn A die Unwahrheit gesagt^ hat (epistemisch), so hat er beabsichtigt, die Unwahrheit zu sagen^ (faktiv).
Die Bedingung (18-5) ist eine Variante der Bedingung (12-12); (18-7), oder sogar eine stärkere Bedingung, wurde sinngemäß bereits von Thomas von Aquin vorgeschlagen (siehe auch Chisholm & Feehan 1977:§II): "Si...aliquis formaliter falsum dicat, habens voluntatem falsum dicendi, licet sit verum id quod dicitur,...hujusmodi tus...ad speciem mendacii pertingit" (1265-73:§11.II.110,1). Im nächsten Kapitel werden uns vor allem die beiden indirekten Beziehungen zwischen Lüge und Falschheit, (18-5) und (18-7), beschäftigen.
19. Zum Paradox des Lügners In diesem Abschnitt möchte ich zeigen, daß und warum das Lügnerparadox in einer Theorie der Lüge nichts zu suchen hat. In derjenigen Version des Lügnerparadoxons, die Eubulides von Megara zugeschrieben wird und auch als "Pseudomenon" bekannt ist (Rüstow 1910), wird folgendes Beispiel gegeben: (19-1) 10
A: "Ich lüge immer".
"Sagt...einer förmlich die Unwahrheit, hat er also die Absicht, Falsches zu sagen, dann [gehört], mag auch das, was gesagt wird, wahr sein, ein solcher Akt...artlich zur Lüge."
III IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
66
Die Argumentation läuft nun so: (19-2a) b c d
A hat gesagt, er lüge immer. Also hat er gesagt, daß er auch jetzt lügt. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder A hat jetzt die Wahrheit gesagt. Das heißt, er hat die Wahrheit gesagt, wenn er gesagt hat, daß er jetzt lügt. Also hat A jetzt gelogen. Oder A hat jetzt gelogen. Das heißt, er hat gelogen, wenn er gesagt hat, daß er jetzt lügt. Also hat A jetzt die Wahrheit gesagt.
Eine logische Antinomie ist etwas, aus dem sich nach anerkannten Schlußweisen ein logischer Widerspruch (Kontradiktion) ableiten läßt. Eine Paradoxie ist etwas, das allgemein akzeptierten Grundannahmen zuwiderläuft. Eine Paradoxie liegt hier zweifellos vor, und auch eine logische Antinomie scheint vorzuliegen: aus der Annahme, daß A die Wahrheit gesagt hat, scheint ableitbar zu sein, daß er gelogen hat, und umgekehrt. Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten, die Argumentation (19-2) zu attackieren, um das Entstehen der Kontradiktion abzublocken. Man kann die Zulässigkeit des mit "Also" beginnenden Ubergangs in (a) zu bestreiten versuchen und ausschließen, daß sich das, was A gesagt hat, auf seine eigene Behauptung rückbeziehen läßt. Man kann (b) angreifen und bestreiten, daß mit (c) und (d) alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Man kann sogar gleich den ersten Satz der gesamten Argumentation ablehnen, daß A, dadurch daß er die Äußerung in (19-1) geäußert hat, etwas behauptet (gesagt^) hat. Alle diese Positionen werden gegenwärtig in der Literatur vertreten (siehe etwa die in Martin 1970 versammelten repräsentativen Beiträge). Worauf ich hinweisen möchte, ist, daß ein logischer Widerspruch überhaupt nur dann entstehen kann, wenn das, was der Lügner gesagt hat, tatsächlich falsch ist. Da die Falschheitsbedingung (12-2) aber, wie wir in Abschnitt 12 gesehen hatten, nicht zutrifft, gibt es gar keine logische Antinomie des Lügners (so schon Moore um 1945[=1962]:§VI.23, Schoenberg 1960-70 mit der Korrektur von Church 1971, Lindley 1971:§II). Die Argumentation (19-2) sitzt der Doppelsinnigkeit des Ausdrucks "die Wahrheit sagen" (§18) auf, den sie zum einen im epistemischen, zum andern im faktiven Sinn
19 Zum
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Lügnerparadox
auffaßt. Denn wenn A sagt: "Ich lüge immer" und "lügen" heißt, etwas behaupten, was man für falsch h ä l t , so kommt überhaupt kein logischer Widerspruch zustande. Logische Antinomien liegen allenfalls in folgenden Beispielen vor, die manchmal zu Unrecht mit dem Lügnerparadox zusammengezogen werden: (19-3a) b c
Alles, was ich sage, ist falsch. Was ich jetzt sage, ist falsch (vergleiche Rüstow 1910: 109) . Der nächste Satz ist falsch. Der letzte Satz ist wahr.
Aber die Lösung der Paradoxien hat nichts mit einer Theorie der Lüge zu tun, sondern ist von einer Theorie der logischen Paradoxien zu leisten (siehe etwa Prior 1971:§6). Im nächsten Abschnitt werde ich eine spekulative sprachhistorische Erklärung u. a. dafür vorbringen, warum das Lügnerparadox mit dem Paradox der Falschaussage (19-3a) und (b), und anderen Paradoxien wie (c) zusammengeworfen wurde. Sicherlich sind Äußerungen wie in (19-1), (19-2) oder (19-4a) b c
A zu B: "Ich lüge hiermit..." "Ich werde dich jetzt anlügen..." (Wittgenstein 1945-48: §189) "Ich belüge dich..." 11
irgendwie absurd, unsinnig oder selbstzerstörerisch;
aber lo-
gische Widersprüche lassen sich aus ihnen nicht ziehen. Ebenso sind die unter der Bezeichnung "Moore's Paradox" bekannten Äußerungen der Art (19-5) Ich ging letzte Woche ins Kino, aber ich glaube nicht, daß ich letzte Woche ins Kino ging zwar irgendwie absurd, aber nicht logisch widersprüchlich (Moore 1942:543). Zu zeigen, wie und warum, ist Aufgabe einer "L o g i k der Behauptung", wie Wittgenstein in einem Brief an Moore 1944 schreibt (1974:177). Erst eine Analyse des Behauptens und der Beziehung von behaupten und glauben kann erweisen, wieso und in 11 Dieser Ansicht sind offenbar auch Autoren, die sagen, das Verb "lügen" könne nicht performativ gebraucht werden (Ehlich und Martens 1972:§4.e, Ehrich und Saile 1972:§3.1.2, Wunderlich 19 72a:§3.6, 1972b:§I.3; Vendler 1972:App.I>1976; Verschueren 1979:§IV.21).
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III IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
welchem Sinn Äußerungen wie in (19-1) und (19-3) bis (19-5) absurd, unsinnig, selbstzerstörerisch - mit einem Wort: illokutio12 näres Harakiri sind.
20. Wurzeln der klassischen Theorie: Sprachhistorische Spekulationen Warum wird das Paradox des Lügners so gern mit dem Paradox der Falschaussage zusammengeworfen (§19)? Warum wird die Lüge so oft mit dem Irrtum in einen Topf geworfen (§15)? Warum wird die Falschheitsbedingung (12-2), an der alles hängt, so hartnäckig aufrecht erhalten? Es muß doch, möchte man sagen, neben den bereits erwähnten systematischen Gründen noch irgendeine andere Erklärung für diese breite Übereinstimmung so vieler Autoren geben. Ich glaube, es gibt in der Tat etwas Derartiges, und will im folgenden eine historische Erklärung versuchen, die ich hier allerdings nur kurz und recht spekulativ umreißen kann, zumal ich mich nicht als kompetent betrachte, sie detailliert zu untermauern. Meine Vermutung ist, daß in der Entwicklung der indogermanischen Sprachen eine starke Tendenz bestand und noch immer besteht, Irrtum mit Lüge und Wahrheit mit Wahrhaftigkeit zu verklammern. Ich stütze mich dabei im besonderen auf die Arbeiten von Schottlaender (1927), Luther (1935) und Frisk (1936). Das A l t g r i e c h i s c h e hat keinen eigenen Ausdruck für "Lüge" und "lügen"; die Formen des Stamms "pseud-" lassen im allgemeinen nicht erkennen, ob "Irrtum", "Lüge", "Fiktion" oder "Schein" gemeint ist. Deshalb läßt sich im Altgriechischen das Paradox des Lügners kaum vom Paradox der Falschaussage auseinanderhalten (siehe Rüstow 1910:30). Es hat griechische Philosophen offenbar einige analytische Anstrengung gekostet, Lüge von Irrtum und Wahrheit von Wahrhaftigkeit zu unterscheiden. Diese Eigentümlichkeit des Altgriechischen ist oft auch von anderen Autoren be-
12
Vergleiche Vendler (1972 : App.1,1976) und unsere Diskussion in §23.
20 Wurzeln
der klassischen
Theorie
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merkt und kommentiert worden, etwa von Schmidt ( 1882 : §10) und Wilpert (1940). Schottlaender charakterisiert sie folgendermaßen: "[Sie] hat ihr philosophisch Bedeutsames darin, daß sich in ihr ein Stadium des Denkens bekundet, in welchem das Achtgeben auf die objektive Erscheinung vorherrschend war. "Es ist etwas Falsches gesagt worden" - das war es allein, was interessierte; ob absichtlich oder unabsichtlich, war Nebensache" (Schottlaender 1927:99). Erst im L a t e i n i s c h e n tritt, was im Griechischen noch zusammenläuft, mit "error" und "mendacium" einerseits, "veritas" und "veracitas" andererseits auseinander, wie etwa das Thomaszitat in Abschnitt 18 belegt. Spuren der alten Verklammerung sind selbst im D e u t s c h e n zu entdecken. Noch Adelung schreibt unter dem Stichwort "Lüge", es könne "Irrtum" bedeuten, bemerkt aber schon, in diesem Sinn sei es im Hochdeutschen veraltet (1796 :Sp.2127, siehe §8). Und obgleich sich unsere sprachliche Intuition gegen diese Lesart sträubt, so gibt es doch in der deutschen Gegenwartssprache Verwendungsweisen von "die Wahrheit sagen", in denen es so viel heißen kann wie "wahrhaftig sein" (§18). Die Flexibilität des altgriechischen Stamms "pseud-" ist also vergleichbar der des lateinischen Stamms "fall-" und des deutschen Stamms "täusch-", dessen Formen ganz ähnlich gebraucht werden können, nämlich "sich täuschen" im Sinne von "sich irren", und "andere täuschen" im Sinne von "irreführen". Ähnlich hat der Ausdruck "falsch" ein weites Spektrum von Verwendungsweisen, die von "unwahr" bis "hinterhältig", "gefälscht", und "unecht" reichen. Das Weltbild der altgriechischen Sprache, das Irrtum, Lüge, Fiktion und Schein ursprünglich zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen zu haben scheint (Luther 19 35) , ist in seinen Auswirkungen noch immer spürbar. Umgekehrt, wenn auch in einer nicht besonders glücklichen Begrifflichkeit ausgedrückt: "Objektive" und "subjektive" Aspekte von Wahrheit und Falschheit werden im Prozeß der indoeuropäischen Kulturgeschichte erst nach und nach voneinander geschieden. Für die Geschichte der Explikation der Lüge ist es daher nicht überraschend, daß
70
III IM VORFELD EINER NICHT-KLASSISCHEN THEORIE
"...die Betrachtung der Lüge als objektiver Erscheinung zunächst auf die Eigentümlichkeiten führt, welche die Lüge mit dem Irrtum g e m e i n hat, während die Reflexion auf die subjektiven Wurzeln der Lüge mehr das hervortreten läßt, was sie vom Irrtum u n t e r s c h e i d e t " (Schottlaender 19 27:102). Alte Weltbilder bleiben wirkungsmächtig. Aber wir, denen unsere heutige Sprache die Mittel zur Analyse der Lüge an die Hand gibt, sind nicht entschuldigt, einem Weltbild zum Opfer zu fallen, das schon lange zerbrochen ist.
IV.
LÜGEN: DER ZENTRALE FALL
21. Einführung des zentralen Falls Die in Kapitel II vorgetragene Kritik an der klassischen Theorie der Lüge, ihrer simplen Form (7-1) und ihren verschiedenen Versionen, hatte als vorläufiges Resultat die Klauseln (11-7) und (12-12) ergeben (letztere tauchte, unwesentlich modifiziert, auch als (18-5) auf). Wer lügt, behauptet demnach etwas oder sagt etwas aus, von dem er glaubt, annimmt oder denkt, daß es falsch sei. Wir haben also bisher zwei notwendige Bedingungen für die Lüge gewonnen, eine Klausel mit "behaupten" und eine mit "glauben". Ich stelle nun die These auf, daß sie gemeinsam hinreichend sind für folgenden Fall der Lüge: (21-1)
A hat gelogen gdw
(a) (b)
A hat behauptet, daß... A glaubte, daß nicht...
Bevor ich diese Auffassung im einzelnen präzisieren und verteidigen kann, sind einige Erweiterungen unserer Begrifflichkeit nötig. In erster Linie handelt es sich dabei um die Begriffe "Proposition" und "(propositionale) Einstellung". Den Begriff der Proposition brauchen wir deshalb, weil gewährleistet werden muß, daß das, was der Lügner behauptet, dasselbe ist wie das, was er nicht glaubt. In den Satzformen (21-2)
A glaubte, daß ρ A intendierte, daß ρ A hat behauptet, daß ρ
und anderen soll "p" (oder "daß p") Variable für P r o p o s i t i o n e n sein. In den letzten beiden Kapiteln, vor allem bei der Formulierung einer Reihe von Bedingungen, mußten einige sprachliche Verrenkungen gemacht werden, um meine Kritik nicht schon mit
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IV LÜGEN: DER ZENTRALE FALL
dem Ausdruck "Proposition" zu belasten. Unter "Proposition" verstehe ich in etwa das, was Frege (1918-19) "Gedanke" nennt. Propositionen sind logische Konstrukte; am ehesten können sie viel- · leicht als der Inbegriff all dessen aufgefaßt werden, was sich auf ein und denselben Sachverhalt bezieht. Eine klare Darstellung gibt Prior (1971). Insbesondere lassen sich Propositonen als Träger von Wahrheit und Falschheit verstehen. Hier soll angenommen werden, daß Propositionen zeitlos wahr oder falsch sind, mit anderen Worten, daß in dem Satz "p" Zeitangaben enthalten sein können. Ebenso kann er Negatoren enthalten, wobei folgendes Prinzip gilt: (21-3) Prinzip der doppelten Negation: Wenn es nicht wahr ist, daß es nicht wahr ist, daß p, dann ist es wahr, daß p; und umgekehrt. Ich akzeptiere des weiteren folgendes Prinzip, von dem auch bisher stillschweigend Gebrauch gemacht wurde: (21-4) Prinzip der Bivalenz: Wenn es nicht wahr ist, daß p, so ist es falsch, daß p. Wenn es nicht falsch ist, daß p, so ist es wahr, daß p. Wir identifizieren also " es ist wahr, daß p" mit "es ist nicht falsch, daß p" und schreiben dafür kurz "p"; und wir identifizieren das kontradiktorische Gegenteil "es ist falsch, daß p" mit "es ist nicht wahr, daß p" und schreiben dafür "nicht p". Eine Proposition, die aus einer Proposition ρ und ihrer Negation nicht ρ zusammengesetzt ist, nennt man bekanntlich einen logischen Widerspruch (Kontradiktion); enthält eine Propositionsmenge eine Kontradiktion, so heißt sie widersprüchlich (inkonsistent). Unter den gemachten Annahmen ist das Prinzip der Bivalenz sowohl äquivalent mit dem (21-5) Prinzip des ausgeschlossenen Dritten: Entweder ρ oder nicht ρ als auch mit dem (21-6) Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs: Es ist nicht der Fall, daß zugleich ρ und nicht p. Das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten besagt, daß zwei sich widersprechende Propositionen nicht gemeinsam falsch sein können:
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eine von ihnen muß wahr sein; das Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs besagt, daß zwei sich widersprechende Propositionen nicht gemeinsam wahr sein können: eine von ihnen muß falsch sein. Beide spielen eine Rolle bei der Analyse der Lüge. Weininger etwa unterstreicht: "Ein Wesen, das nicht begreift oder nicht anerkennt, daß A und non-Α einander ausschließen, wird durch nichts mehr gehindert zu lügen; vielmehr, es gibt für ein solches Viesen gar keinen B e g r i f f der Lüge" ( 1903: 193) . 1 Auf die Wichtigkeit von (21-6) in unserem Zusammenhang hat hingegen Lukasiewicz aufmerksam gemacht: "Würden wir dieses Prinzip nicht anerkennen, und die gleichzeitige Bejahung und Verneinung für möglich halten, so könnten wir uns gegen falsche oder lügnerische Aussagen anderer nicht verteidigen. Ein fälschlich des Mordes Beschuldigter würde kein Mittel finden, um seine Unschuld vor Gericht zu beweisen. Er könnte nur höchstens den Beweis dafür erschwingen, daß er k e i n e n Mord begangen hat; diese negative Wahrheit kann aber die ihr widersprechende positive nicht aus der Welt schaffen, wenn der Satz des Widerspruchs nicht gilt" (1910:§20). Wir halten hier an den genannten Prinzipien der klassischen Logik fest. Falls man aber Propositionen zulassen will, die weder wahr noch falsch sind, so müßte für diesen "all eine abgeschwächte Form des Irrtums vorgesehen werden, wie ihn Gabriel (1975:§3.4, 1976:9) erwogen hat, sowie eine abgeschwächte Form der Lüge (Chisholm & Feehan 1977:§IV). Anschließend an den sprachanalytischen Jargon, der sich durch Russell (194o) eingebürgert hat, nenne ich das, was mit Ausdrücken wie "glauben", "intendieren", usw. in den Satzformen (21-2) bezeichnet wird, " p r o p o s i t i o n a l e E i n s t e l l u n g e η". Propositionale Einstellungen eines Wesens beziehen sich auf Sachverhalte, nicht auf Gegenstände. Wenn A glaubt oder intendiert, daß p, so werde ich auch sagen, daß er die-und-die propositionale Einstellung hat, daß p. Der Ausdruck "propositionale Einstellung" darf jedoch nicht im psychologischen Sinne verstanden 1
Übrigens gibt es Weininger zufolge - der hier freilich in einer langen Tradition steht - wirklich solche Wesen: die Frauen. Da das Weib weder Logik noch Moral besitze, sei es der Lüge wie auch des Irrtums gar nicht fähig ( 1903 :§11.VI).
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werden: weder ist damit unbedingt etwas Dauerhaftes gemeint (denn auch "denken" und "sich erinnern" können propositionale Einstellungen bezeichnen), noch nòtwendigerweise etwas rein Geistiges (denn auch sehen und sagen^ lassen sich als solche ansehen) . Propositionale Einstellungen sind logische Konstrukte: daß z.B. das Verb "sehen" in einigen seiner Verwendungsweisen propositionale Einstellungen bezeichnet, heißt nichts anderes als daß einige Formen von sehen als Beziehung zwischen einem Wesen und einem Sachverhalt aufgefaßt werden können. Aus den Beispielen ist ersichtlich, daß propositionale Einstellungen keine fest umrissene Klasse darstellen. (Einen Überblick über verschiedene Arten propositionaler Einstellungen gibt Hintikka 1975:§1.) Da andere Einstellungen als propositionale im folgenden nicht wichtig sein werden, lasse ich das Adjektiv "propositional" weg und spreche einfach von "Einstellungen". Vor allem zwei Arten von Einstellungen spielen in dieser Arbeit eine Rolle, nämlich (21-7a)
b
(21-8)
A glaubt, daß ρ A nimmt an, daß ρ A ist überzeugt, daß ρ A denkt, daß ρ A weiß, daß ρ Es ist A bewußt, daß ρ A ist sich bewußt, daß ρ usw. A intendiert, daß ρ A beabsichtigt, daß ρ A will, daß ρ usw.
Von Wright (1957 : Appendix) und Hintikka (1962:§1.1) folgend, nenne ich die erste Art von Einstellungen "e ρ i s t e m i s c h" (kognitiv); die zweite möchte ich " v o l i t i ν" (konativ) nennen. Die epistemischen Einstellungen der ersten Untergruppe (217a) sind verträglich mit ρ wie mit nicht ρ und heißen "doxastisch"; die Einstellungen der zweiten Untergruppe (-7b) erfordern dagegen, daß p, und heißen "veridisch". (Alle faktiven Verben bezeichnen veridische Einstellungen, seien es epistemische oder andere.) Als zentrale epistemische Einstellung dient mir g l a u b e n . Dabei werde ich die Unterschiede zwischen den doxastischen Formen
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in (21-7a) vorerst ignorieren und "glauben" als Platzhalter für die ersten drei benutzen. Das entsprechende Substantiv ist "Glaube", aber ich sage daneben auch "Auffassung", "Ansicht" oder "Uberzeugung", da "Glaube" im Deutschen - abgesehen von seiner religiösen Färbung - eine zu eingeschränkte Verwendungsweise hat. Als zentrale volitive Einstellung dient mir i n t e n d i e r e n , mit dem zugehörigen Substantiv "Intention". Ich will die beiden Begriffe in etwa so verwenden wie "beabsichtigen" und "Absicht", wobei diese deshalb nicht geeignet sind, weil sie allgemein nicht mit einem "daß"-Satz verbunden werden können. Schließlich führe ich den Ausdruck "t" als Variable für Zeitpunkte ein. Denn damit eine Lüge vorliegt, muß gesichert sein, daß der Zeitpunkt, zu dem A behauptet, daß p, derselbe Zeitpunkt ist, zu dem er glaubt, daß nicht p. Sonst könnte es ja sein, daß A seine Meinung geändert hätte (eine weitere Ausrede des beschuldigten Lügners). Anstelle von "zum Zeitpunkt t" heißt es in den Bedingungen abkürzend "zu t". Wir können nun den zu Beginn des Abschnitts angegebenen Fall der Lüge (21-1) etwas expliziter formulieren, wobei wir die in Abschnitt 14 angedeutete Einschränkung auf "aktiven" Glauben mit vornehmen : 2 (21-9) A hat zu t gelogen gdw (a) A hat zu t behauptet, daß ρ (b) A glaubte aktiv zu t, daß nicht p. Diesen einfachen Fall der Lüge bezeichne ich als den " z e n t r a len Fall" und werde seine Voraussetzungen in den nächsten Abschnitten untersuchen. Selbstverständlich ist in diesem Fall derjenige mit enthalten, in welchem A behauptet, daß nicht q und gleichzeitig glaubt, daß q: man erhält ihn durch Einsetzung von "nicht q" für "p" in (21-9), wobei in Klausel (b) "q" aus "nicht nicht q" folgt, gemäß dem Prinzip der doppelten Negation (21-3). 2
Frege (1892:37) sagt auch "A log, daß p". Obwohl dies in der deutschen Umgangssprache zugegebenermaßen gewaltsam klingt, greife ich im folgenden gelegentlich auf diese bequeme Redeweise zurück, die eine Abkürzung sein soll für "A log, als er behauptete, daß p" bzw. für meine bereits leicht fachsprachliche Wendung "A log dadurch, daß er behauptete, daß p".
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Lügen ist eine Handlung, die als Entzweiung von verbalem Akt und Bewußtsein aufgefaßt werden kann (§7), nämlich von Behauptung und Glaube. Sie eine Differenz zweier Vollzüge zu nennen, wäre irreführend, denn glauben oder aktiv glauben ist im Unterschied zu behaupten kein Akt, sondern eine Haltung, kein Ereignis, sondern ein Zustand. Wenn wir also in (21-9b) den Glauben mit einer Zeitvariablen versehen haben, so soll damit nicht gesagt sein, daß Glauben ein Ereignis ist, sondern nur, daß der Lügner zum Zeitpunkt seines Behauptens sich in einem Bewußtseinszustand des Glaubens befand, des aktiven Glaubens an das kontradiktorische Gegenteil dessen, was er behauptete. Wir kritisieren ja den Lügner nicht für seine Uberzeugung in Anbetracht seiner Behauptung, wir kritisieren ihn für seine Behauptung in Anbetracht seiner Uberzeugung. Einige Autoren nehmen "denken" statt "glauben" im Analysans der Lüge an (Kant 1797a:II Ethische Elementarlehre §9, Husserl 1901: §VI.6 8, Waismann 1929-39 :§XIV.10, Anscombe 1958:293, Austin 1962: 40, Rundle 1972:216). Sofern damit "denken" als Ereignis oder Vorgang von "glauben" als Zustand abgehoben werden soll, würde dies aus der Lüge eine Differenz zweier Vollzüge machen, eines Denkund eines Behauptungsaktes. Aber die BewuQtseinsseite des Lügens muß etwas sein, das der direkten Einflußnahme des Akteurs entzogen ist: andernfalls könnte A einfach dadurch, daß er denkt, daß p, seine Lüge ungeschehen machen. Wir denken ja vieles, was wir nicht glauben (Meinong 1910:§17). Weiterhin würde einer Verwechslung von Wahrhaftigkeit mit Einfältigkeit so Vorschub geleistet (Thomas v. Aquin 1 265-73 :§11.II.109,2) : als sei wahrhaftig, wer, was er denkt, sagt. Da wir "aktiven Glauben" für die Bewußtseinsseite des Lügens ansetzen, und für jede aktive Form von Bewußtsein gilt, daß der Person bewußt ist, daß sie es hat, während sie es hat, so folgt aus Klausel (b) unserer Analyse (21-9), daß es dem Lügner zu t bewußt war, da.ß er zu t aktiv glaubte, daß nicht p. Unter der Voraussetzung, daß es A immer, wenn er behauptet, daß p, auch bewußt ist, daß er behauptet, daß p, ist es ihm im Fall der Lüge also bewußt, daß er behauptet, daß ρ und zugleich glaubt,·daß nicht p. Sofern ihm dabei nicht entgeht, daß ρ und nicht ρ sich logisch wider-
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sprechen - der geäußerte Satz also keine zu unübersichtliche Struktur hat -, heißt das, daß es ihm bewußt ist, daß er lügt, wenn er lügt, oder - wie manche Autoren angenommen haben - daß er dies zumindest weiß (Heinroth 1834:§1.III.4, Waismann 1929-39: §XIV.9, Wittgenstein 1934-36: 315, 1945-48:§190, Sartre 1943:§1.II.I, Wunderlich 1976 :§111.2.5, Falkenberg 1980a:§4). Unbewußte Lügen gibt es demnach nicht: man kann nicht entdecken, daß man lügt. Diese Position scheint die Möglichkeit des sich-selbst-Belügens auszuschließen; dem wollen wir hier jedoch nicht nachgehen. Es wäre übrigens ein Mißverständnis, die Analyse (21-9) genetisch aufzufassen, als werde unterstellt, nur der könne lügen, der gelernt habe, zu behaupten. Gerade das Gegenteil scheint der Fall zu sein (Dummett 1973:453): in einem vollen, entwickelten Sinn kann nur der eine Behauptung aufstellen, der im Prinzip der Lüge fähig ist. Wer also nicht wüßte, was Lüge ist, wüßte in diesem Sinn auch nicht, was Wahrheit ist. Von den später unterschiedenen Arten der Lüge abgesehen, ist der zentrale Fall unsere abschließende Explikation. Und für die gesamten nachfolgenden Überlegungen wird entscheidend bleiben: Da lügen mit (21-9) analytisch an behaupten und glauben geknüpft wird, steht und fällt die Theorie der Lüge mit einer Theorie von Behauptung und epistemischer Einstellung. Es ist also nötig, ein Stück weit in beide Bereiche vorzustoßen.
22. Zur Geschichte der Behauptungsbedingung Schon am Ende von Abschnitt 11 hatte ich gesagt, die Auffassung, daß behaupten eine notwendige Bedingung für lügen ist, werde von einer Reihe von Autoren vertreten. Diese nicht-klassische Auffassung ist in der Tat keineswegs auf die Moderne beschränkt. Bereits Augustinus gelangte zu Einsichten, die ihn als Vorläufer einer solchen Auffassung ausweisen. Allerdings gibt er in seinen Werken mehrere voneinander abweichende Explikationen und sah sich - im Bewußtsein der Schwierigkeit des Unternehmens ("magna quaestio", wie er eingangs von 395 sagt) - nicht in der Lage, eine endgültige Analyse der Lüge vorzulegen. So schreibt er in (395:§5),
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wo es ihm darum geht, klare Fälle von Lügen anzugeben, daß "eine unwahre mit dem Willen zur Täuschung vorgebrachte Aussage" [enuntiatio] offensichtlich eine Lüge sei, fügt aber gleich hinzu, es sei fraglich, ob dies allein eine Lüge sei."^ Daß Augustinus mit "enuntatio" wirklich so etwas wie "Behauptung" meint (es wird gelegentlich auch so übersetzt), ist seiner auf die zitierte Stelle folgenden Diskussion des achten Gebots zu entnehmen. Er sagt dort, in "Du sollst kein falsches Zeugnis geben" sei jegliche Lüge miteingeschlossen, denn "quisquís enim aliquid enuntiat, testimonium 4
perhibet animo suo". Im Anschluß an Augustinus spricht auch Thomas von Aquin bei der Lüge von "enuntiatio" (1265-73:§11.XI.110,1), an einer Stelle (§111,1) sogar von "behaupten" [asserere]. Da Thomas streng zwischen der oratio enuntiativa (Aussage), imperativa (Befehl), interrogativa (Frage), usw. unterscheidet, ist bei ihm eine klare sprachhandlungstheoretische Einsicht in das Verhältnis von Behauptung und Lüge vorhanden. Doch diese Einsichten gingen in der weiteren geistesgeschichtlichen Entwicklung wieder verloren. Kants Redeweise etwa ist schwankend und uneinheitlich: er spricht bei Lügen von "Aussagen" (1 797b:304 = 1 91 2 : 4 26) , wobei er dies auch im juristischen Sinn versteht ( 179 7a :§1.40) , von "Erklärungen" ( 17 97a :11 Ethische Elementarlehre §9, 1 797b : 307=1912 :427) und "Deklarazionen" (1 797b : 305=1912 : 426) , ohne diese Ausdrücke, soweit ich sehe, genauer zu explizieren. Erst Frege war es, der (etwa in 1918-19:62) mit seiner Trennung von Satz, Behauptung und Urteil - Dinge, die in den traditionellen Begriffen der "enuntiatio", der "Aussage" und des "Urteils" oft genug zusammenfließen - die Grundlage für ein modernes Verständnis schuf. Frege sieht es als selbstverständlich an, daß eine Lüge nur eine Behauptung sein kann (1892:37,47; 1918-19:63). Über Hus3
4
"enuntiationem falsam cum volúntate ad fallendum prolatam, manifestum est esse mendacium. Sed utrum hoc solum sit mendacium, alia quaestio est". Den Zusatz macht er unter anderem im Blick auf solche Beispiele wie (12-4); siehe das Zitat zu Beginn von §16. "jeder, der etwas aussagt, legt Zeugnis ab von seiner Gesinnung" (395 :§6) .
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22 Zur Geschichte der Behauptungsbedingung
seri (1901:§VI.68), Bühler (1920:§3) und Dempe (1930) begann diese Auffassung auch in die deutsche Linguistik Eingang zu finden, bis der Faschismus allen Bemühungen um eine erkenntniskritische und gesellschaftlich relevante Sprachtheorie ein Ende setzte. Derweil wurde Freges Auffassung für alle im weitesten Sinne sprachanalytischen Autoren bestimmend (Gardiner 1932:§72, Lewy 1939-40, Russell 1940:§XIV, Moore 1942:542-43, Scholz 1944:§5.2.8, Morris 1946:261-62, Ryle 1950, v.Wright 1957:§1 , Ayer 1959:§II, Hampshire 1959:137, Hungerland 1960:229, Austin 1962:40); heute ist sie für alle Sprachphilosophen und Linguisten verbindlich, die in der einen oder andern Weise an Erkenntnisse der analytischen Philosophie anknüpfen (in Deutschland etwa Klaus 1964:§3.4.1, Kutschera 1971:372, Maas 1972:§8.7, Wunderlich 1972a:§3.6, 1972b: §1.5, 1974:351, 1976:§VI.1; Gabriel 1975:§3.4, 1976:10; Eggs 1976: §5, Verschueren 1979 :§IV.C).3 Alle Autoren stimmen sinngemäß darin überein, daß lügen heißt, einen - wie Austin es formuliert "speech-act of an
a s s e r t i v e
kind" (1962:40)
zu vollziehen. Diese Übereinstimmung sollte jedoch nicht überbewertet werden, denn der Begriff "Behauptung" wird keineswegs einheitlich gebraucht und ist unexpliziert so viel wert wie ein ungedeckter Scheck.
23. Behaupten Was sind Behauptungen? Behauptungen sind sprachliche Handlungen, bei denen sich die Frage nach Wahrheit oder Falschheit erheben kann. Eine solche Chrakterisierung, die sich in ähnlicher Weise schon bei Aristoteles findet (Tugendhat 1976:§4), schl.ießt Handlungen wie feststellen, aussagen, berichten, abstreiten, verneinen, vorwerfen, usw. in die Klasse der Behauptungen ein. Dies
5
Vergleiche die Zitate von Frege, Scholz, Ayer und v.Wright zu Beginn des §12, sowie die von Moore, Maas, Wunderlich und Gabriel in §13.
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ist ein weiter Behauptungsbegriff,® und wenn ich im folgenden davon spreche, daS A behauptet, daß p, so ist "behaupten" als Platzhalter für die erwähnten Behauptungshandlungen zu verstehen. Wenn A festgestellt hat, daß p, ausgesagt hat, daß p, usw. so kann sich die Frage nach der Wahrheit oder Falschheit dessen erheben, was festgestellt, ausgesagt, usw. wurde. Ein Gesprächspartner kann sagen: "Was du gesagt hast, ist wahr", "Was du gesagt hast, ist falsch" - siehe die unter (11-2) und (11-3) aufgezählten Varianten -, und zwar in dem, was ich den "faktiven Sinn" dieser Wendungen genannt habe (18-1). So schreibt Husserl in Anknüpfung an Aristoteles: "Nur bei [Aussagen] ist von Wahr und Falsch die Rede. Ein Wunsch, eine Frage behauptet nichts. Dem Sprechenden kann hier nicht eingewendet werden: was du sagst, ist falsch. Er würde die Einrede garnicht verstehen" (Husserl 1901 :§VI.68) , und Bühler (1920:§3) hat dies wörtlich übernommen. In Abschnitt 11 wurde gezeigt, daß in der Wendung "etwas sagen, was wahr ist" oder "etwas sagen, was falsch ist" für die Analyse des Lügens ein Sinn von "sagen" in Anspruch genommen wird, den wir in Abschnitt 10 mit "sagen/1 bezeichnet hatten. Wir können also in einem ersten Schritt behaupten als einen bestimmten Fall von sagen^ kennzeichnen: (23-1)
A hat gesagt^, daß p, und bei dem, was A gesagt^ hat, kann sich die Frage der Wahrheit oder Falschheit erheben gdw
6
A hat behauptet, daß p.
Andere Autoren bevorzugen einen engeren Behauptungsbegriff, sind dann aber gezwungen, einen eigenen Namen für das zu erfinden, was hier "Behauptungen" heißt. Behauptungen überlappen sich mit Austins "Expositives" (1962:§XII.5), Searles "Representatives" (1 975a :§IV) , Wunderlichs "Repräsentativen" (1 976: §IV.4.3) und entsprechen dem, was Tugendhat "assertorische Rede" nennt (1976:§15). Ich ziehe es vor, beim generischen Ausdruck "Behauptung" zu bleiben, auch in der Gefahr, ihn zu überdehnen. Zu Freges Behauptungslehre siehe insbesondere Dummett (1973: §10). Reprich 1977 hat eine kritische Sichtung der verschiedenen Konzeptionen vorgelegt, der ich manche Einsicht verdanke.
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Diese Bestimmung grenzt Behauptungen ab von anderen illokutionären Akten wie befehlen, bitten, vorschreiben, verlangen, raten usw., aber sie gibt nicht an, was es heißt, eine Behauptung zu machen. Warum machen wir Behauptungen? Von der Theorie der Intentionalen Semantik übernehme ich die Einsicht, daß der Zweck des Behauptens darin besteht, im Adressaten bestimmte epistemische Einstellungen zu erzeugen oder - wie Marty es formuliert - im Hörer Urteile zu erwecken (1908:§86). Wir behaupten, daß p, um zu bewirken, daß unser Gesprächspartner glaubt, daß p. Und warum wollen wir, daß er glaubt, daß p? Wenn wir wahrhaftig sind: weil wir selber glauben, daß p, und wollen, daß er unsere epistemische Einstellung teilt. Es gibt - so könnte man es verkürzt ausdrücken - die Handlung des Behauptens, weil es die Handlung des Mitteilens (Informierens) gibt. Diese aber besteht darin, daß man, wie Frege sagt, "Veränderungen in der gemeinsamen Außenwelt [bewirkt], die, von dem Andern wahrgenommen, ihn veranlassen sollen, einen Gedanken zu fassen und ihn für wahr zu halten" (1918-19:77). Um jedoch das Lügen möglich zu machen, braucht die Sprache keine Mittel über diejenigen hinaus, die das Behaupten möglich machen. Mein eigener Explikationsversuch ist in wesentlichen Punkten derjenige der Intentionalen Semantik, in erster Linie der Schiffers (1972), welcher seinerseits auf Arbeiten von Grice (1957,1969) 7 aufbaut. Wir können dabei auf die bereits in den Abschnitten 10 und 11 der vorliegenden Arbeit erzielten Ergebnisse hinsichtlich sagen, zurückgreifen, vor allem auf Bedingung (10-7), ver7
Eine rohe Skizze der Grundgedanken habe ich in 1975 gegeben. Strawson 1970, Armstrong 1971 und Gandhi 1974 entwickeln Ansätze zu einer intentionalen Kommunikationstheorie. Bennett 19 76 ist der bisher umfassendste Versuch, die Intentionale Semantik in einer teleologisch und genetisch orientierten Handlungstheorie zu fundieren. Nicht überzeugt hat mich Tugendhats Kritik ( 1976 :§14). Unmittelbare Vorläufer der modernen Intentionalen Semantik sind insbesondere Wegener (1885:§II), Husserl 1901, Meinong 1902, Marty 1908 und Peirce um 1908. Innerhalb der analytischen Philosophie stand Moore am Beginn dieser Entwicklung (um 1919 [ = 1962]:§1.23); vergleiche auch Gardiner (19 32 :§31) und Wittgenstein ( 19 46-49 :§XI).
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stärkt in (10-8): wenn jemand etwas gesagt^ hat, so hat er eine vollständige Äußerung geäußert, etwa einen Satz s (siehe das Resümee im letzten Absatz von §11). Diese Bedingung möchte ich jedoch gleich etwas einschränken, denn ich berücksichtige hier nur verbale Äußerungen (5-7). Es gibt im Deutschen Verwendungsweisen von "behaupten", in denen es sich auf non-verbale Handlungen beziehen kann, etwa in (23-2)
Flohe behauptet, gestoßen worden zu sein,
wenn Flohe dem Schiedsrichter durch eine Geste zu verstehen gibt, daß er gestoßen worden sei. Aber da ich in Abschnitt 5 non-verbale Lügen ausgespart habe, will ich bei Behauptungen ebenso verfahren und körpersprachliche Behauptungen aus der Betrachtung ausschließen. Weil behaupten nach (23-1) ein Fall von sagen^ ist, gilt das für sagen^ allgemein Herausgearbeitete entsprechend: Wenn man etwas behauptet hat, so hat man einen Satz s geäußert. Verbunden mit der Einsicht der Intentionalen Semantik, daß behaupten heißt, bewirken wollen, daß ein Adressat das Behauptete glaubt, ergibt dies als vorläufige Analyse: (23-3)
A hat behauptet, daß ρ gdw A hat s geäußert mit der Intention, in einem Adressaten Β den Glauben zu erzeugen, daß p.
Bevor ich diese Analyse weiterentwickle, will ich in einem längeren Einschub eine weitere Charakterisierung des Behauptens in Beziehung zu ihr setzen, was uns dann in die Lage versetzen wird, die in Abschnitt 19 aufgeworfenen Paradoxien zu behandeln. Von jemandem, der behauptet, pflegen wir auch zu sagen, daß er mit der Behauptung die Ansicht äußert oder seine Überzeugung ausdrückt. Nun haben wir den Begriff "äußern" terminologisch bereits fixiert (§ 10), so daß wir ihn nicht im Sinne von "ausdrücken" verwenden wollen. Searle hat bemerkt, daß Behauptungen als Ausdruck des Glaubens zählen, so wie Befehle als Ausdruck des Willens und Glückwünsche als Ausdruck des Gefühls. Allgemein spricht er davon, daß in der Aufrichtigkeitsbedingung jedes illokutionären Akts, der einen pro-
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Behaupten
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positionalen Gehalt hat, ein bestimmter Bewußtseinszustand angegeben werden muß, den der Äußernde mit dem entsprechenden illokutionären Akt ausdrückt; bei der Behauptung ist dies der in der Wahrhaftigkeitsbedingung anzugebende Zustand, daß A glaubt, daß ρ (Searle 1 969 :§3.4.1 , 1 975a:§II.3, 1979 :§I.3) . Zum Begriff "ausdrücken" ist jedoch zu sagen, daß er faktiv ist: man kann nur Überzeugungen ausdrücken, die man wirklich hat. Ein Satz wie (23-4)
Er hat die Überzeugung ausgedrückt, daß p, aber er hatte die betreffende Überzeugung gar nicht
klingt deshalb seltsam. Zur Charakterisierung lügnerischer Behauptungen ist "ausdrücken" also kaum brauchbar: in ihm ist die Aufrichtigkeit bereits eingebaut. Daß ein Lügner den für die Lüge erforderlichen aktiven Glauben, daß nicht p, haben könnte ohne daß ihm dies bewußt wäre, wurde von uns am Ende des Abschnitts 21 ja bereits ausgeschlossen. Wer also behauptet hat, daß p, hat nicht notwendigerweise seine Überzeugung ausgedrückt, sondern vielleicht nur den Schein erweckt, als drücke er seine Uberzeugung aus (Marty 1908:§118, Grice 1978:114; ähnlich Russell 1940: §13.A, 1948:§11.XI.B, Black 1952-53:32; widersprüchlich Husserl 1901 : VI.67, Shwayder 1965:§V.7). Um einen Terminus zur Verfügung zu haben, der afaktiv und damit auf Fälle wahrhaftiger wie unwahrhaftiger Behauptung anwendbar ist, werde ich davon sprechen, daß A mit einer Behauptung verbal einen Glauben ζ u nt A u s d r u c k b r i n g t . Es gilt dann: (2 3-5)
A hat verbal den Glauben ausgedrückt, daß ρ gdw A hat verbal den Glauben zum Ausdruck gebracht, daß ρ A war wahrhaftig darin, daß p.
Wenn aber der Lügner den Schein erweckt, als drücke er seine Überzeugung aus, so folgt daraus nach (23-5) und (16-2), daß er den Schein erweckt, als glaube er, was er behauptet (§31). Die Tatsache, daß man mit Behauptungen einen Glauben zum Ausdruck bringen kann, macht einsichtig, warum man dadurch, daß man behauptet, vortäuschen kann, man glaube. (Vergleiche die Frage: Warum kann man Krankheit simulieren, dadurch daß man sich stöhnend im Bett umherwälzt?) Nur weil in beiden Fällen eine enge Verbindung zwi-
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sehen Akt und Zustand besteht dergestalt, daß man dem Akt entnimmt, daß der Zustand vorliegt; für das Behaupten läßt sich diese enge Verbindung zudem noch als das zum-Ausdruck-Bringen des Zustande durch den Akt beschreiben. Zu fragen ist aber nun nach dem Verhältnis zwischen den drei bislang genannten Charakterisierungen des Behauptens: (2 3-6a) b c
etwas sagen;, bei dem Wahrheit und Falschheit in Betracht kommt (=23-+) etwas verbal äußern mit der Intention, einen Glauben im andern zu erzeugen (=23-3) einen Glauben verbal zum Ausdruck bringen.
Verschiedene Theorien haben verschiedenen dieser Aspekte den Vorrang gegeben. Bühler spricht im Anschluß an Husserl ( 1901 : §1.5-7) und Marty (1908) von den drei Leistungen der Darstellung, Auslösung und Kundgabe (1920: § 1) , später von Darstellungs-, Appellund Ausdrucksfunktion. Russell nennt analog die Zwecke "to indicate facts, to alter the state of the hearer, and to express the state of the speaker" (1940:§14). Und bei Strawson (1970) tauchen die drei Ansätze unter den Bezeichnungen "truth-condition, communication-intention, and belief-expression" auf. In unserer Betrachtung ist (b) die Kernbestimmung. Marty hebt die Pointe gegenüber (c) hervor: "die Kundgabe des e i g e n e n psychischen Lebens ist nicht das Einzige und nicht das Primäre, was beim absichtlichen Sprechen intendiert ist. Das primär Beabsichtigte ist vielmehr eine gewisse Beeinflussung oder Beherrschung des f r e m d e n Seelenlebens im Hörenden. Absichtliches Sprechen ist eine besonde re Art des Handelns, dessen eigentliches Endziel ist, in anderen Wesen gewisse psychische Phänomene hervorzurufen. D i e s e r Intention gegenüber erscheint die Kundgebung oder Anzeige der Vorgänge im eigenen Innern nur als ein Mittel" (Marty 1908:§58). Ähnlich schreibt Peirce zur selben Zeit: "every assertion involves an effort to make the intended interpreter believe what is asserted, to which end a reason for believing it must be furnished. But if a lie would not endanger the esteem in which the utterer was held...the interpreter would have no reason to believe the assertion" (Peirce um 1908: §546). Es wäre demnach verfehlt, das zum-Ausdruck-Bringen eines Glaubens völlig losgelöst vom sozialen Zweck des Behauptens zu betrachten
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(Strawson 1970:Schluß) . Grob gesagt, besteht folgender Zusammenhang zwischen zum-Ausdruck-Bringen und intentionalem Hervorrufen von Überzeugungen: (23-7)
A hat mittels des Zeichens χ die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß ρ gdw A hat χ geäußert mit der Intention, in Β die Überzeugung hervorzurufen, daß p, und zwar u.a. dadurch, daß Β die Überzeugung gewinnt, daß A selbst die Überzeugung hat, daß p.
A darf, wenn er dergestalt eine Überzeugung hervorrufen möchte, nichts tun, was dem zuwiderlaufen und den Eindruck erwecken könnte, als glaube A selbst nicht, was er sagt. (Das "u.a." im Analysans soll beispielsweise die Vertrauenswürdigkeit von A abdecken.) Ein Haupteinwand gegen diese soziale Sicht des zum-Ausdruck-Bringens verweist auf die Möglichkeit einsamen Behauptens, allgemein der solitären Rede. Dieser häufig vorgebrachte Einspruch ist aber abweisbar, da solitäre Rede sich auf der Grundlage dyadischer Kommunikation beschreiben läßt, und nicht umgekehrt (Wegener 1885:§A, Husserl 1901 :§1.8,VI.69, Marty 1908 : § 119 r Peirce um 1908:§546, Grice 1969:§V, Schiffer 1972:§III.4, Clark 1974-75:§4). Ein anderer Einwand moniert, daß hier ein elementarer Begriff wie "zumAusdruck-bringen" vermittels eines entwickelten Begriffs wie "im-andern-erzeugen-wollen" analysiert wird: wir können doch, so wird gesagt, etwas zum Ausdruck bringen, lange bevor wir etwas intendieren können (Moore um 1919[=1962]:§1.23). Gegenüber diesem Einwand ist nun aber sorgfältig auf die Unterscheidung zwischen "zum Ausdruck bringen" und "ausdrücken" (23-5) zu achten: so wie wir den Begriff "zum Ausdruck bringen" verstanden haben, bezeichnet er eben nichts genetisch Elementares. Man kann geradezu sagen, daß ausdrücken genetisch ursprünglicher ist als zum-Ausdruck-bringen. Wenn also, Bühlersch gesprochen, die Ausdrucksfunktion von Behauptungen sich aus ihrer Appellfunktion herleiten läßt, wie steht es mit ihrer Darstellungsfunktion, die bei der Betrachtung der Sprache durch die Brille der Logik im Zentrum steht? In Freges Theorie etwa steht die "Kundgebung des Urteils" und das "Hinstellen des Gedanken als wahr" beim Behaupten unverbunden nebeneinander (1918-19:62). Und in unserer vorläufigen Analyse des Behaup-
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tens (23-3) war von "wahr" und "falsch", wie noch in (23-1), nicht mehr die Rede. Aber es kann doch kein Zufall sein, daß gerade bei denjenigen verbalen Handlungen Wahrheit und Falschheit in Betracht kommt, mit denen ein Glaube ausgedrückt oder erzeugt wird. Die Beantwortung dieser Frage führt jedoch in die Wahrheitstheorie hinein und kann hier nicht unternommen werden. Nur soviel ist zu sagen: wenn gezeigt werden könnte, daß zeitlose Propositionen (§21) nicht die primären Wahrheitsträger sind, sondern solche Sachverhalte, auf die sich epistemische Bewußtseinszustände wie das Glauben beziehen, und daß sekundäre Wahrheitsträger solche Sachverhalte sind, auf die sich Behauptungen beziehen, dann wäre ein Zusammenhang zwischen Wahrheit und Glaube einsichtig. (Eine solche Wahrheitstheorie ist beispielsweise von Russell vertreten worden in 1940:§1 5, 1948 :§11.XI.C.) Die Einführung der Redeweise "einen Glauben zum Ausdruck bringen" und schließlich, "einen Glauben im andern erzeugen wollen" zur Charakterisierung des Behauptens ermöglicht auch eine Lösung von Moore's Paradox "p, aber ich glaube nicht, daß p" (19-5) und anderen in Abschnitt 19 genannten Paradoxien. Sofern mittels des gesamten Satzes (19-5) etwas behauptet werden soll - es sich also nicht um einen plötzlichen Sinneswandel oder ein Lügengeständnis des Äußernden handelt -, würde im ersten Teilsatz ein Glaube zum Ausdruck gebracht, von dem der Äußernde im zweiten Teilsatz sagt, daß er ihn gar nicht hat (vergleiche Searle 1969:Fn zu §3.4.1, Dummett 1973:330). Und obwohl der ganze Satz nicht kontradiktorisch ist - es mag ja sein, daß etwas der Fall ist, was A nicht glaubt -;die Äußerung des Satzes ist eine Form von illokutionärem Harakiri, denn was im ersten Teil zum Ausdruck gebracht zu werden scheint, wird im zweiten annulliert. Die gesamte Äußerung könnte, ernsthaft und wörtlich, nur Ausdruck des Glaubens sein, daß ρ und g
nicht p, also Ausdruck gar keines Glaubens, da niemand etwas Kontradiktorisches, gegen das Prinzip des ausgeschlossenen Wider8
Wenn wir einmal davon absehen, daß er auch Ausdruck des folgenden Glaubens sein könnte: p, aber wahrscheinlich nicht p. Das verwandte Paradox "p, aber ich glaube, daß nicht p" ist etwas anders zu erklären (Armstrong 1971:435).
23
Behaupten
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spruchs (21-6) Verstossendes, aktiv glauben kann. Was Moore's Paradox sagt, ist "necessarily u n b e l i e v a b l e by the speaker" (Hintikka 1962:§4.6). Aus dem gleichen Grund sind die in (19-4) genannten anderen Sätze absurd, die besagen, daß A's eigene Äußerung gelogen ist. Jeder Versuch, zu behaupten, daß man selbst jetzt gerade lügt, schlägt mit tödlicher Sicherheit fehl (Gardiner 19 32:§72, Ehrich & Saile 19 72 :§3.1.2); man müßte nämlich zu diesem Zweck behaupten, daß man nicht aktiv glaubt, was man gleichzeitig zum Ausdruck bringt. Dieser selbstzerstörerische Charakter fehlt bei Sätzen der Form "p, aber er glaubt nicht, daß ρ", da hier derjenige, der zum Ausdruck bringt und derjenige, der nicht glaubt, zwei verschiedene Personen sind. Unter Ausnutzung des Zusammenhangs von zum-Ausdruck-bringen und erzeugen wollen (23-7) können wir die Erklärung noch weiter vortreiben (Armstrong 1971:434, Clark 1974-75). Denn, wie kann A vernünftigerweise erwarten, in Β die Überzeugung hervorzurufen, daß ρ und daß A nicht glaubt, daß p, dadurch daß Β dieser Äußerung entnehmen soll, daß A die betreffende Überzeugung hat? Wenn A sagt (23-8)
Es regnet draußen, aber ich glaube es nicht,
und in Β sowohl den Glauben erzeugen will, daß es regnet, als auch den Glauben, daß A selbst dies nicht glaubt, wie kann er hoffen, überhaupt den ersten Glauben zu erzeugen? Das würde doch erfordern, daß ihn Β für sowohl wahrhaftig als auch sachkundig hält - daß Β also sowohl glaubt, daß A glaubt, daß es draußen regnet, als auch glaubt, daß das stimmt, was A glaubt, so daß er A's Glauben übernimmt. Durch den zweiten Teilsatz "aber ich glaube es nicht" macht A jeden Glauben an seine Wahrhaftigkeit bereits zunichte - denn daß ihm selbst, zumal in der kurzen Zeitspanne, nicht entgangen sein kann, was er aktiv glaubte, war schon betont worden - und unterminiert dadurch den Glauben an seine Zuverlässigkeit. Solche Überlegungen müßten Β allenfalls zu der Überzeugung führen, daß A's Äußerung nicht wörtlich ist, er z.B. damit nur seine Überraschung über den Regen zum Ausdruck bringen will ("Ich kann es kaum glauben, daß es draußen regnet"), oder daß sie nicht ernsthaft ist, sondern z.B. ein Jux oder ein Zitat.
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Ebenso im Fall der Äußerungen (19-4): Wenn A dergestalt seine eigene Glaubwürdigkeit unterhöhlen würde, wäre seiner epistemischen Vertrauenswürdigkeit jede Grundlage entzogen, welche doch notwendig dafür ist, daß andere sich seine Überzeugungen zu eigen machen. Auf die Rolle von Glaubwürdigkeit und epistemischer Vertrauenswürdigkeit werden wir im nächsten Abschnitt genauer eingehen; Ernsthaftigkeit und Wörtlichkeit werden uns in Abschnitt 30 beschäftigen. Kehren wir zurück zu unserer vorläufigen Analyse des Behauptens (23-3) vermittels der absichtlichen Erzeugung eines Glaubens. Um zu sehen, was die Analyse leistet, kann man noch einmal die alten Beispiele (10-5) betrachten. In allen Fällen hat A - wie wir unterstellen - nichts behauptet, und (23-3) gibt an, warum: in allen Fällen hat A nicht intendiert, in Β die epistemische Einstellung zu erzeugen, daß p. Aber das Analysans von (23-3) ist weder hinreichend noch notwendig: es muß bezüglich der Art der Intention A's, der Art der epistemischen Einstellung B's, und bezüglich der Art des geäußerten Satzes s modifiziert werden. Ich will auf die drei Modifikationen der Reihe nach eingehen. Wie Grice(1957, 1969 :§111) und Schiffer (1972 :§11.1-2) erwiesen haben, muß die Intention des Äußernden offen, d.h. von bestimmter, kommunikativer Art sein, um als Analysans für behaupten und andere sprachliche Handlungen in Betracht zu kommen. A darf Β über die Art und Weise nicht täuschen, in der er in ihm den Glauben erzeugen will, vielmehr muß er ihm einen Grund geben, es zu glauben: die Möglichkeit, daß versteckte Intentionen oder irrationale Ursachen konstitutiv für das Behaupten - sei es wahrhaftig oder lügenhaft sind, muß ausgeschaltet werden. Die resultierenden Bedingungen, die teilweise recht komplex sind, möchte ich hier nicht vollständig wiedergeben; stattdessen übernehme ich einen terminologischen Vorschlag von Grice und Schiffer (1972 :§V.1) und führe den speziellen Begriff der "M - I η t e η t i ο η" ein, der folgendermaßen definiert ist: (23-9)
A hat s geäußert mit der M-Intention, den Glauben zu erzeugen, daß ρ gdw A meinte
, indem er s geäußert hat, daß ρ
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Der Ausdruck "meinen" trägt einen Index (NN für nicht-natürlich), um den hier in Betracht kommenden Sinn "sagen wollen" oder "zum Ausdruck bringen wollen" von anderen Verwendungsweisen abzuheben (Grice 1957); diese betrachten wir eingehender in Abschnitt 30. Innerhalb des nicht-natürlichen Sinns von "meinen" unterscheiden wir streng die Wendungen "A meinte NN , indem er χ äußerte, daß..." und "A meintex,„ " . . . " mit x", die logisch voneinander unabhängig NN ' sind. Das läßt sich folgendermaßen zeigen. Es ist möglich, daß A mit den Worten "Du bist blau" meint NN "Du bist betrunken", aber nicht meint^, daß der Angeredete betrunken ist - die Äußerung kann Teil der längeren Äußerung sein "Du bist blau oder ein Esel"; umgekehrt ist es möglich, daß A, indem er äußert "Du bist blau" meint NN , daß der Angeredete großes Glück gehabt hat, ohne mit den Worten "Du bist blau" zu meinen^^ "Du hast großes Glück gehabt" - die Äußerung kann eine aus der Gesamtsituation verständliche kreative Sinnschöpfung sein. Halten wir fest: (23-10)
A kann, indem er χ äußert, meinen^, daß p, ohne zugleich mit χ "p" zu meinen NN ; und umgekehrt
Grice spricht bei "meinen^, indem" von "ütterer's occasion meaning", dem bei einer Gelegenheit vom Äußernden Gemeinten; bei "meinenNN mit" dagegen spricht er von "occasion-meaning of on utterance-type" dem bei einer Gelegenheit mit einem Xußerungstyp Gemeinten ( 1969 :§1.3-4). Insbesondere ist es möglich, etwas zu meinen NN , indem man χ äußert, ohne daß χ Bedeutung hat; dagegen kann A "..." mit χ nur meinen NN , wenn (er glaubt, daß) χ bereits "..." bedeutet (Schiffer 1972:§I.1-2, Falkenberg 1975:281). Das Analysans von (23-9) kann in einem zweiten Schritt folgendermaßen analysiert werden: (23-11) A meinte NN , indem er s geäußert hat, daß ρ gdw A hat s geäußert mit der Intention, einen Zustand zu schaffen derart, daß A und Β wechselseitig glauben, daß A primär intendiert, in Β den Glauben zu erzeugen, daß D (genauer Schiffer 19 72 :§111.2) . A und Β glauben wechselseitig, daß ρ gdw A glaubt, daß Β glaubt, daß A glaubt..., daß p, und Β glaubt, daß A glaubt, daß Β glaubt ..., daß ρ (Schiffer 1972:§11.2). Wenn wir das Analysans von (23-11)
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in (23-9) einsetzen, sehen wir, daß der Terminus "A M-intendiert, daß" eine Abkürzung ist für "A intendiert, einen Zustand zu schaffen derart, daß A und Β wechselseitig glauben, daß A primär intendiert, daß". Dies ist die für das Behaupten erforderliche Art der kommunikativen Intention. Eine solche Intention kann nur erfüllt werden, wenn eine wechselseitige epistemische Einstellung besteht zwischen dem, der die Intention hat und dem, auf den sie sich richtet. Soweit die erste Modifikation der vorläufigen Analyse (23-3), diejenige hinsichtlich der Art der Intention des Äußernden. In anderer Hinsicht ist (23-3) jedoch zu stark. Um Fälle in die Analyse des Behauptens miteinzubeziehen, in denen A der Uberzeugung ist, daß Β bereits latent glaubt, daß p, muß die epistemische Einstellung des Adressaten auf " a k t i v e n " Glauben beschränkt werden (Grice 1969:§IV). Jemanden an etwas erinnern, das ihm momentan entfallen ist, oder jemanden auf etwas hinweisen, das er im Augenblick nicht präsent hat, sind Beispiele für solche Fälle: (23-12a) b
B: "Was sagte ich, wollte ich mitbringen?" A: "Joghurt." B: "Man sollte ihn mal gehörig durchprügeln." A: "Du weißt, daß ich da anderer Ansicht bin."
Es ist im ersten Beispiel selbstverständlich nicht A's Absicht, Β zu der U b e r z e u g u n g zu bringen, daß dieser gesagt hat, er wolle Joghurt mitbringen; sowenig wie es im zweiten Beispiel A's Intention ist, in Β die Auffassung zu erzeugen, daß A anderer Ansicht ist. Denn A ist in beiden Fällen der Auffassung, daß Β die betreffenden epistemischen Einstellungen latent bereits hat; was er intendiert, ist, daß Β im Kopf hat oder daran denkt, daß p. Grice hat eine Reihe weiterer Beispiele vorgebracht (in einer Prüfung auf eine Frage antworten, gestehen, usw.) und aus ihnen den Schluß gezogen, daß das Analysans von (23-3) etwa folgendermaßen abzuschwächen sei: (23-13)
A hat s geäußert mit der Intention, in Β den Glauben zu erzeugen, daß A a l a u b t , daß ρ (Grice 1969: §IV) .
Dies ist jedoch inadäquat (Schiffer 1972:§11.3b, Gandhi 1974: §IV Postscript).
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Die dritte Modifikation schließlich betrifft die Art des geäußerten Satzes s. Es scheint eine notwendige Bedingung für "A behauptet, daß p" zu sein, daß A einen Satz s äußert, der "p" bedeutet (Schiffer 1972:§IV.2). D.h., wenn A mittels s behauptet, daß p, m e i n t ^ er nicht nur, daß p, sondern m e i n t ^ auch "p" mit s. Behaupten scheint demnach gekennzeichnet zu sein durch Koinzidenz von wörtlicher Bedeutung (A meint "p" mit s) und dem, was gem e i n t ^ wird, indem der Satz geäußert wird. Die gegenüber anderen Auffassungen scharf gezogenen Grenzen dieses Behauptungsbegriffs werden bei der Diskussion ironischer und metaphorischer Äußerungen deutlich werden (§30). Aus dem Gesagten folgt, daß man Behauptungen machen kann nur dadurch, daß man D e k l a r a t i v s ä t z e (Aussagesätze) äußert, bzw. Ausdrücke, die in Deklarativsätze expandierbar sind, wie z.B. A's Antwort (23-12a). Dies ist ein Indiz für die Sonderstellung der Behauptung im Vergleich zu anderen illokutionären Akten: denn man kann etwa Befehle geben, dadurch daß man Deklarativsätze äußert, wie in (23-14) A zu B: "Du verschwindest augenblicklich", aber offenbar nicht Behauptungen machen mittels Imperativsätzen. Von nun an werde ich darum statt der Variablen "s" die speziellere Variable "σ" für Deklarativsätze benutzen. Unter Berücksichtigung dieser drei Modifikationen -"M-Intention" anstelle von "Intention", "aktiver Glaube" anstelle von "Glaube", und "Deklarativsatz" anstelle von "Satz" - können wir die vorläufige Analyse (23-3) folgendermaßen präzisieren, wobei wir die Zeitvariable t (§21) mit einbauen: (23-15)
A hat zu t behauptet, daß ρ gdw (a) A hat zu t den Deklarativsatz σ geäußert (b) A hat, indem (a), M-intendiert, daß ein Adressat Β aktiv glaubt, daß ρ (c) A meinte„.T zu t "p" mit σ. NN
Was den geäußerten Deklarativsatz σ betrifft, so nehme ich im folgenden an, daß es sich um einen einfachen Satz im Indikativ Präsens ohne indexikalische Ausdrücke handelt. Später werde ich diese Beschränkungen wieder etwas lockern (§VI).
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24. Glücken, Gelingen und Erfolg von Behauptungen Bisher habe ich die Akt-Objekt-Ambiguität von "Äußerung", "Behauptung", "Lüge" und anderen Ausdrücken ausgenutzt, und einerseits den Vorgang des Äußerns, Behauptens und Lügens, andererseits das Ergebnis dieser Vorgänge damit bezeichnet (§10). Ich will diese angenehme Ambiguität in den folgenden Abschnitten beibehalten, da dem jeweiligen Zusammenhang sich entnehmen läßt, was gemeint ist, und eine konsequente terminologische Unterscheidung auf Kosten der Lesbarkeit ginge. Genauer zwischen dem Behaupten und dem Behaupteten unterscheidet etwa Tugendhat (1976 :§16 . III). Wenn man sich diese Laxheit bewußt hält, kann man (unter Ignorierung der Zeitvariablen) folgende Explikation von "Behauptung" geben: (24-1)
Die Äußerung von σ war eine Behauptung von A gdw A hat dadurch, daß er σ geäußert hat, etwas behauptet.
Da der Zweck des Behauptens darin besteht, im Adressaten bestimmte epj.stemische Einstellungen zu erzeugen (§23), ist eine Behauptung erfolgreich dann und nur dann, wenn dieser Zweck erfüllt wird, und erfolglos genau dann, wenn er nicht erfüllt wird. Die Behauptung ist gelungen, wenn und nur wenn der Adressat erkennt, welche epistemische Einstellung der Äußernde in ihm erzeugen will, und mißlungen, wenn der Adressat dies nicht erkennt. Schließlich ist etwas als Behauptung geglückt genau dann, wenn es eine Behauptung ist, ansonsten mißglückt. Ich will die drei Ebenen dessen, was nicht schief bzw. schief gehen kann, "die Ebene des Glückens und Mißglückens", "die Ebene des Gelingens und Mißlingens" und "die Ebene des Erfolgs (Erfolgreichseins) und Mißerfolgs (Erfolglosseins) " nennen; all drei will ich unter der Bezeichnung "Ebenen des N i c h t s c h e i t e r n s und des S c h e i t e r n s sprachlicher Äußerungen" zusammenfassen. Im Zusammenhang des Behauptens schlage ich folgende Analysen vor: (24-2a)
Die Äußerung von σ war als Behauptung von A, daß ρ g e g l ü c k t gdw A hat dadurch, daß er σ geäußert hat, behauptet, daß ρ
24 Glücken,
(24-2b)
Gelingen,
Die Behauptung von A, daß p, war gdw
c
(a)
A hat behauptet, daß ρ
(b)
Β hat erkannt, daß (a)
Die Behauptung von A, daß p, war gdw
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Erfolg
g e l u n g e n
e r f o l g r e i c h
(a)
A hat behauptet, daß ρ
(b)
Β hat erkannt, daß (a)
(c)
Β hat den aktiven Glauben, daß p, u.a.weil (b).
Der Vollständigkeit halber seien auch die entsprechenden negativen Begriffe aufgeführt: (24-3a)
Die Äußerung von σ war als Behauptung, daß p, m i ß g l ü c k t gdw die Äußerung von σ als Behauptung, daß p, nicht geglückt war
b
Die Behauptung, daß p, war m i ß l u n g e n Behauptung, daß p, nicht gelungen war
gdw
die
c
Die Behauptung, daß p, war e r f o l g l o s Behauptung, daß p, nicht erfolgreich war.
gdw
die
Aus der Analyse ist ersichtlich, daß der Erfolg einer Behauptung ihr Gelingen einschließt, und das Gelingen wiederum einschließt, daß die Äußerung des Deklarativsatzes σ als Behauptung geglückt ist. Dies ist für den gewöhnlichen Fall selbstverständlich nicht im Sinne eines zeitlichen Nacheinander aufzufassen: so als ob der Adressat die einzelnen Stadien dergestalt durchliefe, daß er z u e r s t feststellt, daß die Äußerung von A geglückt ist, d a n n sie zu verstehen sucht, und sich s c h l i e ß l i c h fragt, ob er das Behauptete glauben soll. Darauf weisen Meinong und Russell hin: "wenn mir Jemand etwas erzählt, ist meine normale Reactionsweise darauf die, daß ich das Erzählte glaube... [Aber ich] verstehe den im guten Glauben abgestatteten Bericht eines notorisch Leichtgläubigen oder Abergläubigen, auch wenn ich mich durch ihn keineswegs überzeugen lasse. Auch Zeitungsberichte versteht man, obwohl man sich für deren Zuverlässigkeit nur in den seltensten Fällen würde verbürgen wollen" (Meinong 1902:§7; vergleiche Marty 1908:§80) "believing a sentence is a simpler occurrence than understanding without belief; I think the primitive reaction is belief, and that understanding without belief involves inhibition of the impulse to belief" (Russell 1948:§II.V).
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Glauben ist ursprünglicher als Verstehen ohne Glauben, oder als Aufschieben (Spinoza um 1663-75:§11.49, scholium); ebenso ist auf Seiten des Äußernden ausdrücken ursprünglicher als zum Ausdruck bringen (§23). Ob etwas als Behauptung glückt, ist allein Sache des Äußernden; ob eine Behauptung gelingt und erfolgreich ist, ist Sache des Äußernden u n d des Adressaten. Das Millingen einer Äußerung als Behauptung kann verschiedene Gründe haben: es ist möglich, daß überhaupt keine Behauptung zustande kam, oder aber Β nicht erkannt hat, welche epistemische Einstellung A in ihm mit seiner Behauptung erzeugen wollte. Der Mißerfolg kann darüber hinaus noch darin begründet sein, daß Β dem A die Behauptung "nicht abnimmt" oder "abkauft". Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Konstruktion "jemandem glauben", im Vergleich zu "etwas glauben". Denn wenn Β dem A glaubt, so setzt dies voraus, daß A etwas behauptet hat, und heißt: Β glaubt, was A gegenüber Β behauptet hat. (Wir werden gleich ausführlicher darauf eingehen.) Die Behauptung ist trivialerweise erfolglos, wenn Β den aktiven Glauben bereits hat. Betrachten wir einige Beispiele. Zunächst eines, das schon früher angeführt wurde (10-5e): (24-4)
A: "Hannibal ist ein -" (und wird unterbrochen),
A entschließt sich aufgrund einer Störung von außen, die begonnene Äußerung nicht zu Ende zu führen. Da er nichts behauptet hat, ist seine Äußerung als Behauptung mißglückt. Eine andere Person daran zu hindern, eine vollständige Äußerung, etwa einen ganzen Deklarativsatz, zu äußern, ist eine der wenigen Möglichkeiten, die man hat, die Äußerung eines andern als Behauptung mißglücken zu lassen. Dagegen kann man jemanden nicht am Behaupten hindern, indem man ihn überschreit oder das Megaphon -lauter dreht. Andere Fälle des Mißglückens einer Äußerung als Behauptung sind: A versagt die Stimme, sein Farbband geht plötzlich aus, oder er fällt mitten im Satz in Ohnmacht. Zum Glücken einer Äußerung als Behauptung bedarf es keines Rezipienten; es ist möglich, daß A etwas behauptet und niemand anderes jemals von seiner Behauptung Notiz nimmt, sie versteht oder gar akzeptiert. (Aus diesem Grund spreche ich durchgehend vom "Adressaten", vom "Rezipienten" jedoch nur, wenn A's sprachliche Handlung gelungen ist.)
24 Glücken,
Gelingen,
Erfolg
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Eine Behauptung mißlingt, wenn der Adressat nicht versteht, was A behauptet hat, und zwar in allen möglichen Verwendungsweisen von "verstehen": der Krach war zu laut; Β hat das Zimmer längst verlassen; der Brief ging unterwegs verloren; Β kennt die Bedeutung einiger oder aller von A verwendeten Ausdrücke nicht; Β kapiert beim besten Willen nicht, worauf A hinauswill; 'usw. Schließlich ist es möglich, daß eine gelungene Behauptung nicht von Erfolg gekrönt ist, weil der Rezipient dem Äußernden mißtraut, ihn für inkompetent hält, sich weigert zu glauben usw. Ein Grund für Skepsis auf Seiten des Rezipienten ist selbstverständlich seine Befürchtung, A könnte gelogen haben. Sicherlich lassen sich noch weitere Ebenen des Nichtscheiterns und des Scheiterns von Behauptungen unterscheiden, worunter ich in leichter Überdehnung auch das Nichtscheitern und Scheitern von Äußerungen a l s Behauptungen verstehen möchte; ich will mich mit den drei vorgeschlagenen begnügen (Austin 1962:§II-IV, Wunderlich 1976:§111.3) . Nach diesen Illustrationen möchte ich einige Begriffe einführen, die schon bei der Diskussion von Moore's Paradox und anderen selbstzerstörerischen Äußerungen in Anspruch genommen worden waren (§23) . Diese Begriffe betreffen ausschließlich die letzte der drei genannten Ebenen des Nichtscheiterns bzw. Scheiterns von Behauptungen. Wir wollen das ominöse "u.a." in der letzten Klausel von (24-2c) jetzt ein wenig aufdröseln. Jemandem glauben oder seine Behauptung akzeptieren, läßt sich analytisch in zwei aufeinander folgende Schritte zerlegen. Ich möchte dies so beschreiben, daß auch der Fall des Irrtums miterfaßt ist, bei dem Β dazu kommt, etwas zu glauben, von dem er f ä l s c h l i c h e r w e i s e annimmt, es sei die Überzeugung A's - gleich, ob nun durch eine Lüge von A oder durch einen eigenen Fehler. Β hat gewöhnlich nur dann Grund zu glauben, was A behauptet hat, wenn Β zum einen annimmt, daß A wahrhaftig ist, also glaubte, was er behauptet hat. Die Eigenschaft einer Person, von anderen für wahrhaftig gehalten zu werden, nenne ich "Glaubw ü r d i g k e i t " und expliziere sie in der Form des folgenden theoretischen Schlusses:
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A ist glaubwürdig für Β gdw Β glaubt, daß: Wenn A etwas behauptet, dann glaubt A, was er behauptet.
Hieraus folgt nach unserer Explikation der Wahrhaftigkeit (16-2), daß Β den A für wahrhaftig hält, sofern dieser etwas behauptet hat. Jemand kann selbstverständlich glaubwürdig sein ohne wahrhaftig zu sein, und umgekehrt: (24-5) besagt nur, daß B, wenn er A als wahrhaftig ansieht,. einen Grund hat, von dessen Behauptung überzugehen zu dem Glauben, daß A selbst das Behauptete glaubt. Dies setzt voraus, daß Β sich eine Meinung darüber bildet, was A behauptet hat. Glaubwürdigkeit allein ist aber noch keine Garantie für den Erfolg von Behauptungen: wenn jemand als inkompetent, desorientiert, uninformiert, kurz: als nicht s a c h k u n d i g gilt, werden seine Behauptungen schwerlich Abnehmer finden, egal ob er glaubwürdig ist oder nicht. Die Eigenschaft einer Person, von anderen für sachkundig gehalten zu werden, nenne ich mangels eines besseren Ausdrucks "epistemische V e r t r a u e n s w ü r d i g k e i t " und expliziere sie in der Form des folgenden theoretischen Schlusses: (24-6)
A ist epistemisch vertrauenswürdig für Β gdw Β glaubt, daß: Wenn A etwas glaubt, dann ist es so, wie A glaubt.
Epistemische Vertrauenswürdigkeit ist ein Sonderfall von Vertrauenswürdigkeit allgemein, welche die Eigenschaft ist, für verläßlich angesehen zu werden. Vertrauenswürdig ist einer, dem man vertraut. Jemand kann selbstverständlich epistemisch vertrauenswürdig sein ohne sachkundig zu sein, und umgekehrt: (24-6)' sagt nur, daß B, wenn er A als sachkundig ansieht, Grund hat, von dessen Überzeugung überzugehen zu der eigenen Überzeugung, daß es so ist, wie A glaubt. Das setzt allerdings voraus, daß Β ermittelt, was A's Überzeugungen sind. Die epistemische Vertrauenswürdigkeit kann also für den Rezipienten erst ins Spiel kommen, wenn die Glaubwürdigkeit ihre Rolle gespielt hat: Ist A glaubwürdig, aber nicht epistemisch vertrauenswürdig darin, daß p, muß Β sich damit zufriedengeben, zu glauben, daß A glaubt, daß p; ist A dagegen epistemisch ver-
24 Glücken,
Gelingen,
Erfolg
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trauenswürdig ohne glaubwürdig zu sein, so weiß Β überhaupt nicht, was er glauben soll, sofern er nicht aus anderen Quellen schöpft. Glaubwürdigkeit ist die kommunikative Basis für epistemische Vertrauenswürdigkeit (ähnlich schon Cicero 44 v.Chr.:§11.9,34). In dem besonderen Fall, in dem Β glaubt, daß A sowohl lügt als auch sich irrt - eine Erweiterung unseres alten Beispiels (12-4) -, glaubt B, daß es wahr ist, was A gesagt hat. Glaubwürdigkeit wie Vertrauenswürdigkeit müßten in einer genaueren Explikation gradiert, und auf bestimmte Bereiche beschränkt werden, in denen sie jeweils gelten. Ein Experte für Astrophysik beispielsweise ist nicht notwendigerweise auch auf dem Gebiet der Kindererziehung epistemisch vertrauenswürdig. Jede Person ist aber selbstverständlich sachkundig und gilt als unbedingt vertrauenswürdig, was ihren Unfehlbarkeitsbereich Ψ angeht (17-1). Falls es überhaupt etwas derartiges gibt, könnte sich dort nur noch die Frage der Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit erheben. Beide, Glaubwürdigkeit und epistemische Vertrauenswürdigkeit, sind nach unserer Analyse von derselben logischen Form, nämlich "B glaubt, daß: Wenn A die propositionale Einstellung hat, daß p, dann...". Die Glaubwürdigkeit A's führt Β von den Behauptungen A's zu dessen epistemischen Einstellungen: die epistemische Vertrauenswürdigkeit A's führt Β von A's epistemischen Einstellungen zur Vielt. Wir entnehmen der Rede eines Anderen etwas über die Welt, indem wir im ersten Schritt von ihrer Rede auf ihr Bewußtsein schließen, und im zweiten Schritt von ihrem Bewußtsein auf die Welt (wozu selbstverständlich auch Sprache und Bewußtsein gehören). Machen wir uns den Zusammenhang klar. (24-7a) b
Β glaubt, daß A gegenüber Β behauptet hat, daß ρ A ist glaubwürdig für B.
Bei Ersetzung des Analysans von (24-5) für (24-7b) folgt daraus: (24-8)
Β glaubt, daß A glaubte, daß p.
Wenn nun A zusätzlich epistemisch vertrauenswürdig ist, so folgt aus (24-8) und dem Analysans von (24-6): (24-9)
Β glaubt, daß p.
Wenn wir in diesem Zusammenhang von "schließen", "entnehmen".
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"ermitteln" usw. sprechen, so wird damit nicht beansprucht, irgendwelche psychischen, in der Zeit ablaufenden Prozesse zu beschreiben; vielmehr handelt es sich um logische Rekonstruktionen. Der Anschein eines zeitlichen Nacheinander kommt dadurch zustande, daß Β beim Glauben stehen bleibt, daß A glaubt, daß p, wenn das Vertrauen fehlt; ebenso bleibt Β ja bereits beim Glauben stehen, daß A behauptet hat, daß p, wenn es an Glaubwürdigkeit mangelt. Solange aber nichts dafür spricht, daß der Äußernde nicht glaubund vertrauenswürdig ist, vollziehen wir die Unterstellung der Wahrhaftigkeit und Sachkundigkeit ganz selbstverständlich: wir geben dem Äußernden einen "Glaubwürdigkeitsbonus" und einen "Vertrauensvorschuß". Vertrauenswürdigkeit ist also gewöhnlich beim Akzeptieren einer Behauptung mit Glaubwürdigkeit verknäult. "Ich glaube dir das nicht" kann eben beides sein, Absprechen der Wahrhaftigkeit oder der Sachkundigkeit. Klar voneinander scheidet es Marty: "Wenn die Äußerung meines eigenen Urteilens oder der Schein einer solchen, Mittel sein soll um einem anderen ein gleiches Urteilen zu suggerieren, so muß dieser einerseits Vertrauen in meine V / a h r h a f t i g k e i t haben und auf Grund dessen überzeugt sein, daß ich eine gewisse Aussage nicht lügenhaft. . .mache . Außerdem ist...die Zuversicht vorausgesetzt, daß mein urteilendes Verhalten richtig sei. Ich muß ihm also als A u t o r i t ä t und Garantie für die Wahrheit des Geurteilten gelten" (Marty 19θ8:§59). Einflußreiche Diskussionen dieser Fragen finden sich bereits bei Thomas von Aquin (1257-58:§111.1.1), Hobbes (1651:§VII) und Locke (1706 :§IV.XV-XVI); im Rahmen der Intentionalen Semantik bei Armstrong (1971:433) und Bennett (1976:§45). Im Anschluß daran können wir den Fall, in dem eine Behauptung deshalb Erfolg hat, weil der Äußernde dem Rezipienten wahrhaftig wie sachkundig erscheint, unter der Bezeichnung zusammenfassen: "B glaubt, was A behauptet hat, vermöge der A u t o r i t ä t von A (für B)". Dies heißt für den Rezipienten, ein Risiko einzugehen und über die unmittelbare Evidenz hinauszugehen, indem er dem Äußernden Glaubwürdigkeit kreditiert und einen Vertrauensvorschuß gewährt. Im nächsten Abschnitt wird sich allerdings zeigen, daß es Formen des Behauptens gibt, für die nicht Treu und Glauben, sondern andere Erfolgsbedingungen maßgebend sind.
99 25. Lüge und Behauptung In diesem Abschnitt werde ich angeben, was eine Lüge ist, was "gelogen" heißt, und wie die Beziehung von Lüge und Behauptung aussieht. (25-1a)
b
Die Äußerung von σ war eine Lüge von A gdw Die Äußerung von σ war (von A) gelogen Die Äußerung von σ war keine Lüge von A gdw Die Äußerung von σ war nicht (von A) gelogen
(25-2a)
Die Äußerung von σ war (von A) gelogen gdw
b
A hat gelogen, dadurch daß er σ geäußert hat
Die Äußerung von σ war (von A) nicht gelogen gdw A hat nicht gelogen, dadurch daß er σ geäußert hat.
In (25-2) werden Explikationen von Begriffen geliefert, auf die wir uns in Abschnitt 16 bei der Analyse der Wahrhaftigkeit und Unwahrhaftigkeit vorab gestützt hatten. Ein Standardverb in Verbindung mit dem Substantiv "Lüge" gibt es im Deutschen nicht: neben dem farbigen "auftischen" kommen eigentlich nur "erzählen", "vorbringen" und "aussprechen" in Betracht. VJenn wir (25-1a) und (-2a) zusammenziehen und das Analysans "A hat gelogen" nach (21-9) und (24-1) ersetzen, so erhalten wir: (25-3)
Die Äußerung von σ war eine Lüge (von A) nur wenn Die Äußerung von σ war eine Behauptung (von A).
Mit anderen Worten: Lügen sind besondere Behauptungen. Ich halte dies explizit als These fest, da es gelegentlich bestritten wird (damit werden wir uns in §31 auseinandersetzen). Die Lüge ist kein besonderer illokutionärer Akt, sondern ein Behauptungsakt unter der zusätzlichen Bedingung, daß der Behauptende unwahrhaftig ist. Wir unterscheiden uns damit etwa von Searle, der die Lüge als eine "beschädigte (defective) Behauptung" ansieht (1975b:§II). Er tut dies in Anlehnung an Austins Theorie
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IV LÜGEN: DER ZENTRALE FALL
des Verunglückens (infelicity) sprachlicher Handlungen (1962:§IIIV). Austin hatte noch sorgfältig Unaufrichtigkeiten - der Akt ist hohl - und Fehlschläge - der Akt ist null und nichtig - unterschieden. Searle kann aber aufgrund seiner Theorie nicht mehr angeben, worin der Defekt einer Lüge eigentlich besteht. Bei der Analyse des Versprechens, anhand dessen Searle seine Theorie entwickelt, betrachtet er bei der Formulierung der für den Vollzug eines illokutionären Akts notwendigen Bedingungen die Unaufrichtigkeit nicht. Unaufrichtigkeit tut dem illokutionären Akt nämlich überhaupt keinen Abbruch; ein unaufrichtiges Versprechen bleibt ein Versprechen (Austin 1962:11, Searle 1969:§3.2). In der endgültigen Formulierung der Regeln unterläßt Searle es dann, eine angemessen erweiterte Fassung der Aufrichtigkeitsregel anzugeben, die aufrichtiges und unaufrichtiges Versprechen gleichermaßen erfaßt. Und es ist klar, wieso: die Aufrichtigkeitsregel ist überhaupt keine Regel, die befolgt werden müßte, um Behauptungen unbeschädigt zu vollziehen. Searle hat also keinerlei Berechtigung, die Auffassung Wittgensteins zu kritisieren, Lügen sei ein Sprachspiel, das gelernt sein wolle, wie jedes andre ( 1936-45:§249, 1934-36:296). Searle hält dem entgegen, lügen bestehe gerade in der Verletzung einer der regulativen Regeln für das Behaupten (1975b:§II). Aber weder deckt sich Wittgensteins Sprachspielbegriff mit dem Begriff des illokutionären Akts, noch hat Searle jemals die beschworene regulative Regel angemessen zu formulieren vermocht. Freilich könnte Wittgenstein auch mit der Intentionalen Semantik nicht übereinstimmen, will er doch "radikal mit der Idee brechen, die Sprache funktioniere immer auf e i n e Weise, diene immer dem gleichen Zweck: Gedanken zu übertragen" (1936-45 :§304, schärfer noch 1945-48:§322). Daß auch wir diese Idee nicht vertreten, sollte deutlich geworden sein; nur hält uns dies nicht davon ab, in der schier unübersehbaren Vielfalt der Sprachspiele fundamentalere von weniger fundamentalen theoretisch zu scheiden. Jedes derartige Unternehmen muß aber offenbar darauf verzichten, sich auf Wittgenstein zu berufen, der in einer generischen Kategorie wie "Behaupten" keinen Nutzen mehr gesehen zu haben scheint. Wir bleiben also dabei, daß Lügen besondere Behauptungen sind.
25 Lüge
und
Behauptung
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Sie haben damit dieselbe Form wie aufrichtige Behauptungen (Gardiner 19 3 2 :§7 2, Black 1952-53: 31 , Hampshire 1 959 :1 37,. Hungerland 1960:235). Wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, gibt es keine eigenen Bedingungen für lügen über die Bedingungen des Behauptens hinaus. Wir werden also nicht annehmen, daß der Lügner sich in besonderer Weise wahrhaftig geben muß (obwohl ein geschickter Lügner sich in bestimmter Weise verhalten muß, damit seine Lüge nicht oder nicht gleich entdeckt wird). Daß der Lügner nicht im Moment seiner Lüge durchblicken lassen darf, daß er das Gegenteil von dem glaubt, was er behauptet, ist keine Sonderbedingung für das Lügen; wie bereits bei der Diskussion paradoxer Äusserungen deutlich geworden war (§23), kann niemand einen Glauben, den er im andern erzeugen will, im gleichen Atemzug leugnen, ohne damit seiner Äußerung die behauptende Kraft zu nehmen. Sich wahrhaftig geben ist also kein eigener Akt, sondern das Fehlen irgendwelcher Anzeichen dafür, daß man n i c h t wahrhaftig ist. Wenn wir lügen, benehmen wir uns wie jemand, der wahrhaftig behauptet (aber daraus folgt nicht, daß wir jemanden simulieren, der behauptet; siehe §31). Behaupten heißt, etwas verbal äußern. Man kann also nicht etwas behaupten, dadurch daß man schweigt. Da aber lügen heißt, etwas behaupten, ist damit erklärt, warum man nicht lügen kann, dadurch daß man schweigt (Thomas v. Aquin 1265-73 :§11.II.111,1); Krause 1844:§7; anders die juristische Betrachtungsweise Sick 1915:§4. III.2, Becker 1948:§VIII). Da Lügen nur mit Behauptungen möglich sind, ist die Frage angebracht, ob dieser Zusammenhang kontingent ist oder nicht. Denn das Gebiet der sprachlichen Wahrheit und das Gebiet der Wahrhaftigkeit scheinen ein und dasselbe Gebiet zu sein, auch wenn Wahrheit und Wahrhaftigkeit einer Äußerung nur für einen ganz bestimmten Bereich ineinsfallen (deshalb hat man beides, wie wir in §16-17 sahen, so oft miteinander verwechseln können). Ist es vielleicht ein Kennzeichen von Behauptungen, daß man mit ihnen lügen kann? Falls ja, wäre der Versuch nicht aussichtslos, Behauptungen gerade umgekehrt dadurch zu bestimmen, daß man mit ihnen wahrhaftig sein oder lügen kann (das scheint die Ansicht zu sein von Ryle 19 50, Black 1952:§111, 1952-53:31, und Dummett 1973:356). Dieses Vor-
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gehen kommt für uns selbstverständlich nicht in Betracht; es würde uns in einen Zirkel verwickeln, wenn wir zunächst den Begriff der Lüge vermittels des Behauptungsbegriffs explizierten, und anschließend "behaupten" vermittels "lügen" charakterisierten oder analysierten. Dennoch muß man fragen, ob jede Behauptung im Prinzip gelogen sein kann, oder ob es Behauptungen gibt, die niemals unwahrhaftig geäußert werden könnten. Betrachten wir etwa die folgenden Beispiele: (25-4a) b c
Ich lebe Ich bin bei Bewußtsein Ich habe einen Körper.
Wie könnte jemand lügen dadurch, daß er ernsthaft und wörtlich g einen dieser Sätze äußerte? Er müßte aktiv glauben, daß er nicht lebt, nicht bei Bewußtsein ist, keinen Körper hat. Von jemandem, der in einem solchen Wahn befangen ist - von einem Irrtum kann man kaum mehr sprechen -, würden wir ja doch noch sagen wollen, daß er etwas behauptet hat. Die These, daß man mittels jedes Deklarativsatzes lügen kann, scheint darauf hinauszulaufen, daß der Behauptung fähige Wesen die wildesten und verrücktesten Uberzeugungen haben können. Aber vielleicht gibt es Kernüberzeugungen bestimmter Art oder bestimmte Bereiche betreffend - etwa die Uberzeugung, daß man lebt -, die so geartet sind, daß man nicht in einem andern etwas gegen diese Kernüberzeugungen Verstoßendes d a d u r c h hervorzubringen intendieren kann, daß man es schlichterweise behauptet. (Ich könnte also etwa der Halluzination verfallen sein, mein Körper habe sich aufgelöst; was ich nicht 9
Diese Frage ist schwieriger zu beantworten als die folgenden: Kann jemand vortäuschen nicht nur, bewußtlos zu sein, sondern auch, bei Bewußtsein zu sein? Kann einer sich nicht nur schlafend, sondern auch wach stellen? (Wittgenstein 1945-48:§395). Denn man kann nur vortäuschen, in einem Zustand zu sein, wofern man nicht in diesem Zustand ist. Wenn einer nicht in diesem Zustand wäre, aber es glaubt, könnte der Fall eintreten, daß man sagt: "Er g l a u b t sich zu verstellen" (Wittgenstein 194649:§XI). Es gibt also Grenzen der Täuschung. "Lügen" ist dagegen nicht kontrafaktiv, sondern afaktiv: um zu lügen, daß p, ist es nur nötig, daß man glaubt, daß nicht p, während man behauptet, daß p. Ein Irrtum hebt die Lüge daher nicht auf (§16).
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könnte, wäre: intendieren, in anderen die Überzeugung hervorzubringen, daß mein Körper sich aufgelöst hat, dadurch daß ich behaupte, er habe sich aufgelöst - es sei denn, ich habe die Grenze vom Wahn zum Wahnsinn bereits so weit überschritten, daß ich auch der Fähigkeit zu behaupten verlustig ginge.) So wenig aber wie ich behaupten kann "Ich habe keinen Körper", so wenig kann ich lügen mit der Behauptung "Ich habe einen Körper", obwohl ich es behaupten und das Gegenteil glauben kann, denn meine Einbildung liegt jenseits der Kernüberzeugungen. Für die Theorie der Behauptung neige ich also zu der Auffassung, daß es unlügbare Behauptungen im Unterschied zu unfehlbaren gibt. Nennen wir den Bereich, über den eine Person A der Lüge unfähig ist, ihren Unlügbarkeitsbereich und sagen (25-5)
Jede Behauptung von A über den Unlügbarkeitsbereich ist wahrhaftig, gleichgültig ob sie wahr oder falsch ist.
Stellt man den Unlügbarkeitsbereich dem Unfehlbarkeitsbereich (17-1) gegenüber, ergibt sich eine interessante Konsequenz: Unlügbarkeit schließt aus unseren vier Kombinationen in (16-1) die Möglichkeiten (c) und (d) aus, Unfehlbarkeit dagegen die Möglichkeiten (b) und (d). Eine unfehlbare und unlügbare Behauptung ist also notwendigerweise wahr und wahrhaftig. Wir können diese Fragen hier nicht weiterverfolgen; daß sie weit in die Erkenntnistheorie hineinreichen, liegt auf der Hand - man beachte, daß die Sätze (25-4) klassische Beispiele für sog. unbezweifelbare Wahrheiten sind, die gewöhnlich am Beginn jedes philosophischen Programms radikaler Letztbegründung unseres Wissens stehen. Weniger dramatisch sind andere Fälle, die Licht auf die Frage nach der Art des Zusammenhangs von Lüge und Behauptung werfen: (25-6a) b
Dieses Bild ist wunderschön Du hast dich ihm gegenüber schändlich verhalten.
Es ist in der philosophischen und linguistischen Diskussion umstritten, ob man ästhetischen und moralischen Werturteilen in gleicher Weise wie anderen Behauptungen Wahrheit bzw. Falschheit zusprechen kann. Doch daß man mit ihnen nicht soll lügen können, leuchtet nicht ohne weiteres ein. Wenn A in (25-6a) das betreffende Bild potthäßlich findet oder in (b) der Meinung ist, daß der
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Angesprochene sich tadellos verhalten hat, dann sprechen wir von einer Lüge wie bei anderen Behauptungen; es erscheint außerordentlich gezwungen, zu sagen, A habe nicht gelogen, sondern sei auf andere Weise unaufrichtig. Eine genauere Behandlung dieser Frage müßte die Unterschiede, aber auch die Ubergänge von "glauben", "finden", "bewerten" usw. beachten. Jedenfalls ist es sicherlich unberechtigt, zu sagen, in (25-6) lägen überhaupt keine, oder keine richtigen, Behauptungen vor, weil es eher um Geschmack und Moral als um Wahrheit gehe. (Wo ist die Grenze zwischen Irrtum, Geschmacksverirrung und moralischer Abirrung?) Im folgenden werde ich mich jedoch auf völlig unstrittige Fälle des Behauptens beschränken und Werturteile, Voraussagen, konditionale Behauptungen zunächst einmal aussparen. Bei dieser Gelegenheit ist auf unsere durch die Betrachtung der Lüge bedingte eingeschränkte Sicht der Behauptung aufmerksam zu machen. Wir haben Formen von Behauptungen analysiert, die man als erzählen, berichten, aussagen, generell als mitteilen bezeichnen kann. In diesen Fällen intendiert der Äußernde, daß Β eine bestimmte aktive Überzeugung gewinnt, u.a. dadurch, daß Β glaubt, daß A selbst die betreffende Uberzeugung hat. Doch das ist nicht die einzige Form von Behauptungen (Grice 1969:§IV, Searle 1969:§2.6); andere Formen sind z.B. die folgenden: (25-7a)
A behauptet, daß aus ρ und q folgt, daß q
b
A argumentiert mit einer Behauptung dafür, daß Β sich in einen Widerspruch verwickelt hat
c
A sagt.^ zu B: "Du hast einen Fleck auf der Hose" (vgl. die gängigen Scherze mit einem solchen Satz).
In all diesen Fällen intendiert A nicht, daß Β auf Treu und Glauben hinnimmt, was behauptet wurde, sondern er erwartet, daß Β es deshalb glaubt, weil es (a) ihm selbst einleuchtet, (b) er selbst die nötigen Schlüsse vollzieht, oder (c) er sich durch Hinsehen selbst überzeugt. Fälle von geistiger Hörigkeit und ihrer Ausnutzung durch den Äußernden sind hiervon ausgenommen, sofern wir der aufgeklärten Maxime folgen wollen:
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"we cannot reasonably expect that anyone should readily and obsequiously quit his own opinion and embrace ours, with a blind resignation to an authority" (Locke 1706 :§IV.XVI.4). Man könnte den Unterschied der Beispiele (25-7) von den im letzten Abschnitt behandelten folgendermaßen beschreiben: A's Behauptung, daß p, ist für Β nicht Teil eines G r u n d e s , zu glauben, daß p, sondern allenfalls ein Α η 1 a ß, selbst herauszufinden, ob p. Der Kern der Erfolgsbedingung, nämlich daß Β glaubt daß p, ist mit der Behauptung gewissermaßen lockerer verknüpft, weil der Rezipient, z.B. durch eigene Aktivität, stärker am Gesamterfolg beteiligt ist. Oft - denken wir etwa auch an Beispiele wie (25-5) - sind wir damit zufrieden, daß der Rezipient unsere Anschauungen erkennt, ohne ihn bewegen zu wollen, sie zu teilen. Die erste hier im Vordergrund stehende Form der Behauptung nenne ich " b e z e u g e n d e s Behaupten" und unterscheide sie vom hinweisenden, argumentierenden, spekulierenden, u.a. Behaupten. Vom bezeugenden Behaupten her möchte die Intentionale Semantik die Natur der Behauptung begreifen. Die im letzten Abschnitt eingeführten Begriffe der Glaubwürdigkeit und epistemischen Vertrauenswürdigkeit passen in erster Linie auf bezeugendes Behaupten; hier steht der Äußernde mit seiner Person für das Behauptete ein. Für die Beschreibung des Erfolgs von argumentierenden und hinweisenden Behauptungen wären andere Begriffe zu entwickeln. Daß diese in die Betrachtung der Lüge nicht unmittelbar einbezogen zu werden brauchen, zeigt folgende Überlegung. Wenn jemand dadurch, daß er behauptet, daß p, dafür argumentiert, daß q, im Wissen, daß q falsch und die Argumentation nicht stichhaltig ist, so kann man von ihm dennoch nicht sagen, daß er gelogen hat (Ryle 1950, Schiffer 1972 :§11.3a). Selbstverständlich kann A gelogen haben mit der Behauptung, daß p; um hingegen zu lügen, daß q, müßte A gewissermaßen beabsichtigen, daß Β ihm vermöge seiner Autorität abnimmt, daß q. Doch argumentieren bemißt sich gemeinhin an anderen, weniger personalen Maßstäben: an Gültigkeit, Schlüssigkeit, Stringenz. Ein Argument kann aufhören, das Argument der Person zu sein, die es vorbrachte, und zum atemporalen Argument für die Sache werden; aber eine Lüge bleibt immer die Lüge dessen, der sie aussprach.
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26. Lügen, Anlügen, Belügen Da Lügen besondere Behauptungen sind, gelten für sie die in Abschnitt 24 entwickelten Ebenen des Nichtscheiterns und Scheiterns von Behauptungen. Neben der Satzform "A hat gelogen" (6-1) sind "A hat Β angelogen" (6-2) und "A hat Β belogen" (6-3) zu berücksichtigen. Für diese möchte ich folgende Explikationen vorschlagen: (26-1)
A hat Β gdw
a n g e l o g e n
(a) A hat gelogen (b) Β hat erkannt, daß A behauptet hat, daß ρ
(26-2)
A hat Β gdw
b e l o g e n
(a) A hat gelogen (b) Β hat erkannt, daß A behauptet hat, daß ρ (c) Β hat den aktiven Glauben, daß p, u.a. weil (b).
"Belügen" ist im Gegensatz zu "lügen" ein Erfolgsverb im Sinne Ryles (1949 :§V.3). Aber belogen muß nicht heißen getäuscht (§29). Vermittels dieser Analysanda und des von (21-9) können wir Glükken. Gelingen und Erfolg von Lügen (oder von Äußerungen als Lügen) unterscheiden: (26-3a) b
Die Äußerung von σ war als Lüge von A g e g l ü c k t gdw A hat dadurch, daß er σ geäußert hat, behauptet, daß ρ Die Lüge von A war gdw
c
g e l u n g e n
A hat Β angelogen
Die Lüge von A war e r f o l g r e i c h gdw A hat Β belogen.
Alle drei waren vorgreifend schon in Abschnitt 6 genannt worden. Auch die negativen Begriffe seien der Vollständigkeit halber expliziert: (26-4a) b
Die Äußerung von σ war als Lüge m i ß g l ü c k t gdw die Äußerung von σ als Lüge nicht geglückt war Die Lüge war gelungen war
m i ß l u n g e n
gdw
die Lüge nicht
26 Lügen,
(26-4c)
Anlügen,
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Belügen
Die Lüge war e r f o l g l o s erfolgreich war.
gdw
die Lüge nicht
Die Beziehung zwischen den Ebenen des Nichtscheiterns und des Scheiterns von Lügen und den Ebenen des Nichtscheiterns und Scheiterns von Behauptungen läßt sich ganz deutlich machen. Ich führe dies nur für die positiven Begriffe durch. Setzen wir zunächst das Analysans von (26-1) in (26-3b), und das von (26-2) in (26-3c) ein, und wandeln anschließend die erste Klausel in beiden sowie in (26-3a) nach (21-9) um: (26-5a) Die Äußerung von σ war als Lüge von A geglückt nur wenn A hat dadurch, daß er σ geäußert hat, behauptet, daß ρ b
Die Lüge von A war gelungen nur wenn (a) A hat behauptet, daß ρ (b) Β hat erkannt, daß A behauptet hat, daß ρ
c
Die Lüge von A war erfolgreich nur wenn (a) A hat behauptet, daß ρ (b) Β hat erkannt, daß A behauptet hat, daß ρ (c) Β hat den aktiven Glauben, daß p, u.a. weil (b).
In einem letzten Schritt können wir alle Klauseln von (26-5) durch die von (24-2) ersetzen und erhalten: (26-6a)
Die Äußerung von σ war als Lüge von A geglückt nur wenn Die Äußerung von σ war als Behauptung von A geglückt
b
Die Lüge von A war gelungen nur wenn Die Behauptung von A war gelungen
c
Die Lüge von A war erfolgreich nur wenn Die Behauptung von A war erfolgreich.
Die Ebenen des Nichtscheiterns und Scheiterns von Behauptungen sind also dieselben wie die Ebenen des Nichtscheiterns und Schei-
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IV LÜGEN: DER ZENTRALE FALL
terns von Lügen, weil Lügen besondere Behauptungen sind (§25) . Oder anders ausgedrückt: Alles was beim Behaupten schiefgehen kann, kann auch beim Lügen schiefgehen. Es erübrigt sich, ausführlich Beispiele zu geben; denn die in Abschnitt 24 angeführten Beispiele für gescheiterte Behauptungen sind leicht als Beispiele für gescheiterte Lügen zu etablieren; man braucht nur den Zusatz (21—9b) zu machen, daß A zudem geglaubt hat, daß nicht p. Ich beschränke mich deshalb darauf, exemplarisch drei Konsequenzen für das Scheitern von Lügen zu ziehen, bevor ich meine Auffassung gegen andere abgrenze. Eine Äußerung kann als Lüge scheitern, weil sie bereits als Behauptung mißglückt. Nehmen wir etwa das Beispiel (24-4) und stellen wir uns vor, A will lügen und behaupten, Hannibal sei ein Verräter. Als Freund, der merkt, daß A sich mit einer Lüge in große Schwierigkeiten bringen würde, unterbricht A so, daß dieser zu reden aufhört. Oder: A will lügen, überlegt es sich aber mitten in seiner Äußerung anders und bricht ab (Siegler 1966: §6; strafrechtlich zur Ohnmacht mitten im Meineid siehe Sick 1915:§5.2. 1.1). Zum Glücken einer Äußerung als Lüge bedarf es keines Rezipienten; es ist möglich, daß A lügt und niemand anders von seiner Äußerung Notiz nimmt, sie versteht oder gar der Lüge aufsitzt (Sick 1915:§2.II). Etwas hört nicht auf, eine Lüge zu sein, wenn zufällig eine Boeing 707 vorbeifliegt, der Brief verlorengeht, der Adressat nicht aufpaßt oder schon längst aus dem Zimmer ist. Einen Angelogenen oder Belogenen gibt es dann freilich nicht. Ein hübsches Beispiel dafür ist das folgende: Ein Mann wacht nachts auf und glaubt, Einbrecher im Erdgeschoß zu hören. Daraufhin sagt er laut und vernehmlich: "Ich hole jetzt mein Gewehr", obwohl er weiß, daß er gar keins hat. Seine Absicht ist, den oder die Einbrecher, f a l l s welche da sind, zu belügen. Wenn aber überhaupt keine da sind? Dann hat er gelogen, wenn er auch zufällig niemanden angelogen oder belogen hat (aus Chisholm & Feehan 1977:§V.9, die jedoch bestreiten, daß er gelogen hat). Schließlich: wenn ich einem Japaner sage "Im Ruhrgebiet wird Reis angepflanzt", und er versteht mich nicht, weil er kein Deutsch kann, habe ich dennoch gelogen. Anders wird die Sache erst, wenn ich weiß, daß er kein Deutsch kann. Dann liegt keine Lüge vor, weil ich nichts behauptet
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Anlügen,
Beliigen
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habe: ich müßte ja wissen, daß es zwecklos ist, in ihm mittels des Satzes den Glauben zu erzeugen, daß im Ruhrgebiet Reis angepflanzt wird (sollte ich es dennoch versuchen, so hätte ich es auch behauptet) . Nach den vorangegangenen Explikationen kann ich nicht der folgenden Meinung beipflichten: "Nach vorherrschender Auffassung der Sprechakttheorie ist nur dann von einer Lüge zu sprechen, wenn sie erfolgreich war, d.h. also vom Hörer nicht unmittelbar als unwahre Information...erkannt worden ist" (Stempel 1979 : § 1 . 2) . Allerdings muß ich zugeben, daß der Zustand der Sprachhandlungstheorie in dieser Passage zutreffend dargestellt ist. Der Zirkel, der in dem von Stempel referierten Explikationsversuch steckt, kommt klarer noch in dem folgenden Zitat heraus: "Die...Lüge gelingt ja nur dann, wenn der Hörer nicht erkennt, daß er... angelogen wird. Gäbe der Sprecher die Täuschung zu..., so fände die Täuschung gar nicht statt..." (Ehrich & Saile 1972: §3.1.2; ähnlich Maas 1972:§8.8). Darauf ist zu fragen: wenn der Sprecher w a s zugäbe, fände w a s nicht statt? Wenn es keine Täuschung ist, kann der Sprecher sie nicht zugeben; gibt er die Täuschung zu, ist es auch eine. Zu sagen, es sei konstitutiv für eine Lüge, daß der Rezipient sie nicht aufdeckt, ist zirkulär: im Explikans kommt das Wort "Lüge" selbst wieder vor. (Es ist ungefähr so widersinnig, als sagte man: Ein Argument von A ist keins, wenn es nicht schlüssig ist.) Hier wird offenbar "lügen" mit "belügen" verwechselt. Sicherlich ist es für das Belügen konstitutiv, daß A intendiert, daß Β die Lüge nicht - wenigstens nicht sofort - erkennt. Aber das ist keine unabhängige Bedingung für das Belügen, sondern eine Konsequenz aus der gewöhnlichen Behauptungsintention: denn wenn A intendiert, daß Β glaubt, daß p, dann intendiert er, daß Β nichts glaubt, was mit diesem Glauben in Widerstreit geraten könnte (wie etwa der Glaube, daß A gar nicht glaubt, was er behauptet hat). Falls wir aber den Unterschied von "lügen" und "belügen" aufgäben, und dem Vorschlag folgten, A habe nur dann gelogen, wenn Β den Versuch A's zu lügen nicht durchschaut, so hätte das merkwürdige und unerwünschte Folgen. Man dürfte nicht mehr sagen: "Ich wußte, daß er log", "Ich wußte, daß er mich anlog", sondern müßte zu gewundenen Umschrei-
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bungen greifen (Mannison 1969:§I). Außerdem würden danach Gewohnheitslügner nicht etwa viel, sondern gar nicht lügen, wenn keiner ihnen mehr glaubt (Krause 1844:§15). Endlich, was ist, wenn nur ein Teil des Publikums auf A hereinfällt? Hat er dann gleichzeitig gelogen und nicht gelogen? Wir lügen, um andere zu belügen. Aber es ist nur ungewöhnlich und nicht etwa absurd, zu lügen und sich gleichzeitig nicht darum zu bekümmern, ob die Lüge aufgedeckt wird oder nicht. Selbst die plumpeste Lüge ist eine Lüge (Heinroth 1 834 :§1.III.7) . Ebenso ist nichts absurdes dabei, etwas zu behaupten und sich gleichzeitig nicht darum zu scheren, ob der andere es glaubt oder nicht. Z.B., dem Schalterbeamten mag es gleich sein, ob ich ihm glaube oder nicht, daß der Zug um 12.37 Uhr fährt. Daraus folgt nicht, wie Searle (1969:§2.6) anzunehmen scheint, daß er n i c h t intendiert, mich zu dem Glauben zu bringen, also nichts behauptet. Was also "lügen", "anlügen" und "belügen" angeht, sollte man nicht ohne Not auf Unterscheidungen verzichten, die die deutsche Sprache bereithält - gemäß unserer Forderung der Priorität der Umgangssprache (§2). Schließlich kennt etwa das Englische eine entsprechend feine Differenzierung nicht, was einige sprachliche Verrenkungen in solchen Arbeiten erklärt, die auf stringente Begriff sbildungen abzielen (Siegler 1966).
27. Drei Gegenbeispiele: Theater, Zwang, Ritual Nach diesen Klärungen will ich die vorgeschlagene Analyse des Behauptungsbegriffs in (23-15) ein wenig illustrieren. Ausführlicher auf das Umfeld des zentralen Falls der Lüge wird dann in Kapitel V eingegangen. Wieviel analytische Last die Intentionsklausel (2315b) zu tragen hat, sollen drei Beispiele verdeutlichen: Theater, Zwang und Ritual. In allen drei Beispielen kann von Lüge deshalb nicht die Rede sein, weil von Behauptung nicht die Rede sein kann, und dies wiederum deshalb nicht, weil keine Intention der in (2315-b) geforderten Art vorliegt, also nichts gemeint wird.
27 Theater, Zwang, Ritual
T h e a t e r (27-1)
(vergleiche auch 10-5b):
Ein Schauspieler schreit auf der Bühne: "Ich bin vergiftet!"
Er lügt nicht, denn er behauptet nichts. Vielmehr spielt, oder mimt, er jemanden, der behauptet (Krause 1844:§8). Theaterbehauptungen sind "Scheinbehauptungen" (Frege 1897:142), keine Behauptungen: "Der Schauspieler in seiner Rolle behauptet nicht, er lügt auch nicht, selbst wenn er etwas sagt, von dessen Falschheit er überzeugt ist" (Frege 1918-19:63). Sogar wenn der Schauspieler in (27-1) merken oder befürchten würde, daß ihm seine ehrgeizige Kollegin w i r k l i c h Gift in das Wasserglas getan hat, das er allabendlich auf der Bühne austrinken muß, so würde es ihm sehr schwer fallen zu behaupten, er sei vergiftet, dadurch daß er den betreffenden Satz äußert, ohne aus der Rolle zu fallen. Man bedenke etwa intendierten Beifall an den "falschen Stellen" unter einem diktatorischen Regime, z.B. das "Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!" des Marquis Posa, gesprochen unter dem Faschismus. Man kann es so aussprechen oder so. Doch nur dann ist vielleicht etwas behauptet oder mitbehauptet, wenn auf Seiten des Schauspielers die Intention und auf seiten der Zuschauer eine entsprechende Verständnisbereitschaft vorhanden ist, und der Schauspieler gleichsam aus seiner Rolle, aus der Welt des Theaters, heraustritt. (Zum Verhältnis von Fiktionalität und Lüge wird am Ende des §31 etwas zu sagen sein.) Z w a n g (vergleiche 10-5d). Jemand kann gezwungen werden, etwa durch Folter oder Androhung von Folter, zu widerrufen. Er kann z.B. von der Inquisition gezwungen werden, öffentlich die Worte zu äußern: (27-2)
Es ist falsch, daß die Erde sich um die Sonne dreht.
Oder er kann aufgefordert werden, öffentlich sogenannte "Selbstkritik" zu üben (vergleiche Dummett 1973:331). B e h a u p t e t der, der widerruft, notwendigerweise, daß es falsch ist, daß sich die Erde um die Sonne dreht? Nein: er vollzieht die für das Widerrufen nötigen Körperbewegungen, d.h. bewegt die Lippen, spricht
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IV LÜGEN: DER ZENTRALE FALL
die erforderlichen Worte aus, usw. Aber damit allein ist noch nichts behauptet. Was fehlt, ist die Intention, und die zu haben, kann niemand gezwungen werden. R i t u a l . A macht Β ein Kompliment, dadurch daß er sagt (27-3) A zu B: "Nein, gnädige Frau, sehen Sie aber heute abend reizend ausi", ist jedoch der Überzeugung, daß Β aussieht wie eine Vogelscheuche. Β ist überzeugt, daß A diese Überzeugung hat, und auch hiervon ist A überzeugt, usw.- Es ist also wechselseitige Überzeugung von A und B, daß A glaubt, daß nicht p. Sicher ist es möglich, mittels des Satzes etwas zu behaupten, aber in der vorliegenden Situation will Β vielleicht nur hören, daß A "irgend etwas Nettes" sagt^, und A erweist ihr diesen Lippendienst. Dann aber ist es für A nicht möglich, zu behaupten, daß Β reizend aussieht, weil er davon ausgehen muß, daß es aussichtslos ist, Β zu dieser Überzeugung zu bringen. Denn was man für aussichtslos hält, kann man nicht intendieren. Austin hat darauf aufmerksam gemacht, daß "obvious ritual phrases...cannot, strictly, b e lies" ( 1 946 :1 74 , ähnlich 1 962: 84). Er führt das Beispiel eines Richters an, der, von der Schuld des Angeklagten überzeugt, dennoch den Spruch fällt "Nicht schuldig" (Austin 1962:41); man würde kaum sagen, der Richter habe gelogen. Searle erklärt, für sprachliche Handlungen ohne propositionalen Gehalt, wie die Begrüßung "Hallo!", gebe es keine Aufrichtigkeitsbedingung (1969 :§3.4). Diese Erklärung ist, wenn sie die Erhellung des Verhältnisses von Ritual und Aufrichtigkeit bezweckt, nach beiden Seiten ungenügend. Einmal gibt es einfache sprachliche Handlungen, die ebenfalls keinen propositionalen Gehalt haben, aber durchaus unaufrichtig vollzogen werden können, z.B. der Ausruf "Au!", wenn ich keine Schmerzen habe. Zum anderen gibt es, wie wir oben bereits sahen, rituelle sprachliche Handlungen, die nicht gelogen sein können, aber einen propositionalen Gehalt besitzen. Der Grund dafür, daß rituelles sprachliches Verhalten sich vielfach der Charakterisierung durch Begriffe wie "aufrichtig", "wahrhaftig" usw. entzieht, muß also anderswo liegen.
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27 Theater, Zwang, Ritual
Ich will kurz und recht spekulativ die Richtung andeuten, in der eine Erklärung zu suchen wäre. Die Frage nach der Wahrhaftigkeit stellt sich bei rituellem sprachlichen Verhalten deshalb oft nicht, weil gar nichts behauptet, keine Überzeugung zum Ausdruck gebracht wird. Dies ist eine Folge davon, daß rituelle Bedingungen es ausschließen oder beträchtlich erschweren können, daß Personen die für das Behaupten nötigen Intentionen haben. Das schließlich liegt zumindest zu einem Teil in folgendem Merkmal von Ritualen begründet: sie erfordern, daß die an ihnen Beteiligten bestimmte Körperbewegungen vollziehen bzw. bestimmte Laute äußern g l e i c h g ü l t i g , ob die Beteiligten etwas und was sie darüber hinaus intendieren. Die Regelmäßigkeit, die Wiederholung in gleicher Form ist es, die den Akteuren sowohl gestattet, hinter dem schützenden Ritus als Person zurückzutreten, als auch sie hindert, in diesen als Personen hervorzutreten und ihn mit Leben zu erfüllen. Je öfter man ein und denselben Satz hintereinander spricht, desto weniger kann man damit etwas meinen NN , weil man desto weniger intendieren kann, auf diese Weise etwas mitzuteilen.
28. Grundbegriffe der Analyse In unserer Analyse der Lüge haben wir neben solchen allgemeinen Begriffen wie "Zeitpunkt", "Proposition", usw. folgende nicht weiter analysierte spezielle Begriffe verwendet: (a) den Begriff des Deklarativsatzes, (b) d e n
Begriff der
Äußerung,
(c) den Begriff der Intention (genauer, M-Intention), (d) den Begriff des Glaubens (genauer, aktiven Glaubens). Wenn wir der Forderung nach Minimalisierung der Grundbegriffe (§2) weiter nachgeben wollen, könnten wir folgendes versuchen: (1) Den Begriff des Deklarativsatzes (a) vermittels der restlichen drei Begriffe zu analysieren, (2) den Begriff der Intention (c) vermittels (d) und einer elementaren volitiven Einstellung ("wollen") zu analysieren,
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IV LÜGEN: DER ZENTRALE FALL
(3) schließlich den Begriff der Glaubenseinstellung (d) vermittels derselben elementaren volitiven Einstellung zu analysieren. Die Arbeiten von Schiffer (1972) und Lewis (1969) lassen (1) als möglich erscheinen; (2) wurde bereits in der analytischen Handlungstheorie unternommen, (3) ist eine im Moment etwas gewagte These. Falls sich alle drei Möglichkeiten realisieren lassen, so hätte man die Zahl der Grundbegriffe von vier auf zwei herabgesetzt; aber das zu zeigen, hieße erweisen, daß die Begriffe der Äußerung und des Willens die beiden fundamentalen Begriffe der Sprach- und Handlungstheorie sind.
V.
IM UMFELD DES LÜGENS
29.
Lüge und Täuschung
In diesem Abschnitt und den nächsten beiden wollen wir das Umfeld des zentralen Falls der Lüge betrachten, den Begriff des Lügens zu verwandten Begriffen in Beziehung setzen und unsere Analyse gegen andere Auffassungen verteidigen. Der Schwerpunkt wird dabei auf der Handlungsseite des LUgens liegen. Zunächst soll der Begriff der Täuschung thematisiert werden, der bisher noch nicht zusammenhängend zur Sprache kam. Die Absicht zu täuschen hatte ich von Beginn an als zur Lüge gehörig bezeichnet; in Abschnitt 8 hatten wir gesehen, daß in einer großen Zahl von Lexika diese Charakterisierung benutzt wurde; danach war sie nur sporadisch, und in der Explikation der Lüge (21-9) schließlich als solche überhaupt nicht mehr aufgetaucht. Müßte die Täuschungsabsicht nicht noch als eigene Klausel hinzugefügt werden? Wenn wir die damit zusammenhängenden, bisher nur stückweise vorgetragenen Analysen zusammenfügen, werden wir sehen, daß dies nicht nötig ist; daß die Absicht zu täuschen vielmehr in unserer Analyse der Lüge bereits enthalten ist und sich aus ihren Klauseln herleiten läßt. Als erstes müssen wir uns Rechenschaft über den Begriff der Täuschung geben. Wir klammern dabei die Selbsttäuschung aus, berücksichtigen also nur die Täuschung anderer (Fremdtäuschung). In den Begriff der Täuschung ist ebenso wie in den Begriff der Lüge die Intentionalität eingebaut: es gibt keine unabsichtliche Täuschungen anderer - was es gibt, sind unabsichtliche Irreführungen (Linsky 1963:§9). überdies ist "täuschen" im Gegensatz zu "lügen" ein Erfolgsverb im Sinne Ryles (1949:§V.3) und zudem kontraf aktiv: A hat Β nur dann getäuscht, wenn er ihn direkt verleitet hat, sich zu irren. Wir können daher den Begriff der Täuschung mit dem der absichtlichen und direkten Irreführung identifizieren. Eine ausführliche Analyse kann hier nicht gegeben
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V IM UMFELD DES LÜGENS
werden; für unsere Zwecke genügen diese beiden zentralen Bedingungen. "Belügen" verhält sich zu "täuschen" etwa so wie "anlügen" ("jemandem etwas vorlügen") zu "vortäuschen" ("antäuschen"), welches letztere ebenfalls kontrafaktiv ist; wir werden es in Abschnitt 31 besprechen. Verschiedene Arten von Täuschungen werden unterschieden von Chisholm und Feehan (1977:§I). Es besteht demnach ein enger begrifflicher Zusammenhang zwischen Täuschung und Falschheit: bei einer Täuschung B's durch A muß der Glaube tatsächlich falsch sein, den A in Β erzeugt hat, während es für eine erfolgreiche Lüge ausreicht, daß A glaubt, daß der in Β erzeugte Glaube falsch ist. Belogen muß nicht heißen getäuscht. Wir schließen uns hier eng an Augustinus an, der schreibt : "Usque adeo tarnen rationalis natura refugit falsitatem, et quantum potest devitat errorem, ut falli nollint etiam quicumque amant fallere. Non enim sibi qui mentitur videtur errare, sed alium in errorem mittere credentem sibi" (Augustinus 421 :§5)".1 Wenn A gelogen hat, so hat er beabsichtigt, daß Β sich irrt (15-4)dieses Ergebnis des Abschnitts über den Irrtum können wir jetzt so ausdrücken, daß ein Lügner beabsichtigt, den andern zu täuschen. Weiterhin hatten wir festgestellt, daß der Lügner beabsichtigt, etwas zu behaupten, was falsch ist. Beide Bedingungen hängen natürlich zusammen, denn wenn A beabsichtigt, Β zu täuschen, dadurch, daß er etwas behauptet, so kann er nur dann erwarten, daß diese Absicht erfüllt wird, wenn er etwas Falsches behauptet. Einen besonderen Fall, für den dies auf den ersten Blick nicht zu gelten scheint, werden wir gleich erörtern. Festzuhalten bleibt, daß die Täuschungsintention des Lügners sich nicht zu erfüllen braucht; nämlich dann nicht, wenn die Behauptung in den in Abschnitt 24 genannten Weisen scheitert, und darüber hinaus, wenn die Behauptung nicht falsch ist. Denken wir etwa an unser Beispiel mit der Uhr (12-4), oder auch an einen getäuschten Lügner, der wider Willen faktiv die Wahrheit sagt (Meinong 1902:§11) - beides Fälle, in 1
"So sehr jedoch flieht die vernünftige Natur des Menschen die Unwahrheit und sucht nach Kräften den Irrtum zu vermeiden, daß auch alle diejenigen, welche es lieben, andere zu täuschen, sich nicht täuschen lassen wollen. Wer lügt, glaubt ja nicht, selber zu irren, sondern den anderen, der ihm glaubt, irrezuführen".
29 Lüge und Täuschung
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denen das NichtZustandekommen der Täuschung nichts am Zustandekommen der Lüge ändert. Wir wollen nun prüfen, inwieweit diese Bedingungen in unserer Analyse der Lüge systematisch eingeholt sind und gewährleistet ist, daß jede Lüge eine Täuschungsabsicht beinhaltet, jede Lüge also eine beabsichtigte Täuschung ist. Nur dann ist der Untertitel dieser Arbeit "Grundzüge einer Theorie sprachlicher Täuschung" gerechtfertigt. Der Lügner glaubt aktiv, daß nicht ρ (21-9); gleichzeitig Mintendiert er, daß Β aktiv glaubt, daß ρ (23-15). A will also Β etwas glauben machen, was er selbst für falsch hält. Wenn A aber einen Glauben in Β erzeugen will, den er, A, für falsch hält, so will er - in der Annahme, sich nicht zu irren - einen falschen Glauben in Β erzeugen. Denn einen falschen Glauben erzeugen wollen heißt nicht, daß es einen falschen Glauben gibt, den man erzeugen will, sondern wollen, daß es der Fall ist, daß ein falscher Glaube erzeugt wird (vergleiche Thomas v. Aquin 1265-73 :§11.II. 2 110,1 ; Chisholm & Feehan 1 977:§III). Der Lügner kann jedoch nur dann damit rechnen, daß die Täuschungsabsicht erfüllt wird, wenn er unwahrhaftig ist - etwas sagt^, von dem er glaubt, es sei falsch. Der Zusammenhang ist ähnlich dem bei "die Wahrheit sagen". Die Wahrheit sagen im epistemischen und im faktiven Sinn sind zwar unabhängig voneinander (§18) , aber nicht epistemisch die Wahrheit sagen und faktiv die Wahrheit sagen wollen: denn wenn man epistemisch die Wahrheit sagt, so will man faktiv die Wahrheit sagen (18-6); und wenn man faktiv die Wahrheit sagen will, so kann man dies vernünftigerweise nur dadurch, daß man epistemisch die Wahrheit sagt (§16 Schluß). Die Absicht zu täuschen ist demnach nicht, wie vielfach angenommen wird, eine eigene Intention neben derjenigen, die hinter der Behauptung steckt, sondern sie ist nur eine Neubeschreibung der gewöhnlichen, für jede Behauptung konstitutiven M-Intention unter der besonderen Bedingung des gleichzeitigen Glaubens an das 2
In logischer Terminologie ausgedrückt: "wollen" ist ein intensionales Verb, in dessen referentiell opakem Kontext Variablen im allgemeinen nicht vermittels existentieller Generalisierung gebunden werden können (Exportation).
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V IM UMFELD DES LÜGENS
Gegenteil des Behaupteten. Die Täuschungsabsicht gehört zum Wesen der Lüge, wie schon der späte Augustinus sagt (421:§7), sie ist ihr nicht etwa äußerlich, wie Thomas von Aquin lehrt ( 1 265-73 :§11. 11.110,1). Der Streit um die Notwendigkeit der Täuschungsabsicht - eine tabellarische Übersicht über die gegensätzlichen Meinungen gibt Müller (1962:§13.A) - ist unfruchtbar, solange er als Auseinandersetzung um die Hinzunahme einer eigenen Bedingung geführt und dabei nicht eingesehen wird, daß die Täuschungsabsicht aus der Analyse des Behauptens unter der Bedingung der Lüge folgt. Augustinus selbst hat jedoch schon auf zwei problematische Fälle aufmerksam gemacht: "Quid enim si quisque falsum loquens, quod falsum esse existimat, ideo tarnen facit, quia putat sibi non credi...? (...) existit aliud e contrario genus, propterea verum dicentis ut fallat" (Augustinus 395:§4).·* Er löst das Problem zwar weder in dieser frühen Arbeit noch später, weist aber nach einer scharfsinnigen Erörterung darauf hin, daß eine Lösung von der Begriffsbestimmung der Lüge abhängt: "Si enim mendacium est enuntiatio cum volúntate falsum enuntiandi, ille potius mentitus est qui falsum dicere voluit, et dixit quod voluit, quamvis ne falleret dixerit: si autem mendacium est quaelibet enuntiatio cum volúntate fallendi, non ille, sed iste mentitus est, qui etiam verum dicendo fallere voluit: quod si mendacium est enuntiatio cum volúntate alicujus falsitatis, ambo mentiti sunt; quia et ille suam enuntiationem falsam esse voluit, et iste de vera sua falsum credi voluit: porro si mendacium est enuntiatio falsum enuntiare volentis ut fallat,
3
"Wie steht es denn, wenn einer zwar Unwahres sagt, das er für unwahr hält, es jedoch nur deshalb tut, weil er meint, man glaube ihm nicht...?(...) im Gegensatz dazu gibt es eine andere Gattung; ich denke an einen, der zu dem Zwecke die Wahrheit sagt, um zu täuschen". Diese Beispiele, neben anderen, führen Chisholm & Feehan 1977: §V an, deren Urteil im ersten Fall sich mit meinem deckt.
29 Lüge
und
Täuschung
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neuter mentitus est; quia et ille habuit voluntatem falsum dicendo verum persuadere, et iste, ut falsum persuaderet, verum dicere" (Augustinus 395:§4).4 Weil A annimmt, daß Β ihm nicht glaubt und - die Umkehrung seiner Äußerung durch Β antizipierend - seinerseits die Umkehrung dessen sagt, was Β glauben soll, ist die Beziehung zwischen "die Unwahrheit sagen" (epistemisch und faktiv) und "täuschen" bzw. zwischen "die Wahrheit sagen"(epistemisch und faktiv) und "nicht täuschen" aufgelöst. Betrachten wir beide Fälle nacheinander, wobei wir uns an die von Augustinus gegebenen Beispiele halten: (29-1)
A - überzeugt, daß Β ihm nicht glaubt - sagt zu diesem folgende Unwahrheit: "Auf jenem Weg lauern Räuber" in der Absicht, daß Β glaubt, daß dort keine Räuber lauern, und nicht getäuscht wird.
Die entscheidende Frage ist, ob A behauptet hat, daß auf jenem Weg Räuber lauern, wenn er gleichzeitig sicher ist, daß Β ihm dies nicht glauben wird. Nach unserer Analyse des Behauptens (23-15) hat A ja nur dann behauptet, daß p, wenn er M-intendiert hat, daß Β glaubt, daß p. Dies ist aber im vorliegenden Beispiel nicht gegeben. Was man für aussichtslos hält, kann man nicht intendieren (vergleiche §27 Ende). Infolgedessen hat A hier nicht behauptet, daß auf jenem Weg Räuber lauern, mithin auch nicht gelogen. (29-2)
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A - überzeugt, daß Β ihm nicht glaubt - sagt zu diesem folgende Wahrheit: "Auf jenem Weg lauern Räuber" in der Absicht, daß Β glaubt, daß dort keine Räuber lauern, und getäuscht wird.
"Wenn nämlich Lüge eine Aussage ist mit der Absicht, die Unwahrheit zu sagen, so hat eher der gelogen, der die Unwahrheit sagen wollte und seinem Willen gemäß gesagt hat, mag er es auch getan haben, um nicht zu täuschen. Wenn aber Lüge jede mit der Absicht zu täuschen gemachte Aussage ist, so hat nicht der eben Genannte gelogen, sondern der, der auch durch das Sagen der Wahrheit täuschen wollte. Wenn nun aber Lüge eine Aussage mit dem Willen zu irgendeiner Unwahrheit ist, so haben beide gelogen: denn ersterer wollte, daß seine Aussage unwahr ist, und letzterer wollte, daß man auf Grund seiner wahren Aussage Unwahres glaube. Endlich, wenn Lüge die Aussage eines Menschen ist, der die Unwahrheit sagen will, um zu täuschen, so hat keiner von beiden gelogen: denn der erstere hatte die Absicht, durch Sagen der Unwahrheit die Wahrheit heizubringen, und letzterer, die Wahrheit zu sagen, um die Unwahrheit beizubringen".
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V IM UMFELD DES LÜGENS
Hier ist das Prinzip verletzt, daß jemand einen andern sprachlich täuschen kann nur dadurch, daß er etwas falsches äußert. Man kann auch mit der Wahrheit täuschen. Nun versucht A den Β zwar zu täuschen hinsichtlich dessen, was er ihm sagt, aber nicht durch eine Lüge. Denn wiederum hat A nicht behauptet, daß p, weil er nicht M-intendieren konnte, daß Β glaubt, daß p. Wir entscheiden uns also für die letzte der von Augustinus genannten vier Möglichkeiten, da lügen unserer Auffassung nach sowohl die Absicht beinhaltet, etwas Falsches zu sagen, als auch die, den andern zu täuschen - daß beide Absichten stets zusammengehen, hatten wir schon dargelegt. In beiden Fällen behauptet A deshalb nicht, daß p, dadurch, daß er "p" sagt^, weil zusätzliche Annahmen Uber die Rezeption der Äußerung seine Absicht zunichte machen, in Β den Glauben zu erzeugen, daß p. Nun könnte diese Auffassung überscharf erscheinen, solange nicht deutlich wird, welche sprachliche Handlung A denn in (29-1) und (29-2) vollzieht, wenn er schon nichts behauptet. Meiner Ansicht nach tut A nur so, als ob er behauptet, und will auf diese Weise Β zu einem entweder wahren oder falschen Glauben veranlassen (man vergleiche die Diskussion von "countersuggestibility" in Schiffer 1972 :§111.3) . Lügen und vorgetäuschte Behauptungen sind nämlich voneinander zu unterscheiden (§31). Man hat nur dann behauptet, daß p, wenn man den andern über die Art und Weise nicht täuscht, in der man in ihm den Glauben erzeugen will; anders ausgedrückt, die Behauptungsintention muß eine offene sein. Dies ist dadurch gewährleistet, daß sie eine M-Intention ist; für eine solche galt ja, daß sie nur erfüllt wird, wenn beide glauben, daß der andere glaubt...usw., daß A intendiert, daß Β glaubt, daß ρ (§23). Im übrigen können die Annahme A's komplexer sein als die, daß Β ihm nicht glaubt: etwa kann A glauben, daß Β bereits den Verdacht hat, daß A antizipiert, daß Β ihm nicht glaubt. Dann hätte A gewissermaßen eine doppelte Umkehrung seiner Äußerung durch Β zu erwarten, die alles beim alten läßt. Ich will diese Komplikationen, die man noch einige Stufen weiter treiben kann, hier nicht berücksichtigen, da sie das Lügen nicht betreffen; solche höherstufigen Täuschungen wären in einer allgemeinen Theorie der sprachlichen Täuschung aufzuklären .
29 Lüge und
Täuschung
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Gegen meine Argumentation, daß es nicht notwendig ist, die Täuschungsabsicht eigens bei der Lüge zu nennen, könnten möglicherweise noch Beispiele der folgenden Art angeführt werden: (29-3)
A sagt zu einem kleinen Kind: "Die Puppe ist müde und will jetzt schlafen".
In diesem Fall würde ich zu der Annahme neigen, daß A nichts ernsthaft behauptet; genauer, daß er nur in derjenigen Welt etwas behauptet, in die er zeitweilig eintritt, um mit dem Kind zu kommunizieren: Ich würde demnach das Beispiel ähnlich analysieren wie fiktionale Äußerungen, die wir in Abschnitt 31 streifen werden. Als Erwachsener glaubt A nicht, daß Puppen müde sein und schlafen können, aber als solcher behauptet er es auch nicht relativ zur Welt des Kindes dagegen behauptet und glaubt er beides. Der Eindruck, A behaupte etwas und glaube das Gegenteil, käme also nur durch unzulässige Zusammenziehung zweier Wirklichkeitsebenen zustande. Verwandte Konflikte finden wir, wenn ein Anthropologe sich das Weltbild einer fremden Kultur zu eigen machen muß, um in ein Gespräch mit Angehörigen der betreffenden Kultur eintreten zu können. Auf Fälle von Ironie und Bildlichkeit, die auf den ersten Blick ebenfalls gegen unsere Argumentation sprechen könnten, werde ich im nächsten Abschnitt eingehen. Fassen wir zusammen: Lüge zielt notwendigerweise auf Täuschung ab, aber nicht jede Lüge bewirkt tatsächlich eine Täuschung. Die Lüge ist nur ein Fall unter vielen von versuchter Täuschung. Die Täuschungsabsicht muß jedoch nicht gesondert angegeben werden, sie folgt vielmehr gemeinsam aus der Behauptungs- und der Glaubensklausel .
30. Meint der Lügner nicht, was er sagt? Viele Autoren, die sich mit der Lüge befaßt haben, sprechen davon, daß der Lügner nicht das meine, was er sage. Diese Auffassung soll im vorliegenden Abschnitt geprüft werden. Betrachten wir zunächst einige repräsentative Äußerungen. Wittgenstein schreibt im sogenannten "Brown Book":
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"Suppose that...after having given someone the information "The train leaves at 3.30", he asked you "Did you mean it?" (...) If we lied in giving the information about the train, we would be likely to have different experiences while we gave it than those which we have in giving truthful information... In many cases therefore we are inclined to say: "Meaning what I say" means having such and such experiences while I say it" (Wittgenstein 1934-35:§11.7). Wenn also das Meinen darin besteht, bestimmte charakteristische Empfindungen zu haben, und diese Empfindungen beim Lügen fehlen,^ dann muß man daraus schließen, daß Wittgenstein zufolge ein Lügner nicht das meint, was er sagt. Ähnlich schreibt Rundle: "we should have in mind the more general condition of truthfulness or meaning what one says, where not meaning what one says does not necessarily carry with it any suggestion of an intention to deceive. ...an actor does not necessarily mean what he says, nor a person who is asleep, hypnotized, or under the influence of drugs" (Rundle 1972:214). Hier werden Wahrhaftigkeit und Meinen zuerst ziert, anschließend jedoch Fälle genannt, in das meine, was er sagt, und dies, ohne dabei von lügenhaft zu sein - eine offensichtliche Heringer schließlich liest man:
miteinander identifidenen jemand nicht unwahrhaftig im Sinne Ungereimtheit. Bei
"Wir können auch etwas anderes meinen, als wir sagen, wenn wir uns vertun. (...) Wir können auch das Umgekehrte meinen von dem, was wir sagen, wenn wir ironisch reden. Oder wir können vorgeben zu meinen, was wir sagen, wenn wir lügen" (Heringer 1974:125). Bevor ich versuchen will, die Verwirrung aufzulösen, die in diesen Zitaten zum Ausdruck kommt, ist es nötig, sich die Vielfalt der Verwendung des Ausdrucks "meinen" kurz vor Augen zu führen. Betrachten wir die folgenden Beispiele: (30-1a) Indem er äußerte "Komm", meinte er, ich solle kommen b Mit seiner Geste meinte er nichts Bestimmtes c Er meinte "Es ist kalt hier" mit "Es ist warm hier" 5
Die Auffassung, daß es für Lügen und verwandte Handlungen charakteristische Erlebnisse, Empfindungen oder Gefühle gibt, wird von Wittgenstein auch sonst vertreten. (1934-36:318, 1 936:§71 , 1 936-45:§1 59, 1 945-48:§190). Sie wäre in einer Theorie der Zuschreibung der Lüge zu diskutieren.
30 Meint der Lügner nicht, was er sagt?
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(30-2a) Sie hatte es doch nur gut gemeint 3a Mit "du" meinte er dich 4a 5a 6a
Sie meinte gestern zu mir, das sei schade Hast du jemals gemeint, das sei möglich? Ich meinte zu schweben (Falkenberg 1975:280-81).
"Meinen" im Sinne von (30-1a) bis (c) läßt sich umschreiben mit "ausdrücken wollen" oder "sagen wollen" (Wittgenstein 1936-45: §657, Tugendhat 1976:§14); dies entspricht dem von uns in Abschnitt 23 eingeführten "meinen^", das wir als bestimmte Art kommunikativen Intendierens analysiert hatten, der M-Intention. Die restlichen Verwendungsweisen von (30-2a) bis (-6a) können durch die folgenden Umschreibungen voneinander abgehoben werden: (30-2b) Sie hatte es doch nur gut beabsichtigt (gedacht) 3b 4b 5b
Mit "du" nahm er Bezug (referierte er) auf dich Sie drückte mir gegenüber ihre Uberzeugung aus (bemerkte), das sei schade Hast du jemals geglaubt (angenommen), das sei möglich?
6b
Ich bildete mir ein (wähnte) zu schweben.
In Abschnitt 10 hatten wir drei Verwendungsweisen von "sagen" unterschieden, und zwei davon, "sagen^" und "sagen/', im weiteren verwendet. Stellen wir nun den verschiedenen Formen von "meinen" die beiden Formen von "sagen" gegenüber, so sehen wir, daß die Wendung "A meint nicht, was er sagt" wenigstens dreierlei besagen kann: (30-7a) Schlaf: A meint NN nicht, was er sagt^ b c
Versprecher: A meint^nicht, was er sagt^ Schauspieler: A m e i n t ^ nicht, was er sagt^
(30-8a) Ironie: A m e i n t ^ nicht, was er sagt^ b (30-9)
Metapher: A meint NN nicht, was er sagt^ A méint (glaubt) nicht, was er sagt^
In den unter (30-7) genannten Fällen meint N N A nicht, was er sagt^, weil entweder die nötige Intention fehlt (a,c) - in diesen Fällen meint N N A gar nichts -, oder weil versehentlich der falsche Ausdruck gewählt wurde (b); in (a) liegt gar keine Intention vor (105a), in (c) liegt eine andere Intention vor: A spielt jemanden, der etwas sagti (27-1). Demgegenüber meint N N A in den Fällen (30-8)
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V IM UMFELD DES LÜGENS
etwas, aber etwas anderes, als er sagt^ in dem Sinne, daß das, was er meint NN , nicht unter die wörtliche Bedeutung des geäußerten Satzes fällt; und zwar meint NN er das Gegenteil des Gesagten^ (a), oder er meint N N etwas, das mit deir. Gesagten^ sonstwie verknüpft ist (b). In (30-9) schließlich heißt "nicht meinen, was man sagt" schlicht "nicht glauben, was man behauptet".*' Ein Grund für die Konfusion ist die Tatsache, daß "meinen" im Sinne von "glauben" auch auf die Beispiele unter (30-7) und (-8) paßt: der Schlafende, der Schauspieler oder der Ironische glauben ebenfalls nicht, was sie sagen^ oder sagen^. Umgekehrt "nicht meinen^, was man sagt" auf den Fall der Lüge beziehen, hieße anzunehmen, daß der Lügner gar nichts behauptet, sondern möglicherweise nur entweder mimt oder so tut. Diese Annahme wird tatsächlich mitunter gemacht (§31). An dieser Stelle lohnt es sich, der Beziehung zwischen Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit und Wörtlichkeit ein wenig weiter nachzugehen. A kann etwas sagen^, ohne etwas zu meinen^, indem er es sagt^ - dann liegt keine e r n s t h a f t e ^ Äußerung vor, etwa im Schlaf, auf der Bühne, aber auch im Spiel, Scherz und Witz, wo viel mit den Worten gemeint NN und noch mehr angedeutet wird. A kann andererseits etwas sagen, ι und etwas anderes meinen.,,, NN oder zum Ausdruck bringen, indem er es sagt. - dann liegt keine w ö r t l i e h e
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Äußerung vor, sondern eine übertragene wie bei Ironie,
Metapher, Sarkasmus usw. Ernsthaftigkeit und Wörtlichkeit sind voneinander unabhängig, und keine von beiden fällt mit Wahrhaftigkeit zusammen. Jede Charakterisierung etwa der Ironie als einer Form von Lüge, als "unaufrichtig und aufrichtig zugleich" oder als "so tun als ob man aufrichtig ist" (Eggs 1979:§2) widerspricht 6
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Wittgenstein schreibt in einer Umarbeitung der vorhin zitierten Passage f "Man sollte hier aber vielleicht einen Unterschied machen zwischen 'glauben', was man sagt, und 'meinen', was man sagt" (1 936:§140); leider hält er sich nicht an diesen Vorschlag. Klar über den Unterschied sind sich Moore 1942-43[ = 1 9621 :§V.16 und Hampshire 1959:137. Frege 1897:142, 1918-19:63, Lewy 1939-40, Austin 1962:9,104 u. a.; Gandhi 1974 :§11.III. Unterschieden werden Ernsthaftigkeit und Wörtlichkeit bei Black 1952-53:29, Austin 1962:121, Hungerland 1960:225, Searle 1969: §3.1.1, 1975b:§1, Schiffer 1972:§IV.4c und Lewis 1975:28.
30 Meint der Lügner nicht, was er sagt?
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sich selbst oder verfehlt den Unterschied von Lüge und Ironie. Wenn wir nach Grice (1975:43, 1978:113) den Ausdruck "meinenNN" zusammen mit "nahelegen" und "andeuten" - Frege sagt "leicht anregen" (1892:47) - unter den Oberterminus " i m p l i k a t i e r e η" fassen, können Wörtlichkeit und Ernsthaftigkeit folgendermaßen expliziert werden: (30-10) A hat den Satz s ernsthaft geäußert gdw
A meinte NN etwas, indem er s geäußert hat
(30-11) A hat den Satz s wörtlich geäußert gdw Was A implikatierte, indem er s geäußert hat, fällt unter das, was A mit s meinte.,.,. NN Bei der zweiten Explikation ist daran zu erinnern, daß "A meinte... mit x" und "A meinte, indem er χ geäußert hat, daß..." nicht dasselbe sind (23-10). A kann z.B. mit "Dunkel wurde sein Gemüt" meinen N N "Er wurde langsam verrückt" (nicht-wörtlich), ohne zugleich zu meinen^, daß das Gemüt des Betreffenden dunkel oder dieser verrückt wurde (nicht-ernsthaft). Um eine handliche Bezeichnung für Äußerungen zur Verfügung zu haben, die sowohl ernsthaft wie wörtlich sind, spreche ich von " s t r i k t e r Rede": (30-12) Die Äußerung eines Satzes s war strikte Rede gdw s ernsthaft und wörtlich geäußert wurde. Analog läßt sich jede Rede, die weder ernsthaft noch wörtlich ist, als "lose Rede" bezeichnen. Strikte Rede aber - und d.h., eine idealisierte Form des Diskurses, die manchen als der Idealtypus wissenschaftlichen Redens vorschwebt - ist das, was die analytische Sprachtheorie von Frege bis Austin vorrangig untersucht hat; wir beschränken uns in dieser Arbeit ebenfalls weitgehend auf die Untersuchung strikter Rede. A lügt ja nur, insofern er etwas behauptet, mithin meint NN - Behauptungen sind bereits ihrer Natur nach ernsthaft. (Deshalb kann ein ertappter Lügner sich damit herauszureden versuchen, er habe das nur so zum Spaß gesagt.) Behauptungen sind eo ipso auch wörtlich: wenn A ironisch oder metaphorisch ist, werden wir nicht sagen, daß er das behauptet hat, was er implikatierte, sondern daß er es nahegelegt oder angedeutet hat. (Angenommen, ich komme in ein völlig ausgekühltes Zimmer und sage: "Das ist ja eine Affenhitze hier". Wenn ich, indem ich das
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äußere, meine^, daß es recht kalt ist, dann behaupte ich strenggenommen nicht, daß es kalt ist, sondern lege es ironisch nahe; ich meine.,., mit den Worten "das ist eine Affenhitze" nicht "es ist NN kalt" - die Worte behalten ihre übliche Bedeutung). Wir hatten dies bereits in die Explikation von "behaupten" eingebaut, und zwar durch die Forderung, daß beim Behaupten das mit σ Gemeinte NN, dem entspricht, was gemeint NN ist, indem σ geäußert wird (23-15c). Fälle von nicht-ernsthafter Lüge, wie die vieldiskutierte sog. "Scherzlüge" (Th.v.Aquin 1 265-73 : §11. II. 110, 2 ; Küppers 1 928: §111, 2.a, Landgraf 1940) gibt es also gar nicht. Gewiß kann jemand aus Versehen getäuscht werden, der den Scherz nicht erkennt: und wüßte jemand von einem, der ein so simples Gemüt hätte, daß er auch nicht den plumpesten Scherz verstünde, so könnte dies sicherlich dazu benutzt werden, den Betreffenden zu täuschen. Auch Fälle von nicht-wörtlicher Lüge gibt es nach unserer Explikation nicht. Wie aber wäre dann das folgende Beispiel zu beschreiben: (30-13) A hat einen Verkehrsunfall vorgetäuscht. Ein Unbeteiligter Β läuft hinzu und schreit: "Um Gottes willen! Haben Sie einen Unfall gehabt?" Worauf A sarkastisch erwidert: "Nein, ich habe den Wagen absichtlich in die Mauer gefahren" (frei nach Agatha Christie, Why didn't they ask Evans?). Was A gesagt hat, ist nicht nur wahr, sondern auch wahrhaftig; die Umstände jedoch sind so, daß A erwarten mußte, daß Β die Äußerung sarkastisch auffaßt. Gleichwohl hat A nicht behauptet, daß er den Wagen nicht absichtlich in die Mauer gefahren hat, aber er hat es nahegelegt: was er implikatierte, fiel nicht unter das, was er mit σ meinte NN . Das Behauptete ist also wahr, das damit Nahegelegte "gelogen" - in einem etwas erweiterten Sinn von "lügen", den wir in Abschnitt 33 besprechen werden. Umgekehrt gibt es Beispiele, die wie Lügen aussehen, sich bei näherem Zusehen aber als Metaphern oder andere bildliche Redeweisen entpuppen - ein Verfahren, das in der theologischen Exegese allerdings mitunter über die Grenzen des Zulässigen hinaus angewandt wird (Augustinus 420:§24, Th.v.Aquin 1 265-73 :§11.II.110.3, 3). Die Tatsache, daß eine Äußerung, wörtlich verstanden, so o f f e n s i c h t l i c h falsch ist, daß eine Interpretation
30 Meint
der Lügner
nicht,
was er
sagt?
127
als Lüge oder Irrtum ausscheidet, scheint ein wichtiges Prinzip übertragener und bildlicher Rede zu sein (Grice 1975;53, 1978: 124). Der Begriff "offensichtlich" ist dabei durch Bezugnahme auf wechselseitigen Glauben der Beteiligten zu explizieren. Sogar ohne wechselseitige Annahme der Falschheit einer Behauptung scheint das Prinzip zu gelten, etwa wenn ein Fachmann sich, wie man so sagt, auf das Niveau seiner Zuhörer begibt, die seine Äußerung nicht als bildlich verstehen können. Gibt der Experte z.B. eine dermaßen vereinfachte Erklärung, daß sie von seinem eigenen Standpunkt aus und dem jedes auf dem Gebiet Sachkundigen wörtlich genommen falsch ist ("Wenn die Wolken an die Berge stoßen, regnet es"), so lügt er nicht. Das liegt wohl daran, daß der Satz in der Sprache des Experten, in welcher metereologisch zutreffende Formulierungen bereitliegen, falsch ist, während er in der Sprache der Zuhörer, die keine solchen Alternativen hat, wahr ist - oder doch nicht ganz falsch. (Hier grenzt das Beispiel an 2 9-3). Der Ausdruck "nicht meinen, was man sagt" hat, wie wir in diesem Abschnitt gesehen haben, verschiedene Verwendungsweisen, die leicht durcheinander geworfen werden; aber nur eine paßt auf den Fall der Lüge, und auf strikte Rede, der die Lüge zugehört. NichtErnsthaftigkeit und Nicht-Wörtlichkeit fallen nicht ineins mit Unwahrhaftigkeit im Sinne unseres zentralen Falls der Lüge. Witz, Ironie, Metapher und Lüge müssen voneinander unterschieden werden, bevor man ihre vielfältigen Beziehungen zueinander untersuchen kann.
31. Sind Lügen scheinbare Behauptungen? Wir waren in dieser Arbeit davon ausgegangen, daß lügen beinhaltet, etwas behaupten (§21), und Lügen daher besondere Behauptungen sind (§25). Hier wollen wir uns mit einer völlig anderen Auffassung beschäftigen, die besagt, daß Lügen überhaupt keine Behauptungen sind, und diese Auffassung zurückweisen. Nicht nur Phänomenologen, sondern auch analytische Sprachphilosophen und Linguisten haben sie vertreten. Zuerst scheint sie von Husserl erwogen worden zu sein:
V IM UMFELD DES LÜGENS
128
"die Frage der Wahrhaftigkeit hängt...mit der Möglichkeit scheinbaren Aussagens zusammen, wobei der eigentliche und normale Act des Bedeutens fehlt" (1901 :§VI.70 Schluß). Husserl war allerdings mit seiner Behandlung dieser Frage später nicht mehr zufrieden. Reinach, der sein Assistent war, wird deutlicher: "Keine Behauptung ist möglich, die nicht von einer zugrunde liegenden Überzeugung begleitet wäre, wobei Überzeugung und Behauptung auf ein streng Identisches sich beziehen [den Sachverhalt]. (...) Man könnte unserem ersten Satze gegenüber hinweisen auf die Tatsache der Lüge, der es ja wesentlich ist, eine Behauptung ohne Überzeugung zu sein. Eine nähere Betrachtung zeigt, daß bei der Lüge von einem echten Behaupten überhaupt nicht die Rede sein darf. Es liegt hier eine eigentümliche Modifikation des Behauptens vor, ein ScheinBehaupten gleichsam, dem das eigentliche Leben fehlt" (Reinach 1 911 :§1) . Die Phänomenologie hat sich, soweit ich sehe, nicht zu einer einheitlichen Stellungnahme zu diesem für sie erheblichen Problem durchgerungen - fehlen bei der Lüge doch gerade die sogenannten
9 "intentionalen Erlebnisse", die das Behaupten "fundieren" sollen. Die radikale phänomenologische Auffassung wird von Dempe für die Sprachwissenschaft übernommen: "Wir haben oben die Lüge als Behauptung ohne Überzeugung bezeichnet. Da wir die Überzeugung der Behauptung wesentlich innewohnen ließen, darf eine Behauptung ohne Überzeugung nicht als echte Behauptung anerkannt werden. (...) Da wir hier also auch nicht mehr von Behauptung sprechen dürfen, belegen wir diese gegenüber der Überzeugung neutrale "Behauptung" mit dem Namen "Aussage"" (Dempe 1930:§VI.3).
Heute findet sich eine derartige Position sowohl in der analytischen Philosophie (etwa bei Shwayder 1965:§V.7) wie auch in der Linguistik. So schreiben Ehlich und Martens: 9
Pfänder z.B. spricht vom Lügen als einer unechten Handlung, sagt jedoch: "Der Lügner...b e h a u p t e t tatsächlich das, was er lügt. Er vollzieht reale Behauptungsakte, aber in einer eigentümlich hohlen, unechten Form" (1913:§III.a Zusatz). Dagegen schließt sich Küppers wieder enger an Reinach an: "Wenn die Lüge auch zum Typus der Mitteilung gehört, so fehlt ihr eines der allerwesentlichsten Momente der Mitteilung natürlich völlig, nämlich die Funktion, e c h t e s Wissen zu vermitteln. Die Lüge ist durchaus nur scheinbar eine Mitteilung (...) Eben deshalb könnte man die Lüge als " s c h e i n b a r e M i t t e i l u n g " bezeichnen" (Küppers 1928:§II).
31 Sind
Lügen
scheinbare
Behauptungen?
129
"Die Lüge nun ist eine s c h e i n b a r e B e h a u p tung. Für den Hörer soll sie, so die Absicht des Sprechers, als Behauptung zählen. (...) Da die Lüge ein ausgearbeitetes Schema sprachlichen Handelns ist, könnte man von einer illokutiven Kraft dieses Akts sprechen" (Ehlich & Martens 1 972 :§4.e) . Ich möchte die Position, die in den verschiedenen Zitaten Ausdruck kam, "die Lehre von der L ü g e als P s e u b e h a u p t u n g " nennen. Es gibt zwar eine Reihe von die dagegen Einspruch erhoben h a b e n , a b e r es lohnt sich noch, diese Lehre grundsätzlich zu erschüttern.
zum d o Autoren, den-
Zunächst zwei vorbereitende begriffliche Bemerkungen. In Formulierungen der Lehre von der Lüge als Pseudobehauptung wird verdächtig oft das Wort "echt" an entscheidender Stelle verwendet: Das Lügen, so wird gesagt, sei kein echtes Behaupten. Wenn aber der Ausdruck "echt" hier kein rhetorisches Beiwerk ist und eine andere Bedeutung haben soll als "wahrhaftig" - denn daß der Lügner so tut, als ob er eine w a h r h a f t i g e Behauptung macht (Black 1952:550), will ich selbstverständlich nicht bestreiten -, wäre die Bedeutung von "echt" anzugeben. Da ich nicht sehe, daß dies irgendwo geschehen ist, werde ich diese Spielart übergehen bzw. als mit der Lehre von der Pseudobehauptung zusammenfallend ansehen. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß die Neigung zur Verwendung solcher Wörter wie "echt", "richtig", "wirklich", usw. besteht; aber es geht darum, diese Neigung zu erklären. Weiter will ich in meiner Argumentation voraussetzen und unterstellen, daß die folgenden Ausdrücke allesamt kontrafaktiv sind: (31-1a) b c d (31-2a) b c d e
A A A A χ χ χ χ χ
hat hat hat gab war war war war war
den Schein erweckt, als ob ρ so getan, als ob ρ vorgetäuscht, daß ρ vor, daß ρ ein scheinbares y ein vorgetäuschtes y ein geheucheltes y ein simuliertes y ein fingiertes y.
Aus den Satzformen (31-1) folgt also, daß nicht p; und aus denen in (31-2) folgt, daß χ kein y war. 10
Lewy 1939-40 mit Verweis auf Vorlesungen Moores, Hungerland 1960, Mannison 1969:§III, Ehrich & Saile 1972:§3.1.2, Wunderlich 1974;351,1976:§VI,1, Reprich 1977:§2.3.
130
V IM UMFELD DES LÜGENS
Als erstes läßt sich gegen die Lehre von der Lüge als Pseudobehauptung vorbringen, daß sie die umgangssprachliche Bedeutung der Ausdrücke "lügen" und "behaupten" verletzt. Stellen wir uns zur Verdeutlichung eine Szene vor, in der Β den A bei einer offensichtlichen Lüge ertappt hat: (31-3)
Β zu A: "Du hast gelogen, als du behauptet hast, daß pl" A: "Augenblick! Sicher, ich habe gelogen, aber gerade deshalb habe ich ja gar nicht behauptet, daß p, sondern nur so getan."
Als nächstes ist zu fragen, welche Folgen sich ergeben, wenn die Position auch für andere sprachliche Handlungen geltend gemacht wird. Ist ein unaufrichtiges Versprechen kein Versprechen? ("Nichts habe ich dir versprochen. Ich habe nur so getan.") Ist ein Meineid kein Eid? ("Herr Staatsanwalt, ich muß Ihnen widersprechen; der Zeuge hat nicht ausgesagt, daß er den Mord gesehen hat - er hat nur den Anschein erweckt".) Die Absurdität einer Position, die solche Folgen hat, ist augenscheinlich. Weiter ist auf folgendes hinzuweisen: Wenn eine Lüge keine Behauptung ist, was für eine Handlung ist sie dann? Ein illokutionärer Akt sui generis, wie Mannison (1969:§IV) erwägt und wie Ehlich und Martens in der eben erwähnten Passage vorschlagen? Abgesehen von den vielen Merkwürdigkeiten einer solchen Auffassung - z.B. der Annahme eines illokutionären Akts, der niemals offen vollziehbar wäre - würde sie uns die Möglichkeit nehmen, die für die Behauptung entwickelten Begriffsbildungen auf die Lüge zu übertragen. Es kann aber kein Zufall sein, daß diese Anwendung gelingt (§26). Wahrhaftigkeit dagegen zu einer notwendigen Bedingung für das Behaupten zu erheben, stellt überscharfe und normative Ansprüche an das Behaupten. Ein möglicher Grund für die Lehre von der Lüge als Pseudobehauptung war schon in Abschnitt 30 genannt worden, nämlich der unzulässige Schluß von "der Lügner ist nicht der Meinung, daß p" auf "der Lügner meint NN nicht - mithin, behauptet nicht -, daß p". Der Kardinalirrtum scheint jedoch in folgendem Fehlschluß zu liegen: (31-4a) Lügen sind Behauptungen zum Schein, b Lügen sind scheinbare Behauptungen, c Lügen sind gar keine Behauptungen.
31 Sind Lügen scheinbare
Behauptungen?
131
Der Fehler liegt im Ubergang von (a) zu (b). Wenn A lügt, so will er in der Tat einen Schein erwecken, aber daraus folgt nicht, daß er nur scheinbar und nicht tatsächlich behauptet. Man darf den Ausdruck "zum Schein" nicht aus dem Bereich des in Satz (31-4a) vorgeordneten "Behauptung" herauslösen und nach vorn setzen. Der Fehlschluß wird allerdings begünstigt durch die komplexe Logik von 11 "Schein"-Konstruktionen. Welchen Schein aber will der Lügner erwecken? Doch denjenigen, er g l a u b e , daß ρ (Meinong 1 902:§11=1910:§17, Marty 1908: §119.1, Hungerland 1960:218). Lügen ist ein Fall von vortäuschen, aber nicht von vortäuschen zu behaupten, sondern von vortäuschen zu glauben. Das kann man wegen der Faktivität von "ausdrücken" (§23) auch so formulieren: lügen heißt, so tun als ob man seine Uberzeugung ausdrückt (vergleiche Black 1952-53:32); in unserer Terminologie heißt dies nicht, so tun als ob man seine Uberzeugung zum Ausdruck bringt (23-5). Der Lügner benimmt sich wie jemand, der wahrhaftig ist (aber er spielt nicht jemanden, der glaubt). Dadurch daß er behauptet, daß p, tut er so, als glaube er, daß p, weil er jeden spontanen Ausdruck seines tatsächlichen gegenteiligen Glaubens, daß nicht p, u n t e r d r ü c k t . Indizien für die mangelnde Beherrschung des natürlichen Ausdrucks sind daher oft Anzeichen für eine Lüge. Etwas vortäuschen (so tun als ob) heißt, grob gesagt, folgendes: (31-5) A hat vorgetäuscht, daß er die Eigenschaft F hat gdw
A hat zu schaft F Absicht, schaft F
verbergen gesucht, daß er nicht die Eigenhat, dadurch daß er etwas getan hat in der andere glauben zu machen, daß er die Eigenhat.
Angewandt auf unseren zentralen Fall der Lüge (21-9) in Verbindung mit (26-1) und (23-15) können wir ableiten, daß jeder, der einen
11
Ein "Scheinangriff" im Krieg kann zweierlei sein: eine wirkliche Attacke, die aber nicht bis zu Ende durchgeführt wird, mit dem Ziel, den Gegner zu verwirren oder vom Punkt des Hauptangriffs abzulenken; oder etwas, das den Eindruck eines Angriffs hervorrufen soll, z.B. das Zünden von Feuerwerkskörpern. Eine "Scheinfirma" kann sein: eine Firma, die unter seriösem Deckmantel fremde Zwecke verfolgt, oder aber ein nicht im Firmenregister eingetragenes Unternehmen.
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V IM UMFELD DES LÜGENS
andern anlügt, die Eigenschaft F vortäuscht (wobei F = "glauben, daß p"): (31-6)
Wenn A den Β angelogen hat, dadurch daß er mittels σ behauptet hat, daß p, dann hat er mittels σ vorgetäuscht, daß er aktiv glaubte, daß p.
Im zentralen Fall der Lüge verdeckt A seinen wirklichen Glauben mit einer Behauptung, welche Ausdruck des gegenteiligen Glaubens ist. Die Lüge tarnt sich also nicht als Behauptung (Ehlich & Martens 1972:§4.e), sie ist eine. (Nicht daß ich bestreiten will, daß es Fälle von scheinbarem Behaupten gibt; es gibt sie - zwei hatten wir bereits kennengelernt, nämlich (29-1) und (29-2) -, aber sie sind keine Lügen, sondern kompliziertere Formen von Täuschungen.) An dieser Stelle möchte ich kurz ein Thema anschneiden, das schon einmal berührt worden war. In Abschnitt 27 war Freges Charakterisierung der Theaterbehauptung als einer "Scheinbehauptung" zustimmend zitiert, und gesagt worden, ein Schauspieler behaupte nicht etwas, wenn er auf der Bühne etwas sagt, von dessen Falschheit er überzeugt ist, sondern spiele oder mime jemanden, der behauptet. (Es ist ja auch möglich, daß er jemanden spielt, der lügt.) Die bisherige Diskussion dieses Abschnitts hat gezeigt, daß man mit dem Begriff "Scheinbehauptung" vorsichtig umgehen muß. Frege schreibt nun an anderer Stelle: "Nicht immer, wenn wir einen B e h a u p t u n g s s a t z aussprechen, tun wir das mit behauptender Kraft. Der Schauspieler auf der Bühne, der Dichter, der aus seinen Werken vorliest, beide werden oftmals Behauptungssätze aussprechen; aber man entnimmt aus den Umständen, daß es nicht mit behauptender Kraft geschieht. Sie tun nur so als behaupteten sie" (Frege 1914:252). Hier stehen wir unmittelbar vor einem Mißverständnis. Weder der Schauspieler noch der Dichter, der aus seinen Werken vorliest, täuschen ja im Sinne von (31-5) vor, daß sie behaupten: sie tun nichts in der Absicht, ihre wahren Behauptungen dem Publikum zu verheimlichen. Freges beiläufige Bemerkungen zur Dichtung haben sich in der analytischen Sprachtheorie zu einem allgemeinen Dogma verfestigt, das man die "Theorie der f i k t i o n a l e n R e d e als S o - t u n - a l s - o b " nennen kann, oder
31 Sind
Lügen
scheinbare
Behauptungen?
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ι2 "Fiktionalität als Vorgeben" (pretence). Diese Theorie verbindet sich meist mit der folgenden Überlegung: Da die Handlung des So-tun-als-ob-man...machens logisch abhängig ist von der Handlung des ...Machens, sei Dichtung logisch abhängig von nicht-fiktionalem Gebrauch der Umgangssprache, welche sie p a r a s i t ä r 13 ausnutze. Ich kann hier auf diese Theorie - oder soll man sagen: auf dieses Vorurteil - nicht ausführlich eingehen, möchte aber im Zusammenhang dieser Untersuchung zwei grundsätzliche Vorbehalte anmelden. Erstens scheint der Autor einer fiktionalen Äußerung mit dem Schauspieler und dem Rezitator gleichgesetzt zu werden. Es wird jedoch der Rolle des Dichters wohl nicht gerecht, wenn man ihm die Ernsthaftigkeit (30-10) bestreitet, ihm also nicht zubilligt, daß er etwas meinen NN oder implikatieren kann. (Frege räumt immerhin ein, daß in der Dichtung "dem Hörer nahegelegt werden mag, selbst ein zustimmendes Urteil zu fällen", 1918-19: 63). Zweitens, und das greift tiefer: es gelingt trotz aller Beteuerungen nicht, fiktionaler von unaufrichtiger Rede abzugrenzen. Zwar beteuert Searle, es existierten zwei Arten des Vorgebens, täuschendes und nicht-täuschendes, wobei nur die zweite Art Fiktion sei (1975b:§11). Dies tut aber nicht nur den Ausdrücken "vorgeben" oder "so tun als ob"(pretending) Gewalt an; sondern es erscheint theoretisch zweifelhaft, daß Lüge und Fiktion sich Uberhaupt als zwei Formen einer einheitlichen Gattung "Vorgeben" (Ryle 1949:§VIII.5) auffassen lassen. Anscombe hat deshalb vorgeschlagen, "real pretences" im Sinne von (31-5) und "mock performances" zu unterscheiden (1958:279). Zu den letzteren gehören dann Spiel, Imitation, Pantomime, Proben, Vorführungen, Übungen und vieles andere (Meinong 1902:§10=1910: §16, Pfänder 1913:§111, Goffman 1974:§3.II). 12
Eine solche Auffassung wird vertreten von Ryle 1950, Searle 1969 :§4.2, 1975b, Lewis 1978:40, sowie von S.Kripke in unveröffentlichten Vorlesungen. Nahegelegt wird sie in Austin 1962:22.
13
Austin 1962:104, Shwayder 1965:§V.7, Searle 1969:§3.1.1; ähnlich Armstrong 1971:443.
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Fiktionale Behauptungen sind also nicht fingierte Behauptungen, und da wir diese von den Lügen bereits unterschieden haben, sind wir nicht in der Gefahr, Lüge und Fiktion in einen Topf zu werfen. Die Tendenz dazu ist allerdings ist unserer Sprache angelegt. "Fiktion" ist von lateinisch "fingere" abgeleitet, das die Bedeutungen des Erdichtens und lügenhaften Fabulierens hat (Hamburger 1965:61). Denken wir auch daran, daß der griechische Wortstamm "pseud-" neben Fiktion und Schein den Irrtum und die Lüge umfaßte (§20). Wir können damit die Lehre von der Lüge als Pseudobehauptung zu den Akten legen. Jede Theorie der Behauptung, die mit der Lüge nicht zurecht kommt, ist inadäquat (Gandhi 1974:15). Anstatt, wie die hier kritisierte Lehre, aus der Not eine Tugend zu machen und die Lüge zur fingierten Behauptung zu erklären, kann die Lüge zum Testfall einer handlungstheoretischen Betrachtung der Sprache werden. So wie eine Wahrheitstheorie unangemessen ist, die mit dem Problem der Falschheit nicht zurande kommt, und eine Erkenntnistheorie uninteressant, wenn sie den Irrtum ignoriert, so ist eine Sprachtheorie unbefriedigend, wenn sie die Lüge ausklammert.
VI.
DREI ARTEN DER LÜGE
32. Starke und schwache Lüge Würde der Lügner, was er glaubt, auch noch behaupten, so würde er sich in einen Widerspruch verwickeln; würde er, was er behauptet, auch noch glauben, so wäre er inkonsistent in seinen Überzeugungen: dies ist die Lage, in der ein Lügner sich findet - "Entzweiung" hatten wir das genannt (§7). Der zentrale Fall der Lüge (21-9), in dem A behauptet, daß p, und dabei glaubt, daß nicht p, soll hier " s t a r k e Lüge" heißen. Daneben gibt es aber noch einen anderen Fall, denn ich " s c h w a c h e Lüge" nennen möchte. Eine solche liegt vor, wenn A weder glaubt, daß p, noch glaubt, daß nicht p. Zum Beispiel: (32-1)
A hat behauptet, daß Fortuna gewonnen hat, ist sich aber gleichzeitig ungewiß, ob Fortuna gewonnen hat oder nicht.
In denjenigen Fällen, in denen A sich darüber, ob ρ oder nicht p, vorher keine Gedanken gemacht hat, würden wir auch sagen, daß er aufs Geratewohl behauptet, etwas aus der Luft greift oder "ins Blaue redet". In anderen Fällen würden wir nicht von seiner Unkenntnis (Ignoranz), sondern von seiner Unentschiedenheit (Indifferenz) sprechen, wenn er nämlich zu keiner Entscheidung gelangt ist. Die erste Form der schwachen Lüge ist im Unterschied zur starken Lüge keine Vortäuschung im Sinne von (31-5): mit ihnen kaschiert man nicht einen Glauben, den man tatsächlich hat. Stöhr (1911:§10) bezeichnet schwache Lügen plastisch als "blinde Aussagen", und nennt als typische Beispiele Angeberei, Denunziation und Antworten auf Verhörfragen. In der Rechtswissenschaft sprach man in Fällen von schwacher Lüge vom dolus eventualis im Gegensatz zum dolus directus (Sick 1915 :§4.IV.3). Starke und schwache Lüge unterscheiden sich etwa so wie Atheismus und Agnostizismus, d.h. wie der Glaube, daß es keinen
VI DREI ARTEN DER LÜGE
136
Gott gibt, und das Nicht-entschieden-sein, ob es einen Gott gibt. Im Englischen unterscheidet man hier manchmal zwischen "disbelief" und "nonbelief". Was einer behauptet und was einer glaubt oder nicht glaubt, kann eben auch noch anders auseinanderklaffen als "p" und sein kontradiktorisches Gegenteil "nicht p". Wir können dann folgende Verallgemeinerung von (21-9) vornehmen (ähnlich bereits Kant 1797c:Ende, Langford 1942:328, Isenberg 1963-64:§11, Prior 1971:§6.1) : (32-2)
A hat zu t gelogen gdw
(a) A hat zu t behauptet, daß ρ (b) A glaubte zu t nicht, daß p.
Die Analyse (21-9) wird von dieser Analyse deshalb eingeschlossen, weil folgende Bedingung, aber nicht ihre Umkehrung, gilt: (32-3)
Wenn A die propositionale Einstellung hat, daß nicht p, dann hat er nicht die propositionale Einstellung, daß p.
Bei einer schwachen Lüge lügt A mittels eines Satzes wie "Fortuna hat gewonnen" gewissermaßen genauso wie mittels der Negation dieses Satzes "Fortuna hat nicht gewonnen". Ausgeschlossen sind schwache Lügen allerdings über den Unfehlbarkeitsbereich Ψ: in diesem Fall kann A ja nicht im Zweifel darüber sein, ob ρ oder nicht ρ (§17) . Lügen heißt also, etwas behaupten, was man nicht glaubt: und zwar sowohl etwas behaupten, von dem man überzeugt ist, daß es nicht so ist (starke Lüge), als auch, etwas behaupten, von dem man weder glaubt, daß es so ist, noch glaubt, daß es nicht so ist (schwache Lüge).
33. Direkte und indirekte Lüge Als zweites möchte ich direkte und indirekte Lügen voneinander abgrenzen. Einige Beispiele: (33-1a)
b
B: "Wieviele Kekse hast du genommen?" A: "Einen" (wenn er überzeugt ist, zehn genommen zu haben). "Ich habe gestern versucht, das Radio zu reparieren" (wenn er sicher ist, es vollständig repariert zu haben).
33 Direkte
(33-1c) d
und indirekte
Lüge
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"Der Rasen ist grün oder blau" (wenn der Sprecher glaubt, daß der Rasen grün ist). Ein Reiseunternehmen wirbt für eine Ausflugstour mit dem Satz: "Noch zwei Plätze frei" (wenn noch alle frei sind).
A hat die Wahrheit gesagt, aber nicht "die ganze Wahrheit". Er hat nicht behauptet, daß er n u r einen Keks genommen hat (a), er hat nicht behauptet, daß er das Radio n i c h t wieder instand gesetzt hat (b), und er hat nicht behauptet, daß er sich im unklaren über die Farbe des Rasens ist (c), usw., aber er hat all dies nahegelegt, oder wie wir in Abschnitt 30 sagten, er hat es implikatiert (Grice 1975). Hier ein weiteres Beispiel für das, was Heinrich Boll einmal "mit der Wahrheit lügen" genannt hat: (33-2)
(Zeitungsmeldung:) "Hilmi Karaboran wurde gestern von 20 Kriminalpolizisten in Zivil und einer Hundertschaft Polizei mit Maschinenpistolenschutz verhaftet. In seinem Zimmer fand sich zahlreiches Kartenmaterial, sowie mehrere Flaschen mit Chemikalien." (Es handelte sich um einen Geographiestudenten, der eine Vorliebe für große Parfümflaschen hatte.)
Nennen wir den zentralen Fall der Lüge (21-9) " d i r e k t e Lüge", so können wir hier von " i n d i r e k t e r Lüge" sprechen, und sie in einem ersten Schritt folgendermaßen explizieren: (33-3)
A hat indirekt gelogen gdw (a) A hat behauptet, daß ρ und damit implikatiert, daß q (b) A hat geglaubt, daß nicht q.
Für die indirekte Lüge ist also nicht mehr das ausschlaggebend, was - in unserem strengen Sinn von "behaupten" - behauptet wurde, sondern was nahegelegt oder angedeutet wurde. (Wem unser Behauptungsbegriff zu eng erscheint, kann ihn lockern, indem er Klausel (c) in (23-15) fallenläßt.) Ein Beispiel für indirektes Lügen mit der Ironie hatten wir bei (30-13) schon besprochen. Frege weist darauf hin, daß es in manchen Fällen zweifelhaft sein kann, ob ein Nebengedanke mit zum Sinn des Satzes gehört oder ihn nur begleitet, und daß dies für die Frage wichtig werden kann, ob eine Behauptung eine Lüge war (1892:47). Sein Beispiel ist (33-4)
Napoleon, der die Gefahr für seine rechte Flanke erkannte, führte selbst seine Garden gegen die feindliche Stellung.
138
VI DREI ARTEN DER LÜGE
Wenn mit diesem Satz nicht behauptet, sondern nur implikatiert wird, daß die Erkenntnis der Gefahr der Grund für Napoleons Handlungsweise war, so hätte jemand indirekt gelogen, der dies nicht glaubte: er hätte ein Verhältnis zwischen beiden Sachverhalten suggeriert, von dem er glaubte, daß es nicht bestand. Strawson, der im Anschluß an Frege annimmt, daß eine Behauptung weder wahr noch falsch ist, wenn ihre Präsuppositionen nicht erfüllt sind, führt folgendes Beispiel an: (33-5)
A sagt bei einem Verkauf, um den Preis in die Höhe zu treiben: "Der Mieter von nebenan hat mir das Doppelte geboten", obwohl er genau weiß, daß es eine solche Person nicht gibt (Strawson 1954:225, Hungerland 1960: 250, Keller 1975 :§4 . 3 .1) .
Man könnte in solchen Fällen von einer Lüge durch Implikatur oder Präsupposition sprechen (Siegler 1966:§5, Chisholm & Feehan 1977: §V.5; Beispiele bei Sick 1915 :§4.III.1) . Wir gehen hier nicht weiter auf diese Problematik ein, weil dafür die Aufgabe der Bedingungen (21-3) bis (21-5) nötig wäre.
34. Harte und weiche Lüge Bisher habe ich so getan, als ob es nur einen Stärkegrad von Behauptungen und Glaubenseinstellungen gibt, und habe Unterschiede wie die zwischen den folgenden Behauptungen ignoriert: (34-1a) b c d e
ρ Ich weiß, daß ρ Ich glaube, daß ρ Vielleicht ρ Sozusagen p.
Man denke auch an Unterschiede zwischen (34-2a) Ja b Jooh c Mmh. Hier gibt es, möchte man sagen, - gegeben ein und dieselbe Glaubenseinstellung von konstanter Stärke, daß nicht ρ - eine Skala von der k n a l l h a r t e n oder, faustdicken Lüge bis zur w e i c h e n , weil es eine Skala von der harten bis
34 Harte
und weiche
Lüge
139
zur weichen Behauptung gibt. Betrachten wir ein Beispiel: (34-3) a b c
Β fragt A: "Warst du da?" Darauf A: "Selbstverständlich war ich da", "Ja", "Mmh".
Wozu ich neige, ist, daß A, wenn er in allen Fällen gleich stark glaubte, daß er nicht da war, in (34-3a) gewissermaßen stärker gelogen hat als in (b), und in (b) stärker gelogen hat als in (c). Die Äußerung (34-3a) ist natürlich nicht mehr und nicht weniger eine Behauptung als (b), denn entweder "wird etwas behauptet oder es wird nicht behauptet; Grade des Behauptens aber gibt es nicht" (Reinach 1911:§I). Aber es gibt Grade des Behaupteten. Man kann auf der Seite der Glaubenseinstellungen eine ähnliche Skala annehmen, die von felsenfester Überzeugung bis zur vagen Vermutung reicht. Dann gibt es - gegeben ein und dieselbe Behauptung von konstanter Stärke, daß ρ - ebenfalls eine Skala von harter Lüge bis zur weichen.^ Beispiel: (34-4)
Β fragt A: "Hast du das Buch mitgenommen?" A darauf:
a
"Ja" (vollkommen überzeugt, es nicht mitgenommen zu haben).
b
"Ja" (in der Annahme, daß er es wahrscheinlich nicht nicht mitgenommen hat).
Auch hier möchte ich sagen, daß A in (34-4a) gewissermaßen stärker gelogen hat als in (b), weil seine Glaubenseinstellung, daß nicht p, bei konstanter Stärke der Behauptung, eine stärkere war. Wenn wir beide Skalen, die Skala der Behauptungsstärke und die der Stärke der Glaubenseinstellung, gegenüberstellen, ließe sich der Grad einer Lüge so explizieren: (34-5)
1
Die Äußerung von σ war in dem Grade eine Lüge, in dem der Stärkegrad der Behauptung mittels σ, daß p, und der Stärkegrad der Glaubenseinstellung, daß nicht p, auseinanderfielen.
Ich versuche hier, eine anregende aristotelisch klingende Bemerkung von Austin aufzunehmen: "If I say "S is P"when I don't even believe it, I am lying: if I say it when I believe it but am not sure of it, I may be misleading, but I am not exactly lying" (1946:171). Frühscholastische Definitionen, die ausgehend von Augustinus (421 :§6) eine Gradierung von Lügen annehmen, führt Landgraf (1940:135-36) auf.
V I DREI ARTEN DER LÜGE
140
Dann könnte man in Anlehnung an Augustinus (395:§3) sehr vorläufig folgendes sagen: (34-6)
A war v o l l k o m m e n wahrhaftig gdw die Stärke seiner Behauptung, daß p, gleich der Stärke seiner Glaubenseinstellung war, daß p.
Aber ob diese Explikationen sich sinnvoll präzisieren lassen, und ein komparativer oder sogar quantitativer Begriff von Behauptungsstärke und Stärke der epistemischen Einstellung entwickelt werden kann, hängt davon ab, ob und wie die Stärke von Behauptungen und Glaubenseinstellungen bestimmt werden kann.
35. Ausblick Bei diesen drei Modifikationen des zentralen Falls der Lüge (21-9) will ich es belassen: starke versus schwache Lüge, direkte versus indirekte Lüge, und harte versus weiche Lüge. Um die letzten beiden Arten der Lüge genauer zu fassen, müßte unsere Begrifflichkeit erheblich erweitert werden. Es gibt alle möglichen Mischformen, z.B. die Kombination von indirekter und schwacher, oder von direkter und weicher Lüge, usw. Als Strategie erscheint es mir günstig, von starken, direkten, harten Lügen auszugehen, und von dort aus in verschiedene Richtungen vorzustoßen, um zu sehen, wie der Begriff der Lüge an den Rändern ausfranst; wie die Lüge übergeht in andere Arten versuchter verbaler Täuschung, in Irreführung, in Unter- und Übertreibung, Verzerrung, Heuchelei, usw. Wenn diese Arbeit geleistet wäre, so wären wir dem Ziel, eine Theorie der Lüge im engeren Sinn zu entwickeln, ein·weiteres Stück nähergekommen. Aber selbst nachdem wir alle anderen Arten sprachlicher Täuschungsversuche analysiert hätten, so wäre es noch weit bis zu einer allgemeinen Theorie täuschender Handlungen, von der die Theorie der Lüge ein Teil sein könnte. Denn das unübersehbare Feld nichtsprachlicher Täuschungen liegt noch fast unbearbeitet vor uns. *
141
ANHANG: VERZEICHNIS DER ANALYSEN UND ABKÜRZUNGEN
;: Äußernder (17) :: A d r e s s a t (17)
A Β
(3)
gdw :: g e n a u dann wenn
p»q :: P r o p o s i t i o n (71) s :ί S a t z (3 1) σ ;: D e k l a r a t i v s a t z (91) χ :: Äußerung (16) Ψ :: U n f e h l b a r k e i t s b e r e i c h
(60)
(5-6)
Eine Äußerung χ i s t sprachlich gdw χ i s t verbal, oder χ i s t körpersprachlich (non-verbal)
(5-7)
Eine Äußerung χ i s t verbal gdw χ i s t lautsprachlich, oder χ i s t schriftsprachlich
(6-1)
A hat gelogen
(6-2)
A hat Β angelogen (etwas vorgelogen)
(6-3)
A hat Β belogen
(7-1) + A hat gelogen gdw (a) A hat g e s a g t . . . , (simple
(10-4/6)
Form der
klassischen
Theorie)
(b) A wußte, daß n i c h t . . .
A kann etwas sagen^ ohne zugleich etwas zu sagen^; und umgekehrt (Unabhängigkeit
von sagen,
-i
und sagen
J d
(10-7) Vfenn A etwas gesagt^ hat, dann dadurch, daß A s geäußert hat (11-7) A hat behauptet daß ρ (12—1 ) A +
wußte daß nicht ρ
(Wissensklausel)
(Falschheitsklausel)
(12-2)
Nicht ρ
(12-3)
Vfenn A w=iß daß p, dann ρ (Bedingung für wissen)
(12-12)
A glaubte daß nicht ρ
(Glaubensklausel)
142
(14-1) Wann A zu t weiß daß p, dann ist es A nicht notwendigerweise zu t bewußt daß ρ (Bedingung für Wissen) (15-1) A hat sich zu t darin geirrt daß ρ gdw (a) A glaubte zu t daß p, (b) nicht ρ (15-4) Wenn A zu t gelogen hat, dann intendierte A zu t, daß Β sich irrt (16-2) A war zu t wahrhaftig darin daß ρ gdw (a) A hat zu t behauptet daß p, (b) A glaubte zu t aktiv daß ρ (16-3) A war zu t unwahrhaftig darin daß ρ gdw A hat zu t gelogen daß ρ (16-4) Die Äußerung von σ zu t war wahrhaftig gdw (a) die Äußerung von σ zu t war eine Behauptung, (b) die Äußerung von σ zu t war nicht gelogen (16-5) Die Äußerung von σ zu t war unwahrhaftig gdw die Äußerung von σ zu t war gelogen (17-1) Wann A behauptet hat daß p, und ρ in Ψ fällt, dann (a) ρ gdw A glaubt daß p, und (b) nicht ρ gdw A glaubt daß nicht ρ (18-1) A hat, wenn er zu t gesagt, hat daß p, zu t faktiv die Wahrheit gesagt^ darin daß ρ gdw ρ 1 (18-2) A hat, wenn er zu t gesagt^ hat daß p, zu t epistemisch die Wahrheit gesagt^ darin daß ρ gdw A zu t glaubte daß ρ (18-4) Wenn A zu t wahrhaftig war darin daß p, dann glaubte A zu t, zu t faktiv die Wahrheit zu sagen^ darin daß ρ (18-5) Wenn A zu t unwahrhaftig war darin daß p, dann glaubte A zu t, zu t faktiv nicht die Wahrheit zu sageru darin daß ρ (18-6) Vfenn A zu t wahrhaftig war darin daß p, dann intendierte A zu t, zu t faktiv die Wahrheit zu sagen^ darin daß ρ (18-7) Vfenn A zu t unwahrhaftig war darin daß p, dann intendierte A zu t, zu t faktiv nicht die Wahrheit zu sagen^ darin daß ρ (21-3) Nicht nicht ρ
gdw
ρ
(Prinzip
der doppelten
Negation)
(21-4) Vfenn es nicht wahr ist daß p, dann ist es falsch daß p; wann es nicht falsch ist daß p, dann ist es wahr daß ρ (Prinzip der Bivalenz) (21-5) Entweder ρ oder nicht ρ
(Prinzip
(21-6) Nicht zugleich ρ und nicht ρ
des ausgeschlossenen
(Prinzip
Dritten)
des ausgeschlossenen
Wider-
spruchs)
*(21-9) A hat zu t gelogen daß ρ gdw (a) A hat zu t behauptet daß p, (b) A glaubte zu t aktiv daß nicht ρ (zentraler Fall der Lüge)
143
(23-5)
A hat zu t verbal den Glauben ausgedrückt daß ρ gdw (a) A hat zu t verbal den Glauben zum Ausdruck «gebracht daß p, (b) A glaubte zu t daß ρ
(23-7)
A hat zu t mittels χ die Überzeugung zum Ausdruck gebracht daß ρ gdw A hat χ zu t geäußert mit der Intention, daß (a) Β glaubt daß A glaubt daß ρ (b) Β glaubt daß ρ (c) (b) u.a. weil (a)
(23-9)
A hat s zu t geäußert mit der M-Intention, daß Β glaubt daft ρ gdw A meinte^, indem er s zu t geäußert hat, daß ρ
(23-10) A kann, indem er χ zu t äußert, meinen^ daß p, ohne zugleich "p" mit χ zu meinen^; und umgekehrt (Unabhängigkeit von "p" meinen und meinen
daß
p)
(23-11) A meinte^, indem er s zu t geäußert hat, daß ρ gdw A hat s zu t geäußert mit der Intention, einen Zustand zu schaffen, der ausreicht, damit A und Β wechselseitig glauben daß A primär intendiert, daß Β glaubt daß ρ (23-15) A hat zu t mittels σ behauptet daß ρ gdw (a) A hat σ zu t geäußert (b) A hat, indem (a), M-intendiert, daß Β aktiv glaubt daß ρ (c) A meinte^ zu t "p" mit σ (24-1)
Die Äußerung von σ zu t war die Behauptung von A daß ρ gdw A hat dadurch, daß er σ zu t geäußert hat, behauptet daß ρ
(24-2a)
Die Äußerung von σ zu ti war als Behauptung ven A daß ρ zu ti geglückt gdw A hat dadurch, daß er σ zu tigeäußert hat, behauptet daß ρ
(24-2b) Die Behauptung von A zu ti daß ρ war zu t2 gelungen gdw (a) A hat zu ti behauptet daß ρ (b) Β hat zu t2(>ti) erkannt daß (a) (24-2c)
Die Behauptung von A zu ti daß ρ war zu t 3 erfolgreich gdw (a) A hat zu ti behauptet daß ρ (b) Β hat zu t2(»ti) erkannt daß (a) (c) Β hat zu t3 (>t2) den aktiven Glauben daß p, u.a. wail (b)
(24-5)
A ist für Β glaubwürdig darin daß ρ gdw Β glaubt daß: Wenn A zu t behauptet hat daß p, dann glaubte A zu t aktiv daß ρ
(24-6)
A ist für Β epistemisch vertrauenswürdig darin daß ρ gdw Β glaubt daß: Wenn A glaubt daß p, dann ρ
(25-1a)
Die Äußerung von σ zu t war die Lüge ven A daß ρ gdw Die Äußerung von σ zu t war von A gelogen daß ρ
(25-2a)
Die Äußerung von σ zu t war von A gelogen daß ρ gdw A hat dadurch, daß er σ zu t geäußert hat, gelogen daß ρ
144
(26-1 )
A hat Β zu tí darin angelogen daß ρ gdw (a) A hat zu ti gelogen daß ρ (b) Β hat zu t2(»ti) erkannt daß A zu ti behauptet hat daß ρ
(26-2)
A hat Β zu t3 gdw (a) A hat (b) Β hat (c) Β hat
darin zu ti zu t2 zu t3
belogen daß ρ gelogen daß ρ (>ti) erkannt daß A zu ti behauptet hat daß ρ (>t2) den aktiven Glauben daß p, u.a. weil (b)
(26-3a) Die Äußerung von σ zu ti war als Lüge von A daß ρ zu ti geglückt gdw A hat dadurch, daß er σ zu ti geäußert hat, gelogen daß ρ (26-3b) Die Lüge von A zu ti war zu t2 gelungen gdw A hat Β zu darin angelogen daß ρ (26-3c) Die Lüge von A zu ti war zu t3 erfolgreich gdw A hat Β zu tj darin belogen daß ρ (30-10) A hat s zu t ernsthaft geäußert gdw A meinte^ etwas, indem er s zu t geäußert hat (30-11) A hat s zu t wörtlich geäußert gdw (a) A inplikatierte, indem er s zu t geäußert hat, daß q (b) A meinte^ zu t "p" mit s (c) q wird von ρ eingeschlossen (30-12) Die Äußerung von s zu t durch A war strikte Rede gdw A hat s zu t ernsthaft und wortlich geäußert (31-5)
A hat zu t Β vorgetäuscht, daß A die Eigenschaft E hat gdw A hat, daß er nicht die Eigenschaft E hat, dadurch zu verbergen gesucht, daß A zu t etwas getan hat mit der Intention, daß Β glaubt daß A E hat.
(32-4)
A hat zu t schwach gelogen daß ρ gdw (a) A hat zu t behauptet daß ρ (b) A glaubte zu t nicht daß ρ (c) A glaubte zu t nicht daß nicht ρ
(32-3)
Wenn A zu t die propositionale Einstellung hat daß nicht p, dann hat A zu t nicht die propositionale Einstellung daß ρ
(33-3)
A hat zu t indirekt gelogen gdw (a) A hat zu t behauptet daß ρ (b) A hat zu t dadurch, daß (a), implikatiert daß q (c) A glaubte zu t daß nicht q
145
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SACHVERZEICHNIS
Γ*
Absicht
15,31,75
absichtlich Adressat
Β
auch
(s.
14,32-43,69
(S.
1 5, 1 7, 82-98,
106-10
Intention;
auch
Täuschungsabsicht) intentional)
auch
(S.
Z e i c h e n r e z i pi
äußern 28-30,82 lautlich 26,28,31,111 nonverbal 28-29 schriftlich 28-29 sich 29 verbal ΙΟΙ Äußernder
A
17
Äußerung χ 14-17,28-30,92,113 Ebenen des Scheiterns 92 körpersprachliche 16 lautsprachliche 16-17 schriftsprachliche 16-17 sprachliche 16 verbale 16,82 vollständige 29 wahrhaftige 56-57 afaktiv Akt -,
S.U.
faktiv
56-57,62,76,84 Äußerungsakt 26
-,
illokutionäre
-,
phatischer
Akteur
2 und
26-27
17-18
ambig -, akt-objekt-ambig -, type-token-ambig Analysandum -, Klärung Analysans
7,30,35,81,82,91,99-100,130
phonetischer
30,92 29-30
3 des
14
3
Analyse analytisch Angelogener anlügen Antinomie,logische
3-6,49,70 (logisch
wahr)
14-15,51
19,108 15,17-19,67,106-10,132 7,9,66-67
ent)
156
Argument
104-5,109
Aufrichtigkeit Ausdruck zum
5
7-58,82-83,100,112,124
3
Ausdruck
bringen
ausdrücken
82-83,13
29,83-87,131 1
ausgeschlossener
Dritter,
ausgeschlossener
Widerspruch,
Ausreden
des
Lügners
Autorität
Β
beabsichtigen
Begriff
des
72-73,138
Prinzip
des
72-73,86-87
53,75,125
98,104,105
Bedingungen, Befehl
Prinzip
3
s.
notwendige
intendieren und
hinreichende
3-4
5,78,81,82,91 2-4
behaupten 27,34-35,36,45,46,71,75-113,119,125-26,137 aufs Geratewohl 135 hindern am 94 Zweck des Behauptens 81,92 Behauptung 43-44,57,58,66, 67,76-113,116,125 argumentierende 104-05 akzeptieren 94-98 bezeugende 105 Ebenen des Scheiterns von Behauptungen einsame 85 erfolglose 93,95 erfolgreiche 92-93,98,105 fiktionale S . U . Fiktionali tat geglückte 92-94 gelungene 92-95 harte 138-39 irrige 37,50,52-53 körpersprachliche 82 mißglückte 92-94,108 mißlungene 92-95 scheinbare (Pseudobehauptung) Scheinbehauptung 111,130,132 Stärkegrad einer Behauptung wahrhaftige S.U. wahrhaftig Belogener belügen -, sich
19,108 17-19,67,106-10,115-16 selbst 7,15,77
111,127-34 139-40
92-98,106-09
157
bewußt,Bewußtheit Bewußtseins Bewußtse
45-47,52,76-77,83,87
zustand
Bivalenz,Prinzip
**
60, 76, 83, 84, 8 6 der
Datierbar
51,72,138
Cs.
14,19
Definiendum
Zeitpunkt)
6 σ S.U.
Deklarativsatz denken
Satz
16,17,46,53,74,
76,90
5,56-57,69,75,
Deutsche,das
s.u.
doxastisch
74-75,77,81,140 73-75, 97, 136
21,76,135
epistemisch S.U. epistemischen
Einstellung; Zuschreibung;
Erkenntnistheorie 6
Ernsthaftigkeit
86,87,102,121,124-27 Lüge
Explikandum
Explizitheit
sagen,die
11,59-61,103,134
Erläuterung
Explikation
Umgangssprache)
76
Entzweiung
Explikans
auch
57-58
Einstellung 74 -, doxastische 74 -, epistemische -, propos itionale -, veridische 74 -, voltive 74-75
der
Cs.
Einstellungen
Ehrlichkeit
Einfältigkeit
Ethik
auch
6
Definiens
C
47, 60, 76, 83, 84, 86
ins zustand
7-8,52 6
6 5-6,22 3,5-6
Wahrheit; Prinzip Vertrauenswürdigkeit
der
158
I
Fachsprache
5-6,57-58,127
faktiv 38,47,74 (s. -, afaktiv 83,102 -, kontrafaktiv
a u c h sagen,die 102,115-16,129
falsch,Falschheit 79-80,116,134 -,
32-44,50-52,55-56,59-61,63-65,67,69,72-73,
offensichtlich
126-27
Faschismus
12,15,79,111
Fiktion
52,68,69,121,132-34
Forderungen,methodische
U
2-6
Gehalt,propositionaler
gelogen genau
Wahrheit)
83,112
55-60,99 dann
wenn
Gestik
(gdw)
3
15-16,28-29,82
glaubeq 39,42-45,47,51,63-65,67,71,73-77,81,135-36 -, aktiv 46,75,91 -, jemandem 94,95-98,118-20 -, latent 90 -, wechselseitig 89-90,120 Glaube 75,82-90,113-14 -, aktiver 90,93,106,113 -, wechselseitiger 112,127 Glaubwürdigkeit 88,95-98,105 -, Glaubwürdigkeitsbonus 98 Grundbegriff -, Minimalisierung
II -, -, -,
Handlung sprachliche non-verbale verbale
Harakiri,illokutionäres Hörer
17-18
5,113-14 der
Grundbegriffe
12,17,28-29,53,56-57,62 1,14,19, 79, 88,95 82 21,53, 68,86
5-6,113-14
159
I
Ignoranz
52,135 S.
illokutionär implikatiereη
Akt,illokutionärer;
12
inkonsistent
auch
(s.
Widerspruch)
53,63-65,73-75,88,90,117
Intention(Abs -, M-Intention
icht)
28, 75, 81 - 82, 84-85, 88-91 , 1 1 3 88,90-91,110-12,113,117,119-20,123
intentional 14-15,31,53,85 Intentionale) Intentionali
tat s.
Intuìtion -, f achsprachliche -, linguistische -, moralische
a u c h absichtlich;
Semantik,.
sozial 5-6 6
8
sprachliche
Ironie
(S.
15,31-32,115
interpersonal
5,8,16,40,41,46,69
91,122-27
irreführen
23,40,53-54,69,115,140
irren Irrtum
Irrtumslosigkeit
(non-verbal)
15-16,28-29,82
3-6
Kommunikation
17-18,81,85
Konstitution
10
Kontradiktion
s.
kontrafaktiv
s.u.
Laut
Widerspruch,logischer faktiv
26-29
lautsprachlich
Linguistik
täuschen)
4
körpersprachlich
Leser
auch
40,50-51,59-61
Klausel
Kohärenz
(s.
16,40,42,50-53,58,59,61,69,115-16 5,58,59-61,6 3,6 8-70,73,95,102,104,116,134 Unfehlbarkeit)
37,50-5 auch
(S.
L
1lokutionäres
5-26,137-38
72,135
intendieren
-,
Karakiri,i
16,17
17 2,6,11,12-13,16,24-25,31-32,3
6-37,78-79,128
160 Logik Lüge -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -, -,
73
16-17,22-2 4,37-38,51-59,63-65,68-70,76-77,99-110,134 CS. auch Theorie der Lüge; Vorwurf der Lüge) Anzeichen für 11,101,131 Arten der 77,135-40 Bewußtseinsseite der 21,35,47,76 direkte 136-38,140 Ebenen des Scheiterns von 106-10 erfolglose 107 erfolgreiche 18-19,106-07,109,116 geglückte 18-19,106-07 gelungene 18-19,106-07 Grad einer 139 Grenzen der 47-49,51 Handlungsseite der 21,35,115 harte 138-39 ein illokutionärer Akt? 99,130 indirekte 136-38,140 mißglückte 106-09 mißlungene 106 non-verbale 16,82 eine Pseudobehauptung? 127-34 Scherzlüge 126 schwache 135-36,140 starke 135-36,140 weiche 138-140 zentraler Fall der 75,77
lügen 17-19,34,65-68,75-77,87,88,106-110,130 belügen; gelogen ; Uniügbarkeit) Lügendetektor
fS.auch
10,21
Lügenhaftigkeit
56-57
Lügner 15,17, 51,58,1 Ol , 110, 1 3 1 CS. auch Paradox Ausreden des Lügners) lügnerisch
M
56
Metapher
Meineid
91,123-27
108,130
meinen 121-27,130 -, meinen 88-89,91,110,123-126,130 -, nicht das meinen,was man sagt 121-24 Mimik
16
M-Intention mitteilen
s.u. 2
Intention
7,35,81,104,128
nahelegen
27,125-26,137
Negation -, doppelte
52,67,72-75,86-87,135-36 Negation,Prinzip der
non-verbal
anlügen;
s.körpersprachlich
72,75,138
des
Lügners;
161
Γ
Paradox
6 6 - 6 7 , 8 6 - 8 8 , 1 01
- ,
der
F a l s c h a u s s a g e
- ,
d e s
Lügners
- ,
M o o r e ' s
Paradox
p a r a s i t ä r
6 7 , 8 6 - 8 7
133
P a t h o l o g i e
der
Lüge
p e r f o r m a t i v Person
67-68
9 , 6 5 - 6 8 , 8 7 - 8 8
9-11
67,112
1 7 - 1 8 , 2 1 , 3 1 , 5 6 - 5 7 , 1 1 3
p e r s o n a l
1 4 - 1 5 , 5 7 , 1 0 5 s.
P o l y g r a p h
L ü g e n d e t e k t o r
P r ä s u p p o s i t i o n P r i n z i p
der
138
e p i s temi
p r o d u z i e r e n
schen
Zuschreibung
63-64
29-30
P r o p o s i t i o n ρ (q) 1 9 , 7 1 - 7 3 , 8 6 , 1 1 3 CS. a u c h G e h a l t , p r o p o s i t i o n a l e r ) P s y c h o l o g i e
Π
9 , 1 1 , 3 1 , 7 3 - 7 4 , 9 8
Rede
- ,
s o l i t ä r e
- ,
s t r i k t e
r e z i t i e r e n
2 8 , 3 1 , 1 3 3 S.
R e z i p i e n t R i t u a l
O
d i e
Unwahrheit
d i e
Wahrheit
sagen
s
u . m e i n e n )
3 2 - 3 4 , 3 7 - 3 8 , 6 1 , 6 4 - 6 5 , 1 1 9 3 2 - 3 4 , 5 4 , 6 0 - 6 5 , 6 6 - 6 7 , 1 1 6 , 1 1 7 , 1 1 9
2 6 - 3 5 , 1 1 2 , 1 2 3 - 2 4 , ^
( S .
auch
ä u ß e r n , l a u t l i c h )
2 7 - 3 0 , 3 2 - 3 5 , 5 7 , 6 1 - 6 2 , 6 4 - 6 5 , 6 6 , 8 0 - 8 2 , 84,
2 9 - 3 1 , 3 5 , 7 8 , 8 2 , 8 8 , 8 9 , 9 1 , 1 2 5
- ,
S a t z f o r m
- ,
D e k l a r a t i v s a t z
- ,
I m p e r a t i v s a t z
S c h a u s p i e l e r S c h e i n
auch
( S . 57
- ,
S a t z
8 7 , 9 6 - 9 8
19,22-35 n i c h t s
sagen
S c h a u s p i e l e r )
112-13
- , - ,
CS.,auch
Z e i c h e n r e z i p i e n t
s a c h k u n d i g
sagen - ,
85 125
3 σ *
9 1 - 9 4 , 1 0 4 , 1 1 3
91
111,12
6 8 , 8 3 , 1 2 7 - 3 4
3 - 2 4 , 1 3 2 - 1 3 3
CS.
auch
r e z i t i e r e n )
123-24
162 Scheinbehauptung schreiben
s.u.Behauptung
28-29,31
Schreiber
1 7
schriftsprachlich schweigen
15-18
28,57,101
Semantik,Intentionale simulieren
83,101,129
so tun als ob S. sozial
(fremdpersonal)
Umgangssprache
16
Sprachspiel
lOO
Sprachwissenschaft
s.
Linguistik
26,53
im Schlaf
2 8,31,33,122-23
17-18
Strukturalismus strikte
9
111,123-24,132-33
s.u. das Deutsche ; Fachsprache;
sprachlich
Sprecher
vortäuschen)
14-15,16,85
der Lüge
spielen,jemanden
sprechen
(s. auch
vortäuschen
Sozialpsychologie Sprache
29,81,98,lOO,105
Rede
13 125
Symptomatologie
täuschen
der Lüge
10-11
69,88,116,119,120
(S. auch
vortäuschen)
Täuschung 13,115-21,132,140 -, Täuschungsabsicht 15,20,23-24,56,78,115-21 temporal
14-15,105
Theorie 2-3 -, Alltagstheorie 2-3 -, wissenschaftliche 2-3,47 Theorie der Lüge 7-13,67,77 -, engere und umfassende 11-12,140 -, klassische 14-71 -, klassizistische 43-45,48 -, korrigierte Form der klassischen 36,46 -, nicht-klassische 35,77 -, primitivste 37 -, simple Form der klassischen 19,24-25,71 (S. auch Ethik der Lüge; Pathologie der Lüge; Sozialpsychologie der Lüge; Symptomatologie der Lüge; Vorwurf der Lüge) Treu und Glauben
98,104
163
U -,
Umgangssprache Piicrität der
5-6,17,18,31,42,47,49,58 2-3,5,110
unabsichtlich
S.U.
Unfehlbarkeit
Ψ
60,97,103,136
103 57,67-68
unterbrechen
28,94,108
unterdrücken unwahr
131 3
2,69
unwahrhaftig
56-57
Unwahrhaftigkeit
56,99
Unwahrheit
('s.
32-34
Vagheit
auch
sagen,die
Unwahrheit)
49,140
14-1 verbale)
8, 29,31
verbergen
, 52, 53
(S.
auch
Äußerung,verbale
Handlung,
46,90
Verlogenheit
17,57
Versprechen
100,130
verstehen
2
5,92-95,108-09
Vertrauen 96 -, Vertrauenswürdigkeit,epistemische -, Vertrauensvorschuß 98 verwenden
Vorwurf
der
Wahn
8
7-88,96-98,105
29-30
vortäuschen simulieren)
wahr
;
9,131-32
vergessen,momentan
VV
Deutsche)
Aufrichtigkeit
Unfehlbarkeitsbereich
Unlügbarkeit
V
das
39,59-61,103
unsinnig
verbal
auch
15,69,115
Unaufrichtigkeit
-,
(S.
83,102,115-116,120,126,129,131-33,135 Lüge
(s.
auch
8-9,34,38,64
102-103
32-35,38-39,47,51,55-56,58-65,85-86,103
wahrhaftig,Wahrhaftigkeit 129,130 -, von Äußerungen -, personale 56-57 -, vollkommene 140
(S.
auch
analytisch)
54-65,68-69,81,83,87,96,99,101,103, 56-57
1 64
79-80,84,86,ΙΟΙ ,
Wahrheit 20,32-34,54-56,58-65,6 8-69,72-74,77, 103-04 (s. auch sagen,die Wahrheit) -, Wahrheitstheorie 11,55,58,86,134 s.
Wechselseitigkeit Werturteil
Glauben,wechselseitiger
;
Widerspruch,logis cher (Kontradiktion) 19, 66-67, ( S . auch ausgeschlossener Wiederspruch,Prinzip inkonsistent) Wissen Wort
19,22-25,3
L. -, -, -, -, -,
CS.
auch äußern,die
Zeitvariable
(S.
auch
Adressat)
19,75 15, 75,1 13
Zuschreibung 11,41,122 Zuschreibung) Zwang
Worte)
86, 123 - 127, 91
Zeichen 29,85 Zeichenproduktion 28-29 Zeichenproduzent s. Äußernder Zeichenrezipient 17-18,94-95,105 Zeichentyp 29-30 Zeichenvorkommnis 29-30
Zeitpunkt
76, 86, 136 des;
3-49,60,74
3,14-15,27,89,126
Wörtlichkeit
glauben,wechselseitig
103-04
28,111-12
(s.
auch Prinzip
der
epis
ternischen