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German Pages 370 [372] Year 2015
Maren Runte Lernerlexikographie und Wortschatzerwerb
LEXICOGRAPHICA Series Maior
Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Suppléments à la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie Edited by Rufus Hjalmar Gouws, Ulrich Heid, Thomas Herbst, Oskar Reichmann, Stefan J. Schierholz, Wolfgang Schweickard and Herbert Ernst Wiegand
Volume 150
Maren Runte
Lernerlexikographie und Wortschatzerwerb
ISBN 978-3-11-043789-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042847-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042854-4 ISSN 0175-9264 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
| Meinen beiden treuesten Lesern
Vorwort Dieses Buch ist die aktualisierte und ergänzte Fassung meiner Dissertation, die im Juli 2013 von dem Institut für Germanistik der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen angenommen worden ist. Das Interesse für Lexikographie begleitet mich seit mehr als 15 Jahren – angefangen mit einem geerbten Wörterbuch von Daniel Sanders – und ist mir als Thema immer wieder in meinem Studium in der Spanne von den Grimms bis zur Computerlexikographie begegnet. Geschürt wurde es weiterhin durch ein außergewöhnliches Praktikum an der Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuchs von Jacob und Wilhelm Grimm in Göttingen. In dieser und der folgenden Zeit haben mich viele Menschen immer wieder mit ihren Arbeiten begeistern können und mich auf meinem Weg beraten. Herzlichen Dank dafür! Mein größter Dank geht an meine Promotionsbetreuerin Ulrike Haß, die mich in meinem Vorhaben immer beratend unterstützt und gefördert hat. Danken möchte ich auch den Herausgebern der Lexicographica und meiner Zweitgutachterin Heike Roll für wertvolle Hinweise bei Begutachtung und Annahme. Die intensive Arbeit an einem Thema (und mag es noch so interessant sein) verlangt aber auch eine Beharrlichkeit, die ich ohne die Ermunterung und Unterstützung meiner Eltern verloren hätte – ohne sie würde es das Buch nicht geben. Bei ihnen und bei dem kritischsten Leser all meiner Arbeiten – meinem besten Freund – möchte ich mich von Herzen bedanken. Hettlingen, Sommer 2015
Inhalt 1 1.1 1.2
Einleitung | 1 Fragestellung | 1 Aufbau des Buchs | 4
2 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2
Formen des Fremdsprachen- und Wortschatzerwerbs | 6 Ausprägungen des Zweit- und Fremdsprachenerwerbs | 6 Fremdsprachen- und Wortschatzerwerb | 11 Wortschatzerwerb im ungesteuerten L2-Erwerb | 12 Wortschatzerwerb im autonomen bzw. selbstgesteuerten Fremdsprachenunterricht | 15 Wortschatzerwerb im institutionalisierten Fremdsprachenunterricht | 17 Zusammenfassung | 20
2.2.3 2.3 3 3.1 3.2
Wortschatzerwerb und Wörterbücher: Historische Entwicklung | 22 Die Bedeutung der begrifflich-sachlichen Anordnung von Nachschlageund Lernwerken | 23 Die ‚ars memorativa‘ als Technik zum Memorieren von Lexik | 33
4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3
Wortschatzvermittlung und Wörterbuchdidaktik im DaF-Unterricht | 35 Wortschatzvermittlung in der Theorie | 37 Wortschatzvermittlung in der Praxis | 46 Erstsemantisierung | 48 Übung | 53 Wiederholung | 54 Nutzung von Wörterbüchern im DaF-Unterricht | 56
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3
Lernpsychologie und Lexikographie | 66 Lernen und Gedächtnis | 68 Das Mehrspeichermodell | 71 Kritik am Mehrspeichermodell | 75 Das sensorische Gedächtnis | 80 Das Arbeitsgedächtnis | 83 Das Langzeitgedächtnis | 88 Das semantische Gedächtnis | 95 Der Lernprozess | 103 Enkodierung | 104 Speicherung | 109 Dekodierung | 111
X | Inhalt
5.3 5.4 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.5 6.6 6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4 6.6.5 6.6.6 6.6.7 7 7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.3 8 8.1 8.2
Beim Wortschatzerwerb genutzte Strategien | 114 Zusammenfassung | 124 Status Quo der Lernerlexikographie | 125 Definition von Lernerwörterbuch und Lernerlexikographie | 125 Typologische Zuordnung: Was ist ein Lernerwörterbuch? | 132 Merkmale aktueller Lernerwörterbücher: Eine Übersicht | 140 Entwicklung der Lernerlexikographie | 142 Überblick über die Entwicklung der britischen Lernerlexikographie | 142 Überblick über die Entwicklung der Lernerlexikographie in Frankreich | 153 Lernerlexikographie und Metalexikographie | 154 Die Zielgruppe deutschsprachiger Lernerwörterbücher: Fortgeschrittene Deutsch als Fremdsprache-Lernende | 159 Ergebnisse der theoretischen und praktischen Lernerlexikographie in Deutschland | 163 DaF-Wörterbücher von Langenscheidt | 167 DaF-Wörterbücher von Pons | 181 Das De Gruyter-Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache | 187 DaF-Wörterbücher von Duden | 194 Das Hueber-Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache | 202 Das Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache von Wahrig | 203 Zusammenfassung | 207 Wörterbuchbenutzungsforschung: Wie benutzen fortgeschrittene Lernende Wörterbücher? | 211 Methoden der Wörterbuchbenutzungsforschung | 218 Wörterbuchbenutzung von fortgeschrittenen Fremdsprachenlernenden | 223 Wörterbuchbenutzung von DaF-Lernenden: Beobachtungen | 227 Wörterbuchbenutzung von DaF-Lernenden: Empirische Daten | 232 Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachenlernenden: Empirische Daten | 239 Zusammenfassung | 255 Konsequenzen für die Lernerlexikographie | 259 Konsequenz 1: Notwendigkeit einer onomasiologischen Zugriffsstruktur | 263 Konsequenz 2: Ausbau der paradigmatischen Angaben und des Verweissystems | 267
Inhalt | XI
8.3 8.4 8.5 8.6 9 9.1 9.2 9.2.1
Konsequenz 3: Nutzung des Grundwortschatzes zum Wortschatzausbau | 269 Konsequenz 4: Plädoyer für eine nicht-restriktive Lemmaselektion | 270 Konsequenz 5: Nutzung von multimedialen Angaben für die langfristige Speicherung | 271 Konsequenz 6: Mehr Beispiele als Semantisierungshilfen | 275
9.3.4 9.3.5 9.3.6 9.3.7 9.3.8
Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie | 277 Aufmerksamkeit und Eye-Tracking | 277 Eye-Tracking in der Lexikographie: Stand der Forschung | 283 Eye-Tracking-Studien zur Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachenlernenden | 286 Eye-Tracking-Studien zum Umgang mit Online-Wörterbüchern | 293 Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 294 Ziele des Experiments | 294 Hypothesen | 295 Vorgehensweise bei der Modellierung der verschiedenen Wörterbuchartikelformen | 296 Angaben zu den Probanden | 301 Ablauf und Aufgabenstellung | 303 Ergebnisse | 308 Diskussion der Ergebnisse | 327 Fazit | 336
10
Zusammenfassung | 338
11 11.1 11.2
Bibliographie | 342 Wörterbücher | 342 Literatur | 343
9.2.2 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3
1 Einleitung In order to accomplish the Himalayan task of mastering a foreign language, one must be able to speak with the Sherpa guides, the advanced learners’ dictionaries; however, a low level of achievement in foreign language skills is a major hindrance, one that leaves most learners at base camp. (Dolezal/McCreary 1999: XVIII)
1.1 Fragestellung In seinem Versuch, die deutsche Sprache zu verbessern und für Lernende zu vereinfachen, schlägt Mark Twain vor, ein paar nützliche, polyseme Wörter – seiner Ansicht nach Schlag und Zug1 – zu behalten und den Rest zu entsorgen: „This would simplify the language.“ (Twain 1880). Abgesehen von grammatischen Regeln, die für jede Sprache gelernt werden müssen, ist tatsächlich das Lernen bzw. der Erwerb des fremdsprachlichen Wortschatzes die größte Hürde, welche ein Lernender nehmen muss (vgl. auch das einführende Zitat). Methoden, welche das Wortschatzlernen vereinfachen sollen, haben sich daher bereits sehr früh entwickelt. Systematisiert worden sind die verschiedenen Ansätze jedoch erst durch die Entwicklung der Wortschatzdidaktik im 20. Jahrhundert, wozu auch die Entwicklung der Lernerlexikographie seit den 1940er Jahren einen großen Beitrag geleistet hat. Die deutschsprachige Lernerlexikographie hat vor knapp 20 Jahren mit Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache das erste Produkt vorlegen können – elf weitere sind seit 1999 hinzugekommen, allein neun Neuerscheinungen und -bearbeitungen in den Jahren 2007 bis 2012. Wie dieser beachtliche Anstieg lernerlexikographischer Nachschlagewerke vermuten lässt, ist das Bedürfnis nach Lernerwörterbüchern tatsächlich groß: Da trotz wortschatzdidaktischer Ansätze das Lernen fremdsprachlichen Wortschatzes immer noch den Lernenden selbst überlassen bleibt, benötigen diese auch dringend geeignete Hilfsmittel. Aufgrund ihrer Konzeption als unabhängige Nachschlagewerke werden Lernerwörterbücher sowohl in Unterrichtssituationen als auch zu Hause benutzt, d.h. sie sind sowohl in eine institutionalisierte Form des Fremdsprachenerwerbs eingebun-
|| 1 Warum gerade die Wörter Schlag und Zug für die deutsche Sprache so wichtig sind, wird von Mark Twain ausführlich begründet: „There are some exceedingly useful words in this language. Schlag, for example; and Zug. […] The word Schlag means Blow, Stroke, Dash, Hit, Shock, Clap, Slap, Time, Bar, Coin, Stamp, Kind, Sort, Manner, Way, Apoplexy, Wood-cutting, Enclosure, Field, Forest-clearing. This is its simple and exact meaning, — that is to say, its restricted, its fettered meaning; but there are ways by which you can set it free, so that it can soar away, as on the wings of the morning, and never be at rest. You can hang any word you please to its tail, and make it mean anything you want to.”
2 | Einleitung
den wie auch in den eigenständigen Erwerb. Die Zielsetzungen der Verfasser und die daraus resultierenden Konzeptionen müssen dabei nicht immer mit den realen Wörterbuchbenutzungssituationen übereinstimmen, sodass Konzeption und Nutzung kritisch einander gegenübergestellt werden müssen. Die soeben angeführten Aspekte sollen in dieser Arbeit berücksichtigt werden. Dass sich Wörterbücher neben anderen Benutzungssituationen auch zum Erwerb von Wortschatz eignen, wird von Verlagen immer wieder werbewirksam angegeben und auch in der Lexikographie ist der Gedanke, dass sich das benutzergruppenspezifische Wörterbuch auch für diesen benutzergruppenspezifischen Zweck eignen kann, immer wieder aufgenommen worden. Tatsächlich birgt die Benutzung von Wörterbüchern auch großes Lernpotenzial: Lernende konsultieren das Wörterbuch aus einem bestimmten Bedürfnis heraus – bei Produktion oder Rezeption – und beschäftigen sich so lange mit den Angaben, bis die die Konsultation auslösende Frage zu ihrer Zufriedenheit gelöst ist. Während dieses Prozesses ist die Aufmerksamkeit der Lernenden lange auf den nachgeschlagenen Wörterbuchartikel gelenkt, so dass inzidentell Wortschatz gelernt wird bzw. gelernt werden kann. Durch Umsetzung von lernpsychologischen Erkenntnissen ließe sich das Lernpotenzial bei den einzelnen Nachschlagehandlungen auf Ebene der Mikrostruktur ausbauen – aber auch unter bestimmten Voraussetzungen das Lerner- zum Lernwörterbuch umgestalten, mit dem es Lernenden unabhängig von Unterrichtssituationen und -materialien möglich wäre, ihren Wortschatz systematisch zu erweitern. Das Lernerwörterbuch könnte damit zu einer wertvollen Hilfe werden bei der komplexen Aufgabe, sich in einer anderen Sprache fließend und adäquat auszudrücken. Ziel dieser Arbeit ist es daher aufzuzeigen, welche Voraussetzungen notwendig sind, um Lerner- auch als Lernwörterbücher zu nutzen – wobei sowohl makro- wie auch mikrostrukturelle Eigenschaften von Wörterbüchern auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Im Rahmen der Untersuchung soll auch dargestellt werden, welche Techniken der Wortschatzdidaktik vermittelt und genutzt werden und welche Ansätze in der (deutschsprachigen) Lernerlexikographie bereits existieren, was auch die kritische Untersuchung der Produkte – der existierenden Lernerwörterbücher – einschließt. Voraussetzung für den Ausbau vom Lerner- zum Lernwörterbuch sind Erkenntnisse darüber, wie Lernerwörterbücher tatsächlich benutzt werden. Zwar hat nach der Entstehung der Lernerlexikographie auch die Wörterbuch(benutzungs)forschung den neuen Wörterbuchtyp intensiv untersucht, wobei gerade die Eignung für die Benutzergruppe und Analysen zum Bedarf der Benutzer im Zentrum standen. Trotz intensiver Forschung ist jedoch das Wissen um die tatsächliche Nutzung von (Lerner)Wörterbüchern bis heute relativ gering – man weiß wenig darüber, welche Angaben Benutzer nachschlagen, welchen sie besondere Aufmerksamkeit widmen, welche Angaben eher vernachlässigt werden und wo Probleme bei der Nutzung liegen.
Fragestellung | 3
Dies mag auch an den bislang genutzten Methoden der Wörterbuchbenutzungsforschung liegen: Die meisten Studien sind Fragebogenerhebungen, in denen die Benutzer über ihr eigenes Benutzungsverhalten Auskunft geben; hier ist kritisch zu hinterfragen, ob sich die Angaben auch mit dem wirklichen Benutzungsverhalten decken. Einige Studien nutzen metalexikographische Methoden (wie Wörterbuchbenutzungsprotokolle), aber auch hier stellt sich die Frage nach der kritischen Selbstreflexionsfähigkeit der Benutzer und der Deckung von den Angaben im Protokoll mit der reellen Benutzung. Einen neuen methodischen Ansatz, welcher Aufschluss geben könnte über die tatsächliche Nutzung, bietet die Methode des Eye-Tracking, da die Augenbewegungen unmittelbar in Relation zum präsentierten Bildschirminhalt aufgezeichnet werden, was einen neutralen Ansatz zur Erforschung der Wörterbuchbenutzung erlaubt. Durch die Aufzeichnung der Daten kann genau eruiert werden, was die Benutzer in welcher Reihenfolge und wie lange wahrnehmen. Da viele Benutzer bereits digitale Nachschlagewerke konsultieren, verfremdet die Konsultation eines Wörterbuchs am Bildschirm auch nicht das Wörterbuchbenutzungsverhalten. Die im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführte Wörterbuchbenutzungsstudie soll anders als bereits vorliegende, welche den Nutzen von Lernerwörterbüchern für die Rezeption und Produktion sowie deren Verständlichkeit für Lernende untersucht haben, zeigen, ob und unter welchen Bedingungen sich Lernerwörterbücher zum systematischen Wortschatzerwerb eignen. Dabei soll zum einen anhand von Eye-Tracking-Daten die Nutzung eines existierenden Lernerwörterbuchs untersucht und zum anderen die Umsetzung der aus den lernpsychologischen Erkenntnissen abgeleiteten Thesen für die Konzeption von Lernwörterbüchern exemplarisch überprüft werden. Gerade vor dem Hintergrund des anstehenden bzw. in Teilen bereits vollzogenen Medienwechsels in der Lexikographie – vom Buch zum Hypertext – erscheint es sinnvoll, Strukturen und Merkmale von Wörterbüchern kritisch daraufhin zu überprüfen, ob diese sich auch für das Lernen einer fremden Sprache eignen. Existierende Wörterbuchkonzepte sollten zum aktuellen Zeitpunkt neu überdacht werden – so ist etwa auf Ebene der Makrostruktur das Festhalten an einer alphabetischen Präsentation der Wörterbuchartikel zu kritisieren. Demgegenüber wäre einer begrifflich-sachlichen Makrostruktur Vorrang einzuräumen, da diese u.a. den Vorteil hat, Wortschatz angemessen für den systematischen Erwerb zu strukturieren. Aber nicht nur die Makrostruktur sollte sich mit dem Medienwechsel ändern – auch bei der Mikrostruktur bieten sich sowohl in Struktur wie auch in Umfang und Art der Angaben neue Möglichkeiten: Zum einen wäre es auch hier möglich, durch Ausbau des Verweissystems Beschränkungen, welche typisch für gedruckte Wörterbücher sind, zu umgehen. Zum anderen könnten bereits genutzte Angabeklassen wie Beispielangaben oder Visualisierungen ausgebaut werden, da auch hier durch den Medienwechsel neue Möglichkeiten gegeben sind.
4 | Einleitung
Basierend auf den Erkenntnissen der Lernpsychologie soll in dieser Arbeit geprüft werden, welche Merkmale von Lernerwörterbüchern das Lernen fördern (können).
1.2
Aufbau des Buchs
Nachdem zunächst in Kapitel 2 zwischen wichtigen Konzepten des Fremdsprachenerwerbs unterschieden und Ergebnisse von Studien zum Erwerb bzw. zum Lernen fremdsprachlichen Wortschatzes zusammengefasst worden sind, wird in Kapitel 3 ein knapper Abriss der Entwicklung von Methoden und Materialien zum Wortschatzerwerb bzw. zum Fremdsprachenlernen gegeben werden. Anhand der kurzen geschichtlichen Darstellung lässt sich zeigen, dass bereits sehr früh Methoden und Formen von Lehrmaterialien – insbesondere onomasiologische Nachschlagewerke – entwickelt worden sind, welche gezielt das Lernen von Wortschatz fördern sollten. Die Darstellung von Semantisierungstechniken (Kapitel 4) wird zeigen, dass die Wortschatzdidaktik vielfach Techniken aufgegriffen hat, welche bereits seit Jahrtausenden angewendet werden. Da eine enge Verbindung zwischen dem Stellenwert, welcher der Wortschatzvermittlung im Unterricht und in den Lehrmaterialien zukommt, und dem Umgang mit einsprachigen (Lern-)Wörterbüchern besteht, sollen in Kapitel 4 aktuelle Tendenzen der Wortschatzdidaktik sowie im Unterricht angewendeter Methoden der Wortschatzvermittlung zusammengefasst werden. Der Nutzen der im Unterricht vorgestellten Semantisierungshilfen wird in Kapitel 5 vor dem Hintergrund lernpsychologischer Erkenntnisse bewertet. Um dies leisten zu können, soll zunächst dargestellt werden, durch welche Prozesse Wissen gespeichert und abgerufen werden kann, um im Anschluss daraus abzuleiten, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Lernender Wortschatz langfristig lernen und schnell abrufen kann. In Kapitel 6 werden nach einer typologischen Einordnung Merkmale von Lernerwörterbüchern vorgestellt. Aufgrund ihrer internationalen Bedeutung erscheint dabei die Berücksichtigung der englischen (und französischen) Lernerlexikographie unumgänglich. Aber auch die 12 Wörterbücher, welche für Deutsch als Fremdsprache-Lernende2 konzipiert worden sind, sollen vorgestellt und hinsichtlich ausgewählter Merkmale kritisch untersucht werden. In Kapitel 7 werden Ergebnisse der Wörterbuchbenutzungsforschung zusammengefasst, welche zeigen, wie fortgeschrittene Lernende (Lern-)Wörterbücher tatsächlich nutzen. Da bislang nur wenige Studien zur Benutzung von deutschsprachigen Lernerwörterbüchern durchgeführt bzw. publiziert worden sind, sollen auch
|| 2 Im Folgenden wird das Fach „Deutsch als Fremdsprache“ mit DaF abgekürzt.
Aufbau des Buchs | 5
Studien zu englischsprachigen (Lerner-)Wörterbüchern berücksichtigt werden. Ergänzt wird das Kapitel zudem um die Ergebnisse einer eigenen Fragebogenerhebung mit fortgeschrittenen Fremdsprachenlernenden. Kapitel 8 fasst die Erkenntnisse aus Lernpsychologie und Wörterbuchbenutzungsforschung in 6 Konsequenzen für den Ausbau der Lerner- zu Lernwörterbüchern zusammen. In Kapitel 9 wird schließlich überprüft, wie Lernende mit Wörterbuchartikeln umgehen, die nach den in den Konsequenzen formulierten Zielsetzungen umgestaltet worden sind. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf eine der Konsequenzen, der systematischen Ergänzung von Wörterbuchartikeln um semantische Relationen. Anhand einer Eye-Tracking-Studie soll überprüft werden, wie die Artikel von den Lernenden wahrgenommen werden, ob diese die neue Angabeformen annehmen und ob diese Form der Gestaltung zum (inzidentellen) Wortschatzerwerb beitragen kann. Auf der Webseite des Verlags können in den Zusatzmaterialien zum Buch zudem die Ergebnisse der Fragebogenerhebung, die modellierten Wörterbuchartikel und die Ergebnisse (Gaze Plots und Heat Maps) der Eye-Tracking-Studie eingesehen werden (http://www.degruyter.com/view/product/457388).
2 Formen des Fremdsprachen- und Wortschatzerwerbs Der Wortschatzerwerb ist ein – wichtiger – Bestandteil des Fremdsprachenerwerbs. Um den Ablauf sowie Charakteristika des Wortschatzerwerbs adäquat beschreiben zu können, ist es notwendig vorab zentrale Konzepte des Fremdsprachenerwerbs vorzustellen.
2.1 Ausprägungen des Zweit- und Fremdsprachenerwerbs Bevor die verschiedenen Ausprägungen des Zweit- und Fremdsprachenerwerbs beschrieben werden, soll zunächst terminologisch zwischen Erwerben und Lernen sowie zwischen Zweit- bzw. Fremdsprache unterschieden werden: – Erwerben vs. Lernen: Angloamerikanischen Arbeiten folgend, welche zwischen acquisition und learning (vgl. Krashen 1987: 10ff.) differenzieren, wird auch im Deutschen zwischen dem Erwerb und dem Lernen einer Sprache unterschieden. Ausgehend von einem Lernenden mit fortgeschrittenem Erstsprachenerwerb wird eine Fremdsprache gelernt, wenn sich der Lernende bewusst die Regeln der Fremdsprache aneignet. Erworben wird eine Fremdsprache dagegen, wenn der Spracherwerb vorwiegend unbewusst verläuft und der Erwerbsprozess somit Parallelen zum Erwerb der Erstsprache1 aufweist (vgl. Krashen 1987: 10ff., Ellis 2008: 9). – Zweit- vs. Fremdsprache: Der Unterschied zwischen Zweit- und Fremdsprache kann an der Bedeutung festgemacht werden, welche die Sprache als Kommunikationsmittel für die Sprachgemeinschaft eines Landes hat. Wird die Sprache in dem Land gesprochen, in dem sich der Lernende aufhält, handelt es sich in der Regel um einen Zweitspracherwerb2. Another distinction that is often made is that between SECOND and FOREIGN LANGUAGE acquisition. In the case of second language acquisition, the language plays an institutional and
|| 1 Der Terminus Erstsprache soll in dieser Arbeit – sofern möglich – dem Ausdruck Muttersprache vorgezogen werden. Letzterer ist in der Sprachendidaktik aufgrund emotionaler Konnotationen problematisiert worden (vgl. Oksaar 2003: 13ff.), wohingegen durch den Ausdruck Erstsprache in erster Linie die Reihenfolge des Spracherwerbs hervorgehoben wird. 2 Dietmar Rösler betont, dass auch die Bedeutung, welche die Zweit- bzw. Fremdsprache für den Lernenden hat, bei der Unterscheidung berücksichtigt werden muss: „Spielt die neue Sprache bei der Erlangung, Aufrechterhaltung oder Veränderung der Identität eines Lernenden eine wichtige Rolle und ist sie unmittelbar kommunikativ relevant, dann bezeichnet man sie als ‚Zweitsprache‘, ansonsten eher als ‚Fremdsprache‘.“ (Rösler 1994: 8).
Ausprägungen des Zweit- und Fremdsprachenerwerbs | 7
social role in the community […].In contrast, foreign language learning takes place in settings where the language plays no major role in the community and is primarily learnt only in the classroom. (Ellis 2008: 6)
Diese Definitionen lassen nur eine beschränkte Kombination der Termini zu: In der Regel erwirbt man eine Zweitsprache, eine Fremdsprache wird dagegen gelernt. Trotz der (notwendigen) terminologischen Differenzierung werden in der Fremdsprachendidaktik bzw. der Spracherwerbsforschung die Termini nicht immer einheitlich verwendet. Neben diesen recht eindeutigen Abgrenzungen existiert eine Vielzahl von Dichotomien, welche darauf abzielen, die Art und Weise des Erwerbs einer fremden Sprache weiter zu bestimmen: Der Erwerb in natürlichen Kommunikationssituationen kann unter bestimmten Bedingungen als „natürlich“, „ungesteuert“, „implizit“ oder „informell“ bezeichnet werden, wohingegen das Lernen in einer kontrollierten Situation als „gesteuerter“, „expliziter“, „formeller“ Fremdsprachenerwerb beschrieben werden kann3. Allen diesen Unterscheidungen ist jedoch gemein, dass zwischen mehr oder weniger bewusstem Lernen und eher unbewusstem Erwerb unterschieden wird. Vereinfachend wird bei der weiteren Darstellung davon ausgegangen, dass der Erwerb bzw. das Lernen einer Zweit- bzw. Fremdsprache – im Folgenden unter dem Oberbegriff L2-Erwerb zusammengefasst – auf vielfältige Weise erfolgen kann: Vom ungesteuerten Erwerb über das selbstgesteuerte Lernen bis zum gesteuerten bzw. institutionalisierten Lernen. Diese Unterteilung soll jedoch weniger als strikte Klassifizierung sondern eher als Kontinuum verstanden werden (vgl. Klein/Dimroth 2003: 5f., Stork 2003: 23f.), da sich verschiedene Formen des L2-Erwerbs auch miteinander kombinieren lassen (etwa das selbstgesteuerte Lernen mit dem institutionalisierten Lernen in einer fortgeschrittenen Phase). Die soeben beschriebenen Ausprägungen des Fremdsprachenlernens bzw. -erwerbs unterscheiden sich hauptsächlich darin, ob und in welchem Ausmaß der Erwerb bzw. das Lernen durch einen Lehrenden beeinflusst und kontrolliert wird, sowie durch den Ort und den Zeitpunkt, an bzw. zu dem gelernt wird. –
Der ungesteuerte L2-Erwerb im Erwachsenenalter erfolgt durch Kontakt mit Sprechern der Zweit- oder Fremdsprache, d.h. direkt in dem Land, in dem die Zweit- oder Fremdsprache als eine der Landessprachen gesprochen wird (vgl. Lalleman 1996: 3, Ellis 2008: 6, Klein 1984: 28). Die Lernenden werden in ihrem Alltag ständig mit der fremden Sprache konfrontiert. Daraus ergibt sich zum einen die Möglichkeit, die Sprachkenntnisse laufend erweitern und vervoll-
|| 3 Vgl. Röslers Kritik an den für diese Unterscheidung verwendeten Bezeichnungen (vgl. Rösler 1994: 5f.).
8 | Formen des Fremdsprachen- und Wortschatzerwerbs
kommnen zu können; zum anderen sind Lernende dadurch mehr oder weniger darauf angewiesen, sich in der fremden Sprache verständigen zu müssen. Der Erwerb läuft bei den Lernenden häufig gänzlich ohne Steuerung von außen und unbewusst ab4. Einziges Indiz für den Lernerfolg sind erfolgreich verlaufende Kommunikationssituationen mit den Sprechern der fremden Sprache. Wolfgang Klein macht in Hinblick auf die Art und Weise des Erwerbs einen deutlichen Unterschied zwischen dem Erstspracherwerb und dem ungesteuerten Zweitspracherwerb5 auf der einen und dem Fremdsprachenerwerb auf der anderen Seite (gemeint ist hier insbesondere der institutionalisierte Fremdsprachenunterricht): Erstspracherwerb und Zweitspracherwerb sind gleichsam ‚natürliche‘ Prozesse, d.h. sie beruhen auf den uns von der Natur gegebenen Mechanismen der Sprachverarbeitung und den Prinzipien, die sie steuern. Der Fremdspracherwerb ist demgegenüber ein Versuch, auf diesen Prozess auf Grund gewisser Überlegungen oder auch praktischer Erfahrungen steuernd von außen einzuwirken, um ihn so zu optimieren. (Klein 2001: 606)
Im Gegensatz zu den anderen Ausprägungen des L2-Erwerbs unterliegt der ungesteuerte Fremdsprachenerwerb besonderen Bedingungen, die für den einzelnen Lernenden große Auswirkungen haben können: Häufig geht beim fremdsprachlichen Erwerb die Motivation, eine weitere Sprache erwerben zu wollen, auch mit dem Druck einher, sich in dem fremden Land verständigen zu müssen (etwa im Berufsleben). Da jedoch ab einem gewissen Stadium des Erwerbs die Verständigung mit dem Umfeld scheinbar problemlos läuft, ist bei vielen Lernenden eine Stagnation auf einem bestimmten Niveau zu beobachten („Fossilierung“6, vgl. Kniffka/Siebert-
|| 4 Die Tatsache, dass der (ungesteuerte) Erwerb einer Sprache unbewusst, das Lernen dagegen bewusst abläuft, ist für Krashen ein wesentliches Differenzierungsmerkmal zwischen den verschiedenen Ausprägungen des L2-Erwerbs: „Language acquisition is a subconscious process; language acquirers are not usually aware of the fact that they are acquiring language, but are only aware of the fact that they are using the language for communication.“ (Krashen 1987: 10). 5 In ihrem Überblick über den Forschungsstand zum Zweitspracherwerb betonen Wolfgang Klein und Christine Dimroth, welche Bedeutung der ungesteuerte Zweitspracherwerb in der historischkulturellen Entwicklung hat(te): „Diese Art, eine Zweitsprache zu lernen, entspricht dem naturgegebenen menschlichen Sprachlernvermögen, wie es unserer Spezies, und nur unserer Spezies, zu eigen ist; über Jahrtausende der menschlichen Geschichte und auch heute noch in den meisten Kulturen wird eine Zweitsprache ausschließlich auf diese Weise gelernt. Der Unterricht kann, wie bemerkt, immer nur ein Versuch sein, in diesen natürlichen Prozess optimierend einzugreifen.“ (Klein/Dimroth 2003: 2, ähnlich Klein 1984: 31). 6 In der Zweitspracherwerbsforschung wird ‚Fossilierung‘ wie folgt definiert: „Fossilierung bezeichnet einen Zustand beim Zweitspracherwerb, in dem der Lerner auf einer Erwerbsstufe ver-
Ausprägungen des Zweit- und Fremdsprachenerwerbs | 9
Ott 2009: 56), was Folgen sowohl für die berufliche wie auch die soziale Integration haben kann (vgl. Huneke/Steinig 2010: 114). –
Das Konzept des selbstgesteuerten L2-Erwerbs zielt vor allem die Konzeption von Unterrichtsmaterialien ab, die so gestaltet sein sollen, „dass alle erforderlichen Anleitungen und Entscheidungsprozesse in ihnen enthalten sind, so dass sie ohne Lehrer bearbeitet werden können. Die Selbststeuerung des Lernenden ist damit allerdings weitgehend darauf beschränkt entscheiden zu können, wann er mit den Materialien arbeiten möchte.“ (Wolff 2003: 321). Selbstgesteuerter Fremdsprachenerwerb oder „isolierte[s] (Fremdsprachen-)Lernen (ohne Lehrer[…])“ (Martinez 2005: 66f.) steht damit – gemessen an dem Einfluss, welche dem Lehrenden in der Regel im institutionalisierten Unterricht zukommt – in Opposition zum (institutionell) gesteuerten Fremdsprachenerwerb.
–
Gesteuerter oder institutionalisierter L2-Erwerb ist notwendigerweise eingebunden in einen „institutionalisierten Lernkontext[…] (Schule, Universität)“ (Wolff 2003: 321). Damit erstreckt sich der Begriff nicht nur auf schulischen Unterricht während der Ausbildungszeit, sondern ebenso auf Angebote für Erwachsene, die Fremdsprachenunterricht in einem ähnlichen Umfeld (in Universitäten oder öffentlichen bzw. privaten Bildungseinrichtungen wie Volkshochschulen oder Privatinstituten) erhalten. Wichtige Rahmenbedingungen des institutionalisierten Fremdsprachenunterrichts sind die Anwesenheit eines Fremdsprachenlehrenden, die Vorgaben durch ein mehr oder weniger verbindliches Curriculum (je nach institutioneller Vorgabe von eher unverbindlichen Zielen im außerschulischen Unterricht bis zu einem konkreten Lehrplan) sowie obligatorische Leistungskontrollen durch den Lehrenden.
Generell muss das Konzept des selbstgesteuerten Lernens wie auch das des institutionalisierten Unterrichts von dem des autonomen L2-Erwerbs abgesetzt werden, welcher sowohl Bestandteil des institutionalisierten Unterrichts sein7 wie auch ei|| bleibt, d.h. der Lerner macht weder Fort- noch Rückschritte.“ (Kniffka/Siebert-Ott 2009: 56). Die Fossilierung einer Lernervarietät ist z.B. an falschen grammatischen Formen erkennbar, welche von dem Lernenden so häufig verwendet worden sind, dass sie nicht (mehr) als falsch erkannt und korrigiert werden. 7 Trotz der steten Forderung nach Lernerautonomie bleibt offen, ob diese in der Unterrichtspraxis tatsächlich erwünscht ist. Malte Mienert und Sabine Pitcher bezweifeln dies: „Das Misstrauen gegenüber den Selbstlernkräften des Einzelnen ist jedoch nicht nur im Elementarbereich und in den Schulen groß: auch in der institutionellen Erwachsenenbildung dominiert die Steuerung durch Lehrkräfte und Dozenten, die Inhalte an die Lernenden transportieren. Damit stehen Ziele des Lehrens und ihre Umsetzung häufig in einem kaum auflösbaren Widerspruch: Durch Fremdsteuerung soll die Person zur Selbständigkeit angeregt werden.“ (Mienert/Pitcher 2011: 63).
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genständig und ohne Kontrolle durch einen Lehrenden realisiert werden kann: „Das Präfix ‚auto‘ bedeutet nicht ‚allein‘, sondern verweist auf den selbstinitiierten und selbstreflexiven Bezug des Selbst zum Lerninhalt und Lernprozess.“ (Martinez 2005: 72). Wichtiges Merkmal des autonomen Fremdsprachenlernens ist die Eigenverantwortung für den Lernprozess, die der Lernende übernimmt – dies kann auch im Rahmen des institutionalisierten Fremdsprachenerwerbs erfolgen (z.B. in Form von selbst durchgeführten Lernkontrollen). Dieses Verständnis von Lernerautonomie basiert auf den Arbeiten Leslie Dickinsons8, die in den 1980er und 1990er Jahren in der Sprachdidaktik aufgegriffen und modifiziert worden sind (vgl. Wolff 2003: 321f.; Martinez 2005: 65ff.). In der Sprachdidaktik haben sich bislang weitere Ausprägungen des Autonomie-Konzepts entwickelt (vgl. auch Stork 2003: 31f., Wolff 2003: 321f., Nodari/Steinmann 2010: 1157), deren Spektrum Dieter Wolff kurz zusammenfasst: Wenn man die verschiedenen Ansätze Lernerautonomie und selbst gesteuertes Lernen zu definieren Revue passieren lässt, dann wird deutlich, dass das Begriffsverständnis schwankt zwischen Autonomie als einem allgemeinen Erziehungsziel, als einem didaktisch-methodischen Ansatz, als einer Fähigkeit, die der Lernende mitbringt, und als einen Prozess, den zu gestalten, die Aufgabe des Lernenden ist, den aber der Lehrende fördern kann. (Wolff 2003: 322)
Lernerautonomie in der Form, dass der Lernende eigenverantwortlich den Lernprozess steuern kann, wird im Idealfall didaktisch durch den Lehrenden, technisch durch die passenden Lernmittel und das entsprechende (technische) Angebot (hier eng verbunden mit dem Konzept des selbstgesteuerten L2-Erwerbs) und kognitiv durch die Anwendung von Methoden der Selbstregulierung, welche den Grad der Aneignung von Wissen idealerweise vertiefen, unterstützt. Entscheidend scheint im Zusammenhang mit Lernerautonomie, dass der Grad an Motivation für den Lernenden deutlich erhöht ist, was wiederum den Lernerfolg positiv beeinflussen kann. Ausgehend von den unterschiedlichen Ausprägungen des L2-Erwerbs soll im Folgenden untersucht werden, auf welche Weise der Wortschatzerwerb systematisch in den fremdsprachlichen Erwerb und Unterricht eingebunden wird, ob und welche Materialien und Anregungen es zum selbstgesteuerten bzw. autonomen Wortschatzerwerb gibt und nach welchen Mechanismen der Wortschatzerwerb im ungesteuerten L2-Erwerb erfolgt.
|| 8 Leslie Dickinson definiert Autonomie im Kontext von L2-Erwerb in seiner einflussreichen Monographie „Self-Instruction in Language Learning“ wie folgt: „This term describes the situation in which the learner is totally responsible for all of the decisions concerned with his learning and the implementation of those decisions. In full autonomy there is no involvement of a ‘teacher’ or an institution. And the learner is also independent of specially prepared materials.“ (Dickinson 1987: 11).
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2.2 Fremdsprachen- und Wortschatzerwerb Bei all den soeben beschriebenen Ausprägungen des L2-Erwerbs bleibt ein Lernziel konstant: Ziel der Lernenden in Hinblick auf den Wortschatzerwerb sollte es sein, sich einen ausreichend großen Ausschnitt der fremdsprachlichen Lexik anzueignen, um sich mühelos in der Zweit- bzw. Fremdsprache verständigen zu können. Dabei muss Lernenden wie Lehrenden jedoch bewusst sein: Sowohl die Größe des fremdsprachlichen Wortschatzes wie auch dessen verschiedene Teilsysteme (Fachsprachen, Soziolekte etc.) werden es Lernenden nie ermöglichen, den fremdsprachlichen Wortschatz vollständig zu lernen. Selbst L2-Lernende mit sehr fortgeschrittener Kompetenz sowie professionelle Übersetzer können daher nie auf Hilfsmittel in Form von Wörterbüchern verzichten (z.B. bei der Übersetzung von fachsprachlichen Texten). Franz Josef Hausmann beantwortet die von ihm selbst aufgeworfene Frage „Ist der deutsche Wortschatz lernbar?“ u.a. aus diesem Grund verneinend: Der Fremdsprachler kann die Wortschatzkenntnis des Muttersprachlers nicht einholen. Der Wortschatz einer Fremdsprache ist nicht wirklich lernbar. (Hausmann 1993a: 473)
In Bezug auf Wortschatzerwerb kann es demzufolge niemals das Ziel des ungesteuerten, des selbstgesteuerten wie des gesteuerten Erwerbs einer Fremdsprache sein, Vollständigkeit anzustreben. Hausmann hält in diesem Zusammenhang für studentische Fremdsprachenlernende pointiert fest: Wir können den Studenten nicht an der Hand durch den ganzen Wortschatz führen. Wir können kaum mehr als einen Kurs anbieten: Wie lerne ich Wortschatz? (Hausmann 1993b: 19)
Wichtig für den Fremdsprachenunterricht sind daher der Erwerb eines Grundwortschatzes sowie dessen kontinuierlicher, systematischer Ausbau mit dem Ziel, eine mühelose und adäquate Verständigung in der Fremdsprache zu ermöglichen. – Für die didaktische Ausrichtung der L2-Vermittlung bedeutet dies, dass bereits sehr früh den Lernenden Techniken vermittelt werden müssen, mittels derer sie fremdsprachlichen Wortschatz selbständig lernen können. – In Bezug auf die Lehrmaterialien und Hilfsmittel heißt das, dass Wörterbücher neben Grammatiken unverzichtbare Hilfsmittel9 in allen Stadien des Erwerbs-
|| 9 Die Unabhängigkeit der Wörterbücher von anderen Lehrmitteln, deren Bedeutung für die alltägliche Kommunikation sowie deren häufige Nutzung auch außerhalb der Unterrichtszeit sprechen dafür, Wörterbüchern unter den Hilfsmitteln einen besonders hohen Stellenwert einzuräumen (vgl. z.B. Bahns 2006: 189). Auch Heath und Herbst heben Wörterbücher unter den in der Schule verwendeten Hilfsmitteln besonders hervor: „[D]ie Wahrscheinlichkeit, daß ein Abiturient auch nach seiner Schulzeit englische Wörterbücher benutzen wird, [ist] als sehr hoch anzusehen. Auch in Wirtschaft, Technik oder
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bzw. Lernprozesses sind und als solche auch genutzt werden sollten (vgl. Herbst/Klotz 2003: 286; Schmidt 2002: 335, Heath/Herbst 1985: 592f.). Im Folgenden soll erläutert werden, welchen Stellenwert der Wortschatzarbeit, der Vermittlung von Lerntechniken10 sowie dem Umgang mit Wörterbüchern im ungesteuerten, im selbstgesteuerten und im institutionalisierten Fremdsprachenerwerb zukommt.
2.2.1 Wortschatzerwerb im ungesteuerten L2-Erwerb Der ungesteuerte L2-Erwerb erfolgt durch den Kontakt mit einer fremden Sprache – und ist aus diesem Grund weitgehend frei von Einflüssen, die in anderen Formen des L2-Erwerbs durch Lehrende oder Lehrmaterialien ausgeübt werden. Erworben wird die Sprache durch die Lernenden hauptsächlich unbewusst. Um den Verlauf eines unbewussten Erwerbsprozesses dokumentieren und darstellen zu können, bedarf es dringend methodischer Vorüberlegungen: Am ehesten lassen sich Aussagen zum Erwerb fremdsprachlicher Lexik über Erhebungen und Untersuchungen zum Lernstand treffen. Eine Möglichkeit der Datengewinnung ist dabei die der Langzeitstudie, die idealerweise unmittelbar nach Ankunft der Lernenden in der fremdsprachigen Umgebung startet und über Monate bzw. Jahre fortgeführt wird. Ein wesentlicher Nachteil dieser Form der Datengewinnung ist jedoch, dass diese aufgrund des damit verbundenen Aufwands nur für wenige Lernende durchgeführt werden kann. Von den wenigen, sehr individuellen Erwerbsverläufen kann daher nur mit Problemen (bzw. gar nicht) auf einen allgemeinen Erwerbsprozess geschlossen werden (vgl. Schmidt 2002: 342, Ellis 2008: 100f.).
|| Naturwissenschaft braucht man immer wieder Wörterbücher – sei es bei der Abwicklung geschäftlicher Korrespondenz oder der Lektüre von Fachartikeln. Damit ist das Wörterbuch etwas viel weniger ‚Schulisches‘ als etwa ein Lehrbuch oder eine Grammatik. Das sollte sich auch im Schulunterricht niederschlagen. Außerdem darf man in diesem Zusammenhang eines nicht übersehen: Ebenfalls sehr hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Abiturient nach seiner Schulzeit – wenn er nicht gerade Anglistik studiert oder seine englischen Sprachkenntnisse ansonsten regelmäßig nutzt – viel von dem, was er im Englischunterricht der Schule gelernt hat, vergessen wird. Das mag sogar besonders für den Wortschatz zutreffen.“ (Heath/Herbst 1985: 592f.). 10 Die für den Wortschatzerwerb verwendeten Techniken werden unterschiedlich bezeichnet: ‚Mnemotechnik‘, ‚Lerntechnik‘ oder ‚Lernstrategie‘. Alle diese Begriffe bezeichnen jedoch „specific actions taken by the learner to make learning easier, faster, more enjoyable, more self-directed, more effective, and more transferrable to new situations.“ (Oxford 1990: 8).
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Eine andere Möglichkeit, Daten zum Wortschatzerwerb zu ergeben, bieten sog. Querschnittstudien (wie etwa die des „Heidelberger Forschungsprojekts“11), die in größeren Gruppen zum gleichen Zeitpunkt durchgeführt werden. Die so gewonnenen Daten können analysiert und der Lernstand der Befragten in bestimmte Phasen eingeteilt werden. Diese Methode hat wiederum den Nachteil, dass neben dem hohen Maß an Interpretationsspielraum der jeweilige Lernstand mit entsprechenden Erwerbsphasen gleichgesetzt wird (vgl. Lalleman 1996: 9). Nicht nur aufgrund der methodologischen Probleme gibt es derzeit nur wenige Studien zum Erwerb fremdsprachlichen Wortschatzes im Rahmen des ungesteuerten Fremdsprachenerwerbs – auch insgesamt existieren nur wenige Studien zum ungesteuerten Spracherwerb (vgl. Klein/Dimroth 2003: 26f., Schmidt 2002: 336, Appel 1996: 381ff.), wobei erfreulicherweise das Interesse an diesem Forschungsgebiet seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich zu wachsen scheint (vgl. Ellis 2008: 99, Appel 1996: 400). Die Mehrheit der bislang vorliegenden Untersuchungen, welche den Erwerb von Lexik berücksichtigen, zielt jedoch darauf ab, den Anfangsverlauf des Wortschatzerwerbs zu untersuchen. Da im Rahmen dieser Arbeit insbesondere der Wortschatzerwerb in einem fortgeschrittenen Stadium von Interesse ist, wird im Folgenden nur auf Untersuchungsergebnisse eingegangen, mittels derer Aussagen über diese späteren Phasen getroffen werden können: – Der ungesteuerte L2-Ewerb erfolgt naturgemäß nicht so systematisch wie das Lernen im institutionalisierten Unterricht, das sich durch systematische Wortschatzarbeit, die Vermittlung komplexer grammatischer Strukturen sowie die Thematisierung unterschiedlicher Text- und Gesprächssorten auszeichnet (vgl. Kniffka/Siebert-Ott 2009: 57, Klein/Dimroth 2003: 23f.). Dagegen sind ein wesentlicher Erwerbskontext für den ungesteuerten Fremdsprachenerwerb Gespräche in Alltagssituationen, für die die Verwendung von eher einfachen Satzstrukturen sowie merkmalsarmer Lexik typisch sind (vgl. Kniffka/Siebert-Ott 2009: 57). Der Erwerb eines differenzierten Wortschatzes ist daher „weniger wahrscheinlich oder zumindest langwieriger“ (Stork 2003: 27). – Besonders bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass erwachsene Lernende bereits nach kurzer Zeit – abhängig von individuellen Faktoren – im Erwerbsprozess eine Phase erreichen, in der grundlegende kommunikative Bedürfnisse erfolgreich bewältigt werden können. Der Erwerb der Sprache bis zur sog. „Basisvarietät“ (vgl. Klein/Dimroth 2003: 28f.), einer der wichtigsten Lerner-
|| 11 Der ausführliche Titel des in den 1970er Jahren im Raum Heidelberg durchgeführten Forschungsprojekts zum ungesteuerten Zweitspracherwerb unter der Leitung von Wolfgang Klein und Norbert Dittmar lautet „Pidgin-Deutsch spanischer und italienischer Arbeiter in der Bundesrepublik“.
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varietäten12, ist dadurch gekennzeichnet, dass relativ viel Wortschatz erworben wird, während die grammatischen Strukturen relativ simpel sind. Unterscheidet man zwischen aktivem und passivem Wortschatz der Lernenden, kann man feststellen, dass der passive Wortschatz häufig weiterhin wächst, während der aktive Wortschatz deutlich hinter diesem Wachstum zurückbleibt (vgl. Ellis 2008: 101). Untersuchungen, in denen zwischen verschiedenen Wortklassen unterschieden wird, haben gezeigt, dass der Erwerb von Inhaltswörtern gerade in der ersten Erwerbsphase überwiegt; später werden dann auch Artikel, Konjunktionen und Pronomen erworben und verwendet (vgl. Schmidt 2002: 343). Bei einem Drittel der untersuchten Lernenden fossiliert sich diese Stufe, allein der Erwerb von Lexik setzt sich – neben kontextspezifischeren Verwendungen der Basisvarietät – fort (vgl. Klein/Dimroth 2003: 30). Hinsichtlich des Erwerbs von Wortbedeutungen lassen sich ebenfalls verschiedene Phasen ausmachen: In einer ersten Phase wird die (Kern-)Bedeutung der fremdsprachlichen Lexeme erworben, wobei im weiteren Verlauf beobachtet werden kann, dass die Bedeutung bereits bekannter Wörter erweitert oder verschoben wird (vgl. Schmidt 2002: 344). Den Lernenden fehlt in dieser frühen Phase das Wissen um die adäquate Verwendung sowie die Bedeutungsvielfalt der bereits bekannten Lexeme: „Als FremdsprachenlernerIn haben wir oft über einen langen Zeitraum ein lückenhaftes, instabiles und sich permanent veränderndes lexikalisches Wissen.“ (Schmidt 2002: 348, vgl. auch Börner 1995: 32). Erst mit zunehmendem Wortschatzerwerb erwirbt der Lernende auch ein differenzierteres semantisches Wissen, ähnlich dem in seiner Erstsprache: „Probably, growing lexical competence in the L2 implies further differentiating of the two meaning systems.“ (Appel 1996: 390).
Klein und Dimroth regen dazu an, die typischen Phasen des ungesteuerten Zweitspracherwerbs etwa in Sprachkursen für Immigranten bewusst zu berücksichtigen, wobei insbesondere der Wortschatzerwerb systematisch gefördert werden soll und die kommunikativen Fähigkeiten der Teilnehmenden ausgebaut werden sollen (vgl. Klein/Dimroth 2003: 34f.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass über den Wortschatzerwerb im ungesteuerten L2-Erwerb nur wenig bekannt ist; noch weniger weiß man, welche Rolle Wörterbücher oder zweisprachige Wortschatz-Datenbanken im Verlauf des Erwerbsprozesses spielen, also wie oft und aus welchen Gründen die Lernenden das
|| 12 Der Begriff Lernervarietät kann wie folgt definiert werden: „Die normale Manifestation des angeborenen menschlichen Sprachvermögens sind ‚Lernervarietäten‘, d.h. Formen des sprachlichen Verhaltens, die sich entwickeln, wenn der Lernende das sprachliche Verhalten der Lernumgebung zu reproduzieren versucht.“ (Klein/Dimroth 2003: 9).
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Bedürfnis verspüren, unbekannte oder auch bekannte Wörter nachzuschlagen. Da sich die Lernenden jedoch in der Erwerbsphase in dem Land aufhalten, in dem die Zweitsprache gesprochen wird, ist davon auszugehen, dass permanent das Bedürfnis bzw. die Notwendigkeit besteht, sich die Bedeutung fremdsprachiger Äußerungen zu erschließen, wobei sich zur Klärung punktueller Defizite insbesondere Nachfragen bei Muttersprachlern sowie das Nachschlagen in Wörterbüchern bzw. lexikographischen Datenbanken anbieten.
2.2.2 Wortschatzerwerb im autonomen bzw. selbstgesteuerten Fremdsprachenunterricht Sobald jedoch der formale, organisierte Unterricht endet, muss das weitere Lernen autonom, d.h. selbstgesteuert erfolgen. Das autonome Lernen kann gefördert werden, wenn ‚Lernen lernen‘ als ein fester Bestandteil des Sprachenlernens angesehen wird, sodass Lernende sich immer stärker ihrer eigenen Lernmethoden bewusst werden sowie der möglichen Optionen und welche davon für sie am geeignetsten sind. (Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen13)
Vergleicht man didaktische Konzepte und deren Entwicklung in den letzten 2000 Jahren, so kann man festhalten, dass sich der Fremdsprachenunterricht weitgehend von einer auf die Person des Lehrenden fokussierten und damit fremdgesteuerten Unterrichtsform (meist in Form von Frontalunterricht) zum autonomen Lernen entwickelt hat (vgl. dazu den historischen Überblick über die Vermittlungsmethoden bei Neuner 2003: 225ff.). Formen des autonomen Erwerbs werden inzwischen auch in den institutionalisierten Unterricht integriert (etwa bei der Entscheidungsfreiheit der Lernenden, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen), besonders wichtig ist die Autonomie des Lernenden aber gerade beim selbstorganisierten Lernen. Dies ist mit ein Grund dafür, warum sich die strikte Unterscheidung zwischen selbstgesteuertem Lernen und gesteuertem bzw. institutionalisiertem Lernen nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten lässt (vgl. Kapitel 2.1). Mit dem Wechsel der Unterrichtsform geht auch ein Wechsel der Perspektive in der Didaktik einher: „[Lernerautonomie] und Autonomisierung implizieren eine Umkehr der pädagogischen Perspektive: weg von der Vermittlungsperspektive durch den Lehrenden hin zu der Aneignungsperspektive durch den Lernenden.“ (Martinez 2005: 76).
|| 13 Die Online-Version des „Gemeinsame[n] europäische[n] Referenzrahmen[s] für Sprachen“ (GER), verfasst vom „Rat für kulturelle Zusammenarbeit/ Bildungsausschuss ‚Sprachenlernen für europäische Bürger‘“ findet sich auf den Seiten des Goethe-Instituts: www.goethe.de/Z/50/commeuro/deindex.htm.
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Dass in aktuellen Diskussionen um die Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts der traditionelle, lehrerfokussierte Unterricht kritisiert und autonome Vermittlungstechniken bzw. der selbstgesteuerte Spracherwerb herausgestellt werden, mag auf die im Folgenden skizzierte Entwicklung zurückzuführen sein: Es besteht kein Zweifel: alle Formen des institutionalisierten Lernens stecken in einer tiefen Krise. […] Die Schule von heute ist in weiten Bereichen in der Gesellschaft von gestern angesiedelt, in einer Gesellschaft, in der das in der Schulzeit vermittelte Wissen für ein Arbeitsleben ausreichte, in der ein nach Lehre oder Studium erworbenes Diplom eine Qualifikation fürs Leben darstellte […]. Die Schule von heute ist bestimmten Traditionen verpflichtet, die bis ins Mittelalter, ja bis in die Antike zurückreichen. (Rüschoff/Wolff 1999: 13f.)
Durch die rasche Veränderung von Wissensbeständen und der Kritik, welche Pädagogen an dem traditionellen Konzept von Wissensvermittlung – der Instruktion durch einen Lehrenden – üben, wächst zunehmend die Bedeutung des autonomen Lernens. Auch in bildungspolitischen Diskussionen14 erfährt das Konzept des autonomem Lernens eine zunehmende Aufwertung (vgl. das obige Zitat aus dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen): Im Gegensatz zum institutionalisierten Lernen, das gewöhnlich nach Schullaufbahn und Ausbildung endet, kann das selbstgesteuerte bzw. autonome Lernen unabhängig von Alter und Ausbildungsgrad eigenständig fortgesetzt werden, was der Tendenz entspricht, Ausbildung nicht als abgeschlossenen sondern als kontinuierlichen Prozess zu betrachten (Lebenslanges Lernen = LLL)15. Unter dem Stichwort „Lebenslanges Lernen“ bzw. „Lernen im Lebenslauf“ und dem geplanten Erwachsenenbildungsförderungsgesetz proklamiert derzeit – neben dem Europarat und der OECD – auch das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Konzept des lebenslangen Lernens, das insbesondere durch Wissensvermittlung in Form des selbstgesteu-
|| 14 Claudio Nodari und Cornelia Steinmann nennen handfeste Gründe, warum das Konzept der Lernerautonomie auch in der Bildungspolitik aufgegriffen wird: „Aus ökonomisch-politischer Sicht ist die Förderung autonomen Lernens im Fremdsprachenunterricht sinnvoll, um die Lernenden für die Arbeitswelt mit ihren ständig wechselnden Anforderungen zu qualifizieren, lebenslanges Lernen zu ermöglichen und die Entwicklung zu mündigen Bürgern zu unterstützen.“ (Nodari/Steinmann 2010: 1158). 15 Einen Erklärungsansatz, warum gerade in den letzten 20 Jahren das Konzept des lebenslangen Lernens so stark gefördert wird, bietet Annette Berndt: „Die Idee des lebensbegleitenden Lernens ist eine Idee der 90er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, einer Zeit also, in der der ältere Mensch einerseits durch seine zahlenmäßige Präsenz stärker in den Mittelpunkt rückte und die Wissenschaften andererseits die Potenziale älterer Menschen entdeckten.“ (Berndt 2005: 84). Die Ausrichtung des Unterrichts ist durch das Alter der Lernenden und deren Erfahrungswerte vorgegeben: „Die Erwachsenenbildung verbindet erfolgreiches lebenslanges Lernen (LLL) primär mit Selbststeuerung. […] Über die Notwendigkeit von Medienkompetenz, über den Einsatz Neuer Medien als Instrument des Fremdsprachenlernens besteht kein Zweifel.“ (Berndt 2005: 87).
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erten Wissenserwerbs16 umgesetzt werden soll. Sich eigenständig Wissen – und insbesondere Fremdsprachen – anzueignen, ist ein Teil dieses Konzepts, wobei das Bundesministerium dabei auf kontrollierte Fern- oder E-Learning-Angebote setzt. Ob in Selbstlernzentren, bei denen der Erfolg des autonomen Lernens allein von den Zielen und dem Tempo abhängig ist, das sich der Lernende selbst vorgibt, oder durch die eher kontrollierte Form, wie sie das BMBF anstrebt: Das selbstgesteuerte Lernen grenzt unmittelbar an das autonome Lernen, das in seiner reinsten Form auch ohne die Rolle eines Lehrenden auskommt. Beim selbstgesteuerten L2-Erwerb übernehmen die Lernenden, welche außerhalb eines curricularen oder institutionalisierten Rahmens eine Fremdsprache lernen, die Verantwortung für den Lernprozess, für dessen Erfolg sie häufig einen sehr konkreten Anreiz haben: Sei es die persönliche Weiterqualifikation, der bevorstehende Auslandsaufenthalt oder eine anstehende Urlaubsreise. Die hohe Motivation der Lernenden ist gerade beim Wortschatzerwerb wichtig: Anhand von selbst gewählten Themen oder Sachgebieten können sich die Lernenden entsprechende Wortschatzausschnitte selbst erarbeiten. Da eine Hilfestellung oder Kontrolle durch den Lehrenden nicht so notwendig ist wie in anderen Lernbereichen, bietet gerade die Wortschatzarbeit den Lernenden eine gute Möglichkeit, selbstgesteuert zu lernen – dies könnte etwa bei der Grammatikvermittlung nicht problemlos umgesetzt werden. Um sich entsprechende Wortschatzausschnitte zu erarbeiten, stellt auch in dieser Form des Fremdsprachenerwerbs das Wörterbuch ein wesentliches Hilfsmittel dar, auf das der Lernende – da bei der Wortschatzvermittlung Hilfestellungen durch einen Lehrenden fehlen – weit mehr als beim institutionalisierten Lernen angewiesen ist.
2.2.3 Wortschatzerwerb im institutionalisierten Fremdsprachenunterricht Im institutionalisierten Fremdsprachenunterricht (in Schulen, Universitäten oder Sprachinstituten) ist die Vermittlung sowie das (intensive) Lernen des fremdsprachlichen Wortschatzes – neben Grammatikkenntnissen – wesentlicher Bestandteil des Anfangsunterrichts. Wortschatzarbeit im Rahmen des schulischen Unterrichts hat sich bedauerlicherweise häufig darauf reduziert, Schülern vorzugeben, die fremdsprachliche Lexik mit den entsprechenden erstsprachlichen Äquivalenten zu lernen, d.h. das
|| 16 Nicht vernachlässigen sollte man im Kontext der politischen Diskussion um Lernerautonomie, dass gerade die Bedingungen, unter denen der Lernprozess stattfindet und der Lernerfolg mehr oder weniger kontrolliert werden kann, besonders attraktiv sind wegen der damit einhergehenden „Entlastung des Bildungshaushaltes durch Bereitstellung von Geräten und Materialien, die den Lehrer entbehrlich machen.“ (Wolff 2003: 321).
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Wortschatzlernen erfolgt häufig in Form des sog. Paarassoziationslernens17: „Nach wie vor ist ein derartiges Pauken von Vokabelgleichungen im Bewusstsein vieler Lerner zentral für fremdsprachliches Lernen.“ (Huneke/Steinig 2010: 169, vgl. dazu Kapitel 5.3.). Um zu zeigen, auf welche Weise der fremdsprachliche Wortschatz gelernt sowie die Wortschatzarbeit aktuell in den einzelnen Jahrgangsstufen methodisch umgesetzt wird, sollen im Folgenden beispielhaft18 die Lehrpläne des bayrischen Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung für die in der Regel am längsten gelernte Fremdsprache, Englisch, näher untersucht werden. Lehrplanübergreifend wird zunächst im Fachprofil „Moderne Fremdsprachen“ für den Wortschatzerwerb folgendes Ziel festgehalten: Die Schüler sollen differenzierte kommunikative Fertigkeiten in der mündlichen und schriftlichen Sprachanwendung erwerben. Dies erfordert kontinuierlichen und systematischen Wortschatzerwerb, gründliche Ausspracheschulung und solide Grammatikarbeit. Die sprachlichen Mittel sind dabei kein Selbstzweck, sondern Grundlage für den selbständigen und korrekten Gebrauch der Fremdsprache […].19
Umgesetzt in den Lehrplänen für die einzelnen Jahrgangsstufen bedeutet dies, dass der Wortschatzerwerb in den frühen Jahrgängen zunächst sehr wichtig ist, die Vermittlung von kommunikativen Fähigkeiten aber zunehmend an Bedeutung gewinnt. So wird als wichtiges Lernziel für die Jahrgangsstufe 5 (hier am Beispiel der Schulform Gymnasium) festgehalten: „Im Rahmen von handlungsorientierten kommunikativen Situationen haben sich die Schüler einen Grundstock an Redemitteln und Wortschatz sowie einige einfache Arbeitstechniken angeeignet.“20 In den entsprechenden Erläuterungen wird der angeführte Grundstock unterteilt in einen produktiven Wortschatz mit einem Umfang von ca. 200 Lexemen (in 10 Themengebieten) und einem rezeptiven Wortschatz, dessen Größe nicht weiter festgelegt, sondern von den Fähigkeiten und Interessen des einzelnen Schülers abhängig ist (vgl. ISB-Lehrplan). Die Lernmethoden im Unterricht sowie die Methoden für selbständiges Arbeiten bauen auf dem Vorwissen der Schüler auf und bestehen in „Mög-
|| 17 Als ‚Paarassoziationslernen‘ wird folgende Lerntechnik bezeichnet: „[D]ie Schüler/-innen lernen mit Hilfe zweisprachiger Listen, die sie in den Lehrwerken vorfinden oder selbst erstellen. Dabei halten sie bald die eine, bald die andere Spalte zu und memorieren so die einzelnen fremdsprachlichen Vokabeln zusammen mit deren deutscher Übersetzung.“ (de Florio-Hansen 2004: 85). 18 Ähnliche Zielsetzungen für den Fremdsprachenunterricht finden sich auf entsprechenden Homepages anderer deutscher Bundesländer. 19 Die Darstellung des Fachprofils „Moderne Fremdsprachen“ basiert auf folgender Quelle: http://www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php. 20 Die Vorgaben der einzelnen Jahrgangslehrpläne des Fachs Englisch (als erster Fremdsprache) sind unter www.isb-gym8-lehrplan.de/contentserv/3.1.neu/g8.de/index.php?StoryID=26172 (im Folgenden als „ISB-Lehrplan“ bezeichnet) publiziert.
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lichkeiten der Wortschatzarchivierung und einfache[n] Prinzipien der Wortschatzstrukturierung (z. B. word family, topical grouping)“ (ISB-Lehrplan). Auch in der Jahrgangsstufe 6 sind Techniken der Wortschatzarbeit für den Fremdsprachenunterricht essentiell, wobei neben dem Lernen und Wiederholen von Vokabeln zunehmend die Erschließung von Wortbedeutungen aus dem Kontext eingeübt wird; zusätzlich werden die Schüler in den Umgang mit zweisprachigen Wörterbüchern eingeführt. Der Einsatz von Wörterbüchern ist auch in den folgenden Jahrgängen äußerst wichtig: einerseits als Hilfsmittel im Unterricht, zunehmend aber auch für den selbstständigen Wortschatzerwerb der Schüler. Bedeutend ist dabei, dass die Lehrpläne explizit vorsehen, in Wörterbüchern nicht nur zur Schließung von punktuellen Wissenslücken nachzuschlagen, sondern den Umgang mit Wörterbüchern auch zur Vernetzung von und mit bereits bekannten Vokabeln zu nutzen (vgl. ISBLehrplan). Bis zur Jahrgangsstufe 9 ist als Lernziel vorgesehen, den Schüler geeignete Methoden zu vermitteln, damit diese den Wortschatzerwerb selbstständig weiterführen und auftauchende Wortlücken eigenständig schließen können. In den Jahrgangsstufen 9 und 10 tritt neben die Arbeit mit zweisprachigen Wörterbüchern die Einführung in die Arbeit mit einsprachigen Wörterbüchern21. Aufbauend auf die bereits erlernte Methoden soll der Wortschatz nun themenbezogen gelernt bzw. eigenständig erworben werden: Ziel ist es, den „Wortschatz systematisch themengebunden aus[zu]bauen und durch die Arbeit mit dem einsprachigen, ggf. auch dem zweisprachigen Wörterbuch sowie unter Nutzung der Kenntnisse über Wortschatzstrukturierung und Wortbildung selbständig [zu] erweitern“ (ISB-Lehrplan). Gerade bei der Frage, welcher Wörterbuchtyp – einsprachige oder zweisprachige Wörterbücher – wann genutzt werden soll, weichen die Vorgaben des Bildungsministeriums jedoch stark von den Bedürfnissen der Lernenden ab: Bei der Frage, ob und wann dem Lernenden ein ein- bzw. zweisprachiges Wörterbuch empfohlen werden sollte, wird man im Hinblick auf die Richtlinien der Kultusministerien dem einsprachigen den Vorrang geben müssen, wenngleich der Lernende in seinem Bedürfnis, die gewünschten Bedeutungsäquivalente schnell zu finden, allzu oft vor so großen Schwierigkeiten steht, daß er zu einem zweisprachigen Wörterbuch greifen wird. (Meyer 2000: 148)
|| 21 Dass die Arbeit mit einsprachigen Wörterbüchern in den Lehrplänen noch mehr Berücksichtigung finden könnte, wird von Burkhardt Dammann betont: „Since the monolingual dictionary is the only help admitted, it is given some space in the curriculum, albeit rather small, scattered over several pages.” (Dammann 1999: 199).
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In der Oberstufe wird die Eigenständigkeit im Umgang mit Hilfsmitteln – und somit auch mit einsprachigen Wörterbüchern – bei den Schülern schließlich vorausgesetzt. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Im Verlauf des institutionalisierten Fremdsprachenunterrichts verliert die Vermittlung von fremdsprachlichen Wortschatz durch den Lehrenden und die Kontrolle des Lernstands zunehmend an Bedeutung; autonome Lernmethoden werden bereits sehr früh gefördert. Je weiter der schulische Fremdsprachenunterricht fortschreitet, desto mehr werden die Schüler dazu angehalten, sich fremdsprachlichen Wortschatz eigenständig anzueignen und dabei Wörterbücher als Hilfsmittel zu benutzen. Wie am Beispiel des Bundeslandes Bayern gezeigt werden kann, wird in aktuellen Lehrplänen besonderer Wert darauf gelegt, im Unterricht entsprechende Techniken einzuüben, die zudem zunehmend kognitions- und lernpsychologische Erkenntnisse berücksichtigen (vgl. dazu Kapitel 5).
2.3 Zusammenfassung In Hinblick auf die unterschiedlichen Ausprägungen des L2-Erwerbs sind die Erkenntnisse, ob und in welcher Form Wörterbücher genutzt bzw. welche Techniken des Wortschatzlernens praktiziert werden, höchst unterschiedlich. Da man über die Nutzung von Wörterbüchern bzw. von lexikographischen Datenbanken im ungesteuerten L2-Ewerb wenig bzw. gar nichts weiß, kann nur spekuliert werden, dass aufgrund des ständigen Kontakts mit der Fremdsprache häufig im (zweisprachigen) Wörterbuch nachgeschlagen wird. Dagegen sind im institutionalisierten L2-Unterricht (und auch im selbstgesteuertem Unterricht) didaktische Einheiten vorgesehen, um Lernenden die Benutzung von Wörterbüchern bzw. Lerntechniken für Wortschatz nahe zu bringen. In beiden Ausprägungen werden die Arbeit mit Wörterbüchern und die Vertiefung von Kenntnissen des fremdsprachlichen Wortschatzes jedoch sehr schnell den Lernenden selbst überlassen. Während es in den Curricula der Schulen explizit vorgesehen ist, dass die Schüler im fortgeschrittenen Fremdsprachenerwerb selbst die Verantwortung für die Wortschatzarbeit übernehmen (vgl. Kapitel 2.2.3.), wird auch im selbstgesteuerten Erwerb die Erarbeitung von neuen lexikalischen Feldern gern der Kontrolle der Lernenden überlassen. Offen ist jedoch, ob vorab geeignete Techniken zum Wortschatzerwerb im ausreichenden Maß vermittelt worden sind bzw. ob den Lernenden die Notwendigkeit eines steten Wortschatzerwerbs auch bewusst ist. Tatsächlich belegen Untersuchungen seit den 1980er Jahren immer wieder, dass im Fremdsprachenunterricht der Umgang mit Wörterbüchern häufig nicht entsprechend mit Schülern wie Studierenden eingeübt wird, sodass die notwendigen Kompetenzen fehlen, die in den Wörterbüchern verzeichneten Informationen auch kor-
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rekt zu entschlüsseln (vgl. etwa Heath/Herbst 1985: 581f. und die Ergebnisse der Wörterbuchbenutzungsforschung Kapitel 7). Weiterhin fehlt eine geeignete Form von Wörterbuch- (vgl. Kühn 2010a: 307) und Wortschatzdidaktik (vgl. Tschirner 2010: 243), wobei eine Verbindung beider unumgänglich ist, um für Lernende den Erwerb bzw. das Lernen eines fremdsprachlichen Wortschatzes so einfach wie möglich zu gestalten (vgl. Kapitel 4).
3 Wortschatzerwerb und Wörterbücher: Historische Entwicklung Was kann ein Blick auf historische Positionen und Argumente der Sprachdidaktik leisten? Er kann zeigen, dass fachdidaktische Positionen meist nur Positionen unter anderen sind, dass sie geworden und veränderbar sind, also der Begründung und kritischen Erforschung bedürfen, und er kann andeuten, welche historische Ladung manche Positionen mit sich tragen, welche gesellschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Implikationen mit ihnen verbunden sind. (Steinig/Huneke 2010: 50)
Aus der historischen Entwicklung des Fremdsprachenlernens und der Lexikographie können nicht nur Schlüsse gezogen werden, warum sich Lernende in welcher Form mit Wortschatzerwerb und Wörterbüchern beschäftigen, es ergeben sich auch interessante Aspekte für aktuelle Probleme. Die historische Darstellung ist allerdings abhängig von der Form des Fremdsprachenerwerbs, da ungesteuerter, selbstgesteuerter, gesteuerter und autonomer Spracherwerb unterschiedlich gut dokumentiert sind: – In mehrsprachigen Regionen findet notwendigerweise ungesteuerter und selbstgesteuerter Erwerb von Sprachen statt. Für diese Form des Erwerbs sind aufgrund der Quellenlage kaum Aussagen möglich über die Art und Weise des Erwerbs sowie über Probleme, welche durch die Mehrsprachigkeit entstehen (z.B. in der Antike beim Massenerwerb der lateinischen Sprache). – Dagegen sind Formen des gesteuerten Fremdsprachenunterrichts schon sehr früh dokumentiert: So kann aus Tontafelfunden in Mesopotamien geschlossen werden, dass der Erwerb der sumerischen Sprache eng mit dem Erwerb von Schreib- und Lesekenntnissen verbunden ist. Ähnlich verhält es sich mit der Vermittlung der lateinischen Sprache im Mittelalter, die – ebenso wie das Sumerische – aus Prestigegründen gelehrt und gelernt wird. Sowohl beim Sumerischen als auch beim mittelalterlichen Latein ist ein aktiver Gebrauch der Sprache außerhalb von Lern- und ausgewählten Kommunikationssituationen nur schwer oder gar nicht nachzuweisen, sodass Sprachkenntnisse auf eine kleine Gruppe von Gebildeten beschränkt zu sein scheinen. – Neben der Skala von ungesteuertem Erwerb bis hin zu gesteuertem Lernen wird aber auch – so zeigen z.B. frühe Formen von Gesprächsbüchern aus dem 9. Jahrhundert – autonom gelernt. Es wird deutlich, dass für diese Form von Fremdsprachenlernen zwei Bedingungen erfüllt sein müssen: Der Lernende muss stark motiviert sein und über Lese- und Schreibkenntnisse verfügen – erst
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dann hat er die notwendigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Benutzung von Lehrwerken und Wortsammlungen1. Aus der Geschichte des Schreibens ist jedoch bekannt, dass eine flächendeckende Alphabetisierung im späten 16. Jahrhundert eingesetzt hat und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen ist (vgl. Knoop 1994, von Polenz 1999: 51ff.). Damit ist die Nutzung von Wortsammlungen und Wörterbüchern bzw. der eigenständige Erwerb einer Fremdsprache anhand von Lehrmaterialien und Wortsammlungen eine Kulturtechnik, welche sehr lange Zeit nur für die kleine, elitäre Gruppe der Lesekundigen nutzbar war. Die Mehrheit der Lernenden kann Wortsammlungen bzw. Wörterbücher erst seit Anfang des letzten Jahrhunderts für den eigenständigen Erwerb fremdsprachlichen Wortschatzes nutzen.
Was kann man aus der Geschichte der Lexikographie bzw. des Fremdsprachenerwerbs über die Konzeption von Nachschlagewerken lernen, um diese so zu gestalten, dass der Wortschatzerwerb gefördert wird? Im Folgenden soll auf zwei wesentliche Aspekte näher eingegangen werden: – Wortsammlungen und Wörterbücher existieren von Anfang an in zwei Anordnungsformen: In einer nach der Form geordneten Anordnungsweise (später alphabetisch) und in einer nach begrifflich-sachlichen Kriterien geordneten Anordnungsweise. Gerade die Entwicklung und Nutzung der begrifflichsachlich geordneten Nachschlage- und Lernwerke soll im Folgenden genauer betrachtet werden (vgl. Kapitel 3.1.). – Durch die Abhängigkeit von Schreibkenntnissen und kostengünstigen Schreibmaterialien spielen auch schriftunabhängige Formen des Wortschatzerwerbs eine wichtige Rolle, welche zudem wichtigen Erkenntnisse über die Speicherung von Wortschatz liefern können. Hier soll besonders die Technik ‚ars memorativa‘ dargestellt werden (vgl. Kapitel 3.2.).
3.1 Die Bedeutung der begrifflich-sachlichen Anordnung von Nachschlage- und Lernwerken Die onomasiologische (vom begrifflichen Inhalt herkommende) Sicht auf den Wortschatz ist offenbar genauso alt wie die semasiologische (von der Bezeichnung, vom Ausdruck herkommende) und ergänzte sie von Anfang an und sicher nicht nur in der deutschen Wörterbuchtradition. (Haß-Zumkehr 2001: 271)
|| 1 Der Begriff Wortsammlung dient im Folgenden als Oberbegriff für Sammlungen von Wortschatz, die sich noch nicht einer lexikographischen Textsorte zuordnen lassen.
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Zu den ältesten (entdeckten) Schriftstücken überhaupt gehören zwei- bzw. mehrsprachige Tontafeln, welche im Gebiet von Mesopotamien gefunden wurden und bis ins 3. Jahrtausend v.Chr. datiert werden können. Die Tontafeln verzeichnen Lexeme in den Sprachen Sumerisch und Akkadisch (vgl. McArthur 1986: 24; Civil 1990: 1683). Bereits die Auswertung dieser Funde macht deutlich, dass die heute so wichtige alphabetische Anordnung von Anfang an um eine begrifflich-sachliche Ordnung ergänzt worden ist. – Zum einen weist eine Vielzahl der ältesten bilingualen bzw. trilingualen Wortsammlungen (vgl. Civil 1990: 1682) eine Anordnung nach begrifflich-sachlichen Kriterien auf. So werden z.B. Tiernamen oder Begriffe aus der juristischadministrativen Domäne zu einer Wörterliste zusammengefasst. Ein Grund für die Beliebtheit dieser Anordnungsform ist sicherlich in mnemotechnischen Motiven zu suchen: „It is no surprise, therefore, that the grand themes of life could carry over into the scribal classrooms as systems by which signs closely tied to life could be memorized.“ (McArthur 1986: 32f). Einen weiteren Grund führt Nemet-Nejat auf die sumerische und akkadische Kultur zurück: „The ancient Mesopotamians tried to understand and organize the world around them. To this end, they made inventory lists of animals, plants, minerals, and so on.” (Nemet-Nejat 1998: 91). Die onomasiologisch geordneten Wortlisten dienen also gleichzeitig zwei Interessen: dem Wunsch, durch Kategorisierung von Begriffen zu einem Verständnis der Lebenswelt zu gelangen, und dem Bedürfnis, durch diese Anordnungsform einen besseren (didaktisch nutzbaren) Überblick über Konzepte und Schriftzeichen zu erzielen. –
Andere Wortlisten sind, wie Funde aus Ebla beweisen, durch ihre Anfangssilben geordnet (sog. ‚syllabaries‘): „In Ebla, scribes became skilled in cuneiform and the listing of languages side by side (using identical first syllables as a means of listing words […]).” (McArthur 1986: 25). Das Alphabet ist als Anordnungsweise seit Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends aus dem Schreibunterricht bekannt, wo es als Hilfsmittel beim Erwerb von Schreib- und Lesekenntnissen eingesetzt wird. Interessanterweise gehört seitdem das Auswendiglernen des Alphabets und der Einsatz alphabetischer Sortierung in der Regel zum Schulstoff, komplexe Listen werden aber bis ins Mittelalter erst dann alphabetisch sortiert, wenn eine Strukturierung über den Inhalt nicht mehr praktikabel ist (vgl. Günther 1996: 1578) und daher auf dieses wenig didaktische, dafür zweckdienliche Sortierungsverfahren zurückgegriffen werden muss. Auch in Mesopotamien wird die inhaltliche Ordnung der alphabetischen Sortierung vorgezogen:
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The students learned signs, language, and vocabulary through syllabaries (syllabic lists) and lexical lists. The lexical lists provided compilations of botanical, zoological, geographical, and mineralogical information; they also provided important linguistic tools for the study of grammar, bilingual and trilingual dictionaries, and legal and administrative vocabulary. (NemetNejat 1998: 56)
Nicht nur aus den für die mesopotamische Kultur genannten Gründen wird der thematischen Anordnungsform in der Frühgeschichte der (systematischen) Fremdsprachendidaktik deutlich der Vorrang eingeräumt. Werner Hüllen kann diese Beobachtung im Rahmen seiner Untersuchung onomasiologisch geordnete Wortsammlungen und Wörterbücher bestätigen und für andere Kulturen verallgemeinern: „Topical word-lists are to be found in many parts of the Asian and European world and in varying centuries. Obviously the knowledge of such lists regularly formed a stage in the education of children. This pertained to their training in reading, but also to the acquisition of general knowledge.” (Hüllen 1999: 30). Die Frage, ob diese Wortsammlungen eine „Ordnung der Wörter oder Ordnung der Welt“ (Haß-Zumkehr 2001: 264) darstellen, ist daher schwierig zu beantworten; eine Kombination beider Zielsetzungen ist sicherlich das Wahrscheinlichste (vgl. auch Haß-Zumkehr 2001: 265f. und Hüllen 1999: 7ff.). In Form von sachlich gegliederten Wortlisten werden onomasiologische Wortsammlungen (sog. „capitula“) sowohl in der Spätantike als auch im Mittelalter erneut in den institutionalisieren Fremdsprachenunterricht aufgenommen. Während die Capitula in der Antike noch stark von der römischen Kultur und Weltanschauung geprägt sind, ändert sich dies in Folge der Christianisierung Europas: Im Mittelalter wird die Struktur der onomasiologischen ‚Capitula‘ stark von der durch die Bibel vorgegebenen Ordnung der Welt beeinflusst. Die Parallelität zwischen der zeitgenössischen Betrachtungsweise der Weltordnung und der onomasiologischen Anordnung der Wortlisten dient dabei der Förderung des Lernprozesses: Assuming that memorizing a list of words like this was part of foreign language learning, this includes the fact that a generally accepted order of lexemes was also supposed to be essential. This is why the adaption of Christian ideas was perhaps not simply an act of authoritarian conformity, but was meant to enhance learnability. (Hüllen 1999: 49)
Mit der steigenden Notwendigkeit des fremdsprachlichen Unterrichts nach dem Untergang des römischen Reichs sowie der fortschreitenden Alphabetisierung rückt zunehmend die didaktisch aufbereitete Wortschatzvermittlung in den Fokus des Fremdsprachenunterrichts; seit dem frühen Mittelalter kann der Einsatz und Nutzen von zwei- oder mehrsprachigen Wortsammlungen im Fremdsprachenunterricht nachgewiesen werden.
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Auf antike Traditionen zurückgreifend entstehen im 9. Jahrhundert Lehrwerke in Form von Konversationsbüchern2 – weniger als Unterrichtsmaterialien als vielmehr aus der Notwendigkeit des alltäglichen Sprachkontakts bei Reisen heraus. Die Konversationsbücher enthalten Sätze, Syntagmen oder kurze Dialoge, die auf alltagspraktische Kommunikation ausgerichtet sind (z.B. Gespräche in Wirtshäusern), wobei den lateinischen Sätzen volkssprachliche Äquivalente zugeordnet werden. In Kombination mit angefügten Sachglossaren können diese Werke als Vorformen der spätmittelalterlichen Gesprächsbücher gesehen werden und zeugen deutlich von dem Bedürfnis nach Lehrmaterial für den alltäglichen Bedarf und mit lebenswirklichen Inhalten. Zu den impliziten Berichten über Fremdspracherwerb gehören jene, die Rückschlüsse auf sprachlich bedingte Verstehensprobleme zulassen. Dies ist beispielsweise der Fall bei mittelalterlichen Reiseführern mit Wortlisten und Sätzchen für Reisende aus dem Ausland, zugeschnitten auf alltägliche Kommunikationsbedürfnisse. (Glück 2002: 68)
Im 8. Jahrhundert entstehen zudem die ersten Glossare. Glossare sind Sammlungen von Glossen3, d.h. volkssprachlichen Übersetzungsäquivalenten zu meist schwierigen oder selten verwendeten lateinischen Wörtern, die zunächst in die zu lesenden bzw. zu übersetzenden Texte als Hilfsmittel für Interpretation und Übersetzung eingetragen werden. Die Glossen werden zunächst aufgrund ihrer Abfolge im zugrunde liegenden Text exzerpiert (als „glossae collectae“, vgl. Hüllen 2005: 35) und in entsprechenden Sammlungen veröffentlicht, später verlieren die Sammlungen durch Zusammenfassung mehrerer Glossare die enge Bindung an einen Text. Die Entstehung und Entwicklung der Glossare verdeutlicht, in welchem Ausmaß die Glossographie von konkreten Benutzerbedürfnissen geprägt ist, was auch für die Entstehung der Lexikographie ein entscheidender Einflussfaktor sein wird: Insofern die Glossarliteratur den Auftakt zu den späteren Wortlisten […] und schließlich zu den zweisprachigen Wörterbüchern bildeten, kann gesagt werden, dass nicht nur die europäische Grammatikographie, sondern auch die Lexikographie ihre Existenz ursprünglich einer didaktischen Problematik verdankt. […] Sie gingen also aus der Praxis hervor und wurden ihr später in
|| 2 Die bekanntesten deutschsprachigen Konversationsbücher sind die Kassler Glossen (bzw. Kasseler Gesprächsbüchlein) und die Altdeutschen Gespräche (bzw. Pariser Gespräche), von Helmut Glück als eine „Art Deutsch-als-Fremdsprache-Handreichung“ (Glück 2002: 68) bezeichnet. 3 Ausgehend von der Position der Glossen im Text kann systematisch unterschieden werden, ob es sich um Interlinearglossen („wenn sie zwischen den Zeilen“ stehen), Rand- und Marginalglossen („wenn sie an den Rändern stehen“) und Kontextglossen („wenn sie in den Text eingefügt werden“, vgl. Haß-Zumkehr 2001: 41) handelt. Zur Aktualität dieses Verfahrens hält Hans Sauer fest: „Glossing is still practised today as a study aid: schoolchildren and university students, for example, often write interlinear or marginal translations and explanations into their books.“ (Sauer 2009: 19).
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vielfachen Zusammenfassungen und Bearbeitungen als Hilfsmittel wieder zur Verfügung gestellt. (Hüllen 2005: 36)
Da Glossensammlungen primär als Hilfsmittel im Lateinunterricht verwendet werden4, liegt eine durch das Alphabet bestimmte Ordnung der Glossen nahe – schließlich wird auch das Alphabet als pädagogisches Hilfsmittel zum Erwerb von Schreibund Lesekenntnissen eingesetzt. Durch den wachsenden Umfang der Glossare liegt in der alphabetischen Anordnung aber auch ein praktischer Vorteil: Das gesuchte Wort kann schneller gefunden und – wenn es noch nicht erfasst ist – ergänzt werden. Obwohl die alphabetische Anordnung bereits in frühmittelalterlichen Werken als zusätzliches Anordnungsprinzip verwendet wird, setzt sie sich in Deutschland erst im 11. Jahrhundert durch, wird aber bereits in früheren Werken als sekundäre Zugriffsstruktur verwendet. Schließlich bedarf es der Standardisierung der lateinischen Orthographie im 16. Jahrhundert, um die alphabetische Anordnung als Standard-Anordnungsprinzip von Wörterverzeichnissen zu etablieren, was auch Auswirkungen auf die Entstehung der einsprachigen Wörterbücher hat. Trotz der zunehmenden Beliebtheit der alphabetischen Anordnungsweise sind onomasiologisch geordnete Glossare im Mittelalter jedoch nach wie vor stark vertreten – und dies vor allem aus didaktischen Gründen: „Die mnemotechnischen Nachteile alphabetisch geordneter Listen wurden schon früh erkannt.“ (Meißner 2003: 403). Zudem ist eine strikte Unterteilung in semasiologisch und onomasiologisch geordnete Glossare in vielen Fällen nicht möglich5. Die enge Verbindung der beiden Ordnungsverfahren (vgl. Haß-Zumkehr 2001: 266f.) zeigt sich bereits beim Abrogans, dem ältesten lateinisch-deutschen Glossar und zugleich dem „älteste[n] schriftliche[n] Zeugnis der deutschen Sprache überhaupt“ (Haß-Zumkehr 2001: 42): Denn trotz der alphabetischen Anordnung ist das Glossar die Übersetzung einer lateinischen kumulativen Synonymik, wobei versucht wird, die synonymischen Zusammenhänge auch in der althochdeutschen Sprache darzustellen.
|| 4 Helmut Glück betont in seiner Darstellung, welche Bedeutung die Glossare für den Fremdsprachenunterricht haben: „Nur am Rande sei erwähnt, daß die althochdeutsche Glossenliteratur insgesamt den Zweck hatte, den Erwerb einer Fremdsprache zu befördern, nämlich das Lateinlernen durch Deutsche, die diesen einzigen Zugang zu Bildung jeder Art suchten.“ (Glück 2002: 69). 5 Dass zunächst die strikte Differenzierung zwischen alphabetisch und begrifflich-sachlich geordneten Sammlungen aufgrund der Homogenität der europäischen Wörterbuchlandschaft kaum eine Rolle gespielt hat, arbeitet Haß-Zumkehr heraus: „Erst allmählich bildeten sich je eigene Wörterbuchtypen heraus, die sich unter anderem äußerlich, d.h. in ihrer Anordnungsweise (alphabetisch und sachlich) unterschieden. Bis ins frühe 17. Jahrhundert hinein scheinen diese äußerlichen Unterschiede aber insofern noch eher nebensächlich zu sein, als die lexikografischen Methoden und das volkssprachliche Bewusstsein typübergreifend weiterentwickelt werden.“ (Haß-Zumkehr 2001: 63).
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Mehr noch als bei den alphabetischen ist bei den sachlich-begrifflich geordneten Glossaren durch die Anordnungsform eine Trennung von sprachbezogenen und sachbezogenen Angaben kaum gegeben – ähnlich wie in den Wortsammlungen in Mesopotamien. Neben deren Funktion als Lerngrundlage für lateinischen Wortschatz (vgl. die Vorgehensweise der „ars memorativa“) und Nachschlagewerk dienen die onomasiologischen Glossare primär der Vermittlung von Weltwissen6: Je umfangreicher und systematischer die Wortlisten wurden, je deutlicher zeigen sie einen enzyklopädischen Charakter, der verrät, dass die Arbeit an den fremdsprachlichen Quellen vorwiegend einer Wissensvermittlung und Integration vorhandener Erkenntnisse in die eigene Sprache diente. (Hüllen 2005: 36)7
Unter Berücksichtigung des Verwendungszwecks lassen sich bei onomasiologischen Glossaren drei Funktionen unterscheiden: Synonymiken wie Vocabularius Sancti Galli haben vor allem praktischen Nutzen auf Reisen während die ebenfalls begrifflich-sachlich geordneten Summen (wie z.B. das Summarium Heinrici8) als „gelehrte Übersichtsdarstellungen eines bestimmten Gebiets“ (Haß-Zumkehr 2001: 273) für eine Verwendung im (fach-)wissenschaftlichen Kontext bestimmt sind. Darüber hinaus haben Synonymiken wie der Abrogans auch stilistischen Nutzen bei der Textproduktion (vgl. Haß-Zumkehr 2001: 272): „Halten wir fest, dass der dominante Zweck der früh- und hochmittelalterlichen Wörterbücher der Sprachunterricht war, dass daneben aber auch die Hilfe zum Textverstehen, der Sachunterricht und die Hilfe zur Verständigung auf Reisen standen.“ (Haß-Zumkehr 2001: 44). Dass Glossen sowie daraus entstehende Glossare im Mittelalter primär didaktisch ausgerichtet sind, wird auch von Hans Sauer betont:
|| 6 Die beschriebene Funktion der onomasiologischen Werke – Benutzern über reines Wortschatzwissen hinaus auch Weltwissen zu vermitteln – wird besonders deutlich in Isidor von Sevillas‘ Etymologiae: „Nomen dictum quasi notamen, quod nobis uocabulo suo res notas efficit. Nisi enim nomen scieris, cognito rerum perit. (Nomen ‚Name‘ wird so genannt, als ob es eine ‚Notiz‘ wäre, denn es macht uns die Dinge mit Hilfe der Wörter bekannt. Nur wenn man die Namen der Dinge kennt, bleibt deren Kenntnis erhalten.)“ (Law 2002: 31f., vgl. auch Haß-Zumkehr 2001: 47). 7 Der zunehmende Umfang der onomasiologischen Werke birgt wiederum die Gefahr, deren benutzerspezifische Zielsetzung aus den Augen zu verlieren: „Je umfangreicher ein Thesaurus wurde, desto mehr scheint der praktische Adressaten- und Situationsbezug in den Hintergrund gedrängt, und desto bestimmender wurde die Absicht, Welt und Sprache zugleich zu systematisieren und dahinter womöglich die verborgene Ordnung der Natur zu entdecken.“ (Haß-Zumkehr 2001: 274). 8 Zum Gebrauch der Glossare vgl. Kramer: „The beginnings of German lexicography can be found in medieval glossaries. […] Latin-Old High German glossaries such as Abrogans (ca. 765, Freising), named for its first entry, and specialist glossaries such as the widely copied Summarium Heinrici from the 11th century, were used in language teaching and education and to help travelers with communication.” (Kramer 2006: 45).
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The main purpose of the glosses, as well as of the glossaries, thus must have been a didactic one; interlinear glosses facilitate the understanding and possibly also the learning of the glossed Latin text. Glossaries help with the acquisition of the Latin vocabulary (and probably also of the English vocabulary). Thus many of the glosses and glossaries must have been used for teaching purposes in. schools, especially in monastic and cathedral schools. […] The didactic function of glosses and glossaries ranged from teaching and learning Latin at an elementary level to study at more advanced stages. (Sauer 2009: 19)
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstehen die ersten Gesprächsbücher, „Sammlung[en] von Notizen für die Hand des Lehrers, die ihm als Gedächtnisstütze für den Unterricht dienen“ (Glück 2002: 418). Zu den ersten und bekanntesten zählen das von Georg von Nürnberg 1424 verfasste liber in volgaro, das von Adam von Rottweil 1477 herausgegebene Introito e porta und das zu Beginn des 16. Jahrhunderts veröffentlichte Lehrwerk Colloquia et dictionarium. Introito e porta und Colloquia et dictionarium bilden die Grundlage der beiden „großen Buchfamilien“ (Hüllen 2005: 50ff.), die vornehmlich im nachfolgenden Jahrhundert große Bedeutung erlangen. Zudem legen beide Gesprächsbücher durch ihre Konzeption nahe, dass sie eher für das selbstgesteuerte Lernen denn als unterrichtsbegleitendes Lehrmaterial gedacht sind: „Textbooks for learning vernaculars either in school or, more likely, by selfstudy started appearing towards the end of the 15th century.” (Hüllen 2002: 215). Die z.T. voneinander abweichenden Präsentationsmethoden der Lehrwerke dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein ganz ähnlicher Nutzen angestrebt wird. So dienen etwa die Gespräche in Colloquia et dictionarium ebenso wie das sachlichbegrifflich geordnete Glossar in Introito e porta der Vermittlung von Wortschatz und der Angabe von Anwendungsbeispielen (vgl. Hüllen 2005: 56). Letzteres verdeutlicht, wie sehr sich Gesprächsbücher und Glossare aufeinander beziehen. Zur Konzeption der spätmittelalterlichen Gesprächsbücher ist festzuhalten, dass alphabetisch bzw. sachlich-begrifflich geordnete Wortsammlungen neben grammatischen und sprachpraktischen Anteilen eine essentielle Grundlage für die Vermittlung von Fremdsprachen bilden. Bedeutsam ist zudem, dass entweder durch die Struktur der Glossare oder den Aufbau der Gespräche den Lernenden semantische Strukturen vermittelt werden sollen: Wichtiger als die durch simulierte Situationen in Gasthäusern oder auf Märkten vermittelte Sprechpraxis ist aber die Tatsache, dass durch die Gespräche das fremdsprachliche Vokabular eines Lehrbuchs nach semantischen Affinitäten geordnet und so in eine sachlich einsichtige Ordnung gebracht werden konnte. […] Es handelt sich bei den Gesprächsbüchern somit um einen didaktisierten und häufig auch sicher trivialisierten Reflex auf lexikographische Prinzipien, die tatsächlich einer Vorform der (heutigen) strukturellen Semantik entsprechen. Offenbar hielt man die semantische Affinität der Wörter für lernfördernd. Im Fremdsprachenunterricht wurde dadurch neben dem grammatisch Richtigen auch das semantisch Sinnvolle gelehrt. Sowohl die Wörter als auch die Sachen (res et verba) waren Gegenstand des Unterrichts in fremden Sprachen. (Hüllen 2005: 49f.)
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In der frühen Neuzeit nehmen Kombinationen aus Gesprächsbüchern, Wortschatzsammlungen und Grammatiken bereits Strukturen und Merkmale heutiger Lehrwerkformen vorweg, wobei hier gerade die sich im 15. Jahrhundert entwickelnden Wörterbücher einen hohen Anteil für das erfolgreiche Lernen von Sprachen haben. Je umfangreicher und systematischer die Wortlisten wurden, je deutlicher zeigen sie einen enzyklopädischen Charakter, der verrät, dass die Arbeit an den fremdsprachlichen Quellen vorwiegend einer Wissensvermittlung und Integration vorhandener Erkenntnisse in die eigene Sprache diente. (Hüllen 2005: 36)
Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit haben sind auch (alphabetisch geordnete) Wörterbücher zu festen Bestandteilen der mehrteiligen Lehrwerke entwickelt. Mehr noch als im humanistischen Lateinunterricht werden Wörterbücher jedoch nicht als Nachschlagewerke oder zur Wortschatzkodifikation konzipiert, „sondern in erster Linie [als] Lern- und Arbeitsbücher für den fremdsprachlichen Unterricht.“ (Bierbach 2002: 141, ähnlich Schröder 2004: 11). Während sachlich-begriffliche Wörterbücher – wie im Lateinunterricht – eine systematische Lerngrundlage für den fremdsprachlichen Wortschatz bieten9, haben alphabetisch geordnete Wörterbücher nun zwei Funktionen: Sie werden einerseits im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht zum Wortschatzerwerb eingesetzt, wobei die Anordnung in zwei Kolumnen der wechselseitigen Abfrage dient10, und sie sind andererseits ein flexibles Hilfsmittel, das auch außerhalb des Unterrichts eingesetzt werden kann (vgl. Bierbach 2002: 156). Bereits bei den spätmittelalterlichen zweisprachigen Glossare hat sich zudem gezeigt, dass diese nicht mehr nur von Lernenden, sondern auch von Lehrenden und Studierenden verwendet werden. Generell kann festgehalten werden: „Die Wörterbücher jener Zeit spielten generell eine zentrale Rolle in der Wissensvermittlung.“ (Haß-Zumkehr 2001: 47). Ausgehend von den Unterschieden zwischen den Benutzergruppen legt Peter von Polenz bei seiner Darstellung (spät-)mittelalterlicher Glossare einen Schwerpunkt auf die Nennung dieser verschiedenen
|| 9 Vgl. hierzu die Ausführungen Schröders über die Nutzung der Wörterbücher im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs: „Da ihr Aufbau nicht selten dem begrifflichen Konzept folgt, dem onomasiologischen Prinzip also näher steht als dem semasiologischen, bieten sich diese Wörterbücher auch mehr dazu an als die modernen, im Regelfall alphabetisch angeordneten Werke: Sie werden von der ersten bis zur letzten Seite auswendig gelernt, und die Lexikographen wissen dies.“ (Schröder 2004: 9). 10 Bierbach beschreibt die Nutzung zweisprachiger Werke im Rahmen des Wortschatzerwerbs: „[D]ie zweisprachig in exakt parallelen Äquivalenzkolumnen angeordneten Wörterbücher [spielen] in der Praxis aber die Rolle von Vorlagen zum Auswendiglernen und der anschließenden Übung durch Hin- und Herübersetzen durch wechselweises Abdecken je eines Teils, ganz wie es bei den ebenfalls in exakter zweikolumniger Äquivalenz von den Dialogen und Musterbriefen her schon bekannt war.“ (Bierbach 2002: 155).
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Gruppen: Er unterscheidet zwischen Nachschlagewerken mit theologischem Schwerpunkt für fortgeschrittene Studierende und Wörterbüchern für „pauperes scolares“ („arme Schüler“, gemeint sind lateinlernende Laien), die weniger akademisch ausgerichtet sind, dafür aber elementare Lese- und Sachhilfen enthalten (vgl. von Polenz 1990: 205f.). Zu letzteren zählt er – aufgrund von Wortschatzauswahl und Angaben – auch das einflussreiche Vocabularius ex quo (s. unten). Die Typologisierung der mittelalterlichen Glossare nach Benutzungszweck und nach Benutzergruppe machen deutlich, dass bereits eine Differenzierung der Glossare vorgenommen werden kann. Obwohl die lateinische Sprache bei der Erstellung von Glossaren zum Ende des Mittelalters immer noch eine dominante Rolle spielt, zeichnen sich die Werke aus dem 14. Jahrhundert durch eine zunehmende Loslösung von konkreten Texten sowie Systematizität in der Darstellung aus, was auch Einfluss auf die Erstellung zweisprachiger Wörterbücher hat (vgl. Haß-Zumkehr 2001: 46). Ein weiterer wichtiger Schritt in der Geschichte der deutschsprachigen Lexikographie wie auch der Fremdsprachendidaktik ist zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Entstehung des ersten Wörterbuchs, das nicht nur elementaren Wortschatz der lateinischen Sprache verzeichnet, sondern sich auch in seinen Angabeklassen (lateinisches Synonym, lateinische Sacherläuterung, deutsches Äquivalent, deutsche Sacherläuterung und grammatische wie pragmatische Angaben; vgl. Haß-Zumkehr 2001: 47) deutlich an den Bedürfnissen der Lateinschüler orientiert: das Vocabularius ex quo. Nachdem sich zweisprachige Wörterbücher zunächst für das Lateinische und im Lateinunterricht etablieren konnten, werden diese in der frühen Neuzeit auch für europäische Sprachen erstellt, wobei sie – auch aufgrund der zunehmenden Alphabetisierung – nun eigenständig von den Lernenden für Wortschatzerwerb genutzt werden können. Seit es eine offizielle Vielsprachigkeit in Europa gibt, seit den Zeiten der Renaissance also, ist das Wörterbuch ein quasi-serielles Basismedium und damit auch ein Phänomen, das eine kulturgeschichtliche Betrachtungsweise nahe legt. (Schröder 2004: 11)
Mit Blick auf die Entwicklung der (deutschsprachigen) Lexikographie wird deutlich, dass sich Glossare und Wörterbücher aus sehr praktischen Bedürfnissen der Lernenden entwickelt haben (etwa aufgrund von fehlenden Lateinkenntnissen wie beim Abrogans), wobei deren didaktischer Nutzen schnell für die gesteuerte Vermittlung von Sprache erkannt wird: Als Hilfsmittel werden sie – speziell in onomasiologischer Anordnung – in die Fremdsprachenvermittlung eingebunden. Hans Wellmann fasst die Entwicklung der europäischen Lexikographie bis zur Entstehung der ersten Wörterbücher wie folgt zusammen: Die ersten Wörterbücher sind beim Übersetzen entstanden und deshalb zweisprachig. Von den Glossensammlungen und weiteren Textglossaren führt der Weg zum ‚Glossar‘ und weiter zur
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Kodifikation solcher Wortsammlungen zuerst in ‚Vokabularien‘ und dann auch in einem ‚Thesaurus‘ der deutschen Sprache, im ‚Sprach- oder Wortschatz‘, im ein- oder mehrsprachigen ‚Lexikon‘ bzw. Wörterbuch. (Wellmann 2011: 93)
Im Humanismus trägt das rhetorische Ideal erneut zur Beliebtheit von Synonymenwörterbüchern bei, welche über die Vermittlung von Einzelwortwissen hinaus zu authentischem Sprachwissen anleiten sollen. Abgesehen von der Einbindung von Synonymiken in den Lateinunterricht mit rhetorisch-stilistischer Zielsetzung darf jedoch nicht übersehen werden, dass diese auch weiterhin eine wichtige didaktische Funktion beim Spracherwerb haben: Im humanistischen Bildungsprogramm besaßen nach Sachgruppen geordnete Wörterbücher überdies eine zentrale Funktion; die sachliche Anordnung ermöglichte Schülern ohne Lateinvorkenntnisse die Benutzung und vermittelte ansonsten zusätzliches Wissen und erleichtere das Auswendiglernen. (Haß-Zumkehr 2001: 274)
Die lexikographische Erfassung der Volkssprachen profitiert schließlich von der erneuten Aufwertung der lateinischen Sprache: Die systematische Darstellung des lateinischen Wortschatzes in den beliebten „nomenclatores“ bietet eine gute Grundlage für die Erstellung volkssprachlicher Werke. Für deren Nutzung muss festgehalten werden: Die Sachglossare, Onomastiken und Nomenklatoren der humanistischen Epoche deckten in ihren Funktionen das gleiche breite Spektrum vom Sprachunterricht für unterschiedlichste Adressatengruppen über Hilfestellungen beim Verfassen von Reden und anderen Texten bis zur Dokumentation enzyklopädischen Wissens ab wie das Gros der alphabetischen Vokabulare und Dictionarien. (Haß-Zumkehr 2001: 62)
Am Ende des Humanismus muss für die didaktische Ausrichtung lexikographischer Werke festgehalten werden: Wörterbücher haben sich „als Bildungsinstrument fest im Unterricht unterschiedlicher Schülergruppen etabliert“ (Haß-Zumkehr 2001: 64). Hier ist festzuhalten, dass sich a) die Benutzergruppen je nach Ausbildungsgrad und Interesse ausdifferenzieren, und daher auch b) die Wörterbuchlandschaft im deutschsprachigen Raum vielfältiger wird. Es entstehen viele bis heute tradierte Wörterbuchtypen wie Fachwörterbücher, Fremdwörterbücher und Fremdsprachenoder Übersetzungswörterbücher (vgl. Haß-Zumkehr 2001: 64f.). Seitdem durch die Einführung der Schulpflicht gegen Ende des 18. Jahrhunderts und der daraus resultierenden Massenalphabetisierung sowie der Etablierung des fremdsprachlichen Unterrichts an Schulen die notwendigen Voraussetzungen für eigenständigen wie institutionalisierten Erwerb erfüllt sind, ist der Status von Wörterbüchern stark abhängig von der Konzeption und Methodik des Fremdsprachenunterrichts: Hier schwankt die Verwendung zwischen der mehr oder weniger festen Etablierung als Hilfsmittel bis zum Benutzungsverbot (vgl. Kapitel 4.1.).
Die ‚ars memorativa‘ als Technik zum Memorieren von Lexik | 33
Aus seinen Untersuchungen zur Geschichte der onomasiologischen Lexikographie zieht Werner Hüllen hinsichtlich der Einbindung von sachlich-begrifflich geordneten Nachschlagewerken in den Fremdsprachenunterricht folgenden Schluss: „For me, a certain domain of historical lexicography [Er bezieht sich damit auf die onomasiologische Anordnung; MR] had become undistinguishable from a certain domain of historical language didactics.“ (Hüllen 2002: 212).
3.2 Die ‚ars memorativa‘ als Technik zum Memorieren von Lexik Als eine Methode, sich Wissen auch in einer vorwiegend mündlichen Kultur dauerhaft anzueignen, führt Werner Hüllen die ‚ars memorativa‘ an: „[B]efore (and even a considerable time after) printing was invented, that is, during the centuries when the ars memorativa ruled intellectual life, it was common to memorize lists of words in a strict order which would today be laid down in a dictionary.” (Hüllen 1999: 4). Bereits seit der Antike steht diese Technik den Lernenden zur Verfügung, um das Auswendiglernen von lateinischen (Unterrichts-)Texten und lateinischen Wortsammlungen zu erleichtern. Mithilfe dieser Mnemotechnik sollen auf Basis von einprägsamen räumlichen Vorstellungen Texte wie auch Wortsammlungen so gelernt werden, dass die Schüler Textpassagen oder erstsprachliche Äquivalente zu fremdsprachlichen Wörtern jederzeit abrufen können. Eine Beschreibung der grundlegenden Technik der ‚ars memorativa‘ ist bei Hüllen zu finden: The nucleus of ars memorativa is: If you wish to store knowledge of any sort in your mind, organize it in a spatial arrangement. Select places for this arrangement from your experience […] Make each place, each topos, a stimulus for possible retrieval by combining it with an image which somehow points to the item of knowledge. (Hüllen 1999: 50)
Da die ‚ars memorativa‘ hauptsächlich auf assoziativen Vorstellungen basiert, liegt es nahe, dass als Lerngrundlage nicht alphabetische sondern begrifflich-sachliche Wortsammlungen bevorzugt werden (vgl. auch Hüllen 1999: 49ff.). Da angesichts eines Mangels an erschwinglichen Schreibmaterialien Mnemotechniken im Unterricht unverzichtbar sind, wird die ‚ars memorativa‘ von der Antike bis zum Mittelalter gelehrt: Possibly, teachers dictated grammatical rules or topical word-lists and learners noted them down on little tablets of wax or slate. But these texts were written down solely for memorization and were then erased. […] [L]earning a language meant learning lists of words, of probably considerable length, by heart. (Hüllen 1999: 51f.)
34 | Wortschatzerwerb und Wörterbücher: Historische Entwicklung
Auch in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesprächsbüchern wird versucht, die zwei- bzw. mehrsprachigen Wortlisten durch Dialoge zu kontextualisieren und das Lernen somit zu erleichtern: Sie hängten an die sachlich geordneten Wortlisten, die in vielen späteren Glossaren wieder auftauchen, Unterrichtsgespräche zwischen Lehrer und Schülern an, in denen Fragen […] zu Antworten führen, welche die Wortlisten in ihrer Ordnung replizieren. Diese Gesprächsbücher stellen gleichsam kontextualisierte Vokabularien dar und kommen darin gelegentlich jüngeren (gar heutigen) Lehrbüchern eigenartig nahe. (Hüllen 2005: 37)
Trotz ihres Erfolgs in der Antike und im Mittelalter verliert die ‚ars memorativa‘ an Bedeutung, als sich Schreibfähigkeiten immer weiter verbreiten und Schreibmaterialien für Lernende erschwinglich werden. Parallel setzt sich bei Wortsammlungen und Wörterbüchern immer mehr die alphabetische Anordnung durch, was aufgrund der anwachsenden Größe der Nachschlagewerke auch zur Notwendigkeit geworden ist. Gleichzeitig wird damit aber auch dem Wortschatzlernen durch die ‚ars memorativa‘ die Lerngrundlage entzogen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Bedeutung und der Erfolg der ‚ars memorativa‘ in Antike und Mittelalter folgenden Schluss zulässt: Wissen, welches nach begrifflich-sachlichen Kriterien geordnet ist, lässt sich schneller und nachhaltiger lernen als nach formalen Kriterien geordnetes Wissen. Zudem scheint sowohl Lernvorlage wie auch Lerntechnik den Bedürfnissen der Lernenden entgegenzukommen. Die erneute Entdeckung der Lerntechnik erstaunt also nicht in einer Zeit, in der lernpsychologische Aspekte wieder an Bedeutung gewinnen.
4 Wortschatzvermittlung und Wörterbuchdidaktik im DaF-Unterricht The difference between the almost right word & the right word is really a large matter – it’s the difference between the lightning bug and the lightning. (Twain 1888, vgl. twainquotes.com)
Die methodische Vielfalt bei der Vermittlung fremder Sprachen ist seit dem zweiten Weltkrieg deutlich gewachsen (vgl. dazu Bausch et al. 2003: 1, Christ/de Cillia 2003: 620, Blei/Götze 2001: 90ff.). Dies ist zum einen auf eine gestiegene Nachfrage nach Sprachkursen1 und einer daraus resultierenden Konkurrenz zwischen den Anbietern (und den Lehrbuchverlagen) zurückzuführen, zum anderen hat aber auch die zunehmende wissenschaftliche Beschäftigung mit fremdsprachendidaktischen Fragestellungen zur Methodenvielfalt beigetragen. Im Zuge dieser Entwicklung konnten sich in den letzten 50 Jahren die Fächer Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung2 als eigenständige Fachbereiche an zahlreichen Universitäten etablieren. Auch Deutsch als Fremdsprache (mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ)) besteht seit 19783 – mit der Gründung des ersten DaF-Instituts in München, dem zahlreiche weitere Neugründungen folgten – als eigenständiges Fach neben der Germanistik4 (vgl. Neuner 2001: 31). Die Entwicklungsgeschwindigkeit von DaF und DaZ lässt sich auch daran ablesen, dass innerhalb von 9 Jahren gleich zweimal umfangreiche Sammelbände der Reihe Handbü-
|| 1 Als Grund für das wachsende Interesse an Fremdsprachen im Deutschland der Nachkriegszeit führt Hüllen zum einen den direkten Kontakt zu den Besatzungsmächten an, zum anderen den Umstand, dass die Kommunikation in einer Fremdsprache immer mehr zu einer Alltagserfahrung wird – etwa durch Reisen oder wirtschaftliche Beziehungen mit ausländischen Unternehmen: „Im gesamten 19. und 20. Jahrhundert waren Fremdsprachenkenntnisse ja von den meisten Menschen lediglich zum Erwerb von Lesefertigkeit oder zu faschionabler Salonunterhaltung im eigenen Land erworben und gebraucht worden. Eben dies änderte sich nunmehr schnell und grundlegend. Auch in der Welt der Medien und der Unterhaltung gewannen Fremdsprachen (vorzüglich das Englische) jetzt eine neue gesellschaftliche Präsens [sic!].“ (Hüllen 2005: 140f.). 2 Während durch den Begriff ‚Fremdsprachendidaktik‘ der Bezug zum neusprachlichen Unterricht in Aus- und Weiterbildung betont werden soll, versteht sich die ‚Sprachlehrforschung‘ als ein von den Einzelsprachen unabhängiges, übergeordnetes Fach, welches Erkenntnisse aus den Bezugsund Nachbarwissenschaften zusammenführen will (vgl. Bausch et al. 2003: 1ff.): „Die Tatsache, dass sich im deutschsprachigen Raum zwei Disziplinen mit demselben Wirklichkeitsbereich befassen, ist historisch begründet und manifestiert sich auf Ebene der Hochschulen durch Professuren einerseits für Fremdsprachendidaktik und andererseits für Sprachlehrforschung.“ (Bausch et al. 2003: 1). 3 In diesem Jahr wurde an der Ludwig-Maximilians-Universität in München das erste Institut für Deutsch als Fremdsprache gegründet, dessen Leitung Harald Weinrich bis 1992 innehatte. 4 Im Gegensatz zur inländischen Entwicklung hat sich im Ausland die Trennung der Fächer Germanistik und DaF an vielen Universitäten nicht durchgesetzt (vgl. Neuner 2001: 32).
36 | Wortschatzvermittlung und Wörterbuchdidaktik im DaF-Unterricht
cher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (HSK) zu diesen Themen publiziert worden sind (2001 und 2010), was im neueren Band von den Herausgebern wie folgt begründet wird: In der Zwischenzeit hat das Fachgebiet Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sich dynamisch weiterentwickelt und seine Konturen teils geschärft, teils aber auch grundlegend geändert. (Fandrych et al. 2010: 1)
Infolge des sich wandelnden Blicks auf Unterrichtsmethoden und Vermittlungstechniken sind auch Lehrwerke und Hilfsmittel immer wieder entsprechend der jeweils aktuellen didaktischen Methode neu konzipiert worden. In ihrer historisch ausgerichteten Darstellung der Entwicklung des Fachs DaF heben auch Dagmar Blei und Lutz Götze das Tempo der Lehrwerk-Entwicklung in den letzten 60 Jahren hervor – und damit zugleich den raschen Wandel der methodischen Ansätze in diesem Zeitraum (vgl. Blei/Götze 2001: 84). Allerding wurden erst in den 1990er Jahren in DaF-Lehrwerken (wie Stufen, Wege und speziell Memo) auch Erkenntnisse der Lernpsychologie berücksichtigt und entsprechende Übungen und Aufgaben eingebunden. Dass letztere Entwicklung auch weiterhin anhält, können Rainer Bohn und Ina Schreiter im Jahr 2000 durch die Analyse zahlreicher DaF-Lehrwerke bestätigen: „Jedes Lehrwerk spiegelt eine bestimmte lernpsychologische Ausrichtung wider. Die diesbezüglich neuen Ansätze werden von allen neueren Lehrwerken berücksichtigt.“ (Bohn/Schreiter 2000: 94). Der Einfluss von Lehrmaterialien auf den Erwerb fremdsprachlicher Kompetenzen ist sowohl im institutionalisierten Unterricht als auch beim selbstgesteuerten Erwerb groß; ebenso hängt die Wortschatzvermittlung5 bzw. der Wortschatzerwerb
|| 5 Zu Recht weist Dieter Wolff darauf hin, dass der Begriff ‚Wortschatzvermittlung‘ die Rolle des Lehrenden zu stark hervorhebe (vgl. Wolff 2000: 109). Vor dem Hintergrund aktueller Vermittlungspraktiken kritisiert er zudem die Lehrerzentriertheit in den verschiedenen Phasen der Wortschatzarbeit: „Der Lehrer entscheidet darüber, wann Wortschatzarbeit angesagt ist, er präsentiert den neuen Wortschatz auf der Grundlage sehr genau gefasster Präsentationsmethoden (Darbietungsphase), er initiiert das Einüben des Wortschatzes wiederum über eine Vielzahl genau festgelegter Übungsformate (Übungsphase), er fördert, über ein geschlossenes Inventar von Aktivitäten, die Integration des in den ersten beiden Phasen neu erworbenen Wortschatzes in den bereits vorhandenen Wortschatz des Lerners (Integrierungsphase). Schließlich übernimmt er auch die Leistungsfeststellung, d.h. er überprüft anhand von bestimmten Aufgabentypen, ob der Schüler Darbietungs-, Übungs- und Integrierungsphase erfolgreich durchlaufen hat.“ (Wolff 2000: 109). Obwohl der Einwand von Wolff unbestritten richtig ist, wird im Rahmen dieser Arbeit der Begriff ‚Wortschatzvermittlung‘ sowohl für fremdinitiiertes Lernen von Wortschatz als auch für selbstinitiierten Erwerb von Wortschatz verwendet. Parallel soll jedoch auch der bedeutungsgleiche Begriff ‚Wortschatzarbeit‘ verwendet werden, den de Florio-Hansen wie folgt definiert: „Im Folgenden wird [unter dem Begriff ‚Wortschatzarbeit‘, MR] jeglicher Umgang mit lexikalischen Einheiten der Zielsprache innerhalb und außerhalb des Unterrichts verstanden, welcher der Verbesserung der fremdsprachlichen Kompetenz dienen kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um fremd- bzw.
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in hohem Maß von der didaktischen Ausrichtung der Lehrwerke, von den vorgestellten Vermittlungs- bzw. Lerntechniken (vgl. Scherfer 2003: 281, Bohn/Schreiter 1998: 178), aber auch von individuellen Kompetenzen von Lehrenden und Lernenden ab. Bei einer Darstellungen zur Wortschatzvermittlung sowie zur Wörterbuchbenutzung und -didaktik im DaF-Unterricht müssen daher folgende Fragen berücksichtigt werden: – Welchen Status hat Wortschatzdidaktik im Fremdsprachenerwerb? – Welche Anregungen werden im Unterricht bzw. in den Lehrwerken für Wortschatzarbeit gegeben? – Was sind die Strategien, die von den Lernenden angewandt werden? – Und schließlich: Welche Rolle spielen Wörterbücher in diesem Zusammenhang? Im Folgenden soll in einem ersten Schritt dargestellt werden, welche Rolle die Wortschatzvermittlung in den theoretischen Diskussionen der DaF-Forschung (Kapitel 4.1.) sowie die Einführung und das Einüben von Lerntechniken im DaF-Unterricht (Kapitel 4.2.) spielen, da die Nutzung von Wörterbüchern zwingend von dem Umfang anhängig ist, welche der Wortschatzvermittlung im Spracherwerb zukommt. In einem weiteren Schritt (Kapitel 4.3.) soll die Verwendung einsprachiger Wörterbücher im DaF-Unterricht dargestellt werden, wobei auch wörterbuchdidaktische Ansätze bei dieser Darstellung berücksichtigt werden sollen. Allerdings soll die tatsächliche Nutzung deutschsprachiger Lernerwörterbücher mit Verweis auf Kapitel 7.2. aus dieser Betrachtung ausgenommen werden.
4.1 Wortschatzvermittlung in der Theorie [L]inguists and language practitioners must beware of reinventing the wheel. Much of what is said nowadays on the teaching and learning of vocabulary has been around for a very long time; the history and development of vocabulary teaching is, therefore, not so much one of old insights leading to new; it is more a series of dominating ideologies or fashions that have succeeded one another and which sometimes come full circle. (Carter/McCarthy 1988: 39)
Mit dem Beginn der Verstaatlichung des Schulwesens gegen Ende des 18. Jahrhunderts wird die Frage der Sprachenwahl in der schulischen Ausbildung durch staatliche Vorgaben geregelt – mit der Konsequenz, dass durch diese Entwicklung die Richtlinien für die Unterrichtspraxis zwar einheitlich gestaltet werden, dadurch aber auch für persönliche Vorlieben oder vom Lehrplan abweichende Methodiken und Themen nur wenig Spielraum bleibt. Verschiedene Schulformen und Zielset-
|| selbstbestimmtes Wortschatzlernen oder inzidentelles Lernen, z.B. bei Sprachbegegnungen mit native speakers handelt.“ (De Florio-Hansen 2006: 181).
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zungen des Unterrichts haben weiterhin zur Konsequenz, dass seitdem eine Vielzahl an Lehrmethoden und entsprechenden Lehrwerken entwickelt werden. Dabei dominiert bis 1880 die ‚Grammatik-Übersetzungsmethode‘, bei der die fremdsprachliche Ausbildung auf dem Erwerb grammatischer Regeln basiert, die exemplifiziert, auswendig gelernt und anschließend eingeübt werden (vgl. Hüllen 2005: 92). Auf diese Methode aufbauend entstehen zahlreiche Lehrwerke, die aus einer Kombination aus bereits bekannten Formen von Lehrwerken (vgl. Kapitel 3.1) bestehen: Einer modernisierten Form des Gesprächsbuchs, einer Grammatik und einem Vokabelverzeichnis (vgl. Hüllen 2005: 93). Trotz der deutlichen Fokussierung auf fremdsprachliche Grammatik und Übersetzungen in die Erstsprache ist es jedoch unangebracht, sämtliche didaktischen Bemühungen in diesem Zeitraum pauschal mit diesem Etikett zu versehen: Der Ausdruck ‚Grammatik-Übersetzungsmethode‘ ist aber insofern eine unrichtige Bezeichnung, als er eine methodische Einheitlichkeit über 180 Jahre hinweg vortäuscht, die es weder als theoretisches Angebot je gab noch in der Praxis hätte durchgeführt werden können (Hüllen 2005: 92).
In den 1880er Jahren regt sich schließlich scharfe Kritik an diesen Methode der schulischen Fremdsprachenvermittlung. Auslöser für die Diskussion über die geeignete Methode des fremdsprachlichen Unterrichts ist die von Wilhelm Vietor verfasste Schrift Der Sprachunterricht muß umkehren! aus dem Jahr 1882. Vietor kritisiert – zunächst anonym – den bestehenden Fremdsprachenunterricht, der nur Sprachwissen vermittelt, und plädiert für eine Neuausrichtung, die eher das Sprachkönnen in den Mittelpunkt stellen soll. Er und weitere Reformer setzen sich für die Abkehr von bisherigen Unterrichtsformen und damit für einen Unterricht ein, der die praktische Beherrschung der Fremdsprachen zum Ziel hat (vgl. Hüllen 2005: 106). Hintergrund für die Reformbestrebungen ist zum einen, dass durch die Etablierung der Neuphilologien an Universitäten Fremdsprachenkenntnisse im Vergleich zu anderen Unterrichtsfächern nicht mehr als minderwertig erachtet werden, sondern als Möglichkeit, durch den Kontakt mit anderen Kulturen neue Erfahrungen zu machen (vgl. Hüllen 2005: 105). Allerdings dürfen auch Motive aus der Wirtschaft bei der Betrachtung der Reform nicht vernachlässigt werden: Der gesellschaftliche Hintergrund der Reformbestrebungen ist die mit der Reichsgründung zunehmende wirtschaftliche Entwicklung, die die Kenntnis der Sprachen der Handelsrivalen als unabdingbar erscheinen lässt. (Lehberger 2003: 612)
Obwohl die Reformbestrebungen zu diesem Zeitpunkt in der Praxis kaum Beachtung finden, hat mit diesen Anregungen die Diskussion um die adäquate Vermittlung von Sprachen erst begonnen, welche durch die Gründung der Sprachlehrfor-
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schung bzw. der Zweitspracherwerbsforschung in den 1970er Jahren (vgl. Hernig 2005: 44ff.) weiter vertieft wird. Für den (anglo-)amerikanischen Raum6 hat Norbert Schmitt aus historischer Perspektive aufgearbeitet, welche Bedeutung der Wortschatzvermittlung in den verschiedenen methodologischen Ansätzen des 19. und 20. Jahrhunderts beigemessen wurde (vgl. Schmitt 2008a: 10f): Während bei der Grammatik-Übersetzungsmethode der Schwerpunkt der didaktischen Vermittlung auf der fremdsprachlichen Grammatik lag7 und von Lernenden erwartet wurde, dass sie sich Wortschatz durch Übersetzungsübungen (vgl. Bohn/Schreiter 1998: 178) oder außerhalb des Unterrichts aneigneten, wurde im Rahmen der Direkten Methode (auch „Berlitz-Methode“ genannt, vgl. Kniffka/Siebert-Ott 2009: 79) vorausgesetzt, dass eine (z.T. sehr knappe) semantische Erklärung der fremdsprachlichen Lexeme (mittels Bildern oder gestischer Demonstrationen8) und deren Verwendung im Rahmen des Unterrichts für den Erwerb lexikalischer Informationen ausreichend sei (vgl. Schmitt 2008a: 12). Im Rückblick kommt Schmitt zu dem Urteil9: This survey has shown that language teaching methodology has swung like a pendulum between language instruction as language analysis and as language use. Likewise, vocabulary has had differing fortunes in the various approaches. (Schmitt 2008a: 15)
Trotz der großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Methoden liegt nach Schmitt jedoch eine Gemeinsamkeit darin, dass bei allen Methoden die Wortschatzvermittlung nicht systematisch eingebunden werde: „Systematic work on vocabulary did not begin in earnest until the twentieth century.“ (Schmitt 2008a: 15, vgl. auch Köster 2010: 1022). Ein Umdenken in Sachen Wortschatz wird erstmals durch die ‚Vocabulary Control Movement‘ (vgl. dazu Kapitel 6.4.1.) in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts
|| 6 Auf die Unterschiede zwischen Großbritannien und den USA in Bezug auf Wortschatzdidaktik weist Claus Gnutzmann hin: „Allerdings ist für die Entwicklung in Großbritannien zu konstatieren, daß dort die linguistische Erforschung des Wortschatzes nie in eine solche Randlage gedrängt worden ist wie in den USA.“ (Gnutzmann 1995: 77). 7 Mit Verweis auf die Untersuchungen von Zimmermann (vgl. auch Fußnote 21) führt Schmitt an, in welchem Umfang die Wortschatzarbeit bei der Grammatik-Übersetzungsmethode vernachlässigt wurde: „In fact, the main criterion for vocabulary selection was often its ability to illustrate a grammar rule.“ (Schmitt 2008a: 12). 8 Vgl. hierzu auch die von Bohn und Schreiter angeführten Semantisierungsverfahren, welche bei der Direkten Methode genutzt werden: „Zeigen – Benennen, Definieren, Erklären aus dem Zusammenhang sind Hauptverfahren der Semantisierung.“ (Bohn/Schreiter 1998: 179). 9 Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Anita J. Sökmen, wenngleich sie den Fokus eher auf die Vermittlungsstrategien legt: „The pendulum has swung from direct teaching of vocabulary (the grammar translation method) to incidental (the communicative approach) and now, laudably, back to the middle: implicit and explicit learning.” (Sökmen 1997: 239).
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spürbar. Doch obwohl sich seitdem der Gedanke durchgesetzt hat, dass der Lernwortschatz zugunsten der Lernenden zunächst auf die wichtigsten Lexeme reduziert werden müsse10, können die daraus resultierenden Konsequenzen für Wortschatzvermittlung und Lehrmaterialien erst systematisch mithilfe der computertechnischen Innovationen der 1970er und 1980er Jahre sowie der Erstellung korpusbasierter Grundwortschatzlisten umgesetzt werden. Auch an die korpusbasierte Lernerlexikographie wird seither der Anspruch gestellt, dass der Definitionswortschatz eingegrenzt werden müsse, um Lernenden die Benutzung von Wörterbüchern zu erleichtern (vgl. Kapitel 6.4.1.). Die Beschränkung des Lern- und des Definitionswortschatzes in Lernerwörterbüchern wird jedoch nicht von allen Fremdsprachelehrenden begrüßt. Die Verständlichkeit der Artikel sei künstlich und bereite die Lernenden nicht auf die Rezeption authentischer Texte vor: „The more restricted the defining vocabulary is, the more remote it seems to the language of the text the student is working on. […] Learning a language is a time-consuming business – so why should dictionaries offer fast food?” (Dammann 1999: 200). Während in Großbritannien die Lernerlexikographie durch diese Entwicklungen einen starken Aufschwung erlebt (etwa die Erstellung korpusbasierter Lernerwörterbücher wie das Cobuild English Language Dictionary, vgl. auch Kapitel 6.4.1.), muss für die Fremdsprachendidaktik in Deutschland in den 1980er Jahren festgehalten werden, dass die Fokussierung auf die Grammatik-Vermittlung nur zögerlich aufgegeben wird. Die langsame (Wieder-)Entdeckung des Wortschatzes im DaFUnterricht wird daher von Ekkehard Zöfgen provokativ kommentiert: Während die fremdsprachendidaktische und (angewandt-)linguistische Diskussion bis weit in die 70er Jahre von der Rezeption syntaktischer Modelle unterschiedlicher Provenienzen beherrscht wurde, vollzieht sich seit geraumer Zeit ein tiefgreifender Wandel jener von Enttäuschung und Resignation geprägten Situation, wie wir sie gegen Ende der 60er Jahre vorfinden. Maßgeblichen Anteil an der Herausbildung einer weniger syntaxlastigen Sprachdidaktik hatte dabei zweifellos die seit einigen Jahren zu beobachtende Wiederentdeckung des Wortschatzes. (Zöfgen 1985a: 5)
Obwohl in den 1990er Jahren Wortschatzvermittlung einen wichtigen Themenschwerpunkt in der DaF-Forschung bildet – erkennbar an dem Anstieg von Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Publikationen –, wird immer wieder diskutiert, ob die von Zöfgen und Hausmann in den 1980er Jahren beschworene || 10 Trotz der einheitlichen Zielsetzung der ‚Vocabulary Control Movement‘ und deren Nachfolger – der Auswahl der wichtigsten Lexeme – bleiben die Kriterien für die Auswahl stark umstritten: Während Ogden und Richards den Lernwortschatz auf ein absolutes Minimum von 850 Wörtern reduzieren wollen (sog. „Basic English“-Ansatz), sprechen sich verschiedene Didaktiker dafür aus, den Lernwortschatz anhand von verschiedenen Kriterien (u.a. Frequenz) so zusammenzusetzen, dass er die nützlichsten Lexeme beinhaltet (vgl. Schmitt 2008a: 15ff.).
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„Wortschatzwende11“ bzw. die „Vokabularisierung“ (Zöfgen 1985a: 5) des Unterrichts tatsächlich die fremdsprachendidaktische Praxis erreicht habe (vgl. Schneider 1993: 88 und 89, Gnutzmann 1995: 73). Konrad P. Schneider schätzt die Entwicklung noch 1993 eher pessimistisch ein: „Der eigentliche Widerspruch besteht zwischen den linguistischen und fremdsprachendidaktischen Theorien einerseits und der unterrichtlichen Praxis andererseits.“ (Schneider 1993: 89). Aus Sicht der Unterrichtspraxis stellt sich die Lage jedoch sieben Jahre später anders dar – zumindest für den Englischunterricht: Wenngleich Schneider (1993) glaubt, noch keine ‚Wende‘ erkennen zu können und vehement die Vernachlässigung des Wortschatzes, der Entwicklung der lexikalischen Kompetenz und der Wortschatzarbeit beklagt […], scheint sich dieser Trend umzukehren und einer intensiveren Auseinandersetzung mit didaktischen und methodischen Problemen der Lexik bei der schulischen wie außerschulischen Arbeit und demzufolge mit Wörterbüchern Raum zu geben. (Meyer 2000: 147)
Wichtige Impulse für das wachsende Interesse an systematischer Wortschatzvermittlung liefern zahlreiche Bezugs- und Nachbarwissenschaften12, unter denen Schmitt besonders die Gedächtnispsychologie bzw. Psycholinguistik, Forschungen im Bereich von assoziativen Verbindungen und Erkenntnisse zum Erstspracherwerbsprozess hervorhebt (vgl. Schmitt 2008a: 17f., vgl. auch Carter/McCarthy 1988: 39). Während Schmitt in seiner Darstellung Forschungsergebnisse des gesamten 20. Jahrhunderts berücksichtigt, führt Lutz Köster allein die Wissenschaften an, deren Forschungsergebnisse in den letzten 20 Jahren zu einem wachsenden Interesse an Wortschatz- und Wörterbuchdidaktik beigetragen haben: die lexikalische Semantik (und die Korpuslinguistik), die kommunikativ-interkulturelle Didaktik sowie die Ergebnisse der kognitiven Psychologie und Psycholinguistik (vgl. Köster 2010: 1022, vgl. auch Köster 2001: 887, Schneider 1993: 89).
|| 11 Nicht weniger drastisch stellt Zöfgen die aus dieser Haltung resultierenden Konsequenzen für Lernende dar: „Denn der Lerner verfügt nicht über das ‚methodische‘ Rüstzeug, um der Flut von unbekannten Wörtern, die bei der Lektüre authentischer Texte mit aller Unbarmherzigkeit über ihn hereinbricht, mit einer angemessenen Rezeptionshaltung zu begegnen und um aus dem reichen Angebot durch gezielte Selektion Kapital zu schlagen.“ (Zöfgen 1985a: 5f.). 10 Jahre später kritisiert Gnutzmann wiederum die seiner Ansicht nach zu einseitig ausfallende Fürsprache für systematische Wortschatzvermittlung: „Unbedachte Plädoyers zur Absetzung der Grammatik und zur Inthronisation der Lexik können sicherlich einen publizistischen Effekt hervorrufen, zum Fortschritt und zur Versachlichung der fremdsprachendidaktischen Diskussion können sie wahrscheinlich nur wenig beitragen.“ (Gnutzmann 1995: 79). 12 Aufgrund der Bedeutung, welche die Erkenntnisse aus den Nachbarwissenschaften für die neue Sicht auf Wortschatzvermittlung haben, kritisiert De Florio-Hansen den Begriff ‚Wortschatzwende‘: „Was jedoch als ‚Wortschatzwende‘ (Zöfgen 1987: 5) bezeichnet wird, basiert hauptsächlich auf psycholinguistischen Untersuchungen bzw. auf Erkenntnissen und Hypothesen der Kognitionswissenschaft“ (De Florio-Hansen 2006: 181).
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Auch wenn die Abfolge der methodologischen Ansätze der Fremdsprachendidaktik im angloamerikanischen und deutschsprachigen Raum nicht in allen Punkten deckungsgleich ist, ist eine ähnliche Entwicklung wie die von Schmitt skizzierte auch in Deutschland zu beobachten13: Die Direkte Methode löst die GrammatikÜbersetzungsmethode ab, welche wiederum von pragmatisch orientierten Ansätzen14 ersetzt wird (vgl. auch Kniffka/Siebert-Ott 2009: 76ff, Rösler 1994: 98ff.). Während in Amerika und Großbritannien die Wortschatzdidaktik seit den 1980er Jahren jedoch immer mehr an Präsenz gewinnt und zahlreiche Publikationen zu diesem Thema erscheinen – bis hin zur Klage: „Oh no. Not another dozen books on vocabulary.“15 (Bahns 2004: 19316) – , fallen Einschätzungen zu Status und Integration der Wortschatzdidaktik im DaF-Unterricht auch 2010 nach wie vor negativ aus: Systematische Wortschatzvermittlung sei „ein bis heute im Fremdsprachenunterricht stark vernachlässigt[es]“ (Köster 2010: 1025) Gebiet17.
|| 13 So ist mit der „Army Method“ (im Rahmen des „Army Specialized Training Program“, Kniffka/Siebert-Ott 2009: 79f), welche sich aus konkreten Bedürfnissen des US-amerikanischen Militärs während des zweiten Weltkriegs entwickelt hat, nur im amerikanischen Raum unterrichtet worden. Inwieweit das Militär bei dieser Methode nicht nur Auftraggeber, sondern auch Inspiration für Unterrichtsmethoden war, lässt ein Blick auf die Unterrichtspraxis erahnen: „[S]tudents were expected to learn through drills rather than through an analysis of the target language.“ (Schmitt 2008a: 13). 14 Auch durch die kommunikative Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts sehen Huneke und Steinig die systematische Wortschatzvermittlung eher vernachlässigt: „Lehrer, die versuchten, Prinzipien eines lernerorientierten, kommunikativen Fremdsprachenunterrichts in die Praxis umzusetzen, haben manchmal die Wortschatzarbeit weiter gehend vernachlässigt: ‚Vokabeln abzufragen‘ passte nicht mehr in die pädagogische Landschaft, und ‚sich mit einzelnen Wörtern zu beschäftigen‘ ließ sich nicht ohne weiteres mit kommunikativen, an Situationen und Texten orientierten Unterrichtsverfahren vereinbaren. Wörter, so hoffte man, würden schon irgendwie, auch ohne stumpfsinniges Pauken, allein auf Grund der intensivierten kommunikativen Prozesse im Gedächtnis gespeichert.“ (Huneke/Steinig 2010: 169). 15 Seit 2000 sind folgende Monographien in den USA und England erschienen: Assessing Vocabulary (Read 2000), Vocabulary in Language Teaching (Schmitt 2000), Learning Vocabulary in Another Language (Nation 2001), How to Teach Vocabulary (Thornbury 2002), Researching and Analyzing Vocabulary (Nation/Webb 2010), Teaching Vocabulary (Nation 2008). 16 Welche Bedeutung der Wortschatzvermittlung inzwischen im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs zukommt, betont auch Sökmen: „As we enter the 21st century, acquisition of vocabulary has assumed a more important role, and as some would argue, the central role in learning a second language.“ (Sökmen 1997: 237). Nach Knights Einschätzung sehen Fremdsprachendidaktiker im Wortschatzerwerb sogar eine der wichtigsten Aufgabe des Fremdsprachenerwerbs: „Vocabulary acquisition is considered by many to be the single most important aspect of foreign language learning.” (Knight 1994: 285). 17 Unverständlich ist in diesem Zusammenhang die Sichtweise von Dieter Wolff: „In allen bisherigen fremdsprachendidaktischen Theorien hat die Wortschatzvermittlung eine ganz zentrale Rolle gespielt.“ (Wolff 2000: 109).
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Eine ähnliche Sicht vertritt auch Peter Kühn (vgl. Kühn 2010a: 1252), der als Begründung anführt, dass bisherige wortschatzdidaktische Ansätze zu „statisch“ (Kühn 2010a: 1252) seien und neue Anregungen nicht aufgenommen werden. In Anbetracht eines fehlenden wortschatzdidaktischen Konzepts kommt er zu dem abschließenden Urteil: Es fehlt in den Bereichen Deutsch als Fremd- und Zweitsprache eine kohärente, erwerbsorientierte und kompetenzbezogene wortschatzdidaktische Konzeption, die darauf abzielt, die Sprachhandlungskompetenzen der Schüler aufzubauen und zu fördern. (Kühn 2010a: 1252)
Zwar existieren im DaF-Bereich schon längst theoretische Ansätze für eine Wortschatzdidaktik18 – etwa von Dieter Wolff, Frank G. Königs und Irmgard HonnefBecker (vgl. den von Kühn herausgegebenen Sammelband Wortschatzarbeit in der Diskussion aus dem Jahr 200019) –, welche insbesondere Erkenntnisse aus Kognitions- und Lernpsychologie nutzen und diese in didaktische Angebote umsetzen
|| Dieser Einschätzung muss widersprochen werden: Zum einen geht aus der Ausführung nicht hervor, auf welche Theorien sich Wolff bezieht. Wie aus der bisherigen Darstellung deutlich geworden sein sollte, kann Wolffs Aussage sich keinesfalls auf die fremdsprachendidaktischen Methoden seit dem zweiten Weltkrieg beziehen. Zudem ist durch die historische Darstellung in Kapitel 3 deutlich geworden, dass Wortschatzerwerb fast immer den Lernenden selbst überlassen wurde. Daher kann auch der weiteren Ausführung Wolffs nicht zugestimmt werden: „Dies ist nur natürlich, weil bis hin zur kommunikativen Didaktik in der Vermittlung von Grammatik und Wortschatz die einzige Möglichkeit gesehen wurde, sprachliche Kompetenzen zu entwickeln und zu fördern.“ (Wolff 2000: 109). In den fremdsprachendidaktischen Methoden wurde bislang Wortschatzerwerb jedoch weniger gefördert als durch Tests kontrolliert und damit zur Leistungsbewertung genutzt. 18 Im Rahmen des von Klaus P. Schneider beschriebenen Forschungsprojekts „Wörterbucharbeit als Lernprozess“ wurden zwar die im gleichnamigen Aufsatz beschriebenen Erhebungen durchgeführt, weitere Projektergebnisse sowie die im Rahmen des Projekts angestrebte Wörterbuchdidaktik (vgl. Schneider 1993: 87) konnten allerdings nicht gefunden werden. 19 Theoretisch scheinen die Zielsetzungen einer Wortschatzdidaktik im Rahmen eines kommunikativ ausgerichteten Unterrichtskonzepts zwar schon festgelegt: „Das generelle Ziel der Arbeit am Wortschatz besteht in der Aneignung eines dauerhaften, schnell abrufbaren, disponibel verknüpfbaren und korrekt anwendbaren Wortschatzbesitzes, der auf die Realisierung von relevanten Kommunikationsabsichten und die Bewältigung bestimmter Themen und Kommunikationssituationen abgestimmt ist.“ (Bohn/Schreiter 1998: 171). Die anhaltenden intensiven Diskussionen der DaF-Didaktik verdeutlichen jedoch, dass Unterrichtsmethode sowie generelle Zielsetzung des fremdsprachlichen Unterrichts keinesfalls so eindeutig festgelegt sind. „Es stellt sich natürlich die Frage, ob das Lernen von Wortschatz von außen beeinflusst und gesteuert werden kann, wie dies die traditionelle Fremdsprachendidaktik annimmt, oder ob es sinnvoller ist, günstige Lernumgebungen zu schaffen und dem Lernenden durch die Bereitstellung von Materialien und Referenzwerkzeugen zu helfen, den Lernprozess eigenständig durchzuführen, wie dies didaktische Ansätze annehmen, die kognitivistisch-konstruktivistischen Theorien verpflichtet sind.“ (Wolff 2000: 108).
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wollen, allerdings fehlt den Theorien eine entsprechende Datengrundlage (vgl. Köster 2010: 1021f.). Für die Wortschatzarbeit liegen wenig empirisch fundierte Ergebnisse zu bestimmten Unterrichtsverfahren vor. Man verlässt sich nach wie vor nahezu ausschließlich auf bekannte und als bewährt eingestufte Verfahren […]. (Huneke/Steinig 2010: 172)
Auch haben sich die Diskussionen der Fremdsprachendidaktik über Wortschatzarbeit bislang – zumindest nach Ansicht Kühns – auf drei Themenbereiche reduziert: 1. Kriterien für die Auswahl eines geeigneten Lernwortschatzes, 2. Prinzipien der Wortschatzarbeit im Unterrichts sowie entsprechende Methoden zur Semantisierung und 3. Lernerwörterbücher als Lernhilfen für Wortschatz (vgl. Kühn 2000: 5). Neue Erkenntnisse aus den Bezugswissenschaften werden dagegen erst langsam wahrund aufgenommen. Dass sich an der Wortschatzvermittlung im DaF-Unterricht auch in den letzten 10 Jahren nur relativ wenig geändert hat, lässt sich an den beiden Artikeln der HSKSammelbände über Wortschatzvermittlung (2001) und Wortschatzerwerb und Wortschatzvermittlung (2010) von Lutz Köster belegen. 2001 wie 2010 muss Köster den Mangel an empirischen Untersuchungen beklagen: „Doch haben Fragen des Wortschatzes in empirischer Forschung […] und unterrichtlicher Praxis nicht den Stellenwert der ihnen aufgrund ihrer Bedeutung im Sprachlernprozess zukommt.“ (Köster 2001: 887). 10 Jahre später liegen zwar einige empirische Untersuchungen vor, diese finden jedoch nur unzureichend Beachtung, sodass weiterhin deren Berücksichtigung im Rahmen eines wortschatzdidaktischen Konzepts aussteht (vgl. Köster 2010: 1021f.). Auch insgesamt kann Köster 2010 kaum tiefgreifende Veränderungen feststellen und beschränkt sich daher darauf, neuere Forschungsergebnisse – statt empirischer Daten bzw. Erfahrungsberichte aus der Unterrichtspraxis – zu referieren. Einzig zwei Unterschiede fallen bei dem Vergleich der beiden HSK-Beiträge auf: – Während noch 2001 unter den „Prinzipien der Wortschatzvermittlung“ die Bedeutung einer kulturbezogenen Bedeutungsvermittlung besonders hervorgehoben wird, führt Köster 2010 die Sensibilisierung für kulturelle Unterschiede lediglich als beachtenswerten Punkt bei der Erstsemantisierung an. Da sich inzwischen die Erkenntnis, dass kulturspezifischen Aspekten im Fremdsprachenunterricht besondere Beachtung geschenkt werden muss, sowohl in zahlreichen Lehrwerken wie auch in Lernerwörterbüchern durchgesetzt hat, scheint es nicht mehr sinnvoll, diesen Aspekt besonders herauszustellen.
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–
Aufgrund der Entwicklungen der Lernerlexikographie in den letzten 10 Jahren, angesichts von 12 bereits publizierten einsprachigen Lernerwörterbüchern20 für DaF-Lernende und entsprechenden Untersuchungen zum Lernwortschatz hat Köster die 2001 noch stark kritisierte „Wörterbucharbeit“ (2001) in eine Darstellung zu „Lernerwörterbüchern und Minima“ (2010) umgearbeitet. Inwiefern einsprachige Lernerwörterbücher jedoch tatsächlich in die Wortschatzvermittlung eingebunden werden, soll in Kapitel 4.3. dargestellt werden.
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die systematische Wortschatzvermittlung – anders als im englischsprachigen Raum – im Fach DaF erst allmählich Beachtung findet und aus Sicht der Fremdsprachendidaktik dringend aufgearbeitet werden muss. Woran scheitert aber letztendlich die Umsetzung und Nutzung eines wortschatzdidaktischen Konzepts im fremdsprachlichen Unterricht? Zwar besteht Einigkeit darüber, dass Wortschatzerwerb nie abgeschlossen ist (vgl. Hausmann 1993a und 1993b) und Lernende daher Hilfestellungen für dessen Erwerb benötigen, allerdings mangelt es an einer Umsetzung in die Praxis. Einer älteren Untersuchung zur Praxis des Grammatikunterrichts (1984) zufolge könnte ein Grund dafür in der Beliebtheit des Grammatikunterrichts auf Seiten der Lehrenden liegen21 – Grammatik scheint übersichtlicher und damit auch leichter vermittelbar zu sein (vgl. Zimmermann 1984: 31ff. und Steinmetz 1995: 279). Es scheint in der Fremdsprachendidaktik attraktiver zu sein, sich intensiv mit dem überschaubaren Grammatikphänomen zu beschäftigen, als mit der nicht so eingrenzbaren Lexik, ihrer Struktur, der Wortfrequenz und deren Messung. (Neubauer 2001: 1064)
Trotz der berechtigten Kritik an dieser Haltung kann die Einstellung der Lehrenden zur Wortschatzvermittlung wiederum durch die Prinzipien begründet werden, welche ihnen während ihrer Ausbildung vermittelt worden sind (z.B. Bedeutungserschließung aus dem Kontext, Benutzung von (einsprachigen) Wörterbüchern):
|| 20 Für einen Überblick über die aktuell publizierten deutschsprachigen Lernerwörterbücher vgl. Kapitel 6.6. 21 Zimmermann hat Anfang der 1980er Jahre in seiner Untersuchung 681 Lehrende und 334 Schüler zur Grammatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht befragt. Die Untersuchung ergab, dass Grammatik mit einem 40–60%igen Anteil an den Unterrichtsstunden tatsächlich sehr im Fokus der Fremdsprachenvermittlung stand (vgl. Zimmermann 1984: 31). Während jedoch 77,1 % der Lehrenden angaben, dass sie Grammatik „gern“ oder „sehr gern“ unterrichteten, beurteilten die Lernenden den Grammatikunterricht eher als „trockenen Stoff“ (18,7 % der Befragten, 2. Platz der Nennungen) oder „sture Paukerei“ (13,3 %, 3. Platz der Nennungen) (vgl. Zimmermann 1984: 85).
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For many of us, our perspective on teaching vocabulary was greatly influenced by the topdown, naturalistic, and communicative approaches of the 1970s and 1980s. The emphasis was implicit, incidental learning of vocabulary. (Sökmen 1997: 237)
Im Sinne der Lernenden sollte jedoch Folgendes beachtet werden: Die mehr oder weniger fehlerhafte Anwendungen grammatischer Regeln kann die Verständigung in der Fremdsprache zwar beeinträchtigen, jedoch führen eher lexikalische Lücken als unzureichende Grammatikkenntnisse dazu, dass die Kommunikation scheitert: „Verfügen wir über die Wörter, können wir uns schon auf der Grundlage von wenigen Grammatikstrukturen über viele Lebensbereiche verständigen.“ (Schmidt 2002: 335, vgl. auch Quetz 2005: 272, Gnutzmann 1995: 77, Bohn/Schreiter 1998: 166). Beobachtungen aus der Unterrichtspraxis zeigen, dass Unsicherheiten auf lexikalischer Ebene gerade fortgeschrittenen Lernenden große Probleme bereiten: Die Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis mit fortgeschrittenen Lernern zeigen, daß mit Erhöhung des allgemeinen Niveaus in der Fremdsprache die Normverstöße im Sprachsystem abnehmen; es werden immer weniger Fehler morphologisch-syntaktischer Art gemacht. Parallel zur Festigung der grammatischen Regelsicherheit aber nehmen die Fehler im lexikalischen Bereich, also Verstöße gegen die sogenannten Sprachverwendungsnorm, zu. (Steinmetz 1992: 63)
4.2 Wortschatzvermittlung in der Praxis Wortschatzerwerb gilt unbestritten als das Lernproblem Nr. 1 im Fremdsprachenunterricht. (Bohn/Schreiter 1998: 196)
Der von der Fremdsprachendidaktik lange Zeit beklagten Vernachlässigung der Wortschatzdidaktik auf empirischer und theoretischer Ebene steht im Fremdsprachenunterricht wie auch beim selbstgesteuerten Fremdsprachenerwerb die Notwendigkeit gegenüber, die Bedeutung unbekannter Lexeme vermitteln bzw. sich diese eigenständig aneignen zu müssen. Daher haben sich in der Praxis seit längerem zahlreiche Strategien und Übungsformen entwickelt, welche u.a. auch lernpsychologische Erkenntnisse berücksichtigen. Nach Untersuchung zahlreicher DaF-Lehrwerke müssen Bohn und Schreiter zwar feststellen, dass systematische Wortschatzarbeit in unterschiedlichem Maß eingebunden und gefördert wird, allerdings wird in allen Lehrwerken das Lernen von Wortschatz thematisiert und durch Übungsangebote unterstützt (vgl. Bohn/Schreiter 2000: 94). Obwohl die Unterrichtspraxis damit schon weiter zu sein scheint als die theoretische Fremdsprachendidaktik, muss auch für die vorliegenden Vermittlungsvorschläge festgehalten werden: „Trotz der Verbindung zwischen lexikalischer Semantik und kognitiver Linguistik gibt es bisher keine einheitliche Modellierung des durch Unterricht vermittelten lexikalischen Lernens.“ (De FlorioHansen 2002).
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Unter Berücksichtigung der drei entscheidenden Phasen des Erwerbsprozesses22 – Erstsemantisierung, Übung und Wiederholung – soll im Folgenden ein Überblick über die verschiedenen Strategien der Wortschatzvermittlung gegeben werden: Von der Wahrnehmung eines unbekannten Worts und Hypothesen zu dessen Bedeutung (Erstsemantisierung), über die aktive Verwendung des Lexems in verschiedenen Kontexten (Übung), welche ein breiteres lexikalisches Wissen erfordert, bis hin zur langfristigen Speicherung aller zum Lexem gehörenden Informationen durch Wiederholung (inklusive der Kontrolle des Erwerbsprozesses). Quer zu der am Erwerbsprozess orientierten Darstellung sind folgende Unterteilungen angesiedelt; die vorgestellten Strategien können daher sowohl den Phasen des Erwerbsprozesses sowie den folgenden Kategorisierungen zugeordnet werden: –
In Abhängigkeit von der Erwerbssituation muss zwischen intentionalem und inzidentellem Wortschatzerwerb unterschieden werden (vgl. Köster 2010: 1025). Intentionaler Erwerb ist immer in ein Unterrichtskonzept eingebettet und wird durch die Lehrmaterialien und/oder die Lehrenden bewusst vertieft und gefördert, beim inzidentellem Erwerb eignet sich der Lernende die Bedeutung unbekannter Wörter bei der Rezeption eher beiläufig an (auch „incidental vocabulary learning“, Kühn 2010b: 1253). Beim inzidentellen Erwerb wird Wortschatz zwar durch Lesen und Hören nachweislich gelernt, allerdings ist der Lernerfolg stark von den Interessen der Lernenden (subjektive Bedeutsamkeit, vgl. Kapitel 5.3.) sowie den individuellen Lerntechniken abhängig. Die Erwerbssituation beeinflusst auch die Wiederholungsrate: Während Lernende beim intentionalen Wortschatzerwerb ca. 5– 20mal die Bedeutung eines fremdsprachlichen Lexems abrufen müssen (vgl. Schmitt 2008b: 343), bis es im Langzeitgedächtnis gespeichert ist, schwankt die Zahl beim inzidentellen Lernen zwischen mind. 8 bis über 20mal (vgl. Schmitt 2008b: 348): „Taken together, the research confirms that worthwhile vocabulary learning does occur from reading. However, the pick-up rate is relatively low.” (Schmitt 2008b: 348). Kann der Lernende die Bedeutung eines unbekannten Worts aus dem Kontext erschließen und diese im Langzeitgedächtnis abspeichern, bedeutet die Aufnahme in den passiven Wortschatz jedoch nicht, dass der Lernende das Lexem auch aktiv verwenden kann: „Inzidenteller Erwerb (Lesen, Hören) führt zu rezeptiver Verfügbarkeit der Bedeutung, nur produktive Aufgaben führen zum
|| 22 Da sich die folgenden Ausführungen direkt auf den Erwerb von fremdsprachlichem Wortschatz beziehen, soll an dieser Stelle auf allgemeine Modelle des Fremdsprachenlernens nicht weiter eingegangen werden.
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produktiven Erwerb, haben aber auch Effekte auf den rezeptiven Erwerb.“ (Köster 2010: 1025) –
In Abhängigkeit davon, ob unbekannte Lexeme durch den Lehrenden erklärt werden oder Lernende deren Bedeutung selbst entschlüsseln müssen, kann zwischen „lehrergesteuerten Erklärungstechniken“ und „lernerbezogenen Entschlüsselungstechniken“ (vgl. Kühn 2000: 14) unterschieden werden.
Diese Unterscheidungen sollen bei der folgenden Darstellung zwar berücksichtigt werden, jedoch erscheint es im Rahmen dieser Arbeit wichtiger, die Phasen des Erwerbsprozesses und entsprechende Strategien in den Vordergrund zu rücken. Der Schwerpunkt der folgenden Darstellung soll auf den von der Fremdsprachendidaktik vorgeschlagenen und im Unterricht vorgestellten Vermittlungs- und Lerntechniken liegen. Eine Evaluation ausgewählter Techniken auf lernpsychologischer Grundlage erfolgt in Kapitel 4.3.
4.2.1 Erstsemantisierung Besonders wichtig für den Erwerb eines fremdsprachlichen Lexems ist die erste Erwerbsphase, die Erstsemantisierung23, die großen Einfluss auf die Form der Enkodierung und damit auf die Dauer der Speicherung hat (vgl. auch Köster 2010: 1024). Beim intentionalen Erwerb stehen für die Erstsemantisierung verschiedene Techniken zur Verfügung: Unter Berücksichtigung des Mediums kann zwischen visuellen (bzw. nonverbalen) und verbalen Techniken unterschieden werden (vgl. Quetz 2005: 277 sowie Abbildung 1): –
Bei den visuellen Techniken (auch „nonverbale Semantisierung“, Storch 1999: 58) wird die Bedeutung eines Worts durch ein geeignetes Foto, eine (von dem Lehrenden erstellte) Zeichnung, den direkten Verweis auf die Lebenswelt bzw. das Zeigen eines Gegenstands oder die gestische Vorführung von Tätigkeiten (durch den Lehrenden) veranschaulicht.
|| 23 Bereits bei der Definition von ‚Semantisierung‘ werden die Unterschiede zwischen den verschiedenen fremdsprachendidaktischen Ansätzen deutlich: „Der Terminus Semantisierung (Bedeutungserklärung) bezeichnet in der fremdsprachendidaktischen Literatur die Erklärung lexikalischer Einheiten (Wort, Phrasem) durch den Lehrer, während die von der Kognitionspsychologie beeinflusste Zweitspracherwerbsforschung und Psycholinguistik unter dem Begriff der Semantisierung die Verarbeitung durch den Lernenden in den Mittelpunkt stellen.“ (Köster 2010: 1024). Kühn versteht dagegen unter ‚Semantisierung‘ sowohl die vom Lehrenden initiierten Erklärungstechniken als auch die von den Lernenden angewandten Entschlüsselungstechniken (vgl. Kühn 2000: 14). Auch in dieser Arbeit soll ‚Semantisierung‘ als Oberbegriff für beide Techniken verwendet werden.
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Aus lernpsychologischer Sicht ist die mehrkanalige Informationsvermittlung zu begrüßen: Die Koppelung des fremdsprachigen Lexems mit visuellen Informationen führt nachweislich zu einer verbesserten Behaltensleistung (vgl. Quetz 2005: 278) und wird daher in verschiedenen Lehrwerken – wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg24 – eingesetzt (vgl. Bohn/Schreiter 2000: 91). Gerade für den Anfangsunterricht eignen sich visuelle bzw. nonverbale Techniken besonders gut – zumal nicht auf den lexikalischen Vorkenntnissen der Lernenden aufgebaut werden kann: Die Methoden der nonverbalen Semantisierung lassen sich, zumal bei etwas schauspielerischem Talent des Lehrenden, besonders im Anfängerunterricht (und auch bei Kindern) mit Gewinn einsetzen, wo konkrete situationsbezogene Themen überwiegen (Kommunikation in Situationen). (Storch 1999: 58)
–
Die verbalen Techniken gliedern sich – in Abhängigkeit davon, in welcher Sprache das fremdsprachliche Lexem erläutert wird – in zwei Untergruppen: –
Für den Lernenden ist sicherlich die Angabe eines Äquivalents in seiner Erstprache die einfachste Strategie. Sind durch graphische oder phonologische Ähnlichkeit zwischen erstund fremdsprachlichem Lexem Probleme bei der richtigen Aussprache, Schreibweise oder Verwendung zu befürchten (etwa bei den ‚false friends‘), sollten darüber hinaus auch formale und inhaltliche Merkmale des fremdsprachlichen Lexems thematisiert und mit denen des erstsprachlichen Lexems kontrastiert werden. Während die Angabe eines erstsprachlichen Äquivalents zur Erstsemantisierung durchaus sinnvoll sein kann, wird das Lernen von zweisprachigen Wortpaaren (auch Paarassoziationslernen genannt) durchaus kritisch gesehen (vgl. Kapitel 5.3).
–
Auch in der Fremdsprache stehen verschiedene Techniken zur Verfügung, deren Verwendung sich nach dem Kompetenzniveau der Lernenden sowie dem Umfang des bereits vermittelten Lernwortschatzes richten sollte: Die Erläuterung über den Kontext und die Erklärung über logische (Definition, Teil-Ganzes-Beziehung, Dreisatz25) oder lexikalische Relatio-
|| 24 Bohn und Schreiter müssen in ihrer Untersuchung ebenfalls feststellen, dass die Häufigkeit der Einbindung von visuellen Darstellungen noch nichts über deren Qualität aussagt: „Qualität und Häufigkeit der bildlichen Darstellungen sind dabei unterschiedlich. Sie reichen von Illustrationen mit wenig Bezug zum Thema bis zu wirklichen Verständnishilfen.“ (Bohn/Schreiter 2000: 91). 25 Unter Dreisatz versteht Quetz das Ableiten einer Bedeutung durch Analogieschluss: „A man has a mouth, a bird has a ___ (beak).“ (vgl. Quetz 2005: 279).
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nen (Synonym/Antonym, Hyperonym/Hyponym) (vgl. hierzu die ins Deutsche übersetzte Darstellung von Quetz zu den „Techniken der systematischen Wortschatzeinführung“ (Abbildung 1), ähnlich auch die überblicksartigen Darstellungen bei Kühn 2010b: 1253f., Scherfer 2003: 281, Storch 1999: 57ff.).
Bild visuell
Verweis auf ein außersprachliches Objekt (real) Demonstrationen/Gestiken
Erklärungstechniken
(holistisch)
Kontext Definition logische Relationen
(in der Fremdsprache)
Teil-GanzesBeziehung Dreisatz
(merkmalsbasier)
Synonym/ Antonym lexikalische Relationen
verbal
Hyperonym/ Hyponym Derivation/ Komposita Kollokationen
(durch Ähnlichkeit) (in der Erstsprache)
orthographisch/ phonetisch
Übersetzung durch ein Äquivalent
Abb. 1: „Techniken der systematischen Wortschatzeinführung“ nach Jürgen Quetz
Zwar sind alle hier aufgeführten Techniken von der Kompetenz des Lehrenden bzw. den zur Verfügung stehenden Lehrmaterialien abhängig und somit als „lehrergesteuerte Erklärungstechniken“ einzustufen26; dennoch können einige Techniken
|| 26 Dass die von Quetz vorgestellten Semantisierungsstrategien primär lehrergesteuert sind, wird von Wolff kritisiert: „Entscheidend ist auch bei QUETZ, dass alle Aktivitäten bei der Arbeit mit dem Wortschatz vom Lehrer ausgehen, dass er sie steuert und kontrolliert.“ (Wolff 2000: 110). Hierin sieht Wolff nicht nur einen Einzelfall, sondern einen allgemeinen Missstand der Fremdsprachendidaktik: „Bei den Vorschlägen zur Verbesserung der Wortschatzarbeit zeigt sich dies z.B. beson-
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auch von Lernenden selbst – bei Verwendung entsprechender Übungsmaterialien und Lernhilfen – für die Erstsemantisierung genutzt werden (etwa die Suche nach einem Äquivalent in der Erstsprache, nach einer Abbildung oder nach Informationen zur paradigmatischen Einordnung). Solche Techniken müssen jedoch im Fremdsprachenunterricht zuvor eingeübt werden, damit Lernende nicht wegen mangelnder Übung oder Kenntnis letztendlich wieder auf das Nachschlagen in einem zweisprachigen Wörterbuch angewiesen sind. Das Einüben von lernerbezogenen Strategien zur Erstsemantisierung scheint aktuell jedoch noch nicht in ausreichendem Maß im Unterricht umgesetzt bzw. in den Lehrmaterialien thematisiert zu werden: Noch zu häufig vermitteln die untersuchten Lehrwerke den Eindruck, dass die Semantisierung von Wörtern allein die Domäne des Lehrers ist. Techniken und Verfahren der Bedeutungserschließung werden nur in Einzelfällen thematisiert. (Bohn/Schreiter 2000: 92)
Aufgrund der Erkenntnis, dass es für den Erfolg und die Nachhaltigkeit des fremdsprachlichen Spracherwerbsprozesses notwendig ist, Lernende aktiv einzubinden (zur Stärkung der subjektiven Bedeutsamkeit und zum systematischer Aufbau des mentalen Lexikons in der Fremdsprache), soll auch die Verantwortung für den erfolgreichen Erwerb semantischer Informationen immer mehr von den Lehrenden auf die Lernenden übergehen („engagement“27): Die lehrergesteuerte Semantisierung sollte sich im Sinne der Lernerautonomie zum lernerorientierten Semantisierungsprozess entwickeln. Dass dagegen die Unterteilung „lehrergesteuert“ und „lernerbezogen“ nicht gleichzusetzen ist mit fremd- und selbstgesteuertem Fremdsprachenerwerb wird bei Thornbury deutlich: So können lernerbezogene Semantisierungsprozesse auch von Lehrenden initiiert werden – etwa durch einen Dialog, bei dem die Lernenden das fremdsprachliche Lexem verwenden sollen oder bei dem die Bedeutung des Lexems (anhand von Definitionen, Synonymen, Beispielen, vgl. Quetz 2005: 281f.) thematisiert wird (vgl. Thornbury 2002: 87). Die subjektive Bedeutsamkeit kann bewusst durch Übungen gesteigert werden, bei denen die Lernenden das fremdsprachliche
|| ders deutlich darin, dass trotz aller Lippenbekenntnisse für einen stärker schülerorientierten Unterricht Wortschatzarbeit weiterhin als zentrale Aufgabe des Lehrers begriffen wird (vgl. z.B. QUETZ 1998).“ (Wolff 2000: 101). Tatsächlich scheint Quetz‘ Unterteilung in „Übungen zur Festigung des Wortschatzes”, welche für den schulischen Unterrichts konzipiert sind, und „Medien für die Wortschatzarbeit zu Hause“ bezeichnend: Wortschatz soll zwar im Unterricht durch die aufgeführten Strategien eingeführt und geübt werden, lernen sollen die Schüler jedoch zu Hause (vgl. Quetz 2005: 288). 27 Schmitt hebt in seiner Darstellung das „engagement with vocabulary“ besonders hervor: „It is a commonsense notion that the more a learner engages with a new word, the more likely they are to learn it.” (Schmitt 2008b: 338).
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Lexem auf sich oder ihre Umgebung beziehen oder bei denen sie das neue Lexem in ihr eigenes assoziatives Netzwerk integrieren sollen (vgl. Thornbury 2002: 87). Unter den lernerbezogenen Entschlüsselungstechniken (vgl. die Auflistung bei Kühn 2010b: 1253) ist die Fähigkeit, sich die Bedeutungen unbekannter Lexeme aus dem Kontext zu erschließen, besonders wichtig (vgl. Kühn 2010b: 1253, Storch 1999: 58). Eine solche Technik fördert zum einen die Autonomie der Lernenden und bereitet zum anderen die Lernenden auf „lexikalische Notsituationen in natürlichsprachigen Kontaktsituationen“ (Köster 2010: 1024) vor. Allerdings muss auch beachtet werden, dass eine solche Leistung von den Lernenden nur unter bestimmten Voraussetzungen erbracht werden kann: Notwendig ist die Kenntnis eines entsprechend großen Wortschatzes, ein entsprechend weit fortgeschrittener Erwerbsprozess (vgl. Köster 2010: 1027) bzw. die systematische Nutzung von Strategien, mittels derer aus dem Kontext die Bedeutung eines unbekannten Lexems erschlossen werden kann (vgl. Röhr 2000: 216ff., Scherfer 1990: 43f.). Auch die Kenntnis von Wortbildungsregeln ist für die Eigensemantisierung äußerst wichtig – allerdings müssen diese den Lernenden nicht unbedingt explizit vermittelt werden, sondern können durch ein entsprechendes Aufgabenangebot auch indirekt vermittelt werden (vgl. De Florio-Hansen 2006: 182). Gerade beim inzidentellen Erwerb von lexikalischen Bedeutungen bzw. beim Erschließen von Bedeutungen aus dem Kontext stellt sich die Frage, wie wichtig authentische Texte sowie die kontextuelle Einbindung der Lexeme für den Wortschatzerwerb sind. Honnef-Becker plädiert in diesem Zusammenhang nachdrücklich für eine textbezogene Wortschatzarbeit (vgl. Honnef-Becker 2000: 149) und stellt das Konzept einer „lernschrittprogressive[n] Wortschatzarbeit beim Schreibprozess“ (Honnef-Becker 2000: 156) vor, welches im Rahmen einer Schreibwerkstatt sowohl den rezeptiven wie den produktiven Wortschatzerwerb durch Rezeption und Produktion von Texten in der Fremdsprache fördern will. Für das Semantisierungsverfahren „Bedeutungserschließung aus dem Kontext“ sollten laut Sökmen folgende Einwände beachtet werden: Diese Form der Eigensemantisierung sei ein langwieriger, fehleranfälliger Prozess, welcher entsprechende Vorkenntnisse der Lernenden erfordert (vgl. Sökmen 1997: 238): “[E]ven if some decontextualized learning may be effective for retention, the ultimate goal of learning – language use – entails re-contextualization by the users.” (Sökmen 1997: 239). Zusammenfassend muss an alle (Erst-)Semantisierungsverfahren – sowohl an Erklärungs- als auch an Entschlüsselungstechniken – aufgrund lernpsychologischer Erkenntnisse folgende Forderung gestellt werden: Eine Semantisierung muss eindeutig und verständlich sein und bei den Schülern zu einem klaren Verständnis führen, denn Verständlichkeit ist Voraussetzung für gutes Lernen; nur Verstandenes kann sicher in die mentale Wissensstruktur eingebunden werden. (Storch 1999: 60)
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4.2.2 Übung Um erfassen zu können, was das Bedeutungsspektrum eines Lexems beinhaltet, wie es verwendet wird, welche Konnotationen es hat etc., reicht einmaliges Lernen und einmalige Verwendung nicht aus. Wortschatzlernen sollte daher als „gradueller Prozess“ (vgl. Scherfer 2003: 281 und Köster 2010: 1023) verstanden werden: Von einem zunächst groben Verständnis des fremdsprachlichen Lexems bis hin zu einem detaillierten Wissen um dessen Bedeutung und die richtige Verwendung. Welche Aspekte der lexikalische Erwerbsprozess umfassen kann und muss, hat Scherfer in einer nicht abschließenden Auflistung aufgeführt: Müssen doch für jedes Lexem seine Eigenschaften der Aussprache, der Morphologie, der lexikalischen Kategorie, der Bedeutung und der situationsangemessenen Verwendung (Register u.ä.) ebenso gelernt werden wie diejenigen, welche seinen Gebrauch im Kontext mit anderen Lexemen regeln, d.h. seine Valenzeigenschaften und Kollokationsbeschränkungen. Ferner muss es in verschiedene lexemübergreifende Strukturierungen des mentalen Lexikons wie u.a. Paradigmen (teil)identischer Graphem- oder Phonemfolgen, morphologischer/grammatischer Klassen, Wortbildungsmuster, morphologischer, semantischer, stilistischer, sachlicher Felder und centres d‘intérêt, hierarchischer (Hyponymie, Paronymie), gegensätzlicher (Antonymie, Komplementarität, Konversion), synonymischer, reihender, skalarer und zyklischer Natur eingegliedert werden. (Scherfer 2003: 280)
Um all diese Aspekte in der Übungsphase berücksichtigen zu können, muss zwischen reflexiver und produktiver Wortschatzarbeit unterschieden werden: – Die reflexive Wortschatzarbeit soll zur Strukturierung des gelernten Wortschatzes führen und beinhaltet daher Übungen, welche auf die Erweiterung und Differenzierung des mentalen Lexikons abzielen: Durch variables Üben und Anwenden müssen nicht nur innerhalb des neuen Wortschatzes Assoziationen entstehen; es müssen ebenfalls Teile des bereits gelernten Wortschatzes aktiviert werden, sodass der neue Wortschatz möglichst vielfältig in die bestehende lexikalische Wissensstruktur eingebunden wird. (Storch 1999: 57)
–
Dagegen ist für die produktive Wortschatzarbeit die richtige Verwendung der fremdsprachlichen Lexeme wichtig: „Dabei geht es um die Reaktivierung des aufbereiteten Wortschatzes durch seine adressaten-, intentions- und situationsspezifische Verwendung in Texten und Textsorten.“ (Kühn 2010b: 1255).
Lehrwerke bieten Lernenden hierfür häufig Übungen an, in denen sie die soeben gelernten Vokabeln in bestimmten Kontexten anwenden können (vgl. auch Bohn/Schreiter 1998 und 2000): „Das Spezifikum der Wortschatzübungen besteht darin, den Lernern eine neue lexikalische Form oder einen neuen Inhalt zur Versprachlichung vorzugeben.“ (Scherfer 2003: 281).
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Besonders hervorzuheben für die Wortschatzarbeit sind Übungen, welche auf der lernpsychologischen Erkenntnis aufbauen, dass Kategorisierung eine wichtige Übungsform ist, die zu einer dauerhaften Speicherung führt (vgl. Kapitel 5.3.). Typische Übungsangebote sind das eigenständige Ordnen von lexikalischen Listen, das Anlegen von Mindmaps und das Erstellen assoziativer Netze. Überblicksdarstellungen über die verschiedenen Techniken zum Lernen von Vokabeln lassen sich zudem bei Rampillon, Stork und Kleinschroth finden (vgl. auch Kapitel 5.3.). Solche Techniken sind dem immer noch weit verbreiteten mechanischen Paar-Assoziationslernen deutlich vorzuziehen (vgl. Kapitel 5.3.). Statt vom riesigen, nicht abtragbaren Wortschatzberg zu reden und trotzdem für die Lernenden die Sisyphusarbeit der Wortschatzaneignung im stillen Kämmerlein zu predigen, erscheint es möglicherweise sinnvoller, die Vermittlung produktiver lexikalischer Strategien in die systematische Wortschatzarbeit und in Kurse mit lexikalischen Anteilen einzubeziehen. (Gnutzmann 1995: 76)
Erst durch mehrmaliges Lernen und Verwenden eines fremdsprachlichen Lexems verfestigen sich die Strukturen im mentalen Lexikon dauerhaft. Allerdings haben Untersuchungen zur Wortschatzarbeit sowie zu Mnemotechniken gezeigt, dass diese vor allem im Anfangsunterricht eingeführt und angewendet werden (vgl. Ecke 2004: 213). Angesichts des Umstands, dass das mentale Lexikon in der Fremdsprache erst langsam auf- und ausgebaut wird, ist dies kritisch zu hinterfragen: Erst im fortgeschrittenen Stadium des Fremdsprachenerwerbs sind Lernende in der Lage, fremdsprachliche Lexeme in den bereits vorhandenen Strukturen abzuspeichern und somit den Lernprozess erfolgreich zu steuern. Aber nicht nur bereits vorhandene Strukturen, auch der Umfang des bereits gelernten Wortschatzes ist für das Lernen und Behalten neuer Vokabeln von entscheidender Bedeutung: „Lust auf Wörter kann man dadurch befördern, dass die Lernenden eine angemessene Zahl von Wörtern kennen lernen.“ (De Florio-Hansen 2002).
4.2.3 Wiederholung Während die Übungsphase häufig noch durch Lehrwerke unterstützt wird, ist das Wiederholen von bereits erworbenen Wortschatz häufig den Lernenden selbst überlassen (vgl. De Florio-Hansen 2004: 85, Huneke/Steinig 2010: 169) – entsprechende Strategien werden nach wie vor im Unterricht bzw. in den Lehrwerken kaum thematisiert: „In der methodischen Literatur und in den Lehrwerken wird der Aspekt der defizitären Behaltensleistungen sehr oft vernachlässigt […]“ (Köster 2010: 1026). Auch die Untersuchung von De Florio-Hansen zum Wortschatzerwerb und Wortschatzlernen von Fremdsprachestudierenden zeigt, dass nur ein Teil der fortgeschrit-
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tenen Lernenden – 38 von 72 Befragten in der Studie – regelmäßig bzw. systematisch Wortschatzarbeit betreibt (vgl. De Florio-Hansen 2004: 97), welche wiederum nur zu einem Teil zufriedenstellend verläuft (vgl. De Florio-Hansen 2004: 103). Die Gründe scheinen offensichtlich: Entweder sind die Lernenden nicht motiviert genug (vgl. De Florio-Hansen 2004: 98), um Wortschatz eigenverantwortlich zu lernen, oder sie haben keine Strategien kennengelernt, mit denen sie systematisch ihren fremdsprachlichen Wortschatz pflegen und ausbauen können. Die Befragung zeigt, dass Lernstrategien in der Schule kaum und noch weniger im Rahmen des Universitätsstudiums (vgl. De Florio-Hansen 2004: 102) thematisiert werden. Dies ist umso bedauerlicher, da 41 der Befragten Lehramtsstudierende sind und die eigenen Erfahrungen und Lerntechniken später auch an ihre Schüler vermitteln sollen; Ähnliches ist auch für den richtigen Umgang mit Wörterbüchern zu konstatieren: Besonders schwerwiegend nimmt sich dieses Defizit [der geübte Umgang mit Wörterbüchern, MR] dann aus, wenn jemand Deutsch als Fremdsprache lernt, um anschließend Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten. (Schaeder 1996: 191, vgl. auch Schaeder 2000: 250)
Besserung versprechen verschiedene Übungsmaterialien, welche lehrwerkunabhängig publiziert werden und somit für alle Lernenden geeignet zu sein scheinen: Speziell auf die Wortschatzerweiterung ausgerichtete Übungsbücher sowie speziell für Lernende konzipierte Wortsammlungen. Allerdings ist Memo (1995) immer noch das einzige, direkt auf den Wortschatz ausgerichtete Lehrwerk mit Übungsbuch. Auch onomasiologisch angeordnete Wortsammlungen sollen die Wortschatzarbeit der Lernenden unterstützen und den selbstgesteuerten Erwerb fördern. Allerdings muss auch hier kritisiert werden, dass sich diese Übungsmaterialien sich vor allem auf den Grundwortschatz konzentrieren – individuelle Interessen sowie individuelles lexikalisches Wissen in einem fortgeschrittenen Stadium des Fremdsprachenerwerbs werden nicht berücksichtigt28: Die Übungsmaterialien beziehen sich fast ausschließlich auf den Grundstufenbereich, da hier bei Erarbeitung, Wiederholung und Erweiterung des Wortschatzes auf mehr oder weniger definierte Wortschatzumfänge Bezug genommen werden kann. (Köster 2010: 1026)
Aufgrund des Mangels an einem entsprechenden Übungsangebot, wachsen die Anforderungen an (Lerner-)Wörterbücher: Sie sollen zum einen bei der Textrezeption als Nachschlagewerk eingesetzt werden (vgl. Honnef-Becker 2000: 152, Bohn/
|| 28 Der Mangel an für (fortgeschrittene) Lernende geeigneten Übungsmaterialien zum Wortschatzlernen wird von der Fremdsprachendidaktik kritisiert: „Dieses Defizit an geeigneten Übungsmaterialien steht im Gegensatz zur Nachfrage bei Lernenden und Lehrenden, die eine kontinuierliche Wortschatzarbeit fordern.“ (Honnef-Becker 2000: 150).
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Schreiter 1998: 176f., Wolff 2000: 120), bei der Textproduktion als Quelle für grammatische Informationen dienen (vgl. Honnef-Becker 2000: 155, Wolff 2000: 120) und zugleich den Ausbau des mentalen Lexikons fördern – „sofern sie nach dem Modell des mentalen Lexikons konzipiert sind“ (Kühn 2010b: 1254). Wie in Kapitel 4.3. gezeigt werden soll, ist aufgrund mangelnder Kenntnisse im Umgang mit Wörterbüchern weder von den Lernenden ein solch fachmännischer Umgang mit dem Nachschlagewerk zu erwarten, noch kann ein einziges Wörterbuch alle diese Ansprüche in vollem Maß erfüllen. Dennoch ist der Status der Wörterbücher als unverzichtbares Hilfsmittel beim autonomen Wortschatzerwerb unbestritten: Anleitungen und Hilfsmittel zum Schreiben in Deutsch als Fremdsprache sucht man vergebens. Das einzige Hilfsmittel stellen Wörterbücher dar. (Honnef-Becker 2000: 170)
Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass trotz eines reichen Angebots von Semantisierungsstrategien und Übungsformen auch aus praktischer Sicht die konzeptuelle Ausrichtung der Wortschatzvermittlung noch nicht geklärt ist: Die zentrale Frage, ob eine stark gelenkte, (vor-)strukturierte Art der Wortschatzarbeit, für die das Lernmaterial hinsichtlich der lexemübergreifenden Strukturen der mentalen Repräsentation aufbereitet wird, oder eine ‚freie‘ (ausgehend von authentischen Texten und Lernaktivitäten) am effektivsten ist, harrt noch einer Antwort. (Scherfer 2003: 281)
4.3 Nutzung von Wörterbüchern im DaF-Unterricht Dass Wörterbücher ein unverzichtbares Arbeitsmittel für den Wortschatzerwerb sind, ist in der neueren Wortschatzdidaktik unbestritten. (Bahns 2004: 202)
Die bisherige Darstellung hat gezeigt, dass die Form der Wortschatzvermittlung sehr von der jeweiligen fremdsprachendidaktischen Methode abhängig ist. Aus dem Raum und der Bedeutung, welcher der Wortschatzarbeit beigemessen wird, resultieren wiederum Konsequenzen für die Arbeit mit Wörterbüchern – ob nun diese in den Erwerbsprozess eingebunden sind oder ob deren Nutzung unabhängig davon verläuft. Wiederholt ist von der Fremdsprachendidaktik auf den Umstand aufmerksam gemacht worden, dass der Wortschatz einer Fremdsprache nicht mit all seinen Facetten und Varietäten zu erlernen ist; Fremdsprachenlernende müssen daher ein Hilfsmittel haben, um bei Bedarf Informationen nachschlagen zu können. Im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht dienen einsprachige Wörterbücher als Ersatz für den „interlocuteur natif absent“ (Püschel 1989: 131) und sind somit ein wichtiges Lernmittel für autonome Wortschatzarbeit. Sobald zwei- oder einsprachige Wörterbücher zur Verfügung stehen und für Lernende erschwinglich sind, ist es daher verständlich, dass sie diese auch erwerben und nutzen: „Das Wörterbuch ist
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beim Fremdsprachelernen von Anfang an ein ständiger Begleiter des Lernenden. Es ist das erste und im Ausland neben dem Lehrer sein einziges Hilfsmittel […]“ (Steinmetz 1995: 278). Bei den Methoden, bei denen der Umgang mit Wörterbüchern im Fremdsprachenunterricht nicht thematisiert wird (etwa bei der Direkten Methode), sind die Lernenden jedoch allein auf ihre eigenen Kompetenzen bei der Nutzung dieses wichtigen Hilfsmittels angewiesen. Zwar werden Wörterbücher auch im erstsprachlichen Unterricht genutzt – in Deutschland besonders seit der Erstellung des Dudens29 –, allerdings ist der Benutzungszweck ein anderer, sodass sich aus der Kenntnis von erstsprachlichen Nachschlagewerken nicht zwingend eine Benutzungskompetenz für fremdsprachliche Wörterbücher ableiten lässt30. Zudem ist zur Bedeutung von Wörterbüchern im Fremdsprachenunterricht im Vergleich zum erstsprachlichen Unterricht festzuhalten31: Galten Wörterbücher im muttersprachlichen Unterricht vergleichsweise früh als wichtige Nachschlagemittel, so blieb ihre Verwendung im Fremdsprachenunterricht lange umstritten. (Meißner 2003: 404)
Im Folgenden soll dargestellt werden, in welcher Form Wörterbücher in den DaFUnterricht eingebunden waren und sind, mit welchen Wörterbüchern DaF-Lernende vor der Erstellung eines speziell für diese Benutzergruppe konzipierten Lerner-
|| 29 Vgl. hierzu die Kritik von Kühn: „Ein weiterer Grund für die unzureichende Wörterbuchbenutzungspraxis liegt darin, dass in allen Schularten und auf allen Schulstufen ein Wörterbuchtyp dominiert: Schulwörterbücher des Deutschen sind seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag rudimentäre Rechtschreibwörterbücher.“ (Kühn 1998b: 1). 30 Béjoint führt an, dass zwar auch die Kenntnis erstsprachlicher Wörterbücher zu Kompetenzen im Umgang mit fremdsprachlichen Wörterbüchern beitragen kann, allerdings gelte dies nicht uneingeschränkt für alle Lernergruppen: „There is a great deal that they already know, consciously or unconsciously, when they reach the stage of dictionary consultation. The point is particularly important to bear in mind for learners of a foreign language, whose reference skills are partly carried over from their first to their second language (to a variable extent, according to the degree of similarity between the two; for example, speakers of Chinese have to learn the alphabet before they can use even a very basic English dictionary.“ (Béjoint 1989: 210). 31 Auch wenn in Deutschland Wörterbücher im erstsprachlichen Unterricht einen höheren Stellenwert als im Fremdsprachenunterricht haben, kritisieren Didaktiker auch hier, dass durch fehlende Übungen die Kenntnis dieses Hilfsmittels nur unzureichend sei bzw. Schulwörterbücher z.T. ungeeignet seien (vgl. auch Kühn 1989: 123f.). Die wichtigsten Kritikpunkte sind: die Vernachlässigung der Wörterbuchdidaktik – „Die Wörterbucharbeit ist ein Stiefkind der Deutschdidaktik.“ (Kühn 1998b: 1, ähnlich auch 2010b: 307) –, die „Reduktion der Wörterbuchdidaktik auf eine Didaktik der Arbeitstechniken“ (Kühn 1998b: 2) und die „Reduktion des Schulwörterbuchs auf den orthographischen Wörterbuchtyp“ (Kühn 1998b: 2). Kühn wie auch Ulrich fordern daher: „Der Stellenwert der Wortschatzarbeit innerhalb des muttersprachlichen Deutschunterrichts muß dringend erhöht werden.“ (Ulrich 1998: 160).
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wörterbuchs gearbeitet haben und ob bzw. wie sich seit dem Erscheinen des ersten einsprachigen Lernerwörterbuchs, dem Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (LGWDAF), die Lern- und Unterrichtspraxis verändert hat. Hat die Erstellung des ersten Lernerwörterbuchs zu einer anderen Form von Wörterbucharbeit geführt? Wie wird Wörterbucharbeit nun in den Fremdsprachenunterricht integriert? Vor der Publikation des LGWDAF waren Lernende in einem fortgeschrittenen Erwerbsstadium auf die Benutzung einsprachiger Wörterbücher angewiesen, welche für Muttersprachler konzipiert waren. Aufgrund von ausgewählten Merkmalen wurden insbesondere vier Wörterbücher im DaF-Unterricht bevorzugt: Aufgrund der Systematik der grammatischen Angaben („linguistische Basis“, Neubauer 2001: 1062) war vor allem das Deutsche Wörterbuch von Wahrig äußerst beliebt32, aber auch das Duden Schul-Wörterbuch (vgl. Steinmetz 1995: 280f.), das Duden Universalwörterbuch (vgl. Schaeder 1996: 192, Schaeder 2000: 250) sowie das (Hand-) Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache33 (WDG bzw. das HWDG) wurden mangels eines deutschsprachigen Lernerwörterbuchs häufig konsultiert (vgl. Kromann 1995: 502f.). Alle vier Wörterbücher sind allgemeine Wörterbücher der deutschen Sprache – mit Ausnahme des WDG bzw. des HWDG sind zudem alle einbändig.
|| 32 Vgl. auch die Würdigung von Neubauer in seinem HSK-Beitrag: „Für Deutsch als Fremdsprache war das 1968 erschienene von Gerhard Wahrig und seinen Mitarbeiterinnen herausgegebene Deutsche Wörterbuch für Jahrzehnte das im Unterricht und zum Nachschlagen benutzte Werk“ (Neubauer 2001: 1062). Schaeder sieht gerade in der Nutzung im DaF-Unterricht einen Erfolgsfaktor des Wahrig: „Wahrig-DW verdankt seinen großen Erfolg nicht zuletzt dem Umstand, dass es unter den Lernern des Deutschen den Ruf genoß (vielleicht auch noch genießt) das Wörterbuch des Deutschen zu sein.“ (Schaeder 1987: 74). 33 Obwohl das WDG aufgrund des Gegenwartsbezugs und der Korpusbasiertheit von manchen Linguisten als „Pionierleistung der deutschen Lexikographie“ (Kromann 1995: 502) betrachtet wird, darf doch nicht übersehen werden, dass das Wörterbuch während der Bearbeitungsphase immer mehr von der „marxistisch-leninistischen Weltanschauung“ (Vorbemerkung des WDG von 1971, vgl. auch Haß-Zumkehr 2001: 225ff.) beeinflusst wird. Zum Ausmaß der ideologischen Einflüsse hält Undine Kramer rückblickend fest: „Seen from the perspective of the 21st century, the proportion of entries noticeably influenced by East German (GDR) political ideology is comparatively slight.“ (Kramer 2006: 49). Auch Schaeder kommt zu dem Schluss, dass der ideologische Wortschatz im WDG nur ca. 3 % des verzeichneten Wortschatzes ausmacht (vgl. Schaeder 1984: 88). Allerdings tut diese Kritik der Beliebtheit des WDG bei DaF-Lehrenden und -Lernenden aufgrund der konzeptionellen Vorzüge keinen Abbruch: „Die ausländischen Benutzer des WDG haben zwar Verständnis für die immer wieder heftig vorgeführten politisch-ideologischen Vorbehalte gegen das WDG, aber das WDG war und ist immer noch kraft der sorgfältig selektierten und präsentierten lexikographischen Daten eines der besten Wörterbücher für die ausländischen Germanisten.“ (Kromann 1995: 502).
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Dass diese Wörterbücher jedoch nicht für Fremdsprachenlernende konzipiert sind, führt zu deutlichen Nachteilen bei der Benutzung. Gerade beim Wahrig erschwert die unflexible Mikrostruktur das Auffinden von Phraseologismen und Komposita (vgl. Neubauer 2001: 1062, Kromann 1995: 503), auch ist die Definitionspraxis, die häufig fachliche Angaben aufnimmt34, nicht sehr benutzerfreundlich – sowohl für Muttersprachler wie für Fremdsprachenlernende. Der kritische Rückblick von Neubauer zeigt aber auch, wie beliebt „der Wahrig“ mangels eines geeigneteren Nachschlagewerks im DaF-Unterricht war: Trotz dieser Schwierigkeiten für Benutzerinnen und Benutzer war das einbändige Wahrigsche Wörterbuch über Jahrzehnte hinweg das einzig einbändige Wörterbuch, das auch im DaFUnterricht sowohl von Lehrenden wie auch von Lernenden verwendet wurde. (Neubauer 2001: 1062f.)
Trotz dieser Kritik wird die Eignung für Deutschlernende von der Wörterbuchredaktion des Wahrig immer wieder in den Vorwörtern herausgestellt – so auch in der neusten Ausgabe: „Seitdem hat sich dieses einsprachige Wörterbuch zu einem Standardwerk entwickelt, das im In- und Ausland – sowohl für Muttersprachler als auch für Deutschlernende – ein wichtiger Ratgeber für den Umgang mit der deutschen Sprache ist.“ (Vorwort der aktuellen Ausgabe des Wahrig, 2006). Auch beim Duden Universalwörterbuch werden DaF-Lernende als potentielle Benutzer genannt: „Das Universalwörterbuch wendet sich an alle, die aus beruflichen oder privaten Gründen ein großes Interesse an der deutschen Sprache haben. Dazu zählen professionell Schreibende, Lehrende und Lernende, Muttersprachler und Nichtmuttersprachler.“ (Vorwort der aktuellen DUW-Ausgabe 2006). Nicht nur aus der Konzeption der einsprachigen Wörterbücher lässt sich erschließen, dass diese Nachschlagewerke den fremdsprachlichen Benutzern Probleme bereiten, diese sind auch aus der Unterrichtspraxis belegt. Am Beispiel von fortgeschrittenen DaF-Lernenden, welche sich in Deutschland zur Vorbereitung der Deutsch-Prüfung aufhalten, kann Neubauer zeigen, dass diese bei verschiedenen Typen von Nachschlagehandlungen nur mäßig erfolgreich sind – sowohl in ein- wie auch in zweisprachigen Wörterbüchern (vgl. Neubauer 1985: 219ff., vgl. dazu Kapitel 7.2.2.). Aufgrund der Wörterbuchbenutzungsprotokolle konnte Neubauer zudem || 34 Weinrich weist schon 1976 darauf hin, dass die Definitionspraxis des Wahrig nicht pragmatisch ausgerichtet sei und kritisiert speziell den Artikel Seife: „1. zum Reinigen verwendete Natriumsalze od. Kaliumsalze von höheren Fettsäuren 2. Waschmittel“ (Wahrig). Wichtiger sei es doch, die Verwendung von Seife anzuführen als deren Inhaltstoffe bzw. Herstellung (vgl. Neubauer 2001: 1062). Trotz dieser Kritik findet sich diese Definition immer noch in der aktuellen Auflage des Wahrig. Eher pragmatisch – und damit im Sinne Weinrichs geeigneter – dagegen die Definition im DUW: „meist in Form von handlichen Stücken einer festen Substanz, auch in flüssiger od. pastenartiger Form hergestelltes wasserlösliches Mittel zum Waschen, das bes. in der Körperpflege verwendet wird“ (DUW 2006).
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herausarbeiten, dass der Erfolg der Nachschlagehandlungen z.T. lediglich daran scheitert, dass den Lernenden die jeweiligen Wörterbuchkonventionen (etwa Abkürzungen) unbekannt sind – ein Kenntnismangel der sich durch eine in den DaFUnterricht integrierte Wörterbuchdidaktik leicht beheben ließe. Tatsächlich nutzen die DaF-Lernenden zwar die einsprachigen Wörterbücher, eine vorausgegangene Einweisung in die Benutzung von Wörterbüchern ist dagegen eher selten und eher auf punktuelle statt auf kontinuierliche Hilfe ausgelegt. Auch Burkhard Schaeder kommentiert aus Sicht eines DaF-Lehrenden den Umgang mit einsprachigen Wörterbüchern im DaF-Unterricht kritisch: Es zeigte sich, dass alle fortgeschrittenen Lerner des Deutschen […] zwar ein größeres einsprachiges Wörterbuch des Deutschen besaßen und nutzten, aber niemals darin unterrichtet worden waren, wie dieses Instrument bzw. Werkzeug beschaffen ist und auf welche Weise man es möglichst gewinnbringend einsetzen kann. (Schaeder 1996: 191)
Die Förderung der Wörterbuchbenutzungsfertigkeiten wird häufig bereits im institutionalisierten Unterricht versäumt: Umfragen in den 1980er Jahren zur Wörterbuchbenutzung in Schulen haben gezeigt, dass lexikodidaktische Einführungen in die Gebrauchsmöglichkeiten von Wörterbüchern oftmals unzureichend waren oder gänzlich fehlten (vgl. Herbst/Klotz 2003: 287f.). Zwei- und einsprachige Wörterbücher wurden zwar im Unterricht eingeführt, eine systematische Wörterbucharbeit sowie Übungen zur Wörterbuchbenutzung blieben jedoch häufig aus (vgl. Heath/ Herbst 1985: 583f., Herbst/Stein 1987: 119f.). Eine mögliche Erklärung dieses Versäumnisses könnte darin liegen, dass bis in die 1990er Jahre ein deutlicher Schwerpunkt des (schulischen) Fremdsprachenunterrichts auf der Vermittlung von grammatischem Wissen lag (vgl. Gnutzmann 1995: 73) und dies auch von Seiten der Schulbuchverlage durch entsprechende Angebote unterstützt wurde. Eine weitere mögliche Erklärung liegt in dem Widerspruch zwischen der kontrollierten Benutzung von Hilfsmitteln und dem übergeordneten Ziel, in der Fremdsprache kompetent und spontan kommunizieren zu können (vgl. Herbst/Klotz 2003: 288f.). Auch Hans-Werner Huneke und Wolfgang Steinig machen die Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts auf kommunikative Fähigkeiten für die partielle Vernachlässigung des systematischen Wortschatzerwerbs verantwortlich: „Lehrer, die versuchten, Prinzipien eines lernerorientierten, kommunikativen Fremdsprachenunterrichts in ihrer Praxis umzusetzen, haben manchmal die Wortschatzarbeit weiter gehend vernachlässigt: ‚Vokabeln abzufragen‘ passte nicht mehr in die pädagogische Landschaft […]“ (Huneke/Steinig 2010: 169). Eine mögliche Lösung für diesen Konflikt sehen Thomas Herbst und Michael Klotz darin, den Lernenden im fremdsprachlichen Unterricht weniger kommunikative Fähigkeiten als vielmehr Problemlösungskompetenzen zu vermitteln: „Dazu gehören neben der eigentlichen Sprachkompetenz gewisse allgemein-pragmatische
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Fähigkeiten und eben vorrangig auch eine Wörterbuchbenutzungskompetenz.“ (Herbst/Klotz 2003: 288f.). Denn neben Fähigkeit, sich in der Fremdsprache adäquat ausdrücken und kommunizieren zu können, muss bei der Konzeption des fremdsprachlichen Unterrichts ebenso berücksichtigt werden, dass „die Verwendung einer Fremdsprache so gut wie immer die Benutzung von Wörterbüchern beinhalte“ (Herbst/Klotz 2003: 288). Als weiteren Grund für die Vernachlässigung von Wörterbuchbenutzungskompetenzen führt Steinmetz die ebenso kritische Haltung der DaF-Lehrenden an: „Viele Lehrer stehen dem Wörterbuch recht skeptisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber.“ (Steinmetz 1995: 279). Manche Praktiker raten sogar dezidiert von der Benutzung von Wörterbüchern im fremdsprachlichen Unterricht ab: So kommt Funk zu dem Schluss, dass „[d]er Griff zum Wörterbuch […] prinzipiell immer nur die zweitbeste Möglichkeit der Bedeutungserschließung“ (Funk 1990: 23) ist. Rainsbury möchte Lernende gar von der Benutzung von Wörterbüchern abhalten, da einsprachige Wörterbücher für Lernende unverständlich seien und zweisprachige eine Vielzahl von synonymen Äquivalenten anführen: „I do not ban dictionaries, but I discourage their use and try to persuade the student that, in class at least, he can do better without one.“ (Rainsbury, zitiert nach Bensoussan et al. 1984: 264, vgl. auch Béjoint 1989: 209). Einen weiteren wichtigen Grund für die Vernachlässigung der Wörterbücher im Unterricht sieht Tinnefeld in der Haltung der Lernenden gegenüber Wörterbüchern, welche kritisch bis ablehnend sei: Gerade von fortgeschrittenen Fremdsprachenlernenden wird das Nachschlagen im Wörterbuch als „notwendiges Übel“ (Tinnefeld 1992: 22) empfunden und eben „nicht als Chance zur eigenen Verbesserung“ (Tinnefeld 1992: 22). Funk macht in diesem Zusammenhang Lernende explizit auf die Mängel der zur Verfügung stehenden Wörterbücher aufmerksam: Sie werden zwar zunächst herausfinden, daß Wörterbücher von Lexikologen und nicht von Fremdsprachenlehrern geschrieben werden, und daß auch aus diesem Grund nicht alle Wörterbücher gleich brauchbar für Sprachlerner sind. Gerade deshalb aber sollte ihr Gebrauch im Unterricht selbst geübt werden. (Funk 1990: 28)
Abgesehen von dem naheliegenden Schluss, dass der Umgang mit Wörterbüchern (besser) im Deutschunterricht eingeübt werden muss, sollte auch beachtet werden, dass die konkreten Benutzerbedürfnisse immer durch die Wörterbuchkultur des Herkunftslandes geprägt sind – Fremdsprachenlehrende sollten sich dieses Problems bewusst sein und ggf. kulturabhängige Probleme bei der Benutzung thematisieren (vgl. hierzu auch Hartmann 1989a: 186): Die Benutzerbedürfnisse sind relativ zum jeweiligen ausländischen Bildungssystem sowie zur Wörterbuchkultur (-didaktik) des jeweiligen Landes zu beschreiben und zu beurteilen. (Kromann 1995: 503)
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Seit 1993 hat sich die Arbeit mit Wörterbüchern im DaF-Unterricht insofern stark verändert, als dass in diesem Jahr mit dem LGWDAF das erste, für Lernende konzipierte, einsprachige Nachschlagewerk auf den Markt gekommen ist. Obwohl das LGWDAF den Bedürfnissen eher entgegenkommt als die einsprachigen, für Muttersprachler konzipierten Wörterbücher, muss dennoch hinterfragt werden, ob dieser Wörterbuchtyp tatsächlich für die Lernenden am besten geeignet ist (vgl. auch Kühn 2010a: 307f.): Trotzdem ist in der Fremdsprachendidaktik keineswegs geklärt, ob der fast mythische Glaube von manchen Fremdsprachenlehrenden, dass das einsprachige Wörterbuch für die Lernenden besser, hilfreicher und didaktisch sinnvoller sei als das traditionelle zweisprachige, wirklich gerechtfertigt ist. Empirische Untersuchungen gibt es bisher nur wenige. (Neubauer 2001: 1064)
Bei den bis heute erschienenen Lernerwörterbüchern ist daher unbedingt durch Wörterbuchbenutzungsforschung zu überprüfen, ob sie den Bedürfnissen der Lernenden tatsächlich entsprechen (vgl. Kapitel 7). Nach kritischer Begutachtung der ersten deutschsprachigen Lernerwörterbuchgeneration kommt Kühn 2010 zu dem Schluss: „[A]llgemeine einsprachige Wörterbücher des Deutschen sind für Semantisierungszwecke in der Regel ungeeignet, Lernerwörterbücher weisen ebenfalls noch viele Schwachstellen auf.“ (Kühn 2010b: 1254). Dass die Probleme der Wortschatzvermittlung und Wörterbuchdidaktik mit dem Erscheinen des LGWDAF und seinen zahlreichen Nachfolgern keinesfalls gelöst sind, wird auch durch die lernerlexikographische Forschung deutlich (vgl. Kühn 2010a: 304f.). So bedauert Burkhard Schaeder aufgrund seiner Erfahrung als DaFLehrender weniger das jahrzehntelange Fehlen eines Lernerwörterbuch als vielmehr die fehlende Einbindung der Wörterbucharbeit in den Unterricht (vgl. Schaeder 1996: 191) – eine Feststellung, an der sich bis heute wenig geändert hat (vgl. auch Kühn 2010a: 30735): Was vielfach fehlt oder eine zu geringe Rolle spielt, sind Hinweise zur Nutzung von Lernhilfsmitteln und zur Arbeit mit Wörterbüchern, wo doch die Unterrichtspraxis zeigt, dass viele Lerner über die Leistungen von Nachschlagewerken zu wenig wissen und auch nicht die genügende Fertigkeit im Nachschlagen selbst besitzen. (Bohn /Schreiter 2000: 87)
|| 35 Neu ist immerhin, dass in den Curricula die Wörterbuchdidaktik und Übungen zum Umgang mit Wörterbüchern als autonome Lernhilfen theoretisch aufgewertet worden sind (vgl. auch Kapitel 2.2.3.): „Dabei muss sowohl für den muttersprachlichen als auch den fremdsprachlichen Deutschunterricht festgehalten werden, dass die hohe Wertschätzung des Wörterbuchs und der Wörterbucharbeit in den Curricula im krassen Gegensatz zur unzureichenden und mangelhaften Praxis der Wörterbuchbenutzung im konkreten Unterricht steht.“ (Kühn 2010a: 307).
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Untersuchungen zum Umgang von Lernenden mit dem Hilfsmittel Wörterbuch wie auch Einblicke in die Unterrichtspraxis zeigen, dass Wörterbucharbeit während und nach dem Unterricht eher informell stattfindet36. So konstatieren Christine Steinmetz und Hermann Funk, dass Wörterbücher während des Fremdsprachenunterrichts auf zwei Ebenen eingesetzt werden: Unter und auf dem Tisch, wobei die inoffizielle Nutzung weitaus häufiger ist als eine vom Lehrenden initiierte und gesteuerte Wörterbucharbeit (vgl. Steinmetz 1995: 279, Funk 1990: 23, Schneider 1993: 96ff.). Auch Gnutzmann weist auf das anhaltende Fehlen einer Wörterbuchdidaktik und entsprechender Übungen im institutionalisierten Unterricht hin (vgl. auch Schaeder 1996: 19537, Nied Curcio 2011: 209): Trotz verschiedener Bemühungen, eine Wörterbuchdidaktik im Fremdsprachenunterricht an Schulen und Hochschulen zu etablieren, bleibt festzuhalten, daß die Benutzung von Wörterbüchern in der Regel ‚im stillen‘ vorgenommen wird und nur ein geringer Teil der verfügbaren Information von den Benutzern abgerufen wird […]. (Gnutzmann 1995: 74)
Auch wenn die Wörterbuchdidaktik inzwischen sowohl bei der Fremdsprachendidaktik als auch bei der Lexikographie dringend benötigte Beachtung gefunden hat, ist eine Zusammenarbeit der beiden Disziplinen kaum festzustellen: Die wissenschaftliche Diskussion der Wörterbuchbenutzungsforschung und ihre didaktischen Anregungen sind in der Wörterbuchdidaktik bislang nicht berücksichtigt worden. Die ‚Praktiker vor Ort‘ bewegen sich mit ihren didaktisch-methodischen Ansätzen und Vorschlägen ständig im Kreis von Alphabetisierungs- und Nachschlageübungen38 – ohne die wissenschaftliche Diskussion der Wörterbuchbenutzungsforschung zur Kenntnis zu nehmen. Umgekehrt haben die bisherigen Ansätze aus der Unterrichtspraxis keinerlei Aufmerksamkeit und Berücksichtigung in der lexikographischen Diskussion gefunden. (Kühn 1998b: 3)
Zu klären ist auch, welche der beiden Disziplinen – Fremdsprachendidaktik oder Lexikographie – sich am besten mit wörterbuchdidaktischen Konzepten beschäftigen solle. Wiegand sieht weniger die Wörterbuchforschung als vielmehr die Didak-
|| 36 Ähnlich äußerst sich auch Augst zur Vernachlässigung von Wörterbüchern und Wörterbuchdidaktik im muttersprachlichen Unterricht: „Das alles [der Widerspruch zwischen Wörterbuchdidaktik und Unterrichtspraxis, MR] sind schon ungereimte Zeitzeichen: Auf der einen Seite eine große Forschung, ein großer Markt, auf der anderen Seite schulisches Desinteresse und wenig Nutzung.“ (Augst 1984: 4). 37 Schaeder kritisiert die fehlende Wörterbuchdidaktik gerade im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht, dessen Teilnehmende häufig eine berufliche Zukunft als Lehrender anstreben: „Die Rolle des Wörterbuchs im DaF-Unterricht wird bis heute – mit entsprechenden negativen Folgen für die Qualität der Ausbildung – notorisch unterbewertet.“ (Schaeder 1996: 195). 38 Vgl. hierzu auch die Kritik in der Studienbibliographie Deutsch als Fremdsprache: „Leider wird die Wörterbucharbeit aber immer noch auf die formale Handhabung des Wörterbuchs im Sinne des Sich-im-Wörterbuch-Zurechtfindens reduziert.“ (Honnef-Becker/Kühn 1998: 5).
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tik gefordert (vgl. Wiegand 1998b: 266), auch wenn eine enge Zusammenarbeit zwingend notwendig sei: Das Verhältnis von Wörterbuchbenutzungsforschung und Wörterbuchdidaktik läßt sich mithin – grob gesprochen – wie folgt charakterisieren: In der Benutzungsforschung wird die Wörterbuchbenutzung erforscht, und in der Wörterbuchdidaktik wird erforscht und gelehrt, wie man die Wörterbuchbenutzung lehrt und lernt. Daraus ergibt sich allerdings ein enger wechselseitiger Zusammenhang zwischen Benutzungsforschung und Wörterbuchdidaktik.“ (Wiegand 1998b: 266)
Durch die Arbeiten von Kühn et al. sind allerdings inzwischen „wörterbuchdidaktische Aufgabenfelder“ für den erst- wie fremdsprachlichen Unterricht umrissen worden: Diese beinhalten die Konzeption eines Nachschlagevorkurses (Übungen zum alphabetischen Ordnungssystem unter Berücksichtigung von besonders schwierigen Laut-Buchstaben-Zuordnungen), eines Nachschlageübungskurses (um Wörter schnell auffinden zu können), einer Wörterbuch-Propädeutik (inklusive einer Einführung in die Wörterbuchtypologie) sowie die Untersuchung der Wörterbucharbeit in lexikographischen Lernsituationen (vgl. Kühn 1998b: 10f.). Vorschläge zur Einbindung von Wörterbüchern in den Unterricht finden sich zum einen in Lehrwerken und Wörterbüchern selbst39 sowie in praktischen Hilfestellungen für Lehrende aus dem anglo-amerikanischen Raum. Thornbury schlägt in diesem Zusammenhang verschiedene Übungen vor, welche den Umgang mit Wörterbüchern auf ganz verschiedenen Ebenen einüben somit die Verarbeitungstiefe beeinflussen sollen: Etwa die Suche nach der richtigen Schreibweise, nach Bedeutungen, nach grammatischen Besonderheiten, nach Kollokationen etc. (vgl. Thornbury 2002: 66ff.). Wichtig sei vor allem die bewusste Einbindung der Lernenden: The more decisions the learner makes about a word, the greater the degree of cognitive processing, and hence the greater the likelihood of retention in memory. Every time leaners consult a dictionary they have initiated a decision-making process. (Thornbury 2002: 66)
Die Aufwertung, welche die (theoretische) Wortschatzdidaktik in den letzten Jahren erfahren hat, könnte durch das Erscheinen der ersten DaF-Lernerwörterbuchgeneration eine veränderte Sicht auf Wörterbücher im Unterricht wie beim Lernen zur Folge haben, falls Lehrende mehr als bisher die nun zur Verfügung stehenden Hilfsmittel nutzen und auch mit entsprechender didaktischer Unterstützung im Unterricht einsetzen. Insbesondere ein fundierter Überblick über die verschiedenen Wörterbuchtypen ist wichtig, damit Lernende die gesuchte Information überhaupt finden können:
|| 39 Die von Verlagen zur Verfügung gestellten Übungsmaterialien sollten jedoch mit der gebotenen Vorsicht verwendet werden: „They are generally meant to be used with only one dictionary, or with a few dictionaries from the same publishing house.“ (Béjoint 1989: 212).
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Das perfekte Wörterbuch gibt es für das Lehren und das zunehmend oft lebenslange Lernen fremder Sprachen nicht. Zu verschieden sind die vom Stand der Lernersprache abhängigen Gebrauchsanlässe. (Meißner 2003: 403)
Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass Übungen zur Wörterbuchbenutzung demnächst sowohl im DaF-Unterricht als auch in -Lehrmaterialien als notwendig erachtet und regelmäßig eingebunden werden: „Die Wörterbuchdidaktik gehört aber in die Obligatorik des Fremdsprachensprachenunterrichts [sic!]“. (Meißner 2003: 405).
5 Lernpsychologie und Lexikographie Die Gedächtnismechanismen, die Wissen aktualisieren und dem Bewusstsein zugänglich machen, spielen eine entscheidende Rolle bei allen kognitiven Prozessen und müssen daher auch berücksichtigt werden, wenn man Sprachrezeptions- und Sprachproduktionsmodelle erstellt. (Schwarz 2008: 104)
Muttersprachler greifen zum Wörterbuch, um ein punktuelles Defizit ihres orthographischen, lexikalischen, semantischen etc. Wissens zu beseitigen1; da sie über ein entsprechend großes Vorwissen verfügen, können sie die gefundenen Angaben relativ einfach interpretieren, in ihr Vorwissen integrieren und in der Kommunikation umsetzen. Für einen Fremdsprachenlernenden ist die Wörterbuchbenutzung dagegen ein komplexerer Informationsverarbeitungsprozess: Sucht der Lernende ein Wort in der Fremdsprache, muss er über das Wissen verfügen, wie das gesuchte Wort geschrieben wird und wo er es finden kann (ggf. erschwert durch Besonderheiten bei der Eingliederung sprachenspezifischer Buchstaben ins Alphabet); im Anschluss muss er die gefundenen Angaben richtig interpretieren können. Sucht er ein Wort in seiner Erstsprache, muss er in der Lage sein, die Angaben in der Fremdsprache zu verstehen und bei der Produktion richtig anzuwenden. Ein fortgeschrittener Lerner, der zu einem einsprachigen Lernerwörterbuch greift, hat bereits entsprechendes lexikalisches Vorwissen, das sich in einen allgemeinen und einen individuellen Lernerwortschatz unterteilen lässt. Sein Wissen über das (lexikalische) System der Fremdsprache ist jedoch nicht vollständig, was bei Wörterbuchkonzeption und Zugriffsstruktur entsprechend berücksichtigt werden muss. Sucht der Lernende aus einem punktuellen Defizit heraus nach einem ihm bereits bekannten Wort, bietet das einsprachige Lernerwörterbuch in gedruckter Form durch die alphabetische Anordnung eine gute Zugriffsstruktur; die Interpretation der gefundenen Daten sollte für einen fortgeschrittenen, in der Wörterbuchbenutzung erfahrenen Lernenden problemlos möglich sein. Sobald der Lernende jedoch nach einem Ausdruck in der Fremdsprache sucht, werden seine Suchmöglichkeiten durch die alphabetische Anordnung in gedruckten Lernerwörterbüchern bzw. durch die Abfragemöglichkeiten in digitalisierten Versi|| 1 Studien zur Wörterbuchbenutzung von Muttersprachlern haben ergeben, dass diese in erster Linie Bedeutungs- und Rechtschreibeangaben nachschlagen (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 87). Dies wird auch gestützt von Kühn und Püschel, die in ihrer Befragung von Deutschlehrenden nachgewiesen haben, dass diese einsprachige Wörterbücher – insbesondere den Rechtschreibduden – dazu nutzen, Bedeutungsangaben (Bedeutungsnuancen bei bekannten Wörtern, Bedeutungsangaben bei ungebräuchlich gewordenen Wörtern) sowie Herkunft und Etymologie nachzuschlagen (vgl. Kühn/Püschel 1982: 139f.).
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onen dieser Lernerwörterbücher stark eingeschränkt. Der Lernende ist in dieser Situation abhängig von seinem Vorwissen. Im ungünstigsten Fall kann er auf dieses nicht zugreifen und ist somit auf die Benutzung eines zweisprachigen Wörterbuchs angewiesen2. Im Idealfall ist es dem Lernenden möglich, sein Vorwissen – etwa zu einem bestimmten Wortfeld – abzurufen und für seine Suchanfrage zu nutzen. Hier sollte es das Ziel der Lernerlexikographie sein, diese Such- und Abrufprozesse zu unterstützen. Daher ist nicht nur die Frage wichtig, wie das Lernen von Wortschatz mithilfe von lernpsychologischen Erkenntnissen unterstützt werden kann, um bereits beim Lernen sicherzustellen, dass später lexikalische Informationen problemlos abgerufen werden können, sondern auch, inwiefern Wörterbücher den Abruf vorhandenen Wissens optimal unterstützen können. Produkte der Lernerlexikographie könnten so zu echten Lernwörterbüchern ausgebaut werden (zur Terminologie von ‚Lern‘bzw. ‚Lernerwörterbuch‘ vgl. Kapitel 6.1.). Dazu sollen im Folgenden zunächst Erkenntnisse zu Gedächtnismodellen und Informationsverarbeitungsprozessen der kognitiven Psychologie dargestellt und hinsichtlich lernerlexikographisch relevanter Fragestellungen ausgewertet werden. Die folgenden Aspekte sollen im Weiteren näher berücksichtigt werden: – Wie wird Wissen gespeichert? – Um diese Frage beantworten zu können, wird in Kapitel 5.1 die Struktur des menschlichen Gedächtnisses beschrieben. Auf dieser Grundlage sollen in Kapitel 5.2. die Prozesse der Informationsverarbeitung dargestellt werden. – Auf welche Weise können Informationen strukturiert und präsentiert werden, um von den Lernenden optimal für den Zugriff gespeichert zu werden? – Da Fremdsprachenlernende in Kommunikationssituationen auf lexikalische Informationen zugreifen müssen, ist insbesondere die Schnelligkeit des Zugriffs von großer Bedeutung. Daher soll mithilfe der Lernpsychologie und Wortschatzdidaktik in Kapitel 5.3. zunächst dargestellt werden, welche Lerntechniken beim Wortschatzerwerb eingesetzt werden können, um im Anschluss (Kapitel 5.4.) zusammenfassend festzuhalten, was die Tiefe der Informationsverarbeitung sowie die Schnelligkeit des Zugriffs in Zusammenhang mit Lernerlexikographie fördert.
|| 2 Informationen darüber, welche Angaben Fremdsprachenlernende in Wörterbüchern suchen, bietet der Überblick zur Wörterbuchbenutzung dieser Benutzergruppe in Kapitel 7.2.3.
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5.1 Lernen und Gedächtnis Spracherwerb erfordert eine Vielzahl an kognitiven Fähigkeiten3: Lernende müssen in der Lage sein, fremdsprachliche Grammatikregeln oder Lexik zu verstehen, zu lernen sowie in Kommunikationssituationen richtig anzuwenden. Dies alles setzt voraus, dass Lernende über zahlreiche weitere Fähigkeiten verfügen, um diese komplexen Aufgaben bewältigen zu können – und zudem bereit sind, sich neues Wissen anzueignen. In der Lernpsychologie ist Lernen nicht allein reduziert auf die gezielte Aneignung von Wissen, „Lernen beinhaltet Veränderungen im Verhalten, in Einstellungen, Fertigkeiten, Gewohnheiten und Gefühlen, die durch die Interaktion eines Organismus mit der Umwelt entstehen“ (Winkel et al. 2006: 11)4. Der Lernerfolg zeigt sich als „überdauernde Veränderung des Wissens bzw. der kognitiven Struktur“ (Bednorz/Schuster 2002: 25) nicht nur in der Reproduktion angeeigneten Wissens, sondern auch in neu erworbenen Fähigkeiten. In Abhängigkeit von den unterschiedlichen Lernsituationen sowie den individuellen Fähigkeiten der Lernenden kann zwischen verschiedenen Lernformen unterschieden werden (vgl. Winkel et al. 2006: 14ff): – Beim assoziativen Lernen werden von den Lernenden Zusammenhänge erworben. Dies kann einerseits unbewusst vorgenommen werden durch die Schaffung von Verknüpfungen zwischen bestimmten Reizen und Verhaltensweisen (etwa beim klassischen Konditionieren5). Andererseits können Reaktionen auf bestimmte Verhaltensweisen auch bewusst herbeigeführt werden (operantes Konditionieren6).
|| 3 Die folgende Darstellung beruht auf den Erkenntnissen der kognitiven Psychologie, die sich hauptsächlich mit Kognition, also Wissenserwerb und dem Prozess der Informationsverarbeitung, beschäftigt (vgl. Edelmann 2000: 114): „Der Begriff Kognition bezieht sich in der seit den 60er Jahren immer mehr dominierenden sogenannten kognitiven Psychologie auf alle Prozesse, durch die Wahrnehmungen transformiert, reduziert, verarbeitet, gespeichert, reaktiviert und verwendet werden.“ (Mayer 2005: 128). 4 Lernen wird somit abgesetzt von „angeborene[n] bzw. genetisch festgelegte[n] Reaktionstendenzen, Reifung oder vorübergehende[n] Zustände[n] (z.B. Müdigkeit, Krankheit, Alterung, Triebzustände)“ (Winkel et al. 2006: 12). 5 Die Theorie des klassischen Konditionierens wird von Malte Mienert und Sabine Pitcher wie folgt zusammengefasst: „Von dem russischen Physiologen Pawlow begründete Theorie, die besagt, dass einem natürlichen, meist angeborenen sogenannten unbedingten Reflex durch Lernen ein neuer, bedingter Reflex hinzugefügt werden kann. Dieser löst dann ebenfalls eine Reflexreaktion aus, die der unbedingten Reaktion sehr ähnlich ist.“ (Mienert/Pitcher 2011: 34). 6 Der Unterschied zwischen klassischem und operantem Konditionieren kann folgendermaßen beschrieben werden: Operantes Konditionieren ist ein „[z]uerst von Thorndike erforschtes Paradigma, das das Erlernen von Reiz-Reaktions-Mustern aus ursprünglich spontanem Verhalten be-
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Beim nicht-assoziativen Lernen dagegen entfällt eine Verknüpfung zwischen Reiz und Verhaltensweise, Lernen findet hier auf sensorischer Ebene statt. Damit ist dies eine sehr einfache Form des Lernens und kann auch bei Tieren beobachtet werden. Kognitives Lernen umfasst den bewussten Erwerb von Wissen; hier sind Prozesse der Informationsverarbeitung äußerst wichtig: „Kognitive Konzeptionen des Lernens zentrieren sich jedoch auf den Erwerb von Wissen und Wissensstrukturen anstatt auf das Verhalten an und für sich.“ (Shuell, zitiert nach Schermer 2006: 12). Sozial-kognitives Lernen findet dort statt, wo soziale Umwelteinflüsse einen wichtigen Lernfaktor bilden. Unter implizitem Lernen werden all jene Lernprozesse zusammengefasst, die den Lernenden nicht bewusst sind, etwa der Erwerb motorischer Fähigkeiten. Allerdings kann auch Wissen implizit erworben werden (etwa Sprachwissen im ungesteuerten Fremdsprachenerwerb).
Die folgende Darstellung wird sich darauf beschränken, Prozesse und Merkmale des kognitiven und impliziten Lernens zu beschreiben, soweit diese für den Erwerb von Sprachwissen und Lexik von Bedeutung sind. Analog zu den verschiedenen Lernformen existieren auch verschiedene Arten von Wissen7, wobei Wissen als die Gesamtmenge der Informationen verstanden werden kann, die ein Individuum intern gespeichert hat, inklusive der Fähigkeiten, die für die Anwendung dieses Wissens notwendig sind (vgl. Schwarz 2008: 99). In der Lernpsychologie besteht daher ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Sachwissen und Handlungswissen (vgl. Edelmann 2000: 11): – Sachwissen oder deklaratives Wissen ist das Wissen, welches von Lernenden bewusst erworben wird. Deklaratives Wissen ist explizit, bewusst und sprachlich ausdrückbar und wird langfristig im deklarativen Gedächtnis gespeichert (vgl. Kapitel 5.1.5.). – Handlungswissen oder prozedurales Wissen wird dagegen häufig implizit erworben. Es beschreibt das Wissen, welches nötig ist, um Aufgaben bewältigen und Probleme lösen zu können, wobei verschiedene Arten von Fähigkeiten benötigt werden. Beim Schreiberwerb sind dies psychomotorische, beim Multiplizieren eher kognitive Fähigkeiten. Ein wesentlicher Unterschied zum Sachwissen besteht darin, dass die Häufigkeit der Anwendung einen Einfluss auf das
|| schreibt. Die Häufigkeit eines Verhaltens wird durch seine angenehmen oder unangenehmen Konsequenzen nachhaltig verändert.“ (Mienert/Pitcher 2011: 34, vgl. auch Mayer 2005: 113ff.). 7 Zur Problematik der Einteilung der verschiedenen Wissensarten hält Edelmann fest: „Wenn man an die außerordentliche Fülle kognitiver Leistungen denkt, kann es nicht verwundern, dass verschiedene Autoren zu unterschiedlichen Ordnungssystemen gelangen.“ (Edelmann 2000: 116).
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Wissen hat: Je häufiger prozedurale Fähigkeiten angewendet werden, desto eher tritt eine Automatisierung ein. Diese Form des Wissens wird im nondeklarativen Gedächtnis gespeichert (vgl. Kapitel 5.1.5.). In der kognitiven Psychologie wird Lernen als Informationsverarbeitungsprozess betrachtet (vgl. Schermer 2006: 12), wobei sich dieser Prozess in verschiedene Teilprozesse gliedern lässt: der Enkodierung, der Speicherung sowie der Dekodierung von Informationen (vgl. Edelmann 2000: 164). Um langfristig Informationen speichern zu können, sind die Form der Kodierung sowie das Gedächtnissystem entscheidend, welches sich wiederum aus verschiedenen Teilsystemen zusammensetzt. Im Folgenden sollen sowohl die Lernprozesse wie auch die Gedächtnissysteme näher vorgestellt werden, um den Prozess des (Wortschatz-)Lernens adäquat erfassen zu können. Denn: „Lernen und Gedächtnis lassen sich nicht voneinander trennen.“ (Edelmann 2000: 277). Aber nicht nur die interne Speicherung von Wissen im Gedächtnissystem, auch das Wissen, wo man Informationen extern suchen kann, spielt eine immer wichtigere Rolle beim Wissenserwerb und der Vermittlung von Arbeitstechniken – insbesondere beim Spracherwerb. So müssen sich Lernende nicht sämtliche grammatischen Regeln einprägen, im Zweifelsfall können sie diese in der entsprechenden Grammatik nachschlagen. Dies gilt umso mehr für den fremdsprachlichen Wortschatz, dessen Größe einen vollständigen Erwerb ausschließt (vgl. Kapitel 2.2). Daher muss hinsichtlich des Systems, in dem Wortschatz gespeichert wird, konstatiert werden: Ein immer größerer Teil der Gedächtniskapazität wird von der Kenntnis, wo man eine Information suchen kann, besetzt. Unser Gedächtnis findet durch Bücher, speziell Wörterbücher und Lexika bzw. Lehrbücher und Handbücher von Wissensgebieten, eine wichtige externe Erweiterung. (Metzig/Schuster 2006: 5)
Entscheidend für den Ort der Speicherung ist hier die Gebrauchshäufigkeit des Wissens: Wortschatz, der in der Fremdsprache häufig benutzt wird, sollte gelernt und im Langzeitgedächtnis gespeichert werden, Wörter, die nicht zum Standardwortschatz zählen, können dagegen eher in externen Speichern wie Wörterbüchern nachgeschlagen werden (vgl. Metzig/Schuster 2006: 6). Diese Erkenntnis untermauert umso mehr die Bedeutung des systematischen Wortschatzerwerbs im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs sowie die adäquate externe Speicherung von Wortschatz in (Lerner-)Wörterbüchern.
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5.1.1 Das Mehrspeichermodell Um Struktur und Funktionen des Gedächtnisses und die verschiedenen Arten der Informationsverarbeitung beschreiben und erklären zu können, wird in der Psychologie mit Gedächtnismodellen8 gearbeitet, deren Entwicklung vor der Darstellung des aktuellen Erkenntnisstandes im Folgenden kurz vorgestellt werden soll. Bevor Lern- und Erinnerungsvorgänge zum Gegenstand der psychologischen Forschung geworden sind, haben bereits in der Philosophie Gedächtnismodelle existiert, die einen spürbaren Einfluss auf allgemeine Gedächtnisvorstellungen hatten. Platon etwa hat den Prozess des Lernens mit dem des Einschreibens in eine Wachstafel verglichen: [W]essen wir uns erinnern wollen von dem Gesehenen oder Gehörten oder auch selbst Gedachten, das drücken wir in dieser Tafel ab, indem wir an sie die Wahrnehmungen und Gedanken drücken, wie beim Siegeln mit dem Gepräge eines Ringes. (Platon,Theaitetos9)
Vor diesem Hintergrund kann auch die Terminologie, welche zur Bezeichnung neuronaler Lernprozesse verwendet wird, eingeordnet werden, der zufolge physiologische Veränderungen im Gehirn durch Wissenserwerb als Engramme (Einschreibungen) bezeichnet werden (vgl. Gruber 2011: 109ff.). Ähnliches gilt auch für die Alltagssprache, wenn davon die Rede ist, dass man sich etwas einprägen müsse. Weiterführende Untersuchungen zum Aufbau und zur Funktionsweise des Gedächtnisses sind systematisch jedoch erst im Rahmen der experimentellen Ge-
|| 8 Abzugrenzen von den Gedächtnismodellen – wenn auch teilweise schwer abgrenzbar, da auch zur Beschreibung der Modelle (vgl. Mearas Definition von model: „A model is a detailed description of a process or an operation“ (Meara 1997: 110)) z.T. Metaphern verwendet werden – sind die verschiedenen Metaphern, mit denen die Speicherung von Informationen auf verständliche Weise beschrieben werden sollen. So soll mit der Computermetapher der Prozess der Informationsverarbeitung – Input, Intake, Output – beschrieben werden, wohingegen die Metapher des mentalen Lexikons dazu dient, Umfang und Art der Speicherung sprachlicher Informationen zu umschreiben (vgl. De Florio-Hansen 2006: 181): „Zweifelsohne haben die unterschiedlichen Metaphern im Laufe der Zeit in großem Umfang dazu beigetragen, unsere Vorstellungen vom Funktionieren (und partiellem Versagen) des Gedächtnisses zu präzisieren.“ (Königs 2000: 131f.). 9 Das vollständige Zitat aus dem Dialog zwischen Theaitetos und Sokrates beschreibt den Vorgang des Erinnerns und Vergessens näher: „Diese [Tafel, MR], wollen wir sagen, sei ein Geschenk von der Mutter der Musen, Mnemosyne, und wessen wir uns erinnern wollen von dem Gesehenen oder Gehörten oder auch selbst Gedachten, das drücken wir in dieser Tafel ab, indem wir an sie die Wahrnehmungen und Gedanken drücken, wie beim Siegeln mit dem Gepräge eines Ringes. Was sich nun abdrückt, dessen erinnern wir uns und wissen es, solange nämlich sein Abbild vorhanden ist. Hat sich aber dieses verlöscht oder hat es gar nicht abgedruckt werden können, so vergessen wir die Sache und wissen sie nicht.“ (Platon in deutscher Übersetzung, vgl. www.opera-platonis.de/ Theaitetos.pdf).
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dächtnispsychologie gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt worden. Hermann Ebbinghaus untersuchte 1885 in gedächtnispsychologischen Selbstversuchen10, die das Auswendiglernen von inhaltsleeren Silben umfassten, Speicherkapazität und Speicherdauer des menschlichen Gedächtnisses. Sein Ansatz basierte auf den sich auf Experimente und Selbstversuche stützenden Methoden der Psychologie seiner Zeit (vgl. Winkel et al. 2006: 20). Die Speicherkapazität des Gedächtnisses wurde damit erstmals systematisch untersucht (vgl. Anderson 1996: 167); seine Untersuchungsergebnisse belegen, dass die Behaltensleistung durch erneutes Lernen desselben Stoffs gesteigert wird und dass dieses Überlernen deutlich weniger Zeit in Anspruch nimmt (sog. „Ersparnismethode“, vgl. Gruber 2011: 11). Ebenso wird deutlich, dass Gelerntes ohne eine erneute oder intensive Beschäftigung mit den Lerninhalten sehr schnell vergessen wird, ein Großteil unmittelbar nach der Lernphase (vgl. Anderson 1996: 168, Edelmann 2000: 165, Schermer 2006: 109). Die Relation zwischen Zeit und dem Prozentsatz an Vergessenem stellte Ebbinghaus in einer Vergessenskurve dar, welche großen Einfluss auf die nachfolgenden Untersuchungen zur Gedächtnisleistung hatte. Bei den Experimenten von Ebbinghaus muss allerdings auch beachtet werden, dass das Vergessen stark von Lerninhalten und Lernform abhängig ist: Verbales Material (Lernen von relativ einfachen Elementen durch assoziative Verknüpfung, z. B. Paarassoziationen, Wortreihen, Ziffernfolgen usw.) wird nur dann so vergessen, wenn es auch so ähnlich gelernt wurde, nämlich durch wiederholtes wortwörtliches Einprägen (Memorieren). (Edelmann 2000: 166)
Weiterführende Experimente zur Behaltensleistung von sinnvollen Informationen zeigen dagegen, dass etwa im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs zwar ebenfalls ein Großteil des Lernstoffs in Vergessenheit gerät, die Speicherdauer der Informationen durch deren Bedeutungsgehalt aber deutlich verlängert wird11: Während Inhalte, die unter experimentellen Bedingungen gelernt werden, ziemlich schnell wieder in Vergessenheit geraten, ist Einiges im Unterricht Gelernte ziemlich lange Zeit nach Schulabschluss noch nachzuweisen. (Mietzel 2007: 222)
|| 10 Ebbinghaus führte insgesamt 163 Selbstversuche durch, in denen er jeweils 13 sinnlose Silben auswendig lernte (vgl. Schermer 2006: 109). Die Ergebnisse seiner experimentellen Selbstversuche publizierte Ebbinghaus 1885 in seiner Habilitationsschrift Über das Gedächtnis: Untersuchungen zur experimentellen Psychologie, ein Jahr später wurde er zum Professor für experimentelle Psychologie in Berlin ernannt. 11 Weiterführende Experimente – zu Titeln von Fernsehsendungen – haben erwiesen, dass die Relation zwischen Zeitverlauf und Prozentsatz an Vergessenem nach einer gewissen Zeitspanne unwichtig wird: „Das meiste wurde in den ersten zehn Jahren vergessen, was umgekehrt heißt, dass sich die Probanden ungefähr genauso gut an Shows erinnerten, die 15 Jahre zurücklagen, wie an Shows, die zehn Jahren zurücklagen.“ (Gluck et al. 2010: 96).
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Bei sinnvollen Informationen scheinen sowohl die Inhalte wie auch die Art und Weise der Vermittlung einen großen Einfluss auf die Speicherdauer auszuüben12. Erst nach der Wende vom Behaviorismus zum Kognitivismus in den 1960er Jahren intensivierten sich die Untersuchungen zum menschlichen Gedächtnis erneut. Die alltägliche Erfahrung, dass einige Informationen vergessen, andere jedoch langfristig gespeichert werden, wurde in verschiedenen Arbeiten durch die Annahme erklärt, dass Informationen vor der Speicherung im Langzeitgedächtnis zunächst im Kurzzeitgedächtnis zwischengespeichert werden. Die Annahme eines Kurzzeitgedächtnisses und dessen Unabhängigkeit vom Langzeitgedächtnis wird auch dadurch gestützt, dass in Abhängigkeit davon, ob das Kurzzeit- oder das Langzeitgedächtnis betroffen ist, verschiedene Formen von Amnesie diagnostiziert werden können (vgl. Gruber 2011: 27ff). Das Kurzzeitgedächtnis (auch „short-term memory“ oder „primary memory“13 genannt) ist demnach zwischen die Wahrnehmung von Reizen aus der Umwelt und die Speicherung im Langzeitgedächtnis (auch „long-term memory“ oder „secondary memory“) geschaltet. Die Zweispeicher-Modelle wurden nach weiterführenden Experimenten um ein sensorisches Register bzw. ein sensorisches Gedächtnis ergänzt und damit zu Dreispeicher-Modellen weiterentwickelt, welche die Struktur und die Arbeitsweise des menschlichen Gedächtnisses weitgehend plausibel beschreiben können und bis heute einen großen Einfluss auf die kognitive Psychologie und Lernpsychologie haben (vgl. Anderson 1996: 169, Schermer 2006: 117). Das bekannteste und einflussreichste Modell der Gedächtnispsychologie zur Beschreibung der Informationsverarbeitung im menschlichen Gedächtnis ist das sog. Mehrspeichermodell14 (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 130; Mayer 2005: 142; Atkinson 1996: 169ff.), welches ursprünglich von Richard Atkinson und Richard Shiffrin (daher auch „Atkinson-Shiffrin-Modell“ genannt; s. Abbildung 2) in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts unter Berücksichtigung vorliegender gedächtnispsychologischer Forschungsergebnisse (vgl. Gruber 2011: 13) entwickelt wurde.
|| 12 Sehr kritisch äußern sich auch Bednorz und Schuster zu den Experimenten von Ebbinghaus hinsichtlich von möglichen Schlussfolgerungen auf die Behaltensleistung von sinnvollem Material: „[Mit Blick auf die beiden Modelle – ursprüngliches Kurzzeitmodell vs. Baddeleys Modell des Arbeitsgedächtnisses – ] erscheinen die theoretischen Früchte der traditionellen experimentellen Erforschung des Gedächtnisses – wenigstens retrospektiv betrachtet – doch stärker ‚erfunden‘ als im empirischen Sinn entdeckt.“ (Bednorz/Schuster 2002: 137). 13 Die Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Gedächtnis berücksichtigt die zeitlichen Differenzen bei der Wahrnehmung: Das primäre Gedächtnis befasst sich mit der Wahrnehmung und Verarbeitung der Gegenwart, das sekundäre Gedächtnis dagegen mit der Erinnerung an vergangene Ereignisse (vgl. Schermer 2006: 121). 14 Näher beschrieben wird das Mehrspeichermodell von Richard Atkinson und Richard Shiffrin erstmals 1968 in dem Aufsatz Human memory: A proposed system and its control processes.
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Von großer Bedeutung bei diesem Modell ist die Annahme, dass das menschliche Gedächtnis nicht als singuläres, sondern als modales System verstanden wird, an dem verschiedene Subsysteme – sensorisches Gedächtnis, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis – und Gehirnareale beteiligt sind. Diese Systeme haben die Aufgabe, Informationen zu enkodieren, zu speichern und für einen Abruf bereit zu halten. Atkinson und Shiffrin haben in ihren Publikationen darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Gedächtnissysteme sich in der Dauer der Speicherung, der Menge an Informationen, die aufgenommen werden können, und der Form der Enkodierung15 unterscheiden.
Enkodierung Sensorisches Gedächtnis
Kurzzeitgedächtnis
Langzeitgedächtnis Dekodierung
Abb. 2: Das Mehrspeichermodell von Atkinson und Shiffrin16
Das ursprüngliche Modell, bei dem zwischen sensorischem Gedächtnis, Kurzeitund Langzeitspeicher differenziert wurde, ist in den vergangenen Jahrzehnten überarbeitet und neueren Erkenntnissen angepasst worden (vgl. Abbildung 3). So geht man heute davon aus, dass das Kurzzeitgedächtnis – gerade bei implizitem Lernen – nicht zwingend zwischen Wahrnehmung von Reizen und Speicherung im Langzeitgedächtnis geschaltet ist (vgl. Gruber 2011: 27). Auch scheinen die von Atkinson und Shiffrin beschriebenen Mechanismen für den äußerst komplexen Vorgang der Informationsverarbeitung zu simpel: Das Dreispeichermodell ist anschaulich und in seinem Grundprinzip weithin anerkannt. Aus heutiger Sicht ist das Modell allerdings zu stark vereinfachend, da es den komplexen Aufbau der einzelnen Untereinheiten nicht berücksichtigt. (Winkel et al. 2006: 35)
Da die folgende Darstellung nicht auf die Entwicklung der Gedächtnispsychologie bzw. der wichtigsten Hypothesen und Modelle abzielt, orientiert sich die Darstellung an heute weithin anerkannten Hypothesen, bezieht aber ggf. auch wichtige
|| 15 Auf den Unterschied zwischen Kodierung und Enkodierung weist Thomas Gruber hin: „Während Enkodierung den Prozess der Einspeicherung meint, bezieht man den Begriff Kodierung auf den Code, mit dem Gedächtniseinträge abgespeichert werden.“ (Gruber 2011: 14). 16 Die Darstellung basiert auf den entsprechenden Graphiken in Seel/Hanke (vgl. Seel/Hanke 2010: 50) und Anderson (vgl. Anderson 1996: 169).
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Entwicklungen und Diskussionen mit ein, sofern sie Auswirkungen auf den Lernprozess und die Vermittlung von Wortschatz haben.
Implizites Lernen rehearsal
Sensorisches Gedächtnis
Aufmerksamkeit
Arbeitsgedächtnis
Enkodierung
Langzeitgedächtnis
Abruf
Abb. 3: Modifikation des Atkinson-Shiffrin-Mehrspeichermodells17
5.1.2 Kritik am Mehrspeichermodell Insbesondere zwei einflussreiche Publikationen haben dazu beigetragen, dass das Dreispeichermodell von Atkinson und Shiffrin maßgeblich überarbeitet und ergänzt worden ist. Die Kritikpunkte sowie daraus resultierende neue Gedächtnismodelle sollen im Folgenden unter Berücksichtigung aktueller Lerntheorien kurz umrissen werden.
5.1.2.1 Das Modell des Arbeitsgedächtnisses von Baddeley und Hitch Gerade die von Atkinson und Shiffrin postulierte Arbeitsweise des Kurzzeitgedächtnisses ist stark modifiziert worden. So geht man heute davon aus, dass das Kurzzeitgedächtnis, in dem wahrgenommene Reize (etwa visuelle oder akustische Wahrnehmungen) kurzfristig gespeichert werden, nur ein Teil des Arbeitsgedächtnisses (engl. „working memory“) ist. Darüber hinaus dient das menschliche Arbeitsgedächtnis – ähnlich wie der Arbeitsspeicher eines Computers – auch dazu, Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abzurufen und die neu aufgenommenen Informationen mit dem bereits vorhandenen Wissen zu verbinden: „Die Deutung des Kurzzeitgedächtnisses als Arbeitsgedächtnis sollte die Auffassung verstärken, dass das Kurzzeitgedächtnis kein Ort, sondern ein Prozess ist.“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 244) || 17 Die schematische Darstellung des Dreispeichermodells basiert auf der Graphik bei Franz J. Schermer (vgl. Schermer 2006: 117).
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Im Gegensatz zur passiven Speicherung im Kurzzeitgedächtnis erfolgt die Informationsverarbeitung im Arbeitsgedächtnis aktiv: „Ein Mensch ist sich der Informationen im sensorischen Speicher und im Langzeitgedächtnis […] so lange nicht bewusst, bis sie in das Arbeitsgedächtnis übertragen worden sind. In diesem Speicher finden auch jene Prozesse statt, die man als Denken bezeichnet.“ (Mietzel 2007: 212f.18). Folgenreich für die Konzeption des Mehrspeichermodells ist 1974 ein Experiment von Alan Baddeley und Graham Hitch19, welches eindrücklich demonstriert, dass Probanden zwei Aufgaben zeitgleich erledigen können – ohne, dass die Leistung des Kurzzeitgedächtnisses signifikant beeinträchtigt wird (lediglich bis zu ca. 5 % verglichen mit den Ergebnissen bei der getrennten Bearbeitung der Aufgaben, vgl. Schermer 2006: 126). Voraussetzung für den Erfolg der parallelen Bearbeitung ist jedoch, dass die Aufgaben auf unterschiedliche Sinnesmodalitäten ausgerichtet sind (etwa das Nachsprechen von Ziffern zeitgleich mit einer logischen Denkaufgabe). Dies weist darauf hin, dass sich das Arbeitsgedächtnis in mehrere Komponenten unterteilt, welche unterschiedliche Formen von Informationsverarbeitung leisten können. Daher schlägt Baddeley in seiner Neukonzeption des Mehrspeichermodells die Annahme eines Arbeitsspeichers vor, der aus mehreren Modulen besteht: der phonologischen Schleife (bzw. „artikulatorischen Schleife“, vgl. Anderson 1996: 172f.), dem visuell-räumlichen Notizblock und der zentralen Exekutive (vgl. Abbildung 4). – Die zentrale Exekutive übernimmt im Arbeitsgedächtnis die Steuerung und Koordination der Prozesse, kann aber selbst keine Informationen speichern. Diese Funktion übernehmen die beiden Subsysteme des Arbeitsgedächtnisses, die beide in ihrer Kapazität begrenzt sind, aber unabhängig voneinander arbeiten können: der visuell-räumliche Notizblock und die phonologische Schleife. – Die phonologische Schleife speichert akustische und sprachbasierte Wahrnehmungen. In diesem Subsystem werden akustische Reize über eine gewisse Zeitspanne gespeichert; zudem ist die phonologische Schleife für die Erhaltungswiederholung zuständig. – Durch Experimente kann festgestellt werden, dass hier nicht die Menge der zu verarbeitenden Informationen eine Rolle spielt, sondern die Geschwindigkeit, in der die Informationen wiedergegeben werden können (sog. „Wortlängeneffekt“, vgl. Anderson 1996: 172f., Gruber 2011: 39f.). Dieses und ähnliche Experi-
|| 18 Eine ähnliche Darstellung der Funktion des Arbeitsgedächtnisses lässt sich auch bei Norbert Seel und Ulrike Hanke finden: „Im Arbeitsgedächtnis läuft das Denken ab, weshalb das Arbeitsgedächtnis oft auch als das Bewusstsein (oder Bewusstwerden) begriffen wird.“ (Seel/Hanke 2010: 50). 19 Die These wird von Baddeley und Hitch erstmals 1974 in ihrem Aufsatz Working Memory veröffentlicht.
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mente zeigen, dass die Sprache einen enormen Einfluss auf die Behaltensleistung im Arbeitsgedächtnis zu haben scheint (vgl. Gruber 2011: 39f.). Der visuell-räumliche Block dagegen speichert visuelle und räumliche Informationen und verarbeitet diese für eine langfristige Speicherung: „Im Gegensatz zur phonologischen Schleife bedarf die Bereithaltung von Informationen im Notizblock keiner kontinuierlichen Wiederholung.“ (Schermer 2006: 126).
Arbeitsgedächtnis visuell-räumlicher Notizblock sensorisches Register
zentrale Exekutive Aufmerksamkeit phonologische Schleife
Abb. 4: Modifikation des Arbeitsgedächtnisses durch Baddeley (und Hitch)
In neueren Arbeiten hat Baddeley seinem Modell des Arbeitsgedächtnisses noch ein weiteres Subsystem hinzugefügt: den Ereignisspeicher oder „episodic buffer“ als Zwischenablage von Informationen aus Arbeits- und Langzeitgedächtnis, der allerdings „noch nicht so intensiv wie die anderen Komponenten erforscht ist“ (Mietzel 2007: 214).
5.1.2.2 Der Mehrebenenansatz von Craik und Lockhart Neben dem Aufbau des Kurzzeitgedächtnisses wurde auch die Annahme kritisiert, dass die Häufigkeit des Memorierens von entscheidender Bedeutung für eine langfristige Speicherung ist. Fergus Craik und Robert S. Lockhart weisen in ihrem Aufsatz Levels of processing: A framework for memory research (1972) darauf hin, dass für eine langfristige Speicherung vor allem die Art und Weise relevant ist, in der Informationen wahrgenommen und verarbeitet werden („Tiefe der Verarbeitung“, engl. „depth of processing“ (vgl. Metzig/Schuster 2006: 131) bzw. „level of processing“, vgl. auch Kapitel 5.2.1.1.). Anders als Atkinson und Shiffrin führen Craik und Lockhart die unterschiedliche Qualität der Speicherung in ihrem „levels-of-processing“ (LOP)-Modell (oder auch „Mehrebenenansatz“, vgl. Schermer 2006: 134) nicht auf unterschiedliche Gedächtnissysteme zurück, sondern auf hierarchische Unterschiede bei der Reiz-
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verarbeitung. Je nach Form des Reizes kann dabei zwischen einer flachen (Wahrnehmung physikalischer Merkmale wie Größe, Farbe etc.), einer mittleren (akustische Wahrnehmungen) und einer tiefen Verarbeitung unterschieden werden (vgl. Abbildung 5), welche die Informationsverarbeitung auf semantischer Ebene umfasst. Über die Tiefe der Verarbeitung entscheidet zum einen die Form des Reizes wie auch ein zentraler Prozessor im menschlichen Gedächtnis (vgl. Schermer 2006: 135). Die Tiefe der Verarbeitung hat dabei Konsequenzen für den Abruf: Je tiefer eine Information verarbeitet wird, desto umfassender und schneller kann der Lernende auf die Information zurückgreifen. Durch diese Annahme wird dem Informationsverarbeitungsprozess mehr Bedeutung zugesprochen als dem Speichersystem: „Mit dem LOP-Ansatz hat sich eine Änderung in der Modellierung grundlegender Gedächtnisvorstellungen vollzogen. Nicht mehr diskrete Speicher stehen im Vordergrund, sondern die Verarbeitungsprozesse selbst.“ (Zimmer 1988: 152).
Wahrnehmung physikalischer Merkmale flache Verarbeitung Zentrale Exekutive
Wahrnehmung akustischer Reize mittlere Verarbeitung Semantische Wahrnehmung tiefe Verarbeitung
Abb. 5: Mehrebenenansatz von Craik und Lockhart20
Durch die Annahme, dass die Art der Information sowie die Tiefe der Informationsverarbeitung und nicht das jeweilige Gedächtnissystem entscheidend sei, weichen Craik und Lockhart vom Mehrspeichermodell ab21 und entwickeln einen Mehrebenenansatz, bei dem davon ausgegangen wird, dass das Gedächtnis lediglich aus einem einzigen Speicher besteht.
|| 20 Die Darstellung basiert auf der Abbildung in Schermer (vgl. Schermer 2006: 135). 21 Bednorz und Schuster führen hier unter Anspielung auf die häufig genutzt Computer-Metapher (vgl. auch Schwarz 2008: 22ff.) zur Beschreibung der menschlichen Informationsverarbeitung an, dass man eher von mehr als weniger Speichersystemen ausgehen müsse: „Wenn man bedenkt, wie viele Zwischenspeicher und verschiedene Speichersysteme allein ein durchschnittlicher PC heute besitzt, wird man auch kaum annehmen wollen, dass ein so leistungsstarkes und kompliziertes biologisches System wie das Gehirn des Menschen nur mit drei getrennten Speichern auskommen sollte.“ (Bednorz/Schuster 2002: 147).
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Die Vertreter dieses Modells argumentieren, wenn das Entscheidende nicht das Memorieren der Information ist, sondern die Information in einer Art und Weise verarbeitet wird, die dem Aufbau einer Spur im Langzeitgedächtnis förderlich ist, so sei die Annahme eines Kurzzeitspeichers nicht mehr sinnvoll. (Mayer 2005: 145)
Gestützt wird dieser Ansatz durch verschiedene Experimente mit Orientierungsaufgaben (u.a. von Craik und Tulving), bei denen Probanden vorgegebene Informationen hinsichtlich bestimmter Merkmale einordnen22 – aber nicht bewusst lernen – mussten, wobei im späteren Verlauf des Experiments der Abruf der Informationen überprüft wurde. Dabei zeigte sich, dass semantisch zu verarbeitenden Informationen am besten, d.h. am tiefsten, aufgenommen wurden (vgl. Schermer 2006: 135f.). Trotz der überzeugenden empirischen Befunde wurde auch der Mehrebenenansatz stark kritisiert, wobei gerade der den Experimenten zugrundeliegende Zirkelschluss angegriffen wurde: „So wird durch eine bestimmte Orientierungsaufgabe angeregte Tiefe der Verarbeitung aus der Behaltensleistung erschlossen und gleichzeitig diese Behaltensleistung durch die Verarbeitungstiefe erklärt.“ (Schermer 2006: 136). In neueren Arbeiten wird auch die Bedeutung, welche der Informationsart beigemessen wird, stark reduziert. Aus dem Umstand, dass sich Lernende häufig nicht nur an den Inhalt, sondern auch an die Gestaltung von Büchern erinnern können, kann geschlossen werden, dass physikalische und semantische Informationen nicht unbedingt getrennt gespeichert werden: „Schließlich gibt es ja auch den Fall, dass nur noch sensorische Merkmale (z.B. die Farbe des Buches) behalten wurden, während der Inhalt gänzlich vergessen wird!“ (Schermer 2006: 137). Trotz aller Kritik an dem Modell wird in neueren Arbeiten das modifizierte Konzept der Verarbeitungstiefe in Form der Elaboration erneut aufgegriffen (zum Unterschied zwischen Elaboration und Verarbeitungstiefe vgl. Kapitel 5.2.1.1.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die verschiedenen Gedächtnismodelle unterschiedliche Aspekte der menschlichen Informationsbearbeitung berücksichtigen: Während das Dreispeichermodell „als anschauliches Grundmodell der Gedächtnisfunktionen“ (Winkel et al. 2006: 36) betrachtet werden kann, klärt das Modell der Verarbeitungstiefe, „wie Gedächtnisinhalte vom sensorischen über das Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis gelangen.“ (Winkel et al. 2006: 36). Im Folgenden werden die drei Subsysteme des Gedächtnisses und deren Merkmale näher vorgestellt, wobei besonders Kapazität und Dauer der Speicherung, die Form der Kodierung sowie die Organisation der Gedächtnissysteme näher betrachtet werden sollen.
|| 22 Die Probanden mussten bei diesem Experiment etwa die Form eines Gegenstands hinsichtlich bestimmter Merkmale beurteilen, beim Klang von Wörtern beurteilen, ob sich diese reimen, oder Angaben zur Bedeutung von Wörtern geben (vgl. Schermer 2006: 135f.).
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5.1.3 Das sensorische Gedächtnis Experimentell konnte nachgewiesen werden, dass zunächst alle Umweltinformationen als Wahrnehmungsreize unbewusst aufgenommen und sehr kurz in einem Teil des Gedächtnisses gespeichert werden (vgl. den Versuch von Sperling 196023): „[S]eine Inhalte gleichen folglich im hohem Maße den physikalischen Reizen, die sie – allerdings in die Sprache des Nervensystems umgesetzt – repräsentieren.“ (Mietzel 2007: 206). Der menschliche Wahrnehmungsapparat und ein Teil des Gedächtnisses sind somit miteinander gekoppelt. Dieser Teil des Gedächtnisses wird als „sensorisches Register“ (Bednorz/Schuster 2002: 130), „sensorischer Speicher“ (Bednorz/Schuster 2002: 130), „sensorisches Gedächtnis“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 237) oder „very shortterm memory“ (Mayer 2005: 143; als Übersetzung dazu: „Ultrakurzzeitgedächtnis“) bezeichnet. Verschiedene Experimente haben nachgewiesen, dass die Speicherkapazität des sensorischen Gedächtnisses sehr hoch ist (vgl. Mietzel 2007: 206, Zimbardo/ Gerrig 1999: 238), die Wahrnehmungen jedoch nur Millisekunden bis wenige Sekunden gespeichert werden. Je nach Sinnesorgan, welches die Reize weiterleitet, kann zwischen verschiedenen sensorischen Speichern unterschieden werden, wobei in der Gedächtnispsychologie insbesondere der „visuelle sensorische Speicher“ (bzw. das „ikonische Gedächtnis“, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 238) und der „auditorische sensorische Speicher“ (bzw. das „echoartige Gedächtnis“ oder „echoische Gedächtnis“, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 239) untersucht worden sind. Wenig erforscht sind dagegen die sensorischen Register, welche Tast-, Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen speichern (vgl. Mietzel 2007: 205).
|| 23 George Sperling hat 1960 durch ein Experiment nachgewiesen, dass visuelle Wahrnehmungen sehr kurz, aber vollständig gespeichert werden. Bei dem Experiment zeigte er Probanden 50 Millisekunden lang eine Karte mit einer Buchstabenmatrix (12 Buchstaben). Probanden, welche sich anschließend an so viele Buchstaben wie möglich erinnern sollten („Ganzberichtsverfahren“, Schermer 2006: 118, bzw. „Methode des vollständigen Berichtens“, Zimbardo/Gerrig 1999: 238), konnten durchschnittlich nur 4 Buchstaben nennen. Probanden dagegen, denen im Anschluss durch ein Tonsignal bestimmter Höhe vermittelt wurde, welche Reihe sie wiedergeben sollten, konnten die Buchstaben fast vollständig aufzählen („Methode des teilweisen Berichtens“, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 238), ohne dass sie vorher wussten, welche Reihe sie anschließend reproduzieren sollten: „Das heißt, dass kurz nach der Darbietung die gesamte visuelle Information gespeichert ist, aber während des Analyseprozesses der Buchstabenextraktion wieder verloren geht.“ (Bednorz/Schuster 2002: 10). Dass die Wahrnehmungen tatsächlich nur sehr kurze Zeit gespeichert werden, demonstrierte Sperling in einem Folgeexperiment, bei dem er den Zeitraum zwischen Wahrnehmung und dem teilweisen Bericht vergrößerte. Bereits nach einer Sekunde konnten sich die Probanden nur mehr an einen Bruchteil des Wahrgenommenen erinnern (vgl. Schermer 2006: 119, Gruber 2011: 25).
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Aus verschiedenen Experimenten, welche die Speicherdauer des visuellen und auditorischen sensorischen Gedächtnisses untersuchen, kann man schließen, dass diese zwischen den sensorischen Speichern stark variiert; so kann festgestellt werden, dass visuelle Reize nur wenige Millisekunden gespeichert werden, auditive Reize dagegen bis zu 4 Sekunden24 (vgl. Mietzel 2007: 205; Gruber 2011: 25f.). Die Funktion des sensorischen Gedächtnisses besteht darin, alle unbewusst aufgenommenen Wahrnehmungen25 so lange zu speichern, bis die sensorischen Reize zu sinnvollen Einheiten (z.B. Striche zu Buchstaben zu Wörtern etc.) zusammengesetzt und durch einen Filterprozess diejenigen Informationen ausgewählt worden sind, die für eine weitere Verarbeitung bzw. Speicherung wichtig sind. Eine Weiterverarbeitung erfolgt erst dann, wenn den wahrgenommenen Reizen Aufmerksamkeit geschenkt wird, d.h. nach Erreichen der sog. Bewusstseinsschwelle nach mindestens 250 Millisekunden (vgl. Schwarz 2008: 102). Informationen dagegen, denen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird (zur Bedeutung der Aufmerksamkeit vgl. auch Kapitel 9.1), gehen umgehend verloren: „Die Fähigkeit von Personen, auf die Reize ihrer Umgebung zu achten, ist beschränkt. Deshalb müssen Lernende ziemlich selektiv sein bei der Auswahl von Informationen, die zu verarbeiten sind.“ (Seel/Hanke 2010: 53).
Arbeitsgedächtnis visuell-räumlicher Notizblock
• auditorisch • visuell • haptisch • olfaktorisch
Zentrale Exekutive Aufmerksamkeit
•…
phonologische Schleife
Abb. 6: Sensorisches Gedächtnis und Arbeitsgedächtnis
|| 24 Gerd Mietzel macht auf die Bedeutung der kurzfristigen Speicherung von Reizen u.a. im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts aufmerksam: So nutzen Lernende diese wichtige Funktion des sensorischen Gedächtnisses, wenn sie ähnlich klingende Wörter unterscheiden sollen (vgl. Mietzel 2007: 206). 25 Wie umfangreich die Aufnahme der Umweltinformationen ist, betont Mietzel: „Man nimmt an, dass das sensorische Register für sehr kurze Zeit eine vollkommen unverarbeitete Kopie von Objekten und Ereignissen speichert.“ (Mietzel 2007: 206).
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Besondere Aufmerksamkeit kommt Wahrnehmungsreizen zu, die sich durch eines oder mehrere der folgenden Merkmale auszeichnen: Unmittelbare Aufmerksamkeit ziehen Bewegungen, große Objekte sowie gestalterische Intensität (durch Lautstärke oder Farben) auf sich. Aber auch die Neuigkeit eines Reizes sowie Inkongruenz in der Gestaltung führen dazu, dass Reize umgehend wahrgenommen werden. Ebenso erhalten Reize, die Emotionen hervorrufen, vermehrt Aufmerksamkeit. Während diese Merkmale aber nicht dazu führen, dass den entsprechenden Reizen längerfristig Aufmerksamkeit geschenkt wird, führen soziale Signale (etwa die einheitliche Blickrichtung einer Menschenmenge) sowie die Bedeutung, welche die Reize für den Einzelnen haben, dazu, dass die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum erhalten bleibt (vgl. Seel/Hanke 2010: 51ff). Ebenso wichtig für eine Überführung relevanter Wahrnehmungen vom sensorischen Gedächtnis in das Kurzzeitgedächtnis ist ein Filterprozess, in dem relevante Reize herausgefiltert werden und ins Bewusstsein überführt werden. Dieser Filterprozess ist notwendig, damit die menschliche Wahrnehmung nicht ungefiltert mit allen Wahrnehmungsreizen überflutet wird (Reizüberflutung26): „[Das Verblassen von Wahrnehmungen] ist durchaus sinnvoll, da unser Gehirn nur einen begrenzten Vorrat an Ressourcen zur Verfügung hat, um die Unmengen an sensorischen Informationen zu verarbeiten, die auf das System eintreffen.“ (Gruber 2011: 27). Der Filterprozess, welcher die Reduktion der Informationen zwischen sensorischem Gedächtnis und Kurzzeitgedächtnis leistet, wird durch verschiedene Kontrollprozesse gelenkt, von denen neben der Aufmerksamkeit, welcher der Information zukommt, ebenso die Bedeutung der Information (bzw. die „Bedeutungszuschreibung“ (Mietzel 2007: 207) von größter Wichtigkeit ist. Bedeutungszuschreibung kann dabei nach zwei Prozessen ablaufen: Beim „bottom-up processing“ werden die einzelnen Reize analysiert, zu größeren Mustern zusammengesetzt, denen im Anschluss eine Bedeutung zugeschrieben wird (etwa bei der Wahrnehmung von scheinbar willkürlichen Strichen, dem Erkennen eines Musters bis zur Identifikation eines Buchstabens). Während des bottom-up processings setzt – leicht nachgeordnet – das „top-down processing“ ein, bei dem auf vorhandenes Wissen zurückgegriffen wird: Bekannte Begriffe, Erwartungen, sowie das Gedächtnis helfen also dabei Objekte zu erkennen. Um ein Reizmuster schnell zu erkennen, nutzt der Wahrnehmende, nachdem er die Reizmerkmale entdeckt hat, sein Wissen, um ihnen eine Bedeutung zuzuschreiben. (Mietzel 2007: 212)
|| 26 An dieser Stelle muss betont werden, dass der Begriff ‚Reizüberflutung‘ nicht in der allgemeinsprachlichen Bedeutung („Fülle der auf den Menschen einwirkenden Reize durch Massenmedien, Reklame, Lärm u. Ä.“ (GWBD)), sondern in einem neurologischen Kontext verwendet wird; die Unfähigkeit, Reize ausblenden zu können, kann hier u.U. auf eine Erkrankung (z.B. ADHS oder Autismus) hindeuten (vgl. Mietzel 2007: 208ff).
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Durch die Parallelität der Prozesse wird die Bedeutungszuschreibung stark beschleunigt. Abhängig ist der Prozess auch von der Dauer und Häufigkeit, mit der der Lernende die jeweilige Tätigkeit (etwa Lesen) geübt hat, wobei erst die Automatisierung, also die häufige Wiederholung von Aufgaben und Fertigkeiten, zu einem optimalen Ergebnis führt. Der wahrgenommene Reiz wird durch die Bedeutungszuschreibung verarbeitet; für das Arbeitsgedächtnis bedeutet dies: „Was also durch die Kontrollprozesse in das Arbeitsgedächtnis übertragen wird, ist nicht der im sensorischen Register gespeicherte Reiz, sondern dessen Interpretation!“ (Mietzel 2007: 212). In Hinblick auf die äußerst kurze Speicherdauer im sensorischen Gedächtnis formuliert Mietzel für Unterrichtsgestaltung und Lernplanung folgende Konsequenz: „Schüler müssen Aufmerksamkeit aufwenden, um relevante Informationen aus diesem Register abzulesen, bevor die Inhalte gelöscht werden.“ (Mietzel 2007: 206). Informationen, die die Bewusstseinsschwelle nicht erreichen, werden nicht wahrgenommen und gelangen somit auch nicht vom sensorischen Gedächtnis ins Arbeitsgedächtnis. Um Aufmerksamkeit zu erregen kann Lernmaterial einerseits so gestaltet sein, dass Design und Inhalte (durch Einsatz von Farben, Einbindung von MultimediaAnwendungen) besonders hervorstechen oder indem die Gestaltung individuelle Interessen der Lernenden berücksichtigt, wodurch die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum erhalten wird. Ebenso kann durch die Vermittlung von Mnemotechniken die Aufmerksamkeit von Lernenden geweckt werden bzw. die Aufmerksamkeit der Lernenden auf den Lernstoff fokussiert werden. Auch in diesem Zusammenhang ist wichtig, dass individuelle Interessen27 berücksichtigt werden, indem das Angebot möglichst vielfältig gestaltet wird.
5.1.4 Das Arbeitsgedächtnis Entwickelt wurde das Modell eines Kurzzeitgedächtnisses maßgeblich von Richard Atkinson und Richard Shiffrin (vgl. Kapitel 5.1.1.). Bei dem ursprünglichen Modell gingen die Autoren davon aus, dass alle Informationen zunächst in einem Kurzzeitspeicher zwischengespeichert werden, bevor sie in das Langzeitgedächtnis über-
|| 27 Auch Metzig und Schuster verweisen auf die Wichtigkeit der individuellen Bedeutsamkeit des Lernstoffs für den Erfolg des Lernens: „So verwundert es auch nicht, dass gerade in den Bereichen unserer Hobbys oder Interessen das Lernen so leicht und fast automatisch verläuft, während es uns ohne spezielles Interesse extrem schwer fällt, die Aufmerksamkeit z.B. auf einen esoterischen Text über Philosophie oder über eine bestimmte Epoche der Geschichte zu lenken.“ (Metzig/Schuster 2006: 11).
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führt werden. Inzwischen ist nachgewiesen worden, dass implizites Wissen von den Lernenden nicht bewusst wahrgenommen und somit direkt im Langzeitgedächtnis gespeichert wird: „Das Kurzzeitgedächtnis bezieht sich jedoch nur auf das zeitweilige Speichern von Informationen, die man bewußt und explizit erinnert.“ (Zimbardo/ Gerrig 1999: 240). Auch ist durch weitere Experimente sowie durch die Arbeitsergebnisse von Baddeley und Hitch (vgl. Kapitel 5.1.2.1) das Modell des Arbeitsgedächtnisses – insbesondere dessen Funktion und Struktur – überarbeitet worden; die folgende Darstellung berücksichtigt diese Erkenntnisse. Die experimentelle Psychologie konzentrierte sich in Folge von Atkinson und Shiffrin zunächst darauf, die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses mit Experimenten zur Gedächtnisspanne28 zu ermitteln. Gedächtnispsychologische Experimente haben bislang zu folgenden Erkenntnissen und Hypothesen geführt: –
Modalität des sensorischen Reizes und dessen Speicherung: Die Modalität des sensorischen Reizes wird im Arbeitsgedächtnis beibehalten und entsprechend der Art der Wahrnehmung kodiert (vgl. Gruber 2011: 31, Bednorz/Schuster 2002: 132). So bleiben akustische Reize als solche erhalten, auch Sprache wird als phonologischer Code gespeichert. Durch Experimente ist zudem nachgewiesen worden, dass die akustische Form der Speicherung im Arbeitszeitgedächtnis überwiegt (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 133). Während man jedoch lange davon ausging, dass die akustischartikulatorische Kodierung die einzige Kodierungsform im Arbeitsgedächtnis sei (vgl. Schermer 2006: 124), muss man nun davon ausgehen, dass auch andere Formen der Kodierung existieren: „Zwar dürfte der akustisch-artikulatorischen Kodierung herausragende Bedeutung zukommen, jedoch sind auch andere Repräsentationsformen für das KZG nachgewiesen, z. B. bedeutungshaltige (semantische) oder sensorische (visuelle, olfaktorische).“ (Schermer 2006: 124). Die Form der Informationskodierung bildet einen deutlichen Unterschied zum Langzeitgedächtnis, in dem die Informationen eher durch semantische Kodierung gespeichert werden (vgl. Gruber 2011: 31).
–
Gedächtnisspanne29: Durch die Gedächtnisspanne kann auf experimentellen Weg die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses gemessen werden. Üblicherweise wird hierbei nicht die Speicherdauer gemessen, sondern wie viele Einheiten (chunks) der Lernende richtig wiederholen kann (s.u.).
|| 28 In einigen Arbeiten wird die Gedächtnisspanne auch als ‚Merkspanne‘ bezeichnet (vgl. Dittmann/Schmidt 1998: 311). 29 An Anlehnung an Millers Experimente kann der Begriff ‚Gedächtnisspanne‘ wie folgt definiert werden: „Die Gedächtnisspanne bezeichnet die Zahl der Elemente, die man unmittelbar nach der Darbietung wiedergeben kann.“ (Anderson 1996: 169).
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In Zusammenhang mit der Gedächtnisspanne wurde die Bedeutung des Memorierens von Informationen näher untersucht. Es stellte sich heraus: Je öfter Probanden eine Information wiederholen, desto besser kann später die Information abgerufen werden (vgl. die experimentellen Ergebnisse von Ebbinghaus, Kapitel 5.1.1.). Aber nicht nur die Wiederholungsrate, auch der Zeitraum, in dem Informationen im Arbeitsgedächtnis aktiv verarbeitet werden, hat einen Einfluss auf die Tiefe der Verarbeitung (vgl. Anderson 1996: 171). Und auch die Art des Lernmaterials hat Einfluss auf die Gedächtnisspanne: Umso mehr Bedeutung der Lernende dem Lernstoff beimessen kann, desto mehr kann er an Informationen aufnehmen und desto länger kann er sie speichern (vgl. Schermer 2006: 123). –
Kapazität in Speicherdauer: Die Speicherdauer im Kurzzeitgedächtnis umfasst eine Spanne von 15 bis max. 30 Sekunden (vgl. Mietzel 2007: 213, Edelmann 2000: 168, Seel 2003: 41). Dies konnte durch Experimente ermittelt werden, die darauf abzielten, unbewusst aufgenommene Wahrnehmungsreize der jüngsten Vergangenheit (z.B. Glockenschläge, vgl. Bednorz/Schuster 2002: 132) aufzurufen. In Abhängigkeit von Situation und Informationsfluss kann die Speicherdauer aber auch bis zu 4 Minuten umfassen (vgl. Seel 2003: 41, Metzig/Schuster 2006: 14), wobei die Informationsverarbeitung in diesem Fall durch neue Informationsaufnahme negativ beeinflusst wird. Dass Informationen nur begrenzt verarbeitet werden können, kann durchaus positiv für die Informationsverarbeitung sein: „Diese Kapazitätsgrenze ist sehr nützlich: Sie sorgt für eine klare Ausrichtung unserer kognitiven Ressourcen.“ (Zimbardo/Gerrig 1999.240).
–
Kapazität in Einheiten: Die Chunking-Hypothese von George A. Miller postuliert30, dass das Arbeitsgedächtnis durchschnittlich ca. sieben Einheiten (sog. ‚chunks‘) speichern kann. Miller untersuchte in seinen berühmt gewordenen Experimenten, in welchem Umfang Probanden Ziffernfolgen kurzfristig behalten konnten; die meisten Teilnehmenden waren in der Lage etwa 7 Ziffern (+/- 2) zu speichern (sog. „Millersche Zahl“). Miller betonte allerdings, dass beim Memorieren allein der Informationsgehalt – und nicht der Umfang der Informationen – von Bedeutung
|| 30 Miller veröffentlichte seine Untersuchungsergebnisse erstmals 1956 in dem Aufsatz The magical number seven, plus or minus two: Some limits on our capacity for processing information in der Psychological Review.
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ist. So kann ein chunk eine einzelne Information (einen Buchstaben), aber auch eine Informationseinheit (etwa einen Satz) enthalten31. Was als chunk wahrgenommen wird, hängt daher stark von dem Vorwissen der Lernenden ab und von deren Fähigkeit, einen sinnvollen Bezug zu den neuen Informationen herzustellen: Durch Vorwissen oder durch Strukturierung des Lernstoffs kann der Umfang der Informationen reduziert und damit die Kapazität der einzelnen chunks vergrößert (chunking32) werden (vgl. Mayer 2005: 145). Dass das Vorwissen der Lernenden – und damit Inhalte des Langzeitgedächtnisses –eine essentielle Rolle beim chunking spielt, ist ein erneuter Hinweis darauf, dass Informationsverarbeitung nicht in dem Maß sequentiell verläuft, wie Atkinson und Shiffrin dies dargestellt hatten (vgl. Schermer 2006: 123). Zimbardo und Gerrig führen als Kritik an Millers Experiment und der daraus resultierenden Bestimmung der Speicherkapazität an, dass die Ergebnisse dadurch leicht verfälscht seien, dass die Probanden dabei den auditorischen sensorischen Speicher nutzen, der bei der Speicherung von soeben aufgenommenen Reizen unterstützend hilft: „Wenn man diese und andere Gedächtnishilfen eliminieren könnte, so würde die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses nur bei 2–4 Einheiten liegen“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 241). –
Reihenpositionseffekt: Bei der Abfrage von Informationen aus dem Arbeitsgedächtnis ist die Position der Informationselemente in einer Reihe von entscheidender Bedeutung: Am besten und einfachsten werden die ersten und letzten Elemente gespeichert (sog. „Reihenpositionseffekt“ bzw. „serieller Positionseffekt“, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 248f., Bednorz/Schuster 2002: 132). Als Erklärung für die guten Speicherleistungen des ersten und des letzten Elements können jedoch vollkommen unterschiedliche Gründe angeführt werden: Der „Recency-Effekt“ (oder Rezenz-Effekt), d.h. der Umstand, dass das zuletzt wahrgenommene Element besonders gut gespeichert wird, kann mit der Struktur des Arbeitsgedächtnisses (phonologische Schleife, vgl. Kapitel 5.1.2.1.) sowie der Erhaltenswiederholung (s.u.) erklärt werden. Der „Primacy-Effekt“ (oder „Primär-Effekt“), also das Erinnern an das erste Element aus einer Informati-
|| 31 Dass bereits Miller auf die variable Größe von chunks aufmerksam gemacht hat, ist von seinen Kollegen nicht immer beachtet worden vgl. (vgl. Seel/Hanke 2010: 50). 32 Philip G. Zimbardo und Richard J. Gerrig beschreiben den Chunking-Prozess näher: „Chunking ist der Prozeß der Neuanordnung (Rekodierung) einzelner Gedächtnisitems. Die Rekodierung kann durch Gruppierung auf der Basis von Ähnlichkeit oder einem anderen Organisationsprinzip erfolgen. Sie kann aber auch in der Neukombination der Items zu größeren Mustern auf der Grundlage von Informationen bestehen, die im Langzeitgedächtnis gespeichert sind.“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 242).
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onsreihe, ist dagegen durch die Leistung des Langzeitgedächtnisses zu erklären (vgl. Gruber 2011: 30). Sowohl beim Lernen wie auch bei der Vermittlung von Lernstoff sollte der Reihenpositionseffekt Beachtung finden, da auch im Lernprozess gerade die erste und die letzte Phase besonders in Erinnerung bleiben. Auf den Prozess der Wissensvermittlung übertragen bedeutet dies: „Wir wissen jetzt, daß man mit der ‚mittleren Information‘ etwas Besonderes machen muß, damit man sie leicht behält. Tatsächlich versagen Studenten in Prüfungen eher bei den Aufgaben zum Vorlesungsstoff aus der Mitte des Semesters als bei den Aufgaben zum Anfang oder Ende des Semesters.“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 250). –
Wiederholung: Das Wiederholen von Informationen durch Erhaltenswiederholung (engl. „maintenance rehearsal“ oder „rehearsal“) – z.B. wiederholtes leises oder stummes Aufsagen einer Telefonnummer – kann zu einer Verlängerung der Speicherdauer im Arbeitsgedächtnis führen. Wird die Wiederholung jedoch gestört (z.B. durch ablenkende Aufgaben, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 241), sinkt die Erinnerungsleistung rapide. Durch Experimente kann aber auch bewiesen werden, dass die wiederholte Eingabe nicht automatisch zur Speicherung im Langzeitgedächtnis führt. Das „passive Wiederholen“ ist damit keine zuverlässige Methode des Lernens („scheinbares Lernen“33, vgl. Kapitel 5.2.1.). Wiederholtes Memorieren wird erst dann sinnvoll, wenn der Lernstoff verzögert memoriert wird („verzögerter Reproduktionsversuch“, vgl. Bednorz/Schuster 2002: 133). Elaborierte Wiederholung dagegen dient der Übertragung des Lernstoffs ins Langzeitgedächtnis; dabei ist nicht die Zahl der Wiederholungen entscheidend, sondern die Art und Weise der Durchführung (zur Elaboration vgl. Kapitel 5.2.1.1.). Allerdings ist der Unterschied zwischen erhaltender und elaborierter Wiederholung in der Praxis nicht eindeutig: „Es wäre jedoch nicht angemessen, beide Wiederholungsformen als klar voneinander verschieden anzusehen. Vielmehr scheint die Annahme eines fließenden Übergangs zwischen ihnen gerechtfertigter.“ (Schermer 2006: 122).
–
Suchprozesse im Arbeitsgedächtnis: Saul Sternberg konnte 1966 durch Experimente belegen, dass Lernende bei der Suche nach Informationen im Arbeitsgedächtnis (etwa beim Abgleich einer Zahlenreihe mit einer vorgegebenen Zahl) seriell vorgehen. Der Suchprozess läuft zwar äußerst schnell ab, jedoch wird die
|| 33 Bednorz und Schuster weisen in diesem Zusammenhang daraufhin, dass gerade Institutionen, in denen die fehlerfreie Wiedergabe von Informationen wesentlich ist, Strategien entwickelt haben, um scheinbarem Lernen entgegenzuwirken. So soll im militärischen Bereich durch (aktive) Reproduktion, d.h. durch laute Wiederholung des Befehls durch den Befehlsempfänger, eine rein passive Wiederholung im Kurzzeitgedächtnis vermieden werden (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 133).
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Suche nicht beendet, wenn die gesuchte Information gefunden wurde, sondern das Arbeitsgedächtnis wird erschöpfend durchsucht („vollständiges, serielles Abtasten“, vgl. Schermer 2006: 125, Gruber 2011: 34ff, Zimbardo/Gerrig 1999: 243). Obwohl der Suchprozess trotz der hohen Geschwindigkeit nicht optimal ist, muss festgehalten werden: „Während einer einzigen Sekunde könne ein Mensch etwa 30 derartige Vergleiche durchführen. Bei einem so schnellen Prozeß kann man sich ein allumfassendes Abtasten leisten, bevor man entscheidet, an was man sich wirklich erinnert.“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 243, vgl. auch Seel/Hanke 2010: 53). Im Arbeitsgedächtnis liegen Informationen vor, die bereits durch den Lernenden interpretiert worden sind; dies zeigt sich etwa daran, dass beim Lesen nicht die Schriftform und der Wortlaut, sondern der Sinn der Wörter präsent ist (vgl. Edelmann 2000: 168). Auch im Arbeitsgedächtnis ist die Aufmerksamkeit, mit welcher Informationen wahrgenommen und bewusst verarbeitet werden, zentral; wird der Lernende in diesem Prozess abgelenkt, werden die soeben noch vorhandenen Informationen gelöscht (vgl. Mietzel 2007: 217, Anderson 1996: 170). Die zentrale Funktion des Arbeitsgedächtnisses besteht zum einen darin, die neuen Informationen so aufzubereiten, dass sie im Langzeitgedächtnis gespeichert werden können, wie auch relevante Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abzurufen, mit denen die neuen Informationen verknüpft werden können („aufarbeitende Wiederholung“, vgl. Mietzel 2007: 217). Auf welche Weise Informationen kodiert werden können, damit sie bestmöglich im Langzeitgedächtnis gespeichert werden können, wird in Kapitel 5.2.1. beschrieben.
5.1.5 Das Langzeitgedächtnis Das Langzeitgedächtnis (LZG) speichert alle Informationen dauerhaft, die aus dem Arbeitsgedächtnis überführt werden, d.h. „Erinnerungen, Emotionen, Einstellungen und motorische Fertigkeiten“ (vgl. Mayer 2005: 146). Aufgrund von neurowissenschaftlichen Befunden kann man davon ausgehen, dass der Erwerb von Wissen und dessen Speicherung zu einer Veränderung der physiologischen Struktur im Gehirn führt (vgl. Metzig/Schuster 2006: 16, Gruber 2011: 109ff.): Die Gedächtnisspur bzw. das Engramm eines Reizes ist die physiologische Spur, die eine Reizeinwirkung als dauerhafte Veränderung im Gehirn hinterlässt. Die Gesamtheit aller Engramme – und es sind wahrscheinlich Milliarden – ergibt das Gedächtnis. (Gruber 2011: 109)
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Im Gegensatz zum Arbeitsgedächtnis ist die Kapazität des Langzeitgedächtnisses zumindest theoretisch unbegrenzt – sowohl im Umfang als auch in der Speicherdauer34. Dies erfordert wiederum eine geeignete Struktur, um Wissen gezielt und schnell abrufen zu können. Dabei ist das Langzeitgedächtnis im Gegensatz zum Arbeitsgedächtnis ein passives System, d.h. die Inhalte müssen in das Arbeitsgedächtnis überführt werden, um von den Lernenden bewusst genutzt werden zu können (vgl. Seel 2003: 42). Die passive Art der Speicherung ist jedoch nicht mit Unveränderlichkeit gleichzusetzen: „Auch wenn das Material nach dieser aktiven Bearbeitung (Enkodierung) im Langzeitgedächtnis gespeichert ist, unterliegt es weiteren Veränderungen“ (Edelmann 2000: 165, ähnlich auch Seel 2003: 42). Die Größe und der Umfang des Langzeitgedächtnisses stehen allerdings im Widerspruch zu der alltäglichen Erfahrung, dass gelernte Informationen wieder vergessen werden können35. Zur Erklärung dieser Erfahrung lassen sich zwei Theorien anführen (vgl. Edelmann 2000: 169): –
Spurenzerfalltheorie: Die Spurenzerfalltheorie basiert auf der Erkenntnis, dass Wissen in Form von Engrammen im neuronalen Netzwerk gespeichert wird. In Abhängigkeit davon, wie oft und ob überhaupt eine Information abgerufen wird, kann gemäß der Spurenzerfalltheorie Gelerntes vergessen werden, wenn sich die entsprechenden Synapsen auflösen (vgl. Metzig/Schuster 2006: 18, Mietzel 2007: 243, Schermer 2006: 168f.). Gestützt wird diese Theorie u.a. durch Untersuchungen mit erblindeten Menschen, deren bildhafte Träume zunehmend schemenhafter und seltener werden (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 143). Gegen die Spurenzerfalltheorie spricht jedoch die Erfahrung, dass auch weit zurückliegende Erinnerungen, etwa aus der Jugendzeit, problemlos abgerufen werden können: „Präzise Erinnerung älterer Menschen an ihre Kindheit und Jugendzeit sprechen jedoch gegen die Theorie des Vergessens durch Nichtgebrauch.“ (Metzig/Schuster 2006: 102). Auch die Tatsache, dass häufig Art und Weise des Informationsabrufs für dessen Erfolg entscheidend sind, kann durch
|| 34 Auch Bednorz und Schuster weisen darauf hin, dass der Aufnahme von Wissen ins Langzeitgedächtnis keine Grenzen gesetzt sind; sowohl alltägliches wie auch professionelles Wissen und entsprechende Fähigkeiten schöpfen das Langzeitgedächtnis bei weitem nicht aus (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 140). 35 Das Experiment von Marigold Linton, die über sechs Jahre ihre alltäglichen Erlebnisse sowie entsprechende Zusatzinformationen notierte und ihr Gedächtnis in bestimmten Abständen auf die entsprechenden Inhalte prüfte (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 166), beweist, dass nur ein Bruchteil der wahrgenommenen alltäglichen Ereignisse gespeichert wird. Linton konnte sich trotz intensiver Beschäftigung mit ihren Alltagserlebnissen nach 6 Jahren nur noch an 31,4 % davon erinnern (vgl. Mietzel 2007: 242). Allerdings ist davon auszugehen, dass unter normalen Bedingungen, also ohne Notizen und Erinnerungstests, der Prozentsatz an Vergessenem noch wesentlich höher ist.
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diese Theorie nicht befriedigend erklärt werden (vgl. Mietzel 2007: 243, Bednorz/Schuster 2002: 142f.). –
Interferenztheorie: Die Interferenztheorie dagegen geht davon aus, dass Informationen durch vorausgegangene oder nachfolgende Lernprozesse nicht richtig gespeichert werden (vgl. die näheren Ausführungen zu proaktiven und retroaktiven Hemmungen in Kapitel 5.2.2.). Hinsichtlich der Bedeutung der Interferenztheorie für die Gedächtnispsychologie kommt Schermer zu dem Schluss: „Von allen Modellvorstellungen des Vergessens hat die Interferenzannahme die größte Beachtung gefunden und intensivste experimentelle Erforschung erfahren.“ (Schermer 2006: 169).
Eine andere Erklärung für das Vergessen von Informationen kann darin gesehen werden, dass Gelerntes nicht im eigentlichen Sinn vergessen, sondern einfach nicht gefunden und damit reproduziert werden kann („Theorie des abrufreizabhängigen Vergessens“, vgl. Metzig/Schuster 2006: 103): „In diesem dritten Gedächtnissystem bleiben zwar die Informationen ein Leben lang erhalten, aber es ist nicht immer leicht, sie wieder abzurufen.“ (Mayer 2005: 146). Trotz der (momentanen) Unfähigkeit zum Abruf kann das Vorhandensein der Informationen z.B. durch Hypnoseuntersuchungen belegt werden (vgl. Metzig/Schuster 2006: 18). Für diese Annahme spricht auch, dass der Zugriff auf Informationen durch Ähnlichkeit von Lern- und Abrufsituation deutlich verbessert werden kann. Edelmann verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausbildung von Piloten, deren Training eine möglichst große Parallelität zwischen Lern- und Abrufsituation durch Nutzung von Flugsimulatoren vorsieht: „Man wundert sich, dass dieses Prinzip nicht längst in allen berufsqualifizierenden Ausbildungsgängen realisiert wird.“ (Edelmann 2000: 169). Im Rahmen des Dreispeichermodells kommen dem Langzeitgedächtnis drei wesentliche Funktionen zu: Es dient der Identifikation, der Produktion und der Reproduktion von Informationen (vgl. Schermer 2006: 128). Ebenso wie das sensorische Gedächtnis und das Arbeitsgedächtnis verfügt auch das Langzeitgedächtnis über verschiedene Subsysteme, die sich nach der Informationsart unterteilen lassen, die in den jeweiligen Systemen gespeichert wird: –
Deklaratives Gedächtnis: Das „deklarative Gedächtnis“ wird auch als „explizites Gedächtnis“ bezeichnet, da die Informationen in diesem Subsystemen explizit gemacht werden können und der Abrufprozess deklarativ ist (vgl. Gruber 2011: 52). In diesem System werden Informationen gespeichert, welche bewusstseinsfähig sind und über die somit kommuniziert werden kann. Im Gegensatz zum impliziten Wissen kann das in diesem Gedächtnissystem gespeicherte Wissen abgefragt und getestet werden: „Die Inhalte des expliziten Gedächtnisses können durch direkte Gedächtnistests überprüft werden, die eine bewusste Erinne-
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rung an die gelernten Inhalte verlangen: “ (Winkel et al. 2006: 37). Psychologische Studien haben sich in der Vergangenheit besonders auf dieses Subsystem konzentriert: „Die traditionelle Gedächtnisforschung hatte sich nur mit dem expliziten Gedächtnis befaßt.“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 234). Das deklarative Gedächtnis ist wiederum in zwei Untersysteme unterteilt, wobei sich der Unterschied durch die Art der Hinweisreize ergibt, die nötig sind, um eine Information abzufragen (vgl. Edelmann 2000: 246): Semantische Informationen werden im semantischen Gedächtnis abgelegt, Erinnerungen an vergangene bzw. geplante Handlungen dagegen im episodischen Gedächtnis. Die Existenz dieser beiden Speicher ist durch neurowissenschaftliche Untersuchungen sowie Patientenstudien belegt, in denen nachgewiesen werden konnte, dass durch Verletzungen des Gehirns entweder das semantische oder das episodische Gedächtnis beeinträchtigt wird bzw. ausfallen kann. Trotz der nachweislichen Trennung der beiden Systeme haben eigene Erfahrungen dennoch großen Einfluss auf allgemeines Wissen – und umgekehrt, sodass man von einer ständigen Interaktion dieser beiden Subsysteme ausgehen muss (vgl. Schwarz 2008: 107)36. Da auf das semantische Gedächtnis in Kapitel 5.1.6. noch weiter eingegangen wird, soll im Folgenden nur das episodische Gedächtnis kurz vorgestellt werden. Im episodischen Gedächtnis werden Erinnerungen an eigene Erfahrungen gespeichert – daher ist in einigen Darstellungen auch die Bezeichnung „autobiographisches Gedächtnis“ zu finden (vgl. Schwarz 2008: 107). Abrufhilfen sind hier z.B. die Nennung eines Zeitpunktes, eines Orts oder Einzelheiten eines Ereignisses, wobei die subjektive Bedeutung der Erinnerungen einen großen Einfluss auf deren Abruf hat: Je mehr Bedeutung einem Ereignis beigemessen wird, desto besser können die Erinnerungen abgerufen werden. Als Speicherform überwiegt im episodischen Gedächtnis die bildhafte Speicherung (vgl. Mietzel 2007: 224). –
Non-deklaratives Gedächtnis: Das non-deklarative Gedächtnis wird auch als „implizites Gedächtnis“ bezeichnet, wobei sich implizit auf den Inhalt und nondeklarativ auf den Abrufprozess bezieht37. Die Anwendung und Wiedergabe von
|| 36 Trotz der empirischen Befunde, die belegen, dass das episodische und das semantische Gedächtnis zwei getrennte Subsysteme bilden, wird in aktuelleren Publikationen die Eindeutigkeit der Trennung wiederum angezweifelt (vgl. Schermer 2006: 140). 37 Dieses Gedächtnissystem ist beim Spracherwerb und für die Sprachproduktion äußert wichtig: „Ein weiteres Beispiel für implizites Gedächtnis ist mit der Beherrschung der Grammatik gegeben. Der Sprachkundige hat zwar abstrakte Regeln gelernt, nach denen er Begriffe in eine sinnvolle
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non-deklarativen Wissen erfolgt „unbewusst, automatisch und ohne Willensanstrengung“ (Gruber 2011: 62). Auch hier kann zwischen verschiedenen Systemen unterschieden werden: Dem prozeduralen Gedächtnis, dem perzeptuellen Repräsentationssystem, der klassischen Konditionierung und den non-assoziativen Lernformen (vgl. Gruber 2011: 62ff., Winkel et al. 2006: 37). Von besonderer Bedeutung ist hierbei das prozedurale Gedächtnis, in dem das Wissen darüber gespeichert wird, wie Prozesse ablaufen. Da hier auch das Wissen darüber abgelegt wird, wie nach Informationen gesucht werden kann, sind semantisches und prozedurales Gedächtnis bei der Wissensabfrage eng verknüpft38 (vgl. Mietzel 2007: 225), was wesentlich zur Effizienz der Abfrage beiträgt: Die Effektivität und Effizienz unseres Denkens, Sprechens und Handelns beruht aber auf dem Zusammenspiel aller Gedächtniskomponenten. So involviert beispielsweise die Sprachrezeption nicht nur die Aktivierung von LZG-Wissen, sondern die gesamte kognitive Prozessualität aller Gedächtniskomponenten. (Schwarz 2008: 104f.)
Obwohl das im non-deklarativen Gedächtnis gespeicherte Wissen implizit ist, kann es durch indirekte Gedächtnistests abgefragt werden, die „erfahrungsbedingte Veränderungen im Verhalten erfassen, ohne dass eine bewusste Erinnerung oder Erklärung dieser Erfahrungen verlangt wird“ (Winkel et al. 2006: 38), wie etwa die Leistungssteigerung nach mehreren Durchgängen eines Computerspiels (vgl. Winkel et al. 2006: 212).
|| Satzaussage aneinander fügt, aber er ist zumeist nicht in der Lage, dem Zuhörer mitzuteilen, welche Regeln sein Sprechen und Schreiben bestimmen.“ (Mietzel 2007: 223f.). 38 Mietzel illustriert die Verbindung von Inhalten des deklarativen mit denen des prozeduralen Gedächtnisses anhand eines Beispiels: „Man entnimmt seinem deklarativen Gedächtnis, dass ein mehrbändiges Lexikon viele Informationen enthält. Die korrekte Nutzung dieses Werkes zur Klärung einer bestimmten Frage ist nur mit Hilfe des prozeduralen Wissens möglich. Die nachgelesenen Informationen können wiederum das deklarative Wissen erweitern.“ (Mietzel 2007: 225).
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rehearsal
Arbeitsgedächtnis
Deklaratives
Non-deklaratives
Gedächtnis
Gedächtnis
semantisches
episodisches
Gedächtnis
Gedächtnis
Enkodierung
Abruf
Abb. 7: Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis
Dass eine Trennung zwischen deklarativem und non-deklarativem Gedächtnis sinnvoll ist, belegen Erfahrungen aus dem Alltag (vgl. Winkel et al. 2006: 38): So können motorische Abläufe erledigt werden, ohne dass sie exakt verbalisiert werden müssen (etwa das Binden von Schnürsenkeln). Andererseits kann das deklarative Wissen sehr umfangreich sein, ohne dass daraus motorische Fähigkeiten resultieren müssen (etwa theoretisches Wissen darüber, wie man Klavier spielt, ohne dies jedoch umsetzen zu können). Aber nicht nur die Informationsart führt zur Bildung von Subsystemen des Langzeitgedächtnisses, auch aufgrund der Kodierungsform kann zwischen verschiedenen Lernformen und Speichersystemen unterschieden werden, wobei Gedächtnisstrukturen und Kodierungsformen – wie im Folgenden gezeigt werden soll – eng miteinander verbunden sind. Bedeutend für Dauer der Speicherung sowie Schnelligkeit des Abrufs von Informationen sind verbale und nonverbale Kodierung, was in dieser Form auch in der von Allan Paivio (1971) entwickelten „double encoding theory“ (oder „Theorie der dualen Kodierung“, Schermer 2006: 129) aufgegriffen wurde. Entsprechend wird zwischen einem verbalen System und einem imaginalen System (engl. „imaginary system“, daher häufig im Deutschen als „bildhaftes System“ wiedergegeben) und damit zwischen verbalen Lernformen nonverbalen Lernformen unterschieden (vgl. auch Edelmann 2000: 153f.): –
Verbales Lernen: Durch verbales Lernen werden in erster Linie sprachliche Informationen gespeichert, wobei die Kodierung unabhängig von der tatsächlichen Wahrnehmung der Reize erfolgen kann. Entscheidend für diesen Speichercode ist weniger die Form der Wahrnehmungsreize als vielmehr die Frage, ob die Informationen verbalisiert werden können. In Hinblick auf die Wissensrepräsentation kann hier auch von diskreter Speicherung gesprochen werden: „Derartige Repräsentationen werden diskret genannt, weil sich die Informati-
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onsverarbeitung jeweils nur auf einen Aspekt bezieht.“ (Schermer 2006: 129). Allerdings führt die verbale Kodierung von Informationen durch die notwendigerweise sequenzielle Form der Bearbeitung zu einem verlangsamten Informationsverarbeitungsprozess (vgl. Schermer 2006: 129, Mayer 2005: 133). –
Nonverbales Lernen (vgl. Winkel et al. 2006: 146), imaginales System (vgl. Schermer 2006: 129) – unter Berücksichtigung der vorwiegend bildhaften Speicherung – auch als „Bildgedächtnis“ (Edelmann 2000: 167) oder „ikonisches Gedächtnis“ (vgl. Seel 2003: 43) bezeichnet: Durch diese Lernform können Reize in der Form gespeichert werden, in der sie durch den Wahrnehmungsapparat aufgenommen werden. Häufig bedeutet dies eine bildliche Kodierung, aber auch andere Wahrnehmungsreize können hier erfasst werden, weshalb dieses System auch „imaginal“ genannt wird (vgl. Schermer 2006: 129); die Form der Kodierung erfolgt analog. Auch in diesem System erfolgt eine Bearbeitung der Wahrnehmungsreize: „Trotz der analogen Verarbeitung können Vorstellungsbilder auch auf abstrakte Weise gebildet werden, z. B. durch Weglassung von Details.“ (Schermer 2006: 129, vgl. auch Mayer 2005: 133). Dabei wird bei der Speicherung häufig über eine reine Abstraktion von Wahrnehmungsreizen hinausgegangen und das im Langzeitgedächtnis gespeicherte Vorwissen genutzt: „Bei der mentalen Vorstellung visueller Informationen wird offenbar auf gespeicherte visuelle Prototypen zurückgegriffen.“ (Mayer 2005: 133). Hinsichtlich der Kapazität und Verarbeitungsgeschwindigkeit gibt es Hinweise darauf, dass diese Form der Speicherung weitaus leistungsfähiger39 als Speichersysteme mit anderen Kodierungsformen ist (vgl. Mayer 2005: 133, Edelmann 2000: 167), wenngleich es durch die Dominanz der verbalen Kodierung „nicht mehr umfassend“ (Bednorz/Schuster 2002: 151) genutzt wird.
Neben der verbalen und imaginalen Speicherung scheinen noch weitere Kodierungsformen und entsprechende Speichersysteme zu existieren: „Ganz sicher muss im menschlichen Gedächtnis ein Speicher für den Wortklang vorhanden sein, damit wir die Bedeutung erkennen, wenn wir ein Wort hören.“ (Bednorz/Schuster 2002: 150). Gerade hier kann ein Zusammenhang zwischen Alter und präferiertem Kodierungssystem konstatiert werden: Während Kinder sprachliche Informationen weitgehend über den Klang speichern, überwiegt beim Erwachsenen die Speicherung nach Bedeutung (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 150).
|| 39 Als Beweis für diese Behauptung wird oftmals das Experiment von Lionel Standing angeführt, bei dem sich Probanden an 73 % von 10.000 gezeigten Bildern erinnern konnten. (vgl. Edelmann 2000: 167, Metzig/Schuster 2006: 54).
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Die Entscheidung darüber, in welcher Kodierungsform Informationen gespeichert werden, hängt einerseits von der Modalität der Wahrnehmungsreize ab, andererseits können die verschiedenen Kodierungssysteme auch interagieren, „z.B. kann die Vorstellung des Aussehens einer Person zur Erinnerung ihres Namens führen und umgekehrt“ (Schermer 2006: 129f.). Da die Behaltensleistung durch multiple Repräsentation, also Speicherung in mehreren Codes, deutlich gesteigert wird, ist die Interaktion zwischen verbalem und imaginalem Gedächtnis als Lernstrategie durchaus erwünscht („ganzheitliches Lernen“, vgl. Mayer 2005: 136).
5.1.6 Das semantische Gedächtnis Da das semantische Gedächtnis auch das mentale Lexikon umfasst, sind dessen Funktionsweise und Aufbau für die Frage, wie Wortschatz gelernt und gespeichert wird, von entscheidender Bedeutung. Im Folgenden werden daher die wichtigsten Merkmale des semantischen Gedächtnisses sowie die zentralen Theorien zur Speicherung und Organisation von Begriffen dargestellt. Das semantische ist neben dem episodischen Gedächtnis Bestandteil des deklarativen Gedächtnisses (vgl. Kapitel 5.1.5.), die Inhalte können daher verbalisiert sowie der Wissenszuwachs durch direkte Gedächtnistests40 überprüft werden (vgl. Kapitel 5.1.5.). Endel Tulving, welcher als erster die Trennung zwischen semantischem und episodischem Gedächtnis postuliert hat (Mietzel 2007: 224), beschreibt Inhalte und Merkmale des semantischen Gedächtnisses wie folgt: Semantisches Gedächtnis ist das Gedächtnis, das für den Gebrauch der Sprache notwendig ist. Es ist ein geistiges Wörterbuch, das organisierte Wissen, das eine Person besitzt über Wörter und andere sprachliche Symbole, ihre Bedeutung und Referenten, über Beziehungen zwischen ihnen und über Regeln, Formeln und Algorithmen für die Handhabung dieser Symbole, Begriffe und Beziehungen. (Tulving, zitiert nach Schermer 2006: 141)
Nach neueren Erkenntnissen sind die Inhalte des semantischen Gedächtnisses jedoch nicht allein auf sprachlich-konzeptuelle Informationen reduziert, auch allgemeines Sachwissen wird in diesem Subsystem des deklarativen Gedächtnisses gespeichert41 (im Sinne eines „strukturellen Gedächtnisses“ oder Wissensgedächtnisses“, vgl. Schermer 2006: 141). Das semantische Gedächtnis dient nach aktueller Anschauung daher als Speicher für Allgemeinwissen (darunter auch Wortschatz-
|| 40 Bei direkten Gedächtnistests wird Wissen abgefragt, dessen sich Lernende bewusst sind, mit indirekten Gedächtnistests werden dagegen Veränderungen im Verhalten erfasst, „ohne dass eine bewusste Erinnerung oder Erklärung dieser Erfahrungen verlangt wird“ (Winkel et al. 2006: 37f.). 41 Die Auffassung des semantischen Gedächtnisses als „Speicher für sprachlich-symbolisches Wissen und Weltwissen“ folgt der Begriffserweiterung durch Kintsch (vgl. Harm 2000: 48).
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wissen), individuelles Wissen (abhängig von den jeweiligen Interessen), Schulwissen sowie Regeln und Gesetzmäßigkeiten für die Bewältigung alltäglicher Aufgaben (vgl. Mietzel 2007: 225). Damit kann auch das mentale Lexikon als „Teil des LZG, in dem die Wörter einer Sprache mental repräsentiert sind“42 (Schwarz 2008: 105), zum semantischen Gedächtnis gerechnet werden (vgl. auch Möhle 1994: 45f.)43. Es wird davon ausgegangen, dass Sachwissen prozedural zunächst als episodisches Wissen aufgenommen wird, weil es zunächst nicht vom Kontext, in dem der Lernende sich die Informationen aneignet, losgelöst werden kann44. Da aber Sachwissen in vielen verschiedenen Kontexten wichtig ist, wird diese Art des Wissens nach einem Abstraktions- und Kategorisierungsprozess ins semantische Gedächtnis überführt (vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 246f.). Auf das Lernen von Vokabeln angewendet kann die Übertragung folgendermaßen beschrieben werden: Bevor eine Vokabel sicher im Gedächtnis verankert ist, muß sie systematisch gelernt werden […] Wurde eine Vokabel aber sicher im Gedächtnis verankert, kann sie sich vom Kontext lösen und ins semantische Gedächtnis übergehen, wobei bis heute allerdings ungeklärt ist, wann und auf welche Weise diese Übertragung erfolgt45 (Schermer 2006: 140f.)
Zentraler Bestandteil des semantischen Gedächtnisses sind Begriffe. Der Terminus ‚Begriff‘46 wird in der Lernpsychologie verstanden als „Klasse[…] von Objekten (bzw.
|| 42 Die Definition von Schwarz wurde 1994 von Dorothea Möhle in Hinblick auf Fremdsprachenerwerb erweitert: Unter dem mentalen Lexikon versteht sie den „Teil unseres Langzeitgedächtnisses, in dem unser Wissen über alle uns bekannten Wörter unserer eigenen und ggf. auch anderer uns verfügbarer Sprachen gespeichert ist“ (Möhle 1994: 39). 43 Der Zusammenhang zwischen Langzeitgedächtnis, semantischem Gedächtnis und mentalem Lexikon ist immer wieder kritisch diskutiert worden, u.a. auch von Udo Figge und Ulrike Job im Rahmen ihres Forschungsprojekts. Sie bestreiten in ihren Arbeiten die Annahme eines semantischen Gedächtnisses: „Was die Sprachwissenschaft als (lexikalische) Bedeutungen betrachtet, das sind in der Sicht der Sprachpsychologie Elemente des semantischen Gedächtnisses. Hinwiederum sind — wie Darstellungen der Gedächtnispsychologie zeigen — die von der Sprachpsychologie aufgedeckten Strukturen und Inhalte des semantischen Gedächtnisses im wesentlichen keine anderen als die, durch die sich das (Langzeit-) Gedächtnis im allgemeinen konstituiert.“ (Figge/Job 1987: 16). 44 Die Interaktion zwischen episodischem und semantischem Gedächtnis ist jedoch noch nicht abschließend geklärt. Tulvings vertritt hier die gegenteilige Ansicht, die besagt, dass sich das episodische aus dem semantischen Gedächtnis bildet: „So betrachtet, muss ein Organismus bereits über einen gewissen Umfang an semantischer Information verfügen, bevor sich auf der Grundlage dieser semantischen Informationen episodische Erinnerungen bilden können.“ (Gluck et al 2010: 90). 45 Deutlicher Beweis für den Abschluss des Überführungsprozesses vom episodischen ins semantische Gedächtnis ist der Umstand, dass Informationen über die näheren Umstände des Erwerbs (Situation, Zeitpunkt etc.) verloren gegangen sind (vgl. Mietzel 2007: 224). 46 Auf die in der Literatur vorgeschlagene weitere Differenzierung in Eigenschafts- und Erklärungsbegriffe (etwa bei Edelmann) soll hier nicht weiter eingegangen werden, da sich diese Darstel-
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deren Bedeutungen) […], die eine mehr oder weniger große Ähnlichkeit miteinander aufweisen“. In einem engeren Sinn ist ein Begriff eine „sprachliche Bezeichnung für das Ergebnis eines Kategorisierungsvorgangs“ (Edelmann 2000: 125), weshalb „Kategorie“ und „Begriff“ in der Literatur auch synonym verwendet werden (vgl. Edelmann 2000: 116 und Edelmann 2000: 125). Im Rahmen der folgenden Darstellung wird der in der Lernpsychologie übliche Terminus ‚Begriff‘ verwendet. Allerdings ist es aufgrund der Polysemie von ‚Begriff‘ in den verschiedenen Disziplinen umso wichtiger, den Unterschied zwischen lernpsychologischen Begriffshierarchien und lexikalischen Wortnetzen – und damit den Unterschied zwischen ‚Begriff‘ und ‚Benennung‘ hervorzuheben: Wir haben erfahren, dass die ausschlaggebende intellektuelle Leistung bei der Bildung von Begriffen die Kategorisierung bzw. das Erfassen der Theorie ist und nicht der Erwerb des Begriffsnamens. Nicht selten werden Wörter erlernt, ohne dass der Begriff wirklich erworben wurde. (Edelmann 2000: 126)
Im Folgenden soll zunächst beschrieben werden, wie bei der Informationsverarbeitung neue Elemente einem Begriff zugeordnet werden; im Anschluss soll auf die Strukturierung der Begriffe im semantischen Gedächtnisses sowie die wichtigsten Theorien hierzu eingegangen werden. Bei der Bildung bzw. Identifikation von Begriffen47 spielen zwei kognitive Fähigkeiten eine besonders wichtige Rolle: Zum einen werden die wahrgenommenen Informationen auf wesentliche Merkmale reduziert und diese dann kategorisiert, zum anderen werden neu erworbene Begriffe mit bereits vorhandenem Wissen in Beziehung gesetzt (vgl. Schermer 2006: 142). Die Kategorisierung von Informationen beruht dabei auf dem Vorhandensein gemeinsamer Kennzeichen (Äquivalenz48). Um die Äquivalenz von Elementen beurteilen zu können, muss der Lernende fähig sein, vom Einzelfall zu abstrahieren, individuelle Merkmale zu ignorieren und gemeinsame Merkmale hervorzuheben.
|| lung allein auf Eigenschaftsbegriffe beschränkt. Erklärungsbegriffe (wie etwa der Begriff Mondfinsternis) dagegen sind stets in ein theoretisches Modell im weiteren Sinn eingebettet und daher „solche Begriffe, die zu der Kategorisierung auch noch eine Erklärung des beschriebenen Sachverhaltes anbieten.“ (Edelmann 2000: 126). 47 Zum Unterschied zwischen Begriffsbildung und Begriffsidentifikation vgl. Edelmann: „Von Begriffsbildung spricht man, wenn Objekte zu einer (subjektiv neuen) Kategorie zusammengefasst werden. Unter Begriffsidentifikation versteht man das Erkennen eines Objektes als Bestandteil einer (bereits vorhandenen) Kategorie.“ (Edelmann 2000: 119f.). 48 Edelmann geht in seiner Darstellung auf den Zusammenhang zwischen Kategorisierung und Äquivalenz näher ein: „Kategorisierung bedeutet, unterscheidbar verschiedenen Dingen Äquivalenz zu verleihen, die Objekte, Ereignisse und Leute um uns herum in Klassen zu gruppieren und auf sie eher bezüglich ihrer Klassenzugehörigkeit als bezüglich ihrer Einzigartigkeit zu reagieren.“ (Edelmann 2000: 117).
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Die Bildung von Kategorien dient dabei der Entlastung des Gedächtnissystems sowie der Beschleunigung der Informationsverarbeitung (vgl. Edelmann 2000: 117), wobei durch die Kategorisierung auch die Beurteilung neuer Sachverhalte durch Rückschlüsse von vorhandenem Wissen ermöglicht wird: Das Gedächtnis dient also auch dazu, Informationen bereitzustellen, aus denen sich Antworten durch logische Schlüsse ableiten lassen. Ihm entnimmt man nicht nur Wissen sondern ebenso wie sich Wissen erschließen lässt. (Mietzel 2007: 222)
Wie aber kommen Lernende zu ihren Begriffen? Um diesen Prozess zu erklären, sollen die beiden wichtigsten Theorien referiert werden, welche sich mit den Mechanismen der Organisation semantischen Wissens beschäftigen: die PrototypenTheorie und die Exemplar-Theorie bzw. „Mengenrepräsentation“. –
Die Prototypen-Theorie geht davon aus, dass sich Vertreter einer Kategorie durch bestimmte charakteristische Merkmale auszeichnen, wobei die Kategorie über jeweils einen Prototypen verfügt. Der Prototyp kann ein Vertreter der Kategorie sein oder eine Abstraktion der Vertreter dieser Kategorie (vgl. Gruber 2011: 57). Die Zuordnung eines neuen Elements zu den in Frage kommenden Kategorien erfolgt nun über dessen Übereinstimmung mit dem Prototyp49. So wird am Beispiel der Kategorie Vogel durch den Vergleich mit dem für Mitteleuropa prototypischen Vertreter Spatz entschieden, ob ein nicht kategorisiertes Tier in diese Kategorie gehört oder nicht. Es wird somit eine Aussage über die Typikalität eines Elements für die Kategorie getroffen, wobei allerdings auch ein gewisser Spielraum möglich ist (vgl. Edelmann 2000: 121). Geht man weiterhin von einer hierarchischen Struktur zwischen den Prototypen aus (vgl. auch die Darstellung der verschiedenen Netzwerkmodelle), sind drei Ebenen im Rahmen der Prototypentheorie von besonderer Bedeutung: Die übergeordnete Ebene („superordinate level“), die Basisebene („basic level“) sowie die untergeordnete Ebene („subordinate level“, vgl. Gruber 2011: 60), wobei der Basisebene bei der Beurteilung von Typikalität eine besondere Bedeutung zukommt: „Auf der Basisebene ist die Übereinstimmung mit prototypischen Exemplaren einer Kategorie am nächsten.“ (Gruber 2011: 60), eine Zuordnung zu einer Kategorie bei einfachen Verifikationsaufgaben erfolgt damit am schnellsten.
|| 49 Winkel et al. definieren Prototypen als „besonders typische oder repräsentative Vertreter einer Kategorie, die sich durch charakteristische Merkmale dieser Kategorie auszeichnen“ (Winkel et al. 2006: 164).
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Aussagen zur Typikalität können bei einigen Begriffen und auf bestimmten Ebenen jedoch nicht ohne Probleme getroffen werden: Die Kategorie Möbel etwa enthält sehr typische Elemente (Stuhl, Tisch), allerdings sind die charakteristischen Merkmale sehr heterogen. Hier scheint weniger der Abgleich mit einem typischen Vertreter als vielmehr die Beurteilung von den Merkmalen dieser Vertreter von Bedeutung zu sein (vgl. Schermer 2006: 145). –
Die Exemplar-Theorie oder „Mengenrepräsentation“ (Schermer 2006: 143) dagegen geht davon aus, dass eine Zuordnung eines Elements zu einer Kategorie nicht durch die Beurteilung von Typikalität erfolgt, sondern durch den sequentiellen Vergleich des einzuordnenden Elements mit zahlreichen Exemplaren einer Kategorie, die bereits im semantischen Gedächtnis gespeichert sind. Am Beispiel der Kategorie Vogel muss ein unbekanntes Tier somit mit bereits gespeicherten und kategorisierten Vögeln und deren Merkmalen verglichen werden. In Tests zur Exemplar-Theorie werden einfache Verifikationsaufgaben50 durchgeführt, bei denen die Merkmale von Elementen und Kategorien miteinander verglichen, wobei der Grad der Übereinstimmung einen hohen Einfluss auf die Kürze bzw. Länge der Verifikationszeit hat. Stimmen die Merkmale in hohem oder in geringem Grad überein, kann von den Probanden schnell beantwortet werden, ob ein Element einer Kategorie zuzuordnen ist oder nicht; ist die Beurteilung nicht so eindeutig, muss entschieden werden, ob es sich bei den übereinstimmenden Merkmalen um kritische oder nicht-kritische handelt, wobei kritische Attribute notwendig, nicht-kritische dagegen optional sind51. Für den Prozess des Merkmalabgleichs bedeutet dies: Im Gedächtnis sind dabei nur die Merkmalslisten abgespeichert, deren Übereinstimmung im Vergleichsprozeß quasi ‚errechnet‘ wird. Die begriffliche Relation selbst ist nicht unmittelbar gespeichert, sondern jeweils neu zu bestimmen. (Schermer 2006;147)
|| 50 Aufgefordert, die Richtigkeit der Aussagen „Eine Birke ist ein Baum“ und „Eine Birke ist eine Pflanze“ zu bestätigen, stimmten Probanden der ersten Aussagen deutlich schneller zu, was als Beweis dafür angesehen werden kann, dass eher die Prototypen- als die Exemplar-Theorie als Erklärung für die Einordnungsmechanismen in das semantische Gedächtnis dienen kann. (vgl. Schermer 2006: 146). 51 Zu den kritischen Merkmalen (Attributen) vgl. Edelmann: „Die Gesamtheit der kritischen Attribute macht den Inhalt des Eigenschaftsbegriffs aus und die Gesamtheit der Gegenstände, die er bezeichnet, nennt man seinen Umfang. Hierbei gilt die Regel: Je vielfältiger der Inhalt (Anzahl der kritischen Attribute), desto geringer der Umfang (Anzahl der Objekte).“ (Edelmann 2000: 117). Eine derartige Unterscheidung wurde bei der später entwickelten Prototypentheorie aufgrund der Vagheit zahlreicher Begriffe nicht mehr getroffen.
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Obwohl durch empirische Befunde nicht eindeutig entschieden werden kann, welche Theorie eher den Einordnungsmechanismen im semantischen Gedächtnis entspricht, zeigt die Auswertung von Verifikationsaufgaben, dass die PrototypenTheorie einen überzeugenderen Erklärungsansatz liefert: „Heute geht man davon aus, dass sich die Klassifikation innerhalb sehr umfangreicher Kategorien […] am ehesten mit der Prototyp-Theorie erklären lässt.“ (Gruber 2011: 61). Zudem kann durch die Prototypentheorie erklärt werden, warum auch unbekannte Objekte in Abgleich mit dem Prototypen einer Kategorie richtig eingeordnet werden können (vgl. Schermer 2006: 144). Als Kritik an der Exemplar-Theorie bzw. der Mengenrepräsentation kann auch angeführt werden, dass bei diesem Ansatz „u. a. wegen des sehr aufwendigen Speicherbedarfs nur eingeschränkte Bedeutung im Umgang mit natürlichen Begriffen“ (Schermer 2006: 145) zukommt52. Neben der Frage, auf welche Weise Elemente einer Kategorie zugeordnet bzw. wie neue Begriffe gebildet werden, ist auch die Strukturierung der Begriffe – deren mentale Repräsentation – wichtig. Besonders aufschlussreich, um Aussagen über den Aufbau des semantischen Gedächtnisses zu treffen, dessen Struktur nur implizit erfasst werden kann, sind Experimente zum semantischen Priming, bei denen die Reaktionsschnelligkeit auf einen vorgegebenen Reiz (in Form eines Worts) eine entscheidende Rolle spielt. Experimente hierzu haben gezeigt, dass das semantische Gedächtnis in Form eines semantischen Netzwerks organisiert ist53: Gehen wir davon aus, dass der erste Einfall zu einem genannten Begriff in der subjektiven Bedeutungsordnung direkt ‚neben‘ dem genannten Begriff gespeichert ist, so dass die Assoziation also zuerst diesen Begriff aufruft, so bietet sich dem Betrachter eine Ordnung des gespeicherten Wissens nach Bedeutungen. (Bednorz/Schuster 2002: 152)
Nach den gängigsten Modellen bilden die Begriffe dabei Knoten, die über verschiedenartige Verknüpfungen mit anderen Knoten verbunden sind. Umstritten ist jedoch die Form der Verknüpfungen, auch wenn Primingtests die Bedeutung ausgewählter Verknüpfungen nahe legen: – Wichtig in Bezug auf die Struktur des Gedächtnisses sind semantische Relationen, also Hyperonomie/Hyponymie, Antonymie sowie Attribute: „Bittet man Versuchspersonen, das erste Wort zu nennen, das ihnen zu einem gegebenen Begriff einfällt, so werden häufig Oberbegriffe […], gegenteilige Bedeutungen
|| 52 Trotz aller Kritik an der Mengenrepräsentation bzw. dem „Merkmalvergleichsmodell“ weist Volker Harm daraufhin, dass durch diesen Ansatz die Binnenstruktur von Konzepten besser als bei anderen Modellen modelliert werden könne (vgl. Harm 2000: 51). 53 Die Organisation des sprachlichen Wissens im mentalen Lexikon aufgrund von Bedeutungen ist allgemein in der Linguistik anerkannt: „Dass das mentale Lexikon nach inhaltlichen Kriterien aufgebaut ist, gilt als weitgehend unumstritten.“ (Schwarz 2008: 106).
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[…] oder Eigenschaften eines Begriffs (zu Tulpe z.B. rot) genannt.“ (Bednorz/Schuster 2002: 152). Von allen semantischen Relationen scheint der Über- bzw. Unterordnung die wichtigste Bedeutung zuzukommen: „Mit der Entwicklung der Sprache und ihrer Möglichkeiten zur Abstraktion [im Gegensatz zur visuellen Orientierung z.B. bei Tieren; MR] scheint jedoch die wesentliche Gliederung nach Unter- und Oberbegriffen zu erfolgen.“ (Bednorz/Schuster 2002: 151).
Ausgehend von diesen Erkenntnissen sind insbesondere drei Modelle der mentalen Begriffsrepräsentation von großer Bedeutung in der Lernpsychologie: semantische Netzwerkmodelle, propositionale Netzwerke sowie die Theorie von Schemata und Skripts. Da sich jedoch das mentale Lexikon und das semantische Gedächtnisses nicht voneinander trennen lassen, ergeben sich zahlreiche Verbindungen zwischen Modellen der Begriffsordnung in der Lernpsychologie sowie Theorien zur Struktur des mentalen Lexikons. Dennoch soll im Rahmen dieser Darstellung den lernpsychologischen Modellen der Vorrang gegeben werden, um diese mit Bezug auf die Informationsverarbeitung darstellen zu können. –
Semantische Netzwerke: Collins und Quillian entwickelten 1969 mit dem „Teachable Language Comprehender Modell“ (TLC) das erste Netzwerkmodell. Zentral für dieses Modell ist die Annahme von bestimmten Relationen zwischen Konzepten: Horizontal angelegt sind Eigenschaftscharakterisierungen (als „hat-Relationen“), vertikal Zuordnungen zu Begriffshierarchien („ist-einRelation“), denen als wichtigstes Strukturierungskonzept zwischen Konzepten eine besondere Bedeutung zukommt (daher auch die Bezeichnung „hierarchische[s] Netzwerkmodell“ (Harm 2000: 48)). Merkmale der Konzepte sind dabei so weit oben wie möglich in der Hierarchie gespeichert – führen somit zu einer „kognitiven Ökonomie“ (vgl. Edelmann 2000: 150, Schermer 2006: 148) – und werden auf die untergeordneten Konzepte vererbt. Gerade das Postulat der kognitiven Ökonomie wurde nachfolgend stark kritisiert, da gezeigt werden konnte, dass typische Eigenschaften eines Begriffs bei diesem direkt und nicht auf einer höheren Ebene gespeichert werden (vgl. Harm 2000: 49). Daher muss insgesamt zur Bedeutung dieses Modells konstatiert werden: „Das TLC-Modell hat nachfolgenden empirischen Überprüfungen jedoch nicht standgehalten.“ (Schermer 2006: 149).
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Infolge dieser Erkenntnis haben Collins und Loftus das Aktivationsausbreitungsmodell (spreading-activation theory) entwickelt. Im Gegensatz zu dem TLC-Modell werden die Konzepte nicht mehr hierarchisch, sondern durch semantische Ähnlichkeiten strukturiert. Konzepte sind sich umso ähnlicher, desto mehr Relationen zwischen ihnen bestehen.
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Ein weiterer Unterschied besteht in der Form der Relationen, die nun vielfältiger sein können: „Daraus resultiert ein wesentlich höherer Komplexitätsgrad des Netzwerks“. (Schermer 2006: 149). Von großer Bedeutung ist dabei der Weg des Informationsabrufs: Muss eine bestimmte Information verifiziert werden, wird das entsprechende Konzept inklusive aller Verknüpfungen aktiviert. Diese Aktivierung bezieht in Abhängigkeit von der Zeit auch benachbarte Konzepte mit ein und kann somit eine Erklärung für Ergebnisse des semantischen Primings bieten. –
Gänzlich anders aufgebaut sind die beiden folgenden Modelle, welche weniger die Struktur des semantischen Netzes als vielmehr Begriffszusammenhänge darstellen wollen. Beim Modell des propositionales Netzwerks wird davon ausgegangen, dass Wissen in Form von abstrakten Bedeutungen gespeichert wird, deren kleinste Einheit „Propositionen“ genannt werden: „Unter einer Proposition versteht man die kleinstmögliche selbständige als wahr bzw. falsch beurteilbare Wissenseinheit.“ (Gruber 2011 59f.). Aussagen über die Welt können demnach in Form von Propositionen getroffen, diese in Einheiten zerlegt und als wahr oder falsch beurteilt werden (vgl. Schermer 2006: 157ff.). Ein deutlicher Unterschied zu den anderen Modellen ist darin zu sehen, dass nicht nur Aussagen über Begriffe (Argumente), sondern auch über Eigenschaften und Tätigkeiten (Relationen) getroffen werden können (vgl. Mietzel 2007: 226f.), wodurch weniger paradigmatische als vielmehr syntagmatische Relationen modelliert werden (vgl. Harm 2000: 52). Jede Proposition hat zwei Komponenten: Argumente und eine Relation, die zwei oder mehr Argumente miteinander verknüpft. Die Aussage »Maria hat einen Onkel« enthält zwei Argumente (Maria, Onkel) und eine Relation (haben). Argumente werden üblicherweise durch Nomen und Pronomen, Relationen durch Verben, aber auch durch Adjektive und Adverbien ausgedrückt. (Seel/Hanke 2010: 66)
Im Rahmen eines größeren Netzwerkmodells ist eine Hierarchie der Begriffe vorgegeben: Allgemeine Begriffe werden zu „primären Knoten“, welche die Begriffe sowie deren allgemeine Merkmale beschreiben (im Sinne allgemeiner semantischer Relationen). Sekundäre Knoten repräsentieren bestimmte Elemente (Individuen), welche individuelle Eigenschaften besitzen und nicht verallgemeinert werden können (vgl. Schermer 2006: 159f.). Bei den Ereignisnetzwerken (propositionalen Netzen) besteht der Kernpunkt darin, dass Relationen (Beziehungen) zwischen Bedeutungselementen ausgesagt werden. (Edelmann 2000: 148).
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Das Modell einer Begriffsorganisation in Form von Schemata und Skripts fordert die Aufgabe einer atomistischen Darstellung von Bedeutung zugunsten ei-
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ner eher die Zusammenhänge betrachtenden Darstellungsweise. Schemata sind dabei „größere thematisch zusammenhängende Wissensbereiche“ (Schemer 2996: 161), durch welche die Wirklichkeit gemäß gemachter Erfahrungen strukturiert ist54. Durch Skripts – zum Schema gehörende „Handlungsanweisungen bzw. Handlungselemente“ (Bednorz/Schuster 2002: 153) – wird vorgegeben, wie die Schemata gefüllt werden können und wie man auf dieser Basis neue Erfahrungen interpretieren kann. Im Rahmen der Skript-Theorie wird der Zusammenhang von episodischem und semantischen Wissen besonders deutlich: So werden Skripts durch eigene Erfahrungen gebildet (etwa das Skript eines Restaurantbesuchs) und danach verallgemeinert. Eigene Erfahrungen bedingen aber auch, dass die Skripts von Individuum zu Individuum stark variieren und dass diese durch neue Erfahrungen modifiziert werden können (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 153). Trotz der deutlichen Unterschiede dieser Modelle besteht eine wichtige Gemeinsamkeit darin, dass Begriffe nicht isoliert im semantischen Gedächtnis gespeichert sind, sondern zahlreich und vielfältig mit anderen Begriffen verknüpft sind. Gerade diese Vielfältigkeit der Verknüpfung gilt es bei der Konzeption von Nachschlagewerken zu berücksichtigen.
5.2 Der Lernprozess Während bislang die Struktur des menschlichen Gedächtnisses beschrieben worden ist, soll im Folgenden der Speicher- bzw. Lernprozess näher dargestellt werden, welcher sich untergliedert in Enkodierung, Speicherung und Dekodierung von Wissen. An diesem Prozess sind vor allem Arbeits- und Langzeitgedächtnis beteiligt, da Inhalte durch die Übertragung vom Arbeits- ins Langzeitgedächtnis kodiert und durch den Abruf vom Langzeit- ins Arbeitsgedächtnis wiederum dekodiert werden. Eine aktive Verarbeitung erfolgt dabei hauptsächlich im Arbeitsgedächtnis, während das Langzeitgedächtnis ein eher passiver Informationsspeicher ist (vgl. Kapitel 5.1.5.). Lernen ist ein komplexer Vorgang, bei dem Vorwissen, individuelle Fähigkeiten sowie die verschiedenen Phasen der Informationsverarbeitung großen Einfluss aufeinander haben. Gerade Vorwissen, Enkodierung und Dekodierung sind stark
|| 54 Zimbardo und Gerrig ziehen Vergleiche zwischen der Prototypentheorie und dem SchemataModell: „Wie ein Prototyp der Mittelwert unserer Erfahrungen mit einer Kategorie ist, so repräsentiert auch ein Schema unsere ‚durchschnittlichen Erfahrungen‘, die wir in der Interaktion mit unserer Umwelt machen.“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 259).
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voneinander abhängig – so wird in der Lernpsychologie Dekodierung als Rekonstruktion der gespeicherten Informationen verstanden. Die Merkmale der einzelnen Speicher- und Abrufprozesse sowie die daraus resultierenden Wechselwirkungen sollen im Folgenden näher beschrieben werden. Wenn es auch einfach ist, Enkodierung, Speicherung und Abruf als voneinander getrennte Gedächtnisvorgänge zu definieren, so ist doch die Wechselwirkung zwischen den 3 Prozessen recht komplex. (Zimbardo/Gerrig 1996: 236)
Arbeitsgedächtnis
Enkodierung
Langzeitgedächtnis
Speicherung
Dekodierung
Abb. 8: Lernprozess
5.2.1 Enkodierung Unter ‚Enkodierung‘ wird die Aufnahme von Informationen durch die Sinnesorgane und deren Verwandlung in eine „verwertbare Form“ verstanden (vgl. Mietzel 2007: 203). Entscheidend für die langfristige Speicherung von Informationen im Gedächtnis ist die Art und Weise, wie diese wahrgenommen und verarbeitet werden, wobei die Verarbeitung durch entsprechende Techniken gefördert werden kann. Daher sollen an dieser Stelle nicht nur der Enkodierungsprozess sondern auch hemmende und hilfreiche Lernmethoden beschrieben werden. Die Phase der Enkodierung beginnt mit der Wahrnehmung eines Reizes und dauert so lange, wie dieser Reiz präsent ist (vgl. Gruber 2011: 77). In diesem Zeitraum werden im Gedächtnis Spuren (Engramme) gebildet, welche die neuen Inhalte kodieren, wobei kurzfristig alle Informationen gespeichert werden, die zu diesem Zeitpunkt wahrgenommen werden (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 140). Dies erklärt, warum bei der Dekodierung, die Ähnlichkeit von Lern- und Abrufsituation für den erfolgreichen Abruf von entscheidender Bedeutung sein kann (vgl. auch Kapitel 5.2.3.): „[D]ie zufällig mitgelernte Information erweist sich […] als effektiver retrieval cue.“ (Bednorz/Schuster 2002: 143). Die Kodierungsform der wahrgenommenen Reize kann sich während der Speicherung ändern: Insbesondere die Übertragung in eine semantische Kodierung ist für eine langfristige Speicherung sinnvoll, eine Erkenntnis, welche dem wortwörtlichen Lernen von Texten (auch als „mechanisches Lernen“ bezeichnet) seinen Wert
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abspricht (vgl. Edelmann 2000: 145). Die Methode des mechanischen oder wortwörtlichen Lernens durch häufiges Wiederholen ist bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts als „Nürnberger Trichter“55 bekannt, wird jedoch seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend unter dieser Bezeichnung verspottet und abgelehnt. Dass sprachliche Informationen hauptsächlich über ihren Bedeutungsgehalt kodiert werden, kann in Experimenten (u.a. von Barlett) nachgewiesen werden, in deren Rahmen Probanden eine Geschichte erzählt wurde, welche diese im Anschluss wiederholen sollten. Nicht überraschend ist, dass die Probanden das Gehörte nicht wortwörtlich wiederholten, sondern die Geschichte ihrem Sinn nach repetierten – unter Auslassung bzw. unter Hinzufügung von Details (vgl. Mayer 2005: 140, Edelmann 2000: 166). Es wurde also semantisch kodiert und anschließend aktiv rekonstruiert, was die Abweichungen von der ursprünglichen Geschichte erklärt. Mit „scheinbarem Lernen“ referieren Lernpsychologen weniger auf die Methode des Lernens als vielmehr auf den Umstand, dass Lernende nach einer Lernphase häufig das Gefühl haben, sie hätten die Lerninhalte verinnerlicht, da die Informationen im Kurzzeitspeicher abrufbar und den Lernenden somit präsent sind. Da der Lernstoff nicht weiter verarbeitet wird, kann er zeitverzögert jedoch nicht mehr reproduziert werden und ist somit nicht gespeichert worden (vgl. Metzig/Schuster 2006: 16). Um scheinbares Lernen zu vermeiden, ist es sinnvoll, Inhalte nach längeren Zeitintervallen abzuprüfen und zu wiederholen (vgl. Metzig/Schuster 2006: 16 und Bednorz/Schuster 2002: 133), wobei der beste Lernerfolg bei folgendem Verhältnis zu verzeichnen ist: [D]er Lernerfolg fällt bei der Teilung der Gesamtzeit in die Möglichkeiten Selbstprüfen (Reproduktion) und Wiederholung im Verhältnis 60 zu 40 am besten aus. (Metzig/Schuster 2006: 15)
Damit Informationen überhaupt aus dem Arbeits- ins Langzeitgedächtnis übertragen werden können, ist zunächst eine aufarbeitende Wiederholung (Elaboration) des Lernstoffs bzw. die Eingliederung der neuen Informationen in das Vorwissen (Assimilation) und damit in einem sinnvollen Zusammenhang notwendig56. Die beiden wichtigsten Bedingungen für die erfolgreiche und effiziente Speicherung
|| 55 Die Bezeichnung ‚Nürnberger Trichter‘ geht auf das 1647 in Nürnberg erschienene Werk Poetischer Trichter. Die Teutsche Dicht- und Reimkunst ohne Behuf der lateinischen Sprache in VI Stunden einzugießen von Georg Philipp Harsdörffer und die darin proklamierte Methode des mechanischen Auswendiglernens zurück. 56 Ausubel untergliedert sinnvolles Lernen weiter in „rezeptives“ und „entdeckendes“ Lernen: Beim rezeptiven (sinnvollen) Lernen werden die dargebotenen Informationen inhaltlich gelernt und mit dem Vorwissen assimiliert. Beim entdeckenden (sinnvollen) Lernen dagegen werden die Sachverhalte von den Lernenden selbst entdeckt, dann ebenfalls inhaltlich gelernt und mit dem Vorwissen assimiliert (vgl. Mayer 2005: 129f.).
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neuer Informationen sollen im Folgenden unter Berücksichtigung bereits beschriebener Erkenntnisse dargestellt werden.
5.2.1.1 Elaboration Bei der „aufarbeitenden Wiederholung“ oder „Elaboration“ (bzw. „elaborativen Kodierung“, vgl. Metzig/Schuster 2006: 18) setzt sich der Lernende intensiv und aktiv mit dem Lernstoff auseinander. Der Umfang der zu lernenden Informationen wird zunächst vergrößert, indem der Lernende Lerninhalte um für ihn relevante Informationen ergänzen bzw. in verschiedenen Repräsentationssystemen darstellen soll. Häufig empfohlene Lernstrategien sind hierbei die bewusste Aktivierung von Vorkenntnissen, verschiedene Formen der Strukturierung des Lernstoffs sowie verschiedene Formen der Visualisierung. Gerade Letzteres ist von entscheidender Bedeutung: Am besten wird gelernt, wenn Informationen nicht nur in einer Kodierungsform, sondern in verschiedenen Systemen gespeichert werden, was in Abhängigkeit von der Zahl der beteiligten Codes als „duale“ bzw. „multiple Repräsentation“ (vgl. Mayer 2005: 136) bezeichnet wird: Eine gleichzeitige oder sukzessive Mehrfachkodierung führt in der Regel zu einer Verbesserung des Lernens, da eine vollständigere Erfassung eines Gegenstandes möglich ist bzw. die Information auch besser behalten wird. (Mayer 2005: 136)
Nach der Theorie der dualen Kodierung sollten sowohl verbales wie auch nonverbales Lernen und damit sprachliche und bildhafte Kodierung an dem Enkodierungsprozess beteiligt sein57. Tatsächlich lässt sich durch neurophysiologische Untersuchungen bestätigen, dass Informationen durch verschiedene Kodierungsformen in unterschiedlichen Hirnarealen verarbeitet werden und die Speicherung dadurch verbessert wird (vgl. Mayer 2005: 132f.). Zwischen den Kodierungsformen bestehen allerdings Unterschiede hinsichtlich der Behaltensleistung: Die höchste Behaltensleistung fand [Paivio] bei Verwendung von Bildern, die schlechteste bei abstrakten Begriffen, während das Behalten von anschaulichen Begriffen dazwischen liegt. Seine Theorie sieht Paivio durch Ergebnisse bestätigt, die zeigen, daß Lernmaterial um so besser behalten wird, je konkreter (anschaulicher) es ist. (Schermer 2006: 130)
|| 57 In Zusammenhang mit dem Nutzen multipler Repräsentation führt Edelmann auch Comenius und dessen didaktische Methoden für den Sprachunterricht – festgehalten in der Didactica magna – an: „Wenn man nun eine Sprache lernt, die Muttersprache nicht ausgenommen, so müssen die Dinge, die mit Wörtern bezeichnet werden sollen, gezeigt werden. Umgekehrt sollen die Schüler, was sie sehen, hören, fühlen oder schmecken, durch Worte ausdrücken lernen, so dass Sprache und Verständnis parallel sich entwickeln und ausgefeilt werden.“ (Comenius, zitiert nach Edelmann 2000: 153).
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Die vielfältige Form der Kodierung ist besonders wichtig für den späteren Abruf – je mehr Abrufreize („retrieval cues“, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 245, Bednorz/Schuster 2002: 140) geschaffen werden, desto schneller und genauer kann sich der Lernende an die Informationen erinnern. Die Elaboration greift damit als Lernhilfe das auf, was Craik und Lockhart in ihrem Mehrebenenansatz als „Tiefe der Verarbeitung“ beschrieben haben (vgl. Kapitel 5.1.2.2.): Darüber hinaus wurde dem Konzept der Verarbeitungstiefe als qualitativ unterschiedliche Stimulusanalyse (sensorische, phonemische, semantische Merkmale betreffend) dasjenige der Elaboration als gleichwertig gegenübergestellt. ‚Tiefe‘ bezieht sich auf Unterschiede in der qualitativen Art der Analyse und der Gedächtniskodierung, wohingegen sich ‚Elaboration‘ auf die Ausdehnung oder Reichhaltigkeit der auf jeder Ebene oder Tiefe erfolgenden Verarbeitung bezieht. (Schermer 2006: 137)
Die Tiefe der Informationsverarbeitung kann in Unterricht und Lernmaterialien durch entsprechende Arbeitsanweisungen bewusst beeinflusst werden: Die Informationstiefe ist gering, wenn Lernende lediglich rezipieren (etwa einen Text lesen), nimmt aber deutlich zu, wenn sie produzieren müssen (etwa einen Text mit eigenen Worten wiedergeben). Ob die aufarbeitende Wiederholung von Lernenden genutzt wird, hängt einerseits von der individuellen Leistungsfähigkeit (vgl. Mietzel 2007: 217) und andererseits von dem Alter der Lernenden ab. Je mehr eigene Erfahrungen und Vorwissen genutzt werden können, desto leichter fällt die elaborierende Verbindung von neuen Lerninhalten und vorhandenem Wissen. Während jüngere Schüler hier der Hilfe bzw. der expliziten Anweisung durch Lehrende bedürfen, kann diese Fähigkeit von älteren Schülern bewusst und eigenständig eingesetzt werden (vgl. auch Metzig/Schuster 2006: 142): Die selbstständige Nutzung der aufarbeitenden Wiederholung in der ausdrücklichen Absicht, neues Lernmaterial gut im Gedächtnis zu verankern, tritt aber erst in der frühen Adoleszenz auf, verbessert sich dann allerdings kontinuierlich in den nachfolgenden Jahren. (Mietzel 2007: 217)
In Abhängigkeit vom Vorwissen gibt es ebenso die Methode der „reduktiven Kodierung“, bei der das neue Wissen durch das Vorwissen soweit reduziert werden kann, dass sich die Menge an Lernstoff deutlich verringert (vgl. Metzig/Schuster 2006: 19).
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5.2.1.2 Assimilation Damit eine Information in der komplexen Struktur des Vorwissens richtig abgelegt werden kann, ist es daher notwendig, dass diese sinnvoll ist, also in einer bestimmten Beziehung zu den bereits gespeicherten Informationen steht. (Mayer 2005: 146, ähnlich auch Metzig/Schuster 2006: 18)
Eine ebenso große Bedeutung wie die intensive Beschäftigung mit dem Lernstoff hat das Vorwissen des Einzelnen und die sinnvolle Integration neuer Informationen in bereits Gelerntes (Assimilation58). Hierbei soll der Lernende bewusst und explizit altes mit neuem Wissen verknüpfen, je mehr Anknüpfungspunkte sich hierbei ergeben („multiple Enkodierung“, vgl. Metzig/Schuster 2006: 18, Mayer 2005: 146), desto leichter kann er später das Wissen abrufen. Das Vorwissen ist somit entscheidend für den Lernerfolg: „[J]e mehr Bedeutungen der Speicher bereits vorsieht, desto leichter ist es, für neue Bedeutungen eine passende Stelle zu finden.“ (Bednorz/Schuster 2002: 155). David Ausubel fasst seine durch Experimente gewonnenen Erkenntnisse auf dem Gebiet der pädagogischen Psychologie durch folgenden Rat zusammen: Wenn ich die gesamte Pädagogische Psychologie auf nur ein einziges Prinzip zu reduzieren hätte, würde ich Folgendes sagen: Der wichtigste Einzelfaktor, der das Lernen beeinflusst, ist das, was der Lernende bereits weiß. Ermittle dies und unterrichte ihn (oder sie) entsprechend! (Ausubel, zitiert nach Mietzel 2007: 217f.)
Die Verarbeitungstiefe wird weiter verstärkt, wenn es Lernenden möglich ist, die Informationen mit eigenen Erfahrungen und individuellen Interessen zu verknüpfen (sog. „self-reference“ (Metzig/Schuster 2006: 13) oder „Selbstbezugseffekt“ (Mietzel 2007: 220)): „Informationen, die in irgendeiner Weise mit der eigenen Person in Beziehung gesetzt werden können, gelten als besonders bedeutungsträchtig.“ (Mietzel 2007: 220). Obwohl es nachvollziehbar ist, dass subjektiv bedeutsame Informationen besser gelernt werden, ist der Prozess, welcher zu einer intensiveren Speicherung führt, nicht ganz geklärt (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 141). Auch wenn Lernende nicht an eigene Erfahrungen anknüpfen können, spielt das Interesse am Lernstoff für die Nachhaltigkeit des Lernens eine wichtige Rolle (vgl. Metzig/Schuster 2006: 134). Mietzel kritisiert vor diesem Hintergrund die „Ent-
|| 58 Ein anderes Verständnis von Assimilation wird bei Edelmann referiert: „Diese Organisation des Lernmaterials ist für das Behalten wesentlich wichtiger als gedankenloses Memorieren. Manche Autoren verwenden den Begriff des Kurzzeitgedächtnisses gar nicht mehr und sehen die Verarbeitungstiefe (= Assimilation) als ausreichende Erklärung für das Behalten.“ (Edelmann 2000: 168). Edelmann selbst dagegen beschreibt Assimilation als „Verankerung des neuen Wissens in der kognitiven Struktur“ (Edelmann 2000: 145).
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persönlichung des Unterrichts“ sowie die daraus folgende „Tabuisierung von Unterrichtsgesprächen über persönliche Erfahrungen“ (Mietzel 2007: 218). Die Speicherung wird aber nicht nur durch die Einbindung in Vorwissen und Verbindung mit eigenen Erfahrungen und Interessen langfristig unterstützt, auch die persönliche Haltung zu Sachwissen ist sehr wichtig. Ein frühes Experiment von Edward (1941) mit 144 Studierenden zeigt in diesem Zusammenhang, dass der Behaltenseffekt von Aussagen durch Übereinstimmung mit eigenen Einstellungen und Ansichten deutlich gesteigert wird59 (vgl. hierzu Mayer 2005: 141).
5.2.2 Speicherung Die Speicherung von Informationen im Langzeitgedächtnis setzt eine entsprechende Kodierung voraus; erst durch diese können Informationen in die zur Verfügung stehenden Systeme überführt werden (vgl. Kapitel 5.1.5.). Man spricht hier von einer „Retention“ (vgl. Gruber 2011: 77) des ursprünglich wahrgenommenen Reizes. Dabei kann der Speicherprozess durch verschiedene Faktoren gestört werden, wobei zeitliche Aufeinanderfolge von Lernphasen und -stoff und emotionale Erregungszustände die wichtigsten Faktoren sind, welche Lernhemmungen bedingen können. –
Retro- und proaktive Hemmung: Die Qualität der Speicherung von Informationen ist abhängig von den Aktivitäten vor und nach dem Lernen sowie der zeitlichen Reihenfolge, in der Inhalte gelernt werden. So kann zeitnahes Lernen von ähnlichen Inhalten der Grund für eine mangelhafte oder ausbleibende Speicherung sein. Dabei ist nachweisbar: Je ähnlicher die Inhalte60 und je kürzer der Abstand zwischen den Lernphasen desto schlechter ist der Lernerfolg (vgl. Mayer 2005: 141), desto größer sind demnach die Interferenzen. Bemüht sich der Lernende allerdings um eine Abgrenzung der Inhalte und das Herstellen sinnvoller Bezüge, kann ein Lernen ähnlicher Inhalte sogar sehr ergiebig sein (vgl. Bednorz/ Schuster 2002: 216, Metzig/Schuster 2006: 16f.).
|| 59 Im Rahmen des Experiments nahmen 144 Studierende an einem Vortrag teil, der gleichermaßen Pro- und Contra-Argumente zu einer wirtschaftlichen Frage thematisierte. Eine Befragung nach dem Vortrag ergab, dass die Studierenden sich am besten an die Argumente erinnern konnten, die mit ihren Einstellungen übereinstimmten, während sie Gegenargumente schnell vergaßen bzw. diese überhaupt nicht wahrnahmen (vgl. Mayer 2005: 141). 60 Zimmer spricht in diesem Zusammenhang von ‚Distinktivität‘: „Die Distinktivität bezeichnet dabei das Maß der Abgrenzung zu anderen Gedächtnisbeständen. Um so höher die Distinktivität ist, um so klarer ist eine bestimmte Gedächtniseintragung von anderen abgehoben.“ (Zimmer 1988: 152).
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Bei Lernhemmungen durch Interferenzen kann unterschieden werden zwischen retroaktiven und proaktiven Hemmungen: Eine retroaktive Hemmung tritt auf, wenn der bereits gelernte Lernstoff durch das Lernen von ähnlichen Inhalten gestört wird61. Bei einer proaktiven Hemmung dagegen wird das Lernen von neuem Stoff durch bereits gelernten Stoff beeinträchtigt. Durch Experimente kann festgestellt werden, dass retroaktive Hemmungen sich deutlicher auswirken als proaktive (vgl. Mayer 2005: 141). Entscheidend für das Auftreten von Interferenzen ist zudem die Lernform: Gerade bei mechanischem Lernen wird eine langfristige Speicherung der Informationen allein durch die Lernmethode erschwert, die Interferenzen sind daher umso größer. Sobald sich der Lernende jedoch aktiv mit den Lerninhalten im Sinne einer elaborierenden Wiederholung auseinandersetzt, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Interferenz (vgl. Mayer 2005: 142). Dies kann zudem durch Abwechslung bei der Form des Lernstoffs sowie der Lernmethoden unterstützt werden: Jedoch sollten Lerninhalte, die eher bildhafte räumliche Überlegungen verlangen, nach rein verbalem Material gelernt und eine Phase des sinngemäßen Lernens von einer Phase des Auswendiglernens abgelöst werden. (Mayer 2005: 142)
Zudem benötigt die Konsolidierung, also die Verfestigung von Lerninhalten62, Zeit, daher sollten von Lernenden kürzere Lerneinheiten angestrebt werden (vgl. Winkel et al.), wobei die Lernleistung besonders hoch ist, wenn nach dem Lernen keinerlei Aktivität mehr folgt (etwa beim Lernen kurz vor dem Einschlafen, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 247): „Dies ist damit zu erklären, dass die beteiligten neuronalen Strukturen während der Lernpausen weiterhin aktiv sind und die Informationen weiterverarbeiten.“ (Winkel et al. 2006: 31).
|| 61 Winkel et al. erläutern die retro- und proaktive Hemmung am Beispiel des Vokabellernens zweier, eng miteinander verwandter Sprachen: „Wenn ein Schüler eine Liste mit 20 italienischen Vokabeln gelernt hat und direkt im Anschluss eine Liste mit 20 spanischen Vokabeln lernen soll, so wird ihm das Erlernen der spanischen Vokabeln schwerer fallen, weil die bereits gelernten italienischen Wörter den spanischen sehr ähnlich sind und mit dem neuen Lernstoff interferieren (proaktive Interferenz). Wenn man nach dem mühsamen Erwerb der spanischen Vokabeln bei diesem Schüler nun die italienischen Vokabeln abfragt, wird man feststellen, dass er einen großen Teil der Wörter wieder vergessen hat! (retroaktive Interferenz)“ (Winkel et al. 2006: 33). 62 Gruber beschreibt ‚Konsolidierung‘ als neuronale Festigung der Gedächtnisspur (vgl. Gruber 2011: 85). Unklar ist, wie viel Zeit für die Konsolidierung des Lernstoffs benötigt wird (vgl. Gruber 2011: 87ff.); empirische Befunde unterstreichen allerdings die Bedeutung des Schlafs in dieser Phase.
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Emotionen: Die zweite, wichtige Ursache für Lernhemmungen sind emotionale Einflüsse vor, während und nach der Lernphase63. Vor dem Lernen kann die Motivation für den Wissenserwerb z.B. durch Prüfungsängste deutlich sinken, wohingegen eine positive Einstellung zum Lernen sowohl die Motivation wie auch die Lernerfolge deutlich steigern kann. Emotional aufwühlende Erlebnisse positiver wie negativer Art können das Lernen von Informationen gänzlich verhindern. Hier sollte von den Lernenden zunächst ein emotional neutraler Zustand erreicht werden, bei dem die Aufnahme neuer Informationen möglich ist, d.h. die „affektive Erregung“ (Metzig/Schuster 2006: 46) sollte sich erst wieder normalisieren, damit die Bedingungen für Wissenserwerb gegeben sind. Auch intensive Gefühle nach der Lernphase können die Übertragung der Informationen von Arbeits- ins Langzeitgedächtnis verhindern: „Die retrograde Amnesie, das vollständige Vergessen von Ereignissen, die einem Schock, wie z. B. einem Unfall, vorausgegangen sind, stellt dieses Phänomen in extremer Form dar.“ (Metzig/Schuster 2006: 46). Erinnerungen an das Ereignis, das den Schock ausgelöst hat, werden dagegen häufig in aller Detailliertheit als sog. „Flashbulb Memories“ (Bednorz/Schuster 2002: 147) gespeichert. In Unterrichtssituationen gilt, dass nicht nur die Gefühlslage des Lernenden, sondern auch die Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden für den Lernerfolg entscheidend ist, ein Umstand, der in der Vergangenheit häufig keine Beachtung gefunden hat. Bereits für den frühkindlichen Wissenserwerb – und insbesondere für die Beziehung zwischen Kind und Eltern – gilt: „Ohne Bindung kein Lernen.“ (Mienert/Pitcher 2011: 61). Aber auch später ist die Beziehung zum Lehrenden entscheidend für die Motivation und den Lernerfolg und sollte daher auch in der Erwachsenenbildung nicht vernachlässigt werden: „Der Wunsch nach Sicherheit, Angenommensein und Akzeptiertwerden ‚so wie man ist‘, kennt jedoch kein Alter.“ (Mienert/Pitcher 2011: 61).
5.2.3 Dekodierung Die Dekodierung von Gedächtnisinhalten ist unmittelbar abhängig von der Enkodierung: Die gelernten und gespeicherten Informationen werden dabei aus dem Lang-
|| 63 Yerkes und Dodson haben bereits 1908 systematisch den Zusammenhang zwischen Lernen und Erregung dargestellt (sog. „Yerkes-Dodson-Gesetz“) und diesen auch visualisiert. In Form einer umgekehrten U-Kurve zeigen sie, dass sich sowohl zu wenig als auch zu viel Erregung negativ auf den Lernerfolg auswirken und dass nur bei einem mittleren Niveau gute Erfolge erzielt werden können (vgl. Metzig/Schuster 2006: 25f.).
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zeit- ins Arbeitsgedächtnis transferiert, wo die Erinnerung als aktive Rekonstruktion erfolgt (vgl. auch das Experiment zur Wiedergabe einer Geschichte, das in Kapitel 5.2.1. beschrieben worden ist). Da verbal präsentierte Informationen zumeist über ihre Bedeutung gespeichert werden, erfolgt auch die Dekodierung durch die Rekonstruktion eines „sinnvollen Ganzen“ (Mayer 2005: 140). Die Bildung von Abrufreizen („retrieval cues“) während des Enkodierungsprozesses ist von entscheidender Bedeutung: Je mehr „retrieval cues“ bei der Enkodierung geschaffen worden sind, desto besser und einfacher kann die Information dekodiert werden. Hierbei spielen auch Emotionen eine wichtige Rolle: Diese können einerseits selbst als hilfreiche Abrufreize dienen (vgl. Gruber 2011: 100), andererseits können extreme Erregungszustände den Dekodierungsprozess blockieren (vgl. das Beispiel bei Mayer 2005: 14064 oder auch bei Zimbardo/Gerrig 1999: 263). Die Bedeutung der Abrufreize hat auch Auswirkungen auf die Form, in der Lerninhalte abgeprüft werden (sollten): Aufgrund der fehlenden „retrieval cues“ ist die freie Rekonstruktion („recall“, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 245) von Lernstoff in Form einer Klausur höchst anspruchsvoll, während bei Multiple-Choice-Klausuren durch eine Auswahl an Antworten bereits geeignete „retrieval cues“ vorgegeben werden, welche den Lernenden die Rekonstruktion des Lernstoffs vereinfachen65. Die Dekodierung ist abhängig von zwei Faktoren: –
Einerseits ist die Kodierungsform für den Abruf sehr wichtig: Wurden die Information in semantischer Form gespeichert, kann sich der Lernende schnell an die Bedeutung erinnern, wurden die Informationen dagegen als Bild gespeichert, erfolgt die Erinnerung besser über visuelle Rekonstruktion: „Die meisten Menschen erkennen Objekte besser wieder, wenn das Format beim Enkodieren und beim Wiedererkennungstest gleich ist: also entweder Wörter präsentiert und getestet wurden oder aber Bilder präsentiert und getestet wurden.“ (Gluck et al. 2010: 98).
|| 64 Mayer beschreibt anhand von Aussagen missbrauchter Minderjähriger, inwiefern extreme Erregungszustände die Rekonstruktion von eigenen Erfahrungen blockieren können: „Bei Inhalten, die zu schmerzvoll sind bzw. die Selbsteinschätzung einer Person zu sehr bedrohen, kann die Erinnerung völlig gehemmt werden.“ (Mayer 2005: 140). 65 Dass Multiple-Choice-Klausuren den Ruf haben, einfacher als andere Prüfformen zu sein, ist auch den Lehrenden bewusst: „Natürlich wissen das auch die Professoren, und normalerweise kompensieren sie den leichteren Schwierigkeitsgrad bei Multiple-Choice-Prüfungen, indem sie alternative Antworten bereitstellen, bei denen man sich leicht irren kann, wenn man den Lernstoff nicht genau beherrscht.“ (Gluck et al. 2010: 99).
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Andererseits ist auch der Zusammenhang von Lerninhalten und Lernsituation wichtig für Abruf und Abrufsituation (sog. „Kontexteffekte“66, vgl. Gruber 2011: 99). So hat man in einem Experiment mit einer Gruppe von Tauchern, welche Wortlisten teilweise an Land, teilweise unter Wasser lernen sollten, herausgefunden, dass, wenn die Abrufsituation mit der Lernsituation übereinstimmte, die Lerninhalte besser dekodiert werden konnten (sog. „Enkodierspezifität“, vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 248). Die Taucher, welche die Wortlisten unter Wasser gelernt hatten, konnten diese z.B. dort besser repetieren: „Die Leistung war fast um 50 % besser, wenn die Kontexte des Enkodierens und Abrufens übereinstimmten.“ (Zimbardo/Gerrig 1999: 248). Für die Vorbereitung auf Prüfungen können aus dieser Erkenntnis praktische Konsequenzen gezogen werden: Je mehr sich der Lernende bereits beim Lernen auf Prüfsituation und -form vorbereitet, desto besser kann er bei der Prüfung die benötigen Inhalte abrufen67. Also bei einer Prüfung die aus einer Auswahl aus mehreren Antwortenalternativen besteht (multiple choice), sollte man in der Vorbereitung Unterscheidungsfragen bilden und die Sensibilität für die Formulierungen von Unterschieden schärfen. Bei einer schriftlichen Klausur zu einem Thema sollte man einmal zu vermuteten Themen einen Aufsatz niederschreiben und versuchen, ob man für eine größere Anzahl von Themen eine sinnvolle Gliederung entwickeln kann. (Metzig/Schuster 2006: 15)
Durch den Umstand, dass Gedächtnisinhalte aktiv rekonstruiert werden, ist der Prozess jedoch anfällig für Fehler: „Dabei werden ‚Lücken‘ durch die Plausibilität ersetzt.“ (Bednorz/Schuster 2002: 142). So haben Loftus und Palmer 1974 in einem Experiment nachgewiesen, dass sich Augenzeugen eines per Video vorgeführten Autounfalls bei der Rekonstruktion nachweislich durch die Formulierung von Fra-
|| 66 Kontexteffekte beziehen sich sowohl auf die Umgebung, den Zustand des Lernenden (z.B. nüchtern oder alkoholisiert) wie auf dessen Stimmung (z.B. glücklich oder traurig), was durch diverse Experimente eindrucksvoll demonstriert worden ist (vgl. Gruber 2011: 99f.). 67 Obwohl die Lernsituation großen Einfluss auf die Rekonstruktion hat, kann doch kein Zusammenhang zwischen Lernsituation und Lernerfolg konstatiert werden: „Eine umfangreiche Untersuchung an 5000 Studenten, deren Abschlussprüfungen entweder im gleichen Raum stattfanden wie der entsprechende Kurs oder in einem anderen Raum, ergab keinen Einfluss auf die Leistung.“ (Gluck et al. 2010: 98).
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gen beeinflussen ließen68, zeitverzögert wurden von den Probanden sogar Details fehlerhaft ergänzt69 (vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 263, Seel/Hanke 2010: 108). Andere Experimente zeigen zudem, dass sogar Erinnerungen an eigene Erfahrungen durch das Zeigen von manipulierten Fotos beeinflusst werden können („falsche Erinnerungen“, vgl. Gruber 2011: 128, Gluck et al. 2010: 103f.): „Je intensiver sich Menschen ein bestimmtes Ereignis vorstellen, desto mehr glauben sie daran, dass dieses Ereignis wirklich stattgefunden hat“ (Gluck et al. 2010: 104). Bednorz und Schuster halten daher hinsichtlich der Enkodierungs- und Dekodierungsprozesse fest: In der Erforschung des Lernvorgangs lässt sich […] zeigen, dass der Erwerb der Information = transformieren in den Gedächtniscode (enkodieren) und die Erhaltung im Speicher und der Abruf (dekorieren = transformieren aus dem Gedächtniscode) unterschiedliche Prozesse sind, die unabhängig voneinander beeinflusst werden können. (Bednorz/Schulz 2002: 26)
Aber nicht nur die Rekonstruktion von Gedächtnisinhalten, auch Angaben zu den Quellen können bei der Dekodierung falsch zugewiesen werden. Der Begriff „Quellenamnesie“ beschreibt den Umstand, dass die Inhalte zwar korrekt referiert werden können, die Angabe der dazugehörigen Quelle allerdings häufig eher aufgrund von Annahmen erfolgt (vgl. Gluck et al. 2010: 101).
5.3 Beim Wortschatzerwerb genutzte Strategien Es sind vor allem die Bereiche fremdsprachlicher Vokabularerwerb und fremdsprachliches Leseverstehen, in denen Ansätze und Ergebnisse der Arbeitsgedächtnisforschung Anwendung finden sollen. Eine entsprechende Umsetzung gibt es aber bisher kaum. (Dittmann/Schmidt 1998: 304)
Auch wenn lernpsychologische Untersuchungen und deren Ergebnisse in der Linguistik bislang nur wenig Beachtung gefunden haben70, sind eine langfristige Speiche-
|| 68 Die Personen wurden zum Teil gefragt „Wie schnell waren die Autos, als sie ineinander rasten?“, zum Teil „Wie schnell waren die Autos, als sie sich berührten?“ (vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 263). Obwohl alle Probanden den gleichen Film gesehen hatten, schätzte die eine Gruppe aufgrund der Fragestellung die Geschwindigkeit auf 65 km/h, die andere Gruppe auf 50 km/h (vgl. Zimbardo/Gerrig 1999: 263). 69 Aufgrund dieser Ergebnisse plädieren Psychologen dafür, die Bedeutung von Augenzeugenberichten eher herabzustufen (vgl. Gluck et al. 2010: 104). Dies wird auch durch Untersuchungen zur Rechtmäßigkeit von Strafurteilen gestützt: „In einer Untersuchung wurden 62 Fälle überprüft, bei denen Personen wegen Straftaten verurteilt wurden, die später aufgrund von DNA-Beweismaterial freigesprochen werden mussten […]. In mehr als 80 Prozent dieser Fälle waren die Hauptbeweise, die zu einer Verurteilung führten, Augenzeugenberichte, in denen Augenzeugen fälschlich Personen als Täter identifizierten, die sich später als unschuldig erwiesen.“ (Gluck et al. 2010: 104).
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rung von Wortschatz sowie ein schneller Zugriff auf (lexikalische) Informationen für den Fremdsprachenerwerb von großer Bedeutung. Im Rahmen der Fremdsprachendidaktik sind daher verschiedene Techniken für das Lernen von Vokabeln entwickelt worden (vgl. Kapitel 4.2.). Um diese Lernmethoden vor dem Hintergrund lernpsychologischer Erkenntnisse evaluieren zu können, soll vorab zusammenfassend festgehalten werden, was die Speicherung neuer Informationen positiv bzw. negativ beeinflussen kann71: –
Von besonderer Bedeutung für den Erwerb neuen Wissens ist die die Frage, ob der Lernende neuen Informationen Aufmerksamkeit widmet und ob er diese auf sich und seine Interessen beziehen kann bzw. wie interessant er diese findet (subjektive Bedeutsamkeit): Schenkt der Lernende den Informationen keine Aufmerksamkeit, werden diese zwar wahrgenommen, gelangen aber nicht ins Arbeitsgedächtnis und werden somit nicht weiter verarbeitet und gespeichert. Um dies zu verhindern ist es wichtig, an Themen anzuknüpfen, die für Lernende relevant sind, sowie Lernmaterialien so zu gestalten, dass diese Aufmerksamkeit wecken (vgl. Kapitel 5.1.3).
–
Werden Informationen vom sensorischen Gedächtnis ins Arbeitsgedächtnis übertragen, kann eine Enkodierung erfolgen, welche die Voraussetzung für die Speicherung im Langzeitgedächtnis ist. Damit der Enkodierungsprozess erfolgreich verläuft, ist Folgendes besonders wichtig (vgl. Kapitel 5.2.): –
Die Lernenden müssen sich aktiv mit den Informationen beschäftigen (Elaboration) und versuchen, diese in möglichst vielfältiger Weise zu kodieren (verbal, bildlich etc.). Durch die multiple Enkodierung werden verschiedenartige Abrufhilfen geschaffen, welche nicht nur die langfristige
|| 70 Die ausbleibende Wahrnehmung von linguistischer Forschung in der Psychologie und von psychologischen Erkenntnissen in der Linguistik wird von Paul Meara gerade in Hinblick auf deren Bedeutung für Fremdsprachenerwerbsforschung stark kritisiert und zugleich durch unterschiedliche Forschungstraditionen sowie Forschungsansätze erklärt – so sei die Linguistik maßgeblich empirisch geprägt und die Psychologie vorwiegend auf die Entwicklung von Modellen ausgerichtet: „Research in the applied linguistic tradition is much less concerned with the development and exploration of formal models, and as a result, it tends to move much more slowly as a field.“ (Meara 1997: 110). In diesem Sinn plädiert Meara für die Entwicklung von validen Modellen, um Prozesse des Fremdsprachenerwerbs erklären und somit auch für die gesteuerte Sprachvermittlung verbessern zu können: „The way we think about language (largely determined by the models we use) governs the type of textbooks which get published and the types of methodology advocated by teacher-training institutions. Thus current models influence not only researchers and academics, but the everyday classroom teacher as well.” (Meara 1997: 121). 71 Eine ähnliche, knappe Zusammenfassung der lernpsychologischen Erkenntnisse – allerdings ohne konkrete Bezüge auf lernpsychologische Studien – ist auch bei De Florio-Hansen zu finden (vgl. De Florio-Hansen 2002).
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Speicherung, sondern auch einen möglichst schnellen Abruf sicherstellen. –
Ebenso wichtig ist die Einbettung von Informationen in Vorwissen (Assimilation). Ist es Lernenden möglich, Bezüge zu bereits Gelerntem herzustellen, erleichtert dies den Wissenserwerb und führt zudem zu einer langfristigen Speicherung.
–
Damit die Konsolidierung der Lerninhalte nicht gestört wird, ist es wichtig, dass ähnliche Lerninhalte nicht direkt nacheinander gelernt werden. Eine Ausnahme sind Lernsituationen, in denen sich Lernende intensiv mit den Inhalten, ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten auseinandersetzen. Ebenso förderlich ist es, wenn sich verschiedene Lernmethoden abwechseln, z.B. wenn auf visueller Vorstellungskraft basierende Inhalte im Wechsel mit verbalen Inhalten gelernt werden. Dass Lernende möglichst dann lernen sollten, wenn sie aufnahmebereit und in einem emotional ausgeglichenen Zustand sind, ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Speicherung.
–
Da die Dekodierung als ein aktiver Rekonstruktionsprozess beeinflusst werden kann, ist es bereits bei der Enkodierung wichtig, möglichst vielfältige und zahlreiche Abrufreize zu schaffen. Diese können bei der Dekodierung genutzt und so eine falsche Rekonstruktion von Inhalten vermieden werden.
Inwiefern lassen sich diese Erkenntnisse auf den Wortschatzerwerb anwenden? Hierbei muss zunächst beachtet werden, in welchem Gedächtnissystem Wortschatz gespeichert wird. Das mentale Lexikon72 ist als Teil des semantischen Gedächtnisses auch Teil des deklarativen Gedächtnisses. Daher kann zum einen durch direkte Tests von Lernenden und Lehrenden überprüft werden, in welchem Umfang fremdsprachlicher Wortschatz gelernt worden ist. Zum anderen ist der Erwerb des fremdsprachlichen Wortschatzes in der Regel in den systematischen selbstgesteuertem Erwerb oder in den institutionalisierten Unterricht eingebunden; da der Erwerb von Wortschatzwissen in der Fremdsprache also bewusst verläuft, können auch Lerntechniken direkt eingesetzt werden. Techniken zum Vokabellernen sollten zunächst durch den Lehrenden bzw. durch anschauliche Angaben in Lernmaterialien genau erklärt und mit den Lernenden sorgfältig eingeübt werden; nur so kann sichergestellt werden, dass die Techniken richtig eingesetzt werden und zu einem langfristigen Lernerfolg beitragen (vgl. Rampillon 1996: 20ff.). Die genaue Kenntnis der Lerntechniken und deren richtige
|| 72 Unter dem Begriff ‚mentales Lexikon‘ wird in Übereinstimmung mit Möhles Definition (vgl. Fußnote 42) nicht nur das erstsprachliche mentale Lexikon, sondern auch das mehrsprachige mentale Lexikon verstanden.
Beim Wortschatzerwerb genutzte Strategien | 117
Anwendung trägt auch zur Autonomie der Lernenden außerhalb des Unterrichts bei73: Dadurch sind sie in der Lage, nach einiger Zeit ihr schulisches Lernen positiv zu beeinflussen und im Leben außerhalb der Schule bzw. nach der Schulzeit das Lernen fremder Sprachen weitgehend selbständig zu betreiben. (Rampillon 1996: 23)
Bei der Wortschatzvermittlung ist es zwingend notwendig, die Strukturen des semantischen Gedächtnisses zu nutzen und fremdsprachlichen Wortschatz daher möglichst geordnet und mit einer Vielzahl semantischer Relationen zu präsentieren. Hier zeigen insbesondere die verschiedenen Modelle zur Begriffsrepräsentation im semantischen Gedächtnis (vgl. Kapitel 5.1.6.), dass die Vielfältigkeit bei der Angabe von Relationen besonders wichtig ist. Welche Bedeutung der (eigenständigen) multiplen Vernetzung im mentalen Lexikon zukommt, wird auch von Köster betont: Weitgehend selbständig Ordnungen im Wortschatz zu entdecken und zu schaffen, fördert den Ausbau des subjektiven mentalen Lexikons; und je vielfältiger eine lexikalische Einheit vernetzt ist, desto besser kann sie abgerufen werden. (Köster 2010: 1023)
Sowohl der Kategorisierungsprozess, welcher automatisch beim Erwerb und bei der Identifikation von Begriffen einsetzt, als auch Primingtests zeigen, dass der Hyponymie und Hyperonymie unter den semantischen Relationen eine besondere Bedeutung zukommt. So kann durch Experimente nachgewiesen werden, dass die Behaltensleistung deutlich steigt, wenn ProbandInnen ungeordnete Wortlisten durch Oberbegriffe selbst strukturieren oder Oberbegriffe der zu lernenden Kategorien vorgegeben werden (vgl. Metzig/Schuster 2006: 106). Kategorisierung wie auch die Angabe semantischer Relationen werden daher auch bei den von Ute Rampillon (vgl. Rampillon 1996: 46f.) und Robert Kleinschroth (vgl. Kleinschroth 2009: 74ff.) vorgestellten Methoden zum Vokabellernen und -wiederholen genutzt: das Lernen durch Klassifizierung (Oberbegriff-Unterbegriff-Relation), das Lernen von Skalen74 (z.B. die Wärmeskala) und das Aufzeigen von Gegensätzen und Gemeinsamkeiten.
|| 73 Wie wichtig eine ausführliche Einführung in die Lerntechniken sowie das Einüben durch die Lernenden ist, betont Mietzel: „Es reicht offenkundig nicht aus, Schüler mit einer Lernhilfe vertraut zu machen, und sich sodann darauf zu beschränken, ihnen die Anwendung zu empfehlen. Auch wenn objektiv durch eine Lernstrategie eine Förderung ihrer Behaltensleistungen erfolgt, werden Schüler sie spontan erst anwenden, wenn ihnen durch den Vergleich mit einer herkömmlichen Methode der Vorteil deutlich vor Augen geführt wird und sie überzeugt sind, dass es wirklich die empfohlene Lernstrategie war, die ihr gutes Abschneiden in der Behaltensprüfung bedingt hatte.“ (vgl. Mietzel 2007: 267). 74 Das Lernen durch Skalen ist die Nutzung der von Cruse beschriebenen semantischen Relation der graduierbaren Inkomplementarität im didaktischen Kontext (vgl. Cruse 1997: 204f.).
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Auch Antje Stork betont in ihrer Untersuchung zu verschiedenen Techniken des Vokabellernens, dass Ergebnisse aus der Gedächtnisforschung unbedingt in der Didaktik Berücksichtigung finden müssen, wobei sie ebenfalls Elaboration und Assimilation des Lernstoffs sowie verschiedene Formen der Kodierung hervorhebt (vgl. Stork 2003: 78f.). Die von ihr vorgestellten Lerntechniken berücksichtigen ebenfalls lernpsychologische Erkenntnisse, greifen darüber hinaus aber auch auf Techniken zurück, die bereits in der Antike entwickelt worden sind. So gehen gerade die „ars memorativa“ weit über das mechanische Memorieren von Wortschatz hinaus (vgl. Kapitel 3.2.) und demonstrieren eindrücklich, durch welche Techniken Lernende bereits frühzeitig versucht haben, Enkodierungsprozesse für Wortschatz zu optimieren: Dabei stellte sich heraus, dass die Gedächtnistechniken, die eine erhebliche Verbesserung der Gedächtnisleistungen erlauben, zum großen Teil bereits seit Jahrtausenden zum kulturellen Wissen der Menschheit gehören. (Metzig/Schuster 2006: 4)
Während Rampillon und Kleinschroth die verschiedenen Techniken zum Lernen fremdsprachlichen Wortschatzes in erster Linie aus didaktischer Sicht beschreiben, verbinden Gerhard Steiner und Stork in ihren Darstellungen explizit lernpsychologische Erkenntnisse mit praktischen Anwendungsvorschlägen; auf ihre Darstellungen soll daher an dieser Stelle ausführlicher eingegangen werden. Neben zahlreichen anderen Lernkontexten, die im Alltag wichtig sind, geht Steiner auch auf das Lernen von Vokabeln ein. Deutliche Unterschiede sieht er dabei zwischen dem Wortassoziationslernen, einem in der Lernpsychologie beliebten Testmittel für die Behaltensleistung, und dem Lernen von Vokabeln. Anders als bei dem auf zufälliger Zuteilung von Wortpaaren beruhenden Assoziationslernen ist beim Vokabellernen die Bedeutung der beiden Wörter die gleiche, wodurch sich solche Techniken als ungeeignet erweisen, die beim Assoziationslernen effizient eingesetzt werden können (vgl. Steiner 2001: 232). Obwohl das Auswendiglernen von Wortpaaren75, bei dem erstsprachliche Lexeme fremdsprachlichen zugeordnet werden, eine lange Tradition im Fremdsprachenunterricht hat, ist von der Fremdsprachendidaktik angeregt worden, dass besser „einsprachige Vokalbelgleichungen“ gelernt werden sollen. Trotz der von Nation und anderen angeführten Argumente für das Lernen mittels einsprachiger Listen (etwa dem Aufbau eines fremdsprachlichen mentalen Lexikons)76, erhält das Lernen
|| 75 Der Begriff ‚Wortpaar‘ wird von Nation wie folgt definiert: „When vocabulary is learned in lists, an item often consists of a pair of words, namely a foreign word form and its meaning which is usually a translation. Thus, one item in a list is referred to as a word pair.” (Nation 1982: 16). 76 Nations Argumente für das Lernen von einsprachigen Vokabelgleichungen betreffen in erster Linie Äquivalenzprobleme: das Problem der Äquivalenz zwischen Wörtern zweier Sprachen, stilisti-
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von zweisprachigen Wortpaaren in letzter Zeit eine unerwartete Aufwertung durch die Lernerorientierung. Studien zum Einsatz von Lerntechniken (vgl. Ecke 2004: 222) haben gezeigt, dass diese Lernform von Lernenden eines bestimmten Kompetenzniveaus häufig genutzt wird77 und den Bedürfnissen der Lernenden eher zu entsprechen scheint als andere Techniken: The teaching of such word lists through paired-associates learning, often seen as a more traditional way to acquire vocabulary, has nonetheless proven to be a successful way to learn a large number of words in a short period and retain them over time. (Sökmen 1997: 240)
Diese Ansicht wird zum Teil auch in der Fremdsprachendidaktik – wenn auch mit der Einschränkung: „Für ein erstes Behalten“ – vertreten: Für ein erstes Behalten scheint das Auswendiglernen von zweispaltigen Vokabelgleichungen (Paarassoziationslernen) sowie bestimmte Abwandlungen davon (einsprachige Vokabellisten mit Definitionen und/oder Erklärungen, Listen von Vokabeln in typischen Kontexten) notwendig und erfolgreich zu sein. (Scherfer 2003: 281f.)
Gegen das Lernen von zweisprachigen Wortpaaren sind jedoch drei Einwände anzubringen: 1. Eine völlige Bedeutungsgleichheit zwischen Äquivalenten ist eher selten und sollte den Lernenden durch diese Lerntechnik auch nicht suggeriert werden: Obwohl es keine genauen Entsprechungen zwischen L1- und L2-Bedeutungen gibt, greifen Lernende beim Erlernen von L2-Bedeutungen auf Bekanntes zurück. Dabei liegt der Rückgriff auf bereits erworbene L1-Bedeutungen besonders nahe, auch wenn diese nicht völlig den L2Bedeutungen entsprechen. (Stork 2003: 115)
2.
3.
Das Lernen von zweisprachigen Wortpaaren ist aus lernpsychologischer Sicht als mechanisches Lernen einzustufen und damit nicht sehr geeignet, um eine langfristige Speicherung der auf diese Weise gelernten Informationen sicherzustellen. Nicht das Auswendiglernen von fremdsprachlicher Lexik und entsprechenden erstsprachlichen Äquivalenten befähigt den Schüler, Wortschatz langfristig zu lernen und richtig anzuwenden, sondern die Einbettung in einen Kontext und das Wissen um die korrekte Verwendung (vgl. Tschirner 2010: 243): „One-to-one word translation is an effective first step in developing word knowledge;
|| sche Unterschiede zwischen den Wortpaaren sowie der Umstand, dass Lernende von dem Gebrauch der Zielsprache profitieren (vgl. Stork 2003: 115). 77 Stork führt unter Verweis auf eine Studie mit japanischen Englischlernenden an, dass 76 % der Befragten das Lernen von Wortpaaren für den Wortschatzerwerb nutzen (vgl. Stork 2003: 118).
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however, it must be followed by activities that expand word knowledge beyond the translation stage.“ (Hunt 2009: 15). Im Folgenden sollen effektivere Lerntechniken beschrieben werden, die sowohl von Steiner als auch von Stork beschrieben werden, wobei sich die Darstellung auf solche Techniken beschränkt, welche sich zum Erwerb von fremdsprachlichem Wortschatz eignen78. –
Als elaborative Methode wird sowohl von Steiner als auch von Stork die Schlüsselwortmethode besonders hervorgehoben: Die Technik besteht darin, dass die Lernenden mit dem L2-Wort lautsprachliche Assoziationen zu einem Wort ihrer Erstsprache, dem Schlüsselwort, verbinden sollen, z.B. wie in dem von Stork angeführten Beispiel das englische Wort fence (Zaun) mit dem deutschen Wort Fenster. In einem weiterführenden Schritt sollen die Lernenden ein mentales Bild entwerfen, durch welches das Schlüsselwort mit dem Äquivalent verbunden wird79, in dem beschriebenen Beispiel etwa die Vorstellung, einen Zaun durch ein Fenster zu werfen (vgl. Stork 2003: 120). Auf diese Weise wird die phonologische mit der visuellen Kodierung verbunden. Steiner weitet die Methode, welche zunächst auf die mehrfach kodierte Verbindung von einzelnen Wortpaaren abzielt, aus, indem er empfiehlt, dass sich Lernende mithilfe dieser Technik nach und nach ein ganzes Wortfeld in der Fremdsprache erarbeiten und dieses über zahlreiche Assoziationen elaborieren sollen, um sich auf diese Weise möglichst viele Abrufreize zu schaffen. Mit andern Worten, durch derartige Elaborationen werden im semantischen Netz, das die Vokabeln allmählich bilden […], neue Verbindungen geschaffen, die für den Lernenden sowohl für ein Kodieren und Speichern als auch für ein Abrufen von Bedeutung sein können. Man
|| 78 Ein praktischer Überblick über Lerntechniken, welche auf lernpsychologischen Erkenntnissen beruhen, findet sich bei Werner Metzig und Martin Schuster (Metzig/Schuster 2006), ebenso werden bei Peter Bednorz und Martin Schuster im Rahmen ihrer Einführung in die Lernpsychologie ausgewählte Lerntechniken vorgestellt. Auch das Buch Lernen. 20 Szenarien aus dem Alltag von Gerhard Steiner, von dem hier nur auf wortschatzdidaktisch relevante Lerntechniken eingegangen wird, bietet praktische Hilfestellungen für alltägliche Lernsituationen unter Berücksichtigung lernpsychologischer Erkenntnisse. 79 Peter Ecke beschreibt eine verbale Variante zur visuellen Schlüsselwortmethode: Nachdem in einem ersten Schritt auch hier das fremdsprachliche Lexem (etwa russ. STROIT‘, dt. BAUEN) mit einem ähnlich klingenden muttersprachlichen Lexem (STROH) assoziiert wird, besteht der zweite Schritt darin, das muttersprachliche Lexem mit der Bedeutung des fremdsprachlichen Lexems durch eine Formulierung zu verbinden: „Zum Zielwort (STROIT‘) wird das SW (STROH) assoziiert. Letzteres aktiviert dann die Wortgruppe (eine STROHhütte BAUEN), die den Zielbegriff (BAUEN) der neuen Wortform enthält.“ (Ecke 2004: 214). Auch die Möglichkeit, visuelle und verbale Variante miteinander zu kombinieren, wird von Ecke beschrieben (vgl. Ecke 2004: 214).
Beim Wortschatzerwerb genutzte Strategien | 121
kann dem Lernenden nur empfehlen, beim sicher notwendigen wiederholenden Lernen Elaborationen systematisch vorzunehmen und sich zur Gewohnheit zu machen. (Steiner 2001: 237f.)
Ebenso sollte das Aussprechen und das Schreiben der fremdsprachlichen Lexeme bei dieser Technik geübt werden. Auch Stork weist auf die Bedeutung der „probeweisen Anwendung der lexikalischen Einheiten in schriftlicher oder mündlicher Form (Einüben von Abrufprozessen)“ (Stork 2003: 79) hin. –
Das Lernen von zu einem Prozess gehörender Lexik durch Beschreibung des Ablaufs (vgl. Rampillon 1996: 46 und Kleinschroth 2009: 65ff.) kann gut mit dem Modell der Begriffsorganisation in Form von Schemata und Skripts (vgl. Kapitel 5.1.6.) in Einklang gebracht werden. Bei der Beschreibung der Handlungsabläufe muss allerdings auch die sprachliche Kompetenz der Lernenden bedacht werden: Vorteilhaft ist dieses Verfahren, weil fast jede Tätigkeit auf diese Weise zerlegt werden kann und daher den Schülern zahlreiche Übungsgelegenheiten zur Verfügung stehen. (Rampillon 1996: 47)
Weitere Strategien, welche beim Lernen die multiple Kodierung berücksichtigen, werden u.a. bei Stork beschrieben: –
–
Die Methode der „Visualisierung der Wortbedeutung“ (vgl. Stork 2003: 118, zum mehrkanaligen Lernen vgl. auch Bohn/Schreiter 1998: 197f.) nutzt die Vorteile der multiplen Enkodierung sowie der doppelten Speicherung im verbalen und im non-verbalen Speicher. Zu beachten ist dabei, dass sich die Lernenden während des Lernprozesses selbst entsprechende Bilder vorstellen und diese mit der Vokabel abspeichern sollen. Die Methode, Wortschatz durch Erstellung von (individuellen) Wörternetzen zu lernen, berücksichtigt das Vorhandensein verschiedenartiger Strukturen im Wortschatz und wird besonders von Neveling beschrieben und erforscht. Unter ‚Wörternetz‘ versteht sie dabei ein von den Lernenden erstelltes Netz, wobei die Anordnung „lexikalisch-semantischen Ordnungsprinzipen [folgt], die sich psycholinguistisch als behaltensdienlich erwiesen haben“ (Neveling 2004: 82). Entsprechend dieser Ordnungsprinzipien – Neveling zählt hierzu Hierarchie, Similarität (auf verschiedenen Ebenen), Kontrast, Kontiguität, Affektivität und Linearität – entstehen verschiedene Teilnetze (Begriffs-, Klang-, Wortfamilien-, Merkmals- und Sachnetz sowie affektive und syntagmatische Netze (vgl. Neveling 2004: 40ff.)), wobei alle relevanten Merkmale des fremdsprachlichen Wortschatzes berücksichtigt werden sollen. Die von Neveling durchgeführte Studie ergab, dass Lernende diese Strategie als behaltensdienlich – wenn auch zeitintensiv – einschätzen (vgl. Neveling 2004: 315ff.).
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–
Auf die Technik, bei der Wörter mit Bewegung verbunden werden, verweisen sowohl Rampillon (vgl. Rampillon 1996: 45) als auch Stork (vgl. Stork 2003: 122). Diese Technik zielt insbesondere auf den Erwerb von (Bewegungs-)Verben, da die Methode vorsieht, das Aussprechen des fremdsprachlichen Lexems direkt mit einer entsprechenden Bewegung zu verbinden (z.B. in Form von Imperativen wie „Steht auf!“). Bei Substantiven werden – sofern die Möglichkeit besteht – die Form des entsprechenden Gegenstandes angedeutet oder charakteristische Tätigkeiten im Zusammenhang mit diesem Gegenstand durch Handbewegungen imitiert (etwa die Imitation von Klavierspielen zeitgleich mit dem lauten Aussprechen des Worts Klavier). Durch diese Technik wird prozedurales Wissen mit semantischem Wissen verbunden, letztes auf diese Weise mehrfach kodiert und damit besser gelernt (vgl. Stork 2003: 123f.).
Weitere Techniken, welche im Unterricht wie beim selbstgesteuerten Lernen zur Verwendung kommen können, werden von Rampillon vorgestellt (vgl. Rampillon 1996: 46), wobei sie u.a. auch (zweisprachige) Wörterbücher als fundamentale Hilfsmittel nennt: „Dabei handelt es sich um eine Lerntechnik, die einerseits das schulische Lernen fördern soll, die andererseits aber auch nach der Schulzeit noch häufig angewendet wird.“ (Rampillon 1996: 37). Nachweislich gibt es zwischen den Techniken zum Erwerb fremdsprachlicher Lexik, welche sich unmittelbar aus lernpsychologischen Erkenntnissen ableiten bzw. durch diese bestätigen lassen, Unterschiede hinsichtlich ihrer Effizienz. Sowohl durch amerikanische Studien80 wie auch durch die Untersuchung von Stork konnte die „beeindruckende Überlegenheit“ (Ecke 2004: 213) der Schlüsselwortmethode gegenüber den anderen beschriebenen Lerntechniken bestätigt werden (vgl. Stork 2003: 147ff.). Die Effizienz der Schlüsselwortmethode ist jedoch von bestimmten Faktoren abhängig (vgl. Ecke 2004: 215ff): So haben jüngere Schüler Probleme, assoziative Verbindungen zwischen Fremd- und Schlüsselwort herzustellen. Erfahrenere Lernende bevorzugen die Lerntechniken, die sich für ihre Vorlieben und Ansprüche als geeignet erwiesen haben, und können mit eigenen Techniken nachweislich effektiver Wortschatz lernen. Neben dem Alter scheint auch der zeitliche Abstand zwischen Lernphase und Abfrage entscheidend für die positiven Testergebnisse zu sein, da in Abhängigkeit von der verstrichenen Zeit das Schlüsselwort als zusätzlich gelerntes Element in Vergessenheit gerät; Untersuchungen, welche die Effizienz der
|| 80 Bei einem Experiment von Atkinson und Raugh mussten englische Muttersprachler 3 Tage lang jeweils 40 Vokabeln aus dem Russischen lernen, welche am vierten Tag abgeprüft wurden. Die Gruppe, welche die Schlüsselwortmethode angewandt hatte, konnte 72 % der 120 Vokabeln korrekt angeben, die Kontrollgruppe, die mit herkömmlichen Methoden gelernt hatte, dagegen nur 46 % (vgl. Metzig/Schuster 2006: 74).
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Schlüsselwortmethode nach längerer Zeit untersucht haben, konnten die „beeindruckende Überlegenheit“ der Schlüsselwortmethode daher nicht bestätigen81. Bei der Vorstellung von Lerntechniken muss also beachtet werden, dass diese nicht gleichermaßen für alle Lernenden geeignet sind. Gerade das Alter ist ein wichtiger Faktor, den es im Unterricht wie auch bei der Vermittlung von Lerntechniken zu berücksichtigen gilt (vgl. Bednorz/Schuster 2002: 249ff.). Während das Gehirn in der Pubertät bereits voll entwickelt ist, ist der Aufbau des Gedächtnisses noch lange nicht abgeschlossen. Erst im frühen Erwachsenenalter können Lernende in vollem Ausmaß von Lerntechniken profitieren, da sie erst ab dieser Lebensphase über ausreichend Vorwissen und Erfahrungen verfügen. Auch nach der Pubertät verändert sich die Organisation des Wissens in Abhängigkeit von den Erfahrungen und der Aufnahme neuen Wissens, allerdings liegt bei der Verarbeitung von Informationen im Gedächtnis mit fortschreitendem Alter eine Beschränkung vor: Je älter die Lernenden, desto eher lernen sie durch den Aufbau semantischer Assoziationen und damit durch verbale Strukturen, lassen dadurch aber auch mögliche Lernhilfen aus (etwa die Nutzung des phonologischen Arbeitsgedächtnisses): Bei erwachsenen FremdsprachenlernerInnen ist das Maß der Beteiligung des phonologischen Arbeitsgedächtnisses von Lernbeginn an von der Ähnlichkeit des neuen Vokabulars mit schon vertrautem abhängig. Wenn die Möglichkeit zur Bildung semantischer Assoziationen gegeben ist, wird sie genutzt und die Einbeziehung des phonologischen Arbeitsgedächtnisses minimiert. (Dittmann/Schmidt 1998: 325)
Die Abhängigkeit von Lerntechnik und Alter lässt sich auch durch eine Befragung japanischer Englischlernender belegen (vgl. Schmitt 1997: 217ff.): Während jüngere Lernende (Highschool-Schüler) eher formabhängige Techniken (Schreiben des Worts, Rechtschreibung des Worts lernen) anwenden, bevorzugen ältere Lernende (Studierende und Personen aus der Erwachsenenbildung) eher auf der Bedeutung des Worts basierende Techniken (Erschließen der Bedeutung aus dem Kontext, den Lehrer nach einer Paraphrase oder einem Synonym fragen). Die zunehmende Bevorzugung semantischer Assoziationen sowie der Zuwachs an Vorwissen und Erfahrungen haben für das Lernen von Wortschatz (positive) Folgen (vgl. auch Kielhöfer 1994: 215):
|| 81 In Fällen, in denen sich die Verbindung zwischen Schlüsselwort und fremdsprachlichem Lexem – aufgrund fehlender Übung oder Zeitmangels während der Lernphase – nicht festigen konnte, schneidet die Schlüsselwortmethode sogar deutlich schlechter als andere Methoden ab: „Eine Reihe von Untersuchungen zeigte, dass die langfristige Vergessensrate von durch die SW-Methode gelerntem Material höher ist als die Vergessensrate von mechanisch wiederholtem Material“ (Ecke 2004: 218).
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Die sprachlichen Wissensbestände und damit auch der ‚Vorrat‘ an Wörtern wachsen; sie werden immer stärker vernetzt und mit ganz persönlichen Erfahrungen verbunden. Das hat zur Konsequenz, dass Wortschatzvermittlung – sofern der Begriff überhaupt noch treffend ist – von der Lehrkraft zwar unterstützt, aber immer weniger gesteuert werden kann. (De FlorioHansen 2002)
5.4 Zusammenfassung Das Vokabellernen stellt eine komplexe Aufgabe dar, die letztendlich nur individuell gemeistert werden kann. (De Florio-Hansen 2002)
Welche Konsequenzen können nun aus der Darstellung von lernpsychologischen Erkenntnissen sowie den konkret im Fremdsprachenerwerb genutzten Lerntechniken für die Lernerlexikographie gezogen werden? 1. Das semantische Gedächtnis ist durch Bedeutung organisiert, daher ist gerade bei Lernerwörterbüchern ein onomasiologischer Zugriff als ergänzende Zugriffstruktur zu empfehlen. 2. Die onomasiologische Zugriffsstruktur muss klare hierarchische Strukturen vorgeben, wobei bereits gelernte Vokabeln (ermittelbar durch Grundwortschatzlisten) als wichtige Knotenpunkte modelliert sollten. Auf diese Weise können Lernende an Vorwissen anknüpfen und ihre bereits vorhandenen Kenntnisse nutzen, was ggf. die Lernenden für den Wortschatzerwerb weiter motivieren könnte. 3. Die subjektive Bedeutsamkeit kann bei der Lemmaselektion einerseits durch Orientierung am Lernwortschatz gesteigert werden (Rückgriff auf Grundwortschatz bzw. zentrale Knoten, die der Lernende bereits kennt), andererseits sollten möglichst viele Lemmata aufgenommen werden, um den Lernenden ein Nachschlageangebot für Themengebiete zu liefern, die für sie wichtig sind. 4. Innerhalb der Wörterbuchartikel sind Verweise auf andere Artikel essentiell. Dies kann zum einen durch die explizite Angabe semantischer Relationen, zum anderen durch die Angabe von Belegen (Kontext) umgesetzt werden. 5. Die Einbindung von multimedialen Angaben fördert die multiple Enkodierung von Wortschatz und ist für die Schaffung von vielfältigen Abrufreizen notwendig. 6. Die Einbindung von Bildern, ggf. auch Hörproben oder Videosequenzen (dies gerade bei Verben der Bewegung) ist für die Schaffung von möglichst vielen Abrufreizen unbedingt notwendig und fördert die multiple Enkodierung des Wortschatzes. Inwiefern es bereits Ansätze zur Umsetzung dieser Konsequenzen in der (Lerner-) Lexikographie gibt, soll in Kapitel 8 untersucht werden.
6 Status Quo der Lernerlexikographie Man glaube nicht, das didaktisch konzipierte Wörterbuch sei sprachwissenschaftlich uninteressant. Im Gegenteil, es wird sich zeigen, daß der Aspekt des Lernwörterbuchs weithin identisch ist mit dem linguistisch deskriptiven Aspekt, ja, daß die sprachwissenschaftliche Beschreibung in den Erfordernissen der Didaktik manche Anregung schöpfen kann. (Hausmann 1974: 100)
6.1 Definition von Lernerwörterbuch und Lernerlexikographie Bereits 1974 stellt Franz Josef Hausmann im deutschsprachigen Raum die Frage Was ist und was soll ein Lernwörterbuch? (vgl. Hausmann 1974) und versucht die von ihm aufgeworfene Frage selbst zu beantworten. Hausmann unterscheidet ausgehend von den verschiedenen Benutzungsfunktionen einsprachiger Wörterbücher zwischen drei Wörterbuchtypen: Lesewörterbüchern, Schreibwörterbüchern und Lernwörterbüchern, wobei er für letztere folgende Merkmale bestimmt: „Synchronie, Homonymie, syntaktisch-grammatische Gliederung der Mikrostruktur, Satzsynonymie, Wortfamiliengliederung und Wortschatzselektion“ (Hausmann 1974: 99f.). Viele dieser Merkmale lassen sich in aktuellen Lernerwörterbüchern finden; auch die Angaben zu „synchronischen Wortfamilien“ im Sinne Hausmanns1 sind mit den Angaben zu „zusammengesetzte[n] Wörter[n]: Komposita und abgeleitete Wörter“ – so die Formulierung des Langenscheidt-Verlags – in Wörterbücher für Lernende aufgenommen worden. Als makrostrukturelles Anordnungsprinzip für ein Lernerwörterbuch hat sich diese Angabeklasse jedoch – anders als von Hausmann gefordert und begründet – nicht durchsetzen können. Von Hausmann in den 1970er Jahren wegen ihrer „Assoziationsmächtigkeit“ als wichtigste paradigmatische und für Lernwörterbücher adäquate Gliederungsstruktur genannt (vgl. Hausmann 1974: 113), konnte die Lernpsychologie durch neue Erkenntnisse davon überzeugen, dass eine Gliederung nach Wortfeldern und semantischen Relationen zweckmäßiger für das Erlernen einer Fremdsprache ist (vgl. Kapitel 5). Trotz dieses frühen – und „wegweisenden“ (Rothenhöfer 2004: 10) – Vorstoßes von Franz Josef Hausmann setzt in Deutschland erst sehr spät eine Diskussion um Lern- und Lernerwörterbücher und Lernerlexikographie ein. Es sind wie Hausmann vor allem Anglisten und Romanisten, die in den 1970er (vor allem Franz Josef || 1 Hausmann führt in seiner Kritik des Dictionnaire du français contemporain aus, was er unter einer synchronischen Wortfamilie versteht: „Wir kommen zu dem Ergebnis, daß die Zusammenstellung von durchsichtigen, partiell durchsichtigen und undurchsichtigen Ableitungen, von uns synchronische Wortfamilien genannt, die für die systematische Erlernung des Wortschatzes günstigste paradigmatische Feldgruppierung darstellt.“ (Hausmann 1974: 120).
126 | Status Quo der Lernerlexikographie
Hausmann) und 1980er Jahren (u.a. Franz Josef Hausmann, Thomas Herbst und Ekkehard Zöfgen) in ihren wissenschaftlichen Arbeiten auch in Deutschland die Diskussion um (englische und französische) Lernerwörterbücher führen (vgl. dazu die Bibliographie zur pädagogischen Lexikographie von Herbert Ernst Wiegand und Matthias Kammerer). So wird die von dem Romanisten Hausmann 1974 gestellte Frage von seinem Kollegen Ekkehard Zöfgen zehn Jahre später aufgegriffen, der in seinem Beitrag zur GAL-Tagung erneut fragt: Was ist ein Lernwörterbuch?2 Mit Verweis auf den Beitrag von Hausmann geht Zöfgen in dem aus seinem Vortrag resultierenden Sammelbandartikel Lernerwörterbücher auf dem Prüfstand oder: Was ist ein Lernwörterbuch? ein Jahr später genauer auf die bereits im Titel des Beitrags ersichtlichen terminologischen (und damit auch konzeptionellen) Unschärfen ein und beschreibt zunächst die Funktionen eines ‚Lernwörterbuchs‘ mit den Worten Diethard Lübkes: Ein Lernwörterbuch enthält einen begrenzten, lernenswert erscheinenden Wortschatz, der so arrangiert und kombiniert wird, wie er für das Vokabellernen am geeignetsten ist. Der Benutzer will mit dem Lernwörterbuch den eigenen Wortschatz wiederholen, erweitern, vervollkommnen, ausdifferenzieren. (Lübke 1982: 22)
Lübkes Verständnis von Lernwörterbüchern steht damit zunächst in Einklang mit Hausmanns Untergliederung von einsprachigen Wörterbüchern hinsichtlich ihrer Benutzungsfunktionen in Lese-, Schreib- und Lernwörterbücher, wobei auch bei den beschriebenen Merkmalen Parallelen zu den von Hausmann genannten Merkmalen auffallen: Wortschatzselektion und eine speziell für die Bedürfnisse von Lernenden entwickelte Zugriffsstruktur. Abgesehen von der merkmals- und funktionstypologischen Übereinstimmung kann Lübkes Beitrag allerdings nicht als früher Beitrag zur monolingualen Lernerlexikographie im heutigen Sinn verstanden werden, da er sich nicht – wie Hausmann – auf einsprachige Wörterbuch für Lernende, sondern auf zweisprachige, nach Sachgruppen geordnete Wörterbücher bezieht. Trotz des allgemeinen Konsens über Nutzen und Nutzung von Wörterbüchern für Lernende werden die Begriffe ‚Lernwörterbuch‘ und ‚Lernerwörterbuch‘ lange Zeit – insbesondere in der Verlagslexikographie und der Sprachdidaktik – mehr oder weniger synonym verwendet (vgl. dazu Zöfgen 1985b: 133, Schafroth/Zöfgen
|| 2 Ekkehard Zöfgens GAL-Beitrag mit dem Titel Was ist ein Lernwörterbuch? erschien zunächst in dem Tagungsband Neue Entwicklungen der Angewandten Linguistik, ein Jahr später ausformuliert und ergänzt in dem von Zöfgen herausgegeben Sammelband und ihre Didaktik. 3 Nur am Rande erwähnt werden soll, dass der Begriff ‚Lernwörterbuch‘ in den 1980er Jahren auf L1- (Wörterbücher für den Erstspracherwerb) wie auch auf L2-Wörterbücher (Wörterbücher für den Fremdsprachenerwerb) angewendet wurde (vgl. Zöfgen 1985b: 14); ab den 1990er Jahren bezeichnen die Begriffe Lern- bzw. Lernerwörterbuch allerdings nur noch ausschließlich für Fremdsprachenlernende konzipierte Wörterbücher.
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1998: 5 und Rothenhöfer 2004: 1f.). Auch Zöfgen weist in seinem Beitrag auf diesen Umstand hin und plädiert in Hinblick auf eine exakte wörterbuchtypologische Zuordnung für einen sorgsamen Umgang mit den Begriffen: „[Diese Überlegung] entlarvt […] die häufig anzutreffende Gleichsetzung von Lern- und Lernerwörterbüchern als unzulässige Vermischung von Adressat und Funktion.“ (Zöfgen 1985b: 13). Zöfgen folgt Hausmann zunächst in der Verwendung des Begriffs Lernwörterbuch, differenziert aber weiter zwischen primären Lernwörterbüchern zum Zweck der textunabhängigen Wortschatzerweiterung, wobei er nach Größe zwischen primären Lernwörterbüchern erster Stufe (3.000 bis 4.000 Stichwörter) und zweiter Stufe (4.000 bis max. 7.000 Stichwörter) unterscheidet, und sekundären Lernwörterbüchern, die im Gegensatz zu den primären Lernwörterbüchern alphabetisch geordnet sind und über eine adressatenorientierte, komplexe Mikrostruktur verfügen (mit folgenden lexikographischen Merkmalen: Homonymisierung, Regruppierung nach dem Kriterium der synchronen Wortfamilie, Bedeutungserläuterung durch (z.T. erstsprachliche) Paraphrasen, visuelle Semantisierungshilfen und Beispielsätze, syntaktisch-grammatische Gliederung der Mikrostruktur, Kontextualisierung der Lemmata durch vollständige Beispielsätze; vgl. Zöfgen 1985b: 16ff). Auch bei den sekundären Lernwörterbüchern unterscheidet Zöfgen zwischen zwei Stufen: das sekundäre Lernwörterbuch erster Stufe soll ca. 3.000 Lemmata, das der zweiten Stufe ca. 6.000 Lemmata (erweitert um ca. 9.000 weitere in der Mikrostruktur) umfassen (vgl. Zöfgen 1985b: 18). Anders als die auf den systematischen Wortschatzerwerb abzielenden primären Lernwörterbücher soll die umfassende Mikrostruktur der sekundären Lernwörterbücher Hilfestellung sowohl bei der Erklärung von Wörtern in Textzusammenhängen als auch bei der Verwendung der Lemmata bei der eigenständigen Textproduktion bieten. Diese „echten Lernwörterbücher“ (vgl. Zöfgen 1985b: 15) setzt Zöfgen deutlich von den zu diesem Zeitpunkt auch in Deutschland diskutierten ‚learners’ dictionaries‘ ab, deren Makrostruktur zu sehr auf Rezeptionszwecke ausgerichtet sei und deren Mikrostruktur zu sehr die Bedeutungsdefinition ins Zentrum stelle, um für den Fremdsprachenlernenden systematische Möglichkeiten zur Wortschatzerweiterung zu bieten. Zöfgen spricht in diesem Zusammenhang und mit Verweis auf den Umfang auch von „L2-Gesamtwörterbüchern“ (Zöfgen 1985b: 29). Zusammenfassend wird daher der Terminus ‚Lernwörterbuch‘ in Hausmanns/ Zöfgens Sinn ausschließlich für denjenigen Wörterbuchtyp verwendet, welcher gezielt den systematischen Erwerb des fremdsprachlichen Wortschatzes ermöglicht; bei diesem Wörterbuchtyp steht bei Konzeption und Erstellung vor allem die Funktion – und hier neben der Produktions- vor allem die Lernfunktion – im Mittelpunkt. Der Gebrauch des Begriffs ‚Lernerwörterbuch‘ dagegen ist nicht eindeutig: Einerseits ist dies der unspezifische Oberbegriff für alle Wörterbuchtypen, die speziell für Lernende entwickelt worden sind, andererseits bezeichnet der Begriff – beson-
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ders im angloamerikanischen Raum – ein allgemeines Gesamtwörterbuch4, bei dessen Konzeption und Erstellung der Benutzer, jedoch kein bestimmter Verwendungszweck im Zentrum steht (vgl. Zöfgen 1985b: 13ff.). Während die Überlegungen Hausmanns und Zöfgens auf der Kenntnis von Produkten französischer Lernerlexikographie basieren, werden deutschsprachige Lernerwörterbücher erst in der Erstellungsphase der ersten DaF-Lernerwörterbücher ab Mitte der 1980er Jahre und verstärkt in den 1990er Jahren zum Diskussions- und Forschungsgegenstand erhoben5 (vgl. Kapitel 6.6.). Begleiterscheinung des langen Ausbleibens einer Diskussion um Lernerwörterbücher in Deutschland ist die soeben beschriebene terminologische Vielfalt bei deren Bezeichnung. Als Lernerwörterbücher im Sinn eines allgemeinen Gesamtwörterbuchs für Lernende, das in seiner Konzeption benutzer- aber nicht funktionsgebunden ist, verstehen sich die aktuellen deutschsprachigen Lernerwörterbücher. So will das Großwörterbuch [!] Deutsch als Fremdsprache von Langenscheidt neben der Produktion (Sprechen, Schreiben und Übersetzen) und der Rezeption (Hör- und Leseverstehen) von Texten auch Hilfe beim Spracherwerb bieten: Das Ziel einsprachiger Lernerwörterbücher ist es, so viel über den Gebrauch des allgemeinen Wortschatzes zu vermitteln, dass die Lernenden die Wörter beim Sprechen, Schreiben und Übersetzen richtig verwenden können und für das Hör- und Leseverstehen verlässliche Hilfe finden. Für den Spracherwerb sind einsprachige Wörterbücher daher besser geeignet als zweisprachige Wörterbücher. (Vorwort des LGWDAF)
|| 4 Der Begriff ‚Gesamtwörterbuch‘ bezieht sich nicht nur auf den Umfang des aufgenommenen Wortschatzes, sondern auch auf die Berücksichtigung der Varietäten einer Sprache: „Das Gesamtwörterbuch soll das ganze – vertikalisierte – Spektrum der regionalen, sozialen und fachlichen Varietäten (‚Sprachen in der Sprache‘) dokumentieren. Es muss daher die Wörter ihrer jeweiligen Varietät zuordnen und ggf. als ‚hoch‘ und ‚niedrig‘, gebräuchlich oder ungebräuchlich, mundartlich, fachspezifisch usw. bewerten.“ (Haß-Zumkehr 2001: 91). Dass der Terminus ‚Gesamtwörterbuch‘ tatsächlich auf die aktuellen Lernerwörterbüchern angewendet werden kann, zeigt sowohl das LGWDAF, das Sprachgebrauch und Sachgebiete der Lemmata markiert, wie auch das de Gruyter-Wörterbuch, welches das Ziel hat, den Wortschatz „in seiner ganzen Breite und mit all seinen Regularitäten“ (Kempcke 2000: VII) darzustellen und daher ebenfalls Stilebenen und Sachgebiete berücksichtigt und markiert. 5 Eine Bestätigung dieser Einschätzung lässt sich bei Ekkehard Zöfgen finden, der knapp 10 Jahre nach dem Erscheinen seines ersten Sammelbandes einen weiteren zum Thema Lernerwörterbücher herausgibt. Er hält fest: „Aufgrund der gerade in den letzten zehn Jahren stark in Bewegung geratenen Wörterbuchlandschaft mit ihren zahlreichen Neuerscheinungen (auch oder gerade bei den sog. ‚learners’ dictionaries‘) sowie der rasanten Entwicklung der Metalexikographie, die uns neben zahlreichen Monographien, Sammelbänden und Kongressdokumentationen und dem seit 1991 in drei Bänden vorliegenden Internationalen Handbuch zur Lexikographie (Hausmann (et al.) (Hrsg.) 1989-1991) eine wahre Flut von Publikationen in linguistisch und didaktisch orientierten Zeitschriften bescherte, wäre ein solches Unterfangen [gemeint ist eine erneute Publikation zu dem Thema Lern-/Lernerwörterbuch, MR] kaum zu realisieren gewesen.“ (Zöfgen 1994a: 5).
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Auch das Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache aus dem de Gruyter-Verlag sieht der Herausgeber Günther Kempcke als „einsprachige[s] benutzerspezifische[s] Wörterbuch“ (Kempcke 2001: VII), welches allerdings eher zur Sprachproduktion als zur rezeption genutzt werden soll. Andererseits kann aus der Auswahl des aufgenommenen Wortschatzes auch geschlossen werden, dass das Wörterbuch nicht als reines Produktionswörterbuch sondern als Gesamtwörterbuch gedacht ist: „Dabei hat die Stichwortauswahl zu berücksichtigen, dass […] dieser Wortschatzausschnitt – etwa 17.000 bis 20.000 Stichwörter mit ihren Bedeutungen – in seiner ganzen Breite und mit all seinen Regularitäten dargestellt werden muss“ (Kempcke 2000: VII). Ähnliches gilt für das Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache (HUEBERWDAF) aus dem Hueber-/Duden-Verlag (vgl. hierzu auch Kapitel 6.6.1.2. und 6.6.5.): zwar heben die Lexikographen vage die Funktion dieses Wörterbuchs als Lernwörterbuch hervor6, durch Auswahl des Wortschatzes (auch hier sind es über 11.000 Lemmata) sowie der Schwerpunktlegung bei den Angabeklassen (neben der Grammatik- besonders die Bedeutungsangabe) wird aber deutlich, dass es sich wohl eher um ein Gesamtwörterbuch für Lernende zum Zweck des Nachschlagens handelt. Welcher Begriff wird von deutschen Verlagen bei der Benennung der Produkte der Lernerlexikographie favorisiert – Lern- oder Lernerwörterbuch? Obwohl das erste für Lernende konzipierte Wörterbuch, das Oxford Advanced Learners’ Dictionary, diese Bezeichnung bereits seit 1952 im Titel führt, tun sich – wie es scheint – die deutschsprachigen Lernerwörterbücher mit ihrer Eigenbenennung relativ schwer, wenngleich auch bedacht werden muss, dass hier vor allem die werbewirksame Bezeichnung im Mittelpunkt steht. Auffällig ist dennoch, dass in der deutschen Lernerlexikographie – im Gegensatz zu den englischen Vorgängern – bei der Benennung der Produkte vor allem die Benutzung zu sprachdidaktischen Zwecken („Deutsch als Fremdsprache“ bzw. „Deutsch für Nichtmuttersprachler“) bzw. Umfang und Kompaktheit des Wörterbuchs („Großwörterbuch“ oder „Taschenwörterbuch“) hervorgehoben werden7. Neben der Konzeption deutscher Lernerwörterbücher als Gesamtwörterbücher für die Zielgruppe der Lernenden ist auch in der theoretischen Lernerlexikographie der Bezug auf den Benutzer – und nicht auf die Funktion – so tief verankert, dass Lernerwörterbuch definiert wird als Wörterbuch, das sich „an Benutzer [richtet], die
|| 6 Auffälliger als der vage Hinweis auf die Funktion des HUEBERWDAF als Lernwörterbuch ist jedoch, dass eine explizite Formulierung der Benutzungsfunktionen in dem – äußerst kurzen – Vorwort gänzlich fehlt: „[M]it diesem Wörterbuch möchten wir Ihnen dabei helfen, die deutsche Sprache zu erlernen.“ (Vorwort des Hueber-/Duden-Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache). 7 Kempcke distanziert sich im Vorwort zum de Grutyer-Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache durch Anführungsstriche von dem Begriff ‚Lernerwörterbuch‘ (vgl. Kempcke 2000: VII). Auch für Andreas Rothenhöfer ist die auffallende Umgehung der Lehnübersetzung des englischen Begriffs ‚learners’ dictionary‘ bei der Bezeichnung von deutschsprachigen Lernerwörterbüchern evident (vgl. Rothenhöfer 2004: 15ff.).
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die entsprechende Sprache als Fremdsprache gelernt haben beziehungsweise lernen.“ (Herbst/Klotz 2003: 242)8. Daher sollten auch bei der Konzeption eines Lernerwörterbuchs die Bedürfnisse des Lernenden im Zentrum zu stehen; ein Lernerwörterbuch muss sich demnach daran messen lassen, wie gut es diesen Bedürfnissen entgegenkommt. Nochmals auf die terminologische Unschärfe bei der Bezeichnung eingehend sowie den gegenwärtigen Stand zusammenfassend halten Elmar Schafroth und Ekkehard Zöfgen 1998 fest: Trotz der keineswegs einheitlichen Verwendung des Begriffs ‚Lernerwörterbuch‘ scheint ein breiter Konsens darüber zu bestehen, daß es sich um einen ‚eigenständigen‘ Wörterbuchtyp handelt, der dadurch charakterisiert ist, daß er sowohl organisatorisch als auch hinsichtlich Art und Umfang des Daten- und Informationsangebotes den spezifischen Belangen und Bedürfnissen des fremdsprachigen Benutzers Rechnung zu tragen sucht. (Schafroth/Zöfgen 1998: 5)
In diesem Sinn definiert auch Sven Tarp den Wörterbuchtyp 10 Jahre später im Rahmen der lexikographischen Funktionstheorie: A learner’s dictionary is a dictionary whose genuine purpose is to satisfy the lexicographically relevant information needs that learners may have in a range of situations in connection with the foreign-language learning process. [Tarp 2008:130]
Ähnliche terminologische Unschärfen weist die Bezeichnung des metalexikographischen Teilbereichs auf, der sich mit Lern-/Lernerwörterbüchern beschäftigt. Herbert Ernst Wiegand sieht die Lernerlexikographie als Teilbereich der pädagogischen Lexikographie, einer aus dem anglo-amerikanischen Raum übernommenen Lehnübersetzung des Begriffs ‚pedagogical lexicography‘ (vgl. Wiegand 1998a: IX). Die pädagogische Lexikographie teilt sich nach Wiegand in Lexikographie für den Erstund für den Zweitspracherwerb, wobei Produkte der ersten Teildisziplin Kinder- und Schulwörterbücher, Produkte der zweiten Teildisziplin Wörterbücher für Fremdsprachenlernende sind. Wiegand betont, dass er den angelsächsischen Tendenzen entgegenwirken und Lernerwörterbücher nicht als Produkte der Lernerlexikographie (‚learner lexicography‘), sondern als Ergebnisse der pädagogischen Lexikographie und damit als Untertypen von pädagogischen Wörterbüchern sehen möchte, „die ebenfalls erarbeitet wurden bzw. werden, um insbesondere im Rahmen von Spracherwerbsprozessen benutzt zu werden“ (Wiegand 1998a: IX). In diesem Sinn halten auch R.K.K.
|| 8 Vgl. die Definition von Lernerwörterbuch von Herbst aus dem Jahr 1990: „[S]ynchronic monolingual dictionary intended to meet the demands of the foreign user“ (Herbst 1990: 1379). Ähnlich definiert auch Andreas Rothenhöfer: „Ein Lernerwörterbuch ist ein solches Wörterbuch, das genau die Wörterbuchbenutzungshandlungen abdeckt, die zu den usuellen Wörterbuchbenutzungshandlungen eines Lerners gehören.“ (Rothenhöfer 2004: 12).
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Hartmann und Gregory James in ihrem Dictionary of Lexicography beim Eintrag pedagogical dictionary fest: „The distinction usually made between a dictionary for native speakers (SCHOOL DICTIONARY) and one for non-native learners (LEARNER’S DICTIONARY) is not helpful.” (Hartmann/James 1998: 107)9. In Anlehnung an die in der Sprachdidaktik verwendeten Bezeichnungen wird Lexikographie für den Erstspracherwerb auch als L1-Lexikographie, Lexikographie für den Fremdsprachenerwerb als L2-Lexikographie oder „Fremdsprachenlexikographie“10 bezeichnet (vgl. Abel 2000 und Zöfgen 1985b: 12ff.), wobei eine deutlichere Trennung dieser beiden lexikographischen Teilbereiche vorgenommen wird. Auch Lothar Lemnitzer und Stefan Engelberg differenzieren zwischen pädagogischen Wörterbüchern für den Erstspracherwerb und Lernerwörterbüchern: „Didaktische Wörterbücher sind speziell für Benutzer im Erst- und Zweit- bzw. Fremdsprachenerwerb konzipiert. Unter diesen nehmen die sogenannten Lernerwörterbücher eine Sonderstellung ein. Sie richten sich an den fortgeschrittenen Fremdsprachenlerner.“ (Engelberg/Lemnitzer 2009: 27). Da aber auch in der Sprachdidaktik – wie in der Lexikographie – unter monolingualen L2-Wörterbüchern speziell für Lernende konzipierte Wörterbücher mit adressatengerechten Angabeklassen (vgl. Zöfgen 1985b: 30, Engelberg/Lemnitzer 2009: 27f., Herbst/Klotz 2003: 242f.) verstanden werden und sich in der internationalen Lexikographie der Terminus ‚learners’ dictionary‘ durchgesetzt hat, werde ich im Folgenden den Begriff ‚Lernerwörterbuch‘ verwenden, den entsprechenden metalexikographischen Bereich jedoch nicht wie Wiegand als ‚pädagogische Lexikographie‘, sondern genauer und den aktuellen Tendenzen folgend als ‚Lernerlexikographie‘ bezeichnen. Scheinbar in Widerspruch zu dem terminologischen Übereinkommen und in Übereinstimmung mit Hausmanns früher funktioneller Bestimmung kommt nun erneut – aus dem anglo-amerikanischen Raum – die Forderung nach Lernwörterbüchern auf: „The true dictionary as a learning tool (‘learning dictionary’) is still in its fancy.” (Hartmann/James 1998: 82). Dass dies weniger als Kritik an bestehenden Lernerwörterbüchern zu verstehen ist, sondern mehr als Plädoyer für deren Verbesserung in Richtung eines „echten Lernwörterbuchs“ soll durch die Darstellung der Entwicklung der internationalen Lernerlexikographie im Weiteren deutlich werden.
|| 9 Den Begriff ‚learner’s dictionary‘ definieren Hartmann und James dagegen wie folgt: „A PEDAGOGICAL DICTIONARY aimed primarily at non-native learners of a language” (Hartmann/James 1998: 82). Während sie in dieser Definition zwischen Lernerwörterbüchern (für L2-Lerner) und pädagogischen Wörterbüchern für L1-Lerner differenzieren, betonen sie – wie oben bereits angeführt – in der Definition des Begriffs ‚pedagogical dicitonary‘, dass eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen wenig hilfreich sei. 10 Ekkehard Zöfgen verwendet zwar nicht den Begriff ‚L2-Lexikographie‘, spricht dafür aber von ‚L2-Wörterbüchern‘, um gegenüber den unspezifischeren Begriffen ‚Lernwörterbuch‘/‚Lernerwörterbuch‘ die Ausrichtung auf den L2-Lernenden hervorzuheben (vgl. Zöfgen 1985b: 12ff.).
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6.2 Typologische Zuordnung: Was ist ein Lernerwörterbuch? Erst mit fortschreitender Etablierung sowohl in metalexikographischen Diskussionen wie durch erste Produkte findet das Lernerwörterbuch auch in Wörterbuchtypologien Eingang, was im deutschsprachigen Raum Mitte bis Ende der 1990er Jahre der Fall ist. Zu lange Zeit wurden auch in allgemeinen einsprachigen Gesamtwörterbüchern wie dem Deutschen Wörterbuch von Wahrig11 bzw. dem Duden Universalwörterbuch12 Fremdsprachenlernende als Zielgruppe einbezogen und diese Wörterbücher im DaF-Unterricht verwendet (s. Kapitel 4.3.), um den Typ des Lernerwörterbuchs in den Fokus der lexikographischen Aufmerksamkeit zu stellen. Burkhard Schaeder stellt 1987 zwar fest, dass „Wörterbücher beim Fremdsprachenerwerb [naturgemäß] eine Rolle [spielen], an erster Stelle die zweisprachigen Wörterbücher, für Fortgeschrittene aber auch die einsprachigen“ (Schaeder 1987: 74), bezieht sich mit dieser Aussage aber ausschließlich auf allgemeine Wörterbücher der deutschen Sprache und kann – auf dem Stand der Forschung von 1987 – bei seinem Überblick über Wörterbuchtypologien daher auch kein benutzergruppenorientiertes Wörterbuch bzw. Wörterbuch für Fremdsprachenlernende anführen13. Auch in dem 1990 erschienenen zweiten HSK-Band Wörterbücher fehlt nicht nur bei den Darstellungen zu didaktischen Spezialwörterbüchern (gemeint sind Grundwortschatzwörterbücher, Kinderwörterbücher, Schulwörterbücher) die Darstellung eines allgemeinen Lernerwörterbuchs – ebenso kann dieser Wörterbuchtyp nur
|| 11 In seinem Vorwort betont Gerhard Wahrig, dass sich sein Wörterbuch durch Ausbau und Kombination von grammatischen wie semantischen Angabeklassen deutlich von seinen Vorgängern absetze, wodurch es wiederum Nutzungsmöglichkeiten für neue Benutzergruppen eröffne: „Von besonderem Interesse ist das Wörterbuch für alle, die ihre Muttersprache noch besser kennenlernen wollen oder die Deutsch als Fremdsprache lernen und lehren.“ (Gerhard Wahrig 1978, Vorwort des Deutschen Wörterbuchs). 12 In der ersten Auflage des Duden Universalwörterbuchs aus dem Jahr 1983 ist zur Benutzergruppe Folgendes zu lesen: „Um den Bedürfnissen breiter Benutzerkreise, vor allem aber auch der ausländischen Benutzer, zu entsprechen, wurden in das Wörterbuch auch Abkürzungen und Namen, z.B. Namen von Institutionen und Organisationen, aufgenommen.“ (Vorwort, DUW 1983). Eine ähnliche, wenn auch ein wenig abgeschwächte Formulierung ist auch in der aktuellen Ausgabe zu finden: „Das Universalwörterbuch wendet sich an alle, die aus beruflichen oder privaten Gründen ein großes Interesse an der deutschen Sprache haben. Dazu zählen professionell Schreibende, Lehrende und Lernende, Muttersprachler und Nichtmuttersprachler.“ (Vorwort, DUW 2006). 13 Eine Ausnahme ist Oskar Reichmanns Typologisierung historischer Wörterbücher, in der bereits das Kriterium ‚benutzerbezogen‘ („explizit[…] auf Fragen von Wörterbuchbenutzern bezogen“, Reichmann 1984: 462) berücksichtigt wird. Da sich Reichmann aber auf die Untersuchung historischer Wörterbücher beschränkt, kann seine Darstellung nicht als Ergänzung allgemeiner Wörterbuchtypologien um das Kriterium des Benutzerbezugs verstanden werden.
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schwer in der dem HSK-Band zugrundeliegenden Wörterbuchtypologie nach phänomenologischen Kriterien eingeordnet werden: Schließlich schien es ratsam, die phänomenologische Typologie an einer Stelle durch das Kriterium der adressatenbezogenen Funktion zu ersetzen. […] Dieser Bereich ist der einzige wichtige Spezialbereich, der sich nicht an einem Lemmatyp oder an einem Bauteil festmachen läßt, sondern dessen funktionale Perspektive eine große Zahl von lexikographischen Entscheidungen erfaßt. […] Im einzelnen werden die didaktischen Wörterbücher unterschieden nach Grundwortschatzwörterbüchern […], Kinderwörterbüchern […], Schulwörterbüchern für den muttersprachlichen […] und für den fremdsprachlichen Unterricht[…]. (Hausmann 1989: 977)
Die Kategorie „Schulwörterbuch“ für den fremdsprachlichen Unterricht beinhaltet dabei lediglich die Darstellung von englischen und französischen Lernerwörterbüchern, was die Vernachlässigung der Lernerlexikographie in Deutschland zu diesem Zeitpunkt deutlich vor Augen führt. Abgesehen von der fehlenden Eingliederung von Lernerwörterbüchern in die Typologie von Hausmann et al. bleibt zu fragen, ob Lernerwörterbücher mit den dieser Typologie zugrunde liegenden Kriterien überhaupt angemessen beschrieben werden können. Aus dem Zitat von Hausmann wird deutlich, dass die Wörterbücher, die der Klasse mit „adressatenbezogene[r] Funktion“ (vgl. Hausmann et al.: 977) zugeordnet werden14, einen komplexen Produktionsprozess mit vielfältigen lexikographischen Entscheidungen durchlaufen, bei dem in verschiedenen Redaktionen durchaus unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Fraglich ist, inwiefern die Produkte dieses Prozesses einem einzelnen Wörterbuchtyp zugeordnet werden können. Auch Andreas Rothenhöfer kritisiert in diesem Zusammenhang bei seiner Untersuchung einsprachiger Lernerwörterbücher den Typologisierungsansatz von Hausmann et al. und führt an: Wenig hilfreich scheint es m.E., Lernerwörterbücher in das Korsett einer monothetischen Klassifikation wie in Hausmann […] zu zwängen, denn der Erkenntnisgewinn über die spezifischen Eigenschaften eines konkreten Lernerwörterbuchs wird durch die genaue Verortung im Strukturbaum behindert. (Rothenhöfer 2004: 13)
|| 14 Im Gegensatz zu allen anderen beschriebenen Wörterbuchtypen, die nach phänomenologischen Kriterien typologisiert sind, werden die didaktischen Wörterbücher nach dem Kriterium der „adressatenbezogenen Funktion“ und damit nach funktionstypologischen Gesichtspunkten geordnet, wobei zwei Merkmale gleichzeitig angesprochen werden: das der Adressatenbezogenheit („Lernerwörterbuch“) und das der Funktion (Rezeptions-, Produktions- und Lernwörterbuch), was bereits Zöfgen vor dem Hintergrund seiner lernerlexikographischen Darstellungen kritisiert hatte (vgl. Kapitel 6.1). Der Unterschied dieses Wörterbuchtyps (mit allen Untertypen) im Vergleich zu allen anderen Wörterbuchtypen zeigt sich auch in der graphischen Darstellung der Typologie, in der bei den Spezialwörterbüchern auf oberster Ebene die beiden Typologisierungsansätze thematisiert werden: „Phänomenologische Typologie“ und „Funktionstypologie“ (vgl. Hausmann et al. 1989: 977).
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Tatsächlich kann dieser Einwand bei Typologien15 im Allgemeinen angebracht werden und wird nicht nur von Hausmann et al. selbst bereits in diesem Zusammenhang angeführt (vgl. Hausmann 1989: 977f., Engelberg/Lemnitzer 2009: 18ff.). Es kann jedoch hinsichtlich der Benutzergruppe bzw. des Benutzungszwecks bei Lernerwörterbüchern als „adressatenbezogenen“ bzw. „benutzergruppenorientierten“ Wörterbüchern – mehr als bei anderen Wörterbuchtypen – nicht von der Hand gewiesen werden, dass redaktionelle Entscheidungen und Vorstellungen zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben (vgl. Kapitel 6.6.). Daher scheint der von Rothenhöfer vorgebrachte Einwand gerade bei der Betrachtung von Lernerwörterbüchern gerechtfertigt. Die Typologie Hausmanns wird schließlich nach dem Erscheinen der ersten deutschsprachigen Lernerwörterbücher 2001 von Stefan Engelberg und Lothar Lemnitzer um den Wörterbuchtyp „Lernerwörterbuch“ ergänzt, die in ihrer Klassifikation von Wörterbuchtypen neben Kinder-, Schul-, Grundschul- und Grundwortschatzwörterbüchern auch das Lernerwörterbuch als Untertyp eines „benutzergruppenorientierte[n] Wörterbuch[s]“ bzw. „didaktische[n] Wörterbuch[s]“ (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 22) aufführen (vgl. Abbildung 9).
|| 15 Zum Teil scheint unklar, ob Wörterbücher typologisiert (z.B. Hausmann et al.) oder klassifiziert (z.B. Kühn 1978) werden. In einigen Darstellungen werden beide Begriffe (scheinbar) synonym verwendet (z.B. Schaeder 1987: 77, Herbst/Klotz 2003: 200). Diesen z.T. unsystematischen Gebrauch der beiden Begriffe hat Schaeder bereits 1987 thematisiert (Schaeder 1987: 81). Hausmann et al. stellen ihrer Typologie zunächst folgende theoretische Einführung voran, um die Typologisierung von Wörterbüchern von einer Darstellung in Form einer Matrix (wie es Reichmann für historische Wörterbücher durchgeführt hat) zu differenzieren: „Zur Typologie […] gehört das Privilegieren (Dominantsetzen) eines Merkmals bzw. die Hierarchisierung der Merkmale als Typologiekriterien.“ (Hausmann 1989: 969). In Übereinstimmung damit steht die theoretische Überlegung zu Klassifikationen und Typologien, die Engelberg und Lemnitzer ihrer einführenden Darstellung Lexikographie und Wörterbuchbenutzung voranstellen: „In Klassifikationen wird dabei jedes Element eindeutig genau einer Klasse zugeordnet (man nennt dies Exhaustivität und Disjunktivität einer Klassifikation), während Typologien dadurch gekennzeichnet sind, dass die Elemente einem Typ mehr oder weniger angehören, je nachdem, in welchem Grade ihre Merkmale mit den Merkmalen übereinstimmen, die den entsprechenden Typ definieren.“ (Engelberg/Lemnitzer 2009: 18). In Hinblick auf bereits bestehende Wörterbuchgruppierungen kommen sie auf dieser Grundlage zu folgendem Ergebnis: „Kurzum, in den meisten Wörterbuchordnungen werden konkrete Wörterbücher in typologischer Weise Wörterbuchtypen zugeordnet und diese Wörterbuchtypen dann zu Wörterbuchklassen zusammengefasst. Man kann also die Ergebnisse dieser Bemühungen als Klassifikationen von Wörterbuchtypen bezeichnen.“ (Engelberg/Lemnitzer 2009: 18).
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Benutzergruppenorientiertes Wörterbuch / didaktisches Wörterbuch Für den Erstspracherwerb Kinderwörterbuch
Für den Zweitspracherwerb Lernerwörterbuch
Schulwörterbuch Grundschulwörterbuch Grundwortschatzwörterbuch
Abb. 9: Einteilung der benutzergruppenorientierten/didaktischen Wörterbücher in Anlehnung an Engelberg/Lemnitzer
Das Grundwortschatzwörterbuch nimmt insofern eine Sonderstellung in dieser Typologie ein, da in Abhängigkeit von der Methode, mit der der Grundwortschatz erhoben wird, die Wörterliste ebenso als Grundlage eines (Grund-)Schulwörterbuchs wie eines Lernerwörterbuchs verwendet werden kann16 (vgl. Schnörch 2002: 14ff. und Engelberg/Lemnitzer 2009: 29). Während Stefan Engelberg und Lothar Lemnitzer didaktische Wörterbücher als einzigen Untertyp des benutzergruppenorientieren Wörterbuchtyps anführen, zählen Thomas Herbst und Michael Klotz in der von ihnen vorgestellten Typologie Lernerwörterbücher neben Korrektur-, Fehler- und Reisewörterbüchern zu den Wörterbüchern, bei denen eine „Besonderheit des Zielpublikums“ vorliegt (vgl. Herbst 2003: 202). Diese Typologie geht damit im Vergleich zu der typologischen Einordnung bei Engelberg/Lemnitzer weit mehr nach adressaten- als nach funktionstypologischen Kriterien vor. Kritisch angemerkt werden muss hier, dass weder Korrekturwörterbücher im Sinne eines in die Software eingebundenen Wörterbuchs, das Fehler bei der Eingabe markiert bzw. eigenständig korrigiert, noch Fehlerwörterbücher benutzergruppenorientierte Wörterbücher sind. Das Fehlerwörterbuch bzw. false-friends-Wörterbuch muss aufgrund seiner Beschränkung auf den Wortschatzausschnitt, der im Kontakt
|| 16 Vgl. auch Peter Kühn: „Die Unterscheidung von muttersprachlichem und fremdsprachlichem Grundwortschatz scheint offensichtlich nicht nötig, zumal man sich in beiden Bereichen auf die gleichen Frequenzuntersuchungen beruft und gegenseitig die anderen Wortlisten auszuschreiben scheint.“ (Kühn 1990: 1358).
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mit einer anderen Sprache aufgrund der vermeintlichen Nähe der beiden Sprachen zu Missverständnissen führen kann, zu den lemmatyporientierten Wörterbüchern gezählt werden. Das Korrekturwörterbuch dagegen ist ein informationstyporientiertes Wörterbuch (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 22), welches sich wie das Rechtschreibwörterbuch auf orthographische Angaben beschränkt. Da Reisewörterbücher in der Regel zweisprachige Wörterbücher sind, fällt dieser Typ gänzlich aus der Typologie einsprachiger Wörterbücher heraus, müsste jedoch aufgrund der beschränkten Lemmaauswahl ebenfalls zu den lemmatyporientierten Wörterbüchern gezählt werden. Auffällig ist bei all diesen Wörterbuchtypen auch, dass im Titel nicht eine Benutzergruppe, sondern ein Benutzungsanlass genannt wird. Erst durch die typologische Erfassung des Wörterbuchtyps ‚Lernerwörterbuch‘ ist eine Merkmalsbestimmung wie auch eine genaue Abgrenzung zu anderen Wörterbuchtypen möglich. In seiner Einleitung zu dem Sammelband Perspektiven der pädagogischen Lexikographie grenzt Wiegand die pädagogische Lexikographie – ausgehend von den Interessen und Bedürfnissen der Benutzer – von anderen Gebieten der Lexikographie ab, indem er hervorhebt, dass die Nutzer nicht „aufgrund punktueller Kompetenzdefizite zum Wörterbuchbenutzer werden, sondern im Rahmen jeweiliger Lernstadien eines auf die Mutter- oder eine Fremdsprache bezogenen Spracherwerbs“ (Wiegand 1998a: X). Während jedoch alle anderen didaktischen Wörterbücher – mit Ausnahme von Grundwortschatzwörterbüchern, welche auch im Fremdsprachenunterricht Verwendung finden – auf Bedürfnisse von Lernenden in verschiedenen Stadien des Erstspracherwerbs (‚Kind‘ bzw. spezifischer: ‚Grundschulkind‘ oder ‚Schulkind‘) ausgerichtet sind, orientieren sich Lernerwörterbücher an den Bedürfnissen von Lernenden einer Fremdsprache. Hier sind es weniger orthographische und stilistische Fragen, welche die Benutzer zum Wörterbuch greifen lassen, als vielmehr Defizite in verschiedenen Bereichen, denen durch spezielle Angabeklassen in den Wörterbüchern Rechnung getragen wird: Neben Orthographie-Angaben benötigen Lernende vor allem Ausspracheangaben, einfach formulierte Bedeutungsangaben sowie neben grammatischen und stilistischen Angaben Informationen über die Verwendung eines Worts. Nicht nur die Benutzergruppe, auch die Benutzungsfunktionen unterscheiden das Lernerwörterbuch von anderen didaktischen Wörterbüchern. Der Benutzer beherrscht zwar die Fremdsprache schon weitgehend, hat jedoch mehr oder minder große Defizite in der Sprache, die sowohl Gegenstand als auch Metasprache des Wörterbuchs ist. Im Gegensatz zu didaktischen Wörterbüchern für den Erstspracherwerb ist das Lernerwörterbuch damit sowohl Rezeptions- als auch Produktions-
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wörterbuch17; letzteres eine Benutzungsfunktion, die in anderen didaktischen Wörterbüchern z.B. in Grundschulwörterbüchern kaum bzw. gar nicht berücksichtigt werden muss. Das Kindergarten-Wörterbuch des Duden-Verlags etwa legt besonderen Wert auf Wortschatzvermittlung, beim ABC-Duden wie beim Kinderduden steht neben der systematischen Vermittlung von Wortschatz die Vermittlung von Lesekenntnissen im Zentrum (vgl. Angaben der Duden-Homepage). Da die Orientierung an den Bedürfnissen der DaF-Lernenden ein immanentes Merkmal der praktischen wie theoretischen Lernerlexikographie ist, wird in der vorliegenden Arbeit das Lernerwörterbuch in Anlehnung an die Typologie von Engelberg/Lemnitzer als Untertyp des benutzergruppenorientierten bzw. didaktischen Wörterbuchs verstanden. Dass jedoch die Orientierung an den Benutzern – und nicht die Orientierung an einem sprachlichen Merkmal – zu unterschiedlichen redaktionellen Entscheidungen und infolgedessen zu unterschiedlichen Wörterbuchkonzeptionen führen kann, hat bereits Hausmann betont. Daher umfasst der Typ des Lernerwörterbuchs mittlerweile auch verschiedene Untertypen: neben dem bereits beschriebenen L2Gesamtwörterbuch, im Folgenden „allgemeines Lernerwörterbuch“ genannt, den Typ des enzyklopädischen Lernerwörterbuchs und den Typ des bilingualisierten Lernerwörterbuchs18. Beide sind in den letzten 15 Jahren vor allem im angloamerikanischen Raum als Derivate der einsprachigen Lernerwörterbücher entwickelt und publiziert worden.
|| 17 Im englischsprachigen Raum werden statt der Bezeichnungen ‚Rezeptionswörterbuch‘ (receptive dictionary) und ‚Produktionswörterbuch‘ (productive dicitonary) die Begriffe ‚active dictionary‘ und ‚passive dictionary‘ verwendet. Beim ‚active dictionary‘ wird von Hartmann und James besonders dessen Nutzen bei der Produktion fremdsprachlicher Texte betont: „a type of DICTIONARY designed to help with encoding tasks, such as the production of a text. In monolingual lexicography, the typical example of an active dictionary is the THESAURUS, whose main function is to provide vocabulary choice for the writer. […] The PASSIVE DICTIONARY, by contrast, is aimed primarily at decoding tasks such as reading” (Hartmann/James 1998: 3). Das ‚passive Wörterbuch‘ dagegen helfe vor allem bei der Rezeption fremdsprachlicher Texte: „A type of reference work designed to help with decoding tasks, such as the comprehension of a text. […] In bilingual lexicography, passive dictionaries are those that address the needs of receptive tasks such as reading a foreign-language text or translating it into the native language.“ (Hartmann/James 1998: 106). 18 Hartmann und James betonen in ihrem Dictionary of Lexicography, dass der Typ des bilingualisierten Lernerwörterbuchs den Bedürfnissen der Benutzer in besonderer Weise Rechnung trage: „A BILINGUAL DICTIONARY aimed at (foreign) language learners. The development of the monolingual LEANERS’ DICTIONARY, e.g. in the ENGLISH AS A FOREIGN LANGUAGE context, has contributed to a debate between lexicographers and language teachers as to which REFERENCE NEEDS should be met, and by what means. […] [T]he USER PERSPECTIVE has recently come under closer scrutiny, and new formats have been advocated for the benefit of learners.” (Hartmann/James 1998: 15).
138 | Status Quo der Lernerlexikographie
Die Typologie der benutzerorientierten/didaktischen Wörterbücher für den Zweitspracherwerb von Engelberg/Lemnitzer ließe sich also hinsichtlich der Lernerwörterbücher wie folgt verfeinern:
Einsprachige Wörterbücher
Zweisprachige Wörterbücher
Benutzergruppenorientiertes Wörterbuch / didaktisches Wörterbuch
Spezialwörterbuch
Für den Zweitspracherwerb
Für den Zweitspracherwerb
Monolinguales Lernerwörterbuch
Bilinguales Lernerwörterbuch
o Allgemeines Lernerwörterbuch o Enzyklopädisches Lernerwörterbuch [Thesaurus/ Sachgruppenwörterbuch]
Abb. 10: Weitere Ausdifferenzierung der Typologie von Lernerwörterbüchern nach Engelberg/Lemnitzer
In Fortführung der von Hausmann et al. als grundlegend eingeführten Unterscheidung muss nach der Entwicklung von bilingualisierten Lernerwörterbüchern inzwischen auf oberster Ebene zwischen einsprachigen und zweisprachigen Lernerwörterbüchern unterschieden werden. Da im Vergleich zu anderen zweisprachigen Wörterbüchern bei der Benutzung von bilingualisierten Lernerwörterbüchern weniger die Adressatengruppe als vielmehr der Benutzungszweck – Vervollkommnung der fremdsprachlichen Kompetenz – im Zentrum steht, wird dieser Wörterbuchtyp weiter dem Typ von zweisprachigen Spezialwörterbüchern zugeordnet, welche auf den systematischen Ausbau der Wortschatzkompetenz zugeschnitten sind. Bilingualisierte Lernerwörterbücher zeichnen sich im Vergleich zu anderen zweisprachigen Spezialwörterbüchern zum Wortschatzerwerb wiederum dadurch aus, dass sie auf den allgemeinen Lernerwörterbüchern basieren, aber „zusätzlich zur Bedeutungsdefinition auch […] Übersetzungsäquivalente in der Muttersprache des Benutzers bereithalten“ (Engelberg/Lemnitzer 2009: 29). Dabei ist zu beachten, dass die Aufnahme von Übersetzungsäquivalenten nicht nur die Zielgruppe auf eine bestimmte Sprachgemeinschaft einschränkt; da diesen Wörterbüchern eine sekundäre Zugriffsstruktur mit einem Index von ausgangssprachlichen Lemmata fehlt, müssen
Typologische Zuordnung: Was ist ein Lernerwörterbuch? | 139
sie weiterhin als zweisprachige, aber unidirektionale Wörterbücher eingestuft werden (vgl. Hartmann 1994: 208). Das enzyklopädische Lernerwörterbuch dagegen ist im Vergleich zu den allgemeinen Lernerwörterbüchern um enzyklopädische Informationen – und insbesondere um kulturspezifische Angaben – ergänzt sowie um weitere landeskundliche Stichwörter erweitert worden (vgl. Herbst/Klotz 2003: 245, das Vorwort des Oxford Advanced Learner’s Dictionarys. Encyclopedic Edition und Stark 1999). Ziel dieser Wörterbücher ist es, über die Rezeptions-, Produktions- und Lernfunktion hinaus, das Interesse des Fremdsprachenlernenden an landestypischen Besonderheiten zu wecken und damit das Interesse am Spracherwerb zu fördern19. Überspitzt könnte man es auf die Formel bringen: Förderung des Interesses an Zielsprache und Zielkultur (vgl. zur Art und Weise der Umsetzung den Artikel zu association football aus der Encyclopedic Edition des Oxford Advanced Learner’s Dictionary in Beispiel 1; vgl. auch die Artikel football aus OALD-1 und OALD-8, Beispiel 4 in Kapitel 6.4.1.):
Beispiel 1: Artikel association football aus OALD. Encyclopedic Edition (1992)
Dass aber Defizite in der Zielsprache nicht mit Unkenntnis der Kultur verwechselt werden dürfen und auch der Ausschnitt der im enzyklopädischen Wörterbuch dargestellten Kultur kritisch zu hinterfragen ist, haben bereits David Heath und Thomas Herbst betont (vgl. Heath/Herbst 1994: 152ff.).
|| 19 Heath/Herbst sehen die Ergänzung von monolingualen Lernerwörterbüchern um enzyklopädische Informationen nicht nur positiv, sondern auch als Mittel im „Kampf um die Marktanteile mit neuen Waffen“ (Heath/Herbst 1994: 150).
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Trotz der inzwischen notwendigen Differenzierung bei Lernerwörterbüchern soll sich der Begriff ‚Lernerwörterbuch‘ im Folgenden allein auf monolinguale Wörterbücher beziehen. Die spezifischen Merkmale eines Lernerwörterbuchs werden von Kempcke wie folgt zusammengefasst: „Das L2-Wörterbuch muß daher versuchen, die genannten Parameter Adressat, Wortschatzausschnitt (Selektion), Auswahl der Daten und die lernpsychologisch und didaktisch wirksame Repräsentation der Informationen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.“ (Kempcke 1996: 116).
6.3 Merkmale aktueller Lernerwörterbücher: Eine Übersicht The rationale behind the general learner’s dictionary is the insight that the foreign users’ demands on a dictionary are fundamentally different from those of a native speaker. (Herbst 1990: 1379)
Aktuelle Lernerwörterbücher für DaF-Lernende zeichnen sich im Allgemeinen durch folgende Merkmale aus (nähere Darstellung der Merkmale einzelner deutschsprachiger Lernerwörterbücher s. Kapitel 6.6.): –
Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Lernerwörterbüchern und allgemeinen Wörterbüchern besteht darin, dass in erstere nur eine kleine, ausgewählte Menge des Wortschatzes aufgenommen wird. Zum Vergleich: In den einbändigen allgemeinen Gesamtwörterbüchern sind zwischen 100.0000 (Wahrig) und 120.000 Lemmata (DUW, vgl. Haß-Zumkehr 2001: 383) verzeichnet; LGWDAF umfasst dagegen ‚nur‘ 66.000 Lemmata (Angabe des Verlags), das de Gruyter-Wörterbuch DaF 17.000 bis 20.000 und das Hueber-/Duden-Wörterbuch 11.000 Stichwörter.
–
Die Beschränkung der Lemmaliste hat zur Konsequenz, dass auch der Definitionswortschatz bei den Bedeutungserläuterungen einer Kontrolle bedarf. Im Idealfall werden bei den Definitionen nur die Wörter verwendet, die im Lernerwörterbuch als eigenständige Einträge aufgenommen und erklärt werden.
–
Anders als in allgemeinen Wörterbüchern soll im Sinne der Benutzerfreundlichkeit auf kompliziert formulierte Definitionen weitgehend verzichtet werden.
–
Lernerwörterbücher sind sowohl als Rezeptions- wie auch als Produktionswörterbücher konzipiert. Um als Lesewörterbuch genutzt werden zu können, ist das Wörterverzeichnis alphabetisch gegliedert.
Merkmale aktueller Lernerwörterbücher – Eine Übersicht | 141
–
Die Konzeption des Lernerwörterbuchs als Produktionswörterbuch hat dagegen zur Konsequenz, dass das Verweissystem besser ausgebaut sein muss als in anderen Wörterbüchern.
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Die Angaben zu den Lemmata sind deutlich umfangreicher als in allgemeinen Wörterbüchern (vgl. dazu Beispiel 1 und 2). Gerade Kollokationen und Beispiele werden vermehrt aufgenommen (vgl. Beispiel 2), wobei sich die lexikographische Redaktion immer mehr statt auf die eigene Kompetenz auf Korpusauswertungen stützt.
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Nicht nur der Umfang der Angaben unterscheidet Lernerwörterbücher von allgemeinen Wörterbüchern, auch die großzügigere typographische Gestaltung sowie der bewusste Verzicht auf den Einsatz platzsparender Mittel – wie Abkürzungen – zugunsten einer besseren Verständlichkeit zeichnen Lernerwörterbücher aus (s. Beispiel 2). Beides kann besonders gut in den elektronischen Ausgaben der Lernerwörterbücher umgesetzt werden. Wọ̈r|ter|buch, das: Nachschlagewerk, in dem die Wörter einer Sprache nach bestimmten Gesichtspunkten verzeichnet [u. erklärt] sind: ein ein-, zweisprachiges, etymologisches, deutsches W.; ein W. konsultieren.
Beispiel 2: Artikel Wörterbuch aus dem Duden Universalwörterbuch
Wör·ter·buch das; ein Buch, in dem die Wörter einer Sprache, einer Fachsprache oder zweier Sprachen alphabetisch aufgeführt und erklärt oder übersetzt sind || NB: Ein Wörterbuch beschreibt die Sprache, ein Lexikon die Dinge und Sachverhalte Beispiel 3: Artikel Wörterbuch aus Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache
–
Zudem verfügen Lernerwörterbücher über eigens für Lernende entwickelte Angabeklassen: – Den grammatischen Angaben bei Verben werden Strukturformeln (z.B. „etwas in einem Wörterbuch nachschlagen“) hinzugefügt, welche dem Lernenden Hilfestellungen für den Satzbau geben. – Auch kulturelle Hinweise finden als wichtige Zusatzinformationen (sog. „usage notes“) in Lernerwörterbüchern Eingang. So findet man z.B. im LGWDAF im Artikel Adelstitel bei der Angabeklasse „Notabene“ die Information: „meist erkennbar an der Form ‚von‘: Fürst Otto von Bismark“.
142 | Status Quo der Lernerlexikographie
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Ebenso werden vermehrt Illustrationen in Lernerwörterbücher aufgenommen.
6.4 Entwicklung der Lernerlexikographie In seiner 1988 in polemischem Ton vorgetragenen Rede Wörterbuchkultur in Deutschland konstatiert Theodor Ickler: Vom Fach ‚Deutsch als Fremdsprache‘ aus gesehen, ist […] das Fehlen eines Wörterbuchs der Sprachschwierigkeiten für Ausländer sehr zu beklagen. Die Deutschen selbst merken das natürlich nicht so leicht; deshalb erwähne ich es bei dieser Gelegenheit. Die Franzosen und Engländer haben uns auch ihre ausgezeichneten Lerner-Wörterbücher voraus. (Ickler 1988: 374f.)
Tatsächlich haben die Erforschung von Nutzerbedürfnissen und die Entwicklung einsprachiger Lernerwörterbücher in Großbritannien nicht nur eine lange Tradition, Großbritannien gilt auch bis heute als führend auf dem Gebiet der Lernerlexikographie (vgl. Götz/Haensch 1998: 345; Herbst 1990: 1379 und 2003: 245). Auch Frankreich kann neben England auf eine lange lexikographische Tradition zurückblicken, die seit den 1960er Jahren auch die Erstellung von Wörterbüchern für den erst- und fremdsprachlichen Unterricht umfasst. Es ist nicht erstaunlich, dass gerade England und Frankreich als ehemalige Kolonialmächte durch anhaltende aktive Sprachpolitik an der Erstellung von Lernerwörterbüchern interessiert waren. Erstaunlicher hingegen ist, dass andere Nationen (wie Portugal und Spanien) die Entwicklung des Typs „Lernerwörterbuch“ nicht ebenso intensiv vorangetrieben haben. Die Entwicklung der Lernerlexikographie in diesen Ländern wird daher im Folgenden nicht berücksichtigt. Inwieweit sich die deutsche Lernerlexikographie gerade bei dieser ersten Generation von Lernerwörterbüchern an den englischen und französischen Produkten orientiert, soll nach der Darstellung von Entwicklung und Schwerpunkten der englischen und französischen Lernerlexikographie bei der Darstellung der Wörterbücher für DaF-Lernende berücksichtigt werden (vgl. Kapitel 6.6.).
6.4.1 Überblick über die Entwicklung der britischen Lernerlexikographie Den internationalen Führungsanspruch auf dem Gebiet der didaktischen Lexikographie haben britische Lexikographen20 u.a. dadurch erworben, dass durch
|| 20 Zur Bedeutung der US-amerikanischen Lernerlexikographie im Vergleich zur britischen kommt Ilson Mitte der 1980er zu dem Schluss: „And the learners’ dictionary is more important in British lexicography than in American lexicography.“ (Ilson 1986: 60, vgl. auch Ilson 1986: 69). Dolezal
Entwicklung der Lernerlexikographie | 143
70jährige Praxiserfahrung und durch rege Diskussionen um Erfordernisse und Gestaltung von Wörterbüchern die Produkte immer weiter verbessert werden konnten21. Darüber hinaus sehen die Herausgeber des ersten Lernerwörterbuchs in deutscher Sprache, Dieter Götz und Günther Haensch (vgl. Kapitel 6.6.1.), einen weiteren Grund für die positive Entwicklung der Lernerlexikographie in Großbritannien darin, dass die – nicht staatlich geförderte – anwendungsorientierte Linguistik der Sprachdidaktik bestens zuarbeite (vgl. Götz/Haensch 1998: 345). Während im deutschsprachigen Raum aus sprachpolitischen und wirtschaftlichen Gründen eine Forschungsunterstützung durch die Wirtschaft in dem Rahmen, wie es in England der Fall ist, nicht denkbar sei22, können englische Fremdsprachendidaktiker und Lexikographen von dem Status des Englischen als Weltsprache und der daraus resultierenden Förderung profitieren23. Bei geschätzten 500 Mio. bis zu einer Mrd. Englischlernender, die zudem mehrheitlich eine mittlere bis hohe Sprachkompetenz anstreben, lohnt sich die Investition in Erforschung und Praxis der Lexikographie. Interessant an der Entwicklung der britischen Lernerlexikographie ist aber nicht nur die internationale Führung auf diesem Gebiet sondern auch, dass sich lexikographische Konzeptionen und Produkte von Anfang an stark an den Bedürfnissen der Lernenden orientieren, was aus der Publikationsgeschichte des Oxford Advanced Learners’ Dictionarys (OALD) besonders deutlich wird. Daher soll im Folgenden auf die Entwicklung des OALD etwas näher eingegangen werden, dessen
|| und McCreary führen hierfür einen möglichen Grund an: „We found an utter lack of private funding or public grants for lexicographic research in the United States.“ (Dolezal/McCreary 1996: 130). 21 Götz und Haensch fassen die Bedingungen für die Erstellung englischsprachiger Lernerwörterbücher vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen zusammen: „Insgesamt kann man sagen, daß die britische Lexikographie – auch die der Lernerwörterbücher – gekennzeichnet ist durch eine relativ lange Tradition […], durch einen entsprechend langen Zeitraum an Rückmeldungen und Erfahrungen, durch eine hohe Zahl lexikographischer Arbeitskräfte in den Verlagen selbst, durch große Mengen an bearbeitetem Textmaterial und eine hochentwickelte textverarbeitende Software.“ (Götz/ Haensch 1998: 345). 22 Im Vergleich dazu fassen Götz und Haensch die Bedingungen für die Erstellung von Lernerwörterbüchern in Deutschland wie folgt zusammen: „[Es] soll hier die These vertreten werden, daß die Ursachen dafür, daß das LGWDAF in einigen Aspekten hinter den heutigen englischen Lernerwörterbüchern zurückbleibt, nicht vornehmlich in der linguistisch-lexikographischen Konzeption des Wörterbuchs, sondern primär in der andersgearteten Marktsituation zu suchen ist.“ (Herbst 1998: 21). 23 Auch Heath und Herbst sehen in den aus den Lernerzahlen resultierenden Marktchancen für englische Lernerwörterbücher einen Hauptantrieb für die Vormacht der englischen Lernerlexikographie: „Man darf nicht übersehen, daß die weltweite Verbreitung des Englischen in diesem Zusammenhang vor allem einen kommerziellen Faktor darstellt. Für englische Wörterbücher besteht ein wirklicher Markt, und zwar einer, der Konkurrenz zulässt.“ (Heath/Herbst 1994: 149).
144 | Status Quo der Lernerlexikographie
Entwicklung zugleich ein herausragender Orientierungspunkt für die Einteilung der englischen Lernerlexikographie in 3 Generationen ist. Zum Stellenwert des OALD in der Geschichte der Lernerlexikographie hält Thomas Herbst fest: While the first edition of the OALD established the category of learner’s dictionaries with respect to what kind of information ought to be included in a monolingual dictionary for foreign users, later developments have focussed on how this information should be presented. (Herbst 1990: 1384)
Der „Klassiker[…]“ (Herbst 1998: 20), „Prototyp“ (Herbst/Klotz 2003: 243) bzw. „Archetyp“ (Rothenhöfer 2004: 4) des Lernerwörterbuchs erschien in erster Auflage nicht in Großbritannien als Produkt und Ergebnis einer lexikographischen Diskussion, sondern wurde im Ausland als Hilfsmittel für den Englischunterricht erstellt und publiziert. Auch der Titel der 1942 in Japan veröffentlichen Erstauflage zeigt die Orientierung an den Nutzern, welche aus der Praxis der drei Wörterbuchmacher – Hornby, Wakefield und Gatenby – als Auslandsanglisten resultiert: Idiomatic and Syntactic English Dictionary24. Tatsächlich war es das Interesse an den Bedürfnissen Englischlernender, was eher aus Notwendigkeit als aus einem zielgerichtetem Prozess heraus zur Erstellung eines für Lernende geeigneten Wörterbuchs führte; Anthony Cowie, der sich mit der Geschichte und Entwicklung der englischen (Lerner-)Lexikographie beschäftigt hat, formuliert dahingehend wie folgt: A paradox lies at the heart of the development and publication of the first learners’ dictionaries. Though the linguistic research vital to the development of such dictionaries began almost ten years before their emergence – appropriately in a foreign language context, and most particularly in Japan – there was no understanding at the outset that nothing short of a special dictionary for the foreign learner was needed to draw together the various strands of linguistic research […]. (Cowie 2000b25)
Die linguistische (sprachdidaktische) Forschung, die schließlich entscheidende Impulse für die Erstellung von Lernerwörterbüchern gibt, setzt sich hauptsächlich aus zwei Forschungsbereichen zusammen, der „vocabulary control movement“ und der „pedagogigal grammar“ (vgl. Cowie 2000a: 14).
|| 24 Obwohl rückblickend die Erstausgabe des OALD bei weitem die größte Resonanz hatte, war das OALD nicht das erste Lernerwörterbuch: 1935 wurde das The New Method English Dictionary von Michael Philip West und James Gareth Endicott publiziert, 1938 A Grammar of English Words von Harold Palmer und nach dem zweisprachigen Vorläufer A Beginners’ English-Japanese Dictionary (1940) von Hornby und Ishikawa schließlich das Idiomatic and Syntactic English Dictionary (vgl. Cowie 2000a: 14ff.). 25 Der Beitrag von Anthony Cowie ist unter www.bmanuel.org/dottoratolinguistica/materiali/ co_wie.php online abrufbar.
Entwicklung der Lernerlexikographie | 145
Ziel der „Vocabulary Control Movement“ war es, durch quantitative wie qualitative Verfahren den zentralen Wortschatz des Englischen zu identifizieren, um zum einen in der Sprachdidaktik anwendungsorieniert die für die Kommunikation wichtigsten Wörter zu vermitteln und zum anderen auf Basis des Grundwortschatzes geeignetes Unterrichtsmaterial für den Englischunterricht zu erstellen26. Besonders aktiv waren in diesem Bereich Harold Palmer und Michael Philip West, beides Mitglieder des Institute for Research in English Teaching (IRET) in Tokyo und im weiteren Verlauf ihrer wissenschaftlichen wie didaktischen Arbeit Herausgeber von Lernerwörterbüchern. Gerade Michael West27 intensivierte bei der Erstellung seines Wörterbuchs seine Arbeit auf dem Gebiet der „vocabulary control“, indem er nicht nur das Wörterverzeichnis im Vergleich zu allgemeinen Wörterbüchern deutlich reduzierte, sondern auch bei den Bedeutungserläuterungen nur einen limitierten Wortschatz verwendete28 – ein Vorgehen, das für die Erstellung späterer Lernerwörterbücher (besonders der ersten Auflage des Longman-Lernerwörterbuchs) richtungweisend war (vgl. Cowie 2000b). Ebenso wie die „Vocabulary Control Movement“ hatte auch die „Pedagogical Grammar“, deren aktivste Anhänger wiederum Harold Palmer und A.S. Hornby waren, ihre Wurzeln in dem in der Sprachdidaktik regen IRET29. Die „Pedagogial Grammar“ setzte sich dafür ein, durch Pattern-Bildung in Form von vorgegebenen Konstruktionsformen das Erlernen der englischen Syntax für Fremdsprachenlernende zu vereinfachen, was einen direkten und großen Einfluss auf die Erstellung von Lernmaterialien hatte. Sowohl die Ergebnisse der „Vocabulary Control Movement“ wie auch der „Pedagogical Grammar“ sind in die Erstauflagen der ersten
|| 26 Der Gedanke, eine Fremdsprache auf Basis eines begrenzten Wortschatzes zu vermitteln, geht bereits auf Comenius zurück. Comenius betont aber auch den Nutzen einer onomasiologischen Ordnung und einer Illustrierung des Lernwortschatzes: „He suggested an inductive […] approach to language learning, with a limited vocabulary of eight thousand common Latin words, which were grouped according to topics and illustrated with labeled pictures.“ (Schmitt 2010: 11). 27 Hier widersprechen sich die Angaben von OUP und Anthony Cowies Arbeiten. Über Hornby ist auf den Webseiten des OUP-Verlags zu lesen: „He was the first to realize, that much of the burden of everyday communication was carried by remarkbly few words“. (vgl. www.oup.com/elt/local/ global/promotion/hornby.swf). Anthony Cowie dagegen betont die Verdienste von Harold Palmer auf dem gleichen Gebiet: „[Harold Palmer’s] interest in vocabulary control is explained by a desire to ease the learning burden of the foreign learner by pinpointing those relatively few words which carried the main weight of everyday communication.“ (Cowie 1999: 4). 28 Sein Vorgehen beschreibt Michael West 1935 in seiner Publikation Definition Vocabulary (vgl. Cowie 1999: 9). 29 In einem späteren Rückblick über seine Tätigkeiten betont Hornby, wie wichtig seine sprachdidaktischen Erfahrungen für seine lexikographische Tätigkeit gewesen sind: „I had the advantage of not being a lexicographer, but of having instead 20 years’ experience in teaching English. So I was very well aware of the errors and pitfalls lying in wait for learners. What I produced was not so much a dictionary as a dictionary with syntax.” (Hornby, zitiert nach Jehle 1990: 1).
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Lernerwörterbücher eingeflossen und in Grundzügen auch in den aktuellen Auflagen erhalten geblieben. Anthony Cowie, Herausgeber der vierten Auflage des OALD, hat für die Entwicklung der britischen Lernerlexikographie drei Generationen herausgearbeitet30, die im Folgenden näher vorgestellt werden sollen: In der ersten Generation – von den Anfängen in den 1930er Jahren bis zum Erscheinen des überarbeiteten OALD 1963 – mussten Lernerwörterbücher zunächst als Wörterbuchtyp und die Lernerlexikographie als lexikographische Disziplin etabliert werden, wobei diese Generation nicht von dem ersten Lernerwörterbuch überhaupt, dem primär für Rezeptionszwecke entworfenen New Method English Dictionary von Michael West und James Endicott, sondern von der Erstauflage des heutigen OALD – unter dem Titel Idiomatic and Syntactic English Dictionary von Hornby, Wakefield und Gatenby herausgegeben – dominiert wurde. Nachdem sich Hornby von Japan aus während des zweiten Weltkrieges lange Zeit vergebens um eine internationale Ausgabe bemüht hatte, druckte Oxford University Press 1948 das Wörterbuch als photographischen Reprint unter dem Titel Advanced Learner’s Dictionary of Current English, zu einem Zeitpunkt, als Hornby wieder in England lebte und arbeitete. Hornby selbst machte sich danach an die konsequente Überarbeitung und Aktualisierung seines Wörterbuchs und publizierte 1963 die zweite und 1974 die dritte Auflage31. Über 30 Jahre – von der Erstauflage des OALD bis 1978 – hatte das OALD eine einzigartige Monopolstellung als einziges (englischsprachiges) Lernerwörterbuch. Zusammenfassend unterstreicht Cowie das Verdienst Hornbys für die Entwicklung eines Wörterbuchs für fortgeschrittene Lernende, das sich auch für die Rezeption englischer Texte eignet: However, the role of Hornby, especially in the genesis and development of the advanced-level dictionary, should not be underestimated. […] Hornby can claim credit for realizing that the
|| 30 Auch Thomas Herbst fasst in seinem Vergleich des LGWDAF mit der britischen Lernerlexikographie die Entwicklung in England zusammen, kommt bei der letzten Generation der englischen Lernerwörterbücher aber zu einem anderen Ergebnis als Cowie (vgl. Herbst 1998: 21). Anders als Cowie, der die Lernerwörterbuch-Generationen anhand von Innovationen bestimmt, macht Thomas Herbst die Periodisierung mehr an den Auflagen der Wörterbücher fest, was dazu führt, dass bei ihm die letzte Generation nicht bei der zweiten Auflage des LCODE beginnt, sondern mit der dritten Ausgabe dieses Wörterbuchs, der Überarbeitungen aus allen anderen Verlagen sowie das erste Lernerwörterbuch von Cambridge University Press, das Cambridge International Dictionary of English, folgen. 31 1948 erschien das erstmals als Idiomatic and Syntactic English Dictionary 1942 in Japan publizierte Wörterbuch als A Learner’s Dictionary of Current English in England bei Oxford University Press; die Neuauflage von 1952 wird unter dem Titel The Advanced Learners’ Dictionary of Current English publiziert; mit der dritten Neuauflage 1974 wird nochmals der Titel geändert: Oxford Advanced Learners’ Dictionary of Current English.
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student audience the dictionary was aimed at would need to have an explanatory (i.e. ‚decoding‘) function as well, with the consequence that a broad, diversified vocabulary would form a major part of the word-list. (Cowie 2009: 411)
Die zweite Phase der englischen Lernerlexikographie, die 1963 mit der Publikation des überarbeitetem OALD beginnt und mit der Publikation des ersten Konkurrenzprodukts, des Longman Dictionary of Contemporary English (LDOCE), endet32, ist einerseits geprägt durch einen größeren Konkurrenzdruck und der daraus resultierenden raschen Folge von Neubearbeitungen, aber auch durch Ausbau und Professionalisierung der Sprachdidaktik in England – nicht zuletzt das Verdienst von Hornby und seinen Kollegen. Der Ausbau der sprachdidaktischen Forschung und die Konzentration auf den gegenwärtigen Sprachgebrauch führt wiederum zu Diskussionen über Strukturen und Angaben in Lernerwörterbüchern sowie konzeptionellen Überarbeitungen der Lernerwörterbücher, was sich am deutlichsten an den neuen Schwerpunkten des LDOCE ablesen lässt: der Orientierung am kontemporären Sprachgebrauch durch einfache grammatische Angaben, den „usage notes“, der Fokussierung auf die Bedürfnisse der Benutzer durch übersichtliche typographische Gestaltung sowie der Beschränkung bei Aufnahme und Verwendung von Lemmata – ein später, aber deutlicher Einfluss der „vocabulary control movement“. Ausgelöst durch das Vorgehen des Longman-Verlags wird der Benutzerfreundlichkeit von Lernerwörterbüchern besondere Aufmerksamkeit geschenkt, wobei besonders die Ansprüche an die Formulierung der Bedeutungsangaben wachsen. Gerade die Konzeption von benutzerfreundlicheren Wörterbüchern ist eine Entwicklung der Lernerlexikographie, die sich auch auf die allgemeine Lexikographie ausgewirkt hat. Ladislav Zgusta hält in diesem Sinne in seinem lexikographischen Rück- und Ausblick fest, dass z.B. einfach formulierte Bedeutungsbeschreibungen seit der zweiten Generation der englischsprachigen Lernerwörterbücher ein Ziel der allgemeinen Lexikographie sind: „The arrival of the learners’ dictionary brought about what one could call the user-friendly definition.“ (Zgusta 2006: 109). Die Konkurrenzsituation zwischen Oxford University Press und Longman hat wiederum zur Folge, dass der lexikographische Markt um ein vielfaches schnelllebiger wird: Neuauflagen und Neubearbeitungen werden in immer kürzerer Folge publiziert. Dies wird zudem durch die Entwicklung eines technischen Hilfsmittels ermöglicht und begünstigt, des Computers. Without doubt, the most important single development in learner lexicography from mid-1970s onwards has been the steadily increasing involvement of the computer at all stages of the dic-
|| 32 Diese Einschätzung deckt sich mit der von Thomas Herbst: „Erst 1978 beginnt eine neue Phase der englischen Lernerlexikographie, als dieser Quasi-Monopolstatus des OALD durch das Erscheinen des LONGMAN DICTIONARY OF CONTEMPORARY ENGLISH […] beendet wird.“ (Herbst 1998: 21).
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tionary-making process, from data gathering and analysis at one end, to compilation, production, and revision at the other. (Cowie 2000a: 118)
Gerade diese Zeit ist geprägt durch das Bewusstsein, dass der Computer als Hilfsmittel aber auch als Professionalisierungsmedium eine wertvolle Hilfe im lexikographischen Erstellungsprozess darstellt. Während der Computer zunächst nur in der Produktionsphase von Wörterbüchern, etwa bei der Drucklegung von WörterbuchManuskripten, eingesetzt wird (zum ersten Mal in der Lernerlexikographie bei der dritten Ausgabe des OALD), ist schnell klar, dass sich durch die mit der Computerisierung verbundene digitale Speicherung der Daten auch die Überarbeitung sowie die Erstellung von lexikographischen Derivaten vereinfacht. Schnell wird der Computer auch schon während der Bearbeitungsphase eingesetzt: zum einen bei rein mechanische Vorgängen (wie der alphabetischen Sortierung der Lemmata sowie der Rückführung der flektierten Wortformen auf eine Grundform), zum anderen bei der Erarbeitung des Wörterbuch-Manuskripts und der Exzerption der inzwischen ebenso digitalisierten Belege. Darüber hinaus wird es durch die Nutzung lexikographischer Datenbanken33 möglich, den Aufbau der Wörterbuchartikel zu homogenisieren (vgl. Cowie 2000a: 128) sowie bei dezentraler Bearbeitung den Kontakt zum Verlag durch die Kommunikationsdienste des Internets zu intensivieren (vgl. Lemberg 2001: 83). Die folgenschwerste Änderung bringt der Computereinsatz jedoch für die korpusbasierte Lexikographie mit sich. Sowohl „primäre Quellen“ (z.B. Literatur- oder Sach-Texte) als auch „sekundäre Quellen“ (z.B. andere Wörterbücher) (vgl. Wiegand, in: Engelberg/Lemnitzer 2009: 235) können in das digitale Medium überführt und dort für eine systematische Exzerption genutzt werden. Dank der dadurch möglichen Vergrößerung der Korpora und der damit verbundenen Vermehrung des Belegmaterials sind die lexikographischen Angaben, die sich auf dieses BelegMaterial stützen, repräsentativer als bei früheren Wörterbüchern: „Die seriöse und wissenschaftlich brauchbare Lexikografie kann heute nicht anders als auf der Basis eines möglichst umfassenden Textkorpus arbeiten“ (Haß-Zumkehr 2001: 23). Gerade bei Lernerwörterbüchern ist es von besonderer Bedeutung, dass die angeführten Beispiele und Belege zum einen dem tatsächlichen Sprachgebrauch entstammen und zum anderen eine hohe Aussagekraft für die Lernenden haben: „Computerized
|| 33 Der Aufbau einer lexikographischen Datenbank (LDB) ist der Übergang zu der Phase, in welcher der Computer nicht mehr als reines Speichermedium (zur Speicherung der maschinenlesbaren Version des Wörterbuchs) im Produktionsprozess eingesetzt wird, sondern darüber hinaus in der Bearbeitungsphase Verwendung findet, was aber auch die systematische Aufbereitung der Wörterbuchdaten voraussetzt: „The conversion of the machine-readable form of a dictionary […] into a LDB (for the purpose of preparing a fresh edition) entailed the codification of information at each of a number of linguistic levels, including phonetic, inflectional, syntactic, semantic, and stylistic information.“ (Cowie 2000a: 128).
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data-gathering has […] placed the computer corpus at the centre of EFL [English as Foreign Language, MR] dictionary-making.“ (Cowie 2000a: 121). Während das OALD den Typ des Lernerwörterbuchs überhaupt etabliert und das LDOCE die Benutzerfreundlichkeit zur obersten Maxime erhebt, nutzt das Cobuild English Language Dictionary (Cobuild) als erstes Wörterbuch die Möglichkeiten von Korpusaufbau und systematischer Korpusauswertung und setzt damit Maßstäbe für zukünftige Wörterbücher. Zum Tempo und zur Qualität der lexikographischen Entwicklung in dieser Zeit hält Herbst fest: Bemerkenswert ist an dieser Entwicklung, daß es sich bei den Neuauflagen der achtziger und neunziger Jahre nicht um geringfügig veränderte Neubearbeitungen der alten Wörterbücher handelt, sondern […] um grundlegend neu konzipierte Produkte. (Herbst 1998: 21)
Erst diese dritte Wörterbuchgeneration, die 1987 mit der ersten Ausgabe von Cobuild beginnt34 und von den Entwicklungen auf dem Computermarkt und beim World Wide Web begünstigt wird, geht mit einer Professionalisierung der Lernerlexikographie sowie einem intensiven metalexikographischen Austausch einher. Dabei hat seit den 1990er Jahren bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Frage nach den Bedürfnissen der Lernenden und der tatsächlichen Benutzung der Wörterbücher einen besonderen Stellenwert in der lernerlexikographischen Forschung. The new generation of learner’s dictionaries can thus be characterized by an attempt to take lexicographical user research into account and to find new ways making information easily accessible to the user without, however, giving up a very high standard of lexicographical description. (Herbst 1990: 1384)
Anders als in der vorausgegangenen Phase, in der durch das Bemühen um Benutzerfreundlichkeit gerade die Formulierung von Definitionen35 und die Limitierung des Definitionswortschatzes – und damit die Rezeptionsfunktion des Wörterbuchs – im Zentrum stand, wird in der dritten Phase durch das verstärkte Interesse an kognitionswissenschaftlichen Arbeiten (etwa die von Cruse und Lyons, vgl. Cowie 2000a: 168ff.) die Produktionsfunktion des Lernerwörterbuchs wieder zentral (vgl. Cowie 2000a: 173). Semantische Angaben und deren Einbindung in Wörterbücher werden vor dem Hintergrund der Benutzerbedürfnisse diskutiert:
|| 34 Zeitgleich wird auch eine überarbeitete Version des LDOCE herausgegeben, an der besonders die überarbeiteten Zugriffs- und Verweisstrukturen hervorzuheben sind (vgl. Cowie 2000a: 145). 35 Nur am Rande sei vermerkt, dass Cobuild im Vergleich zu seinen Vorgängern bei der Definitionsform neue Wege beschreitet. Die Herausgeber orientieren sich nicht an dem Schema definiendum + definiens, sondern nehmen das zu erklärende Wort selbst in die Definition auf und präsentieren zugleich einen Verwendungskontext, z.B.: „If something disturbs you or disturbs you state of mind, it makes you feel upset or worried.“ (Cobuild-1, zitiert nach Cowie 2000a: 158).
150 | Status Quo der Lernerlexikographie
As the dictionaries of the 1980s took shape, it was generally recognized that, […] it was desirable to deal with ‘oppositeness’ in general terms, and to draw attention to the synonyms and superordinates of individual entry words. (Cowie 2000a: 168)
Die siebte Auflage des OALD hebt werbewirksam – quasi als Essenz der Entwicklung der englischen Lernerlexikographie – folgende Merkmale des Wörterbuchs hervor: in Folge der ‚Vocabulary Control Movement‘ enthält das Wörterbuch eine Aufstellung der „3000 wichtigsten englischen Wörter in einer separaten Liste“, deren „eindeutige Worterklärungen in übersichtlichem Layout“ sowohl den Forderungen nach Limitierung des Definitionsvokabulars wie auch nach Benutzerfreundlichkeit nachkommen. Auch mit der Erarbeitung auf Grundlage des British National Corpus, der Oxford Corpus Collection und des Oxford Reading Programme für Sprachforschung kommt das Wörterbuch der seit der dritten Lernerwörterbuchgeneration üblichen Erarbeitung lernerlexikographischer Produkte auf Grundlage computerisierter Korpora nach36. Hinweise zur Grammatik – seit der „Pedagogical Grammar“ fester Bestandteil von Nachschlagewerken für Lernende – sind in der „Reference Section“ enthalten, die neben den „usage notes“ auch landeskundliche Informationen (z.B. zu Bildungssystemen in GB und den USA) enthält. Die „Synonym- und AntonymAngaben“ schließlich sind auf die jüngsten Bemühungen der Lernerlexikographie zurückzuführen, mehr semantische Informationen in Lernerwörterbücher einzubinden (vgl. OALD-7). Anhand eines Beispielartikels aus der ersten und der letzten Ausgabe des OALD soll die Entwicklung der englischen Lernerlexikographie abschließend verdeutlich werden:
Beispiel 4: Artikel football aus OALD-1 (1948) und OALD-8 (2010)
|| 36 Henry Widdowson nimmt im Vorwort der 7. Ausgabe des Wörterbuchs Stellung zur Entwicklung der Lernerlexikograpie nach Einführung des Computers: „Computers have now revolutionized the collection and analysis of language data […]. But if the value of the work is to be estimated by its use, we need to consider how far this information about usage is relevant to the learner’s purposes.” (Vorwort OALD-7).
Entwicklung der Lernerlexikographie | 151
Nicht nur die Quantität zeichnet den jüngeren Artikel aus, auch der weitgehende Verzicht auf Abkürzungen („n.“ vs. „noun“) und nicht-typographische Strukturanzeiger, das Eingehen auf Unterschiede zwischen amerikanischem und britischem Englisch, die genaue Erklärung des Lemmas, die Aufnahme von Kollokationen („to play football“, „a football match“), der Verweis auf eine graphische Darstellung und die Aufnahme von Beispielsätzen („Health care should not become a political football.“) zeigen deutlich, wie sich die englische Lernerlexikographie in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Zusammenfassend halten Herbst und Klotz zum Stand der lernerlexikographischen Entwicklung in England fest: Insgesamt ist festzustellen, dass sich für englische Lernerwörterbücher in den letzten 20 Jahren gewisse Standards etabliert haben, die generell zu einem hohen Niveau in diesem Wörterbuchtyp geführt haben. (Herbst/Klotz 2003: 245)
Mit dieser dritten Generation werden auch weitere lernerlexikographische Desiderate publiziert: Oxford und Longman veröffentlichen beide im Jahr 1992 eine enzyklopädische Variante ihres Lernerwörterbuchs, das Oxford Advanced Learner’s Dictionary. Encyclopedic Edition bzw. das Longman Dictionary of the English Language and Culture und erweitern damit die Typologie der Lernerwörterbücher um einen neuen Untertyp (vgl. Kapitel 6.2.). Trotz der Gemeinsamkeiten – der Einbeziehung von landes- und kulturkundlichen Angaben – gehen die beiden Verlage dennoch unterschiedliche Wege: OUP setzt auf einen konservativen Kulturbegriff und nimmt daher bevorzugt solche kultur- und landeskundlichen Lemmata auf, welche zum einen unkontrovers scheinen und zum anderen das englische Kulturgut auch in seiner historischen Dimension darstellen („Works of Shakespeare“ etc.). Longman dagegen orientiert sich bei der Aufnahme von enzyklopädischen Informationen eher an der Gegenwart (von 1992) und daher sind auch – durchaus umstritten – die Soap „Coronation Street“ und die Serie „Star Trek“ repräsentiert (vgl. Heath/Herbst 1994: 153f.). Gerade die Aufnahme dieser Lemmata hat nicht nur zu Diskussionen um den für Nachschlagewerke adäquaten Kulturbegriff geführt, sondern wiederum zur Frage der Aktualität von Wörterbüchern und Enzyklopädien, eine Frage, die Samuel Johnson schon 1784 vor dem Hintergrund ganz anderer Arbeitsmethoden thematisiert hat37. Dabei sollte es mit Blick auf die technische Entwicklung kein Problem (mehr) darstellen, die Aktualität von Wörterbuchdaten zu gewährleisten. So können die Verlage auf ihren Homepages entweder ein Update für die Benutzer von CD-ROMAusgaben anbieten oder das Wörterbuch im Internet publizieren, wobei Aktualisie-
|| 37 Samuel Johnson hatte sich 1784 in einem Brief an einen Freund über die mangelnde Aktualität sowie die Notwendigkeit von Wörterbüchern mit dem inzwischen berühmt gewordenen Zitat geäußert: „Dictionaries are like watches, the worst is better than none, and the best cannot be expected to go quite true.“ (Redford 1994: 379).
152 | Status Quo der Lernerlexikographie
rungen jederzeit möglich sind38. Momentan werden von vielen Verlagen beide Publikationswege (CD-ROM und im WWW) genutzt, wobei nach Sicherung der Verlagsrechte durch sog. (kostenpflichtige) Abonnements (das OED kostet im Jahresabonnement ca. 215₤) die Publikation im Internet auch seitens der Verlage immer beliebter wird. Mit der Publikation von Wörterbuchdaten im WWW hat sich der Computer in der Lexikographie noch ein weiteres Territorium erobert: Nicht nur Lexikographen bedienen sich des Computers, auch die Lernenden können per Computer auf die Wörterbücher zugreifen, Einträge ergänzen bzw. in Foren diskutieren oder ganze Wörterbuchprojekte in Eigenarbeit gemeinsam erstellen. Prominente Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum sind die beliebten Link Everything Online (LEO)Wörterbücher, die von den Nutzern in weiten Teilen selbst aufgebaut und ergänzt werden (sog. „kollaborative Wörterbücher“39). Trotz aller Verdienste der Verlage bei der Digitalisierung der Lernerwörterbücher und den damit verbundenen Vorteilen für den Benutzer handelt es sich bei den gegenwärtigen Publikationen jedoch nur um digitalisierte Ausgaben von für den Druck konzipierten Wörterbüchern. Während der Einsatz von Computern in der Produktions- und Bearbeitungsphase nicht unbedingt ein elektronisches Wörterbuch zur Folge haben muss, sind originäre Hypertext-Wörterbücher durch ihre multimodale Struktur (Hypertext40) und die multicodalen Inhalte (neben Text- auch Audio- und Video-Dateien) auf diesen Publikationsweg angewiesen. Hierbei muss insbesondere die Nutzung der medienspezifischen Mehrwerte für die lexikographische Informationsvermittlung genau bedacht werden. Zusammenfassend schließe ich mich der Einschätzung Howard Jacksons an, der in seiner Darstellung so weit geht, die Entwicklung der Lernerlexikographie in England als „the most interesting and innovative sector of British lexicography over the past quarter of a century and more“ (Jackson 2002: 69) zu bezeichnen.
|| 38 Sowohl bei der Digitalisierung von Wörterbuchdaten wie auch der Publikation im WWW hatte wiederum Oxford University Press mit der Digitalisierung des Oxford English Dictionary in den 1980er Jahren Pionierarbeit geleistet. Das OED war das erste Wörterbuch, welches systematisch digitalisiert worden ist und bereits sehr früh online (2000) nutzbar war (vgl. die Homepage des OED unter http://public.oed.com/history-of-the-oed/). 39 Kollaborative Wörterbuchprojekte werden in Darstellungen zu medienspezifischen Mehrwerten bislang meist unter dem Stichwort „Interaktion“ besprochen, wobei allgemein differenziert wird zwischen Benutzer-System-Interaktion („Interaktivität“) und Benuter-Benutzer-Interaktion („Kooperation“, auch in Form von kollaborativer Wörterbucharbeit) (vgl. Storrer 1998: 107). 40 Wie gut sich der nichtlineare Aufbau von Wörterbüchern in eine hypertextuelle Struktur überführen lässt, wird u.a. von Nesi betont: „Dictionaries have an inherent hypertextual structure and they are intended to be read non-sequentially, following routes dependent on the user’s consultation needs, so hypertext proved to be an ideal way to navigate lexicographical data.“ (Nesi 2009: 467).
Entwicklung der Lernerlexikographie | 153
6.4.2 Überblick über die Entwicklung der Lernerlexikographie in Frankreich Die aus der bisherigen Darstellung ersichtliche Dominanz der englischen Lernerlexikographie sehen Romanisten mit Skepsis: „Aus der sichtbar gewordenen Vormachtstellung der englischen learners’ dictionaries dürfen nun keine falschen Schlüsse gezogen werden.“ (Schafroth/Zöfgen 1998: 4). Tatsächlich waren auch französische Lexikographen schon früh auf dem Gebiet der Lernerlexikographie tätig; theoretische Arbeiten reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück (vgl. Zöfgen 1985b: 15; Lübke 1982: 21). Als schließlich das erste praktische Ergebnis der französischen Lernerlexikographie, das Dictionnaire du Français Contemporain (DFC), 1966 in Frankreich publiziert wurde, galt dies zunächst international als „Pionierarbeit“ (Schafroth/Zöfgen 1998: 4) und als „Ereignis in der Geschichte der Lexikographie“ (Zöfgen 1985b: 10). Neue Organisationsprinzipien wie Wortschatzselektion, Gliederung der Artikelstruktur nach syntaktischen Gesichtspunkten und Gliederung der Makrostruktur nach Wortfamilien41 setzen es von allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern ab, womit das Wörterbuch, welches als didaktisches Wörterbuch, aber nicht primär als L2-Wörterbuch konzipiert ist, auch für den Fremdsprachenunterricht geeignet ist. Anders als die englischen Pendants ist das DFC allerdings sowohl bei Erstsprachlern als auch bei Fremdsprachenlernenden nie populär geworden (vgl. Zöfgen 1985b: 10). Während Wörterbuchkritiker die Erstellung des DFC als herausragende Pionierarbeit auf dem Gebiet der didaktischen Lexikographie bzw. Lernerlexikographie werten, lässt die Publikation des Petit Robert (PR) ein Jahr später das DFC in der internationalen Wörterbuchlandschaft schnell in Vergessenheit geraten (vgl. Hausmann 1974: 99). Seit der Publikation des Longman Dictionary of Contemporary English und der damit einsetzenden Orientierung an den Bedürfnissen der Lernenden (vgl. Kapitel 6.4.1.) wird die französische Lexikographie zudem dafür kritisiert, Tendenzen und Entwicklungen der englischen Lernerlexikographie zu ignorieren. In England setzt man auf Innovationen und Weiterentwicklung der bestehenden Lernerwörterbücher und publiziert in rascher Folge Überarbeitungen. Die französischen Lernerwörterbücher (‚dictionnaires d’apprentissage‘ oder ‚dictionnaire scolaire du français langue étrangère‘) dagegen orientieren sich an den jeweiligen Traditionen (vgl. Schafroth/Zöfgen 1998: 4). Hinzu kommt, dass die meisten französischen Lernerwörterbücher trotz der Eignung für L2-Lernende primär für den erstsprachlichen Unterricht konzipiert worden sind: „Gleichwohl dürfen ‚dictionnaires scolaires langue maternelle‘ in unserer Aufstellung [von französischen Lerner-
|| 41 Hausmann kommt in seinem Vergleich der beiden „Lernwörterbücher“ DFC und PR zu dem Ergebnis: „Die Gliederung in synchrone Wortfamilien ist der revolutionärste Schritt, den die Autoren des DFC getan haben. Es war auch der umstrittenste.“ (Hausmann 1974: 128).
154 | Status Quo der Lernerlexikographie
wörterbüchern, MR] nicht fehlen, weil es ersichtlich kein den englischen learners’ dictionaries vergleichbares Wörterbuch für Französisch als Fremdsprache gibt.“ (Schafroth/Zöfgen 1998: 6). Bis heute hat sich an der französischen Lernerwörterbuchlandschaft wenig geändert: Schafroth fasst die aktuelle Situation kritisch zusammen: Der Markt für einsprachige Lernerwörterbücher des Französischen ist im Unterschied zu demjenigen für Wörterbücher, die sich an muttersprachliche Kinder und Jugendliche wenden, nach wie vor überschaubar. (Schafroth 2014: 139)
Das 1999 erschienene Dictionnaire du français ist wegen seiner Hilfestellungen bei der Sprachproduktion nach Ermessen Schafroths das einzige, „das den Bezug auf das fremdsprachige Publikum nicht nur als Lippenbekenntnis im Vorwort stehen hat […], sondern von Grund auf so konzipiert ist“. (Schafroth 2014: 137). Während Schafroth und Leroyer et al. den gedruckten französischen Lernerwörterbüchern sehr kritisch gegenüberstehen (vgl. Schafroth 2014: 134ff. und Leroyer et al. 2009: 130), heben letztere Innovationen bei digitalen Wörterbüchern hervor: La lexicographie non institutionnelle en revanche, présente sur le web, offre des produits novateurs avec lesquels elle espère réaliser le rêve ultime du lexicographe, qui est d’offrir ‚more content, more flexibility and customization, more user-friendliness, better access and more connectivity with other sources of knowledge‘ […]. (Leroyer et al. 2009: 130)
Trotz der berechtigten Kritik an französischen Lernerwörterbüchern betonen Elmar Schafroth und Ekkehard Zöfgen, dass sich das erste deutsche Lernerwörterbuch u.a. an französischen Vorbildern orientiere: „Denn natürlich gibt es nicht den geringsten Zweifel daran, daß der Konzeption von LGWDAF Organisations- und Strukturprinzipien zugrunde liegen, die nachweislich im Umkreis der französischen (Meta-) Lexikographie erarbeitet wurden.“ (Schafroth/Zöfgen 1998: 4). Gleiches wird allerdings auch für die englische Lernerlexikographie behauptet (vgl. Herbst 1998: 32).
6.4.3 Lernerlexikographie und Metalexikographie Obwohl auch Diskussionen um Wörterbuchkonzeptionen zur Metalexikographie zu zählen sind und es damit in Deutschland bereits sehr früh metalexikographische Diskussionen gegeben hat (z.B. Leibniz’ Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und die Verbesserung der deutschen Sprache (1697), vgl. Henne 1977: 28 und Haß-Zumkehr 2001: 91), ist die Metalexikographie in ihrer heutigen Ausprägung noch relativ jung. Erst in den 1970er Jahren kommt mit der Entwicklung und Professionalisierung der Lexikographie auch ein verstärktes Interesse an metalexikographischen Fragestellungen auf: „Eine breiter entwickelte Wörterbuchforschung besteht im deutschen Sprachraum jedoch erst etwa ab 1970/75.“ (Schlaefer 2002:
Entwicklung der Lernerlexikographie | 155
80). Aus dem Zitat wird auch klar, dass bei der Bezeichnung der Theorie der Lexikographie aufgrund des relativ jungen Alters der Disziplin terminologische Vielfalt herrscht. Thomas Herbst und Michael Klotz betonen in ihrer Darstellung, dass der Begriff Lexikographie bis heute – auch international – häufig polysem verwendet wird und einerseits die (Ergebnisse der) praktischen Lexikographie wie auch die der theoretischen Lexikographie umfasst (vgl. Herbst/Klotz 2003: 14)42. Für den Teilbereich der theoretischen Lexikographie schlägt Hausmann Mitte der 1980er Jahre den Begriff Metalexikographie vor: Metalexikographie im Sinne von Hausmann et al. ist der Teil der Lexikographie, der nicht auf die Erstellung eines Wörterbuchs abzielt, sondern die theoretischen Aspekte und methodischen Fragestellungen der Lexikographie zum Gegenstand hat (vgl. Hausmann et al., in: Schaeder 1987: 126). Während Wiegand zunächst Metalexikographie und Wörterbuchforschung gleichsetzt, klassifiziert er in späteren Arbeiten den Begriff Metalexikographie als Holonym zu Wörterbuchforschung, Lexikonforschung und Allbuchforschung (vgl. Wiegand 1998b: 73), weist aber auch auf einen abweichenden Sprachgebrauch hin: „Wenn es nicht ausdrücklich auf den Unterschied zu den anderen Arten der Metalexikographie ankommt, können Wörterbuchforschung und Metalexikographie so verwendet werden, daß man damit auf den gleichen Gegenstand Bezug nimmt.“ (Wiegand 1998b: 73). In dieser Arbeit soll daher der Begriff ‚Lexikographie‘ für das Gesamt der lexikographischen Arbeiten – theoretisch wie praktisch – verwendet werden. Auf die theoretischen Aspekte der Lexikographie dagegen wird mit den Begriffen Metalexikographie (als Internationalismus) und Wörterbuchforschung referiert. Auf letzteren Begriff soll nicht verzichtet werden, da insbesondere die Teildisziplin Wörterbuchbenutzungsforschung für die Lernerlexikographie eine große Rolle spielt. Nach Engelberg/Lemnitzer umfasst die Metalexikographie bzw. Wörterbuchforschung folgende Bereiche (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 3)43: – Struktur von Wörterbüchern – Erstellung von Wörterbüchern (auch „(praktische) Lexikographie“) – Benutzung von Wörterbüchern
|| 42 Die Darstellung aus dem Jahr 2003 deckt sich mit der Darstellung von Helmut Henne aus dem Jahr 1980, der die Lexikographie in folgende drei Teilbereiche untergliedert: „Lexikographie (= L.) ist Wörterbuchschreibung. […] Der Terminus L. als Oberbegriff für alle Formen der Wörterbuchschreibung beinhaltet demnach (1) den P r o z e ß der Wb.scheibung und (2) die der Wb.schreibung zugrundeliegende T h e o r i e und M e t h o d e . L. hat als Ergebnis (3) das Wörterbuch (Wb.).“ (Henne 1980, in: Schaeder 1987: 117). 43 Dies ist eine Erweiterung der von Wiegand genannten Teilbereiche der Meta-(Sprach-) Lexikographie: Benutzungsforschung, Kritik der Nachschlagewerke, Geschichte der Sprachlexikographie und Allgemeine Theorie der Sprachlexikographie (vgl. Wiegand, zitiert nach Schaeder 1987: 152).
156 | Status Quo der Lernerlexikographie
– –
Kritik von Wörterbüchern Geschichte der Lexikographie
Die verschiedenen Teilbereiche sind jedoch mit unterschiedlicher Intensität erforscht worden. Nur von wenigen ist die Geschichte der Lexikographie – mit Ausnahme überblicksartiger Darstellungen (z.B. in Henne 1977, Schaeder 1987) – untersucht worden. Die Monographie Deutsche Wörterbücher. Brennpunkt von Sprachund Kulturgeschichte (2001) von Ulrike Haß-Zumkehr ist eine Ausnahme, da hier – obwohl ebenfalls nur den Anspruch auf eine Überblicksdarstellung erhebend – die Entwicklung der deutschsprachigen Lexikographie vom Mittelalter bis zur Gegenwart dargestellt wird. Die meisten Untersuchungen mit historischen Ansätzen beschränken sich jedoch auf die Darstellung eines Wörterbuchs und dessen Werksgeschichte (z.B. das Deutschen Wörterbuch (DWB) von Jacob und Wilhelm Grimm). Wörterbuchstrukturen (sowohl Makro- wie Mikrostrukturen) sind dagegen zentraler Untersuchungsgegenstand der Metalexikographie. Deren Darstellung ist oft auch ein Aspekt der Wörterbuchkritik, die nicht nur von Metalexikographen sondern nicht zuletzt auch von Wörterbuchmachern an ihren Vorgängern geübt wird (einige Beispiele aus der Lexikographiegeschichte: Joachim Heinrich Campe an Adelungs Wörterbuch, Jacob und Wilhelm Grimm an vielen ihrer Vorgänger, Daniel Sanders wiederum an Grimms Deutschem Wörterbuch etc.). Die Benutzung von Wörterbüchern (Wörterbuchbenutzungsforschung) wiederum wird erst ab den 1990er Jahren erforscht (zur Entwicklung und zu den Ergebnissen der Wörterbuchbenutzungsforschung vgl. Kapitel 7). Die metalexikographische Forschung verstärkt sich in besonderem Maß in den 1980er Jahren. Zum einen wird nach Gründung der „Dictionary Society of North America“ (DSNA; gegründet 1974) Lexikographen auch in Europa mit der Gründung der „European Association for Lexicography“ (EURALEX, gegründet 1983) ein offizielles Forum gegeben, deren Konferenzen seit den 1990er Jahren immer abwechselnd zu den ebenfalls alle zwei Jahre stattfindenden DSNA-Konferenzen ausgerichtet werden. Zum andern werden in den 1980er Jahren auch wichtige lexikographische Periodika eingeführt: Seit 1983 erscheint jährlich ein Band der Serie Lexicographica im Niemeyer-Verlag, seit 1988 wird vierteljährlich das International Journal of Lexicography (IJL) von OUP herausgegeben. Ende der 1980er Jahre erscheint in Deutschland schließlich Burkhard Schaeders grundlegende und einführende Darstellung Germanistische Lexikographie (1987), die auch erstmals die Entwicklungen der Metalexikographie berücksichtigt, zwei Jahre später der dreibändige, in drei Sprachen veröffentlichte HSK-Band Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. Nach Gründung der nordamerikanischen und europäischen lexikographischen Organisationen wird 1990 auch die „Australasian Association for Lexicography“ (Australex) gegründet, 5 Jahre später die „African Association for Lexicography“ (Afrilex). Sowohl Periodika wie
Entwicklung der Lernerlexikographie | 157
auch regelmäßig stattfindende Konferenzen haben dazu geführt, dass sich der Austausch von Lexikographen und Metalexikographen intensiviert hat und der (Meta-) Lexikographie insgesamt mehr Bedeutung beigemessen wird. Als Anhaltspunkt für die Entwicklung der Metalexikographie soll im Folgenden die Publikationsdichte auf diesem Gebiet (basierend auf einer Abfrage der „Deutschen Nationalbibliothek“ mit dem Stichwort „Lexikographie“) in Form einer Graphik dargestellt werden (vgl. Abbildung 11), welche deutlich den Anstieg von lexikographischen Monographien und Sammelbänden seit den 1970er Jahren zeigt (Stand: Oktober 2012. Das Jahr 2012 ist wegen seiner unvollständigen Erfassung grau dargestellt):
Anzahl an Publikationen zum Thema Lexikographie
25
20
15
10
5
0 1970
1977
1984
1991
1998
2005
2012
Abb. 11: Entwicklung der Metalexikographie anhand von Publikationen zu Lexikographie im deutschsprachigen Raum
Ende der 1990er Jahre fragt (sich) Wiegand, ob sich die Lexikographie akademisch etablieren konnte (vgl. Wiegand 1998b: 119): Während er dies für die meisten europäischen Staaten mit der Begründung verneinen muss, da es keinen Abschluss eines lexikographischen Studiums gebe, kann er die Frage nach der akademischen Existenz der Lexikographie mit Verweis auf zahlreiche Angebote an Universitäten und Fachhochschulen – vom Sommersemester 1981 bis Sommersemester 1990 wur-
158 | Status Quo der Lernerlexikographie
den 586 Lehrveranstaltungen von 350 Dozierenden an 54 Universitäten im deutschsprachigen Raum gehalten (vgl. Wiegand 1998b: 128) – eindeutig bejahen. Obwohl der von Wiegand 1988 geforderte „Diplom-Studiengang zur Lexikographie“ in Deutschland zunächst nicht eingerichtet wurde und bei Wörterbuchmachern sehr in der Kritik stand (vgl. Drosdowski 1992; 418ff.), haben sich auch in der akademischen Profilbildung lexikographische Schwerpunkte ergeben. So war durch die Professur von Wiegand die Universität Heidelberg jahrzehntelang ein Zentrum für Wörterbuchforschung. Hinzu kommt, dass in zahlreichen Studienordnungen der Teilbereich Lexikographie insofern berücksichtigt wird, als dass häufig der Besuch entsprechender Seminare obligatorisch ist. Vorläufiger Höhepunkt der deutschen Wörterbuchforschung ist 2005 die Gründung des „Interdisziplinären Zentrums für Lexikografie, Valenz- und Kollokationsforschung“ an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg, die sich mit 9 anderen europäischen Universitäten an einem Master-Studiengang für Lexikographie (EMLex)44 beteiligt. Bedeutend für die Metalexikographie sind in den letzten Jahren nicht nur die Publikationen von Wiegand gewesen, mit der lexikographischen Funktionstheorie (vgl. Tarp 2008) hat sich auch ein theoretischer Ansatz sehr explizit mit den Bedürfnissen der Benutzer – und speziell den Bedürfnissen von Fremdsprachelernenden – beschäftigt. Anders als Wiegand, für den die Bedürfnisse der Benutzer in bestimmten Wörterbuchbenutzungssituationen nur ein Baustein sind, um Anforderungen an lexikographische Werke näher zu bestimmen, hat die Funktionstheorie Aarhuser Schule der Diskussion über den Zweck und die Merkmale von Wörterbüchern einen neuen Fokus verliehen. Die Ausdifferenzierung von Benutzerkenntnissen und -bedürfnissen bei Lernerwörterbüchern verleiht der Konzeption der publizierten Lernerwörterbücher zwar eine theoretische Grundlage und zeigt auch die Notwendigkeit, auf Bedürfnisse von einzelnen Lernergruppen (Anfänger und Fortgeschrittene) gezielter einzugehen, allerdings ist gerade der Fokus auf benutzergruppenorientierte Wörterbücher angesichts der größeren Herausforderungen, welche allgemeine Wörterbücher darstellen, nicht ganz nachvollziehbar. Es wird spannend sein zu beobachten, in welcher Weise sich die theoretischen Grundlagen der Funktionstheorie auf die praktischen Produkte auswirken werden. In der Lernerlexikographie haben sich metalexikographische Bestrebungen weitestgehend an den Entwicklungen der englischen Lernerlexikographie orientiert. Da deren Entwicklung bereits in Kapitel 6.4.1. dargestellt worden ist, soll an dieser Stelle auf weitere Vertiefung verzichtet werden.
|| 44 Vgl. die Informationen unter www.emlex.phil.uni-erlangen.de.
Die Zielgruppe deutschsprachiger Lernerwörterbücher | 159
6.5 Die Zielgruppe deutschsprachiger Lernerwörterbücher: Fortgeschrittene Deutsch als Fremdsprache-Lernende Um die Eignung von Lernerwörterbüchern beurteilen zu können, ist es auch notwendig, sich mit den Kenntnissen und Bedürfnissen der Benutzergruppe auseinanderzusetzen. Die Zielgruppe der deutschsprachigen Lernerwörterbücher – fortgeschrittene Deutsch-als-Fremdsprache-Lernende – soll daher im Folgenden knapp vorgestellt werden. Bei der Darstellung werden insbesondere Lernende berücksichtigt, welche Deutsch im Rahmen eines institutionalisierten Unterrichts bzw. selbstgesteuerten Erwerbs innerhalb oder außerhalb des deutschsprachigen Sprachraums lernen. Leider können zu Lernenden, welche Deutsch ungesteuert durch Sprachkontakt erwerben (etwa Immigranten und Kinder mit Migrationshintergrund45), nur indirekt Aussagen über Lernprozess, Kenntnisstand sowie Ziele der Lernenden getroffen werden; hier muss auf die allgemeine Darstellung in Kapitel 2.2.1. verwiesen werden. Nach einem Rückgang der Lernerzahlen in den 1980er Jahren und dem durch die weltpolitische Wende 1989/1990 ausgelösten „Deutsch-Boom[…]“ (Altmeyer 2001: 127) in den 1990er Jahren sinken die Deutschlernerzahlen in den letzten Jahren erneut – von 20,1 Mio. (2000) auf 16,7 Mio. (2005) und weiter auf 14 Mio. (2010) Lernende46. Die Erhebungen der „Ständigen Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache“ (StADaF) bzw. des „Netzwerks Deutsch“ aus den Jahren 2000, 2005 und 2010 belegen den Rückgang der Zahl der Deutschlernenden weltweit und zeigen zudem, dass das Interesse an DaF nur auf einzelne (europäische) Länder beschränkt ist – einzig in Italien und Polen 2010 sind steigende Lernerzahlen gegenüber früheren Erhebungen zu verzeichnen (vgl. Tabelle 1).
|| 45 Kinder mit Migrationshintergrund lernen Deutsch häufig als Zweit- bzw. Fremdsprache: „Heute gilt für viele Kinder in Deutschland, dass Deutsch nicht die erste Sprache ist, die sie erwerben. Obwohl die meisten dieser Kinder in Deutschland geboren sind, wachsen sie in den ersten Lebensjahren mit einer anderen Familiensprache auf […]. Zugleich ist offensichtlich, dass die besondere Erwerbssituation dieser Kinder für die Sprache Deutsch nicht einem simultanen, sondern weit mehr einem sukzessiven Erwerb entspricht, d. h. obwohl viele dieser Kinder in Deutschland geboren sind, erwerben sie Deutsch nicht von Anfang an.“ (Rothweiler 2007: 105). 46 Die Daten sind den Erhebungen der StADaF bzw. des „Netzwerks Deutsch“ aus den Jahren 2000, 2005 und 2010 entnommen. Mitglieder der StADaF und der Nachfolgeinitiative „Netzwerk Deutsch“ sind das Auswärtige Amt, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), das Goethe-Institut und die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen.
160 | Status Quo der Lernerlexikographie
Tabelle 1: Top 10 der Länder mit den meisten Deutschlernenden weltweit in absoluten Zahlen (2010) (Quelle: StADaF/Netzwerk Deutsch)
Rang 2010
Deutschlernende
2010
2005
2000
Zuwachs/ Verlust 2000 bis 2010
1.
Polen
2.345.480
2.208.300
2.202.708
+142.772
2.
Russische Föderation
2.312.512
3.322.172
4.657.500
-2.344.988
3.
Frankreich
1.037.885
1.260.827
1.603.813
-565.928
4.
Ukraine
689.367
760.003
1.235.647
-546.280
5.
Usbekistan
640.685
732.800
855.900
-215.215
6.
USA
494.264
424.095
551.274
-57.010
7.
Ungarn
442.272
604.000
629.742
-187.470
8.
Tschechische Republik
440.952
565.255
799.071
-358.119
9.
Italien
431.577
290.317
210.598
+220.979
10.
Niederlande
Insgesamt
366.073
424.098
591.190
-225.117
7.394.367
11.224.695
13.043.172
-5.648.805
Ein Grund für das insgesamt nachlassende Interesse an dem Erwerb der deutschen Sprache ist in der zunehmenden Bedeutung der englischen Sprache als lingua franca zu finden. Dieser Entwicklung wird in der DaF-Didaktik inzwischen durch neuere pädagogische Konzepte Rechnung getragen, welche den vorausgehenden Erwerb von Fremdsprachen (insbesondere den der englischen Sprache) und die Erfahrungen der Lernenden berücksichtigen (etwa durch Konzepte wie „Deutsch nach Englisch“ (DnE)). Ein weiterer Grund ist in der Bildungspolitik der EU-Länder zu finden: Die Nachfrage nach schulischem Deutschunterricht ist von dem Raum abhängig, welcher in den Lehrplänen für den Erwerb von (mehreren) Fremdsprachen vorgesehen ist. Zwar ist es aus Sicht der EU wünschenswert, wenn mindestens zwei Fremdsprachen gelernt werden (vgl. Ehlich 2010: 12847), tatsächlich wird der Fremdsprachenunterricht durch nationale Curricula-Vorgaben jedoch immer mehr eingeschränkt (vgl. Fandrych/Hufeisen 2010: 35). Dies hat zur Folge, dass der Status von Englisch als erster und häufig auch einziger Fremdsprache gestärkt wird. Daher wird auch in Europa Deutsch meist nicht mehr als erste48, sondern lediglich als zweite oder dritte
|| 47 Vgl. auch die Mitteilung der EU-Kommission „Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung“ an das Europäische Parlament vom 18.9.2008 (vgl. http://ec. europa.eu/education/languages/pdf/com/2008_ 0566_de.pdf). 48 Eine prozentuale Angabe hierzu geben Fandrych et al.: „Nur noch etwa 30% der Deutschlernenden lernen Deutsch als erste Fremdsprache.“ (Fandrych et al. 2010: 9).
Die Zielgruppe deutschsprachiger Lernerwörterbücher | 161
Fremdsprache gelernt, wobei in vielen Ländern das Angebot aufgrund eines Lehrkräftemangels zusätzlich eingeschränkt ist. Auch der Umstand, dass Deutsch den Ruf hat, schwer erlernbar zu sein, ist eher hinderlich bei der Entscheidung für Deutsch als Fremdsprache. Positiv ist dagegen zu vermerken, dass in der Erwachsenenbildung die Zahl der Deutschlernenden wächst – auch, weil Deutschkenntnisse in vielen europäischen Ländern aufgrund intensiver wirtschaftlicher Beziehungen zu Deutschland als berufliche Qualifikation gefragt sind. Gerade in der Erwachsenenbildung spielen weltweit neben staatlich geförderten Institutionen (wie dem Goethe-Institut) auch private Sprachschulen eine wichtige Rolle. Dies können entweder internationale Sprachschulen (wie „inlingua“) sein, welche u.a. auch Deutschunterricht anbieten, oder Einzelunternehmen, die entweder neben zahlreichen anderen Sprachen auch DaF anbieten oder sich auf DaF spezialisiert haben (vgl. Reich 2001: 58). Genaue Angaben über die Größe des „enormen Umfang[s] des Deutsch-als-FremdspracheLernens“ (Ammon 2001: 75) in diesem Bereich können allerdings nur sehr schwer bzw. gar nicht erhoben werden. Einen Hinweis auf die Beliebtheit der deutschen Sprache in der Weiterbildung liefern die Angaben des Goethe-Instituts, nach dessen Jahresbericht 2011/2012 weltweit 184.000 Menschen an einer Prüfung teilgenommen haben – 2010 waren es noch 170.000 und 2009 162.000 Prüfungen. Von diesen Lernenden haben ca. 56,8 % einen Abschluss auf A-Niveau des „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen“ (GER), 34,3 % einen Abschluss auf BNiveau und 6,1 % einen Abschluss auf C-Niveau erhalten. Die Teilnehmendenzahlen des Goethe-Instituts belegen auch den erreichten Kenntnisstand der Lernenden. Zu den Lernenden, welche auf C-Niveau abgeschlossen haben, können zusätzlich diejenigen gerechnet werden, welche in Deutschland an der „Deutschen Sprachprüfung für den Hochschulzugang“ (DSH) teilgenommen haben, sodass sich die Zahl der Lernenden auf C-Niveau deutlich erhöht – immerhin haben 2010 ca. 245.00049 Studierende aus dem Ausland ein Studium in Deutschland begonnen. – Wichtig für die Intensität des Lernens und den angestrebten Kenntnisstand sind die Motive, welche die Deutschlernenden haben. Hennig führt als Motive für den Erwerb der deutschen Sprache individuelle, ökonomische (Interesse an DaF wegen der wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands und aufgrund der zahlreichen deutschsprachigen Touristen) und politische (Interesse an DaF wegen der Bedeutung Deutschlands in Europa) Motive an. – Während die politischen Motive inzwischen vernachlässigt werden können, spielen individuelle und ökonomische Motive weiterhin eine wichtige Rolle, || 49 Vgl. die Angaben des BMBF unter www.bmbf.de/pub/internationalization_of_higher _education_ 2010.pdf.
162 | Status Quo der Lernerlexikographie
was eine Untersuchung der Universität Bielefeld bestätigt: Die meisten der befragten Erasmus-Studierenden geben individuelle Motive für das Lernen der deutschen Sprache an (in absteigender Häufigkeit der Nennung: „weil mich die deutsche Kultur und Sprache interessiert“, „weil ich durch meine Deutschkenntnisse mehr Anerkennung bekomme“, „weil gute Deutschkenntnisse zur Allgemeinbildung gehören“, „weil die deutsche Kultur wichtig ist und ich mehr darüber wissen möchte“), aber auch ökonomische Motive sind von großer Bedeutung (in absteigender Häufigkeit der Nennung: „weil ich dadurch bessere Jobchancen habe“, „weil ich eine gut bezahlte Arbeit haben will“, „weil ich in Deutschland studieren will“) (vgl. Schlak et al. 2002). Die von Hernig aufgeführten Motive müssen jedoch um zwei weitere, ebenso häufig genannte Motive für den Erwerb von Deutsch als Fremdsprache ergänzt werden: –
Studienrechtliche Motive: Deutschland war und ist als Studienort für Studierende aus dem Ausland sehr interessant. Attraktiv an der deutschen Hochschullandschaft sind das mit 107 Universitäten (und insgesamt 425 Hochschulen50) sehr dichte Hochschulnetz und das große Studienangebot. Wenn Studierende aus dem Ausland nicht nur ein Semester, sondern das komplette Studium in Deutschland absolvieren möchten, ist die durch das Studiengesetz vorgegebene Hürde – das Bestehen der DSH-Prüfung – zwar sehr hoch, dennoch wollen jährlich ca. 245.000 Interessierte aus dem Ausland in Deutschland studieren.
–
Ausländerrechtliche Motive: Bei vielen Deutschlernenden besteht die juristische Notwendigkeit, Deutsch als Fremdsprache lernen und den Erwerb durch Zertifikate belegen zu müssen. Dies ist in Deutschland insbesondere bei Zuwanderern und Spätaussiedlern der Fall, die nach Deutschland einwandern wollen51. Spätestens bei der Beantragung einer Niederlassungsbewilligung, welche einen fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland voraussetzt, wird der Nachweis von Deutschkenntnissen gefordert. Können die Zuwanderer bei der Einreise keine Sprachkenntnisse nachweisen, hat diese Personengruppe seit Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes vom 1. Januar 2005 einen Anspruch auf einen Integrationskurs, der hauptsächlich auf die Vermittlung von grundlegenden Deutschkenntnissen abzielt. Tarp hebt die Schwierigkeiten, die sich aus den gesetzlichen Bestimmungen und den Interessen bei dieser Lernergruppe ergeben können, hervor:
|| 50 Diese Angabe basiert auf den vom Statistischen Bundesamt publizierten Informationen zur deutschen Hochschullandschaft (vgl. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/ BildungForschungKultur/Hochschulen/Tabellen/HochschulenHochschularten.html). 51 Ausgenommen von dieser Regelung sind Personen, die die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Landes besitzen oder einen Hochschulabschluss nachweisen können (vgl. www.bmbf.de).
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 163
[I]n principle they are not particularly interested in learning the language of their new country. Instead, they are more or less forced to learn this language as a feature of their new lives. Learn-ing the new language is part of the process of integration […]. [Tarp 2008:143]
Was sagen die Motive aber über die Intensität aus, mit der Deutschkenntnisse erworben werden? Zusammenfassend kann angeführt werden, dass das angestrebte Kompetenzniveau abhängig ist von dem Motiv, aus dem gelernt wird. So müssen Zuwanderer zunächst lediglich grundlegende Sprachkenntnisse nachweisen, durch ihren Aufenthalt in Deutschland und die tägliche Kommunikation in deutscher Sprache ist ein Zuwachs an Sprachkenntnissen aber (fast) unumgänglich – gerade auf lexikalischer Ebene (vgl. Kapitel 2.2.1). Studieninteressierte dagegen müssen bereits zu Beginn ihres Studiums umfassende Kenntnisse nachweisen, welche die wichtigste Voraussetzung sind, um den Studieninhalten folgen zu können. Auch bei Personen, welche im Ausland im Tourismus bzw. in der Industrie aufgrund ihrer Deutschkenntnisse eingestellt bzw. gefördert werden, ist ein eher hohes Kompetenzniveau zu erwarten. Gerade diese Lernergruppen bringen daher die notwendigen Kenntnisse mit, um von der Benutzung von einsprachigen Lernerwörterbüchern profitieren zu können, und sind zudem stark motiviert, ihre Kenntnisse in der Sprache weiter auszubauen. Damit bilden gerade diese Gruppen die potentielle Benutzergruppe von einsprachigen Lernerwörterbüchern.
6.6 Ergebnisse der theoretischen und praktischen Lernerlexikographie in Deutschland Nach der erstmaligen Erarbeitung eines deutschsprachigen Bedeutungswörterbuchs (1774–1786) durch Johann Christoph Adelung und der Etablierung dieses Wörterbuchtyps thematisiert Hermann Paul im Vorwort seines Deutschen Wörterbuchs (1897) als einer der ersten deutschen Lexikographen die Möglichkeit, das einsprachige Bedeutungswörterbuch auch im Rahmen des erst- und fremdsprachlichen Unterrichts zu benutzen52: Das Werk wendet sich an alle Gebildeten, die ein Verlangen empfinden, ernsthaft über ihre Muttersprache nachzudenken. In erster Linie habe ich an das Bedürfnis der Lehrer gedacht, die
|| 52 Dass Hermann Paul trotz der vergleichsweise praktischen Ausrichtung seines Wörterbuchs kein Didaktiker, sondern ein Wissenschaftler ist, der seine theoretischen Standpunkte mittels eines Wörterbuchs praktisch zugänglich machen will, wird von Haß-Zumkehr betont (vgl. Haß-Zumkehr 2001: 186): „Hier wird nicht von einem unmittelbaren unterrichtspraktischen Nutzen des Wörterbuchs gesprochen, sondern von Anreizen und Hilfen für gebildete Sprachinteressierte, intensiver über Sprache nachzudenken.“ (Haß-Zumkehr 2001: 186).
164 | Status Quo der Lernerlexikographie
Unterricht im Deutschen zu erteilen haben. Auch dem fremdsprachlichen Unterricht könnte es bei richtiger Verwertung wesentliche Dienste leisten. (Paul 1897: III)
Deutlich setzt sich Paul mit einer praktischen, auf den gegenwärtigen Sprachgebrauch ausgerichteten Konzeption von seinen diachron arbeitenden Vorgängern ab. Aber nicht nur die angestrebte Praxisnähe, auch die Orientierung an den Bedürfnissen der von Paul beschriebenen Benutzergruppe (vgl. obiges Zitat) ist in zahlreichen konzeptionellen Entscheidungen umgesetzt worden: So erhebt das Wörterbuch keinen Anspruch auf Vollständigkeit53 und verzichtet insgesamt „auf überflüssige Erklärung des allgemein Verständlichen“ (Paul 1897: III). Dagegen legt Paul bei den Bedeutungsangaben Wert darauf, das Lemma in seinem „historischen und psychologischen Zusammenhang“ (Paul 1897: IV) darzustellen, wobei er der Unterscheidung zwischen usuellen und okkasionellen Bedeutungen und den Bedeutungsbeziehungen zu anderen Lemmata besondere Aufmerksamkeit widmet. Neben der Vernetzung – besonders auf semantischer Ebene – sind auch die Reduktion von Polyvalenzen sowie der Stil, in dem die Angaben formuliert werden, wichtige konzeptionelle Merkmale und tragen zur Benutzerfreundlichkeit des Wörterbuchs bei: Hermann Paul erzählt eine lexikographische Geschichte, in der er Informationen gibt […], Folgerungen zieht […] , Vergleiche anstellt […], Verweise anführt […], Entwicklungen erläutert […], Gesichtspunkte gegenüberstellt […], Bezüge herstellt […]. Dieser argumentative Wörterbuchstil ist lernpsychologisch darauf orientiert, das Wörterbuch als Wörter-Lesebuch oder LeseWörterbuch zu benutzen. (Kühn 1998: 51)
Dass Pauls Deutsches Wörterbuch damit auch konzeptionelle Merkmale beinhaltet, welche für Lernerwörterbücher wichtig sind bzw. wichtig sein sollten, wird zu Recht von Peter Kühn bei dem Vergleich zwischen den deutschen Wörterbüchern und dem ersten deutschsprachigen Lernerwörterbuch hervorgehoben (vgl. Kühn 1998: 50ff.). Trotz der – nicht nur für die Lernerlexikographie – innovativen Merkmale ist Pauls Wörterbuch jedoch weder für den Unterricht noch für Lernende konzipiert, sondern setzt voraus, dass die deutschsprachigen Benutzer ein großes Interesse an sprachgeschichtlichen Darstellungen haben. So werden etwa Wortfelder nicht nur auf synchroner, sondern auch auf diachroner Ebene miteinander vernetzt (vgl. Beispiel 5).
|| 53 Gerade der Umfang der Lemmaliste (zwischen 9.000 und 10.000 Lemmata, vgl. Haß-Zumkehr 2001: 192) sowie die Kriterien für die Lemmaselektion machen deutlich, dass das Wörterbuch für Muttersprachler konzipiert ist: „Kein anderes Charakteristikum könnte deutlicher machen, dass Hermann Paul sich an gebildete und zum Nachdenken über Sprache bereite Leser wendet, nicht an Nutzer, die punktuell etwas nachschlagen, sich über ‚richtig‘ und ‚falsch‘ informieren wollen und insofern auf relative Vollständigkeit angewiesen sind.“ (Haß-Zumkehr 2001: 192).
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 165
Abschied, früher Abscheid wie Bescheid. Ursprünglich bezeichnet es das Scheiden von etwas, so ist es noch bei Lu. Speziell = Tod (vgl. abscheiden): Nach meinem A. werden unter euch kommen greuliche Wölfe. Weiterhin bezeichnet es die Zeremonie, die nach der Sitte stattfindet, wenn jemand von einem anderen scheidet, wobei ursprünglich der Bleibende dem sich Entfernenden Erlaubnis zu gehen giebt, daher die ältere Bezeichnung Urlaub (s.d.) und daher noch die Wendung A. nehmen; befremdlich klingt uns darnach machte er seinen A. mit den Brüdern Lu. In nahem Zusammenhange damit steht der Sinn „Entlassung aus einem Amte“: seinen A. erhalten, einen den A. geben. In der älteren Sprache bezeichnet A. auch das Schlußresultat einer Beratung: Reichstagsa. Dazu verabschieden. Beispiel 5: Artikel Abschied aus dem Deutschen Wörterbuch von Hermann Paul (1897)
Der systematische Ausbau lexikographischer Nachschlagewerke als Hilfsmittel für den praktischen (Fremdsprachen-)Unterricht wird Anfang des 20. Jahrhunderts aufgrund der Dominanz des Rechtschreibdudens und der weltpolitischen Ereignisse zwischen 1914 und 1945 nicht weiter verfolgt. Erst das steigende – wenngleich vornehmlich politisch motivierte – Interesse an Deutschlernenden nach dem zweiten Weltkrieg führt dazu, dass diese in der Lexikographie wieder als Zielgruppe wahrgenommen werden. Wie in Kapitel 4.3. angeführt, zählen das Duden-Universalwörterbuch sowie das Deutsche Wörterbuch von Wahrig zu den beliebtesten einsprachigen Wörterbüchern im DaF-Unterricht vor der Erstellung eines deutschsprachigen Lernerwörterbuchs. Die Verwendung von allgemeinen Wörterbüchern für Muttersprachler ist jedoch mit zahlreichen Nachteilen für fremdsprachige Benutzer verbunden, was gerade im direkten Vergleich zu den ersten Lernerwörterbüchern deutlich wird. Günther Kempcke fasst die Nachteile im Vorwort des von ihm herausgegebenen Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache zusammen: So fehlen für Lernende wichtige Angabeklassen (wie Ausspracheangaben), da diese für Muttersprachler nicht notwendig sind, andere Angabeklassen (etwa grammatische Angaben) sind dagegen nicht auf die Bedürfnisse der DaF-Lernenden ausgerichtet54. Der ausländische Deutsch lernende Benutzer dieser Wörterbücher musste sich daher in seiner Kompetenz überfordert fühlen, denn ein spezifischer Informationsbedarf konnte durch diesen Wörterbuchtyp nur bedingt befriedigt werden. (Kempcke, 2000: VII)
|| 54 Nachdem Kromann die für fremdsprachige Benutzer unzureichende Beschreibung syntaktischer Konstruktionen kritisiert hat, kommt er zu einem ähnlichen Fazit wie Kempcke: „Trotz der bedeutenden Ergebnisse der deutschen Lexikographie der letzten zwei Jahrzehnte können sich die hinübersetzenden Ausländer, die bei der fremdsprachigen Textproduktion auf erbärmliche zweisprachige Wörterbücher angewiesen sind, nicht mit dem gegenwärtigen Stand der einsprachigen Lexikographie des Deutschen zufriedengeben.“ (Kromann 1985: 357).
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Mit der Publikation von Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache steht Deutschlernenden ab 1993 ein deutschsprachiges Lernerwörterbuch zur Verfügung – eine „bahnbrechende Neuerung im Bereich Deutsch als Fremdsprache“ (Vorwort des LGWDAF-1). Seither sind weitere elf deutschsprachige Lernerwörterbücher in 6 Verlagen produziert worden, womit das Angebot an Nachschlagewerken dieses Wörterbuchtyps sehr groß ist. Aber nicht nur die praktische Lexikographie hat sich mit den Bedürfnissen von Lernenden und den Anforderungen an Lernerwörterbücher beschäftigt: Auch die metalexikographische Diskussion hat sich seither weiter intensiviert (vgl. auch Wellmann 2011: 91). Publikationen zu Lernerwörterbüchern untersuchen einerseits bestehende Produkte (besonders intensiv das LGWDAF-1 und das DGWDAF, vgl. Barz/Schröder 1996, Wiegand 1998 und 2002a), beschäftigen sich andererseits aber auch damit, wie sich Lernerwörterbücher noch weiter optimieren ließen. Die folgende Darstellung soll einen Überblick über die Entwicklung der Lernerlexikographie in Deutschland und die aktuelle Lernerwörterbuchlandschaft bieten. Die zwölf bzw. zehn (vgl. Kapitel 6.6.4.) deutschsprachigen Lernerwörterbücher werden in der Chronologie ihres Erscheinens vorgestellt, wobei die Produkte eines Verlags aufgrund der (erwartbaren) gemeinsamen Datengrundlage sowie eventueller konzeptioneller Übereinstimmungen in einem Kapitel dargestellt werden. 6.6.1.1. Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (LGWDAF) 6.6.1.2. Langenscheidt Taschenwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (LTWDAF) 6.6.1.3. Langenscheidt Power Wörterbuch Deutsch (LPWD) 6.6.2.1. Basiswörterbuch Deutsch als Fremdsprache (PONSBWDAF) 6.6.2.2. Pons Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (PONSGWDAF) 6.6.2.3. Pons Kompaktwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (PONSKWDAF) 6.6.3. De Gruyter Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache (DGWDAF) 6.6.4.1. Duden Deutsch als Fremdsprache. Standardwörterbuch (DUDENSWDAF) 6.6.4.2. Duden Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Deutsch für die Grundund Mittelstufe (DUDENWDAF) 6.6.4.3. Duden Bildwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (DUDENBWDAF) 6.6.5. Hueber Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache (HUEBERWDAF) 6.6.6. Wahrig Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (WDaF) Mit Verweis auf die in Kapitel 8 formulierten Konsequenzen, welche sich aus lernpsychologischen Erkenntnissen sowie aus Ergebnissen von Benutzerstudien für die Konzeption von Lernerwörterbüchern ergeben, werden bei der folgenden Darstellung besonders die Ausprägungen folgender makro- und mikrostruktureller Elemente berücksichtigt: Die Kriterien der Lemmaselektion, die Mediostruktur, paradigmatische Angaben, Illustrationen und Beispielangaben.
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 167
6.6.1 DaF-Wörterbücher von Langenscheidt In Deutschland kann die praktische Lernerlexikographie 1993 mit der Publikation von Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Das neue einsprachige Wörterbuch für Deutschlernende (LGWDAF-1) das erste Produkt präsentieren. Das Erscheinen des ersten deutschsprachigen Lernerwörterbuchs […] im Jahr 1993 hat eine interessante, sehr lange und sich mehrfach verzweigende Wirkungskette ausgelöst. (Wellmann 2011: 90)
Dass der Weg von der Entwicklung bis zur Publikation mit zahlreichen Problemen behaftet ist, wird durch den Ein-, Aus- und Rückblick (Götz/Haensch 1998) von zweien der Herausgeber, Dieter Götz und Günther Haensch, deutlich. – Zum einen müssen sich Verleger und Herausgeber deutscher Lernerwörterbücher – anders als in der englischsprachigen Lernerlexikographie55 – an sehr eng gesetzte finanzielle Rahmenbedingungen halten, weshalb sowohl bei der Konzeption als auch bei der Erarbeitung Kompromisse zwischen dem Machbaren und dem Wünschenswerten notwendig werden: „Eine Alternative zu solchen relativ ungünstigen Entstehungsbedingungen ist nicht vorhanden.“ (Götz/ Haensch 1998: 346). – Zum anderen verdeutlichen die Ausführungen von Götz und Haensch auch, unter welch erschwerten Bedingungen gerade dieses Wörterbuch entstanden ist: Nachdem ein – nicht weiter genannter – Verlag das Projekt zunächst initiiert hat und dessen prinzipielle Machbarkeit an der Universität Augsburg im Rahmen eines Forschungsprojekts getestet worden ist, droht das Projekt durch den Ausstieg dieses Verlags zu scheitern. Die Herausgeber sind gezwungen, sich um finanzielle Unterstützung zu bemühen: Da die Finanzierung eines Projekts, dessen Ziel die Erstellung eines kommerziellen Wörterbuchs ist, durch
|| 55 Die Zahl der Deutschlernenden, welche ein so fortgeschrittenes Kompetenzniveau erreichen, dass sie einsprachige Lernerwörterbücher benutzen können, ist im Vergleich zu den Englischlernenden klein: „The number of learners who might be able to use a German monolingual at school will be fairly low. Learners at universities, who do German from scratch, will hardly be able to use a German monolingual until their fourth year. That is to say that the market in many countries, such as the Unites States, is very limited indeed. (And what ‚market‘ means in terms of research funds for a dictionary, is obvious.) Also, such a monolingual cannot create a demand: for many users it is like a box of tools that will not open.“ (Götz 1999: 228). In Großbritannien dagegen sind die Aussichten auf nicht-staatliche Förderung für englische Lernerwörterbücher durch die sehr große Zahl an Englischlernenden (500 Mio. bis 1 Mrd., vgl. Götz/Haensch 1998: 345), welche in der englischen Sprache ein fortgeschrittenes Kompetenzniveau anstreben, deutlich besser als in Deutschland. Aber nicht nur die finanzielle Unterstützung fehlt der deutschen Lernerlexikographie – auch Erfahrungen und Rückmeldungen fehlen noch bei der Erstellung der ersten Generation deutschsprachiger Lernerwörterbücher.
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deutsche Stiftungen und Förderinstitutionen nicht machbar ist56, kann schließlich erst der Langenscheidt-Verlag das Projekt finanziell absichern. Durch den Verlagswechsel wird es aber auch nötig, Konzeption und bereits erstellte Wörterbuchstrecken zu überarbeiten sowie das letzte Drittel nach neuen Konzeptionsrichtlinien zu erstellen. Die Änderungen betreffen vor allem den Austausch der von der Redaktion entwickelten Lautschrift durch IPA-Angaben, die Überarbeitung der Strukturformeln sowie die Systematisierung der „Nota-Bene“-Angaben57 (vgl. Götz/Haensch 1998: 356). Das Wörterbuch wird schließlich im Frühjahr 1993 nach neunjähriger Bearbeitungszeit publiziert. Das Erscheinen des LGWDAF-1 wird 1996 durch einen Sammelband – Das Lernerwörterbuch Deutsch als Fremdsprache in der Diskussion herausgegeben von Irmhild Barz und Marianne Schröder – gewürdigt; 1998 erscheint ein ausführlicher, von Herbert Ernst Wiegand herausgegebener Sammelband Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen mit insgesamt 19 Rezensionen zum LGWDAF-1. Beide Bände, in denen zum ersten Mal ein Produkt der deutschen Lernerlexikographie metalexikographisch untersucht wird, sind der Beginn der didaktischen Metalexikographie in Deutschland. Die Beschäftigung mit dem LGWDAF-1 ist tatsächlich so intensiv, dass die Herausgeber fünf Jahre nach dem Erscheinen feststellen: In der Zwischenzeit kann man feststellen, daß das LGWDAF in der Fachwelt sehr positiv aufgenommen wurde, auch so häufig rezensiert wurde, daß man bereits an Metarezension denken kann. (Götz/Haensch 1998: 356)
Die Beachtung, welche das erste Lernerwörterbuch der deutschen Sprache in der Metalexikographie erfährt, beschränkt sich jedoch ausschließlich auf die Bereiche Bildung und (Sprach-) Wissenschaft, in der Öffentlichkeit wird das Wörterbuch dagegen kaum beachtet, was auch die Herausgeber bemängeln: „Eines aber haben sie [die Herausgeber, MR] nicht so recht verwunden: und dies betrifft die Aufnahme des Buches durch die allgemeine Presse.“ (Götz/Haensch 1998: 356f.).
|| 56 Dass deutsche Stiftungen bzw. Förderinstitutionen die Finanzierung eines Wörterbuchs ablehnen, erklären Götz und Haensch wie folgt: „Aus der Möglichkeit eines Gewinnes für den Verleger […] wird im derzeitigen System der Forschungsförderung abgeleitet, dass es sich eben darum nicht um ein wissenschaftliches Projekt handelt, zumindest nicht in dem Sinne, dass es finanziell durch andere subventionswürdig ist.“ (Götz/Haensch 1998: 346). 57 Zwar werden im LGWDAF Angaben, welche mit der Abkürzung „NB“ eingeleitet werden, nicht als Angabeklasse in den Benutzungshinweise eingeführt und erklärt, der Eintrag „NB“ im Wörterverzeichnis enthält jedoch nähere Erläuterungen zu den Inhalten der Angaben: „(Abk für Notabene) verwendet, um einen Hinweis oder eine Anmerkung einzuleiten“, wobei die NB-Angaben im LGWDAF hauptsächlich landeskundliche, kommunikative oder sprachliche Hinweise zu enthalten scheinen.
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 169
6.6.1.1 Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache Insgesamt ist aus der Perspektive der britischen Lernerwörterbücher festzustellen, dass es sich bei LGWDAF um ein modernes Wörterbuch handelt, das viele Elemente mit den englischen Parallelwerken gemein hat. (Herbst 1998: 32)
Da bei der Beurteilung des ersten deutschsprachigen Lernerwörterbuchs Vergleichsmöglichkeiten fehlen, liegt eine Bewertung auf Grundlage der britischen Lernerwörterbücher nahe – zumal auch die Herausgeber selbst der britischen wie auch der französischen Lernerlexikographie Vorbildfunktion zusprechen (vgl. Vorwort der 1. Auflage)58. Trotz konzeptueller Parallelen lassen sich jedoch auch Unterschiede zu den (britischen) Vorgängern feststellen: Diese haben – so einer der Herausgeber – zum Teil sprachbedingte Gründe59: The real point of this may be that lexicographical strategies developed for English need not necessarily be suitable for other languages. Perhaps you are ill-advised when you follow British lexicography too closely. (Götz 1999: 222)
So wird z.B. in Ermangelung eines geeigneten Korpus der deutschen Sprache der Definitionswortschatz des LGWDAF-1 nicht reduziert bzw. kontrolliert. In den Folgejahren zeigt sich jedoch die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme in den Benutzungsstudien von Ursula Wingate, welche die Verständlichkeit der Bedeutungsangaben für Lernende mit mittlerem Sprachniveau untersucht hat: Trotz durchaus benutzerfreundlicher Formulierungen – im Vergleich zu allgemeinen Wörterbüchern des Deutschen – profitieren nur Lernende mit weit fortgeschrittenen Kenntnissen60 von den einsprachigen Bedeutungsangaben (vgl. Wingate 1999, 2002, || 58 Der große Einfluss der britischen Lernerlexikographie auf das erste deutschsprachige Lernerwörterbuch wird auch von Herbst hervorgehoben: „Insgesamt ist aus der Perspektive der britischen Lernerwörterbücher festzustellen, daß es sich bei LGWDAF um ein modernes Lernerwörterbuch handelt, das viele Elemente mit den englischen Parallelwerken gemein hat.“ (Herbst 1998: 32). Auch weiterhin könne die deutsche Lernerlexikographie von den Pionierleistungen der britischen Vorgänger profitieren, etwa bei der Umsetzung korpusgestützter Verfahren. Allerdings biete auch das erste deutschsprachige Werk vielversprechende Ansätze: „Umgekehrt können aber etwa im Bereich der Kollokationen auch Impulse in der umgekehrten Richtung vom ersten deutschen Lernerwörterbuch ausgehen“ (Herbst 1998: 32). 59 Neben der weniger stark ausgeprägten Trennung zwischen Alltags- und Fremdwortschatz im Englischen führt Götz die semantische Vagheit englischer Verben an (wie ‚paint‘) – im Gegensatz zu den zahlreichen, semantisch differenzierenden Verben im Deutschen (wie ‚malen‘, ‚anstreichen‘ etc.) – sowie die in der deutschen Sprache stark ausgeprägte Tendenz zur Wortbildung, welche die Lemmatisierung von lexikalisierten Derivaten und Komposita erforderlich mache (vgl. Götz 1999: 221ff.). 60 Trotz der durchaus berechtigen Kritik kommt Tianshu Lü aufgrund eigener Erfahrungen zu einem anderen Ergebnis: „Der Wortschatz in den Definitionen im LGWDAF zeigt viel Rücksicht auf die rezeptive Grenze der Lerner, während der wesentliche Definitionsinhalt im Vergleich zum DUW
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2003). Bei der Konzeption und Realisierung der später erschienenen Lernerwörterbücher des Verlags hat daher auch bereits ein Umdenken stattgefunden: Bei diesen Werken wird bei der Formulierung der Bedeutungsangaben ein nach bestimmten Kriterien zusammengestellter Definitionswortschatz verwendet (vgl. Wellmann 2011: 99f.). Um den Benutzern von Lernerwörterbüchern die Bedeutung möglichst lernergerecht zu vermitteln, sollte jedoch nicht allein die Formulierung der Bedeutungsparaphrasen besonderen Kriterien entsprechen, die Bedeutungsangaben sollten auch durch weitere Angabeklassen ergänzt werden. Kempcke fordert daher die Einbindung folgender Semantisierungshilfen: Die Bedeutungserklärung muß folglich so einfach und so vollständig wie möglich sein, und es müssen alle Relationen genutzt werden, die ihm ein Verstehen ermöglichen: Bezüge zur außersprachlichen Wirklichkeit, optische Semantisierungshilfen und Kontexteinbindungen. (Kempcke 1996: 121)
Bevor im Folgenden Mediostruktur, Illustrationen und Beispielangaben des LGWDAF näher untersucht werden, soll zunächst die Lemmaselektion daraufhin überprüft werden, ob diese den Bedürfnissen von Deutschlernenden entspricht. Der Umfang des Wörterbuchs wird auf der hinteren Umschlagseite mit „66.000 aktuellen Stichwörtern und Wendungen“ angegeben, die Untersuchung von Henning Bergenholtz und Gregor Meder zur äußeren Selektion zeigt jedoch, dass eher von 33.000 Einträgen auszugehen ist (vgl. Bergenholtz/Meder 1998: 288). Trotz der Diskrepanz zwischen der werbewirksam eingesetzten Nennung61 von „Stichwörtern und Wendungen“ durch den Verlag und dieser Hochrechnung, kommen Bergenholtz und Meder jedoch zu einer insgesamt positiven Beurteilung der Lemmaselektion – für ein Produktionswörterbuch: Umfang und Auswahl der Lemmata scheinen den Lexikographen des LGWDAF gut gelungen zu sein, zumindest was die Funktion als Produktionswörterbuch betrifft […]. Die tatsächliche Lemmazahl ist allerdings zu gering, als daß sie mit einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit als Rezeptionswörterbuch dienen kann. (Bergenholtz/Meder 1998: 287)
|| für das Verständnis der Bedeutungen durch ausländische Benutzer keineswegs eingebüßt hat.“ (Lü 2007: 36). 61 Zu den Motiven, welche die Verlage zur Nennung von recht hochangesetzten Zahlen veranlasst, vgl. Bergenholtz/Meder: „Der Verlag geht dabei von der Einschätzung aus, der Käufer lasse sich von großen Zahlen beeindrucken und dadurch zum Kauf leiten oder verleiten.“ (Bergenholtz/Meder 1998: 286).
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 171
Als Rezeptionswörterbuch sei das LGWDAF aus folgenden Gründen zu klein62: Es erfasse nicht das Zentrum der Lexik (mit ca. 60.000 Lemmata, vgl. Bergenholtz/Meder 1998: 288) und sei auch für die Lektüre von aktuellen Zeitungstexten nicht geeignet, was Bergenholtz und Meder stichprobenartig an einem Beispieltext belegen (vgl. Bergenholtz/Meder 1998: 294). Eine andere Position vertritt hingegen der Herausgeber des de GruyterWörterbuchs Deutsch als Fremdsprache und einer der frühesten Kritiker des LGWDAF, Günther Kempcke: Noch vor dem Erscheinen des von ihm herausgegebenen – und ca. 20.000 Einträge umfassenden – Lernerwörterbuchs kritisiert er das LGWDAF als zu umfangreich: „Das LWB weist etwa 60.000 Stichwörter aus und liegt somit weit über dem Maximum. Es umfaßt folglich mehr als doppelt soviele Stichwörter, wie für ein L2-Wörterbuch als Optimum angegeben sind.“ (Kempcke 1996: 116f.). Neben dem durchaus berechtigten Kritikpunkt, dass den Benutzern keine Angaben zu den Auswahlprinzipien gegeben werden (vgl. Kempcke 1996: 117), basiert Kempckes Kritik weniger auf der Einschätzung dessen, ob sich das Wörterbuch für Benutzergruppen und die entsprechenden Benutzungssituationen eigne, als vielmehr auf dem Umstand, dass für ein einbändiges Wörterbuch der zur Verfügung stehende Druckraum begrenzt sei und daher ein umfangreiches Wörterverzeichnis zu Lasten mikrostruktureller Angaben gehe: Sicher ist, daß eine exhaustive Mikrostruktur zu Lasten der Makrostruktur geht und umgekehrt: eine weitgefaßte, über 35.000 Stichwörter hinausgehende Makrostruktur führt in der Regel zu einer Verknappung der Mikrostruktur. Eine Verknappung der Mikrostruktur aber geht zu Lasten des Lerners […]. (Kempcke 1996: 116)
Zwar hat für Print-Ausgaben eine Beschränkung auf makrostruktureller Ebene sicherlich seine Berechtigung, es ist jedoch unverständlich, warum sich auch die seit Ende der 1990 Jahre publizierten Versionen in elektronischer Form ebenfalls an diese Begrenzung halten. Im Folgenden soll die Mediostruktur des LGWDAF in Hinblick auf explizite und implizite Verweisangaben63 innerhalb des Wörterverzeichnisses dargestellt werden:
|| 62 Aus der Sicht eines fremdsprachigen Benutzers beurteilt Lü, selbst Verfasser eines 2010 bei Langenscheidt herausgegebenen Arbeitsbuchs für Chinesischlernende, den Umfang des LGWDAF für Produktion und Rezeption dagegen uneingeschränkt positiv: „[D]ie Lemmaselektion in LGWDAF [ist] im Großen und Ganzen sowohl rezeptiven als auch produktiven Benutzungssituationen der Deutschlerner gewachsen.“ (Lü 2007: 32). 63 Terminologisch unterscheidet Kammerer zwischen ‚Verweis‘ und ‚Verweisangabe‘ (vgl. Kammerer 1998: 316f.). Während Verweise als kognitive Einheiten von den Benutzern selbst erschlossen werden müssen, werden Verweisangaben durch bestimmte strukturelle Merkmale in Wörterbüchern realisiert und als solche im Vorwort bzw. in den Benutzungshinweisen erläutert.
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Explizit werden Benutzer auf Verweisangaben durch zwei Formen von Verweisbeziehungsangaben aufmerksam gemacht: Zum einen verweist allgemein der Hochpfeil () auf andere Einträge, zum anderen kennzeichnet der rechtsgerichtete Pfeil (►) Hinweise „auf Wörter, die zur selben Wortfamilie gehören“64 (helfen ► Hilfe). Beide Verweisbeziehungsangaben werden im Vorwort erläutert. Die verbale Beziehungsangabe „hierzu“ verweist zwar auf relevante Wortbildungen (etwa weibliche Personenbezeichnungen oder Angaben zu Derivaten65), diese Angabe wird jedoch nicht explizit im Vorwort als Verweis eingeführt (vgl. auch Kammerer 1998: 324). Als implizite Verweisangaben müssen dagegen Synonym- und AntonymAngaben eingestuft werden: Diese sind zwar durch Symbole (Synonyme mit „≈“, Antonyme mit „“) gekennzeichnet, die Benutzer werden jedoch in den Außentexten nicht darauf aufmerksam gemacht, dass es gerade zur Differenzierung bedeutungsgleicher oder -ähnlicher Lexeme entscheidend ist, bei den entsprechenden Angaben nachzuschlagen. In den Hinweisen für die Benutzer findet sich lediglich der Hinweis, dass „es kaum ein Synonympaar gibt, bei dem man immer das eine Wort für das andere nehmen kann“. Die Relation zwischen Lemma und Synonymangabe ist für Benutzer daher nicht transparent. Außer von Kammerer wird diese Angabeform auch von Kempcke kritisiert: Die Angabe von Synonymen und Antonymen ist – so praktiziert – als lexikographische Größe für den Lerner eher als Belastung anzusehen. Allgemeinsprachliche Wörterbücher stellen sich meist nicht die Aufgabe, Synonymgruppen abzubilden, Lernerwörterbücher sollten es. Andernfalls sind die Folgen für den nicht-muttersprachlichen Nutzer kaum abzusehen. (Kempcke 1996: 118)
Ähnliches gilt auch für Illustrationen: Obwohl deren Einbindung zunächst positiv zu beurteilen ist, muss die Form der Einbindung dennoch kritisiert werden. Aufgrund von finanziellen Einschränkungen sowie durch den beschränkten Druckraum
|| Verweisangaben bestehen dabei aus einer Verweisadressenangabe und der Verweisbeziehungsangabe, z.B. wird bei dem Stichwort ‚Korken‘ auf „ Stöpsel“ verwiesen, wobei der Pfeil die Verweisbeziehungsangabe und die Angabe „Stöpsel“ die Verweisadressenangabe darstellt. 64 Nach Angaben der Benutzungshinweise wird auf Wortbildungen nicht explizit verwiesen, wenn Lexeme ohne Bedeutungswandel von dem Hauptlemma abgeleitet sind (z.B. „abstammen, hierzu Abstammung“). 65 Bei den Angaben der weiblichen Personenbezeichnungen hat die Symbolkombination jedoch nur informativen Charakter, da nicht auf einen anderen Eintrag verwiesen wird (z.B. Handwerker ►Handwerkerin.).
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 173
(vgl. Götz/Haensch 1998: 35166) kann nur eine kleine Auswahl an Konkreta (insgesamt 196) visualisiert werden – eine „verpasste Chance“ (Kühn 1998: 41), welche jedoch nach den Angaben der Herausgeber im elektronischen Medium deutlich besser genutzt werden könne67. Umfragen der Wörterbuchbenutzungsforschung zeigen, dass auch Beispiele für die Benutzer von großer Wichtigkeit sind (z.B. Ripfel 1989: 184). Auch die DaFDidaktik weiß um den besonderen Stellenwert der Beispiele: So kommt Neubauer zu dem Schluss, dass sich die Funktion von Beispielen in einsprachigen Lernerwörterbüchern deutlich von der in allgemeinen Wörterbüchern unterscheidet: Lernende erhalten mittels der Beispiele vor allem Informationen zu syntaktischen Konstruktionen wie auch zu prototypischen Eigenschaften eines Lemmas (Neubauer 1998: 248). Daher ist auch weniger die oftmals in metalexikographischen Diskussionen thematisierte Quelle der Beispiele relevant (Korpusbeispiele vs. konstruierte Beispiele) als die Frage, ob diese die genannten Anforderungen erfüllen können68. Neubauer, der das LGWDAF daraufhin untersucht hat, inwiefern potentielle morphologisch-syntaktische Probleme bei der Auswahl von Beispielen beachtet worden sind, kommt zu dem Schluss, dass diese eher vernachlässigt werden, die Exemplifizierung von Problemfällen kein Auswahlkriterien bilde und auch insgesamt didaktische Kriterien bei der Auswahl nicht erkennbar seien (vgl. Neubauer 1998: 249). Auch vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen läßt sich bereits sagen, daß über die Rolle und Wichtigkeit der Beispiele im Vergleich mit den anderen Informationen im Wörterbuchartikel nicht so intensiv nachgedacht zu worden scheint. (Neubauer 1998: 249)
Zudem sei der in den Beispielen verwendete Wortschatz für ein Lernerwörterbuch wenig geeignet, da dieser nicht reduziert sei oder kontrolliert werde. Dabei wäre in || 66 Der von Götz und Haensch eher am Rande angeführte Hinweis, dass es an einer Theorie der Illustration in Lernerwörterbüchern fehle und daher der Nutzen von Illustrationen unklar sei, kann angesichts der unbestreitbaren Vorteile, welche Illustrationen für die Benutzer eines Wörterbuchs (vgl. Kapitel 4.2.1.) haben, nicht überzeugen: „Die (Bild-)Illustrationen sind Bestandteil der meisten Lernerwörterbücher, mit großen Problemen behaftet und von kaum eruierbarem Nutzen für die Leser“ (Götz/Haensch 1998: 351). 67 Vgl. hierzu Götz/Haensch: „Mit elektronischen Medien ist eine Verbesserung der Illustrationssituation sicher möglich. Man könnte die Typen der enzyklopädisch-meronymischen Illustration […] und der hyperonymischen Information […] wesentlich ausbauen. Auf diese Weise würde ein offensichtlicher Nachteil der einsprachigen Wörterbücher beseitigt, der Nachteil nämlich, daß sie über Wörter, die der Nachschlagende nicht kennt, keine Information preisgeben.“ (Götz/Haensch 1998: 351). 68 Ein repräsentatives Korpus könnte in Zukunft – wie von Neubauer angeregt (vgl. Neubauer 1998: 248) – weniger als Quelle für Beispiele denn als Maßstab für deren Selektion dienen, da auf diese Weise syntaktische Konstruktionen in Abhängigkeit von der Häufigkeit ihres Auftretens ermittelt werden könnten.
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einigen Fällen eine lernergerechte Umsetzung einfach gewesen: Weniger frequente Wörter hätten z.B. durch im Wörterbuch angeführte ersetzt werden können (etwa statt Roulette besser Lotto beim Eintrag gewinnen). Zudem erfordere der für Lernende unbekannte Wortschatz weiteres – und häufig erfolgloses – Suchen im Wörterbuch: „Auch hier zeigt sich also, daß weniger Sorgfalt auf die Beispiele als auf andere Positionen angewendet wurde.“ (Neubauer 1998: 251). Enzyklopädische und landeskundliche Informationen, welche gerade in den Beispielen zu finden sind, seien zudem häufig zu europazentriert, was bei Lernenden aus anderen Kulturkreisen ohne Erläuterungen zu weiteren Verständnisbarrieren führe69 (vgl. Neubauer 1998: 252). Eine besondere Neuerung gegenüber den bisherigen allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern sind die Strukturformeln des LGWDAF: So kommt auch Gouws nach deren Analyse trotz einiger Kritikpunkte (etwa Willkür bei der Unterscheidung zwischen Strukturformeln und idiomatischen Wendungen) zu einem insgesamt positiven Urteil: Die Strukturformeln können dem Benutzer ganz sicher helfen, daß er das Wort im Kontext besser gebrauchen kann. Andere Wörterbücher sollten diese Angabeklasse zum Vorteil ihrer Adressaten in ihr Mikrostrukturenprogramm aufnehmen. (Gouws 1998: 75)
Im Jahr 2003 wird nach zehn Jahren die erste grundlegende Neubearbeitung unter dem Titel Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Das einsprachige Wörterbuch für alle, die Deutsch lernen herausgegeben: Die Unterschiede zur ersten Auflage bestehen – neben der Berücksichtigung der neuen Rechtschreiberegelung – im Wesentlichen in Änderungen der typographischen Gestaltung (Stichwörter werden nun blau gedruckt) wie auch in der Einführung von Zusatzinformationen in Form sog. ‚Info-Fenster‘ zu landeskundlichen Besonderheiten (86 InfoFenster, vgl. Bielińska 2010: 84) oder sprachlichen Hinweisen (34 Info-Fenster, vgl. Bielińska 2010: 84). Die jüngste Neubearbeitung von 2008 weist dagegen nur wenige Veränderungen auf (z.B. Ergänzungen im Anhang, typographische Umgestaltung). Bis heute hat das LGWDAF einen besonderen Status unter den Lernerwörterbüchern – nicht nur als das erste deutschsprachige Nachschlagewerk, sondern auch aufgrund seiner – gerade im Vergleich zu anderen Lernerwörterbüchern – hohen Benutzerfreundlichkeit.
|| 69 Neubauer führt dazu ein Beispiel aus seiner Unterrichtspraxis an: Im Artikel Gaskammer sei das Beispiel „die Gaskammern von Auschwitz“ keine Verständnishilfe für Lernende ohne westeuropäische Geschichtskenntnisse und führe eher zu größerer Verwirrung (vgl. Neubauer 1998.252f.). Auch von den Lehrenden werde durch eine unbedachte Auswahl an Beispielen viel verlangt: „An dieser Stelle dann innerhalb kürzester Zeit eine landeskundliche Nachhilfestunde in deutscher Geschichte zu geben, wäre eine Überforderung an die Lehrenden.“ (Neubauer 1998: 253).
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Dieses Wörterbuch, bejubelt, gelobt und gekauft durch die hauptsächlich ausländischen Deutschlerner und -lehrer, bewertet, gelobt, kritisiert und metalexikographisch gepflegt durch Linguisten und Wörterbuchforscher, erlebte einen Erfolg im kommerziellen wie im wissenschaftlichen Sinne. (Lü 2007: 30)
6.6.1.2 Langenscheidt Taschenwörterbuch Deutsch als Fremdsprache Da das LTDaF03 [Langenscheidt Taschenwörterbuch Deutsch als Fremdsprache in der Ausgabe von 2003, MR] auf der Basis des entsprechenden Großwörterbuchs entstanden ist, weist es im Artikelaufbau viele Ähnlichkeiten mit seiner Grundlage auf. Der einzige signifikante Unterschied ist eine quantitative Reduktion der Daten. (Bielińska 2010: 88)
Da in Rezensionen verschiedentlich betont worden ist, dass das Langenscheidt Taschenwörterbuchs Deutsch als Fremdsprache (LTWDAF) in mehrfacher Hinsicht eine gekürzte Version des LGWDAF sei (vgl. Klosa 2004: 302 und Lü 2007: 93), sollen in der folgenden Darstellung insbesondere die Unterschiede zwischen dem LTWDAF und dem LGWDAF herausgearbeitet werden. Das LTWDAF hat mit 8.700 Stichwörtern (vgl. Klosa 2004: 284; nach Angabe des Verlags sind es „30.000 Stichwörter, Wendungen und Beispiele“) nur ein Drittel des Umfangs des Großwörterbuchs, richtet sich allerdings auch an einen Benutzerkreis, der über weniger gute Sprachkenntnisse verfügt: Es ist ein Lernerwörterbuch, „das besonders für diejenigen geschrieben ist, die zum ersten Mal ein einsprachig deutsches Wörterbuch benutzen“ (Vorwort). Damit versteht sich das LTWDAF als Einsteiger-Wörterbuch für Benutzer, deren Kompetenz in der deutschen Sprache bereits ausreicht, um deutschsprachige Angaben verstehen und von einem einsprachigen Lernerwörterbuch profitieren zu können, die aber Verständnisprobleme bei komplexen semantischen Strukturen und weniger frequenten Lexemen haben. Das LTWDAF unterscheidet sich daher konzeptionell nicht nur in der Bedeutungsbeschreibung, sondern auch in der Lemmaselektion vom LGWDAF: So soll das Wörterverzeichnis verstärkt Lexeme der modernen Alltags- und Umgangssprache (vgl. Vorwort) sowie des Zertifikatswortschatzes (markiert durch blaue Rauten) erfassen. Obwohl das LTWDAF mit dem DUDENWDAF und dem PONSBWDAF zu den eher kleineren Lernerwörterbüchern zählt, welche sich an eine Benutzergruppe wenden, deren Deutschkenntnisse weniger weit fortgeschritten sind (für „Einsteiger“ (LTWDAF) bzw. „Grund- und Mittelstufe“ (DUDENWDAF)), kommt Annette Klosa nach einem Vergleich der 1.000 gebräuchlichsten Wortformen der deutschen Sprache mit dem Wörterverzeichnis des LTWDAF zu dem Schluss, dass das LTWDAF zwar Lücken aufweise (neben Abkürzungen und Eigennamen auch Stichwörter wie Parlament und zugleich), diese aber nur ca. 5 % der gesamten Vergleichsliste ausmachen. Sie kritisiert daher auch nicht die – notwendigerweise – lückenhafte Lemmaliste, sondern die Kriterien, welche der Lemmaselektion zugrunde liegen (etwa den Verzicht auf Komposita und Derivate):
176 | Status Quo der Lernerlexikographie
Die Lemmaauswahl des LTWDAF dagegen erscheint als nach bestimmten formalen und weniger inhaltlichen Vorgaben aus einer umfangreicheren Wortliste zusammengekürzt und deshalb weniger für Einsteiger geeignet und auch für die Mittelstufe nur bedingt angemessen. (Klosa 2004: 286)
Bei der lexikographischen Beschreibung soll – nach Angabe des Vorworts – der Definitionswortschatz insofern kontrolliert werden, als dass „die in den Definitionen verwendeten Wörter […] selbst als Einträge vorhanden“ sind. Inwiefern dies umgesetzt worden ist, zeigt ein stichprobenartiger Blick ins Wörterbuch: In den Bedeutungsparaphrasen werden häufig (lexikalisierte) Substantivierungen von Verben verwendet, die jedoch nicht selbst als Hauptlemmata, sondern als Unterlemmata beim Verb angegeben werden: So wird Liberalismus70 durch Angabe eines genus proximum und differentia specifica definiert als „politische Anschauung, die es für gut hält, wenn sich der Mensch in der Politik und Gesellschaft frei entwickeln kann“. Allerdings ist Anschauung nicht als Hauptlemma aufgenommen, sondern wird als Sublemma beim Verb anschauen in der Bedeutung ‚ansehen‘ (!) aufgeführt. Die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, die Definitionsangaben durch einen computerkontrollierten Definitionswortschatz71 möglichst lernergerecht zu gestalten, und der z.T. unvollkommenen Umsetzung klärt sich im Anhang bei den Erläuterungen zum Definitionswortschatz des LTWDAF: In den Definitionswortschatz haben die Herausgeber nur ausgewählte Lexeme der Bedeutungsparaphrasen aufgenommen, wobei – nach ihrer Einschätzung – leicht verständliche Zusammensetzungen und Ableitungen sowie Lexeme, „die nur ein einziges Mal vorkamen und durch andere Formulierungen ersetzt werden können“ nicht in den Definitionswortschatz aufgenommen werden. Die „pädagogisch sinnvolle“ Auswahl des Definitionswortschatzes72 bleibt auch vor dem Hintergrund der in der englischen Lerner-
|| 70 Offen bleibt, warum Liberalismus als eigenes Lemma aufgeführt, Konservativismus dagegen dem Hauptlemma konservativ untergeordnet ist. Auch die Bedeutung dieser Internationalismen für die alltägliche Kommunikation von Lernenden auf mittlerem bis fortgeschrittenen Niveau ist fraglich – vor allem, da andere, alltagsrelevante Lexeme (wie Wischmopp) nicht enthalten sind. 71 Wellmann unterscheidet zwischen „computerkontrolliert“ und „computerlemmatisiert“ (vgl. Wellmann 2011: 97ff.): „Computerlemmatisiert“ sei ein Definitionswortschatz, wenn die Lexeme, die in den Erklärungen verwendet werden, auch selbst lemmatisiert sind – dies wird durch computergestützte Erstellungsverfahren erleichtert. „Computerkontrolliert“ ist dagegen ein Wortschatz, wenn der Erklärungswortschatz „per Computer ermittelt und bearbeitet (Frequenzanalysen, durch die z.B. hapax legomenon aussortiert werden) dann sprachwissenschaftlich/sprachdidaktisch evaluiert wird“ (Wellmann 2011: 99). Aufgrund sprachstruktureller Eigenschaften der deutschen Sprache ist der deutsche Definitionswortschatz mit 3868 Lexemen (ermittelt durch Auszählung der Liste im LTWDAF) damit deutlich grösser als der englische mit ca. 2.000 Lexemen (vgl. dazu auch Wellmann 2011: 96). 72 Wellmann weist – als Mitherausgeber des LTWDAF und des LPWD – auf die Vorteile eines Definitionswortschatzes für den Lernprozess hin: „Was sich so als reduzierter ‚Definitionswortschatz‘ herauskristallisiert, ist ein sprachlich analysiertes und pädagogisch bearbeitetes Inventar, dessen
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lexikographie angewandten Auswahlkriterien strittig – zumal bei der Umsetzung auch Abweichungen mit Verweis auf den tatsächlichen Sprachgebrauch zugelassen werden: „Manchmal werden Wörter verwendet, die nicht im kontrollierten Wortschatz sind: die Erklärungen sollen auch einer normalen Sprache gleich oder ähnlich sein.“ (Hinweise für die Benutzer). Zudem zeigt ein Vergleich der Bedeutungsparaphrasen kaum Unterschiede zwischen dem LGWDAF und dem LTWDAF: Zwar werden im Taschenwörterbuch Definitionen z.T. vereinfacht (im Beispiel Blüte etwa die Bedeutungsbeschreibung der ersten Lesart „der Teil e-r Pflanze, die mst durch seine Farbe od. seinen Duft besonders auffällt u. aus dem sich die Frucht entwickelt“ (LGWDAF), welche im LTWDAF reduziert wird auf: „der Teil einer Pflanze, aus dem sich die Frucht entwickelt“), fallen Lesarten73 und Notabene-Angaben weg, ein Großteil der Angaben ist jedoch dem Großwörterbuch entnommen (vgl. Lü 2007: 93, Klosa 2004: 302, Bielińska 2010: 88). Wie das LGWDAF soll auch das LTWDAF Hilfestellungen bei der Rezeption und der Produktion bieten, weswegen auch den grammatischen Angaben besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Auch hier zeigt der Vergleich zwischen dem Großund dem Taschenwörterbuch, dass eine Anpassung an die weniger fortgeschrittenen Kompetenzen der Benutzergruppe vornehmlich durch Verzicht auf verschiedene Angabeklassen (idiomatische Wendungen und Kollokationen, vgl. Beispiel 6) erfolgt.
Beispiel 6: Artikel Blüte aus dem LGWDAF(links) und dem LTWDAF (rechts)
|| Auswahl nach den genannten Kriterien von kognitiven Voraussetzungen der Adressaten ausgeht. Die Erklärungen sollen den Effekt haben, dass sie den Lernenden leicht eingehen, dass sie leicht zu verstehen sind und möglichst auch die mnemotechnische Qualität haben, sich gut einzuprägen.“ (Wellmann 2011: 101). 73 Zudem wird im LTWDAF auf die Angabe von Blüte2 im Sinne von ‚ein gefälschter Geldschein‘ (LGWDAF) verzichtet.
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Wie das LGWDAF verfügt auch das LTWDAF über eine reduzierte Mediostruktur, explizit wird lediglich mit dem Hochpfeil (↑) auf weiterführende Artikel sowie mit dem nach rechts gerichteten Pfeil (►) auf Artikel derselben Wortfamilie verwiesen. Synonyme und Antonyme werden zwar analog zum Vorgehen im LGWDAF markiert, eine Verweisfunktion geht damit aber auch im LTWDAF nicht einher. Eine wirkliche Neuerung – gegenüber dem LGWDAF – sind die Farbillustrationen „zu wichtigen Wortfeldern“74 sowie die „Zeichnungen zur Fehlervermeidung“. Letztere sind als Schwarzweißzeichnungen bereits in geringerem Umfang ins Großwörterbuch eingebunden und dienen dazu, Probleme bei Polysemien (wie bei Feder (vgl. dazu Beispiel 7) oder Kamm) zu vermeiden bzw. den Benutzern kulturspezifische Besonderheiten (wie bei Fachwerk, Adventskranz und Stecker) visuell näher zu bringen.
Beispiel 7: Zeichnung zum Artikel Feder des LTWDAF75
Trotz der generell lobenswerten Einbindung von Illustrationen in Lernerwörterbücher werden Konzept wie Umsetzung der Illustrierung im LTWDAF von Klosa kritisiert: So fehle der Bezug zwischen den 11 farbigen Bildtafeln und dem Wörterbuch (vgl. Klosa 2004: 279), auch die Auswahl der Zeichnungen folge weder einem
|| 74 Folgende Wortfelder werden in Form von Bildtafeln visualisiert: Im Büro, Die Bundesrepublik, Die Schweiz und die Republik Österreich, Verben der Bewegung und der Ruhe, Das Fahrrad, Das Auto, Obst und Gemüse, Die Familie, Farben und Formen, Präpositionen, Die Zeit. Eine äußerst kritische Untersuchung dieser Bildtafeln ist bei Klosa zu finden (vgl. Klosa 2004: 279ff.). 75 Die entsprechende Zeichnung im LGWDAF unterscheidet sich von denen des LTWDAF und des LPWD dadurch, dass hier auch noch eine Illustration von ‚Feder‘ in der Bedeutung „ein kleiner, spitzer Gegenstand aus Metall, der am Ende e-s Federhalters befestigt wird u. zum Schreiben od. Zeichnen verwendet wird “ eingebunden ist.
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Konzept noch stellen die Illustrationen in besonderer Weise landeskundliche Besonderheiten dar (vgl. Klosa 2004: 282f.). Insgesamt entsteht so der Eindruck, als sei die Bebilderung ohne zu Grunde liegendes Konzept einzig zum Zweck der Verkaufsförderung vorgenommen worden, wobei auf vorhandenes und teilweise nur bedingt geeignetes Bildmaterial zurückgegriffen wurde. (Klosa 2004: 283)
Einige der in Rezensionen geäußerten Kritikpunkte sind in der Neubearbeitung von 2007 aufgegriffen worden: Bei den Komposita werden nun auch Pluralformen angegeben, zudem verfügt das Wörterbuch seither über einen umfangreicheren Nachspann. Ebenfalls neu ist die eher spielerische Einführung in den Umgang mit dem Wörterbuch in Form von verschiedenen Übungen, die sich untergliedern in Wortfindeübungen (5 Übungen), Übungen zur Schreibung bzw. Aussprache des Lemmas (6 Übungen) und Übungen zu den Formen der Lemmata (16 Übungen). Ebenso werden in Form vom Rätseln Synonyme, Antonyme sowie grammatikalische Formen weiter eingeübt und mit Nachschlageübungen im Wörterbuch verbunden.
6.6.1.3 Langenscheidt Power Wörterbuch Deutsch Das Langenscheidt Power Wörterbuch Deutsch76 (LPWD) (2009) ist das dritte bei Langenscheidt publizierte einsprachige Lernerwörterbuch der deutschen Sprache und nach Angaben der Herausgeber eine „völlige Neuentwicklung“ (Angabe der Titelseite), wobei jedoch sowohl Daten wie auch Beschreibungen auf den Vorgängerwerken Großwörterbuch und Taschenwörterbuch basieren77. Im Gegensatz zu den anderen DaF-Wörterbüchern hat es nicht nur den Anspruch, für „Einsteiger“ konzipiert zu sein sondern auch als Nachschlagewerk für Benutzer mit Deutsch als Zweitsprache zu dienen bzw. „für deutsche Muttersprachler geeignet“ zu sein (vgl. Vorwort). Damit richtet sich das Wörterbuch an eine Benutzergruppe, deren Kompetenzen deutlich größer sind als die von Benutzergruppen anderer Lernerwörterbücher.
|| 76 Das Power Wörterbuch Deutsch ist Teil einer Reihe: So umfasst das Angebot des LangenscheidtVerlags auch das Power Wörterbuch Italienisch (zweisprachig), das Power Wörterbuch Spanisch (zweisprachig), das Power Wörterbuch Französisch (zweisprachig) sowie das Power Wörterbuch Englisch (zweisprachig). Das LPwD ist somit das einzige einsprachige Wörterbuch dieser Reihe. Neu sind zudem TING-fähige Versionen der Wörterbücher, welche – nach Kauf und Einsatz eines TING-Stifts – die Aussprache von nachgeschlagenen Wörtern durch eine Audio-Datei wiedergeben (vgl. Langenscheidt.de). 77 Vgl. hierzu die Angaben auf der Webseite des Langenscheidt-Verlags (www.langenscheidt.de/ Langenscheidt-Power-Woerterbuch-Deutsch-Buch/978-3-468-13110-3).
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Folgende konzeptionellen Merkmale des LPWD lassen sich jedoch nicht mit dieser Zielsetzung vereinbaren: – Die Größe des LPWD liegt mit ca. 50.000 „Stichwörtern, Wendungen und Beispielen“ zwischen Taschen- und Großwörterbuch. Als wichtiges Kriterium für die Lemmaselektion wird angegeben, dass das Wörterverzeichnis einen „breite[n] Teil der modernen Alltagssprache“ umfassen soll, was jedoch für Benutzer mit weit fortgeschrittenen Kompetenzen kaum ausreichen dürfte – allgemeine Wörterbücher des Deutschen umfassen immerhin zwischen 100.000 (Wahrig) und 120.000 Lemmata (DUW) (vgl. Haß-Zumkehr 2001: 383). – Nach den Angaben Wellmanns ist bei der Erstellung des LPWD der vom Langenscheidt-Verlag erarbeitete Definitionswortschatz am weitreichendsten genutzt worden78: Die Formulierung der Bedeutungsangaben sollte damit weit mehr als in anderen Lernerwörterbüchern auf die Kenntnisse der Benutzergruppe ausgerichtet sein. Allerdings könnte ein für eine sehr fortgeschrittene Lernergruppe konzipiertes Wörterbuch auf solche Maßnahmen verzichten. – Auch der Nachspann, welcher auf der hinteren Umschlagseite beworben wird, ist nicht auf die Bedürfnisse von fortgeschrittenen Lernenden ausgerichtet. Zum Nachspann des LTWDAF sind folgende Unterschiede zu vermerken: Neu ist eine „elementare Kurzgrammatik des Deutschen“, die „Übungsaufgaben zum Wörterbuch“ dagegen sind bis auf die angeführten Beispiele mit dem LTWDAF identisch. Beim LPWD fehlen jedoch die eher spielerischen Komponenten (Sprachspiele und Rätsel) des LTWDAF. Ein Vergleich zwischen LPWD und LTWDAF am Beispiel des Wörterbuchartikels Blüte zeigt, dass die Unterschiede lediglich in der typographischen Gestaltung (Angaben der Komposita werden blau gedruckt), dem Auflösen von Abkürzungen („sg“ wird zu „Singular“) sowie der Umbenennung stilistischer Ebenen („geh.“ wird zu „förmlich“) bestehen (vgl. Beispiel 8).
|| 78 Während im LGWDAF Lexeme des Alltagswortschatzes wie Hose recht umständlich und unter Verwendung seltener Lexeme („röhrenförmig“) beschrieben werden („ein Kleidungsstück, das beide Beine röhrenförmig umgibt und von der Taille bis zu den Oberschenkeln, Knien oder den Füßen reicht“), sind die Formulierungen der Bedeutungsparaphrasen im LPWB deutlich verständlicher formuliert („ein Stück der Kleidung, das jedes Bein einzeln umgibt“).
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Beispiel 8: Artikel Blüte aus dem LPWD (links) und dem LTWDAF (rechts)
Obwohl „Power Wörterbücher“ für andere Sprachen – dann als zweisprachige Nachschlagewerke – erhältlich sind und das „Power Wörterbuch“-Konzept eine spezielle Entwicklung des Langenscheidt-Verlags ist („nach dem revolutionären Power-Konzept“ vgl. die Angaben der Webseite zum LPWD79), erschließen sich die konzeptionellen Unterschiede zwischen LPWD und den anderen DaF- DUDENWDAF nicht auf den ersten Blick: – Die Unterschiede scheinen hauptsächlich in typographischen Verbesserungen zu bestehen. – Bei den Lemmata, die zum Zertifikatswortschatz zählen, wird nun auch das GER-Kompetenzniveau angegeben (vgl. Artikel ‚Blüte‘ aus dem LPWD im Beispiel 8). – Im Vergleich zum LTWDAF hat sich Zahl der farbigen Bildtafeln (19) ebenso erhöht wie die Zahl der Info-Fenster mit Informationen zur Sprache. Insgesamt kann festgestellt werden, dann die Lernerwörterbücher des Langenscheidt-Verlags konsequent weiterentwickelt und verbessert werden: Sowohl in der benutzerfreundlichen Gestaltung als auch in den Angaben – etwa der Anwendung eines Definitionswortschatzes oder dem Einbinden von Infokästen.
6.6.2 DaF-Wörterbücher von Pons Der Pons-Verlag der Klett-Gruppe hat 1999 mit dem Pons Basiswörterbuch Deutsch als Fremdsprache (PONSBWDAF) das zweite deutschsprachige Lernerwörterbuch publiziert, dem fünf Jahre später das Pons Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (PONSGWDAF, 2004) folgt. 2007 wird schließlich mit dem Kompaktwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (PONSKWDAF) das dritte deutsche Lernerwörterbuch des || 79 Die Informationen des Verlags zum LPWD sind unter folgender URL zu finden: http:// www.langenscheidt.de/Langenscheidt-Power-Woerterbuch-Deutsch-Buch/978-3-468-13110-3.
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Verlags veröffentlicht. Im Folgenden sollen die Merkmale dieser Wörterbücher vorgestellt sowie die Unterschiede zwischen ihnen herausgearbeitet werden.
6.6.2.1 Pons Basiswörterbuch Deutsch als Fremdsprache Das Basiswörterbuch Deutsch als Fremdsprache aus dem Pons-Verlag (PONSBWDAF) ist mit ca. 8.000 Lemmata (und 16.000 Redewendungen und Anwendungsbeispielen) das kleinste deutschsprachige Lernerwörterbuch, was bereits Lü konstatiert hat: „Sowohl von der Stichwortzahl als auch vom Umfang der Artikel her ist PONSBWDAF der kleinere Bruder von LangenscheidtTwDaF und DUDENWDAF.“ (Lü 2007: 86). Konzipiert ist das Wörterbuch für eine Benutzergruppe, welche die deutsche Sprache auf Anfängerniveau („Grundstufe“, vgl. hinteren Umschlagtext) lernt. Zusammen mit dem DUDENWDAF und dem LTWDAF bildet es somit einen Untertyp von Lernerwörterbüchern, welcher sich gezielt an Lernende mit Grundkenntnissen der deutschen Sprache richtet. Aus dieser Zielsetzung ergeben sich weitreichende Konsequenzen für Inhalt und Gestaltung des Wörterbuchs: Hier entsteht schon die Frage: welche Eigenschaften muss ein einsprachiges Lernerwörterbuch im Taschenformat besitzen, um solch einer ausländischen Zielgruppe, die im Normalfall noch in ihrem Heimatland Deutsch lernt, für rezeptive wie produktive Zwecke behilflich zu sein? (Lü 2007: 85)
Aufgrund der geringen Deutschkenntnisse der Benutzergruppe erscheinen eine didaktische Aufbereitung der lexikographischen Inhalte sowie eine benutzerfreundliche Gestaltung zwingend notwendig. Tatsächlich unterscheidet sich das Wörterbuch sowohl in seinen Inhalten als auch in seinem Aussehen von anderen deutschsprachigen Lernerwörterbüchern. – Auffallend an der Gestaltung des Wörterbuchs ist das einspaltige Layout, wobei zusätzliche Angaben (Illustrationen und Infoblöcke) aus dem Artikel ausgegliedert werden; diese finden sich am großzügig gestalteten Rand. – Im PONSBWDAF werden erstmals systematisch Angaben zu sprachlichen und landeskundlichen Informationen in Form von 83 Infoblöcken eingefügt, welche durch grüne Unterlegung besonders auffallen. – Zudem weist das Wörterbuch mit 362 Schwarzweißzeichnungen eine hohe Illustrationsdichte auf. – Alle Lemmata (und zusätzlich die Artikel bei Nomina) sind grün gedruckt und damit leicht auffindbar; die Lexeme des Zertifikatwortschatzes werden durch einen vorangestellten Punkt besonders markiert (vgl. Beispiel 9). Alle aufgeführten Merkmale des PONSBWDAF tragen zu einer besonders benutzerfreundlichen Gestaltung des Lernerwörterbuchs bei. Daher kommt Lü bei seinem
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Vergleich des PONSBWDAF mit DUDENWDAF und LTWDAF auch zu folgendem Schluss: „Von der äußeren Gestaltung her ist das PONSBWDAF den beiden anderen überlegen, natürlich auf Kosten der Informationsangebote bes. im Lemmaartikel.“ (Lü 2007: 101). Tatsächlich sind die lexikographischen Angaben sowohl auf Ebene der Makrowie der Mikrostruktur stark reduziert: – Das Wörterverzeichnis ist mit 8.000 Lemmata nicht sehr umfangreich, wobei als Kriterium für die Lemmaselektion einzig das Vorkommen in alltäglichen Kommunikationssituationen genannt wird (vgl. Vorwort). Weitere Kriterien werden nicht angegeben. – Auch die Außentexte sind sehr knapp gehalten: Benutzungshinweise fehlen vollständig und die speziell für die Benutzergruppe konzipierten Informationen des Vor- und Nachspanns (wie Informationen zur Rechtschreibung, grammatische Angaben und Informationen zu Gewichts- und Zeitangaben) sind nicht sehr umfangreich (6 Seiten Vorspann und 16 Seiten Nachspann). – Ebenso enthalten die Wörterbuchartikel nur wenige Angabeklassen: Die Bedeutungsangaben werden auf das Wesentliche reduziert (vgl. Beispiel 9) und mithilfe des Grundwortschatzes beschrieben (vgl. Lü 2007: 92). Häufig besteht diese Angabe allerdings nur in einem Synonym, was trotz der unbestreitbaren Vorteile, welche mit dieser Form der Bedeutungsbeschreibung verbunden sind, bei Benutzern mit geringer Kompetenz zu Verständnisschwierigkeiten führen kann80.
Beispiel 9: Artikel Küche aus dem PONSBWDAF
Nur selten sind Angaben zu einzelnen Lesarten der Lemmata zu finden, auch Angaben zur Paradigmatik – lediglich Synonyme (≈) und Antonyme (↔) werden durch Symbole hervorgehoben – , Stilistik oder Beispielangaben sind selten: „ein manchmal fast radikales Weglassen“ (Lü 2007: 90). Bei Komposita und Derivationen wird generell auf weitere Angaben verzichtet (vgl. Bielińska 2010: 85).
|| 80 Vgl. hierzu Lüs Kritik an der Bedeutungsbeschreibung durch Synonyme: „[D]adurch [sind] viele gerade für das Verständnis des jeweiligen Lemmas wichtige semantische Informationen, die nur durch Erklärung klar gemacht werden können, nicht mehr für die ausländischen Benutzer zugänglich. Die ausländischen Benutzer sind aber in besonderem Maße auf solche explizit erläuterten, Bedeutung differenzierenden Informationen angewiesen.“ (Lü 2007: 92).
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Insgesamt kommt Lü daher zu dem verständlichen Urteil, dass im PONSBWDAF „zu viele semantische, syntaktische und pragmatische Informationen im Lemmaartikel ausbleiben, sodass es für rezeptive wie produktive Benutzungssituationen nur sehr beschränkt tauglich ist.“ (Lü 2007: 101).
6.6.2.2 Pons Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache Das Pons Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (PONSGWDAF) basiert auf Pons Großem Schulwörterbuch Deutsch (vgl. Lü 2007: 76). 2004 wird es erstmals publiziert, 2011 erscheint es in einer Neubearbeitung. Mit ca. 77.000 „Stichwörter[n], Wendungen und Konstruktionsangaben“ (hinterer Umschlagtext) ist es deutlich umfangreicher als das PONSBWDAF und in seiner Größe mit dem LGWDAF vergleichbar. Das Wörterbuch soll die „aktuelle deutsche Standardsprache“ (vgl. Hinweise für die Benutzung) erfassen und beinhaltet daher neben dem Alltagswortschatz auch Fremd- und Fachwörter, wenn diese aufgrund ihrer Frequenz oder aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem „Benutzerumfeld“ (zum Sprachgebrauch in Ausbildung, Studium und Beruf, vgl. den hinteren Umschlagtext) relevant sind (vgl. Hinweise für die Benutzung). Im Vorwort wird dabei betont, dass trotz Einfachheit bei der Beschreibung von Fachterminologie die Benutzer nicht unterfordert werden sollen (Vorwort). Wie bereits das kleinere DaF-Wörterbuch zeichnet sich auch das PONSGWDAF durch eine benutzerfreundliche typographische Gestaltung aus. Während dies wird im Vorwort von 2004 noch besonders hervorgehoben wird – „Die übersichtliche Gestaltung verleiht diesem modernen Wörterbuch die Attraktivität, von der wir hoffen, dass sie Deutschlerner gern zum Wörterbuch greifen lässt.“ (Vorwort des PONSGWDAF) –, hat sich 2011 zwar an der Gestaltung wenig geändert, die typographischen Vorzüge werden jedoch nicht mehr hervorgehoben. Anders als beim PONSBWDAF sind die Seiten zweispaltig bedruckt, die Lemmata und typographische Strukturanzeiger für die Lesarten werden blau hervorgehoben. Auch die Infokästen zu sprachlichen und landeskundlichen Informationen, welche in größerem Umfang (107 Infokästen) eingebunden worden sind, werden blau unterlegt. Auch wenn die lexikographische Beschreibung im PONSGWDAF detaillierter als im PONSBWDAF ist (vgl. Beispiel 10), weisen die Herausgeber nachdrücklich auf die Benutzerfreundlichkeit der Angaben hin: „Mit ihm wird den Benutzerinnen und Benutzern Sicherheit im sprachlichen Ausdruck gegeben, ohne dass sie sich durch übermäßig komplexe Kommentierung der ausgewählten Wortschatzbereiche überfordert sehen müssen.“ (Vorwort). Die Bedeutungsangaben werden zwar zielgruppengerecht formuliert (vgl. auch Lü 2007: 77), es fällt jedoch auf, dass dies für die „Hinweise für die Benutzung“ und den „Regelteil zur Rechtschreibung“ nicht gilt: Diese sind geprägt durch linguisti-
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sche Terminologie sowie eher komplexe Erläuterungen (vgl. etwa den Infokasten zu Sprache). Trotz der für Lernende wenig benutzergerechten Formulierung wird dieses Merkmal von Lü durchaus positiv beurteilt: „Des Weiteren ist PONSGWDAF durch seine sprachwissenschaftlichen Züge unter den mittelgroßen Lernerwörterbüchern des Deutschen hervorzuheben.“ (vgl. Lü 2007: 78). Bei der Neubearbeitung legen die Herausgeber zudem einen besonderen Schwerpunkt darauf, systematisch Angaben zu Halbaffixen zu machen und vermehrt Komposita und Derivationen aufzunehmen, um Lernenden einen „Einblick in die kaum zu überblickende Vielfalt von Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen“ (Vorwort) zu geben. Auch die Außentexte zeichnen sich durch umfangreiche Informationen zur deutschen Sprache aus, welche durchaus Züge einer lexikologischen Einführung tragen (etwa durch Kapitel zu den „Etappen der Sprachenentwicklung des Deutschen“, „Einige interessante Etymologien“, „Übernahmen aus anderen Sprachen“). Der Vorspann enthält neben den Hinweisen zur Benutzung auch einen „lernerfreundlichen Regelteil zur Rechtschreibung und Zeichensetzung“, der Nachspann eine 24-seitige Kurzgrammatik des Deutschen sowie eine Liste der wichtigsten unregelmäßigen Verben. Die Mediostruktur des PONSGWDAF ist trotz des Anspruchs, Lernenden „Einsichten in die Vernetzung des Wortschatzes“ (Vorwort) zu geben, leider wenig ausgebaut: Auf andere Lemmata wird durch einen horizontalen, nach rechts gerichteten Pfeil (→) verwiesen, wobei gerade Verweise zwischen Wörterverzeichnis und Regelteil (durch „→ R“ und Verweis auf das entsprechende Unterkapitel des Regelteils) häufig zu finden sind (vgl. Hinweise für die Benutzung). Synonyme (≈, vgl. die Angabe „Küche ≈ Gastronomie“ im Beispiel 10) und Antonyme (↔) werden ebenfalls durch Symbole hervorgehoben, wie auch in anderen Lernerwörterbüchern geht damit jedoch keine Verweisfunktion einher. Die Erstauflage des PONSGWDAF enthält noch im geringen Umfang Bildtafeln zu Themen des Alltagslebens und Abbildungen, wobei die Umsetzung (willkürliche Auswahl, Fehlen einer übergeordneten Angabe, teils untypische Bestandteile) und Vernetzung mit dem Wörterbuch (fehlende Verweise) kritisiert werden mussten. Bei der Neubearbeitung von 2011 ist zu Recht auf diese wenig hilfreichen Darstellungen ganz verzichtet worden.
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Beispiel 10: Artikel Küche aus dem PONSGWDAF
Während das PONSBWDAF kaum Beispiele enthält, zeichnet sich das PONSGWDAF durch zahlreiche Beispielangaben aus (vgl. Artikel Küche in Beispiel 10), die – wie Lü betont – häufig typisch sind für das Alltagsleben junger Deutscher: „Darüber hinaus wird auch in manchen Fällen eine bestimmte Ideologie oder Lebensweise, die oft der jüngeren Generation gehört, vermittelt.“ (Lü 2007: 78). Insgesamt ist das PONSGWDAF damit sowohl in Umfang als auch in der Qualität der lexikographischen Beschreibung mit den anderen Lernerwörterbüchern dieser Größe vergleichbar.
6.6.2.3 Pons Kompaktwörterbuch Deutsch als Fremdsprache Das Pons Kompaktwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (PONSKWDAF) erscheint 2007 in erster Auflage und 2012 in überarbeiteter Neuauflage. Es umfasst insgesamt rund 42.000 „Stichwörter, Wendungen und Konstruktionsangaben“ und liegt damit zwischen dem Basis- und dem Großwörterbuch. Die Angaben zur Lemmaselektion, wie sie in den Hinweisen für die Benutzer beschrieben werden, sind identisch mit denen des PONSGWDAF: Auch das PONSKWDAF soll die „aktuelle deutsche Standardsprache“ (vgl. Hinweise für die Benutzung) nebst Ausschnitten aus fachsprachlichem Wortschatz erfassen, sofern diese aufgrund ihre Frequenz oder aufgrund ihrer Relevanz für die Lernenden von Bedeutung sind. Ebenso ist typographische Gestaltung an die der Vorgänger angelehnt: So werden wie im PONSGWDAF Lemmata durch blauen Druck und Komposita und Derivate
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durch Fettdruck hervorgehoben; der Zertifikatswortschatz wird wie im PONSBWDAF mittels eines vorangestellten Punkts markiert.
Beispiel 11: Eintrag Küche aus dem PONSKWDAF
Obwohl das Wörterverzeichnis im Vergleich zum PONSGWDAF deutlich reduziert worden ist, fällt bei den Wörterbuchartikeln auf, dass einige im Vergleich zum Großwörterbuch nicht gekürzt (vgl. Beispiel 11), sondern um landeskundliche Informationen ergänzt worden sind (etwa die Informationen zu „Warme[r] Küche bis 23.00 Uhr“ im Beispiel 11). Auch die Außentexte sind im Vergleich zum PONSGWDAF umfangreicher: So enthält das PONSKWDAF neben dem regelteil zur Rechtschreibung und der deutschen Kurzgrammatik mit dem „Schlüssel Deutsch“ auch ausführliche landeskundliche Informationen auf 70 Seiten.
6.6.3 Das De Gruyter-Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache Das Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache (DGWDAF), erschienen im Jahr 2000 im de Gruyter-Verlag, ist das Ergebnis eines lexikographischen Arbeitsprozesses, der nach Angaben des Herausgebers Günther Kempcke bereits 1987 an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin begonnen hat (vgl. Kempcke 1996: 115). Die (nahelie-
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genden) Übereinstimmungen personeller, materieller und inhaltlicher Art81 mit den ebenfalls dort erarbeiteten Wörterbüchern, dem Wörterbuch der Gegenwartssprache (WDG) bzw. dem Handwörterbuch der Gegenwartssprache (HDG), werden seither in Wörterbuchkritiken immer wieder aufgegriffen. Aber nicht nur etwaige ideologische Färbungen führen dazu, dass dieses einsprachige Lernerwörterbuch nicht so positiv wie das LGWDAF aufgenommen wird: Obwohl das Wörterbuch als „echtes Lernerwörterbuch“ (Angabe auf dem hinteren Umschlagtext) konzipiert ist, welches Deutschlernenden in erster Linie bei der Sprachproduktion helfen soll, wird als Hauptkritikpunkt immer wieder angeführt, dass die Orientierung an den Bedürfnissen der Benutzer fehle. Eine ausführliche kritische Würdigung des DGWDAF erfolgt – wie beim LGWDAF-1 – durch den zweiten Band zu Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen, welcher 2002 ebenfalls von Herbert Ernst Wiegand herausgegeben wird. Die folgenden Darstellungen stützen sich weitgehend auf ausgewählte Untersuchungen aus den insgesamt 30 Artikeln dieses Bandes. In Hinblick auf den Umfang des Wörterverzeichnisses kann die Hochrechnung von Michael Beißwenger und Boris Körkel die Angaben des Vorworts („ca. 17.000 bis 20.000 Lemmata“) bestätigen: Das Wörterverzeichnis umfasst ca. 20.700 Lemmata (vgl. Beißwenger/Körkel 2002: 398). Die Lemmaselektion ist damit nach dem von Kempcke vertretenen Prinzip vorgenommen worden, dass eine umfangreiche Makro- zu Lasten einer reduzierten Mikrostruktur gehe, welche gerade in einem Produktionswörterbuch ausführlicher sein muss als in einem Rezeptionswörterbuch. Bogaards, welcher das DGWDAF anhand einer kleinen Benutzerstudie daraufhin getestet hat, ob es ausreichend Hilfestellungen bei der Textrezeption biete, muss daher auch konstatieren: „The conclusion is that, as it stands, DGWDAF has much less to offer to readers of German L2 than LGWDAF.“ (Bogaards 2002: 649). Gemessen an den eigenen Ansprüchen – Darstellung des zentralen, für Lernende relevanten Wortschatzes der Alltagskommunikation (vgl. Vorwort) – kann die Auswahl jedoch als gelungen beurteilt werden (vgl. Beißwenger/Körkel 2002: 409f.). Allerdings werden wie beim LGWDAF auch beim DGWDAF keine Auswahlkriterien für die Lemmaselektion genannt, deren Fehlen der DGWDAF-Herausgeber Kempcke am LGWDAF noch kritisiert hatte: „Innerhalb dieser betreffenden Wortschatzbereiche wurde allerdings offenbar eher nach dem Schneeballprinzip denn nach systematischen Kriterien ausgewählt.“ (Beißwenger/Körkel 2002: 410).
|| 81 Im Vorwort wird die Identität personeller Art aufgrund der damit einhergehenden Kompetenzen der Lexikographen besonders herausgestellt: „Die Mitarbeiter dieses Wörterbuchs waren bis zu vier Jahrzehnten lexikographisch auf dem Gebiet der Gegenwartssprache tätig und konnten ihre langjährigen Erfahrungen in die Entwicklung dieses neuen Wörterbuchtyps einbringen.“ (Vorwort des DGWDAF).
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Während der Umfang des Wörterbuchverzeichnisses für ein Produktionswörterbuch damit als durchaus gelungen beurteilt werden kann, wird in verschiedenen Rezensionen immer wieder das Fehlen bestimmter Wortschatzausschnitte kritisiert: So fehle zum einen aktueller Wortschatz (wie Bleiberecht, Blauhelm, Solidaritätszuschlag, vgl. Bogaards 2002: 649), weit mehr falle aber das Fehlen von Lexemen des politischen Wortschatzes der deutschen Vergangenheit wie Gegenwart ins Gewicht. – So werde Lexik, die typisch für den politischen bzw. alltäglichen Sprachgebrauch (etwa Trabbi) der ehemaligen DDR ist, aus der Darstellung ausgeschlossen (vgl. Honnef-Becker 2002: 631f.). Auch Wortschatz, welcher die gesellschaftliche und politische Realität der BRD in den 1980ern und 1990ern kennzeichne (etwa Bundesrat, Frauenquote, Aussiedler), sei nicht berücksichtigt worden (vgl. Haß-Zumkehr 2002: 389). – Auch der Wortschatz der deutschen Vergangenheit – insbesondere aus der Zeit des Nationalsozialismus – ist sowohl in der Auswahl wie auch in der Darstellung wenig ausgewogen82 (vgl. Köster/Neubauer 2002: 306). Bedauerlicherweise hat die „teilweise Entsorgung der deutschen Geschichte“ (Köster/Neubauer 2002: 306) gerade für Deutschlernende Konsequenzen, bei denen Wissen über die deutsche Geschichte nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Gerade bei der Beschreibung von Lexik aus Politik und Gesellschaft wäre ein mehr benutzerorientierteres Vorgehen sehr wünschenswert: Beim speziellen Fall eines Lernerwörterbuchs hat sich die Frage nach dem, was politischer Wortschatz heißt, an den Rede- bzw. Produktions- wie -rezeptionsanlässen zu orientieren, die für die Zielgruppe des Wörterbuchs im Zentrum stehen. (Haß-Zumkehr 2002: 376)
Noch ein weiteres Merkmal der Makrostruktur ist auffällig und weicht von den Merkmalen anderer Lernerwörterbücher ab: Die Makrostruktur ist zwar striktalphabetisch, allerdings werden die Komposita in Nischen angeordnet, sodass die daraus resultierende Anordnungsform ein gezieltes und schnelles Auffinden der gesuchten Lemmata gerade für Deutschlernende deutlich erschwert. Gründe für dieses stark kritisierte Vorgehen – „Mißgriff“ (Wiegand 2002b: 430) – sieht Wiegand zum einen in den inhaltlichen wie konzeptionellen Übernahmen aus dem WDG und dem HDG, (vgl. Wiegand 2002b: 431), zum anderen trage diese Form der Anordnung
|| 82 Köster und Neubauer fassen ihre Kritik am Fehlen landeskundlicher Informationen – und zugleich an der Unausgewogenheit bei der Auswahl von Beispielangaben – wie folgt zusammen: „Es bleibt zu konstatieren, daß der vorliegende Band nicht nur die Möglichkeiten der landeskundlichen Information in den Beispielen in verschiedenen Bereichen nicht nutzt, sondern an verschiedenen Stellen sogar einen deutlichen Mangel an politischer Sensibilität und landeskundlichen Fakten zeigt, andererseits aber an die Lernenden relativ hohe Ansprüche stellt, was das Vorwissen in den Bereichen Musik und Literatur betrifft.“ (Köster/Neubauer 2002: 307).
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zur Textkomprimierung bei. Da sich aber diese Form der Anordnung als die „zugriffsunfreundlichste“ (Wiegand 2002b: 424) erweist, zeigt sich auch hier die fehlende Lernerorientierung. Auch die Form der Bedeutungsbeschreibungen des DGWDAF ist vielfach kritisiert worden: So sei das Definitionsvokabular nicht eingeschränkt worden, die Bedeutungsbeschreibungen enthalten häufig eher ungebräuchliche Wörter (etwa Rumpf, vgl. Beispiel 12) und seien vielfach nach dem klassischen Muster genus proximum und differentia specifica aufgebaut (etwa „Bauch“ als „Teil des Rumpfes, der zwischen Zwerchfell und Becken“ liegt, s. Beispiel 12, vgl. auch Honnef-Becker 2002: 636).
Beispiel 12: Artikel Bauch aus dem DGWDAF
Bei der Bewertung der Mediostruktur herrscht hingegen keine Einigkeit: – Positiv hervorgehoben wird, dass zwischen den verschiedenen Wörterbuchteilen auf vielfältige Weise verwiesen werde, etwa zwischen Wörterverzeichnis und Wortfelder-Angaben im Nachspann (vgl. den Hinweis TABL Körperteile beim Artikel Bauch). Auch bei Angaben innerhalb des Wörterverzeichnisses sei die Verweisstruktur gut ausgebaut (zwischen Merke-Kommentaren und dem Wörterverzeichnis). Peter Müller kommt nach Analyse der Mediostruktur daher auch zu einem insgesamt positiven Fazit: In dieser ausgeprägten Mediostruktur unterscheidet sich das DGWDAF deutlich von […] LGWDAF, […] Insbesondere die Verweise auf Wortfamilienlexeme und Wortfelder tragen im DGWDAF wesentlich dazu bei, die der alphabetischen Lemmasortierung entsprechende Einzelwort-Perspektive onomasiologisch aufzubereiten.“ (Müller 2002: 494)
–
Negativ dagegen wird gesehen, dass weiterführende Verweisangaben innerhalb des Wörterverzeichnisses – ähnlich wie im LGWDAF – nur selten angegeben werden, die Mediostruktur sei somit defizitär: Als Verweisindikatoren dienen
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ein schräg gestellter Pfeil , welcher auf Glieder einer Wendung verweist, eine Blume () als Verweisindikator für Wortfamilien und „vgl.“, „zu“ und „s.“ als verbale Indikatoren. Zudem muss an der Mediostruktur des DGWDAF kritisiert werden, dass Synonymund Antonym-Angaben durch typographische Hervorhebung (SYN und ANT, vgl. Beispiel 12) zwar ins Auge fallen, allerdings können diese von den Lernenden aufgrund von fehlenden bzw. unzulänglichen Angaben in den „Hinweisen zur Benutzung des Wörterbuchs“ nicht als explizite Verweisangaben interpretiert werden: „Explizite Artikelverweise auf bedeutungsähnliche Lexeme (Synonyme, Hyperonyme, Hyponyme u.a. Wortfeldlexeme) sind insgesamt selten.“ (Müller 2002: 492). Neben der Funktion dieser Angaben wird auch die Angabeform von Synonymen und Antonymen kritisiert, wobei die fehlende Differenzierung zwischen denotativen und konnotativen Bedeutungsaspekten den größten Kritikpunkt darstellt (etwa die fehlende Differenzierung zwischen „Bauch“ und „Leib“ im Beispiel 12, vgl. Roelcke 2002: 241, vgl. auch Honnef-Becker 2002: 635). Auch das Fehlen weiterer Verweisangaben wird z.B. von Roelcke beanstandet: Sowohl das DGWDAF als auch das LGWDAF enthalten keine Angaben von assoziativen Bedeutungsbezügen, welche sich die Benutzer selbst – etwa aus den Beispielen – erschließen müssen (vgl. Roelcke 2002: 234). Gerade fehlende Verweise sowie unzureichende Erläuterungen führen zu negativen Bewertungen der paradigmatischen Angaben durch die DaFDidaktik: Für die Textproduktionssituation liegt das größte Defizit in der schwachen Paradigmatik des Wörterbuchs: Die Begriffe werden nicht distinktiv erklärt und in ein Wortfeld eingebettet, was den Bezug auf den kulturellen Kontext mit einschließen würde. (Honnef-Becker 2002: 636)
Die Angabe von Wortfeldern im Nachspann wird unterschiedlich beurteilt: Während die einen darin einen innovativen Versuch sehen (vgl. etwa Lü 2007: 61), die semasiologische Struktur um onomasiologische Elemente zu ergänzen, beurteilt Bogaards diese Angaben aus Sicht der Fremdsprachendidaktik eher kritisch83 und schlägt als Verbesserung die Verbindung von Wortfeldern und Illustrationen vor: „Maybe some kind of combination of word fields and illustrations could help users better.“ (Bogaards 2002: 652). Thorsten Roelcke, der zunächst generell den Nutzen einer onomasiologischen Strukturierung aufgrund des Fehlens einer allgemein verbindlichen Gliederung kritisch hinterfragt (vgl. Roelcke 2002: 205), sieht in den Wortfeldern (und den Verweisangaben in den Artikeln) eine Weiterentwicklung gegenüber den paradigmati|| 83 Bogaards merkt hierzu an, dass es unklar sei, inwiefern Lernende diese Angaben überhaupt nutzen können: „It is difficult to say whether or not learners will profit from the word fields when they try to understand the meaning of words.“ (Bogaards 2002: 652).
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schen Angaben des LGWDAF. Der Vorteil der onomasiologischen Wortfeldaufarbeitung bestehe „in der höheren Quantität und Systematizität solcher Angaben“ (Roelcke 2002: 213). Trotz dieser Vorteile seien mit diesen Angaben aber auch Nachteile verbunden: fehlende Übersichtlichkeit und die Notwendigkeit, dass Benutzer weitere Angaben nachschlagen, deren Bedeutung erfassen und diese wiederum von dem nachgeschlagenen Lemma abgrenzen müssen (vgl. Roelcke 2002: 213). Insgesamt kommt Roelcke zu einer eher positiven Beurteilung, sieht aber auch die Notwendigkeit zu einer weiteren Verbesserung: Mit der gesonderten onomasiologischen Aufarbeitung der Wörterbuchartikel hinsichtlich einzelner Wortfelder am Ende des Bandes stellt das DGWDAF dem fremdsprachigen Wörterbuchbenutzer ein weiteres wirkungsvolles, wenn auch qualitativ wie quantitativ nicht in jedem Falle einfach zu handhabendes Hilfsmittel zur Beantwortung onomasiologischer Elementarfragen bereit, zu dem sich im LGWDAF nichts Vergleichbares findet. (Roelcke 2002: 215)
Als Gründe für den Widerspruch zwischen den Bemühungen, die alphabetischen Anordnung um begrifflich-sachliche Vernetzungen zu ergänzen und damit den Benutzern hilfreiche Angaben für die Textproduktion zu vermitteln, und den Schwierigkeiten, die gerade für die Benutzer aus der Form der Angabe resultieren, nennt Roelcke fehlende konzeptionelle Richtlinien, fehlende praktische Hinweise für die Benutzer sowie das Medium, in dem das Wörterbuch herausgegeben wird: „Die Gründe hierfür mögen zum einen in einem Mangel an theoretischer Konzeptionierung und zum anderen in den Grenzen praktischer Umsetzbarkeit im Rahmen eines Printwörterbuchs liegen.“ (Roelcke 2002: 242). Eine wünschenswerte Aufarbeitung onomasiologischer Strukturen sei erst durch die Gestaltungsmöglichkeiten der elektronischen Lexikographie gegeben (vgl. Roelcke 2002: 242). Wie im LGWDAF werden auch im DGWDAF Illustrationen eingebunden, insgesamt 151 Bildtafeln, welche 488 Lemmata (vgl. Kammerer 2002: 265) – ausschließlich Konkreta – abbilden. Auf die Illustrationen wird jedoch einzig in den entsprechenden Wörterbuchartikeln verwiesen, ein Abbildungsverzeichnis fehlt. Die Mehrheit der Abbildungen wird zudem ohne Legende dargestellt, sodass auch hier Verweisangaben fehlen. Aber nicht nur die Verweise zwischen Illustrationen und Wörterverzeichnis sind problembehaftet, Kammerer führt auch punktuelle Probleme bei den Illustrationen an (unproportionale Größenverhältnisse, Probleme bei der Identifikation, vgl. Kammerer 2002: 273ff.): „Insgesamt erscheint die Bebilderung des DGWDAF (2000) etwas gewollt und in weiten Teilen unentschlossen und unsystematisch.“ (Kammerer 2002: 275). Deutschlernende können visuelle Hilfen bei der Semantisierung somit nicht (systematisch) nutzen. Wie bei den anderen Angaben muss auch die Einbindung von Beispielangaben an den in den „Erläuterungen zur Konzeption des Wörterbuchs“ formulierten Ansprüchen gemessen werden: Das DGWDAF will immer dann Beispiele angeben, „wenn die Illustrierung des Gebrauchs einen weiteren Rahmen benötigt oder situa-
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tive bzw. kulturelle, aber auch syntaktische Kriterien verdeutlicht werden sollen.“ (vgl. die Erläuterungen zur Konzeption des Wörterbuchs). An der Umsetzung müssen jedoch zwei Kritikpunkte genannt werden: Einerseits ist der in den Beispielen verwendete Wortschatz nicht lernergerecht, die unbekannten Lemmata sind zudem häufig nicht in das Wörterverzeichnis integriert. Andererseits führen fehlende landeskundliche Informationen bei den Lernenden zu Verständnisschwierigkeiten. Aufgrund des fehlenden Problembewusstseins der Redaktion84 für diese Fragen kommen Köster und Neubauer hinsichtlich der Auswahl der Beispiele zu folgendem Schluss: „Es liegt mit dem DGWDAF somit ein einsprachiges Rezeptionswörterbuch mit lernerwörterbuchrelevanten Elementen vor.“ (Köster/ Neubauer 2002: 304, vgl. dazu auch Wiegand 2002a: XI). Auch Honnef-Becker wirft die Frage auf, ob das DGWDAF als Produktionswörterbuch geeignet sei, und beantwortet diese selbst mit einem eindeutigen Urteil: „Bei dem [DGWDAF] handelt es sich nicht um ein spezielles Wörterbuch zum Schreiben, wenngleich diese Funktion im Vorwort besonders hervorgehoben wird.“ (Honnef-Becker 2002: 630). Auch als Rezeptionswörterbuch hat das DGWDAF deutliche Schwächen85. Trotz der genannten Kritikpunkte hat Bogaards jedoch mit einem Benutzertest zeigen können, dass auch Lernerwörterbücher, die in ihren ersten Auflagen noch verbesserungsbedürftig sind, für die Benutzergruppe hilfreich sind: Taken together these data indicate that, in practice, there is not a significant difference between the two dictionaries tested: both lead to significantly better results than when no dictionary is used. (Bogaards 2002: 657)
|| 84 Gerade bei den Bedeutungsangaben (vgl. Lü 2007: 63) und bei den Beispielen zeigt sich der Einfluss des HDG in z.T. wortwörtliche Übernahmen (vgl. Köster/Neubauer 2002: 284), die eine Anpassung an die Zielgruppe nicht erkennen lassen: „Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in den beiden analysierten Bereichen der Behandlung der Kollokationen und der Kompetenzbeispiele eine Weiterentwicklung der Pädagogischen Lexikographie für die deutsche Sprache nicht erkennbar ist, in vielerlei Hinsicht werden die Standards von vorliegenden vergleichbaren Werken nicht erreicht.“ (Köster/Neubauer 2002: 308). 85 Zusammenfassend hält Bogaards hinsichtlich der Eignung des DGWDAF zu Rezeptionszwecken fest: „Summing up, it can be said that the number of lexical units in DGWDAF is rather limited and that their selection leaves room for improvement. The access is well organised, except for the long entries for compound words. As to the comprehensibility of the definitions, the use of infrequent words should be avoided and the system of cross-references should be better implemented. On the whole the definitions seem to be adequate. As a last point one could say that the use of the lexical fields and of illustrations could be better exploited.“ (Bogaards 2002: 652).
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6.6.4 DaF-Wörterbücher von Duden Auch der Duden-Verlag als größter und bekanntester Verlag für deutschsprachige Wörterbücher hat 2002 das erste Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Standardwörterbuch (DUDENSWDAF) auf den Markt gebracht, womit er den in den allgemeinen Bedeutungswörterbüchern (etwa dem Duden Universalwörterbuch) formulierten Wunsch, das Werk möge auch Deutschlernenden als Hilfe dienen, erstmals benutzerspezifisch realisiert. Nur ein Jahr später folgt diesem ersten DaF-Wörterbuch das Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Deutsch für die Grund- und Mittelstufe (DUDENWDAF), welches in Kooperation mit dem Max Hueber-Verlag, Herausgeber von zahlreichen Sprachlehrwerken86, erarbeitet worden ist. Die Typologie der Lernerwörterbücher im deutschsprachigen Raum wird 2005 schließlich um einen weiteren Untertyp erweitert: Der Duden-Verlag publiziert das erste Bildwörterbuch für Deutschlernende, das Duden Bildwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (DUDENBWDAF).
6.6.4.1 Duden. Deutsch als Fremdsprache. Standardwörterbuch Das Duden Standardwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (DUDENSWDAF) richtet sich an Deutschlernende („für alle, die Deutsch als Fremdsprache lernen“, vgl. den vorderen Umschlagtext), ist jedoch – abgesehen von dem Nachspann87 – identisch mit dem Duden-Bedeutungswörterbuch. Lü hat dessen Publikation als Lernerwörterbuch bereits 2007 scharf kritisiert: „Dieses Nachschlagewerk kann in vieler Hinsicht schwerlich dem speziellen Typus ‚Lernerwörterbuch‘ zugeordnet werden.“ (Lü 2007: 68). Da eine Orientierung an den Benutzerbedürfnissen nicht festzustellen ist, sollen im Folgenden lediglich Merkmale des DUDENSWDAF statt benutzerspezifischer Angabeformen vorgestellt werden. Das Wörterbuch umfasst in erster Auflage (2002) ca. 18.500, in zweiter Auflage 20.000 Lexeme (2010; beide Zahlen basieren auf den Angaben des Verlags). Der Zertifikatswortschatz ist zwar im Wörterverzeichnis enthalten, wird jedoch nicht
|| 86 Sowohl die eigene Kompetenz im lexikographischen Bereich als die des Max Hueber-Verlags im Bereich Sprachdidaktik werden bereits im ersten Abschnitt des Vorworts werbewirksam hervorgehoben: „Seit über 100 Jahren veröffentlicht die Duden-Redaktion die wichtigsten Wörterbücher zur deutschen Sprache. Der Max Hueber Verlag hat viele Jahre Erfahrung bei der Erarbeitung von Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache.“ (Vorwort des DUDENWDAF). 87 Auch der Nachspann ist in einigen Teilen identisch mit dem des kurze Zeit später erschienenen Duden/Hueber-Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache. Bezeichnend ist, dass auf den 48 Seiten umfassenden Nachspann, der ein benutzerspezifisches Informationsangebot enthält (u.a. zu folgenden Themen: Wie bekomme ich einen Studienplatz?, Tipps zum Umgang mit Behörden, Feiertage, Siezen – Duzen, Mundarten des Deutschen) im Vorwort des DUDENSWDAF nicht verwiesen wird.
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durch entsprechende Markierungen – inzwischen ein Merkmal aller anderen deutschsprachigen Lernerwörterbücher – hervorgehoben. Nach Angaben der Herausgeber soll die Beschreibung von insgesamt 450 Wortbildungselementen88 einen besonderen Schwerpunkt der lexikographischen Beschreibung bilden, wodurch sowohl grammatische Kenntnisse als auch allgemeine Kompetenzen der deutschen Sprache – insbesondere in der Alltagssprache – gestärkt und systematisch erweitert werden können: Besonders in der – meist gesprochenen – Alltagskommunikation findet man eine praktisch unbegrenzte Kombinationsvielfalt, die oft zu Ad-hoc-Bildungen führt, die zwar unter Umständen in keinem Wörterbuch verzeichnet werden, deren Verstehen jedoch Voraussetzung für das Gelingen von Kommunikation ist. (Vorwort des DUDENSWDAF)
Dieses Vorgehen muss für Deutschlernende jedoch kritisch hinterfragt werden: Lassen sich deren Wortbildungskompetenzen in einer Fremdsprache mittels eines Wörterbuchs systematisch erweitern? Kann dies die lexikographische Beschreibung unmotivierter Wortbildungen ersetzen? Winfried Ulrich, der konkrete Vorschläge für die Förderung passiver und aktiver Wortbildungskompetenzen im Rahmen des erstsprachlichen Unterrichts vorgelegt hat, verdeutlicht anhand von Beispielen, dass es dazu analytischer Kenntnisse bedarf, an die auch Muttersprachler zunächst mit Unterstützung eines Lehrenden herangeführt werden sollten. Es sei „Aufgabe der Schule“[…] dabei zu helfen, daß möglichst viele Lexeme aus dem rezeptiven auch in den produktiven Wortschatz vordringen und die Ausdrucksmöglichkeiten der Schüler erweitern.“ (Ulrich 2000: 23). Diese im Duden-Bedeutungswörterbuch durchaus angemessene Schwerpunktsetzung scheint beim DUDENSWDAF gerade in Hinblick auf die Benutzergruppe nicht angemessen. Aber nicht nur das Wörterverzeichnis und die lexikographischen Beschreibungen sind unverändert beibehalten worden, selbst bei den Formulierungen des Vorworts, der Benutzungshinweise sowie der „Erklärungen zu sprachwissenschaftlichen Fachausdrücken“ ist das Kompetenzniveau der Deutschlernenden kaum bzw. nicht berücksichtigt worden. Angesichts einer fehlenden Ausrichtung an den Bedürfnissen der Benutzer ist die Titelwahl „Standardwörterbuch“ umso irreführender:
|| 88 Bei der Darstellung unmotivierter Wortbildungen scheint folgender Standpunkt des Verlags gerade in Hinblick auf die Benutzergruppe nicht angemessen zu sein: „Diese Artikel zur Wortbildung verschaffen dem Benutzer Zugang zu vielen Wörtern, die in den Wörterbüchern nicht zu finden sind und auch nicht zu finden sein können, weil diese Wörter (noch) nicht lexikalisiert, (noch) nicht wörterbuchreif sind.“ (Vorwort des DudenSwDaF).
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Von den vier mittelgroßen Lernerwörterbüchern ist das ‚Duden‘ mit seinem Titel relativ auffallend: ‚Standardwörterbuch‘ impliziert eine überragende Position unter seinen Konkurrenten und die schon immer besondere Stellung der Dudenredaktion in der deutschen Lexikographie und auf dem (nicht nur) deutschen Wörterbuchmarkt. (Lü 2007: 68)
Lü, welcher auf Grundlage eigener Erfahrungen die Eignung des DUDENSWDAF für Deutschlernende bewertet hat, kommt daher auch zu dem Schluss, dass sich das Wörterbuch aufgrund von Mängeln u.a. in folgenden Bereichen für Lernende nicht eignet: – Insgesamt fehle eine lernergerechte Darstellung der lexikographischen Angaben: So werden Angabeklassen nicht durch typographische Markierungen voneinander getrennt (vgl. Lü 2007: 73). Dem Wörterbuch mangele es somit an Übersichtlichkeit, auf die in anderen Lernerwörterbüchern großer Wert gelegt werde. – Bei den Synonymem seien keine Angaben zur Bedeutungsdifferenzierung zu finden89, was gerade die Nutzung des DUDENSWDAF als Produktionswörterbuch einschränke (vgl. Lü 2007: 71). – Auch die Infokästen (insgesamt 79, vgl. Bielińska 2010: 87) mit erklärenden Angaben zu sprachlichen Informationen seien sowohl sprachlich als auch inhaltlich eher auf die Bedürfnisse erstsprachlicher Benutzer als auf die von Deutschlernenden ausgerichtet (vgl. hierzu Lü 2007: 72). Bielińska kann die Kritik von Lü durch ihre Beobachtung ergänzen, dass auffallend wenige feste Wendungen verzeichnet seien (vgl. Bielińska 2010: 87). Insgesamt muss der kritischen Einschätzung Lüs zugestimmt werden – das DUDENSWDAF ist kein Lernerwörterbuch: Meines Erachtens kann das DUDENSWDAF trotz seines Titels eher dem Typus ‚einsprachige allgemeine (Bedeutungs)Wörterbücher des Deutschen‘ untergeordnet werden. Um ein lernergerechtes Nachschlagewerk für sowohl rezeptive als auch produktive Zwecke zu werden, müssen im DUDENSWDAF grundlegende Änderungen bzw. Verbesserungen wenigstens bezüglich oben genannter Punkte vorgenommen werden. (Lü 2007: 76)
|| 89 Vgl. hierzu die Kritik von Lü: „Wie ein Lernerwörterbuch mit einer in vielen Fällen geradezu inflationären Zahl von Synonymen ohne genügende Differenzierungen dem ausländischen Benutzer mit beschränkter Deutschkompetenz bei der Textproduktion dienen könnte, bleibt ein Rätsel.“ (Lü 2007: 71). Cowie hat das Vorgehen, Bedeutungsbeschreibungen durch die Angabe (einer Vielzahl) von bedeutungsähnlichen Ausdrücken zu ersetzen, auch als „scatter-gun technique“ (Cowie 2009: 389) bezeichnet.
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 197
6.6.4.2 Duden. Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Deutsch für die Grund- und Mittelstufe Das Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Deutsch für die Grund- und Mittelstufe (DUDENWDAF) aus dem Duden-Verlag ist in erster Auflage 2003 publiziert worden; erarbeitet wurde es in Kooperation mit dem Max Hueber-Verlag, welcher zeitgleich ein nahezu identisches Nachschlagewerk unter dem Titel Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache herausgab (vgl. Kapitel 6.6.5). Das Wörterverzeichnis soll das Zentrum der deutschen Gegenwartssprache umfassen, fachsprachliche Lexeme sowie regionaler Wortschatz sind – sofern nicht zur Alltagskommunikation notwendig – daher nicht aufgenommen worden. Das Wörterverzeichnis beinhaltet nach Angaben des Vorworts ca. 11.200 Stichwörter, wobei die Lexeme des Zertifikatwortschatzes im Wörterbuchverzeichnis blau hervorgehoben werden. Ebenso wie das ein Jahr zuvor erschienene Standardwörterbuch wird auch beim DUDENWDAF großer Wert auf die Beschreibung von Wortbildungselementen gelegt (vgl. Vorwort, s. Kritik in Kapitel 6.6.4.1.). Gegenüber dem DUDENSWDAF sind jedoch auch Veränderungen festzustellen: –
So ist das Vorwort zielgruppengerechter formuliert und richtet sich direkt an die Deutschlernenden: „[M]it diesem Wörterbuch möchten wir Ihnen dabei helfen, die deutsche Sprache erfolgreich zu erlernen.“ (Vorwort).
–
Die Zahl der Infokästen (44 ) hat sich – im Vergleich zum DUDENSWDAF – zwar fast um die Hälfte reduziert, dafür sind die Inhalte lernergerecht formuliert und beinhalten verstärkt landeskundliche Informationen (vgl. die Artikel Primarschule und Ostern).
–
Zudem sind insgesamt 283 Illustrationen aufgenommen worden; trotz blauer Farbakzente sind dies jedoch ausschließlich Schwarzweiß-Zeichnungen, bei denen die Größenverhältnisse aufgrund des Formats nicht immer realistisch wiedergeben werden können (vgl. dazu auch Klosa 2004: 282).
–
Die Synonym-Angaben fallen durch den blauen Druck der Abkürzung „Syn.“ ins Auge. Zudem wird in den Hinweisen zur Benutzung des Wörterbuchs erläutert, dass die genannten Synonyme nicht in allen Kontexten austauschbar sind. Durch die Aufforderung, auch die Synonyme im Wörterbuch nachzuschlagen (vgl. Hinweise für die Benutzung), werden aus diesen Angaben explizite Verweisangaben. Trotz dieses lobenswerten Vorgehens fehlen jedoch andere Formen von Verweisangaben, sowohl innerhalb des Wörterverzeichnisses (etwa die Angabe von Antonymen) wie auch zwischen den verschiedenen Wörterbuchteilen (vgl. hierzu Klosa 2004: 278).
–
Auch die Bedeutungserläuterungen sind lernergerechter gestaltet als im DUDENSWDAF (vgl. Beispiel 13). Trotz dieser erfreulichen Weiterentwicklung
198 | Status Quo der Lernerlexikographie
muss Lü jedoch aufgrund einer kleinen Stichprobe konstatieren, dass trotzdem einige Artikel (11 von 31 Artikeln) identisch sind mit denen des DUDENSWDAF (vgl. Lü 2007: 93).
– Beispiel 13: Artikel Verband aus dem DUDENWDAF
Ebenso wie beim Taschenwörterbuch des Langenscheidt-Verlags muss auch beim DUDENWDAF mit Blick auf den Kompetenzstand der Lernenden gefragt werden, inwieweit das Wörterbuch dies konzeptionell berücksichtigt: – Hierzu fällt auf, dass die Außentexte ausgebaut worden sind und Informationen zur deutschen Sprache (etwa grammatische Angaben, Tipps zur deutschen Rechtschreibung, Beispiele für kommunikative Einheiten90) und landeskundliche Information zu den deutschsprachigen Ländern (Karten, Schulsysteme) enthalten. – Die Hinweise zur Benutzung werden zudem durch Fragen strukturiert (etwa „Was sind Synonyme?“, „Was bedeutet…?“), welche die der Benutzer antizipieren sollen. Im Vergleich zum DUDENSWDAF wird deutlich, dass das DUDENWDAF eine neue Entwicklung darstellt, welche bislang als einziges deutschsprachiges Lernerwörterbuch
|| 90 Eine ausführliche Kritik des Nachspanns ist in der Rezension von Klosa (vgl. Klosa 2004: 277f.) zu finden.
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 199
des Duden-Verlags tatsächlich Elemente enthält, die speziell für diese Zielgruppe entwickelt und worden sind.
6.6.4.3 Duden. Bildwörterbuch Deutsch als Fremdsprache Ziel des Duden-Bildwörterbuchs. Deutsch als Fremdsprache (DUDENBWDAF) (2005) ist es, die wichtigsten Lebensbereiche – eingeteilt in ca. 400 Sachgebiete – zu erfassen und in Form von Illustrationen mit erklärenden Legenden für Lernende verständlich zu präsentieren. In den insgesamt 415 Bildtafeln, welche von der Darstellung eines Atoms bis zu szenischen Illustrationen komplexen Alltagslebens (etwa ‚Innenstadt‘) reichen, werden nach Angaben des Duden-Verlags insgesamt ca. 30.000 Begriffe visualisiert (vgl. Vorwort). Dabei beschränken sich die Angaben nicht allein auf die Zuordnung der Lemmata zu den entsprechenden Elementen des Bildausschnitts (und entsprechend zu einem Sachgebiet) – „Das Prinzip des Bildwörterbuchs ist denkbar einfach: Die Bedeutung eines Wortes wird durch ein Bild erklärt.“ (Vorwort des DUDENBWDAF) – , sondern beinhalten im Textteil auch weiterführende verbale Erläuterungen. Diese umfassen erläuternde bzw. differenzierende Angaben, welche dem Lemma direkt zugeordnet sind (etwa die Erläuterung ‚Gurtvorrichtung‘ beim Trapez (Bereich „Surfen“), vgl. hierzu auch die Erläuterungen zum Gebiet „Mathematik II“91), sowie die Angabe von Synonymen, welche unmittelbar hinter dem Hauptlemma in runden Klammern angegeben werden (vgl. die Angabe zu 5 (Trinkwassersprudler) bei der Darstellung einer Küche in Beispiel 14).
|| 91 Die Beispiele für verschiedene Rechnungsarten der Bildtafel ‚Mathematik II‘ – etwa „2+4+6+8…“ – werden im Textteil ergänzt durch Erläuterungen sowie die Angabe der allgemeinen Formel („die arithmetische Reihe, die Summenfolge in der arithmetischen Folge mit der Formel an = a0 + n × d [hier a0 = 2; d = 2]“).
200 | Status Quo der Lernerlexikographie
Beispiel 14: Bildtafel Küche mit einem Ausschnitt der dazugehörigen Erläuterungen aus dem DUDENBWDAF
Der Textteil wird zudem durch die Zuordnung zu Hyperonymen strukturiert (vgl. etwa den Textteil zur Bildtafel Bäckerei, der gegliedert ist durch die Oberbegriffe Verkaufsraum, Brot, Brotsorten etc.). Die zugeordneten Hyponyme werden auf den Bildtafeln entsprechend dargestellt, wobei der Versuch, diese auch visuell voneinander abzugrenzen, nicht immer gelungen ist (vgl. hierzu die Visualisierung der verschiedenen Brotsorten). Als semantische Relationen werden im Textteil nur Synonyme explizit aufgeführt, Hyperonym/Hyponym-Angaben werden den Benutzern nicht explizit angegeben und müssen von diesen eigenständig erschlossen werden. Weitere Bedeutungsbeziehungen (Antonymie) sind im Textteil nicht zu finden, da sich diese auch nicht unmittelbar auf die dazugehörige Bildtafel beziehen könnten. Auch im Bildteil des DUDENBWDAF werden semantische Informationen angegeben: Hier werden Teil-Ganzes-Beziehungen hervorgehoben, indem die Holonyme
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 201
durch schwarze Kreise gekennzeichnet sind (vgl. die Illustration eines Rennrads in Beispiel 15). Die Angabe der Meronyme findet sich sowohl direkt in der bildlichen Darstellung wie auch implizit im Textteil.
Beispiel 15: Darstellung ‚Rennrad‘ aus der Bildtafel ‚Rad- und Motorsport‘ aus dem DUDENBWDAF
Als primäre Zugriffsstruktur dient ein thematisch gegliedertes Inhaltsverzeichnis, welches die Konzepte in 11 Kategorien von „Atom, Weltall, Erde“ über „Unterhaltung, Kunst, Kultur“ und „Tiere und Pflanzen“ bis hin zu „Büro, Bank, Börse“ einteilt. Die größte Kategorie bildet dabei „Handwerk und Industrie“ (81 Bildtafeln) gefolgt von „Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Informationstechnik“ (69 Bildtafeln), die kleinste Kategorie ist „Büro, Bank, Börse“ (8 Bildtafeln). Ergänzend zu dem thematischen Zugriff werden alle Konzepte mit den entsprechenden Bezeichnungen in einem zusätzlichen, alphabetischen Register aufgeführt, was die Suche in dem Bildwörterbuch benutzerfreundlich beschleunigt. Als wichtigstes Auswahlkriterium für Bildtafeln und Lemmata wird von der Redaktion deren Alltagsnähe angegeben: „Es berücksichtigt Dinge des Alltags wie Kleidung, Küchengeräte oder Sportartikel ebenso wie spezielle Pflanzen, Werkzeuge und Maschinen“ (Vorwort des DUDENBWDAF). Da die Konzepte jedoch bildlich dargestellt werden müssen, werden ausschließlich Konkreta berücksichtigt, abstrakte Begriffe (Emotionen, Moralvorstellungen, Werte) sind daher nicht aufgenommen worden. Auch die vermeintliche Einfachheit der bildlichen Darstellung täuscht: So kann bei vielen Lemmata die Komplexität der Semantik (Polysemien) nur dann berücksichtigt werden, wenn sich die entsprechenden Konzepte auch visualisieren lassen („Maus“, „Feder“, nicht aber „Schlag“). Die die Bedeutungsvielfalt der zahlreichen Lexeme des Alltagswortschatzes zeigt sich oft erst bei den notwendigen Differenzierungen im alphabetisch geordneten Register, entweder in Form von Komposita-
202 | Status Quo der Lernerlexikographie
angaben („Bett, Fluss-, etc.“) oder durch die Angabe eines Sachgebiets (bei ‚Radiator‘ finden sich gleich 4 Angaben: Energie, Installateur, Med. und Raumfahrt). Als Benutzergruppe des DUDENBWDAF nennt der Verlag im Vorwort „alle, die Deutsch als Fremdsprache lernen und unterrichten“ (Vorwort des DUDENBWDAF). Sowohl bei der Lemmaselektion als auch der Auswahl der verschiedenen Sachgebiete werden die Bedürfnisse von Deutschlernenden jedoch kaum berücksichtigt: Warum sollten Deutschlernende ein Interesse daran haben, anhand eines Bildwörterbuchs die Bestandteile eines Atoms zu benennen? Auch zahlreiche andere Angaben (etwa zum Ritterwesen) sind für die Benutzergruppe aufgrund des fehlenden Aktualitäts- und Alltagsbezugs eher ungeeignet. Geeignet ist ein Bildwörterbuch im Allgemeinen dagegen besonders, um Gegenstände der Alltagswelt zu benennen und sich somit verschiedene Teilbereiche des Alltags systematisch zu erschließen. Wünschenswert wäre es daher gewesen, sich bei einem Bildwörterbuch für Deutschlernende auf den kleinen Ausschnitt der alltäglichen Lebenswelt zu beschränken, diesen jedoch mit einer entsprechenden Mediostruktur sowie umfangreicheren textuellen Angaben zu versehen, welche die Beziehungen der Lemmata untereinander explizit darstellen. Generell orientiert sich auch das DUDENBWDAF nicht an den Bedürfnissen von Deutschlernenden. Eine Erklärung hierfür findet sich schließlich bei dem Vergleich des Duden-Bildwörterbuchs (in 6. Auflage) mit dem DUDENBWDAF: Beide sind identisch (vgl. hierzu auch die Angabe im Impressum). Der fremdsprachige Benutzer, der erwartet, dass die Auswahl des behandelten Stoffes in Hinblick auf seine Bedürfnisse getroffen wurde, muss feststellen, dass das Einzige, was speziell für ihn konzipiert wurde, der Umschlag des Wörterbuchs ist. (Bielińska 2010: 71)
6.6.5 Das Hueber-Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache Das Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache aus dem Hueber-Verlag (HUEBERWDAF), welches 2003 zum ersten Mal und 2007 in einer 2. Auflage publiziert wird, ist inhaltlich identisch mit dem Duden Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Deutsch für die Grund- und Mittelstufe (vgl. auch Bielińska 2010: 87). Auch wenn ein expliziter Hinweis hierzu im Impressum fehlt, wird die Identität der beiden Nachschlagewerke durch einen Blick auf die Angaben zu Projektleitung und Redaktionsteam bzw. durch das gleichlautende Vorwort bestätigt. Auf eine weitere Darstellung soll daher an dieser Stelle verzichtet werden; nur die (geringen) Unterschiede zwischen HUEBERWDAF und DUDENWDAF sollen im Folgenden angeführt werden. Eine Analyse der Wörterbuchverzeichnisse zeigt, dass beide – bis auf abweichende Verfahren bei der Einbindung von Illustrationen (die Illustration „CD“ ist z.B. im HUEBERWDAF enthalten, im Duden dagegen fehlt sie) – übereinstimmen. Während auch die Hinweise zur Benutzung, grammatische Informationen, die Zu-
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 203
satzinformationen (Karten Deutschland, Österreich und die Schweiz) und das Abkürzungsverzeichnis bei beiden Werken identisch sind, bietet das HUEBERWDAF neben einer anderen Umschlaggestaltung zudem einen zusätzlichen Anhang, der sich aus „Tipps zum Umgang mit dem Wörterbuch“, „Tipps zum Wörterlernen“ sowie einer alphabetisch geordneten Wörterliste zusammensetzt, die den Lernwortschatz des GER in den Stufen A1 bis B1 enthält. Dieses Zusatzmaterial wird auch auf dem hinteren Einband beworben. Die Verbindung von lexikodidaktischen Erkenntnissen und konkreter Wörterbucharbeit ist zwar durchaus zu begrüßen, allerdings ist deren Umsetzung im HUEBERWDAF durchaus mit Problemen verbunden: – Die „Tipps zum Umgang mit dem Wörterbuch“ enthalten zwar Hinweise darauf, wie wichtig es sei, sich mit den Symbolen und Abkürzungen vertraut zu machen und die Artikel vollständig zu lesen, als lexikodidaktische Einführung sind diese Hinweise aber nur bedingt nützlich und können keineswegs didaktische Einheiten zur Wörterbucharbeit im Deutschunterricht ersetzen. – Ähnliches gilt auch für die Tipps zum Wörterlernen, die sehr pauschal bleiben, lediglich die wichtigsten Hilfsmittel (Bilder, Klebezettel, Wortschatzbox, Vokabel-Ringbuch, Tonaufnahmen) beim Vokabellernen aufzählen und nur exemplarisch vorführen, wie sich Lexeme organisieren und somit besser lernen lassen (etwa Gegenteil, Ähnlichkeit, feste Wortverbindung, Wortfelder, Assoziationen, persönliche Vorlieben, Handlungsketten). Damit Lernende die Tipps zum Wörterlernen jedoch richtig anwenden, ist zuvor die Vorstellung und das Einüben dieser Techniken im Fremdsprachenunterricht zwingend notwendig (vgl. Kapitel 4.2.1.); die Angaben des Wörterbuchs können daher nur zur Auffrischung der Unterrichtsinhalte dienen.
6.6.6 Das Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache von Wahrig Mit ca. 70.000 „Stichwörtern, Anwendungsbeispielen und Redensarten“ (nach Angaben des Verlags) zählt das Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (WDaF), herausgegeben von Renate Wahrig-Burfeind im Brockhaus-Verlag, zu den umfangreicheren deutschsprachigen Lernerwörterbüchern. Dass sich bereits das Deutsche Wörterbuch von Wahrig bei Deutschlernenden vor der Erstellung deutschsprachiger Lernerwörterbücher einer großen Beliebtheit erfreuen konnte, wird im Vorwort werbewirksam betont: „Die Konzeption des Wörterbuchs zielt noch genauer als die bereits in der Reihe der WAHRIG-Werke erschienenen Bedeutungswörterbücher auf die Bedürfnisse von Deutschlernenden ab.“ (vgl. Vorwort). Das Wörterbuch richtet sich an Deutschlernende aller Niveaustufen („Deutschlerner vom Anfänger bis zum Profi“, vgl. hinteren Umschlagtext). Daher umfasst das
204 | Status Quo der Lernerlexikographie
Wörterverzeichnis besonders frequente Wörter der deutschen Gegenwartssprache92, wobei Lexeme des Zertifikatswortschatzes durch blauen Druck besonders hervorgehoben und mit besonderer Sorgfalt beschrieben werden (vgl. Vorwort). Explizit nicht aufgenommen werden dagegen geographische Namen, welche in einer eigenen Tabelle zusammengefasst werden (vgl. „Hinweise zur Benutzung“). Insgesamt will das Wörterbuch damit den Alltagswortschatz der deutschen Sprache beschreiben: „Der Lerner des Deutschen als Fremdsprache kann davon ausgehen, dass Begriffe oder Redewendungen, die ihm im Alltag begegnen oder die er bei der Zeitungslektüre vorfindet, im Wörterbuch verzeichnet sind.“ (vgl. Hinweise zu Benutzung). Wie andere Lernerwörterbücher enthält auch das WDAF (blau) unterlegte Informationskästen zu Landeskunde (z.B. Parteien in Deutschland), Bräuchen (z.B. „Ostern“) und sprachlichen Besonderheiten (insgesamt 199). Die mediostrukturelle Vernetzung der einzelnen Wörterbuchteile miteinander ist gut gelungen: Das Wörterbuch enthält zwar kein Verzeichnis der Infokästen, auf die Bildtafeln wird dafür aber sowohl von den Wörterbuchartikeln mittels der Verweisbeziehungsangabe „“ wie auch durch das Inhaltsverzeichnis verwiesen. Synonyme und Antonyme werden in den Wörterbuchartikeln durch blauen Druck der Abkürzungen „Syn“ bzw. „Ggs“ markiert, wobei die Lernenden auch im WDAF nicht explizit darauf hingewiesen werden, Unterschiede in der Verwendung durch Nachschlagen unter den aufgeführten Synonymen bzw. Antonymen zu ermitteln. Auf andere Wörterbuchartikel wird mittels eines nach rechts gerichteten Pfeils () verwiesen, wobei weiter unterschieden wird zwischen „siehe“ () und „siehe auch“ ( a.); der Unterschied zwischen diesen Verweisangaben wird jedoch nicht erläutert. Das Wörterbuch beinhaltet insgesamt 17 Bildtafeln (als „Bildwörterbuchteil“ auf dem hinteren Umschlag beworben), welche wichtige Alltagsbereiche darstellen sollen, wozu die Herausgeber insbesondere den schulischen und privaten Bereich (Sport, Fitness, Fahrrad, Haustiere) zählen93. An den Außentexten stechen besonders die einführenden Angaben zum Wörterbuch sowie die ausführlichen Informationen über und zum DaF-Bereich hervor, welche von Britta Hufeisen verfasst worden sind. Hier hat sich der Verlag bemüht, nicht nur mittels ausführlicherer Benutzungshinweise, sondern auch mittels Fachkompetenz den Bedürfnissen der Lernenden entgegen zu kommen.
|| 92 Die Lemmaselektion basiert auf der Auswertung des Wahrig-Textkorpus mit 900 Mio. Wortbelegen (vgl. Hinweise zur Benutzung). 93 Die Themen der Bildtafeln sind im Einzelnen: Mensch, Badezimmer, Küche, Wohnzimmer, Arbeitszimmer, Schule, Arbeitsmaterial für Schulunterricht, Bekleidung, Musikinstrumente, Sport/ Fitness, Fahrrad, Auto, Bahnhof, Gemüse, Obst, Haustiere, Nutztiere.
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 205
Beispiel 16: Artikel Nadel aus dem Deutschen Wörterbuch von Wahrig, dem Kleinen Wahrig und dem WDAF (unten)
Anhand des Beispiels 16 zeigt sich zudem, dass die Bedeutungsangaben im Vergleich zum Deutschen Wörterbuch von Wahrig und dem Kleinen Wahrig deutlich gekürzt und typographisch aufbereitet worden sind. Um aber „für den Deutschlernenden leicht verständlich“ (Vorwort) zu sein, würde die lexikographische Beschreibung auch im WDAF von einem kontrollierten Definitionswortschatz profitieren, da die Bedeutungsangaben z.T. seltene Lexeme enthalten (z.B. ansteckbar).
Jahr 2010
2010
2009
2006 2011 2012
2000 2010
2003
2005 2007
2008
Titel des Wörterbuchs
Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache
Langenscheidt Taschenwörterbuch Deutsch als Fremdsprache
Langenscheidt Power Wörterbuch Deutsch
Pons Basiswörterbuch Deutsch als Fremdsprache
Pons Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache
Pons Kompaktwörterbuch Deutsch als Fremdsprache
Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache (De Gruyter)
Duden. Deutsch als Fremdsprache. Standardwörterbuch.
Duden. Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Deutsch für die Grund- und Mittelstufe
Duden. Bildwörterbuch Deutsch als Fremdsprache
Hueber. Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache
Wahrig Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache
Auflage
1. Aufl.
2. Aufl. (1. 2003)
1. Aufl.
1. Aufl.
2., neu bearb. und erw. Aufl. (1. Auflage 2002)
1. Aufl.
Neubearb., 1. Aufl. 2007
2. Aufl., 1. Aufl. 2004
2. Aufl., 1. Aufl. 1999
Aufl.
Neubearb., 1. Aufl. 2003, 2. 2007
Neubearb.,1. Aufl. 1993, 2. 2003, 3. 2008
70.000
11.200
30.000
11.200
20.000
17.000 20.000
42.000
77.000
8.000
50.000
30.000
66.000
Größe
1177
644
728 + Register
644
1107
1290
948
1622
467
1006
507
1269
Seitenzahl
Zielgruppe
17 Bildtafeln
300 Illustrationen
400 Bildtafeln
300 Illustrationen
keine
Einspaltiges Layout, 83 Infokästen zur Sprache und Landeskunde
„nach dem revolutionären Power-Konzept“, Infokästen zur Sprache und Landeskunde
Mit Übungen, Sprachspielen und Rätseln
In 2. Auflage mit 34 Infofenstern zu Sprache und Grammatik sowie 86 zur Landeskunde
Anmerkungen
48 Seiten landeskundliche Informationen, 450 Artikel zu Wortbildungselementen, 75 Infokästen zur Sprache. Identisch mit dem Bedeutungswörterbuch des Duden-Verlags
Identisch mit dem Bildwörterbuch des Duden-Verlags
„Für Deutschlerner vom Anfänger bis zum Profi“
199 Infokästen zu Landeskunde und Sprache, Einleitung mit DaF-Bezug
Für Kurse der Grund- und Mittelstufe Zusatzinformationen zur Landeskunde, Kommunikation etc., Tipps zum Umgang mit dem Wörterbuch, Tipps zum Wörterlernen. Bis auf den Anhang identisch mit dem Duden-Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache. Deutsch für die Grund- und Mittelstufe.
Alle, die Deutsch als Fremdsprache lernen und unterrichten
Lernende der Grund- und Mittelstufe Bis auf den Anhang identisch mit dem Hueber. Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache
„für alle, die Deutsch als Fremdsprache lernen“
Als einziges Wörterbuch nischenalphabetisch angeordnet
Für Deutschlerner, Wörterbuch “zum Infokästen zur Sprache und Landeskunde, Lernen“ Kurzgrammatik des Deutschen und umfangreiche landeskundliche Informationen im Anhang
Für (fortgeschrittene Deutschlerner), 107 Infokästen zur Sprache und Landeskun„Lernerwörterbuch“ de, deutsche Kurzgrammatik im Anhang
„Lernerwörterbuch“/„zum Lernen"
Für DaF- und DaZ-Lernende, für Einsteiger, Fortgeschrittene und Muttersprachler
Deutschlernende in den ersten Jahren, für Einsteiger
Geeignet für fortgeschrittene Deutschlernende
183 Illustrationen Für Deutsch Lernende und Bildtafeln
keine
keine
362 Illustrationen
19 Bildtafeln
12 Seiten Bildtafeln und 46 Illustrationen
196 Illustrationen
Illustrationen
206 | Status Quo der Lernerlexikographie
Übersicht: DaF-Lernerwörterbücher (Stand: März 2015)
Die Angaben zur Größe, d.h. zur Anzahl der aufgenommenen Lemmata, basieren auf den Verlagsangaben. Die Angabe zu Seitenzahlen bezieht sich ausschließlich auf das Wörterverzeichnis. Die Angaben zu den Benutzergruppen basieren auf den Verlagsangaben.
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 207
6.6.7 Zusammenfassung In den rund 20 Jahren, die seit dem erstmaligen Erscheinen eines deutschsprachigen Lernerwörterbuchs vergangen sind, hat die deutschsprachige Lernerlexikographie bereits eine bemerkenswerte Anzahl an Produkten sowie an überarbeiteten Neuausgaben publizieren können. Besonders hervorzuheben ist dabei die typologische Entwicklung der Lernerwörterbücher: Folgende Untertypen von Lernerwörterbüchern, welche den Bedürfnissen der verschiedenen Lernergruppen noch gezielter entsprechen sollen, lassen sich nach aktuellem Stand feststellen: – Die Großwörterbücher (LGWDAF, PONSGWDAF, WDAF) haben einen Umfang zwischen 66.000 und 77.000 Lemmata und richten sich an fortgeschrittene Deutschlernende. Neben einer lernergerechten Darstellung der lexikographischen Angaben zeichnen sich die Großwörterbücher auch durch eine Vielzahl an Angabeklassen aus und sind damit benutzergerechtere Nachfolger der allgemeinen Bedeutungswörterbücher, welche zuvor im DaF-Unterricht benutzt worden sind. – Kompakt- bzw. Standardwörterbücher (LPWD, PONSKWDAF, DUDENSWDAF, DGWDAF): Lernerwörterbücher dieses Untertyps enthalten zwischen 17.000 (DGWDAF) und 50.000 Lemmata. In den Vorwörtern und Benutzungsangaben wird die Benutzergruppe bewusst offen gehalten – von Einsteigern bis zu Muttersprachlern (vgl. LPWD) bzw. „für alle, die Deutsch als Fremdsprache lernen“ (DUDENSWDAF). Von den Großwörterbüchern unterscheidet sich dieser Typus durch die Größe, von den Lernerwörterbüchern für Einsteiger durch die Komplexität der lexikographischen Beschreibung. – Lernerwörterbücher für Einsteiger (LTWDAF, PONSBWDAF, DUDENWDAF/ HUEBERWDAF) richten sich an eine Benutzergruppe, deren Kenntnisse zwar noch gering, aber dennoch so weit fortgeschritten sind, dass sie einsprachige, sehr einfach formulierte Angaben verstehen und nutzen können. Daher ist sowohl das Wörterverzeichnis mit zwischen 8.000 (PONSBWDAF) und 30.000 Lemmata (LTWDAF) als auch der Umfang der einzelnen Wörterbuchartikel stark reduziert. – Mit dem DUDENBWDAF hat der Duden-Verlag das erste Bildwörterbuch für Deutschlernende publiziert. Auch wenn diese Entwicklung vor dem Hintergrund lernpsychologischer Erkenntnisse positiv bewertet werden kann, ist an der konkreten Umsetzung im DUDENBWDAF jedoch zu kritisieren, dass durch die Identität mit dem Duden-Bildwörterbuch jegliche Berücksichtigung der Bedürfnisse Deutschlernender ausgeblieben ist (vgl. dazu Kapitel 6.6.4.3.).
208 | Status Quo der Lernerlexikographie
Mit den 12 Lernerwörterbüchern sowie deren verschiedenen Auflagen haben sich bestimmte Merkmale herausgebildet, welche für (deutschsprachige) Lernerwörterbücher kennzeichnend sind: – Illustrationen: Mit Ausnahme des DUDENSWDAF und der beiden Neubearbeitungen des PONSGWDAF und des PONSKWDAF enthalten alle anderen Lernerwörterbücher Illustrationen, wobei in neueren Auflagen vermehrt farbliche Bildtafeln eingebunden werden. – Infokästen: Auch die Infokästen mit landeskundlichen oder sprachlichen Informationen sind mittlerweile zu einem Standardmerkmal geworden. – Benutzerfreundliches Layout: Während der Pons-Verlag bei seinen Lernerwörterbüchern von Beginn an auf ein benutzerfreundliches Layout (etwa durch zweifarbige Gestaltung) gesetzt hat, wird von anderen Verlagen erst bei den später publizierten Werken bzw. in neuen Auflagen bestehender Lernerwörterbücher das Layout benutzerfreundlich(er) gestaltet und dies in den Außentexten werbewirksam betont. – Umfangreichere Außentexte: Ebenso werden die Außentexte im Vergleich zu den ersten deutschsprachigen Lernerwörterbüchern bzw. früheren Auflagen immer umfangreicher und enthalten neben Benutzungshinweisen häufig auch Kurzgrammatiken (auf die vom Wörterverzeichnis aus verwiesen wird) sowie speziell für Lernende aufbereitete Informationsangebote (etwa in Form von Sprachspielen, Hinweisen zum Umgang mit Wörterbüchern oder Infos zu DaFThemen). Ein Vergleich mit englischen Lernerwörterbüchern zeigt aber auch, dass deutschsprachige Lernerwörterbücher nicht in allen Merkmalen mit diesen übereinstimmen: – Definitionswortschatz: Während die großen englischsprachigen Lernerwörterbücher94 auf Basis korpuslinguistischer Auswertung erstellt werden (vgl. GötzVotteler/Herbst 2009: 49), was auch die Nutzung eines kontrollierten Definitionswortschatzes ermöglicht bzw. vereinfacht, wird bei den ersten deutschsprachigen Lernerwörterbüchern noch auf die Erstellung und Nutzung eines Definitionswortschatzes verzichtet. Inzwischen bemüht sich insbesondere der Langenscheidt-Verlag darum, dieses Versäumnis nachzuholen und die Bedeutungsangaben mittels eines ca. 3.800 Lexeme umfassenden Vokabulars (vgl. Fußnote 71) zu formulieren.
|| 94 Zu den „big four“ der englischen Lernerlexikographie zählen: Das Oxford Advanced Learner’s Dictionary, das Longman Dictionary of Contemporary English, das Collins Cobuild English Dictionary, das Cambridge Advanced Learner’s Dictionary (vgl. Lü 2007: 29). Ebenfalls zu den großen Lernerwörterbüchern des Englischen wird von Götz-Vottler und Herbst das 2002 erstmals erschienene Macmillan English Dictionary for Advanced Learners gerechnet (Götz-Votteler/Herbst 2009: 48).
Ergebnisse der deutschsprachigen Lernerlexikographie | 209
–
Formulierung der Bedeutungsangaben: Bei den Bedeutungsangaben fällt im Vergleich zur englischsprachigen Lernerlexikographie auf (vgl. hierzu GötzVotteler/Herbst 2009: 49f.), dass die Formulierung von Definitionen sich sehr an den lexikographischen Traditionen (in Form von genus proximum und differentia specifica) orientiert. Obwohl Kühn dies bereits bei der ersten Auflage des LGWDAF kritisieren musste, hat sich auch bei neueren Lernerwörterbüchern an diesem Umstand kaum etwas geändert: Die Wörterbuchschreibung des Deutschen ist weithin immer noch eher an der Wörterbuchtradition als an neuen, benutzer- und benutzungsorientierten Wörterbuchkonzepten orientiert. (Kühn 1998: 34)
–
Mediostruktur: Ein komplexes Verweissystem (etwa mittels eines Thesaurus bzw. mit Angaben wie „Other ways of saying XX“) – wie es in aktuellen Auflagen englischsprachiger Lernerwörterbücher zu finden ist –, hat sich in den deutschsprachigen Produkten (noch) nicht etablieren können.
Erst mit dem Erscheinen der ersten einsprachigen Lernerwörterbücher kann auch die metalexikographische Auseinandersetzung mit diesen Werken einsetzen, wobei Aspekte der elektronischen Lernerlexikographie bislang erst wenig Eingang in die Diskussion gefunden haben. So sind in den beiden von Herbert Ernst Wiegand herausgegebenen Sammelbänden zu Perspektiven der pädagogischen Lexikographie keine Untersuchungen zu den digitalisierten Ausgaben der Wörterbücher enthalten, was sich leicht durch die allzu starke Parallelität zwischen gedruckten und elektronischen Ausgaben erklären lässt. Vergleicht man das Angebot an elektronischen Lernerwörterbüchern im englisch- und deutschsprachigen Raum, fällt auf, dass alle großen englischen Lernerwörterbücher neben anderen elektronischen Publikationsformen (CD-ROM, DVD, App) auch einen Online-Zugriff anbieten, während die Verlage der deutschsprachigen Lernerwörterbücher bislang hauptsächlich auf Publikationsmedien wie DVD, CD-ROM oder E-Book setzen. Einzig der Pons-Verlag bietet auch eine Online-Version eines Lernerwörterbuchs an. Während jedoch die elektronischen Ausgaben englischsprachiger Lernerwörterbücher zusätzliche Inhalte umfassen oder weitere Funktionen anbieten95, können
|| 95 Zum Stand der elektronischen Lernerlexikographie vgl. Götz-Votteler und Herbst: „As a result, these CD/DVD-ROMS can be said to be valuable reference tools for the foreign language learner.“ (Götz-Votteler/Herbst 2009: 62). Allerdings unterscheiden Götz-Votteler und Herbst auch zwischen für den Spracherwerb nützlichen Zusatzinformationen und „additional gimmicks“: „So when it comes to evaluating electronic dictionaries a distinction has to be made between, on the one hand, those features that improve the offer of information relevant to the linguistic needs of the learner, like e.g. extra information on collocations, onomasiological elements, pronunciation, and perhaps
210 | Status Quo der Lernerlexikographie
die deutschsprachigen Lernerwörterbücher die Mehrwerte einer elektronischen Publikation (noch) nicht in ausreichendem Maß nutzen. Lediglich erweiterte Suchfunktionen bzw. interaktive Tools (wie z.B. das Anlegen eigener Verknüpfungen und Notizen im Benutzerinterface des Langenscheidt-Verlags) werden implementiert. Ebenso ließen sich im digitalen Medium die systematische Einbindung von Illustrationen sowie der Ausbau der Mediostruktur besser realisieren. Gerade die Aufbereitung lexikographischer Angaben für elektronische Ausgaben birgt ein großes Potenzial – speziell für Lernerwörterbücher.
|| on culture-specific terms. It clearly has to be acknowledged that in this category all of the electronic versions have been much improved and can be said to have reached quite a high standard. On the other hand, there are a large number of other functions which one could call additional gimmicks.“ (Götz-Votteler/Herbst 2009: 63).
7 Wörterbuchbenutzungsforschung: Wie benutzen fortgeschrittene Lernende Wörterbücher? Die Lexikographie muß nähere Bekanntschaft mit dem vorausgesetzten Benutzer suchen; er soll nicht länger der bekannte Unbekannte bleiben. (Wiegand 1977: 62)
Die frühzeitige Erstellung von Wortsammlungen und später Wörterbüchern lässt das große Bedürfnis der Benutzer nach (mehrsprachigen) Nachschlagewerken deutlich erkennen (vgl. Kapitel 3.1). Seitdem jedoch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Wörterbüchern eingesetzt hat (vgl. Kapitel 6.4.3.), stehen vor allem die lexikographischen Produkte im Zentrum der Forschung, nicht jedoch die Benutzer, die lange Zeit zu den „bekannte[n] Unbekannte[n]“ (Wiegand 1977: 62) bzw. zu den „unbekannte[n] Wesen“ (Kühn/Püschel 1982: 129) gehören. Das Fehlen von Informationen zu Wörterbuchbenutzern und -benutzungssituationen1 hat zur Konsequenz, dass die Verfasser lexikographischer Werke über die spätere Nutzung ihrer Wörterbücher nur spekulieren können. Die wohl amüsanteste Vermutung darüber, wie das eigene Wörterbuch benutzt werden könnte bzw. sollte, ist die von Jacob Grimm im Vorwort des DWB skizzierte Wörterbuchbenutzungssituation: fände bei den leuten die einfache kost der heimischen sprache eingang, so könnte das wörterbuch zum hausbedarf, und mit verlangen, oft mit andacht gelesen werden. warum sollte sich nicht der vater ein paar wörter ausheben und sie abends mit den knaben durchgehend zugleich ihre sprachgabe prüfen und die eigne anfrischen? die mutter würde gern zuhören. frauen, mit ihrem gesunden mutterwitz und im gedächtnis gute sprüche bewahrend, tragen oft wahre begierde ihr unverdorbnes sprachgefühl zu üben, vor die kisten und kasten zu treten, aus denen wie gefaltete leinwand lautere wörter ihnen entgegen quellen: ein wort, ein reim führt dann auf andere und sie kehren öfter zurück und heben den deckel von neuem. (Grimm 1854: XIIf.)
Nicht nur die Verfasser, auch die Verleger sind bis in die 1980er Jahre hauptsächlich auf Vermutungen über die tatsächliche Nutzung ihrer Produkte angewiesen; allein Rezensionen von Benutzern bzw. Sprachwissenschaftlern oder Lexikographen geben Anhaltspunkte darüber, ob sich die Werke für den intendierten Zweck eignen und wie diese genutzt werden (können). Der späte Zeitpunkt, zu dem in Wörterbuchverlagen Marktforschung initiiert wird und auf diese Weise Informationen zu den Käufern bzw. Benutzern gesammelt
|| 1 Im Rahmen seines handlungstheoretischen Ansatzes, welcher die Grundlage für seine Theorie der Wörterbuchbenutzungsforschung bildet, definiert Wiegand den Begriff ‚Wörterbuchbenutzungssituation‘: Diese liege dann vor, „wenn eine Person dabei ist, ein Exemplar eines Wörterbuchs kommunikativ zu benutzen .“ (Wiegand 1998b: 825).
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werden, legt nahe, dass das Interesse an Erhebungen zu deren Nutzung bis zu diesem Zeitpunkt sehr gering ist (vgl. auch Engelberg/Lemnitzer 2009: 83). Noch 1987 fehlen – nicht nur im deutschsprachigen Raum – empirisch erhobene Daten zur Wörterbuchbenutzung und zu Benutzergruppen, wie Schaeder in seiner Darstellung der Germanistischen Lexikographie konstatieren muss: Wenn hier von Nutzen gesprochen wird, dann kann das im Hinblick auf Wörterbücher derzeit nur ‚den potentiellen Nutzen‘ meinen, weil wir bisher keine gesicherten Erkenntnisse über den tatsächlichen Nutzen besitzen, den ihre Benutzung Nutzern bringt bzw. gebracht hat. (Schaeder 1987: 73)
Erst die Durchführung von Benutzer-Befragungen durch Lexikographen – beginnend 1962 mit der Umfrage von Clarence L. Barnhart2 – sowie die Erstellung benutzergruppenspezifischer Wörterbücher hat auch bei den Verlagen das Interesse an Erhebungen zu den Bedürfnissen und -wünschen der Käufer bzw. Benutzer geweckt (vgl. Hartmann 1989b: 106). Seither werden die Ergebnisse der Wörterbuchbenutzungsforschung auch von der (Buch-)Marktforschung interessiert zur Kenntnis genommen3 (vgl. Wiegand 1998b: 264). Bereits Barnhart hatte bei der Publikation seiner Studie auf mögliche Folgen seiner Wörterbuchbenutzungsstudie für das Verlagswesen hingewiesen, da mit den Informationen zu den Benutzern auch Informationen zu den Käufern gegeben seien: „The editor’s very first concern, therefore, must be to determine the probable buyer of a particular book.“ (Barnhart, zitiert nach Dolezal/McCreary 1999: XII). Der Widerspruch zwischen dem offensichtlichen Nutzen von Studien zur Wörterbuchbenutzung und dem Umstand, dass diese Studien erst sehr spät durchgeführt werden, kann im Rückblick nur festgestellt, jedoch nicht überzeugend erklärt werden: „While it seems to be uncontroversial to claim that the study of dictionary
|| 2 Barnhart befragte 1955 insgesamt 108 Lehrende an 99 Colleges in den USA danach, wie deren Schüler allgemeine Wörterbücher nutzen und welche Angaben für diese Benutzergruppe besonders relevant seien. Die Ergebnisse dieser Befragung trug Barnhart 1960 im Rahmen der „Lexicography Conference“ an der Indiana University vor und publizierte sie in dem 1962 erschienenen Tagungssammelband (vgl. Hartmann 1987: 12f., Diab 1990: 21). 3 Wiegand und Ripfel betonen in diesem Zusammenhang, wie wichtig es sei, dass die Wörterbuchbenutzungsforschung unabhängig von marktwirtschaftlichen Motiven bleibe: „Von Anfang an ist [die empirische Wörterbuchbenutzungsforschung, MR] mit der Buchmarktforschung mehr oder weniger eng verknüpft. […] Daß Ergebnisse der Benutzungsforschung von Wörterbuchverlagen für Marktüberlegungen fruchtbar gemacht werden, ist weder ein Nachteil noch läßt es sich vermeiden. Daß aber die Benutzungsforschung nur von denjenigen betrieben oder initiiert wird, die aus dem Verkauf von Wörterbüchern einen ökonomischen Nutzen ziehen, sollte möglichst verhindert werden, da dann wahrscheinlich eine Reihe von interessanten wissenschaftlichen Fragestellungen kaum ausreichend Berücksichtigung finden wird.“ (Ripfel/Wiegand 1988: 513).
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users will improve the quality of dictionaries, such a claim was not fully recognised until a couple of decades ago.” (Tono 2001: 8). Ein möglicher Grund für die späte Erhebung der Benutzerbedürfnisse könnte in dem außerordentlich guten Absatz von Wörterbüchern4 – insbesondere von normativ ausgerichteten Nachschlagewerken – zu finden sein; ein weiterer Grund könnte der lange Zeit unanfechtbare Status der Wörterbücher als Autoritäten in Sprachfragen bilden, bei dem die Nutzer kein Mitspracherecht hatten, wie Tono mit Verweis auf Béjoint anführt (vgl. Tono 2001: 8). Bis zu den ersten (empirischen) Studien spaltet sich die Wörterbuchlandschaft – gemessen an der Übereinstimmung zwischen der lexikographischen Konzeption und den Benutzerbedürfnissen bzw. der tatsächlichen Nutzung – in zwei Gruppen: – Bei Spezialwörterbüchern, welche die Bedürfnisse der Benutzer bereits durch die Lemmaauswahl bzw. die Form der lexikographischen Beschreibung berücksichtigen, stellt sich die Frage nach der Benutzergruppe und der wirklichen Nutzung nicht so deutlich wie bei allgemeinen Wörterbüchern. Dies zeigt auch ein Blick in die Entwicklung der Spezialwörterbücher5:
|| 4 Dass der gute Absatz von Wörterbüchern lange Zeit eine fundierte Wörterbuchbenutzungsforschung verhindert, wird bereits bei dem ersten allgemeinen Wörterbuch der (hoch-)deutschen Sprache deutlich. Nachdem die Herausgeber in ihrer Vorrede zu Johann Christoph Adelungs Versuch eines vollständigen Grammatisch-kritischen Wörterbuchs der Hochdeutschen Mundart zunächst die Benutzergruppe in auch heute noch vertraut vager Beschreibung angeben – „nicht nur dem Erzieher, Gelehrten und Geschäftsmanne, sondern überhaupt einem jeden, der nicht bey den meisten Wörtern Gefahr laufen will, sie falsch zu schreiben oder anzuwenden“ – , weisen sie explizit auf die guten Verkaufszahlen des Wörterbuchs (in zweiter Auflage) hin – und sehen darin die Bestätigung dafür, dass das Wörterbuch den Wünschen und Bedürfnissen der Benutzer entgegenkommt: „Wie sehr wir hierdurch dem Wunsche des Publicums entgegen gekommen seyn, davon gibt uns die große Menge der Abnehmer den sprechendsten Beweis.“ (vgl. Adelung online). Obwohl aktuelle Daten zu den Longsellern des Buchhandels fehlen und die Verkaufszahlen des Dudens „eines der bestgehütesten Geheimnisse des Mannheimer Verlags“ (vgl. Sauer 1988: 5) sind, wird Mitte der 1990er Jahre durch den sog. „Libri-Index“, einer Übersicht des Grossisten Lingenbrink (heute: libri.de), publik, dass der Rechtschreib-Duden, Die deutsche Rechtschreibung von Wahrig sowie das Langenscheidt Universalwörterbuch Englisch zu den bestverkauften Büchern überhaupt gehören (vgl. Focus-Artikel). 5 Die Berücksichtigung der Benutzerbedürfnisse sowie der Zielgruppe ist bei Spezialwörterbüchern in vielen Fällen bereits durch den Titel ersichtlich, welcher häufig den Nutzungszweck bzw. die Benutzergruppe explizit nennt: Historische Beispiele sind etwa Lorenz Fries’ deutsch-lateinisches Nachschlagewerk Synonima und gerecht Auslegung der wörter, so man dan in der Artzny, allen Krütern, Wurtzlen, Blumen, Samen… zu schreiben ist (1519) (vgl. Klein 1999: 1918) oder J. F. Roths Gemeinnütziges Lexikon für Leser aller Klassen, besonders für Unstudierte (1791) (vgl. auch HaßZumkehr 2001: 315), aktuelle Beispiele etwa das Botanische Wörterbuch für Gärtner und Floristen von
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Die These vom Zusammenhang von Benutzerbedürfnis und Bedürfnisbefriedigung durch Spezialwörterbücher kann die Geschichte der deutschen Lexikographie bestätigen, da der Anfang der deutschen Wörterbuchschreibung nicht durch die empirische Untersuchung von Benutzerbedürfnissen gelenkt worden ist, sondern aus den real existierenden verschiedenartigen Bedürfnissen einzelner Gruppen von Sprachteilhabern wildwüchsig sich entwickelt hat. (Kühn/Püschel 1982: 129f.)
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Die Benutzungsmöglichkeiten allgemeiner Wörterbücher scheinen dagegen von den Benutzern zum einen durch die Vielzahl der Angabeklassen und zum anderen durch die vagen Angaben zu Benutzungssituationen nicht erkannt zu werden (vgl. Püschel 1989: 128). Gerade die Vorwörter bieten in diesem Zusammenhang auch keinerlei Hilfestellung: Püschel kritisiert daher auch „die stereotypen Hinweise […], denen zufolge das Wörterbuch für Einheimische wie für Ausländer gemacht ist, ein unentbehrlicher Ratgeber für den nachschlagenden Jedermann in allen Lebenslagen.“ (Püschel 1989: 128). Da sich Benutzer, die in ihrer Erstsprache nur selten ein unmittelbares Informations- und Nachschlagebedürfnis haben, auch nicht näher mit allgemeinen Wörterbüchern beschäftigen, ist der Umfang der lexikographischen Informationen, die ein allgemeines Wörterbuch beinhaltet, häufig unbekannt6. Selbst Germanisten sind sich dessen nur selten bewusst, wie die Wörterbuchbenutzungsstudie Der Duden reicht mir zum Wörterbuchgebrauch von Deutschlehrenden zeigt (vgl. Kühn/ Püschel 1982).
Im deutschsprachigen Raum erkennt Wiegand als erster in den 1970er Jahren das Fehlen von Informationen zur Wörterbuchbenutzung als „aktuelle[s] Problem[…]“7, stuft die Erhebung von detaillierten Daten zu Benutzern und Benutzungssituationen als „Voraussetzung[…] für die Praxis der Lexikographie“ (Wiegand 1977: 57) ein und stellt erstmals die nicht nur in Deutschland beachtete Frage nach den wirklichen Benutzerbedürfnissen – aber auch nach den Kenntnissen, über welche die Benutzer
|| Hans Jessen und Helmut Schulze oder Fehlerfrei schreiben. Wörterbuch für die Schule von Diethard Lübke. 6 Die fehlende Eingrenzung des Benutzungszwecks sowie der Benutzergruppe bei einsprachigen (allgemeinen) Wörterbüchern wird auch von Ickler in Hinblick auf die davon abhängigen konzeptionellen Entscheidungen scharf kritisiert: „Daß über Inhalt und Darstellungsform eines Wörterbuchs nur entschieden werden kann, wenn man genauere Vorstellungen über den Benutzerkreis und seine Bedürfnisse hat, versteht sich eigentlich von selbst. Doch erst in neuerer Zeit wird ernsthaft darüber nachgedacht, und die empirische Forschung hat gerade erst begonnen. So mag es sich erklären, daß insbesondere einsprachige Wörterbücher, bei aller Sorgfalt im einzelnen, als Ganzes nicht selten in ein Niemandsland hinein geschrieben zu sein scheinen.“ (Ickler 1985: 358). 7 Der Beitrag ist unter dem Titel Nachdenken über Wörterbücher: Aktuelle Probleme veröffentlicht worden.
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verfügen müssen, um Angaben im Wörterbuch interpretieren und nutzen zu können: Welche sprachlichen Fähigkeiten, Kenntnisse über seine Sprache und sprachkommunikative Erfahrung B [gemeint ist ‚der Wörterbuchbenutzer‘, MR] im Einzelnen haben muss, um bestimmte Teile von Wörterbucheinträgen angemessen verstehen zu können, ist eine äußerst komplexe Frage, mit der sich allerdings Lexikographen und Lexikologen weder in interessanter noch in systematisch und expliziter Weise befasst haben. Hier ist eine jener Hinsichten, in denen uns Wörterbuchbenutzer unbekannt sind. (Wiegand 1977: 60)
Für die Etablierung der Wörterbuchbenutzungsforschung in den 1980er Jahren sowie deren Gleichstellung mit den anderen Subdisziplinen der Metalexikographie – der kritischen, der historischen und der systematischen Wörterbuchforschung – sind insbesondere zwei Entwicklungen wichtig: – Zum einen kann sich die (Meta-)Lexikographie selbst als eigenständiger Teilbereich der Linguistik durch zahlreiche Kongresse (z.B. EURALEX) und Publikationsreihen (z.B. Lexicographica oder dem International Journal of Lexicography) etablieren8, wobei auch die Wörterbuchbenutzungsforschung einen anderen Status erhält. – Zum anderen belegen verschiedene Befragungen, dass die intendierte von der tatsächlichen Nutzung der Wörterbücher stark abweicht (z.B. Kühn/Püschel 1982); weitere Erhebungen zum Gebrauch von Wörterbüchern werden nun mit Nachdruck gefordert – sowohl von Verlagen wie auch von (Meta-)Lexikographen. In diesem Rahmen ergänzt die Wörterbuchbenutzungsforschung als jüngstes Forschungsgebiet9 die anderen metalexikographischen Teilbereiche (vgl. Wiegand 1998b: 259) und hat sich seither – so konstatiert Gouws in einem vorläufigen Rückblick auf die Wiegand-Ära10 – neben dem Bereich, der sich mit der Erforschung und Systematisierung von Wörterbuchstrukturen beschäftigt, zur wichtigsten Subdisziplin entwickelt (vgl. Gouws 2005: 169).
|| 8 Zur Entwicklungen der Lexikographie seit den 1980er Jahren vgl. Kapitel 6.4.3. 9 Sowohl Hartmann als auch Wiegand setzen den Beginn der Wörterbuchbenutzungsforschung mit der Publikation des Aufsatzes Problems in editing commercial monolingual dictionaries von Clarence L. Barnhart gleich: „Das jüngste Forschungsgebiet der Wörterbuchforschung ist die Wörterbuchbenutzungsforschung; läßt man sie mit BARNHART (1967) beginnen, dann ist sie Mitte der 90er Jahre ca. 30 Jahre alt.“ (Wiegand 1998b: 1026). Uneinigkeit besteht allerdings darin, wann der Sammelbandartikel publiziert worden ist: Während Hartmann 1962 angibt, nennt Wiegand das Jahr 1967, wobei diese Ausgabe bereits ein Nachdruck ist. 10 Als „Wiegand-Ära“ bezeichnet Gouws den Zeitraum zwischen den 1980er Jahren und dem Beginn des 21. Jahrhunderts, welcher durch die Arbeiten Herbert Ernst Wiegands „[d]ominierend beeinflusst“ (Gouws 2005: 166) werde.
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Obwohl Wörterbuchbenutzungsforschung für alle Wörterbuchtypen von großer Bedeutung ist, können gerade benutzergruppenorientierte Wörterbücher in besonderer Weise von den Forschungsergebnissen profitieren. Daher ist es zu begrüßen, dass insbesondere bei Lernerwörterbüchern die Benutzerbedürfnisse und -erwartungen durch zahlreiche Erhebungen ermittelt worden sind – ein Umstand, den Wiegand vor dem Hintergrund fehlender Studien zu anderen Bereichen der Wörterbuchbenutzung kritisiert: Obwohl sich wenigstens vier verschieden strukturierte Untersuchungsbereiche deutlich unterscheiden, nämlich die Wörterbuchbenutzung durch Laien, die durch Wissenschaftler, die durch Lexikographen und die Wörterbuchbenutzung bei der Wörterbuchkritik, zielten die gegenwartsbezogenen empirischen Untersuchungen bisher schwerpunktmäßig auf eine spezifische Laiengruppe, nämlich die Lerner einer Fremdsprache. (Wiegand 1998b: 1026)
In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Metalexikographie bemüht, den von Wiegand in zahlreichen Publikationen aufgeworfenen Fragen zur Wörterbuchbenutzung nachzugehen: Auf folgende Fragen soll die Benutzungsforschung empirisch abgesicherte Antworten liefern: (a) Wer benutzt (b) auf welche Weise (c) unter welchen äußeren Umständen (d) zu welchem Zeitpunkt (e) für welche Dauer (f) an welchem Ort (g) warum (h) aus welchem Anlaß (i) mit welchem Ziel (j) mit welchem Erfolg und (k) mit welchen Konsequenzen ein Wörterbuch? (Schaeder 1987: 152, vgl. auch Wiegand 1987: 192f.)
Obwohl die Zahl der Wörterbuchbenutzungsstudien erfreulicherweise weiter steigt und somit immer mehr Erkenntnisse über verschiedene Benutzergruppen und einzelne Nachschlagehandlungen gewonnen werden, wird dennoch die Aussagekraft und Qualität der Studien z.T. kritisch bewertet: So beanstandet Wiegand 1998 in seiner Monographie zur Wörterbuchforschung, dass bislang nur eine „relativ unstrukturierte[…] Menge von mehr oder weniger isoliert stehenden Einzelergebnissen“ (Wiegand 1998b: 1027) vorliege, die für spezifische Probandengruppen gelten, aber nicht verallgemeinerbar seien. Engelberg und Lemnitzer können in ihrer 2009 überarbeiteten Überblicksdarstellung zur Wörterbuchbenutzung dagegen einige – wenn auch sehr allgemeine – Trends aufführen: Zum einen bestehe eine generelle Unzufriedenheit der Benutzer mit ihren (Print-) Wörterbüchern, zum anderen steche auch die Unfähigkeit der Benutzer hervor, das adäquate Wörterbuch auszuwählen und dessen Angaben richtig zu interpretieren und zu nutzen (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 86). Bestätigungen für diese Erkenntnisse finden sich in zahlreichen Studien, von denen die meisten in den letzten beiden Jahrzehnten durchgeführt worden sind (vgl. Lew 2011: 1). Obwohl sich die Wörterbuchbenutzungsforschung innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums etablieren und in zahlreichen Studien Ergebnisse vorlegen konnte, sind Studien zum Wörterbuchgebrauch auch weiterhin dringend notwendig, um
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Erfolg oder Misserfolg einer Nachschlagehandlung verstehen und die Bedürfnisse der Benutzer durch verbesserte Angebote befriedigen zu können: The studies included here show over and over again that expert opinion, intuition, or purely deductive reasoning cannot replace solid empirical evidence from user studies: dictionary use is just too complex an affair to be that predictable. (Lew 2011: 3)
In der Wörterbuchbenutzungsforschung werden nicht nur die Ergebnisse der Benutzungsstudien diskutiert – auch die Beschäftigung mit der Frage, mit welchen Methoden die Studien durchgeführt werden sollen, ist ein wesentlicher Teil der Forschung, da erst durch geeignete Methoden und entsprechende Auswertungsverfahren den gewonnenen Erkenntnissen die entsprechende Aussagekraft zukommt. Im Folgenden sollen daher nicht nur die Ergebnisse der vorliegenden Studien vorgestellt, sondern auch ein Überblick über die in der Wörterbuchbenutzungsforschung angewandten Methoden gegeben werden, um auf dieser Grundlage in der nachfolgenden Darstellung die empirischen Studien zum Wörterbuchgebrauch Fremdsprachenlernender entsprechend einordnen und bewerten zu können. Im Anschluss sollen von den zahlreichen Benutzungsstudien zum Wörterbuchgebrauch (vgl. dazu die Überblicksdarstellungen bei Dolezal/McCreary, Wiegand und Welker11) solche berücksichtigt werden, die sich 1. speziell mit der Wörterbuchbenutzung von DaF-Lernenden bzw. 2. mit der Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachenlernenden beschäftigen. Da gerade zum Wörterbuchgebrauch von Fremdsprachenlernenden zahlreiche Erhebungen durchgeführt worden sind, soll sich hier die Auswahl besonders auf solche konzentrieren, welche Aussagen zum Wörterbuchgebrauch fortgeschrittener Fremdsprachenlernender machen. Bei der folgenden Darstellung scheint die besondere Beachtung der Wörterbuchbenutzungsforschung in englischsprachigen Ländern insofern sinnvoll, da sich Lexikographen aufgrund der außerordentlich hohen Zahl an Englischlernenden intensiv damit beschäftigt haben, wie diese allgemeine einsprachige Wörterbücher
|| 11 1996 umfasst die kommentierte Bibliographie von Fredric Dolezal und Don R. McCreary 178 Studien zur Wörterbuchbenutzung (Language Learners and Dictionary Users: Commentary and an Annotated Bibliography), 1999 haben sie ihre Bibliographie erweitert; der Lexicographica-Band Pedagogical Lexicography Today. A Critical Bibliography on Learners’ Dictionaries with Special Emphasis on Language Learners and Dictionary Users umfasst insgesamt 521 Studien. Herbert Ernst Wiegand hat 2006/2007 eine Internationale Bibliographie zur germanistischen Lexikographie und Wörterbuchforschung herausgegeben, welche auch zahlreiche Studien zur Wörterbuchbenutzung umfasst. Die neueste Bibliographie von Wörterbuchbenutzungsstudien hat Herbert Welker 2010 erstellt; sie umfasst insgesamt 320 Studien.
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sowie Lernerwörterbücher benutzen und welche Inhalte oder Strukturen verbessert werden sollten (vgl. auch die Entwicklung der Lernerlexikographie in Großbritannien, Kapitel 6.4.1). Da das erste DaF-Lernerwörterbuch erst 1993 erschien, ist die Zahl der Studien im deutschsprachigen Raum bzw. mit Deutschlernenden im Ausland nicht vergleichbar mit der des anglo-amerikanischen Raums. Zum Wörterbuchgebrauch von DaF-Lernenden liegen aber nicht nur empirische Daten, sondern auch Beobachtungen von DaF-Lehrenden vor, die auf praktischer Unterrichtserfahrung basieren; auch diese sollen bei dieser Darstellung berücksichtigt werden. Im Anschluss an die Vorstellung und kritische Würdigung der vorhandenen Studien soll die Frage beantwortet werden, aus welchem Benutzungsanlass, mit welchen Zielen und mit welchem Erfolg Fremdsprachenlernende (Lerner-)Wörterbücher benutzen – und ob das Lernen von Wortschatz ggf. durch Wörterbuchbenutzung unterstützt werden kann.
7.1 Methoden der Wörterbuchbenutzungsforschung Die Wörterbuchbenutzungsforschung ist seit den ersten Studien zum Wörterbuchgebrauch in den 1960er und besonders seit ihrer endgültigen Etablierung in den 1980er Jahren nicht nur geprägt durch Diskussionen um die Interpretation der erhobenen Daten, sondern auch durch die Suche nach geeigneten Methoden bzw. nach den notwendigen Anforderungen, die an Erhebungen und Auswertungen zu stellen sind. Dass diese methodologische Diskussion dringend nötig ist, belegt Hartmann in seiner rückblickenden Darstellung12: Bis in die 1960er Jahre bestehen Publikationen zum Wörterbuchgebrauch und zur Eignung lexikographischer Nachschlagewerke für mehr oder minder definierte Benutzergruppen hauptsächlich aus Rezensionen, Vergleichsstudien oder Auswertungen von Fragebogenerhebungen, welche indirekt den Wörterbuchgebrauch bestimmter Benutzergruppen erfassen. Erst in den 1970er Jahren wird das methodische Spektrum erweitert und damit das Ergebnis der Studien aussagekräftiger: More sophisticated research instruments involving sampling and surveying began to replace personal opinion and indirect observation in the late 1960’s and early 1970’s. (Hartmann 1989b: 107)
Diese erste Phase der Wörterbuchbenutzungsforschung, in welcher Methoden der empirischen Sozialwissenschaft noch nicht angewandt werden, wird in anglo|| 12 Zur methodologischen Entwicklung vgl. auch Tono 2001: 62ff..
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amerikanischen und europäischen Darstellungen unterschiedlich beurteilt: Hartmann klassifiziert – wie auch Fredric Dolezal und Don R. McCreary – die Rezensionen Einzelner zur (individuellen) Wörterbuchbenutzung bzw. wörterbuchvergleichende Publikationen als Fallbeispiele und somit als einfachste Methode der Wörterbuchbenutzungsforschung (engl. ‚dictionary user research‘13, Dolezal/ McCreary 1999: IX), mit dem Einwand, dass die Studien keine oder zu wenig empirische Daten enthalten und somit nur wenig aussagekräftig seien (vgl. Hartmann 1987: 27): „the bottom rung in the hierarchy of scholarly methodology“ (Hartmann 1989b: 106). Dagegen werden nach dem aktuellen Verständnis der Wörterbuchbenutzungsforschung Wiegandscher Prägung, welche sich zwingend auf empirische Daten stützt (vgl. Wiegand 1998b: 1028f.), Rezensionen, Kritiken zu einzelnen Wörterbüchern und wörterbuchvergleichende Analysen nicht als Fallbeispiele gewertet (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 83ff.) – entsprechende Publikationen können als Teil der Wörterbuchkritik nur Anhaltspunkte für mögliche Fragestellungen liefern. Den frühen Publikationen zu Wörterbuchbenutzung und -benutzern folgen im Rahmen einer sich etablierenden Wörterbuchbenutzungsforschung Studien, die ausgereiftere Methoden zur Datenerhebung nutzen: zunächst Erhebungen mit indirekten Aussagen über Wörterbuchbenutzer (z.B. die Befragung von Lehrenden in der Studie von Barnhart14), dann Fragebogenerhebungen, direkte Beobachtungen15 und kontrollierte Experimente, letztere „most ambitious and complex“ (Hartmann 1989b: 109). || 13 In dem von Hartmann und James herausgegebenen Dictionary of Lexicography wird ‚user research‘ definiert als „collective term for a number of methods employed to investigate the reference needs and reference skills of users of reference works. The user perspective is still a relatively underdeveloped specialisation in lexicography requiring an interdisciplinary approach and a combination of techniques ranging from relatively large-scale (but indirect) opinion polls and questionnaire surveys to more objective (but small-scale) tests and think-aloud protocols. Relevant findings are likely to influence dictionary-making and user education.” (Hartmann/James 1998: 152). Bemerkenswert ist hierbei, dass Hartmann zu diesem Zeitpunkt Fallbeispiele („personal and public opinion“, Hartmann 1989b: 106) nicht mehr als Wörterbuchbenutzungsstudien wertet. 14 Trotz der systematischen Befragungsweise wurde auch Kritik an Barnharts Studie geäußert: Sie stütze sich auf die Auswertung einer relativ kleinen Zahl von Fragebögen und sei zudem auf indirekte Aussagen ausgerichtet (vgl. dazu auch Battenburg 1991: 80). Diab kommt trotz dieser Kritik zu einer insgesamt positiven Beurteilung der ersten Benutzerstudie: “Nonetheless, such criticisms should by no means be taken to underestimate the valuable contribution of Barnhart. It was the earliest attempt to provide quantitative data on functions of the dictionary taking the userperspective as an approach. The real value of Barnhart’s survey was its bringing into sharp focus a new and a very significant criterion to lexicography viz., the user-perspective.” (Diab 1990: 22). 15 Unter ‚direkter Beobachtung‘ versteht man die audio-visuelle Aufnahme des Wörterbuchbenutzers während der Nachschlagehandlung, welche im Anschluss verschriftlicht und ausgewertet wird (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 84 und Zöfgen 1994a: 46). Die direkte Beobachtung wird häufig verbunden mit einem Think-Aloud-Protokoll (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 84).
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Die chronologische Entwicklung ist nach Hartmanns Verständnis durchaus als methodologische Verfeinerung bzw. als Weg nach oben in der methodologischen Hierarchie zu verstehen (vgl. Hartmann 1989b: 107f.). Trotz dieser Verbesserungen genügen die Methoden der Studien dennoch lange Zeit nicht den Kriterien16, die an aktuelle Wörterbuchbenutzungsstudien gestellt werden müssen (vgl. Schaeder 1987: 74 und Wiegand 1998b: 568) und die sich auf Vorgaben stützen, die in der empirischen Sozialforschung und der Statistik entwickelt worden sind (vgl. Wiegand 1998b: 263). So können Dolezal und McCreary in ihrer kommentierten Bibliographie aus dem Jahr 1996 zwar insgesamt 178 Studien zum Wörterbuchgebrauch Fremdsprachenlernender aufführen – allerdings entspricht ihrer Einschätzung nach nur eine Minderheit den notwendigen Anforderungen – „controlled and replicable“: „[H]owever, there does not seem to be a substantial number of controlled and replicable studies on the interaction between language learners and their dictionaries.” (Dolezal/McCreary 1996: 125). Trotz der berechtigten Kritik an den Zielsetzungen und Methoden mancher Studien muss jedoch auch angemerkt werden, dass 73 der aufgeführten 178 Studien als Fallbeispiele dem Bereich Wörterbuchkritik zuzurechnen sind – „these are generally intuitive in content and are usually written by practicing lexicographers“ (Dolezal/ McCreary 1996: 125f) –, weitere 29 Publikationen sind vergleichende und 12 weitere kulturvergleichende Studien. Die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Lernenden werden in insgesamt 26 Studien erhoben, sodass lediglich max. 32 Studien17 in den Bereich fallen, der heute als „Wörterbuchbenutzungsforschung“ bezeichnet werden kann (vgl. Dolezal/McCreary 1996: 125f.). Auch Ripfel und Wiegand sowie Hartmann thematisieren und kritisieren die Qualität der in den 1980er Jahren vorliegenden Studien und kommen hinsichtlich Repräsentativität und Aussagekraft zu keinem positiven Ergebnis: Sie seien entweder in einem zu kleinen Maßstab durchgeführt – und damit nicht repräsentativ für die jeweilige Benutzergruppe – oder die Ergebnisse seien nicht miteinander vergleichbar, da die Auswertungen z.T. noch nicht einmal den Mindestanforderungen
|| 16 Vgl. dazu Schaeder: „Die Untersuchungen, die bisher schon über Benutzer und die Benutzung von Wörterbüchern angestellt wurden, genügen – so verdienstvoll sie auch sind – nicht den Anforderungen, die an eine solide empirische Benutzerforschung zu stellen sind.“ (Schaeder 1987: 74). 17 19 der 32 Studien beinhalten zwar Befragungen von Lernenden bzw. Erhebungen zu deren Bedürfnissen, gehen jedoch nicht nach den Vorgaben der empirischen Sozialforschung vor. Lediglich 13 von 178 Studien erfüllen auch dieses Kriterium: „The thirteen studies that we have found are motivated by a sense of dissatisfaction with intuitive and anecdotal approaches, no matter that the intuitions and anecdotes may be sound and utilitarian.” (Dolezal/McCreary 1996: 126). 172 der 178 Studien werden damit einer thematischen und/oder methodischen Kategorie zugeordnet; offen bleibt, wie die Verfasser die restlichen 6 Studien einordnen.
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an empirische Erhebungen genügen18 (vgl. Hartmann 1987: 27, Ripfel/Wiegand 1988: 496). Wissenschaftliche Studien, welche die in den Sozialwissenschaften entwickelten Grundlagen nutzen, seien dringend erforderlich: „The way forward, it seems to me, must be for all of us to encourage and pursue scholarly studies for the benefit of lexicography, the dictionary user, and the language learner.” (Hartmann 1987: 27). Rückblickend fassen Engelberg und Lemnitzer die Kritik an zahlreichen Studien zusammen: Es ist in den 80er und 90er Jahren oft bemängelt worden, dass viele der Arbeiten zur Wörterbuchbenutzung nicht den methodischen Mindeststandards genügen, z. B. in Bezug auf die Wahl und Anzahl der Probanden, das Design der Experimente und die statistische Auswertung (Varianz, Standardabweichung, Signifikanz, etc.) (Lemnitzer/Engelberg 2009: 85f.)
Aktuell reichen die Methoden der Wörterbuchbenutzungsforschung von den klassischen Befragungen (schriftlich oder mündlich) zu direkten Beobachtungen19 und Think-Aloud-Protokollen von Benutzern, welche aufgrund des Wechsels vom Printzum digitalen Wörterbuch durch Log-File-Protokolle ergänzt werden (vgl. Lemnitzer 2001), bis hin zu Benutzungstests und -experimenten. Positiv hervorzuheben ist hierbei, dass in den letzten Jahren technische Entwicklungen die Möglichkeiten der Wörterbuchbenutzungsforschung stark erweitern (vgl. Mann/Schierholz 2014: 5). Eine ausführliche Vorstellung und Diskussion der Methoden findet sich bei Engelberg/Lemnitzer (2009: 84f., vgl. auch Zöfgen 1994b: 39ff. und Tono 2001: 59ff.), Mann/Schierholz (2014) und Müller-Spitzer (2014): – Befragungen (schriftlich/mündlich) – direkte Beobachtungen – Wörterbuchbenutzungsprotokolle – Think-Aloud-Protokolle („Lautdenkprotokolle“) – Benutzungstests – Benutzungsexperimente – Feedback-Formulare – Log-File-Protokolle
|| 18 Hierbei kritisieren Ripfel und Wiegand insbesondere das Vorgehen derjenigen Autoren, die keine Angaben zur statistischen Auswertung oder zur Zahl der Probanden machen (vgl. Ripfel/ Wiegand 1988: 496). 19 Tono, welcher in seiner Darstellung über Research on Dictionary Use in the Context of Foreign Language Learning auch auf die methodische Entwicklung eingeht, weist darauf hin, dass sich die Wörterbuchbenutzungsforschung bis zum Ende der 1980er Jahre darauf beschränkt, Probleme bei der Wörterbuchbenutzung zu identifizieren und den Gebrauch von Wörterbüchern zu beobachten: „The researcher was content to observe and record facts and possibly arrive at some system of classification. Surveys and case studies were primary methods for this stage.” (Tono 2001: 63). Für einen Überblick über die Entwicklung der verschiedenen Methoden in der Wörterbuchbenutzungsforschung vgl. Tono 2001: 64f..
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Eye-Tracking-Studien Anfragen an Sprachberatungsstellen
Gerade Wiegand hat die Entwicklung einer geeigneten Methodologie der Wörterbuchbenutzungsforschung sehr vorangetrieben, da er darin eine zentrale Aufgabe der Benutzungsforschung sieht (vgl. Wiegand 1998b: 568). Als wichtige Orientierung für die Durchführung von Wörterbuchbenutzungsstudien stuft Wiegand die Datenerhebungsmethoden der empirischen Sozialforschung ein, wobei er vier Klassen von Methoden besonders hervorhebt: Beobachtung, Befragung, Experiment/Test und Inhaltsanalyse (vgl. Wiegand 1998b: 569). Bei der Auswertung der Ergebnisse wiederum kann die Statistik als Bezugswissenschaft genutzt werden. Will man die Methodologie eines neuen Forschungsgebietes entwickeln, dann muss dies nicht notwendigerweise bedeuten, dass man sozusagen am ‚methodischen Nullpunkt‘ beginnt. (Wiegand 1998b: 568)
Vor diesem Hintergrund können die oben aufgelisteten Methoden unterteilt werden in solche, die sich auf die empirische Sozialforschung stützen (wie Beobachtung, Befragung, Tests und Experimente), und solche, welche „genuin metalexikographische Methodenkonzepte“ (Wiegand 1998b: 823) enthalten, etwa Befragungen, die Typologien von Wörterbuchbenutzungssituationen berücksichtigen, Wörterbuchbenutzungsprotokolle, mündliche Wörterbuchbenutzungskommentare und Experimente zum Verhältnis von Wörterbuchform und Wörterbuchbenutzung (vgl. Wiegand 1998b: 823). Durch die methodologische Fundierung der Wörterbuchbenutzungsstudien sind die Anforderungen an deren Design weiter gewachsen, werden aber auch zunehmend umgesetzt. Aufgrund des damit einhergehenden wachsenden Aufwandes bei Durchführung und Auswertung muss jedoch auch gefragt werden, wer die Studien in dem geforderten Umfang und in der geforderten Qualität durchführen kann – dies scheint bislang allein in der akademischen Forschung, nicht aber bei Wörterbuchverlagen möglich (vgl. Lemnitzer 2001: 247). Mit den wachsenden Ansprüchen an das Studiendesign hat sich auch die Situation für die Durchführenden verändert: Calls for empirical research create both an incentive and disincentive for studies of users and dictionaries: the need for more research can be clearly documented, but at the same time we see that the attendant call for a rigorous research methodology defeats all but the most energetic scholarly entrepreneurs. (Dolezal/McCreary 1999: XI)
Bei der Wahl der passenden Methode sollten sich die Durchführenden von der jeweiligen Fragestellung leiten lassen: Aufgrund des Arbeitsaufwandes bei Durchführung, Auswertung und Analyse sind qualitative Studien wie Think-Aloud-Protokolle bzw. Wörterbuchbenutzungsprotokolle nur bei Studien mit wenigen Teilnehmenden sinnvoll, die das Ziel haben gezielt einzelne Aspekte der Nachschlagehandlung
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zu untersuchen. Dass qualitative Erhebungen gerade bei der Untersuchung von Lernprozessen besonders wichtig sind, hebt Yukio Tono hervor: Thus I would argue that the in-depth study of the individual dictionary user as part of a smallscale research project can have special value if it is conducted by the researcher in such a way that it reveals micro-concepts such as individual perspectives, personal constructs, and definitions of situations in relation to dictionary use in a particular environment. (Tono 2001: 65)
Dagegen können quantitative Studien (etwa zum Besitz und zur Auswahl von Wörterbüchern) durch schriftliche Befragungen umgesetzt werden, die inzwischen auch gut elektronisch ausgewertet und damit in größerem Umfang durchgeführt werden können. Nicht überraschend ist es daher, dass Befragungen mittels Fragebogen die am meisten genutzte Methode der Wörterbuchbenutzungsforschung sind (vgl. Mann/Schierholz 2014: 22). Studien, welche in größerem Maßstab Informationen zum Umgang mit Wörterbüchern sowie zu den Bedürfnissen der Benutzer erheben, werden auch in Zukunft äußerst wichtig sein, da sich die Metalexikographie nach wie vor mit diesen Fragen beschäftigen muss: Der explizite Benutzerbezug aller lexikographischen Arbeit sowie jeder metalexikographischen Theoriebildung, die ausdrückliche Bezugnahme auf Wörterbuchfunktionen und Wörterbuchstrukturen sind das derzeitige Kennzeichen der theorieorientierten Arbeit im Bereich der Lexikographie und Wörterbuchforschung. Wer in diesem Bereich arbeitet, wird in Zukunft stets an spezifische Benutzergruppen zu denken haben. (Gouws 2005: 172)
Aber nicht nur die Ansprüche an Erhebungen zur Wörterbuchbenutzung haben sich geändert, auch deren Fokus hat sich verschoben: Weniger die Wahl des mehr oder weniger geeigneten Wörterbuchs wird untersucht als einzelne Benutzungshandlungen sowie deren Erfolg bzw. Misserfolg (vgl. Engelberg/Lemnitzer 2009: 86). Einige dieser Ergebnisse, welche die Benutzung von Wörterbüchern durch Fremdsprachenlernende betreffen, sollen im Folgenden vorgestellt werden.
7.2 Wörterbuchbenutzung von fortgeschrittenen Fremdsprachenlernenden Die Bedürfnisse von (fortgeschrittenen) Fremdsprachenlernenden sind in der Wörterbuchbenutzungsforschung besonders intensiv untersucht worden – schließlich
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ist diese Benutzergruppe in besonderer Weise auf Wörterbücher als Hilfsmittel bei der Rezeption und Produktion von fremdsprachlichen Texten20 angewiesen. Umso entscheidender ist es daher, dass die Wörterbücher den Ansprüchen der Benutzer genügen, da positive wie negative Erfahrungen das zukünftige Benutzungsverhalten der Lernenden entscheidend beeinflussen. Ist die Nachschlagehandlung erfolgreich und kann das Wörterbuch die gewünschten Angaben liefern, wird der Lernende auch in Zukunft darin nachschlagen; beinhaltet es dagegen nicht die gesuchte Information, wird der Lernende mit der Zeit eine kritische Einstellung gegenüber Wörterbüchern entwickeln. Verschiedene Wörterbuchbenutzungsstudien konnten in diesem Zusammenhang nachweisen, dass Lernende generell nicht gern in Wörterbüchern nachschlagen (vgl. auch Engelberg/ Lemnitzer 2009: 86f.), wobei als häufigster Grund für diese Einstellung negative Erfahrungen wie die erfolglose Suche nach Informationen genannt werden21: Der Laienbenutzer kann auf die Erfahrung, daß Wörterbücher nicht unbedingt auf seine Nachschlagebedürfnisse abgestimmt sind, in zweierlei Weise reagieren. Entweder er verzichtet völlig auf die Benutzung von Wörterbüchern, oder er arrangiert sich mit ihren Mängeln und Tücken. (Püschel 1989: 130)
Die Intensität, mit der ab den 1970er Jahren die Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachelernenden erforscht wird, kann eindrucksvoll durch den Umfang der von Dolezal und McCreary kommentierten Bibliographie belegt werden: 1999 sind bereits über 500 Publikationen zu diesem Thema erschienen22. Dabei konzentrieren sich die Untersuchungen auf drei grundsätzliche Fragen: Die Wahl des richtigen Wörterbuchtyps, die Wahl des richtigen Wörterbuchs sowie die Erhebung konkreter Bedürfnisse von Fremdsprachenlernenden (z.B. Inhalte, Format und ‚Accessibility‘23): „Studies on the attitudes of selected dictionary users, frequency of use, and user
|| 20 Gerade in der schriftlichen Kommunikation werden Wörterbücher benutzt, während in mündlichen Kommunikationssituationen (etwa bei Lexemfindungsfragen bzw. bei Verständnisschwierigkeiten) seltener bzw. selten auf Wörterbücher zurückgegriffen wird (vgl. Hartmann 1983: 198, Ripfel 1989: 191). 21 Hartmann konnte durch seine Studie zur Wörterbuchbenutzung Deutschlernender in Südengland (1983) nachweisen, dass 92 % der Lernenden gelegentlich (36 %), regelmäßig (29 %) bzw. häufig (27 %) mit ihren Wörterbüchern unzufrieden sind, wobei die erfolglose Suche nach Bedeutungsangaben (76 %) bzw. die erfolglose Suche nach Lexemen (61 %) als Hauptgründe angeführt werden (vgl. Hartmann 1983: 198). 22 Dolezal und McCreary haben allerdings auch Studien aufgenommen, die den Wörterbuchgebrauch im Allgemeinen untersuchen: „We also include research on the general dictionary user because of the natural affinity between dictionary users and language learners.” (Dolezal/McCreary 1999: IX). 23 Da sich der Begriff ‚accessibility‘ mit ‚Zugänglichkeit‘ bzw. ‚Zugriffsstruktur‘ nur unzureichend übersetzen lässt und der Bezug zur Datenstruktur in digitalen Medien verloren ginge, soll auf eine Übersetzung verzichtet werden.
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skills, while not numerous enough to form a separate approach, support work in the three categories.“ (Dolezal/McCreary 1999: XII). Da einzelne Angabeklassen besonders wichtig für Fremdsprachenlernende sind, ist zu diesen besonders intensiv geforscht worden (vgl. Dolezal/McCreary 1999: IX): Kollokationen, Grammatik, Definitionen, Bedeutung und Beispiele (in abnehmender Häufigkeit), während zur Makrostruktur bzw. zur alphabetischen Anordnung, Aussprache, Illustrationen und Etymologie kaum Publikationen erschienen sind. Angesichts der Bedeutung, welche der makrostrukturelle Aufbau sowie die Einbindung von Illustrationen für die langfristige Speicherung der nachgeschlagenen Lexeme bzw. Angaben hat, erstaunt es umso mehr, dass zu diesen Themen nur wenige Studien vorliegen (etwa Ilson 1987 oder Stein 199124). Die Bibliographie von Dolezal und McCreary ist aber nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Gewichtung der Wörterbuchbenutzungsstudien aufschlussreich – auch zur Rezeption der Studien liegen interessante Erkenntnisse vor: Nach kritischer Durchsicht der Studien müssen die beiden Verfasser feststellen, dass vorliegende Forschungsergebnisse von vielen Lexikographen nicht wahrgenommen werden (vgl. McCreary/Dolezal 1999: IX). Anders als bei vielen anderen Wörterbuchtypen scheint bei einsprachigen Lernerwörterbüchern, die wörterbuchtypologisch als benutzergruppenspezifische Wörterbücher zu klassifizieren sind (vgl. Kapitel 6.2.), die Benutzergruppe genau umrissen zu sein: Die Benutzer müssen zwingend über fortgeschrittene Kompetenzen in der jeweiligen Fremdsprache verfügen, um die Wörterbücher nutzen zu können, wobei sie auf Erfahrungen zurückgreifen (können), die sie vorab bei der Benutzung zweisprachiger Wörterbücher gesammelt haben. Dass die Frage nach dem Benutzer dennoch nicht so leicht zu beantworten ist, betont Bogaards in seinen Untersuchungen: „But what exactly is an advanced learner?“ (Bogaards 1996: 278). Auf diese Frage geben auch die vertraut vagen Formulierung der Vorwörter von Lernerwörterbüchern – analog zu den ebenso unbestimmten Beschreibungen in allgemeinen Wörterbüchern – keine konkreten Antworten: Bei den meisten deutschsprachigen Lernerwörterbüchern wird eine Zielgruppe aus fortgeschrittenen Lernenden (vgl. etwa die Vorwörter des Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache, des Pons Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache, vgl. auch Kapitel 6.6.1.1. und 6.6.2.2.) beschrieben, die mindestens die ca. 2.300 Lexeme des „Zertifikats Deutsch als Fremdsprache“ gelernt haben sollten (vgl. die Vorwörter von Pons, Langenscheidt und Wahrig). Neben dem notwendigen Kompetenzniveau kann die Benutzergruppe der fortgeschrittenen Lernenden aber auch durch weitere Parameter bestimmt werden:
|| 24 Beide Arbeiten wurden unter dem Titel Illustrations in dictionaries publiziert.
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Durch Bildungsstand und -weg25, Alter und individuelle Motive für den Fremdsprachenerwerb (vgl. Boogards 1996: 278). Da konzeptionelle Entscheidungen bei der Erstellung einsprachiger Wörterbücher grundsätzlich auf Basis von Annahmen zu Mindestkompetenzen26 getroffen werden, geraten fortgeschrittene Lernende mit einem sehr hohen Kompetenzniveau aus dem Blickfeld (vgl. Boogards 1996: 278). At the upper level one could say that although a L2 learner will never become a native speaker and so will always remain a learner, very advanced learners will be able to use non-adapted monolingual dictionaries of the foreign language and will find there all the words they need, especially the less frequent and the technical ones. It goes without saying that it will depend on the layout and the quality of these non-adapted monolingual dictionaries whether these very advanced learners will find all the information they need in order to understand and to produce the other language. (Boogards 1996: 278)
Obwohl die folgende Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, sollen die wichtigsten Publikationen zur Nutzung von DaF-Lernerwörterbüchern bzw. zur Nutzung von Lernerwörterbüchern generell angeführt und deren Erkenntnisse referiert werden. Ausgehend von den unterschiedlichen Quellen des Datenmaterials werden die Publikationen in drei Kategorien eingeteilt: – Als „Beobachtungen“ werden solche Publikationen angeführt, die aus der fremdsprachendidaktischen Praxis heraus Aussagen zur Wörterbuchbenutzung fortgeschrittener DaF-Lernender machen – und dies auch beispielhaft belegen. Somit werden Wörterbuchkritiken aus dieser Darstellung ausgenommen, da hier das Expertenwissen der Rezensenten zum Wörterbuchgebrauch Deutschlernender nicht konkret ausgewiesen wird. – Bei den Wörterbuchbenutzungsstudien werden zunächst die angeführt, welche die Benutzung DaF-Lernerwörterbücher beschreiben und dies durch empirische Daten belegen.
|| 25 Auch der Bildungsweg kann für den Erfolg der Benutzungshandlungen entscheidend sein: „Für Nicht-Philologen ist die zu lernende Sprache ein Mittel der Kommunikation oder ein Mittel, einen Beruf zu erlernen, sich in einem Beruf fortzubilden oder ein nicht-philologisches Studium zu absolvieren. Bei dieser immer größer werdenden Zielgruppe von Wörterbuchbenutzern ist philologisches oder lexikographisches Interesse nicht mehr als vorhanden vorauszusetzen.“ (Köster/Neubauer 1994: 222). 26 Die den konzeptionellen Entscheidungen zugrundeliegenden Annahmen können wie folgt zusammengefasst werden: „It is assumed that the users have a certain vocabulary at their disposal and that they are able to correctly interpret all sorts of symbols, labels and abbreviations.“ (Bogaards 1996: 278). Kritisch an dieser Vorwegnahme ist, dass auf diesem Weg auch Annahmen über die Nutzung sowie die Bedürfnisse antizipiert werden: „By doing this, and by including or excluding certain (families of) words, the dictionaries make not only claims about who the intended users are and what they should know, but also about the needs they have.“ (Bogaards 1996: 278).
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Da die Zahl der Studien zu diesem Thema allerdings (noch) sehr gering ist, sollen in einem weiteren Unterkapitel auch Studien vorgestellt werden, welche generell die Wörterbuchbenutzung Fremdsprachenlernender empirisch erfassen.
7.2.1 Wörterbuchbenutzung von DaF-Lernenden: Beobachtungen Während in Deutschland die Diskussion über die Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachelernenden (insbesondere in den wichtigsten Schulsprachen) bereits Mitte der 1980er Jahre einsetzt, wird der Wörterbuchgebrauch von Deutschlernenden dagegen – mit Ausnahme einzelner Publikationen27 – erst seit der Mitte der 1990er Jahre untersucht. Wichtigster Auslöser für die sehr spät einsetzende Wörterbuchbenutzungsforschung im Bereich DaF ist das Erscheinen des ersten Lernerwörterbuchs – Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (1993) – für diese Benutzergruppe. Die Eignung von Lernerwörterbüchern sowie die Wörterbuchbenutzung durch Fremdsprachen- bzw. speziell durch Deutschlernende werden u.a. in folgenden Sammelbänden auf vielfältige Weise diskutiert: – Zöfgen, Ekkehard (Hrsg.) (1985): Wörterbücher und ihre Didaktik. Bad Honnef: Keimer. (= Bielefelder Beiträge zur Sprachlehrforschung, Jg. 14, Heft 1–2). – Zöfgen, Ekkehard (Hrsg.) (1994): Themenheft: Wörterbücher und ihre Benutzer (= Fremdsprachen Lehren und Lernen, Jg. 23, Heft 1–2). – Barz, Irmhild / Schröder, Marianne (Hrsg.) (1996): Das Lernerwörterbuch Deutsch als Fremdsprache in der Diskussion. Heidelberg: Winter. – Wiegand, Herbert Ernst (Hrsg.) (1998): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen. Untersuchungen anhand von ‚Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache‘. Tübingen: Niemeyer. – Wiegand, Herbert Ernst (Hrsg.) (2002): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen II. Untersuchungen anhand des ‚de Gruyter Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache‘. Tübingen: Niemeyer. – Pöll, Bernhard / Ollivier, Christian (Hrsg.) (2002): Lernerlexikographie und Wortschatzerwerb im Fremdsprachenunterricht. Referate des gleichnamigen Workshops der 28. Jahrestagung Österreichischer Linguisten, Graz, 8.–10.12.2000. Wien: Edition Praesens. – Lexicographica (2009). Internationales Jahrbuch für Lexikographie. Themenschwerpunkt: Ausgewählte Einblicke in die europäische Lernerlexikographie. Obwohl das Thema auch in Monographien und in Zeitschriftenartikeln thematisiert und diskutiert wird, sind gerade Sammelbände aufgrund der Beteiligung verschie|| 27 So begibt sich Fritz Neubauer 1985 auf die Spur des ‚unbekannten Wesens‘: de[s] DaFWörterbuchbenutzer[s].
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dener Autoren gute Indikatoren dafür, mit welcher Intensität und in welcher Breite dieses Thema ab 1995 erforscht wird. Allerdings enthalten die hier aufgeführten Bände – gerade zu Beginn – z.T. nur sehr wenige Publikationen, welche sich speziell mit dem Gebrauch einsprachiger Wörterbücher durch DaF-Lernende beschäftigen. Im Folgenden sollen die Ergebnisse der vorhandenen Studien dargestellt werden, wobei solche Publikationen ausgeschlossen werden, die zwar die Eignung einsprachiger Wörterbücher für Deutschlernende thematisieren (vgl. etwa Steinmetz 1995, Schaeder 2000), aber keine konkreten Erfahrungen bzw. Beispiele aus dem Unterricht anführen. Durch diese Kriterien sollen zum einen Wörterbuchkritiken ausgeschlossen werden, zum anderen soll die folgende Darstellung dadurch konkrete Beobachtungen zum Wörterbuchgebrauch enthalten und somit als wertvolle Vorstufe zu den nachfolgenden empirischen Untersuchungen dienen. Der qualitative Unterschied zwischen Beobachtungen einerseits und empirischen Studien andererseits wird nicht zuletzt von den Verfassern hervorgehoben: „Diese Vorgehensweise bringt allerdings keine systematischen Ergebnisse zu bestimmten Bereichen der Wörterbuchbenutzung. Daher wird hier von Beobachtungen gesprochen […]“ (Fuchs 1996: 46). Folgende Publikationen lassen sich nennen, die diese Auswahlkriterien erfüllen: – Köster, Lutz / Neubauer, Fritz [1994]: Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache und seine Benutzer. In: Zöfgen, Ekkehard (Hrsg.): Wörterbücher und ihre Benutzer. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 23/1–2, 221–234. – Fuchs, Bertold [1996]: Das Lernerwörterbuch Deutsch als Fremdsprache im Übersetzungsunterricht für finnische Germanistikstudenten. In: Barz, Irmhild / Schröder, Marianne (Hrsg.): Das Lernerwörterbuch Deutsch als Fremdsprache in der Diskussion. Heidelberg: Winter, 27–48. – Plank, Ingrid [1996]: Was nützt das schönste Wörterbuch…Praktische Erfahrungen aus Taiwan. Spielerischer Einstieg in verschiedene Funktionen des LWB. In: Barz, Irmhild / Schröder, Marianne (Hrsg.): Das Lernerwörterbuch Deutsch als Fremdsprache in der Diskussion. Heidelberg: Winter, 165–188. Sowohl die Zahl der Studien wie auch deren Erscheinungszeitraum zeigen, dass sich die Lernerlexikographie in Deutschland bei der Entwicklung eines ersten Produkts auf nur sehr wenige konkrete Hinweise aus dem DaF-Unterricht stützen kann. Daher erstaunt es auch nicht, dass in metalexikographischen Publikationen zu diesem Thema immer wieder Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum herangezogen werden (vgl. die in den verschiedenen Sammelbandartikeln in Wiegand 1998 und 2002 genannten Literaturhinweise). Köster und Neubauer sind mit die ersten, welche mithilfe von Benutzungsprotokollen und Interviews die Benutzung von Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache durch DaF-Lernende untersuchen können. Aufgrund
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ihrer Erfahrungen und Beobachtungen kommen die beiden Verfasser insgesamt zu einer positiven Beurteilung des ersten Lernerwörterbuchs, müssen allerdings einige konzeptionelle Entscheidungen kritisieren: darunter die für Lernende ungeeignete Formulierung der Benutzungshinweise, die z.T. unübersichtliche typographische Gestaltung der Wörterbuchartikel28 sowie die fehlende Eingrenzung des Definitionswortschatzes. Auch wenn andere Anforderungen, die ein einsprachiges, für Lernende konzipiertes Wörterbuch erfüllen sollte, bereits umgesetzt sind, bestehe dennoch bei einigen Angaben weiter Verbesserungsbedarf: So werden grammatische Angaben und Wortbildungsangaben zwar ausführlicher als in allgemeinen einsprachigen Wörterbüchern beschrieben und sind zudem lernergerecht gestaltet, allerdings sei manche Form der Angabe für die Benutzer schwer zu interpretieren (etwa die Strukturformeln). Die Nützlichkeit mancher Angaben kann dagegen durch die Benutzungsprotokolle untermauert werden: So werden gerade Synonyme von den Lernenden häufig nachgeschlagen (vgl. Köster/Neubauer 1994: 227). Trotz der auf Erfahrung aus der DaF-Praxis basierenden Hinweise ist an der Form der Studie zu kritisieren, dass die empirische Grundlage („Kombination aus Protokoll und retrospektiven Interviews“) nicht transparent gemacht wird – anders als in Neubauers Studie von 1985, die eine Auswahl von Benutzungsprotokollen beinhaltet. So werden zwar knappe Informationen zu den Probanden und zu der Methode gegeben, entsprechende Beispiele oder Auswertungsergebnisse jedoch nicht in die Analyse eingebunden. Auch Bertold Fuchs (Universität Jyväskylä) konzentriert sich darauf, die Benutzung von Langenscheidts Großwörterbuchs Deutsch als Fremdsprache durch DaFLernende zu beschreiben sowie bestehende Problemfelder zu bestimmen. Seine Probanden sind finnische Germanistik-Studierende, welche das einsprachige Lernerwörterbuch im Rahmen von Übersetzungskursen Finnisch-Deutsch benutzen. Vor dem Hintergrund, dass Wörterbuchbenutzungskompetenzen von Fremdsprachenlernenden häufig als unzureichend eingestuft werden, ist hervorzuheben, dass neben der Schulung von Übersetzungskenntnissen ein Hauptziel des Kurses darin
|| 28 Gerade der Halbfettdruck bei den Wortbildungsbeispielen führt dazu, dass die ebenso halbfett gedruckten und direkt nachfolgenden Lesartennummerierungen leicht übersehen werden – ein Problem, das ggf. durch neue typographische Konzepte gelöst werden könnte, wie Köster und Neubauer anregen: „Ein Lernerwörterbuch, das allen Benutzern den Zugang zum Wörterbuch erleichtern möchte, könnte in Erwägung ziehen, die althergebrachte lexikographische Praxis der Unterscheidung zwischen Homonymen (die traditionell als verschiedene Stichwörter erscheinen) und Polysemen (die traditionell unter einem Stichwort erscheinen) aufzugeben“ (Köster/Neubauer 1994: 224).
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besteht, Studierende im Umgang mit (einsprachigen) Wörterbüchern zu schulen29 (vgl. Fuchs 1996: 27f.). Die Beobachtungen von Fuchs basieren auf der Auswertung einer Stichprobe studentischer Übersetzungsarbeiten. Bei der Überprüfung auf sprachliche Korrektheit zeigt sich, dass die Studierenden – auch nach der Konsultation des einsprachigen Lernerwörterbuchs – große Schwierigkeiten bei der Lösung folgender Probleme haben: bei der Auswahl von passenden Verballexemen, den Angaben zur Verbvalenz, der Wahl der richtigen Präposition, dem Gebrauch von ‚es‘. Unzureichend beschrieben bzw. für die Studierenden schwer zu interpretieren sind die Angaben von Wortbildungselementen und Komposita, die Beschreibung von Konjugationen sowie die Angaben zur Stilebene. Abgesehen von Problemen, die sich durch strukturelle Merkmale der deutschen Sprache oder durch die Form der lexikographischen Beschreibungen ergeben, haben die Studierenden auch Schwierigkeiten mit Merkmalen, die für die Textsorte Wörterbuch typisch sind – nach den Beobachtungen von Fuchs werden Lesbarkeit und Verständlichkeit der Angaben durch den Einsatz von Textverdichtungsmitteln (Abkürzungen, Symbole etc.) stark reduziert. Obwohl die Beobachtungen von Fuchs durch empirische Studien bestätigt werden, muss doch an der Form von Fuchs’ Studie kritisiert werden, dass diese trotz der analysierten Übersetzungsarbeiten hauptsächlich aus punktuellen Beobachtungen zum Wörterbuchgebrauch besteht; leider werden von Fuchs weder die Zahl der Probanden noch die Zahl der ausgewerteten Texte angegeben. Trotz dieser Kritik verdient folgende Beobachtung von Fuchs besondere Aufmerksamkeit, da diese Strategie der Wörterbuchbenutzung bei Fremdsprachenlernenden immer wieder zu beobachten ist: Die Strategie des Wörterbuchbenutzers ist es meist, den Artikel von Anfang an zu lesen, bis zu einem korrekt erscheinenden Ausdruck, der übernommen wird, ohne den Artikel zu Ende zu lesen. Hier haben wir es mit einem grundlegenden Problem der Wörterbuchbenutzung zu tun, auf das die Lerner immer wieder aufmerksam gemacht werden müssen. (Fuchs 1996: 36)
Auch ein weiteres Problem wird anhand der vorliegenden Daten ersichtlich: Häufig wird die Verständlichkeit von Wörterbuchartikeln durch die Verwendung unbekannter Lexeme unnötigerweise erschwert, was wiederum dazu führt, dass Lernende die Benutzung einsprachiger Wörterbücher zu umgehen suchen (vgl. Fuchs 1996: 45). Der Feststellung von Fuchs, dass dagegen die Wörterbuchbenutzungshinweise von den finnischen Studierenden als verständlich eingestuft werden (vgl. Fuchs
|| 29 Mit dieser Maßnahme wollen die Deutsch-Lehrenden gezielt Kompetenzen der Studierenden aufbauen bzw. fördern: Da in Finnland im schulischen Deutschunterricht hauptsächlich zweisprachige Wörterbücher benutzt werden, sind die Benutzungskompetenzen der Germanistik-Studierenden im Umgang mit einsprachigen Wörterbüchern nicht sehr entwickelt (vgl. Fuchs 1996: 27).
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1996: 45), widerspricht Ingrid Plank (Universität Taipei), deren Beobachtungen zum Wörterbuchgebrauch Deutschlernender auf ihren Unterrichtserfahrungen in Taiwan basieren. In Übereinstimmung zu den empirisch gestützten Untersuchungsergebnissen von Wingate (vgl. Kapitel 7.2.2.) wird aus den Beobachtungen Planks deutlich, dass zweisprachige Wörterbücher – chinesisch-deutsch wie auch die häufig im DaF-Unterricht benutzten englisch-deutsch Ausgaben – für fortgeschrittene DaF-Lernende nicht geeignet sind: So werde zum Teil veralteter Wortschatz aufgenommen und in China erstellte Wörterbücher entsprechen nicht dem taiwanesischen Sprachgebrauch. Auch die deutsch-englischen Wörterbücher seien für den Einsatz im Deutschunterricht nicht brauchbar, da hier Englisch als weitere Fremdsprache die Verständlichkeit der Angaben sehr erschwere. Insgesamt zeigen die Beobachtungen Planks, dass die Angaben der einsprachigen Lernerwörterbücher nicht in ganzer Bandbereite genutzt werden – hauptsächlich Definitionen werden nachgeschlagen, wobei die Lektüre meist bei der ersten, passend erscheinenden Bedeutungsangabe ende. Zudem können die Lernenden nicht für die Lektüre der Benutzerhinweise begeistert werden, welche für die richtige Benutzung des Nachschlagewerks und bei Problemen wertvolle Hilfestellungen bieten könnten – allein deren Präsentation verhindere häufig die Benutzung: „Es wäre jedoch naiv zu glauben, der Durchschnittsstudent werfe freiwillig mehr als einen Blick in die trockene theoretische ‚Gebrauchsanweisung‘.“ (Plank 1996: 166). Die Herausforderung für die Lehrenden bestehe nach Ansicht Planks nun darin, Lernende von der Nützlichkeit der Lektüre zu überzeugen und diese durch geeignete Übungen zu unterstützen (vgl. Plank 1996). Trotz der genannten Kritikpunkte unterstreichen alle Verfasser, dass das einsprachige Lernerwörterbuch gegenüber einsprachigen Wörterbüchern für Muttersprachler eine deutliche Verbesserung darstelle30; sowohl Plank als auch Fuchs betonen, dass sie die beschriebenen Problemfelder eher als Anregungen für Verbesserungen denn als Wörterbuchkritik verstanden wissen möchten31 (vgl. Fuchs 1996: 28f. und Plank 1996: 168ff.).
|| 30 Als Beispiel sei hier auf das Fazit von Köster und Neubauer verwiesen: „Trotz der durchaus kritischen Anmerkungen sind wir doch der Meinung, daß der vorliegende Titel den meisten einsprachigen Wörterbüchern in vieler Hinsicht überlegen ist. […].Diese Einschätzung wird auch von den befragten Studierenden geteilt, die bislang mit anderen einschlägigen einsprachigen Wörterbüchern gearbeitet haben.“ (Köster/Neubauer 1994: 233). 31 Insbesondere Bertold Fuchs macht diese Einstellung explizit deutlich: „Grundsätzlich ist Wörterbuchkritik allerdings nicht mein primäres Ziel. […] Es soll dem Lerner klargemacht werden, wie sein Wörterbuch funktioniert, wie er sich die darin enthaltene Information zunutze machen kann und bei welchen Fragen ihn das Wörterbuch im Stich läßt.“ (Fuchs 1996: 29).
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7.2.2 Wörterbuchbenutzung von DaF-Lernenden: Empirische Daten Ausgehend von dem jeweiligen Erscheinungsdatum kann man Studien zur Benutzung einsprachiger Wörterbücher durch DaF-Lernende einer von zwei Gruppen zuordnen – je nachdem, ob sie vor oder nach der Publikation des ersten deutschsprachigen Lernerwörterbuchs erschienen sind. Aus diesem Grund muss man unterscheiden zwischen Studien, welche den Gebrauch allgemeiner Wörterbücher durch DaF-Lernende untersuchen, und denen, die den Gebrauch von DaF-Lernerwörterbüchern und deren Eignung für diese Lernergruppe untersuchen. Zu den Wörterbuchbenutzungsstudien, die empirische Daten zur Wörterbuchbenutzung von DaF-Lernenden enthalten, zählen folgende 7 Publikationen, von denen allerdings 3 – die Publikationen von Wingate – einer einzigen Studie zuzuordnen sind: – Hartmann, Reinhard Rudolf Karl (1983): The bilingual learner's dictionary and its uses. In: Multilingua 2/4, 195–201. – Neubauer, Fritz (1985): Auf der Spur des ‚unbekannten Wesens‘: Der DaFWörterbuchbenutzer. In: Zöfgen, Ekkehard (Hrsg.): Wörterbücher und ihre Didaktik. Bad Honnef: Keimer, 16–235. – Wiegand, Herbert Ernst [1985]: Fragen zur Grammatik in Wörterbuchbenutzungsprotokollen. Ein Beitrag zur empirischen Erforschung der Benutzung einsprachiger Wörterbücher. In: Bergenholtz, Henning / Mugdan, Joachim: Lexikographie und Grammatik. Akten des Essener Kolloquiums zur Grammatik im Wörterbuch 28.-30.6.1984. Tübingen: Niemeyer, 20–98. – Wingate, Ursula (1999): Schwierigkeiten beim Gebrauch eines einsprachigen Lernerwörterbuchs. In: Info DaF 26, 441–457. – Wingate, Ursula (2002): The Effectiveness of Different Learner Dictionaries. An Investigation into the Use of Dictionaries for Reading Comprehension by Intermediate Learners of German. Tübingen: Niemeyer. – Wingate, Ursula (2003): Möglichkeiten und Grenzen von einsprachigen Lernerwörterbüchern im DaF2-Unterricht. In: Wannagat, Ulrich / Gerbig, Jürgen / Bucher, Stefan (Hrsg.): Deutsch als zweite Fremdsprache in Ostasien – neue Perspektiven. Tübingen: Stauffenburg, 159–173. – Nied Curcio, Martina (2011): Der Gebrauch von Wörterbüchern im DaFUnterricht am Beispiel von Übersetzungsübungen. In: Katelhön, Peggy / Settinieri, Julia: Wortschatz, Wörterbücher und L2-Erwerb. Wien: Praesens, 191– 214. Von den angeführten Studien beinhalten die ersten drei empirische Daten zur Nutzung einsprachiger allgemeiner Wörterbücher im Deutschunterricht, die anderen vier Daten zur Nutzung deutschsprachiger Lernerwörterbücher. Im Folgenden sollen die einzelnen Studien vorgestellt werden.
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Als einer der ersten untersucht R.K.K. Hartmann 1983 die Wörterbuchbenutzung von Deutschlernenden. Obwohl Hartmanns Studie in erster Linie darauf abzielt, Daten zur Nutzung zweisprachiger Wörterbücher zu erheben (vgl. Hartmann 1983: 195), werden auch allgemeine Informationen zum Umgang mit Wörterbüchern abgefragt (Benutzungssituationen, Zufriedenheit etc.). Als Methode nutzt Hartmann dabei die Erhebung mittels eines Fragebogens, welcher aus 23 verschiedenen Fragekomplexen – von der Wahl eines Wörterbuchs bis zu Vorschlägen zu dessen Verbesserung – besteht (vgl. Hartmann 1983: 197). Insgesamt kann Hartmann für seine Studie 185 Fragebögen auswerten, die von 67 Lehrenden und 118 Studierenden bzw. Schülern in Südengland ausgefüllt worden sind; die befragten Schüler bzw. Studierenden haben zum Zeitpunkt der Befragung durchschnittlich 3 bis 4 Jahre Deutsch gelernt (vgl. Hartmann 1983: 197). Hinsichtlich der Benutzung einsprachiger Wörterbücher kommt Hartmann zu dem Ergebnis, dass diese deutlich seltener benutzt werden als zweisprachige, 12 % der Befragten gaben sogar an, noch nie ein einsprachiges Wörterbuch in der Fremdsprache Deutsch benutzt zu haben. In den Fällen, in denen einsprachige Wörterbücher konsultiert werden, sind 60 % der Befragten mit den Angaben unzufriedener als mit denen, welche in zweisprachigen Wörterbüchern zu finden sind. Die zweisprachigen Wörterbücher werden am häufigsten bei der Rezeption und Produktion von Texten in der Fremdsprache genutzt; darüber hinaus geben 60 % der Befragten an, auch im Wörterbuch zu schmökern (‚browse‘). Nachgeschlagen werden von den Nutzern am häufigsten Bedeutungsangaben (97 % der Befragten), Angaben zur Grammatik (82 %) und Kontextangaben (76 %), Schreibung (68 %) sowie Synonyme (58 %), wobei letztere nicht allein in zweisprachigen Wörterbüchern, sondern auch in Synonymwörterbüchern nachgeschlagen werden. Ein wichtiges Ergebnis von Hartmanns Umfrage besteht in der Erkenntnis, dass die Benutzer häufig (sehr) unzufrieden mit Wörterbüchern sind (vgl. auch Fußnote 21), wobei die Lernenden als Verbesserungswünsche insbesondere die vermehrte Einbindung von Beispielen sowie bessere Stilangaben nennen. Hinsichtlich des Werts empirischer Wörterbuchbenutzungsforschung kommt Hartmann zu dem abschließenden Urteil: „[I]t is time to replace impressionistic opinions and speculations by factual evidence based on empirical research.” (Hartmann 1983: 199). Ebenfalls zu den Studien, welche die Benutzung allgemeiner Wörterbücher durch DaF-Lernende empirisch erfassen möchten, ist die Untersuchung von Fritz Neubauer zu zählen. Neubauer greift die 1977 von Wiegand formulierten Fragen zur Wörterbuchbenutzung in seiner Benutzungsstudie (1985) auf, wobei er sich ausschließlich auf die Gruppe fortgeschrittener DaF-Lernender konzentriert. Die von ihm untersuchte Gruppe setzt sich aus Probanden zusammen, die sich in Deutschland auf ihr Studium vorbereiten und in dieser Phase Deutschkenntnisse erwerben bzw. bereits vorhandene Kenntnisse vertiefen (müssen). Am Ende dieser Lernphase
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wird der Erfolg durch die „Prüfung zum Nachweis deutscher Sprachkenntnisse“ bestätigt, welche den Lernenden den Zugang zum deutschen Hochschulsystem sichert. Insgesamt lässt Neubauer 22 Studierende verschiedener Studienrichtungen und unterschiedlicher Herkunft ihre Nachschlagehandlungen bei der (Re-)Produktion deutscher Texte durch Wörterbuchbenutzungsprotokolle dokumentieren. Neubauer zielt mit der von ihm gewählten Methode weniger auf quantitative Angaben zur allgemeinen Nutzung, als vielmehr auf die Erforschung einzelner Benutzungsschritte. Die von ihm erhobenen Daten (insgesamt 195 Wörterbuchprotokolle) teilt er in sieben Kategorien – in Abhängigkeit davon, welche Angabe der Proband bei der Nachschlagehandlung gesucht hat (vgl. Neubauer 1985: 219ff.). Nach der Analyse der Protokolle ergeben sich folgende Kategorien: – Nachschlagen im Wörterbuch primär von der Suche nach Information über Bedeutung bestimmt (insgesamt 131 Nachschlagehandlungen, d.h. 67 %) – Nachschlagen im Wörterbuch primär von der Suche nach Information über Orthographie bestimmt (insgesamt 18 Nachschlagehandlungen, d.h. 9 %) – Nachschlagen im Wörterbuch primär von der Suche nach Information über Genus bestimmt (insgesamt 26 Nachschlagehandlungen, d.h. 13 %) – Nachschlagen im Wörterbuch primär von der Suche nach Information über die Pluralform bestimmt (insgesamt 8 Nachschlagehandlungen, d.h. 4 %) – Nachschlagen im Wörterbuch primär von der Suche nach Information über Verbmorphologie bestimmt (insgesamt 5 Nachschlagehandlungen, d.h.2 %) – Nachschlagen im Wörterbuch primär bestimmt von der Suche nach Information über Kollokationen (insgesamt 5 Nachschlagehandlungen, d.h. 2 %) – Nachschlagen im Wörterbuch primär bestimmt von der Suche nach Information über die Kasusform (insgesamt 2 Nachschlagehandlungen, d.h. 1 %) Die Dokumentation der Wörterbuchbenutzungssituation umfasst jeweils den für die Studierenden problematischen Ausschnitt des Ausgangstexts, die Angabe, in welchem Wörterbuch (einsprachig/zweisprachig) der Proband welche Information nachgeschlagen hat, die Wiedergabe des vom Probanden produzierten bzw. reproduzierten Texts sowie einen Kommentar des Verfassers zum Erfolg bzw. Misserfolg der Nachschlagehandlung. Bei den in der Studie wiedergegebenen Nachschlagehandlungen, welche durch die Suche nach der Bedeutung bestimmt sind (66 von insgesamt 131), fällt auf, dass die DaF-Lernenden eher zu zwei- als zu einsprachigen Wörterbüchern greifen; bei nur 5 von 66 Suchen haben die Lernenden ein einsprachiges Wörterbuch konsultiert. Allerdings besteht die Hauptschwierigkeit – so ist den Kommentaren von Neubauer zum Erfolg der Nachschlagehandlung zu entnehmen – dabei nicht im Auffinden der gesuchten Information, sondern in der korrekten Anwendung der nachgeschlagenen Angaben.
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Als Konsequenz plädiert Neubauer für eine in den fremdsprachlichen Unterricht eingebundene Wörterbuchdidaktik, welche den Lernenden die kompetente Interpretation und Anwendung der im Wörterbuch verzeichneten Daten ermöglicht. Ebenso gut – wenn nicht besser – wäre nach Ansicht Neubauers jedoch eine benutzerfreundlichere Gestaltung der Wörterbücher: „Für ein benutzerfreundliches Lernwörterbuch sollte überlegt werden, ob nach Separierung der Lesarten (die sowieso nicht nach zu engen Kriterien erfolgen sollte) diese nicht jeweils mit einer vollen Zeile beginnen sollten.“ (Neubauer 1985: 234). Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie ist die nun auch empirisch belegte Beobachtung, dass Lernende den Wörterbuchartikel nur so weit rezipieren, bis sie meinen, die gesuchte Information gefunden zu haben: Weitere Beispiele bestätigen, daß in vielen Fällen nur durch ein Lesen des Gesamtartikels ein erfolgreiches Wörterbuchbenutzen erreichbar wäre, so daß die Wörterbuchmacher versuchen müssen, ihre Wörterbücher so zu gestalten, daß auch die ursprünglich nicht gesuchten Informationen beim Durchlesen mit-wahrgenommen werden können […]. (Neubauer 1985: 235)
Auch Herbert Ernst Wiegand bedient sich bei seiner empirischen Studie der Methode des Wörterbuchbenutzungsprotokolls. Anders als in Neubauers Studie erhalten die Probanden allerdings eine Aufgabenstellung, welche Form und Abfolge der Nachschlagehandlungen vorgibt. Wichtige Voraussetzung für diese Form des Wörterbuchbenutzungsprotokolls ist, dass die Teilnehmenden über ausreichend Erfahrung im kritischen Umgang mit (einsprachigen) Wörterbüchern verfügen sowie mit der Erstellung von Benutzungsprotokollen vertraut sind. Da die Probanden zugleich Teilnehmende eines von Wiegand geleiteten Seminars zum Thema „Einführung in die Benutzung neuhochdeutscher Wörterbücher“ sind, ist diese Voraussetzung erfüllt. Die von Wiegand vorgegebene Aufgabenstellung umfasst mehrere Teilaufgaben: Die Probanden sollen einen englischsprachigen Text zunächst durch eigene Kompetenz und nur mithilfe von zweisprachigen Wörterbüchern ins Deutsche übersetzen, in einem weiteren Schritt sollen sie offene Fragen formulieren, die sie in einem dritten Schritt mithilfe eines frei wählbaren einsprachigen Wörterbuchs klären sollen; schlussendlich soll dann eine zweite Version der Übersetzung angefertigt werden. Ziel der Studie ist es somit, Daten zur Wörterbuchbenutzung fortgeschrittener Deutschlernender bei der Übersetzung eines Texts ins Deutsche zu erheben (vgl. Wiegand 1985: 59), wobei bei den Teilnehmenden eine hohe Wörterbuchbenutzungskompetenz vorausgesetzt werden kann. Nach Auswertung von 35 Protokollen können die ca. 3.000 Suchfragen der Probanden wie folgt kategorisiert werden: 55 % der Fragen beziehen sich auf gramma-
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tische Probleme (650 zur Morphologie, 350 zur Syntax32), die restlichen 45 % verteilen sich auf Fragen zur Semantik, Pragmatik und zur Testkonstitution (vgl. Wiegand 1985: 73). Bei der weiteren Auswertung des Datenmaterials konzentriert sich Wiegand allein auf die grammatischen Suchfragen: Von diesen können immerhin 55 % der Syntax-Fragen und 80 % der Morphologie-Fragen nicht mithilfe des einsprachigen Wörterbuchs gelöst werden; der Gebrauchswert33 der Wörterbücher liege somit bei durchschnittlich 55 % (vgl. Ripfel/Wiegand 1988: 511). Somit ist ein wichtiges Ergebnis der Studie, dass ein für Lernende geeignetes einsprachiges Wörterbuch mit einem größeren Anteil an grammatischen Angaben dringend benötigt werde: Die hier formulierten allgemeinen Schlußfolgerungen sind nur z.T. in den einsprachigen Wörterbüchern des gegenwärtigen Standarddeutsch bereits berücksichtigt. Es existiert derzeit kein Wörterbuch, in dem sie alle ausreichend verwirklicht sind. (Wiegand 1985: 98)
Die zentrale Frage, ob und ab wann Fremdsprachenlernende von der Benutzung einsprachiger Wörterbücher profitieren können34, steht im Fokus der Untersuchungen von Ursula Wingate. Einer Vorstudie von 1999 mit vier Studierenden der Universität Hongkong folgt 2003 eine größere Studie mit sechs Teilnehmenden; beide Studierendengruppen haben die Grundstufe abgeschlossen (2003) bzw. Deutschkenntnisse auf dem Niveau des „Zertifikats Deutsch als Fremdsprache“ (1999) – und gehören somit als fortgeschrittene Lernende zur Zielgruppe der Lernerwörterbücher35. Die geringe Größe der Probandengruppen ergibt sich aus der Methodenwahl: Mittels einer Lautdenkstudie sollen Probleme bei der Wörterbuchbenutzung aufgedeckt werden. Die Probanden werden dabei aufgefordert nach der Lektüre von zwei deutschsprachigen Texten unbekannte Lexeme in einem einsprachigen Lernerwörterbuch – Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache –
|| 32 Als Beispiele führt Wiegand folgende Fragen der Probanden auf: „Nimmt das Verb gedenken den Akkusativ oder den Dativ?“, „Nimmt bei dies + Endung das folgende Adjektiv eine starke oder schwache Endung?“ oder „Was ist der Artikel zu Frankreich?“ (vgl. Wiegand 1989: 74ff.). 33 Der Gebrauchswert bestimme sich dabei nach Wiegand nach der Zahl der Fragen, die seine Probanden mithilfe der Wörterbücher beantworten können (vgl. Ripfel/Wiegand 1988: 511). 34 Die Bedeutung der Fragestellung ergibt sich speziell in Asien und Hongkong durch den Umstand, dass zweisprachige Wörterbücher (deutsch/chinesisch) nur schwer erhältlich und sehr teuer sind. Zudem ist den Studierenden in Hongkong ausschließlich die Transkription der chinesischen Schriftzeichen in dem vereinfachten System vertraut, sodass die Auswahl bei den zweisprachigen Wörterbüchern deutlich eingeschränkt ist. 35 Auch in ihrer Dissertation konzentriert sich Wingate auf Probanden, deren Deutschkompetenzen nach dem GER eher als „selbständig“ (B1 und B2, vgl. GER) einzustufen seien; sie begründet diese Entscheidung damit, dass diese – anders als die Gruppe der „kompetenten“ Lerner (C1 und C2) – eine weitaus größere Lernergruppe weltweit ausmachen (vgl. Wingate 2002: 7).
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nachzuschlagen und die einzelnen Schritte des Nachschlageprozesses laut zu kommentieren. Als vorrangiges Problemfeld bei der Benutzung erweist sich nach Analyse der transkribierten Protokolle vor allem die Verständlichkeit von Definitionen. Die sich an lexikographischen Traditionen – besonders einsprachiger allgemeiner Wörterbücher – orientierende Definitionspraxis des LGWDAF sei für Lernende aus folgenden Gründen ungeeignet: Die Definition werde nicht in einem vollständigen Satz angegeben, diese Form der Definition sei nur auf einen kleinen Ausschnitt des Wortschatzes gut anwendbar (Konkreta) und die Definitionen enthielten zudem Informationen, die der Lernende entweder bereits kenne oder für die Verwendung des Worts nicht nötig seien36. Da das LGWDAF den Wortschatz bei der Formulierung der Bedeutungsbeschreibungen nicht beschränkt hat, scheitern die Nachschlagehandlungen oftmals daran, dass die Probanden die Definition durch Verwendung unbekannter Wörter nicht interpretieren können. Als Strategie sei in diesen Fällen die sog. „kidrule“37 zu beobachten, d.h. die Probanden konzentrieren sich bei den Bedeutungsangaben allein auf die Wörter, die ihnen bereits bekannt sind. Dieses Vorgehen zeigt sich auch bei folgendem – gekürzten – Ausschnitt aus einem Lautdenkprotokoll (vgl. Wingate 2003: 164, Pausenlängen werden in Sekunden in eckigen Klammern angegeben): Lerner: I don’t know what’s meant with ,Äußerung‘. [33] Wörterbucheintrag: Äußerung die: das, was j-d zu e-m Thema (als persönliche Meinung) sagt od. schreibt ≈ Bemerkung: Er bereut seine unbedachte Ä; sich jeder Ä. enthalten. II-K: MeinungsLerner: … außer... außer, ach so, hier. ‚Thema‘ [5]. Thema, mit dem man [3] deutlich sagt... Mhm [9].
Aber nicht nur der Definitionswortschatz, auch die Syntax führt zu Verständnisproblemen; die Lernenden konzentrieren sich erneut allein auf die Angaben, die ihnen bekannt sind. Zudem werde das Verständnis der Definitionen durch Textverdichtungsmittel (Abkürzungen, Klammern) erschwert. Auch in der Lautdenkstudie von Wingate bestätigt sich die Beobachtung von Neubauer, dass Lernende Wörterbuchartikel nur partiell rezipieren:
|| 36 Als Beispiel führt Wingate die Definition von Eiweiß an: „eine chemische Verbindung, deren relativ große Moleküle aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff bestehen Protein“. Bereits Weinrich hat bereits 1976 auf ähnliche Probleme bei der Definitionspraxis aufmerksam gemacht (vgl. Kapitel 4, Fußnote 34). 37 Die Strategie ‚kidrule‘ kann wie folgt beschrieben werden: „This strategy appeared to entail searching within the definition for a familiar word or phrase, composing a sentence containing this segment, and then substituting the target word in place of the segment.” (Nesi 2000: 43).
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Die Lerner zeigten die deutliche Tendenz, Wörterbuchartikel nur anzulesen, d.h. nur einen Teil der Worterklärung und nur die erste Bedeutung von polysemen Wörtern zu lesen. Je mehr Bedeutungen ein Wort hatte, desto weniger bereit waren die Lerner, mehr als eine Bedeutungserklärung zu lesen. (Wingate 2003: 166)
Ihre Beobachtung kann sie konkret an einem Beispiel verdeutlichen (vgl. Wingate 1999: 446): Text: „Die St. Gallener wollen die Gewohnheiten steuern.“ Wörterbucheintrag: steuern 1 (etw.) s. bewirken, daß ein Fahrzeug sich in e-e bestimmte Richtung bewegt (lenken 2 etw. s. bestimmen, wie sich etw. entwickelt od. wie es verläuft Lerner: “Steuern, steuern, always mix up with the word >Steuersteuern< means like instruction< or...”
Als Konsequenz fordert Wingate eine vereinfachte Definitionspraxis, einfachere syntaktische Strukturen bei den Definitionen sowie übersichtlichere Bedeutungsangaben ohne Textverdichtungsmittel. Die von ihr vorgeschlagene neue Form der Definitionspraxis, die sich stark an den Merkmalen des Collins Cobuild English Language Dictionary orientiert, wird in ihrer Dissertation anhand einer grösser angelegten Lautdenkstudie mit 13 Probanden auf ihre Verständlichkeit getestet. The experiment described in this Chapter provides quantitative evidence that the NDefs [New Definitions, MR] are in general more useful for intermediate learners than the LGDAF definitions, thus confirming the findings of the think-aloud study. This result also implies the greater effectiveness of the COBUILD definition style, on which the NDefs were modelled, for intermediate learners. (Wingate 2002: 217)
Als Gründe für erfolglose Nachschlagehandlungen können durch Wingates Studie verschiedene Faktoren ausgemacht werden: Zum einen tragen z.T. der Aufbau des Wörterbuchs sowie Merkmale der Wörterbuchartikel nicht zur Übersichtlichkeit und Verständlichkeit bei; zum anderen kann aber auch bestätigt werden, dass lernerbedingte Faktoren den Erfolg einer Suchhandlung verhindern. Damit wird zum einen auf den Umstand referiert, dass die Lernenden die Wörterbuchartikel nur so weit lesen, bis sie vermeintlich die gesuchte Information gefunden haben, zum anderen aber auch die Unfähigkeit der Lernenden, die geeignete Bedeutung innerhalb eines Wörterbuchartikels aufzufinden (etwa bei Komposita) (vgl. Wingate 2002: 221f.). Würden bei der Konzeption eines neuen Lernerwörterbuchs diese Faktoren berücksichtigt, könnte die Zahl der erfolgreichen Suchhandlungen sowie die Verständlichkeit der Wörterbuchartikel deutlich gesteigert werden. Ähnlich wie Wiegand 25 Jahre zuvor untersucht auch Martina Nied Curcio in ihrer empirischen Studie, wie Deutschlernende im Rahmen eines Übersetzungspro-
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zesses Wörterbücher benutzen. Die Probandengruppe setzt sich aus 18 italienischsprachigen Studierenden zusammen, deren Deutschkenntnisse im dritten Studienjahr zwar über elementare Kenntnisse hinausgehen, allerdings noch nicht als fortgeschritten eingestuft werden können (Stufe B1+ auf der Skala des GER). Nied Curcio bedient sich bei dem Untersuchungsdesign einer offeneren Form als Wiegand: Die Probanden erhalten zunächst die Aufgabe, einen Text aus der Fremdsprache sowie einen Text in die Fremdsprache zu übersetzen, wobei sie im Anschluss zur Wörterbuchbenutzung befragt werden. Interessant ist insbesondere die Wahl des Wörterbuchtyps: Alle Studierenden benutzen zweisprachige Wörterbücher, nur eine Studierende mit fortgeschritteneren Deutschkenntnissen benutzt zusätzlich ein einsprachiges Wörterbuch. Zudem fällt auf, dass die Studierenden die Wörterbücher häufig bei Verständnisproblemen in der Fremdsprache konsultieren, weniger dagegen bei der Textproduktion in der Fremdsprache (vgl. Nied Curcio 2011: 202f.). Wie auch Neubauer muss Nied Curcio feststellen, dass die Ursache für Fehler bei Textrezeption wie -produktion in der Fremdsprache häufig darin zu suchen ist, dass die Lernenden nicht wissen, in welchem Wörterbuch sie die gesuchten Informationen finden können (vgl. Nied Curcio 2011: 202) und wie sie die Angaben interpretieren sollen (vgl. Nied Curcio 2011: 207). Sie kommt hinsichtlich ihrer Fragestellung – dem Gebrauch zweisprachiger Wörterbücher bei der Übersetzung – zu dem Schluss: „[T]rotz jahrtausendelangem Zusammenleben von Übersetzung und Wörterbuch drängt sich der Eindruck auf, dass der Gebrauch des Wörterbuchs beim Übersetzen oft nicht adäquat ist.“ (Nied Curcio 2011: 196).
7.2.3 Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachenlernenden: Empirische Daten Es besteht ein Mangel an empirischen Untersuchungen, die nachweisen, wie erfolgreich Lerner die verschiedenen Wörterbuchtypen benutzen und welchen Problemen sie beim Nachschlagen von Wörtern begegnen. […] Das Resultat dieser Forschungslücke ist, dass es erstens für die Evaluierung von Wörterbüchern, und zweitens für die Lernerlexikographie keine ausreichende empirische Grundlage gibt. (Wingate 2002: 291)
In ihrem Überblick über empirische Studien zur Wörterbuchbenutzung durch Fremdsprachenlernende haben Hulstijn und Atkins folgende sieben Themen als zentrale Forschungsschwerpunkte identifiziert (vgl. Hulstijn/Atkins 1998: 7ff.): – Einstellungen, Bedürfnisse, Gewohnheiten und Vorlieben der Wörterbuchbenutzer – Einfluss der Wörterbuchbenutzung auf das Text- oder Wortverständnis bei der Rezeption – Einfluss der Wörterbuchbenutzung auf das Text- oder Wortverständnis bei der Produktion
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– – – –
Auswirkungen der Wörterbuchbenutzung auf den Wortschatzerwerb Nutzung von Wörterbüchern in Experimenten Einbindung von Wörterbucharbeit in den Unterricht Wörterbuchkritik bzw. Vergleich von Wörterbüchern
Da es das Ziel der folgenden Darstellung ist, empirisch gesicherte Erkenntnisse zum Wörterbuchbenutzungsverhalten fortgeschrittener Fremdsprachenlernender zusammenzufassen, kann nur eine Auswahl der Studien sowie der Forschungsschwerpunkte berücksichtigt werden. Insbesondere Studienergebnisse zu folgenden Fragestellungen sollen dargestellt werden: – Wahl des Wörterbuchtyps (ein- oder zweisprachig) (vgl. Kapitel 7.2.3.1.) – Wahl des Mediums (gedruckt oder elektronisch) (vgl. Kapitel 7.2.3.2.) – Benutzungshäufigkeit (vgl. Kapitel 7.2.3.3.) – Benutzungssituationen (Rezeption, Produktion, Lernen von Wortschatz) (vgl. Kapitel 7.2.3.4.) – Zufriedenheit und Probleme bei der Benutzung einsprachiger Wörterbücher (vgl. Kapitel 7.2.3.5.) Um eher allgemeine Vorgehensweisen der Fremdsprachenlernenden bei der Wörterbuchbenutzung aufzeigen zu können, sollen insbesondere die Ergebnisse quantitativer Studien referiert werden; die Ergebnisse qualitativer Studien (etwa die Lautdenkstudien von Koyama und Takeuchi) sollen dann ergänzend berücksichtigt werden, wenn deren Ergebnisse Erklärungsansätze für das Benutzungsverhalten liefern können. Um zudem die Wörterbuchbenutzung der (fortgeschrittenen) Lernenden möglichst vollständig beschreiben zu können, werden nicht nur empirische Erkenntnisse zur Benutzung von Lernerwörterbüchern oder einsprachigen allgemeinen Wörterbüchern dargestellt, sondern es werden auch Studien zum Gebrauch zweisprachiger Wörterbücher in die Darstellung einbezogen. Ergänzt werden soll die Darstellung durch eine für diese Arbeit erstellte, aktuelle Datenerhebung zur Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachenlernenden. Teilgenommen an der Studie (im Folgenden als ZHAW-Studie bezeichnet, vgl. Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags) haben 336 fortgeschrittene Fremdsprachenlernende, genauer: Studierende unterschiedlicher Grund- und Studiensprachen des Studiengangs „Übersetzen“ am Departement Angewandte Linguistik der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in den Jahren 2012 bis 2015. Bei der ZHAW-Studie sind Fragen vorangehender Fragebogenerhebungen aufgegriffen worden, bereits erschienene Studien zur Wörterbuchbenutzung (etwa Ripfel 1989) können somit aktualisiert werden. Da die Studie sich jedoch weitgehend an vorhandenen orientiert, soll sie im Rahmen dieser Arbeit keinen eigenständigen Status erhalten.
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7.2.3.1 Wahl des Wörterbuchtyps Martha Ripfel (1989) hat im Rahmen ihrer Studie insgesamt 279 Fremdsprachenlernende mit fortgeschrittenen Kenntnissen zu ihrem Umgang mit Wörterbüchern befragt. Ziel der Studie ist es, zum einen Daten zur Benutzung zweisprachiger und einsprachiger (Lerner-)Wörterbücher zu erheben, zum anderen durch die Angaben der Studierenden konkrete Anregungen für ein einsprachiges Lernerwörterbuch des Deutschen zu erhalten (vgl. Ripfel 1989: 178). 97,5 % der von Ripfel befragten Fremdsprachenlernenden – Studierende der Anglistik, Romanistik sowie des Instituts für Dolmetschen und Übersetzen mit den Sprachen Englisch und Französisch (Universität Heidelberg) – besitzen ein bzw. mindestens ein zweisprachiges Wörterbuch, 100 % der Studierenden ein bzw. mindestens ein einsprachiges Wörterbuch. Als Hauptgrund für den Erwerb eines weiteren Wörterbuchs wird von den Studierenden der zu geringe Umfang des vorhandenen Wörterbuchs angeführt, als weitere Gründe werden unterschiedliche Nutzungszwecke (ein kompakteres Wörterbuch zum Mitnehmen, ein umfangreicheres zum Nachschlagen am Arbeitsplatz), die Empfehlung durch Lehrende sowie die Zulassung bestimmter Wörterbücher zu Prüfungen genannt (vgl. Ripfel 1989: 180ff.); demnach sind vornehmlich äußere Faktoren Auslöser für den Erwerb weiterer Nachschlagewerke. Obwohl aus den Umfrageergebnissen deutlich wird, dass ein Großteil der Teilnehmenden (57 %) mit den von ihnen genutzten einsprachigen Wörterbüchern nicht zufrieden ist (vgl. Ripfel 1989: 184), bewerten die meisten Befragten dennoch das einsprachige Wörterbuch als wichtigstes Hilfsmittel38 bei fortgeschrittenen Fremdsprachenkenntnissen (gefolgt von zweisprachigen Wörterbüchern, Grammatiken und Lehrbüchern, vgl. Ripfel 1989: 184). Die Verfügbarkeit einsprachiger Nachschlagewerke sowie deren Bewertung als wichtigstes Hilfsmittel führen jedoch nicht dazu, dass diese von Fremdsprachenlernenden auch häufig(er) benutzt werden; die direkte Beobachtung von Lernenden aller Kompetenzniveaus bei der Wörterbuchbenutzung zeigt, dass diese lieber zweials einsprachige Wörterbücher benutzen. Dies kann u.a. durch die Studie von Atkins und Varantola (1997) belegt werden, welche den Wörterbuchgebrauch im Rahmen einer vorgegebenen Übersetzungsaufgabe untersucht haben. Befragt wurden insgesamt 103 Teilnehmende, die sich aufgrund der zweimaligen Durchführung des Experiments39 zwei unterschiedlichen Gruppen zuordnen lassen: Die erste
|| 38 Nach Angaben der Lernenden ist diese Bewertung jedoch abhängig vom Kenntnisstand: Für Anfänger sei das Sprachlehrbuch das wichtigste Hilfsmittel, gefolgt von der Grammatik, dem zweisprachigen und schließlich dem einsprachigen Wörterbuch (vgl. Ripfel 1989: 184). 39 Die Benutzungsstudie wird zunächst 1991 mit 71 Teilnehmenden des EURALEX-Kongresses in Oxford durchgeführt (vgl. dazu auch Atkins/Varantola 1998b) und 1993 mit 32 Studierenden des Instituts für Übersetzen in Tampere wiederholt (vgl. Atkins/Varantola 1997: 4).
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Gruppe besteht aus 71 Fremdsprachenlernenden mit unterschiedlichen Fremdsprachenkenntnissen (nach eigener Einstufung: 34 % mit fortgeschrittener, 23 % mit mittlerer und 11 % mit geringer bzw. keiner Kompetenz), die zweite Gruppe aus 32 fortgeschrittenen Lernenden (vgl. Atkins/Varantola 1997: 4). Die Teilnehmenden beider Gruppen schlagen bei freier Wahl des Wörterbuchtyps insgesamt 714mal in zweisprachigen und 281mal in einsprachigen Wörterbüchern nach, wobei der Erfolg der Nachschlagehandlungen mit 64 % bei den zweisprachigen weitaus höher ist als der bei den einsprachigen Wörterbüchern (48 %) (vgl. Atkins/Varantola 1997: 18f.). Die Studie zeigt auch, dass die Wahl des Wörterbuchtyps dadurch bestimmt wird, in welche Sprache die Lernenden übersetzen: Besonders häufig werden einsprachige Wörterbücher bei der Übersetzung von der Fremd- in die Erstsprache verwendet: „This confirms one’s intuitions that an L2 monolingual dictionary would offer more help to people trying to understand the foreign language than to those trying to express a concept in it.“ (Atkins/Varantola 1997: 32f.). In Abhängigkeit davon, welche Angaben die Lernenden suchen, werden einsprachige Wörterbücher den zweisprachigen vorgezogen: Bevorzugt werden hier grammatische Angaben zum fremdsprachigen Wort oder Angaben zu dessen Kollokationen gesucht. Ein weiterer signifikanter Unterschied bei der Wörterbuchbenutzung ergibt sich, wenn das Kompetenzniveau der Befragten berücksichtigt wird: Lernende mit fortgeschrittenen Fremdsprachenkenntnissen greifen zwar insgesamt häufiger zu zweisprachigen Wörterbüchern, nutzen aber auch einsprachige Wörterbücher häufiger als Lernende auf Anfänger- bzw. auf mittlerem Kompetenzniveau (vgl. Atkins/Varantola 1997: 34). Dass die Wahl des Wörterbuchs von den Fremdsprachenkenntnissen abhängig ist, wird auch durch die Studie von María del Mar Sánchez Ramos (2005) bestätigt. Zwar nutzen 87 % der befragten 98 Studierenden des Fachs Übersetzen hauptsächlich zweisprachige Wörterbücher und nur ca. 12 % vorrangig einsprachige, diese Daten ändern sich jedoch leicht (83 % bzw. 16 %), wenn man die Angaben der Studienanfänger von den Studierenden des zweiten Jahrs getrennt betrachtet: Die Benutzungshäufigkeit einsprachiger Wörterbücher steigt im Laufe des Studiums (vgl. Sánchez Ramos 2005). Gerade vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine Ursache für die zunehmende Nutzung einsprachiger Wörterbücher durch fortgeschrittene Studierende auch in deren wachsenden Wörterbuchbenutzungskompetenzen zu finden sein könnte. Auf einen möglichen Zusammenhang macht auch Ursula Wingate (2002) in ihrer quantitativen Studie mit 97 chinesischen Deutsch- bzw. Französischlernenden mittleren Niveaus aufmerksam. In order to cope with the monolingual dictionary, however, learners need at least some initial training […]. If such training is not available, the monolingual dictionary may be perceived as more difficult than it actually is. (Wingate 2002: 101)
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In ihrer Studie geht Wingate auf die besondere Situation in China ein: Obwohl in Hongkong keine geeigneten zweisprachigen Wörterbücher (Chinesisch-Deutsch oder Chinesisch-Französisch) zur Verfügung stehen40, ziehen die meisten Studierenden zweisprachige Wörterbücher mit Englisch als zweiter Fremdsprache – also englisch-deutsche oder englisch-französische Nachschlagewerke – den vorhandenen einsprachigen Wörterbüchern vor (vgl. Wingate 2002: 93). Als Grund werden von den Lernenden Verständnisschwierigkeiten sowie der Zeitaufwand angeführt, den die Auseinandersetzung mit lexikographischen Angaben in einer Fremdsprache erfordert (vgl. Wingate 2002: 95ff.). Zusammenfassend zeigen die Studien, dass Fremdsprachenlernende unabhängig von ihrer Kompetenz lieber zwei- als einsprachige Wörterbücher benutzen41 – dies ist auch bei Online-Wörterbüchern der Fall –, die Benutzungshäufigkeit einsprachiger Wörterbücher mit dem Lernfortschritt jedoch leicht ansteigt. Auch werden die einsprachigen Wörterbücher von fortgeschrittenen Lernenden gezielt bei bestimmten Aufgaben und für bestimmte Suchhandlungen – bei Übersetzungen von der Fremd- in die Erstsprache bzw. bei der Suche nach bestimmten Angabeklassen (Grammatik und Kollokationen) – genutzt. Aus den ausgewerteten Studien ergibt sich aber auch folgender Widerspruch: Lernende nutzen einsprachige Wörterbücher zwar selten(er), schätzen sie aber dennoch als wichtigstes Hilfsmittel ein. Zweisprachige Wörterbücher werden dagegen sehr häufig benutzt, von den Befragten aber als minderwertig(er) erachtet. In diesem Zusammenhang haben Hilary Nesi und Richard Haill im Rahmen ihrer Studie (2002) zum Wörterbuchgebrauch fortgeschrittener Lernender die Beobachtung gemacht, dass die Befragten nur ungern angeben, dass sie neben einsprachigen auch zweisprachige Wörterbücher – insbesondere in elektronischer Form42 – nutzen (vgl. Nesi/Haill 2002: 299).
7.2.3.2 Wahl des Mediums Wörterbücher stehen den Benutzern in verschiedenen Publikationsmedien zur Verfügung: als Print-Wörterbücher oder als elektronische Wörterbücher, wobei letztere
|| 40 Zur Studie von Wingate vgl. auch Kapitel 7.2.2. 41 Dieses Ergebnis wird auch durch die Studie von Robert Lew mit 712 Englischlernenden auf überwiegend mittlerem Niveau bestätigt: 91 % der Befragten nutzen vorrangig das zweisprachige, nur 9 % vorrangig das einsprachige Wörterbuch (vgl. Lew 2004: 96). 42 Gerade zweisprachige elektronische Wörterbücher werden von den Befragten als besonders minderwertig erachtet: „[B]ut we think it is also likely that some students had a lower regard for their bilingual dictionaries, and did not like to admit to using them. This may have been particularly true for bilingual electronic dictionaries, often named merely as ‘translators’, and referred to very disparagingly by two students who claimed to use monolingual paper-based dictionaries.” (Nesi/Haill 2002: 299).
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eigene konzeptionelle Merkmale sowie verschiedenartige technikbedingte Ausprägungen haben können. Diese umfassen Offline- und Online-Wörterbücher, originär für Hypertext konzipierte Wörterbücher und digitalisierte Versionen von PrintWörterbüchern. Zudem können elektronische Wörterbücher mithilfe verschiedener Lesegeräte genutzt und somit in verschiedene Arbeitsumgebungen integriert sein: etwa am Computer, am Handy oder als elektronisches Taschenwörterbuch mit eigenem Lesegerät (sog. ‚pocket electronic dictionaries‘, im Folgenden – den angloamerikanischen Konventionen folgend – mit ED abgekürzt)43. In Hinblick auf die Wörterbücherbenutzung durch Fremdsprachenlernende ist daher zu fragen, welcher Publikationsform (gedruckt/digital) und – bei elektronischen Wörterbüchern – welchem Lesegerät der Vorzug gegeben wird. Allerdings ist die Wahl des Mediums in Studien bislang selten berücksichtigt worden: Noch 2009 konstatiert Alan Hunt einen Mangel an empirischer Forschung zu diesem Thema44: Research is lacking on the issue of whether electronic dictionaries are superior to printed ones for the purpose of enhancing reading comprehension or vocabulary learning. (Hunt 2009: 20)
Die sich auf das Medium beziehende Benutzungsforschung konzentriert sich lange Zeit auf ganz andere Aspekte: Es wird weniger die Medienwahl oder die Annahme der in der Metalexikographie diskutierten, potentiellen Mehrwerte von Hypertextwörterbüchern (Multimedia, Modularisierung der Inhalte etc.45) durch Fremdsprachenlernende untersucht als vielmehr ein durch das Lesen am Bildschirm bedingter Wandel des Benutzungsverhaltens sowie die Frage, ob die Benutzung von EDs gefördert oder unterbunden werden sollte. Dieser Fragestellung ist Gloria M. Tang in ihrer empirischen Untersuchung (1997) nachgegangen, wobei sie sich auf die Benutzung von EDs durch Englischlernende mit den Erstsprachen Mandarin oder Kantonesisch konzentriert hat. Ausgangspunkt für ihre Untersuchung ist die Beobachtung, dass sich gerade diese Gruppe vorwiegend der elektronischen Taschenwörterbücher bedient und diese auch relativ häufig verwendet, obwohl die Qualität der lexikographischen Angaben
|| 43 Bereits 1996 hat Andrea Lehr versucht, die verschiedenen Formen elektronischer Wörterbücher zu typologisieren (vgl. Lehr 1996: 315): „Es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß der Ausdruck ‚elektronische Wörterbücher‘ nicht präzise ist, sondern zur Bezeichnung sehr unterschiedlicher lexikographischer Produkte verwendet wird.“ (Lehr 1996: 313). In diesem Sinn fasst Nesi im Jahr 2009 zusammen: „The term ‚Electronic dictionary‘ can be used to refer to any data collection in electronic form concerned with the spelling, meaning, or use of words.“ (Nesi 2009: 458). 44 Bereits zehn Jahr zuvor hat Nesi auf den Mangel an empirischen Erhebungen zur Benutzung elektronischer Wörterbücher aufmerksam gemacht: „Nevertheless there has been very little research into the effects of electronic dictionary use on language learning, and we still do not know much about how such dictionaries are used, or how they might be used.“ (Nesi 1999: 63). 45 Vgl. hierzu folgende Publikationen: Storrer (1998) und Storrer (2001).
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von Lehrenden vielfach bemängelt wird46: „[O]verly simplistic translations, outdated English, the lack of English sentence examples, and the failure to utilize frequency information as a criteria for determining the order of the different meanings of polysemous words.“ (Hunt 2009: 14). Tang hat insgesamt 254 Lernende in Kanada befragt sowie bei der Benutzung der EDs beobachtet: 87 % der Lernenden besitzen ein ED und benutzen dieses hauptsächlich bei der Rezeption englischsprachiger Texte (vgl. Tang 1997: 45). Tang unterstreicht in diesem Zusammenhang die Vorteile der Nutzung: During their daily uninterrupted silent reading of storybooks and doing comprehension exercises, about 60 % of them invariably used the ED. In other words, the ESL students used the ED for vocabulary learning. For them vocabulary learning was synonymous with learning the language or attaining literacy. (Tang 1997: 45)
Tang kommt zu dem Ergebnis, dass die Kritik der Lehrenden zum Teil zwar gerechtfertigt sind, die Tauglichkeit der EDs aber auch in hohem Maß von den Grammatikund Wörterbuchbenutzungskompetenzen der Lernenden abhängt (vgl. Tang 1997: 46 und 49). Die Vorteile der Nutzung sehen Lernende wie Lehrende darin, dass die EDs leicht zu transportieren sowie einfach und schnell zu nutzen sind; zudem bieten diese im Vergleich zu Print-Wörterbüchern zusätzliche Funktionen (etwa die Vertonung der Aussprache). Ähnliche Vorteile der EDs nennen auch die von Hilary Nesi befragten Lernenden: Die EDs seien günstig, leichter transportierbar, einfacher und schneller in der Handhabung und bieten zusätzliche Abfragemöglichkeiten (etwa die Suche mit fehlertoleranter Schreibung) sowie weitere Angabeklassen (Angabe von Synonymen und Antonymen etc.) (vgl. Nesi 1999: 58). Die von Tang befragten Lehrenden heben zudem hervor, dass die ED-Benutzung den Lernenden mehr Sicherheit in der fremdsprachlichen Kommunikation verleihe47 (vgl. Tang 1997: 52). Aufgrund ihrer Untersuchungsergebnisse kommt sie daher zu dem Schluss:
|| 46 Von den Lehrenden werden zudem Vorbehalte geäußert, die den negativen Einfluss der EDBenutzung auf das Sozialverhalten der Nachschlagenden thematisieren: „The teachers believe that the ED encourages antisocial behaviors in students because they interact with the machine rather than with other students.“ (Tang 1997: 54). 47 Die Autoren der Studie raten den Lehrenden, ihre Schüler zu einem sinnvollen Umgang mit den EDs zu ermuntern: „EFL instructors, therefore, should have a true appreciation for the usefulness of ED, and need to encourage their students to make the maximum use of various functions available on ED, which are useful for better learning and help learners of different proficiency levels.” (Koyama/Takeuchi 2009: 147).
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The ED is certainly not the only or the best strategy for helping learners in the comprehension and production of English, but it definitely is one of the more potent strategies, especially for ESL students with a good background knowledge of their L1. (Tang 1997: 55)
Mittels einer Lautdenkstudie haben auch Koyama und Takeuchi die Benutzung von EDs durch Fremdsprachenlernende beobachtet und untersucht. Sie können zum einen feststellen, dass sich die Nachschlagefrequenz im elektronischen Medium deutlich erhöht. Zum anderen besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Erfolg der Nachschlagehandlung und dem Kompetenzniveau der Lernenden: Gute Fremdsprachenlernende nutzen neben der Suche im (elektronischen) Wörterbuch zur Bedeutungserschließung unbekannter Wörter noch weitere Strategien (etwa das Erschließen von Bedeutung aus dem Kontext) und schlagen daher weniger, aber gezielter in EDs nach. Schlechtere Fremdsprachenlernende dagegen wenden andere Strategien zur Bedeutungserschließung kaum an: Most of the problems we have considered so far have tended to be caused by the poor strategies of dictionary users who did not examine the context of unknown words sufficiently well, and jumped to conclusions regarding word meaning. (Nesi/Haill 2002: 295)
Dass die schlechteren Fremdsprachenlernenden mehr im ED nachschlagen, hat jedoch den Vorteil, dass das Textverständnis bei der Rezeption deutlich verbessert wird: „We thus can conjecture that the use of ED may be advantageous to low proficiency learners in reading comprehension.“ (Koyama/Takeuchi 2009: 147). Gute Fremdsprachenlernende nutzen zudem die Angebote der EDs umfassender: Gerade die Möglichkeit, Beispiele für die Verwendung des fremdsprachlichen Worts abfragen zu können, wird von dieser Gruppe häufig genutzt, wodurch die Aufmerksamkeit der Lernenden nicht allein auf inhaltliche, sondern auch auf formale Eigenschaften der Lexeme gelenkt wird – unbekannte Wörter werden dadurch umfassender wahrgenommen: „GLLs [good language learners, MR] in the present study, therefore, seemed to maximize opportunities to learn vocabulary through their lookup-behavior.“ (Koyama/Takeuchi 2009: 145). In einer Umfrage48 (2011) zur Benutzung von Online-Wörterbüchern mit insgesamt 1074 Teilnehmenden haben Müller-Spitzer et al. festgestellt, dass nahezu alle Befragten (über 97 %) Online-Wörterbücher verwenden, wobei auch hier die zweisprachigen Wörterbücher (über 96 %) den einsprachigen (88 %) vorgezogen werden. Danach befragt, welches Publikationsmedium – gedruckt oder elektronisch – die Teilnehmenden bevorzugen, geben über 47 % der Befragten an, Online-
|| 48 Die Umfrage ist Teil des IDS-Forschungsprojekts „Benutzeradaptive Zugänge und Vernetzungen in elexiko“. Eine Auswahl der Ergebnisse wird in aktuellen Publikationen vorgestellt und diskutiert (vgl. Müller-Spitzer et al. 2011), die Umfrageergebnisse sind aber auch online unter www1.idsmannheim.de/lexik/BZVelexiko/benutzungsforschung/ einsehbar.
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Wörterbücher zu nutzen, 41 % schlagen sowohl in gedruckten wie auch in elektronischen Wörterbüchern nach. Als Lesegerät wird von den Nutzern momentan der PC bevorzugt, wenige nutzen auch Handys oder PDAs für Suchanfragen in Wörterbüchern. In einer Folgestudie sind die Teilnehmenden gezielt danach befragt worden, welche Merkmale ihnen an Online-Wörterbüchern besonders wichtig seien. Am meisten Wert legen die Teilnehmenden auf die Verlässlichkeit der Inhalte, die Übersichtlichkeit der Darstellung und die Aktualität der Angaben49. Dagegen werden spezielle Merkmale von elektronischen Wörterbüchern – etwa die Möglichkeit, Links zu anderen Quellen (Korpora oder anderen Wörterbüchern) zu integrieren oder multimediale Angaben einzubinden –, von den Befragten als weniger wichtig erachtet: As is the case for printed dictionaries, our results indicate that online dictionaries are initially being used as a reference work providing reliable and accurate information. The unique characteristics of online dictionaries (e.g. multimedia, adaptability) only seem to play a minor role. (Müller-Spitzer et al. 2011: 207)
Auch die ZHAW-Studie, an der 336 Studierende des Studiengangs „Übersetzen und Dolmetschen“ (2. Semester) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) am Departement Angewandte Linguistik teilgenommen haben, zeigt, dass 96 % der Studierenden elektronische Wörterbücher bzw. Online-Ressourcen (LEO, DICT.CC) nutzen. Auch die Häufigkeit, in der diese benutzt werden, belegt die Beliebtheit dieser Publikationsform: Gerade die leicht zugänglichen und kostenlosen Wortschatzsammlungen (wie LEO oder DICT.CC) werden von den Studierenden bevorzugt als Nachschlagewerke genutzt (vgl. Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags). Dass dagegen digitale Versionen aktueller Verlagswörterbücher weniger häufig benutzt werden, könnte daran liegen, dass diese nur wenig mehr bieten als die gedruckten Ausgaben. Einzig die Suchfunktionen sind als deutlicher Vorteil gegenüber den Print-Wörterbüchern zu werten; Illustrationen werden dagegen kaum eingebunden, auch die Auflösung von Textverdichtungsmitteln wird selten umgesetzt. Dass die Umstellung der Verlagslexikographie auf innovative Formen elektro|| 49 Im Rahmen der Studie werden auch die den Nutzern wichtigsten Merkmale von OnlineWörterbüchern näher spezifiziert: Inhaltlich verlässlich ist ein Online-Wörterbuch, wenn Experten den tatsächlichen Sprachgebrauch unter Berücksichtigung verschiedener Textsorten und regionaler Unterschied beschreiben. Auch die Wünsche nach der Aktualität zielen bei näherer Betrachtung eher auf lexikographische denn auf technische Wünsche: Online-Wörterbücher sollen sich den sprachlichen Entwicklungen anpassen, Neologismen berücksichtigen. Weniger wichtig sind den Befragten technische Aspekte: Auch diese Merkmale zielen eher auf Verlässlichkeit: Gewünscht wird eine längerfristige Erreichbarkeit des Online-Wörterbuchs, welches in seinen Funktionen und in seinen Inhalten übersichtlich gestaltet ist.
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nischer Wörterbücher auch nicht einfach zu realisieren ist, zeigt bereits die Schwierigkeit der benutzerfreundlichen Gestaltung einzelner Wörterbuchartikel unter Berücksichtigung der Bildschirmgröße: While storage space may indeed become irrelevant, there are still severe restrictions as to how much information can be displayed at a time. In fact, even the best currently available display devices are still easily beaten by the old-fashioned printed paper in terms of visual resolution. (Lew 2004: 180)
Aktuelle Studien zeigen zudem, dass CD-ROM-Ausgaben von Wörterbüchern von den Lernenden kaum wahrgenommen werden50; 70–78 % der von María del Mar Sánchez Ramos Befragten ist diese Publikationsform nicht bekannt, wohingegen Online-Wörterbücher bzw. -Wortschatzsammlungen von über 60 % der Teilnehmenden benutzt werden. Als Vorteile von Online-Wörterbüchern nennen die angehenden Übersetzer die Schnelligkeit des Zugriffs, die gute Erreichbarkeit sowie generell die Nützlichkeit derartiger Formen. Als deutlicher Nachteil wird dagegen der Mangel an Wissen um den richtigen Umgang mit Online-Wörterbüchern angeführt (vgl. Sánchez Ramos 2005). Die Erkenntnisse der Benutzerstudien mit der Zielgruppe Fremdsprachenlernende können in Bezug auf die Wahl des Publikationsmediums wie folgt zusammengefasst werden: – Die Untersuchungen zeigen, dass elektronisch verfügbare Wörterbücher insgesamt häufiger benutzt werden. Im Benutzungsverhalten besteht jedoch ein Unterschied zwischen den Benutzern mit besseren und schlechteren Fremdsprachenkenntnissen: Während schlechtere Lernende häufiger nachschlagen, werden EDs gerade von guten Fremdsprachenlernenden gezielt und mit allen Angabeklassen genutzt. – Auch wenn Umfrageergebnisse zur Benutzung von Online-Wörterbüchern noch rar sind, scheint sich bereits ein Trend abzuzeichnen: Diese werden immer mehr den gedruckten Nachschlagewerken vorgezogen – wobei den Fremdsprachenlernenden die inhaltliche Verlässlichkeit der Angaben und die Übersichtlichkeit der Darstellung besonders wichtig ist.
|| 50 Auch wenn Lernende kaum CD-ROM-Ausgaben von Wörterbüchern nutzen, werden diese von Lehrenden aufgrund der niedrigen Anschaffungskosten bevorzugt verwendet: „Teachers have generally preferred the dictionary on disk to the handheld device. Handheld devices are designed for private use; they are relatively expensive and are generally purchased by individuals rather than the educational institutions.“ (Nesi 2009: 466).
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7.2.3.3 Benutzungshäufigkeit Da die meisten Studien empirische Daten im Rahmen eines vorgegebenen Settings erheben – etwa die Übersetzung oder Rezeption eines Texts mit ausgewählten Hilfsmitteln – und somit den Nachteil haben, nicht den realen Arbeitssituationen der Teilnehmenden zu entsprechen, finden sich in der Literatur zur Wörterbuchbenutzung nur wenige unverfälschte Angaben zur Häufigkeit, mit der in ein- oder in zweisprachigen Wörterbüchern nachgeschlagen wird. Auch haben die durch Befragungen erhobenen Daten den Nachteil, dass diese Daten nicht das tatsächliche Benutzungsverhalten widerspiegeln (müssen) – sondern eher den Erwartungen des Befragenden entgegenkommen wollen (zur Kritik der Methoden vgl. auch Ripfel/Wiegand 1988: 493ff.). Als einer der ersten hat R.K.K. Hartmann empirische Daten zur Häufigkeit der Wörterbuchbenutzung mittels einer direkten Befragung erhoben. Seine Studie (vgl. Kapitel 7.2.2.) zeigt, dass Wörterbücher bei fortgeschrittenen Fremdsprachenlernenden relativ häufig benutzt werden: 35,5 % der Befragten schlagen täglich und 58 % wöchentlich im zweisprachigen Wörterbuch nach. Wesentlich seltener werden dagegen einsprachige Wörterbücher benutzt: Nur 9 % der Befragten geben an, einmal am Tag nachzuschlagen, 35 % einmal in der Woche, 28 % einmal im Semester und 14 % einmal im Jahr – und 12 % nie. Aktuelle Zahlen zur Häufigkeit der Wörterbuchbenutzung und speziell zur Benutzung ein- bzw. zweisprachiger Wörterbücher liegen u.a. durch Studien vor, deren Teilnehmende das Studienfach „Übersetzen“ studieren. María del Mar Sánchez Ramos hat in ihrer Studie 98 Studierende mit dem Ergebnis befragt, dass 17 % der Befragten mehrmals am Tag im Wörterbuch nachschlagen, 71 % der Befragten einmal am Tag und nur 12,5 % lediglich einmal in der Woche. Auch durch die ZHAW-Studie wird bestätigt, dass fortgeschrittene Fremdsprachenlernende häufiger zweisprachige (85,3 %) als einsprachige Wörterbücher (14,6 %) benutzen (vgl. Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags). Die Befragung von Sánchez Ramos zeigt aber auch, dass die Benutzungshäufigkeit im Laufe des Studiums abnimmt: Nutzen zu Beginn des Studiums noch 70 % der Teilnehmenden das zweisprachige und 26,5 % das einsprachige (englische) Wörterbuch jeden Tag, so reduziert sich die Benutzung beider Wörterbuchtypen bereits im Laufe des ersten Studienjahres merklich (59 % und 20 %). Der Umstand, dass fortgeschrittene bzw. gute Fremdsprachenlernende weniger häufig Angaben in Wörterbüchern nachschlagen, wird auch von Koyama und Takeuchi konstatiert und dadurch erklärt, dass diese über mehr Strategien zur Erschließung von Bedeutungen verfügen und Wörterbücher nur gezielt nutzen (vgl. Kapitel 7.2.3.1.).
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7.2.3.4 Benutzungssituationen Nach Hartmanns Befragung (1983) werden Wörterbücher besonders bei der Übersetzung (von 90 % der Befragten angegeben) sowie bei der Rezeption (83 %) und Produktion von Texten (74 %) genutzt, während das Nachschlagen in Wörterbüchern in mündlichen Kommunikationssituationen nur eine geringe Rolle spielt51 (vgl. Hartmann 1983: 198). In Übereinstimmung damit, dass Wörterbücher besonders häufig bei der Rezeption und Produktion von Texten verwendet werden, geben die Teilnehmenden an, in erster Linie Bedeutungsangaben zu suchen, aber auch Grammatik-, Verwendungs- und Rechtschreibeangaben werden häufig nachgeschlagen. Auch Ripfels (1989) Befragung führt zu ähnlichen Ergebnissen wie Hartmanns Studie, differenziert aber weiter zwischen ein- und zweisprachigen Wörterbüchern, welche beide gleichermaßen zuallererst bei Übersetzungen in die Erst- bzw. in die Fremdsprache verwendet werden. Darüber hinaus schlagen die Befragten bei der Rezeption bevorzugt in zweisprachigen Wörterbüchern nach, einsprachige Wörterbücher werden dagegen bei der Produktion von Texten in der Fremdsprache den zweisprachigen vorgezogen. Eine weniger wichtige Benutzungssituation sei das Lernen von Vokabeln durch die Benutzung ein- oder zweisprachiger Wörterbücher, wobei auch hier zweisprachige Wörterbücher (37 %) den einsprachigen (24 %) vorgezogen werden (vgl. Ripfel 1989: 190). Auch die Umfrage von Sánchez Ramos (2005) kann diese Angaben bestätigen: Die befragten Studierenden des Studiengangs „Übersetzen“ nutzen zweisprachige Wörterbücher hauptsächlich zur Übersetzung in die Erstsprache (44,9 %) sowie bei der Rezeption fremdsprachlicher Texte (33,7 %). Auch das einsprachige Wörterbuch wird für diese Benutzungssituationen verwendet, hinzu kommt auch hier, dass einsprachige Wörterbücher weiterhin zur Produktion von Texten in der Fremdsprache benutzt werden (26,5 %). Diese Ergebnisse können aktuell auch durch die ZHAW-Studie bestätigt werden: Fortgeschrittene Fremdsprachenlernende benutzen zweisprachige Wörterbücher dazu, Texte in die (84,5 %) und von der Fremdsprache (85,6 %) zu übersetzen, einsprachige Wörterbücher werden dagegen in erster Linie zur Rezeption (40 %) und Produktion fremdsprachlicher Texte (39 %) benutzt, wobei auch hier die Befragten lieber zu zweisprachigen Wörterbüchern greifen (vgl. Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags). Da die Nutzung der Wörterbücher abhängig ist von der Situation, in der nachgeschlagen wird, sollen im Folgenden für die drei wichtigsten Benutzungssituationen – Übersetzung sowie Rezeption und Produktion fremdsprachlicher Texte – die Ergebnisse der Befragungen und Experimente zusammengefasst werden. || 51 Nur 19 % der Teilnehmenden geben an, Wörterbücher auch zum Hörverständnis zu nutzen, lediglich 16 % nutzen die Nachschlagewerke zur Konversation (vgl. Hartmann 1983: 198).
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Bei der Übersetzung von fremdsprachlichen Texten (vgl. Atkins/Varantola 1997: 14ff.) werden Wörterbücher unabhängig von der Richtung, in welche die Teilnehmenden übersetzen, am häufigsten für die Suche nach Äquivalenten benutzt, gefolgt von der Suche nach der Bestätigung, dass das verwendete Wort auch das richtige Äquivalent sei. Das Spektrum an Suchanfragen ist bei Lernenden auf mittlerem und fortgeschrittenem Niveau deutlich grösser als das bei Lernenden auf Anfängerniveau (vgl. Atkins/Varantola 1997: 16): Gerade fortgeschrittenere Lernende nutzen auch andere Angabeklassen (wie Kollokations- und Grammatikangaben), was ein Indikator dafür sein könnte, dass die Lernenden im Laufe des Fremdsprachenerwerbs auch ihre Wörterbuchbenutzungskompetenz verbessern. Bei der Produktion von fremdsprachlichen Texten benutzen Lernende – das hat die Untersuchung von Harvey und Yuill mit 211 Teilnehmenden ergeben – die einsprachigen Wörterbücher vor allem dazu, um die Schreibung eines Worts zu kontrollieren oder um sich die Bedeutung bestätigen zu lassen. Um die Wörterbuchbenutzung während der Produktion eines Texts in der Fremdsprache beobachten zu können, wurden die Teilnehmenden aufgefordert, zu einem von vier vorgegebenen Themen ein Essay zu verfassen, wobei sie parallel ihre Nachschlagehandlungen nach einem vorgegebenen Schema protokollieren sollten. Die insgesamt 582 dokumentierten Suchanfragen konzentrieren sich hauptsächlich auf die Suche nach der korrekten Schreibweise (24,4 %), gefolgt von der Suche nach Bedeutungsangaben (13,8 %) sowie der Suche nach Bestätigung durch das Wörterbuch (etwa bei Wortzusammensetzungen oder Internationalismen), dass das verwendete Lexem in der Fremdsprache existiert (vgl. Harvey/Yuill 1997: 258). Erfolgreich sind die Suchanfragen in 88,4 %, wobei sich Probleme beim Nachschlagen hauptsächlich durch die Unübersichtlichkeit der Wörterbuchartikel ergeben (vgl. Kapitel 7.2.3.5.). Dass diese Ergebnisse aber auch vom Stand der Fremdsprachenkenntnisse abhängen, zeigt die Studie von Sánchez Ramos: Die befragten angehenden Übersetzer – und damit Lernende auf einem sehr fortgeschrittenen Kompetenzniveau – suchen in einsprachigen Wörterbüchern in erster Linie Definitionen (74,5 %), erst danach Angaben zur Rechtschreibung (22,4 %). Inwieweit die Rezeption von fremdsprachlichen Texten den Wortschatzerwerb fördert, hat das Experiment von Susan Knight (1994) mit 112 Spanischlernenden gezeigt: Durch einen unangekündigten Vokabeltest nach der Lektüre eines Texts konnte nachgewiesen werden, dass die Teilnehmenden unbewusst Wortschatz erworben haben, die Lernenden mit guten sprachlichen Fähigkeiten jedoch mehr als die weniger guten. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass der Wortschatzerwerb durch die Nutzung von Wörterbüchern zusätzlich gesteigert werden kann.
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Die Studie wiederlegt damit das in der pragmatisch orientierten Fremdsprachendidaktik vorgebrachte Argument, der Gebrauch von Wörterbüchern unterbreche den kognitiven Prozess, da die Aufmerksamkeit (für kurze Zeit) abgelenkt werde (vgl. Knight 1994: 294). Aufgrund ihrer Testergebnisse regt Knight an, herkömmliche Strategien des Wortschatzerwerbs noch einmal zu überprüfen: Indeed, the majority of students in the present study not only found it easy to read articles on the computer screen and to adjust to the dictionary lookup, but stated that they enjoyed the process as well. (Knight 1994: 296)
In verschiedenen Studien mit fortgeschrittenen Französischlernenden haben auch Hulstiijn et al. beobachten können, dass Lernende durch die Lektüre von fremdsprachlichen Texten Wortschatz erwerben (Hulstijn et al. 1996: 337), in unangekündigten Vokabeltests die Bedeutung aber besser abrufen können, wenn diese in Form einer Äquivalentangabe in direkter Nähe des unbekannten fremdsprachlichen Worts – als Glosse – gegeben wird. Lernende, denen die Bedeutungsangaben nicht in Form von Glossen präsentiert worden sind, sondern denen Wörterbücher zur Verfügung stehen, nutzen diese insgesamt nur selten (nur 12–15 % der unbekannten Wörter werden nachgeschlagen), wobei ein Hauptgrund darin zu finden sein könnte, dass die Lernenden die Wörter nicht als unbekannt wahrnehmen bzw. als relevant einstufen. Vergleicht man die Ergebnisse der beiden Gruppen miteinander ergibt sich jedoch ein Ergebnis, welches für die Wörterbuchbenutzung spricht: „However, when students in the D [Dictionary, MR] group did look up a word, their chance of remembering its meaning was greater than the average retention in the MG [Marginal Glosses, MR] group.“ (Hulstijn et al. 1996: 334). Die empirischen Daten zeigen also, dass Fremdsprachenlernende unabhängig von ihrem Kenntnisstand bei der Rezeption von der Wörterbuchbenutzung profitieren können. Bei weniger fortgeschrittenen bzw. schlechteren Fremdsprachenlernenden trägt die Wörterbuchbenutzung zu einem besseren Textverständnis bei, die besseren bzw. fortgeschritteneren Fremdsprachelernenden schlagen dagegen gezielter in Wörterbüchern nach und nutzen zudem noch weitere Strategien zur Bedeutungserschließung. Dagegen fällt auf, dass bei der Produktion fremdsprachlicher Texte zahlreiche Angabeklassen einsprachiger Wörterbücher nicht genutzt werden; eine intensivere Beschäftigung mit den Wörterbuchinhalten sowie den Benutzungshinweisen wäre erforderlich, um die Lernenden auch bei der Produktion zur Benutzung einsprachiger Wörterbücher anzuregen.
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7.2.3.5 Zufriedenheit und Probleme bei der Benutzung einsprachiger Wörterbücher Es besteht ein Mangel an empirischen Untersuchungen, die nachweisen, wie erfolgreich Lerner die verschiedenen Wörterbuchtypen benutzen und welchen Problemen sie beim Nachschlagen von Wörtern begegnen. (Wingate 2002: 291). In den vorliegenden Studien wird häufig nach der Zufriedenheit der Fremdsprachenlernenden mit den im Wörterbuch verzeichneten Angaben gefragt. Den Begriff Zufriedenheit hat Lothar Lemnitzer in Zusammenhang mit Wörterbuchbenutzung näher definiert: „Zufriedenheit stellt sich dann ein, wenn möglichst viele Benutzungshandlungen zum gewünschten Ziel führen, oder – wenn nicht, die Gründe des Mißerfolgs erkennbar sind.“ (Lemnitzer 2001: 247). In Anlehnung an dieses Verständnis sollen im Folgenden nicht nur Aussagen zur Zufriedenheit der Nutzer mit den von ihnen benutzten Wörterbüchern, sondern auch die häufigsten Gründe für den Misserfolg zusammengefasst werden. Generell belegen die verschiedenen Studien, dass die Benutzer in ihren Nachschlagehandlungen häufig nicht erfolgreich und daher mit ihren Wörterbüchern unzufrieden sind. Hartmanns Studie zeigt, dass ca. 22 % der Befragten aufgrund der Unübersichtlichkeit der Wörterbuchartikel ihre Suche in Wörterbüchern abbrechen, 58 % der Teilnehmenden stört zwar der unübersichtliche Aufbau der Artikel, sie brechen die Nachschlagehandlung jedoch nicht vorzeitig und erfolglos ab. Als weitere Gründe für ihre Unzufriedenheit geben die von Hartmann befragten Fremdsprachelernenden an, dass die von ihnen benutzten Wörterbücher die gesuchten Informationen nicht enthalten: 76 % der Befragten nennen das Fehlen von Wortbedeutungen, 61 % das Fehlen von Wörtern und 49 % die Unübersichtlichkeit der Einträge als Kritikpunkte. Zum gleichen Ergebnis führt die Erhebung von Sánchez Ramos: Die Hauptprobleme der Benutzer bestehen darin, dass die gesuchten Wörter (31,6 %) bzw. die gesuchten Angaben innerhalb eines Artikels nicht gefunden werden (32,7 %). Unklar bleibt bei beiden Befragungen, ob die Angaben tatsächlich fehlen oder von den Lernenden einfach nicht gefunden werden: Our findings reveal that the choice of appropriate dictionary entry or subentry was by far the greatest problem for dictionary users. (Nesi/Haill 2002: 300)
Wörterbuchkenntnis korreliert hierbei mit den angewandten Suchstrategien: Je mehr Kenntnisse die Studierenden über das Wörterbuch haben, desto gezielter suchen sie und desto schneller finden sie die gesuchten Angaben. Auch die Mehrheit der von Ripfel befragten Studierenden (57 %) ist mit den benutzten Wörterbüchern nicht zufrieden; als wichtigster Verbesserungswunsch wird
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die Einbindung von mehr Beispielen genannt52 (vgl. hierzu auch die ZHAW-Studie, in der der Wunsch nach mehr Beispielen in einsprachigen Wörterbüchern einer der meistgenannten war). Da auch diese Befragten die Übersichtlichkeit der Einträge kritisieren, formuliert Ripfel als Erkenntnis für die Konzeption eines einsprachigen Lernerwörterbuch, dass dessen Wörterbuchartikel so verständlich und klar strukturiert wie möglich zu gestalten seien (vgl. Ripfel 1989: 193). Den Grund für ihre Probleme bei der Benutzung von Wörterbüchern sehen die Befragten jedoch hauptsächlich in dem Wörterbuch selbst (45,9 %), nicht in dem Umstand, dass ihnen der Umgang mit dem Wörterbuch nicht (sehr) vertraut ist (25,5 %) und ihnen Hinweise zur Benutzung fehlen (10,3 %). Viele Probleme beim Umgang mit Wörterbüchern ließen sich also beheben, indem man die Lernenden gezielt auf die Benutzung ihres Wörterbuchs vorbereitet und ihnen Lösungsstrategien aufzeigt, wenn sie die gesuchten Informationen nicht finden. Die deutliche Kritik an den Wörterbüchern kann allerdings durch den Umstand ein wenig relativiert werden, dass nur 17 % der Befragten die Benutzerhinweise bzw. die Einleitung ihrer Wörterbücher gelesen haben. Zudem geben sie an, weder in der Schule noch an der Universität Hilfestellungen für die Benutzung von Wörterbüchern erhalten zu haben. Damit ergibt sich das paradoxe Bild, daß die Studierenden das eWb [einsprachige Wörterbuch, MR] zwar als ihr weitaus wichtigstes Hilfsmittel ansehen, die Kenntnis dieses Hilfsmittels bei ihnen aber doch begrenzt ist. Dadurch geht natürlich auch der Nutzen des eWbs für sie zurück; die mangelnde Kenntnis schlägt sich überdies in einem höheren Zeitaufwand für die Benutzung nieder. (Ripfel 1989: 189)
Aber nicht nur die fehlende Einführung in die Wörterbucharbeit könnte ein möglicher Grund für die Probleme der Fremdsprachenlernenden sein. Tatsächlich erweisen sich bestimmte Angabeformen für diese Benutzergruppe als äußerst ungeeignet: So zeigt die Lautdenkstudie von Wingate, dass auch Studierende mit fortgeschrittenen Kompetenzen Schwierigkeiten haben, die Definitionsangaben zu verstehen (26,5 %):
|| 52 Eine Erklärung für den Wunsch nach mehr Beispielen sieht Ripfel darin, dass Beispiele häufig auch wertvolle Angaben zu Kollokationen enthalten: „Die Beispiele sind für die Studierenden deshalb so wichtig, weil sie aus ihnen sehr oft die üblichen Kollokationen eines Ausdrucks entnehmen können, die auch in den französischen und englischen Lernwbb [Lernwörterbücher, MR], auf die sich die meisten Angaben beziehen, nur bei Verben mit präpositionalem Anschluß angegeben werden. Darauf deuten jedenfalls die Angaben und Kommentare hin.“ (Ripfel 1989: 185). Allerdings widerspricht der Wunsch der Benutzer nach mehr Beispielen den Testergebnissen von Nesi, die im Rahmen einer Studie mit 40 Teilnehmenden keinen positiven Einfluss von Beispielen auf die Ergebnisse der Textproduktion feststellen kann (vgl. Nesi 2000: 106ff.).
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Dagegen war mit fast 57 Prozent der Hauptgrund für erfolgloses Nachschlagen im einsprachigen Wörterbuch unbekanntes Definitionsvokabular. Sehr häufig war ein unbekannter Oberbegriff das Hindernis zum Verständnis der weiteren Definition. (Wingate 2002: 292)
Dass aber auch erfolglose Nachschlagehandlungen positive Effekte auf den Wortschatzerwerb der Suchenden haben können, hat Yukio Tono in einem Experiment nachgewiesen, bei dem er die Augenbewegungen der Probanden beim Lesen von Wörterbuchartikeln mit Eye-Tracking aufgezeichnet hat (vgl. Kapitel 9.2.1.). Die entweder sehr simplen oder sehr komplexen Suchwege belegen deutlich, dass eine Einführung in die Benutzung von Wörterbüchern dringend notwendig ist, durch das Eye-Tracking kann aber auch nachgewiesen werden, dass sich die Benutzer z.T. intensiv mit den Angaben des Wörterbuchs auseinandersetzen: The scan paths of failed attempts indicate that the subjects spent so much time processing the content of the entry to find the answer. Even if the final answer was wrong, reading all the examples and figuring out the meanings may contribute to more learning. (Tono 2011: 150)
7.3 Zusammenfassung Verglichen mit der Zahl an Studien, welche die Benutzung von (Lerner-) Wörterbücher durch Englischlernende zum Thema haben, ist die Zahl der Untersuchungen zur Wörterbuchbenutzung durch Deutschlernende relativ gering. Die vorliegenden Studienergebnisse zeigen jedoch, dass auch für diese Gruppe die Forschungsergebnisse zum Benutzungsverhalten Englischlernender sowie zu Problembereichen bei der Suche in Wörterbüchern bestätigt werden: –
Auch fortgeschrittene Deutschlernende greifen lieber zu zweisprachigen als zu einsprachigen Wörterbüchern – dies zeigen die Untersuchungen von Neubauer und Wingate. Zudem scheint die Häufigkeit, mit der Lernende Wörterbücher benutzen, mit zunehmenden Fremdsprachenkenntnissen abzunehmen, qualitative Studien können aber auch zeigen, dass fortgeschrittene Lernende gezielter in Wörterbüchern nachschlagen bzw. zusätzlich weitere Strategien zur Bedeutungserschließung nutzen.
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Wörterbücher werden häufiger bei der Rezeption als bei der Produktion fremdsprachiger Texte genutzt.
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Obwohl viele Fremdsprachenlernende bei der Benutzung ihres Wörterbuchs Probleme haben, werden Einleitungen oder Benutzungshinweise nur selten gelesen. Planks Beobachtungen legen nahe, dass dies im Fall von LGWDAF u.a. auf die Gestaltung der Benutzungshinweise – in Form einer „trockene[n] theoretische[n] Gebrauchsanweisung‘“ (Plank 1996: 166) – zurückzuführen sein könnte.
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Die häufig kritisierte Unübersichtlichkeit der Wörterbuchartikel führt bei vielen Fremdsprachenlernenden dazu, die Suche nach Angaben vorzeitig abzubrechen bzw. diese nur widerstrebend fortzusetzen. In Hinblick auf den Erfolg der Nachschlagehandlungen belegen Studien – auch zu deutschsprachigen Lernerwörterbüchern – dass die Lektüre des Wörterbuchartikels zudem häufig dann endet, wenn die (DaF-)Lernenden – z.T. fälschlicherweise – meinen, die gesuchte Information gefunden zu haben.
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Selbst Lernende mit hoher Sprachkompetenz führen die z.T. komplexe Formulierung der Definitionen als Kritikpunkt an der Mikrostruktur von Lernerwörterbüchern an. Auch von Deutschlernenden wird die sich an Traditionen allgemeiner Wörterbücher orientierende Definitionspraxis als Kritikpunkt genannt. Hier zeigt gerade die qualitative Benutzungsforschung – wie die von Wingate erstellten Lautdenkprotokolle – anschaulich, dass die Lernenden mit der Formulierung der Bedeutungsangaben überfordert sind.
–
Studien, welche den beiläufigen Wortschatzerwerb bei der Rezeption von Texten in der Fremdsprache näher untersuchen, kommen zu dem Ergebnis, dass die Benutzung von Wörterbüchern nicht nur kurzfristig zu einem besseren Textverständnis führt, sondern auch, dass dadurch der inzidentelle Erwerb der nachgeschlagenen Lexeme gefördert wird.
Durch die empirischen Studien werden jedoch nicht nur bestehende Problemfelder bei der Wörterbuchbenutzung aufgezeigt, auch vielversprechende Ansätze für mögliche Verbesserungen von Lernerwörterbüchern sind auf diese Weise ermittelt worden. Aktuelle Untersuchungen legen nahe, dass gerade Fremdsprachenlernende von zwei Entwicklungen in Lexikographie und Fremdsprachendidaktik profitieren können: –
Zum einen könnte eine systematisch in den Fremdsprachenunterricht integrierte Einführung in die Arbeit mit (einsprachigen) Wörterbüchern die Benutzungskompetenz der Lernenden verbessern und dazu führen, dass diese die Nachschlagewerke gezielter nutzen. Dies würde nicht nur kurzfristig die Zufriedenheit der Benutzer mit dem Wörterbuch steigern, sondern auch generell die Akzeptanz der Nachschlagewerke als Hilfsmittel im Fremdsprachenunterricht erhöhen (vgl. Kapitel 4.3.).
–
Zum anderen erfreuen sich elektronische Wörterbücher bei Fremdsprachenlernenden einer zunehmenden Beliebtheit. Probleme, welche aus der für gedruckte Wörterbücher typischen Gestaltung resultieren (wie typographische und
Zusammenfassung | 257
nicht-typographische Strukturanzeiger und weitere Textverdichtungsmittel), könnten durch den Medienwechsel behoben werden. [E]lectronic learners’ dictionaries seem already to be on the way to becoming a preferred alternative to the ‘fat’ dictionary in print. (Nesi 1999: 65)
Dass diese Änderungen nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig sind, zeigen die Untersuchungen von Yukio Tono zur Gestaltung von Benutzeroberflächen elektronischer Wörterbücher: Strukturen und Merkmale gedruckter Wörterbücher können nicht ohne Anpassung ins elektronische Medium übernommen werden; gerade bei der Gliederung der Wörterbuchartikel sind andere Konzepte nötig, um die Artikelstruktur auf Bildschirmen besser visualisieren zu können (vgl. Tono 2000: 859ff.). Dass auch der Wortschatzerwerb bei der Benutzung von Wörterbüchern durch eine medien- und lernergerechte Gestaltung gefördert werden kann, zeigen die experimentellen Untersuchungen von Dorothy M. Chun und Jan L. Plass mit insgesamt 160 Deutschlernenden. Im Rahmen der Experimente ist es den Lernenden überlassen worden, sich die Bedeutungsangaben unbekannter Lexeme als Text, als Text mit Bild oder als Text mit Video anzeigen zu lassen. Die Studie zeigt, dass Lernende lexikalische Informationen bevorzugt über Bilder abrufen. Die mediale Form der Enkodierung wird auch bei dem Abruf der Angaben genutzt, was ein unangekündigter, zeitverzögerter Vokabeltest belegen konnte: Stehen also Visualisierungen zur Verfügung, nutzen die Lernenden diese auch bevorzugt, um das entsprechende Lexem im Langzeitgedächtnis zu speichern. Die Autoren erklären dies mit dem in der Psychologie bekannten „Hypermnesia“-Effekt53, welcher beschreibt, dass Angaben in Form von Bildern langfristiger als rein textuelle Angaben gespeichert werden (vgl. Chun/Plass 1996: 193). Trotz des erfreulichen Anstiegs an Benutzungsstudien seit den 1980er Jahren – gerade im Bereich von Lernerwörterbüchern – muss auch konstatiert werden, dass
|| 53 Vgl. hierzu Chun/Plass: „Hypermnesia as a general psychological effect predicts a better recall of pictures over time, whereas words to be forgotten.“ (Chun/Plass 1996: 189). Obwohl die Experimente eindeutig zeigen, dass Angaben in Form von Texten und Bildern weitaus besser memoriert werden als Angaben durch Texte und Video, können die Autoren über die Gründe nur spekulieren: „While this general psychological effect accounts for the improved performance for words with pictures + definitions and the lack of improvement for words with only text definitions, further research is necessary to explain why the opposite results are found for the words with video + text. We offer initial speculation that pictures have a constant, fixed quality and can be looked at for as long as the learner wishes, which allows for the development of a mental model of the information.“ (Chun/Plass 1996: 193).
258 | Wie benutzen fortgeschrittene Lernende Wörterbücher?
nicht alle Forschungslücken geschlossen werden konnten: Obwohl der Wortschatzerwerb bei der Benutzung von Lernerwörterbüchern durch die Einbindung von lexikalischen Relationen merklich gefördert werden könnte, liegt eine Benutzungsstudie zu diesem Thema bzw. zum Einsatz onomasiologisch geordneter Nachschlagewerke im Fremdsprachenbereich nicht vor – letzteres wird von Dolezal und McCreary auf die Wahrnehmung und den Stellenwert von onomasiologischen Wörterbüchern in der lexikographischen Forschung zurückgeführt: However, as far as we know, no one has engaged in an empirical study of the thesaurususer/buyer/reader. In as much as thesauri are not a part of the on-going dialogue in lexicography, we can say that thesauri studies do not fit in the current agenda of conventionally accepted lexicographic research. (Dolezal/McCreary 1999: XIII)
8 Konsequenzen für die Lernerlexikographie Nimmt man den Begriff Lernwörterbuch hingegen ernst, soll demnach die Wörterbuchbenutzung die Möglichkeit der kontrollierten Kompetenzerweiterung grundsätzlich beinhalten oder soll darin sogar die vorrangige, wenn auch nicht einzige Zweckbestimmung des Wörterbuchs bestehen, dann muß die Qualität dieses Wörterbuchtyps auch unter wortschatzdidaktischen und lernpsychologischen Gesichtspunkten beurteilt werden. (Zöfgen 1985b: 13)
Obwohl die Zahl der Deutschlernenden international einen rückläufigen Trend aufweist (vgl. Kapitel 6.5.), zeigen sowohl die Erstellung von elf Lernerwörterbüchern als auch deren Neubearbeitungen (vgl. Kapitel 6.6.), dass die Notwendigkeit und der Markt für deutschsprachige Lernerwörterbücher vorhanden sind. Deren Nutzen und kommerzieller Erfolg hängen jedoch in hohem Maße davon ab, ob und wie stark sich die Nachschlagewerke als benutzergruppenorientierte Wörterbücher an den Bedürfnissen und Kompetenzen der Lernenden orientieren. Zwar enthalten aktuelle deutschsprachige Lernerwörterbücher – das hat die Darstellung in Kapitel 6.6. gezeigt – bereits innovative, speziell für DaF-Lernende entwickelte Angabeformen (etwa die Strukturformeln im LGWDAF oder Angaben zu Wortbildungselementen), dennoch ist es nicht möglich, den Bedürfnissen der Lernenden in allen Situationen und für alle Formen von Suchanfragen gerecht zu werden. Die wörterbuchtypbedingten Unzulänglichkeiten haben konzeptionell zwei Ursachen: –
Zum einen ist es kaum möglich (bzw. von Verlagen u.U. auch nicht erwünscht), die fremdsprachlichen Kompetenzen der Benutzergruppe über ein bestimmtes Maß hinaus – etwa die Kompetenzniveaus des GER – festzulegen und die lexikographischen Angaben entsprechend zu gestalten. Daher richten sich einsprachige Lernerwörterbücher, welche für fortgeschrittene Lernende konzipiert sind, an eine sehr heterogene Benutzergruppe, die sich aufgrund ihrer Kompetenzen wie auch aufgrund der unterschiedlichen Erstsprachen in zahlreiche Untergruppen unterteilen lässt: –
Nach den Angaben einiger Vorwörter können die Lernerwörterbücher von Benutzern ab GER-Kompetenzniveau B2 genutzt werden. Somit schwanken die rezeptiven Fähigkeiten der Benutzer zwischen „Kann die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen verstehen“ (B2) und „Kann praktisch alles, was er/sie liest oder hört, mühelos verstehen“ (C2); auch die produktiven Kompetenzen sind entsprechend divergent (vgl. GER).
260 | Konsequenzen für die Lernerlexikographie
Die verschiedenartigen Kompetenzen in Ausgangs- und Zielsprache werden zwar bereits in aktiven/passiven Wörterbüchern berücksichtigt1, allerdings wird auch hier den unterschiedlichen Fähigkeiten der Lernenden auf fortgeschrittenem Niveau nicht Rechnung getragen. –
–
Ebenso könnten aus den Merkmalen der einzelnen Erstsprachen bzw. aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen verschiedenartige Anforderungen an die konzeptionelle Gestaltung der Lernerwörterbücher resultieren – gerade bei Benutzern außerhalb des europäischen Kulturkreises sind ausführliche kulturspezifische Erläuterungen zwingend notwendig.
Zum anderen ergeben sich weitere Unschärfen bei der konzeptionellen Gestaltung von Lernerwörterbüchern durch die Vielzahl an Benutzungssituationen, in denen die Nachschlagewerke konsultiert werden (sollen): Bei der Rezeption und der Produktion fremdsprachlicher Texte sowie bei Übersetzungsaufgaben. Darüber hinaus haben einige Lernerwörterbücher den Anspruch, auch den Ausbau von lexikalischen Kenntnissen der deutschen Sprache systematisch zu fördern (etwa durch Angabe von Wortbildungselementen, von Synonymen etc.). Um für all diese Benutzungssituationen bestmögliche Hilfestellungen zu bieten, sind jedoch verschiedene Ausprägungen von Makro- und Mikrostrukturen notwendig (vgl. die Unterteilung in Produktions- und Rezeptionswörterbücher in Kapitel 6, Fußnote 17), die sich kaum in einem (gedruckten) Wörterbuch vereinen lassen.
Die daraus resultierenden Einschränkungen führen bei der Benutzung von Lernerwörterbüchern notwendigerweise zu Problemen, wie Benutzungsstudien zu (deutschsprachigen) Lernerwörterbüchern gezeigt haben: –
Gerade bei der Rezeption fremdsprachlicher Texte ist die Verständlichkeit der Bedeutungsangaben von großer Wichtigkeit. Wingate konnte jedoch in ihren Benutzungsstudien (1999 und 2002) nachweisen, dass die Bedeutungsangaben von Lernenden auf weniger fortgeschrittenem Niveau nicht verstanden und damit auch nicht genutzt werden können.
|| 1 Während Hartmann und James Lemmaselektion und Benutzungssituation als konstituierende Merkmale aktiver bzw. passiver Wörterbücher nennen (vgl. Kapitel 6, Fußnote 17), sehen Engelberg und Lemnitzer den Unterschied vor allem in der Beschreibungssprache: Aktive Wörterbücher sind Wörterbücher, bei denen die Ausgangssprache die Erstsprache des Benutzers ist, bei passiven Wörterbüchern ist die Zielsprache die Erstsprache des Benutzers (vgl. Lemnitzer/Engelberg 2009: 271f.).
Konsequenzen für die Lernerlexikographie | 261
Bogaards hat für das DGWDAF und das LGWDAF durch eine experimentelle Benutzerstudie zwar nachweisen können2, dass diese vergleichbare Hilfestellungen bei der Rezeption bieten, weist aber auf die Notwendigkeit von Wörterbucharbeit im Fremdsprachenunterricht wie auch auf Schwächen der untersuchten Lernerwörterbücher3 hin: However, the helpfulness of dictionaries should not be exaggerated. Many difficulties have to be surmounted by the users even when the information sought is provided by the dictionary: problems on the level of access as well as problems in the process of comprehension lead to rather low success rates. (Bogaards 2002: 657)
–
Für die Produktion fremdsprachlicher Texte sind wiederum grammatische Angaben essentiell, um Lernenden die sprachlich korrekte Verwendung der nachgeschlagenen Lemmata zu ermöglichen. Beobachtungen von DaFLehrenden (z.B. Fuchs 1996) zeigen, dass es zwingend notwendig ist, Lernende mit der Anwendung entsprechender Angabeformen (etwa den Strukturformeln) vertraut zu machen. Der Einschätzung Wiegands dagegen, dass das Problem von Fremdsprachenlernenden bei der Textproduktion (häufig) darin besteht, von bereits gelernten Wörtern auf den sinnverwandten, adäquaten Ausdruck zu gelangen (vgl. Wiegand 1998b: 550ff.), wird von Honnef-Becker aufgrund ihrer Praxis-Erfahrungen widersprochen: „Dieser Fall kann beim freien Schreiben zwar auftreten, ist aber eher untypisch.“ (Honnef-Becker 2002: 625). Lernende verwenden bei der Textproduktion – anders als bei der Übersetzung – eher vertraute Formulierungen. Als wichtig für die Textproduktion erachtet sie dagegen eine adressatenspezifische Lemmaselektion, Differenzierungen von bedeutungsähnlichen Lexemen, deren Einordnung zu und in einem Wortfeld sowie Beispielangaben4
|| 2 Die 27 Teilnehmer der Studie waren angewiesen, drei deutschsprachige Texte zu lesen, wobei sie unterschiedliche Hilfestellungen erhielten: Bei einem Text durften sie kein Wörterbuch benutzen, bei den anderen konnten sie Angaben aus dem LGWDAF bzw. aus dem DGWDAF nutzen. Anhand der von den Teilnehmenden gegebenen Übersetzungen ausgewählter, vorab unbekannter Wörter war es Bogaards möglich, die Qualität der semantischen Angaben zu beurteilen (vgl. Bogaards 2002: 652ff.). 3 Wie Bogaards beurteilt auch Irmgard Honnef-Becker die Form der semantischen Angaben im DGWDAF kritisch: „Bei den Bedeutungserklärungen im DGWDAF handelt es sich um die wörterbuchtypischen Definitionen nach Oberbegriff und spezifischer Differenz. Diese analytischen Erklärungen sind auf das Verstehen, nicht auf den Gebrauch der Wörter ausgerichtet.“ (Honnef-Becker 2002: 636). 4 Die Kriterien, was ein für die Produktion geeignetes Lernerwörterbuch umfassen sollte, werden von Honnef-Becker indirekt bei ihrer Kritik des DGWDAF formuliert: „Da adressatenspezifische Kriterien bei der Lemmaselektion nicht erkennbar sind, die Begriffe nicht voneinander differenziert
262 | Konsequenzen für die Lernerlexikographie
(vgl. Honnef-Becker 2002: 640). Da diese Merkmale in aktuellen Lernerwörterbüchern nur in eingeschränktem Maß umgesetzt sind, plädiert sie für die Erstellung eines spezifischen Produktionswörterbuchs: Ein dringendes Desiderat wäre ein spezielles Produktionswörterbuch für Deutsch als Fremdsprache. Es sollte nicht auf Begriffserklärung, sondern auf den Gebrauch ausgerichtet sein und sich durch eine reiche Paradigmatik und Syntagmatik auszeichnen. Wörter und Formulierungen müssten in verwendungstypischen Kontexten präsentiert sein, wobei das Wörterbuch auch Textbausteine und Textmuster enthalten sollte. (Honnef-Becker 2002: 644)
Dass die Lernerwörterbücher aufgrund der konzeptionellen Unschärfen den Bedürfnissen der Lernenden nicht in allen Benutzungssituationen immer entsprechen können, liegt auf der Hand. Als weitere mögliche Benutzungssituation für Lernerwörterbücher wird zudem von einigen Verlagen und insbesondere von der Metalexikographie auch die Möglichkeit der systematischen Wortschatzerweiterung angeführt, Lernerwörterbücher – auch das haben Benutzungsstudien gezeigt (vgl. Ripfel 1989: 189 und ZHAW-Studie) – werden bislang jedoch kaum in dieser Funktion genutzt und lassen sich auch strukturell nicht als ‚Lernwörterbücher‘ im Sinne Hausmanns und Lübkes (vgl. Kapitel 6.1.) einstufen oder von den Lernenden als solche benutzen. Das Potential für die Nutzung als Lernwörterbuch ist jedoch vorhanden und sollte mit den neuen Gestaltungsmöglichkeiten, die im elektronischen Medium möglich sind, auch genutzt werden: So können Benutzungsstudien bestätigen, dass durch Wörterbuchbenutzung bei der Rezeption fremdsprachlicher Texte (inzidentell) Wortschatz gelernt wird (vgl. Knight 1994 und Hulstijn et al. 1996). Welche Konsequenzen können nun aus der Darstellung lernpsychologischer Erkenntnisse sowie hinsichtlich der im Fremdsprachenerwerb genutzten Lerntechniken für die Konzeption eines echten Lernwörterbuchs gezogen werden? Besonders drei Erkenntnisse der Lernpsychologie sind hierfür von besonderer Bedeutung: – Das semantische Gedächtnis, in dem auch sprachliche Informationen gespeichert werden, ist durch Begriffe strukturiert, wobei die Begriffsbildung ein wichtiger Prozess für die Enkodierung, aber auch für die Speicherung ist. – Für eine langfristige Speicherung erscheint es sinnvoll, den Lernenden Informationen in unterschiedlichen Angabeformen zu präsentieren; gerade multimediale Angaben scheinen zu einer langfristigen Speicherung beizutragen.
|| und in ein Wortfeld eingeordnet werden und da bei den Beispielangaben und Kollokationen wichtige Anwendungsbereiche fehlen, erscheint es eher fraglich, dass den Benutzern die adressaten- und situationstypische Wortverwendung vermittelt werden kann. Deutschlerner, die auf der Suche nach dem passenden Ausdruck sind, können folglich nur mit geringen Hilfestellungen rechnen, wenn sie zum DGWDAF greifen.“ (Honnef-Becker 2002: 640).
Notwendigkeit einer onomasiologischen Zugriffsstruktur | 263
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Auch die den Lernenden vertrauten Techniken zur Erschließung unbekannter Lexeme (vgl. Kapitel 4.2.) könnten in Lernwörterbüchern genutzt werden. Hier scheint insbesondere die Präsentationen aussagekräftiger Beispiele sinnvoll, die sowohl den usuellen Gebrauch der Lemmata als auch seltenere Verwendungsformen exemplifizieren.
Im Folgenden soll unter Bezug auf Forschungsergebnisse der Lernpsychologie aufgeführt werden, durch welche Maßnahmen Lerner- zu Lernwörterbüchern ausgebaut werden könnten, wobei sowohl erfolgreiche Wörterbuchkonzepte der lexikographischen Geschichte als auch Merkmale aktueller Lernerwörterbücher berücksichtigt werden sollen.
8.1 Konsequenz 1: Notwendigkeit einer onomasiologischen Zugriffsstruktur Lernwörterbücher müssen zwingend über eine onomasiologische Zugriffstruktur verfügen5. Lernpsychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass das semantische Gedächtnis über Begriffe organisiert ist. Auch die Speicherung neuer (sprachlicher) Informationen erfolgt über den Prozess der Begriffsbildung sowie die Integration in vorhandene semantische Strukturen (vgl. Kapitel 5.1.6.). Semantische Eigenschaften und Sinnrelationen werden auch beim Abruf von Begriffen genutzt, was auch für den Zugriff auf (fremdsprachlichen) Wortschatz von großer Bedeutung ist. Dagegen lassen (deutschsprachige) Lernerwörterbücher einzig einen alphabetischen Zugriff zu und nutzen damit ein sich an der Gestalt des sprachlichen Ausdrucks orientierendes Ordnungsprinzip. Semantisches Gedächtnis und Lernerwörterbücher sind strukturell somit nach konträren Prinzipien organisiert. Die alphabetische Anordnung führt zwar zu einem schnellen und gezielten Zugriff auf Angaben, onomasiologische Zusammenhänge können aber so von den Benutzern nicht wahrgenommen bzw. müssen von den Lernenden selbst erarbeitet werden. Eine langfristige Speicherung der nachgeschlagenen Informationen wird somit erheblich erschwert: Interestingly, there are indications in the available research that alphabetically ordered entries that do not adequately present onomasiological and/or semantic relationships (fields and hier-
|| 5 Ähnlich auch die als ‚key requirement‘ an Lernerwörterbücher formulierte Forderung von GötzVotteler und Herbst: „If learner’s dictionaries are to be attractive for purposes of text production, they should include information on onomasiological elements, ideally ranking paradigmatically related lexical units according to frequency. “ (Götz-Votteler/Herbst 2009: 58).
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archies, for example) are an obstacle to the typical student’s successful use of a dictionary. (Dolezal/McCreary 1999: XIII)
Ein Ausbau von Lerner- zu Lernwörterbüchern hätte also zur Folge, dass strukturell Begriffe – und nicht sprachliche Zeichen – die Ausgangsbasis der Anordnung bilden (vgl. auch Kielhöfer 1994: 211). Dies kann einerseits auf mikrostruktureller Ebene umgesetzt werden (vgl. Konsequenz 2), andererseits muss die alphabetische Makrostruktur zwingend um eine onomasiologische Zugriffsstruktur ergänzt bzw. durch diese ersetzt werden. Davon ausgehend, dass eine onomasiologische Strukturierung auf einer Zuordnung zweier Ausdrücke zu einem Konzept basiert (vgl. de Cubber 2002: 752), muss eine benutzbare begrifflich-sachliche Zugriffstruktur durch strukturierende semantische Relationen ergänzt werden: Für eine Hierarchisierung bietet sich die Hyponymie/Hyperonymie-Relation an, ebenso wichtig sind Relationen, welche sich auch das mentale Lexikon strukturieren: etwa Antonymie und Ko-Hyponymie (vgl. auch Neveling 2004: 40ff). Der Nutzen der begrifflich-sachlichen Anordnung ist in der historischen Entwicklung der Lexikographie bereits sehr früh erkannt und für pädagogische Zwecke genutzt worden: Angefangen bei den aus mnemotechnischen Motiven genutzten begrifflich-sachlich geordneten Wortlisten in sumerisch-akkadischer Sprache, den ebenfalls begrifflich-sachlichen Glossaren, welche im Mittelalter zum Erwerb der lateinischen Sprache verwendet wurden, bis hin zu den thematisch geordneten Gesprächsbüchern der frühen Neuzeit, die weniger für den systematischen Wortschatzerwerb konzipiert waren, sondern vielmehr als Lernmaterial in einer äußerst zielgerichteten Form des Fremdsprachenunterrichts dienten. Durch diese historischen Beispiele wird noch ein weiterer Vorteil der onomasiologischen Zugriffsstruktur evident: Sie könnte nicht nur zu einer langfristigen Speicherung im Rahmen der Nachschlagehandlung beitragen, sondern den Lernenden auch die Möglichkeit bieten, sich bestimmte Bereiche des fremdsprachlichen Wortschatzes systematisch und eigenständig anzueignen. Gibt es in der Lernerlexikographie bereits Ansätze zur Einbindung onomasiologischer Zugriffsstrukturen? Im deutschsprachigen Raum sind zwar zwei begrifflich-sachlich gegliederte Wörterbücher – Deutscher Wortschatz. Ein Wegweiser zum treffenden Ausdruck von Hugo Wehrle und Hans Eggers bzw. Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen von Franz Dornseiff, letzteres in immer wieder aktualisierten Auflagen –, erarbeitet worden, diese sind als kumulative Synonymiken jedoch nicht für DaF-Lernende geeignet. Bereits 1977 musste Wiegand daher konstatieren, dass die allgemeine Lexikographie in Deutschland – wie auch später die deutschsprachige Lerner-
Notwendigkeit einer onomasiologischen Zugriffsstruktur | 265
lexikographie als deren Derivat – durch „onomasiologische Blindheit“6 gekennzeichnet ist. Auch Kühn stellt bei seiner Einordnung des LGwDaF in die deutsche Wörterbuchlandschaft fest, dass das Fehlen eines paradigmatischen Produktionswörterbuchs für Lernende angesichts des Mangels an einer distinktiven Synonymik nicht erstaunlich sei (vgl. auch Kühn 1998a: 55). Aber nicht nur für die Speicherung von Wortschatz und den systematischen Erwerb bestimmter Wortschatzbereiche, auch für die Produktion fremdsprachlicher Texte sind eine onomasiologische Zugriffsstruktur und die Angabe von Sinnrelationen unverzichtbar7 (vgl. auch Kühn 1998a: 55): One of the great weaknesses of monolingual print dictionaries is the lack of onomasiological access options, which considerably restricts their usefulness as production dictionaries. (GötzVotteler/Herbst 2009: 58)
Die onomasiologische Blindheit der Lernerwörterbücher ist auch in der britischen Lernerlexikographie als Mangel erkannt worden, denn aktuelle Ausgaben gedruckter Lernerwörterbücher bzw. spezielle Neuentwicklungen (wie der Longman Language Activator oder der Oxford Learner’s Thesaurus) zeigen, dass paradigmatische Angaben entweder auf mikrostruktureller Ebene in Form einer „Thesaurus Box“8 eingebunden werden oder als speziell für Lernende entwickelten Thesauri auf den
|| 6 Wiegand hat diese Kritik 1977 in seinem Aufsatz Nachdenken über Wörterbücher: Aktuelle Probleme formuliert: „Alphabetische Wörterbücher müssen schrittweise zu integrierten Wörterbüchern umgestaltet werden, so daß sie in Situationen der Textlektüre und Textproduktion gleichermaßen benutzbar sind. Die totale Herrschaft des Alphabets, die die Wortschatzstrukturen zertrümmert, muß durch Kodifikationsverfahren überwunden werden, die die onomasiologische Blindheit der alphabetischen Wörterbücher beseitigt.“ (Wiegand 1977: 102). 7 Durch diese Anforderung unterscheiden sich Rezeptions- von Produktionswörterbüchern: „Whereas receptive use is semasiological, going from form to meaning, productive use is onomasiological: it starts from a concept or a meaning which can be formulated in the mother tongue, and has as its goal some more or less equivalent form in the second language.“ (Bogaards 1999: 113). In diesem Kontext ist auch die äußerst kritische Beurteilung der DGWDAF-Angaben durch HonnefBecker zu sehen: „Für die Textproduktionssituation liegt das größte Defizit in der schwachen Paradigmatik des Wörterbuchs: Die Begriffe werden nicht distinktiv erklärt und in ein Wortfeld eingebettet, was den Bezug auf den kulturellen Kontext mit einschließen würde. […]. Die Begriffserklärungen der analysierten Stichproben bieten somit wenig Hilfe beim Verfassen von Texten.“ (Honnef-Becker 2002: 636). 8 Die paradigmatischen Zusatzinformationen treten in verschiedene Ausprägungen auf: Als Zusatzinformationen in Form von „Other ways of saying XX“ in Macmillan English Dictionary for Advanced Learners (2007), als „synonym boxes“ in Oxford Advanced Learner’s Dictionary (2005) und als umfangreiche Listen von bedeutungsähnlichen Ausdrücken mit dem Titel „Thesaurus” in Longman Dictionary of Contemporary English (2009). Auch in Collins Cobuild Advanced Learner’s Dictionary (2009) lassen sich “thesaurus boxes” finden, diese enthalten allerdings nur Angaben zu bedeutungsähnlichen Begriffen ohne weitere Differenzierungen (vgl. Götz-Votteler/Herbst 2009: 58).
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Markt kommen. Damit setzen sich die aktuellen Ausgaben deutlich von früheren ab, die Bogaards 1999 in Hinblick auf die Zugriffsstrukturen untersucht hat (vgl. Bogaards 1999). Als Fazit kritisiert er nicht nur die Unzulänglichkeit der Angaben in den von ihm untersuchten Wörterbüchern, sondern thematisiert auch den mit einer systematischen Umsetzung verbundenen Aufwand: „As a conclusion […] one can say that helping learners in their onomasiological search is a hell of a job.” (Bogaards 1999: 128). Noch deutlicher zeigt sich der Wandel in den elektronischen Versionen der englischen Lernerwörterbücher: Vier von fünf der durch Katrin Götz-Votteler und Thomas Herbst untersuchten Nachschlagewerke stellen den Lernenden in elektronischer Form zusätzliches Material zur Verfügung. Während die meisten zusätzliche paradigmatische Informationen in Form von typographisch abgesetzten Zusatzangaben einfügen und somit den systematischen Wortschatzerwerb der Lernenden – auch auf Ebene der einzelnen Lesarten – fördern, gehen das Oxford Advanced Learner’s Dictionary und das Longman Dictionary of Contemporary English in ihren neuesten Auflagen so weit, ein zusätzliches, onomasiologisches Wörterbuch mit dem Lernerwörterbuch zu verlinken. Damit können Lernende zum ersten Mal systematisch auf den Wortschatz der englischen Sprache zugreifen, ohne auf die benutzerfreundlichen Angaben der Lernerwörterbücher verzichten zu müssen. GötzVotteler und Herbst weisen aber auch darauf hin, dass der Systematisierung der Angaben entsprechend viel Aufmerksamkeit gewidmet werden muss: „[W]hether the inclusion of additional onomasiological information in an electronic version is helpful depends on how accessible this information is.“ (Götz-Votteler/Herbst 2009: 59). Aber nicht nur die systematische Einbindung von paradigmatischen Relationen ist eine Herausforderung für Lexikographen, auch die Auswertung korpuslinguistisch erschlossener paradigmatischer Angaben ist anspruchsvoll – dies zeigt sich deutlich bei der Erstellung des einzigen deutschsprachigen, originär für Hypertext entwickelten Wörterbuchs, elexiko. Durch eine korpuslinguistische Grundlage bei der Erstellung von Lernerwörterbüchern eröffnen sich auch bei paradigmatischen Angaben neue Perspektiven, es ergeben sich aber auch neue Aufgaben für den Lexikographen: „Korpusbeobachtungen zu Fragen paradigmatischer Relationen zeigen deutliche Abweichungen gegenüber lexikografischer [sic!] Angaben zu sinn- und sachverwandten Wörtern in existierenden Synonym- und Antonymwörterbüchern.“ (Storjohann 2005: 39).
Ausbau der paradigmatischen Angaben und des Verweissystems | 267
8.2 Konsequenz 2: Ausbau der paradigmatischen Angaben und des Verweissystems Innerhalb der Wörterbuchartikel sind paradigmatische Angaben in Form expliziter Verweise essentiell, um Strukturen im Wortschatz auch auf mikrostruktureller Ebene sichtbar zu machen. Aus den bisherigen Ausführungen resultiert, dass auch auf mikrostruktureller Ebene explizite Verweise9 auf weitere Begriffe eines Wortfelds unverzichtbar sind – sowohl für die Produktion als auch für die Wortschatzerweiterung. Erst durch differenzierende Angaben zu Synonymen, Antonymen, Ober- und Unterbegriffen sowie exemplifizierende Beispielangaben wird den Lernenden eine „situationsadäquate[…], adressatenspezifische[…] und intentionsgerechte[…] Wortverwendung“ (Kühn 1998a: 56) präsentiert. Hier erweist sich die Form der Synonymund Antonym-Angaben, wie sie bislang in Lernerwörterbücher umgesetzt wird, als unzulänglich, da sie die Funktion hat ‚lediglich‘ die lexikographische Definition [zu] ergänzen oder ersetzen“ (Kühn 1998a: 55). Auch Herbert Ernst Wiegand unterstreicht die Bedeutung, welche paradigmatische Angaben für die Suche nach dem adäquaten Ausdruck bei der Textproduktion haben können: Hyponyme zur Spezifizierung, Hyperonyme zur Generalisierung, Synonyme zur Nuancierung, Antonyme zur Polarisierung etc. (vgl. Wiegand 1998b: 911). Dass dieses Bedürfnis bei Lernenden tatsächlich besteht – etwa bei der Überarbeitung von Texten –, kann HonnefBecker bestätigen (Honnef-Becker 2002: 628). In dieser Hinsicht leisten zweisprachige Wörterbücher mehr als einsprachige Lernerwörterbücher: Durch die Angabe mehrerer Äquivalente in der Fremdsprache wird den Benutzern eine onomasiologische Erschließung der fremdsprachlichen Lexik ermöglicht10.
|| 9 In Abgrenzung zu Schaeder, der die genus-proximum-Angabe zu den impliziten Verweisen rechnet, versteht Müller unter Verweisen nur „solche Fälle, in denen Verweise kenntlich gemacht sind“ (Müller 2002: 485), wobei er weiter zwischen expliziten und impliziten Verweisen unterscheidet: „Als ,explizit‘ bezeichne ich dabei solche Verweise, für die ,selbstverständliche‘ Verweisindikatoren verwendet sind […], die aufgrund ihrer usuellen semiotischen Funktion Verweise indizieren. Dagegen betrachte ich Verweise dann als ,implizit‘, wenn sie solche Verweisindikatoren aufweisen, die nur infolge einer semiotischen Sonderregelung verweisindizierend wirken. In diesen Fällen sind im Vorspann von Wörterbüchern Hinweise darauf notwendig, daß bestimmte Symbole bzw. sprachliche Elemente als Verweisindikatoren zu verstehen sind und insofern in einem Wörterbuch eine spezifische semiotische Funktion erfüllen.“ (Müller 2002: 486). 10 Vgl. hierzu Götz-Vottler/Herbst: “In this respect bilingual dictionaries are superior to monolingual dictionaries because they provide the foreign learner with the possibility of an onomasiological starting point, and in many cases they also offer a range of semantically similar words or expressions in the target language. This is particularly important with respect to the way a particular meaning would ‘normally’ be expressed in the target language.” (Götz-Votteler/Herbst 2009: 58).
268 | Konsequenzen für die Lernerlexikographie
Auch Peter Kühn beurteilt das Fehlen einer systematischen Einbindung paradigmatischer Angaben äußerst negativ. Seine Auswertung des LGWDAF ergibt, dass sich auch durch das erste Lernerwörterbuch kaum etwas an diesem Umstand geändert hat: Das Außerachtlassen paradigmatischer Informationen für textproduktive Zwecke ist umso erstaunlicher, da dies in der Diskussion um die Konzeption von Lernerwörterbüchern als lexikographisches Obligio betrachtet wird. (Kühn 1998a: 56)
Die Kritik Kühns wird auch von Matthias Kammerer geteilt, welcher die Mediostruktur im LGWDAF näher untersucht hat. Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese „im ganzen gesehen nicht sonderlich ausgeprägt ist“ (Kammerer 1998: 326). So werden Synonyme und Antonyme zwar z.T. aufgeführt, ein Verweis auf den entsprechenden Wörterbuchartikel ist jedoch nur indirekt gegeben (vgl. Kammerer 1998: 323). Dagegen haben sich die Verfasser des DGWDAF bemüht, für Lernende onomasiologische Zusammenhänge durch Verweise auf Wortfelder, welche im Anhang aufgelistet werden, aufzubereiten. Da dies jedoch lediglich in Form von kumulativen Angaben zu einem Gegenstandsbereich ohne weitere semantische oder pragmatische Differenzierungen erfolgt, muss der tatsächliche Nutzen für Fremdsprachenlernende hinterfragt werden. Auch Synonyme und Antonyme werden in den Wörterbuchartikeln nicht als Verweisangaben aufgeführt: Explizite Artikelverweise auf bedeutungsähnliche Lexeme (Synonyme, Hyperonyme, Hyponyme u.a. Wortfeldlexeme) sind insgesamt selten (Müller 2002: 492). Trotz all dieser Einschränkungen kommt Peter O. Müller zu einer – unverständlich – positiven Beurteilung: „Insbesondere die Verweise auf Wortfamilienlexeme und Wortfelder tragen im DGWDAF wesentlich dazu bei, die der alphabetischen Lemmasortierung entsprechende Einzelwort-Perspektive onomasiologisch aufzubereiten“ (Müller 2002: 494). Allerdings sollten sich die Verweise auf andere Wörterbuchartikel bzw. Lesartenangaben nicht nur auf die klassischen Sinnrelationen der strukturellen Semantik beschränken: Die verschiedenen Theorien zum Begriffsbildungsprozess in der Lernpsychologie zeigen, dass auch Verweise auf Begriffe von Bedeutung sind, die prozedurale Aspekte (Einkaufen, Essen gehen) berücksichtigen oder in einer eher assoziativen Beziehung zu dem Lemma stehen (vgl. zu letzterem Aspekt auch Neveling 2004: 47). Ebenso haben sich syntagmatische Strukturen im mentalen Lexikon als äußerst fest erwiesen (vgl. Neveling 2004: 46): Daher kann auch eine Ergänzung der vorwiegend semantischen Angaben um Kollokationen Lernende beim Erwerb des fremdsprachlichen Wortschatzes unterstützen.
Nutzung des Grundwortschatzes zum Wortschatzausbau | 269
8.3 Konsequenz 3: Nutzung des Grundwortschatzes zum Wortschatzausbau Bereits gelernter Wortschatz ist bei einer onomasiologischen Strukturierung zwingend hervorzuheben. Für die Enkodierung neuer Informationen sind sowohl die Elaboration als auch die Assimilation von großer Bedeutung: Die Elaboration setzt eine intensive Beschäftigung mit dem Lernstoff und die Aktivierung von Vorwissen voraus, die Assimilation erfordert die Herstellung von Bezügen zu bereits Gelerntem sowie das aktive Einbetten neuer Informationen in das Vorwissen. Übertragen auf die systematische Wortschatzerweiterung bei der Benutzung von Lernerwörterbüchern bedeutet dies für die Gestaltung der Makrostruktur: Um den Nutzen einer onomasiologischen Zugriffsstruktur für die Lernenden zu erhöhen, sollten bereits gelernte Lexeme, welche durch Grundwortschatzlisten bzw. Wortschatzlisten im Anhang von DaF-Lehrwerken ermittelt werden können, als wichtige strukturelle Knotenpunkte modelliert werden. Auf Ebene der Mikrostruktur kann die Enkodierung neuer Informationen gesteigert werden, indem immer dann, wenn dies sinnvoll ist, auf den Lernwortschatz verwiesen wird. Auf diese Weise wird bei den Lernenden möglichst oft das Vorwissen aktiviert; diese wiederum können beim Nachschlagen unbekannter Lexeme ihre vorhandenen Kenntnisse bewusst nutzen bzw. die neuen Informationen mit ihrem Vorwissen verknüpfen. Anders als bei der Diskussion um einen kontrollierten Definitionswortschatz soll durch diese Maßnahmen nicht allein die Verständlichkeit der Angaben verbessert, sondern Abläufe des Lernprozesses genutzt werden, um Lernen beim Nachschlagen zu fördern. Typographisch wird der Lernwortschatz bzw. der Zertifikatswortschatz bereits in aktuellen Ausgaben von Lernerwörterbüchern hervorgehoben, sodass entsprechende Lemmata von den Lernenden bei der Suche schneller wahrgenommen werden: Besonders ausgearbeitet ist in diesem Wörterbuch auch der sogenannte Zertifikatswortschatz, dessen Erlernen eine grundlegende Voraussetzung für das erfolgreiche Bestehen der Sprachprüfung ,Zertifikat Deutsch‘ ist. Diese Stichwörter sind im Wörterbuch farbig hervorgehoben und besonders ausführlich dargestellt. (Vorwort von Wahrig. Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache)
Allerdings ist für eine semantische Vernetzung neuer Wörter mit bereits gelernten weniger die typographische Hervorhebung des Zertifikatswortschatzes wichtig als vielmehr die Angabe von Verweisen auf den Zertifikatswortschatz bei Lemmata, die nicht dem Zertifikatswortschatz zuzurechnen sind.
270 | Konsequenzen für die Lernerlexikographie
8.4 Konsequenz 4: Plädoyer für eine nicht-restriktive Lemmaselektion Lernwörterbücher sollten sich bei der Lemmaselektion einerseits an Grundwortschatzlisten sowie an dem in Lehrwerken vermittelten Wortschatz orientieren (vgl. Konsequenz 3), aber auch individuelle Interessen der Lernenden berücksichtigen und somit möglichst umfangreich sein. Diese Konsequenz aus den lernpsychologischen Darstellungen ist insbesondere für die Erstellung von elektronischen Wörterbüchern von Relevanz, bei denen keine Vorgaben zu Platz- und Druckkosten eingehalten werden müssen. Während die subjektive Bedeutsamkeit im fremdsprachlichen Unterricht individuell genutzt werden kann – etwa durch die Aufforderung an die Lernenden, eine Liste fremdsprachlicher Adjektive daraufhin durchzugehen, ob diese auf sie zutreffen oder nicht –, ist die Förderung subjektiver Bedeutsamkeit bei der Benutzung von Lernwörterbüchern nur schwer umzusetzen und kann einzig durch die Auswahl der Lemmata erreicht werden. Die Lemmaliste sollte daher umfangreich sein, um möglichst viele Interessensbereiche zu berücksichtigen. Sollte die Lemmaselektion sich nur auf den Zertifikatswortschatz beschränken, könnte das bei der Benutzung des Lernerwörterbuchs zur Unzufriedenheit führen, wenn Themen, welche für Lernende von Interesse sind, nicht enthalten sind. Ein Blick auf die Produkte der britischen Lernerlexikographie zeigt, dass diese deutlich umfangreicher als deutschsprachige Lernerwörterbücher sind: Das OALD beinhaltet in der neuesten Ausgabe „184.500 words, meanings, and phrases“, das LDOCE sogar „207.000 words, phrases and meanings“. Als Begründung führt Henry Widdowson im Vorwort der 7. Ausgabe des OALD an, dass ein Wörterbuch den Erwartungshaltungen der Benutzer entgegenkomme müsse und für deren Zwecke nützlich sein solle. Dagegen haben stichprobenartige Untersuchungen zur Lemmaselektion des DGWDAF von Honnef-Becker und Bogaards (vgl. Boogards 2002: 649) erwiesen, dass hier Lemmata aus Wortfeldern des alltäglichen Gebrauchs (etwa Handy, Internet und CD aus dem Wortfeld Medien) ebenso fehlen wie politisch-gesellschaftlich relevante Lexik (wie Recycling und Öko) und Wortschatz, welcher für die Beschäftigung mit deutscher Geschichte von Bedeutung ist (etwa Lexeme, welche die Markierung „DDR“ tragen). Dies ist umso unverständlicher, da seltene bzw. veraltete Wörter wie Bache enthalten sind (vgl. Honnef-Becker 2002: 631). Honnef-Becker kommt daher zu dem wenig positiven Ergebnis: „Eine adressatenspezifische Auswahl bei der Lemmaselektion ist nicht erkennbar.“ (Honnef-Becker 2002: 632). Eine quantitativ ausgerichtete Analyse zur Lemmaselektion des LGWDAF hat zudem gezeigt, dass der tatsächliche Umfang von den werbewirksamen Angaben des Verlags abweicht (33.000 statt angegebener 66.000 Lemmata). Der geschätzte Umfang des DGWDAF (20.700 Lemmata) stimmt zwar mit den Angaben des Verlags
Nutzung von multimedialen Angaben für die langfristige Speicherung | 271
überein, für beide Wörterbücher muss jedoch festgehalten werden, dass die Auswahl und der Umfang für die angegebenen Benutzungssituationen (Rezeption und Produktion) unzureichend ist. Dies gilt insbesondere für das LGWDAF, welches für beide Benutzungssituationen konzipiert ist, für die Rezeption in Auswahl und Umfang jedoch zu klein ist (vgl. Bergenholtz/Meder 1998: 294): „Wir sind der Meinung, daß die Verfasser zu viel versprechen, wenn sie eine Lemmaselektion ankündigen, die einen Zugang zu Zeitungen, Zeitschriften, Fachtexten und moderner Literatur ermöglicht.“ (Bergenholtz/Meder 1998: 294). Ähnliches muss auch für das DGWDAF konstatiert werden, welches allerdings primär als Produktionswörterbuch konzipiert worden ist und somit über eine selektive Makrostruktur, dafür aber eine umfangreiche Mikrostruktur verfügt (vgl. Beißwenger/Körkel 2002: 398). Allerdings ist auch hier die über den Zertifikatswortschatz sowie alltagsrelevante Wortschatzbereiche hinausgehende Lemmaselektion aufgrund fehlender Auswahlkriterien zu kritisieren: Zur Lemmaselektion im DGWDAF läßt sich zusammenfassend (und unter den erwähnten Vorbehalten) feststellen, daß man sich bei der Auswahl der Lemmazeichen im Großen und Ganzen bemüht hat, diejenigen Wortschatzbereiche zu berücksichtigen, die solche Lebensbereiche abdecken, die für fremdsprachige Deutschlerner als zentral erachtet werden können. Innerhalb dieser betreffenden Wortschatzbereiche wurde allerdings offenbar eher nach dem Schneeballprinzip denn nach systematischen Kriterien ausgewählt. (Beißwenger/Körkel 2002: 409f.)
8.5 Konsequenz 5: Nutzung von multimedialen Angaben für die langfristige Speicherung Die Einbindung von multimedialen Angaben fördert die multiple Enkodierung von Wortschatz und ist für die Schaffung von vielfältigen Abrufreizen notwendig. Multimediale Präsentation des Lernstoffs führt zu einer multiplen Enkodierung, die Lernenden können so die Informationen in verschiedenen Kodierungssystemen speichern. Zudem werden auch verschiedenartige Abrufreize geschaffen, sodass neue Informationen tiefer bzw. langfristiger gespeichert werden und schneller wieder abgerufen werden können (vgl. Kapitel 5.1.5.). Damit ist auch die Präsentation lexikographischer Informationen – sofern dies möglich ist – in verschiedenen Medien zwingend notwendig. Die Studie von Chun und Plass (vgl. dazu Kapitel 7.3.) hat zeigen können, dass die Benutzer von (elektronischen) Wörterbüchern am häufigsten Angaben abrufen, welche textuelle Definitionen mit Bildern verbinden. Ein weiteres Ergebnis der Studie ist die Erkenntnis, dass die Angabeform, welche die Benutzer nachgeschlagen haben, auch als Abrufreiz genutzt wird – Teilnehmende der Studie, welche zusätzlich Bilder als Semantisierungshilfen genutzt haben, rufen die Information nach
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eigenen Angaben auch in visueller Form aus dem Langzeitgedächtnis ab (vgl. Chun/ Plass 1996: 194). Die Speicherung von lexikographischer Angaben hängt also in hohem Maß von dem medialen Darstellungsangebot ab. Werner Hupka hat bereits 1989 auf die Bedeutung von Illustrationen11 in Zusammenhang mit Enkodierung und Speicherung hingewiesen: [Es] kann im Hinblick auf die Informationsaufnahme durch den Wörterbuchbenutzer festgehalten werden, daß die Verbindung des verbalen und piktoralen Kanals als die effektivste beurteilt wird, wobei ein gewisses Maß an Redundanz auch zwischen beiden Medien zur Informationsabsicherung nützlich erscheint. (Hupka 1989a: 226)
In Abhängigkeit von der Benutzungssituation kommen multimedialen Angaben in Lernerwörterbüchern verschiedene Funktionen zu: – Bei der Rezeption können Illustrationen zum einen die Verständlichkeit von einzelnen Definitionen visuell unterstützen, zum anderen können Illustrationen bei bestimmten Wortschatzbereichen systematisch als Semantisierungshilfen eingesetzt werden. Gerade der hohe Abstraktionsgrad vieler Bedeutungsangaben bzw. die z.T. umständliche Definition von Konkreta (vgl. etwa das von Herbst und Klotz angeführte Definitionsbeispiel von seal) kann durch die Einbindung von Illustrationen bzw. durch Verweise auf diese vereinfacht werden – ein Verfahren, welches gerade für Lernende wichtig ist: „Illustration is one of the five basic explanatory techniques in dictionaries, the other four being exemplification, discussion, definition, and translation.“ (Ilson 1987: 193). – Bei der Produktion und beim Wortschatzerwerb12 können Bilder – je nach Illustrationstyp – auch zur Erschließung von Sachfeldern beitragen (vgl. auch Herbst/Klotz 2003: 162). Außerdem fungieren Illustrationen als Mittel zur Realisierung der Lernfunktion des Wörterbuchs. In Lernerwörterbüchern können sie leicht verwechselbare Wörter kontrastieren, Sachfelder erschließen, paradigmatische Beziehungen wie Hyponymie, Hyperonymie, Synonymie, Antonymie etc. und auch allgemeinere thematische und assoziative Beziehungen fasslich machen, was den Wortschatzerwerb fördert und erleichtert. (Bielińska 2010: 73)
Die Geschichte der Lexikographie zeigt auch, dass die Einbindung von Illustrationen in Wörterbücher zu großen (verlegerischen) Erfolgen führen kann: So hat Jo-
|| 11 Müller-Spitzer verdeutlicht, dass der Begriff Illustration sowohl die „Bebilderung […] zur Ergänzung lexikografischer Texte“ umfassen kann als auch die „Visualisierung“ als Mittel, „um die netzartige Darstellung beispielsweise paradigmatischer Relationen oder sonstige Formen der Veranschaulichung“ (Müller-Spitzer 2005: 205) zu veranschaulichen. 12 Vgl. dazu auch Ilson: „Dictionary illustrations can encourage not only language comprehension, but also language production.“ (Ilson 1987: 200f.).
Nutzung von multimedialen Angaben für die langfristige Speicherung | 273
hann Comenius bereits im 17. Jahrhundert erkannt, welche Bedeutung der bildlichen Darstellung in Nachschlagewerken zukommt, und mit dem Orbis sensualium pictus ein bebildertes, begrifflich-sachlich geordnetes Wörterbuch erschaffen, welches nicht nur einzelne Ausschnitte des Wortschatzes, sondern ganze Themenbereiche illustriert: Einerseits werden Bild und Sprache unter Wahrung des Zusammenhangs eines Sachverhalts korreliert, denn der Orbis pictus bietet nicht Darstellung und Bezeichnung eines Dings, sondern – komplexer – die Darstellung eines Sachverhalts und des diesbezüglichen Wortfelds. Andererseits wird der Sachverhalt intern in Elemente und deren Benennung differenziert. (HaßZumkehr 2001: 306)
Trotz des kommerziellen Erfolgs des Orbis Pictus, des „erfolgreichsten Wörter- und Lehrbuchs aller Zeiten“ (Haß-Zumkehr 2001: 307), sowie dessen ebenso erfolgreichen Überarbeitungen hat sich im deutschsprachigen Raum die Illustration von Wörterbüchern – anders als in Frankreich, Spanien oder England (vgl. Hupka 1989b: 704, Kammerer 2002: 257) – nicht durchsetzen können. Eine Ausnahme bilden hier die in den letzten 20 Jahren erstellten deutschsprachigen Lernerwörterbücher (vgl. Müller-Spitzer 2005: 205 und Bielińska 2010: 69), welche in gedruckter wie in elektronischer Version Illustrationen als Semantisierungshilfen einbinden. Fraglich bleibt jedoch, ob sich die punktuelle, unsystematische Einbindung von Illustrationen (vgl. die Kritik der Abbildungen im DGWDAF von Kammerer 2002: 275) für Lernende als nützlich erweist. Gründe dafür, dass sich Illustrationen als „ergänzende Darstellungsformen“ (vgl. Herbst/Klotz 2003: 161) in Deutschland nicht durchgesetzt haben, finden sich auch in den Problemen, welche mit der Illustrierung lexikographischer Angaben verbunden sind: – Die Zuordnung von Illustration und Bedeutung ist zwar bei nominalen Konkreta relativ einfach umzusetzen, dies gilt jedoch nicht für Abstrakta bzw. andere Wortarten. – Auch die Wahl des Illustrationstyps – Hupka unterscheidet zwischen unikalen, aufzählende, sequentiellen, strukturellen, funktionalen, nomenklatorischen, szenischen, enzyklopädischen Illustrationen13 und Funktionsschemata (vgl. Hupka 1989a: 196ff. und Hupka 1989b: 710ff.) – ist durchaus problembehaftet. || 13 Unikale Illustrationen stellen ein einziges Objekt dar, aufzählende Illustrationen dagegen Abbildungen verschiedener Typen eines Objekts. Sequentielle Illustrationen illustrieren einen Ablauf, strukturelle Illustrationen das mit dem Lemma bezeichnete Objekt in Zusammenhang mit angrenzenden Teilen, wohingegen funktionale Illustrationen weniger das Äußere des Objekts als vielmehr den Aufbau und somit seine Funktionsweise abbilden. Funktionsschemata unterscheiden sich von den funktionalen Illustrationen, indem nicht nur ein Objekt, sondern mehrerer Objekte bzw. funktionale Zusammenhänge zwischen Objekten in einem höheren Abstraktionsgrad dargestellt wird. Nomenklatorische Illustrationen visualisieren ganze Klassen von Objekten (insbesondere von Fach-
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–
Ebenso stellt sich die Frage, ob sich Fotografien14 zur Abbildung von Konkreta eignen oder ob nicht eher die Illustration in abstrahierender Form, etwa als Zeichnung, den Benutzern bzw. Lernenden durch Hervorhebung charakteristischer Merkmale hilft.
Aber nicht nur bei den Illustrationen stellt sich die Frage nach der Repräsentativität, auch bei Videosequenzen ist dies ein wesentliches Problem. Für die Speicherung der Information scheinen Videos zudem als ergänzende Angaben aufgrund der sequentiellen Darstellungsform für Lernende ungeeignet; sie werden – wie Chun und Plass zeigen konnten – von Lernenden daher auch seltener genutzt als Bilder: We offer initial speculation that pictures have a constant, fixed quality and can be looked at for as long as the learner wishes, which allows for the development of a mental model of the information. Videos, on the other hand, are of a more transient, time-based nature and require the viewer to develop a dynamic mental model. (Chun/Plass 1996: 193)
Zusammenfassend muss angesichts des Umstandes, dass multimediale Angaben den Erwerb von Wortschatz langfristig fördern und von den Lernenden – falls vorhanden – genutzt werden, kritisch gefragt werden, warum in deutschsprachigen Lernerwörterbüchern – gerade in elektronischer Form – multimediale Angaben nicht systematisch eingebunden werden. Just how important are illustrations in a dictionary? The answer depends on the intended audience. The more elementary or pedagogical the work is, the more useful are illustrations. (Landau 2001: 147)
|| gebieten), szenische Illustrationen dagegen ganze Ausschnitte der Alltagswelt. Enzyklopädische Illustrationen stellen insofern einen Sondertyp dar, als dass sie ein Beispiel für ein Abstraktum geben, z.B. eine Infrarotaufnahme als Beispiel beim Lemma Archäologie (vgl. Hupka 1989a: 200ff.). 14 Fotographien können zwar – anders als Zeichnungen – bei enzyklopädischen Angaben von großem Nutzen sein, dennoch hat ihre Einbindung in Nachschlagewerke auch Nachteile: „Dass Fotografien im Vergleich zu Zeichnungen eher selten eingesetzt werden, hat wohl vor allem zwei Gründe: Erstens scheinen sich die prototypischen Merkmale eines Gegenstands in Zeichnungen deutlicher herausarbeiten zu lassen als in Fotos. Zweitens haben Fotografien natürlich auch den Nachteil, dass sie häufig wesentlich stärker zeitgebunden sind als Zeichnungen.“ (Herbst/Klotz 2003: 163, vgl. dazu auch Landau 2001: 144f).
Mehr Beispiele als Semantisierungshilfen | 275
8.6 Konsequenz 6: Mehr Beispiele als Semantisierungshilfen Durch die Einbindung von Beispielen kann die Anwendung von Semantisierungstechniken – etwa das Erschließen von Bedeutungen aus dem Kontext – , mit denen Lernende im Rahmen des fremdsprachlichen Unterrichts vertraut gemacht werden, gefördert werden. Die Beliebtheit von Beispielen bei Lernenden (etwa Hartmann 1983: 199, Ripfel 1989: 184ff.) weist darauf hin, dass diese nicht nur als Beleganlagen genutzt werden, sondern beispielhaft grammatische und semantische Kontexte präsentieren. Die „zentrale Rolle bei der Informationsvermittlung“ (Herbst/Klotz 2003: 142), welche den Beispielen in Lernerwörterbüchern zukommt, ist durchaus beabsichtigt. Aus fremdsprachendidaktischer Sicht hat u.a. Zöfgen auf die Bedeutung von Beispielen hingewiesen: Beispiele konkretisieren syntaktische und paradigmatische Angaben und geben so dem Lemma „das Kolorit zurück[…], das im definitorischen Akt verlorengeht“ (Zöfgen 1994b: 192). Eine noch wichtigere Funktion haben Beispielangaben bei der Produktion fremdsprachlicher Texte: Lernende entnehmen die notwendigen Informationen häufig den Beispielen und umgehen so die Auseinandersetzung mit den z.T. komplexen grammatischen Angaben (vgl. Herbst/Klotz 2003: 55). Auch Konerding betont mit Verweis auf Untersuchungen zu Semantisierungstechniken im fremdsprachlichen Unterricht (vgl. auch Kapitel 4.2.1.), dass „kontextbezogene Erklärungen“ gerade für die Speicherung von Angaben und die Sprachproduktion von großer Bedeutung sind (vgl. Konerding 1998: 109). Trotz der Vorteile, welche die systematische Einbindung von ausgewählten Beispielen für die Zielgruppe DaF-Lernender hat, werden auch in Lernerwörterbüchern Beispiele nur in geringer Zahl eingebunden. Kühn kritisiert, dass im LGWDAF „dem lexikographischen Beispiel nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde als anderen lexikographischen Angaben“ (Kühn 1998a: 54). Insgesamt sei ein sparsamer Umgang zu konstatieren sowie das Fehlen von Kriterien zur Einbindung von Beispielangaben15. Die Beispiele, welche im LGWDAF zu finden sind, seien teilweise zu
|| 15 Für zweisprachige „Gebrauchswörterbücher“ – gemeint sind hiermit zweisprachige Wörterbücher im Umfang eines Taschen- oder Handwörterbuchs – hat Ulrich Engel fehlende Kriterien bei der Auswahl von Beispielen bereits 1982 scharf kritisiert: „Denn alle Wörterbücher, nicht nur, aber auch die hier geprüften [zweisprachigen MR], enthalten überschüssige Informationen, die ohne Schaden für den Benutzer verkürzt werden können: die ‚Beispiele‘. Der Leser wird dies nicht gerne vernehmen, möge mir aber noch ein kleines Stück weiter folgen. Beispiele, so hört man oft, seien das Wichtigste an Wörterbüchern, aus ihnen ziehe der Benutzer am meisten Gewinn. Mag sein, unter bestimmten, selten genug gegebenen Voraussetzungen; meist nämlich sind sie das Nutzloseste, Verwirrendste, Fehlerträchtigste, aus folgendem Grund: ein Beispiel steht für etwas, für eine große Zahl ähnlicher Sätze oder Ausdrücke, und es ist nur insofern etwas wert, als es auf diese anderen Ausdrücke hinweist, den Rahmen erkennen läßt, in dem es als Beispiel fungiert. Nur dann nämlich
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knapp gefasst oder erfüllen nicht die Kriterien „typisch, prototypisch oder charakteristisch“ zu sein (vgl. Kühn 1998a: 55). Ähnlich kritisch sehen Köster und Neubauer die Einbindung von Beispielen im DGWDAF (vgl. Köster/Neubauer 2002: 304ff.). Gerade in elektronischen Lernerwörterbüchern sollten gezielt ausgewählte Beispiele eingebunden werden, welche sowohl die in den Artikel enthaltenen Informationen exemplifizieren als auch zur eigenständigen Bedeutungserschließung genutzt werden können.
|| setzt das Beispiel den Benutzer in den Stand, nicht nur diesen einen konkreten Ausdruck zu wiederholen, sondern eine große Anzahl ähnlicher Ausdrücke zu bilden und damit sprachliche Strukturen kreativ einzusetzen. Daß die Wörterbücher insgesamt diesen Aspekt vernachlässigen, Beispiele ziemlich wahllos und ohne Hinblick auf ihre Generalisierbarkeit einsetzen, kann ein Blick auf beliebige Seiten fast beliebiger Wörterbücher lehren […]“ (Engel 1982: 52f.). Ickler weist die Kritik von Engel wiederum mit dem Hinweis zurück, dass gerade Beispiele bei den Benutzern sehr beliebt sind, da diese den Sprachgebrauch exemplifizieren: „Zu den besten Informationsweisen gehört die Angabe gut gewählter Beispiele. Beispiele nehmen nicht, wie Ulrich Engel (1982) meint, wichtigeren Informationen den Platz weg und sind auch nicht ‚das Nutzloseste, Verwirrendste, Fehlerträchtigste‘; sie sind vielmehr das, was der Lerner am meisten wünscht, woraus er am meisten und am nachhaltigsten lernt und was der analogischen Natur des Sprechens wie des Sprachlernens am meisten entgegenkommt.“ (Ickler 1985: 376). Die Kritik von Engel kann aber auch mit dem Hinweis auf die Benutzerbedürfnisse nicht ganz von der Hand gewiesen werden – bis heute unterliegt die Einbindung von Beispielen keiner Systematik.
9 Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine EyeTracking-Studie 9.1 Aufmerksamkeit und Eye-Tracking Dem Konzept der Aufmerksamkeit kommt in der Lernpsychologie eine große Bedeutung zu: Was nicht die Aufmerksamkeit von Lernenden erregen kann, wird von diesen auch nicht wahrgenommen1 und kann somit auch nicht in den verschiedenen Systemen des Gedächtnisses (vgl. Kapitel 5.1.) verarbeitet werden. Aufmerksamkeit ist somit eine wichtige Bedingung für Informationsverarbeitung bzw. Lernen: Die Aufmerksamkeit gestattet es […] dem Menschen, bestimmte Informationen auszuwählen und in den Blickpunkt zu rücken, wodurch es möglich wird, diese weiter zu verarbeiten. (Mietzel 2007: 207)
Aufmerksamkeitsprozesse werden durch die zentrale Exekutive (vgl. Kapitel 5.1.2.1.) im Arbeitsgedächtnis gesteuert, ausgewählte Reize werden weitergeleitet, im Arbeitsgedächtnis weiter verarbeitet und im Langzeitgedächtnis gespeichert. Dies ist insbesondere für den Erwerb von Sachwissen, wozu auch sprachliches Wissen gezählt werden kann (vgl. Kapitel 5.1.6.), wichtig, das im deklarativen bzw. semantischen Gedächtnis gespeichert wird (vgl. Kapitel 5.1.). In Abhängigkeit von den Sinnesorganen, welche die Reize aufnehmen, kann zwischen verschiedenen Formen von Aufmerksamkeit unterschieden werden, wobei aufgrund der limitierten Aufnahmefähigkeit des menschlichen Wahrnehmungsapparats in jedem Fall eine Selektion vorgenommen wird2. So werden mittels selektiver auditiver Aufmerksamkeit irrelevante Geräusche ausgeblendet und die Aufmerksamkeit bewusst auf ausgewählte auditive Reize gelenkt (etwa auf ein
|| 1 Der Begriff ‚Wahrnehmung‘ (auch Perzeption) wird in der Lernpsychologie als „Prozess der Informationsaufnahme über die Sinne (Hörsinn, Sehsinn etc.)“ (Gruber 2011: 19) beschrieben. 2 Die Erkenntnis, dass nicht alle Reize weiterverarbeitet werden können und daher selektiert werden muss, ist zwar unbestritten, allerdings ist unklar, wann der Filterprozess einsetzt (vgl. Müller/Krummenacher 2006: 240ff.). Inzwischen hat sich in dieser Diskussion jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Zeitpunkt, an dem selektiert wird, auch von der Komplexität der jeweiligen Aufgabe abhängig ist: „Es gibt also gute Evidenz dafür, dass der Lokus der Aufmerksamkeitsselektion flexibel ist und von spezifischen Aufgabenfaktoren abhängig sein kann. Folglich kann es auf die Frage, ob die Selektion ‚früh‘ oder ‚spät‘ erfolgt, als solche keine singuläre Antwort geben.“ (Müller/Krummenacher 2006: 242).
278 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Gespräch und nicht auf die Geräusche des Straßenverkehrs3): „Aufmerksamkeit dient dabei der Selektion relevanter und der Unterdrückung irrelevanter Information.“ (Gruber 2011: 18). Durch selektive visuelle Aufmerksamkeit werden visuelle Wahrnehmungen ausgeblendet, die der Wahrnehmende als irrelevant erachtet, und solche visuellen Reize in den „Lichtkegel der Aufmerksamkeit“ (auch „Spotlight of Attention“4, vgl. Gruber 2011: 18) gestellt, welche für den Wahrnehmenden von Interesse sind. Die Verbindung zwischen Aufmerksamkeitssteuerung und dem Informationsverarbeitungsprozess ist dabei so eng, dass das die im Arbeitsgedächtnis gespeicherten Informationen und der Aufmerksamkeitsfokus als „zwei Seiten derselben Medaille“ (Gruber 2011: 19) betrachtet werden können. In Abhängigkeit von den Selektionskriterien kann nochmals zwischen verschiedenen Formen visueller Aufmerksamkeit unterschieden werden (vgl. Gruber 2011: 18), wobei die verschiedenen Formen zugleich auch unterschiedliche Modelle repräsentieren (können): –
Ortsbasierte oder räumlich-selektive Aufmerksamkeit: Hierbei bildet der Ort das wichtigste Selektionsmerkmal. Die Fokussierung auf einen Ort kann so stark sein, dass Veränderungen außerhalb des betrachteten Orts z.T. nicht wahrgenommen werden (vgl. Gruber 2011: 18).
–
Objektbasierte Aufmerksamkeit: Hierbei bildet ein Objekt an einem bestimmten Ort das Selektionsmerkmal. Ausgehend von der Kritik, dass auch bei der ortsbasierten selektiven Aufmerksamkeit nicht ein Ort, sondern ein Objekt an diesem Ort fokussiert wird, ist die Vorstellung einer objektbasierten Aufmerksamkeit als Weiterentwicklung der älteren Vorstellung von der ortsbasierten Aufmerksamkeit zu verstehen (vgl. Müller/Krummenacher 2006: 245).
–
Merkmalsbasierte Aufmerksamkeit: Hierbei stehen bestimmte Merkmale (etwa Farben oder Formen) im Fokus der visuellen Aufmerksamkeit.
Eine gängige Methode, um nachzuweisen, auf was die visuelle Aufmerksamkeit gerichtet ist, besteht in der Aufzeichnung von Blickbewegungen, wobei diesem
|| 3 Die Beobachtung, dass die (auditorische) Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte Reize gerichtet werden kann, ist auch als „Cocktailparty-Phänomen“ bekannt (vgl. Müller/Krummenacher 2006: 240). 4 Der von Posner et al. vorgestellten Idee eines in seinen Ausmaßen fixen „Spotlight of Attention“ steht die Annahme gegenüber, dass visuelle Aufmerksamkeit ähnlich einer Gummilinse („zoom lens“, vgl. Müller/Krummenacher 2006: 244) variabel ist und sich entweder auf einen kleinen Bereich mit hoher Auflösung oder auf einen größeren Bereich mit geringerer Auflösung richten kann (vgl. Müller/Krummenacher 2006: 244).
Aufmerksamkeit und Eye-Tracking | 279
Vorgehen die Annahme zugrunde liegt, dass visuelle Aufmerksamkeit mit Blickbewegungen gleichgesetzt werden kann (sog. „Eye-Mind-Hypothese“ (Honsel 2012: 31) oder „eye-mind-assumption“ (Kain 2007: 18)). Diese Hypothese kann durch die Anatomie des menschlichen Auges gestützt werden (vgl. Abbildung 12): Das Auge ist so aufgebaut, dass visuelle Reize durch die Hornhaut und die Linse gebündelt und auf der Netzhaut (Retina) abgebildet werden, wo sie in Nervenimpulse umgewandelt und durch den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet werden.
Abb. 12: Aufbau des menschlichen Auges (Adaption der Graphik von Duchowski 2007: 19)
Die höchste Auflösung sowie die meisten Farbunterschiede werden auf der Netzhaut jedoch einzig im Bereich der ‚Fovea‘ oder ‚Sehgrube‘ (vgl. Abbildung 12) wahrgenommen, sodass durch die exakte Aufzeichnung von Sehachse und Blickdauer Aussagen darüber getroffen werden können, was und wie lange der Beobachtende fokussiert und damit auch, worauf seine Aufmerksamkeit gelenkt ist: Normalerweise werden die Augen so positioniert, dass das Objekt von Interesse auf der Fovea (Kurzform für Fovea centralis, Sehgrube) abgebildet wird (foveale Wahrnehmung), weil dies der Bereich des schärfsten Sehens auf der Netzhaut ist und damit die Hauptsehrichtung definiert. (Honsel 2012: 31)
Gegen die Eye-Mind-Hypothese könnte angeführt werden, dass Aufmerksamkeit und Blickbewegungen nicht in allen Situationen gekoppelt sind: So kann eine Person ein Objekt fixieren, in Gedanken jedoch bei einem anderen Thema sein. Zudem können Blickbewegungen bewusst gesteuert werden, ein Wechsel der Blickrichtung
280 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
ist somit nicht gleichzusetzen mit einer Verschiebung der Aufmerksamkeit5. Trotz dieser Einwände kann gerade in Situationen, in denen der Beobachtende aktiv handeln muss (etwa beim Lesen eines Texts oder der Bearbeitung einer Aufgabe), die Blickrichtung mit dem Aufmerksamkeitsfokus gleichgesetzt werden: Die Blickausrichtung ist ein objektiver und gilt zurzeit als der zuverlässigste Indikator für die visuelle Aufmerksamkeitszuwendung, Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung. (Kain 2007: 17)
Eye-Tracker bieten die Möglichkeit, mittels automatischer Aufzeichnung und Auswertung von Blickbewegungen einer Person die Areale ausfindig zu machen, auf die deren Blick gerichtet ist. Obwohl seit über 100 Jahren versucht wird, Blickbewegungen mit verschiedenen Techniken aufzuzeichnen und zu analysieren (vgl. Richardson/Spivey 2008: 1028ff.), haben erst Eye-Tracker die Vorteile, weder das Auge durch Anbringen von Instrumenten zu verletzen noch so ungenau wie indirekte Beobachtungen – etwa Filmaufnahmen – zu sein (vgl. Richardson/Spivey 2008: 1028). Während die ersten Eye-Tracker, welche Blickbewegungen in Relation zu den Umweltreizen aufzeichnen können, noch den Nachteil haben, dass der Kopf des Probanden fixiert werden muss (z.B. durch eine Kinnstütze, vgl. Richardson/Spivey 2008: 1030f.), ist das bei neueren Systemen nicht mehr nötig.
Integrierte Eye-Tracking Technik
Abb. 13: Remote Eye-Tracker der Firma Tobii (Model T606)
|| 5 Die Aufmerksamkeit kann bewusst von einem anvisierten Objekt oder Ort auf etwas am Rande des Blickfelds verschoben werden; letzteres wird als ‚parafoveale Wahrnehmung‘ bezeichnet: „Werden die Augen fixiert und die Konzentration auf ein Objekt gelenkt, dass nicht auf der Fovea liegt, ist die Aufmerksamkeit nicht mehr an die foveale sondern parafoveale (auch periphere) Wahrnehmung gekoppelt.“ (Honsel 2012: 31). 6 Mit dem abgebildeten Gerät sind die in dieser Arbeit beschriebenen Eye-Tracking-Experimente durchgeführt worden.
Aufmerksamkeit und Eye-Tracking | 281
Mithilfe moderner Eye-Tracker können Blickrichtung und Blickdauer automatisch aufgezeichnet werden und dies sowohl stationär wie auch mobil, wobei die Blickbewegungen in Echtzeit und unter Berücksichtigung der fixierten Stimuli ausgewertet werden. Zudem sind die Kameras bei sog. „Remote Eye-Trackern“ (vgl. Abbildung 13), welche nach vorheriger Kalibrierung die Augenbewegungen des Probanden durch Infrarot messen und mit den fixierten Stimuli in Übereinstimmung bringen7, nahezu unsichtbar in den Bildschirm integriert8. Die Auswertung der Daten wird bei diesen Eye-Tracking-Systemen durch ein entsprechendes Software-Angebot zusätzlich unterstützt: So können über die bereits aufgenommenen Daten verschiedenartige, von der jeweiligen Fragestellung abhängige Filter gelegt werden, mit denen nach Auswertung von Fixationsdauer und Fixationsreihenfolge „Heat Maps“ bzw. „Gaze Plots“ erstellt werden (vgl. die Beispiele in Kapitel 9.3.6.). – Gaze Plots zeigen die Anzahl an Fixationen (s.u.) in Relation zu einem Stimulus (etwa einer Webseite), wobei die Reihenfolge der Fixationen durch Nummerierung sowie die Dauer der Fixation in Form von unterschiedlich großen Punkten angegeben werden kann. Je grösser die Punkte, umso länger hat der Proband diesen Stimulus fixiert (vgl. auch Simonsen 2011: 81). – Heat Maps (auch „hot spot charts“, vgl. Simonsen 2011: 97) dagegen zeigen, welche Bereiche wie lange die Aufmerksamkeit des Probanden erweckt haben, ohne jedoch die Abfolge der Fixationen zu dokumentieren. Die Bereiche, welche von dem Probanden am längsten fixiert worden sind, werden rot dargestellt, die Bereiche, die dagegen nur kurz fixiert worden sind, werden grün dargestellt. Bereiche, die gar nicht fixiert wurden, werden nicht farblich kodiert (vgl. dazu auch Simonsen 2011: 97). Inzwischen stoßen Eye-Tracking-Experimente in zahlreichen Disziplinen auf Interesse: Praktische Anwendungen resultieren vor allem aus Studien im MarketingBereich (etwa bei der Gestaltung von Anzeigen oder Webseiten), aber auch in den Neurowissenschaften (bei der Forschung von Wahrnehmungs- und Aufmerksam-
|| 7 Die technische Funktionsweise von Remote Eye-Trackern kann wie folgt beschrieben werden: „Bei diesen Methoden wird ein infraroter Lichtstrahl auf das Auge gerichtet, der von der Cornea, aufgrund ihrer glänzenden und gewölbten Oberfläche reflektiert wird […]. Das Auge und die Reflexion werden von einer infrarot-sensitiven Kamera oder einem lichtempfindlichen Sensor aufgezeichnet. Meist wird mithilfe einer automatischen Bildbearbeitungssoftware aus den Aufnahmen die Position und Distanz der Reflexion zu einem festen Punkt im Auge ermittelt und daraus die Blickrichtung bestimmt […].“ (Kain 2007: 22). 8 Remote Eye-Tracker (auch „table-mounted eye-tracker“, vgl. Honsel 2012: 32) haben damit im Gegensatz zu älteren Systemen oder mobilen Eye-Trackern (auch „head-mounted eye-tracker“, vgl. Kain 2007: 22) den Vorteil, dass die Augenbewegungen des Probanden ohne störende Berührungen durch Kinnstützen oder Brillen aufgezeichnet werden.
282 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
keitsprozessen) und in der Psychologie wird Eye-Tracking genutzt: „Jede dieser Disziplinen hat andere Zielsetzungen und eigene Anforderungen an das Verfahren, so dass ET-Studien [Eye-Tracking-Studien, MR] in Rahmenbedingungen, Durchführung und Hardware sehr unterschiedlich ausfallen können.“ (Honsel 2012: 29). Die folgende Darstellung soll sich daher nur auf solche Konzepte konzentrieren, welche für die Analyse eines Eye-Tracking-Experiments im Bereich der elektronischen Lernerlexikographie von Bedeutung sind. Für die Analyse der Eye-Tracking-Daten allgemein sind insbesondere Fixationen sowie Sakkaden wichtig, da beide Formen von Augensteuerung dem Willen des Probanden unterworfen sind und die „Hauptkomponenten der Augenbewegung“ (Honsel 2012: 29) bilden: „Das Zusammenspiel von Sakkaden und Fixationen wird als Ausdruck des Verlaufs der Aufmerksamkeit angesehen.“ (Honsel 2012: 31). –
Von Fixation spricht man, wenn das Auge relativ ruhig auf ein Objekt bzw. einen Ort gerichtet ist. Für den Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsprozess sind Fixationen von außerordentlicher Bedeutung: „Nur durch eine Fixation kann die Umweltinformation wahrgenommen und verarbeitet werden.“ (Kain 2007: 13). Die Eye-Tracker zeichnen dabei nicht nur das Objekt der Fixation, sondern auch die Fixationsdauer auf, also die Dauer der relativen Ruhe zu einem Objekt (vgl. Kain 2007: 14). Um Fixationen von anderen Formen von Augenbewegungen zu unterscheiden (vgl. Honsel 2012: 30f., Kain 2007: 11ff.), ist der Schwellenwert, die minimale Fixationsdauer, von großer Bedeutung. Yukio Tono wie auch Henrik Køhler Simonsen haben in ihren Eye-Tracking-Studien den Schwellenwert auf 100 ms in festgelegt; Simonsen gibt zusätzlich einem Radius von 40 pixel an9, wobei er diese Wahl mit der Art der den Probanden gestellten Aufgaben begründet. The 100 ms fixation filter setting, which is low in comparison to the setting used in for example translation and reading studies, was preferred because of the somewhat sporadic nature of the user consultation process in Internet lexicography. (Simonsen 2011: 76)
–
Die Fixations-Phasen werden notwendigerweise unterbrochen von Sakkaden, „sprunghafte[n], konjugierte[n], bewusste[n] oder unbewusste[n] Augenbewegung[en]“ (Kain 2007: 12). Durch Sakkaden werden die Augen erneut auf die Umwelt ausgerichtet oder der Fokus der Aufmerksamkeit bewusst gewechselt (vgl. Honsel 2012: 31). Während einer Sakkade können keine neuen visuellen Reize verarbeitet werden.
|| 9 Dies entspricht dem Standard-Filter von Eye-Trackern für „mixed contents“, also bildlichen und textuellen Angaben (vgl. die Angaben im User Manual des verwendeten Eye-Trackers der Firma Tobii).
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Sakkaden und Fixationen können als „Scanpaths“ (Honsel 2012: 31) in Abhängigkeit von Abfolge und Dauer der Fixationen aufgezeichnet und in Form von Gaze Plots ausgewertet werden, wobei diese als „Ausdruck der visuellen Aufmerksamkeit“ (Honsel 2012: 31) interpretiert werden können. Für die Auswertung von Eye-Tracking-Studien im Bereich Usability aber auch elektronischer Lernerwörterbücher sind zudem „Areas of interest“ (AOI) wichtig, welche auf Webseiten die Bildschirmareale festlegen, welche für das jeweilige Experiment von Bedeutung sind (vgl. auch Simonsen 2011: 76). Sobald man die AOIs über die Software des Eye-Trackers festgelegt hat, kann für diese Bereiche eine detaillierte Auswertung erfolgen.
9.2 Eye-Tracking in der Lexikographie: Stand der Forschung Eye-tracking is a highly promising technique, in many ways superior to log files, observation protocols, asking users to underline text sections, and even video-taping. (Lew 2011: 3)
Obwohl die Methoden der Wörterbuchbenutzungsforschung in den letzten 5 Jahrzehnten, die seit der Publikation der ersten Benutzungsstudie vergangen sind, differenzierter geworden sind (vgl. Kapitel 7.1.) und zudem immer häufiger den Anforderungen genügen, welche an sozialwissenschaftliche Erhebungen gestellt werden müssen, kann durch keine der bisherigen Methoden die Nachschlagehandlungen und Suchprozesse der Benutzer auf Ebene von Makro- und Mikrostruktur rekonstruiert werden. Methoden, welche bislang einen Einblick in Nachschlage- und Suchprozesse gegeben haben, sind zum einen direkte Beobachtungen, welche ggf. um audiovisuelle Aufzeichnungen und anschließende Interviews ergänzt werden können, oder Wörterbuchbenutzungsprotokolle, bei denen die Benutzer selbst ihren Nachschlageprozess protokollieren (vgl. die Studien in Kapitel 7.2.2.). Während die direkte Beobachtung der Probanden die Nachteile hat, lediglich die ausgeführten Nachschlagehandlungen verfolgen zu können und eventuell durch die Anwesenheit eines Beobachtenden beeinflusst zu sein (vgl. Mann/Schierholz 2014: 22, Lew 2013: 229), haben Wörterbuchbenutzungsprotokolle wiederum den Nachteil, von den individuellen Fähigkeiten der Protokollierenden abhängig und daher nicht einheitlich zu sein (vgl. Simonsen 2011: 7): „[T]he quality of the data returned is questionable.“ (Lew 2013: 229). Auch neuere Studien, welche auf der Auswertung von Log-File-Protokollen basieren (z.B. Lemnitzer 2001) und sich daher auf eine große Datenbasis stützen10,
|| 10 Lemnitzer protokolliert über 22 Monate lang insgesamt fast 150.000 Zugriffe auf drei zweisprachige Wörterbücher (vgl. Lemnitzer 2001: 248ff.).
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können nur den ausgeführten Nachschlageprozess protokollieren, nicht aber etwaige Probleme der Benutzer: The research based on log files is a huge step forward, because it objectively measures the search operations of the dictionary users, but log files only show what the dictionary users searched for not how they searched for and accessed data. (Simonsen 2011: 78)
Während Mann und Schierholz aufgrund der Aussagekraft von Log-File-Protokollen für einzelne Benutzungshandlungen skeptisch sind (vgl. Mann/Schierholz 2014: 23), hebt Müller-Spitzer die Vorteile dieser Art der Datenerhebung hervor: Auch wenn die Daten wenig über den Rezeptionsprozess einzelner Benutzer aussagen, ließen sich mit den Daten benutzerunspezifisch Aussagen darüber machen, welche Lexeme bzw. welcher Wortschatzausschnitt in Wörterbüchern besonders häufig nachgeschlagen werden (vgl. Müller-Spitzer 2014: 136ff.). Mittels der Eye-Tracking-Technik ist es nun erstmals möglich, die Nachschlagehandlungen mit den Blickbewegungen – und damit mit dem Aufmerksamkeitsfokus – der Benutzer in Beziehung zu setzen. Since dictionary look-up operations are fundamentally cognitive in nature, and most of the information is through visual perceptions, it would be a significant improvement if we could accurately describe the look-up process by eye movements. (Tono 2011: 125)
Eye-Tracking-Experimente haben demnach gegenüber anderen Methoden der lexikographischen Benutzungsforschung den Vorteil, die einzelnen Benutzungsschritte exakt dokumentieren zu können: „Das Verfahren erlaubt damit Rückschlüsse über Vorgänge bei den Versuchspersonen, die noch unmittelbarer sind als etwa bei der Methode des ‚lauten Denkens‘.“ (Müller-Spitzer 2014: 141f.). Die durch Eye-Tracking möglichen Formen der Auswertung – Gaze Plot und Heat Map – erlauben zudem Aussagen darüber, welchen Verlauf der Suchprozess genommen hat und wie viel Aufmerksamkeit der Benutzer wie lange auf die Angaben verwendet hat. Effekte, die bei anderen Erhebungsverfahren der Wörterbuchbenutzungsforschung das Ergebnis verfälschen können – soziale Erwünschtheit oder der Versuchsleitereffekt – sind durch die Unmittelbarkeit der Aufzeichnungen (fast) ausgeschlossen (vgl. MüllerSpitzer 2014: 141f.). Zudem können die Nachschlagehandlungen in sog. „Replays“, Echtzeitaufnahmen der Experimente, aufgezeichnet, beliebig oft angeschaut und somit ohne Eile ausgewertet werden. An eye-tracking survey objectively measures what the user really looks at and what he does – a user protocol subjectively includes what the user says he does, or believes he does. (Simonsen 2011: 77)
Auch wenn dies völlig neue Einblicke in den Suchprozess von Wörterbuchbenutzern erlaubt, hat die Methode jedoch den Nachteil, dass die Ergebnisse immer noch einen großen Interpretationsspielraum haben. Warum die Aufmerksamkeit auf be-
Eye-Tracking in der Lexikographie: Stand der Forschung | 285
stimmte Aspekte gelenkt wird und andere Informationen wiederum nicht wahrgenommen werden, lässt sich letztendlich erst durch Befragungen der Probanden klären, sodass es sich anbietet, Eye-Tracking-Experimente mit einem nachfolgenden Interview zu verbinden. Obwohl die Eye-Tracking-Technik vollkommen neue Erkenntnisse für die Wörterbuchbenutzungsforschung liefern kann, sind bis 2014 lediglich sechs lexikographische Benutzungsstudien durchgeführt und deren Ergebnisse veröffentlicht worden, welche Eye-Tracking nutzen. Gründe dafür liegen sowohl in den hohen Kosten als auch in dem großen Aufwand, der mit solchen Studien verbunden ist11. Die Ergebnisse der vorliegenden Studien sind in den Jahren 2011 bis 2014 publiziert worden, wobei nur in den Studien von Tono, Kaneta, Lew und Simonsen die Wörterbuchbenutzung durch (fortgeschrittene) Fremdsprachenlernende im Fokus steht: – Tono, Yukio (2011): Application Of Eye-Tracking In EFL Learners Dictionary Look-Up Process Research. In: International Journal of Lexicography 24/1, 124– 153. – Simonsen, Henrik Køhler (2011): User Consultation Behaviour in Internet Dictionaries. An Eye-Tracking Study. [Unter: http://download2.hermes.asb.dk/archive/download/Hermes-46-simonsen.pdf; letzter Zugriff: 15.06.2015]. – Kaneta, Taku (2011): Folded or Unfolded: Eye-Tracking Analysis of L2 Learners’ Reference Behavior with Different Types of Dictionary. In: Akasu, Kaoru / Uchida, Satoru (Hrsg.): Asialex 2011 Proceedings. Lexicography: Theoretical and Practical Perspectives. Kyoto: Asian Association for Lexicography, 219–224. – Lew, Robert / Grzelak, Marcin / Leszkowicz, Mateusz (2013): How Dictionary Users Choose Senses in Bilingual Dictionary Entries: An Eye-Tracking Study. In: Lexikos 23, 228–254. [Unter: http://lexikos.journals.ac.za/pub/article/view/1213; letzter Zugriff: 15.06.2015]. – Müller-Spitzer, Carolin / Michaelis, Frank / Koplenig, Alexander (2014): Evaluation of a new web design for the dictionary portal OWID. An attempt at using eye-tracking technology. In: Müller-Spitzer, Carolin (Hrsg.): Using Online Dictionaries. Berlin/New York: de Gruyter, 207–228. – Kemmer, Katharina (2014): Rezeption der Illustration, jedoch Vernachlässigung der Paraphrase? Ergebnisse einer Benutzerbefragung und Blickbewegungsstudie. In: Müller-Spitzer, Carolin (Hrsg.): Using Online Dictionaries. Berlin/New York: de Gruyter, 251–278.
|| 11 Im Gegensatz zu anderen Methoden der Wörterbuchbenutzungsforschung ist man beim EyeTracking auf einen Techniker angewiesen, welcher mit Hard- und Software des Eye-TrackingSystems vertraut ist.
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Im Folgenden sollen Zielsetzungen und Ergebnisse der einzelnen Studien näher vorgestellt werden. Der Schwerpunkt der Darstellung wird dabei auf die Zusammenfassung der Studien gelegt, die sich mit der Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachenlernenden beschäftigen.
9.2.1 Eye-Tracking-Studien zur Wörterbuchbenutzung von Fremdsprachenlernenden 9.2.1.1 Yukio Tono: Application of Eye-Tracking in EFL Learners Dictionary Look-Up Process Research In the present study, the use of an eye mark recorder has made it possible for the first time to make a detailed description of the paths that users went through while searching for the information in a dictionary, and what information they paid attention to in terms of points of regard. (Tono 2011: 149)
Als erster hat Yukio Tono Eye-Tracking für lexikographische Benutzungsforschung genutzt: Seine Studie, an der 8 Englischlernende der Tokyo University of Foreign Studies teilgenommen haben, ist im Jahr 2011 im International Journal of Lexicography publiziert worden. Bereits im Vorwort der Journal-Ausgabe werden die Vorteile der neuen Methode vom Mitherausgeber Robert Lew gewürdigt: Yukio Tono examines […] with a level of detail not seen in previous research. This is made possible by the author’s pioneering use of eye-tracking: a technique which is capable of tracing the eye gaze paths of dictionary users engaged in dictionary consultation, thus providing objective data as to what items, and in what order, users actually refer to. (Lew 2011: 3)
Ziel von Tonos Studie ist es, den Suchprozess von Englischlernenden innerhalb der Mikrostruktur in Abhängigkeit von bestimmten Variablen zu dokumentieren und zu analysieren. Mithilfe der Eye-Tracking-Technik sollen Antworten auf folgende Fragen gefunden werden (vgl. Tono 2011: 126): – Wie suchen Benutzer die (passende) Bedeutungsangabe innerhalb eines Wörterbuchartikels? Inwiefern beeinflusst die Position der Bedeutungsangabe den Suchprozess? – Inwiefern kann der Nachschlageprozess durch Signposts (also durch knappe Bedeutungsangaben in Form von Synonymangabe) bzw. Menüs (vgl. Abbildung 14) unterstützt werden? – Ist der Nachschlageprozesses abhängig davon, welches Kompetenzniveau die Benutzer haben? – Ist der Nachschlageprozess abhängig davon, ob der Wörterbucheintrag einsprachig oder zweisprachig ist?
Eye-Tracking in der Lexikographie: Stand der Forschung | 287
–
Gibt es Unterschiede im Suchprozess zwischen erfolgreichen und erfolglosen Nachschlagehandlungen?
Zur Beantwortung dieser Fragen werden von Tono Einträge zu ‚make‘ und ‚fast‘ aus zwei englischsprachigen Lernerwörterbüchern (dem Longman Dictionary of Contemporary English in 5. Auflage und dem Macmillan English Dictionary Online) entsprechend verändert: Bestimmte Merkmale (strukturelle Angaben in Form von „Signposts“ und „Menüs“, Vergleich von monolingualen mit bilingualen Angaben, Position der gesuchten Angabe im Artikel und Form der grammatischen Angaben) werden eingefügt, weggelassen bzw. verändert. In den Experimenten werden den Probanden schließlich verschiedene Versionen der Wörterbuchartikel gezeigt und der jeweilige Suchprozess für ein bestimmtes Merkmal aufgezeichnet und analysiert. An den Experimenten nahmen insgesamt 8 Personen teil, welche mindestens 6 Jahre lang die englische Sprache gelernt haben. In Abhängigkeit von dem Kompetenzniveau, welches zuvor getestet worden war, wurden die Probanden in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe auf mit eher schlechteren (Niveau A2 nach GER) und eine Gruppe mit eher guten Englischkenntnissen (B2 bis C1 nach GER). Die Probanden erhielten die Aufgabe, die Bedeutung eines Worts, welches ihnen in einem Beispielsatz präsentiert wurde, in dem vorgelegten Wörterbuchartikel zu suchen, wobei der Suchprozess der Probanden mittels Eye-Tracking dokumentiert wurde12. Bei der Auswertung hat Tono vornehmlich das Kompetenzniveau der Probanden in Beziehung zum Erfolg der Suchhandlung gesetzt; unabhängig von den vom ihm getesteten Variablen kann er seinen Ergebnissen eine allgemeine Erkenntnis voranstellen: Dictionary reference skills are complex, integrated skills which involve language skills, knowledge about dictionary conventions, problem-solving skills, information processing skills among others. (Tono 2011: 149)
Im Folgenden sollen nur die Ergebnisse aus Tonos Studie referiert werden, welche Auswirkungen auf die eigene Eye-Tracking-Studie haben könnten; Erkenntnisse zur Gestaltung grammatischer Angaben sowie zu Vor- und Nachteilen monolingualer bzw. bilingualer Wörterbucheinträge werden nicht berücksichtigt.
|| 12 Die Replays von Tonos Eye-Tracking-Experimenten, also die Aufzeichnungen der Blickbewegungen der Probanden in Echtzeit, können von der Webseite des International Journal of Lexicography heruntergeladen werden (vgl. Webseite http: //ijl.oxfordjournals.org/ content/24/1/124/suppl/DC1).
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Hinsichtlich der für die Mikrostruktur relevanten Merkmale kommt Tono durch die Analyse der Eye-Tracking-Daten in Form von Gaze Plots zu folgenden Ergebnissen: – Durch das Eye-Tracking kann Tono zeigen, dass die Lesereihenfolge linear von oben nach unten verläuft, was auch in anderen Benutzungsstudien bereits bestätigt worden ist. Signposts als Strukturierungshilfen, wie sie im LDOCE angeben werden, könnten – sofern überhaupt wahrgenommen – den Suchverlauf jedoch beschleunigen. – Hinsichtlich der Signposts kann Tono feststellen, dass diese Form der Artikelstrukturierung die Erfolgsquote beim Auffinden der richtigen Bedeutungsangabe nicht positiv beeinflusst. Durch die anschließende Auswertung der EyeTracking-Daten kann Tono schließlich zeigen, dass überhaupt nur ein Proband die Signposts als Strukturierungshilfe wahrnimmt (vgl. Tono 2011: 130). – Menüs, welche am Beginn des Artikels eine Übersicht über die verschiedenen Lesarten angeben (wie im MEDO), werden von den Benutzern schnell wahrgenommen und können gerade bei schlechteren Lernenden den Suchprozess beschleunigen. Durch die Eye-Tracking-Daten kann jedoch auch gezeigt werden, dass Lernende mit höherer Sprachkompetenz das Menü nicht wahrnehmen und den Artikel wie gewohnt rezipieren (vgl. Tono 2011: 137).
Abb. 14: Direkt nach dem Lemma positioniertes Menü beim Artikel fast im Macmillan English Dictionary Online13
Insgesamt konnten die Probanden in einem Drittel der von Tono durchgeführten Experimente die in dem Beispielsatz präsentierte Bedeutung von make oder fast nicht in dem präsentierten Wörterbuchartikel identifizieren – auch in Fällen, in denen den Lernenden Strukturierungshilfen in Form von Signposts und Menüs zur Verfügung stehen.
|| 13 Die Gestaltung des Menüs orientiert sich eher an den Print-Ausgaben des Macmillan English Dictionary for Advanced Learners. Die Online-Ausgabe dieses Wörterbuchs setzt die Menüs nicht durch rote Unterlegung ab, allerdings werden dort die Angaben des Menüs mit den entsprechenden Bedeutungsangaben verlinkt (vgl. www.macmillandictionary.com).
Eye-Tracking in der Lexikographie: Stand der Forschung | 289
Wie die Eye-Tracking-Daten zeigen, lassen sich bei diesen erfolglosen Nachschlagehandlungen zwei Suchwege nachweisen: Entweder ist der Scanpath der Probanden ziemlich simpel oder hochkomplex. Eine Konsequenz der ersten Erkenntnis sollte sein, dass Lernende in der Benutzung von Wörterbüchern geschult werden sowie bei Suchprozessen innerhalb eines Artikels bessere Hilfestellungen erhalten müssen. Eine positiver Nebeneffekt des erfolglosen, jedoch komplexen Suchwegs ist dagegen, dass die Benutzer den ganzen Artikel rezipieren, wodurch inzidentell Wortschatz gelernt werden kann: „Even if the final answer was wrong, reading all the examples and figuring out the meanings may contribute to more learning.“ (Tono 2011: 150). Zudem hat die Studie gezeigt, dass die Wechselwirkungen zwischen individuellen Sprachkenntnissen und Fähigkeiten sowie der Nutzung von Strukturanzeigern komplex sind: Während Lernende mit höheren Kenntnissen eher Angaben in Form von Signposts nutzen (vgl. Tono 2011: 135), profitieren Lernende mit weniger guten Kenntnissen besonders von den Menü-Angaben. The results also suggest that more research into actual look-up processes is needed in order to test the claims related to the effectiveness of dictionary use in language learning and teaching. (Tono 2011: 152)
Neben diesen konkreten Erkenntnissen beinhaltet Tonos Analyse auch kritische Anmerkungen zum Einsatz von Eye-Tracking in der Wörterbuchbenutzungsforschung: – Tono selbst kritisiert das durch die Technik vorgegebene Setting seines Experiments: Um die Blickbewegungen der Probanden möglichst genau aufzuzeichnen, sind diese mittels einer Kinnstütze immobilisiert worden. Die Probanden mussten die Situation dadurch als sehr unnatürlich empfinden (vgl. Tono 2011: 126). Dieses Problem lässt sich durch Nutzung eines Remote Eye-Trackers beheben. – Zum Nutzen von Eye-Tracking-Daten in der Wörterbuchbenutzungsforschung kommt Tono zu dem Schluss, dass aufgrund der notwendigerweise kleinen Probandengruppen individuelle Fähigkeiten deutliche Auswirkungen auf die Auswertung haben: „Individual differences are also a serious issue in this type of research. Since the number of subjects in this kind of research has to be limited, individual differences in response patterns are hard to control.“ (Tono 2011: 151). Da der Aufwand für Eye-Tracking-Studien sehr hoch ist und bleiben wird, müssen Verallgemeinerungen der Ergebnisse mit der notwendigen Vorsicht betrachtet werden.
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9.2.1.2 Henrik Køhler Simonsen: User Consultation Behaviour in Internet Dictionaries Während sich die Studie von Tono auf die Frage konzentriert, welche mikrostrukturellen Merkmale den Nachschlageprozess innerhalb eines Artikels verbessern können, ist es das Ziel der Studie von Henrik Køhler Simonsen, den Nachschlageprozess fortgeschrittener Fremdsprachenlernender in einem zweisprachigen Online-Wörterbuch zu dokumentieren, wobei im Zentrum seiner Analyse die Analyse von Fixationen, Blickdauer und Bewegungen zwischen verschiedenen Areas of Interest (AOIs, vgl. Kapitel 9.1.) – insbesondere dem Such- und dem Artikelfeld – steht. Ergänzend wurden im Anschluss an die Eye-Tracking-Studie Interviews mit den Probanden durchgeführt. Die sechs Probanden, alle professionelle Übersetzer mit einem M.A.-Abschluss in Translation, jedoch mit unterschiedlich langer Berufserfahrung, erhielten die Aufgabe, einen dänischen Text (74 Wörter) aus dem Bereich Wirtschaft mithilfe des Online-Wirtschaftswörterbuchs Den Dansk-Engelske Regnskabsordbog ins Englische zu übersetzen. Dabei hatten die Probanden die Vorgabe, mindestens 5 Lemmata im Wörterbuch nachzuschlagen. Simonsen, der insbesondere die Unterschiede zwischen Fixationen im Suchfeld und im Artikelfeld untersucht, kann feststellen, dass sich die Blickbewegungen von professionellen Übersetzern mit langjähriger Erfahrung im Umgang mit OnlineWörterbüchern deutlich von weniger erfahreneren Übersetzern unterschieden: Je professioneller ein Übersetzer ist, desto kürzer fixiert er das Artikelfeld und – im Vergleich dazu – umso länger das Suchfeld. Als Erklärung für dieses Verhalten kann Simonsen Daten aus den Interviews anführen: Die erfahreneren Übersetzer gaben an, dass die Abfrage nur der Bestätigung des eigenen Wissens diente und daher der Artikel nur kurz gescannt wurde. The analysis of the eye-tracking data combined with the analysis of the interview data and the user profile characteristics indicate a correlation between the user profile (experience and area of expertise) and the user consultation behaviour and how the user accesses and processes data. (Simonsen 2011: 93)
Obwohl Simonsen in seiner Studie mehrfach anführt, dass 6 Personen an seinem Experiment teilgenommen haben, basiert die Auswertung lediglich auf den Daten von 3 Teilnehmenden, da die Daten der anderen Probanden nicht in der gewünschten Qualität vorlagen (vgl. Simonsen 2011: 79). Dadurch wird auch deutlich, welche Bedeutung der technischen Auswertung von Eye-Tracking-Daten zukommt. Simonsen betont jedoch mehrfach den Nutzen dieser Methode, um Nachschlagehandlungen der Benutzer besser analysieren und Nachschlagewerke entsprechend gestalten zu können.
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The method developed and discussed is based on data from an eye-tracking study of six participants and post-survey interview data, and it is argued that empirical data on the user consultation behaviour are useful in the ongoing development of more effective information tools, especially because different users with different user profiles seem to have different user consultation behaviours. (Simonsen 2011: 93)
9.2.1.3 Taku Kaneta: Folded or Unfolded: Eye-Tracking Analysis of L2 Learners’ Reference Behavior with Different Types of Dictionary Taku Kanetas Studie ist im Rahmen der Asialex-Proceedings von 2011 publiziert worden und skizziert auf 5 kurzen Seiten das Vorgehen und erste Ergebnisse seiner Studie. Ausgehend von der Befürchtung vieler Fremdsprachelehrender, dass Lernende Angaben in Online-Wörterbüchern nur sehr selektiv lesen und dies durch benutzeradaptive Bildschirmgestaltung noch gefördert wird, beobachtet Kaneta die Benutzung verschiedener Wörterbuchtypen durch fortgeschrittene Fremdsprachenlernende. An seinem Experiment nahmen insgesamt 6 japanischsprachige Probanden mit fortgeschrittenen Englischkenntnissen teil, welchen im Rahmen einer Übersetzungsaufgabe verschiedene Wörterbuchartikel präsentiert wurden. Die Wörterbuchartikel unterschieden sich im Wörterbuchtyp (einsprachig/zweisprachig) und in der Bildschirmgestaltung, wobei der Unterschied in der Sichtbarkeit der Belegangaben bestand. Der Grund, auch die Benutzeradaptivität der Anzeigeform in die Studie miteinzubeziehen, liegt für Kaneta darin, dass dies einen der mikrostrukturellen Hauptunterschiede zwischen gedruckten und digitalen Wörterbüchern darstellt. Bei den Ergebnissen misst Kaneta, ob die Übersetzungsaufgabe erfolgreich beendet worden ist; hierbei können keine Unterschiede zwischen Wörterbuchtypen und Anzeigeformen festgestellt werden. Dagegen zeigen sich Unterschiede bei der Rezeption der Wörterbuchartikel: Wenn die Probanden überhaupt Belegangaben lesen, dann in digitalen signifikant länger als in gedruckten Wörterbüchern. Wenn Belegangaben nicht zu den Elementen der Anzeige gehören und erst auf Wunsch des Benutzer gezeigt werden, beschäftigen sich die Probanden dafür z.T. länger mit den Definitionen in digitalen Wörterbüchern: „They rather seemed to minimize their effort and searched with speed and ease. Considering their success rate, either strategy worked for the task.“ (Kaneta 2011: 223). An Kanetas kurzer Publikation ist zu kritisieren, dass nur wenige detaillierte Angaben gegeben werden und daher der Erkenntniswert seiner Studie für die Benutzung von Wörterbüchern durch Fremdsprachenlernende nicht eingeschätzt werden kann.
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9.2.1.4 Robert Lew et al.: How Dictionary Users Choose Senses in Bilingual Dictionary Entries Auch die 2013 im Lexikos-Journal der „African Association for Lexicography“ (AFRILEX) veröffentlichte Studie von Robert Lew, Marcin Grzelak und Mateusz Leszkowicz beschäftigt sich mit der Frage, wie Fremdsprachenlernende Wörterbücher benutzen, wobei der Fokus – anders als bei Tono und Kaneta – auf der Suche nach dem richtigen Äquivalent in einem zweisprachigen Wörterbuch mit der Zielsprache Englisch liegt. Die Studie hat 3 Zielsetzungen (vgl. Lew et al. 2013: 233): – Wie suchen Fremdsprachenlernende im Rahmen einer Übersetzungsaufgabe von der Muttersprache (Polnisch) in die Zielsprache (Englisch) in Wörterbuchartikeln polysemer Wörter? – Was unterscheidet eine erfolgreiche von einer nicht erfolgreichen Wörterbuchbenutzung? – Inwiefern lassen sich Eye-Tracking-Daten auch dazu nutzen, neue Erkenntnisse zur Navigation in Wörterbuchartikeln zu erbringen? An den Eye-Tracking-Experimenten nahmen insgesamt 10 Personen teil. In Abhängigkeit von dem Kompetenzniveau wurden die Probanden in zwei gleich große Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe mit wenig fortgeschrittenen (Niveau A2 bis B1 nach GER) und eine Gruppe mit eher guten Englischkenntnissen (B2 bis C1 nach GER). Die Probanden erhielten die Aufgabe, das passende englische Äquivalent für ein polnisches Wort, welches ihnen in einem Beispielsatz präsentiert wird, in einem Wörterbuchartikel zu suchen, wobei der Suchprozess der Probanden mittels EyeTracking dokumentiert wurde. Für das Experiment wurden vorab 26 Artikel aus zwei Polnisch-Englisch-Wörterbüchern so bearbeitet, dass die Artikel am Bildschirm gut lesbar waren (unter Beibehaltung der Typographie, aber Vergrößerung der Schrift und des Zeilenabstands). Die Auswahl der 26 Lemmata erfolgte nach folgenden Kriterien: Bekannte Wörter sollten in einer unbekannteren Bedeutung präsentiert werden, das Wort sollte schwierig sein und die Position der gesuchten Lesart im gezeigten Wörterbucheintrag variieren. Die entsprechenden Wörterbuchartikel umfassten zwischen 3 und 11 Lesarten. Insgesamt konnten durch das Design der Studie von 10 Probanden jeweils 26 Nachschlagehandlungen protokolliert werden, so dass die Auswertung der Studie auf 260 Datensätzen beruht. Bei der Auswertung der Daten wird in einem ersten Schritt untersucht, ob die Nachschlagehandlung erfolgreich war oder nicht, wobei dies zum einen anhand der vorgeschlagenen Übersetzung und zum anderen nachträglich über den Gaze Plot festgestellt wird. Insgesamt sind 19% der Suchen nicht erfolgreich. Obwohl nur bei 157 der 260 Suchanfragen alle Bedeutungsangaben rezipiert worden sind, kann kein
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signifikanter Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Suchprozesses und dem vorzeitigen Abbruch der Rezeption festgestellt werden: „The error rates were thus quite similar across the two types of searches, suggesting that viewing all senses was no guarantee of getting the sense right.“ (Lew et al. 2013: 240). Ebenso wenig hängt der Erfolg der Nachschlagehandlung von der Eintragslänge ab: „Therefore, there is no evidence here that it was easier to find the correct sense in shorter entries than in entries with a larger number of senses.“ (Lew et al. 2013: 241). Das Ergebnis, dass Benutzer dazu tendieren eine vorangehende Lesart zu nehmen und zur korrekten nicht weiterzulesen, wird durch die Studie bestätigt. Weniger erfahrene Benutzer hören beim ersten, vermeintlich passenden Eintrag auf, den Wörterbucheintrag zu rezipieren, fortgeschrittene Benutzer dagegen lesen sich den ganzen Wörterbuchartikel durch, obwohl sie bereits die passende Lesart gefunden haben. A systematic qualitative analysis of the scan paths of all the lookups revealed that by far the dominant strategy was to engage in a systematic scan of the senses, starting at the top of the entry and proceeding in a downwards direction until the last sense was reached. (Lew et al. 2013: 244)
Ebenso wie Tono können auch Lew et al. mit den Daten bestätigen, dass Benutzer die Bedeutungsangaben der Artikel linear lesen. Der Verlauf der Rezeption hat somit sowohl in Reihenfolge wie auch in der Geschwindigkeit (298 Sekunden pro Artikel) deutliche Parallelen zur stillen Lektüre von Text: „This would suggest that, in terms of eye-movement parameters, consulting dictionary entries is not dramatically different from normal text reading […].“ (Lew et al. 2013: 243). Hinsichtlich der Strukturanzeiger kommt die Studie von Lew et al. – anders als Tono – zu dem Ergebnis, dass Strukturanzeiger von den Probanden häufig betrachtet werden (22 % aller Fixationen), wobei die die Strukturanzeiger etwas häufiger von den fortgeschrittenen Lernenden benutzt werden. Durch die Ergebnisse kann zudem erstmals die Bedeutung der typographischen Gestaltung von Wörterbuchartikeln unterstrichen werden, so führt zum Beispiel Fettdruck innerhalb eines Artikels dazu, dass die hervorgehobene Information vermehrt wahrgenommen wird (vgl. Lew et al. 2013: 247).
9.2.2 Eye-Tracking-Studien zum Umgang mit Online-Wörterbüchern Die beiden vorliegenden Studien zur Benutzung von digitalen Wörterbüchern sind aus einem Projekt des IDS mit teils sehr spezifischen Fragestellungen hervorgegangen. Die Ergebnisse werden daher nur kurz zusammengefasst.
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9.2.2.1 Carolin Müller-Spitzer et al.: Evaluation of a new web design for the dictionary portal OWID Ziel der von Carolin Müller-Spitzer, Frank Michaelis und Alexander Koplenig beschriebenen Studie ist es, die neue Gestaltung des IDS-Wörterbuchportals OWID zu überprüfen. An der Studie haben insgesamt 38 Personen teilgenommen, welche die Zugriffsmöglichkeiten auf verschiedene Wörterbücher auf dem OWID-Portal, die Farbgebung, Neuerungen in der Zugriffsstruktur sowie das Layout beurteilen sollten. Da die Fragestellungen sehr spezifisch auf das konkrete Design, die Struktur und die Benutzungsmöglichkeiten von OWID ausgerichtet sind, ist der Aussagewert dieser Studie für andere Wörterbuchprojekte kaum gegeben.
9.2.2.2 Katharina Kemmer: Rezeption der Illustration, jedoch Vernachlässigung der Paraphrase? In der Studie von Katharina Kemmer werden muttersprachliche Probanden beim Nachschlagen in einem einsprachigen Wörterbuch mit Illustrationen beobachtet, wobei das Interesse von Kemmer darin liegt, welche Angabeform die Probanden überhaupt bzw. welche sie intensiver wahrnehmen. Nach Auswertung der insgesamt 38 Datensätze kommt Kemmer zu dem Ergebnis, dass die meisten Probanden sowohl textuelle als auch visuelle Angabeformen rezipieren und ungern auf eine der beiden Angabeformen verzichten möchten. Die These, dass die klassische Paraphrase vernachlässigt wird, wenn auch Illustrationen angeboten werden, kann somit entkräftet werden. Die Paraphrasen werden von den Probanden sogar deutlich länger wahrgenommen, wobei dies dadurch begründet ist, dass Illustration sehr schnell erfasst werden können. Gestützt wird die Eye-Tracking-Studie durch eine Befragung von 415 Probanden, wodurch auch quantitativ bestätigt werden kann, dass die meisten Benutzer von Wörterbüchern Paraphrasen und Illustrationen zur Kenntnis nehmen (wollen).
9.3 Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern 9.3.1 Ziele des Experiments Ein Ziel des Experiments besteht darin, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die in dieser Arbeit beschriebenen Konsequenzen aus lernpsychologischen Erkenntnissen für die Lernerlexikographie umgesetzt werden können: Wie benutzen fortgeschrittene Lernende Wörterbuchartikel, die nach ausgewählten Erkenntnissen umgestaltet wor-
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den sind und sich daher von Artikeln aus Print-Wörterbüchern deutlich unterscheiden? Ein Schwerpunkt der folgenden Darstellung soll neben der Auswertung der Ergebnisse auch auf der Beschreibung der Prinzipien liegen, nach denen die Wörterbuchartikel modelliert worden sind. Ein weiteres Ziel ist es zu untersuchen, ob (fortgeschrittene) Lernende bei der Benutzung einsprachiger, elektronischer Lernerwörterbücher auch inzidentell Wortschatz lernen können – und ob der Erwerbsprozess durch eine adäquate Gestaltung der Wörterbuchartikel unterstützt bzw. gesteigert werden kann.
9.3.2 Hypothesen Dass bei der Rezeption fremdsprachlicher Texte Wortschatz erworben wird, ist bereits in verschiedenen Experimenten nachgewiesen worden. Ebenso konnte (durch Knight und Hulstijn et al.) gezeigt werden, dass der Erwerb durch die Angabe von Glossen bzw. durch die Benutzung von Wörterbüchern gesteigert werden kann, wobei im Rahmen dieser Experimente Lernende auf Wörterbuchartikel in traditioneller Form zugreifen konnten. Durch welche konzeptionellen Merkmale von Lernerwörterbüchern ließe sich nun der Erwerbsprozess bei der Wörterbuchbenutzung weiter fördern? Lernpsychologische Erkenntnisse legen nahe, dass eine lernergerecht gestaltete onomasiologische Zugriffsstruktur, systematische Verweisangaben und ein Angebot an verschiedenartigen medialen Angaben innerhalb der Wörterbuchartikel positive Auswirkungen auf den Erwerbsprozess haben könnten. – Eine onomasiologische Zugriffsstruktur eines Lernerwörterbuchs bietet sich besonders für die Produktion sowie für den gezielten Wortschatzerwerb an. Um dies abzuprüfen, müsste zunächst ein Wortschatzausschnitt entsprechend modelliert sowie die Teilnehmenden in dem Umgang mit der für sie neuartigen Zugriffsstruktur geschult werden, wobei die daraus resultierende Wörterbuchbenutzungssituation von den vertrauten Nachschlagehandlungen deutlich abweichen würde. – Das Experiment von Chun und Plass (vgl. Kapitel 7.3) zu verschiedenen medialen Darstellungsformen hat bereits gezeigt, dass Benutzer bevorzugt auf Angaben zugreifen, welche Text mit Bildern verbinden. Diese Angabeform scheint auch positive Auswirkungen auf die Dekodierung der Informationen zu haben. Weitere Tests – gerade vor dem Hintergrund, dass elektronische Wörterbücher immer häufiger genutzt werden – wären zwar wünschenswert, hätten aber für die in dieser Arbeit behandelte Fragestellung keinen Neuigkeitswert. – Dagegen ist bislang noch nicht gezeigt worden, ob systematische Verweisangaben auf semantisch relevante Lemmata tatsächlich zu einem besseren Verständnis sowie zu besseren (inzidentellen) Lernerfolgen beitragen können (vgl.
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hierzu auch Kapitel 7.2). Da bei einem solchen Experiment Modifikationen von Artikeln bestehender Lernerwörterbücher genutzt werden können, mit deren Umgang die Lernenden vertraut sind, bietet sich ein Experiment mit dieser Zielsetzung an. Das Experiment soll zudem zeigen, in welcher Präsentationsform Verweis-Angaben auf relevante Lemmata in Wörterbuchartikeln eines einsprachigen Lernerwörterbuchs wahrgenommen werden und ob bzw. inwiefern diese Angabeformen den Erwerbsprozess der Lernenden fördern können. Verschiedenen Gruppen von Probanden sollen daher unterschiedliche Angabeformen präsentiert werden: 1. Gruppe 2 werden Angaben zu semantischen Relationen in textueller Form präsentiert. 2. Gruppe 3 erhält die Angaben zu semantischen Relationen in Form eines Wortnetzes. Gerade die Kombination von semantischen Angaben und deren Visualisierung erscheint vor dem Hintergrund der lernpsychologischen Ergebnisse vielversprechend für den Lernerfolg dieser Gruppe. Um die Unterschiede im Vergleich zu herkömmlichen Wörterbuchartikeln bzw. Verweisangaben aufzeigen zu können, soll eine weitere Gruppe (Gruppe 1) als Kontrollgruppe fungieren. Die Lernenden dieser Gruppe können auf unveränderte Artikel der elektronischen Ausgabe des LGWDAF zugreifen. Die Ergebnisse dieser Auswertung zeigen zudem, wie Lernende mit einem herkömmlichen Lernerwörterbuch umgehen. Basierend auf den Ergebnissen von Tonos Experimenten zu Suchwegen innerhalb der Mikrostruktur ist zu erwarten, dass sich die Teilnehmenden die Artikel eher linear lesen und strukturierende Angaben selten bewusst zur Kenntnis nehmen. Auch zeigt sich an den von Tono gezeigten Scanpaths, dass die Probanden die Wörterbuchartikel nur selektiv lesen.
9.3.3 Vorgehensweise bei der Modellierung der verschiedenen Wörterbuchartikelformen Die insgesamt 9 Teilnehmenden der Studie werden nach dem Zufallsprinzip in 3 gleichgroße Gruppen eingeteilt: In eine Kontrollgruppe, welche unveränderte Wörterbuchartikel aus einem publizierten Lernerwörterbuch erhält (Gruppe 1), in eine Gruppe, bei der diese Artikel um semantische Angaben in textueller Form ergänzt worden sind (Gruppe 2), und in eine Gruppe, bei der die semantischen Angaben in Form eines Wortnetzes visualisiert werden (Gruppe 3). Im Folgenden soll das Vor-
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gehen bei der Modellierung der verschiedenen Wörterbuchartikel vorgestellt werden. Die Wörterbuchartikel, auf die Gruppe 1 zugreifen kann, sind unverändert der elektronischen Ausgabe von Langenscheidts Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache (LGWDAF) entnommen, wobei sich diese von den Artikeln der gedruckten Ausgabe dadurch unterscheiden, dass der Zeilenabstand deutlich grösser ist. Abkürzungen sind dagegen nicht aufgelöst worden und auch in der Abfolge der Angaben entsprechen die Artikel denen der gedruckten Ausgabe. Der maßgebliche Grund dafür, warum die Artikel dem LGWDAF entnommen sind, liegt in der Bekanntheit dieses deutschsprachigen Lernerwörterbuchs sowie in dessen zweimaliger Überarbeitung – wodurch es nicht nur das erste deutschsprachige Lernerwörterbuch ist, sondern auch das, in dem sich redaktionelle Erfahrungen, Rückmeldungen von Benutzern und Ergebnisse der Benutzungsforschung am deutlichsten bemerkbar machen konnten: „LGWDAF gilt bis heute immer noch als das maßgebliche einsprachige Lernerwörterbuch im deutschsprachigen Raum.“ (Lü 2007: 29). Auch die Wörterbuchartikel der beiden anderen Gruppen basieren auf denen des LGWDAF, sind jedoch um bestimmte Informationen ergänzt bzw. gekürzt worden. Alle Wörterbuchartikel beinhalten jedoch eine Bedeutungsangabe, welche in unveränderter Form dem LGWDAF entnommen worden sind. Die Wörterbuchartikel der Gruppe 2 umfassen zusätzliche Angaben zu den (klassischen) semantischen Relationen sowie weitere semantische und lexikalische Angaben, die für die Semantisierung sowie für die richtige Verwendung des unbekannten Worts wichtig sein könnten. – Eine der wichtigsten semantischen Relationen ist die Synonym-Angabe: Bei der Modellierung der Wörterbuchartikel sind unter der Angabe „Synonym zu“ alle Wörter aufgenommen worden, die in einem Kontext mit dem Lemma austauschbar sind (partielle Synonymie). – Auch gegensätzliche und konträre Konzepte sind aufgenommen worden: – Unter der Angabe „Gegensatz“ werden komplementäre Konzepte angegeben (im Beispiel Arbeitnehmer die Angabe Arbeitsloser). – Unter der Angabe „Konträr zu“ werden weitere inkompatible Konzepte angegeben, welche einem gemeinsamen Hyperonym zugeordnet werden können, sich aber als Ko-Hyponyme gegenseitig ausschließen (unter dem Hyperonym Erwerbstätiger etwa die zu Arbeitnehmer inkompatiblen Konzepte Arbeitgeber und Unternehmer). Abgesehen von den semantischen Relationen, welche sich einer Hierachieebene zuordnen lassen, werden auch hierarchische semantische Beziehungen aufgenommen:
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– –
Gerade die Angabe eines Oberbegriffs scheint für die Zielgruppe der Lernenden von größter Bedeutung (vgl. hierzu auch Kapitel 5.1.6.). Es werden aber auch Unterbegriffe („Formen von…“) angegeben, um das Konzept und dessen semantisches Umfeld möglichst vollständig darstellen zu können.
Beispiel 17: Wörterbuchartikel „Arbeitnehmer“ (Gruppe 2)
Als weitere semantische und lexikalische Angaben werden Kollokationen und Kookkurrenzen aufgenommen: –
Um Lernenden zu zeigen, in welches lexikalische Umfeld das jeweilige Lemma eingebettet ist, werden – je nach Wortart – häufig mit dem Lemma verwendete Verben, Adjektive bzw. Substantive angegeben. Diese Angaben stützen sich auf die Auswertungen von elexiko, wo bei den lesartenbezogenen Angaben diese als „Kollokationen“ aufgeführt werden. Obwohl elexiko für deutsche Muttersprachler konzipiert worden ist, erscheint eine Übernahme dieser Angaben insofern sinnvoll, da in Übereinstimmung mit Konsequenz 2 – der Bedeutung paradigmatischer Angaben (vgl. Kapitel 8.2.) – bei der Modellierung der Wörterbuchartikel ebenfalls das lexikalische und semantische Umfeld durch Angabe von semantischen Relationen und „Mitspielern“ berücksichtig werden soll (zu den Zielen von elexiko vgl. Haß 2005: 228).
–
Ebenso werden weitere wichtige Wörter, die häufig mit dem Lemma auftreten, angegeben. Diese Angaben stützen sich vor allem auf die Analysen der Kookkurrenzdatenbank „CCDB“ des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim.
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Der ausschlaggebende Grund für die Wahl der CCDB zur Ergänzung der paradigmatischen Angaben liegt in der Konzeption dieser Datenbank: Die Kookkurrenzen werden aufgrund der (semantischen) Ähnlichkeit der Kontexte berechnet; präsentiert werden die Kookkurrenzen mit typischen Kontexten, in denen das Wort verwendet wird. Man erhält somit eine „detaillierte Auskunft über die syntagmatische und paradigmatische Einbettung des Objekts im Sprachgebrauch“ (vgl. Belica 2011), die sich von herkömmlichen paradigmatischen Angaben unterscheidet: Hiermit ist bei der Anwendung der korpuslinguistischen Methodik die Frage nach der Vernetzung eines Wortes im Rahmen der paradigmatischen Beziehungen und nach der Eruierung der Wortbedeutung auf einer qualitativ neuen Ebene zu beantworten. Daraus resultiert eine Auffassung von lexikalischen Relationen, die nicht von der a priori verankerten Kategorisierung ausgeht: Das Einbeziehen von Kookkurrenzprofilen in die lexikografische Arbeit bedeutet, einen schnellen und übersichtlichen Zugriff auf eine assoziativ signifikante Diskursmenge als Orientierungsskelett zur Verfügung zu haben. (Belica 2011)
Eine didaktische Nutzung dieser korpusgestützten Erhebungsmethode von Kookkurrenzen liegt nahe und ist von Cyril Belica bereits angeregt worden (vgl. Belica 2011). Da bei den Kookkurrenzabfragen jedoch sehr viele Lexeme angegeben wurden, werden unter den wortartengleichen Angaben diejenigen ausgewählt, die für das Verständnis der Lernenden besonders hilfreich zu sein scheinen (im Beispiel sind das Unternehmen, Gewerkschaft, Rente und Arbeitsplatz) und die zum Großteil bereits im Lernwortschatz enthalten sind. Aufgrund der räumlichen Begrenzung bei der graphischen Darstellung konnten nur (sehr) wenige dieser Angaben aufgenommen werden; eine dynamische Darstellung könnte eine Einbindung in größerem Umfang erlauben. Bei allen Angaben wird versucht, den Probanden so viel Struktur wie möglich an die Hand zu geben, d.h. dass bei Adjektiven, die häufig mit dem einem substantivischen Lemma verwendet werden, weitere Klassifikatoren (im Beispiel 17 die Angaben Alter, Herkunft und Qualifikation) eingefügt werden. Ebenso werden Verben durch eine typische Formulierung in einen Satzzusammenhang eingebunden. Das Vorgehen orientiert sich bei beiden Angaben eng an dem Vorgehen des OnlineWörterbuchs elexiko, jedoch ist der Beschreibungsumfang mit Blick auf die Benutzergruppe deutlich reduziert worden. Die Wörterbuchartikel der Gruppe 3 versuchen, die Angaben von semantischen Relationen, welche in die Wörterbuchartikel der Gruppe 2 aufgenommen und dort durch Textelemente markiert worden sind, in eine visuelle Darstellung umzusetzen. Dabei ist versucht worden, die Hierarchie der Begriffe auch visuell abzubilden, d.h. Oberbegriffe sind oberhalb des Lemmas verzeichnet, Unterbegriffe unterhalb des Lemmas und Synonyme und Antonyme auf gleicher Ebene. Da diese Angaben
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jedoch relativ implizit sind, finden die Nutzer erklärende Angaben in einer Legende unterhalb der graphischen Darstellungen. Um die Unterschiede der Relationen bereits in der Graphik hervorzugehen, wurden unterschiedliche Formen von Pfeilen gewählt, deren Bedeutung zusätzlich durch eine Erklärung in Form eines ? erläutert wird. Fährt der Proband mit der Maus über diese Angabe, erhält er die Erklärung in einem aufpoppenden Textfeld (Mouseover-Effekt).
Beispiel 18: Wörterbuchartikel Arbeitnehmer (Gruppe 3)
Bei den Substantiven sind Adjektive im unteren Bildschirmbereich zu finden, Verben meist auf gleicher Ebene wie das Lemma (im rechten Bildschirmbereich). Es wird versucht, alle strukturierenden Angaben, welche die Artikel der Gruppe 2 aus-
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zeichnen, auch in den Visualisierungen umzusetzen (etwa durch Angabe der Klassifikatoren bei den Adjektiven). Zusätzlich wird die Zugehörigkeit zu einer Wortart durch die Farbe der Punkte symbolisiert, denen Angaben in textueller Form zugeordnet sind14. Eine Legende mit erklärenden Informationen ist allen Visualisierungen am unteren Rand beigefügt. Insgesamt sind 22 Artikel nach diesem Modell modelliert worden, darunter 19 Substantive, 1 Verb und 2 Adjektive. Da bei verschiedenen Komposita (vgl. Kapitel 9.3.5.) kein eigener Artikel im Lernerwörterbuch vorhanden war, wurde auf den Artikel des Grundworts verlinkt, sodass 6 weitere Artikel integriert und 8 Artikel als reine Verweisangaben modelliert werden mussten. Die Verweisartikel sind bei allen Gruppen einheitlich gestaltet.
9.3.4 Angaben zu den Probanden Da die Studie zeigen will, wie fortgeschrittene Lernende nach lernpsychologischen Erkenntnissen modifizierte Wörterbuchartikel benutzen, muss durch die Auswahl der Probanden sichergestellt werden, dass diese über vergleichbare Deutschkenntnisse verfügen. Glücklicherweise konnten alle Teilnehmenden aus einem C1Deutschkurs des Language Competence Centre (LCC) am Departement Angewandte Linguistik der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften rekrutiert werden. Insgesamt nahmen an der Eye-Tracking-Studie 9 Personen teil (6 davon weiblich, 3 männlich). Allen Probanden ist gemein, dass sie sich im Alltag in deutscher Sprache verständigen müssen, wobei im Kanton Zürich für die Probanden erschwerend die Diglossie zwischen dem Hochdeutschen und den verschiedenen schweizerdeutschen Dialekten hinzukommt. Dass diese Situation auch Einfluss auf den Erwerb der (hoch)deutschen Sprache hat, zeigte sich bei einigen Probanden in den Interviews daran, dass Wortwahl und Aussprache Charakteristika des Schweizerdeutschen aufwiesen. Auch wenn allen Probanden in einem Einstufungstest, den diese vor Besuch des Deutschkurses absolvieren mussten, das gleiche Kompetenzniveau attestiert worden ist, haben die einzelnen Teilnehmenden sehr unterschiedliche berufliche wie private Hintergründe, was sich z.T. auch auf die Motivation und auf die Bedeutung, welche der deutschen Sprache im Alltagsleben zukommt, auswirkt. Die Differenzen – hinsichtlich des Alters, der Motive für die Teilnahme an dem C1-Deutschkurs und
|| 14 Diese Form der Gestaltung orientiert sich auch an Visualisierungen in aktuellen ThesaurusProjekten wie dem visualthesaurus.com, bei dem auf ähnliche Weise wichtige Konzepte wie relevante Wörter anderer Wortarten in Form eines Wortnetzes visualisiert werden.
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der privaten Hintergründe – lassen sich den persönlichen Daten sowie den Angaben aus den Interviews entnehmen. –
Das Durchschnittsalter der Probanden liegt bei etwa 30 Jahren, wobei die Spannbreite relativ groß ist (zwischen 21 und 48 Jahren). Entsprechend des Alters variieren auch die Lebenssituationen der Probanden: Während sich einige Probanden noch auf ein Studium vorbereiten bzw. dieses bereits absolvieren, haben andere bereits jahrzehntelange Berufserfahrung.
–
Befragt nach den Motiven für die Teilnahme an einem Deutschkurs auf C1Niveau und den anschließenden Erwerb des „Goethe-Zertifikats C1“, wurden von den Probanden unterschiedliche Gründe genannt: Diese reichten von eher individuellen Motiven – dem Wunsch nach besserer Verständigung im Alltag – , bis zur Notwendigkeit, für eine berufliche Zukunft in der Schweiz Deutschkenntnisse auf hohem Niveau nachweisen zu müssen, was bei drei Probanden der Fall war. Allerdings war in allen Fällen, bei denen der Wunsch nach einem beruflichen Einstieg oder Fortkommen genannt worden ist, dieser nicht das einzige Motiv – immer wurden auch private Gründe (etwa die bessere Verständigung im privaten bzw. familiären Umfeld) genannt. Insgesamt ist die Motivation der Probanden für den Erwerb von Deutschkenntnissen damit als sehr hoch einzuschätzen – gerade im Vergleich zu Deutschkursen, welche in nichtdeutschsprachigen Ländern durchgeführt werden. Durch das deutschsprachige Umfeld – etwa in der Familie oder im Kollegenkreis – haben die Probanden die Möglichkeit, das Gelernte direkt anzuwenden. Aus der Koppelung von individuellen und ökonomischen Motiven (vgl. dazu Kapitel 6.5.) resultiert für einige Probanden aber auch ein Erfolgsdruck, der sich in den Interviews z.T. in Ängsten vor der anstehenden Abschlussprüfung äußerte.
–
Ebenso wie die Motive sind auch die privaten Hintergründe der Probanden sehr unterschiedlich: Einige Probanden leben bereits seit mehreren Jahren (bis zu 15 Jahre) in der Schweiz und haben durch Partnerschaft und Familie täglich die Möglichkeit, (Schweizer-)Deutsch zu sprechen, während einige Probanden im privaten Umfeld selten bzw. kaum die Möglichkeit haben, Deutsch zu sprechen (etwa bei Austauschstudierenden bzw. durch Kommunikation mit Partner und Familie in der Erstsprachen).
–
Weitere Angaben zu den Probanden können Tabelle 2 entnommen werden:
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 303
Tabelle 2: Angaben zu den Teilnehmenden der Studie
Gruppe
Proband
Alter
Erstsprache
Herkunft
In der Schweiz
Lerndauer
Gruppe 1
Proband 1
40
Spanisch
Mexiko
seit 7 Jahren
ca. 15 Monate intensiv
Proband 2
48
Japanisch
Japan
seit 14 Jahren
ca. 1 Jahr intensiv
Proband 3
24
Rumänisch
Rumänien
seit 5 Jahren
ca. 3 Jahre
Gruppe 2
Gruppe 3
Proband 4
21
Spanisch
Paraguay
seit 10 Monaten ca. 2,5 Jahre
Proband 5
33
Türkisch/ Kurdisch
Türkei
seit 10 Jahren
ca. 10 Jahre
Proband 6
26
Spanisch
Peru
seit 1 Jahr
ca. 15 Monate
Proband 7
22
Englisch
USA
seit 10 Monaten ca. 7 Jahre
Proband 8
27
Chinesisch
China
seit > 2 Jahren
ca. 15 Monate
Proband 9
46
Spanisch
Spanien
seit 15 Jahren
ca. 2–3 Jahre
Entsprechend der verschiedenartigen Herkunft – und den daraus resultierenden unterschiedlichen Formen an (schulischer) Ausbildung – ist auch der Umgang mit Wörterbüchern sehr verschieden: Während 5 Probanden ausschließlich zweisprachige Wörterbücher nutzen, schlagen 4 Probanden zwar auch in einsprachigen Wörterbüchern nach, nutzen aber parallel dazu weiterhin zweisprachige. Ein deutschsprachiges Lernerwörterbuch wird von keinem der Probanden benutzt. Eine Einführung in die Wörterbuchbenutzung haben lediglich 4 Probanden erhalten, wobei dies jeweils in unterschiedlichen Kontexten (erst- und fremdsprachlicher Unterricht) sowie zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Schule, Universität) erfolgte. Befragt nach Vorschlägen, wie die genutzten Wörterbücher weiter verbessert werden könnten, nennen 4 Probanden den Wunsch nach mehr Beispielen, gefolgt von dem Wunsch nach Einbindung von Bildern, wie es bereits bei zweisprachigen Online-Wörterbüchern praktiziert wird (genannt wurde Pons.de). Auch der Umstand, dass ein Teilnehmender ein Synonymwörterbuch nutzt bzw. von zwei weiteren Probanden der Wunsch nach Synonymangaben genannt wird, lässt auf einen Mangel an entsprechenden Angaben in den Wörterbüchern schließen. Weitere Wünsche, die genannt wurden, sind eine qualitative Verbesserung der Angaben, benutzeradaptive Funktionen sowie eine Beschleunigung des Nachschlageprozesses.
9.3.5 Ablauf und Aufgabenstellung Vorliegende Benutzungsstudien haben gezeigt, dass Fremdsprachenlernende einsprachige (Lerner-)Wörterbücher bevorzugt bei der Rezeption fremdsprachiger Tex-
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te benutzen (vgl. Kapitel 7.2.3.4.), daher ist auch im Rahmen dieser Studie die Wörterbuchbenutzung bei der Rezeption eines deutschsprachigen Texts untersucht worden. Um die Wörterbuchbenutzung so natürlich wie möglich zu gestalten, wurden die Probanden vorab nicht über die Zielsetzungen des Eye-Tracking-Experiments informiert. Bereits bei der Rekrutierung hatten sie die – falsche – Information erhalten, dass es sich bei diesem Experiment um einen Test des Leseverständnisses handle, wie er auch im Rahmen von Goethe-Prüfungen durchgeführt wird. Die Probanden wurden ebenfalls darüber informiert, dass der Test aus zwei Teilen besteht: – In Teil 1, welcher im Usability-Lab des Departements Angewandte Linguistik durchgeführt worden ist, wurden die Teilnehmenden aufgefordert, einen (kurzen) Text am Computerbildschirm des Eye-Trackers zu lesen. Alle Probanden lasen den gleichen Text, bei dem unbekannte Wörter mit Links auf entsprechende Wörterbuchartikel hinterlegt waren; allerdings erhielten die Probanden je nach Gruppeneinteilung unterschiedliche Formen von Wörterbuchartikeln. Die Zuteilung der 9 Probanden zu den 3 Gruppen erfolgte nach Zufallsprinzip. Bei der Rezeption des Texts und der Wörterbuchartikel wurden die Augenbewegungen der Teilnehmenden aufgezeichnet; parallel wurden die Bildschirminhalte sowie die nachgeschlagenen Wörterbuchartikel mitprotokolliert.
–
Erst im Anschluss an die Eye-Tracking-Experimente wurden die Teilnehmenden über die Ziele des Experiments in Kenntnis gesetzt, da deren Umgang mit Wörterbüchern in einem sich anschließenden Interview thematisiert werden sollte. Teil 2 bestand aus einem zeitversetzten Vokabeltest, in dem die nachgeschlagenen Wörter abgeprüft wurden. Ziel dieses zweiten Experimentteils war es, zu eruieren, ob die Teilnehmenden die nachgeschlagenen Informationen gespeichert haben – und ob bzw. inwiefern sich die Form der Wörterbuchartikel auf die Behaltensleistung ausgewirkt hat.
Im Folgenden sollen die Entscheidungen beschrieben und begründet werden, welche für das Design des Experiments getroffen wurden: Für Teil 1 der Studie musste zunächst ein geeigneter Text ausgewählt werden. Dieser Text sollte zwei Kriterien erfüllen: 1. Das Thema sollte den Probanden bekannt sein. Die Probanden sollten so die Gelegenheit haben, bereits vorhandenes lexikalisches Wissen bei der Rezeption zu nutzen. 2. Der Text sollte in einer Länge vorliegen, den Lernende in ca. 10 Minuten lesen können – die Länge des Texts richtete sich daher nach den Textlängen in den Vorbereitungsmaterialien auf die Leseverständnisübungen der TestDaFPrüfungen (B2 bzw. C1).
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 305
Zudem sollte der Text den Probanden möglichst nicht bekannt sein, da bereits bei der ersten Lektüre unbekannte Wörter hätten nachgeschlagen werden können und die Situation daher nicht einer Rezeption eines unbekannten Texts in deutscher Sprache entspräche. Dies war jedoch nicht bei allen Teilnehmenden der Fall: Zwei der 9 Probanden war der ausgewählte Text aufgrund ihres Interesses an dem Thema bereits bekannt. Da beide Teilnehmenden jedoch jeweils 3 Wörter nachgeschlagen haben15 – durchschnittlich wurden pro Proband 2,22 Wörter bei der Lektüre nachgeschlagen – und weniger die konkrete Textkenntnis der Probanden als deren Umgang mit den verschiedenen Formen der Wörterbuchartikel von Interesse ist, erscheint die Berücksichtigung dieser Daten unproblematisch. Der Text sollte weiterhin ein zentrales Thema behandeln, was einerseits bereits in DaF-Unterrichtsmaterialien behandelt worden ist und welches andererseits bei den Probanden auf Interesse stoßen sollte. In Übereinstimmung mit beiden Kriterien wurde daher der Bereich Ausbildung/Universität/Beruf ausgewählt. Daraufhin wurde in Online-Ausgaben von Tages- und Wochenzeitungen nach einem geeigneten Text gesucht, die Wahl fiel schließlich auf einen Artikel des „Spiegels“ mit der Überschrift „Jedes Jahr Bildung bringt fünf Prozent mehr Lohn“16. Neben dem Thema war die Länge des Texts das zweite, wichtige Kriterium: Die Länge des ausgewählten Texts entspricht mit 388 Wörtern dem in den Vorbereitungsmaterialien auf die TestDaF-Prüfung im Bereich Leseverstehen vorgesehenen Umfang von ca. 380–400 Wörtern (vgl. die Beispiele in Heine/Lazarou 2008: 10ff.). Nach der Auswahl des Texts wurde dessen Schwierigkeitsgrad daraufhin überprüft, wie viele Wörter bereits im Lernwortschatz der Stufen A1 bis B2 enthalten sind. Die Zuordnung der Wörter zu einem Kompetenzniveau konnte anhand des in Profile Deutsch17 integrierten Wörterbuchs18 überprüft werden. Lediglich 53 Wörter konnten keinem dieser Kompetenzniveaus zugeordnet werden, sodass die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass die Lernenden diese nicht kannten.
|| 15 Der Umstand, dass auch diese Probanden jeweils 3 Wörter im angebotenen Wörterbuch nachgeschlagen haben, lässt darauf schließen, dass ihnen die Bedeutung der Wörter trotz ihrer Textkenntnis unbekannt war bzw. dass sie sich nicht ganz sicher waren, was die Wörter bedeuteten. 16 Der Artikel vom 4.4.2012 ist abrufbar unter: www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/studieberechnet-jedes-jahr-bildung-bringt-fuenf-prozent-mehr-einkommen-a-825783.html. 17 Die Funktionen von Profile Deutsch (herausgegeben von Glaboniat et al. 2005), welches 2005 als Buch mit angefügter CD-ROM im Langenscheidt-Verlag publiziert worden ist, werden auf der Webseite des Goethe-Instituts beschrieben: „‚Profile Deutsch‘ ist ein Hilfsmittel für CurriculumEntwickler, Leiter von Institutionen, Lehrbuchautoren, Prüfungsspezialisten, Lehrende und Lernende. [Es] beschreibt für die deutsche Sprache die handlungsorientierten Anforderungen der Niveaustufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens mit konkreten Beispielen.“ (vgl. Angaben unter http://mucz-lbv-002.goethe.de/lhr/prj/prd/deindex.htm). 18 Das Wörterbuch in Profile Deutsch ist eine Modifikation des LGWDAF, bei dem die ursprünglichen Artikel um eine Angabe zum Kompetenzniveau ergänzt worden sind.
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Aus der Liste der 53 Wörter wurden weiterhin solche ausgeschlossen, deren Bedeutung sich durch Wortbildungskenntnisse (Macher machen) oder Kenntnis von Internationalismen (z.B. Faktor) leicht erschließen lässt. Die Liste reduzierte sich durch diese Auswahl auf folgende 21 Wörter: Abschluss, Arbeitnehmer, Arbeitslosengeld, Arbeitsmarktforscher, Berechnung, Berufsleben, Bildung, Bildungsrendite, Bildungssystem, Bummelstudent, Durchschnitt, Erwerb, Erziehung, geringqualifiziert, hochqualifiziert, Nachtarbeit, rechnerisch, Schichtarbeit, Schulsystem, Steuersatz, Studie. Da jedoch die Lexeme Arbeitsmarktforscher, Bildungsrendite, Bummelstudent, geringqualifiziert, hochqualifiziert, Nachtarbeit, Schichtarbeit und Steuersatz keine eigenen Einträge im LGWDAF haben, wurden diese nur als Verweisartikel modelliert, sodass zusätzlich die Artikel Arbeit, bummeln, Forscher, qualifiziert, Rendite und Satz aufgenommen werden mussten. Der ausgewählte Text wurde schließlich mit den Links auf die entsprechenden Wörterbuchartikel hinterlegt. Durch dieses Setting sollte ermittelt werden, was die Teilnehmenden beim Lesen eines unbekannten Texts nachschlagen und ob die in den Wörterbuchartikeln der Gruppen 2 und 3 enthaltenen paradigmatischen Angaben wahrgenommen werden bzw. wie lange die Aufmerksamkeit der Benutzer auf diese Informationen gerichtet wird. Denn erst wenn eine Informationen eine bestimmte Zeit wahrgenommen worden ist und die Bewusstseinsschwelle (nach 250 Millisekunden, vgl. Kapitel 5.1.3.) überschritten wird, werden die Angaben im Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis verarbeitet. Daher sollte die Kontrolle dieses Prozesses durch Eye-Tracking ein wichtiger Schritt sein, um Aussagen darüber treffen zu können, ob ein Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung der Angabe und dem Erwerb des entsprechenden Lexems besteht. Während der Experimente erwies sich die Auswahl der Wörter, zu denen Wörterbuchartikel erstellt worden waren, als durchaus ausreichend. Von den Probanden wurde nur ein kleiner Prozentsatz der angebotenen 27 Artikel (darunter 8 Verweisartikel) nachgeschlagen (in absteigender Frequenz): – Bummelstudent (Verweisartikel auf bummeln): 8 – bummeln: 7 – Bildungsrendite (Verweisartikel auf Rendite): 5 – Rendite: 4 – Erwerb: 2 – geringqualifiziert (Verweisartikel auf qualifiziert): 2 – qualifiziert: 2 – Berechnung: 1 – rechnerisch: 1 – Steuersatz (Verweisartikel auf Satz): 1 – Satz: 1
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In der Annahme, wegen der guten Deutschkenntnisse der Teilnehmenden nicht genügend Daten zu erhalten, wurden die Probanden im Anschluss an die Rezeption des Texts auf einer verlinkten Webseite befragt, ob ihnen die Bedeutung ausgewählter Wörter (Rendite, Bildungssystem, Arbeitslosengeld, Bummelstudent, Satz (in Zusammenhang mit Geld)) bekannt sei. Diese Auswahl resultierte zum einen aus der geringen Frequenz dieser Wörter in der Alltagskommunikation sowie aus deren Bedeutung für den Text. Klickten die Probanden auf der entsprechenden Webseite auf „Ja“, wurde ihnen die nächste dieser 5 Zusatzfragen gestellt, klickten sie auf „Nein“, wurde ihnen der entsprechende Wörterbuchartikel präsentiert. Auf diese Weise konnten 9 weitere Nachschlagehandlungen protokolliert werden: – Satz: 5 – Rendite: 2 – Arbeitslosengeld: 1 – Bummelstudent: 1 Die Diskrepanz zwischen den tatsächlich nachgeschlagenen und den (offensichtlich) unbekannten Wörtern erklärt sich dadurch, dass im anschließenden Interview einige Probanden angaben, sie hätten sich die Bedeutung dieser Wörter bei der Lektüre aus dem Kontext bzw. durch Wortbildungskenntnisse ableiten können, allerdings seien sie sich nicht sicher gewesen, was sie wirklich bedeuten. Hier zeigt sich, wie problematisch die Bedeutungserschließung aus dem Kontext sein kann (vgl. hierzu Kapitel 4.2.1.): Lernende erfassen ohne weitere Hilfestellung nur die ungefähre Bedeutung des Worts und können diese nicht richtig abspeichern. Die im Anschluss an die Eye-Tracking-Experimente durchgeführten Interviews bestanden aus 5 Themenblöcken: Zunächst wurden persönliche Angaben (Erstsprache, Alter) sowie das Motiv für die Teilnahme an dem C1-Kurs abgefragt (Teil 1), in den weiteren 4 Blöcken konzentrierte sich das Interview auf die Wörterbuchbenutzungsgewohnheiten der Teilnehmenden hinsichtlich – der Nutzung von ein- oder zweisprachigen Wörterbüchern (Teil 2), – der Nutzung und dem Besitz einsprachiger Wörterbücher (Teil 3), – der Nutzung von Online-Wörterbüchern bzw. -Wortsammlungen (Teil 4), – sowie der Frage nach der Einführung in die Wörterbuchbenutzung (Teil 5). Die wichtigsten Ergebnisse der Interviews sind bereits in Kapitel 9.3.4. vorgestellt worden. Teil 2 des Tests bestand aus einer zeitversetzten Online-Befragung, zu der die Probanden via E-Mail einen Link erhielten. Befragt wurden die Teilnehmenden danach, ob sie sich erinnern konnten, welche Lexeme sie bei der Textrezeption nachgeschlagen hatten (mit Angabe der 27 Lexeme) und – in einem weiteren Schritt – was diese bedeuten (ohne weitere Hilfestellungen und mit dem Hinweis, zur Beant-
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wortung dieser Frage auf keinen Fall ein Nachschlagewerk zu benutzen). Ziel dieser Befragung war es zu überprüfen, ob sich die Probanden an den Wortschatz des Texts und insbesondere an die Bedeutung der nachgeschlagenen Lexeme erinnerten, was ein Indiz dafür wäre, dass zuvor unbekannte Wörter gelernt worden sind. Die wichtigste Frage bei der Auswertung dieser Befragung war jedoch die, ob zwischen den drei Gruppen (deutliche) Unterschiede feststellbar waren.
9.3.6 Ergebnisse Im Folgenden sollen die Eye-Tracking-Daten der einzelnen Gruppen ausgewertet werden, wobei folgende Fragen besondere Berücksichtigung finden sollen: – Auf welche Angaben ist bei den Wörterbuchartikeln die Aufmerksamkeit gelenkt worden? Welche Angaben werden dagegen nicht wahrgenommen? – Kann man bei der Wörterbuchbenutzung Gemeinsamkeiten zwischen den Probanden einer Gruppe feststellen oder sind die Nachschlagehandlungen eher individuell? Für die Auswertung der Eye-Tracking-Daten wurde aufgrund der Inhalte der Wörterbuchartikel, die in erster Linie – wenn auch nicht vollständig – aus Textelementen bestehen, der Standardfilter des Eye-Trackers für diese Inhalte („mostly reading“, vgl. User Manual des Tobii Eye-Trackers) gewählt (40 ms Fixation in einem Radius von 20 px, vgl. Abbildung 15).
Abb. 15: Gaze Plot des Probanden 2 beim Lesen des Artikels bummeln mit einem Filter von 40 ms und 20 px
Der Vergleich mit dem von Tono und Simonsen gewählten Fixationsfilter von 100 ms und 35 px zeigte zudem, dass bei dieser Einstellung kürzere Fixationen nicht registriert wurden; die Scanpaths der Probanden hätten bei diesem Filter z.T. weni-
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 309
ger detaillierte Ergebnisse geliefert (vgl. den Unterschied zwischen den Abbildungen 18 und 16).
Abb. 16: Gaze Plot des Probanden 2 beim Lesen des Artikels bummeln mit einem Filter von 100 ms und 35 px
9.3.6.1 Gruppe 1 Gruppe 1 dient einerseits als Kontrollgruppe und ermöglicht somit den Vergleich zu den beiden anderen Gruppen. Andererseits kann durch die Analyse der Blickbewegungen dieser Probanden erstmals gezeigt werden, worauf und wie lange fortgeschrittene Lernende ihre Aufmerksamkeit in Artikeln eines (deutschsprachigen) Lernerwörterbuchs lenken. Die Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags enthalten alle Gaze Plots der Probanden, im Folgenden sollen nur Gaze Plots und Heat Maps von Artikeln gezeigt werden, die von mehr als einem Probanden nachgeschlagen wurden. Auf diese Weise können die Such- und Leseprozesse der Probanden direkt miteinander verglichen werden. Zwei von drei Probanden der Gruppe 1 haben Bildungsrendite nachgeschlagen und wurden auf den Artikel Rendite (Abbildung 17) verwiesen. Abbildung 18 zeigt die Gaze Plots der Probanden 2 (grün) und 3 (orange) beim Lesen des Artikels19, wobei die Abfolge der Fixationen durch Nummern, die Dauer der Fixationen durch die Größe der Punkte markiert wird (vgl. hierzu auch Kapitel 9.1.). Setzt man den Gaze Plot mit der Dauer der Fixation in Bezug, kann man feststellen, dass beide Probanden den Artikel äußert schnell lesen (Proband 3 in 1.93205 Sekunden, Proband 2 in 2.427449 Sekunden). Beiden Gaze Plots ist gemein, dass die
|| 19 Um die in dieser Arbeit gezeigten Gaze Plots bzw. Heat Maps mit den Wörterbuchartikeln vergleichen zu können, enthalten die Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags alle modellierten Wörterbuchartikel.
310 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Probanden das Lemma selbst nicht wahrnehmen, dafür aber mehrfach den in der Bedeutungsangabe genannten Oberbegriff Gewinn fixieren.
Abb. 17: Artikel Rendite (Gruppe 1)
Abb. 18: Gaze Plots der Probanden 2 (grün) und 3 (orange) beim Lesen des Artikels Rendite
Während beim Gaze Plot kaum Unterschiede in der Dauer der Fixation deutlich werden – die Punkte sind alle annähernd gleich groß – , kann durch die Heat Map (Abbildung 19) gezeigt werden, dass die Angabe ‚Gewinn‘ von den Probanden am längsten wahrgenommen wird (860 Millisekunden).
Abb. 19: Heat Map zum Artikel Rendite unter Berücksichtigung der Fixationsdauer der Probanden 2 und 3
Alle Probanden der Gruppe 1 haben Bummelstudent nachgeschlagen und wurden auf den Artikel bummeln (Abbildung 20) verwiesen. Abbildung 21 zeigt die Gaze Plots der Probanden 1 (lila), 2 (grün) und 3 (orange) beim Lesen des Artikels. Aufgrund der Artikellänge wird bummeln deutlich länger als Rendite fixiert: Zwischen 7 (Proband 1) und 17 Sekunden (Proband 2).
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 311
Abb. 20: bummeln (Gruppe 1)
Abb. 21: Gaze Plots aller Probanden der Gruppe 1 beim Lesen des Artikels bummeln
Bei allen drei Gaze Plots fällt auf, dass die Probanden die Angaben in linearer Abfolge rezipieren, die Heat Map (vgl. Abbildung 22) kann zudem zeigen, dass besonders die grammatischen Angaben („bummelte, hat/ist gebummelt“) sowie die erste Bedeutungsangabe (‚seine Arbeit sehr langsam (und planlos) machen‘) aufmerksam gelesen werden, während die Angaben zur Wortbildung kaum bzw. gar nicht wahrgenommen werden.
312 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Abb. 22: Heat Map zum Artikel bummeln unter Berücksichtigung der Fixationsdauer aller Probanden
Auch bei dem letzten Artikel, der von allen Probanden dieser Gruppe nachgeschlagen wurde, zeigt sich, dass die Probanden zwar alle den Artikel – Satz (Abbildung 23) – in linearer Abfolge lesen (vgl. Abbildung 24), Proband 1 (lila) die Angaben – wie beim Artikel bummeln (vgl. Abbildung 21) – erneut eher selektiv zur Kenntnis nimmt und sich insbesondere auf die (erste) Bedeutungsbeschreibung konzentriert.
Abb. 23: Artikel Satz (Gruppe 1)
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 313
Abb. 24: Gaze Plots aller Probanden der Gruppe 1 beim Lesen des Artikels Satz
Durch die Auswertung der Fixationsdauer in Form der Heat Map (Abbildung 25) kann festgestellt werden, dass die Aufmerksamkeit der Probanden insbesondere dem Lemma (inklusive grammatischer Informationen) sowie dem in der Bedeutungsangabe genannten Oberbegriff Summe Geld gewidmet wird.
Abb. 25: Heat Map zum Artikel Satz unter Berücksichtigung der Fixationsdauer aller Probanden
Fasst man die Auswertungen der Eye-Tracking-Daten von Gruppe 1 zusammen (vgl. auch die vollständigen Gaze Plots und Heat Maps in den Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags), kann für die Rezeption von Wörterbuchartikeln aktueller Lernerwörterbücher Folgendes konstatiert werden: – Die Unterschiede bei der Rezeption der einzelnen Probanden zeigen sich in der Rezeptionsgeschwindigkeit, jedoch nicht in dem Rezeptionsverlauf. – Die Angaben des Lernerwörterbuchs werden überwiegend in linearer Abfolge gelesen.
314 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
–
Häufig werden von den Probanden nur die ersten (Bedeutungs-)Angaben wahrgenommen, während Angaben, die am Ende des Artikels zu finden sind, nicht wahrgenommen und damit auch nicht gespeichert werden.
9.3.6.2 Gruppe 2 Den Probanden der Gruppe 2 standen Wörterbuchartikel zur Verfügung, welche um semantische Relationen und weitere Wortfeldangaben ergänzt worden sind. Der Schwerpunkt der Auswertung bei dieser Gruppe soll darauf liegen, ob und welche Angaben wahrgenommen werden. Zudem ist insbesondere bei dieser neuen Form von Wörterbuchartikeln die Frage interessant, ob sich die Probanden in ihrer Rezeption voneinander unterscheiden. Zwei Teilnehmende der Gruppe 2 haben die Bedeutung von Bummelstudent nachgeschlagen und sind auf den Artikel bummeln (vgl. Abbildung 26) verwiesen worden. Abbildung 27 zeigt die Gaze Plots von Proband 4 (lila) und 5 (grün) beim Lesen des Artikels. Deutlich fallen die Unterschiede zwischen den Scanpaths der beiden Probanden auf: Während Proband 4 sich auf die grammatischen Angaben sowie die erste Bedeutungsangabe konzentriert, liest Proband 5 den Artikel systematisch durch, wobei die Angaben zur Wortbildung allerdings nicht wahrgenommen werden.
Abb. 26: Artikel bummeln (Gruppe 2)
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 315
Abb. 27: Gaze Plots der Probanden 4 (lila) und 5 (grün) beim Lesen des Artikels bummeln
Wie die Gaze Plots der beiden Probanden unterscheiden sich auch die Heat Maps deutlich voneinander. Die Heat Map von Proband 4 zeigt (Abbildung 28), dass sich dieser vor allem auf die erste Bedeutungsangabe – insbesondere die Formulierung ‚seine Arbeit sehr langsam […] machen‘ konzentriert.
Abb. 28: Heat Map zum Artikel bummeln unter Berücksichtigung der Fixationsdauer von Proband 4
Die Heat Map (Abbildung 29) von Proband 5 dagegen zeigt, dass sich dessen Aufmerksamkeit auf den Oberbegriff (tätig sein) und die Synonyme (insbesondere faulenzen) konzentriert.
316 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Abb. 29: Heat Map zum Artikel bummeln unter Berücksichtigung der Fixationsdauer von Proband 5
Nur ein einziger weiterer Artikel wird von zwei Probanden der Gruppe 2 nachgeschlagen: Abbildung 31 zeigt die Gaze Plots der Probanden 5 (grün) und 6 (orange) beim Lesen des Artikels Rendite (vgl. Abbildung 30). Während sich Proband 5 auch hier auf den Oberbegriff (Gewinn), Synonyme (Ertrag, Kapitalertrag) und die Angabe gegensätzlicher Konzepte (Verlust) konzentriert, wird der Artikel von Proband 6 in linearer Abfolge systematisch durchgelesen. Allerdings zeigen sich an diesen Gaze Plots erstmals Unterschiede in der Fixationsdauer (durch unterschiedliche Punktgröße), was sich auch durch die Auswertung der Heat Maps bestätigen lässt.
Abb. 30: Artikel Rendite (Gruppe 2)
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 317
Abb. 31: Gaze Plots der Probanden 5 (grün) und 6 (orange) beim Lesen des Artikels Rendite
Die Heat Map von Proband 5 (Abbildung 32) bestätigt, dass sich dieser besonders auf die Angaben des Oberbegriffs und der Synonyme (Ertrag) konzentriert. Da dies bei Proband 5 auch bei der Rezeption des Artikels bummeln zu beobachten war, scheint sich hier ein Muster bei der Rezeption der Wörterbuchartikel anzudeuten.
Abb. 32: Heat Map zum Artikel Rendite unter Berücksichtigung der Fixationsdauer von Proband 5
Die Heat Map von Proband 6 zum Artikel Rendite zeigt dagegen (vgl. Abbildung 33), dass sich der Proband – neben der systematischen Rezeption des Artikels – insbesondere auf die Angabe Kapitalertrag konzentriert.
318 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Abb. 33: Heat Map zum Artikel Rendite unter Berücksichtigung der Fixationsdauer von Proband 6
Anders als in Gruppe 1 zeigen sich in Gruppe 2 deutliche Unterschiede der Probanden bei der Rezeption der Artikel. Hier scheint es weniger die nach traditionellem Muster formulierte Bedeutungsangabe als vielmehr die Angaben von Oberbegriffen und Synonymen zu sein, welche die Aufmerksamkeit der Probanden erregen.
9.3.6.3 Gruppe 3 In den Artikeln, auf die die Probanden der Gruppe 3 zugreifen konnten, werden die semantischen Angaben durch eine graphische Darstellung visualisiert. Bei der Auswertung der Eye-Tracking-Daten dieser Gruppe soll der Schwerpunkt darauf liegen, ob und wie lange welche Elemente der Graphiken wahrgenommen bzw. nicht wahrgenommen werden. Ebenso sollen die Daten daraufhin untersucht werden, ob es zwischen den Probanden Unterschiede bei der Rezeption der Artikel gibt. Proband 9 hat lediglich einen Artikel (Bummelstudent) nachgeschlagen, daher können im Folgenden nur gemeinsame Gaze Plots und Heat Maps der Probanden 7 (lila) und 8 (grün) untersucht werden.
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 319
Abb. 34: Artikel Satz (Gruppe 3)
320 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Abb. 35: Gaze Plots der Probanden 7 (lila) und 8 (grün) beim Lesen des Artikels Satz
Die Analyse der Gaze Plots (Abbildung 35) bei der Lektüre des Artikels Satz (Abbildung 34) zeigt, dass sich die Scanpaths der beiden Probanden deutlich voneinander unterscheiden. Während Proband 8 vor allem die nach traditionellem Muster formulierte Bedeutungsangabe liest, betrachtet Proband 7 relativ lange die graphische Darstellung sowie die erklärende Legende im unteren Bildschirmbereich.
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 321
Die Differenzen zwischen den beiden Scanpaths wirken sich zudem deutlich auf den Zeitraum aus, in dem sich die beiden Probanden mit dem Artikel beschäftigen. Proband 8 benötigt nur 1,452 Sekunden für die Rezeption des Artikels, Proband 7 dagegen mehr als 22 Sekunden. Dass die Art und Weise, in der Artikel rezipiert werden, bei den Probanden nicht immer gleich ist, zeigen die Gaze Plots beim Artikel bummeln (Abbildung 36): Hier verhält es sich umgekehrt: Während Proband 7 hier hauptsächlich die Bedeutungsangaben in traditioneller Form rezipiert, werden von Proband 8 die Graphik sowie die Angaben zur Wortbildung betrachtet (vgl. Abbildung 37).
bum·meln; bummelte, hat/ist gebummelt; [Vi] 1. (hat) gespr pej; seine Arbeit sehr langsam (und planlos) machen: Er bummelt heute schon den ganzen Tag 2. (hat) nichts Produktives tun
Abb. 36: Artikel bummeln (Gruppe 3)
322 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Abb. 37: Gaze Plots der Probanden 7 (lila) und 8 (grün) beim Lesen des Artikels bummeln
Auch der Gaze Plot (Abbildung 39) zum Artikel Erwerb (Abbildung 38) zeigt, dass sich Proband 8 vor allem auf die Angaben in graphischer Form konzentriert, Proband 7 dagegen sowohl die Bedeutungsangabe nach traditionellem Muster wie auch Teile der graphischen Darstellung betrachtet. Auch in Gruppe 3 lässt sich anhand der verschiedenen Gaze Plots beobachten, dass die Angaben zur Wortbildung nur von wenigen Probanden wahrgenommen werden – ein Umstand, der in der vorliegenden Studie auf die Aufgabenstellung (Nachschlagen von unbekannten Wörtern, d.h. von Bedeutungsangaben) zurückgeführt werden kann.
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 323
Er·werb der; -(e)s; nur Sg; ADM geschr; eine bezahlte berufliche Tätigkeit
Komposita: Substantive: || K-: Erwerbstätigkeit, Erwerbsloser, Erwerbsarbeit, Erwerbsperson, Erwerbseinkommen, || -K: Broterwerb Adjektive: || K-: erwerbsfähig, erwerbsunfähig
Abb. 38: Artikel Erwerb (Gruppe 3)
324 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Abb. 39: Gaze Plots der Probanden 7 (lila) und 8 (grün) beim Lesen des Artikels Erwerb
Um herauszufinden, wie lange die Probanden welche Elemente der Wörterbuchartikel fixiert haben und welche Informationen für die Probanden besonders wichtig sind, sollen im Folgenden ausgewählte Heat Maps der Gruppe 3 vorgestellt werden. Die Heat Map zum Artikel bummeln (Abbildung 40) des Probanden 8 zeigt, dass sich dieser insbesondere auf Oberbegriffe sowie auf Synonyme (faulenzen und trödeln) und Antonyme (beeilen) konzentriert.
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 325
Abb. 40: Heat Map des Artikels bummeln (Proband 8)
Die Heat Map des Probanden 7 beim Artikel Erwerb (Abbildung 41) zeigt dagegen, dass die Angaben in graphischer Form (darunter auch der Oberbegriff) wahrgenommen, aber nur kurz fixiert werden, während der Schwerpunkt der Rezeption auf dem Lesen der traditionell formulierten Bedeutungsangaben liegt.
326 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Abb. 41: Heat Map des Artikels Erwerb (Proband 7)
Angesichts der deutlichen Unterschiede zwischen den Scanpaths der Probanden, aber auch zwischen den verschiedenen Scanpaths eines einzelnen Probanden, sollen im Folgenden alle Nachschlagehandlungen der Gruppe 3 unter Berücksichtigung der fixierten Inhalte (Graphik, Text bzw. Text und Graphik) ausgewertet werden (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3: Wahrnehmungen der Probanden in Abhängigkeit von den angezeigten Inhalten
Wahrgenommene Inhalte
Proband 7
Proband 8
Proband 9
Graphik
0
4
0
Text
0
0
0
Text und Graphik
3
3
1
Allgemein lassen sich zwei Formen von Scanpaths nachweisen – entweder liegt die Konzentration des Probanden auf der nach klassischem Muster formulierten Bedeu-
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 327
tungsangabe in Verbindung mit den Angaben in graphischer Form oder die Probanden konzentrieren sich ganz auf die graphische Darstellung. Der Vorzug für eine bestimmte Angabeform scheint jedoch nicht von individuellen Nachschlagegewohnheiten abzuhängen, sondern kann auch von Nachschlagehandlung zu Nachschlagehandlung variieren, was sich insbesondere an den Gaze Plots von Proband 8 zeigt. Auffallend ist, dass bei allen Artikeln von den Probanden immer die Angaben in graphischer Form wahrgenommen werden, wobei die Probanden in den meisten Fällen auch die Bedeutungsangaben nach traditionellem Muster rezipieren.
9.3.7 Diskussion der Ergebnisse Die folgenden Auswertungen sollen besonders die Unterschiede in der Wahrnehmung der Wörterbuchartikel zwischen den verschiedenen Gruppen herausarbeiten. Dabei sollen zwei Faktoren berücksichtigt werden: Zum einen der Zeitraum, in dem die einzelnen Wörterbuchartikel betrachtet worden sind, zum anderen Veränderungen in den Nachschlagegewohnheiten der Probanden von Gruppe 2 und 3 im Laufe verschiedener Suchprozesse. Sollten sich die Scanpaths der Probanden bei der Lektüre der um semantische und lexikalische Angaben ergänzten Wörterbuchartikel ändern, könnte dies als Indiz dafür gewertet werden, dass diese mit den Angabeformen vertraut werden und diese ggf. den Bedeutungsangaben in traditionellem Formulierungsmuster vorziehen. Zum Schluss soll schließlich der Frage nachgegangen werden, ob die Probanden tatsächlich den nachgeschlagenen Wortschatz gelernt haben; hierzu wird der zeitverzögerte Vokabeltest ausgewertet und mit den Nachschlagehandlungen in Beziehung gesetzt. Die Dauer der Fixation ermöglicht Aussagen darüber, ob Informationen wahrgenommen werden, was die notwendige Voraussetzung für den Beginn eines Informationsverarbeitungsprozesses ist. Da die minimale Bewusstseinsschwelle bei ca. 250 ms liegt und alle Artikel, die von den Probanden aufgerufen worden, länger als 250 ms fixiert wurden20, kann durch das Eye-Tracking bestätigt werden, dass zumindest ausgewählte Informationen dieser Artikel von den Probanden wahrgenommen worden sind.
|| 20 Genauere Aussagen würde man erhalten, wenn man bei jeder Information (d.h. bei jedem Wort eines Artikels) untersuchen würde, ob deren Wahrnehmung die Bewusstseinsschwelle überschritten hat. Da jedoch alle Artikel deutlich länger als 250 ms – bei den angeführten Beispielen mind. 1,45 Sekunden) – betrachtet worden sind und durch Gaze Plots und Heat Maps deutlich wird, welche Informationen von dem jeweiligen Probanden am längsten betrachtet worden sind, soll von einer solch detaillierten Auswertung Abstand genommen werden.
328 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Zwischen den verschiedenen Angabeformen zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede in der Fixationslänge. Da Probanden aller Gruppen die Artikel Rendite, bummeln und Satz aufgerufen haben, werden im Folgenden die Fixationslängen dieser Artikel untersucht. Tabelle 4: Fixationsdauer des Artikels Rendite in Sekunden21
Gruppe 1
Gruppe 2
Gruppe 3
Proband 1
Proband 2
Proband 3
Durchschnitt
-
2.427449
1.93205
2.1797495
Proband 4
Proband 5
Proband 6
Durchschnitt
11.319024
-
43.384467
27.3517455
Proband 7
Proband 8
Proband 9
Durchschnitt
-
26.912257
-
26.912257
Es fällt auf, dass in Gruppe 2 und 3 der entsprechende Artikel deutlich länger betrachtet wird, als in Gruppe 1. Da der Artikel von Gruppe 1 nur aus 12 Wörtern (und verkürzten grammatischen Angaben) besteht, könnte eine mögliche Erklärung für die längeren Fixationslängen der Gruppen 2 und 3 darin zu finden sein, dass die Artikel dieser Gruppen um weitere Angaben ergänzt worden und somit umfangreicher sind. Tatsächlich zeigen sich bei dem Artikel bummeln, welcher in allen drei Gruppen vergleichbar lang ist, kaum Unterschiede in der (durchschnittlichen) Dauer der Fixation. Tabelle 5: Fixationsdauer des Artikels bummeln in Sekunden
Gruppe 1
Gruppe 2
Gruppe 3
Proband 1
Proband 2
Proband 3
Durchschnitt
6.977911
17.366492
10.3873
11.5772343
Proband 4
Proband 5
Proband 6
Durchschnitt
6.705103
14.266938
-
10.4860205
Proband 7
Proband 8
Proband 9
Durchschnitt
11.44236
7.56134
19.508056
12.837252
|| 21 Um zu kennzeichnen, dass nicht von allen Probanden der entsprechende Artikel nachgeschlagen wurde, ist dies in der Tabelle mit einem „-“ angegeben; die Angabe des Durchschnittswerts beruht entsprechend nur auf den Werten der anderen Probanden.
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 329
Auch der Artikel Satz ist bei allen Gruppen vergleichbar umfangreich, hier zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede in den Fixationslängen: Tabelle 6: Fixationsdauer des Artikels Satz in Sekunden
Gruppe 1
Gruppe 2
Gruppe 3
Proband 1
Proband 2
Proband 3
Durchschnitt 11.57723433
6.977911
17.366492
10.3873
Proband 4
Proband 5
Proband 6
Durchschnitt
22.902488
-
30.887931
26.8952095
Proband 7
Proband 8
Proband 9
Durchschnitt
22.182048
1.452109
-
11.8170785
Gerade in Gruppe 2 wird der Artikel von beiden Probanden auffällig lang fixiert. Die entsprechenden Heat Maps der Probanden 4 und 6 zeigen (vgl. Abbildungen 150 und 152 in den Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags), dass sich diese besonders auf die Angaben der semantischen Relationen konzentrieren – weit mehr als auf die Bedeutungsangabe in traditioneller Form. Zudem ist auffallend, dass in Gruppe 3 Proband 8 den Artikel äußerst schnell fixiert (nur 1,452 Sekunden). Da der Proband während der Textrezeption insgesamt 6 Artikel nachgeschlagen hat, die ihm für das Verständnis des Texts wichtig waren, liegt die Besonderheit dieser Nachschlagehandlung darin, dass Satz der einzige Artikel ist, den der Proband erst auf Nachfrage bei den sich an die Lektüre anschließenden Fragen nachgeschlagen hat. Hier dient die Lektüre des Artikels offenbar nur der Bestätigung des eigenen Wissens und dementsprechend schnell wird der aufgerufene Artikel wieder geschlossen (vgl. den Gaze Plot beim Lesen des Artikels Satz, Abbildung 162 in den Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags). Hinsichtlich der Fixationslängen kann somit konstatiert werden: – Ein erstes Ergebnis der Auswertung der Fixationslänge besteht darin, dass die Gruppen 2 und 3 die Artikel im Durchschnitt länger fixieren. Offen ist jedoch, was der Grund für die längere Beschäftigung mit den Wörterbuchartikeln ist: Zum einen enthalten die Artikel mehr Angaben (neben textuellen auch visuelle Informationen), zum anderen ist die Form, in denen den Benutzern die Angaben präsentiert werden neu, was die Rezeptionszeit verlängern könnte. – Als weiteres Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Fixationsdauer stark von individuellen Lesegewohnheiten abhängt und sich daher die Fixationslängen in einer Gruppe nur bedingt miteinander verglichen lassen (vgl. hierzu die Fixationslänge von Rendite der Probanden 4 und 6). Aufgrund der Individualität der Fixationslängen wäre eine Studie in größerem Rahmen wünschenswert, um signifikante Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Artikelformen herauszuarbeiten.
330 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Gerade bei den Gruppen 2 und 3 stellt sich die Frage, ob sich die Scanpaths der einzelnen Probanden im Laufe verschiedener Nachschlageprozesse verändern und wie die Probanden mit den neuen Angabeformen umgehen. Werden die Angaben von den Probanden angenommen oder kehren diese nach Lektüre mehrerer Artikel wieder zur Bedeutungsangabe in traditioneller Form zurück? Beispielhaft sollen zur Beantwortung dieser Frage die Nachschlagehandlungen der Probanden 4 und 7 analysiert werden.
Abb. 42: Gaze Plots des Probanden 4 in der Reihenfolge des Nachschlagens (qualifiziert, bummeln und Satz)22
Die Abfolge der Scanpaths zeigt (vgl. Abbildung 42), dass sich Proband 4, welcher sich zunächst auf die Rezeption der Bedeutungsangaben konzentriert, im weiteren Verlauf seine Rezeption auf alle Angaben des Artikels ausweitet. Auch die Heat Maps (vgl. Abbildung 43) zeigen, dass sich das Interesse – gemessen an der Fixationsdauer – von den Bedeutungsgaben auf die neuen Angaben verschiebt.
Abb. 43: Heat Maps des Probanden 4 in der Reihenfolge des Nachschlagens (qualifiziert, bummeln und Satz)
Ähnliches zeigt sich auch bei Proband 7: Während der Probanden seine Aufmerksamkeit zunächst hauptsächlich auf die ihm vertraute Bedeutungsangabe richtet, bezieht er im weiteren Verlauf auch die Angaben in graphischer Form ein (vgl. Abbildung 44). || 22 Vergrößerungen aller Gaze Plots finden sich in den Zusatzmaterialien zum Buch auf der Webseite des Verlags.
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 331
Abb. 44: Gaze Plots des Probanden 7 in der Reihenfolge des Nachschlagens (Erwerb, bummeln und Satz)
Ebenso zeigen die Heat Maps (vgl. Abbildung 45) dieses Probanden, dass sich die Fixationsdauer von den Bedeutungsgaben auf die graphische Darstellung verschiebt.
Abb. 45: Heat Maps des Probanden 7 in der Reihenfolge des Nachschlagens (Erwerb, bummeln und Satz)
Für die Vertreter beider Gruppen kann also festgehalten werden, dass die Probanden die neuen Angabeformen im Verlauf ihrer Nachschlagehandlungen immer intensiver nutzen. In diesem Zusammenhang ist auch die Wörterbuchrezeption des Probanden 8 von besonderen Interesse, welcher von allen Teilnehmenden die meisten Wörterbuchartikel – insgesamt 7 Artikel (vgl. Abbildung 46) – nachschlägt. Da der Proband bei der Eye-Tracking-Aufnahme eine Brille tragen musste, ist bei den Gaze Plots zu beachten, dass sich die Fixationspunkte dadurch leicht nach unten verschoben haben.
332 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
1. nachgeschlagener Artikel:
2. nachgeschlagener Artikel:
3. nachgeschlagener Artikel:
Rendite
Erwerb
qualifiziert
4. nachgeschlagener Artikel:
5. nachgeschlagener Artikel:
6. nachgeschlagener Artikel:
bummeln
rechnerisch
Berechnung
7. nachgeschlagener Artikel: Satz Abb. 46: Heat Maps des Probanden 7 in der Reihenfolge des Nachschlagens
Der erste Gaze Plot zeigt, dass der Proband den Artikel vollständig betrachtet, wobei ein möglicher Grund in der ungewohnten Angabeform zu finden sein könnte. Wäh-
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 333
rend er bei den zwei nächsten Artikeln insbesondere die Bedeutungsangabe (und den oberen Teil der Graphik) wahrnimmt, lenkt er bei den nächsten 3 Gaze Plots wiederum seine Aufmerksamkeit auf die graphischen Angaben. Der 7. Gaze Plot stellt – wie oben bereits erwähnt – insofern eine Besonderheit dar, als der Proband vermutlich nur sein Wissen bestätigen möchte und daher nur die Bedeutungsangabe schnell überfliegt. Obwohl sich hier also keine eindeutige Bevorzugung einer Angabeform (textuelle Bedeutungsangabe vs. graphisch dargestellte semantische Relationen) feststellen lässt, muss doch konstatiert werden, dass beide Angabeformen von dem Probanden genutzt werden. Dieses Ergebnis untermauert die Erkenntnisse, welche Kemmer in ihrer Studie durch Befragung und Eye-Tracking-Daten gewonnen hat: Die meisten Benutzer bevorzugen eine Kombination von textuellen und visuellen Angaben, nur die wenigsten wollen auf eine der beiden Angabeformen verzichten (vgl. Kemmer 2014: 261). Bei dem Eye-Tracking-Experiment beschäftigten sich die insgesamt 38 Probanden länger mit den textuellen Angaben als mit der Visualisierung (in Form einer Fotographie oder Zeichnung), als Erklärung führt Kemmer an, dass diese auch schneller erfasst werde (vgl. Kemmer 2014: 270). Die nähere Auswertung der Daten einzelner Probanden konnte jedoch bestätigen, dass Reihenfolge und Intensität der Rezeption von den Vorlieben des jeweiligen Probanden abhängt: Eine weiterführende Datenauswertung machte zudem deutlich, dass nahezu jeder Proband den Text wahrnahm, jedoch nicht jeder Proband auch beide Illustrationen registrierte. Bei 19 Probanden auf jeder der vier Wörterbuchansichten schauten jeweils 18 bis 19 Untersuchungsteilnehmer auf den Text, aber nur 11 bis 18 Probanden jeweils auf die Bilder […]. (Kemmer 2014: 273)
Abschließend sollen die Ergebnisse des zeitverzögerten Vokabeltests mit den Nachschlagehandlungen der Probanden in Beziehung gesetzt werden. Im Rahmen dieser Online-Befragung, die vier Wochen nach den Eye-Tracking-Aufnahmen stattfand, sind die Probanden in einem ersten Schritt aufgefordert worden anzugeben, welche unbekannten Lexeme sie beim Lesen des Texts nachgeschlagen haben. Von allen Probanden wurden Angaben gemacht, allerdings erinnerten sich die meisten Probanden nur an einen Bruchteil der nachgeschlagenen Lexeme; 5 Probanden gaben jedoch auch Lexeme aus dem Text an, die sie nicht nachgeschlagen hatten. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Lernenden weniger an die konkreten Nachschlagehandlungen erinnern konnten als vielmehr die Lexeme in Verbindung mit dem Text abgespeichert haben. In einem weiteren Schritt sollten die Probanden die Bedeutung eine kurze Bedeutungsbeschreibung der nachgeschlagenen Lexeme geben. 3 Probanden gaben mit Verweis auf den zeitlichen Abstand an, dass sie sich an die Bedeutungen nicht mehr erinnern konnten, ein weiterer Proband machte hierzu keine weiteren Angaben.
334 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Aus Gruppe 1 konnte sich nur Proband 3 an die (richtige) Bedeutung der nachgeschlagenen Lexeme erinnern. In Gruppe 2 wurden nur von zwei Probanden Angaben zur Bedeutung gegeben, wobei Proband 6 sich zwar an 13 Lexeme erinnern konnte, aber nur zu 6 Lexemen die (richtige) Bedeutung angab. Bei Gruppe 3 konnten sich zwei der drei Probanden an die Bedeutung der nachgeschlagenen Lexeme erinnern, wobei Proband 7 zu mehr Lexemen die (richtige) Bedeutung angab als er nachgeschlagen hatte. Auch wenn es schwierig ist, aus diesen Ergebnissen verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen, so scheint es doch relevant, dass die Rekonstruktion der Bedeutungen weniger an die tatsächlichen Nachschlagehandlung als an den konkreten Text geknüpft zu sein scheint, was gerade bei den Angaben der Probanden aus den Gruppen 2 und 3 auffällt. Befragt nach der Bedeutung der Lexeme werden von diesen Probanden zudem die meisten richtigen Angaben gegeben. Zudem bleibt festzuhalten, dass bei Teilnehmenden aller Gruppen – dies zeigt Tabelle 7 – Rezeption und Nachschlagen von Lexemen im Wörterbuch dazu beigetragen haben, die (richtige) Bedeutung der vormals unbekannten Wörter abzurufen. Tabelle 7: Ergebnisse des zeitverzögerten Vokabeltests
Proband
Nachgeschlagene Lexeme
Erkannte Lexeme
Richtige Bedeutungsangaben/ Kommentare
Proband 1
Bildungsrendite (nicht aber Rendite) Bummelstudent bummeln Bei den Artikeln: Rendite Arbeitslosengeld Satz
bummeln Rendite
0 Wörter „Ich habe die Wörter bei Kontext verstanden. Leider erinnere ich mich nicht die Bedeutung mehr. Das Wörterbuch finde ich nutzlich weil es viel einfacher ist wenn man etwas lessen kann und gleichzeitig die schwierige Wörter erklaren.“
Proband 2
Bildungsrendite Rendite Bummelstudent bummeln Bei den Artikeln Satz
Bildungsrendite Rendite bummeln
0 Wörter „Es ist schon lange her, seitdem ich die Forschung mitgemacht habe. darum kann ich mich leider nichts mehr erinnern. Sorry.“
Proband 3
Bildungsrendite Rendite Bummelstudent bummeln Bei den Artikeln Satz
Bildungsrendite Rendite Bummelstudent
Bildungsrendite Bummelstudent
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 335
Proband
Nachgeschlagene Lexeme
Erkannte Lexeme
Richtige Bedeutungsangaben/ Kommentare
Proband 4
geringqualifiziert qualifiziert Bummelstudent bummeln Steuersatz Satz
Bummelstudent (Bildungsrendite wird auch genannt, ist aber nicht nachgeschlagen worden)
Bildungsrendite Bummelstudent
Proband 5
Bildungsrendite Rendite Bummelstudent bummeln Bei den Artikeln Rendite
Bildung Bildungssystem (Erziehung wird auch genannt, ist aber nicht nachgeschlagen worden)
Proband hat leider keine Angaben zur Bedeutung gemacht.
Proband 6
Bei den Artikeln Rendite Bummelstudent Satz
Bummelstudent Folgende Lexeme werden genannt, sind aber nicht nachgeschlagen worden: Arbeitslosengeld Bildung Bildungsrendite Bildungssystem Bummeln Durchschnitt Erziehung Forscher Hochqualifiziert Nachtarbeit Schulsystem Steuersatz
Abschluss Arbeitslosengeld Bummeln Bummelstudent Hochqualifiziert Schulsystem
Proband 7
Erwerb Bummelstudent bummeln Bei den Artikeln Satz
Bummeln Steuersatz (Bildungsrendite wird auch genannt, ist aber nicht nachgeschlagen worden)
Abschluss Arbeit 10 weitere Wörter Arbeitsnehmer Arbeitslosengeld Bildung Bildungsrendite Bummeln Durchschnitt Geringqualifiziert Hochqualifiziert Nachtarbeit qualifiziert [Bummelstudent]
336 | Benutzung von Lernerwörterbüchern: Eine Eye-Tracking-Studie
Proband
Nachgeschlagene Lexeme
Erkannte Lexeme
Richtige Bedeutungsangaben/ Kommentare
Proband 8
Bildungsrendite Rendite Erwerb geringqualifiziert qualifiziert Bummelstudent bummeln Rechnerisch Berechnung Bei den Artikeln Satz
Bildungsrendite Bummelstudent Rendite
0 Wörter Kommentar: „ich habe es vergessen...“
Proband 9
Bummelstudent (Nachschlagen nicht erfolgreich) Bei den Artikeln Bummelstudent
Bummelstudent (Bildungsrendite wird auch genannt, ist aber nicht nachgeschlagen worden)
Bildungsrendite Bummelstudent
9.3.8 Fazit Der größte Einwand, welche den Ergebnissen dieser Eye-Tracking-Studie entgegengehalten werden kann, sei gleich vorweggenommen: Insgesamt konnten nur die Daten von 9 Probanden – und somit nur 3 Probanden pro Gruppe – ausgewertet werden. Die geringe Zahl der Probanden ist sicherlich ein großer Nachteil von Eye-TrackingExperimenten: Aufgrund des hohen Aufwands können nur wenige Teilnehmende rekrutiert und getestet werden, sodass die Ergebnisse eher qualitativ als quantitativ ausgewertet werden müssen. Die meisten ET-Projekte werden als überwachte Experimente realisiert und in der Regel mit wenigen Probanden durchgeführt. […] Zusätzlich werden häufig weitere Informationen zum Untersuchungsgegenstand durch andere Methoden wie Befragung oder Thinking Aloud von den Probanden erhoben. Neuere Studien dieser Art umfassen zwischen 5 und 30 Teilnehmern. (Honsel 2012: 33)
Mit den Daten von 9 Teilnehmenden ist die Größe der Studie durchaus mit der von Tono zu vergleichen – zudem sind die Daten aufgrund der größeren Probandenzahl auch aussagekräftiger als die von Simonsen (mit 3 verwertbaren Datensätzen). Durch die geringe Teilnehmerzahl können jedoch auch bei dieser Studie keine statistisch relevanten Ergebnisse festgehalten, sondern nur Tendenzen formuliert werden.
Eye-Tracking-Studie zur Nutzung semantischer Angaben in Lernerwörterbüchern | 337
Hinsichtlich des Umgangs der Teilnehmenden mit den neuen Angabeformen kann konstatiert werden, dass keine Einschränkungen gegenüber den Artikeln herkömmlicher Print-Wörterbücher festgestellt werden konnten. Von einigen Probanden ist die andersartige Darstellung der lexikographischen Angaben im anschließenden Interview sogar positiv hervorgehoben worden. Dieses Untersuchungsergebnis steht scheinbar im Widerspruch zu einer Studie von Müller-Spitzer, die durch ein Experiment zeigen konnte, dass innovative Merkmale wie multimediale und benutzeradaptive Features in Online-Wörterbüchern zunächst aktiv und erklärend eingeführt werden müssen, damit diese von den Benutzern positiv bewertet werden (vgl. Müller-Spitzer 2014: 132ff.). Das konnte durch das vorliegende Eye-Tracking-Experiment nicht bestätigt werden. Dass Benutzer wiederum selbst bei sehr traditionsreichen Textsorten wie Wörterbuchartikeln innovationsfreudiger sind als erwartet, zeigt eine Befragung von Müller-Spitzer zum Layout von Online-Wörterbüchern, bei der sich 93.3 % der 390 Probanden gegen das aus Print-Wörterbüchern vertraute Layout zugunsten einer übersichtlicheren Form der Bildschirmgestaltung entschieden: „Die printorientierte Ansicht erhielt die schlechtesten Bewertungen und wurde auch am seltensten als beste Ansicht ausgewählt.“ (Müller-Spitzer 2014: 124). Folgende Tendenzen lassen sich für die Angabeformen der Gruppen 2 und 3 formulieren: – Sofern diese nicht zur Bestätigung des vorhandenen Wissens nachgeschlagen haben (wie Proband 8 beim Artikel Satz), zeigt sich eine Tendenz dahin, dass Probanden die um semantische und lexikalische Relationen ergänzten Wörterbuchartikel länger als die bekannten Angabeformen (Gruppe 1) konsultieren. – Zudem scheint sich bei der Beobachtung der einzelnen Nachschlagehandlungen die Tendenz abzuzeichnen, dass die Probanden ihre Aufmerksamkeit vermehrt auf die neuen Angabeformen richten, wobei gerade Oberbegriffe wie auch Synonyme von besonderem Interesse sind. – Ebenso vorsichtig muss die Auswertung des Vokabeltests betrachtet werden: Zwar scheint die andersartige Gestaltung der Artikel die Behaltensleistung der Probanden zu fördern, aussagekräftig ist dies aufgrund der geringen Teilnehmendenzahl jedoch nicht. Zudem muss bei der Abfrage beachtet werden, dass die Behaltensleistung durch Interferenzen (z.B. dem Lernen weiterer Vokabeln, zu Interferenzen vgl. Kapitel 5.1.5.) sowie generell durch den zeitlichen Abstand (vgl. die Vergessenskurve von Ebbinghaus, Kapitel 5.1.1.) negativ beeinflusst worden sein kann. Trotz der notwendigen Einschränkung – Zahl der Probanden – kann konstatiert werden, dass Lernende von einer Umgestaltung der Wörterbücherartikel unter Berücksichtigung lernpsychologischer Erkenntnisse profitieren können und diese sogar dazu beitragen kann, dass bei der Benutzung von Lernwörterbüchern Wortschatz gelernt wird.
10 Zusammenfassung Ziel dieser Untersuchung war es zu eruieren, unter welchen Voraussetzungen Lernerwörterbücher zu Lernwörterbüchern ausgebaut werden können bzw. welche Merkmale das Lernen von Wortschatz auf Ebene der Makro- wie der Mikrostruktur fördern. Ganz allgemein ist die Benutzung von Lernerwörterbüchern von grundlegenden Fähigkeiten abhängig, die beim Erwerb einer Fremdsprache vermittelt werden (müssen). Kapitel 2 hat gezeigt, dass die Wörterbuchbenutzung im gesteuerten und selbstgesteuerten Erwerb zwar didaktisch eingeführt wird, über die einführenden Einheiten hinaus aber die Lernenden auf ihre eigene Kompetenz im Umgang mit Wörterbüchern und beim Aufbau des fremdsprachlichen Wortschatzes angewiesen sind. Dass die vermittelten Inhalte hierbei häufig nicht ausreichen, hat auch die Wörterbuchbenutzungsforschung gezeigt. Während im (selbst) gesteuerten Erwerb zumindest die Grundlagen der Wörterbuchbenutzung thematisiert werden, sind im ungesteuerten Erwerb die Lernenden generell auf ihre eigenen Fähigkeiten angewiesen. Da für alle Formen des Fremdsprachenerwerbs (Lerner-)Wörterbücher ein wichtiges Hilfsmittel sind, um systematisch lexikalische Lücken zu schließen, sollte neben der Vermittlung von Semantisierungstechniken auch die Wörterbuchbenutzungskompetenz ausreichend gefördert werden. Eine Zusammenarbeit von Wortschatzdidaktik und Lernerlexikographie ist daher zwingend notwendig. Dass unabhängig von der Erwerbsform onomasiologische Wortschatzsammlungen und Wörterbücher bereits sehr früh im Fremdsprachenerwerb eingesetzt worden sind, konnte durch die historische Darstellung in Kapitel 3 gezeigt werden. Auch wenn der fremdsprachliche Erwerb lange Zeit lediglich in zwei Formen existiert – dem ungesteuerten Erwerb durch Sprachkontakt und dem gesteuerten Erwerb, der abhängig von den Lese- und Schreibkenntnissen des Lernenden war – , stehen seit dem Mittelalter sprachpraktische Lehrbücher in Form von Gesprächsbüchern für motivierte Lernende zur Verfügung, die oftmals durch onomasiologische Wortschatzsammlungen ergänzt worden sind: Ein Vorläufer heutiger Sprachlehrwerke, der sich auch in der frühen Neuzeit für den Erwerb von modernen Sprachen etabliert hat. Dass aktuell jedoch eine große Lücke zwischen den Techniken der Wortschatzvermittlung und dem Einsatz von (Lerner-)Wörterbüchern klafft, hat auch die Darstellung von wortschatzdidaktischen Praktiken in Kapitel 4 gezeigt. Die Erkenntnis, dass fremdsprachlicher Wortschatz von Lernenden selbständig gelernt werden muss, hat nicht dazu beigetragen, den Umgang mit Wörterbüchern als essentielles Hilfsmittel für den Erwerb zu schulen. Umgekehrt hat aber auch die Lernerlexikographie sich nur wenig mit den Wortschatzvermittlungstechniken vertraut ge-
Zusammenfassung | 339
macht – im Idealfall wären dies den Lernenden vertraute Techniken, die auch in Lernerwörterbüchern genutzt bzw. ausgebaut werden sollten. Eine systematisch in den Fremdsprachenunterricht integrierte Einführung in die Arbeit mit (einsprachigen) Wörterbüchern könnte die Benutzungskompetenz der Lernenden verbessern und dazu führen, dass diese die Nachschlagewerke gezielter nutzen. Dies würde nicht nur kurzfristig die Zufriedenheit der Benutzer mit dem Wörterbuch steigern, sondern auch generell die Akzeptanz der Nachschlagewerke als Hilfsmittel im Fremdsprachenunterricht erhöhen. In Kapitel 5 konnte gezeigt werden, dass die Speicherung von (sprachlichem) Wissen durch eine über Bedeutung organisierte Form der Anordnung – eine onomasiologische Zugriffsstruktur – sinnvoll unterstützt werden kann, da auch das semantische Gedächtnis, in dem Wortschatz gespeichert wird, über Bedeutungen organisiert ist. Um bei der Speicherung von Wortschatz auch das Vorwissen der Lernenden zu aktivieren, sollte zum einen bereits gelernter Wortschatz in der Zugriffsstruktur besonders hervorgehoben werden, zum anderen kann dies auch innerhalb der Wörterbuchartikel durch die systematische Einbindung von Verweisen auf andere Artikel bewirkt werden. Und schließlich ist deutlich geworden, dass eine multiple Enkodierung von Wortschatz wichtig für die Speicherung und den Abruf des gelernten Wissens ist; daher sollten auf Ebene der Mikrostruktur multimediale Angaben eingebunden werden. Zusammenfassend kann als Konsequenz aus den lernpsychologischen Ansätzen festgehalten werden: Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse und auf Basis bereits in der Wortschatzdidaktik angewandter Techniken zum Wortschatzerwerb (vgl. Kapitel 4) bestehen vielversprechende Ansätze für den Ausbau von Lerner- zu Lernwörterbüchern in der Erarbeitung einer onomasiologischen Zugriffstruktur, dem Ausbau der paradigmatischen Angaben und des Verweissystems, der Einbindung von multimedialen Angaben sowie von mehr Beispielen (vgl. hierzu Kapitel 8). Kapitel 6 hat den aktuellen Stand der (deutschsprachigen) Lernerlexikographie zusammengefasst: In den rund 20 Jahren, die seit dem erstmaligen Erscheinen eines deutschsprachigen Lernerwörterbuchs vergangen sind, hat die Lernerlexikographie in Deutschland eine beachtenswerte Zahl an Produkten und Neubearbeitungen publizieren können. Trotz vielversprechender Ansätze – der (wenn auch nicht im ausreichenden Maß umgesetzten) Einbindung semantischer Angaben, der Aufnahme von Abbildungen, dem Ausbau der Außentexte mit z.T. lexikodidaktischen Angeboten, einem benutzerfreundlicheren Layout etc. – hat die Untersuchung aktueller deutschsprachiger Lernerwörterbücher aber auch bestätigt, dass sich diese erst langsam von den Strukturen und Merkmalen einsprachiger allgemeiner Wörterbücher lösen. Hier wäre nicht nur eine verstärkte Orientierung an den Bedürfnissen von Fremdsprachenlernenden wünschenswert, sondern auch eine Loslösung von Strukturen herkömmlicher Printwörterbücher zugunsten neuer Konzepte, wie sie durch Hypertextualisierung möglich sind.
340 | Zusammenfassung
Während die britische Lernerlexikographie bereits anfängt, die Möglichkeiten des elektronischen Mediums für ein verbessertes und erweitertes Angebots zu nutzen, haben die elektronischen Ausgaben der deutschsprachigen Lernerwörterbücher jedoch kaum mehr zu bieten als die Print-Ausgaben. An der typologischen Entwicklung der deutschsprachigen Lernerwörterbücher lässt sich immerhin eine zunehmende Orientierung an den Bedürfnissen der Lernenden ablesen: Lernerwörterbüchern in unterschiedlichem Umfang und mit unterschiedlichen Zielgruppen – vom Einsteigerwörterbuch bis zum Großwörterbuch – sollen den Bedürfnissen der verschiedenen Lernergruppen noch gezielter entsprechen. Außer den im Unterricht vorgestellten Semantisierungstechniken und dem Wissen um Prozesse bei Wissensspeicherung und -abruf ist auch die tatsächliche Wörterbuchbenutzung durch Lernende zu berücksichtigen. Die Zusammenfassung von Wörterbuchbenutzungsstudien hat in Kapitel 7 gezeigt, dass Lernende aller Kompetenzstufen nur ungern in (einsprachigen) Lernerwörterbüchern nachschlagen, weil diese entweder schwer verständliche Angaben enthalten oder den Lernenden als Wörterbuchtyp überhaupt nicht bekannt sind – das eine ist eine Herausforderung für die Lernerlexikographie, das andere für die Wortschatzdidaktik. Die generelle Ablehnung bzw. die Unbeliebtheit von Wörterbüchern bei Lernenden ist umso mehr zu bedauern, da Studien zeigen konnten, dass die Benutzung von Wörterbüchern nicht nur kurzfristig zu einem besseren Textverständnis führt, sondern auch, dass durch das Nachschlagen der inzidentelle Erwerb gefördert wird. Erfreulich ist dagegen die zunehmende Akzeptanz von elektronischen Wörterbüchern bei Benutzern: Zwar sind die meisten Wörterbücher noch nicht für das elektronische Medium konzipiert, es ist jedoch bereits jetzt zu beobachten, dass Lernende bevorzugt und häufiger in elektronischen als in gedruckten Wörterbüchern nachschlagen. Welche Merkmale muss nun ein Lernerwörterbuch haben, um auch zum (systematischen) Wortschatzerwerb genutzt werden zu können bzw. zum inzidentellen Erwerb beizutragen? In Kapitel 8 sind 6 Konsequenzen formuliert worden, welche sich aus der Analyse aktueller Lernerwörterbücher und der Berücksichtigung lernpsychologischer Erkenntnisse ergeben. In Kapitel 9 wurde schließlich eine Wörterbuchbenutzungsstudie vorgestellt, bei der mittels Eye-Tracking fortgeschrittene Lernende bei der Benutzung verschiedenartig gestalteter Lernerwörterbuchartikel beobachtet worden sind. Als eine der ersten Wörterbuchbenutzungsstudien nutzte diese Arbeit die Eye-Tracking-Technologie, um durch die Blickbewegungen der Probanden nachweisen zu können, ob und wie diese die ergänzenden Angaben nutzen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Probanden nicht nur die neuen Angabeformen zur Kenntnis nehmen, sondern auch, dass diese zu einer längeren und intensiveren Beschäftigung mit den einzelnen Wörterbuchartikeln beitragen. Zudem kann – mit Einschränkungen – aus
Zusammenfassung | 341
den Ergebnissen der Studie auch abgeleitet werden, dass eine Ergänzung der Wörterbuchartikel um paradigmatische Angaben dazu beitragen kann, dass Lernende durch die Benutzung des Wörterbuchs auch Wortschatz lernen (können). Insgesamt kann konstatiert werden, dass zum jetzigen Zeitpunkt aktuelle Lernerwörterbücher (noch) nicht das Potential haben, zum systematischen Wortschatzerwerb genutzt zu werden. Zudem hat ein Blick auf die aktuelle Wörterbuchlandschaft gezeigt, dass sich die digitalen Versionen dieser Wörterbücher immer noch sehr eng an den Strukturen herkömmlicher Print-Wörterbücher orientierten – ein Medienwechsel ist hier noch nicht vollzogen worden. Da dieser aufgrund der zunehmenden Digitalisierung aller Lebensbereiche nicht mehr fern ist, ist es gerade zum jetzigen Zeitpunkt äußerst wichtig, über Strukturen, Merkmale und Angabeklassen in (Lerner-)Wörterbüchern sowie deren Präsentation ganz neu nachzudenken. Auch die aktuellen Probleme der Lexikographie (in Deutschland) weisen auf die die Notwendigkeit eines Umdenkens hin: Aktuell ist die Erforschung der Benutzung von Wörterbüchern auch deshalb besonders wichtig, da die Lexikografie sich in einer existentiellen Krise befindet. In Zeiten kostenloser Onlinewörterbücher werden immer weniger Wörterbücher gekauft, sodass die Verlage große Schwierigkeiten haben, ihr Personal und ihre Ressourcen weiter zu halten. (Müller-Spitzer 2014:146f.)
Die Konkurrenz in Form von zwei- oder mehrsprachigen, kostenlos im Internet zur Verfügung gestellten Wortschatzsammlungen könnte durch gut strukturierte und benutzeradäquat konzipierte Wörterbücher auf Abstand gehalten werden. Hier ist – nicht nur in der Lernerlexikographie – ein rasches und durch Ergebnisse der Wörterbuchbenutzungsforschung gestütztes Vorgehen von Nöten.
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