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German Pages 659 [664] Year 1952
HOLLEMAN / WIBERG
ANORGANISCHE CHEMIE
A. F. H O L L E M A N
LEHRBUCH DER
CHEMIE
Erster Teil
Anorganische Chemie von
P R O F . DR. E G O N W I B E R G Vorstand des Instituts f ü r anorganische Chemie an der Universität München
30. und 31., durchgesehene Auflage mit 166 Figuren
WALTER
DE G R U Y T E R & CO.
vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung· J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung· Georg Reimer Karl J. T r ü b n e r · Veit & Comp.
BERLIN
1952
Alle Rechte vorbehalten Copyright 1952 by WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung— J. Guttezitag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. T r ü b n e r — Veit & Comp. BERLIN W 35 Archiv-Nr. 52 5152 Printed in Germany H E R S T E L L U N G W A L T E R D E G R U Y T E R & CO., B E R L I N W 3 5 U N D O T T O V. H O L T E N , B E R L I N W 35
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Vorwort zur 22. und 23. Auflage Als der Verlag mit der Bitte an mich herantrat, die Bearbeitung der neuen Auflage des „ L e h r b u c h s der a n o r g a n i s c h e n C h e m i e " von A. F . H O L L E M A N ZU übernehmen, war ich mir darüber im Klaren, daß nur durch eine grundlegende N e u p l a n u n g und U m g e s t a l t u n g des bei den vorhergehenden Auflagen schon mehrfach ergänzten und verbesserten Stoffs wieder ein modernes Werk von i n n e r e r G e s c h l o s s e n h e i t und e i n h e i t l i c h e m Guß zu schaffen war. Dementsprechend habe ich mich nicht mit einer bloßen Ü b e r a r b e i t u n g des Buches begnügt, sondern den enthaltenen Lehrstoff im Geiste des ursprünglichen „Holleman" auf der Grundlage heutiger Erkenntnisse v ö l l i g neu g e s c h r i e b e n und u m g e s t a l t e t , so daß ein ganz n e u e s W e r k entstanden ist. Dies konnte insofern verantwortet werden, als das neue Buch nicht die Zahl der übrigen Lehrbücher für anorganische Chemie vermehrt, sondern an die S t e l l e eines dieser Bücher tritt. Bei der Niederschrift des Lehrbuches ließ ich mich im einzelnen von folgenden Gedankengängen leiten: 1. Die vielfältigen Probleme der Gegenwart stellen an die Ausbildung des chemischen Nachwuchses h ö c h s t e A n f o r d e r u n g e n . Diese Anforderungen werden nach Beendigung des Krieges mit Sicherheit noch erheblich w e i t e r g e s t e i g e r t werden müssen. Es wäre daher v e r h ä n g n i s v o l l , wenn man von der Seite der Lehrbücher her der zeitgemäß bedingten, vielfach unzureichenden naturwissenschaftlichen Vorbildung dea studentischen Nachwuchses durch H e r a b s e t z u n g des L e h r b u c h n i v e a u s entgegenkommen wollte. Ganz bewußt wurde dementsprechend davon abgesehen, ein „ l e i c h t e s " Buch zu schreiben, und im Gegenteil eine i n t e n s i v e und a u f g e s c h l o s s e n e M i t a r b e i t des Lesers vorausgesetzt. Dies um so mehr, als es sich bei dem vorliegenden Werk zwar um ein A n f ä n g e r - L e h r b u c h , aber um ein solches für H o c h s c h u l e n und nicht für M i t t e l s c h u l e n handelt, und als von den Studenten, die sich der Chemie verschrieben haben, eine besondere Veranlagung und Aufgeschlossenheit für die Probleme der Chemie vorausgesetzt werden kann und muß. Es schadet gar nichts, wenn der Chemiestudierende diese und jene Stelle des Buches zwei oder gar mehrere Male durchdenken oder sich mit diesem und jenem Kapitel etwas „abquälen" muß. Denn ein Lehrbuch soll ja dem Leser das D e n k e n n i c h t a b n e h m e n , sondern ihn im Gegenteil dazu a n r e g e n , und erfahrungsgemäß wird gerade jenes Wissen meist zum festen Besitz, das in heißem Bemühen errungen wurde. Es ist dabei vielleicht nicht unnötig zu betonen, daß auf eine s t r e n g l o g i s c h e , k l a r e und a n s c h a u l i c h e E n t w i c k l u n g aller Begriffe und Tatsachen größter Wert gelegt wurde und c h e m i s c h e V o r k e n n t n i s s e n i c h t v o r a u s g e s e t z t sind. Der Lehrstoff selbst entspricht im großen und ganzen den Anforderungen, die an der Münchener Universität bereits im anorganisch-chemischen D i p l o m - V o r e x a m e n gestellt werden. 2. Zur erfolgreichen Ausbildung eines Chemikers an einer Hochschule gehören V o r l e s u n g , L a b o r a t o r i u m und L e h r b u c h . Diese drei Ausbildungsformen bilden eine
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D r e i - e i n h e i t und sollen sich gegenseitig nicht ersetzen, sondern ergänzen. Dementsprechend werden die drei Wege zu dem gemeinsamen Ziel zweckmäßig zwar aufeinander abgestimmt, aber doch v o n e i n a n d e r v e r s c h i e d e n gestaltet. Ein L e h r b u c h darf somit nicht vom Standpunkt einer Vorlesung oder eines P r a k t i · k u m s aus beurteilt werden und umgekehrt. Hauptziel eines L e h r b u c h s ist die Herausarbeitung von Z u s a m m e n h ä n g e n , die das in Vorlesung und Praktikum Erarbeitete unter g e m e i n s a m e m Gesichtspunkt erkennen und verstehen lassen. Deshalb wurde im vorliegenden Buch Wert darauf gelegt, Zusammengehörendes auch im Zusammenhang darzubringen. So werden beispielsweise die zur Aufstellung des Atom- und M o l e k ü l b e g r i f f s führenden Gesetze und Erkenntnisse nicht wie in den meisten Lehrbüchern der anorganischen Chemie in den Gesamtstoff e i n g e s t r e u t und so im Gedankengang zerrissen, sondern in geschlossener D a r s t e l l u n g (S. 3—30) behandelt. Ebenso werden z.B. alle mit dem Problem des chemischen Gleichgewichte (S. 98—118), der E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz (S. 133—159) oder der O x y d a t i o n und R e d u k t i o n (S. 160—173) zusammenhängenden Fragen geschlossen dargestellt, auch auf die Gefahr hin, daß der Anfänger beim erstmaligen Durcharbeiten notgedrungen manches als noch schwerverständlich überschlagen muß. Das Lehrbuch bietet ja zum Unterschied von der freien Vorlesung jederzeit die Möglichkeit des Vor - u n d R ü c k b l ä t t e r n s , so daß Stellen, die beim ersten Male nicht ganz „verdaut" wurden, später — nach Vertiefung der Kenntnisse — mit größerem Erfolg nochmals e r a r b e i t e t werden können. Die hier gewählte geschlossene Darstellung der Hauptfragen zwingt dabei den Benutzer, das gerade in Frage stehende Problem wieder im Zusammenhang des ü b e r g e o r d n e t e n P r o b l e m s und nicht als Josg e l ö s t e s Einzelproblem zu betrachten. 3. Die V a l e n z s t r i c h f o r m e l n haben sich in der anorganischen Chemie als weitgehend u n z u l ä n g l i c h , ja vielfach geradezu als f a l s c h und i r r e f ü h r e n d erwiesen. Trotzdem bedienen sich weitaus die meisten anorganischen Lehrbücher nach wie vor dieses Hilfsmittels. Demgegenüber sind neuere Lehrbücher der anorganischen Chemie in das a n d e r e E x t r e m verfallen, die Valenzstrichformeln völlig auszuschalten, ohne an i h r e S t e l l e e t w a s Gleichwertiges oder Besseres zu setzen. Das vorliegende Lehrbuch ist erstmals völlig auf der Grundlage der modernen E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r Valenz aufgebaut, deren Folgerungen bezüglich der chemischen Bindung und der Elektronenformeln schon v e r h ä l t n i s m ä ß i g f r ü h in einem Sonderkapitel (S. 143—159) in einer für den Anfänger geeigneten Weise entwickelt werden. Auf diese Weise wird der Student f r ü h z e i t i g in die Denkweise der E l e k t r o n e n t h e o r i e e i n g e f ü h r t und vor D e n k f e h l e r n (ζ. B. bezüglich der Doppelbindung) bewahrt, die erfahrung3gemäß später nur schwer und mühevoll wieder auszurotten sind. Auch in der Frage des P e r i o d e n s y s t e m s der Elemente weicht das vorliegende Buch etwas vom Herkömmlichen ab. Zweifellos ermöglicht das Periodensystem eine didaktisch klare und einprägsame Anordnung des anorganischen Wissensstoffes. Es sollte daher an möglichst f r ü h e r S t e l l e eines Anfängerlehrbuchs entwickelt werden. Dem steht aber die etwas schwierige Ableitung der gebräuchlichen Kurz- und Lang-
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perioden-Form des Systems entgegen, so daß das Periodensystem in den meisten anorganischen Lehrbüchern erst an v e r h ä l t n i s m ä ß i g später Stelle erscheint. Im vorliegenden Lehrbuch wird erstmals von dem — viel zu wenig bekannten und ange wandten — gekürzten Periodensystem der E l e m e n t e Gebrauch gemacht, das infolge seiner K l a r h e i t und Ü b e r s i c h t l i c h k e i t bereits sehr früh (S. 65—68) abgeleitet werden kann, den Zusammenhang mit dem Atombau für den Anfänger viel leichter und einleuchtender darstellen läßt (S. 133—137) und später zwanglos zu den bekannten Formen (S. 424—431) bzw. einer neuartigen, leistungsfähigen Form (s. Schlußtafel) des Gesamtperiodensystems der Elemente ergänzt werden kann. 4. Die Kenntnis der Grundlagen und die Möglichkeit der Anwendung physikalisch-chemischer Hilfsmethoden gehören heute zu dem unerläßlichen R ü s t zeug eines modernen Anorganikers. Daher sind Methoden wie der R A M A N E f f e k t (S. 305—310), die Magnetochemie (S. 473—482) usw. im vorliegenden Lehrbuch gebührend berücksichtigt worden. Stets wurde dabei das betreffende Problem nicht vom Standpunkt des P h y s i k o c h e m i k e r s oder P h y s i k e r s , sondern vom Standpunkt des Anorganikers aus betrachtet, der sich vornehmlich dafür interessiert, was diese Methoden zu leisten vermögen. Auch sonst wurde Wert darauf gelegt, in zusammenfassenden Darstellungen den Leser, soweit dies in einem Anfängerlehrbuch möglich ist, mit den modernen Problemen der anorganischen Chemie — wie z. B. dem a k t i v e n Zustand der festen Materie (S. 378—384), der S i l i c a t s t r u k tur (S. 317—322), dem Atombau (S. 133—143, S. 535—545), der natürlichen und künstlichen Elementumwandlung (S. 545—586) usw. — vertraut zu machen. Daneben wurden die technischen V e r f a h r e n der chemischen I n d u s t r i e nirgends vernachlässigt, sondern in aller Ausführlichkeit — vgl. z. B. die Schwefelsäuredarstellung (S. 201—204), die Ammoniaksynthese (S. 219—222), die Aluminiumerzeugung (S. 367—370), die Natronlaugegewinnung (S. 409—411), den Hochofenprozeß (S. 508—514) usw. — behandelt, um dem Leser den Blick auch für diese Fragen zu öffnen und ihn zu weiterem Buchstudium anzuregen. 5. Eine gute Abbildung besagt oft mehr als eine ganze Seite Text. Daher wurde besonderer Wert auf eine reiche A u s s t a t t u n g des vorliegenden Buches mit didaktisch klarem und einprägsamem B i l d m a t e r i a l gelegt. So sind nahezu alle 154 Abbildungen neu entworfen und gezeichnet worden. Dem gleichen Ziel der größeren didaktischen Übersichtlichkeit dient die d r u c k t e c h n i s c h e Anordnung des Lehrstoffs, indem durch vielseitige Anwendung von Fett-, Sperr-, Schräg- und Kleindruck das Wesentliche gegenüber dem weniger Wesentlichen hervorgehoben und B l i c k p u n k t e für eine leichtere Orientierung innerhalb des Buches geschaffen wurden. Ebenso soll die bei verschiedenen Verbindungsklassen angewandte neuartige S y s t e m a t i k (vgl. z.B. S. 198 und 199, S.256—259) zur leichteren gedächtnismäßigen Einprägung des Lehrstoffs beitragen. So ist, hoffe ich, ein Anfängerlehrbuch entstanden, das in vielen Einzelheiten vom Herkömmlichen abweicht und das auf verhältnismäßig begrenztem Raum einen umfangreichen Wissensstoff in weitgehend vollständiger, moderner und didaktisch abgewogener Darstellung vermittelt. Im Zusammenwirken mit dem Verlag, dem ich für
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sein Eingehen auf alle meine Wünsche bestens zu danken habe, wurde es dabei ermöglicht, das Buch trotz der völligen Umgestaltung des Stoffs, der Neuausstattung mit Abbildungen, des vergrößerten Seitenformats, der Vermehrung des Umfangs und der gediegenen Druck- und Papierausstattung zum bisherigen, an sich schon niedrigen Preis herauszubringen. Herzlichen Dank schulde ich den Münchener Kollegen Prof. Dr. 0 . HÖNIGSCHMID, Prof. Dr. F. KLAGES, Dozent Dr. H. Lux und Dr.-Ing. 0. STECHER für zahlreiche Anregungen und Hinweise beim Lesen der Korrekturen. Ebenso danke ich meiner lieben Frau für ihre wertvolle Mitarbeit bei der Anfertigung des umfangreichen Registers. München, im November 1942. Egon Wiberg
Vorwort zur 26. und 27. Auflage Nachdem die im Jahre 1947 erschienene Doppelauflage des vorliegenden Lehrbuchs aus zeitbedingten Gründen nur ein photomechanischer Nachdruck der 24./25. Auflage (1945) war, wurde nunmehr der Text des Werkes wesentlich umgearbeitet und erweitert, um den großen Fortschritten der Chemie während der Kriegs- und Nachkriegszeit Rechnung zu tragen und um einige bisher etwas stiefmütterlich behandelte Teilgebiete stärker in Erscheinung treten zu lassen. Der aufmerksame Leser wird fast auf jeder Seite Verbesserungen, Einfügungen, Erweiterungen, Neufassungen entdecken. Die wesentlichsten Punkte der Umarbeitung seien im folgenden kurz zusammengefaßt : 1. Die in den vorhergehenden Auflagen bisher zu kurz gekommene Behandlung von Molekular- und Gitterstrukturen fand jetzt eingehendere Berücksichtigung. Hingewiesen sei etwa auf neu hinzugekommene Angaben über die Struktur von Elementen (z.B. Selen: S.214; Tellur: S. 217; Phosphor: S. 248, 250f.; Arsen: S. 269; Antimon: S. 276; Wismut: S. 281; Germanium: S. 339; Zinn: S. 341), Wasserstoffverbindungen (z. B. Borwasserstoffe und Derivate: S. 355ff.; Aluminiumwasserstoff und Derivate: S. 375f.; GermaniumWasserstoffe : S. 339), Halogenverbindungen (z.B. Phosphornitrilchloride: S. 267f.; Kohlenstoffmonofluorid: S. 289; Aluminiumchlorid: S. 377; Siliciummonohalogenide : S. 314), Sauerstoffverbindungen (z.B. Selendioxyd: S. 215; Phosphor-tri- und -pentoxyd: S. 255, 256; Metaphosphimsäuren: S. 268; Arsentrioxyd: S. 272; Antimontrioxyde: S. 279; Silicate und Siliciumdioxyd: S. 317ff.; Borsäure und Borate: S. 362ff.; Aluminate: S. 373), Schwefel- und Sticks t o f f v e r b i n d u n g e n (z.B. Schwefelstickstoff und Derivate: S. 242f., Borstickstoff: S. 365; Zinksulfid: S. 458) und vieles andere mehr. Dabei wurde Wert darauf gelegt, auch auf Zusammenhänge zwischen den Gittertypen hinzuweisen (z. B. S. 287) und die Gitter-Strukturen nicht vom Standpunkte des K r i s t a l l o g r a p h e n , also in Form von Elementarzellen wiederzugeben, sondern die Elementarzellen, dem Bedürfnis des Chemikers entsprechend, in Valenzstrukturbilder umzuzeichnen (vgl. etwa die Abbildungen 88 und 92). 2. Die erstaunlichen Fortschritte der amerikanischen Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Elementumwandlung machten eine weitgehende Umgestaltung
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und Neufassung vieler Abschnitte und Kapitel erforderlich. So wurden die s y n t h e t i s c h e n E l e m e n t e Technetium (S. 576f.), Promethium (S. 577), Astatium (S. 577f.), Francium (S. 578f.), Neptunium (S. 579ff.), Plutonium (S. 575, 581 f.), Americium (S. 583), Curium (S. 583), Berkelium (S. 584) und Californium (S. 584) eingehend besprochen und an allen notwendigen Stellen im Text berücksichtigt. Die Grundlagen der K e r n z e r s p l i t t e r u n g (S. 569f.) und K e r n s p a l t u n g (S. 570ff.), der g e s t e u e r t e n (S. 572ff.) und u n g e s t e u e r t e n K e r n - K e t t e n r e a k t i o n (S. 575f.) und der damit zusammenhängenden Fragen des Uran- (S. 572f.) und P l u t o n i u m - P i l e s (S. 575), der A t o m k r a f t a n l a g e (S. 574), A t o m b o m b e (S. 575f.) usw. fanden ebenso Berücksichtigung wie etwa die Einordnung der A c t i n i d e n i n das P e r i o d e n s y s t e m (S. 431), die Ergebnisse der modernen M e s o n e n f o r s c h u n g (S. 558f., 586), die Wirkungsweise des C y c l o t r o n s (S. 561), der K - E i n f a n g (S. 568), die Bedeutung der künstlichen r a d i o a k t i v e n I n d i k a t o r e n (S. 569), die künstliche radioaktive Zerf a l l s r e i h e (S. 580), die Analogien zwischen L a n t h a n i d e n und A c t i n i d e n (S. 583f.) oder die Fortschritte auf dem Gebiete der U m w a n d l u n g v o n E n e r g i e i n Masse (S. 585f.). Hierbei wurde darauf geachtet, den Bericht durch Einfügung neuer Abbildungen (vgl. etwa Abb. 158,161,162,163,164,165) und neuer Tabellen (vgl. etwa S. 431, S. 580/581) zu ergänzen, wie allgemein auch alle übrigen tabellarischen Zusammenstellungen samt zugehörigem Text (vgl. etwa S. 27, 66, 67,135, 313, 425, 427, 428, 429, 430, 431, 536, 539, 547, Klapptafel des Periodensystems) dem neuen Stand der Forschung angepaßt wurden. 3. Die Ergebnisse wichtiger neuer präparativer und systematischer anorganischer Forschungsarbeiten wurden neu aufgenommen oder in den Text eingearbeitet. Erwähnt seien etwa eine Reihe von Verbindungen des S c h w e f e l s (PolyschwefelWasserstoffe : S. 192f.; Suifoxylsäure: S. 209f.; Schwefelstickstoff und Derivate: S. 242f.; Kobaltund Nickelsulfide: S. 520f., 523), des P h o s p h o r s (schwarzer Phosphor: S.250f.; Phosphornitrilchloride und Derivate: S. 267f.), des S i l i c i u m s (Silicone: S. 322f.; hochmolekulare Siliciumhalogenide: S. 313f.), des Bors (völlige Neufassung des Kapitels über Borwasserstoffe und Borwasserstoffderivate : S. 355ff.; Oxy-fluoborsäuren: S. 361; Borazol: S. 365f.), des A l u m i n i u m s (Aluminiumwasserstoff und Derivate: S. 375f.; Aluminate: S. 373), der Ü b e r g a n g s e l e m e n t e (Mangan(V)verbindungen: S. 503f., 505; Nitrosylprussiate: S. 528f.; Metallisonitrile: S. 529) oder Fortschritte auf dem Gebiete der H y d r i d e (WasserstoffVerbindungen des Germaniums: S. 339, Berylliums: S.388, Zinks: S. 457 ; Aluminium-bor-Wasserstoff : S. 375; Berylliumbor-Wasserstoff : S. 358, 388; Lithium-aluminium-Wasserstoff : S. 375f. usw.). Hinzu kamen zahlreiche weitere Änderungen und Ergänzungen verschiedenen Inhalts, wie die Einfügung eines weiteren anschaulichen Z a h l e n b e i s p i e l s über die Kleinheit der Atome und Moleküle (S. 30), die Einfügung einer zweiten Ableitung für den osmot i s c h e n Druck (S. 54f.), die Erweiterung des Abschnitts über die V e r b r e i t u n g der E l e m e n t e durch eine Tabelle der Häufigkeiten in A t o m p r o z e n t e n (S. 68), die Abänderung der Angaben über die A s s o z i a t i o n des F l u o r w a s s e r s t o f f s (S. 95), die Einfügung von Daten über die S t r ö m u n g s g e s c h w i n d i g k e i t v o n E l e k t r o n e n in metallischen Leitern (S. 152), die Erweiterung desKapitels über D u r c h d r i n g u n g s -
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k o m p l e x e (S. 157f.), die exaktere Fassung des Begriffs der „Einelektronenbindung" (S. 193), die Einführung des Begriffs der A t o m b r ü c k e n b i n d u n g (Kationbrücken: S. 193f., 218, 355; Anionbrücken: S. 355ff., 375f., 377), die Einfügung einer S y s t e m a t i k der Sauerstoffsäuren und Oxyde des S t i c k s t o f f s (S. 228), die Erörterung des Begriffs der I s o s t e r i e (ζ. B. S. 230, 241, 300, 360, 361, 365, 366), die Vermehrung der Hinweise auf die Bedeutung der Doppelbindungsregel (z.B. S. 196, 246, 248, 255, 267, 279, 318, 323, 339), die Einfügung von V a l e n z s t r i c h formeln für eine Reihe von K i e s e l s ä u r e n (S. 319, 320), die teilweise Neufassung des Abschnitts über das P e r i o d e n s y s t e m der L a n t h a n i d e n (S. 430f.), die Vermehrung der Angaben über p h y s i k a l i s c h e E i g e n s c h a f t e n der L a n t h a n i d e n {z.B. Atomgewichte: S. 466, Schmelzpunkte: S. 471, Dichten: S. 471, Ionenfarben: S. 472), die Erweiterung der Angaben über U r a n v e r b i n d u n g e n (S. 501) und viele weitere Änderungen kleineren Umfangs, die nicht im einzelnen aufgezählt werden können. 4. In Anbetracht der schon im ersten Vorwort betonten Bedeutung anschaulicher Abbildungen für das Verständnis wissenschaftlicher Prägen wurde ihre Anzahl weiter vermehrt. So kamen neu hinzu die Abbildungen 30 (Zustandekommen des osmotischen Drucks), 86 (Räumliche Molekularformel des weißen Phosphors P 4 ), 88 (Gitterstruktur des schwarzen Phosphors P r a ), 89 (Räumliche Molekularformel des Phosphortrioxyds (P 2 0 3 ) 2 ), 92 (Gitterstruktur des metallischen Arsens As^ ), 97 (Molekularstruktur des Kohlenstoffmonofluorids (CF)^, ), 114 (Schema des Bleiakkumulators), 158 (Wirkungsweise des Cyclotrons), 161 (Schema der Uranspaltung), 162 (Ausbeuten der Uranspaltung), 163 (Uran-Pile), 164 (Schema der gesteuerten Kern-Kettenreaktion), 165 (Schema der ungesteuerten Kern-Kettenreaktion). Trotz dieser umfangreichen Vermehrung des Wissensstoffes, die auch in der Erweiterung des Registers um mehrere tausend Stichworte und in der starken Vermehrung der Zahl der Seitenhinweise innerhalb des Textes zum Ausdruck kommt, konnte durch Streichung entbehrlicher und überholter Abschnitte der Zuwachs des äußeren Umfangs auf 56 Seiten (42 Seiten Text, 14 Seiten Register) begrenzt werden. — Auch bei der vorliegenden Auflage hatte ich mich zahlreicher anregender Zuschriften von Kollegen zu erfreuen, deren Vorschläge weitgehend berücksichtigt wurden. Insbesondere danke ich den Herren R. FRICKE-Stuttgart, J . BIERRUM-Kopenhagen und G. T. SE A BORG-Berkeley, die mich auf mancherlei Verbesserungsmöglichkeiten hinwiesen oder mir Unterlagen für die Modernisierung von Abschnitten zur Verfügung stellten. Aufmerksamen studentischen Lesern verdanke ich die Beseitigung einer Reihe von Druckfehlern und Unklarheiten. Meiner lieben F r a u danke ich für die mühevolle Arbeit der Neufassung des umfangreichen Registers, wobei auch Frl. R E N A T E HOFMANN wertvolle Dienste leistete. Die durch den Zusatz ,,ΙΙ" gekennzeichneten Seitenhinweise beziehen sich auf die letzte (26.) Auflage (1949) des z w e i t e n (organischen) Teils des vorliegenden Lehrbuchs. München, im Januar 1951
Egon Wiberg
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Vorwort zur 28. und 29. Auflage Die starke Nachfrage nach dem vorliegenden Lehrbuch machte schon kurz nach Erscheinen der letzten Doppelauflage die Vorbereitung einer neuen Doppelauflage erforderlich. Trotz der Kürze der für die Überarbeitung zur Verfügung stehenden Zeit wurden auch dieses Mal zahlreiche Ergänzungen und Umänderungen vorgenommen. Sie betreffen namentlich das Gebiet der Hydride und Mischhydride, auf dem in letzter Zeit zahlreiche Fortschritte erzielt werden konnten. So wurden u. a. neu aufgenommen: Der B e r y l l i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f BeH 2 · 2A1H3 (S. 388), der Magnesiumw a s s e r s t o f f MgH2 und seine Mischhydride mit Bor- und Aluminiumwasserstoff, MgH¡¡ · 2BH 3 bzw. MgH2 · 2A1H3 (S. 390f.), der G a l l i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r stoff GaH 3 -3AlH 3 (S. 385), der I n d i u m - a l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f InH 3 · 3A1H3 (S. 385), der T h a l l i u m - g a l l i u m - w a s s e r s t o f f TlH 3 -3GaH 3 (S. 386), der Zinna l u m i n i u m - w a s s e r s t o f f SnH 4 -4AlH 3 (S. 344) und der T i t a n - a l u m i n i u m w as ser st off TiH 4 · 4A1H3 (S. 484). Modernisiert und erweitert wurden die Abschnitte über die Darstellung von B o r w a s s e r s t o f f e n (S. 356), S i l i c i u m w a s s e r s t o f f e n (S. 311f.), G e r m a n i u m w a s s e r s t o f f e n (S. 339) und Z i n k w a s s e r s t o f f (S. 457), nachdem in der Einwirkung vonLithium-aluminium-wasserstoffLiAlH 4 (S.375f.) auf Metallchloride eine neue, vorteilhafte Methode zur Darstellung von Hydriden und Mischhydriden vorliegt. Eine neue Fassung erhielten die Abschnitte über das S chwefelm o n o x y d (S. 197), die D i s p r o p o r t i o n i e r u n g u n d Z e r s e t z u n g des H y d r o x y l a m i n s (S. 239f.) und die E n t h ä r t u n g des W a s s e r s (S. 396). Die A c t i n i d e n n a t u r d e s U r a n s wurde ausführlicher begründet (S. 501). Darüber hinaus finden sich an zahlreichen anderen Stellen Erweiterungen und Ergänzungen, wie etwa über die n a t ü r l i c h e R a d i o a k t i v i t ä t des I n d i u m s (S. 548), die E l e m e n t u m w a n d l u n g m i t K o h l e n s t o f f k e r n e n (S. 560,584), die R a d i o a k t i v i t ä t des N e u t r o n s (S. 564), die P e r i o d i z i t ä t der A c t i n i d e n (S. 584) oder A u s n a h m e n der MATTAUCHschen Regel (S. 538). Weiterhin wurde der Text sorgfältig auf Druckfehler und mißverständliche Formulierungen geprüft und an manchen Stellen (z. B. bezüglich der Anregung von Freiheitsgraden der Rotation, S. 76) berichtigt. So ist auch die vorliegende neue Auflage bestrebt, den modernen Stand der Wissenschaft wiederzugeben und sich neue Freunde zu den alten zu erwerben. München, im Oktober 1951 Egon Wiberg
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Vorwort zur 30. und 31. Auflage Die rasche Aufeinanderfolge der letzten Auf lagen (1951: 26., 27., 28. u. 29. Auflage) machte größere Änderungen und Ergänzungen im Text nicht erforderlich.
Die
Bearbeitung beschränkte sich daher darauf, festgestellte Druckfehler zu beseitigen, mißverständliche Stellen zu korrigieren und die physikalischen Konstanten, soweit erforderlich, dem neuen Stand der Kenntnisse anzupassen. M ü n c h e n , im Herbst 1952 Egon Wiberg
Inhaltsübersicht Sello
Einleitung
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Atom and Molekül Kapitel I . D e r r e i n e S t o f f 1. Homogene und heterogene Systeme 2. Zerlegung heterogener Systeme a. Zerlegung auf Grund verschiedener Dichten b. Zerlegung auf Grund verschiedener Teilchengrößen
3 3 4 4 5
3. Zerlegung homogener Systeme a. Zerlegung auf physikalischem Wege α. Phasenscheidung durch Temperaturänderung Verdampfen und Verdichten Schmelzen und Erstarren ß. Phasenscheidung durch Lösungsmittel b. Zerlegung auf chemischem Wege 4. Element und Verbindung
6 6 6 7 8 8 8 9
Kapitel I I .
Atom- und Molekularlehre
1. Gewichtsverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Atombegriff a. Experimentalbefunde α. Gesetz von der Erhaltung der Masse ß. Stöchiometrische Gesetze Gesetz der konstanten Proportionen Gesetz der multiplen Proportionen Gesetz der äquivalenten Proportionen b. DALTONS Atomhypothese 2. Volumenverhältnisse bei chemischen Reaktionen. Der Molekülbegriff a. Experimentalbefunde b. AVOGADROS Molekularhypothese Kapitel I I I .
Atom- und Molekulargewichtsbestimmung
1. Relative Atom- und Molekulargewichte a. Wahl einer Bezugseinheit b. Bestimmung relativer Molekulargewichte oc. Zustandsgieichung idealer Gase ß. Methoden der Molekulargewichtsbestimmung c. Bestimmung relativer Atomgewichte d. Stöchiometrische Berechnungen 2. Absolute Atom- und Molekulargewichte Kapitel I V .
Das Wasser und seine B e s t a n d t e i l e
1. Der Sauerstoff a. Vorkommen b. Darstellung α. Aus Luft ß. Aus Wasser γ. Aus festen Sauerstoffverbindungen
11 11 11 11 12 12 14 14 16 16 16 17 20 20 20 21 21 24 26 28 2Í) 31 31 31 31 31 34 34
XIV
Inhaltsübersicht Seite
c. Physikalische Eigenschaften d. Chemische Eigenschaften 2. Der Wasserstoff a. Vorkommen b. Darstellung ix. Aus Wasser ß. Aus Säuren c. Physikalische Eigenschaften d. Chemische Eigenschaften e. Die chemische Reaktionswärme f. Atomarer Wasserstoff 3. Das Wasser a. Vorkommen b. Reinigung c. Physikalische Eigenschaften ». Aggregatzustände des Wassers ß. Zustandsdiagramm des Wassers γ. Osmotischer Druck wässeriger Lösungen
273.15) in die allgemeine Gasgleichung (4) ergibt. Die Dimenr\-be/0° sion von Β ist [Energie]/[Grad], -S weil ρ · ν die Dimension einer Energie besitzt: [Druck] χ [Volu, [Kraft] , Γττ . ä; men] = i F i ä s 4 x [Voluraen] = [Kraft] χ [Länge] = [Energie], Drückt man Β statt — wie oben geschehen — in Liter · Atmosphären/Grad in cal/Grad aus, so besitzt / γ \-beiJOO° es den Zahlen wert 1.986.
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Erwähnt sei, daß die Zustandsgleichung (4) eine Reihe von T e i l g e s e t z e n enthält, die sich aus ihr durch Konstanthalten einzelner Größen ergeben. Die bekanntesten dieser
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73 -)Anlam
(1) 1/ ° i
berechnet werden. Bei 0 ° C (¿ANFANG = 0 ) kühlt sich hiernach die Luft um etwa je Atmosphäre Druckunterschied (^>Anfang — pEmie = 1) ab. Auch bei sehr hohen Druckdifferenzen ist also die Verflüssigung der Luft durch einmaliges Expandieren nicht zu erreichen. Man vereinigt daher nach CARL VON L I N D E (1842—1934) durch Anwendung des sogenannten „Gegenstromprinzips" die Wirkung beliebig vieler Expansionen in der Weise, daß man j e d e v o r a n g e h e n d e A b k ü h l u n g zur V o r k ü h l u n g der n a c h f o l g e n d e n L u f t vor der nächsten Entspannung benutzt („LiNDE-Yerfahren"). Hierdurch sinken die Temkomprimierte Luft peraturen schrittweise, bis die Verflüssigungstemperaexpandierte Luff Gegensfrömer t u r e r r e icht ist. Die Arbeitsweise einer derartigen „LINDE-Maschine" sei an Hand nebenstehender schematischer Zeichnung (Fig. 15) kurz erläutert: Die aus der —Luft angesaugte L u f t Anfang, fynfang Umgebung wird durch einen V e r d i c h t e r („Kompressor") von Atmo- -ßrosse/rent// Pêrd/cbfer sphärendruck auf etwa 200 At-Till p rc/e, £nde mosphären komprimiert f/üss/geLuff (PAnlang) u n d 8 e h t d a n n d u r c h einen von Kühlwasser umflossenen K ü h l e r , wo die Kompressionswärme beseitigt Fig. 15. Schematisohe Darstellung der Luftverflüssigung und die verdichtete Luft n a c h LINDE nahezu auf die Temperatur des Kühlwassers abgekühlt wird. Die so abgekühlte, verdichtete Luft wird mittels eines Drosselventils wieder auf den ursprünglichen Druck e n t s p a n n t (J>Ende), wobei — wenn íAnfang ζ· ®· gleich 15° ist — eine Abkühlung um etwa 1 / 4 ·200·0.9 = 45° eintritt. Die in dieser Weise auf —30° (i Ende ) abgekühlte Luft strömt im G e g e n s t r o m - W ä r m e a u s t a u s c h e r der nachkommenden verdichteten Luft entgegen und kühlt diese vor, so daß sie mit t i e f e r e r T e m p e r a t u r i An(ang zum Drosselventil gelangt als die vorhergehende und daher bei der folgenden Entspannung gemäß (I) auch auf t i e f e r e T e m p e r a t u r ¿Ende abgekühlt wird als diese usw. So fällt die Temperatur immer weiter, zumal nach der angegebenen Formel (1) der JOULE-THOMSON-Effekt mit fallender Temperatur ¿Anfang i m m e r größer wird. Schließlich reicht die durch die Expansion bewirkte Kälteleistung zur Verflüssigung eines Teils der Luft aus.
Hüh/er
Die erhaltene flüssige Luft läßt sich durch F r a k t i o n i e r u n g (S. 7) in ihre beiden Hauptbestandteile S a u e r s t o f f und S t i c k s t o f f trennen. Die W i r k u n g s -
33
Der Sauerstoff
weise der Fraktionierung geht aus dem nachstehenden Diagramm (Fig. 16) hervor: F l ü s s i g e r S t i c k s t o f f siedet bei —196°, flüssiger S a u e r s t o f f bei —183". Mischungen beider Flüssigkeiten sieden bei dazwischenliegenden Temperaturen, flüssige Luft 80% N2 + 20% 0 2 ) beispielsweise bei — 194Va°. Trägt man die Siedepunkte aller Mischungen von Sauerstoff und Stickstoff in ein Koordinatensystem (Abszisse: prozentuale Zusammensetzung der Mischung; Ordinate: Siedetemperatur) ein, so erhält man die in Fig. 16 als , , S i e d e k u r v e " bezeichnete Kurve. Erwärmt man nun eine flüssige Mischung von Stickstoff und Sauerstoff gegebener Zusammensetzung, so besitzt der entstehende Dampf nicht die gleiche Zusammensetzung wie die Ausgangsflüssigkeit (S. 7), sondern ist stets s t i c k s t o f f r e i c h e r . Trägt man auch die Zusammensetzung dieser bei den verschiedenen Siedetemperaturen mit den einzelnen flüssigen -183 Mischungen im Gleichgewicht befindlichen Dampfphasen in das Koordinatensystem ein, so - m erhält man die in Fig. 16 als „ T a u k u r v e " bedampfförmig -185 zeichnete Kurve. Sie gibt die Temperaturen an, bei welchen dampfförmige Sauerstoff-Stickstoff-186 Gemische gegebener Zusammensetzung beim • 2Hg -f- 0 2 ) kennengelernt. Im Laboratorium verwendet man zur Sauerstoffherstellung allerdings nicht solche E d e l m e t a l l - O x y d e , sondern w o h l f e i l e r e , etwas komplizierter zusammengesetzte Sauerstoffverbindungen, ζ. B. K a l i u m c h l o r a t (KC103), K a l i u m n i t r a t (KN0 3 ), K a l i u m p e r m a n g a n a t (KMn0 4 ). Insbesondere das Erhitzen von K a l i u m c h l o r a t stellt eine gebräuchliche L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Gewinnung von Sauerstoff dar. Die Reaktion verläuft so, daß zunächst ein Austausch des Sauerstoffs unter Bildung einer sauerstoffreicheren und einer sauerstoffarmeren (bzw. sauerstoffreien) Verbindung erfolgt („Disproportionierung") : 4 KCIO3
400
° > 3KC104 + KCl,
Kaliumchlorat
KaliumPerchlorat
KaliumChlorid
worauf die sauerstoffreiche Verbindung (Kaliumperchlorat) bei stärkerem Erhitzen unter Sauerstoffabgabe zerfällt: KC104 KCl + 20 2 . Wichtig f ü r die Laboratoriumspraxis ist, daß diese Sauerstoffgewinnung aus Kaliumchlorat durch sogenannte „Katalysatoren" 1 beschleunigt werden kann. Unter Katalysatoren (S. 109f.) versteht man dabei ganz allgemein Stoffe, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion e r h ö h e n („positive Katalysatoren") oder e r n i e d r i g e n („negative Katalysatoren"), o h n e d a b e i s e l b s t v e r b r a u c h t z u w e r d e n , so daß sie nach der Reaktion u n v e r ä n d e r t wieder vorliegen und in der R e a k t i o n s g l e i c h u n g daher n i c h t a u f t r e t e n . So wird ζ. B. die Sauerstoffabgabe aus Kaliumchlorat durch die Zugabe von M a n g a n d i o x y d (Braunstein), Mn0 2 , wesentlich erleichtert. Erhitzt man eine Mischung von Kaliumchlorat und Braunstein im Gewichtsverhältnis 10 : 1, so tritt die Sauerstoffentwicklung schon bei 150° ein, ohne daß es zu der oben erwähnten Disproportionierung kommt : 2KCIO03 MnO 2 KCl + 3 0 ¿2 . a
Die Gegenwart des Katalysators bewirkt also eine Erniedrigung der Zerfallstemperatur um 350°.
c. Physikalische Eigenschaften Sauerstoff ist bei gewöhnlicher Temperatur und unter normalem Luftdruck ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch starke Abkühlung läßt er sich zu einer bläulich gefärbten Flüssigkeit verdichten, welche bei —183.0° siedet und bei —218.9° zu hellblauen Kristallen erstarrt. Die Dichte des flüssigen Sauerstoffs beträgt beim Siedepunkt 1.118. I n 100 Volumina Wasser lösen sich bei 0° 4.9, bei 20° 3.1 Raumteile Sauerstoffgas (vgl. S. 60).
d. Chemische Eigenschaften Die charakteristischste chemische Eigenschaft des S a u e r s t o f f s ist seine Fähigkeit, sich bei erhöhter Temperatur mit zahlreichen Stoffen unter L i c h t - u n d W ä r m e e n t w i c k l u n g zu verbinden. Auf dieser Umsetzung mit Sauerstoff — „Oxydation" — 1
katalyein (καταλύειν) = auslösen. 3*
36
Das Wasser und seine Bestandteile
beruht ja der Vorgang der V e r b r e n n u n g von Stoffen an der L u f t . Allerdings sind die Verbrennungserscheinungen hier n i c h t so l e b h a f t wie in reinem S a u e r s t o f f , da der in der Luft neben Sauerstoff noch vorhandene, die Verbrennung nicht unterhaltende S t i c k s t o f f einen Teil der Verbrennungswärme zu seiner Erwärmung verbraucht. Infolgedessen kann die Temperatur und damit die Lichtentwicklung — die ja in hohem Maße von der Temperatur abhängt — nicht den gleichen Grad wie bei der Verbrennung in reinem Sauerstoff erreichen, bei dem der Stickstoffballast wegfällt. So verbrennt ζ. B. Holzkohle, die an der Luft nur mäßig und ohne große Lichtentwicklung glüht, in reinem Sauerstoff mit großem Glänze. Es wird dabei der Kohlenstoff (C) der Holzkohle zu gasförmigem, farblosem K o h l e n d i o x y d (C0 2 ) „oxydiert": C + 0 2 —•>• C02 + Energie . In gleicher Weise beginnt ein glimmender H o l z s p a n in einem mit Sauerstoffgas gefüllten Gefäß sogleich mit heller Flamme und ungewöhnlicher Lebhaftigkeit zu brennen, was man zur E r k e n n u n g des S a u e r s t o f f s („Reaktion auf Sauerstoff") benutzt. Der an der Luft mit schwacher blauer Flamme brennende S c h w e f e l (S) verbrennt in Sauerstoff mit intensiv blauem Licht zu gasförmigem, farblosem, stechend riechendem S c h w e f e l d i o x y d (S0 2 ): S + 0 2 • — S 0 2 + Energie . Entzündeter Phosphor (P) ergibt unter blendend weißer Lichtentwicklung festes, weißes P h o s p h o r p e n t o x y d (P 2 0 5 ): 4P + 50 s -—>- 2P2Os + Energie . Eine an einem Ende glühend gemachte stählerne U h r f e d e r (Eisen Fe) verbrennt im Sauerstoff unter lebhaftem Funkensprühen zu E i s e n o x y d (Fe 2 0 3 ): 4 Fe + 30 2 >- 2Fe203 + Energie . M a g n e s i u m d r a h t (Mg) oder Calciumspäne (Ca) verbrennen unter blendender Lichterscheinung und Bildung weißer M a g n e s i u m o x y d - bzw. Calciumoxyd-Nebel: 2 Mg + 0 2 >- 2MgO + Energie 2 Ca + 0 2 — ν 2CaO + Energie . Nicht a l l e O x y d a t i o n s v o r g ä n g e verlaufen wie die vorstehend beschriebenen Verbrennungsvorgänge unter ausgesprochener L i c h t - und W ä r m e e n t w i c k l u n g . Es gibt vielmehr auch l a n g s a m bei U m g e b u n g s t e m p e r a t u r v e r l a u f e n d e O x y d a t i o n e n , die ohne diese sinnfälligen Begleiterscheinungen vor sich gehen. Man nennt sie ,,stille Verbrennungen" („Autoxydationen"). Hierzu gehören ζ. B. das R o s t e n und A n l a u f e n von Metallen, das Vermodern von Holz und sonstige V e r w e s u n g s e r s c h e i n u n g e n , sowie vor allem die A t m u n g der Organismen. Bei diesem Atmungsvorgang spielen sich im Organismus der Tiere und Menschen stille Verbrennungen ab, durch welche die Nahrungsmittel — ζ. B. „Kohlenhydrate", C m (H 2 0) n — mittels des eingeatmeten Sauerstoffs der Luft in Kohlendioxyd (ausgeatmet) und Wasser (ausgeschieden) übergeführt werden: Cm(H20)n + m0 2
- mC0 2 + n H20 + Energie.
Pflanze
Die bei dieser Oxydation langsam f r e i w e r d e n d e E n e r g i e dient zur Aufrechterhaltung der K ö r p e r t e m p e r a t u r und L e b e n s v o r g ä n g e . Der umgekehrte Vorgang, der Aufbau von Kohlenhydraten aus Kohlendioxyd, Wasser und Energie (Sonnenlicht) spielt sich in den P f l a n z e n ab. Auf diese Weise wird der von Mensch und Tier verbrauchte Sauerstoff wieder r ü c k g e b i l d e t . Pflanzliche und tierische Atmung sind dabei so a u f e i n a n d e r a b g e s t i m m t , daß sich — zumal wenn man die ungeheure Sauerstoffmenge der Atmosphäre (S. 63) in Rechnung stellt — der Sauerstoffgehalt der Luft p r a k t i s c h nicht ä n d e r t .
Der Wasserstoff
37
Nicht immer wurde die Verbrennungserscheinung richtig als die Vereinigung von Stoffen mit Sauerstoff gedeutet. So stellte Ζ. B. der deutsehe Arzt und Chemiker GEORG ERNST STAHL (1660—1734) im Jahre 1710 die Theorie auf, daß beim Verbrennen eines Stoffs ein g a s f ö r m i g e s E t w a s entweiche, das er „Phlogiston"1 nannte. Nach dieser Theorie („Phlogistontheorie") nahm man an, daß ein Stoff um so leichter und heftiger verbrenne, je mehr Phlogiston er enthalte. S c h w e f e l , P h o s p h o r , K o h l e n s t o f f , W a s s e r s t o f f galten danach als s e h r p h l o g i s t o n r e i c h e S t o f f e . Auch als LAVOISIER (S. 11) im J a h r e 1777 zeigte, d a ß der von CARL WILHELM SCHEELE (1742—1786) u n d JOSEPH PRIESTLEY (1733—1804), u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r , i m J a h r e 1774
als Luftbestandteil erkannte Sauerstoff für die Verbrennung notwendig ist und daß bei der Verbrennung eine Gewichtszunahme und nicht eine Gewichtsabnahme zu beobachten ist, gab man die Phlogistontheorie noch nicht auf, sondern suchte sie durch Zusatzhypothesen zu retten. So betrachtete man den Sauerstoff als „dephlogistierte", d. h. von Phlogiston befreite Luft, welche ein großes Bestreben habe, anderen Stoffen ihr Phlogiston zu entziehen, und schrieb dem Phlogiston ein „negatives Gewicht" zu. Heutzutage mag man vielleicht die Hartnäckigkeit nicht ganz begreifen, mit der man lange Zeit die Phlogistonhypothese aufrechtzuerhalten suchte. Man muß aber bedenken, daß diese Hypothese einen wahren Kern enthielt. Das, was die Phlogistiker als e n t w e i c h e n d e s P h l o g i s t o n ansahen, ist in der heutigen Ausdrucksweise die f r e i w e r d e n d e E n e r g i e . Dadurch, daß die Phlogistontheorie bei den Verbrennungserscheinungen nicht klar zwischen den e n e r g e t i s c h e n und den stofflichenUmsetzungen unterschied und auch d a s P h l o g i s t o n als einen S t o f f betrachtete, verstrickte sie sich bald in unlösbare Widersprüche.
2. D e r Wasserstoff a. Vorkommen Der Wasserstoff, der im Jahre 1 7 6 6 von dem englischen Privatgelehrten H E N R Y CAVENDISH ( 1 7 3 1 — 1 8 1 0 ) entdeckt wurde, kommt in f r e i e m Z u s t a n d e nur spurenweise in der A t m o s p h ä r e vor. I n g e b u n d e n e m Z u s t a n d e ist er als Bestandteil des W a s s e r s (11.2 Gewichtsprozente Wasserstoff) und anderer Verbindungen weit verbreitet; und zwar ist im Durchschnitt jedes sechste bis siebente Atom aller am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Wasser- und Lufthülle) beteiligten Atome ein Wasserstoffatom (vgl. S. 68).
b. Darstellung α. Aus Wasser Die Darstellung von W a s s e r s t o f f erfolgt zweckmäßig aus W a s s e r (H 2 0), das in praktisch unbegrenzten Mengen zur Verfügung steht! Wie bei der Sauerstoffdarstellung kann die Zerlegung des Wassers auf p h y s i k a l i s c h e m oder auf c h e m i s c h e m Wege erfolgen. Die Zersetzung auf physikalischem Wege durch Elektrolyse haben wir beim Sauerstoff schon geschildert (S. 34). Wie dort wird das Wasser auch hier zwecks Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit mit N a t r o n l a u g e versetzt. Auch wässerige K o c h s a l z l ö s u n g e n werden zur Elektrolyse verwandt („Chloralkali-elektrolyse"; vgl. S. 409ff.). Zur Zersetzung des Wassers auf chemischem Wege können alle Metalle und Nichtmetalle dienen, welche ein großes Bestreben haben, sich mit dem Sauerstoff des Wassers zu verbinden. Unter den Metallen sind die sogenannten A l k a l i m e t a l l e (Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium) besonders reaktionsfähig. Bringt man beispielsweise ein Stückchen N a t r i u m m e t a l l (Na) auf Wasser, so bewegt es sich unter lebhafter Wasserstoffentwicklung und unter Schmelzen auf der Wasseroberfläche umher und geht als N a t r i u m h y d r o x y d (NaOH) in Lösung: 2HÖH + 2Na — > 2NaOH + H 2 + Energie. 1
phlogistos (φλογιστός) = verbrannt.
38.
Das Wasser und seine Bestandteile
I n ganz analoger Weise reagieren die übrigen Alkalimetalle unter Bildung entsprechender Metallhydroxyde MeOH (Me = Alkalimetall). Die Heftigkeit der Reaktion nimmt dabei mit steigendem Atomgewicht des Alkalimetalls zu. Die gleiche Beobachtung macht man bei den sogenannten E r d a l k a l i m e t a l l e n (Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium, Barium). Während Calcium, Strontium und Barium sich mit dem Wasser verhältnismäßig lebhaft — wenn auch weniger heftig als die Alkalimetalle — gemäß der Gleichung 2 H Ö H + Me — ν Me(OH) 2 + H 2 + Energie
(Me = Erdalkalimetall) umsetzen, reagiert das Magnesium erst bei erhöhter Temperatur (Überleiten von Wasserdampf über erhitztes Magnesiumpulver), dann allerdings unter starker Licht- und Wärmeentwicklung: H 2 0 + Mg
>- MgO + H 2 + Energie.
Für die t e c h n i s c h e Wasserstoffherstellung kommen die vorstehend genannten Metalle wegen ihres hohen Preises nicht in Frage. Dagegen dient die Zerlegung von Wasser durch E i s e n bei Rotglut 1 in begrenztem Umfange zur technischen Wasserstofferzeugung2 : Energie + H 2 0 + F e
>- FeO + H 2 .
(1)
Das gebildete Eisenoxyd wird in der Technik durch Kohlenoxyd CO (ζ. B. in Form von Wassergas; s. unten) immer wieder in Eisen zurückverwandelt: FeO + CO
vFe+'C02,
(2)
indem man abwechselnd Wasserdampf und Wassergas über das Eisen bzw. Eisenoxyd leitet. Auf diese Weise kommt man mit einer endlichen Menge Eisen aus. Addiert man die beiden Gleichungen der Wasserstoffbildung (1) und Eisenregenerierung (2), so heben sich Eisenoxyd und Eisen heraus, so daß man die Gesamtgleichung H 2 0 + CO — ν H 2 + C 0 2
(3)
erhält. Das Verfahren beruht also in summa darauf, daß Wasserdampf und Kohlenoxyd zu Wasserstoff und Kohlendioxyd umgesetzt werden. Da sich diese Reaktion bei Gegenwart eines Katalysators auch d i r e k t — d. h. ohne den Umweg einer vorherigen Bildung von Eisenoxyd — durchführen läßt (s. unten), spielt das Verfahren der Wasserstofferzeugung aus Wasserdampf und Eisen gegenüber diesem direkten Verfahren (3) keine große Rolle mehr.
Statt durch M e t a l l e kann das Wasser auch durch N i c h t m e t a l l e zerlegt werden. Ein wichtiges derartiges Nichtmetall ist der K o h l e n s t o f f , der sich bei Gelbglut mit Wasserdampf nach der Gleichung Energie + H 2 0 + C
> CO +
H2
(4)
umsetzt. Wegen der Billigkeit der Kohle ist dieses Verfahren der Wasserstoffdarstellung in Deutschland das technisch gebräuchlichste und wichtigste. Das entstehende Gemisch von Kohlenoxyd und Wasserstoff heißt „Wassergas" (S. 298 f.). Die Abtrennung des Kohlenoxyds aus diesem Gas erfolgt in der Technik in geschickter Weise so, daß man es bei Gegenwart eines Katalysators mit weiterem Wasserdampf nach der oben schon erwähnten Reaktion (3) unter N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu Kohlendioxyd „verbrennt" : H 2 0 + CO — > - H 2 + C 0 2 + Energie,
(3)
welches sich unter Druck leicht mit Wasser herauswaschen läßt (S. 221). 1 Zur ungefähren Bezeichnung höherer Temperaturen bedient man sieh häufig der Ausdrücke „Rotglut" und „Weißglut", wobei man folgende Unterscheidungen macht: Beginnende Rotglut ~ 500° Gelbglut ~ 1100° Dunkelrotglut ~ 700° Beginnende Weißglut . . ~ 1300° Hellrotglut ~ 900° Weißglut ~1500°. 2 Die Gleichung ist hier mit dem einfachsten Eisenoxyd formuliert; in Wirklichkeit sind die Verhältnisse aber etwas komplizierter. So bildet sich beispielsweise unterhalb etwa 660° überhaupt kein FeO (S. 515) mehr, sondern lediglich ein Mischoxyd F e 3 0 4 = FeO · F e 2 0 3 (S. 515, 517).
39
Der Wasserstoff
Die beiden Gleichungen (3) und (4) ergeben addiert die Gesamtgleichung· 2H20 + C — > - 2H2 + C02. (5) In summa reagiert also der Kohlenstoff mit dem Wasserdampf unter Bildung von Wasserstoff und Kohlendioxyd. Bei Verwendung von B r a u n k o h l e gelingt es, die Gesamtreaktion (5) technisch auch in e i n e m Arbeitsgang durchzuführen (S. 299).
ß. Aus Säuren Für die Darstellung von Wasserstoff im L a b o r a t o r i u m benutzt man im allgemeinen nicht das Wasser H 2 0 als Ausgangsmaterial, sondern andere Wasserstoffverbindungen, sogenannte „ S ä u r e n " H n X (S. 90), aus denen der Wasserstoff leichter als beim Wasser durch Metalle in Freiheit gesetzt wird. Eine solche Säure ist ζ. B. die durch Auflösen des schon oft erwähnten Chlorwasserstoffs (HCl) in Wasser entstehende S a l z s ä u r e . Bringt man z. B. Z i n k — das mit Wasser erst bei erhöhter Temperatur reagiert — mit Salzsäure zusammen, so erfolgt bereits bei Zimmertemperatur lebhafte Wasserstoffentwicklung : Zn + 2 HCl — > - ZnCl2 + H 2 .
(6)
Die Reaktion wird zweckmäßig in einem „KIPPschen Apparat" durchgeführt, der auch für die Entwicklung vieler anderer Gase im Laboratorium geeignet ist.
Salzsäure
•Kugelirichter
Er besteht (Fig. 18) aus einem K u g e l t r i c h t e r Wasserstoff" und einem aus zwei Kugeln bestehenden E n t w i c k l u n g s g e f ä ß . Trichter und Entwicklungsgefäß sind „ Entwicklungs durch einen Glassohliff derart miteinander verbunZink. den, daß das lange Ansatzrohr des ersteren bis in den unteren Teil des letzteren hineinragt, ohne dabei die Verbindung der beiden Kugeln des Entwicklungsgefäßes zu unterbrechen. In der m i t t l e r e n der drei Kugeln befindet sich das Zink, die o b e r e und u n t e r e Salzsäurv Kugel enthalten Salzsäure. Öffnet man den Hahn der mittleren Kugel, so fließt Säure aus der oberen in die untere Kugel, gelangt so schließlich mit dem Zink der mittleren Kugel in Berührung und setzt sich mit diesem nach der obigen Reaktionsgleichung (6) unter Bildung von Wasserstoff und Zinkchlorid (ZnCl2) um. Schließt Fig. 18. Wasserstoffgewinnung im man den Hahn, so wird durch die zunächst noch fortKIPP sehen Apparat dauernde Wasserstoffentwicklung die Säure aus der m i t t l e r e n Kugel auf dem Wege über die u n t e r e Kugel und das Ansatzrohr des K u g e l t r i c h t e r s in diesen zurückgedrängt, so daß die Berührung zwischen Säure und Metall wegfällt und die Gasentwicklung zum S t i l l s t a n d kommt. Auf diese Weise ist man in der Lage, durch einfaches öffnen und Schließen des Hahns die Wasserstoffentwicklung in Gang zu bringen oder zu unterbrechen.
In den H a n d e l kommt der Wasserstoff in S t a h l b o m b e n , in denen er unter einem Druck von 150 Atmosphären zusammengepreßt ist.
c. Physikalische Eigenschaften Wasserstoff ist ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas. Durch sehr starke Abkühlung läßt er sich zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, welche bei —252.8° C (20.4° abs.) siedet und bei — 259.3° C (13.9° abs.) zu einer festen Masse erstarrt. Spezifisches Gewicht. Da der Wasserstoff unter allen Stoffen das k l e i n s t e Molek u l a r g e w i c h t (2.0160) besitzt, ist er das l e i c h t e s t e aller Gase. 1 Liter Wasserstoff wiegt bei 0° und 760 mm 2.0160:22.415 = 0.0899 g; die Luft besitzt demgegenüber unter gleichen Bedingungen ein 14.38 mal größeres Litergewicht von 1.2928 g. Dementsprechend zeigt der Wasserstoff in Luft einen A u f t r i e b von rund 1.3—0.1 = 1.2 g
40
Das Wasser und seine Bestandteile
je Liter oder 1.2 kg je Kubikmeter. Er eignet sich somit bestens als F ü l l g a s für L u f t ballons und L u f t s c h i f f e . Zum Tragen von zwei Personen samt Ballon, Gondel und Ausrüstung sind etwa 600 m3 Wasserstoff erforderlich ; ein modernes Zeppelinluftschiff benötigt etwa 250000 m3. Nachteilig für die Verwendung des Wasserstoffs als Füllgas ist seine B r e n n b a r k e i t (S. 42) und sein großes Diffusionsvermögen (S.40f.). Daher bevorzugt man jetztHelium (S. 74 f.) als Traggas.—Auch im flüssigen und festen Zustande ist der Wasserstoff erheblich leichter als andere Stoffe. So wiegt der flüssige Wasserstoff beim Siedepunkt 0.0700 g/cm3 und der feste Wasserstoff beim Schmelzpunkt 0.0763 g/cm3. Kritische Daten. Lange Zeit hindurch hielt man den Wasserstoff — wie auch verschiedene andere Gase — für ein sogenanntes „permanentes Gas", d. h. ein Gas, das in keinen der beiden anderen Aggregatzustände übergeführt werden könnte. Zu dieser Meinung gelangte man, weil alle Versuche, den "d Wasserstoff durch Druck zu verflüssigen, fehlschlugen, obwohl man Drucke bis zu mehreren tausend Atmosphären anwandte. Heute weiß man, daß es dd: 2 C0 2 + H 2 0 -f Wärme), der verbreitetsten Art der autogenen Schweißung, bei der man auf 3 Teile Acetylen 4 Teile Sauerstoff anwendet (vgl. II, S. 129). Zur Schweißung dienen in beiden Fällen ,,Schweißbrenner" oder ,,Schweißpistolen", die nach Art des ÜANiELLSchen H a h n e s (Fig. 22) konstruiert sind und denen die Gase aus Stahlflaschen durch Druckschläuche zugeführt werden. Autogen schweißen lassen sich ζ. B. Eisen, Kupfer, Messing, Bronze, Nickel und Aluminium. 1
autos (carrós) = selbst; gennan (yevvccv) = erzeugen.
44
Das Wasser und seine Bestandteile
Das „autogene Schneiden" und Durchbohren von Metallen geschieht in der Weise, daß man mit einem Schweißbrenner eine kleine Stelle zur Weißglut erhitzt und dann nach Abstellen des Wasserstoffs bzw. Acetylens mit S a u e r s t o f f allein weiterbläst. Das Metall verbrennt zu Oxyd, welches weggeblasen wird, und die dabei auftretende Verbrennungswärme liefert die erforderliche Schmelzhitze. Das Verfahren des autogenen Schneidens liefert einen scharfen, sauberen Schnitt und wird in der Technik zum Schneiden von Panzerplatten, Ausschneiden von Kesselböden, Durchlochen von Profileisen, Demontieren alter Brücken und Schiffe usw. angewendet.
Verbrennt man den Wasserstoff nicht mit r e i n e m S a u e r s t o f f , sondern mit dem S a u e r s t o f f d e r L u f t , so beträgt die mit dieser Flamme erreichbare Maximaltemperatur nicht 2700°, sondern nur rund 2000°. Dies kommt nicht etwa daher, daß die Wärme-entwicklung bei der Verbrennung einer bestimmten Menge Wasserstoff im letzteren Falle kleiner als im anderen wäre (vgl. unten), sondern daher, daß sich die entwickelte Wärme wegen des in der Luft neben Sauerstoff noch in großer Menge vorhandenen S t i c k s t o f f s auf ein wesentlich größeres Gasquantum verteilt. Der Wasserstoff reagiert nicht nur mit f r e i e m Sauerstoff, sondern kann auch vielen Sauerstoffverbindungen den g e b u n d e n e n Sauerstoff unter Bildung von Wasser entziehen. Man nennt diesen Entzug von Sauerstoff unter Bildung sauerstoffärmerer oder sauerstoff-freier Stoffe „Reduktion". Leitet man ζ. B. Wasserstoff über erhitztes K u p f e r o x y d (CuO), so wird letzteres zu metallischem K u p f e r „reduziert" : CuO + H 2 — > - Cu + l i j o . I m Laboratorium und in der Technik macht man von dieser reduzierenden Wirkung des Wasserstoffs vielfach Gebrauch. Außer mit Sauerstoff vereinigt sich der Wasserstoff — teils direkt, teils auf Umw e g e n — auch mit v i e l e n a n d e r e n E l e m e n t e n . Die dabei entstehenden Wasserstoff Verbindungen (,,Hydride") haben die Bruttozusammensetzung X H , X H 2 , X H 3 o d e r X H 4 ( X = Nichtmetall oder Metall). So bilden z. B. C h l o r , S c h w e f e l , S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f die flüchtigen Verbindungen HCl, H 2 S, N H 3 und CH 4 , N a t r i u m , C a l cium, L a n t h a n und T h o r i u m die salzartigen Verbindungen N a H , CaH 2 , L a H 3 und ThH 4 . Besonders hingewiesen sei hier auf die Synthese von A m m o n i a k aus Wasserstoff und Stickstoff, auf der sich eine anorganische Großindustrie aufbaut (S. 219ff.). Technisch von großer Bedeutung ist weiterhin die Anlagerung von Wasserstoff an „ungesättigte" (S. 293) K o h l e n s t o f f v e r b i n d u n g e n („Hydrierung"). Die wichtigsten derartigen Hydrierungsverfahren sind: die H y d r i e r u n g v o n K o h l e , E r d ö l und T e e r zu B e n z i n (S. 304f.), die H y d r i e r u n g v o n K o h l e n o x y d z u A l k o h o l e n o d e r B e n z i n (S. 300f.) und die H y d r i e r u n g ö l i g e r F e t t e z u f e s t e n F e t t e n „Fetthärtung" ( I I , S. 157f.).
e. Die chemische Reaktionswärme Die Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser gemäß Gleichung (7) (S. 42) ist mit einer starken W ä r m e - e n t w i c k l u n g verknüpft. Umgekehrt erfordert z.B. die Darstellung von Wassergas nach Gleichung (4) (S. 38) eine Z u f u h r von Wärmeenergie. Es handelt sich hier um eine ganz allgemeine Erscheinung: C h e m i s c h e R e a k t i o n e n s i n d n i c h t nur m i t e i n e m Materie-umsatz, s o n d e r n auch m i t e i n e m £nergie-umsatz v e r k n ü p f t . Jeder chemische Stoff hat eben unter gegebenen Bedingungen einen g e g e b e n e n E n e r g i e - i n h a l t . Ist bei einer chemischen Reaktion d e r E n e r g i e i n h a l t d e r A u s g a n g s st o f f e g r ö ß e r als d e r der R e a k t i o n s p r o d u k t e , so wird bei der Umsetzung E n e r g i e — meist in Form von Wärme — f r e i ; wir sprechen dann von einer „exothermen" Reaktion oder Reaktion mit „positiver Wärmetönung". Ist umgekehrt das E n d s y s t e m e n e r g i e r e i c h e r als das A u s g a n g s s y s t e m , so wird bei der Umsetzung E n e r g i e (Wärme) von außen her a u f g e n o m m e n : wir haben eine „endotherme" Reaktion oder Reaktion mit,,negativer Wärmetönung" vor uns. Beispiele für stark exotherme Reaktionen haben wir auf S. 35f. in den Verbrennungserscheinungen kennengelernt. Die Energie wurde dabei in Form von Licht und Wärme frei.
Der Wasserstoff
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Man pflegt den bei chemischen Reaktionen stattfindenden E n e r g i e - u m s a t z auf einen der Reaktionsgleichung entsprechenden M o l u m s a t z an Materie zu beziehen und in K i l o k a l o r i e n (kcal) auszudrücken (s. unten), da sich alle Reaktionen so leiten lassen, daß der damit verknüpfte Energie-effekt ganz in Form von W ä r m e („Reaktionswärme") auftritt. Die Gleichung H 2 + y,0 2 H 2 0 + 68.3 kcal (8) besagt demnach, daß bei der Umsetzung von 1 Mol = 2 g Wasserstoff und 1 / i Mol = 16 g Sauerstoff unter Bildung von 1 Mol = 18 g Wasser eine Wärmemenge von 68.3 kcal frei wird („Bildungswärme" des Wassers) und daß umgekehrt zur Zerlegung von 18 g Wasser in seine elementaren Bestandteile eine Energiemenge von 68.3 kcal aufgewendet werden muß (,,Spaltungswärme" des Wassers). Unter 1 kcal versteht man dabei diejenige Wärmemenge, die erforderlich ist, um 1 kg Wasser um I o von 14.5 auf 15.5° C zu erwärmen (S. 51). Allerdings müssen bei der Angabe einer solchen „thcrmochemischen Gleichung" wie der Gleichung (8) A n f a n g s - u n d E n d z u s t a n d d e s c h e m i s c h e n S y s t e m s g e n a u d e f i n i e r t sein, da der E n e r g i e g e h a l t der Stoffe von ihrem Z u s t a n d abhängig ist. So bezieht sich die Gleik/egl chung (8) auf 25° C, 1 Atm. Druck, gasförmigen Wasserstoff, gasförmigen Sauerstoff und flüsI τ -"l· siges Wasser. Leitet man ζ. B. die Reaktion Anfar>QS2ustand/} Endzustand Β so, daß nicht f l ü s s i g e s Wasser, sondern g a s I fr t f ö r m i g e s Wasser entsteht, so geht von dem k/egll obigen Energiebetrag die Wärmemenge ab, Fig. 23. die erforderlich ist, um 1 Mol Wasser bei 25° Wärmeentwicklung und Reaktionsweg und 1 Atm. Druck zu verdampfen. Sie beträgt 10.5 kcal, so daß bei der Bildung eines Mols d a m p f f ö r m i g e n W a s s e r s aus gasförmigem Wasserstoff und gasförmigem Sauerstoff bei 25° C und 1 Atm. Druck nur 68.3—10.5 = 57.8 kcal frei werden. Die im Vorstehenden zum Ausdruck kommende Erfahrungstatsache, daß die umgesetzte Reaktionswärme nurvom A n f a n g s - u n d E n d z u s t a n d des chemischen Systems, n i c h t aber davon abhängt, ob dieReaktion direkt(Wasserstoffgas + Sauerstoffgas —>• Wasserdampf) oder i n S t u f e n (Wasserstoffgas + Sauerstoffgas—>- flüssiges Wasser; flüssiges Wasser —>- Wasserdampf) vorgenommen wird, gilt f ü r alle chemischen Reaktionen und wurde von GERMAIN H E N R I H E S S (1802—1850) im J a h r e 1840 zu folgendem Gesetz („ÜEssscher Satz") verallgemeinert: Die beim Übergang eines chemischen Systems von einem bestimmten Anfangs- in einen bestimmten Endzustand abgegebene oder aufgenommene Wärmemenge ist unabhängig vom Wege der Umsetzung. Führt man hiernach ein chemisches System (Fig. 23) einmal auf dem Wege I, das andere Mal auf dem Wege I I vom gegebenen Anfangszustand A in den gegebenen Endzustand Β über, so sind die auf beiden Wegen insgesamt entwickelten bzw. verbrauchten W ä r m e m e n g e n Ui und Uu e i n a n d e r g l e i c h : = ^ (9) Der HE s s sehe Satz stellt seinerseits einen Spezialfall des 1. Hauptsatzes oder Satzes VON der Erhaltung der Energie dar, welcher ganz allgemein zum Ausdruck bringt, daß die bei i r g e n d e i n e m — also nicht nur chemischen — V o r g a n g abgegebene oder aufgenommene E n e r g i e nur vom A n f a n g s - u n d E n d z u s t a n d des Systems, n i c h t aber vom Wege des V o r g a n g s abhängig ist. Träfe dieser 1. Hauptsatz nicht zu, so könnte man (vgl. Fig. 23) einen Vorgang sich auf dem Wege I unter Entwicklung der Energie Uj abspielen lassen, um ihn dann auf dem Wege II unter Aufwendung der k l e i n e r e n Energie Un wieder r ü c k g ä n g i g zu machen. Gew o n n e n wäre dabei der E n e r g i e b e t r a g ϋχ — Un=AU, während sich das zur Arbeitsleistung verwendete System w i e d e r im A n f a n g s z u s t a n d befände und daher zu e r n e u t e r A r b e i t s l e i s t u n g verwendbar wäre. Die Erfahrung zeigt, daß ein derartiges „Perpetuum, mobile 1. Art" nicht konstruierbar ist.
Das Wasser und seine Bestandteile
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Der ÜESssche S a t z wird häufig dazu benutzt, um R e a k t i o n s w ä r m e n , die direkt nicht meßbar sind, i n d i r e k t zu bestimmen. So kann man ζ. B. die bei der Verbrennung von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n o x y d (C + 1 / 2 0 2 ·—>- CO) freiwerdende Wärme UQ -> oo nicht unmittelbar ermitteln, weil bei der Verbrennung von Kohlenstoff stets ein G e m i s c h von K o h l e n o x y d und K o h l e n d i o x y d entsteht. Dagegen ist sowohl die Verbrennung von K o h l e n s t o f f zu K o h l e n d i o x y d (C -f- 0 2 — ν C0 2 + 94.0 kcal) wie die Verbrennung von — auf anderem Wege rein dargestelltem — K o h l e n o x y d zu K o h l e n d i o x y d (CO + V 2 0 2 — ^ C0 2 + 67.6 kcal) experimentell realisierbar. Gemäß dem aus dem H E S S sehen Satz folgenden Schema:
I
+
,
CO + V, o 2
+ 6 7
-6kal τ co2
c + o2 I
+
9 4 . 0 KCAL
F
gilt dann, daß [7 c -*co + 67.6 = 94.0 bzw. Uc - co = 94.0 — 67.6 = 26.4 kcal ist. Die angegebenen Reaktionswärmen („ Verbrennungswärmen") gelten dabei für Graphitkohlenstoff, 25° C und 1 Atm. Druck. Um die genaue Messung chemischer Reaktionswärmen haben sich vor allem der dänische C h e m i k e r J U L I U S THOMSEN ( 1 8 2 6 — 1 9 0 9 ) ,
d e r f r a n z ö s i s c h e C h e m i k e r MARCELIN
BERTHELOT
(1827 — 1907) und in neuerer Zeit der deutsche Physikochemiker WALTHER ROTH (1873—1950) verdient gemacht. Alle im vorliegenden Lehrbuch angegebenen Reaktionswärmen beziehen sich — wenn nicht anders angegeben — auf 25° C, 1 Atm. Druck und die unter diesen Bedingungen stabilen Zustandsformen der beteiligten Stoffe. Früher glaubte man, daß die Größe der W ä r m e t ö n u n g einer Reaktion ein M a ß f ü r ihre c h e m i s c h e T r i e b k r a f t („Affinität") sei und daß dementsprechend nur e x o t h e r m e Reaktionen f r e i w i l l i g ablaufen könnten. Diese Annahme hat sich als irrig erwiesen. Wie wir heute wissen, setzt sich die Wärmetönung f/ ge9am t aus zwei Gliedern, der „freien" (U¡lei) und der ,,gebundenen" Energie (ügetmnden) zusammen: Ugesamt -- Ufrei + υ gebunden, (10 von denen lediglich der in seiner E n e r g i e f o r m f r e i e , d.h. auch als A r b e i t s l e i s t u n g gewinnbare Anteil C7frei („maximale Arbeit" einer Reaktion) den Reaktionsablauf bestimmt, indem nur solche Umsetzungen freiwillig abzulaufen vermögen, bei denen freie Energie a b g e g e b e n wird, also Arbeit gewonnen werden kann (vgl. E G O N W I B E R G , „Die chemische A ffinität. Eine Einführung in die Lehre von der Triebkraft chemischer Reaktionen", Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin 1951). Der in seiner Energieform geb u n d e n e , nur in Form von W ä r m e umsetzbare Anteil {7gebunden ist mit diesem Reaktionsablauf z w a n g s l ä u f i g g e k o p p e l t . V o r z e i c h e n und Größe des Umsatzes ^gebunden bedingen dabei gemäß (10) das V o r z e i c h e n der G e s a m t e n e r g i e f/gesamt des freiwillig verlaufenden Vorgangs und damit dessen e x o t h e r m e n oder endot h e r m e n Charakter.
f. Atomarer Wasserstoff Wesentlich reaktionsfähiger als der gewöhnliche m o l e k u l a r e Wasserstoff (H2) ist der atomare Wasserstoff (H). Man erhält ihn aus ersterem durch Zufuhr von Energie: 103.4 k c a l + 2 H. (11) Diese erhöhte Reaktionsfähigkeit der Wasser stoff a t o m e im Vergleich zu den Wasserstoffmolekülen erklärt sich aus dem M e h r g e h a l t an E n e r g i e . Besonders geeignet zur Darstellung größerer Mengen atomaren Wasserstoffs sind die Verfahren von R. W. WOOD u n d v o n I . L A N G M U I R .
WooDSches Darstellungsverfahren. DasWooDsche V e r f a h r e n besteht darin, daß man gewöhnlichen molekularen Wasserstoff unter stark vermindertem Druck einer
Der Wasserstoff
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e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g aussetzt. Ein hierfür sehr zweckmäßiger Apparat wird in Fig. 24 wiedergegeben. Er besteht im wesentlichen aus einem elektrolytischen W a s s e r s t o f f e n t w i c k l e r (vgl. S. 13) und einem E n t l a d u n g s g e f ä ß . Letzteres ist ein 2 cm weites, 2 m langes, zwecks Platzersparnis U- oder S-förmig gebogenes, mit A l u m i n i u m b l e c h - E l e k t r o d e n versehenes Glasrohr. Durch entsprechendes Einstellen eines zwischen Entwicklungs- und Entladungsgefäß angebrachten R e g u l i e r v e n t i l s und durch l e b h a f t e s A b s a u g e n d e s W a s s e r s t o f f s am Ende der Apparatur wird der Druck des — in einem Ausfriergefäß von Wasserdampf befreiten — Wasserstoffs auf 0.1 bis 1 mm gehalten und ein rascher Gasstrom beAluminiumblech -Bekfrcden wirkt. Durch Anlegen einer Spannung von m e h r e r e n t a u s e n d V o l t an die Aluminiumelektroden des Entladungsgefäßes erzeugt man dann eine G l i m m e n t l a d u n g , in welcher gemäß (11) eine A u f s p a l t u n g der Wasserstoffmoleküle zu A t o m e n erfolgt. Die Ausbeute beträgt bei geeigneten Vorsichtsmaßregeln bis zu 95°/ 0 der Theorie. Zwar vereinigen sich die Atome nach kurzer Zeit ( x / 3 bis 1 / 2 Sekunde) wieder zu Molekülen; diese Zeit genügt aber, um den atomaren Wasserstoff aus dem Durchladungsgefäß abzusaugen und über die in Reak£nt/3dungsgefäss tion zu bringenden Stoffe zu leiten. Die g r ö ß e r e R e a k t i o n s f ä h i g k e i t des atomaren WasserFig. 24. Darstellung von atomarem Wasserstoff nach W O O D stoffs im Vergleich zum molekularen Wasserstoff zeigt sich ζ. B. darin, daß er sich zum Unterschied vomletzteren bereits b e i Z i m m e r t e m p e r a t u r mit Chlor, Brom, Jod, Sauerstoff, Schwefel, Phosphor, Arsen, Antimon unter Bildung von W a s s e r s t off V e r b i n d u n g e n (HCl, HBr, H J , H a O, H 2 S, PH 3 , AsH 3 , SbH 3 ) vereinigt. Die R ü c k b i l d u n g („Rekombination") von W a s s e r s t o f f m o l e k ü l e n aus Wassers t o f f a t o m e n wird durch verschiedene Stoffe stark b e s c h l e u n i g t . Da hierbei je Mol ( = 2 g) gebildeten molekularen Wasserstoffs die zur Aufspaltung der Moleküle (11) verwendete Energie von 103.6 kcal wieder frei wird, kann man die beschleunigende Wirkung der einzelnen Stoffe in einfacher Weise ζ. B. dadurch messen, daß man die Substanzen auf die Kugel eines Thermometers bringt und dieses in den Wasserstoffstrom einhängt. J e stärker die beschleunigende Wirkung ist, um so höher steigt die Temperatur des Thermometers. Die katalytische Wirkung der M e t a l l e nimmt beispielsweise in der Reihenfolge Platin, Palladium, Wolfram, Eisen, Chrom, Silber, Kupfer, Blei ab. Umgekehrt gibt es auch Stoffe, welche die Rückbildung der Wasserstoffmoleküle h e m m e n . Hierzu gehört ζ. B. die sirupöse P h o s p h o r s ä u r e . Daher pflegt man die Wandungen der Rohre, durch welche der atomare Wasserstoff geleitet wird, mit sirupöser Phosphorsäure auszustreichen. LANGMUiRsches Darstellungsverfahren. Die bei der Rückbildung von Wasserstoffmolekülen aus Wasserstoffatomen freiwerdende R e k o m b i n a t i o n s w ä r m e kann zum S c h w e i ß e n u n d S c h m e l z e n hochschmelzender Metalle oder Metallverbindungen verwandt werden. Man benutzt hierzu zweckmäßig die sogenannte , , L A N G M U i R - F a c k e l " (Fig. 25). I m Prinzip beruht das Verfahren darauf, daß man zwischen W o l f r a m e l e k t r o d e n in einer aus einem Kranz feiner Düsen ausströmenden W a s s e r s t o f f a t m o s p h ä r e einen L i c h t b o g e n erzeugt und durch diesen mittels einer Düse einen scharfen W a s s e r s t o f f s t r a h l bläst. Richtet man den auf solche Weise erzeugten Strom von h e i ß e m , a t o m a r e m W a s s e r s t o f f auf eine einige cm vom Lichtbogen entfernte M e t a l l o b e r f l ä c h e , so erfolgt auf Grund der katalysierten Vereinigung der Atome
Das Wasser und seine Bestandteile
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zu Molekülen und der hierdurch bedingten s e h r s t a r k e n W ä r m e e n t w i c k l u n g eine i n t e n s i v e l o k a l e E r h i t z u n g . Es lassen sich so die höchstschmelzenden Stoffe — ζ. B. W o l f r a m (Smp. 3400°), T a n t a l (Smp. 3030°), T h o r i u m d i o x y d (Smp. 3050°) — zum Schmelzen bringen. T e c h n i s c h wendet man das geschilderte L A N G M U I R V e r f a h r e n zum S c h w e i ß e n (vgl. S. 43) a n ; es besitzt den großen Vorteil, daß der Wasserstoff eine S c h u t z a t m o s p h ä r e bildet, so daß ein o x y d a t i v e r A n g r i f f der Schweißfläche durch den Sauerstoff der Luft a u s g e s c h l o s s e n ist. Die maximale Temperatur der LANGMUIR-Fackel ist um rund 2000° höher als die des K n a l l g a s g e b l ä s e s (S. 43). „Status nascendi". Auch bei der auf S. 37 ff. besprochenen c h e m i s c h e n und e l e k t r o c h e m i s c h e n Darstellung des Wasserstoffs aus Wasser oder Säuren entsteht der Wasserstoff im ersten Augenblick a t o m a r oder doch wenigstens in einem a n g e r e g t e n Z u s t a n d :
Na + H Ö H — > - NaOH + H .
Der höhere Energieinhalt wird aber rasch als Wärme wieder abgegeben. So kommt es, daß der Wasserstoff i m A u g e n b l i c k d e s E n t s t e h e n s („in statu nascendi") v i e l r e a k t i o n s f ä h i g e r als gewöhnlicher Wasserstoff ist. Leitet -ido/framelekfrode m a n z β den in einem Kippschen A p p a r a t aus Zink und Säure entwickelten Wasserstoff (S. 39) in eine angesäuerte, verdünnte violette K a l i u m p e r m a n g a n a t l ö s u n g (KMn0 4 ) oder orangegelbe K a l i u m d i c h r o m a t , -Düsenkranz l ö s u n g (K 2 Cr 2 0 7 ), so beobachtet man k e i n e F a r b H H ä n d e r u n g , da der reaktionsträge molekulare Wasserstoff " "Düse diese sauerstoffreichen gefärbten Stoffe nicht zu anders gefärbten Produkten zu reduzieren vermag. Gibt man aber das Zink d i r e k t zu den beiden sauren Lösungen, so daß sich der Wasserstoff in d i e s e n L ö s u n g e n ~Idol/ramelektrodQ s e l b s t entwickeln und so i n s t a t u n a s c e n d i auf die Fig. 25. gelösten Stoffe einwirken kann, so beobachtet man im Darstellung von atomarem Falle des Kaliumpermanganats bald eine E n t f ä r b u n g , Wasserstoff nach L A N G M U I R im Falle des Kaliumdichromats bald eine G r ü n f ä r b u n g der Lösimg. Die erhöhte Reaktionsfähigkeit von Stoffen im Augenblick des Entstehens ist eine ganz allgemeine Erscheinung. Wie der W a s s e r s t o f f lassen sich auch a n d e r e E l e m e n t e durch Zufuhr von Energie in den atomaren Zustand überführen. Erwähnt seien hier: der S a u e r s t o f f (118.2 kcal + 0 2 -—>- 20), der S t i c k s t o f f (170.3 kcal + N 2 — > - 2 N ) , das C h l o r (57.8 kcal + Cl 2 ·—> 2C1), das B r o m (53.8 kcal + B r 2 — ν 2Br) und das J o d (51.2 kcal -f J 2 •—>- 2J).
V
In neuerer Zeit haben sich im gewöhnlichen Wasserstoff verschiedenartige Wasserstoffmoleküle ( „ l e i c h t e r " und „ s c h w e r e r " Wasserstoff; „ortho"- und „para"-Wasserstoff) nachweisen lassen. Näheres hierüber S. 541ff. und S. 543f.
3. Das Wasser a. Vorkommen Das W a s s e r bedeckt in Form der O z e a n e 3 / 4 der Erdoberfläche. Das übrige Viertel ist von W a s s e r l ä u f en durchzogen und enthält G r u n d w a s s e r . Auch am Aufbau der P f l a n z e n - u n d T i e r w e l t ist das Wasser in bedeutendem Maße beteiligt. So besteht ζ. B. der menschliche Körper zu 60-—70°/0 aus Wasser; manche Gemüse und Früchte, ζ. B. Blumenkohl, Radieschen, Spargel, Spinat, Kopfsalat, Kürbis, enthalten mehr als 90% Wasser. Die A t m o s p h ä r e kann bis zu 4 Vol.- 0 / 0 Wasser in Dampf-
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form aufnehmen und gibt es bei Druck- und Temperaturänderungen in flüssiger („Nebel", „Wolken", „Regen") oder fester Form („Reif", „Schnee", „Hagel") wieder ab. Schließlich enthalten auch zahlreiche M i n e r a l i e n chemisch gebundenes Wasser (,, Kristallwasser").
b. Reinigung Wegen der weiten Verbreitung erübrigt sich eine chemische Darstellung des Wassers. Die Gewinnung r e i n e n Wassers läuft stets auf eine Reinigung natürlich vorkommenden Wassers hinaus. Unter den natürlichen Wässern ist das Regenwasser das relativ r e i n s t e , da es einen natürlichen Destillationsprozeß durchgemacht hat. Es enthält jedoch S t a u b t e i l c h e n und Gase (Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxyd) aus der Luft. Quell- und Flußwasser enthält 0.01 bis 0 . 2 % f e s t e S t o f f e , die zum größten Teil aus Calciumund M a g n e s i u m Verbindungen bestehen. Sind wenig Calcium- und Magnesiumverbindungen vorhanden, so nennt man das Wasser weich, andernfalls h a r t (S. 396). Quellwässer, die g r ö ß e r e Mengen fester oder gasförmiger Stoffe enthalten und bisweilen eine höhere Temperatur als gewöhnliches Wasser besitzen, nennt man Mineralwässer. Ihnen kommt häufig eine besondere Heilwirkung zu. J e nach den gelösten Stoffen unterscheidet man S o l w ä s s e r (mit Kochsalz), B i t t e r w ä s s e r (mit Magnesiumsalzen), S c h w e f e l w ä s s e r (mit Schwefelwasserstoff), S ä u e r l i n g e (mit Kohlensäure), S t a h l wässer (mit Eisensalzen) usw. Das Meerwasser enthält durchschnittlich 2.7°/ 0 Kochsalz und insgesamt ungefähr 3.5°/ 0 Salze. Darunter finden sich— wenn auch teilweise nur in äußerst geringen Mengen — Verbindungen von etwa 30 verschiedenen Elementen. Als T r i n k w a s s e r ist im allgemeinen Q u e l l w a s s e r am besten geeignet. In Ermangelung dessen nimmt man G r u n d w a s s e r oder F l u ß w a s s e r . In letzteren Fällen ist eine mechanische und meist auch chemische R e i n i g u n g (vor allem E n t k e i m u n g ) erforderlich. Diese Reinigung wird aber nicht bis zur völligen Entfernung aller gelösten Stoffe durchgeführt, da völlig reines Wasser fade schmeckt. Der erfrischende Geschmack des Quellwassers rührt von etwas gelöster Kohlensäure und Luft her. I m c h e m i s c h e n L a b o r a t o r i u m wie auch in manchen t e c h n i s c h e n B e t r i e b e n ist die Verwendung von destilliertem Wasser von Wichtigkeit. Dieses wird erzeugt, indem man n a t ü r l i c h e s W a s s e r — gegegebenenfalls unter Zugabe chemischer Mittel — der D e s t i l l a t i o n (S. 7) unterwirft, wobei die gasförmigen Stoffe entweichen und die festen Stoffe im Destilliergefäß zurückbleiben. Schon bei der ersten Destillation wird recht reines Wasser erhalten, das für die meisten Verwendungen ausreicht. Soll das Wasser v o l l k o m m e n rein gewonnen werden, so ist eine m e h r m a l i g e D e s t i l l a t i o n in Apparaturen aus Quarz oder Edelmetallen erforderlich, wobei die mittlere, reinste Fraktion in einer Edelmetall-Vorlage gesondert aufgefangen wird. Ein ausgezeichnetes Merkmal für die Reinheit des Wassers liefert die Messung des e l e k t r i s c h e n L e i t v e r m ö g e n s , das mit zunehmender Reinheit abnimmt. V o l l k o m m e n r e i n e s W a s s e r besitzt bei Zimmertemperatur eine spezifische Leitfähigkeit von nur 4 χ 1 0 - 8 reziproken Ohm („Siemens"). Demgegenüber beträgt ζ. B. das spezifische Leitvermögen des K u p f e r s bei der gleichen Temperatur 6 x 1 0 s reziproke Ohm. I K u b i k m i l l i m e t e r reinstes W a s s e r besitzt also bei Raumtemperatur den gleichen elektrischen Widerstand wie ein K u p f e r d r a h t von 1 mm2 Querschnitt und ( 6 x l 0 5 ) : ( 4 χ 1 0 - 8 ) = 1 . 5 x l 0 l 3 m m = 15 Millionen K i l o m e t e r Länge. Diese Drahtlänge entspricht der 40-fachen Entfernung zwischen Erde und Mond ! Die geringsten Spuren von Salzen oder die Aufnahme von Kohlendioxyd aus der Luft steigern das Leitvermögen des Wassers erheblich. So besitzt ζ. B. das für Leitfähigkeitsmessungen Verwendung findende besonders reine „Leitfähigkeitswasser" schon eine spezifische Leitfähigkeit von 1 x l O - 6 reziproken Ohm, entsprechend dem 25-fachen Wert von völlig reinem Wasser. H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Auf].
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c. Physikalische Eigenschaften α. Aggregatzustände des Wassers Reines Wasser ist bei gewöhnlicher Temperatur eine geruch- und geschmacklose, durchsichtige, in dünner Schicht farblose, in dicker Schicht bläulich schimmernde F l ü s s i g k e i t , welche bei 0° zu E i s erstarrt und bei 100° unter Bildung von W a s s e r d a m p f siedet. Die verschiedenen A g g r e g a t z u s t ä n d e sind dabei hier wie in allen anderen Fällen molekularkinetisch wie folgt zu charakterisieren: Moleküle üben wegen ihres Aufbaus aus elektrisch geladenen Teilchen — vgl. S. 133ff. — aufeinander A n z i e h u n g s k r ä f t e aus. Im gasförmigen, also stark verdünnten Zustande, in welchem die einzelnen Moleküle eine relativ g r o ß e E n t f e r n u n g voneinander aufweisen und sich in dauernder u n g e o r d n e t e r B e w e g u n g befinden (S. 21), treten diese Anziehungskräfte naturgemäß u m so w e n i g e r in Erscheinung, je g r ö ß e r d i e A b s t ä n d e zwischen den Molekülen und die molekularen G e s c h w i n d i g k e i t e n (vgl. S. 23) sind. Da e r s t e r e mit steigender V e r d ü n n u n g , letztere mit steigender T e m p e r a t u r zunehmen, verhält sich ein gegebener g a s f ö r m i g e r S t o f f um so „idealer" (S. 24), j e v e r d ü n n t e r u n d h e i ß e r er ist. V e r k l e i n e r t man die E n t f e r n u n g e n zwischen den Molekülen oder die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasteilchen durch K o m p r i m i e r e n oder durch A b k ü h l e n des Gases, so werden die A n z i e h u n g s k r ä f t e immer w i r k s a m e r . Bei einem bestimmten Druck oder bei einer bestimmten Temperatur v e r l i e r e n schließlich die Moleküle, diesen Kräften folgend, sprunghaft e i n e n T e i l ihrer Energie. Auch jetzt schwirren die Teilchen noch ungeordnet umher; sie können sich aber — abgesehen von einer relativ geringen Anzahl besonders energiereicher Teilchen (s. S. 51) — unter dem Einfluß der gegenseitigen Anziehung nicht mehr wie vorher beliebig weit voneinander entfernen. Aus dem Gas ist eine Flüssigkeit geworden, der man zwar noch jede beliebige äußere Form geben kann, die aber nicht mehr wie das Gas jedes ihr dargebotene Volumen auszufüllen vermag. Die bei der Änderung des Aggrega tzustan des a b g e g e b e n e E n e r g i e wird als ,,Kondensationswärme" frei. Die gleiche Energiemenge muß als „Verdampfungswärme" zugeführt werden, um umgekehrt die Flüssigkeit wieder in Dampf zu verwandeln. Sie beträgt für Wasser 539.1 cal/g = 9.70 kcal/Mol bei 100°. Verringert man die B e w e g u n g s e n e r g i e der Moleküle durch erneute A b k ü h l u n g noch w e i t e r , so nimmt der Energiegehalt bei einer bestimmten Temperatur unter dem Einfluß weiterer Kohäsionskräfte in derselben Weise nochmals s p r u n g h a f t — um den Betrag der „Erstarrungswärme" — ab. Die Flüssigkeit erstarrt zum festen Stoff. Die Moleküle haben ihre freie Beweglichkeit eingebüßt, ihre W ä r m e b e w e g u n g besteht nur noch in einem p e n d e l a r t i g e n , e l a s t i s c h e n S c h w i n g e n um bestimmte Ruhelagen. Die Materie besitzt in diesem Aggregatzustand daher eine b e s t i m m t e G e s t a l t . Die Anordnungsgesetze, denen die einzelnen Teilchen dabei unterliegen, finden ihren wissenschaftlichen Ausdruck in der Angabe des „Kristallsystems" und in der Kennzeichnung des „Kristallgitters" (vgl. S.144, 152, 285 ff.).Beim S c h m e l z e n eines festen Stoffs muß die beim Erstarren freigewordene E r s t a r r u n g s w ä r m e als ,,Schmelzwärme" wieder zugeführt werden. Sie beträgt beim Wasser 79.40 cal/g = 1.43 kcal/Mol bei 0°. Die Abgabe und Aufnahme der Erstarrungs- bzw. Schmelzwärme durch die im Winter unter Wärmeentwicklung gefrierenden und im Frühling unter Wärmeverbrauch wieder auftauenden Wassermassen trägt wesentlich zum Temperaturausgleich unserer Erdoberfläche bei. Beim Übergang vom f l ü s s i g e n in den f e s t e n Zustand d e h n t sich das Wasser zum Unterschied von den meisten anderen Flüssigkeiten a u s . Und zwar beträgt das spezifische Gewicht des Eises bei 0° C 0.9168, das des flüssigen Wassers bei 0° 0.9999g/cm a ,
Das Wasser
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so daß 1 Raumteil flüssiges Wasser beim Erstarren 0.9999:0.9168 = 1.0906 Raumteile Eis ergibt. Diese A u s d e h n u n g d e s W a s s e r s um 1 / u des Volumens (9°/0) beim Gefrieren ist g e o l o g i s c h : insofern von Bedeutung, als im W i n t e r das in die Risse und Spalten von Gesteinen eingedrungene Wasser beim Erstarren die F e l s m a s s e n s p r e n g t und so durch Schaffen neuer Oberflächen die V e r w i t t e r u n g fördert und eine N e u b i l d u n g des für die Vegetation erforderlichen E r d b o d e n s ermöglicht. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nimmt das spezifische Gewicht des flüssigen Wassers — ebenfalls zum Unterschied von fast allen anderen Flüssigkeiten — zunächst bis 4° zu, um erst dann wie bei den meisten sonstigen Flüssigkeiten abzunehmen (0°: 0.9999, 4°: 1.0000, 10°: 0.9997 g/cm 3 ). Auch diese Tatsache ist in der N a t u r von Bedeutung. So kühlt sich das Wasser von Seen bei Frostperioden zunächst nur bis 4° ab, da das 4° kalte, schwerere Wasser nach unten sinkt und dafür das leichtere wärmere Wasser an die Oberfläche kommt. Bei Abkühlung unter 4° bleibt das kältere Wasser auf der Oberfläche und erstarrt dort zu spezifisch leichtem und daher ebenfalls an der Oberfläche bleibendem Eis. Dementsprechend kann die Kälte nur langsam in größere Tiefen vordringen, so daß tiefere Gewässer nie bis zum Grunde gefrieren, was für das Fortbestehen der Lebewesen des Wassers von Bedeutung ist. D a s G e w i c h t e i n e s K u b i k z e n t i m e t e r s W a s s e r v o n 4° w i r d d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s 1 G r a m m (g) b e z e i c h n e t . D i e W ä r m e m e n g e , die e r f o r d e r l i c h i s t , u m 1 g W a s s e r v o n 14.5 auf 15.5° C zu e r w ä r m e n , d i e n t u n t e r d e m N a m e n „ G r a m m k a l o r i e " (cal) — tausendfacher W e r t : „Kalogrammkalorie" (kcal) — d e f i n i t i o n s g e m ä ß a l s W ä r m e - e i n h e i t . Auch die Definition der C e l s i u s t e m p e r a t u r (° C) gründet sich auf das Wasser (s. S. 53). ß. Zustandsdiagramm des Wassers Jede F l ü s s i g k e i t und jeder f e s t e S t o f f hat bei gegebener Temperatur einen ganz bestimmten D a m p f d r u c k . Schließt man z. B. irgendeine Flüssigkeit in ein Gefäß von bestimmtem Volumen ein (Fig. 26), so beobachtet man, daß sich der freie Raum über der Flüssigkeit bis zu einer bestimmten Konzentration mit dem Dampf der Flüssigkeit anfüllt. Ein Teil der durch die Anziehungskräfte innerhalb des Flüssigkeitsvolumens festgehaltenen Moleküle vermag also die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Das kommt daher, daß wie beim Gas (S. 23) so Dampf auch bei der Flüssigkeit nicht a l l e Moleküle die g l e i c h e kinetische Energie besitzen, sondern daß letztere um einen bestimmten M i t t e l w e r t schwankt. Nur den „ h e i ß e r e n " , d. h. besonders e n e r g i e r e i c h e n Molekülen ist der Übertritt in die Dampfphase möglich, da Fig. 26. Dampfdruck einer es nur diesen gelingt, die in der Grenzfläche wirksamen, Flüssigkeit zurücktreibenden Kräfte zu überwinden. Die in den G a s r a u m gelangten Moleküle fliegen nun regellos umher, prallen auf die Grenzflächen des einschließenden Raumes und üben damit auf diese einen D r u c k aus. Sie stoßen dabei natürlich auch auf die F l ü s s i g k e i t s o b e r f l ä c h e zurück und werden von dieser wieder e i n g e f a n g e n . Solange die Zahl der die Flüssigkeitsoberfläche v e r l a s s e n d e n Teilchen g r ö ß e r als die der z u r ü c k k e h r e n d e n ist, findet in summa noch eine V e r d a m p f u n g statt. Sobald aber infolge dieser weiteren Verdampfung die Konzentration der Gasmoleküle so weit gestiegen ist, daß die Zahl der sich kondensierenden und der wieder verdampfenden Moleküle g l e i c h geworden ist, kommt der Verdampfungsvorgang n a c h a u ß e n h i n zum Stillstand. Es herrscht jetzt mit Erreichung des „Sättigungsdampfdrucks" dynamisches Gleichgewicht. 4*
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Dae Wasser und seine Bestandteile
Der S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k einer Flüssigkeit oder eines festen Stoffs ist für eine gegebene Temperatur eine K o n s t a n t e und unabhängig von der Größe der Oberfläche. Ist die Oberfläche doppelt so groß, so werden zwar doppelt so viele Moleküle die Grenzfläche verlassen, aber es werden bei gegebenem Dampfdruck auch doppelt so viele Gasmoleküle zurückkehren, da ja der Druck eines Gases definitionsgemäß die Kraft pro F l ä c h e n e i n h e i t ist (S. 21), die Kraft also, die durch die auf die F l ä c h e n e i n h e i t aufprallende Zahl von Gasteilchen ausgeübt wird.
E r h ö h t man die T e m p e r a t u r der Flüssigkeit und damit die mittlere k i n e t i s c h e E n e r g i e der Flüssigkeitsteilchen, so vermag eine g r ö ß e r e A n z a h l von Molekülen die Flüssigkeitsoberfläche zu verlassen. Damit stellt sich ein n e u e s dynamisches Gleichgewicht mit einem h ö h e r e n Sättigungsdampfdruck ein. Trägt man alle diese Sättigungsdampf drucke in ein K o o r d i n a t e n s y s t e m mit dem Druck als Ordinate und der Temperatur als Abszisse ein, so erhält man demgemäß eine mit zunehmender Temperatur a n s t e i g e n d e K u r v e , wie sie für das Beispiel des Wassers in Kurve A von Fig. 27 dargestellt ist. Längs der Kurve befinden sich F l ü s s i g k e i t u n d D a m p f im G l e i c h g e w i c h t . Bei h ö h e r e n Drucken und n i e d r i g e r e n Temperaturen als den durch die Kurve angezeigten ist nur die F l ü s s i g k e i t , bei n i e d r i g e r e n Drucken und h ö h e r e n Temperaturen nur der D a m p f beständig. Erwärmt man ζ. B. flüssiges Wasser von der Temperatur und dem Druck des Punktes 1 (Fig. 27) bei gleichbleibendem Druck, bewegt man sich also in der Richtung des gestrichelten Pfeiles nach rechts, so beginnt das Wasser bei der Tempera-
0,0090
Temperatur
Fig. 27. Zustandsdiagramm des Wassers (nicht maßstäblich)
ñsterStoff
Fig. 28. Gefrier-( Schmelz-)punkt und Dampfdruck
tur des Schnittpunktes mit K u r v e t zu „ s i e d e n " . W ä h r e n d d i e s e s Ü b e r g a n g s der F l ü s s i g k e i t in den D a m p f z u s t a n d ä n d e r t sich die T e m p e r a t u r n i c h t , da die zugeführte Wärme als V e r d a m p f u n g s w ä r m e verbraucht wird. Erst nach v ö l l i g e r V e r d a m p f u n g ist w e i t e r e E r w ä r m u n g möglich, wobei man sich in Richtung des gestrichelten Pfeiles von der Kurve entfernt. I n gleicher Weise beginnt ein Wasserdampf von der Temperatur und dem Druck des Punktes 2 sich bei Druckvermehrung (Richtung des gestrichelten Pfeiles) zu k o n d e n s i e r e n , sobald die Kurve A erreicht ist. Kurve A trennt somit das Existenzgebiet des f l ü s s i g e n Wassers von dem des W a s s e r d a m p f e s . Diejenige Temperatur, bei welcher der Sättigungsdampfdruck einer Flüssigkeit den Wert von 1 Atmosphäre ( = 760 mm) erreicht, nennt man definitionsgemäß den Siedepunkt der Flüssigkeit (Taupunkt des Dampfes). Er liegt für Wasser bei 100° C. Eine analoge Kurve wie für die Verdampfung einer F l ü s s i g k e i t ergibt sich für die Verdampfung eines f e s t e n S t o f f s . Sie gibt in entsprechender Weise die zusammengehörenden Paare von Druck und Temperatur an, bei denen sich f e s t e r S t o f f und D a m p f miteinander im dynamischen G l e i c h g e w i c h t befinden, und verläuft — wie sich theoretisch auch begründen läßt — stets s t e i l e r als die Dampfdruckkürve der Flüssigkeit (vgl. Kurve Β in Fig. 27). Ein besonders ausgezeichneter Punkt ist der
Dae Wasser
53
S c h n i t t p u n k t der beiden Dampfdruckkurven des f e s t e n und f l ü s s i g e n Stoffs· U n t e r h a l b der Temperatur des Schnittpunktes hat die F l ü s s i g k e i t , o b e r h a l b der f e s t e S t o f f den g r ö ß e r e n D a m p f d r u c k . Bringt man daher z.B. die flüssige und die feste Form des gleichen Stoffs getrennt in ein Gefäß der vorstehenden Form (Fig. 28) und kühlt das Ganze auf eine u n t e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (Fig. 27) gelegene Temperatur t (^)flüss > p{esi) ab, so wird die Flüssigkeit links (Fig. 28) bis zum konstanten! Sättigungsdampfdruck pnnSt. verdampfen und sich rechts — wegen Überschreitung des kleineren Sättigungsdampfdruckes p i e s t — als fester Stoff kondensieren: die F l ü s s i g k e i t e r s t a r r t . Liegt umgekehrt t o b e r h a l b der Temperatur des Kurvenschnittpunktes (/>fliiss < so verdampft rechts fester Stoff und kondensiert sich links zu Flüssigkeit: der f e s t e S t o f f s c h m i l z t . Nur dann, wenn Pnass. = pte&t ist; d. h. b e i der T e m p e r a t u r des S c h n i t t p u n k t e s der beiden Dampfdruckkurven A und B, befinden sich f l ü s s i g e und f e s t e F o r m eines Stoffs miteinander im G l e i c h g e w i c h t . Der Schnittpunkt gibt also den Gefrier- oder Schmelzpunkt einer Substanz unter dem eigenen Dampfdruck an. E r liegt für reines Wasser (Fig. 27) bei + 0.0099° C (Eigendampfdruck 4.58 mm). Der S c h m e l z p u n k t eines Stoffs ist vom ä u ß e r e n D r u c k a b h ä n g i g . Und zwar kann er mit steigendem Druck zu- oder abnehmen (vgl. S. 111). Beim Wasser fällt er für je 1 Atmosphäre Drucksteigerung um 0.0075°. Bei 1 Atmosphäre Druck schmilzt demnach r e i n e s Wasser bei 0.0099 — 0.0075 = 0.0024° C, l u f t g e s ä t t i g t e s Wasser (Gefrierpunkterniedrigung von 0.0024°) bei 0°. In Fig. 27 wird die Druckabhängigkeit des Schmelzpunktes durch Kurve C wiedergegeben. Die drei Kurven Α, Β und C teilen das D r u c k - T e m p e r a t u r - D i a g r a m m des Wassers in d r e i F e l d e r . Innerhalb dieser F e l d e r ist nur je ein Aggregatzustand des Wassers existenzfähig ; längs der K u r v e n dagegen sind je zwei Phasen, beim S c h n i t t p u n k t der drei Kurven (,,Tripelpunkt") alle d r e i Phasen nebeneinander beständig (,,koexistent"). Das ganze Diagramm heißt „Zustandsdiagramm des Wassers" (vgl. S. 184 ff.). D i e T e m p e r a t u r s k a l a von C e l s i u s g r ü n d e t s i c h a u f den S c h m e l z - u n d S i e d e p u n k t reinen, l u f t g e s ä t t i g t e n Wassers. Und zwar dient defin i t i o n s g e m ä ß der S c h m e l z p u n k t u n t e r A t m o s p h ä r e n d r u c k a l s N u l l p u n k t der S k a l a , während der T e m p e r a t u r p u n k t 100° d u r c h den S i e d e p u n k t bei A t m o s p h ä r e n d r u c k d e f i n i e r t i s t . 1° C ist dementsprechend der hundertste Teil dieses Temperaturintervalls. γ. Osmotischer Druck wässeriger Lösungen W a s s e r ist ein L ö s u n g s m i t t e l von sehr allgemeiner Anwendbarkeit, da zahlreiche Stoffe darin mehr oder weniger löslich sind. Die g e l ö s t e n S t o f f e befinden sich dabei in der Lösung in einem dem G a s z u s t a n d ähnlichen Zustand. Löst man ζ. B . Z u c k e r in Wasser auf, so verteilt er sich darin m o l e k u l a r . Die Zuckermoleküle schwirren in der Lösung wie die Moleküle eines Gases regellos umher, so daß sich der g e l ö s t e Stoff wie ein g a s f ö r m i g e r Stoff verhält. Zwar üben die Moleküle des flüssigen und daher spezifisch dichten Lösungsmittels starke Anziehungskräfte auf die gelösten Moleküle aus. I n n e r h a l b der L ö s u n g heben sich diese aber gegenseitig auf, da sie hier — wie in Fig. 29 a an einem solchen Teilchen · gezeigt ist — von allen Seiten her gleichmäßig wirken. Nur an der A u ß e n f l ä c h e der Flüssigkeit, an der die Anziehung (vgl. Fig. 29 a) einseitig nach dem Innern zu erfolgen muß, wirken sich die Kräfte aus (vgl. S. 378f.). Daherkommt es, daß die in einer Lösung g e l ö s t e n M o l e k ü l e k e i n e n dem G a s d r u c k e n t s p r e c h e n d e n D r u c k auf die Wände des einschließenden Gefäßes auszuüben vermögen. D i e s i s t e r s t d a n n der F a l l , wenn das die Lösung enthaltende Gefäß von L ö s u n g s m i t t e l u m g e b e n ist und die Wände
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Das Wasser und seine Bestandteile
des Gefäßes h a l b d u r c h l ä s s i g {„semipermeabel"), d.h. d u r c h l ä s s i g für das Lös u n g s m i t t e l und u n d u r c h l ä s s i g für den gelösten Stoff sind. Denn nur dann wirken — wie inFig.29b an einem gelösten Teilchen gezeigt ist — auch an derWandg r e n z f l ä c h e die Anziehungskräfte wie im Innern der Lösung gleichmäßig von allen Seiten her auf die gelöst en Moleküle, so daß diese — in summa der Anziehung entzogen — wie Gasmoleküle gegen die für sie undurchlässige Wand anprallen und damit einen Druck auf diese ausüben. Ist die halbdurchlässige Membran e l a s t i s c h , so bläht sie sich demnach im Lösungsmittel unter dem Einfluß des Druckes der gelösten Moleküle wie ein mit Gas gefüllter Gummiballon auf. Es ist nach dieser Analogie zwischen dem Druck eines Gases und dem einer Lösung nicht verwunderlich, daß der „osmotische Druck" (Ρ) — wie namentlich quantitative Untersuchungen des holländischen Physikochemikers J A C O B U S H E N R I C U S VAN'T H O F F (1852—1911) zeigten —bei v e r d ü n n t e n {„idealen") Lösungen in derselben Weise von dem Volumen (F), der Zahl gelöster Mole (n) und der absoluten Temperatur (Γ) abhängt wie der Gasdruck (S. 23): P-V = n-R-T
(1)
und daß die K o n s t a n t e R den gleichen Wert wie bei der Zustandsgieichung der Gase (S. 24) besitzt. Gelöste Stoffe üben somit denselben Druck aus, den sie — falls man sie vergasen könnte — bei gleicher T e m p e r a t u r und im gleichen Volumen auch als Gase ausüben würden. Alle an die Gasgleichung geknüpften Polgerungen (S. 24) gelten daher auch für den Lösungszustand. Enthalten also ζ. B. fia/bdurc/i/ässige ü/and 22.41 Wasser 1 Mol eines Stoffs, so beträgt der osmotische Druck bei 0° 1 Atmosphäre.
-Lösung
Fig. 29 a. Wirkung der Anziehungskräfte des Lösungsmittels auf gelöste Teilchen
Fig. 29 b. Zustandekommen des osmotischen Druckes
Das Zustandekommen des osmotischen Druckes kann statt von der Seite des g e l ö s t e n S t o f f e s aus auch von der Seite des L ö s u n g s m i t t e l s her abgeleitet werden. Diese andere Art der Betrachtungsweise läßt die Analogie zwischen Gasdruck ρ und osmotischem Druck Ρ weniger gut erkennen, ermöglicht dafür aber ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen dem osmotischen Druck Ρ und der Dampfdru ckerniedrigung Ap (S. 57) einer Lösung. Auch läßt sie leichter das Verhalten von Lösungen bei Verwendung s t a r r e r halbdurchlässiger Wände verstehen. Infolge ihrer ungeregelten Wärmebewegumg (S. 50) passieren die Moleküle des Lösungsmittels fortwährend die halbdurchlässige Trennungswand von innen nach außen und umgekehrt. Die Zahl der aus dem reinen Lösungsmittel mit einem „Diffusionsdruck" p Diff in die Lösung diffundierenden Moleküle ist dabei größer als die Zahl der in umgekehrter Richtung (Diffusionsdruck ρ' Diff ) wandernden Teilchen, da die in der Lösung vorhandenen, von der semipermeablen Wand zurückgehaltenen Moleküle des gelösten Stoffs A n z i e h u n g s k r ä f t e auf die Lösungsmittelmoleküle ausüben, die deren Entweichen aus der Lösung erschweren, ihr Eindringen erleichtern. n u m e risch gleich Die Differenz beider Diffusionsdrucke (zlp Diff = p D ¡g-—Piiiff)
Das Wasser
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dem osmotischen Druck P 1 und bei gegebener Temperatur und Flüssigkeitsmenge der Molzahl η des gelösten Stoffes proportional 2 : ¿Pma. = •? = * · » . (2) Infolge dieses „Diffusions-Überdruckes" Zlp D ¡ f f dringt, falls die halbdurchlässige Membran starr ist und das Lösungsgefäß ein Steigrohr aufweist, solange Wasser in das Gefäß ein, bis der hydrostatische Druck Vhyäx der Flüssigkeitssäule im Steigrohr den Wert des Differenzbetrags ¿Jp Diff= ?Diff—P'üiff. u n d damit des osmotischen Druckes Ρ erreicht hat (Fig. 30). Nunmehr gilt Phydr. + Ρ Diff. = î'Diff.» 8 0 daß jetzt unter dem Einfluß des um den hydrostatischen Druck p hydr _ vermehrten Diffusionsdruckes p' D i f f - in der Zeiteinheit gleich viele Lösungsmittelmoleküle die halbdurchlässige Wand in beiden Richtungen durchwandern. Die experimentelle Messung des osmotischen Drucks Ρ = /lp D(ff läuft ; hiernach auf eine Messung des hydrostatischen Druckes Ρhydr. = z'iJDiff der Flüssigkeitssäule im Steigrohr hinaus. E i n e zweckmäßige Anordnung für die Messung des osmotischen D r u c k s „PpEFFERSche Zelle" (Fig. 31) dar. Sie besteht aus einem T o n z y l i n d e r , W a n d u n g eine als h a l b d u r c h l ä s s i g e W a n d wirkende s t a r r e M e m b r a n aus c y a n o f e r r a t C u 2 [ F e ( C N ) e ] eingebettet ist. Diese M e m b r a n wird durch F ü l l e n des Tonzylinders m i t Kupfersulfatlösung u n d E i n t a u c h e n des Gefäßes in eine K a l i u m cyanoferratlösung erzeugt, wobei die beiden Lösungen v o n entgegengesetzten Seiten in das W a n d i n n e r e eindringen u n d in d e r Mitte einen Niederschlag von K u p f e r c y a n o f e r r a t bilden: 2 C u S 0 4 + K 4 [ F e ( C N ) e ] Cu 2 [Fe(CN) 6 ] + 2 K 2 S 0 4 . Die Tonzelle ist durch einen S t o p f e n dicht verschlossen, durch den ein Füllansatz u n d ein K a p i l l a r m a n o m e t e r führen. D e r F ü l l ansatz ermöglicht eine luftfreie B e schickung der Zelle m i t der zu untersuchenden Lösung ; das a m einen E n d e verschlossene K a p i l l a r m a n o m e t e r ist m i t Quecksilber gefüllt, welches die Lösung v o n dem Luftpuffer im äußeren Manometerschenkel t r e n n t . W ä h r e n d des Versuchs wird der Quecksilberfaden im M a n o m e t e r durch den osmotischen D r u c k der Lösung so lange gegen das L u f t p o l s t e r vorgeschoFig. 30. ben, bis L u f t d r u c k und osmotischer D r u c k Zustandekommen des osmotischen einander gleich geworden sind.
stellt die in dessen Kupfer-
Druckes
Die h a l b d u r c h l ä s s i g e n W ä n d e und die dadurch bedingten Erscheinungen des o s m o t i s c h e n D r u c k e s spielen im H a u s h a l t d e r b e l e b t e n N a t u r , bei Pflanzen und Tieren, 1 Osmotischer Druck Ρ und Diffusionsdruck z)p Diff beschreiben j a dieselbe Erscheinung des V e r d ü n ñ u n g s b e s t r e b e n s e i n e r L ö s u n g , nur von verschiedenen Standpunkten (dem der gelösten Moleküle und dem der Lösungsmittelmoleküle) aus. Während Ρ den Druck wiedergibt, mit dem sich die gelösten Moleküle bei Verwendung e l a s t i s c h e r halbdurchlässiger Membrane relativ zum „ruhenden" Lösungsmittel von innen nach außen (Fig. 29 b) bewegen (erste Betrachtungsweise ; S. 53 f.), bringt das gleich große - 2CuO; den S t i c k s t o f f bindet man zweckmäßig durch Erhitzen mit M a g n e s i u m oder C a l c i u m : 3Mg + N 2 —>- Mg 3 N 2 . Will man Sauerstoff 1
neos (veos) = neu.
2
kryptos (κρυτττόζ) = verborgen.
3
xenos (ξένος) = fremd.
72
Die Gruppe der Edelgase
und Stickstoff durch das gleiche Reagens beseitigen, so kann man C a l c i u m c a r b i d (CaC2) verwenden, das bei hoher Temperatur mit Sauerstoff unter Bildung von Kalk (CaO) und Kohlenstoff: 2CaC2 + 0 2 —> 2CaO + 4C, mit Stickstoff unter Bildung von „Kalkstickstoff" (S. 377f.): CaC2 + N2 —CaCN 2 + C reagiert. Das auf einem dieser Wege erhaltene Edelgasgemisch wird als „Rohargon" bezeichnet, da es (vgl. S. 71) zu 99.8 Vol.-% aus Argon und nur zu 2 / 1 0 0 0 seines Volumens aus den übrigen Edelgasen besteht. Die technische Gewinnung der Edelgase aus der Luft bedient sich der F r a k t i o n i e r u n g v e r f l ü s s i g t e r L u f t (vgl. S. 32ff.). Entsprechend den Siedepunkten der verschiedenen Bestandteile der Luft : He - 269
Ne — 246
Ν — 196
Ar — 186
0 - 183
Kr - 153
-
X 107°
kann man bei der Rektifikation der flüssigen Luft einen helium- und neonhaltigen Stickstoff, einen argonhaltigen Stickstoff bzw. Sauerstoff und einen krypton- und xenonhaltigen Sauerstoff abtrennen, die als Ausgangsmaterial für die Gewinnung der einzelnen Edelgase dienen können. Helium, Neon. Die leichtflüchtigste Fraktion bei der Luftzerlegung besteht zu etwa 50°/0 aus Neon + Helium und zu 50°/0 aus Stickstoff. Die Trennung der darin enthaltenen E d e l g a s e gelingt in prinzipiell einfacher Weise durch A d s o r p t i o n (S. 290f.) dei Gasgemisches an a k t i v e r Kohle bei tiefen Temperaturen und nachfolgende f r a k t i o n i e r t e Desorption; denn die Adsorbierbarkeit der Edelgase an Aktivkohle nimmt mit steigendem Atomgewicht, also in der Richtung He —>• Ne — >Ar —>- Kr —> X stark zu. Man kann so ζ. B. leicht 99%iges Helium erhalten. Argon. Als eine der Mittelfraktionen bei der Rektifikation der flüssigen Luft läßt sich ein stickstoff- und argonhaltiger S a u e r s t o f f abtrennen, der bei einer weiteren Fraktionierung ein zur Hälfte aus Sauerstoff und zur anderen Hälfte aus Argon und Stickstoff bestehendes Gasgemisch ergibt. Die Entfernung des S t i c k s t o f f s erfolgt durch erneute R e k t i f i k a t i o n ; die Entfernung des S a u e r s t o f f s kann auf chemischem Wege (ζ. B. mit Schwefel oder Wasserstoff) erfolgen. In analoger Weise läßt sich aus dem bei der Lufttrennung anfallenden S t i c k s t o f f das Argon isolieren. Für die Glühlampenindustrie (S. 73f.) wird als Füllgas meist ein Gemisch von 80—90°/0 Argon und 20—10°/0 Stickstoff geliefert. Daneben kommen aber auch technisch reines Argon (bis 99°/0 Ar) und „spektralreines" Argon in den Handel. Krypton, Xenon. Für die Gewinnung von Krypton und Xenon kann im Anschluß an die Sauerstofferzeugung durch ein besonderes Rektifikationsverfahren ein zur Hälfte aus Sauerstoff und zur anderen Hälfte aus Krypton und Xenon bestehendes Produkt gewonnen werden, welches sich in einer F e i n r e i n i g u n g s a n l a g e unter Anwendung chemischer und physikalischer Reinigungsverfahren von Sauerstoff und allen anderen Verunreinigungen befreien läßt. Die Ausbeute beträgt 75—80°/0 der Theorie. Das erhaltene Krypton-Xenon-Gemisch wird als „lampenfertiges" Gas an die Glühlampenindustrie abgegeben. Für die Bedürfnisse der Glühlampenindustrie reichen allerdings die auf diese Weise als N e b e n p r o d u k t gewinnbaren Kryptonund Xenonmengen (einige hundert m3 je Jahr) nicht aus. Zur Gewinnung größerer Mengen Krypton und Xenon bedient man sich zweckmäßig eines von GEORGES C L A U D E beschriebenen Verfahrens, bei dem die beiden Edelgase als H a u p t p r o d u k t gewonnen werden. Es beruht darauf, daß man nicht die Gesamtmenge der Luft, sondern nur etwa Vio davon verflüssigt und mit dieser Flüssigkeit aus den übrigen 9/io der bis nahezu an den Taupunkt abgekühlten Luft die schweren Edelgase und einen kleinen Teil des Sauerstoffs aus was cht. Die so erhaltene Lösung von Krypton und Xenon in flüssiger Luft wird dann wie vorher rektifiziert und gereinigt.
Physikalische Eigenschaften — Anwendung
73
Welch ungeheuren Fortschritt die beiden geschilderten technischen Verfahren der Kryptonund Xenongewinnung darstellen, geht daraus hervor, daß der frühere Krypton- und Xenonpreis — der sich noch im Jahre 1933 auf 25000 Mark je Liter Krypton und 32000 Mark je Liter Xenon stellte — in den letzten Jahren um 4 Zehnerpotenzen auf einige Mark je Liter Gemisch gesunken ist. Hierdurch wurde der Glühlampenindustrie überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, an die Verwendung dieses Edelgasgemisches als Füllgas zu denken.
b. Aus Erdgasen Bei der Gewinnung von H e l i u m aus amerikanischen E r d g a s e n verfährt man so, daß man aus dem Rohgas zunächst durch Druckwaschung mit Wasser und Kalkmilch das Kohlendioxyd entfernt. Das so vorgereinigte Gas wird dann durch stufenweises Komprimieren und Expandieren bis auf —205° heruntergekühlt. Hierbei bleibt das Helium unkondensiert, und man erhält so ein zu 97—98°/ 0 aus Helium und zu 3 — 2 % aus Stickstoff bestehendes Gas.
c. Aus Mineralien Die Darstellung von H e l i u m im Laboratorium erfolgt am besten durch Erhitzen heliumhaltiger Mineralien wie C l e v e i t U 3 0 8 , M o n a z i t CeP0 4 , T h o r i a n i t T h 0 2 auf über 1000° C (vgl. S. 71). 1 k g Cleveit (Monazit; Thorianit) liefert dabei 7—8 (1—2; 8—10) Liter Helium.
4. Physikalische E i g e n s c h a f t e n Die Edelgase sind färb- und geruchlose, einatomige Gase, deren wichtigste physikalische Daten in folgender Tabelle zusammengefaßt sind: Atomgewicht Schmelzpunkt in °C Helium Neon Argon Krypton.... Xenon Radon . . . .
4.003 20.183 39.944 83.7 131.3 222
-
272.1 1 248.6 189.4 157.2 111.8 71
Siedepunkt in °C -
268.98 246.03 185.87 152.9 107.1 65
Kritische Dater Temperatur in °C + +
267.9 228.7 120 62.5 16.6 104.5
Druck in at
Dichte in g/cm3
2.26 26.9 50 54.3 58.2 62.4
0.069 0.4 0.4 0.7 0.9 1.2
5. A n w e n d u n g Die Edelgase, die wegen ihrer chemischen Reaktionsträgheit für den Chemiker zunächst nur theoretisches Interesse zu haben schienen, sind im Laufe der Zeit gerade wegen dieser Eigenschaft zu großer praktischer Bedeutung gelangt. An erster Stelle sei hier erwähnt ihre Verwendung in der Glühlampenindustrie. I m Jahre 1913 fand I r v i n g Langmuir, daß man die Lichtausbeute der Metallfadenlampe steigern kann, wenn man den Faden nicht wie bis dahin im V a k u u m , sondern in einer G a s a t m o s p h ä r e glühen läßt. Denn die Gasatmosphäre wirkt der Verdampfung des Metalldrahts (Wolfram) entgegen, so daß die Temperatur des Drahtes — die in einer gasleeren Lampe etwa 2100° beträgt — bis auf 2400° und höher gesteigert werden kann. Als Füllgas verwendete man zunächst den reaktionsträgen S t i c k s t o f f . Da aber die V e r d a m p f u n g s g e s c h w i n d i g k e i t mit der Geschwindigkeit der thermischen D i f f u s i o n des Metalldampfes in den umgebenden Gasraum wächst und die D i f f u s i o n s g e s c h w i n d i g k e i t ihrerseits mit steigendem M o l e k u l a r g e w i c h t des Füllgases abnimmt, mußte der Ersatz des Stickstoffs (Molekulargewicht 28) durch ein 1
Bei 25 at Druck.
74
Die Gruppe der Edelgase
schwereres Gas große Vorteile bringen. Als solches Füllgas bot sich das in der Luft reichlich vorhandene, reaktionsträge Edelgas A r g o n (Molekular- = Atomgewicht 40), das zudem gegenüber dem Stickstoff den Vorteil g e r i n g e r e r W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t aufweist. Die weitere Entwicklung der Glühlampe geht dahin, das Argon der Glühlampen durch die noch schwereren Edelgase K r y p t o n (Molekular- = Atomgewicht 84) und X e n o n (Molekular- = Atomgewicht 131) zu ersetzen. Denn auf diese Weise läßt sich die Glühdrahttemperatur der Argonlampe (2430°) um weitere etwa 80° (der Schmelzpunkt des Wolframs liegt erst bei 3380°, so daß noch ein genügender Temperaturspielraum vorhanden ist) steigern, was mit einer besseren Ausbeute an weißem und ultraviolettem Licht verknüpft ist. Auch erlaubt die geringere Wärmeleitfähigkeit der schweren Edelgase, mit kleineren Lampenkolben auszukommen. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für die Edelgase stellt die Lichtreklame dar. Das leuchtend rote Licht, das eine mit N e o n gefüllte Glasröhre bei elektrischer Anregung ausstrahlt, legte schon bald nach der Entdeckung des Gases den Gedanken nahe, es in der Beleuchtungstechnik zu verwenden. So kam es zur Einführung der „Neonröhre" in die Beleuchtungstechnik. Das Bedürfnis nach Abwechslung in den Farben und nach Steigerung der Lichtausbeute führte dann zur weiteren Entwicklung dieser Niederdruck-Edelgasröhre. So wird ζ. B . bei Anwesenheit von Quecksilberspuren das Spektrum des Neons fast völlig durch das des Quecksilbers verdrängt, wobei sich aber die Intensitäten der Linien des Quecksilberspektrums so verschieben, daß das bekannte kaltgrünliche Licht der Quecksilberlampe in ein warmes kornblumenblaues Licht („Blaulichtröhre") übergeht. Verwendet man eine Röhre aus braunem Glas, so ergibt sich ein grünes Licht. /
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Elektrische Wellen 7
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Fig. 36. Spektrum der elektromagnetischen Wellen
Unausgenutzt bleibt bei dieser Anordnung das von der Blaulichtröhre ebenfalls ausgesandte u l t r a v i o l e t t e L i c h t . Denn das menschliche Auge vermag bekanntlich aus dem e l e k t r o m a g n e t i s c h e n S p e k t r u m , welches Wellenlängen von Bruchteilen eines billionstel Millimeters bis zu mehreren Kilometern umfaßt, nur einen winzigen Ausschnitt, nämlich Licht der Wellenlänge 4/i0ooo bis 8 / 1 0 0 0 0 mm wahrzunehmen (Fig. 36), einen Ausschnitt, der uns allerdings trotz seiner verschwindenden Spaltbreite die ganze Farbenpracht der Natur vermittelt. Will man auch das von den Blaulichtröhren ausgestrahlte u l t r a v i o l e t t e Licht dem Auge nutzbar machen, so muß man es dementsprechend erst in s i c h t b a r e s Licht umwandeln. Dies geschieht mit Hilfe chemischer „Transformatoren" {„Phosphore", „Luminophore", „Leuchtstoffe"] S. 397, 457 f.) an der Innenwand der Blaulichtröhren (ζ. B . Magnesium- oder Calciumwolframat, Cadmiumborat, Zink-beryllium-silicat). Auf diese Weise läßt sich die Lichtausbeute solcher Röhren auf etwa das Zehnfache steigern. Noch günstiger ist es, die Transformatorzentren in das Glas selbst zu verlegen, so daß sie der unmittelbaren Einwirkung der Entladung entzogen sind; man benötigt dann natürlich ultraviolett durchlässige Gläser. Von den weiteren Verwendungsmöglichkeiten der Edelgase seien noch speziell die des Heliums angeführt. Infolge seiner Nichtbrennbarkeit eignet es sich weit besser als Wasserstoff zur F ü l l u n g v o n L u f t s c h i f f e n . Zwar ist Helium (Atom- = Mole-
Spezifische Wärme chemischer Stoffe
75
kulargewicht 4) doppelt so schwer wie Wasserstoff (Molekulargewicht 2). Da aber der Auftrieb eines Gases in Luft durch die Differenz von Gasgewicht und Gewicht der verdrängten Luft („Molekulargewicht" 29) gegeben ist, wird die Tragfähigkeit des Luftschiff-Füllgases beim Ersatz von Wasserstoff durch Helium nur im Verhältnis (29 — 2) : (29 — 4) = 108: 100, also um weniger als 8°/ 0 herabgesetzt. Allerdings entfällt dieser Gesamtverlust an Tragfähigkeit speziell auf die Nutzlast, so daß er hier prozentual weit mehr ausmacht. Günstig ist noch, daß das im Vergleich zum Wasserstoff größere Molekulargewicht eine geringere Geschwindigkeit der Diffusion durch die Ballonhülle bedingt (S. 40f.). Interessant ist die Verwendung von Helium zur Herstellung einer „ H e l i u m l u f t " . Die Atmung einer solchen, aus 21 V o l . - % Sauerstoff und 79 Vol.-°/ 0 Helium (statt Stickstoff) bestehenden Luft bietet in besonderen Fällen Vorteile gegenüber der Atmung gewöhnlicher Luft. So kann beispielsweise bei Zufuhr von Heliumluft die „ T a u c h e r k r a n k h e i t " beim Auftauchen von Tiefseetauchern vermieden werden; denn Helium ist weniger leicht im Blutstrom löslich als Stickstoff, so daß bei der Druckentlastung die sonst gefährliche L u f t e m b o l i e (Ausscheidung eines die Blutgefäße verstopfenden, aus feinen Gasbläschen bestehenden Schaums) ausbleibt. Ebenso bringt das Atmen der — gegenüber der atmosphärischen Luft nur 1 / 3 so schweren — Heliumluft ζ. B . A s t h m a t i k e r n wesentliche Erleichterung, weil der zum Durchströmen der Lungen mit Heliumluft notwendige Druck nur etwa halb so groß ist wie bei der normalen Luft. Da das Helium im verdünnten Zustande die Zustandsgieichung der idealen Gase (S. 23f.) am besten unter allen Gasen befolgt, findet es weiterhin als F ü l l g a s f ü r G a s t h e r m o m e t e r Verwendung, bei denen aus dem Druck einer auf konstantem Volumen gehaltenen Gasmenge auf die Temperatur geschlossen wird. Auch in der B e l e u c h t u n g s t e c h n i k spielt Helium eine gewisse Rolle, da sein elfenbeinweißes Licht — das durch gelbes Filterglas in ein schönes Goldgelb verwandelt werden kann — eine willkommene Ergänzung der mit anderen Edelgasen erzielbaren Farbenskala darstellt.
6. Spezifische W ä r m e chemischer Stoffe Da die Edelgase keine chemischen Verbindungen bilden, ist bei ihnen eine A t o m g e w i c h t s b e s t i m m u n g auf dem früher (S. 26ff.) geschilderten Wege (Ermittlung der kleinsten in 1 Mol Verbindung enthaltenen Elementmenge) nicht möglich. Hier muß man zu p h y s i k a l i s c h e n Methoden greifen. Eine geeignete derartige Methode ist ζ. B . die Bestimmung der s p e z i f i s c h e n W ä r m e , die sowohl bei gasförmigen wie bei festen Elementen eine Atomgewichtsbestimmung ermöglicht.
a. Gasförmige Stoffe Führt man einem Gas W ä r m e zu, so wird dadurch die B e w e g u n g s e n e r g i e der Gasmoleküle erhöht. Nun kann man dreierlei Möglichkeiten der Bewegung unterscheiden : a) die fortschreitende Bewegung der Moleküle („Translation"), b) die Drehbewegung der Moleküle („Rotation"), c) die Schwingungsbewegung der Atome innerhalb des Moleküls („Oszillation"). Die f o r t s c h r e i t e n d e B e w e g u n g der Moleküle kann nach den 3 Richtungen des Raums hin erfolgen, hat also 3 „Freiheitsgrade". In analoger Weise besitzt auch die D r e h b e w e g u n g eines Moleküls 3 Freiheitsgrade, da sie um die 3 verschiedenen Molekül-Raumachsen erfolgen kann. Die Zahl der Freiheitsgrade der S c h w i n g u n g s b e w e g u D g schließlich steigt mit der Zahl der Atome innerhalb des Moleküls rasch an
76
Die Gruppe der Edelgase
(vgl. S. 309) und ist im einfachsten Falle eines zweiatomigen Moleküls gleich 2 (elastisches Hin- und Herschwingen der Atome gegeneinander, entsprechend einer Speicherung von potentieller und kinetischer Energie). Die kinetische Gastheorie lehrt, daß die der Erwärmung eines idealen Gases um I o bei konstantem Volumen entsprechende Bewegungssteigerung eine Zufuhr von R/2 = 0.993 cal pro Freiheitsgrad und Mol erfordert (s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). J e nach der Zahl der bei der Erwärmung „angeregten" Freiheitsgrade wird daher die zur Erwärmung eines Mols Gas um I o erforderliche Wärmemenge C„ („Molwärme" bei konstantem Volumen) verschiedene Werte annehmen.
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Fig. 37. Rotations-Freiheitsgrade drei-, zwei- und einatomiger Moleküle
Liegt ζ. B. ein d r e i a t o m i g e s , gewinkeltes Molekül (Fig. 37a) vor, so können bei der Erwärmung je 3 Freiheitsgrade der Translation und Rotation angeregt werden (die Freiheitsgrade der Oszillation „erwachen" meist erst bei verhältnismäßig hohen Temperaturen und sollen hier daher außer acht gelassen werden). Dementsprechend beträgt die Molwärme C„ für solche Moleküle theoretisch 6 R/2 = 5.96 cal; gefunden wurden ζ. B. für Wasser (H 2 0) 6.01, für Schwefelwasserstoff (H 2 S) 6.10 cai. Bei einem z w e i a t o m i g e n Molekül (Fig. 37b) kann der Freiheitsgrad der Drehung um die AtomVerbindungsachse des Moleküls bei Zimmertemperatur vernachlässigt werden, da der Radius der Drehbewegung wegen des geringen Durchmessers der Atommasse verschwindend klein im Vergleich zum Radius der Drehbewegung um die beiden anderen Molekül-Raumachsen ist, so daß ein sehr kleines Trägheitsmoment um die Längsachse des Moleküls resultiert und die Auslösung der Rotation um diese Achse dementsprechend hohe Anregungsenergien erfordert und daher nur bei sehr hohen Temperaturen erfolgen kann. Hier bleiben also 3 + 2 = 5 Freiheitsgrade, entsprechend einer Molwärme Cv = 5 R/2 = 4.97 cal. Gefunden wurden ζ. B. für Wasserstoff (H2) 4.91, für Stickstoff (N2) 4.97 cal, was zugleich ein weiterer Beweis (vgl. S. 17 ff.) für den zweiatomigen Aufbau der Moleküle dieser Gase ist. Bei e i n a t o m i g e n Molekülen (Fig. 37c) schließlich kommen bei Zimmertemperatur nur die Freiheitsgrade der Translation in Frage, da die Anregung der Rotation wegen des geringen Durchmessers der Atommasse höhere Energiebeträge erfordert. Hier muß demnach die Molwärme Cv= 3 R/2 = 2.98 cal betragen. Genau diesen Wert findet man nun bei den Edelgasen. Daraus geht hervor, daß die Edelgase einatomig sind, daß also das Molekulargewicht (Gewicht von 22.415 1 Gas bei 0° und 760 mm Druck) gleich dem Atomgewicht ist. Leichter als die Molwärme Gv läßt sich meist das V e r h ä l t n i s GvjCv = γ der Molwärmen bei k o n s t a n t e m D r u c k (Cp) und bei k o n s t a n t e m V o l u m e n (Gv) ermitteln (ζ. B. aus der Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Schallwellen in dem untersuchten Gas; s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Da nun zwischen Cp und Cv bei idealen Gasen die einfache Beziehung Gp = C„ + Β besteht (R = 1.986 cal), gilt
Spezifische Wärme chemischer Stoffe
77
für einatomige Gase: γ = 4.97 : 2.98 = 1.67, für zweiatomige Gase: γ = 6.96 : 4.97 = 1.40, für dreiatomige Gase: γ = 7.95 : 5.96 = 1.33. Bei den Edelgasen ist γ — 1.67, -woraus sich wieder die Einatomigkeit dieser Gase ergibt.
b. Feste Stoffe Regel von DULONG und PETIT. Die einzige Bewegungsmöglichkeit der Atome eines f e s t e n Körpers (S. 50), ζ. B. eines Metalls, besteht in einem e l a s t i s c h e n S c h w i n g e n u m b e s t i m m t e S c h w e r p u n k t s l a g e n des Kristallgitters (S. 144, 152). Da diese Schwingungen nach den 3 Raumrichtungen hin erfolgen können, besitzen sie 3 Freiheitsgrade, wobei j eder Freiheitsgrad doppelt zu zählen ist, da bei der elastischen Schwingung ja sowohl kinetische wie potentielle Energie gespeichert wird. Die zum Erwärmen eines festen Elements um I o bei konstantem Volumen erforderliche Wärmemenge C„ („Atomwärme" bei konstantem Volumen) sollte daher 6 R/2 = 5.96 cal je Grammatom betragen. Dieser Wert erhöht sich auf 6.0 bis 6.5 cal/Grammatom, wenn man nicht die Atomwärme bei k o n s t a n t e m V o l u m e n , sondern die Atomwärme bei k o n s t a n t e m D r u c k (Cp) betrachtet, welche bei festen Stoffen nahezu ausschließlich gemessen wird und um einige Prozente größer als erstere ist. I n der Tat ist nun nach einer von DULONG und PETIT bereits im J a h r e 1818 aufgestellten Regel das Produkt aus spezifischer Wärme1 und Atomgewicht fester Elemente nahezu konstant und im Mittel gleich 6.2 cal: Atomgewicht χ spezifische Wärme « 6 . 2 .
.
-
(1)
„Atomwarme
So beträgt ζ. B. die Atomwärme Cp für Aluminium 5.75, für Calcium 5.90, für Silber 6.02, für Platin 6.23, für Gold 6.23, für Blei 6.40 cai. Da — wie oben schon erwähnt — die Freiheitsgrade der Oszillation verhältnismäßig spät erwachen, liegt bei manchen festen Elementen bei Zimmertemperatur noch keine volle Anregung der inneren Schwingungen vor, so daß sie erst bei höheren Temperaturen den Durchschnittswert von 6.2 cal erreichen. Zu diesen Elementen gehören ζ. B. Kohlenstoff, Bor und Silicium, deren Atome im Atomgitter sehr fest gebunden sind. Die „DULONG-PETiTSche Regel" ermöglicht, wie aus (1) hervorgeht, eine u n g e f ä h r e B e s t i m m u n g d e s A t o m g e w i c h t e s fester Elemente. Die Bestimmung ist naturgemäß n i c h t s e h r g e n a u , da der Wert 6.2 nur einen Durchschnittswert darstellt. Bei Kombination der DuLONG-PETiTschen Regel mit der später zu besprechenden Ä q u i v a l e n t g e w i c h t s b e s t i m m u n g (S. 159) ergeben sich aber genaueste Atomgewichtswerte. Regel von NEUMANN und KOPP. Der Regel von DULONG und PETIT schließt sich die Regel von NEUMANN (1831) und KOPP (1864) an, wonach sich die Molwärme fester Verbindungen additiv aus den Atomwärmen der enthaltenen Elemente zusammensetzt. Dividiert man dementsprechend die Molwärme fester Verbindungen durch die Zahl ihrer Atome je Molekül, so ergibt sich im Mittel wieder die Zahl 6.2. So besitzt z. B. das Kupfersulfid CuS die Molwärme 11.89, entsprechend einer mittleren Atomwärme von 11.89: 2 = 5.95, das Kupfersulfid Cu 2 S die Molwärme 18.74, entsprechend einer mittleren Atomwärme von 18.74: 3 = 6.25. Allerdings kennt man auch viele Ausnahmen von der „NEUMANN-KOPPsehen Regel". 1 Unter spezifischer Wärme versteht man die zum Erwärmen von l g Substanz um 1°C erforderliche Wärmemenge.
Kapitel Vili
Die Gruppe der Halogene Zur Gruppe der H a l o g e n e (7. Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente) gehören die Elemente Fluor (F), Chlor (Cl), Brom (Br), Jod (J) und Astatium (At). Das letztere (Ordnungszahl 85) kommt in der Natur nur in verschwindenden Mengen als unbeständiges radioaktives Zerfallsprodukt 1 des Urans, Actinourans und Thoriums vor (S. 547) und soll erst bei den radioaktiven Stoffen besprochen werden (S. 577f.). Den Namen Halogene ( = S a l z b i l d n e r ) tragen die Elemente, weil ihre Metallverbindungen den Charakter von S a l z e n — von der Art des Kochsalzes (NaCl) — haben. Wir besprechen zuerst die freien Halogene und dann ihre Verbindungen.
1. Freie Halogene a. Das Chlor α. Vorkommen Das Chlor ist ein sehr reaktionsfähiges Element. Daher kommt es in der Natur n i c h t in f r e i e m Z u s t a n d e vor. Dagegen ist es in Form von M e t a l l v e r b i n d u n g e n zu 0.19 Gewichtsprozenten am Aufbau der Erdrinde (einschließlich der Weltmeere) beteiligt (S. 68). Die wichtigsten Vorkommen sind das Steinsalz (Natriumchlorid) NaCl, der Sylvin (Kaliumchlorid) KCl und der Carnallit (Kalium-Magnesium-chlorid) KCl · MgCl2 · 6H 2 0. Physiologisch von Wichtigkeit ist das Vorhandensein von 0.3 bis 0.4°/ 0 Chlorwasserstoff HCl im Magensaft, entsprechend einer rund 1 / 10 -molaren Salzsäurelösung. ß. Darstellung Zur Darstellung des Chlors geht man zweckmäßig von Produkten aus, die in beliebiger Menge zur Verfügimg stehen. Ein solcher Ausgangsstoff ist das oben erwähnte S t e i n - oder K o c h s a l z NaCl. Dieses kann entweder d i r e k t oder nach vorheriger Umwandlung in C h l o r w a s s e r s t o f f (HCl) in Chlor übergeführt werden. I n der Technik wählt man den ersteren, im Laboratorium den letzteren Weg. Aus Chlorwasserstoff (Salzsäure) Läßt man auf Natriumchlorid konzentrierte Schwefelsäure (H 2 S0 4 ) einwirken, so erfolgt ein Austausch der Wasserstoffatome der Schwefelsäure gegen die Natriumatome des Natriumchlorids („doppelte Umsetzung") : H 2 S0 4 + 2NaCl
Na 2 S0 4 + 2HC1.
(1)
Die Reaktion dient zur t e c h n i s c h e n G r o ß d a r s t e l l u n g v o n C h l o r w a s s e r s t o f f bzw. seiner wässerigen Lösung, der S a l z s ä u r e (S. 87f.). Zur Gewinnung von Chlor muß dieser Chlorwasserstoff o x y d i e r t , d. h. von Wasserstoff befreit werden. 1
astatcs (άστατοξ) = unbeständig.
Freie Halogene
79
Ein geeignetes Oxydationsmittel hierfür ist ζ. B . der L u f t s a u e r s t o f f , der bei erhöhter Temperatur den Wasserstoff unter Bildung von Wasser bindet : 4 HCl + Ο , — ^ 2 H 8 0 + 2 C y
(2)
Das Verfahren hat als DEACON-Verfahren (erfunden 1868) früher große technische Bedeutung gehabt; heute wird aber nach diesem Verfahren nur noch ganz vereinzelt Chlor erzeugt. Die Reaktion verläuft unter gewöhnlichen Bedingungen sehr langsam und bedarf zur Beschleunigung eines K a t a l y s a t o r s . Als solcher dient beim DE A CON-Verfahren K u p f e r c h l o r i d (CuCl2). Und zwar wird ein Gemisch von 7 0 % Luft und 30°/ 0 Chlorwasserstoff bei 430° über mit Kupferchloridlösung getränkte Tonkugeln geleitet (vgl. S.436Í.). Rund 70—80°/ 0 des eingeführten Chlorwasserstoffs gehen dabei in Chlor über. Daß die Ausbeute nicht quantitativ ist, ist darauf zurückzuführen, daß die Reaktionsprodukte Wasserdampf und Chlor ihrerseits das Bestreben haben, sich unter R ü c k b i l d u n g der A u s g a n g s s t o f f e Chlorwasserstoff und Sauerstoff umzusetzen. E s stellt sich daher ein „chemisches Gleichgewicht" ein, welches dadurch charakterisiert ist, daß in einer gegebenen Zeit ebensoviel Wasser und Chlor erzeugt werden als Wasser und Chlor wieder reagieren. Wir werden auf derartige chemische Gleichgewichte noch ausführlich zu sprechen kommen (S. 98ff.). Ein anderes geeignetes Oxydationsmittel zur Bildung von Chlor aus Chlorwasserstoff ist der B r a u n s t e i n (Mangandioxyd) M n 0 2 . So gewinnt man im Laboratorium das Chlor gebräuchlicherweise durch gelindes Erhitzen von konzentrierter Salzsäure (oder einem Gemisch von Kochsalz und mäßig konzentrierter Schwefelsäure — vgl. (1) —) mit M n 0 2 : 4HCl + Mn02 >- 2H 2 0 + MnCl2 + Cl2. (3) Die Umsetzung verläuft in zwei Stufen so, daß durch doppelte Umsetzung primär Mangan-tetrachlorid (MnCl4) gebildet wird : 4 HCl + M n 0 2 —> 2H a O + MnCl 4 , welches dann sekundär in Mangan-dichlorid (MnCl2) und Chlor zerfällt : MnCl4 —>- MnCl2 - f Cl2. Wie ein Vergleich der Reaktionsgleichungen (2) und (3) zeigt, entsteht im letzteren Falle aus einer gegebenen Chlorwasserstoffmenge nur halb so viel Chlor als beim DEACON-Vei'fahren (2), da die Hälfte des Chlors an das Mangan (Μη) gebunden bleibt. Die Umsetzung von Chlorwasserstoff und Braunstein hat als WELDON-Verfahren (erfunden 1866) früher eine technische Rolle gespielt. Bei diesem Verfahren wurde das gebildete Manganchlorid durch Oxydation mit Luft unter geeigneten Reaktionsbedingungen immer wieder in Braunstein zurückverwandelt, so daß letzten Endes auch hier der L u f t s a u e r s t o f f das eigentliche Oxydationsmittel war. Die Reaktion(3) ist auch deswegen noch erwähnenswert, weil das Chlor auf diesem Wege von dem deutsch-schwedischen Chemiker C A R L W I L H E L M S C H E E L E ( S . 3 7 ) im Jahre 1774 entdeckt wurde. Von anderen geeigneten Oxydationsmitteln zur Chlorgewinnung aus Salzsäure im Laboratorium seien hier erwähnt: das K a l i u m p e r m a n g a n a t K M n 0 4 (Auftropfen von konzentrierter Salzsäure auf Kaliumpermanganatkristalle; vgl. S. 166) und der C h l o r k a l k CaCl 2 0 (Einwirkung von Salzsäure auf gepreßte Chlorkalkwürfel im Kippschen Apparat; vgl. S. 121). Statt auf c h e m i s c h e m Wege kann der Chlorwasserstoff auch auf e l e k t r o c h e m i s c h e m Wege zerlegt werden. Unterwirft man eine konzentrierte Salzsäure der E l e k t r o l y s e , so bildet sich an der Kathode Wasserstoff, an der Anode Chlor: Energie+ 2 H C l — ^ H2 + Cl2. Über die Vorgänge, die sich dabei im einzelnen abspielen, wird später (S. 89ff.) ausführlicher gesprochen.
Die Gruppe der Halogene
80
Aus N a t r i u m c h l o r i d Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Chlor elektrolysiert man d i r e k t Lösungen von N a t r i u m c h l o r i d , ohne letzteres vorher in Chlorwasserstoff (Salzsäure) umzuwandeln. Der Gesamtvorgang der Elektrolyse wird durch die Gleichung Energie + 2 H jOH + ' 2Na| Cl — ν H2 + 2NaOH + Cl2 wiedergegeben. Außer Chlor entstehen dabei also noch W a s s e r s t o f f (vgl. S. 37) und N a t r o n l a u g e (NaOH). Auf die technischen Ausführungsformen dieser Elektrolyse („Chloralkali-elektrolyse") wird bei der Besprechung der Natronlauge (S. 409ff.) näher eingegangen werden; bezüglich des Reaktionsablaufs der Elektrolyse vgl. S. 171. γ. Physikalische Eigenschaften Chlor ist ein gelbgrünes1, erstickend riechendes, die Schleimhäute stark angreifendes Gas, welches 2 1 / 2 mal so schwer wie Luft ist. Durch Druck kann es leicht verflüssigt werden, da seine kritische Temperatur recht hoch liegt (kritische Temperatur: 143.5°; kritischer Druck: 76.1 at; kritische Dichte: 0.57 g/cm3). Daher gelangt es als flüssiges Chlor (spezifisches Gewicht 1.57 bei —34° C) in Stahlbomben und in Kesselwagen in den Handel. Der Siedepunkt des flüssigen Chlors liegt bei —34.0° C, der Erstarrungspunkt bei —102.4°. In Wasser ist Chlor gut löslich : 1 Raumteil Wasser löst bei 20° und Atmosphärendruck 2.3 Raumteile Chlor. Die Lösimg heißt ,,Chlorwasser" (vgl. S. 119f.). Wegen dieser guten Löslichkeit wird das Chlor bei der Darstellung im Laboratorium zweckmäßig nicht über Wasser, sondern über gesättigter Kochsalzlösung aufgefangen, in der es weniger löslich ist. Noch bequemer ist es, das Gas in einem trockenen Glasgefäß zu sammeln, indem man es auf den Boden des Gefäßes leitet; infolge seiner Schwere bleibt es unten liegen und verdrängt von hier aus allmählich die Luft. δ. Chemische Eigenschaften Das Chlor gehört zu den chemisch r e a k t i o n s f ä h i g s t e n Elementen und verbindet sich — meist schon bei gewöhnlicher Temperatur, noch heftiger bei erhöhter Temperatur — mit f a s t allen anderen Elementen unter starker Wärmeentwicklung. Nur gegen die E d e l g a s e sowie gegen S a u e r s t o f f , S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f verhält es sich indifferent ; auf dem Wege über andere Verbindungen lassen sich aber auch Chlorverbindungen der letzteren drei Elemente gewinnen(S. 124 ff., 227f., 292). Einige Reaktionen mit Metallen und Nichtmetallen seien im folgenden angeführt. Unter den Metallen reagieren die der 1. Hauptgruppe des Periodensystems, die A l k a l i m e t a l l e , am heftigsten mit Chlor. Erwärmt man ζ. B. im Chlorstrom ein Stückchen Natrium, so vereinigen sich die beiden Elemente unter intensiver Licht, erscheinung lebhaft zu Natriumchlorid: 2 Na -f- Cl2 —>- 2 NaCl + 196.6 keal. Fast ebenso heftig wie die Alkalimetalle reagieren die Elemente der 2. Hauptgruppe des Periodensystems, die E r d a l k a l i m e t a l l e ; ζ. B . : Ca + Cl2 — C a C l 2 + 190.6 kcal. Aber auch die Metalle der rechten Hälfte des Periodensystems reagieren noch lebhaft mit Chlor, wenn man sie in feinverteiltem Zustande zur Umsetzung bringt. Schüttet man ζ. B. feingepulvertes Arsen, A n t i m o n oder W i s m u t in ein mit Chlor gefülltes Glasgefäß, so „verbrennen" sie unter Feuererscheinung zu entsprechenden Chloriden ; ζ. B . : Sb + lVaCl2 ·—>- SbCl3 + 91.4 kcal. 1
chloros (χλωρός) = gelbgrün.
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Freie Halogene
In gleicherweise kann man auch edle Metalle wie K u p f e r unter Flammenerscheinung mit Chlor zur Vereinigung bringen, wenn man sie als sehr feine Pulver oder in Form sehr dünner Blättchen (ζ. B. als unechtes — aus Kupfer und Zink bestehendes — Blattgold; S. 434) anwendet: Cu + CI,
y CuCJ, + 53.4 kcal.
Bei allen diesen Reaktionen spielt ein gewisser Feuchtigkeitsgehalt des Chlors eine Rolle (vgl. S. 421). Denn t r o c k e n e s Chlor ist viel r e a k t i o n s t r ä g e r als feuchtes. So verbindet sich z. B. vollkommen trockenes Chlor nicht mit K u p f e r oder Eisen. Daher kann man solches Chlor durch Eisenleitungen fortleiten und im flüssigen Zustande in Stahlbomben (unter einem Druck von etwa 6 Atmosphären) in den Handel bringen. Unter den Reaktionen des Chlors mit Nichtmetallen (z. B. Phosphor, Schwefel, Wasserstoff), die bei Zimmertemperatur im allgemeinen weit weniger heftig verlaufen, ist besonders die Umsetzung mit W a s s e r s t o f f erwähnenswert. Mischt man Chlor und Wasserstoff im Molverhältnis 1 : 1 , so kann man das Gasgemisch bei gewöhnlicher Temperatur und im Dunkeln unverändert aufbewahren, ohne daß eine merkliche Reaktion einsetzt. Im zerstreuten Tageslicht dagegen entsteht allmählich, im S o n n e n l i c h t oder bei B e s t r a h l u n g mit blauem oder kurzwelligerem Licht oder bei lokaler E r h i t z u n g e x p l o s i o n s a r t i g Chlorwasserstoffgas: H 2 + Cl2 —=>- 2HCl + 43.8 kcal.
(4)
Man nennt daher das Chlor-Wasserstoff-Gemisch auch „Chlorknallgas". Da die Wärmeentwicklung nicht so stark ist wie bei der Umsetzung des aus W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f bestehenden Knallgases (vgl. S. 45), ist die Explosion von Chlorknallgas nicht so gewaltig wie die von S a u e r s t o f f k n a l l g a s . Zur explosionsfreien Vereinigung von Chlor und Wasserstoff vgl. S. 88. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung des L i c h t s oder der W ä r m e beruht darauf, daß unter der Einwirkung dieser Energiezufuhr eine Spaltung einzelner Chlormoleküle in die Chlora t o m e erfolgt (vgl. S. 83): 57.8 kcal + Cl2 — > • 2 Cl.
(5)
Die so gebildeten Chloratome reagieren nach den Gleichungen Cl + H 2 HCl + H - 1.0 kcal H + Cl2 HCl + Cl + 44.8 kcal
(6) (7)
unter Wärmeentwicklung und Rückbildung von Chloratomen — die von neuem gemäß (6) in die Reaktion eintreten — weiter („Kettenreaktion"), bis sich die Reaktionsgeschwindigkeit infolge des raschen Temperaturanstiegs zur Explosion steigert. Eine einmal eingeleitete Reaktionskette bricht dann ab, wenn sich beispielsweise zwei Chloratome in Umkehrung der Reaktion (5) zu einem Chlormolekül vereinigen. Dies tritt bei geeigneten Versuchsbedingungen verhältnismäßig selten ein, so daß dann mehrere Millionen Chlorwasseretoffmoleküle gemäß (6) und (7) gebildet werden können, bevor die Kette abreißt. Gleichung (6) und (7) ergeben addiert dia Gesamtgleichung (4).
Das Bestreben des Chlors, sich mit Wasserstoff zu verbinden, ist so groß, daß es auch vielen Wasserstoffverbindungen den Wasserstoff unter Chlorwasserstoffbildung entreißt. Taucht man z. B. einen mit T e r p e n t i n ö l (CioHie) getränkten Papierstreifen in einen mit Chlorgas gefüllten Glaszylinder, so entzündet sich das Terpentinöl unter Entweichen dicker Rußwolken (Kohlenstoff) : CjoHJ, + 8 Cl, — > - 10 C + 16 HCl.
Leitet man Schwefelwasserstoff (HaS) in eine wässerige Lösung von Chlor, so scheidet sich Schwefel aus: H 3 S + C l , — ν 2 HCl +
S.
Auch Wasser kann durch Chlor in entsprechender Weise unter Sauerstoffentwicklung zersetzt werden : h , 0 + Cl, — 2 H C 1 + O. (8) H o l l e m a u - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Anfl.
6
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Die Gruppe der Halogene
Die Reaktion verläuft jedoch nur unter der Einwirkung des S o n n e n l i c h t e s mit genügender Geschwindigkeit (vgl. S. 120). Zur Verhinderung dieser zersetzenden Wirkung des Lichtes bewahrt man Chlorwasser in braunen Flaschen auf. Als „naszierender" Sauerstoff (vgl. S. 48) ist der nach (8) gebildete Sauerstoff besonders reaktionsfähig. Daher besitzt feuchtes Chlor s t a r k o x y d i e r e n d e W i r k u n g , was man zum B l e i c h e n (oxydative Zerstörung von Farbstoffen) und zum D e s i n f i z i e r e n (oxydative Zerstörung von Bakterien) benutzt. Bringt man ζ. B. eine rote Rose oder eine Tulpe in feuchtes Chlorgas, so verschwindet zuerst das empfindliche Blattgrün und dann auch der rote Blütenfarbstoff. Man benutzt diese B l e i c h w i r k u n g des Chlors zum Bleichen von Leinen, Baumwolle, Jute, Papierstoff usw. Allerdings müssen mit Chlor gebleichte Gewebe und Faserstoffe durch „Antichlor" (S.212) von den noch anhaftenden Chlor-Resten befreit werden, um eine nachträgliche Zerstörung durch das aggressive Chlor zu verhüten. Daher wird die Chlorbleiche mehr und mehr durch die Bleiche mit W a s s e r s t o f f p e r o x y d (S. 175 ff.) verdrängt, welche die Faser weniger angreift und zudem schneller und nachhaltiger wirkt. Die d e s i n f i z i e r e n d e W i r k u n g des Chlors wird unter anderem zur Sterilisierung von Trinkwasser und zur Desinfektion des Wassers in öffentlichen Schwimmanstalten benutzt. Auch Abwässer werden zur Beseitigung von Geruchs- und Fäulnisstoffen „gechlort".
b. Photochemische Reaktionen Wie wir auf S. 81 feststellten, wird die bei Zimmertemperatur im Dunkeln unendlich langsam verlaufende Reaktion der Chlorwasserstoffbildung aus den Elementen durch B e s t r a h l u n g mit kurzwelligem Licht bis zur Explosion gesteigert. Im folgenden wollen wir uns etwas näher mit dem Mechanismus solcher „photochemischer Reaktionen" befassen. Wie wir heute wissen, reagiert nicht nur die M a t e r i e , sondern auch die E n e r g i e in Form von Atomen, d. h. kleinsten, nicht weiter teilbaren Teilchen {„Quanten"). Die Atome des L i c h t s ζ. B., welche „Photonen" oder „Lichtquanten" genannt werden (vgl. S. 137ff.), stellen ein E n e r g i e q u a n t u m E dar, das der F r e q u e n z v1 der betreffenden Lichtart proportional ist: E =
h-v.
Der Proportionalitätsfaktor h heißt „PLANCK sches Wirkungsquantum" und hat — wenn E in cal ausgedrückt werden soll — den Wert 1.583 x l O - 3 4 cal · sec. Danach gibt es also „leichte" und „schwere" Lichtatome, je nachdem die Frequenz ν des betrachteten Lichtes klein oder groß ist, während für eine Lichtart von g e g e b e n e r Frequenz alle Atome gleiche Größe besitzen. R o t e s Licht der Wellenlänge 7000 Â ( = Frequenz 4.282 χ IO14 sec -1 ) kann z . B . nur in Energiequanten („Energiepaketchen") der Größe Ä -v = (1.583 X IO-34) X (4.282 χ10 1 4 )=6.778 X 10 - 2 0 cal abgegeben oder aufgenommen werden. Dagegen stellen die Atome von g r ü n e m L i c h t der Wellenlänge 5500 Â ( = Frequenz 5.451 X10 14 sec -1 ) eine um 27°/ 0 größere Energiemenge von je (1.583 Χ 10~34) X (5.451 X10 14 ) = 8.626 X IO - 2 0 cai dar. 6.022 X10 23 „rote"Lichtquanten (,,1 Mol" rotes Licht der Wellenlänge 7000 Â) sind einer Energiemenge von (6.022 X IO23) χ (6.778 χ IO -20 ) = 40810 cal äquivalent, „1 Mol" grünes Licht der Wellenlänge 5500Â entspricht einer Energiemenge von (6.022 χ IO23) Χ (8.626 Χ 10 -20 ) = 51940 cal. I n der nachfolgenden Tabelle sind solche „Lichtäquivalente" für die einzelnen Lichtarten in kcal angegeben: 1 Die Frequenz ν eines einfarbigen („monochromatischen") Lichtes hängt mit dessen Wellenlänge λ durch die Beziehung ν • λ = c (c = Lichtgeschwindigkeit) zusammen. Die Frequenz gibt also die Zahl der Wellenlängen an, die das Licht in 1 Sekunde zurücklegt.
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Wellenlänge (Â) 3500 4000 4500 5000 5500 6000 6500 7000 7500 8000
Licht Farbe Ultraviolett Violett Blau Blaugrün Grün Gelb Orange Rot Dunkelrot Ultrarot
Komplementärfarbe Weiß Gelbgrün Gelb Rot Purpur Blau Blaugrün Blaugrün Blaugrün Weiß
83 Energiewert des Lichtäquivalents (kcal) 81.6
71.4 63.5 57.1 51.9 47.6 44.0 40.8 38.1 35.7
Genau wie sich Atome oder Moleküle der Materie nur in ganzzahligem Verhältnis miteinander umsetzen können („stöchiometrische Gesetze"; S. 12ff.), können auch M a t e r i e u n d E n e r g i e nur in g a n z z a h l i g e m Verhältnis ihrer kleinsten Teilchen miteinander reagieren. Für den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und e l e k t r i s c h e r E n e r g i e werden wir diese Folgerung später noch kennenlernen („FARADAYSche Gesetze" ; S. 91 f.). Für den Fall der Wechselwirkung zwischen M a t e r i e und L i c h t wird sie durch das „photochemische Äquivalenzgesetz" zum Ausdruck gebracht, welches besagt, daβ ι Materie-atom oder -molekül nur mit ι Lichtquant (oder einem ganzzahligen Vieljachen davon) in Reaktion treten kann und umgekehrt. Will man daher ζ. B . die Reaktion Cl2 + 57.8 kcal — 2 C 1 erzwingen, welche die Vorbedingung für den Ablauf der Chlorknallgasreaktion ist (S. 81), so ist zur Spaltung je Mol Chlor 1 Mol Lichtquanten aufzuwenden, wobei die Energie dieser Lichtquanten je Mol den Wert von 57.8 kcal überschreiten muß. Nach der obigen Tabelle ist dies bei b l a u e m (λ = 4500 Â) und k u r z w e l l i g e r e m Licht der Fall, nicht dagegen bei gelbem oder rotem Licht. So kommt es, daß die Chlorknallgasexplosion nur durch blaues oder kurzwelligeres, nicht aber durch gelbes oder rotes Licht ausgelöst wird. Ganz allgemein reichen die Quanten des sichtbaren Lichts, wie aus der Tabelle hervorgeht, für alle chemischen Vorgänge aus, deren molarer Umsatz nicht mehr als 70 kcal erfordert. Voraussetzung für die chemische Wirksamkeit einer bestimmten L i c h t a r t i s t , daß sie vom reaktionsfähigen System auch aufgenommen („absorbiert") wird. Ein f a r b l o s e r , d. h. im sichtbaren Gebiet nicht absorbierender Stoff kann durch sichtbares Licht selbst dann nicht chemisch beeinflußt werden, wenn der Zahlen wert des Lichtäquivalents den für einen molaren Umsatz dieses Stoffes erforderlichen Energiebetrag überschreitet. Ζ. B. sind zur Spaltung von Silberbromid in Silber und Brom — einer Reaktion, die sich bei der Belichtung einer photographischen Platte abspielt — 23.7 kcal erforderlich: 23.7 kcal + AgBr — >- Ag + 7 2 Br.2 · Die Spaltung sollte daher gemäß der oben angeführten Tabelle schon durch ultrarotes Licht bewirkt werden können. Da aber Silberbromid, wie seine gelbe Farbe zeigt, erst im Blauen zu absorbieren beginnt (s. oben), bleibt das langwelligere Licht unwirksam. Will man die photographische Platte auch für anderes als blaues — ζ. B. rotes oder ultrarotes — Licht empfindlich machen, so muß man der Silberbromidschicht Farbstoffe („Sensibilisatoren") zufügen, welche dieses Licht zu absorbieren und dessen Energie auf das Silberbromid zu übertragen vermögen (S. 445). Auch bei Materie-reaktionen — ζ. B. bei Umsetzungen von Gasen — treten zusammenstoßende Moleküle nicht immer dann miteinander in Reaktion, wenn ihre Energie zur Umsetzung ausreicht, sondern nur dann, wenn sie sich zugleich in einem „reaktionsbereiten" Zustand (S. 99f.) befinden. 6*
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Die Gruppe der Halogene
c. Das Fluor Vorkommen. Wie das Chlor kommt auch das Fluor in der Natur n u r in F o r m v o n V e r b i n d u n g e n vor, vor allem als Flußspat CaF 2 , Kryolith Na 3 AlF e und Apatit Ca 5 (P0 4 ) 3 (F,Cl). Darstellung. Zur Darstellung des Fluors kann man wie beim Chlor die Wasserstoffverbindung — hier also den F l u o r w a s s e r s t o f f H F — verwenden. Da Fluor aber wesentlich reaktionsfähiger als Chlor ist und den Wasserstoff fester als alle anderen Elemente bindet, gelingt die Zerlegung des Fluorwasserstoffs nicht wie dort auf chemischem, sondern n u r a u f e l e k t r o c h e m i s c h e m W e g e (vgl. S. 165) : 128.4 kcal + 2 H F — H
2
+
F2.
Als Elektrolyt ist in diesem Falle k e i n e w ä s s e r i g e Fluorwasserstofflösung brauchbar; denn Fluor entzieht selbst dem Wasser sofort den Wasserstoff, so daß man bei der Elektrolyse wässeriger Lösungen kein Fluor, sondern Sauerstoff erhält : F2 + H
2
0 —v2HF +
V202.
Vielmehr muß man w a s s e r f r e i e n , f l ü s s i g e n F l u o r w a s s e r s t o f f verwenden, in welchem man zur Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit (flüssiger Fluorwasserstoff leitet wie Wasser den elektrischen Strom praktisch nicht) K a l i u m f l u o r i d ( K F ) auflöst. Auch w a s s e r f r e i e S c h m e l z e n von Salzen des Typus K F · H F (Smp. 217°) oder K F · 2 H F (Smp. 72°) oder K F · 3 H F (Smp. 66°) lassen sich zur elektrolytischen Zersetzung benutzen. Am bequemsten ist die Verwendung des letztgenannten Salzes, da dieses tiefer Flußspatstopfen als die beiden anderen Salze schmilzt, so daß die Elektrolyse bequem bei 100° durchgeführt werden Fluor kann.
1
Kupferrohr
Zur Fluordarstellung nach diesem Verfahren benutzt man zweckmäßig ein — zugleich als Kathode dienenFÍufísparstúckchen^ des — Gefäß der nebenstehenden Form (Fig. 38) aus Kupfer, Magnesium oder Monelmetall (Legierung aus F/ufíspat-Stárke Brei Kupfer und Nickel), welches die Salzschmelze aufnimmt, in die ein Nickeldraht als Anode eintaucht. HF-3HF-S-:hme!ze Das Elektrolysegefäß trägt oben eine Rinne, in welcher mit einem Brei aus Flußspat und Stärke drei Flußspat-Mche/drahf stückchen eingekittet sind. Auf diesen Flußspatstück/ú/pferrohr (flnode) chen ruht lose ein Deckel aus Kupfer, durch den ein Kupferrohr führt. Das Kupferrohr schützt den Anoden-j a L- Elelrfrolysegefäß r a u m 8 e S e n d a s Eindringen von Wasserstoff und ver-¡> (Katode) hütet so eine — explosionsartig vor sich gehende — -' - ! -I Vereinigung des anodisch gebildeten Fluors und kathood m j disch gebildeten Wasserstoffs. Die Anode ist mit einem i ig. 38. Y luordarstellung durch Flußspatstopfen im Kupferrohr befestigt. Das gebildete öchmelzelektrolyse p l u o r entweicht durch ein Ansatzrohr des Kupferrohrs, der Wasserstoff unter dem Deckelrand hindurch. Alle genannten Gefäß- und Dichtungsmaterialien sind verhältnismäßig beständig gegenüber dem aggressiven Fluor. Decke!
Physikalische Eigenschaften. Das Fluor ist ein in dicker Schicht schwach grünlichgelb gefärbtes Gas von durchdringendem, äußerst angreifendem Geruch. Bei —187.9° verdichtet es sich zu einer hellgelben Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.108, welche bei —223° erstarrt. Chemische Eigenschaften. Fluor ist das r e a k t i o n s f ä h i g s t e aller Elemente. Mit W a s s e r s t o f f verbindet es sich — auch im Dunkeln — schon bei gewöhnlicher Temperatur unter Entzündung oder gar heftiger Explosion. S c h w e f e l und P h o s p h o r setzen sich schon bei der Temperatur der flüssigen Luft lebhaft mit Fluor um. K o h l e n s t o f f , der mit Chlor erst bei der hohen Temperatur des elektrischen Lichtbogens
Freie Halogene
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reagiert, vereinigt sich in feinverteiltem Zustande bereits bei Zimmertemperatur mitFIuor unter Flammenerscheinung. Ebenso entzünden sich ζ. B. die A l k a l i - und E r d a l k a l i m e t a l l e im Fluorstrom bei Raumtemperatur unter Bildung von Fluoriden des Typus MeF bzw. MeF 2 (Me = Metall). Auch sonst reagiert Fluor schon in der Kälte — lebhafter noch in der Wärme — mit allen anderen Elementen außer Sauerstoff und Stickstoff, die nur auf dem Umwege über Verbindungen oder bei elektrischer Anregung mit Fluor zur Umsetzung gebracht werden können (S. 126f., 227f.). Manche Metalle, z . B . K u p f e r oder M a g n e s i u m , werden in der Kälte oder bei wenig erhöhter Temperatur nur oberflächlich angegriffen, da sie sich mit einer Schicht von Fluorid bedecken, welche den weiteren Angriff von Fluor verhindert. Darauf beruht die Möglichkeit, diese Metalle zum Bau von Fluor-Entwicklungsapparaten (s. oben) zu verwenden. Bei stärkerem Erhitzen erfolgt aber auch bei ihnen eine durchgreifende Reaktion. Selbst G o l d und P l a t i n werden bei Rotglut von Fluor stark angegriffen. Wegen der großen Affinität zu Wasserstoff entreißt das Fluor auch allen W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n lebhaft den Wasserstoff. Die Reaktion ist dabei weit heftiger als beim Chlor. So reagieren beispielsweise S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H 2 S) oder A m m o n i a k (NH S ) unter Flammenbildung: 2 N H 3 + 3F 2 — > • N 2 + 6 H F ;
ebenso wird W a s s e r lebhaft zersetzt (S. 84) : H20 + F , — ^ V 2 0 2 + 2HF.
Bei geeigneten Versuchsbedingungen treten bei dieser Reaktion mit Fluor auch Fluorierungsprodukte der an Wasserstoff gebundenen Elemente auf, z. B. N F 3 (S. 227) und OF 2 (S. 126). Die Chemie des Fluors ist in neuerer Zeit namentlich durch den deutschen Chemiker (1871—1939) ausgebaut worden. Der Entdecker des Fluors ist der französische Chemiker H E N R I M O I S S A N (1852—1907). OTTO R U F F
d. Das Brom Vorkommen. W i e Fluor und Chlor kommt auch das Brom in der Natur n i c h t in f r e i e m , sondern nur in g e b u n d e n e m Zustande vor. Und zwar findet es sich gewöhnlich mit Chlor zusammen in Form analoger Verbindungen, wobei es an Menge wesentlich (1: 300) hinter diesem zurücksteht. Entdeckt wurde es im Jahre 1826 von dem französischen Chemiker A N T O I N E JEROME B A L A R D als Bestandteil des Meerwassers. Wegen seines angreifenden Geruchs nannte man es B r o m 1 . Darstellung. Brom ist w e n i g e r r e a k t i o n s f ä h i g als Chlor. Daher kann das Chlor das Brom aus seinen Verbindungen verdrängen. Läßt man ζ. B. Chlor auf eine Lösung von Kaliumbromid einwirken, so wird unter Bildung von Kaliumchlorid Brom in Freiheit gesetzt: 2KBr + Cl2 — 2
KCl + Br 2 .
Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Brom nach diesem Verfahren benutzt man als Ausgangsbromid hauptsächlich das Doppelsalz K B r · MgBr s · 6 H 2 0 (Bromcarnallit), weil sich das Brom in dieser Form in größerer Menge in den Endlaugen {„Mutterlaugen") der KaUumchloridgewinnung (S. 416) vorfindet : MgBr2 + Cl2 — > MgCl¡> + Br2 . Man verfährt dabei so, daß man diese bromhaltigen Endlaugen durch einen mit Zwischenböden versehenen „Abtreibturm" herabrieseln läßt und von unten her einen Chlorstrom entgegenleitet, welcher sich mit der Mutterlauge innig vermischt und das Brom austreibt. Das gewonnene Rohbrom enthält stets ein wenig Chlor, welches aber wegen seiner größeren Flüchtigkeit leicht vom Brom abgetrennt werden kann. 1
bromos (βρώμο;) = Gestank.
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I m übrigen können zur Darstellung des Broms die gleichen Methoden angewendet werden wie beim Chlor. Beispielsweise läßt sich im Laboratorium Brom leicht durch Einwirkung von Schwefelsäure und Braunstein auf Kaliumbromid gewinnen: 4HBr + Mn02 > MnBr2 + 2H 2 0 + Br 2 . Physikalische Eigenschaften. Brom ist neben Quecksilber das einzige bei gewöhnlicher Temperatur f l ü s s i g e Element. Es siedet bei 5 8 . 8 ° , erstarrt bei —7.3° und stellt eine tiefbraune, lebhaft rotbraune Dämpfe entwickelnde, schwere Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 3.119 (20°) dar. Mit fallender Temperatur hellt sich seine Farbe auf (vgl. S. 64), und bei 20° abs. (— 253° C) ist es orange. Eingeatmet rufen seine Dämpfe eine starke Reizung der Schleimhäute und Entzündungserscheinungen hervor. In Wasser ist Brom etwas löslich (3.55 g in 100 g Wasser bei 20°). Die entstehende Lösung {„Bromwasser") verhält sich wie Chlorwasser, zerfällt also im direkten Sonnenlicht unter Bildung von Bromwasserstoffsäure und Sauerstoff: H 2 0 + Br2 — 2 H B r + V 2 0 2 . Chemische Eigenschaften. Die chemischen Eigenschaften des B r o m s sind denen des C h l o r s analog, nur reagiert Brom w e n i g e r e n e r g i s c h . Während z.B. das Chlor sich im Licht bereits bei gewöhnlicher Temperatur mit W a s s e r s t o f f verbindet, ist dies beim Brom nicht der Fall. Immerhin ist sein Verbindungsbestreben noch recht stark. Wirft man ζ. B. A r s e n - oder A n t i m o n p u l v e r auf Brom, so erfolgt wie beim Chlor Vereinigung unter Feuer er scheinung. Ebenso kann Brom wie Chlor verschiedenen W a s s er S t o f f v e r b i n d u n g e n den Wasserstoff entziehen. So benutzt man z . B . die Reaktion von Brom mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zur Bromwasserstoffdarstellung (S. 97, 190): H2S + Br2 2HBr + S. Bemerkenswert ist, daß von den Alkalimetallen das N a t r i u m selbst bei 200° von Brom nur schwach angegriffen wird, während das im Periodensystem darunterstehende K a l i u m mit Brom explosionsartig reagiert. Während also in der rechten Hälfte des Periodensystems die Reaktionsfähigkeit der Hauptgruppen-Elemente in der Richtung von unten nach oben zunimmt (Brom —>- Chlor), ist dies bei den links im Periodensystem stehenden Hauptgruppen-Elementen in der Richtung von oben nach unten (Natrium — K a l i u m ) der Fall.
e. Das Jod "Vorkommen. Die Hauptquelle für die technische Gewinnung von Jod bilden die Mutterlaugen des C h i l e s a l p e t e r s (S.412f.), die das Jod in der Form v o n N a t r i u m j o d a t (NaJ0 3 ) enthalten. Ferner enthält die durch Verbrennen von T a n g (Meeresa l g e n ) gewonnene Asche Jodide, da diese Algen das im Meerwasser — hauptsächlich in organischer Bindung — vorhandene Jod (0.0002°/0) anreichern. I n solcher Asche wurde auch das Jod im Jahre 1 8 1 1 von dem Pariser Salpetersieder B E R N A R D COURTOIS entdeckt. Die elementare Natur des Jods wurde allerdings erst 1 8 1 5 von G A Y - L U S S A C (S. 17) erkannt, der es nach der violetten Farbe seines Dampfes benannte 1 . Darstellung. Aus den Jodiden der A s c h e v o n M e e r e s a l g e n kann das Jod wie das Chlor aus Chloriden durch Elektrolyse oder durch Erhitzen mit Braunstein und Schwefelsäure gewonnen werden. Die Hauptmenge des Jods wird aber heute aus dem N a t r i u m j o d a t d e r C h i l e s a l p e t e r - M u t t e r l a u g e n dargestellt. Zu diesem Zweck wird die dem Natriumjodat (NaJ0 3 ) zugrundeliegende Jodsäure (HJO s ) durch s c h w e f l i g e S ä u r e (H 2 S0 3 ) zu Jodwasserstoff säure (HJ) reduziert: H J 0 3 + 3 H 2 S 0 , — > - HJ + 3H 2 S0 4 . (1) 1 ioeidea (Î ωειδής) = veilchenfarbig.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
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Zur Rückoxydation dieses Jodwasserstoffs zu Jod bedarf es in diesem Falle keines besonderen Oxydationsmittels wie Braunstein oder Chlor, da die in der Lösung vorhandene Jodsäure den Jodwasserstoff zu Jod zu oxydieren vermag : HJO3 + 6 H J — > • 3H 2 0 + 3 J 2 .
(2)
Gibt man daher nur 5 / e der nach Gleichung (1) erforderlichen Menge an schwefliger Säure zu, so daß je Mol gebildeten Jodwasserstoffs 1 / 6 Mol Jodsäure unangegriffen zurückbleibt — wie dies Gleichung (2) verlangt —, so erhält man direkt das gewünschte Jod : 2HJO3 + 5H 2 S0 3 —>• 5HjS0 4 + H 2 0 + J 2 .
Physikalische Eigenschaften. Jod ist bei gewöhnlicher Temperatur fest und bildet grauschwarze, metallglänzende Schuppen vom spezifischen Gewicht 4.942. Es schmilzt bei 113.7° zu einer braunen Flüssigkeit und siedet bei 184.5° unter Bildung eines schön violett gefärbten Dampfes. Trotz des verhältnismäßig hohen Siedepunktes ist Jod schon bei Zimmertemperatur merklich flüchtig; bei Temperaturerhöhung nimmt die Verflüchtigung des Jods stark zu, so daß es — falls man nicht zu schnell erhitzt — zu sublimieren pflegt, bevor es schmilzt. Man benutzt die Sublimation zur Reinigung des Jods. In Wasser löst sich Jod nur in sehr geringen Mengen (1: 5500 bei 100°) und mit schwach bräunlichgelber Farbe („Jodwasser"). Leichtlöslich ist es dagegen mit dunkelbrauner Farbe in wässerigen Lösungen von Kaliumjodid und Jodwasserstoff; dabei bilden sich die Anlagerungsverbindungen Κ J · J 2 und H J · J 2 . Auch in zahlreichen organischen Lösungsmitteln wie Alkohol (10%ige Lösung: „Jodtinktur"), Äther und Aceton löst es sich leicht mit b r a u n e r Farbe. Sauerstoff-freie organische Lösungsmittel wie Schwefelkohlenstoff (CS2), Chloroform (CHC13) und Tetrachlorkohlenstoff (CC14) lösen das Jod mit v i o l e t t e r Farbe. In diesen violetten Lösungen ist das Jod in Form von J2-Molekülen gelöst, während die braunen Lösungen Verbindungen des Jods mit dem Lösungsmittel enthalten. Chemische Eigenschaften. Das J o d ist in seinen chemischen Eigenschaften dem Chlor und B r o m sehr ähnlich, nur reagiert es weit weniger h e f t i g als diese. Direkt und lebhaft verbindet es sich ζ. B. mit den Elementen S c h w e f e l , P h o s p h o r , E i s e n und Quecksilber. Dagegen ist ζ. B. die Tendenz zur Vereinigung mit W a s s e r s t o f f so gering, daß der Jodwasserstoff beim Erwärmen leicht bis zu einem bestimmten Gleichgewicht in Jod und Wasserstoff zerfällt (S. 98). Charakteristisch für Jod ist die beim Zusammenbringen mit S t ä r k e l ö s u n g auftretende i n t e n s i v e B l a u f ä r b u n g . Durch diese „Jodstärke-reaktion" lassen sich geringste Jodmengen nachweisen. Die Färbung, die auf der Bildung einer Adsorptionsverbindung zwischen Jod und Stärke beruht, verschwindet beim Erwärmen und tritt — falls nicht zu lange erwärmt wurde — beim Abkühlen wieder auf.
2. Wasserstoffverbindungen der Halogene a. Chlorwasserstoff α. Darstellung Zur t e c h n i s c h e n Darstellung von Chlorwasserstoff dienen in der Hauptsache zwei Verfahren. Das eine geht von K o c h s a l z , das andere von den E l e m e n t e n Wasserstoff und Chlor aus. Aus Kochsalz. Läßt man auf K o c h s a l z bei erhöhter Temperatur konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e einwirken, so erfolgt in 2 Stufen ein Austausch des Natriums im Natriumchlorid durch den Wasserstoff der Schwefelsäure („Sulfat-Salzsäure-Prozeß") :
88
Die Gruppe der Halogene NaCl + H 2 SOI
>- HCl + N a H S 0 4 (Natriumhydrogensulfat)
NaCl + N a H S 0 4 8-00°> HCl + Na 2 S0 4 2NaCl + H 2 S 0 4
(Natriumsulfat)
^ 2 HCl + Na 2 S0 4 .
(1) (2) (3 )
Beide Stufen können auch e i n z e l n — als „Berliner Salzsäureverfahren" (1) und „Mannheimer Salzsäureverfahren" (2) — zur Chlorwasserstofferzeugung herangezogen werden. Die Hauptmenge des in der T e c h n i k hergestellten Chlorwasserstoffs wird nach diesem Chlorid-Schwefelsäure-Verfahren gewonnen, das zugleich auch die gebräuchlichste L a b o r a t o r i u m s m e t h o d e zur Chlorwasserstoffgewinnung darstellt. Aus den Elementen. Besonders reinen Chlorwasserstoff erhält man durch S y n t h e s e aus den E l e m e n t e n Wasserstoff und Chlor, die ihrerseits neben Alkalilauge bei der Chloralkali-Elektrolyse (S. 80) erhalten werden. H 2 + Cl2 — 2
HCl + 43.8 kcal.
In der Technik benutzt man zu dieser Chlorwasserstoffsynthese einen im Prinzip dem ÜANiELLSchen H a h n (S. 43) entsprechenden, aus zwei ineinander gesteckten Rohren bestehenden Q u a r z b r e n n e r . Durch das innere Rohr strömt das Chlor, durch den Mantelraum der Wasserstoff. Das Chlor brennt dann ganz ruhig im Wasserstoff, ohne daß es zu einer Chlorknallgas-Explosion (S. 81) kommt. ß . Eigenschalten Chlorwasserstoff ist ein farbloses Gas von stechendem Geruch, das sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten läßt (kritische Temperatur: 51.3°). Flüssiger Chlorwasserstoff siedet bei —84.9° und erstarrt bei —114.8°. Bemerkenswert ist die außerordentlich große Löslichkeit des Chlorwasserstoffs in Wasser. 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 507 Raumteile Chlorwasserstoffgas von Atmosphärendruck. Die wässerige Lösung führt den Namen C h l o r w a s s e r s t o f f s ä u r e oder Salzsäure. Sie wird technisch in sehr großem Maßstabe hergestellt. Eine bei 15° an Chlorwasserstoff gesättigte wässerige Lösung ist ,,42.7°/ 0 ig", d. h. sie enthält 42.7 Gewichtsteile Chlorwasserstoff in 100 Gewichtsteilen Lösung; ihr spezifisches Gewicht beträgt 1.21. Verdünntere Salzsäuren haben kleinere spezifische Gewichte. Es besteht dabei ein zufälliger Zusammenhang zwischen Prozentgehalt und spezifischem Gewicht derart, daß die beiden ersten Stellen nach dem Komma des spezifischen Gewichts (d) verdoppelt den Prozentgehalt (°/0) ergeben (°/ 0 = 200 [d—1] ) : spez. Gewicht: Prozentgehalt:
1.06 12
1.12 24
1.16 32
1.19 38 .
Die „konzentrierte Salzsäure" des Handels hat meist das spezifische Gewicht 1.19. Sie raucht stark an feuchter Luft und wird daher auch ,,rauchende Salzsäure" genannt. Ebenso raucht auch das Chlorwasserstoffgas stark an feuchter Luft, indem es mit dem Wasserdampf der Luft Nebel von Salzsäuretröpfchen bildet. Erhitzt man eine k o n z e n t r i e r t e Salzsäurelösung, so gibt sie — während der Siedepunkt steigt — zunächst weit mehr Chlorwasserstoff als Wasserdampf ab, so daß die Lösung an Chlorwasserstoff verarmt. Mit fortschreitender Destillation nimmt der Wasserdampfgehalt des abgegebenen Dampfes zu, bis schließlich bei 110° der Dampf dieselbe Zusammensetzung erreicht wie die — inzwischen verdünnter gewordene — Lösung ( 2 0 % HCl, 8 0 % H 2 0). Von hier ab geht dann ohne Ä n d e r u n g der S i e d e t e m p e r a t u r dieses Gemisch k o n s t a n t e r Z u s a m m e n s e t z u n g (,,azeotropes Gemisch") über. Zu der gleichen Lösung von 2 0 % HCl und 8 0 % H 2 0 gelangt man, wenn man eine v e r d ü n n t e Salzsäure der Destillation unterwirft; in diesem Falle enthält der entstehende Dampf zunächst mehr Wasser als die Lösung.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
89
b. Die Lehre von der elektrolytischen Dissoziation Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n v o n r e i n e m , t r o c k e n e m C h l o r w a s s e r s t o f f sind ganz andere als die seiner w ä s s e r i g e n L ö s u n g . So löst ζ. B. die wässerige Lösung Zink, Eisen und viele andere Metalle unter Entwicklung von Wasserstoff auf (vgl. S. 39) : Zn + 2 HCl —ν ZnCl2 + H 2 und rötet blaues Lackmuspapier, während weder der reine Chlorwasserstoff noch -das reine Wasser diese Reaktionen geben. Gleiches gilt von den p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n . So leitet ζ. B. die wässerige Lösung gut den elektrischen Strom unter Bildung von Chlor am positiven und Wasserstoff am negativen Pol, während reiner Chlorwasserstoff und reines Wasser praktisch Nichtleiter sind. Der Chlorwasserstoff muß sich demnach in der wässerigen Lösung irgendwie verändert haben. α. Qualitative Beziehungen Welcher Art diese Veränderung ist, ergibt sich bei einer Bestimmung des M o l e k u l a r g e w i c h t s des gelösten Chlorwasserstoffs, ζ. B. nach der Gefrierpunktsmethode. Es stellt sich dabei nämlich heraus, daß die Gefrierpunktserniedrigung At der wässerigen Lösung rund doppelt so groß ist, als sie sich gemäß der Gleichung At — E • η (S. 58) aus der Molmenge η des aufgelösten Chlorwasserstoffs — bei Zugrundelegung des Molekulargewichts 36.5 — errechnet. Das bedeutet, daß die Lösung doppelt so viele (2 n) Teilchen enthält, als der aufgelösten Zahl (n) von Chlorwasserstoffmolekülen entspricht. Jedes Chlorwasserstoffmolekül muß sich also in der wässerigen Lösung in zwei Teilchen aufgespalten haben. Diese beiden Teilchen können nach der Formel nur das W a s s e r s t o f f - und das C h l o r a t o m sein. Die e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t der Lösung zeigt andererseits, daß die beiden Teilchen e l e k t r i s c h g e l a d e n sind. Denn es wandern ja bei der elektrischen Stromleitung die Chlorteilchen zur positiv geladenen und die Wasserstoffteilchen zur negativ geladenen Elektrode (vgl. Fig. 39, S. 91), was eine negative Aufladung der Chloratome und eine positive Aufladung der Wasserstoffatome nahelegt. Somit sprechen alle Anzeichen für die Annahme einer Spaltung ungeladener Chlorwasserstoffmoleküle in positiv geladene Wasserstoffteilchen (Symbol: H + oder H") und negativ geladene Chlorteilchen (Symbol: Cl - oder CT): HCl
H+ + Cl"
oder
HCl
H" + Cl'.
Die Spaltung wird „elektrolytische Dissoziation" genannt. Warum sie erst beim Auflösen in Wasser erfolgt, werden wir später (S. 149) erfahren; hier wollen wir uns mit der Vorstellung begnügen, daß sich das Wasser als „Dielektrikum" (Wasser hat eine große Dielektrizitätskonstante) zwischen die geladenen Bestandteile des Chlorwasserstoffmoleküls schiebt und diese dadurch voneinander trennt. Die Erscheinung der elektrolytischen Dissoziation ist nicht auf die Salzsäure beschränkt, sondern a l l g e m e i n e r A r t . Zahlreiche Verbindungen erleiden in wässeriger Lösung eine derartige Spaltung in geladene Teilchen. Es war daher zweckmäßig, für letztere einen besonderen Namen — den Namen „Ionen"1 — einzuführen. Und zwar nennt man die positiv geladenen Teilchen „Kationen", weil sie bei der Elektrolyse zur negativen K a t h o d e wandern, und die negativ geladenen Teilchen „Anionen", weil sie von der positiven A n o d e angezogen werden. Unter den elektrolytisch dissoziierenden chemischen Stoffen — die man auch unter der Bezeichnung „Elektrolyte" zusammenfaßt — lassen sich drei große Gruppen unterscheiden: die „Säuren", die „Basen" und die „Salze". 1
ion (ίων) = wandernd.
90
Die Gruppe der Halogene
Unter Säuren versteht man solche Stoffe, die wie der Chlorwasserstoff i n w ä s s e r i g e r L ö s u n g p o s i t i v g e l a d e n e W a s s e r s t o f f - i o n e n b i l d e n . Beispiele für solche Säuren sind etwa die S a l p e t e r s ä u r e (HN0 3 ), die S c h w e f e l s ä u r e (H 2 S0 4 ) und die P h o s p h o r s ä u r e (H 3 P0 4 ): HNOs H" + N0 3 ' H 2 S 0 4 ^ 1 2 H · + S0 4 " Η 3 Ρ 0 4 ^ Τ > 3 Η · + P0 4 "'. Die bei der Dissoziation auftretenden W a s s e r s t o f f - i o n e n bedingen den s a u r e n G e s c h m a c k der Säuren (daher ihr Name) und färben ein in die Lösung eingetauchtes b l a u e s L a c k m u s p a p i e r („Reagens auf Säuren") rot. Das Gegenstück zu den Säuren bilden die Basen, welche die Eigenschaft haben, umgekehrt r o t e s L a c k m u s p a p i e r („Reagens auf Basen") zu bläuen. Diese Blaufärbung wird durch negativ geladene H y d r o x y l - i o n e n (OH') bedingt, und man definiert dementsprechend Basen als Stoffe, die i n w ä s s e r i g e r L ö s u n g n e g a t i v g e l a d e n e H y d r o x y l - i o n e n b i l d e n . Beispiele hierfür sind d a s N a t r i u m h y d r o x y d NaOH (wässerige Lösung: N a t r o n l a u g e ) , das C a l c i u m h y d r o x y d Ca(OH) 2 (wässerige Lösung: K a l k w a s s e r ) und das A l u m i n i u m h y d r o x y d Al(OH) 3 : NaOH Na· + OH' Ca( OH)2 -^Zt. Ca" + 2 OH' Al(OH)3 A l - + 3 OH'. Die Salze schließlich leiten sich von den Säuren durch Ersatz des W a s s e r s t o f f s durch einen positiven B a s e r e s t und von den Basen durch Ersatz des H y d r o x y l s durch einen negativen S ä u r e r e s t ab und dissoziieren dementsprechend in wässeriger Lösung in B a s e - K a t i o n e n und S ä u r e - A n i o n e n . Als Beispiele seien etwa angef ü h r t : N a t r i u m n i t r a t N a N 0 3 , C a l c i u m n i t r a t Ca(N0 3 ) 2 , A l u m i n i u m n i t r a t A1(N0 3 ) 3 , N a t r i u m s u l f a t Na 2 S0 4 , C a l c i u m s u l f a t CaS0 4 , A l u m i n i u m s u l f a t A12(S04)3, N a t r i u m p h o s p h a t Na 3 P0 4 , C a l c i u m p h o s p h a t Ca 3 (P0 4 ) 2 und A l u m i n i u m p h o s p h a t A1P0 4 : NaN0 3 Na* + N0 3 ' Ca(N03)2 Ca"* + 2N0 3 ' Na2S04 2Na' + S0 4 " CaS04 Ca" + S0 4 ". Die verschiedene stöchiometrische Zusammensetzung der Salze wird dabei durch die Anzahl der positiven und negativen Ladungen der Kationen und Anionen bedingt, da deren Vereinigung ja elektroneutrale Moleküle ergeben muß. J e nach der Zahl der durch Base-Kationen ersetzbaren Wasserstoffatome spricht man von „einhasigen", „zweibasigen", „dreibasigen"1 (oder,,einwertigen",,,zweiwertigen" usw.) Säuren ; Salpetersäure ist danach eine einbasige, Phosphorsäure eine dreibasige Säure. In gleicher Weise unterscheidet man je nach der Zahl der durch Säure-Anionen ersetzbaren Hydroxylgruppen „einsäurige", „zweisäurige", „dreisäurige" (oder ,,einwertige'', „zweiwertige" usw.) Basen. Sind nicht alle Wasserstoffatome einer mehrbasigen Säure durch Base-Kationen bzw. nicht alle Hydroxylgruppen einer mehrsäurigen Base durch Säure-Anionen ersetzt, so spricht man von „sauren" (,,Hydrogen"-, ,,Bi"-) bzw. „basischen" („Hydroxy"-) Salzen; ζ. B. N a H S 0 4 : „saures Natriumsulfat" („Natriumhydrogensulfat", „Natriumbisulfat"), A1(0H)S0 4 : „basisches Aluminiumsulfat" („Aluminiumhydroxysulfat"). — Die Theorie der elektrolytischen Dissoziation („Ionenlehre") wurde von dem schwe· dischen Physikochemiker SVANTE ARRHENIUS ( 1 8 5 9 — 1 9 2 7 ) im Jahre 1 8 8 4 aufgestellt. 1
Meistens sprachlich unrichtig als einbasisch, zweibasisch usw. bezeichnet.
Wasserstoffverbindungen der Halogene
91
Die Annahme einer elektrolytischen Dissoziation stieß anfangs auf vielfachen Widerspruch, da man den Unterschied zwischen A t o m e n und I o n e n nicht genügend beachtete. So wurde beispielsweise der Einwand gemacht, daß in Kaliumjodidlösungen (KJ) — welche farblos und beständig sind — kein freies Kalium und kein freies Jod vorhanden sein könne, weil Kalium Wasser sofort unter Wasserstoffentwicklung zersetzt (S. 37 f.) und Jodlösungen braungelb sind {S. 87). Hierzu ist zu bemerken, daß die Lösung nach der Ionenlehre ja gar keine freien Kaliumund Jod-atome, sondern freie Kalium- und Jod-ionen enthält, die infolge ihrer elektrischen Ladung einen a n d e r e n E n e r g i e - i n h a l t als die Atome besitzen und sich daher auch c h e m i s c h u n d p h y s i k a l i s c h a n d e r s als diese verhalten müssen. Die neuere Theorie des Atombaus hat diese Ansicht vollständig bestätigt, und wir werden später (S. 145) den Unterschied zwischen Atomen und Ionen noch näher kennenlernen.
Die bisherigen Betrachtungen waren mehr q u a l i t a t i v e r Art. I m folgenden wenden wir uns den q u a n t i t a t i v e n Beziehungen zu und betrachten speziell die Größe der elektrischen I o n e n l a d u n g und den D i s s o z i a t i o n s g r a d von Elektrolyten. ß. Quantitative Beziehungen Ionenladung Taucht man in eine wässerige Salzsäurelösung zwei Platinelektroden ein und legt an die Elektroden eine elektrische Spannung an, so wandern (Fig. 39) die Wasserstoffionen zur negativen und die Chlor-ionen zur positiven Elektrode, wo dann eine E n t l a d u n g zu freiem Wasserstoff bzw. Chlor erfolgt. Die a b g e s c h i e d e n e n M e n g e n Wasserstoff und Chlor entsprechen dabei einer von dem englischen Naturforscher M I C H A E L F A R A D A Y (1791—1867) im Jahre 1834 aufgefundenen und unter dem Namen „1· FARADAY sches Gesetz" bekannten Gesetzmäßigkeit : Die Gewichtsmenge eines elektrolytisch gebildeten Stoffs ist der durch den Elektrolyten P st geflossenen Elektrizitätsmenge direkt proportional. negat%f/hfJ"?de ° ' %^e)• 2HC1+ Br2.
Bromwasserstoff ist also ein stärkeres Reduktionsmittel als Chlorwasserstoff, Chlor ein stärkeres Oxydationsmittel als Brom. Die Salze des Bromwasserstoffs (Bromide) sind meist in Wasser löslich. Unlöslich ist vor allem das Silberbromid (AgBr), schwer löslich das Bleibromid (PbBr 2 ). Zur Darstellung der Alkalibromide, der für den Chemiker wichtigsten Bromide, vgl. S. 127.
e. Jodwasserstoff Darstellung. Der Jodwasserstoff ist noch l e i c h t e r o x y d i e r b a r als der Bromwasserstoff. Daher kommt aus den schon beim Bromwasserstoff erörterten Gründen (S. 96) eine Darstellung aus Jodid und konzentrierter Schwefelsäure nicht in Frage. I n Analogie zur Bromwasserstoffgewinnung erfolgt die Jodwasserstoffdarstellung durch Einwirkung von W a s s e r a u f P h o s p h o r j o d i d : P J 3 + 3HÖH •—>• P(OH) 3 + 3 H J
(1)
oder durch Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in eine wässerige Jod-Aufschlämm U n g :
J2+H2S—^2HJ+S.
(2)
Wie im Falle der Bromwasserstoffdarstellung ist es auch im Falle (1) nicht erforderlich, das Phosphorhalogenid als solches zu verwenden. Vielmehr genügt es, von den Elementen Phosphor und Jod auszugehen, indem man entweder ein breiiges Gemenge von rotem Phosphor und Wasser zu mit Wasser befeuchtetem Jod oder eine Lösung von Jod in Jodwasserstoffsäure zu rotem Phosphor tropfen läßt. Holleman-Wiberg,
Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
7
98
Die Gruppe der Halogene
Zur Darstellung a u s d e n E l e m e n t e n leitet man (vgl. Bromwasserstoff) Wasserstoffgas und Joddampf über erhitzten P l a t i n s c h w a m m als Katalysator: Hj + J 2 Dampf
2H J + 2.6 kcal.
Es ist dies auch hier die beste Methode zur R e i n d a r s t e l l u n g des Halogenwasserstoffs. Physikalische Eigenschaften. Jodwasserstoff ist ein farbloses, stechend riechendes, an der Luft rauchendes Gas. Der Siedepunkt des flüssigen Jodwasserstoffs liegt bei —35.4°, der Schmelzpunkt des festen Jodwasserstoffs bei —50.7°. In Wasser ist Jodwasserstoff außerordentlich löslich : 1 Raumteil Wasser nimmt bei 10° 425 Raumteile Jodwasserstoffgas von Atmosphärendruck auf. Chemische Eigenschaften. Als Gas und in wässeriger Lösung („Jodwasserstoffsäure") ist der Jodwasserstoff bei A u s s c h l u ß v o n L u f t s a u e r s t o f f und bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r vollkommen beständig. Bei Einwirkung von S a u e r s t o f f erfolgt dagegen langsame Oxydation zu J o d : 2HJ + V 2 0 2 — H 2 0 + J 2 . Daher färben sich Jodwasserstofflösungen, namentlich konzentrierte, an der L u f t bald braun. L i c h t beschleunigt diese Jodbildung. I n analoger Weise wird Jodwasserstoff durch B r o m oder C h l o r sowie durch viele a n d e r e Oxydationsmittel in J o d übergeführt : 2HJ + Br, >- 2HBr + J 2 . E r ist mit anderen Worten ein stärkeres Reduktionsmittel als Chlor- und Bromwasserstoff. Die wässerige Jodwasserstoff säure hat ganz den Charakter einer S ä u r e und entwickelt dementsprechend mit vielen Metallen Wasserstoff unter gleichzeitiger Bildung von Jodiden: ^ Me + 2HJ + Zur Darstellung der Alkalijodide, der für den Chemiker wichtigsten Jodide, vgl. S. 127. Charakteristisch im Vergleich zum Brom- und Chlorwasserstoff ist die beim E r wärmen leicht erfolgende S p a l t u n g des Jodwasserstoffs in J o d und W a s s e r s t o f f . Sie soll uns Gelegenheit geben, im folgenden etwas näher auf den Begriff des c h e m i s c h e n G l e i c h g e w i c h t s einzugehen.
3. Das chemische Gleichgewicht Erwärmt man Jodwasserstoff in einem geschlossenen Gefäß auf höhere Temperaturen, so beginnt er sich wenig oberhalb 180° in Wasserstoff und J o d zu zersetzen: 2.5 kcal + 2 H J ^ ± l H 2 + J 2 D a m p f , wie an dem Auftreten violetter Joddämpfe zu erkennen ist. Mit steigender Temperatur nimmt das Ausmaß dieser Zersetzimg zu. Kühlt man umgekehrt das Gas von hohen Temperaturen ausgehend langsam ab, so vereinigen sich J o d und Wasserstoff wieder rückwärts zu Jodwasserstoff. Dabei macht man die interessante experimentelle Beobachtung, daß jeder Temperatur ein g a n z b e s t i m m t e r Z e r s e t z u n g s g r a d entspricht. So sind beispielsweise bei 300° stets 19%, bei 1000° stets 3 3 % des Jodwasserstoffs zerfallen, gleichgültig ob man diese Temperaturen von niedrigeren oder höheren Temperaturen ausgehend einstellt oder ob man von Jodwasserstoff oder einem äquimolekularen Gemisch von J o d und Wasserstoff ausgeht. Wir beobachten also auch hier wie früher schon im Falle des DEACON-Prozesses (S. 79), daß derartige Umsetzungen zu einem ,,chemischen Gleichgewicht" führen. Zur Ableitung des dabei gültigen Gesetzes (,,Massenwirkungsgesetz' ' ) gehen wir zweckmäßig vom Begriff der R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t aus.
Dae chemische Gleichgewicht
99
a. Die Reaktionsgeschwindigkeit α. Die „Hin"-Reaktion I n einem geschlossenen Gefäß möge sich bei gegebener Temperatur zwischen den beiden g a s f ö r m i g e n oder g e l ö s t e n Stoffen AB und CD eine im Sinne der Gleichung AB+CD—>AD+BO (1) e i n s e i t i g von links nach rechts verlaufende Reaktion mit der Geschwindigkeit · = ~~ dt Da die beiden betrachteten Substanzen AB und CD gasförmig oder gelöst sein sollen, fliegen ihre Moleküle im Reaktionsraum f r e i u n d r e g e l l o s umher (Fig. 40). Damit eine Wechselwirkung zwischen beiden Stoffen erfolgen kann, muß je ein Molekül AB mit einem Molekül CD zusammenstoßen. Die R e a k t i o n s g e ImmÌÌcd s c h w i n d i g k e i t wird also der Z a h l d e r Z u s a m m e n s t ö ß e je Sekunde (z) proportional sein (ro = k • z). Da ^;. TT , . , ., . 1 , , , ;. Homogener Reaktionsraum letztere ihrerseits mit der K o n z e n t r a t i o n sowohl von AB als auch von CD wächst (z = k' · Cab · ccd), ergibt sich insgesamt die einfache Beziehung = cab • cci> (3) wonach die Geschwindigkeit einer einseitig verlaufenden chemischen Umsetzung den Konzentrationen der Reaktionsteünehmer proportional ist. Die darin vorkommende Konstante £ _ ( = £ · k') bezeichnet man aus naheliegenden Gründen als ,,Geschwindigkeitskonstante" der Reaktion. Sie stellt die Geschwindigkeit der Reaktion bei den E i n h e i t e n d e r K o n z e n t r a t i o n der reagierenden Stoffe dar (für Cab = ccd — 1 wird ja
^Phase 2 '
so führt diese Verteilung wie bei einer chemischen Reaktion zu einem G l e i c h g e w i c h t , welches durch die Beziehung * Phase 1 CA
=
Κ
(Π)
Phase 2
charakterisiert ist. Denn die Geschwindigkeit des Übergangs von A aus Phase 1 in Phase 2 ist proportional der Konzentration von A in Phase 1 : φ = · c^ Phase t , und die Geschwindigkeit des rückläufigen Vorgangs ist proportional der Konzentration von A in Phase 2 : = • c^ Fhase 2 ; entsprechend diesen verschiedenen Geschwindigkeiten ändern sich die beiden Konzentrationen und „ so χΠα96 X J. näS6 ¿ lange, bis = geworden ist, was zur Gleichung (11) führtDie Beziehung (11) wird „NERNsTsches Verteilungsgesetz" genannt und besagt, daß das Verhältnis der Konzentrationen eines sich zwischen zwei Phasen verteilenden Stoffs im Gleichgewichtszustande bei gegebener Temperatur konstant ist. Die Konstante heißt „Verteilungskoeffizient" und hat bei gegebenen Phasen für jeden Stoff einen charakteristischenWert. Voraussetzung für die Gültigkeit des Gesetzes ist, daß der Stoff in beiden Phasen d e n s e l b e n M o l e k u l a r z u s t a n d aufweist. Ist e i n e der beiden Phasen eine G a s p h a s e , so kann man bei gegebener Temperatur die Konzentration des betreffenden Stoffs in der Gasphase auch durch seinen D r u c k ersetzen (c = p/RT). Gleichung (11) geht dann über in die spezielle Form •^Gas '
4
Lösung
j·ζ!
~
_
^Gae
'
(12)
In Worten: Die Löslichkeit eines Gases ist bei gegebener Temperatur proportional seinem Druck („Henry-D altonsches Gesetz"). Der Proportionalitätsfaktor K ' wird in diesem speziellen Fall „Löslichkeitskoeffizient" genannt. Erhöht man also den D r u c k eines Gases — ζ. B . von Kohlendioxyd — aufs v i e r f a c h e , so steigt auch seine L ö s l i c h k e i t — ζ. B . in Wasser — aufs v i e r f a c h e . Das H e n r y - D a l t o n s e h e Gesetz kann auch wie folgt formuliert werden: Das von einer bestimmten Flüssigkeitsmenge gelöste Volumen eines Gases ist bei gegebener Temperatur unabhängig von dessen Druck. Denn die in einem bestimmten Gasvolumen (ν = konstant) enthaltene Molmenge η eines Gases ist gemäß dem Gasgesetz ρ • ν = η · R · Τ genau wie die gelöste Molmenge cA (12) bei gegebener Temperatur ( Τ = konstant) dem Druck ρ proportional.
Das chemische Gleichgewicht
105
Die elektrolytische Dissoziation Allgemeines Das Massenwirkungsgesetz kann denen I o n e n beteiligt sind, solange A n z i e h u n g s k r ä f t e zwischen den l ä s s i g t werden können. So gilt ζ. B .
auch auf Reaktionen angewendet werden, an die Ionenkonzentrationen so klein sind, daß die entgegengesetzt geladenen Teilchen v e r n a c h für elektrolytische Dissoziationen des Typus B+ + A-
BA
(B+ = Kation; A~ — Anion) die Gleichgewichtsbeziehung C„ . ·
C,
"BA
KC.
(13)
Die Gleichgewichtskonstante Ke heißt in diesem Falle „Dissoziationskonstante". Der Zahlenwert der Dissoziationskonstanten ist ein Maß für die Stärke eines Elektrolyten. Säuren (Basen) mit einer Dissoziationskonstanten Κ < IO - 4 nennt man „schwache", solche mit einer Dissoziationskonstanten Κ > IO - 4 „mittelstarke" Säuren (Basen), während unter „starken" Elektrolyten solche verstanden werden, die praktisch vollkommen dissoziiert sind. Statt durch die Dissoziationskonstante Κ kann man die Stärke von Elektrolyten auch durch den „Dissoziationsgrad" α (S. 92f.) ausdrücken. Schwache Säuren (Basen) sind dann solche, die in 1-molarer Lösung (cba = 1) zu weniger als 1 % (oc < 0.01), mittelstarke solche, die in 1-molarer Lösung zu mehr als 1 % ( Ä > 0.01) und starke solche, die praktisch 100°/oig (oc = 1) dissoziiert sind. Dissoziationsgrad α und Dissoziationskonstante Κ hängen bei einem in zwei Ionen zerfallenden („binären") Elektrolyten durch die Gleichung
= Κ •ν 1 — oc
(14)
(„OsTWAliDSchee Verdünn ungsgesetz") zusammen, worin ν das Volumen in Litern darstellt, in dem 1 Mol des Elektrolyten gelöst ist. Denn wenn von 1 Mol des Elektrolyten BA der Definition von « entsprechend oc Mole (oc < 1) in Kation und Anion zerfallen sind, so hat die Konzentration ( = Mole/Liter) cBA den Wert * ** und die Konzentration cB+ = cA- den Wert > was beim Einsetzen in Gleichung (13) die obige Beziehung (14) ergibt.
Bei s c h w a c h e n Elektrolyten kann das MassenWirkungsgesetz auf konzentriertere als 0.1-molare, bei m i t t e l s t a r k e n und s t a r k e n Elektrolyten schon auf konzentriertere als 0.01- bis 0.001-molare Lösungen nicht mehr angewandt werden, da in diesen Fällen die Ionenkonzentrationen schon solche Werte erreichen, daß infolge der gegenseitigen Anziehung der Ionen die bei der kinetischen Ableitung des Massenwirkungsgesetzes gemachte Voraussetzung einer u n g e s t ö r t e n r e g e l l o s e n Bewegung der Moleküle (S. 99) n i c h t mehr z u t r i f f t . Die Anziehungskräfte der Ionen wirken sich nach außen hin so aus, als wäre die Konzentration der Ionen ger i n g e r , als sie es in Wirklichkeit ist. Will man daher auch bei stärkeren Elektrolyten oder in konzentrierteren Lösungen schwacher Elektrolyte das Massenwirkungsgesetz anwenden, so muß man die tatsächlich vorhandene Ionenkonzentration nach dem
Vorschlag des a m e r i k a n i s c h e n P h y s i k o c h e m i k e r s GILBERT NEWTON LEWIS ( 1 8 7 5 — 1 9 4 6 )
mit K o r r e k t i o n s f a k t o r e n („Aktivitätskoeffizienten") /„ multiplizieren, welche kleiner als 1 sind und die wahre Ionenkonzentration cwahr = c in die n a c h außen hin w i r k s a m e (ζ. B. potentiometrisch gemessene, S.169) Ionenkonzentration („Aktivität") ^gemessen = a verwandeln: c -Sa = a.
106
Die Gruppe der Halogene
An die Stelle der Massenwirkungsgleichung (13) tritt damit die Beziehung: a
B+ • aABA
„
= Aa
Die Aktivitätskoeffizienten /„ werden bei gegebener Temperatur mit zunehmender K o n z e n t r a t i o n und Ladung der in der Lösung befindlichen Ionen kleiner und lassen sich nach einer von den Physikern P . D E B Y E und E . H Ü C K E L stammenden Theorie errechnen. In einer 0.01-molaren Bariumchloridlösung (BaCl a qr±:Ba"+2C1') hat beispielsweise den Wert 0.50 und /Ç1' den Wert 0.86. Vergrößert man die Ionenkonzentration in der Lösung durch Zugabe von 0.1 Mol Kaliumchlorid, so fallen die Aktivitätskoeffizienten auf die Werte ff d" = 0.10 und ßr — 0.79. In letzterer Lösung darf also die Konzentration der Barium-ionen nicht mit dem wahren Wert c Ra ·· = 0.01, sondern nur mit dem korrigierten Wert « Ba ·· = 0.01 X 0.1 = 0.001 in die Massenwirkungsgleichung eingesetzt werden. Mit abnehmender Ionenkonzentration werden die Aktivitätskoeffizienten größer, um bei der Konzentration 0 den Grenzwert 1 zu erreichen. Bei genügend verdünnten Lösungen weichen daher die Aktivit ä t e n a so wenig von den analytischen K o n z e n t r a t i o n e n c ab, daß man ohne große Ungenauigkeit letztere an Stelle der ersteren in die Massenwirkungsgleichung einsetzen kann. Der Einfluß der Ionenanziehung macht sich auch bei anderen Erscheinungen, ζ. B. beim o s m o t i s c h e n D r u c k (S.53ff.,92f.) und bei der e l e k t r i s c h e n L e i t f ä h i g k e i t (S. 93) störend bemerkbar. Auch hier wirkt er sich so aus, daß die Ionenkonzentrationen g e r i n g e r erscheinen, als sie es in Wirklichkeit sind. Daher fallen die experimentell ermittelten osmotischen Drucke Ρ (bzw. die damit proportionalen Gefrierpunktserniedrigungen und Siedepunktserhöhungen Δ t) und die molekularen Leitfähigkeiten Λ von Lösungen mittelstarker und starker Elektrolyte kleiner aus, als sie nach den wahren Ionenkonzentrationen zu erwarten wären. Will man daher von den g e m e s s e n e n osmotischen Drucken und Leitfähigkeiten auf die w i r k l i c h v o r h a n d e n e n Ionenkonzentrationen und damit auf den w a h r e n — nicht nur den „ s c h e i n b a r e n " — Dissoziationsgrad « rückschließen (vgl. S. 93), so muß man auch hier mit Hilfe von K o r r e k t i o n s f a k t o r e n („osmotischen Koeffizienten" f0 und „Leitfähigkeitskoeffizienten" f¡) den Einfluß der Ionenanziehung kompensieren: •^gemessen
' ^wahr
^gemessen
fl ' ^wahr
( P w a h r und y l w a h r = osmotische Drucke bzw. elektrische Leitfähigkeiten, die zu beobachten wären, wenn sich die Ionen wie neutrale Moleküle verhielten). Die Koeffizienten /„, f0 und f¡ sind im allgemeinen untereinander nicht gleich, da sich die Ionenanziehung beim Massenwirkungsgesetz, beim osmotischen Druck und bei der elektrischen Leitfähigkeit naturgemäß verschieden auswirkt. Mit s t e i g e n d e r V e r d ü n n u n g streben sie alle dem G r e n z w e r t 1 zu.
Dissoziation schwacher E l e k t r o l y t e Die Anwendung des MassenWirkungsgesetzes auf schwache E l e k t r o l y t e führt zu einer Reihe von Polgerungen, die für die Praxis des Laboratoriums vielfach von Wichtigkeit sind. Dies sei im folgenden an einigen Beispielen der Dissoziation schwacher Säuren gezeigt. Für die Dissoziation einer schwachen Säure HA mit der Dissoziationskonstanten Κ — IO -5 gilt die Beziehung : C H +
'CA"
CHA
=10-5
Danach ist die Wasserstoffionen-konzentration und umgekehrt: Ch+ =
10-a χ
CH+
vom Verhältnis
^L· .
CA-/CHA
abhängig
Sind c UA und c A - einander gleich, liegt also eine äquimolekulare Mischung der — praktisch undissoziierten—schwachen Säure HA und ihres—praktisch vollständig dissoziier-
Das chemische Gleichgewicht
107
ten — Alkalisalzes A" vor, so ist die Wasserstoffionen-konzentration gleich 10~5 (allgemein: gleich dem Wert der Dissoziationskonstanten). Ist das Verhältnis cnA/cA- gleich 10 (100), so ist c H + gleich 10" 4 (10^), ist es gleich 7 1 ? (7ioo)> so nimmt c H + den Wert 10" 6 (10~7) an usw. Trägt man daher auf der Abszisse eines Koordinatensystems die Wasserstoffionen-konzentration in Zehnerpotenzen und auf der Ordinate die zugehörigen Mengen HA und A in Molprozenten auf, so erhält man das nachstehende Kurvenbild (Fig. 41), aus dem sich für jede vorgegebene Wasserstoffionen-konzentration c H + das Molverhältnis HA/A und für jedes vorgegebene Molverhältnis HA/A die Wasserstoffionen-konzentration c H + entnehmen läßt. Die Kurve hat bei allen s c h w a c h e n S ä u r e n das g l e i c h e A u s s e h e n , nur ist sie entsprechend den verschiedenen Werten von Κ parallel der Abszisse mehr nach links (Κ > 10 - 5 ) oder mehr nach rechts (Κ < IO -5 ) verschoben (vgl. S. 260). Die W a s s e r s t o f f i o n e n k o n z e n t r a t i o n e n c H + pflegt man hier und in anderen Fällen der kürzeren Mo/% Schreibweise halber statt durch Zehner- HA potenzen 10~^h ( c h + = 10~¿h) durch den negativen Potenzexponenten p n („Wasserstoffexponent") allein auszudrücken (pK — —log cH+). Diese />H-Werte sind auf der oberen Koordinate von Fig. 41 eingetragen. In analoger Weise drückt man auch die D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e Κ einer Säure (oder Base) statt durch eine Zehnerpotenz 10~Ακ (Κ = 10~ρκ) häufig einfach durch den negativen Potenzexponenten pK („Säure-exponent"; „BaseIndikatorumsch/ag exponent") aus (pK = —log Κ). Pufferwirkung Wie aus Fig. 41 ersichtlich ist, entspricht Fig. 41. Molprozente HA und A~ einer schwain dem schräg schraffierten Gebiet einem chen Säure HA ( Κ — I O - 5 ) in Abhängigkeit vom p H - W e r t kleinen ¡6H-Intervall (pn = pK ¿ 1) eine große Änderung des Molverhältnisses HA/A~ (10: 1 bis 1: 10). Diesen Umstand nutzt man im Laboratorium einerseits bei den sogenannten „Indikatoren"und andererseits bei den sogenannten „Puffergemischen" aus. Indikatoren sind schwache Säuren (analoges gilt für Basen), bei denen AH eine a n d e r e F a r b e besitzt als A z . B . : HA (rot)
H+ + A" . (gelb)
Ändert man daher in einer mit etwas Indikator versetzten Lösimg die Wasserstoffionenkonzentration (z.B. bei der Neutralisation; S. 114ff^, so beobachtet man in einem bestimmten „ Umschlagsbereich" (pn ^ Ρκάι 1) einen Umschlag der Indikatorfarbe, da hier (vgl. schräg schraffiertes Gebiet in Fig. 41) die Mischfarbe des HA-A - -Gemisches auftritt, während außerhalb dieses Gebietes wegen des starken Überwiegens der einen Farbkomponente die Farbe als reine Farbe von HA bzw. A~ empfunden wird. Auf diese Weise kann man mit Hilfe von Indikatoren 1 den />H-Wert einer Lösung ermitteln. Puffergemische sind Substanzgemische, deren £ H -Wert in wässerigen Lösungen recht u n e m p f i n d l i c h gegen S ä u r e - oder B a s e z u s a t z ist. Nach Fig. 41 lassen sich äquimolekulare Mischungen schwacher Säuren HA und ihrer Alkalisalze A~ (analoges gilt 1
indicare = anzeigen.
108
Die Gruppe der Halogene
von den Basen) gut als solche Puffergemische verwenden. Denn große Änderungen im Molverhältnis HA/A - (Neutralisation von HA durch Basezusatz : HA + OH - —>- A~ + H 2 0 ; Bildung von HA durch Säurezusatz : A~ + H + —>- HA) haben in dem schraffierten Gebiet nur eine geringe Änderung des pu-Wertes zur Folge. Erwähnt sei zum Schluß noch das D i s s o z i a t i o n s g l e i c h g e w i c h t des Wassers : HÖH H + + OH". Die Dissoziationskonstante Κ hat hier bei 25° den außerordentlich kleinen Wert " = 1.8X10-". CH
CH+ C0H ¡0
Hierin ist die Konzentration c H i 0 des Wassers — die wegen des äußerst geringen Dissoziationsgrades praktisch der Gesamtkonzentration an Wasser gleichkommt — bei reinem W a s s e r gleich 997 1 : 18 = 55.3 Mole/Liter, während sie in v e r d ü n n t e n wässerigen Lösungen, bei denen 1 Liter etwas mehr oder etwas weniger als 997 g Wasser enthalten kann, ein wenig, aber nicht viel von 55.3 verschieden ist. Man pflegt daher diese praktisch konstante Größe mit der Dissoziationskonstanten Κ zusammenzuziehen (55.3 X 1.8 Xl0~ 1 6 = 1.0 χΙΟ - 1 4 ) und kommt so zu der Beziehung ch+ · coh- = λ-ω = ΙΟ- 1 4 ,
(15)
die man als „Ionenprodukt des Wassers" (bei 25°) bezeichnet. In reinem, neutralem Wasser, welches äquivalente Mengen an Wasserstoff- und Hydroxyl-ionen enthält („Neutralpunkt"), beträgt die Wasserstoffionen- ( = Hydroxylionen-)konzentration danach 10~7, entsprechend einem ^>H-Wert (^OH-Wert) von 7 (—log 10~7 = 7). Ist die Wasserstoffionen-konzentration größer als 10 - 7 , so ist die Hydroxylionen-konzentration gemäß (15) kleiner als 10 - 7 und umgekehrt. Saure Lösungen sind also bei 25° C2 durch die Bedingung c H - > 10 - 7 bzw. pK < 7, alkalische Lösungen durch die Bedingung Ch+ < 10~7 bzw. p s > 7 charakterisiert. Entsprechend dem außerordentlich kleinen Wert des Ionenprodukts des Wassers können in einer wässerigen Lösung niemals größere Mengen an Wasserstoff- und Hydroxyl-ionen gleichzeitig nebeneinander bestehen. Gibt man daher eine Säure und eine Base zusammen, so wird — falls die beiden nicht sehr schwach, d. h. außerordentlich wenig dissoziiert sind — der im Unterschuß vorhandene Partner praktisch quantitativ gemäß H + + O H - · — H 2 0 neutralisiert (S. 94).
c. Die Beschleunigung der Gleichgewichtseinstellung Liegt ein Zerfallsgleichgewicht AB Α + Β ganz auf der r e c h t e n Seite der Reaktionsgleichung ( K = k / k klein), so wird die Substanz AB nur dann rasch zerfallen, wenn die Geschwindigkeitskonstante k g r o ß ist; wir nennen die Substanz in diesem Falle „instabil". Ist aber A_^unmeßbar klein, so ist die Verbindung beständig, obwohl sie nach der Lage des Gleichgewichts eigentlich zerfallen müßte; wir sprechen hier von einer „metastabilen" Substanz. Als „stabil" bezeichnen wir eine Substanz AB nur dann, wenn das obige Zerfallsgleichgewicht ganz auf der linken Seite der Reaktionsgleichung liegt (K =k)k^ groß). Auch ganze chemische S y s t e m e können stabil, metastabil oder instabil sein. Ζ. B. dürfte bei gewöhnlicher Temperatur eigentlich kein S a u e r s t o f f neben Wasserstoff und kein S c h w e f e l d i o x y d neben S a u e r s t o f f bestehen, dadas Gleichgewicht ganz auf der Seite des Wassers ( 2 H 2 + 0 2 — * - 2 H 2 0 ) bzw. S c h w e f e l t r i o x y d s (2 S 0 2 + 0 2 —>- 2 S0 3 ) liegt. Ebenso müßten sich bei Zimmertemperatur eigentlich 1 2
Gewicht eines Liters Wasser bei 25° in Gramm. Mit steigender Temperatur nimmt das Ionenprodukt des Wassers zu.
Das chemische Gleichgewicht
109
alle organischen S u b s t a n z e n an der Luft oxydieren, so daß ein pflanzliches und tierisches Leben unmöglich wäre, wenn es sich hier nicht um metastabile Zustände handeln würde, die unter normalen Bedingungen nur mit unmeßbar kleiner Geschwindigkeit in den wahren stabilen Zustand übergehen. Ein m e t a s t a b i l e s System ist einem Wagen vergleichbar, der auf einem Bergabhang stehen bleibt, weil die Bremse angezogen ist. Erst wenn die Bremse gelöst, die Reibung also beseitigt ist (vgl. unten), setzt sich der Wagen — den auf ihn einwirkenden Kräften folgend — in Bewegung. Bei chemischen Reaktionen kann die „Reibung" durch K a t a l y s a t o r e n (vgl. S. 35) und durch T e m p e r a t u r e r h ö h u n g vermindert oder aufgehoben werden. So verbrennen ζ. B. die metastabilen Nahrungsmittel im menschlichen Körper unter dem Einfluß von Katalysatoren, explodiert das metastabile Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch beim Erhitzen. α. Beschleunigung durch Katalysatoren Genau wie ein auf einem Bergabhang stehender Wagen beim Lösen der Bremse stets b e r g a b w ä r t s , nie b e r g a u f w ä r t s fahren wird, die Aufhebung der Reibung also nur die Geschwindigkeit der Gleichgewichtseinstellung, nicht dagegen die Gleichgewichtslage beeinflußt, wird auch durch die Zugabe eines Katalysators nur die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t , nicht aber die Gleichgewichtslage einer chemischen Umsetzung geändert. Der deutsche Physikochemiker WILHELM OSTWALD (1853 bis 1933), dem wir eine eingehende Erforschung der katalytischen Erscheinungen verdanken, hat die Wirkungsweise eines Katalysators sehr anschaulich mit der Wirkung eines Schmiermittels auf ein Räderwerk verglichen, welches sich ungeölt nur mit großer Reibung und daher sehr langsam bewegt. Ölt man die Achsen, so erfolgt der Ablauf des Räderwerks schneller, während die treibende Kraft (etwa die Spannung einer Feder) durch das Ölen keineÄnderung erfährt. Wie eine Taschenuhr ohne Federa n t r i e b durch das ölen allein nicht in Bewegung gesetzt werden kann, vermag auch ein Katalysator Reaktionen ohne T r i e b k r a f t („Affinität") nicht in Gang zu bringen, sondern lediglich die einer vorhandenen Triebkraft entgegenwirkenden „chemischen Reibungen" zu vermindern und damit langsam (gegebenenfalls unmerklich) ablaufende Reaktionen zu beschleunigen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß die katalytischen Wirkungen nicht alle auf gleiche Weise erklärt werden können. Die beiden wichtigsten Hypothesen sind : 1. die Annahme der Bildung leicht reagierender Zwischenprodukte, 2. die Annahme einer reinen Oberflächenwirkung. Nach der ersten H y p o t h e s e verläuft eine Reaktion etwa des Typus ¿4 -\-B bei Anwesenheit eines Katalysators Κ nach dem Schema Α+ Κ AK + Β A+ Β
AK K+ AB AB
derart, daß ein Zwischenprodukt AK gebildet wird, welches sofort nach seiner Entstehung unter R ü c k b i l d u n g des K a t a l y s a t o r s weiterreagiert. Die beiden T e i l r e a k t i o n e n sind dabei dadurch charakterisiert, daß sie zusammengenommen mit größerer Geschwindigkeit ablaufen als die d i r e k t e Reaktion. Man nennt derartig wirkende Katalysatoren „Überträger". Ein hierher gehörendes Beispiel ist etwa die Übertragung von Sauerstoff auf Schwefeldioxyd (S0 2 + l / 2 0 2 —>- S0 3 ) durch Stickstoffoxyde (S. 203). Man beobachtet diese Überträgerwirkung von Katalysatoren vor allem bei der „homogenen Katalyse", bei der reagierende Stoffe und Katalysatoren eine einzige P h a s e (Gas- oder Lösungsphase) bilden.
110
Die Gruppe der Halogene
Die „heterogene Katalyse", bei der G a s - oder Lösungsreaktionen dprch f e s t e Katalysatoren beschleunigt werden, ist meist durch die z w e i t e H y p o t h e s e , die Annahme einer O b e r f l ä c h e n w i r k u n g , zu deuten. Nach dieser Hypothese werden die reagierenden Stoffe durch A d s o r p t i o n (S. 290f.) an der Oberfläche des Katalysators in einen reaktionsbereiteren Zustand übergeführt, in dem sie befähigt sind, schneller als im „unaktivierten" Zustand zu reagieren. Die Festigkeit der Adsorptions-Bindung muß dabei naturgemäß sehr spezifisch abgestuft sein, damit das adsorbierte Molekül zwar durch die Oberflächenbindung in einen gegenüber dem Normalzustand reaktionsfähigeren, „angeregten" Zustand versetzt wird, andererseits aber nicht infolge zu fester Bindung eine stabile chemische O b e r f l ä c h e n - V e r b i n d u n g mit dem festen Katalysator bildet 1 . Auch muß die Art der Bindung eine leichte Loslösung des R e a k t i o n s p r o d u k t e s vom Katalysator ermöglichen, was ebenfalls dazu beiträgt, daß für jede chemische Reaktion ganz spezifische Katalysatoren erforderlich sind. Die Tatsache, daß die Wirkung fester Katalysatoren häufig durch minimale Mengen von „Kontaktgiften" („Hemmungsstoffen") aufgehoben werden kann, zeigt, daß wahrscheinlich nicht die ganze Oberfläche des festen Katalysators, sondern nur bestimmte „aktive Stellen" (ζ. B . Spitzen, Ecken, Kanten, Gitterstörungen) des Katalysators — welche bei der „Vergiftung" durch anderweitige Adsorption blockiert werden — für die Katalysatorwirkung verantwortlich zu machen sind (S. 382). Durch Zugabe bestimmter Fremdstoffe {„Aktivatoren", „Promotoren"), die an sich für die fragliche Reaktion gar nicht katalytisch wirksam zu sein brauchen, kann die Wirkung eines Katalysators häufig in s e h r b e d e u t e n d e m M a ß e verstärkt werden. So beschleunigt beispielsweise feinverteiltes Eisen die Bildung von Ammoniak aus Wasserstoff und Stickstoff (3H 2 + N 2 — ν 2NH3) weit weniger als ein Gemisch von Eisen und Aluminium oxyd (vgl. S. 222), da das schwerschmelzende Aluminiumoxyd die Eisenteilchen bei der erhöhten Reaktionstemperatur der Ammoniaksynthese am allmählichen Zusammensintern („Rekristallisieren") hindert und so deren große unregelmäßige Oberfläche bewahrt. Die Entwicklung solcher aus mehreren Stoffen bestehender „Mischkatalysatoren", die den Ausgangspunkt der modernen katalytischen Großindustrie bildet, ist hauptsächlich den systematischen Untersuchungen des deutschen Naturforschers A. M I T T A S C H ZU danken. Meist läßt sich bei der heterogenen Katalyse k e i n e s c h a r f e G r e n z e zwischen einer Adsorptionsverbindung und einer wahren chemischen Zwischenverbindung und damit zwischen der ersten und zweiten Art der Katalysatorwirkung ziehen. ß. Beschleunigung durch Temperaturerhöhung Ein anderes Mittel zur Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit einer chemischen Umsetzung ist die E r h ö h u n g d e r R e a k t i o n s t e m p e r a t u r . Und zwar steigert bei Raumtemperatur eine T e m p e r a t u r e r h ö h u n g um j e 10° nach einer von V A N ' T H O F F erkannten Regel die Reaktionsgeschwindigkeit im allgemeinen auf das z w e i b i s v i e r f a c h e . Eine chemische Reaktion verläuft daher bei 100° mindestens 2 1 0 = lOOOmal schneller als bei 0°, so daß Reaktionen, die bei 100° in einer Stunde ablaufen, bei 0° mindestens 40 Tage erfordern. Die reaktionsbeschleunigende Wirkung der Temperatursteigerung beruht meist auf einer L o c k e r u n g oder gar S p r e n g u n g der Bindung zwischen den Atomen der reaktionsträgen Moleküle. Die hierfür erforderliche Energie kann statt in Form von W ä r m e vielfach auch in Form anderer Energie, z . B . L i c h t e n e r g i e (S. 82f.) zugeführt werden. Zum Unterschied vom K a t a l y s a t o r , welcher die Lage eines Gleichgewichts 1 Auf die Bildung solcher „zweidimensionaler" Oberflächen-Verbindungen ist z. B . die Passivierung (S. 371, 488Í., 514f.) vieler Metalle an der Luft oder in oxydierenden Säuren zurückzuführen.
Das chemische Gleichgewicht
111
n i c h t v e r ä n d e r t , also die Geschwindigkeit der „Hin"- und „Rück"-Reaktion in gleicher Weise beschleunigt, beeinflußt die T e m p e r a t u r ä n d e r u n g — vgl. Gleichung (9), S. 103 — den G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d (S. U2f.). Daher läßt sich das Mittel der Geschwindigkeitssteigerung durch Temperaturerhöhung häufig nicht anwenden, d a es mit einer Verschlechterung der Gleichgewichtslage der erwünschten Reaktion verbunden sein kann.
d. Die Verschiebung von Gleichgewichten α. Qualitative Beziehungen Das Prinzip von
LE
CHATELIER
Ein Gas oder ein gelöster Stoff ist nach der allgemeinen Zustandsgieichung p • ν = n-R-T durch drei Größen charakterisiert: den D r u c k p (bzw. das V o l u m e n v), die M o l m e n g e η und die T e m p e r a t u r T. Dementsprechend kann man ein im chemischen Gleichgewicht befindliches System durch Veränderung dieser Größen, also durch V e r g r ö ß e r n ( V e r k l e i n e r n ) d e s R e a k t i o n s d r u c k s , durch V e r g r ö ß e r n ( V e r k l e i n e r n ) d e r M o l m e n g e der Reaktionspartner oder durch E r h ö h e n ( E r n i e d r i g e n ) d e r R e a k t i o n s t e m p e r a t u r stören und verschieben. Nach welcher Seite der chemischen Reaktionsgleichung hin die Gleichgewichtsverschiebung bei derartigen äußeren Eingriffen erfolgt, geht qualitativ aus dem im J a h r e 1884 von dem französischen Chemiker H E N R Y L E C H A T E L I E R ( 1 8 5 1 — 1 9 3 6 ) formulierten „Prinzip des kleinsten Zwanges" hervor : Übt man auf ein im Gleichgewicht befindliches System durch Änderung der äußeren Bedingungen einen Zwang aus, so verschiebt sich das Gleichgewicht derart, daß es dem äußeren Zwange ausweicht. Das Gesetz gilt sowohl für p h y s i k a l i s c h e , wie für c h e m i s c h e G l e i c h g e w i c h t e . Beispiele ersterer Art sind ζ. B. die V e r ä n d e r u n g d e s S c h m e l z p u n k t e s mit dem Druck und das V e r d a m p f e n e i n e r F l ü s s i g k e i t beim Erwärmen: Übt man auf ein bei 0° im Gleichgewicht befindliches Gemisch von Wasser und Eis einen D r u c k aus, so tritt S c h m e l z e n des Eises ein, weil beim Übergang von Eis in Wasser eine V o l u m e n v e r m i n d e r u n g (S.50f.) erfolgt und so dem äußerenDruck ausgewichen wird. E r h i t z t man ein bei 100° im Gleichgewicht befindliches Gemisch von Wasser und Wasserdampf, so erfolgt V e r d a m p f u n g des Wassers, weil der Übergang von flüssigem in dampfförmiges Wasser W ä r m e v e r b r a u c h t und so dem äußeren Zwang der Wärmezufuhr ausgewichen wird. In ganz entsprechender Weise lassen sich auch die Verschiebungen voraussehen, welche die Ausübung eines äußeren Zwangs bei c h e m i s c h e n Gleichgewichten zur Folge haben muß. F o l g e r u n g e n des P r i n z i p s von L E C H A T E L I E R Veränderung der Konzentration eines Reaktionspartners. Fügt man zu einem im chemischen Gleichgewicht befindlichen System A+ Β
G+ D
n e u e n S t o f f A hinzu, feo verschiebt sich das Gleichgewicht nach r e c h t s , da hierdurch dem äußeren Zwang der Konzentrationsvergrößerung von A durch Verbrauch von A ausgewichen wird. Wie weit die Verschiebung geht, ergibt sich aus dem M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z , da auch die Stoffkonzentrationen des n e u s i c h e i n s t e l l e n d e n Gleichgewichts natürlich wie vorher der Beziehung
112
Die Gruppe der Halogene
genügen müssen. Befanden sich also vorher in der Volumeneinheit a Mole A, b Mole B, c Mole C und d Mole D und erhöhen wir die Konzentration des Stoffs A um a' Mole auf a + a', so wird, wenn wir die bis zur neuen Gleichgewichtseinstellung umgesetzte Molmenge des Stoffs A mit χ bezeichnen, das neue Gleichgewicht durch die Beziehung (q + q' — x) (b — x) _ (c + x)(d+ χ) wiedergegeben, aus der sich χ errechnen läßt. Fügt man also ζ. B. zu einer Säure HA (A = Säurerest) oder einer Base ΒΟΗ (Β = Baserest) : HA T ^ H+ + A" ΒΟΗ B+ + OH" neue Ionen A (in Form eines Salzes MeA der Säure) bzw. B + (in Form eines Salzes BX der Base) hinzu, so müssen sich die obigen Gleichgewichte nach links verschieben, so daß die satire (basische) Wirkung der Lösimg abnimmt („Abstumpfen" von Säuren und Basen). I n gleicher Richtung wie die V e r m e h r u n g d e r K o n z e n t r a t i o n eines Reaktionspartners auf der e i n e n Seite der Reaktionsgleichung wirkt natürlich die V e r m i n d e r u n g d e r K o n z e n t r a t i o n eines Reaktionspartners auf der a n d e r e n Seite (etwa die Entfernung von Wasser aus einem Gleichgewicht durch ein Trockenmittel). Veränderung des Reaktionsdrucks. Übt man auf eine Gasreaktion des Typus Α + Β z^zìz C + D einen D r u c k aus, so erfolgt nach dem Prinzip von L E C H A T E LIER keine Verschiebung des Gleichgewichts, da die Zahl der Moleküle und damit das Volumen der Reaktionspartner auf beiden Seiten der Reaktionsgleichung gleich ist, also weder durch eine Reaktion von links nach rechts noch durch eine solche von rechts nach links dem Zwang des Drucks ausgewichen werden kann. Besitzen aber ζ. B. die R e a k t i o n s p r o d u k t e ein k l e i n e r e s V o l u m e n als die A u s g a n g s s t o f f e , wie •dies z . B . bei der Ammoniakbildung aus Wasserstoff und Stickstoff der Fall ist· 3H2 + N2 2NH 3 , so führt eine Druckerhöhung (Verminderung des Reaktionsraums) zu einer V e r s c h i e b u n g n a c h r e c h t s und damit zu einer Ausbeuteverbesserung (vgl. S. 219 f.). V e r g r ö ß e r u n g des Reaktionsraums (Verminderung des Drucks) ergibt umgekehrt eine Verschiebung des Gleichgewichts nach der Seite mit dem g r ö ß e r e n V o l u m e n . So nimmt beispielsweise bei elektrolytischen Dissoziationen des allgemeinen Typus BA B+ + Adie Spaltung m i t s t e i g e n d e r V e r d ü n n u n g der Lösung zu. Die q u a n t i t a t i v e Zunahme der Dissoziation folgt wieder aus dem M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z , bei binären Elektrolyten also aus Gleichung (14) — S. 105 —, die direkt die Beziehung zwischen Dissoziationsgrad α und Volumen ν wiedergibt. Bei k l e i n e n D i s s o z i a t i o n s g r a d e n , bei denen « gegenüber 1 v e r n a c h l ä s s i g t werden kann, ist nach (14) der D i s s o z i a t i o n s g r a d « der W u r z e l a u s d e m V o l u m e n ν proportional: « = h ·)/ΐ) . (k = | / κ ) . Verdünnt man demnach die Lösung eines s c h w a c h e n Elektrolyten aufs v i e r f a c h e so nimmt der Dissoziationsgrad aufs d o p p e l t e zu. Für υ = o o folgt aus (14) wobei K ' (und damit der W a s s e r d a m p f d r u c k für Pi*t> jede der drei Teilreaktionen einen charakteristischen k o n s t a n t e n Wert besitzt (bei 50°: 45 bzw. 30 bzw. 4.5 mm). S * 3 2 1 O MolH¡0/Mol CuSOt Saugt man daher bei 50° über dem Kupfersulfat-Hydrat den Wasserdampf ab, so erhält man beim Auftragen der Fig. 44. Druckänderung bei der Wasserdampfdrucke gegen die Zusammensetzung des isothermen Entwässerung Hydrats eine charakteristische T r e p p e n k u r v e (Fig. 44), (SO») yon CuS0 4 · 5 H 2 0 aus der man — hier wie in anderen Fällen — die bei der Entwässerung auftretenden Z w i s c h e n h y d r a t e direkt entnehmen kann. ß . Fest-flüssige Systeme Unter den Anwendungen auf heterogene Systeme aus L ö s u n g e n und festen Stoffen seien hier die Reaktionen herausgegriffen, bei denen in wässeriger Lösung Ionen zu neutralen Molekülen zusammentreten: B+ + A~ T ^
BA.
Für diese gilt (vgl. S. 105) die Gleichgewichtsbedingung =
KC.
BA
Erhöht man durch Zugabe von B+ oder von A~ und durch die hierdurch bedingte Gleichgewichtsverschiebimg nach rechts die Konzentration von BA so weit, daß die L ö s l i c h k e i t von BA erreicht wird, so f ä l l t BA als fester Stoff a u s . Jetzt ist seine Konzentration cBA n i c h t m e h r v a r i a b e l , sondern gleich dem konstanten Wert der L ö s l i c h k e i t . Man kann daher cBA — wie vorher pVc und pte0 — mit der Gleichgewichtskonstanten Kc zu einer n e u e n K o n s t a n t e n L (L = Ke · CBA) zusammenziehen : _ T C
B + ' CA
die man als „Löslichkeitsprodukt" des Stoffs BA bezeichnet, weil das P r o d u k t der Ionenkonzentrationen cB+ und c A - diesen Wert überschreiten muß, damit die L ö s l i c h k e i t der Verbindung BA erreicht ist und diese daher ausfällt.
4. S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n d e r H a l o g e n e a. Sauerstoffsäuren des Chlors α. Übersicht und Nomenklatur Man kennt v i e r S a u e r s t o f f s ä u r e n des Chlors. Sie haben die allgemeine Zusammensetzung HC10 n , wobei η die Werte 1, 2, 3 und 4 annehmen kann: Säuren Formel HCIO HC102 HCIO3 HC104
Salze Name
Unterchlorige Säure Chlorige Säure Chlorsäure Uberchlorsäure
Formel
Name
MeCIO MeClOü MeCIO 3 MeC104
Hypochlorite Chlorite Chlorate Perchlorate
Sauerstoffverbindungen der Halogene
119
I n analoger Weise bilden auch a n d e r e N i c h t m e t a l l e solche S a u e r s t o f f s ä u r e n . So kennt man ζ. B. vom S c h w e f e l eine Reihe von Säuren des Typus H 2 SO n (n = 2, 3, 4 und 5) und vom Phosphor eine Reihe von Säuren des Typus H 3 PO n (n = 2, 3, 4 und 5). Für die Bezeichnung derartiger Sauerstoffsäuren und ihrer Salze gelten folgende Regeln: Der Name der w i c h t i g s t e n Säure eines Elements (beim Phosphor: H 3 P 0 4 , beim Schwefel: H 2 S 0 4 , beim Chlor: HC103) wird durch Anhängen der Endung „-säure" an den Namen des säurebildenden Elements gebildet („Phosphorsäure", „Schwefelsäure", „Chlorsäure"). Die um 1 S a u e r s t o f f a t o m j e M o l e k ü l ä r m e r e n Säuren werden durch die Endsilbe „-ige" („Phosphorige Säure", „Schweflige Säure", „Chlorige Säure"), die um 2 S a u e r s t o f f a t o m e j e M o l e k ü l ä r m e r e n Säuren darüber hinaus durch die Vorsilbe „Unter-" („Unterphosphorige Säure", „Unterschweflige Säure"1, „Unterchlorige Säure") gekennzeichnet. Dagegen erhalten die um 1 S a u e r s t o f f a t o m j e M o l e k ü l r e i c h e r e n Säuren die Vorsilbe „Über-" bzw. „Peroxy-" (vgl.S.199) („Peroxyphosphorsäure", „Peroxyschwefelsäure", „Überchlorsäure"). Die Salze der einzelnen Säuren werden in ähnlicher Weise durch End- und Vorsilben voneinander unterschieden. Und zwar bezeichnet die Endung „-at" die Salze der A u s g a n g s s ä u r e („Phosphat", „Sulfat"2, „Chlorat"). Die sauerstoff ä r m e r en Salze erhalten die Endung „-it" („Phosphit", „Sulfit", „Chlorit") bzw. darüber hinaus die Vorsilbe „Hypo-" („Hypophosphit", „Hyposulfit"1, „Hypochlorit"), die s a u e r s t o f f r e i c h e r e n die Vorsilbe „Peroxy-" (vgl. S. 199) bzw. „Per-" („P ero xyphosphat", „Peroxysulfat", „Perchlorat"). Die sauerstofff r e i e n (n = 0) Salze (Me3P, Me2S, MeCl) werden durch die Endsilbe „-id," bezeichnet („Phosphid", „Sulfid", „Chlorid"). ß. Unterchlorige Säure Darstellung Leitet man C h l o r in W a s s e r ein, so bildet sich bis zu einem bestimmten Gleichgewicht S a l z s ä u r e und unterchlorige Säure". Cl2 + HÖH HCl + HOC1. (1) Das Gleichgewicht liegt — falls nicht sehr verdünnte Lösungen vorhegen — ganz auf der l i n k e n S e i t e („Chlorwasser" ; S. 80), da Salzsäure und unterchlorige Säure umgekehrt ein großes Bestreben haben, sich unter Bildung von Chlor umzusetzen (vgl. S. 79). Will man das Gleichgewicht (1) nach r e c h t s verschieben, so fängt man zweckmäßig die im Gleichgewicht befindliche Salzsäure mit Q u e c k s i l b e r o x y d (HgO) als Q u e c k s i l b e r c h l o r i d (HgCl2) a b : HgO + 2 H Q — > HgCl 2 + H 2 0 . Als Gesamtgleichung ergibt sich damit die Gleichung 2C1¡¡ + HgO + H 2 0 —>- HgCl2 + 2HOC1, gemäß der man C h l o r in eine Aufschlämmung von Q u e c k s i l b e r o x y d in W a s s e r einleitet. Auf diese Weise kann man ziemlich konzentrierte Lösungen der unterchlorigen Säure gewinnen. Benutzt man s t a r k e Basen zur Verschiebung des Gleichgewichtes (1), leitet man also Chlor z. B. in N a t r o n l a u g e oder K a l k m i l c h ein, so wird nicht nur die starke S a l z s ä u r e , sondern auch die schwache u n t e r c h l o r i g e S ä u r e neutralisiert : Cl2 + 2NaOH NaCl + NaOCl + H 2 0 , (2) Cl2 + Ca( OH)2 — > CaCl(OCl) + H 2 0 . (3) Dies ist die Methode zur Darstellung von S a l z e n der unterchlorigen Säure (s. S. 121). 1 2
Vgl. Anm. 1, S. 209. sulfur = Schwefel.
Die Gruppe der Halogene
120
Eigenschaften Die unterchlorige Säure ist n u r i n F o r m w ä s s e r i g e r L ö s u n g e n , nicht aber in wasserfreiem Zustande bekannt. Versucht man die Lösung zu entwässern, so geht die Säure in das Oxyd C120 (Dichloroxyd) über: 2HOC1
C120 + H 2 0 .
Umgekehrt entsteht beim Einleiten von Dichloroxyd-Gas in Wasser wieder unter· chlorige Säure. Die Reaktion ist also umkehrbar. Auch in der Lösung befinden sich dabei merkliche Mengen Dichloroxyd mit unterchloriger Säure im Gleichgewicht, so daß man ζ. B. durch Ausschütteln mit Tetrachlorkohlenstoff oder durch Durchleiten eines Luftstroms Dichloroxyd aus der Lösung abtrennen kann. Oxyde, welche sich — wie das Dichloroxyd — mit Wasser zu einer Säure verbinden können bzw. durch Wasserentzug aus letzterer wieder entstehen, heißen „Säure-anhydride". Dichloroxyd ist also das Anhydrid der unter chlorigen Säure. Die verdünnten wässerigen Lösungen der unterchlorigen Säure sind farblos, die konzentrierten gelb. Sie besitzen einen eigentümlichen, von dem des Chlors deutlich verschiedenen Geruch und z e r s e t z e n s i c h — langsam im Dunkeln, schneller im diffusen Tageslicht, sehr rasch im Sonnenlicht — hauptsächlich nach der Gleichung 2 HCl O
2 HCl + 0 2
unter Bildimg von S a l z s ä u r e und S a u e r s t o f f . Daneben wird etwas Chlorsäure gebildet, indem der bei der Zersetzung gebildete Sauerstoff in statu nascendi (HC10 — HCl + 0 ) auf noch unzersetzte unterchlorige Säure einwirkt (HCIO + 20—>• HC103). Wegen der großen Neigung zur Sauerstoffabgabe gehört die unterchlorige Säure zu den s t ä r k s t e n O x y d a t i o n s m i t t e l n . So bleicht sie z. B. augenblicklich L a c k m u s p a p i e r oder I n d i g o l ö s u n g (oxydative Zerstörung des Lackmus- und Indigo-Farbstoffs), macht aus J o d w a s s e r s t o f f Jod frei ( 2 H J + O —>- HaO + J 2 ), oxydiert S c h w e f e l k o h l e n s t o f f zu Kohlensäure und Schwefelsäure ( C S 2 C 0 2 + 2 S 0 3 ) und führt M e t a l l s u l f i d e in Sulfate über (MeS -2->- MeS0 4 ). Die früher schon beschriebene bleichende und desinfizierende Wirkung von f e u c h t e m Chlor (S. 82) ist ebenfalls auf die oxydierende Wirkung intermediär nach (1) gebildeter unterchloriger Säure zurückzuführen. Ebenso beruht der fortschreitende Zerfall von C h l o r w a s s e r in Salzsäure und Sauerstoff am Licht (S. 81 f.) auf dem Zerfall der im Gleichgewicht befindlichen unterchlorigen Säure, indem sich das so gestörte Gleichgewicht immer wieder neu einstellt. Salze Die unter chlor ige Säure ist eine s e h r s c h w a c h e S ä u r e ; ihre Dissoziations· CJT-J. * c o c r konstante Κ = — ^C beträgt bei 25° 1 Χ 10 -8 . Dementsprechend hydrolysieren H0C1
ihre Salze, die Hypochlorite,
leicht unter Bildung von freier unterchloriger Säure : Od" + HOH^Z^HOCl + 0H~,
so daß auch die Hypochlorite in wässeriger Lösung s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l sind. Daher dienen Hypochloritlösungen vielfach als B l e i c h l ö s u n g e n (ζ. B. für Zellstoff, Papier, Textilien) und als D e s i n f e k t i o n s m i t t e l . Erwähnt seien hier die schon seit 1792 fabrikmäßig hergestellten K a l i u m h y p o c h l o r i t - l ö s u n g e n („Eau de Javelle"), die seit 1820 gewonnenen N a t r i u m h y p o c h l o r i t - l ö s u n g e n („Eau de Labarraque"), sowie vor allem der technisch in großen Mengen erzeugte C h l o r k a l k .
Sauerstoffverbindungen der Halogene Natriumhypochlorit. N a t r i u m h y p o c h l o r i t - l ö s u n g e n w e r d e n E i n w i r k u n g v o n C h l o r auf N a t r o n l a u g e gewonnen (s. S. 119): Cl2 + 2 NaOH - — ν NaCl + NaOCl + H 2 0 .
121 technisch
durch (2)
D a bei d e r Chloralkali-Elektrolyse (S. 80) Chlor u n d Alkalilauge g e r a d e in d e m f ü r d i e H y p o c h l o r i t b i l d u n g erforderlichen M e n g e n v e r h ä l t n i s e n t s t e h e n (2NaCl + 2 H Ö H Elektrolyse ^ ^ v e r b i n d e t m a n zweckmäßig die H y p o c h l o r i t + 2 N a O H + H 2 ), g e w i n n u n g m i t der Chloralkali-Elektrolyse, i n d e m m a n d a s anodisch e n t w i c k e l t e C h l o r gleich auf die k a t h o d i s c h gebildete N a t r o n l a u g e einwirken l ä ß t (vgl. S. 410). B e i m A b k ü h l e n der L ö s u n g auf — 1 0 ° w e r d e n farblose K r i s t a l l e abgeschieden, d e n e n die F o r m e l N a O C l · 6 H 2 0 z u k o m m t . Chlorkalk. V e r w e n d e t m a n zur U m s e t z u n g m i t Chlor s t a t t der e i n s ä u r i g e n B a s e N a O H die z w e i s ä u r i g e B a s e Ca(OH) 2 , so e n t s t e h t s t a t t des Gemisches v o n N a t r i u m chlorid u n d N a t r i u m h y p o c h l o r i t (2) ein g e m i s c h t e s C a l c i u m s a l z der Salz- u n d unterchlorigen S ä u r e : Cl2 + Ca(OH)2 >- CaCl(OCl) + H 2 0 . (3) E s bildet d e n wesentlichen B e s t a n d t e i l des t e c h n i s c h e n Chlorkalks. Der Chlorkalk war früher die einzige Form, in welcher die chlorerzeugende Industrie ihr Produkt in den Handel brachte. Durch Einführung des flüssigen Chlors ist seine Bedeutung stark zurückgegangen; er wird aber immer noch in erheblichen Mengen hergestellt. Die Darstellung erfolgt so, daß man möglichst reinen, gut gebrannten, vorsichtig abgelöschten und dann gesiebten Kalk, Ca(OH)2, in „Chlorkalkkammern", die im Prinzip einem Kiesröstofen (S. 202) weitgehend gleichen, von oben her einem von unten kommenden Chloretrom entgegenführt, so daß die Sättigung im Gegenstrom erfolgt. Die auftretende Reaktionswärme muß durch Kühlung weitgehend beseitigt werden, da bei erhöhter Temperatur das Hypochlorit in Chlorat (S. 122) übergeht. Der t e c h n i s c h e Chlorkalk ist kein reines CaOCl2, sondern in der Hauptsache eine Verbindung der Formel 3CaOCl2 · Ca(OH)2 • 5 H 2 0 . Der Handelswert des Produkts richtet sich nach dem Prozentgehalt an ,,bleichendem" oder „wirksamem" Chlor. Unter diesem versteht man die bei der Umsetzung des Chlorkalks mit S a l z s ä u r e freiwerdende Menge Chlor: CaCljO + 2 HCl
ν CaCl2 + H 2 0 + Cl 2 ,
ausgedrückt in G e w i c h t s p r o z e n t e n des Chlorkalks. Die Verbindung 3Ca0CI 2 • Ca(OH)2 · 5 H 2 0 wäre danach 39%ig; die Handelsprodukte enthalten etwas weniger — 35 bis 36% — wirksames Chlor. Auch d a s reine Calciumhypochlorit Ca(OCl) 2 w i r d technisch hergestellt („Losantin", „Caporit"). E s h a t gegenüber d e m Chlorkalk d e n Vorteil eines größeren Gehaltes (theoretisch 9 9 ° / 0 ; p r a k t i s c h 7 0 — 8 0 % ) a n w i r k s a m e m (s. oben) Chlor. γ . Chlorige Säure In gleicher Weise, wie sich C h l o r beim Einleiten in Wasser unter Bildung einer niederen und einer höheren Oxydationsstufe disproportioniert, d i s p r o p o r t i o n i e r t sich auch das in seiner Oxydationsstufe höher stehende C h l o r d i o x y d C102 beim Einleiten in Wasser unter Bildung einer sauerstoffärmeren und sauerstoffreicheren Verbindung: 2 C102 + HÖH
HC102 + HC10 3 .
(4)
Die dabei entstehende chlorige Säure HC102 zersetzt sich aber sehr schnell (vgl. S. 125). Beständiger sind in Lösung ihre Salze, die Chlorite, die man neben Chloraten erhält, wenn man statt Wasser A l k a l i l a u g e verwendet, d. h. das Gleichgewicht (4) durch Abfangen von chloriger Säure und Chlorsäure nach rechts verschiebt: 2C102 + 2 NaOH — N a C 1 0 2 + NaCIO, + H 2 0 . F r e i von C h l o r a t e n erhält man die Chlorite bei gleichzeitiger Zugabe von W a s s e r s t o f f p e r o x y d (H 2 0 2 ), welches die Chlorate zu C h l o r i t e n reduziert (vgl. S. 125): NaC10 3 + H 2 0 2 -r-*- NaC102 + H 2 0 + 0 2 .
122
Die Gruppe der Halogene
Die Lösungen der Chlorite wirken s t a r k o x y d i e r e n d . Dampft man die Natriumchlorit lösungen ein, so erhält man ein festes weißes, 90—95% NaC102 enthaltendes Salz. Dieses kommt — zur Erhöhung der Handhabungssicherheit mit einem W a s s e r g e h a l t von 10—15% — für B l e i o h z w e o k e in den Handel, da das beim Versetzen von Natriumchloritlösungen mit Säuren freiwerdende Chlordioxyd (S. 124) Textilien f a s e r s c h o n e n d bleicht. Mit o x y d i e r baren Stoffen wie organischen Substanzen, Kohle-, Schwefel- oder Metallpulver bildet festes Natriumchlorit wie Chlorat e x p l o s i b l e Gemische. Besonders charakteristisch für die chlorige Säure ist das gelbe S i l b e r s a l z AgC102 und das gelbe B l e i s a l z Pb(C102)2, die sehr schwer löslich sind und sich beim Erwärmen oder durch Schlag unter Explosion zersetzen, während das feste reine N a t r i u m c h l o r i t beim Erhitzen (auf über 200°) unter Umständen eine stürmische, aber keine e x p l o s i v e Zersetzung erleidet.
δ. Chlorsäure Darstellung Zur Darstellung der Chlorsäure geht man gewöhnlich von ihren Salzen, den Chloraten, aus. Diese entstehen leicht bei der Einwirkung von u n t e r c h l o r i g e r S ä u r e auf H y p o c h l o r i t e : 2HC10 + N a C I O — > 2HCI + NaC103,
(5)
indem hierbei die unterchlorige Säure ihr eigenes Salz zur Stufe des Chlorats oxydiert. Man braucht zu diesem Zwecke Hypochloritlösungen nur w e n i g a n z u s ä u e r n (NaCIO + HCl —>• HCIO + NaCl), da bei der Reaktion (5) immer wieder Salzsäure nachgebildet wird, welche neue unterchlorige Säure in Freiheit setzt. Die zur Oxydation des Hypochlorits erforderliche freie unterchlorige Säure kann auch durch Ü b e r s ä t t i g e n der Hypochloritlösung mit C h l o r (Cl2 + H Ö H H C l + HOC1) oder durch E r w ä r m e n der Hypochloritlösungen (Verstärkung der Hydrolyse nach NaCIO + H Ö H — N a O H + HCIO) erzeugt werden. So gewinnt man ζ. B. in der Technik Natrium chlorat durch Elektrolyse einer h e i ß e n Kochsalzlösung und Kaliumchlorat durch Einleiten von Chlor in h e i ß e Kalkmilch und anschließende Umsetzung des gebildeten Calciumchlorats mit Kaliumchlorid : Ca(C103)2 + 2KC1 — > - 2KC103 + CaCl2. Für die Gewinnung der f r e i e n C h l o r s ä u r e ist die Umsetzung von B a r i u m c h l o r a t mit S c h w e f e l s ä u r e zweckmäßig, da das dabei neben Chlorsäure entstehende B a r i u m s u l f a t (BaS0 4 ) schwerlöslich ist und daher leicht durch Abfiltrieren abgetrennt werden kann: Ba(C103)2 + H 2 S0 4
2HCIO3 + BaS0 4 .
Die farblose Lösung kann im Vakuum über konzentrierter Schwefelsäure als wasserentziehendem Mittel bis zu einem Gehalt von 40°/0 Chlorsäure eingedunstet werden, ohne daß sich die Säure zersetzt. Konzentriert man darüber hinaus, so tritt unter Bildung von Sauerstoff, Chlor und Überchlorsäure Zersetzung ein. Eigenschaften Die Chlorsäure ist ein sehr k r ä f t i g e s O x y d a t i o n s m i t t e l . Tränkt man ζ. B. F i l t r i e r p a p i e r mit einer 40°/0igen wässerigen Chlorsäurelösung und läßt es an der Luft liegen, so entzündet es sich bald von selbst. J o d wird zu Jodsäure ( J 2 + 5 O —>- J 2 0 5 ), S a l z s ä u r e zu Chlor (2HC1 + O — ν H 2 0 + Cl2), S c h w e f e l zu Schwefelsäure (S + 30 — > - S0 3 ) oxydiert; ein in die konzentrierte Lösung eingetauchter H o l z s p a n entzündet sich; farbloser P h o s p h o r verbrennt mit heller Lichterscheinung unter der Lösung. Besonders stark oxydierend wirkt eine Mischung von konzentrierter C h l o r säure und rauchender S a l z s ä u r e („Euchlorin") ; man benutzt sie z . B . zum Zerstören organischer Stoffe bei der Prüfung auf anorganische Bestandteile. I n stärkerer Verdünnung ist die Chlorsäure verhältnismäßig beständig und als starke, einbasige Säure praktisch vollkommen dissoziiert.
Sauerstoffverbindungen der Halogene
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Salze Die besonders wichtigen A l k a l i c h l o r a t e sind farblos, in Wasser löslich und in festem Zustande bei gewöhnlicher Temperatur haltbar. Ihre Lösungen wirken weniger s t a r k o x y d i e r e n d als die der Hypochlorite. Feste Gemische von Chlorat und oxydierbaren Substanzen (ζ. B. Phosphor, Schwefel, organischen Verbindungen) explodieren schon beim Verreiben im Mörser; daher muß man beim Arbeiten mit Chloraten stets g r ö ß t e V o r s i c h t walten lassen. Kaliumchlorat wird in großen Mengen für Oxydationszwecke, zur Herstellung der Zündmasse von Zündhölzern (S. 251), sowie in der Feuerwerkerei und Sprengstoffindustrie gebraucht. Auch findet es in der Medizin als Antiseptikum in Form von Gurgel- und Mundwässern Verwendung, wobei man allerdings beachten muß, daß es in größeren Mengen ( > 1 g) wie alle Chlorate giftig ist. Νatriumchlor at wird als Oxydationsmittel, als Ausgangsmaterial für die Gewinnung von Perchloraten und zur Unkrautbekämpfung verwendet. e. Überchlorsäure Darstellung. Erhitzt man Chlorate, ζ. Β. Kaliumchlorat, auf höhere Temperatur, so d i s p r o p o r t i o n i e r e n sie sich unter Bildung von Chlorid und Perchlorat: 4KC103 KCl + 3KC104, indem ein Molekül Chlorat unter Übergang in Chlorid (KC10 3 — K C l + 30) drei andere Moleküle Chlorat zu Perchlorat oxydiert (3KC10 3 + 3 0 — > 3KC10 4 ). Bei noch stärkerem Erhitzen zerfällt das gebildete Perchlorat weiter in Chlorid und Sauerstoff (KC10 4 —>- KCl + 2 0 2 ; vgl. S. 35). Läßt man auf so gewonnenes Perchlorat konzentrierte Schwefelsäure einwirken, so wird die Überchlorsäure in Freiheit gesetzt : KC104 + H 2 SO 4 —>- KHSO4 + HC104, die sich im Vakuum bei vorsichtigem Erwärmen des Reaktionsgemisches unzersetzt abdestillieren läßt. Eigenschaften. Die r e i n e Ü b e r c h l o r s ä u r e ist eine farblose, bewegliche, an der Luft rauchende, bei —·112° erstarrende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.764 (bei 22°). Beim Erwärmen färbt sie sich unter Zersetzung braunrot und zerfällt schließlich unter E x p l o s i o n . Auch bei gewöhnlicher Temperatur geht die Zersetzung langsam vor sich, wobei bisweilen ohne erkennbaren äußeren Anlaß Explosion eintreten kann. Infolge der starken O x y d a t i o n s Wirkung werden brennbare Substanzen wie Holz, Holzkohle, Papier, organische Verbindungen explosionsartig unter heftiger Detonation oxydiert. Auf der Haut erzeugt Überchlorsäure schmerzhafte und schwer heilende Wunden. I n v e r d ü n n t e m Z u s t a n d e ist die Überchlorsäure wesentlich beständiger und von weit geringerem Oxydationsvermögen als die Chlorsäure. So kann ζ. B. die verdünnte wässerige Lösimg mit Salzsäure schwach erwärmt werden, ohne daß Chlor entwickelt wird; schweflige Säure wird nicht zu Schwefelsäure oxydiert. Zum Unterschied von der wasserfreien Verbindung sind die konzentrierten wässerigen Lösungen der Überchlorsäure von öliger Konsistenz, ähnlich der konzentrierten Schwefelsäure. Die 72°/0ige Lösung siedet weitgehend unzersetzt bei einem konstanten Siedepunkt von etwa 203°. Unter den Hydraten ist das kristallisierte M o n o h y d r a t HC104 · H 2 0 erwähnenswert, das bei 50° schmilzt und die Konstitution eines H y d r o n i u m p e r c h l o r a t s H 3 0[C10 4 ] besitzt. Salze. Die Überchlorsäure gehört zu den s t ä r k s t e n S ä u r e n , die es gibt. Ihre Salze, die Perchlorate, sind die beständigsten Sauerstoffsalze des Chlors. Die meisten
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Die Gruppe der Halogene
von ihnen sind in Wasser sehr leicht löslich. Ziemlich schwerlöslich sind in kaltem Wasser K a l i u m - , R u b i d i u m - und C a e s i u m p e r c h l o r a t . Die Kaliumverbindung wird daher vielfach zur quantitativen Bestimmung von Kalium benutzt. I n der Natur kommt Kaliumperchlorat zuweilen in geringen Mengen im rohen Chilesalpeter (S. 412 f ) vor; da es ein starkes Pflanzengift ist, ist solcher Chilesalpeter — falls das Kaliumperchlorat vorher nicht entfernt wird — zum Düngen mancher Kulturpflanzen untauglich.
b. Oxyde des Chlors Von den theoretisch denkbaren Anhydriden der vier Sauerstoffsäuren des Chlors (C120, C1203, C1206, C1207) ist nur das Dichloroxyd C120 (Anhydrid der unterchlorigen Säure: 2HC1Q—>TT 2 0 + C120) und das Dichlorheptoxyd C1207 (Anhydrid der Über Chlorsäure: 2 H C 1 0 4 ^ l i : H 2 0 + C1207) bekannt. Dagegen kennt man noch zwei gemischte Anhydride, nämlich das Anhydrid der chlorigen und Chlorsäure (Chlordioxyd) C102 (HC102 + HClOg z^zt. H 2 0 + 2C102) und das Anhydrid der Chlorsäure und Überchlorsäure (Dichlorhexoxyd) Cl2Oe (HC103 + HC104 H 2 0 + Cl2Oe), während das theoretisch ebenfalls noch mögliche gemischte Anhydrid der unter chlorigen und chlorigen Säure, CIO bzw. C1202 (HCIO + H C 1 0 2 z ^ = t H 2 0 + 2CIO), nicht existiert. α. Dichloroxyd Darstellung. Leitet man Chlor nicht in eine Aufschlämmung von Quecksilberoxyd in W a s s e r (2CL¡ -f HgO + H 2 0 - ^ HgCl 2 + 2HOC1; S. 119), sondern über t r o c k e n e s Quecksilberoxyd bei 0°, so erhält man statt der unterchlorigen Säure HOC1 ihr Anhydrid C120 : 2C12 + HgO — ν HgCl¡¡ + C120.
Eigenschaften. Es ist ein gelbbraunes, unangenehm riechendes Gas, welches sich bei 3.8° zu einer rotbraunen Flüssigkeit (Smp. —116°) kondensiert. Als endotherme Verbindung (Bildungswärme —-24.7 kcal) zerfällt es beim Erhitzen oder beim Zusammenbringen mit brennbaren Substanzen (Schwefel, Phosphor, organischen Verbindungen) e x p l o s i o n s a r t i g in seine Bestandteile. Nur bei Abwesenheit jeder Spur oxydierbarer Substanz läßt es sich unzersetzt destillieren. Stark e n d o t h e r m e Verbindungen neigen immer zur E x p l o s i o n , da die beim Anstoß des Zerfalls an einer S t e l l e freiwerdende Wärmemenge die N a c h b a r p a r t i e n auf die Zersetzungstemperatur bringt und die durch deren exothermen Zerfall bedingte T e m p e r a t u r erhöhung die G e s c h w i n d i g k e i t der Zersetzung immer weiter s t e i g e r t .
ß. Chlordioxyd Darstellung. Chlordioxyd C102, das als gemischtes Anhydrid der chlorigen und Chlorsäure in seiner Oxydationsstufe zwischen diesen beiden Säuren steht, läßt sich durch R e d u k t i o n d e r C h l o r s ä u r e gewinnen. Als Reduktionsmittel kann die Chlorsäure selbst dienen, die dabei in "Überchlorsäure übergeht (6) : HCIO3 + HCIO3
HC102 + HC104
HC102 + H C 1 0 , Z ^ H 2 0
+ 2 CIO,,
2HCIO3 + HC10 3 ^=±: 2C10S + HC104 + H 2 0 .
(6) (7) (8)
Erforderlich ist dabei, daß das bei der Anhydridbildung (7) entstehende Wasser aus dem Gleichgewicht entfernt wird. Man verfährt daher bei der Darstellung so, daß man k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e a u f K a l i u m c h l o r a t einwirken läßt; die dabei in Freiheit gesetzte Chlorsäure (KC103 + H 2 S0 4 — > HC10 3 + KHS0 4 ) disproportioniert sich dann gemäß (6) und die konzentrierte Schwefelsäure bindet das Wasser (7).
Sauerstoffverbindungen der Halogene
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Zweckmäßiger ist es allerdings, O x a l s ä u r e (H 2 C 2 0 4 ) als Reduktionsmittel anzuwenden : HCIO3 + H 2 c 2 0 4 HC102 + H 2 0 + 2C0 2 (9) HClOjj + HCIO3 HgO + 2C10¡¡ (7) 2HC103 + H2C204 2C102 + 2C0 2 + 2H 2 0. (10) Dann tritt als Oxydationsprodukt der Oxalsäure Kohlendioxyd auf (9), welches das — in reinem Zustande explosive — gasförmige Chlordioxyd verdünnt, so daß es gefahrloser zu handhaben ist. In der Praxis verfährt man dabei so, daß man auf ein Gemisch von Kaliumchlorat und Oxalsäure Schwefelsäure einwirken läßt. T e c h n i s c h benutzt man zur Darstellung von Chlordioxyd aus Natriumchlorat s c h w e f l i g e S ä u r e als Reduktionsmittel: 2HC103 + H 2 S0 3 —>- 2C102 + H 2 S0 4 + HaO. Das Chlordioxyd wird dann in einem Gemisch von Natronlauge und Wasserstoffperoxyd absorbiert (2C10 2 + 2NaOH + H 2 0 2 — > • 2NaC10 ä + 2 H 2 0 + 0 2 ) und die Lösung auf Walzentrocknern zu festem Natriumchlorit (S. 122) eingedampft. Eigenschaften. Chlordioxyd ist ein gelbes Gas von scharfem, durchdringendem Geruch, das sich durch Abkühlung leicht zu einer rotbraunen Flüssigkeit (Sdp. 9.9°) und durch noch stärkere Abkühlung zu orangeroten Kristallen (Smp. —76°) verdichten läßt. Es ist ä u ß e r s t e x p l o s i v und zerfällt schon bei gelindem Erwärmen, durch Schlag oder bei Berührung mit oxydierbaren Stoffen unter heftiger Explosion in Chlor und Sauerstoff: C102 >• ν 2 α 2 + 0 2 + 26.3 kcal. Durch Anlagerung an Pyridin C5H5N (II, S. 453) — CSHSN · C102 — läßt sich Chlordioxyd stabilisieren. In dieser Form dient es in wässeriger Lösung zu Bleich-, Oxydations- und Chlorierungszwecken. In Wasser ist Chlordioxyd leicht löslich. Die wässerige Lösung hält sich im Dunkeln bei Zimmertemperatur lange Zeit unverändert. Allmählich tritt aber in Umkehrung der Bildungsgleichung (7) Umsetzung unter Bildimg von chloriger und Chlorsäure ein : 2C10 2 + H 2 0 — H C 1 0 2 + HCIO3 ; die chlorige Säure zersetzt sich dabei schnell weiter, so daß letzten Endes Salzsäure und Chlorsäure als Disproportionierungsprodukte auftreten. In alkalischen Lösungen bleibt die Stufe der chlorigen Säure erhalten: 2C102 + 2 OH' —>- C102' + C103' + H 2 0, da die Chlorite beständiger sind als die ihnen zugrundehegende Säure. γ. Dichlorhexoxyd Darstellung. Dichlorhexoxyd Cl2Oe wird zweckmäßig durch O x y d a t i o n von — gemäß (10) mit Kohlendioxyd verdünntem — C h l o r d i o x y d mit Ozon (in Form ozonisierten Sauerstoffs; S. 173f.) bei 0° dargestellt: Clt)a + O3 — C I O 3 + 0 2 . Eigenschaften. Dichlorhexoxyd ist eine tiefbraunrote Flüssigkeit, die bei 3.5° erstarrt und bei 203° (extrapolierter Siedepunkt) siedet. Bei Zimmertemperatur ist es in reinem Zustande recht beständig; beim Zusammenbringen mit organischen Stoffen e x p l o d i e r t es aber mit großer Heftigkeit. Beim Erwärmen dissoziiert es in die einfachen Moleküle C103 (C1206 2 C103), welche sich ihrerseits leicht in Chlordioxyd und Sauerstoff spalten (C103 — >-C102 + 0 ) . Mit Wasser reagiert I ichlorhexoxyd als gemischtes Anhydrid unter Bildung von Chlorsäure und Überchlorsäure (Cl2Oe + H 2 0 Z^ZÌi HC10S + HC104).
126
Die Gruppe der Halogene
δ. Dichlorheptoxyd Darstellung. Dichlorheptoxyd C1207 entsteht als Anhydrid der Überchlorsäure (2HC10 4 C1207 + H 2 0 ) bei der E n t w ä s s e r u n g von Ü b e r c h l o r s ä u r e mit P h o s p h o r p e n t o x y d (P 2 0 5 + H 2 0 —>- 2 H P 0 3 ) : 2HC104 + P 2 0 B
^ C1207 + 2HPO3
und kann — sofern gewisse Vorsichtsmaßregeln wegen der explosiven Natur des Oxyds beachtet werden — direkt abdestilliert werden. Eigenschaften. Dichlorheptoxyd ist eine farblose, flüchtige, ölige Flüssigkeit vom Siedepunkt 83° und Erstarrungspunkt —92°. Bei Berührung mit einer Flamme oder durch Schlag e x p l o d i e r t es heftig. Unter gewöhnlichen Bedingungen ist es aber beständiger als die übrigen Chloroxyde; so greift es ζ. B . Schwefel oder Phosphor oder Papier in der Kälte nicht an.
c. Oxyde des Fluors Vom Fluor sind bis jetzt mit Sicherheit nur zwei Oxyde, Difluoroxyd ( F 2 0 ) und Difluordioxyd (F 2 0 2 ), dagegen keine Sauerstoffsäuren bzw. deren Salze bekannt. α. Difluoroxyd Darstellung. Leitet man F l u o r in eine verdünnte N a t r i u m h y d r o x y d l ö s u n g , so erhält man nicht wie beim Chlor eine u n t e r h a l o g e n i g e S ä u r e (X 2 + N a O H — ν N a X + HOX), sondern deren A n h y d r i d : 2F 2 + 2NaOH
>- 2NaF + F 2 0 + H 2 0.
D i f l u o r o x y d zeigt also nicht wie D i e h l o r o x y d (S. 120) die Fähigkeit, mit Wasser gemäß X 2 0 + H 2 0 2 H O X eine unterhalogenige Säure (,,unterfluorige Säure") zu bilden. Eigenschaften. Das Difluoroxyd (Sauerstoffdifluorid) F 2 0 ist ein farbloses, die Atmungsorgane heftig angreifendes Gas, welches sich bei —144.8° zu einer intensiv gelben Flüssigkeit (Smp. —223.8°) verdichtet. Seine Bildungswärme beträgt etwa —8 kcal/Mol. In Wasser ist F 2 0 etwas löslich (6.8 ccm in 100 ccm Wasser bei 0°). Die Lösung zeigt keine s a u r e n , wohl aber s t a r k o x y d i e r e n d e Eigenschaften. Bei Einwirkung des Gases auf Alkalilaugen entstehen keine „Hypofluorite" ( F 2 0 + 2NaOH —>2NaOF + H 2 0 ) , sondern deren Zerfallsprodukte F l u o r i d und S a u e r s t o f f : F 2 0 + 2 N a O H —* - 2 N a F + 0 2 + H 2 0 . Im Vergleich zum Fluor ist Difluoroxyd w e n i g e r r e a k t i o n s f ä h i g ; beim E r w ä r m e n reagiert es aber mit zahlreichen Nichtmetallen und Metallen unter Fluoridbildung. Ein Gemisch von Wasserdampf und Difluoroxyd explodiert auf Zündung: OF 2 + H 2 0 — 0 2 + 2 H F + 74.8 kcal. Zum Unterschied vom Diehloroxyd ist Difluoroxyd n i c h t e x p l o s i v , sondern zerfällt beim Erwärmen oder Belichten allmählich unter Bildung von F l u o r und S a u e r s t o f f . ß. Difluordioxyd Darstellung. Unterwirft man ein äquimolekulares Gemisch von F l u o r und S a u e r s t o f f in einem mit flüssiger Luft gekühlten Gefäß der Einwirkung einer e l e k t r i s c h e n G l i m m e n t l a d u n g , so scheidet sich an den gekühlten Wänden eine Verbindung der Formel F 2 0 2 als orangefarbener fester Beschlag ab : F2+ 02Ζ^Ρ202. Eigenschaften. Die Substanz schmilzt bei —163.5° zu einer kirschroten Flüssigkeit vom (extrapolierten) Siedepunkt —·57°. Unterhalb —100° läßt sie sich bei vermindertem
Sauerstoffverbindungen der Halogene
127
Druck unzersetzt destillieren. Bei höherer Temperatur zerfällt das gasförmige — schwach braun gefärbte — Difluordioxyd in Umkehrung der obigen Bildungsgleichung in die Elemente.
d. Sauerstoffsäuren und Oxyde des Broms Vom Brom sind mit Sicherheit nur zwei S a u e r s t o f f säuren bekannt: die unterbromige Säure HBrO und die Bromsäure HBrO a . Weiterhin existieren zwei O x y d e : das Dibromoxyd Br 2 0 und das Bromdioxyd B r 0 2 . Die unterbromige Säure HBrO und ihre Salze, die Hypobromite (MeBrO), entstehen in Analogie zu den entsprechenden Verbindungen des Chlors (S. 119) durch Schütteln von Bromwasser mit Q u e c k s i l b e r o x y d : 2Br 2 + HgO + H 2 0 — > HgBr, + 2HOBr
bzw. Umsetzung von B r o m mit A l k a l i l a u g e : Br a + 2 Na OH — > - NaBr + NaOBr + H 2 0 .
Die Hypobromitlösungen sind wie die Hypochloritlösungen ausgeprägte B l e i c h - und O x y d a t i o n s m i t t e l , sind gelb gefärbt, haben einen eigentümlichen aromatischen Geruch und disproportionieren sich beim E r w ä r m e n unter Bildung von B r o m i d und B r o m a t : 3 B r O ' 2 B r ' + Br0 3 '. Durch Erhitzen des beim Eindampfen der Lösung hinter bleibenden B r o m i d - B r o m a t Gemisches mit H o l z k o h l e p u l v e r (Reduktion des Bromat-Anteils zu Bromid) werden technisch A l k a l i b r o m i d e gewonnen: 2Br03' + 3 C — 2 B r ' + 3C02. In analoger Weise lassen sich auch A l k a l i j o d i d e darstellen.
Die Bromsäure HBrOj läßt sich analog der Chlorsäure (S. 122) durch Umsetzung von B a r i u m b r o m a t mit verdünnter Schwefelsäure gewinnen. Ihre Salze geben wie die Chlorate leicht Sauerstoff ab und verpuffen beim Erhitzen mit oxydierbaren Substanzen. Das Dibromoxyd BräO entsteht analog dem Dichloroxyd (S. 124) bei der Einwirkung von B r o m auf Q u e c k s i l b e r o x y d : 2Br 2 + HgO
HgBr 2 + B r 2 0 .
Verfährt man hierbei so, daß man Bromdampf über erwärmtes Quecksilberoxyd leitet, so erhält man ein zur Hauptsache aus B r o m und nur zu wenigen Prozenten des Bromgehalts aus Dibromoxyd bestehendes Gasgemisch. Der Gehalt des Reaktionsprodukts an Dibromoxyd läßt sich auf über 40°/ 0 des Bromgehalts steigern, wenn man die Umsetzung von Brom und Quecksilberoxyd in T e t r a c h l o r k o h l e n s t o f f vornimmt. In reinem Zustande wird Dibromoxyd bei der Zersetzung von Bromdioxyd (S.128) gewonnen. Dibromoxyd ist nur bei tiefen T e m p e r a t u r e n (bis herauf zu —40°) beständig. Es stellt bei diesen Temperaturen einen braunen, festen, im Hochvakuum unter Zersetzung sublimierbaren Stoff von stechendem, chlorkalkähnlichem Geruch dar. Beim Erwärmen auf über —40° beginnt es zu zerfallen. Beim Schmelzpunkt (—17.5°) ist die Zersetzung schon recht lebhaft. Sie führt zu B r o m und S a u e r s t o f f , so daß die zunächst schwarzbraune Flüssigkeit bald die rotbraune Farbe des flüssigen Broms annimmt. In reinem Tetrachlorkohlenstoff löst sich Dibromoxyd mit moosgrüner Farbe. Beim Schütteln dieser Lösung mit Natronlauge entsteht H y p o b r o m i t : B r 2 0 + 2NaOH
2 NaOBr + H 2 0 .
Br 2 0 ist also das Anhydrid der unterbromigen Säure.
128
Die
Gruppe
der
Halogene
Das Bromdioxyd Br02 entsteht bei der Einwirkung einer G l i m m e n t l a d u n g auf ein Gemisch von B r o m und S a u e r s t o f f : Br2 +
2 Os •—>- 2 B r 0
(1)
2
als ein bei tiefen Temperaturen beständiger, fester, eigelber Körper. Bei r a s c h e m Erwärmen unter n o r m a l e m D r u c k auf Zimmertemperatur erfolgt unter Flammenerscheinung in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) spontane Zersetzung in die Elemente. Bei l a n g s a m e m Erwärmen unter N o r m a l d r u c k erfolgt von —·3° ab eine kontinuierliche Abgabe von Sauerstoff. Im H o c h v a k u u m verläuft die thermische Zersetzung ganz anders, nämlich unter Bildung eines braunschwarzen und eines weißen Körpers. Der erstere ist Dibromoxyd (S. 127); die Natur des letzteren ist noch unbekannt.
e. Sauerstoffsäuren und Oxyde des Jods Unterjodige Säure. Schüttelt man eine wässerige J o d l ö s u n g mit Q u e c k s i l b e r o x y d , so erhält man vorübergehend die freie unterjodige Säure H J O (2 J 2 -f- HgO + H 2 0 —>• HgJ¡¡ -f- 2 H J 0 ) . Sie ist sehr unbeständig und zersetzt sich rasch unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g in J o d und J o d s ä u r e ( 3 H J O — ^ 2 H J + H J 0 3 ; H J 0 3 + 5 H J —>- 3 H 2 0 + 3 J 2 ) . Etwas beständiger sind ihre Salze, die Hypojodite, die analog den Hypochloriten und Hypobromiten durch Einwirkung von J o d auf A l k a l i l a u g e n gewonnen werden können. Nach kurzer Zeit gehen aber auch sie unter D i s p r o p o r t i o n n i e r u n g in J o d i d und J o d a t über. Jodsäure. Die Jodsäure kann durch Oxydation von J o d mit konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e oder C h l o r in wässeriger Lösung gewonnen werden: J
2
+
6 H
2
0
+
5CJ2 ^ ± 1
2HJO3 +
10HCl.
Die im letzteren Falle gleichzeitig gebildete S a l z s ä u r e muß durch S i l b e r o x y d aus dem Gleichgewicht entfernt werden (2HCl + Ag 2 0 —>- 2AgCl - f H 2 0 ) , da Jodsäure die Salzsäure rückwärts zu Chlor oxydiert. Aus den Salzen, den Jodaten, kann die Säure durch Erwärmen mit S c h w e f e l s ä u r e in Freiheit gesetzt werden: N a J 0
3
+
H
2
S0
4
H J 0
3
+
NaHS0
4
.
Die Jodsäure kristallisiert in farblosen, durchsichtigen Kristallen von saurem, herbem Geschmack und ist ein k r ä f t i g e s O x y d a t i o n s m i t t e l . Ihre S a l z e — die sich durch Einwirkung von J o d auf h e i ß e A l k a l i l a u g e n darstellen lassen — haben im allgemeinen die Formel M e J 0 3 . Man kennt aber auch s a u r e S a l z e der Zusammensetzung MeJOg · HJO3 und M e J 0 3 - 2 H J 0 3 . Die Jodate sind viel b e s t ä n d i g e r als die Chlorate und Bromate, stellen aber immer noch ausgesprochene O x y d a t i o n s m i t t e l dar. So detonieren sie im Gemisch mit brennbaren Substanzen durch Schlag. Uberjodsäure. Oxydiert man J o d a t e mit H y p o c h l o r i t in alkalischer Lösung, so entstehen Periodate: HJOj +
HCIO
>- H J 0
4
+
HCl.
Diese Perjodate leiten sich aber nicht analog den Perchloraten (MeC104) nur von der e i n f a c h e n Ü b e r j o d s ä u r e H J 0 4 („Meta-perjodate" M e J 0 4 ) ab, sondern auch von den w a s s e r r e i c h e r e n Formen H J 0 4 · H a O = H 3 J 0 6 („Meso-perjodate" Me3J05) und H J 0 4 · 2 H a 0 = H 6 JO e („Ortho-perjodate" Me 5 JO e ). Yon den f r e i e n Überjodsäuren kennt man nur die O r t h o v e r b i n d u n g H 5 J 0 6 , farblose, an der Luft zerfließende Kristalle, welche sich schon beim Schmelzpunkt (130°) unter Abspaltung von Wasser und Sauerstoff und Bildung von Dijodpentoxyd ( 2 H 5 J 0 e — ν 5 H 2 0 + J 2 0 5 + 0 2 ) zersetzen. Von den Salzen sind die O r t h o p e r j o d a t e M e 5 J 0 6 recht beständig, während sich die M e t a p e r j o d a t e M e J 0 4 beim Erhitzen vielfach explosionsartig zersetzen.
Verbindungen der Halogene untereinander
129
Dijodtetroxyd. Das Dijodtetroxyd J 2 0 4 entspricht in seiner Bruttozusammensetzung dem C h l o r d i o x y d C102. Es entsteht analog diesem (S. 124) bei der Einwirkung von heißer k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e auf J o d s ä u r e als gelbes, körniges Pulver und ist in kaltem Wasser nur wenig löslich. Beim Erhitzen auf über 100° zersetzt es sich unter Bildung von Dijodpentoxyd, dem Anhydrid der Jodsäure, und J o d : 5 J 2 0 4 — > 4 J205 + J2.
Entsprechend löst es sich auch in heißem Wasser unter Bildung von Jodsäure und Jod. Dijodpentoxyd. Zum Unterschied von der Chlorsäure und Bromsäure läßt sich die J o d s ä u r e durch Erwärmen auf 180 bis 200° in ihr A n h y d r i d überführen: 2HJO3 —>- HäO + J205. Das so entstehende Dijodpentoxyd stellt ein weißes kristallines Pulver dar, das erst oberhalb 300° in die Elemente zerfällt : 43 kcal + J 2 0 5
J 2 + 27a 0 2
und mit Wasser wieder Jodsäure bildet. Im Gegensatz zu allen anderen Halogenoxyden ist es eine e x o t h e r m e Verbindung.
5. Verbindungen der Halogene untereinander Die V e r b i n d u n g e n d e r H a l o g e n e u n t e r e i n a n d e r haben im einfachsten Fall die Formel X Y ; doch sind auch einzelne Verbindungen bekannt, die sich um zwei vier oder Sechs Halogenatome von dieser Formel unterscheiden: XY 3 , XY 5 und XY 7 Bei den Verbindungen der Z u s a m m e n s e t z u n g X Y sind alle Kombinationen bis auf die Verbindung J F bekannt, wie aus folgender Zusammenstellung hervorgeht, in welcher auch die reinen Halogene mit aufgenommen sind: Fluor
Fluor
FF Farbloses Gas Smp. - 223° Sdp. - 187.9°
Chlor
C1F Farbloses Gas Smp. - 155.6° Sdp. - 100.1°
Brom
BrF Hellrotes Gas Smp. 33° Sdp. ~ + 20°
Jod
Chlor
Brom
Jod
(MI Gelbgrünes Gas Smp. - 102.4° Sdp. - 34.0° BrCl BrBr (Nur imGleichgewicht TiefbrauneFlüssigkeit mit Br2 und Cl2) Smp. - 7.3° Smp. - 54° Sdp. + 58.8° Sdp. (26 mm) - 50° JC1 Rubinrote Nadeln Smp. + 27.2° Sdp. + 97.4°
JBr Rotbraune Kristalle Smp. + 36° Sdp. + 116°
33 Grauschwarze Schuppen Smp. + 113.7° Sdp. + 184.5°
Die D a r s t e l l u n g dieser Verbindungen erfolgt ganz allgemein a u s d e n E l e menten: X 2 + Y2 ^ 2XY. H o l l e m a η - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
9
Die Grappe der Halogene
130
So erhält man z. B. das Chlorfluorid C1F durch Vereinigung von Chlor und Fluor Lei 250°, Bromfluorid BrF durch Sättigen von Brom mit Fluor bei 10°, Bromchlorid BrCl (im Gleichgewicht mit Brom und Chlor) durch Einleiten von Chlorgas in flüssiges Brom, Jodchlorid JC1 (das außer in der S. 129 angeführten stabilen α-Form auch als metastabile β-Modifikation vom Schmelzpunkt 13.9° vorkommt) durch Überleiten von Chlor über Jod und Jodbromid JBr durch Einwirkung von Brom auf Jod. F a r b e , Schmelz- und S i e d e p u n k t nehmen bei gegebenem ersten Halogen mit dem Atomgewicht des zweiten, d. h. in der Richtung von oben nach unten und von links nach rechts in der umstehenden Tabelle zu. So variiert die Farbe von Fluor bis Jod, den beiden äußersten Gliedern, von farblos bis grauschwarz, der Schmelzpunkt von —223 bis +114° und der Siedepunkt von —188 bis +185°. U n b e s t ä n d i g k e i t und R e a k t i o n s f ä h i g k e i t nehmen mit zunehmender Entfernung der Halogene im Periodensystem, also in der Richtung von oben nach unten und von rechts nach links in der umstehenden Tabelle zu. So ist ζ. B. das Chlorfluorid reaktionsfähiger als Fluor, so daß seine Darstellung große Schwierigkeiten macht ; Bromfluorid ist bereits so unbeständig, daß eine genaue Bestimmung seiner physikalischen Daten nicht möglich ist; und Jodfluorid schließlich ist offensichtlich so zersetzlich, daß seine Darstellung bisher überhaupt noch nicht geglückt ist. In gleicher Weise steigt die Reaktionsfähigkeit vom Jod über das Jodbromid zum Jodchlorid hin. Bei der Einwirkung von überschüssigem Halogen Y2 auf die einfachen Verbindungen XY entstehen höhere H a l o g e n v e r b i n d u n g e n (vgl. S. 193) : X Y + η Y2
XY.2n + 1
(n = 1, 2 und 3). Die Neigimg zu dieser Anlagerung steigt mit zunehmendem Atomgewicht von X und abnehmendem Atomgewicht von Y. So bildet ζ. B. Chlor das Fluorid CIF3, Brom die Fluoride BrF s und BrF8 und J o d die Fluoride JF B und JF 7 , während bei den Chloriden nur das J o d ein höheres Chlorid JC13 bildet: CU'3 Farbloses Gas Smp. - 82.6* Sdp. + 1 2 . 1 °
BrFs
BrFs
Farblose Flüssigkeit Farblose Flüssigkeit Smp. - 61.3° Smp. + 8.8® Sdp. + 40.5° Sdp. + 127°
JFs
Farblose Flüssigkeit Smp. + 8.5° Sdp. + 97°
JFT Farbloses Gas Smp. 5.5 e Sblp. 4.5°
JCI3
Gelbe Nadeln Smp. 101· (16 at Druck)
Die F l ü c h t i g k e i t der höheren Halogenide steigt mit zunehmendem Halogeng e h a l t . Ihre chemische Reaktionsfähigkeit ist durchweg sehr groß.
Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Halogene
131
6. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Halogene Wie aus den vorangegangenen Abschnitten hervorgeht, zeigen die Halogene untereinander eine große Ähnlichkeit und eine ganz gesetzmäßige Abstufung in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften. Folgende Tabelle faßt diese graduelle Änderung der Eigenschaften mit steigendem Atomgewicht nochmals kurz zusammen : Fluor Atomgewicht Spezifisches Gewicht Schmelzpunkt Siedepunkt Farbe im Gaszustand Thermischer Dissoziations-\ 1000° abs. grad in % /2000 o abs. Nichtmetallcharakter Allgemeine Reaktionsfähigkeit Affinität zum Wasserstoff Affinität zum Sauerstoff
19.000
1.1081
- 223° - 187.9° fast farblos
Chlor 35.457 1.571 - 102.4° - 34.0° gelbgrün 0.035 52 — - > nimmt — > nimmt — nimmt — > nimmt
Brom
Jod
79.916 3.119 - 7.3° + 58.8° rotbraun 0.23 72.4 ab ab ab zu
126.92 4.942 + 113.7° + 184.5° violett 2.8
89.5 >-
>
Physikalische Eigenschaften. Fluor ist ein G a s , Chlor ein leicht zu v e r f l ü s s i g e n d e s G a s , Brom f l ü s s i g und Jod f e s t . Die Farbe vertieft sich vom Fluor zum J o d hin derart, daß das Fluor praktisch f a r b l o s , das Jod dagegen im festen Zustande bereits g r a u s c h w a r z ist. Die Festigkeit der Bindung zwischen den Halogenatomen verringert sich zum Jod hin, welches bei hohen Temperaturen schon weitgehend in a t o m a r e r Form vorliegt, während sich Fluor auch bei sehr hohen Temperaturen thermisch n i c h t in d i e A t o m e a u f s p a l t e n läßt. Alle vier Halogene sind N i c h t m e t a l l e , jedoch nimmt der nichtmetallische (metallische) Charakter zum Jod hin ab (zu); beim J o d fällt schon ein äußeres Kennzeichen der Metalle, der M e t a l l g l a n z , ins Auge. Chemische Eigenschaften. Die V e r w a n d t s c h a f t z u m W a s s e r s t o f f nimmt mit fallendem Atomgewicht des Halogens zu. F l u o r verbindet sich schon im Dunkeln bei niedriger Temperatur mit Wasserstoff unter Bildung einer thermisch außerordentlich beständigen Verbindung; J o d dagegen reagiert erst in der Wärme bei Anwesenheit eines Katalysators und liefert eine thermisch instabile Wasserstoffverbindung. Entsprechend der größeren Verwandtschaft zum Wasserstoff vermag jedes l e i c h t e r e Halogen das s c h w e r e r e aus seiner WasserstoffVerbindung zu v e r d r ä n g e n ; so setzt elementares Fluor sämtliche anderen Halogene in Freiheit (F 2 + 2HBr - >- 2 H F + Br 2 usw.), Chlor zersetzt nur die WasserstoffVerbindungen desBroms und Jods, Brom nur die des Jods. Die V e r w a n d t s c h a f t z u m S a u e r s t o f f nimmt umgekehrt vom Fluor zum Jod hin zu, so daß die Oxyde des J o d s am b e s t ä n d i g s t e n und zum Unterschied von den endothermen übrigen Halogenoxyden e x o t h e r m e Verbindungen sind. Dementsprechend kann auch ein Halogenatom von höherem Atomgewicht ein leichteres Halogen aus dessen Sauerstoffverbindung in Freiheit setzen : KC103 + 1 / 2 J 2 —> Κ J 0 3 + 7t :CÍ: Cl: 10*
Die Elektronentheorie der Valenz
148
Das g e m e i n s a m e E l e k t r o n e n p a a r stellt dabei einen z w e i t e n Typus von chemischer Bindung zwischen zwei Atomen dar, den man als „Atombindung" (,,Kovalenz", „homöopolare Bindung", „unpolare Bindung") bezeichnet. Die Zahl der von einem Atom ausgehenden Atombindungen, seine „Wertigkeit" („Atomwertigkeit"; „Bindigkeit"), hängt wie bei der Ionenbindung von der Zahl seiner Außenelektronen ab. Vereinigen wir ζ. B. C h l o r mit S a u e r s t o f f , so muß letzterer, da seinen Atomen z w e i Elektronen zur Achterschale fehlen, z w e i Elektronenpaare mit z w e i Chloratomen teilen, um zur Neonschale zu kommen: : Cl · + · Ö · + · Cl :
>- : Cl : Ö : Cl :
Sauerstoff ist daher zum Unterschied vom „einwertigen" Chlor „zweiwertig". Dementsprechend sind auch die beiden Sauerstoffatome eines S a u e r s t o f f m o l e k ü l s zum Unterschied von den Chloratomen des Chlormoleküls nicht durch eine „einfache Bindung" (ein gemeinsames Elektronenpaar), sondern durch eine „Doppelbindung" (zwei gemeinsame Elektronenpaare) miteinander verknüpft: Ö: + :Ö ·—>- Ö: :Ö Beim S t i c k s t o f f m o l e k ü l muß die Verknüpfung der beiden Stickstoffatome sogar durch eine „Dreifachbindung" erfolgen, da nur auf diesem Wege Achterschalen für die Stickstoffatome zu erzielen sind: :Ν:· + .:Ν:
Ν :N:::N:
In ganz analoger Weise treten die Atome Chlor, Sauerstoff und Stickstoff auch gegenüber dem die Heliumschale erstrebenden W a s s e r s t o f f ein-, bzw. zwei- oder dreiwertig auf, während sich das K o h l e n s t o f f a t o m mit seinen vier Außenelektronen sowohl gegenüber Wasserstoff als auch gegenüber anderen Elementen als v i e r w e r t i g erweist : Η Η Η : Cl :
H:Ö: H
H:Ν:H
H:C:H H
Der Chemiker vereinfacht diese „Elektronenformein" homöopolarer Verbindungen meist in analoger Weise wie bei den heteropolaren Verbindungen dadurch, daß er jedes gemeinsame {„anteilige") Elektronenpaar, also jede Atombindung durch einen vom betrachteten Atom ausgehenden V a l e n z s t r i c h (,,Valenzstrichformeln") kennzeichnet (a). Vielfach ist es dabei zweckmäßig, auch die u n b e a n s p r u c h t e n {„freien", „einsamen") Elektronenpaare durch — q u e r gerichtete — Striche wiederzugeben (b). Für die gewöhnliche Bezeichnung von Verbindungen genügt allerdings auch hier wieder die bloße Aneinanderreihung der Elementsymbole (c) : Cl-Cl
IÇ1-C1I
Cl,
H-O-H
H-O-H
H20
H H-N-H
H H-N-H
NH3
0=0
0=0
02
NsN (a)
|N=N|
N2
(b)
(c)
Die chemische Bindung
149
Wie ein Vergleich dieser Formeln mit den Formeln für Ionenverbindungen (S. 146) zeigt, bringen die Valenzstrichformeln — ζ. B. von Natriumchlorid (Na—Cl) und Chlor (Cl—Cl) — zum Unterschied von den Elektronenformeln ^[Na]+ |: Cl :
bzw.
: Cl : Cl :j nicht zum Ausdruck, daß es sich in den beiden Fällen um g a n z v e r s c h i e d e n e T y p e n von Bindungsarten handelt, daß also im einen Fall ein Aufbau aus I o n e n , im anderen ein Aufbau aus A t o m e n vorliegt. Die I o n e n b i l d u n g Der Aufbau aus A t o m e n statt aus I o n e n bedingt, daß Stoffe wie C h l o r w a s s e r s t o f f oder A m m o n i a k zum Unterschied vom Natriumchlorid oder Natriumhydrid im flüssigen r e i n e n Zustande N i c h t l e i t e r sind. Daß sie demgegenüber in w ä s s e r i g e r L ö s u n g den elektrischen Strom leiten, beruht auf der Bildung von Ionen durch R e a k t i o n mit dem Lösungsmittel. So erfolgt beim Auflösen von C h l o r w a s s e r s t o f f in W a s s e r ein Übergang von positiv geladenen Wasserstoff-ionen („Protonen") vom C h l o r w a s s e r s t o f f z u m W a s s e r hin: H H H
H
:Ö:
H
+ [ : ° 1: ]~·
Dabei entstehen aus den Wassermolekülen p o s i t i v g e l a d e n e , den s a u r e n Char a k t e r der Chlorwasserstofflösung bedingende „Hydronium-ionen" H s O + , während die C h l o r a t o m e als n e g a t i v g e l a d e n e A n i o n e n zurückbleiben. Die Ionen einer wässerigen Salzsäure entstammen also in Wirklichkeit nicht einer D i s s o z i a t i o n des Chlorwasserstoffs (S. 89) gemäß H C 1 ^ 3 Ï : H + + Cl",
(1)
sondern einer c h e m i s c h e n R e a k t i o n zwischen Chlorwasserstoff und Wasser: HCl+H20^=iH30+ + Cr. (2) Der Kürze halber pflegt man aber statt der ausführlicheren Gleichung (2) gewöhnlich die gekürzte Gleichung (1) zu schreiben. Man muß sich dabei aber bewußt bleiben, daß die W a s s e r s t o f f - i o n e n hier wie bei anderen Säuren in Wirklichkeit H y d r o n i u m i o n e n sind. Löst man A m m o n i a k in W a s s e r auf, so erfolgt der P r o t o n e n ü b e r g a n g umgekehrt vom W a s s e r z u m A m m o n i a k hin: H H H :N: H + [ : Ö : H ] - . H :N: + H : 0 : H H H Dadurch kommt es zur Bildung von „Hydroxyl-ionen" O H - , welche den b a s i s c h e n C h a r a k t e r der Ammoniaklösung bedingen (S. 90). Wir werden später (S. 171 ff.) ausführlicher auf die sich so ergebende n e u e D e f i n i t i o n von Säliren und Basen eingehen. Das Tetraedermodell Zum Unterschied von der Ionenbindung ist die Atombindung r ä u m l i c h ger i c h t e t . Wir können sie uns vorstellen als eine die beiden verbundenen Atome umkreisende Bahn eines Elektronenpaares. Daher werden sich die Elektronenbahnen der vier Elektronenpaare eines Oktetts wegen der gleichnamigen Ladung der Elektronen
150
Die Elektronentheorie der Valenz
gegenseitig abstoßen, so daß eine Eichtling nach den vier E c k e n eines T e t r a eders hin resultiert (Fig. 51). Dementsprechend bilden ζ. B. die 4 Wasserstoffatome des Methanmoleküls CH4 ein regelmäßiges T e t r a e d e r , in dessen Mittelpunkt der Kohlenstoff sitzt, während das Ammoniak NH 3 , bei dem eine der 4 Bindungen unbeansprucht ist, die Form einer flachen dreiseitigen P y r a m i d e (Grundfläche: 3 Wasserstoffatome ; Spitze: 1 Stickstoffatom) und das W a s s e r H 2 0, das nur 2 Kovalenzen betätigt, die Form eines gleichschenkligen D r e i e c k s (Spitze: 1 Sauerstoffatom ; Grundlinie : 2 Wasserstoffatome) besitzt (Fig. 52). Der Valenzwinkel beträgt in allen drei Fällen, übereinstimmend mit dem Tetraedermodell, abgerundet 110°. Analoges gilt für die vom CH4, NH3 und H 2 0 durch Austausch („Substitution") der Wasserstoffatome gegen andere Atome oder Atomgruppen („Substituenten", „Liganden") ableitbaren Abkömmlinge {„Derivate"). Wie ein Vergleich dieser Moleküle mit den Ionengittern der Fig. 51. Tetraedermodell der Valenzrichtung Salze (S. 145) zeigt, bilden die Verbindungen mit Atombindungen im allgemeinen k e i n e R i e s e n m o l e k ü l e , sondern ab geschlossene kleinere T e i l c h e n , da infolge des Fehlens von Ionenkräften keine Veranlassung zur Zusammenlagerung der Einzelmoleküle zu Riesenverbänden besteht. Dementsprechend sind die homöopolar aufgebauten Stoffe zum Unterschied von den schwerflüchtigen Salzen meist f l ü c h t i g e Verbindungen. ©
Fig. 52.
CH*
NH3
H20
Räumliche Atomanordnung im Methan-, Ammoniak- und Wassermolekül
Immerhin können auch die homöopolaren Stoffe gelegentlich schwer- bis n i c h t f l ü c h t i g sein. Ζ. B. dann, wenn das durch Atombindungen zusammengehaltene Molekül an sich sehr groß bis riesengroß ist. Als Beispiele seien hier die später noch zu besprechenden „Atomgitter" des D i a m a n t e n (S. 286) und des Quarzes (S. 320) erwähnt. Auch kann die Flüchtigkeit durch Assoziation der Moleküle infolge Dipolwirkung herabgesetzt werden, worauf wir im folgenden Abschnitt näher eingehen wollen. D a s Dipolmoment Sind die durch eine Atombindung miteinander verbundenen Atome voneinander verschieden (AB), so verteilt sich das gemeinsame Elektronenpaar in der Regel nicht s y m m e t r i s c h (a), sondern u n s y m m e t r i s c h (b) auf die beiden Bindungspartner, da die Elektronenaffinität der beiden Atome verschieden ist; schematisch: (+) (-)
A:Β A :Β . (a) (b) Auf diese Weise fallen die Schwerpunkte der positiven und negativen Ladungen des Moleküls nicht zusammen, so daß das Molekül einen mehr oder minder polaren
151
Die chemische Bindung
C h a r a k t e r annimmt. Zahlenmäßig wird dieser polare Charakter durch das elektrische „Dipolmoment" μ (vgl. II, S. 49ff.): μ = e-l (3) zum Ausdruck gebracht (e = Ladung ; l = Abstand der Ladungsschwerpunkte). So besitzt z . B . der C h l o r w a s s e r s t o f f HCl ein D i p o l m o m e n t , weil das gemeinsame Elektronenpaar mehr dem C h l o r als dem W a s s e r s t o f f angehört: (+)
(-)
H
: CL:
Wäre die Verbindung eine i d e a l e I o n e n v e r b i n d u n g , so müßte das Dipolmoment(3) (4.803 χ IO- 10 ) X (1.28 χ IO -8 ) = 6.15 χ IO -18 elektrostatische Einheiten · cm = 6.15 „Debye"1 betragen, weil der Abstand der beiden Atomkerne im HCl-Molekül 1.28 Â beträgt und bei idealem Ionenaufbau jedem Ion eine elektrische Elementarladung von 4.803 X10- 1 0 elektrostatischen Einheiten ( = 1.602 χ IO -19 Coulomb) zukäme. I n Wirklichkeit sind aber die elektrischen Ladungen k l e i n e r , da das gemeinsame Elektronenpaar dem Chloratom nicht v ö l l i g , sondern nur b e v o r z u g t angehört. Dementsprechend beträgt das gefundene Dipolmoment nur 1.04 Debye. Selbstverständlich kann man dann rückwärts aus der G r ö ß e des gefundenen Dipolmoments hier wie in anderen Fällen Rückschlüsse auf die Ladungsverteilung und damit den i n n e r e n B a u des Moleküls ziehen. Bei einem aus zwei g l e i c h a r t i g e n A t o m e n bestehenden Molekül (ζ. B. H 2 , J 2 , N2) ist das Dipolmoment natürlich gleich N u l l . Die Atombindungen mit polarem Charakter stellen Ü b e r g ä n g e zwischen der reinen Ionenund der reinen Atombindung (vgl. S. 153f.) dar und haben dazu geführt, auch bei der A t o m w e r t i g k e i t zwischen einer mehr „elektropositiven" und einer mehr „elehtronegativen" Wertigkeit zu unterscheiden. So ist ζ. B. der S t i c k s t o f f im S t i c k s t o f f - f l u o r i d N F 3 der e l e k t r o p o s i ti v e r e Bestandteil und daher „elektropositiv dreiwertig", während er im S t i c k s t o f f - c h l o r i d NCI3 den e l e k t r o n e g a t i v e r e n Bestandteil bildet und daher als „elektronegativ dreiwertig" bezeichnet wird (vgl. S. 227 f.).
I n derselben Weise, in der sich entgegengesetzt geladene I o n e n anziehen, können sich auch I o n e n und D i p o l e sowie D i p o l e u n t e r e i n a n d e r anziehen und auf diese Weise Molekülaggregate bilden. Die K r a f t K, mit der dies geschieht, läßt sich für die verschiedenen Fälle durch die Gleichungen _ e1-ei •"•Ion-Ion
r2
_ hlEι Ion-Dipol
j3
K
""-Dipol-Dipol
_jhJH j4
wiedergeben (e = Ladung des Ions ; μ = Moment des Dipols ; r = Abstand der sich anziehenden Ladungen). Man ersieht daraus, daß die „Dipolkräfte" bei gleichen Abständen r gemäß dem größenordnungsmäßigen Unterschied zwischen e und μ s e h r v i e l k l e i n e r als die „Ionenkräfte" sind und zudem mit wachsendem Abstand der Ladungen entsprechend der höheren Potenz von r s e h r v i e l r a s c h e r a b k l i n g e n als diese. Die Dipolkräfte bedingen u. a. die A s s o z i a t i o n vieler Substanzen im flüssigen Zustande und die Bildung zahlreicher A n l a g e r u n g s k o m p l e x e (vgl. S. 158f.). γ. Die MetaUbmdung Das Metallgitter Kombiniert man zwei im Periodensystem der Elemente l i n k s stehende Atome, etwa zwei N a t r i u m a t o m e , miteinander, so kann w e d e r durch den Übergang eines Elektrons vom einen zum anderen Atom (Na · -f • Na —>- [Na] + [ : Na]~) n o c h durch 1 Man hat für 10 - 1 8 elektrostatische Einheiten des Dipolmoments die Bezeichnung „Debye" (D) eingeführt, weil die Entdeckung der permanenten molekularen elektrischen Dipole den) niederländischen Physiker P E T E R D E B Y E zu verdanken ist und weil alle Zahlenwerte des Dipolmoments in dieser Größenordnung liegen.
152
Die Elektronentheorie der Valenz
gemeinsame Beanspruchung eines Elektronenpaares seitens beider Natriumatome (Na · + · Na — ν Na : Na) eine stabile Achterschale für letztere geschaffen werden. Dies ist vielmehr nur dadurch möglich, daß b e i d e Natriumatome ihr Elektron a b g e b e n und daß die so entstehenden beiden p o s i t i v e n N a t r i u m - i o n e n durch die beiden n e g a t i v e n E l e k t r o n e n zusammengehalten werden: Na · + . Na
>- [Na]+ : [Na]+.
Diese Art der Bindung wird „Metallbindung" genannt. Die durch die Zahl der abgegebenen Valenzelektronen bedingte L a d u n g des Metall-ions gibt die „Metallwertigkeit" wieder. Wie bei der Ionenbindung liegen naturgemäß auch hier k e i n e g e r i c h t e t e n K r ä f t e vor, so daß sich die Anziehung zwischen Elektronen und Metallionen nicht auf z w e i A t o m e beschränkt, sondern — ähnlich wie bei der Ionenbindung — zur Bildung eines „Metallgitters"' führt, bei welchem ein Ionengitter von Metall-ionen in ein ,,Elektronengas", d. h. ein Fluidum leichtverschieblicher Elektronen eingebettet ist. So haben wir uns ζ. B. das N a t r i u m m e t a l l , wie der in Fig. 53 wiedergegebene Ausschnitt aus dem Natriumgitter zeigt, als ein „kubisch-raumzentriertes" Gitter von Natrium-ionen vorzustellen, das von den Valenzelektronen der Natriumatome wie von einem Gas erfüllt ist. Lediglich im D a m p f z u s t a n d e kommen auch einfache Na 2 -Moleküle vor (S. 406). Die l e i c h t e B e w e g l i c h k e i t des Elektronengases beO Nafriumwnen dingt den metallischen Charakter, vor allem die e l e k t r i s c h e Fig. 53. LadungsschwerL e i t f ä h i g k e i t der festen Metalle. Die Leitfähigkeit ist punkte der Ionen des dabei zum Unterschied von der Leitfähigkeit der Salze n i c h t Natriumgitters mit einer c h e m i s c h e n Z e r s e t z u n g des Leiters verbunden, da ja bei dem Vorgang der elektrischen Leitung das Metallionengerüst e r h a l t e n bleibt und lediglich eine Wanderung der E l e k t r o n e n (Abfluß zum positiven, Nachlieferung vom negativen Pol der Stromquelle) erfolgt. Leiter dieser Art nennt man „Leiter 1. Klasse" (vgl. S. 144). Die Geschwindigkeit, mit der sich die Elektronen in einem metallischen Leiter unter dem Einfluß einer angelegten Spannung bewegen, ist — entgegen einem weitverbreiteten Irrtum — s e h r klein. Fließt ζ. B. in einem Kupferdraht von 1 mm2 Querschnitt ein Strom von 1 A, so beträgt die Strömungsgeschwindigkeit der Elektronen weniger als 1 / 10 mm pro Sekunde1, entsprechend einer S t u n d e n g e s c h w i n d i g k e i t von nur rund 30 cm. Da sich allerdings beim Einschalten des Stroms alle Elektronen des Leiters g l e i c h z e i t i g i n Bewegung setzen, ist die W i r k u n g des Stroms auch an entfernten Stellen s o f o r t zu beobachten.
Die L e g i e r u n g e n Es ist leicht einzusehen, daß bei der Kombination z w e i e r verschiedener Atomsorten zu einem M e t a l l g i t t e r nicht wie bei der reinen Atom- oder Ionenbindung ein c h a r a k t e r i s t i s c h e s k o n s t a n t e s A t o m v e r h ä l t n i s resultieren m u ß . Ζ. B. kann bei passender Abmessung der Ionenradien wie im Falle der Mischkristallbildung bei S a l z e n (S. 146f.) eine — begrenzte oder unbegrenzte — s t a t i s t i s c h e V e r t e i l u n g beider Partner über das ganze Gitter ohne gesetzmäßigen Verteilungsplan erfolgen; wir sprechen dann von „Legierungen" (Beispiel: Gold-Silber-Legierungen). Es kann 1 Die Strömungsgeschwindigkeit ν der Elektronen (in mm/sec) errechnet sich, wie leicht abzuleiten, aus der Beziehung i = η ·ν -q - e(i = Stromstärke in Ampere, η = Zahl der Leitungselektronen je mm8, q = Querschnitt des Leiters in mm2, e = 1.602 • IO - 1 · = Ladung des Elektrons in Coulomb). Die Größe η ergibt sich gemäß η = w · ζ aus der Metallwertigkeit w des metallischen Leiters (S. 153) und der Zahl 2 der Metallatome je mm3 (z = 6.022 · IO20 d/M; d = Dichte, M = Molekulargewicht des Metalls).
153
Die chemische Bindung
die Verteilung der beiden Legierungspartner andererseits aber auch wie im Falle der Doppelsalze (S. 147) nach b e s t i m m t e n V e r t e i l u n g s g e s e t z e n erfolgen. Dann resultiert zwar eine s t ö c h i o m e t r i s c h e Z u s a m m e n s e t z u n g („intermetallische Verbindung" ; Beispiel : CaSn3), aber die „Wertigkeit" der Elemente in diesen „Verbindungen" hat natürlich nichts mit den n o r m a l e n W e r t i g k e i t e n der Elemente zu tun, da sie ja nicht wie bei der Ionen- und Atombindung binärer Verbindungen durch die Zahl der Valenzelektronen zwangsläufig gegeben ist, sondern mehr ein formaler Ausdruck der durch r ä u m l i c h e A n o r d n u n g s g e s e t z e bedingten Formel ist. Diese räumlichen Anordnungsgesetze scheinen weitgehend durch das Verhältnis der Gesamtzahl der L e i t u n g s e l e k t r o n e n zur Gesamtzahl der M e t a l l k a t i o n e n bedingt zu werden, da in sehr vielen Fällen b e s t i m m t e n d e r a r t i g e n Zahlen Verhältnissen ganz b e s t i m m t e G i t t e r s t r u k t u r e n entsprechen („Regel yon Hume-Rothery") . So weisen z. B. die drei Komponenten des Messings CuZn, Cu5Zn8 und CuZn3 entsprechend ihren verschiedenen Verhältniszahlen (1 + 2) : (1 + 1) = 3 : 2 bzw. (5 · 1 + 8 · 2) : (5 + 8) = Zahl der Leitungselektronen je Metallatom
Beispiele
Gitterstruktur
2 1 : 1 4 (3 : 2)
kubisch-raumzentriertes Gitter
21:13
kompliziertes kubisches Gitter
21:12 (7:4)
hexagonale dichteste Kugelpackung
Cu'Zn11, AgICd11, Agi Al111, Cu¿SiIV, Cu*SnIV, Ni°Al m CuiZnii, CujAl™, j ^ n , Co°Zn», P t > » , Cu^Sn™ Cu'ZnJ1, Cu'SnIV, A^Znj,1, Agi Al™, Ft°Zn5[, Cu¡SiÍV
2 1 : 1 3 bzw. (1 + 3 · 2) : (1 + 3) = 7 : 4 und in Übereinstimmung mit vielen Legierungen gleicher Verhältniszahl ein kubisch-raumzentriertes bzw. kompliziertes kubisches bzw.hexagonal dichtest gepacktes Gitter auf (s. obige Tabelle ). Wie aus den in Spalte 3 der Tabelle durch römische Ziffern zum Ausdruck gebrachten Metallwertigkeiten hervorgeht, steuern die Metalle durchweg eine ihrer Gruppennummer im Periodensystem (S. 67 und 429) entsprechende Zahl von Valenzelektronen (Leitungselektronen) zum Elektronengas bei. Die Elemente der nullten Nebengruppe (z. B. Fe, Ni, Co, Pt) sind dementsprechend im Legierungsgitter nullwertig, was sich in der Tat durch magnetische Messungen (S. 482) beweisen läßt. δ.
Übergänge zwischen den verschiedenen Bindungsarten
Zwischen den G r e n z f ä l l e n der reinen Ionen-, reinen Atom- und reinen Metallbindung sind Ü b e r g ä n g e möglich, und bei der M e h r z a h l der anorganischen Verbindungen liegen solche Ü b e r g a n g s b i n d u n g e n vor. Ionenbindung/Atombindung. In einer Ionenverbindung AB kann das K a t i o n A + infolge seiner positiven Ladung die E l e k t r o n e n h ü l l e des A n i o n s Β " zu sich h e r ü b e r z i e h e n („Deformation'1 der Elektronenhülle), so daß diese nicht mehr allein dem Anion, sondern teilweise auch dem K a t i o n mit angehört. Es entsteht dann ein Ü b e r g a n g s z u s t a n d , der im G r e n z f a l l in die A t o m b i n d u n g übergeht (vgl. S. 150 f.) : (+) [A] + [ : B ] ~
—^
Ionenbindung
[A:B]
— •
Übergangebindung
[A:B],
Atombindung
Da bei gegebenem A n i o n die d e f o r m i e r e n d e W i r k u n g des Kations naturgemäß um so s t ä r k e r ist, je k l e i n e r dessen R a d i u s und je g r ö ß e r dessen p o s i t i v e L a d u n g ist, nimmt ζ. B. in der Reihe NaCl,
MgCl2,
Ionenbindung
AICI3,
SiCl4,
PCI,,
SC12,
C1C1
Atombindung
von links nach rechts der S a l z c h a r a k t e r ab und der h o m ö o p o l a r e C h a r a k t e r zu, so daß ganz links reine I o n e n - und ganz rechts reine Atombindung vorliegt,
154
Die Elektronentheorie der Valenz
während etwa das dazwischenliegende Aluminiumchlorid einen ausgesprochenen Ü b e r g a n g s t y p darstellt. Die Tatsache, daß das erste E l e m e n t einer Hauptgruppe weniger dem zweiten Element der gleichen als dem zweiten Element der folgenden Hauptgruppe ähnelt, daß also ζ. B. die Lithiumverbindungen mehr den Magnesium- als den N a t ri um Verbindungen und die Ber y Iii um Verbindungen mehr den Aluminium- als den Magnesium Verbindungen gleichen („Schrägheziehung" im Periodensystem, vgl. S. 423), beruht mit auf dieser deformierenden Wirkung der K a t i o n e n , da in diesen Fällen die durch die Zunahme des K a t i o n e n r a d i u s (Li- —> Na"; Be" —> Mg") bedingte Verringerung der deformierenden Wirkung durch eine entsprechende Zunahme der K a t i o n e n l a d u n g (Na' — >- Mg"; Mg" - > - Al"*) wieder kompensiert wird. Die Deformierbarkeit eines Anions nimmt bei gegebenem Kation mit der Größe des R a dius und der negativen L a d u n g zu. Daher besitzen z. B. die Sulfide weniger Salzcharakter als die Chloride und Oxyde und die J o d i d e weniger Salzcharakter als die Bromide.
Metallbindung/Ionenbindung. Ersetzen wir im N a t r i u m c h l o r i d NaCl nicht wie im vorigen Fall das N a t r i u m , sondern das Chlor der Reihe nach durch die übrigen Elemente der 3. Periode des Periodensystems : NaCl,
Na 2 S,
Na 3 P,
Na x Si,
Na x Al,
NaxMg,
lonenbindung
NaNa, Metallblndung
so kommen wir von der reinen I o n e n b i n d u n g über l e g i e r u n g s a r t i g e Übergangstypen hinweg zur reinen Metallbindung. Schematisch läßt sich dieser Übergang analog dem vorher formulierten wie folgt wiedergeben : [Α]+[:ΒΓ
^
Ionenbindung
[A] + : Β
>-
[A]+:[B]+.
Übergangsbindung
Metallbindung
Es erfolgt also dabei ein allmählicher Übergang von gebundenen Elektronen in freie Leitungselektronen. Atombindung/Metallbindung. In analoger Weise kann auch ein allmählicher Übergang der Atombindung in die Metallbindung erfolgen: [Α : Β]
(+) (+) [A : B]
— ^
Atombindung
—^
Übergangsbindung
[A]+:[B]+, Metallbindung
wie man etwa an der Reihe der Elemente C1C1,
Atombindung
SS,
PP,
SiSi,
Al Al,
MgMg,
NaNa
Metallbindung
sieht, die vom homöopolaren Chlor über das bereits den elektrischen Strom leitende Nichtmetall Silicium zum m e t a l l i s c h e n N a t r i u m führt.
b. Verbindungen höherer Ordnung Verbindungen, wie die bis jetzt besprochenen, bei denen durch entsprechenden Elektronenausgleich für die beteiligten Bindungspartner erstmals Edelgasschalen erreicht werden, heißen „Verbindungen erster Ordnung". Die Fähigkeit der Atome zur Bindung anderer Atome ist aber nach Bildung dieser Verbindungen noch n i c h t erschöpft. Insbesondere sind die K a t i o n e n und Anionen von Salzen imstande, durch Aufnahme von Atomen und Atomgruppen in „Komplex-ionen" („Verbindungen höherer Ordnung")
überzugehen.
α. Komplexbildung am Anion
Die k o o r d i n a t i v e Bindung Das Chlor-ion im Natriumchloridmolekül enthält vier freie E l e k t r o n e n p a a r e : [Na] + [ :C1
:J~,
Die chemische Bindung
155
die zur Auffüllung unvollständiger Elektronenschalen anderer Atome dienen können. Lagern wir etwa an diese Elektronenpaare 1, 2, 3 oder 4 S a u e r s t o f f a t o m e an, deren E l e k t r o n e n s e x t e t t dabei zu einem O k t e t t ergänzt wird, so gelangen wir zu folgenden vier Verbindungen höherer Ordnung: :0: : Cl : Ö : Na+
: 0 : Cl : 0 : Na+
: 0:
:Ö:Ci:Ö:
Na+
: Ö : Cl : Ö : N a \ " :Ö: "
die wir als Natrium-hypochlorit, -chlorit, -chlorat und -perchlorat bereits kennengelernt haben (S. 118). Auch bei diesen neu in das Molekül eintretenden Atomen erfolgt die Bindung wie bei der Atombindung durch ein g e m e i n s a m e s E l e k t r o n e n p a a r . Die Bindung u n t e r s c h e i d e t sich aber insofern von der A t o m b i n d u n g , als bei letzterer j e d e s der b e i d e n v e r b u n d e n e n A t o m e ein E l e k t r o n zur B i n d u n g b e i s t e u e r t (Α · + · Β —>•+Α :_ Β), während hier b e i d e E l e k t r o n e n v o n e i n e m A t o m s t a m m e n (Α : + Β —>- Α : Β). Formal kann man sich das Zustandekommen der Bindung so vorstellen, daß zunächst wie bei der Ionenbindung der Übergang eines Elektrons vom einen zum anderen Atom hin erfolgt (1), worauf sich die entstandenen Teilchen durch eine normale Atombindung miteinander verknüpfen (2) : A:+
Β •—>• Α · + · Β
A·+ ·Β A: +
(1)
>- A : Β
(2)
Β- -s>- A : B
(3)
Wie die Gesamtgleichung (3) zeigt, führt die beschriebene Anlagerung eines Atoms an ein freies Elektronenpaar im Endeffekt zu einer p o s i t i v e n L a d u n g f ü r das e l e k t r o n e n p a a r - l i e f e r n d e und einer n e g a t i v e n L a d u n g für das e l e k t r o n e n p a a r - a u f n e h m e n d e Atom 1 . Die zustandegekommene Bindung unterscheidet sich somit von der reinen Atombindung und wird daher als „koordinatìve Bindung" („semipolare Doppelbindung" ; vgl. S. 156f.) von dieser unterschieden. Die Zahl und Art der infolge koordinativer Bindungen an einem Atom auftretenden Ladungen läßt sich bei einer gegebenen Elektronenformel — wie man am Beispiel (3) nachprüfen kann — leicht in der Weise ermitteln, daß man die zu jedem gebundenen Atom gehörenden Elektronen zusammenzählt (wobei gemeinschaftliche Elektronenpaare halb zum einen und halb zum anderen Atom zu rechnen sind) und die so erhaltene Elektronenzahl mit der Zahl der Elektronen des n e u t r a l e n freien Atoms vergleicht (s. auch die folgenden Beispiele).
I n ähnlicher Weise wie an das C h l o r i d - i o n Sulfid-ion
: S:
, Phosphid-ion : P:
: Cl:
können ζ. B. auch an das
und S i l i c i d - i o n
: Si:
Sauer-
stoffatome angelagert werden. Die Endglieder [X0 4 ] n ~ haben dabei, wenn wir zugleich die bei der koordinativen Bindung auftretenden Ladungen (s. oben) berücksichtigen, folgende E l e k t r o n e n f o r m e l n : : 0: - 4· + + : 0 : C1:0: :Ö:
Perchlorat 1
:0: Na+
-
+ +
: Ö: -
: 0:S:0: : Ö:
Sulfat
Na+ Na+
Na+ : Ö : Ρ : Ö : Na+ Na+ : Ö: Phosphat
:Ö:
Na+ Na+ : Ö : Si : Ö : Na+ Na+ :0~:
(4)
Silicat
Bei symmetrischer Verteilung des bindenden Elektronenpaares sind die Ladungen gleich Elementarladungen, andernfalls (vgl. S. 150 f.) kleiner.
Die Elektronentheorie der Valenz
156
Ebenso können ζ. B. an die Halogenatome X der Dihalogenoxyde X 2 0
(:X:0:X:)
entsprechend den vorhandenen 6 freien Elektronenpaaren bis s e c h s S a u e r s t o f f a t o m e angelagert werden: 0:
:0:
X: 0 :X:
:X:0
:0:
:0: X:
: 0:
: 0:
0:
:X: 0 :X:
:X: 0 X:
:0:
: 0:
0:
:0 :
: 0:
:0:X: 0:X: : 0:
: 0: :0:X
:0:
: 0: 0:X: 0
:0:
:0 :
Wir kommen dann zu den Formeltypen X 2 0 2 , X 2 0 3 , X 2 0 4 , X 2 0 5 , X 2 0 e und X 2 0 7 , die wir in Form etwa der Verbindungen F 2 0 2 , J 2 0 4 , J 2 0 5 , Cl2Oe, C1 2 0 7 (für den Typus X 2 0 3 gibt es bis jetzt noch kein Beispiel) bereits besprochen haben (S. 124ff.).
Die V a l e n z s t r i c h f o r m e l Schreiben wir die Elektronenformeln (4) in V a l e n z s t r i c h f o r m e l n um, indem wir für jede Atombindung (gemeinsames Elektronenpaar) und für j e d e I o n e n bindung (Plus-Minus-Zeichen) je einen Valenzstrich zeichnen (vgl. S. 146 und S. 148), so kommen wir zu den Formelbildern: (X 0==C1—0—Na O/^
CK X)-Na >S< O^ \ 0 - N a
/O-Na 0 = P f O-Na \0-Na
/ n " ^ ! S i < ™ * . X ^ N a
(5>
Wie leicht ersichtUch, ergeben diese — früher ausschließlich und heute noch weitgehend verwendeten — Valenzstrichformeln hier wie überhaupt bei Verbindungen höherer Ordnung ein vollkommen falsches B i l d von dem Aufbau der Moleküle. So scheinen die vier obigen Verbindungen nach den V a l e n z s t r i c h f o r m e l n (5) eine voneinander ganz verschiedene K o n s t i t u t i o n zu haben, während sie nach den E l e k t r o n e n f o r m e l n (4) in Wirklichkeit alle vier ein vollkommen g l e i c h a r t i g und s y m m e t r i s c h a u f g e b a u t e s Anion f X 0 4 ] n _ enthalten, welches beim Auflösen in Wasser als geschlossenes Ganzes auftritt. Es ist daher zweckmäßig, mindestens bei den Verbindungen höherer Ordnung von V a l e n z s t r i c h f o r m e l n ganz abzusehen und an deren Stelle die E l e k t r o n e n f o r m e l n zu setzen. Man kann dabei diese Elektronenformeln dadurch weitgehend v e r e i n f a c h e n , daß man alle Elektronen und Ladungen wegläßt und die Verbindungen durch „Komplexformeln" : 0 0 Cl 0 Na 0
' 0 OSO 0
0 ΟΡΟ 0
Na 2
Na 3
" 0 ' 0 Si 0 0
zum Ausdruck bringt. Die „komplexe Schreibweise" wurde von dem deutschen Chemiker ALFBED WERNEB (1866—1919) schon lange vor Kenntnis der Elektronenformeln eingeführt. Will man für Verbindungen höherer Ordnung unbedingt V a l e n z s t r i c h f o r m e l n gebrauchen, so symbolisiert man die gemäß (3) aus einer A t o m - und einer I o n e n b i n d u n g bestehende koordinative Bindung — die man zum Unterschied von der aus zwei I o n e n b i n d u n g e n (S. 145f.) bestehenden „polaren Doppelbindung" (z. B. |^CaJ+ + J^: 0 : J J und der aus zwei A t o m b i n d u n g e n
(S. 148) aufgebauten „nichtpolaren Doppelbindung"
(ζ. B.
0::0)
auch als „halbpolare Doppelbindung" („semipolare Doppelbindung") bezeichnet — zweckmäßig nicht durch einen D o p p e l s t r i c h , sondern durch einen vom elektronenpaar-abgebenden zum elektronenpaar-aufnehmenden Atom hinweisenden P f e i l ; z. B. : O^ /ONa x
ONa '
157
Die chemische Bindung
Die von der Elektronentheorie der Valenz geforderte semipolare Doppelbindung (vgl. auch II, S. 66) läßt sich durch verschiedene physikaßsche Methoden, z . B . den R a m a n e f f e k t (vgl. S. 307ff.) und den P a r a c h o r (S. 478f.) nachweisen.
Die in den V a l e n z s t r i c h f o r m e l n (5) zum Ausdruck kommende G e s a m t w e r t i g k e i t der Zentralatome ist gleich der S u m m e der aus den Elektronenformeln (4) zu entnehmenden A t o m - u n d l o n e n b i n d u n g e n (Chlor im Perchlorat : 4 + 3 = 7-wertig; Schwefel im Sulfat : 4 + 2 = 6-wertig ; Phosphor im Phosphat : 4 -+- 1 = 5-wertig ; Silicium: 4 + 0 = 4-wertig). Die Zahl der vom Zentralatom betätigten A t o m b i n d u n g e n heißt auch „Koordinationszahl", ,,Zähligkeit" oder „koordinative Wertigkeit". Sie beträgt in den obengenannten vier Fällen jeweils 4. ß. Komplexbildung am Kation Bis jetzt befaßten wir uns mit solchen Verbindungen höherer Ordnung, die durch Anlagerung von Atomen an das A n i o n einer Verbindung erster Ordnung entstehen. Es gibt aber auch zahlreiche höhere Verbindungen, die durch Anlagerung von Atomen oder Atomgruppen an das K a t i o n einer Verbindung erster Ordnung Zustandekommen. Je nachdem, ob die Bindung dabei durch k o o r d i n a t i v e V a l e n z e n (S. 154f.) oder nur durch e l e k t r o s t a t i s c h e K r ä f t e (S. 151) erfolgt, unterscheidet man in diesem Falle zwischen „Durchdringungs" - und „Anlagerungs"-Komplexen (vgl. auch S. 309 und 378). Durchdringungskomplexe Liegt beispielsweise ein Salz MeX2 mit dem Kation [Me] ++ vor, so können sich an dieses Kation Atome oder Moleküle mit a b g e s c h l o s s e n e r A c h t e r s c h a l e wie Cl", H 2 0, NHS, CN- usw.: H : Cl: H : Ö: H H:N:H :C:::N: derart anlagern, daß sie mit ihren freien Elektronenpaaren um das Metall-ion herum eine n e u e , dem Zentral-ion und den Addenden g e m e i n s a m a n g e h ö r e n d e Elektronenschale bilden (,,Durchdringungskomplexe"). Besonders bevorzugt sind dabei A c h t e r - , Z w ö l f e r - und Sechzehnerschalen 1 : [Cu]++ + 4 : NH3 —»- [Cu ( : NH3)4]++ [Pt]++++ + 6 : Cl"
>- [Pt(:Cl)„]--
[W]++ + + + g : CN" — ν [W(:CN)g]
.
Maßgebend für diese Bevorzugung der Koordinationszahlen 4, 6 und 8 sind vor allem r ä u m l i c h e Gründe (S. 158f.), daneben aber in vielen Fällen auch die Tendenz, auf diesem Wege zu der Elektronenschale des nächsthöheren E d e l g a s e s zu gelangen. So erreicht z. B. das v i e r w e r t i g e P l a t i n (Atomnummer 78), das 78 — 4 = 74 Elektronen besitzt, in dem oben angegebenen Komplex-ion [PtCle]2~ durch die Aufnahme von 6 χ 2 = 12 Elektronen die Elektronenkonfiguration des Edelgases R a d o n (Atomnummer 86): 74 + 12 = 86. Zur g l e i c h e n Edelgasschale kommt das um 4 Elektronen ärmere v i e r w e r t i g e W o l f r a m (70 Elektronen) im obigen komplexen Cyanid [W(CN)g]4" durch die Aufnahme von 8 χ 2 = 16 Elektronen: 70 + 16 = 86. Weitere Beispiele solcher Art sind die Komplex-ionen [Fe(CN)6]4 (vgl. S. 524) und [Co(NH3)e]3+ (vgl. S. 521), die die Edelgasschale des K r y p t o n s (Atomnummer 36) aufweisen. Lassen allerdings die räumlichen Verhältnisse den Einbau einer entsprechenden Elektronenzahl nicht zu, so wird vielfach die nächsthöhere Edelgasschale n i c h t g a n z 1 Der Übersichtlichkeit halber sind bei den angegebenen Beispielen nur die B i n d u n g s Elektronenpaare angegeben.
158
Die Elektronentheorie der Valenz
e r r e i c h t oder etwas ü b e r s c h r i t t e n . So müßte ζ. B. das zweiwertige K u p f e r - i o n (27 Elektronen) zur Erreichung der Kryptonschale (36 Elektronen) eine ungerade Zahl von 9 Elektronen aufnehmen. Durch die Anlagerung von 4 Ammoniakmolekülen, entsprechend 4 x 2 = 8 Elektronen, kommt es in dem oben angegebenen Komplex-ion [CU(NH3)4]2+ der stabilen Edelgasschale nahe. In Form des — wesentlich beständigeren (vgl. S.436,437) —Komplex-ions [Cu(CN)4]3~, welches e i n w e r t i g e s Kupfer (28 Elektronen) enthält (Cu+ + 4CN- —>• [Cu(CN)4]3'), wird die Kryptonschale völlig erreicht: 28 + 8 = 36. In analoger Weise sind die vom d r e i w e r t i g e n Eisen bzw. zweiwertigen Kobalt abgeleiteten Komplexionen [Fe(CN)e]3~ und [Co(NH3).]2+, die 35 bzw. 37 Außenelektronen je Zentralatom enthalten, wesentlich unbeständiger als die oben angeführten, die Kryptonschale (36 Außenelektronen) aufweisenden Komplexionen [Fe(CN)e]4_ und [Co(NH3)6]3+ des zweiwertigen Eisens und d r e i w e r t i g e n Kobalts (S. 521). Nomenklatur. Zur r a t i o n e l l e n B e z e i c h n u n g von K o m p l e x v e r b i n d u n g e n gibt man zuerst den Namen des K a t i o n s und dann den Namen des Anions an. Die Nennung der Bestandteile des k o m p l e x e n Ions erfolgt dabei in folgender R e i h e n f o l g e : 1. Zahl der Liganden, 2. Art der Liganden, 3. Zentralatom. Für die Angabe der Zahl der L i g a n d e n verwendet man die griechischen Zahlworte. Die B e n e n n u n g der L i g a n d e n erfolgt bei S ä u r e r e s t e n durch Anhängen der Endung -o an den Namen der Acidogruppe (z. B. „CMoro" Cl', „Gyano" CN', „Sulfato" S 0 4 " , Hydroxo" OH'), bei n e u t r a l e n Molekülen durch Spezialbezeichnungen (z. B. „Aquo" H 2 0, „Ammin" NH 3 ); erstere werden dabei stets vor den letzteren genannt. Die W e r t i g k e i t des Z e n t r a l a t o m s wird als römische Zahl in Klammern beigefügt. Als Anionbestandteil erhält das Zentralatom die Endung -at. Beispiele:
[Cu(NH 3 ) 4 ]S0 4 ,,Tetrammin-kupfer(II)-sulfat",
K 2 [PtCle] K4[W(CN)8]
„Kalium-hexachloro-platinat(I V)", „KaIium-oktacyano-wolframat(I V)",
[CrCl2(H20)4]Cl „Diehloro-tetraquo-chrom{III)-chlorid".
Daneben sind häufig einfachere Bezeichnungsweisen oder auch Trivialnamen in Gebrauch» z. B. „Kalium-eisen(II)-cyanid" oder „gelbes Blutlaugensalz" für die Verbindung K 4 [Fe(CN) e ]
,,Kalium-hexacyano-ferrat (II)").
Anlagerungskomplexe Yon den Durchdringungskomplexen sind die „Anlagerungskomplexe" zu unterscheiden, bei denen die Bindung der Addenden nicht durch e c h t e k o o r d i n a t i v e V a l e n z e n , sondern nur durch I o n e n - D i p o l - oder I o n e n - I o n e n - K r ä f t e („Nebenvalenzen") erfolgt. Beispiele für Ionen-Dipol-Komplexe sind zahlreiche H y d r a t e , A m m o n i a k a t e , A l k o h o l a t e (allgemein: „Solvate"), bei denen Ionen durch Anlagerung von Dipolmolekülen des L ö s u n g s m i t t e l s , Komplex-ionen bilden („Solvatation"). Derartige Komplexe sind um so b e s t ä n d i g e r , je g r ö ß e r das D i p o l m o m e n t μ (S. 150f.) des Lösungsmittels und je k l e i n e r der A b s t a n d r ist, bis zu dem sich der Dipol dem Ion nähern kann (S. 151). So kommt es, daß sich die Solvatbildung im kristallisierten Zustand meist auf K a t i o n e n beschränkt; denn die Anionen sind in der Regel zu groß, um eine genügende A n n ä h e r u n g von Ion und Dipol zuzulassen, so daß die ausgeübten Anziehungskräfte zu k l e i n sind. Die Zahl der von einem Kation angelagerten Dipolmoleküle wird bedingt durch den auf der Oberfläche des Zentral-ions zur Verfügung stehenden P l a t z und durch die Möglichkeit einer r e g e l m ä ß i g e n Anordnung der — sich meist gegenseitig abstoßenden — Addenden. Die drei einfachsten Körper von h o h e r S y m m e t r i e sind das T e t r a e d e r , das O k t a e d e r und der W ü r f e l . Dementsprechend findet man je nach dem Größenverhältnis von Kation und Addend vor allem die Koordinationszahlen 4 (vier Ecken eines Tetraeders), 6 (sechs Ecken eines Oktaeders) und 8 (acht Ecken eines Würfels), während die ungeraden Koordinationszahlen 5 und 7, für die k e i n e s y m m e t r i s c h e Anordnung möglich
Die chemische Bindung
159
ist, sehr selten vorkommen. Als spezielle Beispiele für Ionen-Dipol-Komplexe seien die Ionen [ Ε β ^ Ο ) ^ , [Fe(NH 3 ) e ]++und [Ba(H a O) 8 ]++angeführt. Die Ionen-Ionen-Komplexe sind in der Regel b e s t ä n d i g e r als die Ionen-DipolKomplexe und gehen im Grenzfall in die besonders stabilen Durchdringungskomplexe (S. 157f.) über. Ein Beispiel für einen solchen Ionen-Ionen-Anlagerungskomplex ist das Ion [PeF e ] , das zur quantitativen Fällung von Alkalifluoriden aus wässeriger Lösung dient (Fe"' + 6F'-—>- [FeF 6 ]"').
c. Das Äquivalentgewicht Dividiert man das F o r m e l g e w i c h t einer Atomgruppe oder eines Atoms durch die zugehörige Ionen- (S. 145), Atom- (S. 148), Metall- (S. 152) bzw. Gesamtwertigk e i t (S. 157), so erhält man das sogenannte „Äquivalentgewicht": Äquivalentgewicht =
^^gTeTt^
'
(1)
Die dem Ä q u i v a l e n t g e w i c h t numerisch entsprechende Gramm-menge heißt „1 Grammäquivalent" oder auch kurz „1 Val". 1 Val Sulfat-ionen bezeichnet also 96.06: 2 = 48.03 g S 0 4 " ; 16.00: 2 = 8.00 g 0 2 stellen 1 Grammäquivalent Sauerstoff dar; 26.97:3 = 8.99 g Al entsprechen 1 Grammäquivalent Aluminiummetall; das Äquivalentgewicht des Chlors in der Überchlorsäure beträgt 35.457 : 7 = 5.065. Lösungen, die je Liter 1 Val einer Substanz enthalten, werden „1-normale Lösungen" genannt. In einer 1-normalen Nitratlösung sind demnach 62.008: 1 = 62.008 g N0 3 ', in einer 1-normalen Carbonatlösung 60.010: 2 = 30.005 g C0 3 " gelöst. Unter einer „1-normalen Säure (Base)" versteht man eine Säure-(Base-)Lösung, die je Liter 1 Val Wasserstoff-ionen (Hydroxyl-ionen) abzugeben imstande ist. Eine 1-normale Phosphorsäurelösung enthält demnach 98.00: 3 = 32.67 g H 3 P0 4 , eine 1-normale Calcium hydroxydlösung 74.10: 2 = 37.05 g Ca(OH)2 je Liter. Bei Atomen kann die Beziehung (1) wie folgt geschrieben werden: Äquivalentgewicht X Wertigkeit = Atomgewicht.
(2)
In dieser Form läßt sie sich zur B e s t i m m u n g des Atomgewichts eines Elements benutzen, indem man das Äquivalentgewicht und die Wertigkeit des Elements bestimmt. Das Ä q u i v a l e n t g e w i c h t ermittelt man dabei zweckmäßig als die Grammmenge, welche 1 Val ( = 1.008 g) Wasserstoff bzw. 1 Val ( = 8.000 g) Sauerstoff zu binden oder aus einer Verbindung zu verdrängen vermag ; denn da 1 Val gemäß (2) der auf eine Wertigkeitseinheit entfallende Anteil des Atomgewichts ist, kann 1 Val einer Substanz immer nur durch 1 Val einer anderen Substanz gebunden oder verdrängt werden. Durch Einsetzen des so gefundenenÄquivalentgewichts und des aus der DULONG-PETITsehen R e g e l (S. 77) folgenden a n g e n ä h e r t e n Atomgewichts in (2) ergibt sich dann die W e r t i g k e i t des Elements als a n g e n ä h e r t e ganze Zahl. Das genaue Atomgewicht erhält man schließlich gemäß (2) durch Multiplikation des genau bestimmten Ä q u i v a l e n t g e w i c h t s mit der ganzzahligen W e r t i g k e i t . So beträgt z. B. das genaue Äquivalentgewicht des Calciums 20.04 (20.04 g Calcium machen aus einer Säure 1 Val Wasserstoff frei). Da die spezifische Wärme des Calciums 0.17 cal/g beträgt, besitzt das Calcium nach der DuLONG-PETlTschen Regel das angenäherte Atomgewicht 6 . 2 : 0 . 1 7 = 37. Somit ist Calcium zweiwertig ( 3 7 : 2 0 = 1.9), und das genaue Atomgewicht des Calciums ergibt sich zu 20.04 χ 2 = 40.08. Kommt ein Element in m e h r e r e n W e r t i g k e i t s s t u f e n vor, so besitzt es natürlich gemäß (2) auch m e h r e r e Ä q u i v a l e n t g e w i c h t e . Diese stehennach (2), übereinstimmend mit dem Gesetz der multiplen Proportionen (S. 14), im Verhältnis e i n f a c h e r g a n z e r Z a h l e n zueinander.
Kapitel Χ
Die Gruppe der Chalkogene Zur Gruppe der C h a l k o g e n e (6. Hauptgruppe des Periodensystems der Elemente) gehören die Elemente Sauerstoff (0), Schwefel (S), Selen (Se) und Tellur (Te). Den Namen Chalkogene ( = E r z b i l d n e r ) tragen diese Grundstoffe, weil sie maßgeblich am Aufbau der natürlichen E r z e beteiligt sind. Das ebenfalls zur 6. Gruppe zählende Polonium ist ein kurzlebiges radioaktives Zerfallsprodukt des Urans (S. 547) und kommt in der Natur nur in geringen Mengen vor.
1. Der Sauerstoff Den Sauerstoff selbst haben wir auf S. 31 ff. bereits behandelt. Bei dieser Gelegenheit waren wir auch auf den Begriff der O x y d a t i o n (und später den der R e d u k t i o n ) eingegangen. Auf Grund der im vorangehenden Kapitel entwickelten E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z läßt sich nun die Erscheinung der Oxydation und Reduktion auf breiterer Grundlage diskutieren. Hiermit wollen wir uns im folgenden beschäftigen.
a. Oxydation und Reduktion α. Ableitung eines neuen Oxydations- und Reduktionsbegrilîs Nach der ursprünglichen Definition (S. 35) bedeutet die Oxydation eine V e r e i n i g u n g m i t S a u e r s t o f f . Verbindet sich nun ζ. B. ein Metallatom Me mit einem Sauerstoffatom 0 (Me + 0 —>- MeO), so beruhtdie Oxydbildung n a c h d e r E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z auf einem Ü b e r g a n g von E l e k t r o n e n (Θ) vom M e t a l l a t o m zum S a u e r s t o f f a t o m : Me >- Me++ + 2 θ 2 θ + O •—>• O " Me + O >- Me++0~. Das S a u e r s t o f f a t o m entzieht dem Metallatom Elektronen, da es das Bestreben hat, sich durch Aufnahme zweier Elektronen eine A c h t e r s c h a l e aufzubauen (S. 143ff.). Nun haben auch a n d e r e S t o f f e dieses Bestreben. Daher kann man dem Metall auch mit Hilfe z . B . von C h l o r seine Valenzelektronen entreißen: θ + ci—s- e r . Es liegt nahe, den dabei sich ergebenden Gesamtvorgang Me + Cl2 —>• MeCl2 e b e n f a l l s als eine O x y d a t i o n des Metalls zu bezeichnen. In der Tat hat man schon früher von einer „Oxydationswirkung" des Chlors und von einem „Verbrennen" von Metallen im Chlorstrom gesprochen. Die Schwierigkeit, daß solche sauerstoff-freien Oxydationsmittel wie das Chlor entgegen der ursprünglichen Definition keine s a u e r s t o f f - ü b e r t r a g e n d en Mittel sind, umging man durch eine Erweiterung des Begriffs eines Oxyationsmittels, indem man in Analogie zur wasserstoff-entziehenden Wirkung des Sauerstoffs ganz allgemein w a s s e r s t o f f - e n t z i e h e n d e Mittel (Chlor ist z . B . ein solches Mittel: Cl2 + H¡¡—>- 2HCl) als O x y d a t i o n s m i t t e l bezeichnete (S. 60)
Der Sauerstoff
161
Nach der neuen D e f i n i t i o n besteht die Oxydation in einem Entzug von Elektronen und die oxydierende Wirkung eines Oxydationsmittels in dessen elektronenentziehender Wirkung. In diese Definition fügen sich das Chlor und andere sauers t o f f - f r e i e O x y d a t i o n s m i t t e l nunmehr zwanglos ein. Der elektronen-entziehende Stoff braucht dabei kein n e u t r a l e s Atom, sondern kann ζ. B. auch ein geladenes I o n sein. So haben beispielsweise dreifach geladene E i s e n - i o n e n das Bestreben, durch Aufnahme je eines Elektrons in zweifach geladene überzugehen: Fe++++ θ
^ Fe++.
Daher bezeichnet man auch E i s e n ( I I I ) - s a l z e als O x y d a t i o n s m i t t e l . Ebenso kann der Entzug von Elektronen auch ohne direkte Zuhilfenahme chemischer Stoffe elekt r o l y t i s c h mittels einer Anode erfolgen („anodische Oxydation"), da die Anode als positive Elektrode ganz allgemein der Lösung Elektronen entzieht und sie an den positiven Pol der Stromquelle abführt. Die gleiche Entwicklung hat der Begriff der Reduktion durchgemacht. Ursprünglich (S. 44) bedeutete die Reduktion das R ü c k g ä n g i g m a c h e n der Oxydation 1 . Läßt man ζ. B. auf ein Metalloxyd bei erhöhter Temperatur W a s s e r s t o f f einwirken, so wird es zu Metall reduziert (MeO + H2-—->- Me + H 2 0 ) . Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der Valenz beruht dieser Vorgang darauf, daß das Metall die bei der Oxydation abgegebenen E l e k t r o n e n wieder z u r ü c k e r l a n g t : M e + + 0 — + 2 H — M e + H + 0""H+, indem der vorher ungeladene W a s s e r s t o f f unter Bildung von Wassers t o f f - i o n e n seine Außenelektronen an das Metall abgibt: 2H — 2 H + + 2 θ Me++ + 2 0
Me
2 H + Me++ · — 2 H + + Me,
worauf sich die gebildeten Wasserstoff-ionen mit den Sauerstoff-ionen des Metalloxyds zu Wasser vereinigen (2ÏÏ+ + 0 — — H 2 0 ) . Statt durch W a s s e r s t o f f kann nun die Zufuhr von Elektronen ζ. B. auch mittels N a t r i u m erfolgen : Na Na+ + θ , weshalb man ein Metalloxyd auch mit Hilfe von Natrium zum Metall reduzieren kann. Somit ergibt sich die Reduktion nach der erweiterten Definition als eine Zufuhr von Elektronen und ein Reduktionsmittel als ein elektronen-zuführendes Mittel. Auch geladene I o n e n — ζ. B. zweifach geladene Chrom-ionen, die das Bestreben haben, in dreifach geladene überzugehen — : Cr++
>- Cr+++ +
θ
können daher Reduktionsmittel sein. Ebenso stellt bei einer Elektrolyse die K a t h o d e «in Reduktionsmittel dar („kathodische Reduktion"), weil die Kathode als negative Elektrode diejenige Elektrode ist, welche die vom negativen Pol der Stromquelle kommenden Elektronen der Lösimg zuführt. — Die entwickelten Definitionen der Oxydation bzw. Reduktion und des Oxydationsmittels bzw. Reduktionsmittels können zu der Gleichung Reduktionsmittel -
- Z n " + Cu.
(1) (2) (3)
Zink reduziert also die Kupfer-ionen zu metallischem Kupfer. Taucht man aber umgekehrt einen K u p f e r s t a b in eine Z i n k s u l f a t l ö s u n g , so ist das Kupfer nicht imstande, die Zink-ionen zu Zink zu reduzieren. Wohl aber wirkt es beispielsweise gegenüber S i l b e r - i o n e n a l s Reduktionsmittel : Cu — » - Cu" + 2 θ 2 9 + 2 A g ' — > - 2Ag Cu + 2Ag· — > • Cu" + 2Ag.
Will man diese unterschiedliche Oxydations- und Reduktionswirkung z a h l e n m ä ß i g erfassen, so muß man nach der t r e i b e n d e n K r a f t des Elektronenübergangs fragen. Die Tatsache, daß Zink an Kupfer-ionen Elektronen abzugeben imstande ist, daß also zwischen dem Zinksystem (1) und dem Kupfersystem (2) ein elektrischer Strom fließt, zeigt, daß zwischen beiden Systemen eine Spannung {„Potentialdifferenz") besteht. Denn ein S t r o m — handele es sich um einen W a s s e r - , W ä r m e - , Gas- oder E l e k t r i z i t ä t s s t r o m — fließt nur beim Vorhandensein eines „Nivea,u"-Unterschieds (Höhen-, Temperatur-, Druck-, P o t e n t i a l d i f f e renz), nämlich v o m h ö h e r e n zum t i e f e r e n N i v e a u hin. Die zwischen Zink und Kupfer vorhandene Spannung oder Potentialdifferenz läßt sich beim bloßen Eintauchen eines Zinkstabs in eine Kupfersulfatlösung experimentell nicht messen, weil sich der Elektronenaustausch zwischen Atom und Atom, also innerhalb a t o m a r e r D i m e n s i o n e n abspielt. T r e n n t man aber das Zinksystem (1) r ä u m l i c h von dem Kupfersystem (2), indem man — vgl. Fig. 54 — einen Zinkstab in eine Zinksulfatlösung und einen Kupferstab in eine Kupfersulfatlösung eintaucht und die beiden Lösungen durch eine poröse Scheidewand („Diaphragma") voneinander scheidet (,,ÜANiELL-Element"), so kann das Zink seine Elektronen nur auf dem Wege über einen das Zink mit dem Kupfer verbindenden äußeren S c h l i e ß u n g s d r a h t an die Kupfer-ionen abgeben. Der chemische Vorgang ist dabei d e r s e l b e (3) wie im Reagensglas; die vorhandene Potentialdifferenz läßt sich aber zum Unterschied von dort durch Anlegen eines Voltmeters an die beiden Elektroden messen. Sie hat im vorliegenden Fall, falls die Konzentration an Zink- und Kupfer-ionen je 1 Gramm-ion pro Liter beträgt, den Wert 1.11 Volt. Und zwar besitzt das Z i n k das h ö h e r e , das K u p f e r das t i e f e r e Potential, da die Elektronen in der Richtung des Pfeils (Fig. 54) vom Zink zum Kupfer hin fließen (vgl. Fig. 58, S. 170). Die P o t e n t i a l d i f f e r e n z zwischen den beiden E l e k t r o d e n kann mit der D r u c k d i f f e renz zwischen zwei mit Gas von verschiedenem Druck gefüllten G a s b e h ä l t e r n verglichen
163
Der Sauerstoff
werden. Wie sich beim Öffnen eines Verbindungsrohrs zwischen beiden Behältern der Gasdruck durch Fließen eines Gasstroms vom Behälter mit höherem zum Behälter mit niederem Druck ausgleicht, fließen auch hier bei leitender Verbindung von Zink und Kupfer die Elektronen vom Zink, der Stelle höheren „Elektronendrucks", zum Kupfer, der Stelle niederen „Elektronendrucks" (vgl. E. W I B E R G , ,,Die chemische Affinität").
Kombiniert man das K u p f e r statt mit Zink mit S i l b e r (S. 162), so fließt der Strom in umgekehrter Richtung (Fig. 55), und die Potentialdifferenz hat bei Anwendung 1-molarer Ionenlösungen den Wert 0.46 Volt. Zink und S i l b e r lassen sich ihrerseits in analoger Weise zu einem „galvanischen Element" zusammenstellen, dessen ,,elektromotorische Kraft" (EMK) gleich 1.57 Volt, also gleich der Summe der beiden anderen Potentialdifferenzen (1.11 -f 0.46 = 1.57) ist und dessen Elektronenstrom vom Zink zum Silber fließt. Eine W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e , d. h. eine von Wasserstoff bei AtmoAusserer Sch/iessungsdrahts Zn
Zinkstab Z/nksuifaf/ösung '
M/pfäxi/tfaf/öst/ng
W
1,11
076
Volt
willkürliche Null-Linie desmentíais
Fig. 54. Galvanisches Zink-Kupfer-Element
Äusserer ScMiessungsdraht^
0,35
QB1Vo/t
Cu
Sz/berstab v
"""
| fupfers/ab
0¡tó Volt
/lyp/ersv/fat-Ä9/ösung
Si/bernitrafJösung Diaphragma
Fig. 55. Galvanisches Silber-Kupfer-Element
Fig. 56. Wahl eines willkürlichen Nullpunktes der Spannungsreihe
Sphärendruck umspülte und in eine 1-normale Wasserstoffionenlösung eintauchende Platinelektrode („Normal-Wasserstoffelektrode") liefert mit Zink bzw. K u p f e r bzw. S i l b e r galvanische Elemente der elektromotorischen Kraft 0.76 bzw. 0.35 bzw. 0.81 Volt, wobei der Elektronenstrom im ersten Fall vom Metall zum Wasserstoff, in den beiden letzten Fällen vom Wasserstoff zum Metall fließt. Auch an der Grenzfläche der Kathoden- und Anodenflüssigkeit tritt jeweils eine kleine Potentialdifferenz (,,Diffusionspotential") auf. Bezüglich dieser Potentialdifferenz, die hier außer acht gelassen wurde, vgl. die Lehrbücher für physikalische Chemie.
Trägt man die obigen Ergebnisse nach Art der Fig. 56 maßstäblich auf, so erhält man eine „elektrochemische Spannangsreihe", in welcher jedes h ö h e r s t e h e n d e Element an die t i e f e r s t e h e n d e n Elemente Elektronen abzugeben imstande ist, und aus welcher die jeweilige P o t e n t i a l d i f f e r e n z eines galvanischen Elements, die ein Maß für die „freie Energie" (S. 46) des dem Element zugrundeliegenden elektrochemischen Vorgangs — ausgedrückt in „Elektronenvolt" (S. 549) — darstellt, ohne weiteres zu entnehmen ist. Natürlich sind bei der geschilderten Versuchsanordnung nur Potentialdifferenzen meßbar. Die a b s o l u t e n Potential werte der einzelnen Elektroden bleiben hierbei 11*
164
Die Gruppe der Chalkogene
unbekannt. Ihre Kenntnis ist aber auch nicht erforderlich, da bei galvanischen Elementen nur die elektromotorische Gesamt kraft interessiert. Es genügt daher, einen w i l l k ü r l i c h e n N u l l p u n k t festzusetzen, so wie man etwa zur T e m p e r a t u r m e s sung die Temperatur des schmelzenden Eises und zur Höhenmessung die Höhe des M e e r e s s p i e g e l s als willkürlichen Nullpunkt wählt. Bei der S p a n n u n g s r e i h e hat man sich dahin entschieden, das Potential einer N o r m a l - W a s s e r s t o f f e l e k t r o d e bei 18° als N u l l p u n k t festzulegen (vgl. Fig. 56) ; man hätte aber genau so gut auch das Potential des S i l b e r s oder K u p f e r s zum Nullpunkt der Skala machen können. Zur Unterscheidung voneinander erhalten die Potentiale aller in der Spannungsreihe über dem Wasserstoff stehenden Elemente ein n e g a t i v e s , die aller d a r u n t e r stehenden Elemente ein p o s i t i v e s Vorzeichen. Zink, Kupfer und Silber haben demnach, bezogen auf die Wasserstoffelektrode als Nullelektrode, in 1-molarer Metallionenlösung bei 18° „Normalpotentiale" von Spannungsreihe —0.76 bzw. +0.35 bzw. +0.81 Volt. von Metallen Nebenstehende erweiterte Spannungsreihe enthält Ox. + θ ε„ (Volt) eine Zusammenstellung der N o r m a l p o t e n t i a l e ε 0 Red einiger wichtiger Metalle, geordnet nach der Höhe K" + θ - 2.92 Κ < dieser Normalpotentiale. Sie beziehen sich alle auf Ca" + 2 Θ - 2.76 Ca Ä 18°, auf 1-molare Metallionenlösungen und auf die Na < v Na + θ - 2.71 Normal-Wasserstoffelektrode als Nullpunkt und sind Mg" + 2 Θ - 2.40 Mg Ä ein Maß f ü r die o x y d i e r e n d e bzw. r e d u z i e Al < > Al"' + 3Θ - 1.69 rende K r a f t des betreffenden Redoxsystems. J e Mn" + 2 Θ - 1.10 Mn höher (tiefer) das System in der Spannungsreihe Zn" + 2 Θ - 0.76 Zn steht, d. h. je negativer (positiver) sein NormalCr"" + 3 θ - 0.51 Cr potential ist, um so s t ä r k e r ist seine r e d u z i e r e n d e Fe" + 2 © - 0.44 Fe Ä (oxydierende) W i r k u n g . Die an der S p i t z e der Cd" + 2 θ - 0.40 Reihe stehenden Metalle sind demnach besonders Cd S > Co" Co + 2 © - 0.29 s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l und lassen eich demNi" + 2 0 - 0.25 nach besonders l e i c h t o x y d i e r e n {„unedle MeNi Ä Sn" + 2 θ - 0.16 talle") ; dagegen sind die am Ende der Reihe stehenSn Ä Pb" + 2 Θ - 0.13 den Metalle nur schwer zu o x y d i e r e n („edle MePb Ä H2 = 2H' + 2 Θ + 0.00 talle") und wirken in Form ihrer Ionen umgekehrt Cu" + 2 θ + 0.35 Cu als s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l . >Jedes Redoxsystem kann nur gegenüber einem Ag Ag" + θ + 0.81 Hg" + 2 θ + 0.86 t i e f e r (höher) stehenden System als R e d u k t i o n s Hg < > Au" Au m i t t e l (Oxydationsmittel) auftreten. Da sich aus + 3 θ + 1.38 > Pt" Pt den 20 Systemen der oben angegebenen Spannungs+ 2 θ + 1.60 reihe insgesamt 190 Kombinationen bilden lassen, sind wir an Hand der obigen Tabelle in der Lage, nahezu z w e i h u n d e r t chemische Reaktionen vorauszusagen. Greifen wir etwa die Reduktion von Wasserstoff-ionen zu elementarem Wasserstoff, also die E n t w i c k l u n g von W a s s e r s t o f f a u s S ä u r e n heraus, so kommen hierfür nur die in der Spannungsreihe über dem S y s t e m 2H' + 2 0 ^ ± H ¡ s t e h e n d e n M e t a l l e Blei bis Kalium, nicht aber die darunter stehenden Metalle Kupfer bis Platin in Frage. So kann man ζ. B. durch Einwirkung von Zink oder Eisen auf Säuren W a s s e r s t o f f erzeugen (S. 39): Zn >• Zn" + 2 θ 2 © + 2H" >- H¡¡ Zn + 2Η" >- Zn" + H2 während die reduzierende Kraft von K u p f e r und S i l b e r zur Entladung von Wasserstoff-ionen nicht ausreicht, so daß sich diese Metalle in Säuren nicht unter Wasserstoffentwicklung auflösen, sondern umgekehrt aus den Lösungen ihrer Salze durch
165
Der Sauerstoff
Wasserstoff (unter Druck) ausgefällt werden können. In ähnlicher Weise kann man ζ. B. K u p f e r aus Kupfersalzlösungen durch E i s e n (vgl. S. 433) und S i l b e r aus Silbersalzlösungen durch Z i n k (vgl. S. 439), nicht aber etwa C a d m i u m aus Cadmiumsalzlösungen durch B l e i niederschlagen. Auch für Nichtmetalle läßt sich eine Spannungsreihe aufstellen. Auch hier befinden sich o b e n die s t a r k e n R e d u k t i o n s - und u n t e n die s t a r k e n O x y d a t i o n s m i t t e l . So ist nach der nebenstehenden Tabelle ζ. B. das Spann ungerei h e F l u o r ein viel stärkeres Oxydationsmittel als etwa von N i c h t m e t a l l e n Chlor oder B r+o— m +oder J o d und der S c h w e f e l Red.
Wasserstoff ( H S H ) ein stärkeres Reduktionsmittel +— als + J o d w a s s e r s t o f f (HJ) oder C h l o r w a s s e r s t o f f
Te" Se" S" 2 J' 2 Br' 2 Cl' 2 F'
->-
--(HCl;. Jedes Halogen läßt sich nur durch solche Oxydationsmittel aus seinen Ionen freimachen, welche -Bromiden B r o m in Freiheit setzen, nie umgekehrt. Das F l u o r , welches das p o s i t i v s t e P o t e n t i a l aller Oxydationsmittel überhaupt besitzt, kann dieser Stellung in der Spannungsreihe gemäß überhaupt n i c h t auf c h e m i s c h e m W e g e , sondern nur durch eine Anode entsprechend positiven Potentials, also durch a n o d i s c h e O x y d a t i o n aus Fluoriden gewonnen werden (S. 84). Weiterhin können Redoxsysteme in Ionen-Umladungen und in komplizierteren chemischen Vorgängen bestehen. Auch hierfür seien in den nachfolgenden beiden Spannungsreihen einige Beispiele gegeben:
Spannungsreihe von I o n e n u m l a d u n g e n Red. Cr" V" Cu Sn" Fe" Hg2" Pb" Co"
--
--HCr0 4 ' - > Μη0 2 Pb02 ->ClOj' - ν Μη0 ' 4 ->03 ->-
-- Zn >- Cu" + 2 θ
Zn" + Cu
>• Zn + Cu".
Insgesamt geht damit unter gleichzeitiger Abscheidung von Zink Kupfer in Lösung. Die für eine solche elektrolytische Zersetzung erforderliche „ Zersetzungsspannung" muß, wie aus Fig. 59 hervorgeht, ganz allgemein mindestens e t w a s größer als die Î
0,76 V Zn
i Ñnode
Nul/-L/n/e des Potential
Kathode 0,35 V
Cu Elektronenstrom
l_
\
>
Fig. 58. Elektromotorische Kraft des DANiELL-Elements
e l e k t r o m o t o r i s c h e K r a f t (S. 163) des f r e i w i l l i g a b l a u f e n d e n V o r g a n g s sein. Das Mehr an Spannung {Δ E) dient dabei zur Überwindung des Ohm sehen Widerstandes W der Zelle und damit zur Aufrechterhaltung einer bestimmten Stromstärke
I 0,76 V Zn
!
Kathode
Null-Linie des Potentials
Anode
Cu 0,35 V
Stromvet,
+
Elektronenstrom
Fig. 59. Elektromotorische Kraft und Zersetzungsspannung
gemäß dem „ O h m s c h e n Gesetz" {ΔΕ — /· W). Im Falle unseres D A N i E L L s c h e n Elements muß also die Zersetzungsspannung größer als 0.76 + 0.35 = 1.11 Volt sein. J
Die bei der Elektrolyse angewandte Stromquelle (vgl. Fig. 59) wirkt gewissermaßen als „Elektronenumlaufpumpe". Sie „saugt" an der Anode (Kupfer) die Elektronen mit „Unterdrück" ab, „komprimiert" sie auf höheren „Druck" (die hierfür erforderliche Energie wird bei chemischen Stromquellen durch einen freiwillig ablaufenden Vorgang — beim Bleiakkumulator ζ. B. durch die Reaktion Pb + Pb0 2 + 2H 2 S0 4 2PbS0 4 + 2 H 2 0 + Energie; S. 362 — geliefert) und „preßt" die Elektronen mit diesem höheren „Druck" in die Kathode (Zink) ein. Würde man
171
Der Sauerstoff
die beiden Pole der Stromquelle direkt miteinander verbinden („Kurzschluß"), so flössen die Elektronen unausgenutzt vom höheren zum tieferen Potential. Dadurch, daß man das galvanische Element in der aus Fig. 59 hervorgehenden Weise zwischen die Pole der Stromquelle einschaltet, zwingt man die Elektronen der Stromquelle, bei ihrem „ F a l l " vom negativen zum positiven Pol Arbeit zu leisten, d. h. den im galvanischen Element freiwillig ablaufenden Vorgang umzukehren. Die hineingesteckte Arbeit speichert sich dabei in Form der Elektrolyseprodukte (im Falle des DANIELL-Elements also in Form der gegenüber den Ausgangsstoffen Zu" und Cu energiereicheren Endprodukte Znund Cu") auf. Entfernt man die Elektronenpumpe (Stromquelle) aus dem äußeren Stromkreis (Fig. 58), so kehrt sich entsprechend dem zwischen Zink und Kupfer vorhandenen Potentialgefälle automatisch die Stromrichtung um, indem jetzt wieder das elektronen-affinere Kupfer dem weniger elektronen-affinen Zink die Elektronen entzieht.
Befinden sich in einer Lösung mehrere entladbare Ionensorten, so hängt die R e i h e n f o l g e der Entladung von der Größe der verschiedenen Einzelpotentiale ab. Eine wässerige Natriumchloridlösung enthält beispielsweise Natrium-, Wasserstoff-, Chlor- und Hydroxyl2,7V ionen. Ihre Einzelpotentiale haben in 1 -molarer Natrium chlorid τ, - - 'Elektronenstrom , Anode lösung die Werte = —2.7, ! |0AV Hu/Z-Ume Cl2 Ch «η, = —0.4, = +1.4, εο, = des Pofenfia/s I j Na Hi > 1.41 Volt. Führt man daher Kathode >1,*V in die Lösung etwa zwei Platinelektroden ein und legt an die Elektroden eine steigende Spannung an, so wird (vgl. ε/ektronenstrom' Fig. 60) der Elektronenstrom zu Fig. 60. Potentialverhältnisse bei der Elektrolyse einer fließen beginnen, sobald die 1-molaren wässerigen Natriumchlorid-Lösung Einzelpotentiale von Wassers t o f f und Chlor überschritten werden. Die N a t r i u m - und Hydroxyl-ionen bleiben unentladen als N a t r o n l a u g e , NaOH, zurück. Man benutzt die Verschiedenheit der Abscheidungsspannungen von Metallen und Nichtmetallen in der Analyse häufig zur Trennung und Bestimmung von Kationen und Anionen („Elektroanalyse" und „Polarographie").
Λi
Bei ungünstiger Lage der Potentiale lassen sich häufig durch K o n z e n t r a t i o n s ä n d e rungen, Anwendung von Ü b e r s p a n n u n g s e l e k t r o d e n usw. die für eine erfolgreiche Elektrolyse erforderlichen Potentialverhältnisse schaffen. So kann man ζ. B. bei der Elektrolyse wässeriger N a t r i u m c h l o r i d l ö s u n g e n durch Anwendung von Q u e e k s i l b e r k a t h o d e n und hohen N a t r i u m c h l o r i d k o n z e n t r a t i o n e n die Abscheidung von N a t r i u m statt W a s s e r s t o f f erzwingen (S. 411), weil unter diesen Versuchsbedingungen das N a t r i u m p o t e n t i a l ε = β0 + 0.058 log
Na CNa
infolge Vergrößerung von cs&. und Verkleinerung von c V a (Amalgam-
bildung) so weit nach der p o s i t i v e n und das W a s s e r s t o f f p o t e n t i a l (ε = 0.581ogcH. — η) infolge der großen Überspannung (η) an Quecksilber so weit nach der n e g a t i v e n Seite hin verschoben wird, daß Natrium und Wasserstoff in der Spannungsreihe (S.164) ihre Plätze tauschen.
δ. Ableitung eines neuen Säure- und Basebegriffs Der Begriff der Säure und Base hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie der Begriff des Reduktionsmittels und Oxydationsmittels. 1 Das Einzelpotential für den Vorgang 2 OH' 1/t 0 2 + H 2 0 + 2 θ beträgt in neutraler Lösung theoretisch + 0.8 Volt. Normalerweise erfordert aber die Abscheidung von Sauerstoff je nach A r t der E l e k t r o d e noch eine zusätzliche „Überspannung", die bei größeren Stromdichten mehr als 1 Volt betragen kann (s. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Analoges gilt für den Wasserstoff (vgl. oben).
172
Die Gruppe der Chalkogene
Früher verstand man unter einer Säure einen Stoff, der in wässeriger Lösung unter Bildung von Wasserstoff-ionen dissoziiert (S. 90) : HCl H" + Cl'. Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z beruht die Säurewirkung eines Stoffes darauf, daß er an die Moleküle des Wassers P r o t o n e n a b g i b t und so zur Bildung von H y d r o n i u m - i o n e n Veranlassung gibt (S. 149): HCl + H 2 0 Η 3 0' + Cl'. Definieren wir nun dementsprechend ganz allgemein eine Säure als einen Stoff, der imstande ist, an Wasser Protonen abzugeben, so steht — ähnlich wie beim Begriff des Reduktionsmittels — nichts im Wege, auch g e l a d e n e I o n e n als Säuren zu bezeichnen. Denn die saure Reaktion ζ. B. von H y d r o g e n s u l f a t e n (MeHS0 4 ) in wässeriger Lösung beruht ja auf einem ganz analogen Protonenübergang: HSCV + H 2 0
H 3 0" + S 0 4 " .
Und in gleicher Weise erklärt sich auch die saure Wirkung wässeriger A m m o n i u m salzlösungen (NH 4 X) durch die Bildung von Hydronium-ionen (vgl. S. 542) : NH/ + H 2 0 ^ H 3 0 ' + NB,. (1) Dementsprechend unterscheidet man heute zwischen „Neutral-säur en" (ζ. Β. HCl), „Anion-säuren" (ζ. Β . HS0 4 ') und „Kation-säuren" (ζ. B. NH 4 '). Unter einer Base verstand man früher einen Stoff, der in wässeriger Lösung unter Bildung von Hydroxyl-ionen dissoziiert (S. 90). Nach der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z dagegen beruht die Basewirkung eines Stoffes darauf, daß er von Wassermolekülen Protonen aufnimmt und so zur Bildung von H y d r o x y l - i o n e n Veranlassung gibt (S. 149) : NHs + Ha0 NHi. + 0H/< Dementsprechend können auch g e l a d e n e I o n e n Basen sein, ζ. B. : CIO' + H 2 0
HCIO + OH',
(2)
und wir müssen daher auch hier zwischen „Neutral-basen", „Anion-basen" und „Kationbasen" unterscheiden. Die häufig als Base-Prototyp angesehenen M e t a l l h y d r o x y d e Me(OH)n sind nur ein spezieller Fall von A n i o n b a s e n , bei welchem sich der P r o t o n e n ü b e r g a n g vom Wasser zum Anion wegen der Gleichheit der linken und rechten Seite der Reaktionsgleichung (OH' + H 2 0 z^zii H 2 0 + OH') n a c h a u ß e n hin n i c h t b e m e r k b a r m a c h t (vgl. S. 542). Der früher (S. 94f., 113f.) als Hydrolyse bezeichnete Vorgang ist, wie aus den Gleichungen (1) und (2) hervorgeht, nichts anderes als die Säure-(Base-)Wirkung von Ionen-säuren (-basen). Vgl. auch S. 376, 377. Die im Vorstehenden entwickelte, von dem dänischen Physikochemiker J O H A N N E S N. B R Ö N S T E D (1879—1947) stammende Definition der Säuren und Basen läßt sich zu der Gleichung Säuren B a s e n + p r o t 0 nen (3) zusammenfassen, welche ganz der Definitionsgleichung von Reduktions- und Oxydationsmitteln (S. 161) entspricht.
Wie die Redoxsysteme lassen sich auch die durch die obige Gleichung definierten „Säure-BaseSysteme" (,.korrespondierende Säure-Base-Paare") in eine „Spannungsreihe" einordnen, wobei als ordnendes Prinzip in diesem Falle der Säure-exponent (S. 107) der Säure fungiert (vgl. E. W I B E R G , ,,Die chemische Affinität"). In dieser Reihe kann wie bei der elektrochemischen Spannungsreihe bei den Einheiten der Konzentration von Säure und korrespondierender Base eine Protonenabgabe nur von einem höherstehenden an ein tief erstehendes System erfolgen. Durch Veränderung der Konzentration der Säure-Base-Partner läßt sich — analog wie bei den Redoxsystemen — die saure oder basische Wirkung eines Stoffes f,,Acidität" und ,,Basizität") und damit seine Stellung in dieser Säure-Base-Reihe willkürlich ändern. Dementsprechend ist die saure oder basische Wirkung einer Substanz keine gegebene Stoff eigenschaft, sondern eine Punktion des Reaktionspartners. Säuren und Basen im absoluten Sinne gibt es also ebeneowenig wie absolute Reduktions- und Oxydationsmittel (vgl. S. 162).
Der Sauerstoff
173
Die Definition der Säuren und Basen gemäß (3) ist nicht auf das Lösungsmittel W a s s e r („Aquosystem") beschränkt, sondern gilt auch für a n d e r e L ö s u n g s m i t t e l , ζ. B. f l ü s s i g e s Ammoniak („Ammonosystem"). An die Stelle der in wässeriger Lösung durch Protonenabgabe bzw. -aufnähme entstehenden H y d r o n i u m - und H y d r o x y l ionen treten dann natürlich a n d e r e I o n e n . So entspricht ζ. B. im flüssigen Ammoniaksystem dem Hydronium-ion H 3 0" das A m m o n i u m - i o n NH 4 ' und dem Hydroxyl-ion OH' das Amid-ion NH 2 '; z . B . : HCl + NH3 NH4· + Cl' (Neutralsäure)
CH3' + NH 3 Z£±:CH 4 + NH2'. (Anionbase)
Die N e u t r a l i s a t i o n besteht bei diesem Ammoniaksystem in einer Vereinigung von Ammonium- und Amid-ionen zu A m m o n i a k : NH4· + NH2' — 2 N H 3 . Sie erfolgt ζ. B. bei der Zusammengabe von A m m o n i u m c h l o r i d und N a t r i u m a m i d in flüssigem Ammoniak und entspricht ganz der Vereinigung von Hydroniumund Hydroxyl-ionen zu W a s s e r : HjO' + O H ' — bei der Zusammengabe wässeriger Lösungen von Salzsäure und Natriumhydroxyd.
b. Ozon Der Sauerstoff kommt außer in der normalen Form von 02-Molekülen auch in der energiereicheren Form von Os-Molekülen als Ozon vor. α. Darstellung Ozon wird ganz allgemein durch E i n w i r k u n g von S a u e r s t o f f a t o m e n auf S a u e r s t o f f m o l e k ü l e dargestellt: 0 + 02 >- 0 3 + 24.6 kcal. Die verschiedenen Bildungsweisen unterscheiden sich dabei in der Art und Weise der Erzeugung von Sauerstoffatomen. Am gebräuchlichsten ist die Bildung von Sauerstoffatomen aus Sauerstoff. Die in diesem Falle zur Aufspaltung der Sauerstoffmoleküle erforderliche Energie beträgt 59.1 kcal je Grammatom Sauerstoff, so daß sich für das Ozon in summa eine negative Bildungswärme von 34.5 kcal ergibt: 59.1 kcal + V 2 0 2 q = ± : 0 (1) O + 0 2 ^ ± 1 0 3 + 24.6 kcal (2) 34.5 kcal + ΐγ 2 0 2 03. (3) Die Spaltung der Sauerstoffmoleküle nach (1) kann ζ. B. durch Zufuhr t h e r m i s c h e r E n e r g i e (Erhitzen von Sauerstoff auf hohe Temperatur) erzwungen werden. Diese Methode führt aber nur zu sehr g e r i n g e n O z o n a u s b e u t e n , da erhöhte Temperatur gleichzeitig den endothermen Zerfall des Ozons nach Gleichung (2) begünstigt, so daß sich das Gesamtgleichgewicht (3) mit steigender Temperatur nur langsam nach rechts verschiebt. So befindet sich selbst bei 2000° erst etwa 1 Vol-°/ 0 Ozon im Sauerstoffgleichgewicht, von dem beim raschen Abkühlen nur etwa 1 / i 0 % übrigbleibt, weil mit fallender Temperatur der exotherme Gesamtzerfall des Ozons nach (3) fortschreitet. Es ist daher zweckmäßiger, die Sauerstoffatome bei n i e d r i g e r T e m p e r a t u r durch Zufuhr e l e k t r i s c h e r oder o p t i s c h e r oder c h e m i s c h e r E n e r g i e nach Gleichung (1) zu erzeugen und nach (2) weiterreagieren zu lassen, da sich bei niedrigen Temperaturen das — an und für sich ganz auf der Seite des Sauerstoffs liegende — Z e r f a l l s g l e i c h g e w i c h t (3) bei A b w e s e n h e i t von K a t a l y s a t o r e n nur ä u ß e r s t
174
Die Gruppe der Chalkogene
l a n g s a m einstellt, so daß das einmal gebildete Ozon als m e t a s t a b i l e V e r b i n d u n g erhalten bleibt. Die Zufuhr von e l e k t r i s c h e r E n e r g i e erfolgt besonders bequem im „SIEJIENSschen Ozonisator" (Fig. 61). Dieser besteht im Prinzip aus zwei ineinander gestellten Glasrohren, deren Außen- bzw. Innenwand mit Wasser gekühlt und mit den Enden eines Induktoriums — bei Großanlagen mit den Hochspannungsklemmen eines Transformators — leitend verbunden ist. In dem engen Ringraum zwischen den Glasrohren treten bei Anlegen der Spannung „stille" oder „dunkle" elektrische Entladungen auf, durch welche ein trockener Sauerstoff- oder Luftstrom geleitet wird. Das den Ozonisator verlassende Gasgemisch besteht, wenn von reinem Sauerstoff ausgegangen wird, im besten Falle zu 1 5 % aus Ozon. Bei Zufuhr von L i c h t e n e r g i e ist die Spaltung des Sauerstoffmoleküls (118.2 kcal + 0 2 -—>-20) gemäß dem früher (S. 82f.) über photochemische Reaktionen Gesagten nur mit kurzwelligem Ultraviolett der Wellenlänge < 2500 Â (Energiewert des Lichtäquivalents: > 1 1 4 . 3 kcal) mögüch. So bildet sich Ozon ζ. B. bei Bestrahlung mit Licht der Wellenlänge 2090 Â (Zinkfunken), welches von Sauerstoff absorbiert wird. In gleicher Weise erklärt sich der kleine Ozongehalt in den höheren, der intensiven ultravioletten Strahlung des Sonnenlichtes ausgesetzten Schichten der Atmosphäre sowie der in der Umgebung einer brennenden künstlichen „Höhensonne" (S.480) oder in der Nähe eines radioaktiven Präparats (S. 552) stets wahrnehmbare Ozongeruch. Auch c h e m i s c h e E n e r g i e kann zur Erzeugung der für die ffuh/ujasser Ozonbildung erforderlichen Sauerstoffatome dienen (A + 0 2 — ν AO + O). So entsteht z. B. Ozon bei der langsamen Oxydation von feuchtem, weißem Phosphor an der Luft. Fig 61 SiEMENSscher Außer dem molekularen S a u e r s t o f f können auch a n d e r e Ozonisator sauerstoffhaltige Stoffe zur Gewinnung der für die Ozonbildung nach (2) notwendigen Sauerstoffatome benutzt werden, z. B. das Wasser. E l e k t r o l y s i e r t man z . B . wässerige Lösungen (20H' —>- H 2 0 + 0 + 2 θ ) oder läßt man Fluor auf Wasser einwirken (F 2 + HaO —>- 2 H F + O), so bildet sich primär atomarer Sauerstoff. Daher ist der so entwickelte Sauerstoff — bei Abwesenheit oxydierbarer Substanzen — stets o z o n h a l t i g . Gleiches gilt von dem bei der Zersetzung leicht zerfallender höherer Sauerstoffverbindungen (ζ. B. Wasserstoffperoxyd H 2 0 2 , Übermangansäure HMn0 4 usw.) entstehenden Sauerstoff. ß. Physikalische Eigenschaften Reines Ozon — das aus Ozon-Sauerstoff-Gemischen durch Verflüssigung mit flüssiger Luft und anschließende fraktionierte Destillation gewonnen werden kann — ist im Gaszustande deutlich blau, im flüssigen Zustande (Sdp. —111.5°) schwarzblau und im festen Zustande (Smp. —251.4°) schwarz. In Wasser löst es sich nur wenig; mit flüssigem Sauerstoff ist es im flüssigen Zustande nicht in jedem Verhältnis mischbar. Charakteristisch ist der Geruch des Ozons1, der noch bei einer Konzentration von 1 Teil Ozon in 500000 Teilen Luft wahrnehmbar ist. γ. Chemische Eigenschaften Als e n d o t h e r m e Verbindung hat Ozon große Neigung, unter Bildung von Sauerstoff zu z e r f a l l e n : 20 3 30 2 + 69.0 kcal. 1
ozein (ÓJEIV) = riechen.
Der Sauerstoff
175
So kommt es, daß k o n z e n t r i e r t e s Ozon selbst bei —120° sehr explosiv ist. In v e r d ü n n t e m Zustande erfolgt der Zerfall bei gewöhnlicher Temperatur nur a l l m ä h lich. Beschleunigt wird die Zersetzung durch K a t a l y s a t o r e n wie Mangandioxyd, Bleidioxyd, Natronkalk. Ebenso wird die Zerfallsgeschwindigkeit durch B e s t r a h l e n mit längerwelligem Ultraviolett und durch E r w ä r m e n erhöht. So zersetzt sich selbst verdünntes Ozon — auch bei Abwesenheit von Katalysatoren — schon bei 100° recht schnell. Die charakteristischste Eigenschaft des Ozons ist sein starkes O x y d a t i o n s v e r m ö g e n : 0 3 —>- 0 2 + 0 . So verwandelt es z.B. bereits bei Zimmertemperatur schwarzes Bleisulfid in weißes Bleisulfat (PbS + 4 0 —>- PbS0 4 ), weißes Blei(II)-hydroxyd in braunes Bleidioxyd (PbO + O •—> Pb0 2 ), blankes Silber in schwarzes Silberperoxyd (2 Ag + 2 0 —>- Ag 2 0 2 ), Phosphor, Schwefel und Arsen in Phosphorsäure (2 Ρ + 5 0 —>- P 2 0 6 ), Schwefelsäure (S + 3 0 —>- S0 3 ) und Arsensäure (2 As + 5 0 —>As 2 0 6 ). Beim Einleiten in eine neutrale K a l i u m j odidlösung wird — unter gleichzeitigem Auftreten einer a l k a l i s c h e n Reaktion — J o d ausgeschieden: 2 J' +f.O + H 2 0 — ν J 2 +[2OH'. Auch o r g a n i s c h e Stoffe werden von Ozon kräftig oxydiert. Man darf daher ζ. B. Ozon nicht durch G u m m i s c h l ä u c h e leiten, da diese in wenigen Augenblicken zerstört werden. Ebenso werden organische F a r b s t o f f e (ζ. B. Indigo und Lackmus) gebleicht und M i k r o o r g a n i s m e n vernichtet. In größeren Konzentrationen wirkt Ozon verätzend auf die Atmungsorgane. Ozon wird technisch ζ. B. zur L u f t v e r b e s s e r u n g und - s t e r i l i s a t i o n (Theater, Schulen, Hospitäler, Kühlräume, Schlachthäuser, Brauereien) und zur E n t k e i m u n g v o n T r i n k w a s s e r verwendet. Die Wasserentkeimung durch Ozon ist allerdings nach Einführung des viel einfacheren und billigeren Verfahrens der Sterilisierung durch Chlor stark zurückgegangen.'
c. Wasserstoffperoxyd Außer dem — schon besprochenen (S. 48ff.) — Wasser, H 2 0, gibt es noch eine "zweite, sauerstoffreichere Wasserstoffverbindung des Sauerstoffs: das Wasserstoffperoxyd, H 2 0 2 .
α. Darstellung Das W a s s e r s t o f f p e r o x y d wird technisch durch H y d r o l y s e leicht zugänglicher Derivate gewonnen: Ο - - X + HOiH ι O - - Χ + HOiH
^ Ο—Η ό-Η
ΧΟΗ ΧΟΗ
Als Ausgangsderivat verwendete man f r ü h e r hauptsächlich N a t r i u m - bzw. B a r i u m p e r o x y d (Na 2 0 2 ; Ba0 2 ). Diese Oxyde lassen sich leicht durch Erhitzen von Natrium bzw. Bariumoxyd an der Luft gewinnen (S. 177 f.) und sind in wässeriger Lösung bis zu einem bestimmten Gleichgewicht gemäß Na202 + 2 HÖH H 2 0 2 + 2NaOH bzw. BaO¡¡ + 2 HÖH H202 + Ba(OH)2 hydrolytisch gespalten. Durch Abfangen der dabei gebildeten Lauge mittels einer geeigneten Säure (Eintragen von Bariumperoxyd in gekühlte 20%ige Schwefelsäure oder konzentrierte Phosphorsäurelösung oder Kieselfluorwasserstoffsäure) kann das Gleichgewicht vollkommen zugunsten der Wasserstoffperoxydbildung verschoben und das
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Die Gruppe der Chalkogene
Barium als schwerlösliches Salz ausgefällt werden (Ba0 2 + H 2 S0 4 —>- B a S 0 4 + H 2 0 2 ). H e u t e benutzt man als Ausgangsderivat zur Wasserstoffperoxydgewinnung fast ausschließlich P e r o x y - d i s c h w e f elsäure H 2 S 2 0 8 (S. 210f.) oder ihre Salze, Verbindungen, in welchen die beiden Wasserstoffatome des Wasserstoffperoxyds durch S u l f o r e s t e —S0 3 H bzw. deren Anion — S 0 3 ' ersetzt sind. Sie gehen bei der Hydrolyse über die Stufe der P e r o x y - m o n o s c h w e f e l s ä u r e H 2 S0 5 hinweg in W a s s e r s t o f f p e r o x y d über: O - j - SQ3H + HO —J H - H , s o . , O-
>
SOsH
Peroxy-dischwefelsäure
O-H
-H,SO 4 _
I
O-l—SO?H+HO-';H
Peroxy-mono-achwefelsäure
• · >-
O-H O-H
Wassers toffperoxyd
Da die Peroxy-dischwefelsäure H 2 S 2 0 8 ihrerseits durch anodische Oxydation von Schwefels ä u r e unter gleichzeitiger kathodischer Wasserstoffentwicklung entsteht (S. 210) und die Schwefelsäure bei der Hydrolyse immer wieder zurückgewonnen wird, läuft das ganze Verfahren letzten Endes auf eine Umwandlung von Wasser in Wasserstoff und Wasserstoffperoxyd hinaus: 2H 2 S0 4
ElektTOly3e
H 2 S 2 0„ + 2H a O 2H20
Hydrolyäe
—>-
>- H 2 S 2 0 8 + H 2 H 2 0 2 + 2H 2 S0 4 H202 + H 2 .
Aus den bei der Hydrolyse resultierenden wässerigen Lösungen kann das Wasserstoffperoxyd durch fraktionierte Destillation im Vakuum leicht in Form verhältnismäßig konzentrierter Lösungen erhalten werden. Zu Anfang geht bei dieser Vakuumdestillation fast nur Wasser über, so daß sich der Rückstand an Wasserstoffperoxyd anreichert; zum Schluß destilliert reines Wasserstoffperoxyd ab. In den Handel kommt es gewöhnlich als 3- oder 30°/oige Lösung, letztere unter dem Namen „Perhydrol".
ß. Physikalische Eigenschaften In reinem, wasserfreiem Zustande bildet Wasserstoffperoxyd eine farblose, in sehr dicker Schicht jedoch blaue Flüssigkeit (Sdp. 157.8°), welche bei starker Abkühlung zu Kristallen vom Schmelzpunkt —1.7° erstarrt. Unter vermindertem Druck kann es unzersetzt destilliert werden. γ. Chemische Eigenschaften Wasserstoffperoxyd zeigt ein starkes Bestreben, unter großer Wärmeentwicklung in W a s s e r und S a u e r s t o f f zu zerfallen: 2H202
>- 2 H 2 0 + 0 2 + 46.2 kcal.
Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r ist die Zerfallsgeschwindigkeit allerdings unmeßbar klein, so daß Wasserstoffperoxyd sowohl in reinem, wie in gelöstem Zustande praktisch beständig ( m e t a s t a b i l ) ist. Durch K a t a l y s a t o r e n (ζ. B. feinverteiltes Silber, Gold, Platin, Braunstein, Staubteilchen, Alkali, Aktivkohle, Kaliumjodid, Stoffe mit rauher Oberfläche) wird jedoch die Zersetzungsgeschwindigkeit so beschleunigt, daß gegebenenfalls s t ü r m i s c h e S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g , bei hochkonzentrierten Lösungen sogar e x p l o s i o n s a r t i g e r Z e r f a l l eintritt. Das gleiche ist beim E r h i t z e n der Fall. Die Wirkung der Zersetzungskatalysatoren kann mehr oder minder weitgehend durch P h o s p h o r s ä u r e und verschiedene organische Säuren — vor allem B a r b i t u r s ä u r e und H a r n s ä u r e — aufgehoben werden. Daher stabilisiert man Wasserstoffperoxydlösungen durch Zusatz derartiger A n t i - K a t a l y s a t o r e n . Will man reine Wasserstoffperoxydlösungen z u s a t z f r e i aufbewahren, so muß man p a r a f f i n i e r t e Glasgefäße verwenden, um eine Abgabe von A l k a l i aus dem Glas zu verhindern.
Der Sauerstoff
177
Die charakteristischste Eigenschaft des Wasserstoffperoxyds ist seine o x y d i e r e n d e W i r k u n g : H 2 0 2 —>• H 2 0 + 0 . So oxydiert es — ähnlich wie Ozon — ζ. B. Bleisulfid zu Bleisulfat (PbS + 4 0 — P b S 0 4 ) , Eisen(II)-salze zu Eisen(III)-salzen (2FeO + O —>- Fe 2 0 3 ), schweflige, salpetrige und arsenige Säure zu Schwefelsäure (H 2 S0 3 + O —>- H 2 S0 4 ), Salpetersäure (HNO¡¡ + 0 — H N 0 3 ) und Arsensäure (H 3 As0 3 + 0 — H 3 As0 4 ), Jodwasserstoff zu Jod ( 2 H J + 0 —>- H 2 0 + J 2 ), Schwefelwasserstoff zu Schwefel (H 2 S + 0 -—>- H 2 0 + S). Die Oxydation von f a r b l o s e m Titandioxyd Ti0 2 zu g e l b e m Titanperoxyd Ti0 3 in schwefelsaurer Lösung 1 ist ein empfindlicher Nachweis für Wasserstoffperoxyd. Weniger ausgeprägt ist die r e d u z i e r e n d e (sauerstoff-entziehende) W i r k u n g des Wasserstoffperoxyds : H 2 0 2 + 0 — H 2 0 + 0 2 . Sie tritt nur gegenüber ausgesprochenen O x y d a t i o n s m i t t e l n auf. So wird z. B. die violette Permangansäure HMn0 4 (Anhydrid : Mn 2 0 7 ) in saurer Lösung zu farblosem Mangan(II)-salz reduziert (Mn 2 0 7 •—>- 2MnO + 5 0), Chlorkalk zu Calciumchlorid (CaCl20 — ν CaCl2 + 0), Silberoxyd zu Silber (Ag 2 0 —>- 2 Ag + 0), Quecksilberoxyd zu Quecksilber (HgO —>• Hg + 0), Bleidioxyd zu Blei(II)-salz (Pb0 2 — P b O + 0), Ozon zu Sauerstoff (0 3 —> Oa + 0). Als S ä u r e ist Wasserstoffperoxyd etwas stärker als Wasser. Die Dissoziationskonstante Κ =
&H X C h ( V
'C
H,0,
beträgt bei 20° C 1.5 χ IO -12 . In 1-molarer Lösung liegt
danach eine Wasserstoffionen-konzentration von rund 10 -6 vor. Wasserstoffperoxyd findet in der Hauptsache als B l e i c h m i t t e l zum Bleichen von Haaren {„Blondfärben"), Stroh, Federn, Schwämmen, Elfenbein, Stärke, Leim, Leder, Pelzwerk, Wolle, Baumwolle, Seide, Kunstfaserstoffen, Fetten, Ölen usw. Verwendung, und zwar entweder als solches in wässeriger Lösung oder — ζ. B. im „Persil" und allen modernen Wasch- und Bleichmitteln — gebunden als „ P e r b o r a t " NaB0 2 · H 2 0 2 . Außerdem wird es wegen seiner desinfizierenden Wirkung viel für medizinische und kosmetische Zwecke gebraucht; so ist ζ. Β. das „Ortizon" eine feste Additionsverbindung von Wasserstoffperoxyd und Harnstoff. δ. Salze Wichtige Salze des Wasserstoffperoxyds sind das Natriumperoxyd Na 2 0 2 und das Bariumperoxyd Ba0 2 . Natriumperoxyd Darstellung. N a t r i u m p e r o x y d wird technisch durch V e r b r e n n e n von N a t r i u m an der Luft dargestellt: 2Na + 0 2
Na 2 0 2 + 119.2 kcal.
Und zwar führt man zwecks Vermeidung einer zu großen lokalen Wärmeentwicklung (Wiederzerfall des gebildeten Peroxyds) das Natrium bei 300—400° in Aluminiumgefäßen einem trockenen, kohlendioxydfreien Luftstrom entgegen, so daß das noch frische Natrium zuerst in s a u e r s t o f f a r m e r , verbrauchter Luft verbrennt und sich erst später mit s a u e r s t o f f r e i c h e r Luft vollends umsetzt („Gegenstromprinzip"). Auch Drehtrommeln werden zur technischen Darstellung verwendet. Eigenschaften. Natriumperoxyd ist ein blaßgelbes, fast unzersetzt schmelzbares (Smp. 460°) Pulver von s t a r k o x y d i e r e n d e n Eigenschaften. So reagiert es ζ. B. explosionsartig mit Stoffen wie Schwefel, Kohlenstoff oder Aluminiumpulver und ist in Mischung mit organischen Substanzen sehr feuergefährlich. Löst man Natriumperoxyd unter i n t e n s i v e r K ü h l u n g in Wasser, so erhält man eine Lösung, die infolge 1
In schwefelsaurer Lösung liegt Ti0 2 als Ti0(S0 4 ) und Ti0 3 als Ti0 2 (S0 4 H) s vor (S. 483f.).
H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
12
178
Die Groppe der Chalkogene
hydrolytischer Spaltung wie ein Gemisch aus Natronlauge und Wasserstoffperoxyd wirkt (S. 175): Na 2 0 2 + 2 HÖH
H 2 0 2 + 2NaOH.
O h n e K ü h l u n g löst sich das Natriumperoxyd unter lebhafter S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g , da infolge der durch die starke Lösungswärme (exotherme Bildung des Hydrats Na 2 0 2 · 8H 2 0) bedingten Temperatursteigerung das Wasserstoffperoxyd unter der gleichzeitigen katalytischen Wirkung des gebildeten Alkalis rasch in Wasser und Sauerstoff zerfällt (H 2 0 2 — H 2 0 + V A ) : Na 2 0 2 + H 2 0 •—>- 2NaOH + γ 2 0 2 . (1) Infolge des bei der Umsetzung (1) gebildeten Natriumhydroxyds wirkt Natriumperoxyd an feuchter Luft k o h l e n d i o x y d - b i n d e n d (2NaOH + C0 2 >- Na 2 C0 3 + H 2 0). Daher benutzt man natriumperoxydhaltige Präparate unter dem Namen „Öxon" für A t e m g e r ä t e (Feuerwehrleute, Taueher) und zur L u f t e r n e u e r u n g in abgeschlossenen Räumen (z. B. Unterseebooten), da es für diese Zwecke in doppelter Weise — k o h l e n d i o x y d - b i n d e n d und s a u e r s t o f f - e r z e u g e n d — wirksam ist: Na 2 0 2 + C0 2 >• Na 2 C0 3 + V 2 0 2 .
Verwendung. Wegen seiner stark oxydierenden und damit auch bleichenden Wirkung findet Natriumperoxyd in ausgedehntem Maße Verwendung zur Herstellung von B l e i c h b ä d e r n für alle Arten von tierischen und pflanzlichen Produkten: Wolle, Seide, Federn, Haare, Borsten, Horn, Knochen, Elfenbein, Wachs, öle, Fette, Stroh, Holz, Schwämme. Die in der wässerigen Lösung vorhandene Natronlauge wird dabei durch Schwefelsäure (OH' -f- H ' —>- H 2 0) oder durch Magnesiumsulfat (2 OH' + Mg" —>• Mg(OH)2) unschädlich gemacht. Zeitweilig war Natriumperoxyd ein Bestandteil einiger moderner Waschmittel ; seit 1939 dürfen aber natriumperoxydhaltige Waschmittel bei uns nicht mehr hergestellt werden. Wichtig ist das Natriumperoxyd noch als Ausgangsmaterial für die Herstellung anderer Peroxyverbindungen. Bariumperoxyd B a r i u m p e r o x y d wird technisch durch Erhitzen von lockerem, porösem B a r i u m o x y d (S. 402) im Luftstrom bei 500—600« und 2 Atmosphären Druck gewonnen: 2BaO + 0 2
2Ba0 2 + 37.2 kcal.
(2)
Da die Bildungsreaktion (2) mit W ä r m e a b g a b e und V o l u m e n v e r m i n d e r u n g verbunden ist, verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r und f a l l e n d e m D r u c k nach links. Man kann daher den Sauerstoff der Luft bei niedriger Temperatur und erhöhtem Druck binden und bei höherer Temperatur und erniedrigtem Druck wieder entbinden. Hiervon hat man früher zur technischen Darstellung von Sauerstoff aus Luft Gebrauch gemacht (S. 31). Bariumperoxyd wird hauptsächlich zur Gewinnung verdünnter Wasserstoffperoxydlösungen (S. 175 f.), daneben als Sauerstoffträger zur Entzündung von Zündsätzen — z . B . Thermitgemischen (S. 371 f.) — verwendet.
2. D e r Schwefel a. Elementarer Schwefel α. Vorkommen Der Schwefel kommt in der Natur sowohl in freiem, wie in gebundenem Zustande vor. Mächtige Lager von f r e i e m S c h w e f e l finden sich hauptsächlich in I t a l i e n (Sizilien), N o r d a m e r i k a (Louisiana und Texas) und J a p a n (Hokkaido). A n o r g a n i s c h g e b u n d e n e r S c h w e f e l findet sich hauptsächlich in Form von Sulfiden (Salze des Schwefelwasserstoffs H 2 S) und Sulfaten (Salze der Schwefelsäure
Der Schwefel
179
H 2 S0 4 ). Die Sulfide bezeichnet man je nach ihrem Aussehen als K i e s e , B l e n d e n und Glänze; die meistverbreiteten unter ihnen sind der Eisenkies (Schwefelkies, Pyrit) FeS 2 , der Kupferkies CuFeS2, der Bleiglanz PbS und die Zinkblende ZnS. Die wichtigsten Sulfate der Natur sind Calciumsulfat (Gips CaS0 4 • 2 H 2 0 und Anhydrit CaS0 4 ), Magnesiumsulfat (Bittersalz MgS0 4 · 7 H 2 0 und Kieserit MgS0 4 · H 2 0), B a r i u m s u l f a t (Schwerspat BaS0 4 ), S t r o n t i u m s u l f a t (Cölestin SrS0 4 ) und N a t r i u m s ü l f a t (Glaubersalz Na 2 S0 4 · 10H 2 0). Als Bestandteil der E i w e i ß s t o f f e (II, S. 277 ff.) findet sich der Schwefel auch organisch gebunden im P f l a n z e n - und Tierreich. Der bei der Verwesung von Tierleichen oder beim Faulen von Eiern auftretende üble Geruch rührt beispielsweise hauptsächlich von Schwefel Verbindungen (Schwefelwasserstoff, Mercaptanen) her, die sich bei der Eiweißfäulnis bilden. Steinkohlen — die ja pflanzlichen Ursprungs sind (S. 301) — enthalten 1 bis ll/2°/o Schwefel, teils in organischer Bindung, teils in Form von Schwefelkies. ß. Gewinnung Die technische Gewinnung von Schwefel erfolgt teils aus natürlichem Vorkommen, teils durch Oxydation von Schwefelwasserstoff oder durch Beduktion von Schwefeldioxyd. Oxydation α Reduktion •Π^·5 " ö(J2 . Aus n a t ü r l i c h e n Vorkommen In Sizilien, das bis 1914 der Hauptproduzent von Schwefel war, findet sich der Schwefel in Form eines von gediegenem Schwefel durchsetzten Gesteins. Der Schwefelgehalt schwankt zwischen 8 und 40°/ 0 und beträgt im Mittel etwa 25°/ 0 . Aus diesem Schwefelgestein wird der Schwefel durch Ausschmelzen gewonnen. Die hierfür erforderliche Wärme erzeugt man in etwas primitiver Weise durch Verbrennen eines Teils des Schwefels. Zwei Arten von Öfen Luftschächte sind für diesen Zweck in Gebrauch : die Lehmdecke „Calcaroni" und die „Forni". ,Schu/efe/gestein
Die Calcaroni (Fig. 62) sind runde, mit Gips ausgemauerte Gruben von etwa 15 m Durchmesser und 3—5 m Tiefe, deren Sohle gegen eine mit einem Stichloch versehene Mauer geneigt ist. In ihnen fast wird das Schwefelgestein unter Aussparung einiger Luftschächte zu Meilern aufgeschichtet, die entgeschmolzener zündet werden. Nach einigen Stunden werden die ''Schwefe! Luftschächte geschlossen und der Meiler mit einer Lehmdecke versehen. Ein Teil des Schwefels --St/ch/och brennt dann unter Wärmeentwicklung langsam ab, während gleichzeitig unverbrannter Schwefel zum Schmelzen kommt und durch einen Rost zu Fig. 62. Querschnitt durch einen Calcarone Boden sickert. Durch das Stichloch wird zweibis dreimal täglich der geschmolzene Schwefel in nasse Holzformen abgelassen, in denen er zu Barren von 50—60 kg erstarrt. Das Ausschmelzen eines Meilers dauert je nach Größe 1—3 Monate. Die Schwefelausbeute beträgt etwa 5 0 % , die zum Schmelzen des Schwefels ausgenutzte Wärmeenergie weniger als 3°/0. Die Forni, die aus 4—6 miteinander nach dem Prinzip der Kalk-Ringöfen (S. 393) zu einem Ring verbundenen gemauerten Kammern bestehen, gestatten eine wesentlich b e s s e r e Ausn u t z u n g der Wärmeenergie. Während bei den Calcaroni die heißen Verbrennungsgase unausgenutzt ins Freie entweichen, werden hier die Abgase durch einen Kanal in die nachfolgenden Kammern geleitet, so daß sie hier ihre Wärme abgeben können. Die einzelnen Kammern lassen sich dabei beliebig als B r e n n k a m m e r und S c h m e l z k a m m e r schalten. Die erste Kammer dient ζ. B. als Brennkammer, in der zweiten wird durch die heißen Verbrennungsgase der Schwefel zum Schmelzen gebracht, in der dritten das Material vorgewärmt. Nach dem Ausschmelzen der Schmelzkammer wird diese dann als Brennkammer geschaltet, wobei die nicht 12*
180
Die Gruppe der Chalkogene
vollkommen ausgeschmolzenen Schwefelrückstände zur Verbrennung kommen, und in dieser Weise das Feuer jeweils um eine Kammer weiterverlegt. Die nicht beanspruchten Kammern können unterdessen geräumt und beschickt werden. Die Schwefelausbeute beträgt bis zu 80%· Die Reinigung des Rohschwefels erfolgt durch Destillation aus gußeisernen Retorten und Verdichtimg der Schwefeldämpfe in großen gemauerten Kammern. Sorgt man dafür, daß die Temperatur in den Kammern unterhalb der Schmelztemperatur des Schwefels bleibt, so schlägt sich der Schwefel in Form eines feinen gelben Pulvers („Schwefelblumen", „Schwefelblüte") nieder. Bei höheren Temperaturen sammelt sich am Boden der Kammern flüssiger Schwefel an, den man in hölzernen Formen zu „Stangenschwefel" erstarren läßt.
In L o u i s i a n a und T e x a s , wo der Schwefel in Tiefen von 150 bis 240 m unter einer 25 bis 60 m tiefen Schwimmsandschicht vorkommt und daher nicht bergmännisch abgebaut werden kann, wird der Schwefel nach einem von H . F R A S C H eingeführten Verfahren durch A u s s c h m e l z e n m i t ü b e r h i t z t e m W a s s e r d a m p f gewonnen. Diesem Verfahren ist die außerordent,,'-/)usseres fíohr. liche Steigerung der amerikanischen Schwefelerzeugung (1900 lieferte Italien rund 90°/0 der Welterzeugung, während heute umgekehrt .-•Mitt/eres Rohr Amerika 80°/0 der — inzwischen vervielfachten—Weltproduktion erzeugt) zu verdanken. In Sizilien konnte dieses Verfahren des Aus--Inneres fíohr schmelzens von Schwefel mit Wasserdampf schon deshalb keine größere Bedeutung erlan(5*· überhitzter überhitzter gen, weil die dazu erforderliche WärmeenerU/asserdampf (i/asserdampf gie durch Einfuhr ausländischer Kohle erzeugt werden müßte und sich der Schwefel aus dem sizilianischen Gestein mit Wasserdampf Schwefe/ nur unvollständig (die Rückstände enthalten / im Mittel noch 12 bis 15°/0 Schwefel) aus^geschmo/zener geschmolzener schmelzen läßt. Schu/efet
Schwefe/ Weisse Press/u ft
Das „FEASCH-Verfahren" beruht darauf, daß in das Schwefellager ein etwa 25 cm weites Eisenrohr eingetrieben wird, welches innen konaxial Fig. 63. Fußkörper der Schwefelpumpe zwei weitere Rohre von 15 bzw. Ί 1 / ΐ cm lichter von FRASCH Weite trägt. Durch das ä u ß e r e Rohr wird überhitzter Wasserdampf von 170° eingepreßt, welcher unten (Fig. 63) den umgebenden Schwefel (Smp. 119°) schmilzt. Durch das i n n e r e Rohr tritt heiße Preßluft von 40 Atmosphären Druck ein, durch welche der geschmolzene Schwefel im m i t t l e r e n Rohr hochgepreßt wird. Der oben flüssig auslaufende Schwefel erstarrt in Bretterverschlägen zu riesigen Schwefelklötzen. Da er bereits sehr rein ist (98—99Vs%). braucht er nicht durch Destillation gereinigt zu werden.
Aus S c h w e f e l w a s s e r s t o f f Steigende Bedeutung gewinnt in Deutschland die Gewinnung von Schwefel aus dem in technischen, aus Kohle gewonnenen Gasen ( L e u c h t g a s , K o k e r e i g a s , W a s s e r g a s , S y n t h e s e g a s usw.) enthaltenen, dem Schwefelgehalt der Kohle entstammenden S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (vgl. S. 189). Die Umwandlung dieses Schwefelwasserstoffs in Schwefel erfolgt ganz allgemein durch Verbrennen mit Sauerstoff in Gegenwart von Katalysatoren. Wichtige Katalysatoren sind ζ. B. B a u x i t (AlOOH), A k t i v k o h l e (C) und E i s e n h y d r o x y d (Fe(OH)3). Die Überführung von Schwefelwasserstoff in Schwefel mit Hilfe von B a u x i t ala Katalysator („CLAi's-Prozeß") wird zweckmäßig im sogenannten CLA us-Ofen vorgenommen.
Der Schwefel
181
Nach dem ,,älteren CLAUS-Verfahren" wird der Schwefelwasserstoff mit Luft d i r e k t zu Schwefel verbrannt: 3H2S + 1.502
3 S + 3H 2 0(g) + 159 kcal.
Der hierfür benutzte „CLAUS-Ofen" (Fig. 64) besteht aus einem von einem Eisenmantel umgebenen Mauerwerk mit einem durchlochten Zwischenboden, auf dem die Kontaktmasse aufgeschichtet ist. Die mit Luft vermischten schwefelwasserstoffhaltigen Gase treten von oben in den Ofen ein und durchstreichen die Kontaktschicht. Die bei der Schwefelbildung freiwerdende Reaktionswärme verursacht in der obersten Kon-Bauxittaktschicht eine Temperatur von 500°, Katalysator Mauerwerk welche nach unten hin rasch abnimmt. mifBsenmantet Der gebildete Schwefel tropft teils flüssig durch den Zwischenboden ab, um auf dem ài Schwefe/, unteren, schrägen Boden auszufließen, Zujischenboden. hJasserdamtf, teils entweicht er gasförmig und wird in aus Loctiptatten Stickstoff besonderen Kondensationskammern als geneigter ßoc/en „Schwefelblume" gewonnen. Fig. 64. Querschnitt durch einen CLAus-Ofen Ein Nachteil des älteren C l a u s -
Verfahrens ist der Umstand, daß die gesamte Verbrennungswärme im K o n t a k t frei wird und hier nur schwierig zu beherrschen ist. Der „neuere CLAus-Prozeß" beseitigt diese Schwierigkeit, indem er den Verbrennungsvorgang in zwei Stufen zerlegt: H j S + 1.5 0 2 - — S 0 2 + H 2 0 + 124 kcal SQ2+2H2S ? » 3 S + 2H 2 Q + 35 kcal 3H2S + 1.502 3 S + 3 H 2 0 + 159 kcal,
(1) (2) (3)
von denen nur die zweite (2) eines Katalysators bedarf. Das Verfahren arbeitet so, daß ein D r i t t e l des Schwefelwasserstoffs mit Luft bis zu S c h w e f e l d i o x y d verbrannt wird (1). Hierbei wird der g r ö ß t e T e i l der Reaktionswärme a u ß e r h a l b des K o n t a k t s durch einfache Verbrennung frei und kann im Dampfkessel zur Dampferzeugung ausgenutzt werden. Die restlichen z w e i D r i t t e l des Schwefelwasserstoffs werden mit dem gebildeten S c h w e f e l d i o x y d über verbesserten Bauxitkontakten in einem turmartigen CLAUS-Ofen umgesetzt (2). Da hierbei nur noch die restliche Wärmemenge von 35 kcal im Kontakt frei wird, kann im Vergleich zum älteren Verfahren mehr als die h u n d e r t f a c h e Menge Schwefelwasserstoff je Zeiteinheit umgesetzt werden (älteres Verfahren: 2 bis 3 m 3 H 2 S, neueres Verfahren: 200 bis 300 m 3 H 2 S je Stunde und Kubikmeter Kontaktmasse). Der gebildete Schwefel ist s e h r r e i n (durchschnittlich 99.5%ig).
Bei Verwendung von Aktivkohle als Katalysator wird das mit Luft vermischte schwefelwasserstoffhaltige Gas durch einen mit 2 m3 Aktivkohle (S. 291 f.) beschickten Behälter geleitet, wobei sich der gebildete Schwefel auf der Kohle niederschlägt. Die Abtrennung des Schwefels von der Kohle erfolgt durch Extraktion mit Ammoniumsulfidlösungen oder anderen Lösungsmitteln (ζ. B. Schwefelkohlenstoff, Monochlorbenzol, Dichlorbenzol) oder durch Abtreiben mit überhitztem Wasserdampf. Man bedient sich dieses Verfahrens der SchwefelwasserstoffVerbrennung ζ. B. zur E n t schwefelung des zur Ammoniaksynthese dienenden Stickstoff - Wasserstoff Gemisches (S. 220f.). Ein weiteres Verfahren der Verbrennung von Schwefelwasserstoff zu Schwefel besteht darin, daß man das schwefelwasserstoffhaltige Gas über E i s e n h y d r o x y d leitet, welches den Schwefelwasserstoff als Eisensulfid bindet (4), und dann das gebildete Eisensulfid an der Luft unter Schwefelabscheidung in Eisenhydroxyd rückverwandelt (5) : Fe 2 O s + 3 H 2 S F e 2 S 3 + 1.5 0 2 3H2S + 1.502
F e 2 S 3 + 3H a O >- Fe 2 Q 3 + 3 S >- 3 S + 3Hai).
(4) (5) (6)
Die Gruppe der Chalkogene
182
Das Verfahren dient zur E n t s c h w e f e l u n g von L e u c h t g a s und K o k e r e i g a s (S. 302) ; der gebildete Schwefel wird mit Schwefelkohlenstoff extrahiert oder — nach genügender Schwefelanreicherung — mitsamt der Eisenhydroxydmasse an die Schwefelsäurefabriken zur S c h w e f e l s ä u r e e r z e u g u n g (S. 202) abgegeben. I m einzelnen verfährt man bei dieser Art der Schwefelgewinnung aus Schwefelwasserstoff so, daß man die Eisenhydroxydmasse (natürliches ,,Raseneisenerz" — S. 516 — oder künstliche, bei der Bauxitverarbeitung — S. 367 — abfallende „Luxmasse") auf flachen, übereinander liegenden Holzrosten („Hordenreiniger") oder in Türmen („Turmreiniger") ausbreitet und entweder a b w e c h s e l n d „sättigt" (4) und ,,wiederbelebt" (5) oder dem über das Eisenhydroxyd streichenden schwefelwasserstoffhaltigen Gas von vornherein Luft beimischt, so daß Absorption und Wiederbelebung n e b e n e i n a n d e r verlaufen.
Aus S c h w e f e l d i o x y d Auch das in manchen technischen Gasen, z. B . Konvertergasen (S. 432 f., 522) und Röstgasen (S. 202) enthaltene S c h w e f e l d i o x y d kann zur Schwefelgewinnung nutzbar gemacht werden, indem man das Schwefeldioxyd in einen mit K o k s beschickten heißen Generator einbläst, wobei Reduktion zu Schwefeldampf erfolgt : S 0 2 + C ^ = ± : C 0 2 + S. γ. Physikalische Eigenschaften Der Schwefel kommt in mehreren festen, flüssigen und gasförmigen Zustandsformen vor, von denen im folgenden die wichtigsten angeführt seien : 95.6°
α-Schwefel ^ rhombisch, gelb
119.0°
^ ß-Schwefel monoklin, gelb
444.6°
[λ-Schwefel Smp.
g e ] b i e j c htflüssig, CS,-löslich
μ-Schwefel] braun, zähflüssig, CSj-UDlöslich
[S8 Sdp.
temperaturabhängiges Gleichgewicht
fester Schwefel
-
flüssiger Schwefel
gelb
Se
Si rot
temperaturabhängiges
L
S2 ] gelb
Gleichgewicht
dampfförmiger Schwefel
(unterkühlt: plastischer Schwefel)
Die bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r allein beständige feste Modifikation des Schwefels ist der sogenannte „rhombische Schwefel" oder „oc-Schwefel". E r ist in Wasser unlöslich, in Benzol, Alkohol und Äther schwerlöslich, in Schwefelkohlenstoff leichtlöslich und besitzt die charakteristische „schwefelgelbe" Farbe, die sich beim Erwärmen vertieft, beim Abkühlen aufhellt. Bei 95.6° C wandelt sich der «-Schwefel unter Wärmeverbrauch (0.09 kcal) und Volumenvergrößerung in eine zweite feste Modifikation, den sogenannten „monoklinen Schwefel" oder „ß-Schwefel" um. O b e r h a l b der Umwandlungstemperatur („Umwandlungspunkt") ist nur der m o n o k l i n e , u n t e r h a l b nur der r h o m b i s c h e Schwefel beständig (S. 184ff.); die Umwandlungsgeschwindigk e i t ist allerdings unter normalen Bedingungen so klein, daß beispielsweise Nadeln des monoklinen Schwefels bei Zimmertemperatur erst im Laufe einiger Tage unter Bildung kleiner rhombischer Kriställchen zerfallen. Bei 119.0° schmilzt der monokline Schwefel zu einer dünnen hellgelben Flüssigkeit, die aus sogenanntem ,,λ-Schwefel" besteht. Dieser ¿-Schwefel setzt sich ins c h e m i s c h e G l e i c h g e w i c h t mit geringen Mengen einer zweiten flüssigen Schwefelmodifikation, dem sogenannten „μ-Schwefel"1. 1 Die Temperatur 119.0° wird auch „idealer Schmelzpunkt" des monoklinen Schwefels genannt. Sie gilt für das Gleichgewicht des monoklinen Schwefels mit einer aus r e i n e m λ - S c h w e f e l bestehenden Schmelze. Wird die Schmelze längere Zeit etwas oberhalb der Schmelztemperatur gehalten, so sinkt der Erstarrungspunkt allmählich bis auf 114.5°, weil sich der λ-Schwefel in der Schmelze mit /¿-Schwefel ins G l e i c h g e w i c h t s e t z t , der wie ein Fremdstoff den E r s t a r r u n g s p u n k t des /".-Schwefels e r n i e d r i g t . Man nennt die Temperatur 114.5° ( 3 . 6 % /«-Schwefel im Gleichgewicht) auch den „natürlichen Schmelzpunkt" des monoklinen Schwefels,
Der Schwefel
183
Bei S t e i g e r u n g der T e m p e r a t u r verschiebt sich das Gleichgewicht nach der Seite dieses μ-Schwefels hin. Da der /¿-Schwefel zum Unterschied vom gelben, leichtflüssigen λ-Schwefel braun und zähflüssig ist, wird die oberhalb des Schmelzpunktes zunächst dünne, hellgelbe Flüssigkeit oberhalb 160° ( 1 1 % /¿-Schwefel) zunehmend braun und zähflüssig. Das M a x i m u m der V i s k o s i t ä t wird bei etwa 200° erreicht; die Schmelze ist hier d u n k e l b r a u n und zäh wie H a r z . Oberhalb etwa 250° beginnt die Zähflüssigkeit wieder abzunehmen. Diese Viskositätsabnahme beruht darauf, daß von hier ab die Zunahme der /«-Schwefel-Konzentration durch die Abnahme der Viskosität des /¿-Schwefels (normale Abnahme der inneren Reibung von Flüssigkeiten mit steigender Temperatur) überkompensiert wird. Bei 400° ist die dunkelbraune Schmelze wieder vollkommen d ü n n f l ü s s i g , und bei 444.6° 40°/ 0 /¿-Schwefel im Gleichgewicht) s i e d e t schließlich die Flüssigkeit. Der entstehende D a m p f ist zunächst orangegelb, bei 500° rot und wird oberhalb 500° wieder heller, bis er bei 650° strohgelb ist. Diese Farbänderungen des Schwefeldampfes hängen wahrscheinlich mit den D i s s o z i a t i o n e n zusammen, die sich im Schwefeldampf beim Erhitzen abspielen. Denn bei niedrigeren Temperaturen besteht der Schwefeldampf im wesentlichen aus
Fig. 65. S 8 -Molekül des rhombischen Schwefels
Fig. 66. Kettenmolekül des plastischen Schwefels
S 8 - M o l e k ü l e n . Diese gehen dann mit steigender Temperatur in S 6 - und S 4 - und bei 650° schließlich in S 2 - M o l e k ü l e über. Oberhalb 1800° beginnen dann auch die S2-Moleküle in S - A t o m e zu dissoziieren. Beim l a n g s a m e n Abkühlen treten alle genannten Zustände in u m g e k e h r t e r R e i h e n f o l g e auf. Kühlt man also die Schmelze etwa in einem großen Tiegel ab, bis sich eine Kruste über der Schmelze gebildet hat, durchstößt die Kruste und gießt den restlichen flüssigen Schwefel aus, so findet man die Wände des Tiegels mit den langen, glashellen, fast farblosen Nadeln des monoklinen ß-Schwefels bedeckt. Diese werden dann nach Ablauf einiger Stunden matt und zerbrechlich, da sie unterhalb des Umwandlungspunktes zu rhombischen Schwefelkriställchen zerfallen. Kühlt man dagegen die Schmelze nicht langsam, sondern r a s c h ab, indem man sie in dünnem Strahl in kaltes Wasser gießt {„Abschrecken"), so erhält man die Flüssigkeit als u n t e r k ü h l t e S c h m e l z e , da sie dann keine Zeit findet, zu kristallisieren. Die erhaltene Masse ist braungelb, plastisch und zäh-elastisch und wird daher „plastischer Schwefel" (,,γSchwefel") genannt. Die beiden Bestandteile des plastischen Schwefels, λ- und μSchwefel, lassen sich mit Hilfe von Schwefelkohlenstoff unterscheiden, da λ-Schwefel in Schwefelkohlenstoff l ö s l i c h , /¿-Schwefel dagegen in Schwefelkohlenstoff u n l ö s l i c h ist. Daß der S c h w e f e l bei Zimmertemperatur zum Unterschied von dem im Periodensystem der Elemente darüberstehenden g a s f ö r m i g e n Sauerstoff f e s t ist, hat seinen Grund darin, daß das Schwefelmolekül nicht wie der Sauerstoff 2, sondern 8 Atome enthält. Und zwar sind die 8 Schwefelatome in Form eines unebenen A c h t r i n g s angeordnet (Fig. 65). Diese das Molekülgitter des festen Schwefels aufbauende geschlossene räumliche Form bleibt auch in den L ö s u n g e n des Schwefels und in der dünnflüs-
Die Gruppe der Chalkogene
184
sigen g e l b e n S c h m e l z e erhalten. Oberhalb 160° werden die Ringe zunehmend zu Z i c k z a c k k e t t e n aufgespalten (rig. 66), die sich zu langen F ä d e n von Schwefelatomen zusammenlagern, auf welche die Zähflüssigkeit der Schmelze zurückzuführen ist. Diese F a d e n s t r u k t u r ist für den p l a s t i s c h e n S c h w e f e l nachgewiesen. Die Elastizität der Zickzackfäden bedingt das kautschukartige Verhalten des plastischen Schwefels. Als Konstitutionsformeln geschrieben lauten die in Fig. 65 und 66 wiedergegebenen Molekülarten des Schwefels wie folgt: :S: S: S:
S-S-S
:S:
S
: S:
:S:S:S: : S :S : S:S : S:S : S:S Elektronenformeln
S
¿_S-S -S-S-S-S-S-S-S-SValenzstrichiormeln
Wie aus den Elektronenformeln hervorgeht, zeigt der Schwefel nicht wie der Sauerstoff die Neigung, durch A u s b i l d u n g einer D o p p e l b i n d u n g ( S : : S ) zu einer a b g e s c h l o s s e n e n E d e l g a s s c h a l e zu gelangen; vielmehr erreicht er dieses Ziel durch A n e i n a n d e r r e i h u n g v o n A t o m e n , wobei je ein freies Elektronenpaar des einen Atoms in die Oktettlücke eines zweiten eingreift. Diese „Scheu" vor der Bildung kovalenter Mehrfachbindungen (vgl. S. 262), welche zur Entstehung h o c h m o l e k u l a r e r S t o f f e Veranlassung gibt, findet sich bei allen Nichtmetallen und Nichtmetallverbindungen außer denen der e r s t e n A c h t e r p e r i o d e . Wir werden ihr später (S. 196, 246, 248, 255, 262 f., 267 f., 279, 312 f., 317 ff., 322 f., 339) noch öfters begegnen.
8. Das Zustandsdiagramm des Schwefels Allotropie und Polymorphie Die Erscheinung, daß ein Stoff j e n a c h d e n Z u s t a n d s b e d i n g u n g e n (Temperatur, Druck) in v e r s c h i e d e n e n f e s t e n Z u s t a n d s f o r m e n existiert, findet sich nicht nur beim Schwefel, sondern auch bei vielen anderen Stoffen, z. B. beim Eisen, Phosphor, Zinn, Kohlenstoff, Ammoniumnitrat, Quecksilbersulfid. Man nennt sie bei Elementen „Allotropie" und bei Verbindungen „Polymorphie". Wir haben dabei zwischen „enantiotropen" ( = wechselseitig umwandelbaren) und „monotro-pen" ( = einseitig umwandelbaren) Modifikationen zu unterscheiden, je nachdem die beiden Formen w e c h s e l s e i t i g ineinander überführbar sind oder die Umwandlung nur in e i n e r Richtung möglich ist. Verständlich wird dieses Verhalten auf Grund der D a m p f d r u c k k u r v e n : Wie der Schnittpunkt der Dampfdruckkurven der festen und flüssigen Phase eines Stoffs den S c h m e l z p u n k t dieses Stoffs unter dem eigenen Dampfdruck wiedergibt (S. 52f.), stellt sich der U m w a n d l u n g s p u n k t zweier fester Modifikationen A und Β eines Stoffs (unter dem eigenen Dampfdruck) als der Schnittpunkt der Dampfdruckkurven der beiden Formen dar (Fig. 67). U n t e r h a l b der Umwandlungstemperatur ist die F o r m A, o b e r h a l b die F o r m Β die beständigere, da im ersteren Falle der S t o f f e , im letzteren der Stoff Β den g e r i n g e r e n D a m p f d r u c k besitzt (vgl. S. 52f.). Nur beim U m w a n d l u n g s p u n k t selbst können beide festen Modifikationen dauernd n e b e n e i n a n d e r bestehen, da sie hier genau den g l e i c h e n D a m p f d r u c k aufweisen. Schneidet nun die Dampfdruckkurve der S c h m e l z e die Dampfdruckkurven der beiden f e s t e n M o d i f i k a t i o n e n A und Β o b e r h a l b des Umwandlungspunktes 1 (Fig. 68), so wandelt sich beim Erwärmen der Stoff A beim Umwandlungspunkt 1 in die Modifikation Β und die Modifikation Β beim Schmelzpunkt 2 in die Schmelze um, da stets die Zustandsform mit dem k l e i n s t e n D a m p f d r u c k (ausgezogene Kurventeile) die b e s t ä n d i g s t e ist. Schneiden sich die Kurven dagegen u n t e r h a l b des
185
Der Schwefel
Umwandlungspunktes 1 (Fig. 69), so schmilzt der Stoff A beim Erwärmen in Punkt 3, bevor der Umwandlungspunkt 1 erreicht ist ; eine Umwandlung von A in Β ist daher in diesem Falle n i c h t möglich. Der Punkt 3 in Fig. 68, der den Schmelzpunkt der bei dieser Temperatur n i c h t beständigen festenForm A darstellt, kann durch v o r s i c h t i g e U n t e r k ü h l u n g der Schmelze erreicht werden. Denn wenn man dafür sorgt, daß keine Kristallkeime des Stoffes Β zugegen sind, so gelingt es, beim Abkühlen der Schmelze ein Auskristallisieren des Stoffes Β beim Punkte 2 zu vermeiden und auf den gestrichelten (metastabilen) Teil der Dampfdruckkurve der Schmelze zu gelangen, bis beim Punkte 3 ein Auskristallisieren des Stoffes A erfolgt. In analoger Weise kann bei mono· tropen Modifikationen (Fig. 69) durch vorsichtige Unterkühlung der Schmelze bis zum Punkte 2 der E r s t a r r u n g s p u n k t von Β erreicht und so die — unter diesen Temperaturbedingungen lediglich m e t a s t a b i l e (vgl. S. 108) —Modifikation Β erhalten werden, die sich dann allerdings von selbst — mehr oder weniger schnell — in die stabile Form A umwandelt. Die Erscheinung, daß ein in mehreren Zustandsformen verschiedenen Energiegehaltes existierender Stoff beim Abkühlen nicht gleich in den e n e r g i e - ä r m s t e n Zustand, sondern zunächst in eine Zustandsform m i t t l e r e n Energiegehaltes übergeht, ist ein Spezialfall einer als „OSTWALDsehe Stufeiiregel" bekannten Regel : Ein in mehreren Energiezuständen vorkommendes chemisches System geht beim Entzug von Energie nicht direkt, sondern stufenweise in den energieärmsten Zustand über. Ein Beispiel für einen Stoff mit e n a n t i o t r o p e r Umwandlung ist
Umu/andtungspunkt von f>undΒ F i g . 67.
- Temperatur t
D a m p f d r u c k und Umwandlungspunkt ätiotroper Modifikationen
feste Form ñ Schmelze
fèste form
feste Form 8 y '^ Schmelze 2
i ;
• Temperatur t Schmelzpunkt von Β
Umwandlungs punkt uontìu.B
Schmelzpunkt
von/I
Fig. 68.
Dampfdruckkurven enantiotroper Modifikationen
feste firm fi / ..· feste Form Β Schme/ze festeFormB feste Fòrm f)—
j
ij Temperatur f
Schmelzpunkt von Β
Umwanct/ungs punkt von/luB
Schmelzpunkt uonH
Fig. 69.
Dampfdruckkurven monotroper Modifikationen
186
Die Gruppe der Chalkogene
der oben besprochene Schwefel; die Punkte 1, 2 und 3 (Fig. 68) haben in diesem Falle die Werte 95.6°, 119.0° und 112.8°1. Monotropie liegt z.B. im Fall des — später (S. 248ff.) zu besprechenden — weißen und violetten Phosphors vor. Der Schnittpunkt 1 (Fig. 68) der Dampfdruckkurven der beiden enantiotropen Modifikationen A und Β eines Stoffs stellt den Umwandlungspunkt unter dem eigenen Gleichgewichtsdruck dar. Ändert man willkürlich den Druck, so ändert sich auch die Umwandlungstemperatur. Beim Schwefel steigt letztere ζ. B. mit wachsendem Druck um durchschnittlich 0.04° je Atmosphäre. Ebenso erhöht sich auch der Schmelzpunkt 2 des monoklinen Schwefels mit steigendem Druck; allerdings weniger stark, nämlich im Durchschnitt um 0.025° je Atmosphäre. Tragen wir die sich so ergebenden beiden Kurven, die sich bei 154° und ~ 1 4 0 0 Atmosphären schneiden, mit in das der '1¥00af Fig. 68 entsprechende Dampfdruckdiagramm des Schwefels ein, so erhalten wir das vollständige „Zustandsdiagramm des Schwefels", wie es in schematischer— nicht maßstäblicher — Form in Fig. 70 wiedergegeben ist. Wie man sieht, ist die Druck-Temperatur-Ebene dieses Zustandsdiagramms durch die 6 Kurvenzüge in vier — in der Zeichnung verschieden schraffierte — Felder eingeteilt, deren jedes dem Existenzbereich einer der vier Zustandsformen des Schwefels (rhombischer, monokliner, flüssiger und dampfförmiger Schwefel) entspricht. Längs der Kurven, in denen je zwei Felder aneinander grenzen, sind je zweiZustandsformen des Schwefels, in den Punkten 1, 2, 3 und 4 („Tri-pelpunkte"), in denen je drei Felder aneinanderstoßen, je drei Zustandsformen des Schwefels miteinander im Gleichgewicht. 15t° SS,6° 112ß°m,o° Innerhalb der Felder kann man, wie aus dem Zustandsdiagramm hervorgeht, K g . 70. Zustandsdiagramm des Schwefels weitgehend Druck und Temperatur vari(nicht maßstäblich) ieren, ohne den Existenzbereich der betreffenden Schwefelform zu überschreiten; hier haben wir also zwei Wahlfreiheiten. Längs der Kurven aber, wo sich zwei Formen miteinander im Gleichgewicht befinden, liegt nur noch eine Wahlfreiheit vor: man kann entweder die Temperatur festlegen, dann ist der zugehörige Druck durch die betreffende Kurve zwangsläufig gegeben, oder man kann den Druck vorgeben, dann ist die Temperatur durch die Kurve festgelegt. Für das Gleichgewicht zwischen 3 Formen des Schwefels schließlich (Punkt 1, 2, 3 und 4) besteht überhaupt keine Wahlfreiheit mehr, da Druck und Temperatur der Tripelpunkte durch das Diagramm gegeben sind. 1 112.8° ist der ideale Schmelzpunkt des rhombischen Schwefels (vgl. Anm. 1, S. 182). Der natürliche Schmelzpunkt beträgt 110.2° (3.4°/ 0J u-Schwefel im Gleichgewicht).
Der Schwefel
187
Genau wie beim Z u s t a n d s d i a g r a m m des W a s s e r s (S. 51 ff.) besteht also auch hier ein logischer Z u s a m m e n h a n g zwischen der Zahl der W a h l f r e i h e i t e n („Freiheitsgrade") und der Zahl der Z u s t a n d s f o r m e n derart, daß die Zahl der Freiheitsgrade um so g r ö ß e r ist, je w e n i g e r Zustandsformen sich miteinander im Gleichgewicht befinden. Das P h a s e n g e s e t z von G I B B S Der amerikanische Physiker JOSIAH WILLARD G I B B S ( 1 8 3 9 — 1 9 0 3 ) hat die vorgenannte Beziehung für heterogene Gleichgewichtssysteme verallgemeinert und quantitativ zu einer als „GIBBSsches Phasengesetz" bekannten Gleichung zusammengefaßt : Zahl der Phasen + Zahl der Freiheitsgrade = Zahl der Bestandteile + 2 Ρ + F = Β + 2.
Unter „Phasen" versteht man dabei die in sich h o m o g e n e n , d.h. in allen ihren Teilen physikalisch gleichartigen, verschiedenen Z u s t a n d s f o r m e n der Stoffe, die sich durch Trennungsflächen voneinander abgrenzen. Wasser und Wasserdampf bilden also ζ. B. zwei, Eis, Wasser und Wasserdampf drei Phasen, ebenso stellen rhombischer, monokliner, flüssiger und dampfförmiger Schwefel vier verschiedene Phasen des Schwefelsystems dar. Da Gase in allen Verhältnissen miteinander mischbar sind, kann ein heterogenes, d. h. aus verschiedenen Phasen bestehendes System nie mehr als eine G a s p h a s e aufweisen. Dagegen kann es aus verschiedenen f l ü s s i g e n Phasen aufgebaut sein, wenn diese nicht miteinander mischbar sind. Die Zahl der f e s t e n Phasen schließlich ist unbegrenzt. Unter der Zahl der „Freiheitsgrade" versteht man die Zahl der Bestimmungsgrößen wie D r u c k , T e m p e r a t u r oder K o n z e n t r a t i o n , welche bei gegebener Zahl der Phasen innerhalb endlicher Grenzen w i l l k ü r l i c h v a r i i e r t werden können, ohne daß sich dabei die Zahl der Phasen ändert. Die Zahl der ,,Bestandteile" ist definiert als die k l e i n s t e Zahl der Molekülsorten, aus denen die verschiedenen Phasen entstanden gedacht werden können. Ein aus geschmolzenem und gasförmigem Schwefel oder aus Eis, Wasser und Wasserdampf bestehendes System ist also aus je einem Bestandteil aufgebaut. Für das Gleichgewichtssystem NH4C1 •• FeCl2 + H2S . Als Sulfid dient gewöhnlich E i s e n s u l f i d , das technisch durch Zusammenschmelzen von Eisen und Schwefel gewonnen wird (S. 516). Da es meist noch etwas metallisches Eisen enthält, ist dem so bereiteten Gas etwas Wasserstoff beigemengt, was aber bei den meisten Verwendungen nicht stört. Zur Darstellung reinen Schwefelwasserstoffs verwendet man zweckmäßig Calcium- oder Bariumsulfid. T e c h n i s c h kann Schwefelwasserstoff aus L e u c h t g a s , K o k e r e i g a s und anderen, aus Kohle hergestellten Gasen gewonnen werden, welche mehrere Zehntel Volumenprozente Schwefelwasserstoff enthalten. Die Abtrennung erfolgt zweckmäßig durch Lösungen schwacher B a s e n B, welche den Schwefelwasserstoff a b s o r b i e r e n und beim Erhitzen wieder a b g e b e n : Abeorption
Β + H2S
BH· + HS'.
So arbeitet ζ. B. das „Thylox-Verfahren" mit Thioarsenit-lösungen, das „ G I R D L E S Verfahren" mit Alkoxy-aminen und das — in Deutschland verbreitetste — „AlkazidVerfahren" mit Lösungen aminosaurer Salze. Physikalische Eigenschaften. Schwefelwasserstoff ist ein farbloses, „nach faulen Eiern" riechendes, stark giftiges Gas, das sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit kondensieren läßt, welche bei —60.8° siedet und bei —85.6° erstarrt. 1 Liter Wasser löst bei 0° 4.65 und bei 20° 2.61 Liter H 2 S ; die entstehende Lösung heißt „Schwefelwasserstoffwasser". Chemische Eigenschaften. Bei hoher Temperatur zerfällt Schwefelwasserstoff in Umkehrung seiner Bildimg aus den Elementen (1) wieder weitgehend (bei 1000° zu etwa 1/4, bei 1500° zu etwa 2/3, bei 1700° zu etwa 3/4) in Schwefel und W a s s e r s t o f f . An der Luft entzündet, verbrennt er je nach der Luftzufuhr mit blauer Flamme zu Wasser und S c h w e f e l d i o x y d oder zu Wasser und S c h w e f e l : H2S + ΐγ,Ο, >- H20 + S0 2 ; H,S + γ,Ο, ^ H20 + S . Die wässerige Lösimg zersetzt sich an der Luft und am Licht schon bei gewöhnlicher Temperatur allmählich in dieser Weise unter Schwefelabscheidung. Will man daher Schwefelwasserstoffwasser unzersetzt erhalten, so muß man es in völlig gefüllten und gut verschlossenen Flaschen im Dunkeln aufbewahren. Der Schwefelwasserstoff hat in wässeriger Lösung den Charakter einer sehr s c h w a c h e n zweibasigen S ä u r e : HsS H' + HS' 2H' + S".
Die Gruppe der Chalkogene
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Die erste Dissoziationskonstante Ä, =
x Chs C
hat den Wert 9.1 χ IO -8 , die zweite H,S (18°). Die G e s a m t d i s s o z i a t i o n wird demnach
' " den Wert 1.2 X 10 15 chs' 2 durch die Konstante Κ = — c — = K 1 · Κ 2 = Ι Λ χ IO - 2 2 wiedergegeben. Aus den Konh3s stanten geht hervor, daß der Schwefelwasserstoff in 0.1-molarerLösung nur zu etwa i/10°/o ^ H ' + HS' dissoziiert ist, während der Dissoziationsgrad der Spaltung nach H2S 2 H ' + S " in der Größenordnung von 1/100ooo0/o liegt (entsprechend einer Konzentration von rund IO -8 Gramm-ionen S" je Liter). Als z w e i b a s i g e Säure bildet der Schwefelwasserstoff zwei Reihen von Salzen: Hydrogensulfide (saure Sulfide) der Formel MeTHS und Sulfide (normale Sulfide) der Zusammensetzung Me2S. Die H y d r o g e n s u l f i d e sind in Wasser alle sehr leicht löslich. Von den n o r m a l e n S u l f i d e n lösen sich die A l k a l i s u l f i d e gleichfalls leicht in Wasser; dabei erleiden sie als Salze einer schwachen Säure (vgl. S. 113f.) starke (in 1-normaler Lösung etwa 90°/0ige) H y d r o l y s e gemäß S" + HÖH HS' + OH'. (2) Der gleichen hydrolytischen Spaltung unterliegen die E r d a l k a l i s u l f i d e , und noch leichter hydrolysieren A l u m i n i u m s u l f i d (A12S3) und C h r o m s u l f i d (Cr2S3). Die meisten a n d e r e n M e t a l l s u l f i d e sind in Wasser so w e n i g l ö s l i c h (vgl. S. 191f.), daß die hydrolytische Zersetzung ausbleibt, weil infolge der geringen Sulfidionen-konzentration das Hydrolysengleichgewicht (2) ganz nach links verschoben ist. Schwefelwasserstoff ist sowohl im gasförmigen wie im gelösten Zustande ein verhältnismäßig starkes R e d u k t i o n s m i t t e l : H2S-—yS+2H bzw. S" ^ S + 2©· So reagiert er ζ. B. lebhaft mit F l u o r , C h l o r und B r o m , weniger energisch mit J o d (vgl. S. 86, 97): H2S + X2 >• 2HX + S bzw. S" + X2 >- 2X' + S und führt verschiedene Sauerstoffverbindungen, ζ. B. S c h w e f e l d i o x y d (bei Gegenwart von Wasser) oder k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e , in niedrigere Oxydationsstufen über: 2 HjS + SOs — 2 HjO + 3 S H2SO4 + H2S -—>- H2SOs + H 2 0 + S , so daß man Schwefelwasserstoff nicht mit konzentrierter Schwefelsäure trocknen kann. Salze. Das Natriumsulfid Na 2 S wird technisch durch R e d u k t i o n von N a t r i u m s u l f a t mit K o h l e bei Dunkelrotglut dargestellt: Na2S04 + 4C >- Na2S + 4CO. Es ist in Wasser mit s t a r k a l k a l i s c h e r R e a k t i o n (2) löslich und kristallisiert aus der Lösung unterhalb 48° in Form hygroskopischer, quadratischer Prismen der Zusammensetzung Na 2 S · 9 H 2 0 aus. Technisch wird es in der organischen Chemie als R e d u k t i o n s m i t t e l (ζ. B. bei der Herstellung von Schwefelfarbstoffen) verwendet. Das Kaliumsulfid K 2 S wird zweckmäßig durch Sättigen von K a l i l a u g e mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (3) und Vermischen der so gewonnenen K a l i u m h y d r o g e n s u l f i d l ö s u n g mit einer äquivalenten Menge K a l i l a u g e (4) gewonnen: KOH + H a S >- KHS + H 2 0 (3) KHS + KOH K2S + H 2 0. (4) Es ist in Wasser leicht löslich und kristallisiert aus der Lösung mit 5 Mol Kristallwasser. An der Luft geht es wie das Natriumsulfid leicht in T h i o s u l f a t über: 2K2S + 20¡¡ + H 2 0 >• K 2 S 2 0 3 + 2 KOH. Κ2 =
CH XCs
°H
Der Schwefel
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Das „Kaliumsulfid" des Handels wird durch Zusammenschmelzen von P o t t a s c h e und S c h w e f e l gewonnen. E s enthält K a l i u m p o l y s u l f i d e (S. 192), K a l i u m t h i o s u l f a t und K a l i u m s u l f a t und heißt wegen seiner leberbraunen Farbe auch „Schwefelleber".
Beim Sättigen einer verdünnten wässerigen A m m o n i a k l ö s u n g mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f entsteht analog (3) Ammoniumhydrogensulfid N H 4 H S : NH S + H 2 S —>- NH 4 HS.
Diese Lösung reagiert aber bei Zugabe einer äquivalenten Menge Ammoniak nicht analog (4) unter Bildung von Ammoniumsulfid (NH 4 ) a S weiter. Die im Laboratorium für analytische Zwecke (s. unten) viel benutzte, aus 2 Mol Ammoniak und 1 Mol Schwefelwasserstoff gewonnene „Ammoniumsulfid"-lösung („farbloses Schwefelammon") enthält also kein (NH 4 ) 2 S, sondern ein äquimolekulares Gemisch von N H 4 H S und NH 3 . Beim Stehen an der L u f t färbt sich die farblose Lösung infolge Bildung von Ammoniumpolysulfiden (S. 192) bald g e l b („gelbes Schwefelammon"): S" + 7 2 0 2 + 2H' —>- S + H 2 0 S" + x S — M S X + 1 ]".
(5)
Rascher erhält man diese gelbe Lösung durch unmittelbares Auflösen von Schwefel gemäß (5). Das wahre Ammoniumsvlfid (NH 4 ) 2 S läßt sich durch Vermischen von 2 Mol Ammoniak und 1 Mol Schwefelwasserstoff bei — 18° unter Ausschluß von Wasser als weiße Kristallmasse erhalten: 2NH S + H 2 S >• (NH4)2S. Es zerfällt bereits bei Zimmertemperatur in Ammoniak und Ammoniumhydrogensulfid, weiches seinerseits leicht in Ammoniak und Schwefelwasserstoff dissoziiert (Dissoziationsdruck bei 20° 355 mm): (NH 4 ) 2 S ~
NH
' > NH 4 HS ~ ~ k h · > H 2 S.
Andere Metallsulfide werden bei den einzelnen Metallen beschrieben. Anwendung des Schweîelwasserstoîfs in der Analyse. Man benutzt die S c h w e r l ö s l i c h k e i t d e r M e t a l l s u l f i d e in der analytischen Chemie dazu, u m Metalle aus wässeriger Lösung gruppenweise zu fällen. Denn je nach der Größe des L ö s l i c h k e i t s p r o d u k t e s (S. 118) eines Sulfids fällt letzteres bereits in s a u r e r L ö s u n g (,,Schwefelwasserstoffgruppe") oder erst in b a s i s c h e r (ammoniakalischer) L ö s u n g (,,Schwefelammongruppe")
aus:
Aus der Dissoziationskonstanten Κ —
c2_
χ
c
„
— ss IO - 2 2 des Schwefelwasserstoffs
geht hervor, daß die Sulfidionen-konzentration einer gesättigten Schwefelwasserstofflösung (ch2s ~ 0.1) in Gegenwart einer 1-normalen starken Säure (cH- = l) rund 10 - 2 3 (entsprechend 1 S"-ion je Liter) beträgt. Daher lassen sich a u s e i n e r s a u r e n L ö s u n g vom ^>H-Wert 0 nur solche Metallsulfide quantitativ ausfällen, deren Löslichkeitsprodukt so k l e i n ist, daß es trotz dieser minimalen S"-Konzentration noch erheblich überschritten wird. Das ist der Fall bei A r s e n s u l f i d As 2 S 3 (gelb), A n t i m o n s u l f i d Sb 2 S 3 (orangerot), Z i n n s u l f i d SnS (braun), Q u e c k s i l b e r s u l f i d H g S (schwarz), B l e i s u l f i d P b S (schwarz), W i s m u t s u l f i d Bi 2 S 3 (braunschwarz), K u p f e r s u l f i d CuS (schwarz) und C a d m i u m s u l f i d CdS (gelb). So besitzt ζ. B. das Bleisulfid das Löslichkeitsprodukt c Pb ·· X cs» ss 10 - 2 8 ; es fällt daher beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in eine saure Lösung aus, sobald die Konzentration der Blei-ionen den Wert c Pb ·· = IO"28 : IO"23 = 10" 5 — d. h. Viooooo M o 1 Blei-ionen je Liter — überschreitet. Sind die Löslichkeitsprodukte r e l a t i v groß, so fallen die betreffenden Sulfide erst in a l k a l i s c h e r L ö s u n g quantitativ aus, in welcher die S"-Konzentration größer ist. Das ist ζ. B. der Fall bei N i c k e l s u l f i d M S (schwarz), K o b a l t s u l f i d CoS (schwarz), E i s e n s u l f i d FeS (schwarz), M a n g a n s u l f i d MnS (fleischfarben) und Z i n k s u l f i d ZnS (weiß). So weist ζ. B. das Eisensulfid FeS das Löslichkeitsprodukt
Die Gruppe der Chalkogene
192
Cjre" X cg« «s 1 0 - » auf. E s könnte daher in saurer Lösung erst bei einer Eisenionenkonzentration von c F e ·· = 1 0 ~ 1 9 : 1 0 - 2 3 = 10 4 — also von 1 0 0 0 0 Mol Eisen-ionen je Liter — ausfallen. Setzt man aber die Wasserstoffionen-konzentration vermittels Ammoniak (H' + N H 3 — > - NH 4 ") herab, benutzt man also Ammoniumsulfid statt Schwefelwasserstoff als Fällungsmittel, so erfolgt ζ. B . bei einer Wasserstoffionen-konzentration von 1 0 - 8 (schwach alkalische Lösung) die Ausfällung des Eisensulfids schon bei einer Eisenionen-konzentration von 1 0 - 1 9 : 1 0 - 7 = 10~ 1 2 , weil dann c a „ = 1 0 - 2 3 : (10~ 8 ) 2 = 1 0 - 7 ist. Die Löslichkeitsprodukte der E r d a l k a l i - und A l k a l i s u l f i d e sind so groß, daß sie selbst in ammoniakalischer Lösung nicht mehr erreicht werden (vgl. auch S. 190). Hier muß man andere Fällungsmittel zur Ausfällung verwenden („Erdalkaligruppe" ; „Alkaligruppe"). ß . Polysehwefelwasserstoffe Schmilzt man A l k a l i s u l f i d e Me2S mit S c h w e f e l oder digeriert man A l k a l i s u l f i d l ö s u n gen mit S c h w e f e l , so nehmen die Alkalisulfide Schwefel auf unter Bildung gelber bis braunroter „Polysulfide" der allgemeinen Formel M e 2 S 1 + x , worin χ gewöhnlich die Werte 1 bis 4, gelegentlich (ζ. B. bei Ammoniumsulfid) sogar bis 8 annehmen kann. Die Bildung dieser Polysulfide hat man sich wohl so vorzustellen, daß an die freien Elektronenpaare des Sulfidschwefels Schwefelatome angelagert werden: π
:S:
H
"
:S:S:
: S:S : S :
:S:
"
:S:
: S:S: S:
: S:S:S:
Tetrasulfid
Pentaaulfid
:S: " Sulfid
Dieulfid
Trisulfid
Es entsteht dadurch eine Verbindungsreihe S S X " , die der durch Anlagerung von Sauerstoffatomen an Sulfid-ionen entstehenden Verbindungsreihe S O x " (S.198) analog ist und in der das Trisulfid S S 2 " beispielsweise dem Hyposulfit S 0 2 " , das Tetrasulfid S S 3 " dem Sulfit S 0 3 " und das Pentaaulfid SS 4 dem Sulfat S 0 4 " entspricht. Die noch höheren Polysulfide (x > 4) entstehen wahrscheinlich aus den Pentasulfiden durch weitere Anlagerung von Schwefelatomen an die schon angelagerten Schwefelatome, so daß beispielsweise dem Anion des Ammonium-ennea-sulfids (NH 4 ) 2 S 9 die Konstitution Γ S, -I" S2 S S2 -
s2
.
zukommen dürfte. S ä u e r t man Lösungen solcher Alkalipolysulfide an, so erhält man nicht die zugrundeliegenden P o l y s e h w e f e l w a s s e r s t o f f e H 2 S 1 + X , sondern nur deren Zerfallsprodukte S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l : Na 2 S 1 + x + 2 HCl >- 2NaCl + H 2 S + x S . Läßt man aber u m g e k e h r t die Lösung des P o l y s u l f i d e unter Kühlung zu überschüssiger k o n z e n t r i e r t e r S a l z s ä u r e fließen oder zersetzt man die festen Polysulfide mit w a s s e r f r e i e r A m e i s e n s ä u r e , vermeidet man also ö r t l i c h e a l k a l i s c h e R e a k t i o n , so scheidet sich ein gelbes „Rohöl" (H 2 S 4 , H 2 S 5> H 2 S,) ab, das durch Destillation unter milden B e d i n g u n g e n in seine Bestandteile zerlegt werden kann, während bei K r a c k d e s t i l l a t i o n (Zersetzungsdestillation) die schwefelärmeren Glieder H 2 S 2 und H a S s entstehen. In reinem Zustande wurden so bis jetzt gewonnen: der Dischwefelwasserstoff H 2 S 2 , eine blaßgelbe, bewegliche, Augen und Schleimhäute stark reizende, bei 70.7° siedende und bei — 89.6° erstarrende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.376, der Trischwefelwasserstoff H 2 S 3 , eine hellgelbe, bei tiefer Temperatur farblose, kampferähnlich riechende, bei — 52° schmelzende und sich vor Erreichen des Siedepunktes 90°) zersetzende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.496, der Tetraschwejelwasseratojf H 2 S 4 , eine kräftig hellgelb gefärbte, stechend riechende, glasig erstarrende fSmp. ~ — 85°), in Benzol unbeschränkt lösliche Flüssigkeit von der Konsistenz des Olivenöls und dem spezifischen Gewicht 1.588, der Pentaschwefelwasserstoff H 2 S 6 , ein gelbes, sich schon bei 40° zersetzendes ö l vom spezifischen Gewicht 1.660 und der Hexaschwefelwasserstoff H 2 S e , ein kräftig gelb gefärbtes, viskoses, leicht stechend riechendes und wie H 2 S 6 glasig erstarrendes Öl vom spezifischen Gewicht 1.699. Alle diese Polysehwefelwasserstoffe werden durch A l k a l i e n h e f t i g z e r s e t z t : HjS1+x >- H 2 S + χ S.
Der Schwefel
193
Ihre Empfindlichkeit gegenüber Alkalien ist dabei so groß, daß sie nur in Glasgefäßen gewonnen und aufbewahrt werden können, deren Innenwände zuvor durch Behandlung mit Säure auch von S p u r e n A l k a l i b e f r e i t worden sind. Der Zerfall in Schwefelwasserstoff und Schwefel ist e x o t h e r m . Dementsprechend gehen die niedrigeren Glieder beim Auflösen von Schwefel nicht in schwefelreichere Verbindungen über.
c. Halogenverbindungen des Schwefels Schwefel bildet Halogenide des T y p u s SX s (SF 2 , farbloses Gas, Sdp. — 3 5 ° ; SC12, granatrote Flüssigkeit, Sdp. 59°), SX 4 (SP 4 , farbloses Gas, Smp. —124°, S d p . — 4 0 ° ; SC14, blaßgelbe Flüssigkeit, Smp. ~ —30°, zersetzlich) und SX- SC12 + Cl2) zu erkennen gibt. Dagegen zeigt die große Beständigkeit des Schwefelhexafluorids SF e , daß ihm wohl nicht die Formel Va, sondern die Formel Vb mit einer Z w ö l f e r - E l e k t r o n e n s c h a l e (S. 157) des Schwefels zukommt, bei der jedes Fluoratom durch eine normale Kovalenz gebunden ist. Auch die Bildung der S. 130 beschriebenen höheren Halogenhalogenide XY(Y 2 )„ (n = 1, 2 und 3) erfolgt wohl durch Anlagerung je zweier Halogenatome Y an die drei freien Elektronenpaare des Zentralhalogens X : Y Y Y Y Y Y ' Y: X :
β Y: X :
βΥ:Χ:^'7
—
ï"y
7 7 Der leichteren Lesbarkeit halber sind in den Elektronenformeln die f r e i e n Außenelektronen der Halogenatome nur durch die beigesetzte arabische Zahl zum Ausdruck gebracht. 2 Unter „Einelektronenbindungen", bei welchen zwei SubstituentenXdurcheinElektronenpaar •des Zentralatoms Ζ gebunden werden, hat man sich wahrscheinlich Brückenbindungen des Typus 1
β X: Z:Xc >- β χ : Ζ : χ ι vorzustellen, wie sie z . B . auch als „Wasserstof/brücken" (S. 218) in zahlreichen wasserstoffhaltigen Verbindungen auftreten. Es entfällt also bei der „Einelektronenbindung" im Z e i t d u r c h a c h n i t t auf jede der beiden beteiligten Bindungen f o r m a l 1 Elektron. H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
13
Die Gruppe der Chalkogene
194
In gleicher Weise dürfte die Bildung von ,,Polyhalogeniden" MeX(X 2 ) (n = 1, 2, 3 und 4) bei der Einwirkung von H a l o g e n auf A l k a l i h a l o g e n i d e zu erklären sein: Γ 7 7 Ί— Γ 7 7 Ί— Γ 7 7 Γ ' ' Ί— J J J J J J J J 7 J γ J? 7 j : J: J· : J: 7 J " .. " J 7 7 J * .. " j"j J J J J 77 7 7 _ 11 J,' J.' J.'
Dischwefel-dichlorid SjClj entsteht als orangegelbe, an feuchter Luft rauchende Flüssigkeit von widerlichem, stechendem und zu Tränen reizendem Geruch, wenn man trockenes C h l o r über geschmolzenen S c h w e f e l leitet: 2 S + C 1 2 — > - S2C12. Es vermag große Mengen Schwefel zu lösen und findet daher beim Vulkanisieren des Kautschuks (Π, S. 404) Verwendung. Schwefeldichlorid SCI2 bildet sich langsam beim Mischen äquimolekularer Mengen von S2C12 und flüssigem Chlor : S2C12 + Cl¡¡ — > 2 SC12. Anfangs zeigt die Mischung eine gelbe Farbe, die jedoch nach wenigen Tagen in die rote Farbe des Schwefeldichlorids umschlägt. Bei weiterer Einwirkung von flüssigem Chlor geht das Schwefeldichlorid in Schweîeltetrachlorid SCI4 über : SC12 + Cl2 —>- SC14. Schwefeltetrachlorid ist nur bei tiefen Temperaturen beständig, bildet hier weißgelbe, bei etwa —30° schmelzende Kristalle und zerfällt beim Erwärmen auf Zimmertemperatur vollständig in Schwefeldichlorid und Chlor. Schwefelhexafluorid SF6 bildet sich unter starker Wärmeentwicklung durch unmittelbare Vereinigung d e r E l e m e n t e : S + 3F 2 —>- SF e . Es ist ein färb- und geruchloses, nicht entzündbares Gas, das auffallenderweise chemisch fast so i n d i f f e r e n t wie Stickstoff ist. So kann es z. B. mit W a s s e r s t o f f erhitzt werden, ohne daß Fluorwasserstoff entsteht. Schmelzende A l k a l i e n zersetzen es nicht. S o g a r N a t r i u m kann im SF e -Gas geschmolzen werden, ohne daß seine Oberfläche infolge Natriumfluoridbildung blind wird; erst bei seinem Siedepunkt wird es vom Schwefelhexafluorid angegriffen. Als Nebenprodukt bei der Einwirkung von Fluor auf Schwefel entsteht ein Fluorid S 2 F 10 (SFB—SF5) vom Schmelzpunkt —92° und Siedepunkt + 2 9 ° . Es ist ebenfalls bemerkenswert beständig, aber doch reaktionsfähiger als SF e .
d. Oxyde des Schwefels Schwefel bildet vier Oxyde der Zusammensetzung S0„ (n = 1, 2, 3 und 4) und zwei Oxyde der Zusammensetzung S j 0 2 n + i (n = 1 und 3), wie aus folgender Tabelle hervorgeht, in der die Oxyde nach steigender Oxydationszahl (S. 166) des Schwefels angeordnet sind: Oxydationszahl + 2 + 3 + 4
Oxyde der Formel SOn SO
Schwefelmonoxyd SjOj
—
SO3 Schweieltrioxyd SïOT Dischwefelheptoxyd
( + 7) 1 ( + 8) 1
Dischwefeltrioxyd
SOï Schwefeldioxyd
+ 5 + 6
Oxyde der Formel SüOísn+i
SO4 Schweieltetroxyd
Das nach dieser Tabelle noch zu erwartende Oxyd S 2 0 5 ist bis jetzt unbekannt. 1 Bezügl. dieser Zahlenwerte sei auf die r e i n f o r m a l e Definition des Begriffs der „Oxydationszahl" (S. 166) hingewiesen. Zu unterscheiden von der Oxydationszahl ist die W e r t i g k e i t , die in den beiden obigen Fällen gleich 6 ist.
Der Schwefel
195
Die wichtigsten Oxyde sind das Schwefeldioxyd S0 2 und das Schwefeltrioxyd S0 3 . Die übrigen Oxyde SO, S0 4 , S 2 0 3 und S 2 0 7 — deren Existenz durchweg noch etwas unsicher ist — erhält man aus diesen Oxyden durch R e d u k t i o n m i t S c h w e f e l (S + S 0 2 — > - 2 S O ; S + S 0 3 — ν S 2 0 3 ) bzw. O x y d a t i o n m i t a k t i v e m S a u e r s t o f f (S0 2 + 2 0 — ^ S 0 4 ; 2SO3 + O—»- S 2 0 7 ). α. Schwefeldioxyd Darstellung. T e c h n i s c h wird Schwefeldioxyd durch V e r b r e n n e n v o n S c h w e f e l an der Luft : S + 0 2 —>• S02 + 70.9 kcal (1) sowie vor allem durch E r h i t z e n s c h w e f e l h a l t i g e r E r z e im L u f t - o d e r S a u e r stoffstrom: 2FeSj + 5V202 >- Fe203 + 4S0 2 dargestellt (Näheres S. 202). Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Schwefeldioxyd als Anhydrid der schwefligen Säure H 2 S0 3 am bequemsten durch Entwässern der letzteren: H 2 S 0 3 — ν H 2 0 + S0 2 , indem man in käufliche, 40- bis 50°/0ige konzentrierte N a t r i u m b i s u l f i t l ö s u n g (NaHS0 3 ) k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e (NaHS0 3 + H 2 S0 4 H 2 S0 3 + NaHS0 4 ) als wasserentziehendes Mittel eintropfen läßt. Statt von schwefliger Säure kann man auch von S c h w e f e l s ä u r e ausgehen, indem man konzentrierte Schwefelsäure durch Erhitzen mit K u p f e r zur schwefligen Säure reduziert : ^ ^ + Cu CuQ + ^ ^ ^ welche dann wie oben zum Anhydrid entwässert wird. Physikalische Eigenschaften. Schwefeldioxyd ist ein farbloses, stechend riechendes, nicht brennbares und die Verbrennung nicht unterhaltendes Gas. Es läßt sich leicht zu einer farblosen Flüssigkeit verdichten, die bei —10.0° siedet und bei —72.5° zu weißen Kristallen erstarrt. Die Verdampfungswärme ist sehr hoch und beträgt beim Siedepunkt 96 kcal/kg S0 2 ; daher tritt beim Verdunsten von flüssigem Schwefeldioxyd eine bedeutende T e m p e r a t u r e r n i e d r i g u n g ein, wovon man bei K ä l t e m a s c h i n e n Gebrauch macht. In Wasser ist Schwefeldioxyd leicht löslich : 1 Volumen Wasser löst bei 0° rund 80, bei 20° rund 40 Volumina S0 2 . Flüssiges Schwefeldioxyd ist ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für anorganische und organische Stoffe. Viele anorganische Salze leiten in dieser Lösung den elektrischen Strom ähnlich gut wie in Wasser, sind also wie in diesem elektrolytisch dissoziiert. Flüssiges Schwefeldioxyd selbst zeigt nur ein sehr geringes elektrisches Leitvermögen. Chemische Eigenschaften. Die wässerige Lösung des Schwefeldioxyds reagiert sauer und verhält sich auch im übrigen wie eine S ä u r e l ö s u n g (Näheres S. 199f.). Im übrigen ist das Schwefeldioxyd durch seine r e d u z i e r e n d e W i r k u n g ausgezeichnet, die auf seinem Bestreben beruht, sich zur Oxydationsstufe der Schwefelsäure zu oxydieren : S0 2 + O —>- S0 3 . Leitet man ζ. B. einen Schwefeldioxydstrom über feinverteiltes, braunes Bleidioxyd (Pb0 2 ), so verwandelt sich dieses unter Erglühen in weißes Bleisulfat PbS0 4 („PbO · SO3") : Pb0 2 + S02 —*· PbS0 4 . Viele organische Farbstoffe werden reduktiv entfärbt, worauf die Bleichwirkung des Schwefeldioxyds beruht, die man ζ. B. zum Bleichen von Stroh, Seide, Wolle und anderen Stoffen verwendet, welche die Chlorbleiche nicht vertragen. Auch die wässerige Lösung des Schwefeldioxyds zeigt diese reduzierenden Wirkungen (S. 200). 13*
196
Die Groppe der Chalkogene
Die o x y d i e r e n d e W i r k u n g des Schwefeldioxyds zeigt sich nur beim Erhitzen mit besonders kräftigen Reduktionsmitteln (Magnesium, Aluminium, Kalium, Natrium, Calcium), da die Sauerstoffatome des S02-Moleküls, wie die hohe Bildungswärme (1) zeigt, sehr fest gebunden sind. Dementsprechend unterhält auch Schwefeldioxyd die Verbrennung nicht. Man kann daher z. B. Brände im Innern von Schornsteinen dadurch löschen, daß man unten Schwefel abbrennt; der Schwefel bindet dann allen Sauerstoff, so daß der Ruß nicht weiterbrennen kann. Die f ä u l n i s - und g ä r u n g s v e r h i n d e r n d e , d e s i n f i z i e r e n d e Wirkung des Schwefeldioxyds benutzt man zum Ausräuchern von Wein- und Bierfässern („Ausschwefeln"), zur Vertilgung von Ungeziefer usw. Setzt man T h i o n y l c h l o r i d S0C1 2 mit A m m o n i a k um, so erhält man ein Schwefeldioxyd, in welchem ein S a u e r s t o f f a t o m durch die zweiwertige I m i d g r u p p e = NH ersetzt ist: O TT p i
SO;CI2 + HjiNH — - > -
SO(NH).
Dieses „Thionylimid" SO(NH) stellt bei Zimmertemperatur ein farbloses Gas dar, das zu einer farblosen, bei — 85° schmelzenden und — im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 184, 262f.) — sich nach kurzer Zeit zu einer klaren, braunen festen Masse polymerisierenden (vgl. Sulfimid, S. 246) Flüssigkeit verdichtet werden kann.
ß. Schwefeltrioxyd Darstellung. Schwefeltrioxyd, S0 3 , kann nicht durch Verbrennen von Schwefel an der Luft oder in Sauerstoffatmosphäre gewonnen werden, da die bei der Verbrennung des Schwefels zu Schwefeldioxyd freiwerdende bedeutende Wärmemenge (1) die Bildung des als exotherme Verbindung bei höheren Temperaturen in Schwefeldioxyd und Sauerstoff zerfallenden Schwefeltrioxyds verhindert: S02 + V202
S0 3 (g) + 21.9 kcal.
(2)
Die Vereinigung von Schwefeldioxyd und Sauerstoff nach (2) gelingt nur bei n i c h t a l l z u h o h e n T e m p e r a t u r e n (400—600°). Wegen der in diesem Temperaturgebiet zu g e r i n g e n U m s e t z u n g s g e s c h w i n d i g k e i t müssen zur Reaktionsbeschleunigung K a t a l y s a t o r e n angewandt werden. Das Verfahren wird t e c h n i s c h in großem Maßstabe bei der Schwefelsäurefabrikation durchgeführt (S. 201 ff.). Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Schwefeltrioxyd als Anhydrid der Schwefelsäure durch E n t w ä s s e r n v o n S c h w e f e l s ä u r e (Erwärmen von konzentrierter Schwefelsäure mit Phosphorpentoxyd als wasserentziehendem Mittel): h 2 s o 4 — ^ h 2 o ; + so 3 oder durch Erhitzen von Bisulf a t e n (ζ. Β. Natriumbisulfat NaHS0 4 ), P y r o s u l f a t e n (ζ. B. Natriumpyrosulfat Na 2 S 2 0,) oder S u l f a t e n (ζ. B. Eisen(III)-sulfat Fe 2 (S0 4 ) 3 ) : 2MeHS0 4
>• H 2 0 + Me 2 S 2 0 7 —>- S 0 3 + Me 2 S0 4
S 0 3 + Me 2 0.
Besonders bequem ist die Gewinnung von Schwefeltrioxyd durch E r h i t z e n von käuflicher „rauchender" S c h w e f e l s ä u r e , einer Lösung von Schwefeltrioxyd in konzentrierter Schwefelsäure (S. 203). Physikalische Eigenschaften. Schwefeltrioxyd kommt in drei Modifikationen, einer „eisartigen" und zwei „asbestartigen" Formen, vor. Kühlt man Schwefeltrioxyddampf ab, so kondensiert er sich zu der e i s a r t i g e n Modifikation (y-S0 3 ), einer eisartig durchscheinenden, bei 16.8° schmelzenden und bei 44.8° siedenden Masse, welche im festen Zustande hauptsächlich aus (S03)3-Molekülen, im flüssigen Zustande aus (S0 3 ) 3 - und S0 3 -Molekülen und im Dampfzustände aus S0 3 -Molekülen besteht. Bewahrt man das Schwefeltrioxyd längere Zeit unterhalb 25° auf, so wandelt es sich in die a s b e s t a r t i g e
D e r Schwefel
197
F o r m ( ß - S O a u n d a - S 0 3 ) um, weiße, seidenglänzende, verfilzte N a d e l n der Molekulargröße ( S 0 3 ) n u n d (S03)p (ρ > m i s c h v o n tx- u n d ß-S03.
η >
3). D a s
S c h w e f e l t r i o x y d des H a n d e l s ist ein
E s b e g i n n t m e i s t b e i 4 0 ° z u schmelzen (ß-S03:
Ge-
Smp. 32.5°;
a - S O j : S m p . 62.2°). Z u r K o n s t i t u t i o n v g l . S. 2 6 2 f . Chemische E i g e n s c h a f t e n .
Schwefeltrioxyd vereinigt
entwicklung u n d heftigem Zischen mit W a s s e r S03 +
HjO — >
H2S04 +
A n f e u c h t e r L u f t r a u c h t es stark, d a es ziemlich
sich u n t e r
starker
Wärme-
z u S c h w e f e l s ä u r e ( v g l . S. 203) : 21.3 k c a l .
flüchtig
ist u n d d a h e r m i t d e r F e u c h -
tigkeit d e r L u f t S c h w e f e l s ä u r e b i l d e t , die sich s o f o r t z u kleinen T r ö p f c h e n k o n d e n s i e r t . A u c h mit M e t a l l o x y d e n
reagiert es energisch u n t e r B i l d u n g v o n S03 +
Sulfaten:
M e O ——>• M e S 0 4 .
S o g e r ä t ζ . B . B a r i u m o x y d B a O i n B e r ü h r u n g m i t S c h w e f e l t r i o x y d ins G l ü h e n .
γ . Sonstige
Schwefeloxyde
Schwefelmonoxyd SO. Gasförmiges Schwefelmonoxyd SO entsteht u. a. bei der Umsetzung v o n S c h w e f e l d a m p f und S c h w e f e l d i o x y d in der e l e k t r i s c h e n E n t l a d u n g ( S + S 0 2 >- 2 SO) und ist am einfachsten durch Verbrennen v o n S c h w e f e l in reinem S a u e r s t o f f bei v e r m i n d e r t e m D r u c k (5—10 m m ) darstellbar: S + 7ï'02
>- SO + 6.56 kcal.
E s macht aus Jodwasserstoff J o d frei, ist also ein O x y d a t i o n s m i t t e l , und setzt sich dementsprechend mit weiterem S a u e r s t o f f erst bei erhöhter Temperatur um. M i t H a l o g e n e n reagiert es unter Bildung von T h i o n y l h a l o g e n i d e n ( S O + X 2 >- S O X 2 ) , mit W a s s e r unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g zu S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l d i o x y d (3SO + H20 >- H 2 S + 2 S O „ ) . M i t A l k a l i e n werden außerdem große Mengen T h i o s u l f a t gebildet (2 SO + 2 Ö H ' — V S 2 0 3 " + H 2 0 ) . I n flüssiger L u f t kondensiert sich SO zu einem orangeroten Körper, der beim Erwärmen unter Aufhellung in gelbe plastische „Polyschwefeloxyde" S n On-x zerfällt: (n + x ) SO >• SnOn-x + x S0 2 . Gleiche Zersetzung erleidet SO bei erhöhtem Druck (Partialdruck > 1 mm). Dischwefcltrioxyd S « 0 3 entsteht beim Zusatz v o n S c h w e f e l zu flüssigem S c h w e f e l t r i o x y d als blaugrüne, feste Substanz: S +
S03
S203.
Unterhalb 15° ist die Verbindung beständig. Bei 40 bis 80° zersetzt sie sich zu 80°/o in Schwefelm o n o x y d und - d i o x y d ( S 2 0 3 >- S O + S 0 2 ) und zu 20°/o i n Schwefel und S c h w e f e l t r i o x y d (S203 > S + S 0 3 ) . V o n Wasser wird sie unter Bildung v o n Schwefel, Schwefelsäure und P o l y thionsäuren zersetzt; sie ist also nicht das A n h y d r i d der unter-dischwefligen Säure H 2 S 2 0 4 . Schwefeltetroxyd SO* bildet sich bei der Einwirkung einer e l e k t r i s c h e n G l i m m e n t l a d u n g auf ein Gemisch von S c h w e f e l d i o x y d und S a u e r s t o f f : S02 +
02 = - > - S04.
E s stellt einen weißen, festen Stoff dar, der bei 3° schmilzt und dabei unter Sauerstoffabgabe in Dischwefelheptoxyd, S 2 0 7 , übergeht (2 S 0 4 >- S 2 0 7 + Y 2 0 2 ) . I n wässeriger Lösung zerfällt die Verbindung langsam unter Sauerstoffentwicklung. Peroxyschwefelsäure, H 2 S 0 6 , bildet sich dabei nicht; S 0 4 ist also nicht das A n h y d r i d dieser Säure. Schwefeltetroxyd ist ein s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l ( S 0 4 + 2 θ >• S 0 4 " ) und o x y d i e r t beispielsweise M a n g a n ( I I ) - s a l z e zu Permanganat ( M n " + 4 H 2 0 >• M n 0 4 ' + 8 H " + 5 0 ) , zweiwertiges K u p f e r zu dreiwertigem ( C u " >-Cu"° + θ ) · Dischwefelheptoxyd Ss Οτ entsteht bei der Einwirkung dunkler e l e k t r i s c h e r E n t l a d u n g e n auf ein Gemisch v o n S c h w e f e l d i o x y d oder - t r i o x y d und S a u e r s t o f f : 2S0
2
+ 1Y
2
0
2
—^
S207.
Es stellt eine ölige Flüssigkeit dar, die bei 0° erstarrt und sich bei Zimmertemperatur allmählich unter Bildung v o n Schwefeltrioxyd und Sauerstoff zersetzt ( S 2 0 7 2 S 0 3 + Y 2 0 2 ) . Auch durch Wasser w i r d Dischwefelheptoxyd teilweise unter Sauerstoffentwicklung zersetzt; zum T e i l bildet es m i t Wasser aber auch Peroxy-dischwefelsäure ( S 2 0 7 + H 2 0 >- H 2 S 2 0 8 ) , so daß man es als A n h y d r i d dieser Säure ansehen kann.
Die Gruppe der Chalkogene
198
e. SauerstofFsäuren des
Schwefels
α. Systematik und Konstitution Der Schwefel bildet vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Formel H 3 SO„ (n = 2, 3 , 4 und 6) und fünf Sauerstoffsäuren der allgemeinen Zusammensetzung QgSgO,, (n = 4, 5, 6, 7 und 8). Ihre Namen und die Namen ihrer Salze gehen aus der folgenden Tabelle hervor, in der die einzelnen Schwefelsäuren nach steigender Oxydationszahl des Schwefels geordnet sind: OxySäuren des Typus ]laSOo dationszahl Formel Salze Name + 2
H3SO2
Unterschweflige Säure 1
H2S2O4 H2SO3
Schweflige Säure Sulfite
H2S2O6 H2SO4
Sulfate
Schwefelsäure
H2S2O8 Peroxyschwefelsäure
Unter-dischweflige Säure1
Hypo-disulfite1
Unter-dischwefelsäure
H2S2OT Dischwefelsäure
(+7)2 ( + 8) 2 H2SO5
Salze
H2S2O5 Dischweflige Säure Disulfite
+ 5 + 6
Name
Hyposulfite 1
+ 3 + 4
Säuren des Typus H-jSsOn Formel
Hypo-disulfate Disulfate
Peroxy-dischwefelPeroxy-disulfate säure
Peroxysulfate
Mit Ausnahme der e i n b a s i g e n 3 Peroxyschwefelsäure sind sie alle z w e i b a s i g . Die K o n s t i t u t i o n der einzelnen Säuren bzw. ihrer Salze wird am besten durch die folgenden K o m p l e x f o r m e l n (vgl. S. 156) wiedergegeben: OSO
0 OSO
Hypoaulflt
Sulfit
11
ΓΟ O l " s s -O 0.
Hypo-disulfit
η
'
0 OSO 0
tt
Sulfat
Γ o 1 0 s 02 0 Peroxysulfat
O o s o s o o
o o o s s o o o
o o o s o s o o o
Disulfit
Hypo-disulfat
Disulfat
O
O
o
o
Peroxy-disulfat
Mehr als vier Sauerstoffatome vermag das Schwefelatom nicht in d i r e k t e r B i n d u n g aufzunehmen, da es als Ion S " ( V s : ) nur vier freie Elektronenpaare besitzt. Beim Übergang vom Sulfat S 0 4 " (I) zum Peroxysulfat S 0 5 " (II) wird daher der Sauerstoff nicht an den S c h w e f e l , sondern an den S a u e r s t o f f des Sulfat-ions angelagert: :Ò:
tt
: Ö:
: Ö:S:Ö:
: Ö:S:Ò:Ò:
:Ö:
:Ö: " (II)
(I) 1 3
Vgl. Anmerkung 1 auf S. 209. Vgl. Anmerkung 1 auf S. 257.
2
Vgl. Anmerkung 1 auf S. 194.
199
Der Schwefel
Die so entstehende O—O-Gruppierung wird „Peroxy-Gruppe" genannt. Man muß demnach zwischen 0—O-freien P e r v e r b i n d u n g e n (ζ. B. P e r c h l o r a t C104') und 0—O-haltigen P e r o x y Verbindungen (ζ. B. P e r o x y s u l f a t S 0 t " ) unterscheiden.
Von einzelnen Schwefelsäuren leiten sich weitere Säuren dadurch ab, daß ein S a u e r s t o f f a t o m des Moleküls durch ein S c h w e f e l a t o m ersetzt ist. Auf diese Weise kommt man ζ. B. von der Schwefelsäure H 2 S 0 4 zur Thio-schwefelsäure H 2 S 2 0 3 und von der Dischwefelsäure H 2 S 2 0 7 zur Thio-dischwefelsäure (Trithionsäure) H 2 S 3 O e : η Γ Ο Ο Ι o 0 s s 0 S S S 0 0 0 0 Thiosullat
Thio-dlsulfat
Die letztere Säure vermag noch Schwefel anzulagern, wobei die sogenannten Polythionsäuren H 2 S 3+n O e (n = 1, 2, 3) entstehen. Nur vier der genannten Säuren, nämlich S c h w e f e l s ä u r e , D i s c h w e f e l s ä u r e , P e r o x y s c h w e f e l s ä u r e und P e r o x y - d i s c h w e f e l s ä u r e sind in f r e i e m Z u s t a n d e isolierbar ; die übrigen kennt man nurin wässeriger L ö s u n g oder inForm von Salzen. Die schon besprochenen Oxyde SO, S0 2 , S 0 3 und S 0 4 entsprechen in ihrer Oxydationsstufe den Säuren H 2 S0 2 , H 2 SO s (bzw. H 2 S 2 O s ), H 2 S 0 4 (bzw. H 2 S 2 0 7 ) und H 2 S0 6 , die Oxyde S 2 0 3 und S 2 0 7 den Säuren H 2 S 2 0 4 und H 2 S 2 0 8 . Echte Säure-anhydride sind aber nur S 0 2 und S0 3 . Die wichtigsten Oxydationsstufen des Schwefels sind die der schwefligen Säure (Oxydationsstufe S 0 2 bzw. S0 3 ") und Schwefelsäure (Oxydationsstufe S 0 3 bzw. S0 4 "). Von diesen ausgehend ist die nächstniedere und nächsthöhere Oxydationsstufe durch Reduktion: 2 S0 2 + 2 © — S
2
0
4
"
2 S 0 3 + 2 θ — > - S2Oe"
bzw. durch O x y d a t i o n : 2 S03" — S
2
0„" + 2 θ
2 S04"
ν S208" + 2 ©
gewinnbar. Die so zugänglichen Oxydationsstufen der unter-dischwefligen Säure (S 2 0 4 "), Unter-dischwefelsäure (S 2 0 e ") und Peroxy-dischwefelsäure (S 2 0 8 ") lassen sich durch Disproportionierung (Hydrolyse in wässeriger Lösung) in die nächstniedere Und nächsthöhere Oxydationsstufe überführen; schematisch: S204"
S0 2 + SO a "
S2Oe" ^
S0 3 + S 0 3 "
S2Oe" q = ± : S 0 4 + S 0 4 " .
Auf diese Weise gelangt man zur n i e d r i g s t e n und h ö c h s t e n Oxydationsstufe des Schwefels, der unterschwefligen Säure (Oxydationsstufe S 0 2 " ) und Peroxyschwefelsäure (Oxydationsstufe S0 4 ). ß. Schweflige Säure Löst man S c h w e f e l d i o x y d in W a s s e r auf, so erhält man eine ausgesprochen s a u e r reagierende, den elektrischen Strom leitende Lösung: S0 2 + H 2 0
H2S03.
(1)
Die sauren Eigenschaften sind dabei auf gebildete schweflige S ä u r e H 2 S 0 3 zurückzuführen. Allerdings hegt das Gleichgewicht (1) fast ganz auf der l i n k e n S e i t e , so daß der Hauptteil des gelösten Schwefeldioxyds als u n v e r ä n d e r t e s S 0 2 vorliegt und nur wenige Prozente in Form der Säure H 2 S 0 3 vorhanden sind. Beim Erwärmen der Lösung entweicht das im Gleichgewicht befindliche Schwefeldioxyd, worauf sich das gestörte Gleichgewicht immer wieder neu einstellt. Daher gelingt es n i c h t , aus der wässerigen Lösung die w a s s e r f r e i e S ä u r e H 2 S 0 3 zu isolieren. Saure Eigenschaften. Als z w e i b a s i g e S ä u r e dissoziiert die schweflige Säure in 2 Stufen: H 2 S 0 3 ^ z ± : H · + H S 0 3 ' q z i : 2 H · + S 0 3 " . Die Dissoziationskonstanten betragen bei 18°:
Die Grappe der Chalkogene
200 Κ, =
Ch'
*
CH30 -'
c „H,SO,"
= 1.6 X 10-'
K2 -
CH ·
*
Cs°
cHSO,'
" = 1.0 χ 10-'.
Als midissoziierter Anteil (c ,Η,βο,") wird dabei die Gesamtkonzentration an Schwefeldioxyd und undissoziierter schwefliger Säure (cso2 + cH,so,) verstanden ; die eigentliche schweflige Säure H 2 SO s ist also wesentlich stärker, als aus dem Zahlenwert für Kt hervorgeht. Die Salze der schwefligen Säure besitzen die Zusammensetzung Me^SOg (Sulfite ; sekundäre Sulfite) bzw. Me I HS0 3 (Hydrogensulfite ; Bisulfite ; saure Sulfite ; primäre Sulfite). Man gewinnt sie durch Einleiten von S c h w e f e l d i o x y d in wässerige Lösungen oder Suspensionen von H y d r o x y d e n (ζ. Β. 2 K O H + S0 2 —>• K 2 S0 3 + H 2 0 ) oder C a r b o n a t e n (ζ. Β. Na 2 C0 3 + S0 2 —>• Na 2 S0 3 + C0 2 ). Die B i s u l f i t e sind in Wasser alle leicht, die S u l f i t e mit Ausnahme der Alkalisulfite (einschließlich des Ammoniumsulfits) schwer löslich. Technische Verwendung findet vor allem das C a l c i u m b i s u l f i t Ca(HS0 3 ) 2 bei der Zellstoffgewinnung aus Holz („Sulfitzellstoff " ; I I , S. 257), da seine Lösungen die Eigenschaft haben, aus dem Holz die inkrustierenden Ligninstoffe herauszulösen, so daß Zellulose zurückbleibt. Durch Wasserabspaltung entstehen aus den Bisulfiten die Disulfite (Pyrosulfite) : 2MeHS0 3 —>- H 2 0 + Me2S208. Auch sie werden technisch verwendet. Reduzierende Eigenschaften. Die charakteristischste Eigenschaft der schwefligen Säure und ihrer Salze ist ihre r e d u z i e r e n d e W i r k u n g . Sie beruht auf dem Bestreben der schwefligen Säure, in die höhere Oxydationsstufe der S c h w e f e l s ä u r e überzugehen ; schematisch : SO¡¡ + O
>• S03
bzw.
S03"
>• S03 + 2 θ .
So wandeln sich ζ. B. die Sulfite und die schweflige Säure in wässeriger Lösung schon beim Stehen an der L u f t langsam in Sulfate bzw. Schwefelsäure um. Wässerige Lösungen von H a l o g e n e n werden von schwefliger Säure zu HalogenWasserstoffen reduziert (Cl2 + 2 Θ •—>- 2C1'); aus Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d l ö s u n g e n fällt beim Einleiten von S0 2 zuerst weißes unlösliches Quecksilber(I)-chlorid ( H g " + θ —>• Hg'), dann metallisches Quecksilber (Hg' + θ —>- H g ) aus; G o l d c h l o r i d wird in Gold übergeführt (Au'" + 3 θ —>- Au) usw. Oxydierende Eigenschaften. Umgekehrt kann die schweflige Säure gegenüber starken Reduktionsmitteln auch als O x y d a t i o n s m i t t e l wirken, indem sie in Schwefel oder Schwefelwasserstoff übergeht. So wird sie ζ. B. durch n a s z i e r e n d e n W a s s e r s t o f f (Zink und Salzsäure) und durch Z i n n ( I I ) - c h l o r i d zu Schwefelwasserstoff (SO¡¡ + 6 H —>- 2H 2 0 + H 2 S; 3SnCl2 + S0 2 + H 2 0 — • H 2 S + 3SnCl 2 0), durch S c h w e f e l w a s s e r s t o f f zu Schwefel (S0 2 + 2 H 2 S — > · 2 H 2 0 + 3S).reduziert. Konstitution. Die Konstitution der S u l f i t e ist e i n d e u t i g (Elektronenformel I ) . Dagegen können der f r e i e n s c h w e f l i g e n Säure z w e i F o r m e l n zukommen, je nachdem die beiden Wasserstoff-ionen — die ja die Heliumschale erstreben — nur an S a u e r s t o f f (Elektronenformel I I a ) oder an S a u e r s t o f f und S c h w e f e l (Elektronenformel I I b ) gebunden sind: Η Η :Ö: Na+ :Ö:S:Ö:Na+ (I)
:Ö: :Ö:S:Ö:H (Ha)
:Ö: >- : Ö : S : Ö : " Η " (IIb)
Wahrscheinlich liegt in der Lösung ein „tautomere» Gleichgewicht" zwischen beiden Formen vor, das zugunsten der Formel I I a verschoben ist.
Der Schwefel
201
Ersetzt man die beweglichen Wasserstoff-ionen durch schwerer bewegliche Kohlenwasserstoffreste {„Alkylgrwppen" ; vgl. S. 293f.) R, so lassen sich beide Formen g e t r e n n t i s o l i e r e n ; die von der Formel I I a abgeleiteten Verbindungen OS(OR), heißen Schwefligsäure-Ester, die der Formel I I b entsprechenden Verbindungen 0 , S ( 0 R ) R Alkyl-sulfonsäure-Ester. Die Valenzstrichformeln (vgl. S. 1 5 3 f . ) für die Verbindungen I I a und I I b lauten:
.OH 0=S/ \oh
Ox /OH W . (y
Danach scheinen die beiden Formen ganz verschiedene Konstitution zu besitzen, während nach den E l e k t r o n e n f o r m e l n die Tautomerie der schwefligen Säure in Wirklichkeit lediglich auf dem P l a t z w e c h s e l e i n e s P r o t o n s beruht.
γ. Schwefelsäure Darstellung Zur technischen Darstellung der Schwefelsäure werden zwei Verfahren angewandt r das „Kontaktverfahren" und das „Bleikammerverfahren". Ersteres dient heute fast durchweg zur Gewinnung h o c h k o n z e n t r i e r t e r (98°/0iger) Schwefelsäure, letzteres zur Darstellung mäßig k o n z e n t r i e r t e r ( < 80%iger) Schwefelsäure. Beide Verfahren gehen vom S c h w e f e l d i o x y d aus und oxydieren dieses mit L u f t zu Schwefeltrioxyd, dem Anhydrid der Schwefelsäure. Beim K o n t a k t v e r f a h r e n dienen dabei Van a di η Verbindungen oder P l a t i n , beim B l e i k a m m e r v e r f a h r e n S t i c k s t o f f o x y d e als SauerstoffÜberträger. K o n t a k t v e r f a h r en Bei der Vereinigung von S c h w e f e l d i o x y d und S a u e r s t o f f zu S c h w e f e l t r i o x y d wird Wärme frei: S02 + 7 2 0 2
S0 3 (g) + 21.9 kcal.
(2)
Daher verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r zugunsten der l i n k e n S e i t e , d. h. Schwefeltrioxyd zerfällt beim Erhitzen in Schwefeldioxyd und Sauerstoff. So sind ζ. B. bei 400° 2 % , bei 600° 2 4 % des Schwefeltrioxyds zersetzt. Will man daher Schwefeldioxyd m ö g l i c h s t q u a n t i t a t i v zu Schwefeltrioxyd oxydieren, so muß man bei m ö g l i c h s t t i e f e r T e m p e r a t u r arbeiten. Zweckmäßig wäre nach der Lage des Gleichgewichts eine Reaktionstemperatur von < 400°. Hier ist aber die R e a k t i o n s g e s c h w i n d i g k e i t zu gering. Selbst bei 400—600° verläuft die Reaktion noch viel zu langsam. Glücklicherweise gibt es aber K a t a l y s a t o r e n („Kontakte"), die in diesem Temperaturbereich auf die obige Reaktion (2) bereits ansprechen. So erfolgt ζ. B . die Umsetzung bei Gegenwart von P l a t i n schon bei 400°, bei Gegenwart von E i s e n o x y d bei 600° mit ausreichender Geschwindigkeit. Heute benutzt man als Katalysator meist V a n a d i n v e r b i n d u n g e n (ζ. B . Vanadinoxyde; vgl. S. 487), die bei entsprechender Vorbehandlung (geeignete Zusätze, geeignete Trägersubstanzen usw.) dem Platin an Wirksamkeit fast gleichkommen und dabei wesentlich billiger als dieses sind. Die sauerstoffübertragende Wirkung der Vanadinoxyde kann man durch die Bildung von Zwischenverbindungen erklären, etwa nach dem Schema V. O, + v s 0 4 — ^ Va06
(3)
V, o , + SO,
(5)
V A + S02
> Va04 + S03 S03.
(4)
Die Geschwindigkeiten der Teilreaktionen (3) und (4) sind dabei in summa größer als die Geschwindigkeit der direkt verlaufenden Reaktion (5). I m einzelnen kann man bei der t e c h n i s c h e n Durchführung des Kontaktverfahrens vier Stufen unterscheiden: 1. D a r s t e l l u n g e i n e s G e m i s c h s v o n S c h w e f e l d i o x y d u n d L u f t ; 2. R e i n i g u n g d e s G a s g e m i s c h s ; 3. U m s e t z u n g des G a s g e m i s c h s a m K o n t a k t ; 4. V e r e i n i g u n g d e s g e b i l d e t e n S c h w e f e l t r i o x y d s m i t W a s s e r zu S c h w e f e l s ä u r e .
202
Die Gruppe der Chalkogene
1. Das S c h w e f e l d i o x y d - L u f t - G e m i s c h wird in der Hauptsache durch „Abrösten" (Erhitzen unter Luftzutritt) von S c h w e f e l k i e s ( P y r i t ) FeS 2 oder auch anderen sulfidischen Erzen (ζ. B. Kupferkies CuFeS 2 , Bleiglanz PbS, Zinkblende ZnS) erzeugt: 2FeS¡¡ + 5 7 2 0 2 v F e 2 0 3 + 4 S 0 2 . Daneben ist noch die Verbrennung von S c h w e f e l (S + 0 2 -—>- S0 2 ) und die Verbrennung von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (H 2 S + lVgOg ^ H 2 0 + S0 2 ) in Gebrauch. Zum Abrösten der sulfidischen Erze dienen R ö s t ö f e n besonderer Konstruktion. In Fig. 71 ist ein solcher Kiesröstofen wiedergegeben, wie er z. B. zum Abrösten von Pyrit benutzt wird. Er enthält mehrere übereinander angeordnete Herdplatten, über welche sich Rührarme bewegen, die an einer zentralen, senkrechten Welle befestigt sind. Der Pyrit wird auf die oberste Platte eingefüllt, von den Rührarmen erfaßt, gleichmäßig über die Platte verteilt und dabei im Luftstrom vorgeröstet. Durch eine Öffnung fällt er auf die nächsttiefere Platte, wo sich die Röstung in gleicher Weise fortsetzt usw. Schließlich kommt der Kies unten abgeröstet an und wird als ,,Abbrand" (Fe 2 0 3 ) ausgetragen, der zur EisenWelle erzeugung in die Hochöfen wandert. Bei m o d e r n e n A n l a g e n erfolgt die Abrüstung von Kiesen auch Schwefelkies ßührarm in großen D r e h r o h r ö f e n , die ein Vielfaches der ,1 Kiesröstöfen zu leisten imstande sind. Herdpialf) Das oben aus dem Röstofen abziehende „Restgas" besteht zur Hauptsache aus S t i c k Öffnung s t o f f , S a u e r s t o f f und S c h w e f e l d i o x y d . Da nach dem Massenwirkungsgesetz — vgl. (2) — das Mengenverhältnis von S 0 3 und S 0 2 und damit die prozentuale Ausbeute an S 0 3 der Wurzel aus dem Partialdruck des Sauerstoffs proportional ist: P30, X Po, I' Pso.
= K„
oder
Pso. Pso,
=
-JT •
ΫΡο,.
stellt man zweckmäßig Röstgase mit einem Ü b e r e c h u ß a n L u f t ( 1V2 statt — wie theoretisch — V» Mol 0 2 je Mol S0 2 ) her. 2. Das so erhaltene Röstgas kann nicht direkt über den K o n t a k t geleitet werden, da es V e r u n r e i n i g u n g e n enthält, welche teils m e c h a n i s c h („Flugstaub", der die Kontaktmasse bedeckt), teils c h e m i s c h („Kontaktgifte" wie ArsenFig. 71. Schema eines Kiesröstofens verbindungen, welche den Kontakt vergiften) die n a c h HERRESHOFF Wirksamkeit des Katalysators herabsetzen oder lahmen. Es muß daher vor der Umsetzung noch einer sorgfältigen R e i n i g u n g unterzogen werden. Die Befreiung von Flugstaub erfolgte früher ganz allgemein in „Staubkammern", gemauerten Räumen mit eingebauten Scheidewänden, an denen die Gase wegen des ständigen Richtungswechsels einen großen Teil des Staubes absetzen. Heute bedient man sich meist elektrischer Entstaubungsanlagen Zweig(„Elektroftitration"), indem man das Gas durch ein starkes elektrisches Feld Zeitung (50000 — 60000 Volt) leitet, wobei sich die Staubteilchen durch Aufnahme ffontahtrohre der von der negativen Kathode („Sprühelektrode") ausgesandten Elektronen U/ärmeausfausch negativ aufladen und an der positiv geladenen Anode (,,Niederschlagselektrode") niederschlagen. Das A r s e n wird bei dieser Entstaubung nur d a n n voll50-+0* z= ständig entfernt, wenn die Röstgase — die den Röstofen mit 600—800° ver3 lassen — auf etwa 40° heruntergekühlt werden. Bei späterer Verwendung von Fig. 72. Kontaktkessel zur katalytischen Gewinnung P l a t i n k o n t a k t m a s s e n , die besonders von Schwefeltrioxyd aus Röstgasen empfindlich gegenüber Arsenverbindungen sind, muß das so gereinigte Gas noch einer A r s e n - F e i n r e i n i g u n g unterworfen werden; bei den weniger empfindlichen V a n a d i n k o n t a k t e n ist dies nicht erforderlich.
•so
Der Schwefel
203
3. Das gereinigte Schwefeldioxyd-Luft-Gemisch tritt nun in den K o n t a k t o f e n ein, -wo eich unter Wärmeentwicklung — vgl. (2) — die U m s e t z u n g von S c h w e f e l d i o x y d und S a u e r s t o f f zu S c h w e f e l t r i o x y d abspielt. Besonders wichtig ist hierbei die Aufrechterhaltung einer sowohl hinsichtlich der Schwefeltrioxydausbeute als auch hinsichtlich der Reaktionsgeschwindigkeit g ü n s t i g s t e n T e m p e r a t u r (bei Platinkontakten: 430°, bei Vanadinkontakten: 500°). Es muß also die bei der Umsetzung freiwerdende W ä r m e dauernd abgeführt werden, da sonst die T e m p e r a t u r des Kontaktes s t e i g t und die S c h w e f e l t r i o x y d a u s b e u t e damit s i n k t . Die Wärmeableitung erfolgt zweckmäßig so, daß das kalte Schwefeldioxyd-Luft-Gemisch im Kontaktofen (Fig. 72) zunächst außen an den mit Kontaktmasse gefüllten Rohren vorbeigeleitet wird, wobei es die in diesen Rohren erzeugte Reaktionswärme aufnimmt und sich gleichzeitig auf etwa 400° vorwärmt. Mit dieser Temperatur tritt es dann in die Kontaktrohre selbst ein, wo die Umsetzung zu Schwei eltrioxyd erfolgt. Durch mehr oder minder starke Zumischung von kaltem Röatgas mittels einer Zweigleitung kann die Temperatur des Kontaktes nach Bedarf reguliert werden. Vor dem ersten Einleiten der Gase muß der Kontaktofen natürlich auf die Reaktionstemperatur vorgewärmt werden. 4. Die V e r e i n i g u n g des k a t a l y t i s c h g e b i l d e t e n S c h w e i e l t r i o x y d s mit W a s s e r zu S c h w e f e l s ä u r e ( S 0 3 + H 2 0 >- H 2 S0 4 ) kann nicht einfach so erfolgen, daß man das den Kontaktofen verlassende Gasgemisch durch W a s s e r l e i t e t , weil hierbei ein großer Teil des Schwefeltrioxyds e n t w e i c h t , ohne sich mit dem Wasser umzusetzen. Dagegen absorbiert k o n z e n t r i e r t e (98°/0ige) S c h w e f e l s ä u r e das Schwefeltrioxyd vollständig und momentan unter Bildung von D i s c h w e f e l s ä u r e ( P y r o s c h w e f e l s ä u r e ) H 2 S 2 0 7 (S. 205). Man verfährt daher so, daß man das Schwefeltrioxyd in 98%ige S c h w e f e l s ä u r e einleitet (6) und durch Zufließenlassen von W a s s e r (Hydrolyse der gebildeten Dischwefelsäure) die Schwefelsäurekonzentration k o n s t a n t e r h ä l t (7): S03+H2S04—^H2S207 H 2 S 2 0 7 + H 2 0 — > - H 2 SQ 4 + H,SQ 4 S 0 3 + H 2 0 —->- H 2 S 0 4 .
(6) (7) (8)
Insgesamt (8) ergibt sich damit die gewünschte Schwefelsäurebildung. In den Handel gelangt die „Kontaktsäure" als ,,konzentrierte Schwefelsäure"' (98%ig e Schwefelsäure) oder als „rauchende Schwefelsäure" („Oleum"; „Vitriolöl"), d.h. eine Schwefelsäure mit einem Überschuß an gelöstem Schwefeltrioxyd (6). B l e i k a m m er v e r f a h r e n Statt durch P l a t i n oder V a n a d i η Verbindungen (Kontaktverfahren) kann die Oxydation des Schwefeldioxyds mit Luft zu Schwefeltrioxyd auch durch S t i c k s t o f f o x y d e (Bleikammerverfahren) katalysiert werden. Die sauerstoffübertragende Wirkung der Stickstoffoxyde kann dabei schematisch durch folgende Gleichungen zum Ausdruck gebracht werden: % O, + NO — ν NO, (9) NO, + SO, >- NO + S 0 3 (10) i/20a + S02
>- S 0 3 .
(11)
D a bei der Reaktion (10) ein Teil des Stickstoffdioxyds bis zu N 2 0 und N 2 reduziert wird, welche unter den Bedingungen des technischen Prozesses keinen Sauerstoff analog (9) mehr aufzunehmen vermögen, kommt man bei dem Prozeß nicht wie bei einem rein katalytischen Verfahren mit einer g e g e b e n e n M e n g e des SauerstoffÜberträgers aus, sondern muß die während des Betriebes auftretenden V e r l u s t e an Stickstoffoxyden e r s e t z e n . Wie beim Kontaktverfahren können wir auch beim Bleikammerverfahren mehrere Arbeitsgänge unterscheiden: 1. D a r s t e l l u n g eines S c h w e f e l d i o x y d - L u f t - G e m i s c h s ; 2. R e i nigung des G a s g e m i s c h s ; 3. U m s e t z u n g des G a s g e m i s c h s zu S c h w e f e l s ä u r e ; 4. K o n z e n t r i e r u n g der g e w o n n e n e n S c h w e f e l s ä u r e . 1. und 2. Die beiden ersten Arbeitsgänge erfolgen im Prinzip wie beim Kontaktverfahren. Nur unterbleibt hier die K ü h l u n g des Röstgases bei der Reinigung. 3. Zur Oxydation des Schwefeldioxyds zu Schwefelsäure dient beim Bleikammerverfahren eine in der Hauptsache aus drei Teilen, dem GLOVER-Turm, den Bleikammern und dem GAYLussAC-Turm, bestehende Anlage (Fig. 73).
204
Die Groppe der Chalkogene
Die etwa 400° heißen Röstgase gelangen von unten her zunächst in den GLOVER-Turm, einen mit säurefestem Material ausgekleideten Bleiturm von 7—15 m Höhe und 3 m Durchmesser, in welchem dem Gasstrom von oben her über säurefestes keramisches Füllmaterial (prismatische Steine, Ringe, Dreiecksprismen, Platten usw.) „nitrose Säure" (S. 238), d. h. eine mit Stickstoffoxyden beladene, mäßig konzentrierte Schwefelsäure (s. unten) entgegenrieselt. Auf diese Weise werden die R ö s t g a s e mit S t i c k s t o f f o x y d e n beladen und zugleich auf etwa 70—90° a b g e k ü h l t , während sich die Säure infolge Verdampfung von 6au- Lussac-Turm Gloi/erfurm Wasser und infolge Neubildung G/ot/ersäure Nirrose Saure von Schwefelsäure ( 15—20°/o der beim Bleikammerverfahren ent•.—Sf/c/rstcff stehenden Schwefelsäure werden bereits
im
GLOVER-Turm
ge-
bildet) k o n z e n t r i e r t und als „GLOVEB-Säure"
Rost·
80%ige
Schwefelsäure) abfließt. Aus
dem
GLOVER-Turm
treten die Röstgase durch Bleiiuff—l rohre in ein System von drei Kammersäure Α/ί/rose Säure Sammern mit einemRauminhalt von etwa 5000 m 3 bei mittelgro(60%,i) ßen Anlagen ein. Die Wandungen Fig. 73. Schematische Darstellung des Bleikammerverfahrens dieser Kammern sind mit B l e i der Schwefelsäuregewinnung p l a t t e n ausgekleidet, weil Blei das einzige von den billigeren Metallen ist, welches durch Schwefelsäure verhältnismäßig w e n i g a n g e g r i f f e n wird. In den beiden ersten Kammern wird W a s s e r zerstäubt; hier erfolgen die Umsetzungen (9) und (10) zwischen Schwefeldioxyd, Stickstoffoxyd und Sauerstoff, sowie die Vereinigung des gebildeten Schwefeltrioxyds mit Wasser zu S c h w e f e l s ä u r e (8). Die Temperatur der ersten Kammer beträgt dabei etwa 70 — 80°, die der zweiten 50—55°; in der ersten herrscht das Schwefeldioxyd vor, so daß das Gas farblos ist, in der zweiten gewinnen die nitrosen Gase das Übergewicht und führen zu einer schwachen Rotfärbung des Gases. Die letzte Kammer bezweckt die Abkühlung und Trocknung der nitrosen Gase; die Temperatur ist hier nicht wesentlich höher als die Außentemperatur, und die Gase, die fast kein Schwefeldioxyd mehr enthalten, sind klar und tief rot gefärbt. Am Boden der Kammern sammelt sich die „Kammersäure" ( — 60°/0ige Schwefelsäure). Zur Rückgewinnung der Stickstoff oxyde werden die Abgase der letzten Kammer in den GAY-LussAC-Turm, einen mit säurefesten Steinen ausgemauerten Bleiturm von 9—15 m Höhe und 1.5—3 m Durchmesser eingeleitet, in welchem ihnen von oben 80°/oige Schwefelsäure (GLOVER-Säure) über säurefeste Füll- und Verteilungskörper in feiner Verteilung entgegenrieselt. Diese Schwefelsäure a b s o r b i e r t d i e S t i c k s t o f f o x y d e der Abgase unter Bildung von „nitroser Säure" (S. 238), die — mit Kammersäure verdünnt und zum Ausgleich des Verlustes an Stickstoffoxyden mit Salpetersäure vermischt — wieder dem Glover-Turm zugeführt wird. In größeren Anlagen verwendet man neuerdings anstatt der Bleikammern T ü r m e aus säurefestem Material („Turmverfahren"). 4. Die K a m m e r s ä u r e kann direkt für die Herstellung von S u p e r p h o s p h a t aus Calciumphosphat (S. 263f.) oder für die Darstellung von A m m o n i u m s u l f a t (S. 421) verwendet werden. Für die meisten anderen Zwecke muß sie erst k o n z e n t r i e r t werden. Dies geschah früher durch Eindampfen in Schalen aus Blei (bis 78°/0 H,S0 4 ), Glas, Porzellan, Quarz oder Platin. Heute konzentriert man, indem man die Säure in einem Turm (, ,OA ILLA KD- TURM1 ' ) in feiner Verteilung den heißen Gasenj einer Generatorgasflamme entgegenrieseln läßt.
Physikalische Eigenschaften Reine Schwefelsäure ist eine ölige, farblose, beim Abkühlen auf 0° allmählich zu Kristallen vom Schmelzpunkt 10.4° erstarrende Flüssigkeit vom spez. Gewicht 1.836 (15°). Der Schmelzpunkt wird durch geringe Mengen Wasser stark erniedrigt und liegt für eine 98%ige Schwefelsäure beispielsweise bei 3.0°. Beim Erwärmen gibt die reine Schwefelsäure einen etwas schwefeltrioxyd-reicheren Dampf ab, bis schließlich bei einem konstanten Siedepunkt von 338° eine 98.3%ige Schwefelsäure übergeht. Eine Säure gleicher Zusammensetzung und gleichen Siedepunktes wird erhalten, wenn man
205
Der Schwefel
v e r d ü n n t e Säure destilliert, da in diesem Falle zuerst fast nur Wasser übergeht. 100%ige Schwefelsäure läßt sich daher nicht durch Destillieren verdünnter Schwefelsäure, sondern nur durch Auflösen der berechneten Menge Schwefeltrioxyd in konzentrierter Schwefelsäure gewinnen. Erhitzt man den Dampf von Schwefelsäure über den Siedepunkt von 338° hinaus, so erfolgt Dissoziation in Wasserdampf und Schwefeltrioxyd: 21.3 kcal + H 2 S 0 4 ^ z i S 0 3 + H 2 0 . Bei 450° ist die Dissoziation praktisch vollständig. Bei tiefen Temperaturen hat umgekehrt das Schwefeltrioxyd ein außerordentliches Bestreben, sich mit Wasser unter Bildung von Schwefelsäure zu vereinigen (S. 197). Chemische Eigenschaften Wasserentziehende Wirkung. Auch die konzentrierte Schwefelsäure selbst ist durch eine a u ß e r o r d e n t l i c h große A f f i n i t ä t zum W a s s e r ausgezeichnet. Mischt man Schwefelsäure mit Wasser, so bilden sich unter b e d e u t e n d e r W ä r m e e n t w i c k lung (20.4 kcal/Mol H 2 S 0 4 bei Vermischen mit viel Wasser bei 20°) H y d r a t e der frockener ûasstrom
feuchter^ Gasstrom
t
-zur Saugpumpe
i s j U S I honz. Schwefelsaure Fig. 74.
Vakuum-Exsiccator
Fig. 75.
Waschflaeche
S c h w e f e l s ä u r e (vgl. S. 451): H 2 S 0 4 · H 2 0 (Smp. 8.5°), H 2 S 0 4 · 2 H 2 0 (Smp. —38°), H 2 S 0 4 · 4 H 2 0 (Smp. —27°), H 2 S 0 4 · 6 H 2 0 (Smp. —54°), H 2 S 0 4 · 8 H 2 0 (Smp. —62°). Das Vermischen muß wegen der beträchtlichen Wärmeentwicklung stets mit V o r s i c h t in der Weise geschehen, daß man die S ä u r e in dünnem Strahl und unter Umrühren in das Wasser e i n t r ä g t ; gießt man umgekehrt das Wasser in die S c h w e f e l s ä u r e , so kann die intensive Wärmeentwicklung zum Herausschleudern von Flüssigkeit und zum Springen des Glasgefäßes führen. Das Volumen der Gemische von Schwefelsäure und Wasser ist nicht gleich der Summe der Einzelvolumina, sondern etwas kleiner ; es tritt also beim Vermischen der beiden Flüssigkeiten eine K o n t r a k t i o n ein. Die größte Kontraktion zeigt eine 97.66°/oige Schwefelsäure, welche bei 15° das spezifische Gewicht 1.8434 besitzt. Man benutzt die starke wasserentziehende Wirkung der konzentrierten Schwefelsäure im Laboratorium z. B. zum T r o c k n e n von chemischen Substanzen sowie zur Entfernung von Wasser aus chemischen Gleichgewichten. Zum Trocknen f e s t e r u n d f l ü s s i g e r S u b s t a n z e n dient dabei zweckmäßig ein „Exsiccator" (Fig. 74), ein luftdicht verschließbares Glasgefäß, auf dessen Boden sich konzentrierte Schwefelsäure (oder ein anderes Trockenmittel) befindet, welche — besonders wirksam im e v a k u i e r t e n Exsiccator — die Feuchtigkeit der darüber befindlichen, zu trocknenden Substanzen an sich zieht. G a s e trocknet man zweckmäßig durch Hindurchleiten durch eine mit konzentrierter Schwefelsäure gefüllte „Waschflasche" (Fig. 75).
Auf viele o r g a n i s c h e S t o f f e (Papier, Leinwand, Kleiderstoffe) wirkt konzentrierte Schwefelsäure v e r k o h l e n d und z e r f r e s s e n d ein, indem sie die Elemente des Wassers daraus abspaltet (CmH2nOn-—->- mC + nH 2 0) und zugleich oxydativ zer-
Die Gruppe der Chalkogene
206
störend (S. 207) wirkt. Daher sieht rohe konzentrierte Schwefelsäure wegen hineingeratener Teilchen des Verpackungsmaterials gewöhnlich mehr oder weniger braun aus. Saure Wirkung. D i e Schwefelsäure ist eine s t a r k e , z w e i b a s i g e S ä u r e . Ihre elektrolytische Dissoziation erfolgt deutlich in zwei S t u f e n : H 2 S 0 4 < > H ' + H S 0 4 ' 2 H ' + S 0 4 " . D a s e r s t e Wasserstoff-ion ist in Lösungen mittlerer K o n z e n t r a t i o n , z. B. einer 1-molaren Lösung, zu praktisch 100°/ 0 abgespalten. D i e Dissoziation i n z w e i t e r Stufe· beträgt demgegenüber in einer solchen Lösung nur 1 . 3 % , wie aus d e m Cw· X CgQ » Zahlenwert der zweiten Dissoziationskonstanten K2 = = 0.013 für c H · und HS0 «' 100%ige Schwefelsäure ist praktisch überhaupt nicht elektrolytisch gespalten und leitet daher den elektrischen Strom f a s t n i c h t . V e r d ü n n t man die konzentrierte Schwefelsäure, so überlagern sich — wenn man immer ein bestimmtes Lösungsvolumen betrachtet — zwei Einflüsse: die Z u n a h m e des D i s s o z i a t i o n s g r a d e s und die A b n a h m e d e r G e s a m t k o n z e n t r a t i o n an Schwefelsäure. Zunächst überwiegt die erstere Erscheinung, so daß die spezifische Leitfähigkeit mit steigender Verdünnung zunimmt. Bei einem Gehalt von etwa 30% Schwefelsäure kompensieren sich beide Einflüsse; hier liegt das M a x i m u m d e r s p e z i f i s c h e n L e i t f ä h i g k e i t (κΐ8» = 0.739). Bei weiterer Verdünnung überwiegt der Einfluß der Abnahme der Gesamtkonzentration von Schwefelsäure, so daß jetzt die spezifische Leitfähigkeit wieder abnimmt, um bei unendlicher Verdünnung den Wert Null zu erreichen. Fügt man zu reiner Schwefelsäure nicht W a s s e r , sondern umgekehrt S c h w e i e l t r i o x y d , konzentriert man also die 100%ige Schwefelsäure noch weiter, so nimmt die spezifische Leitfähigkeit auch in diesem Falle zunächst zu, da die Konzentration der — in konzentrierter Schwefelsäure teilweise dissoziierten — P y r o s c h w e f e l s ä u r e (H 2 S0 4 + S 0 3 >- H 2 S 2 0 7 ) zunimmt. Bei einem Zusatz von etwa 15°/o S 0 3 durchschreitet die Leitfähigkeitskurve ein kleines Maximum, da hier die Zunahme der Konzentration an Pyroschwefelsäure durch die Abnahme des Dissoziationsgrades infolge der Konzentrationsvermehrung kompensiert wird. Bei weiterer Zugabe von S 0 3 sinkt die Leitfähigkeit wieder, um bei etwa 40°/0 S0 3 -Überschuß fast den Wert Null zu erreichen. Als Säure entwickelt die Schwefelsäure bei der Einwirkung auf alle in der Spannungsreihe (S. 164) oberhalb des Wasserstoffs stehenden Metalle W a s s e r s t o f f ( M e — M e " + 2Θ ; 2 θ + 2ΙΓ — H 2 ) :
C
HSO/ gleich 1 hervorgeht.
Men + H 2 S 0 4 — > MeS0 4 + H 2 . Hiervon m a c h t m a n im Laboratorium zur Darstellung v o n Wasserstoff Gebrauch. D i e Schwefelsäure m u ß dabei v e r d ü n n t sein, d a k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure wegen ihres O x y d a t i o n s v e r m ö g e n s (S. 207) v o n d e m nascierenden Wasserstoff teilweise zu S c h w e f e l w a s s e r s t o f f reduziert wird ( H 2 S 0 4 + 8 H •—>• H 2 S + 4 H a O ) , so daß der entwickelte Wasserstoff Schwefelwasserstoff enthält. A u c h darf das Metall kein unlösliches Sulfat bilden, welches als schützende Deckschicht den weiteren Angriff der Säure verhindert (vgl. S. 169). Technisch von Wichtigkeit ist das Verhalten der Schwefelsäure gegenüber E i s e n . Die Angreifbarkeit von Eisen läuft dem Leitvermögen (s. oben), also der Ionenkonzentration der Lösung parallel. So wird Eisen von verdünnter Schwefelsäure stark angegriffen. Mit steigender Konzentration der Schwefelsäure wird die Einwirkung auf Eisen geringer, so daß Schwefelsäuren mit einem Gehalt von mehr als 93% H 2 S 0 4 in Gefäßen aus Guß- oder Schmiede-eisen aufbewahrt und versandt werden können. Fügt man zu 100%iger Schwefelsäure Schwefeltrioxyd, so steigt wieder die Angreifbarkeit des Eisens, bis der Gehalt an freiem S 0 3 etwa 15% beträgt. Bei weiterem Zufügen von S 0 3 sinkt sie wieder, um bei einem Gehalt von 4 0 % freiem S 0 3 nahezu unmerklich zu werden. Auch von r a u c h e n d e r Schwefelsäure wird daher Eisen nicht angegriffen, falls sie genügend freies S 0 3 enthält. D i e in der Spannungsreihe u n t e r h a l b d e s W a s s e r s t o f f s stehenden, weniger stark reduzierend wirkenden Metalle (ζ. B. Kupfer, Quecksilber, Silber) lösen sich in Schwefelsäure beim Erhitzen nicht unter W a s s e r s t o f f - , sondern unter S c h w e f e l d i o x y d - e n t w i c k l u n g (Me — ^ Me" + 2 θ ; H 2 S 0 4 + 2 Ι Γ + 2 θ — S 0 2 + 2 H 2 0 ) Meli + 2 H j S 0 4 — ν
MeS0 4 + S0 2 + 2 H 2 0 ,
Der Schwefel
207
da die Reduktion von S c h w e f e l s ä u r e zu S c h w e f e l d i o x y d leichter als die Reduktion von W a s s e r s t o f f i o n e n zu W a s s e r s t o f f erfolgt. P l a t i n und Gold, die nur sehr geringe reduzierende Wirkung aufweisen, werden von Schwefelsäure nicht angegriffen. Als zweibasige Säure bildet die Schwefelsäure zwei Reihen von Salzen : Hydrogensulfate (Bisulfate-, saure Sulfate·, -primäre Sulfate) Me I HS0 4 und Sulfate (normale Sulfate; neutrale Sulfate ¡sekundär e Sulfate) Me 2 S0 4 . H y d r o g e n s u l f a t e kennt man nur von den A l k a l i m e t a l l e n . Sie sind in Wasser sehr leicht löslich und gehen beim Erhitzen über den Schmelzpunkt zunächst in D i s u l f a t e ( P y r o s u l f a t e ) und dann in n o r m a l e S u l f a t e über: L >Na S0 . 2NaHS04 — — N a 2 S j 0 7 2 4 Die den Disulfaten (Pyrosulfaten) entsprechende Dischwefelsäure (Pyroschwefelsäure) bildet eine durchsichtige, kristalline Masse vom Schmelzpunkt 36°. Sie kristallisiert aus rauchender Schwefelsäure mit bestimmtem Gehalt an freiem Schwefeltrioxyd (18—62°/0 S0 3 ) beim Abkühlen aus. Die n o r m a l e n S u l f a t e sind in Wasser meist leicht löslich. Praktisch unlöslich sind B a r i u m - , S t r o n t i u m - und B l e i s u l f a t ; Calciumsulfat ist etwas löslich. Die Alkali- und Erdalkalisulfate sind thermisch sehr beständig. Die Sulfate dreiwertiger Metalle zerfallen leichter; so kann man z. B. durch Erhitzen von Eisensulfat Fe 2 (S0 4 ) 3 oder Aluminiumsulfat A1 2 (S0 4 ) 3 leicht S 0 3 darstellen: Fe 2 (S0 4 ) 3 — ^ Fe 2 0 3 + 3 S 0 3 (vgl. S. 196). Oxydierende Wirkung. Konzentrierte Schwefelsäure wirkt o x y d i e r e n d , da sie das Bestreben hat, in Umkehrung der reduzierenden Wirkung der schwefligen Säure (vgl. S. 200) in s c h w e f l i g e S ä u r e überzugehen; schematisch S0 3 — S 0
2
+ O
bzw.
SOs + 2 θ
>• SOj" .
Auf diese Oxydationswirkung ist ja die oben schon erwähnte Auflösung der in der Spannungsreihe unterhalb des Wasserstoffs stehenden M e t a l l e zurückzuführen. Auch N i c h t m e t a l l e wie Kohle oder Schwefel werden von heißer konzentrierter Schwefelsäure unter Schwefeldioxydentwicklung oxydativ gelöst. Verwendung. In der chemischen Industrie findet die Schwefelsäure mannigfaltigste Verwendung. Die Hauptmenge wird zur Darstellung von K u n s t d ü n g e r — Superphosphat (S. 263f.), Ammoniumsulfat (S. 421) — verbraucht. Weiter dient sie zur Darstellung der meisten anderen M i n e r a l s ä u r e n — ζ. B. Salzsäure (S. 87f.), Phosphorsäure (S. 259) —, sowie in der organischen Industrie zur Einführung der „Sulfogruppe" —S0 3 H an Stelle von Wasserstoff („Sulfurierung") und im Gemisch mit Salpetersäure als „Nitriersäure" zum „Nitrieren" von Cellulose, Glycerin, Benzol u. a. (Darstellung von Schießbaumwolle, Celluloid, Nitroglycerin, Pikrinsäure, Nitrotoluol usw.). Auch als Akkumulatorensäure werden beträchtliche Mengen Schwefelsäure verbraucht. Im chemischen Laboratorium schließlich ist sie eines der am meisten gebrauchten Reagentien. Halogenverbindungen. Ersetzt man in der Schwefelsäure (I) eine oder beide Hydroxylgruppen durch einwertige negative Reste X , so kommt man zu Derivaten, die man als Sulfonsäuren (II) bzw. Sulfurylverbindungen (III) bezeichnet: .OH 0 2 S< \OH (I)
.Χ 0 2 S< X>H (II)
Schwefelsäuren
Sulfonsäuien
.Χ 0 2 S< \χ (III) Sulfurylverbindungen
Im folgenden wollen wir einige Verbindungen betrachten, in denen X = Halogen ist. Andere Derivate werden wir auf S. 243ff. kennenlernen. Chlorsulfonsäure, Cl · S 0 2 · OH, wird technisch durch unmittelbare Vereinigung von C h l o r w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l t r i o x y d hergestellt:
208
Die Gruppe der Chalkogene
/Cl 0 2 S = 0 + H—Cl —>• 0,S< \θΗ Eine andere Darstell ungsmethode ist die Einwirkung von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d auf konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e :
HO · so210H+PCI4I CI —> HO · so 2 · Α + PCI4OH ( - > PA 3 o+HCI). Die Verbindung stellt eine farblose, an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit von stechendem Geruch dar, welche bei 152° siedet und bei —80° erstarrt. Mit Wasser reagiert sie heftig unter Bildung von Salzsäure und Schwefelsäure : HO · S0 2 j Cl + Η jOH
ν HO · SO¡¡ · OH + HCl.
Sulfurylchlorid, Cl · S0 2 · Cl, bildet sich durch direkte Vereinigung von C h l o r und S c h w e f e l d i o x y d bei Gegenwart geeigneter K a t a l y s a t o r e n (Kampfer oder Aktivkohle oder Sonnenlicht) : S0 2 + Cl2 —>• S02C12. Auch durch Erhitzen von C h l o r s u l f o n s ä u r e kann es erhalten werden: HO · S02jCl + Cl · S0 ? j0H — H O · S0 2 · OH + Cl · S0 2 · CI. Es ist eine farblose, erstickend riechende, an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit, welche bei 69.3° siedet und bei —54.1° erstarrt. Mit wenig Wasser liefert Sulfurylchlorid Chlorsulfonsäure, mit viel Wasser Schwefelsäure: 0
/ | c i +HlOH S < ( — > Ci
2x
/OH 0 2 S S 2 0 4 " (12) 2SO3"
W
+ 29.
(13)
Als R e d u k t i o n s m i t t e l dienen zweckmäßig Z i n k (Zn—>- Zn" + 2 θ ; Einwirkung von Zink auf eine mit überschüssiger schwefliger Säure versetzte NatriumhydrogensulfitLösung) oder N a t r i u m (Na—>- Na' + θ ; EinWirkung von trockenem Schwefeldioxyd auf Natrium) oder der e l e k t r i s c h e S t r o m (kathodische Reduktion einer Hydrogensulfitlösung), als O x y d a t i o n s m i t t e l v i e r w e r t i g e s M a n g a n (Μη""-(-2 θ —>• Μη" ; Einwirkung von Schwefeldioxyd auf in Wasser aufgeschlämmtes Mangandioxyd-
Der Schwefel
209
hydrat) oder d r e i w e r t i g e s E i s e n (Fe"' + θ — > - F e " ; Einwirkung von Schwefeldioxyd auf-Eisen(III)-oxydhydrat) oder der e l e k t r i s c h e S t r o m (anodische Oxydation einer Sulfitlösung). Die unter-dischweflige Säure H2S2O4 (dithionige Säure) und ihre Salze (Hypo-disulfite bzw. Dithionite) sind durch ihr s t a r k e s R e d u k t i o n s v e r m ö g e n charakterisiert, da sie in Umkehrung der obigen schematischen Bildungsgleichung (12) wieder in die Stufe der s c h w e f l i g e n S ä u r e überzugehen suchen: S 2 0 4 " •—>- 2 S 0 2 + 2 θ .
So fällen sie ζ. B. aus Quecksilber(II)-chlorid-, Silbernitrat- und Kupfersulfatlösungen die Metalle aus (Me" + 2 θ —>- Me) ; Jodlösung wird entfärbt ( J 2 + 2 θ —>- 2 J ' ) . Das Natriumsalz Na 2 S 2 0 4 · 2 H 2 0 findet in der Küpenfärberei (II, S. 361, 479) und im Ätzdruck als Reduktionsmittel, in der analytischen Chemie als Absorptionsmittel für Sauerstoff Verwendung. Die Unter-dischwefelsäure H^Sjj 0 6 (Dithionsäure) und ihre Salze (Hypo-disulfate bzw. Dithionate) zeigen keine große Neigung, in Umkehrung der Darstellungsgleichung (13) unter Bildung von schwefliger Säure oder Sulfiten oxydierend zu wirken. Dagegen d i s p r o p o r t i o n i e r e n sie sich leicht in Schwefel- und schweflige Säure; s c h e m a t i s c h : S2Oe"
SO3 + SO3".
Konzentriert man ζ. B . eine wässerige Lösung von Unter-dischwefelsäure, so zerfällt sie leicht nach H 2 S 2 0 6 —>• H 2 S 0 4 + S 0 2 . In entsprechender Weise zerfallen die Salze beim Erhitzen: K 2 S 2 0 6 K2S04 + S02. Bei der unter-dischwefligen Säure ist die Neigung zur entsprechenden Disproportionierung : S204" ^ S0 2 + S 0 2 " weniger ausgeprägt. Immerhin gelingt es, auf diesem Wege zu Salzen der Unterschwefligen Säure1 H^SO^ (Sulfoxylsäure) zu gelangen, wenn man in einer Na 2 S 2 0 4 -Lösung das im Gleichgewicht befindliche Hyposulfit S 0 2 " als schwerlösliches K o b a l t s a l z CoS0 2 oder als Pormaldehyd-Additionsverbindung NaHS0 2 · CH 2 0 („Rongalit"; vgl. S. 210) abfängt. Die f r e i e Sulfoxylsäure gewinnt man in Form ihrer wässerigen Lösung zweckmäßig durch Hydrolyse von Derivaten wie SC12 oder S(OR) 2 (R = Kohlenwasserstoffrest C n H 2 n + 1 ; vgl. S. 293f.) : SC12 + 2 HÖH — • S(OH) 2 + 2 HCl S(OR) 2 + 2 H Ö H — > S(OH) 2 + 2 HÖR .
Sie hat wie die unterchlorige Säure Cl(OH) (S. 119f.) oder salpetrige Säure NO(OH) (S.237f.) o x y d i e r e n d e Eigenschaften (S(OH) a + 2H" + 2 θ — • S + 2 H 2 0 ) und oxydiert beispielsweise Jodwasserstoff zu Jod ( 2 J ' — J 2 + 2 θ ), Stickstoffwasserstoffsäure zu Stickstoff ( 2 N 3 ' — > 3N 2 + 2 Θ ) , Schwefelwasserstoff zu Schwefel ( S " — > S + 2Θ), Eisen(II)-salze zu Eisen(III)-salzen ( F e " — > - Fe"" + Θ). Charakteristisch ist die in schwach saurer Lösung vor sich gehende Bildung von T r i t h i o n s ä u r e H 2 S 3 0 6 (S. 212f.) bei der Umsetzung mit s c h w e f l i g e r Säure H 2 SO s : /|ÖH+H!S03H < i I ;OH -J- HjSO a H
/S0 3 H — •
- H s S 5 O e + 2 H 2 0 .
(15)
In a l k a l i s c h e r Lösung zersetzt sich die Sulfoxylsäure unter Bildung von S u l f i t und T h i o s u l f a t , indem wahrscheinlich das durch D i s p r o p o r t i o n ! e r u n g (16) entstehende Sulfinoxyd H 2 SO: 2 H 2 S 0 2 - T ± . H 2 S 0 + H 2 SO s
(16)
mit der gleichzeitig gebildeten schwefligen Säure analog (14) zu Thioschwefelsäure weiterreagiert : S
-2F') oder eine Ano de entsprechend positiven Potentials verwenden. Technisch erfolgt die Darstellung der Peroxy-dischweielsäure H%S20g und ihrer Salze (Peroxy-disulfate) so, daß man k o n z e n t r i e r t e Schwefelsäure- bzw. Sulfatlösungen mit h o h e r S t r o m d i c h t e elektrolysiert. Besonders leicht sind dabei K a l i u m - und A m m o n i u m - p e r o x y - d i s u l f a t zu gewinnen, da sie wegen ihrer Schwerlöslichkeit leicht auskristallisieren. Hohe Konzentration und hohe Stromdichte sind deshalb erforderlich, weil bei v e r d ü n n t e n L ö s u n g e n und k l e i n e n S t r o m d i c h t e n infolge der geringen Konzentration entladener Sulfat-ionen letztere nicht m i t e i n a n d e r (18), sondern mit dem W a s s e r unter Bildung von S a u e r s t o f f ( S 0 4 + H 2 0 — ν H 2 S 0 4 + 1 / 2 0 2 ) reagieren. Auf diesem letzteren Vorgang beruht ja die anodische Sauerstoffentwicklung bei der Elektrolyse angesäuerten Wassers (S. 13).
Der Schwefel
211
Peroxy-dischwefelsäure und Peroxy-disulfate sind s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l (S 2 0 8 " + 2 Θ — > - 2S0 4 "). SO werden z . B . Eisen(II)-salze zu Eisen(III)-salzen (Fe"-»-Fe"' + θ ),Mangan(II)-salzezuBraunstein(Mn" + 2 H 2 0 - v M n 0 2 + 4 H ' + 2 Θ ) bzw. — bei Gegenwart von Silber-ionen als Katalysator — zu Permanganat (Mn" -f4 H 2 0 — > - Mn0 4 ' + 8H' + 5 Θ ), Silbersalze zu Silberperoxyd (2Ag'+ 2 H 2 0 — > Ag 2 0 2 + 4 H ' + 2 θ ) oxydiert. Fast alle Peroxy-disulfate sind in Wasser löslich ; die Lösungen sind verhältnismäßig beständig. Dagegen unterliegt die f r e i e Peroxy-dischwefelsäure in wässeriger Lösung leicht der H y d r o l y s e : Ο ι 0 HO S OiO S OH O i O
O O H O S OOH + HO S OH. O O Peroxyechwefels&ure Schwefelsäure
±
HOjH Die dabei neben Schwefelsäure entstehende Peroxy-monoschweîelsâuro (Peroxyschwefelsäure) H2SO5 {„CAROsehe Säure") läßt sich leicht weiter zu Schwefelsäure und W a s s e r s t o f f p e r o x y d (vgl. S. 176) hydrolysieren : O i O HO S OjOH — i H O S OH + HOOH . O i O HjOH Die Reaktion ist umkehrbar, so daß man durch Einwirkung von Wasserstoffperoxyd auf kalte, konzentrierte Schwefelsäure Peroxyschwefelsäure erhalten kann. Nimmt man statt Schwefelsäure das C h l o r i d der Schwefelsäure (Chlorsulfonsäure), so kann man die Peroxyschwefelsäure in reiner Form als schön kristallisierte, weiße, bei 45° schmelzende Substanz erhalten: O O HO SiCl + HIOOH HO S OOH + HCl. ; O o Bei weiterer Einwirkung von Chlorsulfonsäure entsteht reine Peroxy-dischwefelsäure : O O 0 0 HO S OOÍH + Ci: S OH —>• HO S 0 0 S OH + HCl O
O
0
0
in Form weißer, bei 60° unter schwacher Zersetzung schmelzender Kristalle. Zum Unterschied von der auf Kaliumjodidlösung nur l a n g s a m ansprechenden Peroxy-dischwefelsäure scheidet die Peroxy-monoschwefelsäure aus Kaliumjodidlösungen a u g e n b l i c k l i c h Jod aus. ζ. Thioschwefelsäure Das Molekül der Thioschwefelsäure leitet sich von dem der S c h w e f e l s ä u r e durch Ersatz eines S a u e r s t o f f a t o m s durch ein S c h w e f e l a t o m a b : η :0: :0: :0 :S: 0 : :Ö:S :S: :Ö: :Ö: Sulfat Thiosulfat Man erhält ihre Salze (Thiosulfate) durch Kochen von S u l f i t l ö s u n g e n mit feingepulvertem S c h w e f e l : Na2S03 + S — • Na2S20s (19) oder durch O x y d a t i o n v o n D i s u l f i d e n mit Luftsauerstoff, z . B . : CaS2 + ΐγ,Ο,- ->- CaS203 14*
212
Die Grappe der Chalkogene
Die den Salzen zugrundeliegende Säure H 2 S 2 0 3 ist weder in freiem noch in ge· löstem Zustande beständig, sondern zerfällt — in Umkehrung der zur Bildung von Thiosulfaten führenden Reaktion (19) — in schweflige Säure und S c h w e f e l : H2S203 —>• HJSOJ + S. Säuert man daher Thiosulfatlösungen an, so bleibt die Lösung nur ganz kurze Zeit klar und scheidet alsbald Schwefel aus. Das wichtigste Thiosulfat ist das Natriumthiosulfat Na 2 S 2 0 3 · 5H 2 0, welches bei 48.5° in seinem Kristallwasser schmilzt und sehr leicht übersättigte Lösungen bildet. Es findet mannigfache Verwendung. In der P h o t o g r a p h i e (S. 445) dient es als „Fixiersalz" zum Herauslösen des beim Belichten und Entwickeln unverändert gebliebenen Silberhalogenids aus photographischen Platten und Filmen. In derBleicherei (S.82) benutzt man es als „Antichlor" zur Entfernung des Chlors aus chlorgebleichten Geweben, da es Chlor zu Chlorid reduziert (Cl2 + 2 0 —>• 2C1'), wobei es selbst in S u l f a t übergeht (S 2 0 3 " + 5H 2 0 — > 2 S 0 4 " + 10H" + 8 θ ) . Mit dem weniger stark oxydierenden J o d ( J 2 + 2 θ —>- 2J') setzt es sich nur bis zur Oxydationsstufe der T e t r a t h i o n s ä u r e H2S4Oe um (2 S 2 0 3 " —>- S 4 0 6 " + 2 Θ)· Da hierbei die braune — bzw. bei Gegenwart von Stärke blaue (S. 87) — Jodlösung entfärbt wird: 2S 2 0 3 " + J a —>- S4Oe" + 2 J ' , farblos
braun
farblos
farblos
kann man leicht den Punkt (Äquivalenzpunkt) erkennen, an dem gerade die zur Jodmenge äquivalente Menge Thiosulfat zugesetzt ist. Man benutzt daher die Reaktion zur Bestimmung von O x y d a t i o n s m i t t e l n („Jodometrie"), indem man durch Einwirkung dieser Oxydationsmittel auf eine Kaliumjodidlösung eine dem Oxydationswert der Oxydationsmittel äquivalente Jodmenge in Freiheit setzt (2 J ' — J 2 -f- 2 Θ) und diese mit einer eingestellten Natriumthiosulfatlösung titriert (vgl. S. Höf., 167). Auch R e d u k t i o n s m i t t e l können jodometrisch bestimmt werden, indem man diese auf einen bekannten Überschuß einer eingestellten Jod-Jodkali-Lösung (S. 87) einwirken läßt ( J 2 + 2 θ — > 2 J ' ) und das hierbei nicht umgesetzte Jod mit Thiosulfat bis zur Entfärbung „zurücktitriert" oder indem man die Reduktionsmittel direkt mit der eingestellten Jod-Jodkali-Lösung bis zur bleibenden Jodfärbung titriert. η. Polythionsäuren Unter dem Namen Polythionsäuren faßt man einige Sauerstoffsäuren des Schwefels von der allgemeinen Formel H 2 S 3 + n 0 6 zusammen (n = 0, 1, 2 und 3). Die einfachste Polythionsäure ist die Thio-dischwefelsäure (Trithionsäure) H 2 S 3 0 6 . Sie leitet sich von der Dischwef elsäure durch Ersatz eines S a u e r s t o f f atoms durch ein Schwei elatom ab: TT : 0 : 0: : 0 : 0: : Ö : S : SS : Ó : :Ö:S:Ö :S: Ö: : Ó : Ö:" : Ö : Ö:" Disulfat
Thio-disulfat
Die höheren Glieder der Reihe (Tetra-, Penta- und Hexathionsäure) leiten sich ihrerseits wahrscheinlich von der Trithionsäure durch Anlagerung von Schwefelatomen an die freien Elektronenpaare des mittleren Schwefels ab. Man erhält ein Gemisch der Polythionsäuren, wenn man in eine wässerige Schwefeldioxydlösung Schwefelwasserstoff einleitet (,, WA CKEN ROD ER sehe Flüssigkeit"). Wahrscheinlich geht die Reaktion so vor sich, daß die schweflige Säure dabei durch den
Das Selen
213
Schwefelwasserstoff außer bis zur Endstufe des Schwefels (S. 190) intermediär auch bis zur Stufe der unterschwefligen Säure H 2 S0 2 reduziert wird: H 2 S0 3 + H2S — > H 2 S0 2 + H 2 0 + S,
(20)
welche mit überschüssiger schwefliger Säure unter Bildung von T r i t h i o n s ä u r e reagiert (14). Diese geht dann durch Aufnahme des gleichzeitig gebildeten Schwefels (20) in die h ö h e r e n P o l y t h i o n s ä u r e n (hauptsächlich Tetra- und Pentathionsäure) über. Alle Polythionsäuren sind nicht in f r e i e m Z u s t a n d e , sondern nur in w ä s s e r i g e r L ö s u n g und in Form ihrer S a l z e bekannt. Am beständigsten ist in wässeriger Lösung die T e t r a - , weniger beständig die P e n t a - und T r i - , am unbeständigsten die H e x a t h i o n s ä u r e . Unter den — in reiner Form isolierbaren — S a l z e n zeichnen sich die Alkalipolythionate durch Beständigkeit aus. In s a u r e r L ö s u n g zersetzen sich die Polythionate allmählich unter Bildung von S c h w e f e l , s c h w e f l i g e r S ä u r e und H 2 S 3 + n 0 6 — ν nS + H2S3Oe , H2S3Oe + H 2 0 — ^ H 2 S0 4 + H 2 S 2 0 3 ( — S + H 2 S0 3 ). I n a l k a l i s c h e r L ö s u n g erfolgt leichter Zerfall unter Bildung von T h i o s u l f a t und Sulfit.
3. Das Selen a. Elementares Selen Vorkommen. Selen findet sich spurenweise in vielen natürlichen Sulfiden wie Eisenkies (Pyrit) FeS 2 , Kupferkies CuFeS 2 , Zinkblende ZnS, sowie als wesentlicher Bestandteil einiger seltener Mineralien. Beim Abrösten sulfidischer Erze reichert es sich im F l u g s t a u b (SeOa ist zum Unterschied von SÔ2 fest) an. Beim Bleikammerveirfahren der Schwefelsäurefabrikation findet es sich weiter als elementares Selen im „Bleikammerschlamm", da das Se0 2 zum Unterschied von S0 2 nicht von den Stickstoffoxyden zu Se0 3 oxydiert, sondern umgekehrt von der schwefligen Säure leicht zu elementarem Selen reduziert wird. Darstellung. Als Ausgangsmaterial für die Selengewinnung dient meist der B l e i k a m m e r s c h l a m m . Das darin enthaltene Selen wird durch Erwärmen mit S a l p e t e r s ä u r e zu seleniger Säure oxydiert : S e + 20 Se02 und die selenige Säure durch Einleiten von S c h w e f e l d i o x y d in die Lösung wieder zu Selen reduziert: „ , „ Se02 + 2 S0 2 >• Se + 2n oS0 3 . Das Selen fällt dabei als amorpher roter Niederschlag aus. Physikalische Eigenschaften. Wie der Schwefel kommt auch das Selen in mehreren Modifikationen vor, und zwar zwei metastabilen n i c h t m e t a l l i s c h e n roten Formen und einer stabilen m e t a l l i s c h e n grauen Form. Stellt man Selen durch Reduktion löslicher Selenverbindungen oder durch rasche Abkühlung von Selendampf her, so erhält man es als lockeres, schön r o t e s P u l v e r . Es unterscheidet sich nur durch den Verteilungsgrad vom „glasigen Selen", das beim plötzlichen Abkühlen von geschmolzenem Selen als sehr spröde, leicht zu einem roten Pulver zerreibbare Masse entsteht. Löst man solches amorphes rotes Selen in Schwefelkohlenstoff auf, so kristallisiert es aus der Lösung in dunkelroten, durchsichtigen, monoklinen Kristallen als „tx-Selen" und „ß-Selen", von denen das α-Selen mit ß-Schwefel Mischkristalle bildet. Das rote Selen leitet die Elektrizität nicht und wandelt sich beim Erwärmen auf etwa 150° unter bedeutender Wärmeentwicklung in die
214
Die Gruppe der Chalkogene
stabile Form des grauen, metallischen Selens um; bei schnellem Erhitzen schmilzt es — ohne vorherige Umwandlung in dás graue Selen — bei etwa 180°. Das graue metallische Selen, das auch bei langsamer Abkühlung von geschmolzenem Selen entsteht, bildet eine graue, kristalline Masse, die bei 220.2° schmilzt und bei 688° siedet. Es stellt zum Unterschied von dem bei Zimmertemperatur nur metastabilen roten Selen die b e s t ä n d i g e Modifikation des Selens dar und ist in Schwefelkohlenstoff praktisch unlöslich. Im Dunkeln leitet das metallische Selen den elektrischen Strom nur sehr wenig. Beim B e l i c h t e n nimmt die Leitfähigkeit bedeutend (bis auf etwa das Tausendfache) zu, um im Dunkeln wieder auf den ursprünglichen Betrag zu sinken. Die Erscheinung beruht darauf, daß unter der Einwirkimg der zugeführten Lichtenergie eine Lockerung bzw. Abspaltung von Elektronen bewirkt wird. Man macht von dieser Lichtempfindlichkeit des Selens Gebrauch bei der Konstruktion von ,,Selenbrücken" {„Selenzellen") und „Selenphotozellen" („Selen-Sperrschichtphotozellen"), indem man die in diesen Vorrichtungen durch Lichtimpulse bewirkten elektrischen Stromschwankungen zum selbsttätigen Inbetriebsetzen von Apparaten und Maschinerien (Alarmapparaten, Rolltreppen usw.), sowie vor allem bei der Bildtelegraphie, beim Fernsehen und beim Tonfilm ausnutzt bzw. ausnutzte (vgl. S. 415). Die S elenbrücken beruhen direkt auf der Erhöhung der Leitfähigkeit des Selens bei Belichtung ( „Photowider stände" ) ; man unterscheidet hier „harte" und „weiche" Brücken, je nachdem sie auf Belichtungsänderungen langsam oder rasch ansprechen. Die wesentlich wirksameren Selenphotozellen wirken bei Belichtung als selbsttätige Stromquellen („Photoelemente") und lassen sich dementsprechend auch zur Konstruktion von Geräten wie photographischen Belichtungsmessern verwenden, die unabhängig von äußeren Stromquellen betätigt werden sollen. Im flüssigen Zustande ist Selen braunrot, im dampfförmigen gelblich. Nach der Dampfdichtebestimmung besteht der Selendampf oberhalb 900° aus Sea-Molekülen. Unterhalb 900° erfolgt Assoziation zu größeren Molekülen. In Schwefelkohlenstofflösungen besitzt Selen das der Formel Se8 entsprechende Molekulargewicht. Auch die Molekülgitter der beiden roten Modifikationen des oc- und ß-Selens sind aus Se8-Molekülen aufgebaut. Dagegen besteht das Gitter des metallischen grauen Selens aus parallel angeordneten, gewinkelten Se-Ketten:
(„Kettenstruktur"), die wie die Kettenmoleküle des plastischen Schwefels (Fig. 66, S. 183) durch kovalente Verknüpfung der zweiwertigen Selenatome Zustandekommen (Se—Se-Abstand: 2.32 Â).
b. Verbindungen des Selens In ihrer Zusammensetzung entsprechen die Verbindungen des Selens denen des Schwefels. Selen tritt also wie Schwefel zwei-, vier- und sechswertig auf. Die Neigung, in den sechswertigen Zustand überzugehen, ist geringer als beim Schwefel. Daher ist selenige Säure ein schwächeres R e d u k t i o n s m i t t e l als schweflige Säure und Selensäure ein s t ä r k e r e s O x y d a t i o n s m i t t e l als Schwefelsäure. Selenverbindungen sind ähnlich wie Arsenverbindungen stark giftig. Selenwasserstoff. Selenwasserstoff kann wie Schwefelwasserstoff direkt aus den E l e m e n t e n (Überleiten von Wasserstoff über Selen oberhalb 400°): 18.5 kcal + Se + H2 T " ^ H2Se (21)
Dae Selen
215
oder durch Zersetzen von S e l e n i d e n (ζ. B. Eisen-, Aluminium- oder Magnesiumselenid) mit S a l z s ä u r e : Se" + 2Η· HjSe gewonnen werden. Er stellt ein farbloses, „nach faulem Rettich" riechendes Gas dar, das sich leicht verflüssigen (Sdp. —41.5°) und verfestigen (Smp.—60.4°) läßt, noch giftiger als Schwefelwasserstoff ist und die Schleimhäute der Nase und der Augen aufs heftigste angreift („Selenschnupfen'
').
Als e n d o t h e r m e Verbindung (21) ist Selenwasserstoff u n b e s t ä n d i g e r als Schwefelwasserstoff. Wegen der geringen Zerfallsgeschwindigkeit macht sich der Zerfall in die Elemente aber bei Z i m m e r t e m p e r a t u r nur langsam bemerkbar, so daß die Verbindung bei gewöhnlicher Temperatur m e t a s t a b i l ist. Mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r verschiebt sich das Gleichgewicht (21) wie bei allen endothermen Reaktionen zugunsten der endotherm entstehenden Reaktionsseite, hier also des Selenw a s s e r s t o f f s . Da sich dieses günstiger liegende Gleichgewicht bei der höheren Temperatur aber mit g r ö ß e r e r G e s c h w i n d i g k e i t einstellt, zerfällt der bei Zimmertemperatur metastabile Selenwasserstoff beim Erhitzen leichter. Selenwasserstoff ist eine bedeutend s t ä r k e r e S ä u r e als Schwefelwasserstoff ; seine Dissoziationskonstante beträgt für die erste Dissoziationsstufe (H2Se H' + HSe') 1.9 XlO - 4 und liegt damit in der Größenordnung der Dissoziationskonstanten der salpetrigen Säure (K = 4.5 XlO -1 ) und der Fluorwasserstoffsäure (K=7.2 X IO-4). Als zweibasige Säure bildet er Hydrogenselenide (saure Selenide) der Formel MeTHSe und normale Selenide (neutrale Selenide) der Formel Me* Se. Die Metallselenide sind wie die entsprechenden Sulfide mehr oder minder stark gefärbt, in Wasser — teils auch in Säuren — unlöslich und durch Einwirkung von Selenwasserstoff auf Metallsalzlösungen darstellbar. Entsprechend seiner geringeren Beständigkeit ist der Selenwasserstoff ein s t ä r k e r e s R e d u k t i o n s m i t t e l als der Schwefelwasserstoff. Aus wässerigen Lösungen fällt unter der Einwirkung des Luftsauerstoffs bald r o t e s Selen aus. Selenhalogenide. Selen bildet mit den Halogenen Verbindungen des Typus Se^X^ (Se2Cl2, dunkelrote Flüssigkeit; Se2Br2, dunkelrote Flüssigkeit; Se 2 J 2 , schwarzer fester Körper), SeX4 (SeF4, farblose Flüssigkeit; SeCl4, farblose Kristalle; SeBr 4 , gelbes Pulver) und SeX« (SeFe, farbloses Gas). Dihalogenide der Zusammensetzung SeX2 sind nur als Dissoziationsprodukte der Tetrahalogenide im Dampfzustande bekannt (SeCl4 SeCl2 + Cl2; SeBr4 SeBr2 + Br2). Wie der Schwefel bildet das Selen außerdem noch Sauerstoff-Halogen-Verbindungen. Unter diesen ist das bei 10° schmelzende und bei 181° siedende Selenoxychlorid SeOCl2 bemerkenswert. Es ist außerordentlich reaktionsfähig und setzt sich fast mit allen Elementen und Elementverbindungen um, so daß es stark auflösend wirkt. Selendioxyd; selenige Säure. Selendioxyd Se0 2 entsteht durch V e r b r e n n e n von Selen an der Luft (Se + 0 2 —>- Se02) und bildet weiße glänzende Nadeln, welche bei 315° sublimieren. Zum Unterschied vom m o n o m e r e n , gasförmigen Schwefeldioxyd1 (22a) ist es h o c h p o l y m e r (22b): :Ö: S::Ö (a)
:Ö:
:Ö:
:Ö:
:Ö:
Se : Ö : Se : Ö : Se : Ö : Se : Ö :
(22)
(b)
In Wasser löst es sich unter Bildung von seleniger Säure H 2 Se0 3 , die viel b e s t ä n d i g e r als die schweflige Säure H 2 S0 3 ist und durch Eindunsten der Lösung im Vakuum in 1 SO, ist eine der wenigen Ausnahmen von der Doppelbindungsregel ( S. 184, 262f.), während SO, im Einklang mit dieser Kegel analog SeO¡¡ (22b) Kettenmoleküle bildet (S. 262f.).
216
Die Gruppe der Chalkogene
Form zerfließlicher, farbloser, an trockener Luft unter Wasserabspaltung verwitternder Prismen gewonnen werden kann. Selenige Säure ist eine s c h w ä c h e r e S ä u r e als schweflige Säure; ihre beiden Dissoziationskonstanten betragen bei 25° K1 = 2.4 X 1 0 - 3 und K2 — 0.5 X10 - 8 . Als z w e i b a s i g e Säure bildet sie Hydrogenselenite (sàure Selenite) Me I HSe0 3 und normale Selenite (neutrale Selenite) Me£Se03. In wässeriger Lösung liegen die Selenite in hydratisierter Form als „Hydroxosalze" vor: Se0 3 " · 3 H 2 0 = [Se(OH) 6 ]". Die r e d u z i e r e n d e W i r k u n g der selenigen Säure ist weit g e r i n g e r als die der schwefligen Säure, was schon daraus hervorgeht, daß sie von schwefliger Säure zu elementarem Selen reduziert wird (S. 213). Umgekehrt zeigt sie bereits o x y d i e r e n d e W i r k u n g e n ; so scheidet sie aus Jodwasserstofflösungen Jod aus (Se0 2 + 4 H J ·—>• Se + 2 H 2 0 + 2J 2 ) und oxydiert Schwefelwasserstoff zu Schwefel (Se0 2 + 2H 2 S —>Se + 2 H 2 0 + 2S). Von dieser oxydierenden Wirkung macht man namentlich in der o r g a n i s c h e n C h e m i e Gebrauch (vgl. II, S. 211, 212, 400). Zum Unterschied von der schwefligen Säure (S. 200f.) existiert die selenige Säure nur in e i n e r , nämlich der s y m m e t r i s c h e n Form OSe(OH) 2 . Selentrioxyd; Selensäure. Die Oxydation der selenigen Säure bzw. ihrer Salze zur Oxydationsstufe der Selensäure ( H 2 S e 0 3 + H 2 0 — H 2 S e 0 4 + 2 H ' + 2 0 ) gelingt nur mit starken Oxydationsmitteln wie C h l o r (Cl2 + 2 θ — > - 2 C l ' ) oder C h l o r s ä u r e (CIO3' + 6H· + 6 θ —>- Cl' + 3H 2 0) oder auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e durch anodische Oxydation. Selensäure H 2 Se0 4 ist ein fester, farbloser, kristallisierter, bei 57° schmelzender Stoff. Die 95°/0ige Lösung ist eine der konzentrierten Schwefelsäure äußerlich gleichende ölige Flüssigkeit. Ihre O x y d a t i o n s w i r k u n g übertrifft die der Schwefelsäure bedeutend. So entwickelt ζ. B. ein Gemisch von konzentrierter Salzsäure und konzentrierter Selensäure reaktionsfähiges Chlor: H 2 Se0 4 + 2 HCl
H 2 Se0 3 + H 2 0 + 2C1
(Umkehrung der Bildung von Selensäure aus seleniger Säure und Chlor; s. oben), so daß man damit — ähnlich wie mit Königswasser (S. 236) — Gold und Platin auflösen kann. Wie Schwefelsäure vereinigt sich auch Selensäure begierig mit W a s s e r ; daher wirkt sie wie erster e verkohlend auf organische Substanzen ein. Die wässerige Lösung stellt eine s t a r k e S ä u r e dar. Versuche, durch Entwässern von Selensäure zum A n h y d r i d Se0 3 zu gelangen, waren bis jetzt ohne Erfolg. Dagegen läßt sich Selentrioxyd durch Einwirkung von S a u e r s t o f f auf S e l e n in einer H o c h f r e q u e n z G l i m m e n t l a d u n g (Se + 3 0 — S e 0 3 ) oder durch Einwirkung von Schwefeltrioxyd auf Kaliumselenat (S0 3 + K 2 Se0 4 — K 2 S e 0 4 + Se0 3 ) als fester, weißer Stoff (Smp.118 0 ; Zers. > 250°) gewinnen, der sich mit Wasser unter Zischen zu Selensäure vereinigt. Die Selenate entsprechen hinsichtlich Löslichkeit und Kristallform weitgehend den S u l f a t e n . Auch sie sind s t ä r k e r e O x y d a t i o n s m i t t e l als die entsprechenden Schwefelverbindungen und spalten beim Erhitzen ziemlich leicht Sauerstoff ab.
4. Das Tellur Telluride kommen in der Natur nicht so oft als Beimengungen von Sulfiden vor wie Selenide. Daher ist das Tellur — im ganzen genommen — weniger v e r b r e i t e t als das Selen. Dagegen findet es sich in einzelnen Erzen (vgl. S. 446) s t ä r k e r a n g e r e i c h e r t als dieses. Auch kommt es in g e d i e g e n e m Zustande vor. Elementares Tellur. Fällt man Tellur aus wässerigen Lösungen von telluriger Säure durch Reduktion mit schwefliger Säure aus, so erhält man es in Form eines braunen Pulvers. Nach dem Schmelzen ist es s i l b e r w e i ß und m e t a l l g l ä n z e n d . Tellur ist nur von geringer Härte und läßt sich leicht pulvern. Den elektrischen Strom leitet es nur wenig. Die Leitfähigkeit wächst etwas bei Belichtung, aber weit weniger als beim Selen. Der Schmelzpunkt liegt bei 452.0°, der
Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Chalkogene
217
Siedepunkt bei 1390°. Der goldgelbe Dampf hat eine der Formel Te 2 entsprechende Dampfdichte. Oberhalb 2000° erfolgt beträchtlicher Zerfall in die Atome. Das K r i s t a l l g i t t e r des metallischen Tellurs ist wie das des metallischen Selens (S. 214) aus Te-Ketten mit kovalent zweiwertigem Tellur aufgebaut (Te—Te-Abstand: 2.86 À ) . Die Tellurverbindungen, die weit weniger giftig als die Selenverbindungen sind, entsprechen in ihrer Zusammensetzung den letzteren. Der Tellurwasserstoff T e H 2 ist als stark e n d o t h e r m e Verbindung (34.2 kcal + H 2 + Te TftW„) nur dann aus den Elementen darstellbar, wenn man nicht gewöhnlichen, sondern a t o m a r e n W a s s e r s t o f f (kathodische Reduktion von Tellur) verwendet. I m übrigen kann man ihn analog dem Schwefel- und Selenwasserstoff durch Zersetzung von T e l l u r i d e n mit S ä u r e n (Al 2 Te 3 + 6HCl >- 3 H 2 T e + 2A1C13) als farbloses, unangenehm riechendes, leicht zu verdichtendes (Sdp. — 1.8°; Smp. — 51°), zersetzliches, giftiges Gas erhalten. Die wässerige Lösung reagiert s a u e r ; die Stärke der Tellurwasserstoffsäure ( K 1 = 2.3 χ 10~3) entspricht etwa der der Arsensäure ( K 1 = 5 χ IO - 3 ). An der L u f t zersetzt sich die wässerige Lösung fast augenblicklich unter T e l l u r a b s c h e i d u n g (H 2 Te + O —>- H 2 0 + Te). Die SalzeMeiTe (Tdluride) entsprechen in ihren Eigenschaften den Seleniden. An der L u f t verbrennt Tellur zu Tellurdioxyd, Te0 2 , einer weißen, festen, in Wasser sehr wenig löslichen Substanz, welche gewöhnlich durch Oxydation von Tellur mit konzentrierter Salpetersäure dargestellt wird. Tellurdioxyd besitzt sowohl sauren wie basischen („amphoteren") Charakter und löst sich dementsprechend sowohl in starken Laugen (Bildung von Tellurit.cn: Te02 + 2OH' > TeOg" -f H 2 0 ) wie in konzentrierten starken Säuren (Bildung von Tellursalzen: T e 0 2 + 4 H ' >- T e " " + 2 H 2 0 ) . Die den Telluriten zugrundeliegende, noch nicht in reinem Zustande bekannte tellurige Säure H 2 T e 0 3 ist eine s e h r s c h w a c h e , beim Erwärmen in Wasser und Tellurdioxyd zerfallende Säure. Durch starke Oxydationsmittel (ζ. B. Chlorsäure) werden Tellur und tellurigo Säure zu Tellursäure oxydiert, die beim Einengen der Lösung als Orthotellursäure H e T e O e auskristallisiert. Die Tellursäure ist eine s e h r s c h w a c h e = 6 χ IO - 7 ), s e c h s b a s i g e S ä u r e und bildet dementsprechend neben sauren Salzen MenH e _ n TeO e (ζ. B. Na 2 H 4 TeO e und Na 4 H 2 Te0 6 ) auch solche der Zusammensetzung Me|TeO e (ζ. B. Ag e TeO e und Hg 3 TeO e ). In der Hitze spaltet Orthotellursäure Wasser ab und geht schließlich oberhalb 300° in ihr Anhydrid, das gelbe Tellurtrioxyd Te0 3 , über.
5. D a s Polonium Das P o l o n i u m (Smp. 282°, d = 9.4), das im Jahre 1898 von P. und M. CURIE (S. 549) entdeckt wurde, kommt als kurzlebiges r a d i o a k t i v e s Z e r f a l l s p r o d u k t der Uranreihe (S. 647) in der U r a n p e c h b l e n d e vor. Und zwar enthalten 1000 Tonnen Uranpechblende etwa 0.03 g Polonium, so daß Polonium noch rund 4500 mal seltener als Radium (S. 403) ist. Bei der Aufarbeitung der Pechblende reichert sich das Polonium mit dem W i s m u t an, von dem es durch f r a k t i o n i e r t e F ä l l u n g d e r S u l f i d e (Poloniumsulfid ist schwerer löslich als Wismutsulfid) getrennt werden kann. P o l o n i u m ist e d l e r als S i l b e r ( ε ρ ο = + 0 . 9 Volt; e A g = + 0.8 Volt) und wird daher durch dieses aus seinen Lösungen ausgefällt. Auch durch den e l e k t r i s c h e n S t r o m kann es leicht abgeschieden werden, wobei man als Kathode zweckmäßig ein G o l d b l e c h verwendet. I n seinen c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n ähnelt es sehr seinem leichteren Homologen, dem T e l l u r . Beispielsweise bildet es wie dieses eine flüchtige W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g , P o H 2 .
6. Vergleichende Übersicht ü b e r die Gruppe der Chalkogene A l s Glieder einer G r u p p e des P e r i o d e n s y s t e m s besitzen die E l e m e n t e Sauerstoff, S c h w e f e l , Selen u n d T e l l u r ähnliche, sich m i t s t e i g e n d e m A t o m g e w i c h t graduell abstufende physikalische und chemische E i g e n s c h a f t e n u n d b i l d e n a n a l o g zusammengesetzte Verbindungen. Metallcharakter. D e r n i c h t m e t a l l i s c h e (metallische) Charakter d e r E l e m e n t e n i m m t m i t s t e i g e n d e m A t o m g e w i c h t a b (zu). S a u e r s t o f f u n d S c h w e f e l sind ausgesprochene N i c h t m e t a l l e ; Selen t r i t t b e r e i t s i n n i c h t m e t a l l i s c h e r u n d m e t a l l i s c h e r F o r m a u f ; b e i m T e l l u r ist d i e m e t a l l i s c h e M o d i f i k a t i o n d i e g e w ö h n l i c h e E r s c h e i n u n g s f o r m . Wertigkeit. Gegenüber e l e k t r o p o s i t i v e n Elementen wie Wasserstoff oder Metallen sind alle E l e m e n t e nur z w e i w e r t i g . G e g e n ü b e r e l e k t r o n e g a t i v e n E l e m e n t e n w i e S a u e r s t o f f , S c h w e f e l o d e r H a l o g e n e n k ö n n e n sie — m i t A u s n a h m e des auch h i e r f a s t
Die Gruppe der Chalkogene
218
Atomgewicht Spezifisches Gewicht Schmelzpunkt Siedepunkt Farbe (nichtmetallische Form) Metallcharakter Affinität zu elektropositiven Elementen . . . . Affinität zu elektronegativen Elementen . . . Säurecharakter der Oxyde WasserstoffV e r b i n d u n g e n , Schmelzpunkt.... Wasserstoffverbindungen, Siedepunkt
Sauerstoff
Schwefel
Selen
Tellur
16.000 1.27 1 -218.9» -183.0° hellblau
32.06 2.06 a 119.0 01 444.6° gelb —>- nimmt ->- nimmt ->- nimmt -y- nimmt -85.6° •60.8°
78.96 4.82 8 220.2° 8 688° rot
127.61 6.25 452.0° 1390° braun >-
0.0° 100.0°
zu ab zu - V ab 1 - 6 0 . 4 ° 1 — 61° -41.5° — 1.8°
durchweg nur zweiwertigen Sauerstoffs — z w e i - , v i e r - u n d s e c h s w e r t i g auftreten, wobei mit s t e i g e n d e m (fallendem) Atomgewicht die V i e r w e r t i g k e i t (Sechswertigkeit) gegenüber der Sechswertigkeit (Vierwertigkeit) das Übergewicht gewinnt, so daß beispielsweise die s c h w e f l i g e S ä u r e H 2 S 0 3 ein s t a r k e s R e d u k t i o n s m i t t e l +4
+β
(S —>- S + 2 Q), die S e l e n s ä u r e H 2 S e 0 4 umgekehrt ein s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l +6
+4
(Se + 2 θ —>• Se) ist. Die Beständigkeit der Verbindungen mit e l e k t r o p o s i t i v e n Elementen nimmt in der Richtung vom Sauerstoff zum Tellur hin ab : Der Tellurwasserstoff H 2 Te ist ζ. B. im Vergleich zum außerordentlich beständigen Wasser H 2 0 sehr zersetzlich. Umgekehrt nimmt die Beständigkeit der Verbindungen mit e l e k t r o n e g a t i v e n Elementen in gleicher Reihenfolge zu : Chlormonoxyd 0C12 und Ozon 0 0 2 sind beispielsweise wesentlich unbeständiger als Tellurchlorid TeCl 2 und Tellurdioxyd T e 0 2 . Säurecharakter. Der Säurecharakter der Oxyde Y 0 2 und Y 0 3 (Y = Chalkogen) nimmt mit steigendem Atomgewicht von Y ab : Schwefelsäure ist eine sehr starke, Tellursäure eine sehr schwache Säure. Wasserstoffverbindungen·. Die Wasserstoffverbindungen H 2 Y der Chalkogene zeigen analoge Eigenschaftsabstufungen wie die Wasserstoffverbindungen H Y der Halogene. So steigt ζ. B. der Siedepunkt und Schmelzpunkt mit zunehmendem Atomgewicht von Y, wobei sich auch hier das Anfangsglied nicht in die Reihe einpaßt. Der Säurecharakter nimmt v o m H 2 0 zum H 2 Te hin stark zu. Der im Vergleich zu den übrigen Wasserstoffverbindungen zu h o h e S c h m e l z - u n d Siedep u n k t des W a s s e r s ist ähnlich wie beim F l u o r w a s s e r s t o f f (S. 95) auf eine A s s o z i a t i o n der Wassermoleküle zu größeren Molekülverbänden zurückzuführen. Die Assoziation kommt dabei in beiden Fällen durch Wasserstoff-ionen zustande, die wechselseitig durch freie Elektronenpaare zweier Fluor- bzw. Sauerstoffatome gebunden werden und auf diese Weise eine zwischenmolekulare Bindung besonderer Art (.»Wasserstoffbrücke") — vgl. II, S. 61 f., 76 f., 255f. — bewirken (I, II): H H Η Η Η H:F:H:F: Η:C : Η H:Ö:H:Ö: H:N:H:N: Η Η Η (IV) (Π) (I) (III) In gleicher Weise erklärt sich die Assoziation des A m m o n i a k s NH 3 (III), des Anfangsgliedes der im folgenden zu besprechenden Stickstoffgruppe. Dagegen sind beim M e t h a n CH4 (IV) keine Wasserstoffbrücken möglich, weil das Molekül kein freies Elektronenpaar mehr enthält, das zur Bindung des Wasserstoffs eines zweiten Moleküls dienen könnte. Daher neigt das Methan auch nicht zur Assoziation und fällt dementsprechend mit seinen physikalischen Daten auch nicht aus der Reihe der übrigen Wasserstoffverbindungen der vierten Gruppe des Periodensystems heraus. 1 2 8 4
Fester Sauerstöff beim Schmelzpunkt. Rhombischer Schwefel. Metallisches Selen. Monokliner Schwefel.
Kapitel XI
Die Stickstoffgruppe 1. D e r Stickstoff Der Stickstoff selbst wurde bereits S. 59 ff. besprochen. Im folgenden beschäftigen wir uns mit seinen wichtigsten Verbindungen.
a. Wasserstoffverbindungen des Stickstoffe
Stickstoff und Wasserstoff bilden miteinander drei Verbindungen : Ammoniak NH3, Hydrazin~N2H.i und Stickstoffwasserstoffsäure HN3, sowie als Salze der letzteren Säure mit den beiden erstgenannten Basen die Verbindungen A mmoniumazid NH4N3 = N4H4 und Hydrazoniumazii N2H6N3 = N6H5. Die weitaus wichtigste unter diesen Verbindungen ist das Ammoniak. α. A m m o n i a k
Darstellung Aus den Elementen Das wichtigste Verfahren zur technischen Darstellung von Ammoniak ist die von dem deutschen Physikochemiker FRITZ HABER ( 1 8 6 8 — 1 9 3 4 ) im Laboratoriumsmaßstab ausgearbeitete und von dem deutschen Chemiker und Industriellen CARL BOSCH ( 1 8 7 4 — 1 9 4 0 ) in die Technik übertragene Synthese aus den Elementen („ΗΑΒΕΒ-BoscH-Terîahren") : 3H2 + N ¡ ¡ ^ 3 ± : 2 N H 3 + 2 2 . 1 k o a l .
(1)
Da es sich um eine exotherme und mit Volumenverminderung verlaufende Umsetzimg handelt, verschiebt sich das Gleichgewicht dieser Reaktion mit fallender Temperatur und steigendem Druck nach rechts, wie auch aus nebenstehendem Diagramm (Fig. 76) zu entnehmen ist, welches die Ammoniakausbeute (Vol.-°/0 NH3 in einem Gemisch von 3H¡¡ + N2) in Abhängigkeit von der Temperatur bei verschiedenen Drucken wiedergibt. Eine praktisch quantitative Ammoniakausbeute würde man bei Fig. 76. Abhängigkeit der AmZimmertemperatur zu erwarten haben. Bei dieser moniakausbeute von Druck und niedrigen Temperatur ist aber die Geschwindigkeit Temperatur bei der Synthese aus den Elementen der Umsetzung unmeßbar klein, und Katalysatoren wirken auf die Reaktion der Ammoniakbildung erst ab 400° genügend beschleunigend ein. Daher ist man gezwungen, bei einer Temperatur von mindestens 400, zweckmäßig 500° zu arbeiten; bei 500° beträgt jedoch die Ausbeute an Ammoniak
220
Die Stickstoffgruppe
bei 1 Atmosphäre Druck (vgl. Fig. 76, Kurve „1 at") nur noch 0.1 Vol.-%. Um die Ausbeute technisch tragbar zu gestalten, ist es daher erforderlich, einen h o h e n D r u c k , zweckmäßig 200 Atmosphären, anzuwenden, wodurch sich die Ausbeute (vgl. Fig. 76, Kurve „200 at") auf 17.6 Yol.-°/0 steigert. Die technische Durchführung der Ammoniaksynthese sei im folgenden am Beispiel des in Deutschland üblichen Verfahrens der B a d i s c h e n A n i l i n - u n d S o d a - F a b r i k besprochen (Fig. 77). Ausgangsstoffe. Als Ausgangsstoffe zur Gewinnung von Stickstoff und Wasserstoff dienen L u f t (4N 2 + 0 2 ) und W a s s e r (H 2 0). I n beiden Fällen muß das gewünschte Gas von S a u e r s t o f f befreit werden, welcher das eine Mal p h y s i k a l i s c h b e i g e m e n g t , das andere Mal c h e m i s c h g e b u n d e n ist. Die Entfernung des Sauerstoffs Koh/enoxud- Ammoniak-
ßmmoniak-
oasser
Fig. 77. Schematische Darstellung der technischen Ammoniaksynthese nach HABER-BOSCH erfolgt in beiden Fällen durch das billigste Reduktionsmittel der Technik, den Kohlenstoff in Form von K o k s . Und zwar setzt sich der Koks bei hoher Temperatur mit Luft bzw. Wasserdampf nach den Gleichungen 4N¡¡ + 0 2 + 2C 4N¡¡ + 2CO + 53 kcal 31 kcal + H 2 0 + C H2 + CO Generatorgas
Was-sergas
unter Bildimg von G e n e r a t o r g a s (S. 297f.) bzw. W a s s e r g a s (S. 298f.) um. Da die erstere Reaktion e x o t h e r m , die letztere dagegen e n d o t h e r m verläuft, kombiniert man beide Reaktionen miteinander (vgl. S. 299), indem man in einem G a s e r z e u g e r („Generator") abwechselnd durch Überleiten von Luft zuerst Generatorgas bildet, wobei sich der Koks auf etwa 1000° erhitzt („Heißblasen"), und dann durch Umschalten auf Wasserdampf Wassergas erzeugt, wobei sich der Koks wieder abkühlt („Kaltblasen"). Entfernung des Schwefelwasserstoffs. Das so erhaltene, in der Hauptsache aus Stickstoff, Wasserstoff und Kohlenoxyd bestehende Mischgas muß nun zunächst von dem aus dem Schwefelgehalt des Kokses stammenden S c h w e f e l w a s s e r s t o f f befreit werden, da dieser die später benutzten Katalysatoren v e r g i f t e t . Zu diesem Zwecke wird das Gas nach Vermischen mit einer für die Oxydation des Schwefelwasserstoffs zu Schwefel und Wasser (H 2 S + 1 / 2 0 2 —>- H 2 0 + S ; vgl. S. 189) ausreichenden L u f t m e n g e bei etwa 40° durch mit A k t i v k o h l e gefüllte „Gasreiniger" geleitet (vgl. S. 181).
221
Der Stickstoff
Der S c h w e f e l scheidet sich dabei an der Kohle ab und wird alle zwei Wochen mit A m m o n i u m s u l f i d l ö s u n g extrahiert. Auch mit Hilfe von A b s o r p t i o n s f l ü s s i g k e i t e n kann der Schwefelwasserstoffgehalt desMischgases beseitigt werden (vgl. S. 189). Entfernung des Kohlenoxyds. Die Entfernung des im Mischgas neben Stickstoff und Wasserstoff vorhandenen K o h l e n o x y d s erfolgt in der Weise (vgl. S. 298f.), daß man letzteres bei Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n durch W a s s e r d a m p f unter gleichzeitiger N e u b i l d u n g v o n W a s s e r s t o f f zu K o h l e n d i o x y d oxydiert („Konvertierung"):
C0 + H 2 0 ^ ± : H 2 + C 0
2
+ 9.8kcal,
(2)
welches sich unter D r u c k (25 Atmosphären) leicht durch W a s s e r herauswaschen läßt. Da es sich um eine e x o t h e r m e R e a k t i o n handelt, muß die Gleichgewichtseinstellung bei möglichst n i e d r i g e r T e m p e r a t u r (400°) und dementsprechend in Gegenwart eines Katalysators erfolgen. Um bei der Konvertierung gleich das für die Ammoniaksynthese (1) erforderliche Mischungsverhältnis H 2 : N 2 == 3 : 1 zu erhalten, wählt man bei der Herstellung des Mischgases gleich von vornherein das richtige Mischungsverhältnis von Wassergas und Generatorgas : 5 [ H , + CO] + 2 [2N 2 + CO] Wassergas
Generatorgas
+ 7H,0 — 7COa
>- 12 H 2 + 4 Ν»
I m einzelnen verläuft die Konvertierung so, daß man das Mischgas zunächst durch Berieseln mit Heißwasser mit W a s s e r d a m p f sättigt und in den W a s s e r s t o f f k o n t a k t o f e n („Konvertierungsanlage") einführt. Dieser enthält zwei getrennte Kontakträume, in denen der zur Umsetzung erforderliche K a t a l y s a t o r (Eisenoxydkontaktmassen) auf fünf übereinander angeordneten durchlochten Eisenblechen ausgebreitet ist (vgl. Fig. 77). I m ersten K o n t a k t r a u m wird bei 650 bis 580° der größte Teil des Kohlenoxyds umgesetzt, im zweiten bei 400 bis 420° der Kohlenoxydgehalt des Gases noch weiter, bis auf etwa l°/ 0 , -'Hontaktofen heruntergedrückt. Moderne Kontaktofensysteme verarbeiten 6000 m 3 Gas/Stunde, erfordern wenig Bedienung und laufen J a h r e hindurch ununterHontaktmasse brochen. Das abgekühlte Konvertgas gelangt in einen Gasbehälter, aus welchem es von Kompressoren angesaugt, auf 25 Atm. komprimiert und in die Wascht ü r m e der D r u c k w a s s e r r e i n i g u n g ( , , l f o A Z e t i s ä w r e wäscher") gedrückt wird. Hier löst sich das bei der
Futterrohr aus -'"u/e/ctiem Eisen
OJärmeaustauschrohre
Mantel aus EdetstaM Mante/ aus gewö/int/chem Staht
N2+ H2 — :
U/asserstoffdi/rcMass
• NH,
Fig. 78. Kontaktofen f ü r die Ammoniaksynthese
Fig. 79.
Querschnitt durch einen K o n t a k t o f e n f ü r die Ammoniaksynthese
Konvertierung nach (2) gebildete Kohlendioxyd bis auf etwa 1 % heraus. Zur Entfernung des restlichen Kohlendioxyds und des Kohlenoxyds (Kohlenoxyd ist wie Schwefelwasserstoff ein K a t a l y s a t o r g i f t ) komprimiert man n u n das Gas weiter auf 200 Atm. und drückt es durch m i t a m m o n i a k a l i s c h e r K u p f e r ( I ) - c h l o r i d l ö s u n g (vgl. S. 435) berieselte Waschtürme („Kohlenoxydwäscher"). Hierbei wird das Kohlendioxyd bis auf 1 / 1 0 °/o> das Kohlenoxyd bis auf
222
Die Stiokstoffgruppe
einige 1 / 1 0 0 °/o herausgeholt. Die Entfernung der letzten Spuren Kohlendioxyd erfolgt durch Waschen mit konzentriertem Ammoniakwasser.
Synthese des Ammoniaks. Die Synthese des Ammoniaks aus dem nun vorliegenden reinen Stickstoff-Wasserstoff-Gemisch wird bei 600° und 200 Atm. in 12 m hohen Stahlrohren („Ammoniak-Kontaktöfen") von 1 m Durchmesser (Fig. 78) durchgeführt. Diese enthalten ein System von W ä r m e - a u s t a u s c h r o h r e n , welche von insgesamt etwa 2 m 3 Kontaktmasse (Eisen, Aluminiumoxyd und etwas Alkali; vgl. S. 110) umgeben sind. In den Wärme-austauschrohren nimmt das eintretende Gas die Reaktionswärme (1) des austretenden, bereits umgesetzten Gases auf und gelangt dann vorgewärmt in den K o n t a k t r a u m , wo sich unter W ä r m e e n t w i c k l u n g die Ammoniakbildung (1) vollzieht. Eine Zusatzheizung ist dementsprechend während des Betriebes nicht erforderlich. Die Berührungszeit zwischen Kontaktmasse und Gas beträgt nur x / 2 Minute. Daher wird nicht die volle Gleichgewichtsausbeute 18%), sondern nur eine Ausbeute von etwa 1 1 % Ammoniak erreicht. Man entzieht dem aus dem Ofen kommenden Gas das Ammoniak durch W a s s e r k ü h l u n g (Verflüssigung des Ammoniaks) bzw. durch A b s o r p t i o n mit W a s s e r („Ammoniakwäscher"). Das Restgas wird nach Ersatz der umgesetzten Wasserstoff-Stickstoff-Menge durch Frischgas im Kreislauf wieder dem Ammoniak-Kontaktofen zugeführt. Große Schwierigkeiten bereitete bei der Einführung des Ammoniaksyntheseverfahrens in die Technik die Frage des O f e n m a t e r i a l s , da ja der Ofen bei dem hohen Druck von 200 Atmosphären und der hohen Temperatur von 500° gegenüber dem leicht diffundierenden und leicht brennbaren W a s s e r s t o f f dicht und widerstandsfähig sein muß. Die kleinen S t a h l r o h r e der ersten Versuche platzten nach wenigen Stunden Betriebsdauer, da der Wasserstoff den — die Härte des Stahls bedingenden (S. 511) — K o h l e n s t o f f unter den Reaktionsbedingungen der Ammoniaksynthese in gasförmiges M e t h a n verwandelte (C + 2H 2 —>- CH 4 ). Die Schwierigkeit wurde von CARL BOSCH (S. 219) dadurch gelöst, daß er in das Stahlrohr ein Futterrohr aus k o h l e n s t o f f a r m e m , w e i c h e m E i s e n einzog (Fig. 79). Dieses legt sich im Betrieb der äußeren Wand so dicht an, daß ein Reißen nicht zu befürchten ist. Um dem hindurchdiffundierenden Wasserstoff die Möglichkeit zu geben,; nach außen zu entweichen, ist der äußere Stahlmantel mit dünnen Bohrungen versehen.
Andere Verfahren der Ammoniaksynthese unterscheiden sich vom „HABER-BOSCHVerfahr en" in der Herstellung der Ausgangselemente und in der Wahl von Temperatur und Druck. So arbeitet ζ. B. das „CASALE-V erfahren" (Frankreich, Italien) bei 800 at und 500°, das „FAUSES-Verfahren" (Frankreich, Italien) bei 250 at und 500°, das „CLAUDE-Verfahren"
(Frankreich) bei 1000 at und 500°, das
(Deutschland) bei 90 at und 400°.
„MONT-CENIS-Verfahren"
Aus Gaswasser Neben der Ammoniaksynthese, nach der rund 7 0 % der Welterzeugung an Ammoniak hergestellt werden, spielt noch die Gewinnung von Ammoniak aus dem Gaswasser der Gasanstalten und Kokereien (S. 302f.) eine technische Rolle. Man gewinnt es aus dieser Flüssigkeit durch Kochen in Gegenwart von K a l k m i l c h Ca(OH)2, wobei das gelöste Ammoniak entweicht und die enthaltenen Ammoniumsalze NH 4 X unter Bildung von Ammoniak zersetzt werden : NH 4 · + OH'
NH, +
H20.
Auch im L a b o r a t o r i u m kann man in dieser Weise durch Einwirkung von Basen auf Ammoniumsalze Ammoniak erzeugen (vgl. S. 224). Die Darstellung yon Ammoniak durch Umsetzung von K a l k s t i c k s t o f f (S. 398) W a s s e r unter Druck: CaCN, + 3 H , 0 — > CaCOs + 2NH 3 ,
mit
welche im ersten Weltkriege erhebliche Bedeutung besaß („Kalkstickstoffverfahren" von ROTHEFRANK-CARO), wird heute kaum noch durchgeführt, da die Ammoniaksynthese billiger ist.
223
Der Stickstoff
Aus dem gleichen Grande spielt die Gewinnung von Ammoniak durch H y d r o l y s e von Nit r i d e n wie Magnesium- oder Aluminiumnitrid (,J3ERPEK-Verfahren")·. 2 A1N + 3 H 2 0 - ->- A1 2 0 3 + 2 NH S technisch heute keine Rolle mehr.
In den Handel kommt Ammoniak verflüssigt in Stahlbomben und wassergelöst in Form von 25—35%igem „konzentriertem Ammoniak". Physikalische Eigenschaften Ammoniak ist ein farbloses Gas von charakteristischem, zu Tränen reizendem Geruch. Es ist entsprechend seinem Molekulargewicht (M = 17) wesentlich leichter als Luft (M «i 29) und läßt sich, da seine kritische Temperatur sehr hoch — bei 132.4° — liegt (kritischer Druck 112 at, kritische Dichte 0.236), leicht zu einer farblosen, leichtbeweglichen, stark lichtbrechenden Flüssigkeit verdichten, welche bei —33.4° siedet und bei —77.7° zu weißen, durchscheinenden Kristallen erstarrt. Die hohe Verdampfungswärme (327 cal/g beim Siedepunkt, 302 cal/g bei 0°) bedingt seine Verwendung in der Kälteindustrie (ζ. B. zur Erzeugung von künstlichem Eis). In Wasser ist Ammoniak außerordentlich leicht löslich; 1 Raumteil Wasser löst bei 0° 1176Raumteile, bei 20° 702 Raumteile Ammoniak. Die Lösung reagiert schwach basisch (s. unten). Flüssiges Ammoniak ist ein gutes Lösungsmittel für viele Stoffe, ζ. B. Salze. Letztere unterliegen dabei wie in Wasser der elektrolytischen Dissoziation. Chemische Eigenschaften Ammoniak ist bei gewöhnlicher Temperatur b e s t ä n d i g , zerfällt aber beim E r wärmen in Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n in Umkehrung der Synthesegleichung (1) — S. 219 — bis zum Gleichgewichtszustand in seine E l e m e n t e : 22.1 kcal + 2 N H
3
~
>
N2 +
3H 2 .
Ebenso zersetzt sich Ammoniak beim B e l i c h t e n mit ultraviolettem Licht. An der Luft läßt sich Ammoniak zwar entzünden, brennt aber nicht weiter. In Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n kann die V e r b r e n n u n g von Ammoniak-LuftGemischen schon bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen (300 bis 500°) erreicht werden; hiervon macht man bei der technischenSalpetersäuregewinnung (S.234f.) Gebrauch: 4NH 3 + 5 0 2 — 4 N O + 6 H 2 0 + 279kcal. In r e i n e m S a u e r s t o f f verbrennt Ammoniak mit fahlgelber Flamme hauptsächlich zu S t i c k s t o f f und W a s s e r : 2NH 3 + l x / 2 0 2
N a + 3 H 2 0 + 183 kcal.
Bei hohem Druck sind solche Ammoniak-Sauerstoff-Gemische explosibel. Auch durch andere Oxydationsmittel als Sauerstoff — ζ. B. Wasserstoffperoxyd, Chromsäure, Kaliumpermanganat — wird Ammoniak l e i c h t o x y d i e r t . Leitet man Chlorgas in Ammoniakgas ein, so entzündet es sich unter Bildung von Stickstoff und Chlorwasserstoff (vgl. auch S. 227): 2NH 3 + 3 C 1 2 — > - N 2 + 6HCl;
der Chlorwasserstoff reagiert dabei unter Bildung von Salmiaknebeln (NH3 + HCl —>NH4C1; S. S. 224) weiter. Die Wasserstoffatome des Ammoniaks können durch M e t a l l a t o m e ersetzt werden. Man kommt so zu den Amiden Me I NH 2 ,1miden Me|NH und Nitriden MeJN. Unter den Amid en seien die der Alkali- und Erdalkalimetalle erwähnt, die sich durch Einwirkung von Ammoniak auf die erhitzten Metalle gewinnen lassen (vgl. S. 439) : Me11 + 2 N H 3 = ^ M e n ( N H 2 ) 2 +
H2.
224
Die Stickstoffgruppe
Sie werden von Wasser lebhaft unter Rückbildung von Ammoniak und Bildung von Lauge zersetzt (MeNH 2 + HÖH ->• MeOH + NH 3 ). Beim Erhitzen gehen sie in I m i d e über; so entstehen ζ. B . die Erdalkali-imide in dieser Weise aus den Erdalkali-amiden: MeIT(NH2)2
Me n NH + NH 3 .
Bei noch stärkerem Erhitzen verwandeln sich die Imide in N i t r i d e : 3Me n NH —>- Me^Nü + NH 3 . Beispielsweise verbrennt Magnesium im Ammoniakgas unter Bildung von Magnesiumnitrid Mg 3 N 2 . Auch durch direkte Vereinigung der Elemente sind viele Nitride darstellbar: TT , _T H-., 3Me + N2 — > Me a Nj. Die charakteristischste Eigenschaft des Ammoniaks ist seine b a s i s c h e W i r k u n g . Löst man Ammoniak in Wasser auf, so zeigt die Lösung schwach basische Eigenschaften, die auf die Fähigkeit des Ammoniaks zurückgehen, Protonen unter Bildung von „Ammonium-ionen" NH4" aufzunehmen (S. 172) : NHj + HÖH NH4· + OH'. (3) Das Gleichgewicht der Reaktion hegt ganz auf der l i n k e n S e i t e ; daher kann man ja (vgl. S. 222) umgekehrt durch Einwirkung von Basen (OH') auf Ammonium Verbindungen (NH 4 ) Ammoniak erzeugen. Die Gleichgewichtskonstante der Reaktion (3) CNH · X C q j ' • · („Dissoziationskonstante" des Ammoniaks) hat den Wert Κ = — 1.75 X IO - 5 eKH, (18°). Danach ist also eine 0.1-molare wässerige Ammoniaklösung bei Zimmertemperatur nur zu rund l°/ 0 gemäß (3) in Ionen dissoziiert, während eine gleichkonzentrierte Kaliumhydroxydlösung praktisch vollständig ionisiert ist. Stärker ausgeprägt ist das basische Verhalten gegenüber s t ä r k e r e n S ä u r e n . So reagiert ζ. B . Ammoniakgas heftig mit Chlorwasserstoffgas unter Bildung weißer, fester Nebel von A m m o n i u m c h l o r i d NH 4 C1: NH3 + HCl — N H 4 · + Cl'. Ebenso bildet es mit Salpetersäure leicht A m m o n i u m n i t r a t NH 4 N0 3 und mit Schwefelsäure A m m o n i u m s u l f a t (NH 4 ) 2 S0 4 . Das Gleichgewicht liegt in allen diesen Fällen ganz auf der Seite der A m m o n i u m v e r b i n d u n g e n . In ihren Eigenschaften gleichen diese Ammoniumsalze (S. 421 ff.) weitgehend den Alkalisalzen. ß . Hydrazin Darstellung. Die Darstellung von Hydrazin erfolgt am bequemsten durch O x y d a t i o n v o n A m m o n i a k : NH 3 + NH 3 J 1 ^ 0 >-NH 2 — NH 2 . Als Oxydationsmittel benutzt man dabei zweckmäßig N a t r i u m h y p o c h l o r i t . Als Zwischenprodukt tritt bei der Reaktion Chloramin NH2C1 auf: HaN|H + HO ÍC1 — H
2
0 + H2NC1,
das sich in Gegenwart starken Alkalis (Bindung des abzuspaltenden Chlorwasserstoffs) mit Ammoniak unter Bildung von H y d r a z i n umsetzt: H2NÌC1 + HINK, — N H 2 — N H 2 + HCl. Durch Spuren von S c h w e r m e t a l l s a l z e n wird die Weiteroxydation des Ammoniaks bzw. des Chloramins oder Hydrazins zu S t i c k s t o f f katalysiert. Daher setzt man bei der Reaktion L e i m oder K o m p l e x b i l d n e r zu, welche die in den Reagentien stets vorhandenen Schwermetallspuren b i n d e n .
Der Stickstoff
225
Die Abscheidung des Hydrazins aus der Reaktionslösung erfolgt zweckmäßig als S u l f a t N 2 H 4 · H 2 S 0 4 (s. unten), weil dieses verhältnismäßig s c h w e r l ö s l i c h ist und sehr gut kristallisiert. Zur Entfernung der Schwefelsäure und Darstellung des f r e i e n Hydrazins muß dieses Sulfat mit konzentrierter K a l i l a u g e erwärmt werden, wobei zunächst Hydrazin-hydrat N 2 H 4 · H 2 0 (Sdp. 120°; Smp. — 40°) als schwerbewegliche, an der Luft rauchende, fischartig riechende und alkalisch reagierende Flüssigkeit übergeht. Die E n t w ä s s e r u n g dieses Hydrats gelingt durch Erhitzen mit festem N a t r i u m h y d r o x y d , wobei das wasserfreie Hydrazin übergeht. Physikalische Eigenschaften. Reines Hydrazin stellt bei Zimmertemperatur eine farblose, bei Luftabschluß beständige, an der Luft ziemlich stark rauchende Flüssigkeit von eigentümlichem, schwach an Ammoniak erinnerndem Geruch dar. Der Siedepunkt liegt bei 113.5°, der Schmelzpunkt bei 1.4°. Es läßt sich zunächst ohne Zersetzungserscheinungen erwärmen; erst bei höheren Temperaturen tritt — gegebenenfalls e x p l o s i o n s a r t i g — Zerfall linter Bildung von S t i c k s t o f f und A m m o n i a k ein: 3N2H4 — ^ 4NH3 + N 2 . An erhitzten Platin- oder Wolframdrähten entsteht infolge teilweisen katalytischen Zerfalls des Ammoniaks auch Wasserstoff. Hydrazinhydrat kann in paraffinierten, verschlossenen Flaschen jahrelang unzersetzt aufbewahrt werden. Chemische Eigenschaften. Als B a s e bildet das Hydrazin wie das Ammoniak Salze. Man nennt diese in Analogie zu den Ammoniumsalzen Hydrazoniumsalze. Da das Hydrazin (b) zum Unterschied vom Ammoniak (a) zwei freie Elektronenpaare aufweist, an welche sich Protonen anlagern können: H :N: H H (a)
H H :N:N:, H H (b)
bildet es zwei Reihen von Salzen, nämlich solche mit 1 und solche mit 2 Äquivalenten Säure: HN2—NH2 + HCl >- [NH3—NH2]C1 Hydrazonium-monochlorid, NH2—OTE,, + 2HCl -—[NH 3 -NH 3 ]C1 2 Hydrazonium-dichlorid. Besonders charakteristisch ist das oben schon erwähnte Hydrazonium-sulfat['N2Ils] S0 4 , das in kaltem Wasser schwer, in heißem Wasser leicht löslich ist und daher leicht umkristallisiert werden kann. Es bildet farblose, dicke, glänzende Tafeln. Da Hydrazin eine s c h w ä c h e r e B a s e als Ammoniak ist, sind die Hydrazoniumsalze s t ä r k e r h y d r o l y t i s c h g e s p a l t e n als die Ammoniumsalze. Sowohl das freie Hydrazin als auch seine wässerige Lösung wirken s t a r k reduzierend. So oxydiert sich z. B. das freie Hydrazin schon an der L u f t allmählich zu Stickstoff und Wasser (N2H4 + 0 2 — N 2 + 2 H 2 0 ) und reagiert heftig mit den H a l o genen unter Bildung von Stickstoff und Halogenwasserstoff (N2H4 + 2 X 2 —>- N 2 + 4 H X ) . Die wässerige, alkalische Lösung fällt aus Lösungen von Kupfer(II)-salzen Kupfer(I)-oxyd, aus Lösungen von Quecksilber- oder Silbersalzen bei gewöhnlicher Temperatur die Metalle; als Oxydationsprodukt des Hydrazins tritt dabei S t i c k s t o f f auf. S a l p e t r i g e S ä u r e oxydiert Hydrazin in stark saurer Lösung zu S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e (S. 226). γ. Stickstoffwasserstoffsäure Barstellang. Die Stickstoffwasserstoffsäure besitzt die Formel N 3 H und die Konstitution Ν Ξ Ν = ΝΗ. Die Elektronenformel läßt sich nicht eindeutig festlegen. H o l l e m a η - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
15
226
Die Stickstoffgruppe
Wahrscheinlich handelt es sich um einen Z w i s c h e n z u s t a n d („Mesomerie" ; „Resonanz") zwischen den beiden nur in ihrer Elektronenanordnung voneinander verschiedenen („elektronen-isomeren", „elektromeren", „mesomeren") G r e n z f o r m e l n :N : : : N : Ñ : H - < — ^ : Ñ : : N : : N : H (vgl. S. 229f. und II, S. 264), die sich beide durch die obige Valenzstrichformel (S. 225) wiedergeben lassen (vgl. S. 156). In der Stickstoffwasserstoffsäure sind demnach 3 Stickstoffatome miteinander verknüpft. Zur Darstellung der Säure geht man daher zweckmäßig von Verbindungen aus, in denen bereits 2 Stickstoffatome miteinander verbunden sind. Als solche kommen in Frage: D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 und H y d r a z i n N 2 H 4 . I n beiden Fällen muß noch ein drittes Stickstoffatom eingeführt werden. I m Falle des D i s t i c k s t o f f o x y d s geschieht dies zweckmäßig so, daß man das trockene N 2 0 bei 190° auf N a t r i u m a m i d einwirken läßt: Ν ξ Ν = = 0 + HjiNNa ^ Z t . N=N=NNa + H 2 0. Man erhält dabei das N a t r i u m s a l z der Stickstoffwasserstoffsäure (Natriumazid). Die Reaktion verläuft im Sinne der obigen Reaktionsgleichung glatt von links nach rechts, da das Wasser aus dem Reaktionsgemisch durch Umsetzimg mit noch unverändertem Natriumamid (NaNH 2 + HÖH —>- NaOH + NH 3 ) sofort entfernt wird. Aus dem Natriumsalz läßt sich die f r e i e S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e durch Destillation mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e und anschließendes E n t w ä s s e r n des Destillats mit C a l c i u m c h l o r i d als rund 90%ige Säure gewinnen. Die Umwandlung von H y d r a z i n in Stickstoffwasserstoffsäure gelingt durch Einwirkung von s a l p e t r i g e r S ä u r e : NJH 4 '+ 0 ? ;NH — > N3H + 2H 2 0. Physikalische Eigenschaften. Die wasserfreie Stickstoffwasserstoffsäure ist eine farblose, leichtbewegliche, bei 37° siedende und bei —80° erstarrende Flüssigkeit von durchdringendem, unerträglichem Geruch. Chemische Eigenschaften. Die Stickstoffwasserstoffsäure ist eine s c h w a c h e S ä u r e von der Stärke etwa der Essigsäure. Ihre Dissoziationskonstante beträgt bei Zimmertemperatur 1.2 XlO - 5 ; eine 0.1-normale Lösung ist demnach zu etwa l°/ 0 dissoziiert. Die S a l z e der Stickstoffwasserstoffsäure (Azide) ähneln in ihren äußeren Eigenschaften bisweilen denen der S a l z s ä u r e . So fällt z. B. aus schwach saurer Lösung bei Zugabe von Silbernitrat ein käsiger Niederschlag von S i l b e r a z i d AgN 3 aus, der dem Silberchlorid AgCl täuschend ähnlich sieht; das Q u e c k s i l b e r ( I ) - s a l z HgN 3 und das B l e i salz Pb(N 3 ) 2 sind wie die analogen Chloride HgCl und PbCl 2 in Wasser unlöslich bzw. schwerlöslich. Das A m m o n i u m a z i d NH 4 N 3 = N 4 H 4 und das H y d r a z o n i u m a z i d NjjHjNe = N 5 H 5 sind wegen ihrer Zusammensetzung als reine Stickstoff-WasserstoffVerbindungen erwähnenswert. Eine der hervorstechendsten Eigenschaften der Stickstoffwasserstoffsäure ist der — durch Erhitzen oder durch Schlag leicht auszulösende — e x p l o s i o n s a r t i g e Z e r fall in Stickstoff u n d W a s s e r s t o f f : 2N3H 3N2 + H2 + 126 kcal. Bei diesem Zerfall werden g r o ß e W ä r m e m e n g e n frei. Auch die S c h w e r m e t a l l s a l z e , z. B. Bleiazid und Silberazid, detonieren bei stärkerem Erhitzen, besonders aber auf Schlag sehr heftig. Daher benutzt man Bleiazid in der Sprengteehnik zur Einleitung der Detonation („Initialzündung") von Schieß- und Sprengstoffen. Die A l k a l i und E r d a l k a l i - a z i d e lassen sich unzersetzt schmelzen und verpuffen erst bei stärkerem Erhitzen unter Stickstoffabgabe : 2NaN 3 —>- 2 Na + 3N 2 . Man kann diese
Der Stickstoff
227
Zersetzungsreaktion zur R e i n d a r s t e l l u n g von A l k a l i - und E r d a l k a l i m e t a l l e n im Laboratorium benutzen. Die Stickstoffwasserstoffsäure ist ein verhältnismäßig starkes O x y d a t i o n s m i t t e l . Daher löst sie wie die Salpetersäure eine Reihe von Metallen ( z . B . Zink, Eisen, Mangan, Kupfer) o h n e W a s s e r s t o f f e n t w i c k l u n g auf: Me + 3HNS — > - Me(N3)2 + N2 + NH 3 . Als Reduktionsprodukt der Stickstoffwasserstoffsäure entstehen dabei S t i c k s t o f f und A m m o n i a k (Me + 2ΗΝ 3 — > - Me(N3)2 + 2 H ; U N · N 2 + 2 H · — N H 3 + N 2 ). Gegenüber stärkeren Oxydationsmitteln wirkt die Stickstoffwasserstoffsäure als R e d u k t i o n s m i t t e l . So oxydieren z . B . C e r ( I V ) - s a l z e die Säure quantitativ zu Stickstoff, was man zur Analyse der Verbindung benutzen kann. S a l p e t r i g e S ä u r e führt sie in Stickstoff und Distickstoffoxyd über : HN3 + HN0 2 — » . N 2 0 + N2 + H 2 0.
b. Halogenverbindungen des Stickstoffs
Der Stickstoff bildet zwei Klassen reiner H a l o g e n v e r b i n d u n g e n , von der Zusammensetzung NX3 und N3X. Die ersteren leiten sich vom A m m o n i a k , die letzteren von der S t i c k s t o f f w a s s e r s t o f f s ä u r e ab. Außerdem bildet er noch Sauerstoff-Halogen-Verbindungen, des Typus NOX („Nitrosylhalogenide"; NOF, farbloses Gas, Smp. —132.5°, Sdp. —59.9°; NOCI, rotgelbes Gas, Smp. — 61.5°, Sdp. —5.8°; NOBr, schwarzbraune Flüssigkeit, Smp. —55.5°, Sdp. +19°), des Typus NO¿X („Nitrylhalogenide"; N0 2 F, farbloses Gas, Smp. - 1 6 6 ° , Sdp. - 7 2 . 4 ° ; N02C1, farbloses Gas, Smp. —145°, Sdp. —15.0°) und des Typus NO3X („Nitroxyhalogenide" ; N0 3 F, farbloses Gas, Smp. —175°, Sdp. —45.9°). Sie leiten sich von der salpetrigen Säure NO(OH) und Salpetersäure N0 2 (0H) durch Ersatz der Hydroxylgruppe bzw. des Wasserstoffatoms durch ein Halogenatom ab. Die Halogenverbindungen des Typus NXj lassen sich ganz allgemein durch Einwirkung von — gewöhnlichem oder aktiviertem — Halogen auf Ammoniak herstellen: NH3 + 3 X j — N X 3 + 3 H X . (1) So erhält man Fluorstickstoff NF 3 durch Umsetzung von Fluor mit Ammoniak (NH3 + 3F 2 NF 3 -f 3 HF) oder durch elektrolytische Zersetzung von geschmolzenem, wasserfreiem Ammoniumhydrogenfluorid (F" >- F + θ ; NHS + 6 F ν NF 3 + 3HF), Chlorstickstoff NC13 durch Einwirkung von Chlorgas auf eine konzentrierte Ammoniumchloridlösung (NH3 + 3C12-—>- NC13 + 3 HCl) oder durch Elektrolyse einer gesättigten Ammoniumchloridlösung (Cl>- C1+ © ; N H 3 + 6C1 NC1 3 + 3HCl), Bromstickstoff NBr3 (in Form eines Ammoniakats NBr s · 6 NH3) durch Zusammenleiten eines Brom- und Ammoniakstroms bei 100° (NH3 + 3Br 2 -—>- NBr3 + 3HBr) oder durch Einwirkung einer elektrischen Glimmentladung auf ein Brom-Ammoniak-Gemisch (Br 2 >- 2Br; NH3 + 6Br >- NBr3 + 3HBr) und Jodstickstoff NJ 3 (in Form von Ammoniak-Additionsverbindungen wie NJ 3 · NH3) durch Einwirkung von Jod auf wässerige oder alkoholische Ammoniaklösungen (NH3 + 3 J 2 >NJ 3 + 3HJ) oder (in freiem Zustande) durch Überleiten von Ammoniak über Kalium-dibromjodid KJBr 2 (KJBr 2 KBr + J B r ; NH3 + 3 J B r NJ 3 + 3 HBr). Physikalische Eigenschaften. Fluorstickstoff ist ein farbloses, in Wasser und Kalilauge praktisch unlösliches Gas, welches sich durch starke Abkühlung zu einer klaren, leicht beweglichen Flüssigkeit (Smp. —208.5°, Sdp. —129.0°) verdichten läßt und eine positive Bildungswärme von 26 kcal/Mol besitzt. Chlorstickstoff stellt ein dunkelgelbes, stechend riechendes, in Schwefelkohlenstoff und Benzol mit gelber Farbe lösliches öl (Smp. —91.7°) mit einer stark negativen Bildungswärme (—54.7 kcal/Mol) dar. B r o m s t i c k s t o f f ist bis jetzt noch nicht in freiem Zustande, sondern nur in Form eines Hexa-ammoniakats ΝΒΓ3·6ΝΗ3 bekannt, eines intensiv roten, in Äther und flüssigem Ammoniak unter Bildung farbloser Lösungen löslichen festen Körpers . J o d s t i c k s t o f f ist ein schwarzes, festes Produkt mi t stark negati verBildungs wärme. Chemische Eigenschaften. Entsprechend seiner positiven Bildungswärme ist der Fluorstickstoff nicht besonders reaktionsfähig. Erst bei mehr oder minder starkem Erwärmen reagiert er mit Metallen (ζ. B. Li, Na, K, Cu, Ag, Mg, Ca, Ba, Zn, Cd, Hg, Sn, Pb) und Nichtmetallen (ζ. B. H¡¡, B, Si, As, Sb) unter Fluoridbildung. Die Reaktion mit Wasserstoff erfolgt bei Zündung durch einen Funken mit scharfem Knall und rötlich-violettem Leuchten: 2NF 3 + 3H 2 — N 2 + 6HF. 16*
228
Die Stickstoffgruppe
Ebenso setzt beim Entzünden eines Fluorstickstoff-Wasserdampf-Gemischs unter bläulicher Flammenerscheinung eine langsame Reaktion ein, die zur Bildung von Fluorwasserstoff und salpetriger Säure (Stickstoffoxyd, Stickstoffdioxyd und Wasser; vgl. S. 232) führt: NjFj, + 3 H ; 0 H
>-N(OH) 3 + 3 H F .
Ganz anders setzt sich der C h l o r s t i c k s t o f f mit Wasser um; hier treten die Hydroxylgruppen an das Halogen und die Wasserstoffatome an den Stickstoff, so daß Ammoniak und unterchlorige Säure entstehen (vgl. S. 161): NjCl¡ + 3 H 0 j H
NH 3 +
3H0C1.
Da die Reaktion umkehrbar ist, kann man rückwärts durch Einwirkung von Hypochlorit auf wässerige Ammoniak- oder Ammoniumsalzlösungen Chlorstickstoff darstellen. Entsprechend seiner stark negativen Bildungswärme ist der Chlorstickstoff viel unbeständiger und reaktionsfähiger als der Fluorstickstoff. So explodiert er äußeret heftig beim Erwärmen auf über 90°, bei Erschütterungen oder bei Berührung mit vielen chlorierbaren organischen Substanzen (ζ. B . Terpentinöl, Kautschuk). Mit Chlorwasserstoff reagiert Chlorstickstoff in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) unter Bildung von Chlor und Ammoniak: NCI3 + 3 HCl >- NH 3 + Schi, mit Ammoniak unter Bildung von Stickstoff und Chlorwasserstoff: NC1„ + N H 3 — - ν N 2 + 3HCl. Noch reaktionsfähiger ist B r o m s t i c k s t o f f , der in Form seines Ammoniakats unter Freiwerden von Ammoniak bereits bei —67° schlagartig in Stickstoff und Bromwaeserstoff (als Ammoniumbromid) übergeht: ^ + ^ ^ + 3HBr J o d s t i c k s t o f f explodiert in trockenem Zustande bereits bei der geringsten Berührung und gehört daher zu den gefährlichsten chemischen Substanzen. I m feuchten Zustande ist er etwas weniger explosiv. Die Halogen Verbindungen des Typus N3X entstehen bei der Einwirkung von H a l o g e n oder u n t e r h a l o g e n i g e r S ä u r e auf A z i d e : AgN 3 + J 2 >- J N 3 + A g J , NaN 3 - f NaOCl + H Ö H — > C1NS + 2 N a O H . C h l o r a z i d C1N3 ist ein farbloses, explosives Gas, B r o m a ^ i d BrN 3 eine farblose, explosive Flüssigkeit und J o d a z i d J N S ein farbloser, äußerst explosiver fester Körper.
c. Oxyde des Stickstoffs Stickstoff bildet sechs Oxyde des Typus N 2 0„ (n = 1, 2, 3, 4, 5 und 6) : N 2 0, (N 2 0 2 ), N 2 0 3 ) N 2 0 4 j N2Ob, N2Oe, wie aus folgender Tabelle hervorgeht, in der die Verbindungen nach steigender Oxydationszahl des Stickstoffs angeordnet sind 1 : Oxydationszahl
Oxyde der Formel N , 0 n
— 1 ± 0 +1
+ 2 + 3
+ 4 + 5
( + 6)3 ( + 7) 3
Säuren d es Typus H , N 0 „ (HNO n - l )
For mei Orthoform
Metaform
Hydroxylamin
H„N0 N2O
(N.O.) TZ; 2 NO N2O$ N,0 4 -ΤΪ 2NO, N2O6 (NsO„
2N0j)
Name
Salze Hydroxy lamide
H S NO,
HNO
Untersalpetrige Säure 2 Hyponitrite 2
Η,ΝΟ,
HNO,
Salpetrige Säure
Nitrite
H S NO 4
HNOj
Salpetersäure
Nitrate
(H s NO s )
HNO4
Peroxysalpetersäure
Peroxynitrate
Bezügl.derin der Tab. ebenfalls'aufgeführten S a u e r S t o f f s ä u r e n des Stickstoffs vgl. S . 2 3 3 Í . Vgl. Anmerkung 1, S. 241. 3 Vgl. Anmerkung 1 auf S. 194. Die W e r t i g k e i t des Zentralatoms in den obigen Peroxyverbindungen beträgt 5. 1
2
Der Stickstoff
229
Von den Sauerstoffverbindungen ist das Oxyd N 2 0 4 bei Zimmertemperatur großenteils nach N 2 0 4 2N0 2 dissoziiert; beim N 2 0 2 verschiebt sich das entsprechende Dissoziationsgleichgewicht N 2 0 2 2NO erst bei sehr t i e f e n T e m p e r a t u r e n nach links, so daß das Oxyd bei Z i m m e r t e m p e r a t u r lediglich in Form des einfachen Moleküls NO auftritt. Die Existenz der Verbindung N 2 0 6 und ihres Dissoziationsproduktes NO3 ist noch zweifelhaft. a. Distickstofí-oxyd Darstellung. Das Distickstoff-oxyd („Stickoxydul") N 2 0 läßt sich durch Umsetzung von Ammoniak und S a l p e t e r s ä u r e — trockenes Erhitzen von festem Ammoniumnitrat (NH 4 N0 3 —>- NH3 + HNO3) — darstellen : N ^ H J " ° % · , 0 — >- N = N = 0 + 2H 2 0. 1 H + HoK Man muß dabei Sorge tragen, daß die Temperatur nicht zu hoch steigt, da sonst unter Umständen ein explosionsartiger Zerfall des Ammoniumnitrats eintreten kann. Physikalische Eigenschaften. Distickstoffoxyd ist ein farbloses Gas von schwachem, süßlichem Geruch und läßt sich leicht zu einer Flüssigkeit verdichten, welche bei — 89.5° siedet und bei —102.4° zu weißen Kristallen erstarrt. Da es schwach betäubende Wirkung zeigt, kommt es in verflüssigtem Zustande in Stahlflaschen für Narkosezweeke in den Handel. In geringen Mengen eingeatmet, ruft es einen rauschartigen Zustand und eine krampfhafte Lachlust hervor („Lachgas"). In kaltem Wasser ist es ziemlich löslich : 1 Kaumteil Wasser absorbiert bei 0° 1.3052, bei 25° 0.5962 Raumteile N 2 0 ; daher muß man es bei der Darstellung über heißem Wasser oder über einer konzentrierten Kochsalzlösung auffangen. Chemische Eigenschaften. Distickstoffoxyd unterhält die Atmung nicht, so daß es bei Narkosen nur bei gleichzeitiger Sauerstoffzufuhr eingeatmet werden darf. Die Verbrennung l e i c h t entzündlicher Körper wird dagegen vom Distickstoffoxyd unterhalten. So verbrennen ζ. B. Phosphor, K o h l e oder ein glimmender Holzspan darin wie in Sauerstoff; Gemische mit W a s s e r s t o f f explodieren beim Entzünden wie Knallgas, nur etwas schwächer: N 2 0 + H2
>- N¡¡ + H 2 0 + 87.8 kcal.
Die Verbrennung ist im allgemeinen schwieriger einzuleiten als beim Sauerstoff1, weil Distickstoffoxyd bei niedrigen Temperaturen recht beständig — allerdings nur metas t a b i l (N¡¡0 N 2 + 1 / 2 0 2 + 19.5 kcal) — ist und erst bei verhältnismäßig hohen Temperaturen zu zerfallen beginnt. Besonders heftig explodieren entzündete Gemische von Distickstoffoxyd und Ammoniak: 3 N 2 0 + 2NH3 — f - 4N 2 + 3 H 2 0 + 222 kcal. Die K o n s t i t u t i o n des Distickstoffoxyds läßt sich durch die beiden mesomeren ElektronenGrenzformeln
: Ν : : : Ν : Ö : -< ν : Ñ : : N : : 0 :
(a) " " (b) zum Ausdruck bringen (S. 308 f.), die beide die Valenzstrichformel N = N = 0 ergeben (vgl. S. 156f.). Die Verhältnisse liegen hier ganz analog wie im Falle der Stickstoffwasserstoffsäure N s N = NH (S.226f.), deren Formel sich von der des Distickstoffoxyds N s N = 0 durch Ersatz des Sauerstoffatoms O durch eine Iminogruppe NH (vgl. S. 527) ableitet. Nach der ersten Elektronenformel (a) leitet sich das Distickstoffoxyd vom Stickstoff durch Anlagerung eines Sauerstoffatoms an das Stickstoffmolekül ab :
: Ν:: :Ν:+ O :
: Ν : : : Ν : O :. Die oxydierende Wirkung des Di-
1 Die analytische Unterscheidung von NaO und O, kann leicht durch Zugabe von NO erfolgen, da O, mit letzterem braune Dämpfe von NO, liefert, während N , 0 mit NO nicht reagiert.
230
Die Stickstoffgruppe
sticks toffoxyds beruht auf der Umkehrung dieses Vorgangs. Nach der zweiten Formel (b) ist das Distickstoffoxyd mit dem Kohlendioxyd : 0 : : C : : 0 : „iaoater" (vgl. S. 300). Möglicherweise spielt das kohlendioxyd-isostere D i s t i c k s t o f f o x y d N 8 0 bei der S t i c k s t o f f assimilation der Pflanzen (S. 63) eine ähnlich bedeutsame Rolle wie das K o h l e n d i o x y d CO, im Kreislauf des S a u e r s t o f f s (S. 62f.), indem der Luftstickstoff N 2 unter Mitwirkung des von den stickstoff-assimilierfähigen Pflanzen (ζ. B . Leguminosen) erzeugten „Leg-Hämoglobins" (vgl. S. 508) primär wahrscheinlich zu N s O oxydiert wird, welches dann in den Stickstoffkreislauf eintritt. ß . Stickstoffoxyd Darstellung. Verbindung :
D a s Stickstoffoxyd
{„Stickoxyd")
42.1 kcal + N 2 + 0 2
N O ist eine s t a r k 2NO
endotherme (1)
u n d l ä ß t sich daher nur bei s e h r h o h e r T e m p e r a t u r — der T e m p e r a t u r des elektrischen L i c h t b o g e n s ( — 5 0 0 0 ° C) — a u s den E l e m e n t e n erzeugen. Nachstehende Fig. 80 gibt die Ausbeuten an Stickoxyd in Vol.-°/o beim Erhitzen von Luft (4NJ + OJ) auf verschiedene Temperaturen wieder 1 . Wie daraus hervorgeht, befinden sich bei 2000° abs. rund 1 und bei 3000° abs. rund 5 Vol.-°/ 0 Stickoxyd mit Luft im Gleichgewicht. Will man daher Stickoxyd in einigermaßen befriedigenden Konzentrationen erhalten, so muß man auf über 3000° abs. erhitzen. Da nun bei solchen hohen Temperaturen die Geschwindigkeit der Einstellung des Gleichgewichts (1) ungeheuer groß ist — vgl. Fig. 81, welche für die einzelnen Temperaturen den Logarithmus der Zeit wiedergibt, in welcher eine gegebene Stickoxyd-Menge zur Hälfte zerfallen bzw. eine gegebene Stickstoff-Sauerstoff-Menge zur Hälfte in Stickoxyd umgewandelt ist (,,Halbwertszeit"; vgl. S. 554f.) —, wird sich beim Abkühlen des Reaktionsgemischs jeweils in unmeßbar kleiner Zeit das der niedrigeren Temperatur entsprechende ungünstigere Gleichgewicht einstellen. Nur durch „Abschrecken", d. h. Abkühlen mit größerer als der Zerfallsgeschwindigkeit, läßt sich der Zerfall weitgehend vermeiden, da man dann rasch in Temperaturgebiete gelangt, in denen die Gleichgewichtseinstellung langsam vor sich geht. Unter günstigsten Reaktionsbedingungen läßt sich so die einer Temperatur von 2700° abs. entsprechende Gleichgewichtskonzentration von rund 3 Vol.-°/o NO erhalten. Bei Temperaturen unter 700° zerfällt Stickoxyd als metastabiler Stoff praktisch nicht mehr (Fig. 80). Die Vereinigung von Stickstoff und Sauerstoff zu Stickoxyd („Luftverbrennung") war früher ein g r o ß t e c h n i s c h e s V e r f a h r e n zur Darstellung von S a l p e t e r s ä u r e , da man Stickoxyd durch Einwirkung von Sauerstoff und Wasser leicht in Salpetersäure überführen kann: 2 NO + H 2 0 + 1 7 2 0 2 ' — 2 H N 0 3 . Die hierfür benutzten Verfahren („BIRKE LANDEYDE-Verfahren", „8 CBÖNHE RR-Verfahren", „PAULINO-Verfahren") unterschieden sich voneinander nur durch die Art und Weise, in der eine möglichst kurze, aber innige Berührung der Gase mit dem Flammenbogen und eine schnelle Abschreckung erreicht wurden. Wegen des erheblichen Verbrauchs an elektrischer Energie blieb das Luftverbrennungsverfahren in der Hauptsache auf Länder mit billigen Wasserkräften (Norwegen, Schweiz) beschränkt. Heute ist es auch dort durch das billigere Verfahren der Ammoniakverbrennung (s. unten und S. 234f.) verdrängt worden. Lediglich das sogenannte ,,Nitrumverfahren" der Luftverbrennung (S. 235) ist in Deutschland in begrenztem Umfang noch in Betrieb. Die g r o ß t e c h n i s c h e E r z e u g u n g v o n S t i c k o x y d d u r c h k a t a l y t i s c h e A m m o niakverb rennung: 4NH S + 5 0 2 — 4 NO + 6 H 2 0 dient d e r S a l p e t e r s ä u r e g e w i n n u n g und soll d a h e r erst bei d e r Salpetersäure (S. 2 3 4 f . ) ausführlicher besprochen werden. I m L a b o r a t o r i u m gewinnt m a n S t i c k o x y d d u r c h R e d u k t i o n v o n S a l p e t e r S a U r e :
N03' + 4H· + 3 θ
NO +
2H20.
N a c h der Spannungsreihe (S. 1 6 3 ) k a n n diese R e d u k t i o n u n t e r den Normalbedingungen v o n allen Stoffen bewirkt werden, deren P o t e n t i a l n e g a t i v e r als - f 0 . 9 5 V o l t irnd — zur Vermeidung v o n Wasserstoffentwicklung — p o s i t i v e r als 0 Volt ist. 1 Die ausgezogene Kurve in Fig. 80 entspricht den Gleichgewichtskonzentrationen von NO bei den verschiedenen Temperaturen. Rechts der Kurve erfolgt somit zusätzliche NO-Bildung, links der Kurve teilweiser NO-Zerfall bis zur Erreichung der für die betreffende Temperatur gültigen Gleichgewichtskonzentration an NO.
Der Stickstoff
231
Solche Stoffe sind ζ. B. K u p f e r (Cu »- Cu" + 2Θ ; ε 0 = + 0.35 Volt), Q u e c k s i l b e r (2Hg — ν Hg 2 " + 2Θ ; ε 0 = + 0.79 Volt) und E i s e n ( I I ) - s a l z e (Fe" ε 0 = + 0.75 Volt). Die Umsetzung verdünnter Salpetersäure mit K u p f e r (3Cu + 2N0 3 ' + 8H' >• 2 N 0 + 3Cu" + 4H 2 0) ist die gebräuchliche Stickoxyd-Darstellungsmethode des L a b o r a t o riums. Die Reaktion mit Quecksilber (Schütteln von Quecksilber mit Salpetersäure und konzentrierter Schwefelsäure: 6Hg + 2N0 3 ' + 8H' >- 2NO + 3Hg 2 " + 4H 2 0) dient zur Geh a l t s b e s t i m m u n g von Salpetersäurelösungen (Messung des entwickelten StickoxydVolumens). Die Umsetzung mit E i s e n ( I I ) - s a l z e n (Unterschichtung eines Gemischs von Salpetersäure und Eisen(II)-sulfat mit konzentrierter Schwefelsäure: 3Fe" + N0 3 ' + 4H' >- NO + 3Fe°" + 2H 2 0) wird zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s von Salpetersäure benutzt, da das gebildete 10"
Zerfaitsgeschwindigkeit
nimmt
ab
|
*
'
'
I
ara*
S 1* 3
Ζ
'
1 1 1 §
NO-Zerfall
%
/
1
Í
1/2000
70-Í
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i
1100°
1000·
:
2500°
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NO-BHduno:
:
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3000° 3500° abs. Temperatur
«r®
2000°
• Temperatur
Fig. 80. Temperaturabhängigkeit der StickoxydAusbeute bei der Synthese aus Luft
Fig. 81. Halbwertszeit der Bildung und des Zerfalls von Stickoxyd
Stickoxyd mit Eisen(II)-sulfat eine tief dunkelbraun gefärbte Anlagerungsverbindung bildet (s. unten).
Physikalische Eigenschaften. Stickoxyd ist ein farbloses Gas und zu einer färblosen Flüssigkeit verdichtbar, welche bei —151° siedet und bei —163° erstarrt. In Wasser löst es sich nur wenig (0.07 Raumteile NO in 1 Raumteil Wasser bei 0°). Chemische Eigenschaften. Charakteristisch für Stickoxyd ist sein großes Bestreben, sich mit Sauerstoff zu braunem S t i c k s t o f f d i o x y d N 0 2 zu verbinden: 2NO + 0 2
2NO¡¡ + 27.1 kcal.
Sobald daher das farblose Stickoxyd mit Luft in Berührung kommt, bildet es braune Dämpfe von NO a . Da es sich um eine e x o t h e r m e Reaktion handelt, verschiebt sich das Gleichgewicht mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nach l i n k s . So kommt es, daß Stickoxyd oberhalb 650° nicht mehr mit Sauerstoff in Reaktion tritt (S. 233, 234). Mit C h l o r und B r o m reagiert Stickoxyd unter Bildung von N i t r o s y l h a l o g e n i d e n (S. 238f.) :
2 NO
+ Cl2 —>- 2NOC1 + 29 kcal.
An M e t a l l s a l z e (ζ. B. Eisen(II)-sulfat, Kupfer(II)-chlorid) lagert es sich leicht unter Bildung — vielfach gefärbter — lockerer A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n a n : NO + FeS0 4
[Fe(N0)]S0 4 ,
die sich durch Erwärmen wieder rückwärts in Stickoxyd und Metallsalz zerlegen lassen (vgl. auch S. 528f.).
232
Die Stickstoffgruppe
Durch s t a r k e O x y d a t i o n s m i t t e l , deren Potential in der Spannungsreihe p o s i t i v e r als + 0.95 Volt ist (S. 165) — ζ. B. durch Chromsäure (e0 = + 1 . 3 6 Volt), Übermangansaure (ε0 = + 1.52 Volt), unterchlorige Säure (ε0 = + 1.49 Volt) — wird Stickoxyd in Umkehrung der Bildungsgleichung (S.230) zu S a l p e t e r s ä u r e oxydiert: NO + 2HjO N. ^ NQ + ^ + 9 ß koal _ (2) Physikalische Eigenschaften. Distickstofftrioxyd ist nur bei niedrigen Temperaturen als tiefblaue Flüssigkeit beständig, welche bei —102° zu blaßblauen Kristallen erstarrt. Bereits oberhalb — 10° zerfällt es in Umkehrung der Bildungsgleichung (2) in NO und N 0 2 , so daß der Dampf bei 25° und Atmosphärendruck nur noch 10°/0 undissoziiertes N 2 0 3 enthält. Chemische Eigenschaften. Die leichte Verschiebbarkeit des Gleichgewichts (2) bedingt, daß ein Gemisch gleicher Raumteile NO und N 0 2 in chemischer Hinsicht wie die Verbindung N 2 0 3 , das Anhydrid der salpetrigen Säure (N 2 0 3 + ïï20 2HN0 2 ), wirkt. So wird ζ. B. ein solches Gemisch von Lösungen starker Basen glatt unter Bildimg von Nitriten (Salzen der salpetrigen Säure) absorbiert: NO + N0 2 + 2NaOH 2NaNOa + H 2 0, indem das nitritbildende Anhydrid N 2 0 3 nach Maßgabe des Verbrauchs immer wieder gemäß (2) nachgebildet wird. Ebenso entsteht beim Einleiten des Gemischs in Wasser salpetrige Säure (NO + N 0 2 + H 2 0 — 2 H N 0 2 ) , die aber schnell zerfällt (S. 237). δ. Stickstoffdioxyd. Distickstoff-tetroxyd Darstellung. G r o ß t e c h n i s c h wird Stickstoffdioxyd N 0 2 als Zwischenprodukt bei der Salpetersäuredarstellung (S. 234f.) erzeugt. Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man es entweder auf dem Wege über NO (2NO + 0 2 — 2 N 0 2 ) durch R e d u k t i o n v o n S a l p e t e r s ä u r e (s. S.230f. und oben) oder — besonders bequem — durch E r h i t z e n von S c h w e r m e t a l l s a l z e n der Salpetersäure, besonders B l e i n i t r a t : Pb(N03)2 s- PbO + 2NOj + V 2 0 2 . Physikalische Eigenschaften. Stickstoffdioxyd ist ein braunrotes, charakteristisch riechendes und stark giftiges Gas, das sich leicht verflüssigen läßt. Die Flüssigkeit ist kurz unterhalb des Siedepunktes (22.4°) rotbraun, wird beim Abkühlen immer heller und schließlich farblos und erstarrt bei —10.2° zu farblosen Kristallen. Erwärmt man umgekehrt das Gas von Zimmertemperatur ausgehend, so nimmt die Intensität der
Der Stickstoff
233
braunroten Farbe zu. Die Farbänderung rührt daher, daß sich das braune Stickstoffdioxyd N 0 2 im Gleichgewicht mit farblosem Distickstoff-tetroxyd („Stickstofftetroxyd") N , 0 , befindet: ^ 2N0¡¡ N 2 0 4 + 14.7 kcal (3) brann
farblos
und daß sich das Gleichgewicht (3) entsprechend der p o s i t i v e n Wärmetönung mit s t e i g e n d e r T e m p e r a t u r nach l i n k s , mit f a l l e n d e r T e m p e r a t u r nach r e c h t s verschiebt. Und zwar sind bei 27° 2 0 % , bei 50° 4 0 % , bei 100° 8 9 % und bei 135° 9 9 % des N 2 0 4 in N 0 2 gespalten. Bei 200° beginnt auch das Stickstoffdioxyd zu zerfallen: 2N0 2 2 NO + 0 2 ; bei 650° ist der Zerfall vollständig (S. 231). Chemische Eigenschaften. Wegen der leichten Sauerstoffabgabe ist Stickstoffdioxyd ein kräftiges O x y d a t i o n s m i t t e l , das die Verbrennung (z. B . von Kalium, Phosphor, Kohle, Schwefel) viel lebhafter als die vorher besprochenen Stickstoffoxyde N 2 0 und NO unterhält. N 2 0 4 steht in seiner Zusammensetzung zwischen dem Salpetrigsäure-anhydrid N 2 0 3 und dem Salpetersäure-anhydrid N a 0 5 (s. unten) und kann als gemischtes Anhydrid der salpetrigen und Salpetersäure aufgefaßt werden. Dementsprechend reagiert N 2 0 4 (bzw. N 0 2 ) mit A l k a l i l a u g e n unter Bildung von N i t r i t und N i t r a t : N 2 0 4 + 2NaOH >- NaN02 + NaN03 + H 2 0. Auch mit Wasser bildet es salpetrige Säure und Salpetersäure; erstere zersetzt sich dabei aber leicht in Salpetersäure und Stickoxyd (S. 237), so daß letzten Endes nur Salpetersäure entsteht (vgl. S. 234) : X 3 I 2NO, + HsO • HNO, + HNOs 3 HNOj >- HNOj + 2 NO + H 2 0 2NO + 0 2 2NO, 4NOj + 2HjO + Oa 4 HN 0 3 . e. Distickstoff-pentoxyd Distickstoff-pentoxyd (,,Stickstoffpentoxyd„Salpetersäure-anhydrid") N 2 0 5 läßt sich als Anhydrid der Salpetersäure (2HN0 3 z^zt: H 2 0 - f N 2 0 5 ) durch Behandeln von S a l p e t e r s ä u r e mit P h o s p h o r p e n t o x y d als wasserentziehendem Mittel (P 2 0 6 + H 2 0 -—ν 2 H P 0 3 ) gewinnen und bildet farblose, an der Luft zerfließliche Kristalle, welche bei 30° schmelzen. Die Verbindung ist recht unbeständig (Sdp. unter Zersetzung 47°) und zerfällt bei raschem Erhitzen, oft auch bei Zimmertemperatur ohne erkennbaren äußeren Anlaß, explosionsartig. Wie zu erwarten, besitzt sie stark o x y d i e r e n d e E i g e n s c h a f t e n und reagiert mit Wasser unter Salpetersäurebildung. d . S a u e r s t o f f s ä u r e n des S t i c k s t o f f s Stickstoff bildet vier Sauerstoffsäuren des Typus H.¡NOn („Orthoform") bzw. HN0„ i (wasserärmere „Metaform"), wobei η die Werte 1, 2, 3 und 4 annehmen kann: Hydroxylamin H 3 NO (S. 239f.), untersalpetrige Säure H 3 N0 2 bzw. HNO (S. 239f., 241), salpetrige Säure H 3 N0 3 bzw. HN0 2 (S. 237 f.) und Salpetersäure H 3 N0 4 bzw. HN0 3 (S.234ff.) (vgl.Tabelle auf S.228). Die Orthoform der salpetrigen und der Salpetersäure ist nur in Form von Salzen (ζ. B. Na 3 N0 3 und Na 3 N0 4 ) beständig; die freien Säuren gehen unter Wasserabspaltung in die Metasäuren über: N(OH)3 — N O ( O H ) und gO N0(0H) 3 —>- N0 2 (0H). Beim Phosphor, dem höheren Homologen des Stickstoffs in der 5. Gruppe des Periodensystems, sind Ortho- und Metaform beide beständig; dort wird näher auf die Bindungsverhältnisse der einzelnen Säuren eingegangen (S. 256ff., 262 f.).
Die Stickstoffgruppe
234
Weiterhin bildet der Stickstoff noch eine — nur in Form von Salzen bekannte — Säure der Zusammensetzung H 2 N 0 2 („hydrosalpetrige Säure" ; „Nitroxylsäure"1), sowie eine m i t der Salpetersäure isomere, unbeständige ,,übersalpetrige Säure" H N 0 a - 0 . +1
+2
+3
+4
+5
Die Oxyde N 2 0, NO, N 2 0 3 , N 0 2 und N 2 0 5 entsprechen in ihren Oxydationsstufen den Säuren HNO, H 2 N0 2 , HN0 2 , H N 0 2 / H N 0 3 und H N 0 3 . Jedoch kann man nur N 2 0 3 , N 0 2 und N 2 0 5 als wahre Säure-anhydride bezeichnen ; die übrigen Oxyde ergeben mit Wasser nicht die ihrer Oxydationsstufe entsprechenden Säuren. α. S a l p e t e r s ä u r e Darstellung Die t e c h n i s c h e Darstellung von Salpetersäure kann nach drei Verfahren erfolgen: 1. durch k a t a l y t i s c h e A m m o n i a k v e r b r e n n u n g , 2. durch L u f t v e r b r e n n u n g , 3. durch Umsetzimg von C h i l e s a l p e t e r mit S c h w e f e l s ä u r e . Von diesen Verfahren wird in Deutschland großtechnisch fast ausschließlich das erste durchgeführt. Katalytische Ammoniakverbrennung. Zur Darstellung von Salpetersäure nach dem VerPlatinnetz fahren der k a t a l y t i s c h e n A m m o n i a k Verb r e n n u n g („OSTWALD-Verfahr en") wird Am-
moniak mit überschüssiger Luft bei 600° k a t a l y t i s c h zu S t i c k o x y d verbrannt: 4 N H 3 + Sea
>• 4NO + 6 H 2 0 + 279 kcal, (4)
wobei sich das Stickoxyd während der Abkühlung (vgl. S. 231, 233) der Verbrennungsgase mit noch vorhandenem Sauerstoff zu S t i c k s t o f f d i o x y d N 0 2 vereinigt: Luft-
—NH,
NO + γ 2 ο 2 — >
N02,
welches in Rieseltürmen durch Zufuhr von Fig. 82. Ammoniak-Verbrennungselement zur Stickoxydgewinnung mit Platinnetz- Luft und Wasser unter teilweiser ZwischenKatalysator bildung von salpetriger Säure (S. 233) in eine 40—50°/oige S a l p e t e r s ä u r e übergeLufltNHj führt wird: 2N02 + H20 + V202 —>- 2HN03. tfurch/ochfer -Zu)ischenboden Hontaktmasse -Schamottebrodten
Fig. 83. Ammoniak-Verbrennungsofen zur Stickoxydgewinnung mit Eisen-Wismutoxyd-Katalysator 1
Vgl. Anmerkung 1, S. 241.
Zur Erzielung einer guten Ausbeute an Stickoxyd ist es erforderlich, das Ammoniak - LuftGemisch nur s e h r k u r z e Z e i t Viooo Sekunde) mit dem Katalysator in Berührung zu lassen, da sonst das — bei 600° ja nicht stabile, sondern nur metastabile (S. 230 und Fig. 80, S. 231) — Stickoxyd katalytisch in S t i c k s t o f f und S a u e r s t o f f zerfällt (2NO >• N , + O, + 42.1 kcal). Eine solche kurze Berührungszeit wird besondere einfach durch Anwendung eines Netzkatalysators ermöglicht. Fig. 82 gibt ein auf diesem Prinzip beruhendes „Ammoniak-Verbrennungselement" für kleinere Leistungen wieder. Bei diesem ist zwischen zwei konischen Aluminiumteilen ein feinmaschiges P l a t i n - oder P l a t i n - R h o d i u m n e t z (3600 Maschen je cm 2 ; Drahtstärke 0.05 mm) eingespannt,
Der Stickstoff
235
durch welches das Ammoniak-Luft-Gemisch mit großer Geschwindigkeit geleitet wird. Größere Anlagen arbeiten mit mehreren übereinander angeordneten Drahtnetzen je Verbrennungselement. Ein anderes großtechnisches Verfahren benutzt an Stelle des P l a t i n s ein körniges, mit W i s m u t o x y d versetztes E i s e n o x y d als Katalysator. Der hierbei verwendete Kontaktofen (Fig. 83) weist im Innern zwei durchlochte Zwischenböden auf, von denen der obere nur zur gleichmäßigen Verteilung des oben einströmenden, auf 250—350° vorgewärmten AmmoniakLuft-Gemischs dient, während der untere ( ~ 15 m 2 Fläche) mit einer etwa 10—15 cm hohen, auf groben Schamottebrocken ruhenden Kontaktschicht bedeckt ist. • Luft Konzentriertere als 40—50°/oige — bis 66%ig e — Sal. kreisender petersäurelösungen lassen sich erzielen, wenn man das AmF/ammenring moniak nicht mit L u f t , sondern mit S a u e r s t o f f verbrennt oder bei 5 Atmosphären D r u c k arbeitet. - Gasab/e/tung Luftverbrennung. Unter den Verfahren der LuftverbrenOfenu/and nung im Lichtbogen (vgl. S. 230) ist zur Zeit nur noch das „Nitrum- Verfahren" in Betrieb. Bei diesem wird in Elektrode Lufft einem feuerfesten, runden Ofen (Fig. 84) die zu verbrennende Luft durch drei seitliche Düsen t a n g e n t i a l einFig. 84. Stickoxyd-synthese aus geblasen, so daß beim Einschalten des elektrischen Stroms der zwischen den drei Elektroden übergehende Flammen- Luft nach dem Nitrum-Verfahren bogen die Form eines z i r k u l i e r e n d e n F l a m m e n r i n g e s annimmt. Der Flammenwirbel bewegt sich kreisend vom Rande nach der Mitte zu, und die stickoxydhaltigen Gase gehen im Zentrum des Ofens ab, um hier sofort a b g e s c h r e c k t zu werden. Umsetzung von Chilesalpeter mit Schwelelsäure. Die Umsetzung von N a t r i u m n i t r a t mit Schwefelsäure: NaN0 3 + H 2 S0 4 >- NaHS0 4 + H N 0 3 , die bis zum Anfang dieses Jahrhunderts fast ausschließlich zur Salpetersäuregewinnung benutzt wurde, spielt in Deutschland heute keine Rolle mehr.
Physikalische Eigenschaften Erhitzt man eine Salpetersäurelösung, so konzentriert sie sich, da der entweichende Dampf prozentual mehr Wasser als die Lösung enthält. Mit steigender Temperatur nimmt der relative Gehalt des Dampfes an Salpetersäure zu, bis schließlich bei· 121.8° Dampf und Lösung die gleiche Konzentration von 69.2% H N 0 3 aufweisen, so daß von hier ab der Salpetersäuregehalt der Lösung konstant bleibt. Man nennt diese Säure „konzentrierte Salpetersäure" (spez. Gewicht 1.410). Durch Vakuumdestillation mit konzentrierter Schwefelsäure als wasserbindendem Mittel läßt sich die konzentrierte Säure in wasserfreie Salpetersäure überführen. Die r e i n e , w a s s e r f r e i e S a l p e t e r s ä u r e ist eine farblose Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 1.522, die bei — 41.1° zu schneeweißen Kristallen erstarrt und bei 84° siedet. Beim Sieden — im Licht auch schon bei Zimmertemperatur — erfolgt teilweise Zersetzung unter Bildung von Stickstoffdioxyd: 2 H N 0 3 — > • H 2 0 + 2NO a + V 2 0 2 .
Das Stickstoffdioxyd bleibt in der Salpetersäure gelöst und färbt sie gelb, bei größerer Konzentration rot. Man nennt die so entstehende, an der Luft rotbraune Dämpfe ausstoßende Lösung „rote rauchende Salpetersäure". Chemische Eigenschaften Chemisch ist die Salpetersäure charakterisiert durch ihre o x y d i e r e n d e n und ihre s a u r e n Eigenschaften. Die oxydierenden Eigenschaften treten vor allem in der k o n z e n t r i e r t e n , die sauren in der v e r d ü n n t e n Säure hervor. Wie schon auf S. 230 f. erwähnt, kann die Salpetersäure unter den Normalbedingungen gegenüber allen Stoffen als O x y d a t i o n s m i t t e l gemäß NO.' + 4 H ' + 3 θ
NO + 2 H 2 0
wirken, deren Oxydationspotential negativer als + 0.95 Volt ist. So kommt es, daß ζ. B. K u p f e r (ε 0 = + 0.35 Volt), S i l b e r (ε0 = + 0.81 Volt) und Q u e c k s i l b e r (ε 0 =
236
Die Stickstoffgruppe
+ 0.79 Volt) von Salpetersäure unter Stickoxydentwicklung gelöst werden (S. 231), während z. B. G o l d (e„ = + 1.38Volt) und P l a t i n (ε0 = + 1 . 6 Volt) nicht angegriffen werden. Unter dem Namen ,,Scheidewasser" benutzt man daher die Salpetersäure zur Trennung von G o l d und S i l b e r . S c h w e f e l wird von Salpetersäure zu Schwefelsäure, P h o s p h o r zu Phosphorsäure oxydiert. Besonders stark oxydierend wirkt ein Gemisch von konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e und konzentrierter S a l z s ä u r e (1: 3 Raumteile), da es aktives Chlor entwickelt: HNO3 + 3HCl — > NOCI + 2C1 + 2H 2 0.
E s löst fast alle Metalle, auch den „König der Metalle" — das Gold — auf und heißt daher „Königswasser" {„aqua regia"). Eigentümlicherweise werden eine Reihe u n e d l e r M e t a l l e (wie Aluminium, Chrom, Eisen) von konzentrierter Salpetersäure n i c h t a n g e g r i f f e n (vgl. S. 371, 488f., 514f.). Man erklärt diese Erscheinung („Passivierung") durch die Bildung einer äußerst dünnen, zusammenhängenden O x y d h a u t , die das darunterliegende Metall vor weiterem Angriff der oxydierenden Säure schützt (vgl. S. 169). Als S ä u r e gehört Salpetersäure zu den starken Säuren, da sie in verdünnten Lösungen praktisch quantitativ in Form von Ionen vorliegt : H N 0 3 + H 2 0 z^zL· H 3 0* + N 0 3 ' . Mit abnehmendem Wassergehalt der Lösung verschiebt sich das Säuregleichgewicht nach links, entsprechend einer Zunahme der Konzentration an undissoziierter Salpetersäure. In der wasserfreien Salpetersäure findet teilweise eine der Ionenbildung inWasser analoge schwache Ionenbildung nach H N 0 3 + H N 0 3 ^ ± ; H Ü N 0 3 ' + N03'statt 1 . Das Kation H¡¡N0 3 ' heißt „Nitronium-Ion" und wird ganz allgemein gebildet, wenn Salpetersäure mit starken Säuren zusammengebracht wird (HNO s -f- H 2 S 0 4 < > lysrCY + H S 0 4 ' ; H N 0 3 + HC10 4 zjrfc H 2 N0 3 " + C104'). J e stärker dabei die zugegebene Säure ist, desto weiter liegt das Gleichgewicht auf der rechten Seite ; so ist z . B . das N i t r o n i u m - p e r c h l o r a t als solches isolierbar. Die S a l z e der Salpetersäure (Nitrate) lassen sich durch Umsetzung von S a l p e t e r s ä u r e mit den entsprechenden H y d r o x y d e n oder C a r b o n a t e n darstellen ( 2 H N O s + Na 2 C0 3 —>- 2 N a N 0 3 + H 2 0 + C0 2 ; H N 0 3 + K O H — K N 0 3 + H 2 0 ) und sind alle in Wasser leicht löslich. Beim Erhitzen zersetzen sie sich unter Sauerstoffabspaltung. Die A l k a l i n i t r a t e gehen dabei in N i t r i t e : KNO 3 — K N 0
2
+ γ2ο2,
die S c h w e r m e t a l l n i t r a t e unter gleichzeitiger Stickstoffdioxydbildung (vgl. S. 232) in O x y d e über: ^ ^ ^ Hg0 + ^ + Wegen dieser leichten Sauerstoffabgabe sind die Nitrate bei erhöhter Temperatur ausgezeichnete O x y d a t i o n s m i t t e l . I n w ä s s e r i g e r L ö s u n g wirken sie nur gegenüber s t a r k e n R e d u k t i o n s m i t t e l n (ζ. B. naszierendem Wasserstoff) oxydierend. Dabei können sie bis zu A m m o n i a k reduziert werden, wovon man in der analytischen Chemie sowohl zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s als auch zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g von Nitraten Gebrauch macht. Erhitzt man N a t r i u m n i t r a t N a N 0 3 längere Zeit mit N a t r i u m o x y d auf 340°, so geht es in Orthonitrat über : NaNOj + Na 2 0
Na 3 N0 4 .
Die diesem Orthonitrat zugrundeliegende Orthosalpetersäure H 3 N 0 4 ist nicht beständig, sondern geht unter Wasserabspaltung in die normale (Meta-)Salpetersäure über: 1 Das mit derKohIensäureH 2 C0 3 isostere Nitronium-ion H 2 N0 3 ' zerfällt wie diese (S. 297) weitgehend unter Bildung des A n h y d r i d s (H2NO," -> H 2 0 + N0 2 ). Die so verursachte Verschiebung des obigen Dissoziationsgleichgewichts nach rechts bedingt dann die verhältnismäßig hohe elektrische Leitfähigkeit der wasserfreien Salpetersäure.
Der Stickstoff
237
Hatten — ^ H 2 0 + HNO3 . Durch Wasser wird das Orthonitrat hydrolytisch zu normalem (Meta-)Nitrat zersetzt : Na 3 N0 4 + 2 H Ö H — > 2 N a O H + N a H - J S ^ — N a N O a + H 2 0 . Auch das N a t r i u m n i t r i t NaN0 2 bildet beim Erhitzen mit N a t r i u m o x y d ein O r t h o s a l z :
NaN0 2 + Na 2 0
—Na3N03.
E s ist zum Unterschied vom weißen Orthonitrat gelb. ß. Salpetrige Säure Darstellung. Salpetrige Säure ist nur in verdünnten, kalten, w ä s s e r i g e n L ö s u n g e n und in Form ihrer S a l z e , der Nitrite, beständig. Diese Nitrite lassen sich entweder durch Einleiten eines äquimolekularen Gemischs von NO und N 0 2 in Lauge (vgl. S . 2 3 2 ) :
+
— ^
2 N a 0 H
2NaN02 +
H20
oder durch Erhitzen von Nitraten (S. 236) — zweckmäßig bei Gegenwart eines schwachen Reduktionsmittels wie Blei — : NaN0» + Pb N a N 0 2 + PbO darstellen. Eigenschaften. Fügt man zu einer sehr verdünnten, kalten Nitritlösung die äquivalente Menge Säure hinzu, so entsteht eine verdünnte Lösung f r e i e r s a l p e t r i g e r
Säure
NaNOj + H 2 S 0 4 · — N a H S 0 4 +
:
HN02.
Beim E r w ä r m e n — langsam auch schon bei Zimmertemperatur — und beim K o n z e n t r i e r e n zersetzt sich diese leicht unter D i s p r o p o r t i o n i e r u n g in S a l p e t e r s ä u r e und S t i c k o x v d ( 2 H N 0 2 ^ i i H 2 0 + N 0 + N 0 2 ; 2 N 0 2 + H 2 0 — * H N 0 2 + HN0 3 ) : 3HNO s χ Ζ ί : HNO3 + 2 NO + H 2 0 .
Entsprechend diesem leichten Übergang in eine höhere und eine tiefere Oxydationsstufe wirkt salpetrige Säure sowohl als R e d u k t i o n s - wie als O x y d a t i o n s m i t t e l . Als R e d u k t i o n s m i t t e l (N0 2 ' + H 2 0 — > N 0 S ' + 2 H ' + 2 Θ) tritt sie gegenüber s t a r k e n O x y d a t i o n s m i t t e l n wie Permanganat (Mn0 4 ' + 8H' + 5 θ < > Mn" + 4 H 2 0 ) oder Bleidioxyd (Pb0 2 + 4 Η" + 2 θ — ^ P b " + 2 H 2 0 ) auf. Man benutzt die Reaktion mit Permanganat, um den Gehalt verdünnter Lösungen von salpetriger Säure maßanalytisch zu bestimmen. Als O x y d a t i o n s m i t t e l (N0 2 ' + 2 H ' + θ —>- NO + H 2 0 ) oxydiert salpetrige Säure beispielsweise J o d i d e (2.T' < > ·Τ„ + 2 Θ ) und E i s e n ( I l ) - s a l z e (Fe" F e ' " 4- Θ). S t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l (ζ. B . Natriumamalgam, kathodische Reduktion) führen die salpetrige Säure über die Oxydationsstufe +2 +3 + des NO hinaus i n D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 , u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e H 2 N 2 0 2 , H y d r -1
-3
o x y l a m i n NH 2 OH oder A m m o n i a k NH 3 über. Als S ä u r e zählt die salpetrige Säure zu den mittelstarken bis schwachen Säuren ( Κ = 4.5 XlO- 4 ). Die wässerigen Lösungen ihrer Salze enthalten daher infolge Hydrolyse f r e i e s a l p e t r i g e S ä u r e und sind infolgedessen wenig h a l t b a r . Bis auf da3 in kaltem Wasser nur mäßig lösliche gelbe, kristalline Silbernitrit AgN0 2 sind die Nitrite in Wasser alle leicht löslich. Beim Übergießen von Nitriten mit konzentrierter Schwefelsäure entweichen braune Dämpfe von N 0 2 (NaN0 2 + H 2 S 0 4 —>- NaHS0 4 + HN02; 2HN02 N 2 0 3 — ν NO + NO¡¡). Hierdurch unterscheiden sich Nitrite von Nitraten. Die Konstitution der N i t r i t e ist eindeutig: £ 0 : : N : 0 : J . Dagegen kann die freie salp e t r i g e S ä u r e in zwei tautomeren Formen vorliegen, da das Proton H + einmal am Stickstoff und einmal am Sauerstoff sitzen kann: jj Ö: : N : Ö : H
Ö::N:Ö: .
238
Die Stickstoffgruppe
Dementsprechend leiten sich von der salpetrigen Säure — ähnlich wie bei der schwefligen Säure (S. 200f.) —zwei Reihen organischer Derivate ab: ,,Salpetrigsäureester" ON(OR) und „Nitroverbindungen" R - N 0 2 . Bei der S a l p e t e r s ä u r e , bei der das im Molekül der salpetrigen Säure vorhandene freie Elektronenpaar am Stickstoff mit einem Sauerstoffatom besetzt ist: :Ö: Ö::N:0':H, besteht diese Tautomeriemöglichkeit nicht (vgl. Anmerkung 2, S. 310).
Nitrosylverbindungen. Die salpetrige Säure bildet mit einer Reihe anderer Säuren gemischte Anhydride: ONjÖH + HjX — O N X , welche man als Nitrosylverbindungen bezeichnet, da die einwertige NO-Gruppe Nitrosylgrufpe genannt wird. Erwähnenswert sind die N i t r o s y l s c h w e f e l s ä u r e und das Nitrosylchlorid. Nitrosylschwefelsäure kann aus s a l p e t r i g e r Säure und Schwefelsäure oder aus S a l p e t e r s ä u r e und schwefliger Säure gewonnen werden: /OjHT'HÖjNO
0 2 S
-HS0 4 -N0 + HNOj (6) 2N0 2 + H20 + S02 ·—>- HS04 · NO + HN02. (7) Die Reaktion (7) spielt sich bei Wassermangel in den B l e i k a m m e r n der Schwefelsäurefabriken ab, wobei sich die Nitrosylschwefelsäure in Form blättriger, weißer, oberhalb 50° schmelzender Kristalle (,,Bleikammerkristalle") abscheidet; bei genügender Wassermenge bleibt die Verbindung nicht erhalten, da sie sich gemäß (5) zersetzt, so daß Schwefelsäure entsteht (S. 204). Die Reaktion (6) geht bei der Schwefelsäurefabrikation im GAY-LussAC-Turm vor sich; die gebildete Nitrosylschwefelsäure wird dabei von überschüssiger konzentrierter Schwefelsäure zu „nitroser Säure" {„Nitrose") gelöst (S. 204). Im Gloverturm (S. 204) wird die gelöste Nitrosylschwefelsäure durch schweflige Säure in Schwefelsäure und S t i c k o x y d umgewandelt : +6 +3 +4 +e +8 2HS0 4 · NO + 2H 2 0 + S0 2 3H2S04 + 2NO. Nitrosylchlorid ist das Anhydrid der salpetrigen und Salzsäure : ONjÖH+'H!C1 ^ ± 1 ONCI + H 2 0
und wird durch Wasser leicht wieder rückwärts zu salpetriger und Salzsäure zersetzt. Dementsprechend muß man die Darstellung bei Ausschluß von Wasser (Einleiten von Chlorwasserstoffgas in flüssiges N 2 0 3 bei Gegenwart von Phosphorpentoxyd als wasserbindendem Mittel) vornehmen : N 2 0 3 + 2 HCl •—>- 2 NOCI + H 2 0 .
Der Stickstoff
239
Nitrosylchlorid ist ein gelbes Gas und läßt sich leicht zu einer gelbroten Flüssigkeit verdichten, welche bei —5.8° siedet und bei —61° zu blutroten Kristallen erstarrt. Beim E r h i t z e n auf über 700° zerfällt es in S t i c k o x y d und C h l o r : 14.4 kcal + NOCI T ^
NO + V2C12.
Umgekehrt kann Nitrosylchlorid bei t i e f e r e n T e m p e r a t u r e n aus Stickoxyd und Chlor gewonnen werden. γ. Hydroxylamin Darstellung. Die Darstellung des Hydroxylamins NH 2 0H (H3NO) erfolgt zweckmäßig durch R e d u k t i o n h ö h e r e r O x y d a t i o n s s t u f e n des Stickstoffs. So kann man ζ. B. die S a l p e t e r s ä u r e mit Hilfe des e l e k t r i s c h e n S t r o m s kathodisch zu H y d r o x y l a m i n reduzieren ; schematisch: H 3 N0 4 + 6H' + 6 θ — > • HjNO + 3H 2 0.
Als Elektrolyten benutzt man hierbei zweckmäßig eine Lösung von Salpetersäure in 50°/0iger Schwefelsäure, als Kathode eine Elektrode aus amalgamiertem Blei. Zur Reduktion der s a l p e t r i g e n S ä u r e eignet sich besonders die s c h w e f l i g e S ä u r e ; schematisch :
h
^
+
2H2S03
— > H 3 NO + 2H 2 S0 4 .
Nach R A S C H I G verfährt man hierbei so, daß man konzentrierte Lösungen von Nat r i u m n i t r i t und N a t r i u m b i s u l f i t im Molverhältnis 1 : 2 zusammengibt. Als Zwischenprodukt tritt Natrium-hydroxylamin-disulfonat N(S0 3 Na) 2 0H auf (S. 244), das in der Wärme durch Säuren in H y d r o x y l a m i n und B i s u l f a t gespalten wird. In beiden Fällen erhält man nicht das freie H y d r o x y l a m i n , sondern Salze des Typus Ν Η 2 0 Η · H X ( H X = Säure). Die freie B a s e NH 2 OH gewinnt man aus diesen Salzen durch Zugabe einer die Säure bindenden s t a r k e n Base. Nach LOBRY DE BRUYN (der im Jahre 1891 erstmals das freie Hydroxylamin darstellte) verwendet man als Base zweckmäßig N a t r i u m m e t h y l a t NaOR (R = CH 3 ) in m e t h y l a l k o h o l i s c h e r Lösung: NH 2 OH · H X + NaOR NH 2 OH + N a X + HÖR. Es scheidet sich dann das Natriumsalz der Säure H X aus, welches abfiltriert wird, worauf man den gleichzeitig gebildeten leichtflüchtigen Methylalkohol HÖR unter vermindertem Druck abdestilliert. Das hinterbleibende freie Hydroxylamin kann anschließend durch Vakuumdestillation rein erhalten werden. Da die Gewinnung der freien Base wegen der E x p l o s i o n s n e i g u n g des Hydroxylamins nicht gefahrlos ist, stellt man gewöhnlich aber nur die Salze her.
Eigenschaften. Reines Hydroxylamin kristallisiert in langen, dünnen, geruchlosen, durchsichtigen, farblosen Kristallen, die bei 33.1° schmelzen. Der Siedepunkt des flüssigen Hydroxylamins beträgt bei 22 mm Quecksilberdruck 56.5°. Hydroxylamin ist nur in vollkommen reinem Zustande einige Zeit haltbar. Unter gewöhnlichen Bedingungen z e r s e t z t es sich leicht, namentlich bei geringer E r w ä r mung. Gleiches gilt für die wässerige Lösung. Und zwar geht Hydroxylamin in a l k a l i s c h e r Lösung vorwiegend in Ammoniak und S t i c k s t o f f (8), in s a u r e r Lösung hauptsächlich in Ammoniak und S t i c k o x y d u l über (9): -1 3NH 2 OH -1
-3 ±0 > NH 3 + N 2 + 3 H 2 0 (alkalisch) -3
+1
4 N H 2 O H — 2 N H 3 + N 2 0 + 3 H 2 0 (sauer).
(8) (9)
Der Zerfall wird in beiden Fällen durch eine Disproportionierung des Hydroxylamins in Ammoniak NH 3 und Dihy droxylamin 1 NH(OH) 2 („untersalpetrige Säure" ; Metaform: HNO) bedingt : -1 -3 +l 2NH 2 OH — > - NH 3 + NH(OH)2, (10) welch letzteres in a l k a l i s c h e r Lösung mit überschüssigem H y d r o x y l a m i n unter Bildung von S t i c k s t o f f (11), in saurer Lösung (in welcher das Hydroxylamin als Hydxoxylammonium-ion 1 In geringem Maße vermag sich das Dihydroxylamin weiter in Hydroxylamin und salpetrige Säure zu disproportionieren: 2NH(OH) 2 NH2OH + N(OH)3.
Die Stickstoffgruppe
240
NH3OH' vorliegt und daher dem Angriff des Dihydroxylamins entzogen ist) mit sich selbst unter Bildung von S t i c k o x y d u l reagiert1 (12): NH(OH)2 + NHjOH >- N 2 + 3H 2 0 (11) NH(OH)2 + NH(OH)2 >• N 2 0 + 3H 2 0. (12) Die Disproportionierungsgleichung (10) folgt aus der Reaktion alkalischer Hydroxylaminlösungen mit komplexen Metallcyaniden, bei welcher unter Entbindung einer äquivalenten Menge NH 3 das NH(OH)2 als NO' (HN(OH)2 ~ H i 0 > HNO NO') in die Komplexe eingebaut wird (vgl. S. 528 f.).
Oberhalb 100° erfolgt die Zersetzung des reinen Hydroxylamins e x p l o s i o n s a r t i g . Dagegen sind die S a l z e des Hydroxylamins ziemlich beständig. Beim trockenen Erhitzen zersetzen sich allerdings auch sie unter Disproportionierung in Ammoniak (als Ammoniumsalz) und Stickstoff. Nach der Elektronentheorie der Valenz kann man dem Hydroxylamin keine eindeutige K o n s t i t u t i o n s f o r m e l zuweisen. Wahrscheinlich liegt eine T a u t o m e r i e der beiden Formeln H H Η: Ν :
ν
Η:Ν:Η
—
:Ο:
:Ο:
Η (I) (II) vor, wonach das Hydroxylamin sowohl als Hydroxylderivat des Ammoniaks (NH2OH) wie als Oxyd des Ammoniaks (NH 3 0) aufzufassen ist.
Als Hydroxylderivat des Ammoniaks bildet Hydroxylamin mit Säuren S a l z e , die man in Analogie zu den Ammoniumsalzen „Hydroxyl-ammoniumsalze" nennt: NHjOH + HCl • — [ N H 3 O H ] C l NH 3 + HCl > [NH4]C1
vgl.
2NH 2 0H + H 2 S0 4 2NH 3 + H 2 S0 4
>• [NH 3 0H] 2 S0 4 >- [NH 4 ] 2 S0 4 .
D a Hydroxylamin w e n i g e r b a s i s c h als Ammoniak ist, reagieren die Hydroxylammoniumsalze in wässeriger Lösung s t ä r k e r s a u e r als die Ammoniumsalze. Der s a u r e Charakter des Hydroxylamins ist nur s e h r s c h w a c h ausgeprägt. Immerhin gelingt es, durch Einwirkung von Natriummetall ein S a l z N a N H 2 0 darzustellen, das dem Natriumnitrit N a N 0 2 entspricht, von dem es sich durch Ersatz eines Sauerstoffatoms durch zwei Wasserstoffatome ableitet. Hydroxylamin zeigt große Neigung, in eine höhere Oxydationsstufe überzugehen, und wirkt daher als starkes R e d u k t i o n s m i t t e l . So werden ζ. B. Kupfer(II)-salze zu Kupfer(I)-salzen, Quecksilber(I)- und Silber(I)-salze zu Metall reduziert. Als Oxydationsprodukt des Hydroxylamins entsteht dabei in der Hauptsache S t i c k s t o f f . Andere Oxydationsmittel (H 2 0 2 , KMn0 4 , NaOCl, J 2 ) oxydieren je nach den Bedin+1
+2
+3
+5
gungen zu N 2 0 , NO, H N 0 2 oder H N 0 3 . Erwähnt sei die Oxydation durch s a l p e t r i g e S ä u r e . Sie f ü h r t beim A m m o n i a k (a), wie auf S. 60 erwähnt, zu Stickstoff, beim H y d r o x y l a m i n (b) — das gegenüber dem Ammoniak noch ein Sauerstoffatom je Molekül enthält — zu D i s t i c k s t o f f o x y d ; die Reaktion ist der Distickstoffoxydbildung aus A m m o n i a k und S a l p e t e r s ä u r e (S. 229) analog (c): O N^
Hk H;^N Ö'H'HK (a)
N=N
ΔΟ Η \ Nf i Η —^NO - > • N = N O N IÖH"H (b)
H
ONf ι Η ^ N - > ON=N. jÖH Η (c)
Gegenüber starken Reduktionsmitteln wirkt Hydroxylamin als O x y d a t i o n s m i t t e l . So reduzieren ζ. B. Zinn(II)-, Vanadin(II)- und Chrom(II)-salze das Hydroxylamin zu Ammoniak. 1 Auch in alkalischer Lösung reagiert ein Teil des Dihydroxylamins ( ~ 10%) gemäß (12) unter Bildung der Oxydationsstufe des Stickoxyduls, hier in Torrn von H y p o n i t r i t : 2NH(OH)2 • H 2 N 2 0 2 + 2HaO.
Der Stickstoff
241
8. Untersalpetrige Säure Die untersalpetrige Säure kommt in zwei verschiedenen Formen, nämlich als monomere Verbindung H N O („Nitroxylwasserstoff" ; „Nitrozylsäure") und als dimere Verbindung ( H N O ) a („untersalpetrige Säure" im engeren Sinne) vor 1 . Beide werden durch R e d u k t i o n h ö h e r e r O x y d a t i o n s s t u f e n des Stickstoffs gewonnen. Nitroxylsäure HNO. Läßt man a t o m a r e n W a s s e r s t o f f bei der Temperatur der flüssigen L u f t auf S t i c k o x y d einwirken, so scheidet sich an den Wänden des Reaktionsgefäßes die Verbindung H N O als hellgelber, durchscheinender Überzug ab: Η + NO
— H N O .
Bei Entfernung der Kühlung beginnt sich die Substanz bereits bei —95° zu zersetzen, wobei in der Hauptsache u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e ( H N O ) 2 (80%), daneben D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 ( 2 0 % ) gebildet wird: 2HNO — > (HNO)2 2HNO — > H20 + N20. Die S a l z e der Nitroxylsäure H N O („Nitroxylale") lassen sich in analoger Weise durch Einwirkung von N a t r i u m auf S t i c k o x y d (Einleiten von Skickoxyd in eine Lösung vonNatrium in flüssigem Ammoniak) gewinnen: b Na+NO >• N a N O . Sie sind recht unbeständig und entwickeln beim Lösen in Wasser lebhaft N 2 0 : N a N O + H Ö H NaOH + HNO (
>-
>• N 2 0 + H j O ) . Das von der Nitroxylsäure H N O in alkalischer Lösung ge-
bildete, 0,-isostere N i t r o x y l - i o n N O ' ( N : : 0 ) spielt bei der Darstellung von NO-Komplexen mittels HydroxyIamin (vgl. S. 239f.) eine Rolle (S. 528f.). Untersalpetrige Säure ( H N O ) î . Die u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e besitzt die Struktur H O N = N O H . Entsprechend dieser Formel erhält man sie ganz allgemein bei solchen Reaktionen, bei denen das Radikal > N O H auftritt. So entsteht sie ζ. B. bei der O x y d a t i o n von H y d r o x y l a m i n H 2 N O H mit Kupfer-, Silber- oder Quecksilberoxyd (a), bei der R e d u k t i o n von s a l p e t r i g e r S ä u r e O N O H mit Natriumamalgam (b) und bei der Umsetzung von H y d r o x y l a m i n mit s a l p e t r i g e r S ä u r e (c): O + H2|N0H
NOH
|2H + O i N O H
NOH
Η,ίΝΟΗ
NOH
Ö"+hJnOH
itfoH
¡2H + O i N O H
NOH
OlNOH
NOH
(a)
(b)
(c)
A m bequemsten ist die Reduktion von salpetriger Säure. Zu diesem Zweck schüttelt man eine Nitritlösung unter Kühlung mit flüssigem Natriumamalgam (Na + H Ö H > NaOH + H), neutralisiert die Lösung nach Beendigung der Reaktion und fällt die gebildete untersalpetrige Säure mit Silbernitrat als unlösliches, gelbes Silberhyponitrit A g 2 N 2 0 2 . Die r e i n e u n t e r s a l p e t r i g e S ä u r e bildet weiße, in trockenem Zustande äußerst explosive Kristallblättchen, die sich in Wasser sehr leicht lösen. Die wässerige Lösung reagiert s c h w a o h s a u e r und z e r f ä l l t langsam schon in der Kälte, schneller beim Erwärmen unter Bildung von Distickstoffoxyd N,0: H2N202 >- H 2 0 + N 2 0 . Die Reaktion ist nicht umkehrbar, so daß N 2 0 nicht als Anhydrid der untersalpetrigen Säure angesprochen werden kann. Als z w e i b a s i g e S ä u r e bildet untersalpetrige Säure zwei Reihen von Salzen: sehr zersetzliche „saure Hyponitrite" M e I H N 2 0 2 und beständigere „neutrale Hyponitrite" Me*N 2 0 2 . Beide reagieren in wässeriger Lösung infolge weitgehender Hydrolyse a l k a l i s c h . Isomer(S. 495) mit der u n t e r s a l p e t r i g e n S ä u r e H O N = N O H i s t das N i t r a m i d H 2 N — N 0 2 , das sich von der Salpetersäure H O — N 0 2 durch Ersatz der Hydroxylgruppe durch eine Amidgruppe ableitet. Es kristallisiert wie die untersalpetrige Säure in weißen Kristallen, die aber viel beständiger als die der untersalpetrigen Säure sind und bei 72—75° unter teilweiser Zersetzung schmelzen. Die w ä s s e r i g e L ö s u n g reagiert s c h w a c h s a u e r und z e r f ä l l t wie die der untersalpetrigen Säure langsam — unter der katalytischen Wirkung von Alkalien momentan — unter D i s t i c k s t o f f o x y d - e n t w i c k l u n g : H 2 N 2 0 2 —->- N 2 0 +
H20.
Obwohl der rationelle Name für die Säure H N O gemäß den allgemeinen Richtlinien (S. 119) untersalpetrige Säure lauten müßte, bezeichnet man gewöhnlich nur die d i m e r e Verbindung { H N O ) j als solche. Der in Analogie zur Suljoxylsäure H , S O , (vgl. Anmerkung 1, S. 209) ebenfalls zu rechtfertigende Name Nitroxylsä-ure für die Verbindung H N O ( N O ' = Nitroxyl-ion) wird auch für die hydrosalpetrige Säure H,NO ä (S. 234) verwendet. 1
H o l l e m a η - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. .31 A u f l .
16
Die Stickstoffgruppe
242
e. Schwefelverbindungen des Stickstoffs Unter den Verbindungen des Stickstoffs mit Schwefel seien die den Oxyden NO und N 0 2 entsprechenden Verbindungen (NS) 4 (goldgelbe Kristalle, Smp. 178°) und (NS 2 ) 2 (dunkelrote, in stärkeren Schichten schwarz erscheinende, sich schon bei 40° unter Schwefelabscheidung zersetzende Flüssigkeit) erwähnt. Weitere interessante Verbindungen mit S ehwefel-Stickstoff-Bindung leiten sich vom Ammoniak NH 3 , Hydroxylamin N H 2 0 H , Hydrazin N 2 H 4 , Diimid N 2 H 2 und von der Stickstoffwasserstoffsäure N 3 H durch Ersatz eines oder mehrerer Wasserstoff atom e durch den einwertigen Rest — S O j H bzw. den zweiwertigen Rest > S 0 2 der Schwefelsäure (vgl. S. 207) ab. Schwefelstickstoff (NS) 4 . I n analoger Weise, wie durch Verbrennung von Ammoniak Stickoxyd NO gebildet wird (S. 230, 234): 4NH 3 + 100
4NO + 6 H 2 0 ,
entsteht bei der Umsetzung von S c h w e f e l mit A m m o n i a k (Auflösen von Schwefel in flüssigem Ammoniak) Schwefelstickstoff 4NH S + IOS
NS : 4NS + 6H 2 S.
Der dabei gleichzeitig auftretende Schwefelwasserstoff wird von überschüssigem Ammoniak als Ammoniumsulfid (NH 4 ) 2 S gebunden und zweckmäßig als Metallsulfid aus dem Gleichgewicht entfernt : (NH 4 ) 2 S + 2AgJ —>- Ag 2 S + 2 N H 4 J . Zum Unterschied vom monomeren Stickstoffoxyd ist das Stickstoffsulfid t e t r a m o l e k u l a r : (NS) 4 . Seine M o l e k u l a r s t r u k t u r wird durch die Formel :N:Ì:Sf: : S: :S:
N = S = N S S
:N: S::N:
Ν = S = Ν
2
+
··
Elektronenformel1
I
l
Valenzstrichformel2
wiedergegeben, die an die Struktur der S 8 -Moleküle des Schwefels (S. 184) anklingt und in welcher der S t i c k s t o f f den e l e k t r o n e g a t i v e n , der S c h w e f e l den e l e k t r o p o s i t i v e n Bestandteil darstellt 3 . Entsprechend dieser Polarität wird der Schwefelstickstoff bei der Hydrolyse primär unter Bildung von 4 Mol A m m o n i a k NH 3 , 2 Mol S u l f o x y l s ä u r e S(OH) 2 und 2 Mol s c h w e f l i g e r S ä u r e S(OH) 4 (—>· H 2 S 0 3 + H 2 0 ) zersetzt. Sulf oxylsäure und schweflige Säure reagieren dann je nach dem p H -Wert der Lösung mehr oder minder vollständig gemäß (14) bzw. (16) (17) — S. 209 f. — unter Bildung von Trithionat, Sulfit und Thiosulfat weiter. Die Bildungswärme des Schwefelstickstoffs ist noch s t ä r k e r n e g a t i v als die des Stickoxyds : vgl.
(NS)4 V 2N 2 + 4S + 128 kcal, 4NO — > • 2Nj + 2 0 2 + 86 kcal.
Daher z e r f ä l l t der Schwefelstickstoff beim E r h i t z e n oder durch S t o ß e x p l o s i o n s a r t i g in seine Elemente. 1 Die beiden kovalenten Doppelbindungen des Ringmoleküls sind nicht fixiert. Vielmehr bilden die über die einfache Kovalenz hinaus vorhandenen Doppelbindungselektronen (,,π-Elektronen") eine Art von elektrischem „Ringstrom" um das Molekül, so daß alle Atome an den Doppelbindungen teilhaben. Der Ringstrom macht sich — analoges gilt für die Doppelbindungen des Benzols (S. 294) und seine Derivate — durch einen gegenüber dem berechneten Diamagnetismus wesentlich erhöhten Diamagnetismus (vgl. S. 476) bemerkbar. 2 Gemäß der Elektronenformel sind zwei der vier Doppelbindungen des Moleküls semipolar. 3 Der Schwefelstickstoff ist also als S c h w e f e l n i t r i d und nicht als S t i c k s t o f f s u l f i d aufzufassen.
Der Stickstoff
243
Bei der R e d u k t i o n m i t n a s z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f geht der Schwefelstickstoff in eine W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g über, welche zum Unterschied von dem entsprechenden Stickoxyd-Derivat — HNO bzw. (HNO) 2 — t e t r a m o l e k u l a r ist — (HNS) 4 — und die Formel H:N: S:N:H HN - S - NH :S:":S: S S H:N:S:N:H ΗΝ —S — N H E lektronenformel Valenzstrichf ormel besitzt, wonach sie sich vom S,-Molekül des Schwefels (S. 184) durch Ersatz jedes zweiten Schwefelatoms (—S—) durch eine Iminogruppe (—NH—) ableitet 1 . Bei der Hydrolyse geht dieser Tetrahydro-schwefelstickstojf (Thiazylwasserstoff) primär in 4 Mol NH 3 und 4 Mol Sulfoxylsäure S(OH) 2 über, wie durch Hydrolyse in Gegenwart von schwefliger Säure gezeigt werden kann, bei welcher gemäß (14) — S. 209 — als Hauptprodukt Trithionat entsteht. Mit H a l o g e n e n vereinigt sich der Schwefelstickstoff zu „Thiazylhalogeniden", welche zum Unterschied von den monomolekularen Nitrosylhalogeniden das der Formel (NSX) 3 entsprechende Molekulargewicht besitzen und in ihrer Struktur den trimeren Phosphornitrilhalogeniden (PNX 2 ) 3 (S. 267f.) entsprechen: Cl Cl,
/
N N
P
\
N N
CIS SCI ClJ> PCI, \ N / \ N / trimeres Thiazylchlorid2 trimeres Phosphornitrilchlorid2. Sulfonsäuren des Ammoniaks. Läßt man eine konzentrierte N a t r i u m b i s u l f i t lösung unter Eiskühlung auf N a t r i u m n i t r i t einwirken, so erfolgt nach dem Schema •jÖH~ +
HjSOjH
OH + H|S0 3 H OH + HlSOoH salpetrige Säure
/ S 0
>-
3
H
+
HÖH
Νζ—SO3H + HÖH \ S 0 3 H + HÖH
schweflige Säure
(1)
Nitridosulfons&ure
die Bildung des in Wasser leicht löslichen Natriumsalzes der „Nilrido-sulfonsäure" N(S0 3 H) 3 . Durch Zusatz einer kalt gesättigten K a l i u m c h l o r i d - l ö s u n g kann diese Verbindung als schwerlösliches K a l i u m s a l z N(S0 3 K) 3 auskristallisiert werden. In s a u r e r L ö s u n g unterhegt die Sulfonsäure der H y d r o l y s e . Diese führt aber nicht in Umkehrung der Bildungsreaktion (1) zur Stufe der s a l p e t r i g e n und s c h w e f l i g e n S ä u r e zurück, sondern ergibt als Endprodukte A m m o n i a k (als Ammoniumsalz) und S c h w e f e l s ä u r e (als Bisulfat) : /jsOjH + HOÍH N^-jSOjH + HOjH
>-
/ H + H 2 S0 4 N ^ - H + H 2 S0 4 .
^ÌSOaH + iäÖjH Als Zwischenprodukte treten dabei „Imido-sulfonsäure" N(S03H)3 Nitrldo-
1 2
> NH(S03H)2 Imldo-
(2)
\ H + H 2 S0 4 und „Amido-sulfonsäure" auf:
NHa(SOsH) _ + ¿ ° 0 | ^ NH3. Amido-
sulionB&ure snlfonsäiire sulfonsäure Auch ein Derivat S7(NH) des S8-Moleküls ist bekannt (Smp. 113°). Die drei Doppelbindungen des Moleküls sind semipolar.
Ammoniak
16*
(3)
244
Die Stickstoffgruppe
Die hydrolytische Abspaltung der ersten Sulfograppe erfolgt schon beim Stehen lassen der sauren Lösung; die weitere H y d r o l y s e schreitet erst beim K o c h e n mit genügender Geschwindigkeit fort. In Umkehrung der Hydrolysereaktion (3) können die Sulfonsäuren des Ammoniaks auch rückwärts aus Ammoniak und Schwefelsäure gewonnen werden. Allerdings muß man dann unter weitgehendem Ausschluß von Wasser arbeiten. Leitet man ζ. B. S c h w e f e l t r i o x y d in konzentrierte wässerige Ammoniaklösungen ein, so entsteht über die Stufe der Amido-sulfonsäure hinweg in sehr guter Ausbeute das Triammonium-salz (s. unten) der Imido-sulfonsäure: NH,
>
NH 2 (S0 3 H)
> NH(S0 3 H) 2 .
(4)
Die Imido-sulfonsäure NH(S0 3 H) 2 ist nur in L ö s u n g , nicht aber in f r e i e m Z u s t a n d bekannt. Sie ist dadurch ausgezeichnet, daß sich nicht nur die Wasserstoffatome der S u l f o gruppen —S0 3 H durch Metalle ersetzen lassen, sondern daß auch das am S t i c k s t o f f sitzende Wasserstoffatom sauren Charakter besitzt. So entsteht beispielsweise bei Zugabe von gelbem Q u e c k s i l b e r o x y d zum gelben Kaliumsalz NH(S0 3 K) 2 das sehr schwer lösliche, weiße Quecksilbersalz Hg[N(S0 3 K) 2 ] 2 . Auch ein Kaliumsalz K [ N ( S 0 3 K ) 2 ] und ein Ammoniumsalz N H J N ( S 0 3 N H 4 ) 2 ] sind bekannt. Gleiches gilt von der — sehr beständigen und vorzüglich kristallisierenden — Amido-sulfonsäure NH 2 (S0 3 H). Auch ihre Salze reagieren mit einer Reihe von Metalloxyden unter Bildung gut kristallisierter Verbindungen mit Metall-Stickstoff-Bindung: HgN(S0 3 Na), AgNH(S0 3 K), Au 2 (NS0 3 K) 3 . In besonders bequemer Weise kann die Amido-sulfonsäure gewonnen werden, wenn man statt von salpetriger Säure — vgl. Reaktionen (1) und (3) — von H y d r o x y l a m i n ausgeht, welches bereits die beiden Wasserstoffatome am Stickstoff trägt und bei der Umsetzung mit s c h w e f l i g e r Säure (Sättigen einer konzentrierten Lösung von salzsaurem Hydroxylamin mit Schwefeldioxyd) in einer der Reaktion (1) analogen Reaktion in A m i d o - s u l f o n a ä u r e übergeht: /H H NfH — > N^H ; (5) x S 0 3 H + HÖH . ¡0H + H;S0 3 H
Sulfonsäuren des Hydroxylamins. Wendet man bei der Einwirkung von Natriumbisulfit auf Natriumnitrit (1) nicht 3 Mol, sondern nur 2 Mol Sulfit je Mol Nitrit an, so entsteht — in analoger Weise wie dort — das Natriumsalz der „Hydroxylamindisulfonsäure" : OH + H;S0 3 H Nf
OH + H|S0 3 H OH
/S03H + HÖH •—N^-S0
3
H + HÖH ,
(6)
\OH
das durch Umsetzung mit K a l i u m c h l o r i d als schwerlösliches Kaliumsalz ausgefällt werden kann. Auch hier — vgl. (2) — führt die Hydrolyse in saurer Lösung nicht zur Stufe der salpetrigen und schwefligen Säure zurück, sondern ergibt letztlich H y d r o x y l a m i n (als Sulfat) und Schwefelsäure; als Zwischenstufe tritt dabei — vgl. (3) — „Hydroxylamin-monosulfonsäure" auf: N(S0 3 H) 2 0H
NH(S03H)0H
NH 2 OH .
Die Reaktion dient zur Darstellung von H y d r o x y l a m i n (S. 239). Die Hydroxylamin-monosulfonsäure und die Hydroxylamin-disulfonsäure kommen in je z w e i isomeren Formen vor, da im Hydroxylamin-Molekül einmal der an S t i c k s t o f f gebundene Wasserstoff und einmal der an S a u e r s t o f f gebundene Wasserstoff durch die Sulfogruppe — SO,H ersetzt sein kann:
245
Der Stickstoff /SO3H Nf-H \0H Hydroxylamin*m0D03iilf0nsâure /So3H Nf-S03H \0H Hydroxylamin-disulfonsäure Von beiden Formen sind Salze bekannt.
/H Nf-H \ 0 · S03H Hydroxylamin-iso-monosulfon&äure /S03H N^-H \ 0 · SO3H Hydroxylamin-iso-dieulfonsäure Die Einführung einer Sulfogruppe am Sauerstoff
gelingt ζ. B . mit C h l o r s u l f o n s ä u r e : H 2 NOj H + C1;S0 3 H >- H 2 NO · S 0 3 H . Oxydiert man das Kaliumsalz der Hydroxylamin-disulfonsäure mit Kaliumpermanganat, bo erhält man eine schön violette Lösung; sie enthält das Kaliumsalz der „Nitroso-disulfonsäure": 2H0—N(S03K)2 - ^ ¡ ö * -
20=N(S03K)2,
einer Verbindung mit v i e r w e r t i g e m Stickstoff. In festem Zustande sind die Salze orangegelb und haben die doppelte Molekulargröße. Die Nitroso-disulfonsäure zeigt also die gleiche Neigung zur Dimerisation wie das Stickstoffdioxyd, das sich ja ebenfalls vom vierwertigen Stickstoff ableitet: 2 N 0 2 Z £ ± : [NO.,], braun farblos 2 N 0 ( S 0 3 K ) 2 Z £ ± : [N0(S03K)2]2. violett
gelb
Hier wie dort hellt sich die Farbe bei der Dimerisierung auf. Verdünnung (Expandieren des N 2 0 4 -Dampfes, Auflösen des [ N 0 ( S 0 3 K ) 2 ] 2 in Wasser) verschiebt in beiden Fällen entsprechend dem Massen Wirkungsgesetz das Gleichgewicht nach links. Sulfonsäuren des Hydrazine, des Diimids und der Stickstoffwasserstoffsäure. In analoger Weise wie beim A m m o n i a k (4) kann auch beim Hydrazin durch Einwirkung von S c h w e f e l s ä u r e ( S c h w e i e l t r i o x y d ) ein Wasserstoffatom durch den — S 0 3 H - R e s t ersetzt werden: H2N-NH2
H 2 N—NH(SOaH).
Es entsteht so ein Salz der „Hydrazin-monosulfonsäure". Die Einführung z w e i e r — S 0 3 H - R e s t e in das Hydrazin-molekül gelingt mit Hilfe von C h l o r s u l f o n s ä u r e : HNjH + CIÍ SO3H
HN · S 0 3 H + HCl
K N j H + C1;S0 3 H
^
HN · SÖ 3 H + HCl '
Während es nicht gelingt, das Hydrazin NH 2 —NH 2 in ein „Diimid" N H = N H überzuführen, kann man die obige ¡^Hydrcizin-disulfonsäure" N 2 H 2 ( S 0 3 H ) 2 zur D i s u l f o n s ä u r e des D i i m i d s („Azo-disulfonsäure") N 2 ( S 0 3 H ) 2 oxydieren. So liefert das Pyridinsalz der Hydrazin-disulfonsäure bei der Behandlung mit verdünnter, stark alkalischer Natriumhypochloritlösung und Zugabe von Kaliumchlorid das gelbe K a l i u m - a z o - d i s u l f o n a t : HN-S03H
+ 0
N-S03H
HN- S 0 3 H
"h=°
Ν · S03H '
welches beim E r w ä r m e n auf 80°, sowie beim V e r r e i b e n heftig e x p l o d i e r t . Ebenso wie man das Hydrazin durch Oxydation mit salpetriger Säure in Stickstoffwasserstoffsäure umwandeln kann (S. 226), kann man auch die Hydrazin-sulfonate in die — explosiven — Sulfonate der Stickstoffwasserstoffsäure („Azido-sulfonate") überführen: N2H3(S03H) + H N O J — ν N3(S03H) +
2H20.
Sulfurylverbindungen des Ammoniaks. J e nachdem man im Ammoniak zwei Wasserstoffatome zweier v e r s c h i e d e n e r Moleküle oder zwei Wasserstoffatome des g l e i c h e n Moleküls durch den zweiwertigen > S 0 2 - R e s t ersetzt, kommt man zum „Sulfamid"
( S m p . 9 2 ° ) oder zum „Sulfimid" | ^ > S 0
2
(Smp. 165°) : HN=S02.
246
Die Stickstoffgruppe
Beide Verbindungen entstehen nebeneinander bei der Einwirkung von trockenem A m m o n i a k auf S u l f u r y l c h l o r i d S02C12:
Auch hier (vgl. S. 244) zeigen die am Stickstoff gebundenen Wasserstoffatome s a u r e n Charakter. So bildet das Sulfamid in ammoniakalischer Lösung mit Silbernitrat ein Silbersalz S0 2 (NHAg) 2 , und in gleicher Weise liefert das Sulfimid gut ausgebildete Salze wie S0 2 NNa und S0 2 NAg. Das Sulfimid und seine Salze sind t r i m e r und besitzen im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 184) eine der Formel des trimeren Schwefeltrioxyds (vgl. S. 262f.) entsprechende r i n g f ö r m i g e Struktur ohne Doppelbindungen :
2. D e r Phosphor a. Elementarer Phosphor α. Vorkommen Phosphor kommt in der Natur nicht in f r e i e m Z u s t a n d e , sondern nur in Form von D e r i v a t e n d e r P h o s p h o r s ä u r e H 3 P 0 4 vor. Die wichtigsten natürlichen Mineralphosphate sind Phosphorit Ca 3 (P0 4 ) 2 und Apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 · Ca(Cl,F)2, also Cai cium-phosphate. Nur vereinzelt finden sich E i s e n - und Aluminium-phosphate: Vivianit (Blaueisenerz) Fe 3 (P0 4 ) 2 · 8 H 2 0 und Wavellit 4A1P0 4 · 2A1(0H)3 · 9H 2 0, sowie Phosphate der s e l t e n e n E r d e n : z . B . Monazit CeP0 4 . Wichtig ist der Phosphatgehalt mancher E i s e n e r z e , vor allem der lothringischen Eisenerze („Minette") und der nordschwedischen Eisenerze („Magnetite") ; er fällt bei der Eisenerzeugung als „Thomasmehl" (S. 512f.) an. Weiterhin bilden Verbindungen der Phosphorsäure einen wesentlichen Bestandteil des p f l a n z l i c h e n u n d t i e r i s c h e n O r g a n i s m u s . So enthält pflanzliches wie tierisches E i w e i ß Phosphor in organischer Bindung. Blut, Eidotter, Milch, Muskelfasern, Nerven- und Hirnsubstanz sind besonders phosphorreich. Die Schalen von Krebsen und Muscheln, die Haare, Klauen, Zähne und vor allem die Knochen der Wirbeltiere enthalten Phosphor als Carbonat-apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 Ca(HC0 3 )0H oder Hydroxyl-apatit 3Ca 3 (P0 4 ) 2 · Ca(OH) 2 . Reich an Phosphor sind auch die menschlichen und tierischen Exkremente. Ein großer Teil der heutigen P h o s p h a t l a g e r geht auf Ablagerungen von tierischen Ausscheidungen und Anhäufungen von Tierleichen in früheren Zeitepochen zurück. Noch heute beobachtet man auf Inseln des Stillen Ozeans und der Südsee die Entstehung solcher gewaltiger Kotablagerungen in Form der ,,Guano"bildung, indem dort die Seevögel ein Gemisch von Calciumphosphat und harnsauren Salzen als „Guano" abscheiden, welcher schon lange als S t i c k s t o f f - und P h o s p h a t d ü n g e r bekannt ist und bei der Verwitterung und Verwesung (Zersetzung der organischen Stoffe zu Kohlensäure und Ammoniak) in P h o s p h o r i t übergeht. Besonders wichtige Phosphoritlager finden sich in Nordafrika und in Florida.
Der Phosphor
247
β. Darstellung Weißer Phosphor. Der weiße Phosphor (S. 248 ff.) läßt sich aus dem Anhydrid der Phosphorsäure, P 2 0 B , durch Reduktion mit K o h l e n s t o f f bei hoher Temperatur darstellen : P 2 0 5 + SC — > - 2 P + SCO.
(1)
Das dazu erforderliche P h o s p h o r p e n t o x y d P 2 0 5 gewinnt man bei der t e c h n i s c h e n Phosphordarstellung in einem Arbeitsgang mit dieser Reduktion, indem man ein Gemisch von C a l c i u m p h o s p h a t (Phosphorit), Quarzsand und K o k s im e l e k t r i s c h e n Ofen auf 1300—1450° erhitzt. Dabei setzt die Kieselsäure als weniger flüchtige Säure die Phosphorsäure in Freiheit : Ca 3 (P0 4 ) 2 + 3 S i 0 2
>- 3CaSi0 3 + P 2 0 6 ,
(2)
welche dann durch den Koks gemäß (1) reduziert wird. Als Summe von (1) und (2) ergibt sich damit die Gesamtgleichung: Ca 3 (P0 4 ) 2 + 3 S i 0 2 + 5C
>· 3 C a S i 0 3 + 2 Ρ + 5CO.
Als elektrischen Ofen benutzt man (Fig. 85) einen mit feuerfesten Steinen ausgemauerten, 20 m hohen Schachtofen aus Eisen, dessen Boden und untere Seitenpartien mit einer Elektrodenmasse aus Koks und Pech ausgefüttert sind. Durch den mit einer gasdicht verschließbaren Einfüllöffnung f ü r das Beschickungsgemisch versehenen, isoliert aufgeschraubten Eisendeckel f ü h r t die auf und ab bewegbare Kohlenelektrode. Oben seitlich befindet sich die Austrittsöffnung f ü r die abziehenden Gase Phosphor und Kohlenoxyd, unten die Abstichöffnung f ü r die Calciumsilicat-schlacke. Zwischen den Elektroden des Ofens geht ein Lichtbogen über; die Phosphat—Koks—Quarz-Beschickung wird etwa jede halbe wassergekühltes θ Kupferrohr Τ Stunde nachgesetzt, die Calciumsilicat-schlacke etwa alle Stunden abgestochen. Die aus dem Ofen Beschickung entweichenden, hauptsächlich aus Eisendeckel .. - ^ > Phosphordampf und Kohlenoxyd Staubkammer bestehenden G ase gehen durch eine Eisenmantel _l / L P+CO —: Staubkammer und treten dann in mehrere hintereinander geschaltete, mit Wasser gefüllte Kondensationsgefäße, in denen sich der Phosphor unten als geschmolze0/asser, ner „gelber Phosphor" (90%) und Phosphorschiami 1 darüber als ,, Phosphorschlamm ' geschmolzener^ (10°/o) — d. h. als durch StaubPhosphor teilchen verunreinigter Phosphor ftondensationsoefäss — abscheidet. Der durch Destil- Schtoekenabsf/ch — lation gereinigte Phosphor kommt in Stangenform gegossen als Elektrodenmasse ,,weißer Phosphor" in den Handel.
Roter Phosphor. Der rote Elektrischer Ofen P h o s p h o r (S. 250) entsteht aus dem w e i ß e n durch Er- Fig. 85. Darstellung von gelbem Phosphor im elektrischen Ofen h i t z e n auf 250°. Da bei dieser Umwandlung eine erhebliche Wärmemenge frei wird (4.22 kcal/Grammatom), erhitzt man bei der t e c h n i s c h e n Darstellung, die in geschlossenen eisernen Kesseln erfolgt, ganz l a n g s a m (im Laufe von 20—30 Stunden) auf die Umwandlungstemperatur. Erst nach dem Nachlassen der Wärmeentwicklung wird die Temperatur auf 300—350° gesteigert. Geringe Mengen J o d beschleunigen den Vorgang außerordentlich. Der entstehende violettrote, spröde Phosphorkuchen wird nach dem Erkalten in einer Naßmühle gemahlen, durch mehrstündiges Kochen mit Natronlauge von weißem Phosphor befreit (S. 249), getrocknet und in Blechdosen verpackt.
248
Die Stickstoffgruppe
γ . Eigenschaften Der Phosphor kommt in drei definierten monotropen (S. 184ff.) Modifikationen als s c h w a r z e r , w e i ß e r und v i o l e t t e r („roter") Phosphor vor. Ihre t h e r m o d y n a m i s c h e S t a b i l i t ä t nimmt in der genannten Reihenfolge zu. Doch ist die U m w a η d 1 u η g s g e s c h w i n d i g k e i t unter normalen Bedingungen so klein, daß der schwarze und weiße Phosphor bei Zimmertemperatur und Atmosphärendruck neben dem hier allein stabilen violetten Phosphor als m e t a s t a b i l e Modifikationen existenzfähig sind. Der schwarze Phosphor (spez. Gewicht 2.70) kann nur bei s e h r h o h e n D r u c k e n erhalten werden (Erhitzen von weißem Phosphor auf 200° bei 12000 Atmosphären Druck; vgl. auch S. 250), ist eisengrau gefärbt und zeigt Metallglanz, elektrisches Leitvermögen und gute Wärmeleitfähigkeit. Der metastabile weiße Phosphor (spez. Gewicht 1.82) ist entsprechend der OSTWALDschen Stufenregel (S. 185) durch rasches Abkühlen der Dämpfe des stabilen v i o l e t t e n P h o s p h o r s (spez. Gewicht 2.36) erhältlich. Der handelsübliche „rote Phosphor" stellt kein einheitliches Produkt dar, sondern ist wahrscheinlich eine feste Lösung von weißem in violettem Phosphor. Im D a m p f z u s t a n d e besteht der Phosphor bei Temperaturen bis zu 800° aus P 4 -Molekülen. Die vier Atome des Moleküls sind dabei t e t r a e d r i s c h in der Weise angeordnet, daß jedes Phosphoratom durch drei e i n f a c h e Bindungen mit drei anderen Phosphoratomen verknüpft ist (Fig. 86). Auf diese Weise weicht der Phosphor im Einklang mit der D o p p e l Fig. 86. Tetraedrische Molekularformel des weißen b i n d u n g s r e g e l (S. 184, 262) einer M e h r f a c h b i n d u n g aus 2 , 1 Phosphors P^ . wie sie beim Phosphorhomologen in der ersten Achterperiode, dem zweiatomigen S t i c k s t o f f N = N auftritt. Oberhalb 800° beginnen sich die P 4 -Moleküle in P 2 -Moleküle zu spalten (Dissoziationsgrad bei 1200° und Atmosphärendruck etwa 50%). Oberhalb 2000° zerfallen auch die P,-Moleküle in P-Atome. Da weißer, roter (violetter) und schwarzer Phosphor verschiedene physikalische und chemische Eigenschaften haben, sollen sie im folgenden getrennt besprochen werden. Weißer Phosphor Der weiße oder farblose Phosphor bildet eine in der Kälte spröde, bei Zimmertemperatur wachsweiche, farblose, durchscheinende Masse, welche bei 44.1° zu einer farblosen, stark lichtbrechenden Flüssigkeit schmilzt und bei 280° unter Bildung eines farblosen Dampfes siedet. In Wasser ist er nur spurenweise, in Schwefelkohlenstoff leicht löslich. Als metastabile Substanz hat er das Bestreben, in die stabile r o t e (violette) M o d i f i k a t i o n überzugehen. Bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r unter der Einwirkung des Lichtes erfolgt die Umwandlung nur s e h r l a n g s a m ; man kann sie daran feststellen, daß sich der weiße Phosphor am Sonnenlicht gelb färbt und mit einer undurch1
folgt:
Als V a l e n z s t r i c h f o r m e l in die Ebene projiziert lautet die Raumformel P 4 (Fig. 86) wie
A
2 Die Molekulargröße P 4 ist der k l e i n s t e Molekularverband, zu welchem sich dreiwertige Phosphoratome ohne Ausbildung von Mehrfachbindungen zusammenschließen können. Über h ö h e r m o l e k u l a r e Phosphorstrukturen vgl. S. 250f.
Der Phosphor
249
sichtigen rötlich-weißen Schicht überzieht. Schnell erfolgt die Bildung von rotem Phosphor bei 250—300° (vgl. S. 247) ; man muß dabei unter Luftabschluß arbeiten, da sonst Entzündung des Phosphors erfolgt. Anwesenheit von Jod beschleunigt die Umwandlung. Weißer Phosphor ist chemisch ä u ß e r s t r e a k t i o n s f ä h i g . In feinverteiltem Zustande e n t z ü n d e t er sich an der L u f t schon bei Z i m m e r t e m p e r a t u r , in kompakter Form wenig oberhalb 50° von selbst, wobei er mit gelblich-weißer, hell-leuchtender Flamme und intensiver Wärmeentwicklung zu P h o s p h o r p e n t o x y d verbrennt : 2Ρ + 2 V A P 2 0 5 + 360 kcal. Wegen dieser leichten Entzündbarkeit darf man den weißen Phosphor nur unter W a s s e r schneiden, zumal brennender Phosphor auf der Haut tiefgehende, gefährliche B r a n d w u n d e n erzeugt. An f e u c h t e r L u f t oxydiert sich weißer Phosphor vorwiegend zu Säuren der Oxydationsstufe P 2 0 3 (Phosphorige Säure H 3 P0 3 ), P 2 0 4 (Unter-diphosphorsäure H 4 P 2 0 6 ) und P 2 0 6 (Phosphorsäure H 3 P0 4 ). Auch das bläuliche L e u c h t e n des weißen Phosphors im Dunkeln („Phosphoreszenz"), das ihm seinen Namen gegeben hat 1 , beruht auf einer O x y d a t i o n des Phosphors, indem die vom Phosphor spurenweise abgegebenen Dämpfe durch den Luftsauerstoff zunächst zu P h o s p h o r t r i o x y d P 2 0 3 und dann unter A b g a b e v o n L i c h t — statt wie gewöhnlich von Wärme — zu P h o s p h o r p e n t o x y d P 2 0 5 oxydiert werden (S. 255). Das Leuchten wird durch manche Stoffe ·— ζ. B. Schwefelwasserstoff, Schwefeldioxyd, Chlor, Ammoniak — geschwächt oder unterdrückt; auch in reinem Sauerstoff von A t m o s p h ä r e n d r u c k bleibt das Leuchten aus, während es bei D r u c k v e r m i n d e r u n g (pot < 600 mm bei 15°) wieder auftritt. Wegen seiner großen Affinität zum Sauerstoff wirkt der weiße Phosphor als k r ä f t i g e s R e d u k t i o n s m i t t e l : S c h w e f e l s ä u r e wird durch Erwärmen mit Phosphor zu Schwefeldioxyd, S a l p e t e r s ä u r e zu Stickstoffoxyden reduziert; aus Salzlösungen l e i c h t r e d u z i e r b a r e r (edler) M e t a l l e (ζ. B. Gold, Silber, Kupfer, Blei) werden in der Wärme die Metalle als solche oder als Phosphide (ζ. Β. Cu3P2) ausgeschieden. Auch mit H a l o g e n e n und mit S c h w e f e l reagiert weißer Phosphor lebhaft. In warmer K a l i l a u g e disproportioniert er sich — analog dem Chlor (S. 119) — unter Bildung von P h o s p h o r w a s s e r s t o f f und H y p o p h o s p h i t (S. 251 f., 265): Lösung, 4 P + 3OH' + 3 H 2 0 — ^ P H 3 + 3 H 2 P 0 2 ' .
Weißer Phosphor ist ein s t a r k e s G i f t . Schon eine Menge von 0.1 g kann, in den Magen gebracht, einen Menschen töten. Daher ist der Nachweis von weißem Phosphor in der gerichtlichen Chemie von Bedeutung. Fig. 87. Phosphorprobe C Er erfolgt nach der „Probe von MITSCHERnach MITSCHERLICH LICH" zweckmäßig so, daß man den Mageninhalt in einem mit einem LiEBiG-Kühler versehenen Kolben (Fig. 87) mit Wasser erhitzt. Eventuell vorhandener weißer Phosphor verflüchtigt sich dann mit dem Wasserdampf und kommt im Kühlerrohr an der Stelle, an der sich der Wasserdampf kondensiert, mit der am anderen Ende des Kühlerrohres eindringenden Luft in Be1
phosphoroa (φωσφόρος) = Lichtträger.
250
Die StickstoSgruppe
rührung. Im Dunkeln beobachtet man daher an dieser Stelle einen leuchtenden Ring. Als Gegengift gegen eine akute Phosphorvergiftung dient zweckmäßig eine sehr verdünnte K u p f e r s u l f a t l ö s u n g , die den Phosphor als Kupferphosphid bindet (s. oben) und zugleich als Brechmittel wirkt. V i o l e t t e r (roter) Phosphor Der beim Erhitzen von weißem Phosphor entstehende rote Phosphor stellt ein dunkelrotes, in Schwefelkohlenstoff unlösliches Pulver dar und ist viel weniger r e a k t i o n s f ä h i g als der weiße Phosphor. So entzündet er sich ζ. B. erst oberhalb 400°, leuchtet nicht an der Luft, schlägt keine Metalle aus Metallsalzlösungen nieder, reagiert mit Halogenen und Schwefel erst bei höherer Temperatur als der weiße Phosphor und ist indifferent gegenüber Alkalilauge. Im Gemisch mit s t a r k e n Oxydationsmitteln (ζ. B. Kaliumchlorat) entzündet er sich allerdings leicht schon beim Verreiben (S. 123). In feiner verteilter Form zeigt der rote Phosphor größere Reaktionsfähigkeit. Man erhält solche feineren Zerteilungsgrade („hellroter Phosphor") durch Erhitzen von weißem Phosphor in L ö s u n g s m i t t e l n wie Phosphortribromid PBr 3 oder durch Reduktion von P h o s p h o r t r i b r o m i d mit Quecksilber in der Wärme (2PBr 3 + 3Hg —>- 2 Ρ + 3HgBr¡¡). Hellroter Phosphor entzündet sich bei etwa 300°, oxydiert sich schon bei Zimmertemperatur langsam an feuchter Luft, leuchtet in ozonhaltiger Luft, wird in Alkalilauge gelöst und schlägt aus Kupfersulfatlösung Kupfer nieder. Den violetten Phosphor, der (vgl. S. 248) allein als definierte Modifikation neben dem weißen und schwarzen Phosphor anzusehen ist, erhält man in reinem Zustande durch Erhitzen von weißem Phosphor in einem geschlossenen Gefäß auf Temperaturen oberhalb 350°. Er schmilzt bei 589.5° unter seinem eigenen Dampfdruck von 43.1 Atmosphären zu einer farblosen Flüssigkeit. Sein spezifisches Gewicht beträgt 2.36, das des käuflichen roten Phosphors etwa 2.2, das des hellroten Phosphors 1.9. Alle Sorten des roten (violetten) Phosphors sind ungiftig. Schwarzer Phosphor Der schwarze Phosphor, der spezifisch dichter (2.70) als die beiden anderen Phosphormodifikationen (1.82 bzw. 2.36) ist und dementsprechend bei Einwirkung hoher Drucke aus diesen entsteht 1 (S. 248), ist wie der rote und zum Unterschied vom weißen Phosphor in Schwefelkohlenstoff unlöslich, geruchlos, erst bei hohen Temperaturen und auch da nur schwer zur Entzündung zu bringen und an der Luft ohne Entflammung mit dem Messer schneidbar. Reiner schwarzer Phosphor kann bei Zimmertemperatur monatelang ohne die geringste Veränderung aufbewahrt werden. Enthält der schwarze Phosphor aber von der Darstellung her noch geringe Mengen von weißem Phosphor als P^WA ρ,unterhalb Kristallisationskeime (vgl. S. 382), so erfolgt der Pajiierebene allmählich Umwandlung in diese nächstFig. 88. stabilere Modifikation. Gitterstruktur des schwarzen Phosphors P œ 1 Bei Anwendung sehr hoher Drucke (100000 at) genügt zur quantitativen Umwandlung yon weißem in schwarzen Phosphor schon ein kurzer S t o ß d r u c k .
Der Phosphor
251
Der kristallisierte schwarze Phosphor bildet ein aus parallel übereinanderliegenden Schichten bestehendes „Schichtengitter", dessen einzelne Schichten durch wabenförmige Vernetzung der dreiwertigen Phosphoratome gemäß dem Schema von Fig. 88 (P—P-Abstand: 2.19 Â) Zustandekommen und die entsprechend der Tetraederrichtung der drei Valenzen des Phosphors (vgl. Fig. 52, S. 150) in der angegebenen Weise „gewellt" sind (vgl. auch die Kristallstruktur des metallischen Arsens und Antimons, S. 269 und 276). Wahrscheinlich weist auch der r o t e Phosphor ein solches hochmolekulares Schichtengitter auf, wie aus seiner Unlöslichkeit in Lösungsmitteln wie Schwefelkohlenstoff hervorgeht, während der leicht lösliche w e i ß e Phosphor entsprechend dem gelben Schwefel S 8 (S. 183f.) und roten Selen Se8 (S. 214) ein aus P 4 -Molekülen aufgebautes „Molekülgitter" bildet. δ. Verwendung Die Hauptverwendung findet der Phosphor in der Zündholzfabrikation. Die ersten Phosphorzündhölzer wurden 1845 in den Handel gebracht. Sie enthielten im Kopf noch f a r b l o s e n Phosphor im Gemisch mit sauerstoffabgebenden Mitteln (ζ. B. Salpeter, Mennige) und brennbaren Bindemitteln (wie Leim, Dextrin, Gummi arabicum) und waren an jeder Reibfläche zündbar. Wegen ihrer Giftigkeit und allzu leichten Entzündbarkeit wurden sie 1903 wieder verboten. An ihre Stelle traten die schon seit dem Jahre 1848 bekannten S i c h e r h e i t s z ü n d h ö l z e r . Diese bedienen sich des ungiftigen und weniger leicht entzündlichen r o t e n Phosphors. Und zwar befindet sich der Phosphor nicht im Streichholzkopf, sondern — im Gemisch mit Glaspulver — in der an den beiden Seiten der Zündholzschachtel befindlichen Reibfläche. Der Kopf des Zündholzes besteht aus Antimonsulfid (als brennbarer Substanz), Kaliumchlorat (als sauerstoffabgebendem Mittel) und Bindemitteln. Beim Anstreichen des Zündholzes an der Reibfläche wird etwas Phosphor losgerieben, der dann bei der erhöhten Temperatur mit dem Chlorat Feuer fängt und so den brennbaren Zündholzkopf zur Entzündung bringt. Zur besseren Übertragung der Flamme werden die aus weichem Holz bestehenden Hölzer mit etwas Paraffin und zum Schutze gegen Weiterglühen nach dem Erlöschen mit Natriumphosphat getränkt.
b. Wasserstoffverbindungen des Phosphors Phosphor bildet zwei Wasserstoffverbindungen : ein dem Ammoniak NH 3 ent sprechendes Phos-phin P H 3 und ein dem Hydrazin N 2 H 4 entsprechendes Diphosphin P 2 H 4 . Die Existenz eines festen, gelben Phosphorwasserstoffs der Bruttoformel P 2 H (vgl. S. 270) ist noch nicht sichergestellt. Möglicherweise handelt es sich hier nur um eine Adsorptionsverbindung von Phosphin und Phosphor (S. 253). α. Phosphin Darstellung. Von den vier Sauerstoffsäuren des Phosphors vom Typus H 3 PO n (η = 2, 3, 4 und 5; vgl. S. 256 f.) enthalten die beiden ersten (unterphosphorige Säure H 8 P 0 2 und phosphorige Säure H 3 P0 3 ) Phosphor-Wasserstoff-Bindungen. Darauf ist es zurückzuführen, daß diese beiden Säuren und ihre Salze (MeH 2 P0 2 bzw. Me 2 HP0 3 ) beim E r h i t z e n unter Disproportionierung P h o s p h i n ergeben: 2 H 3 P 0 2 — ^ PH 3 +
H 3 P0 4
4H 3 P0 3 — P H , + 3H 3 P0 4 . Eine andere Darstellungsmethode für das Phosphin ist die Einwirkung von f a r b l o s e m P h o s p h o r auf warme K a l i l a u g e . In ähnlicher Weise, wie sich Chlor mit
252
Die Stickstoffgruppe
Lauge unter Diproportionierung zu der Stufe des Chlorwasserstoffs und der unterchlorigen Säure umsetzt (Cl2 + H 2 0 -»· HCl + HCIO ; S. 119), disproportioniert sich der Phosphor in die Stufe des P h o s p h o r w a s s e r s t o f f s und der u n t e r p h o s p h o r i g e n S ä u r e (S. 249,265): 4P + 6H 2 0
^"PH 3 + 3H 3 P0 2 .
I m übrigen stehen f ü r die Gewinnung des Phosphins die schon beim Ammoniak (S. 219ff.) besprochenen Methoden zur Verfügung, so ζ. B. die Darstellung a u s d e n E l e m e n t e n (Erhitzen von Phosphor und Wasserstoff unter hohem Druck auf 300° oder Einwirkung von naszierendem Wasserstoff auf Phosphor — bzw. Phosphorverbindungen —): Ρ + 1V2H2 >- PH S + 2.3 kcal, die H y d r o l y s e v o n P h o s p h i d e n (ζ. B. Calcium-, Magnesium-, Aluminium-, Zinn-, Eisenphosphid) : F»+3H·—•PH, (3) und die Behandlung von P h o s p h o n i u m s a l z e n mit L a u g e : Ρ Η 4 · + 0 Η ' — ^ P H 3 + H 2 0. I n reinster Form erhält man das Phosphin nach der letztgenannten Methode. I n den meisten übrigen Fällen ist dem Phosphin D i p h o s p h i n P 2 H 4 beigemengt. Physikalische Eigenschaften. Phosphin ist ein farbloses, giftiges, „nach Carbid" riechendes Gas, das verflüssigt bei —87.4° siedet und bei —132.5° erstarrt. Daß sein Geruch demjenigen gleicht,'den man beim Eintragen von C a l c i u m c a r b i d CaC2 in Wasser beobachtet, rührt daher, daß das Calciumcarbid stets Spuren C a l c i u m p h o s p h i d enthält, so daß dem entstehenden — geruchlosen — A c e t y l e n C 2 H 2 (CaC2 + 2 H O H —>• Ca(OH) a + C 2 H 2 ) P h o s p h i n P H 3 (Ca 3 P 2 + 6 H O H •—^ 3Ca(OH) 2 + 2PH S ) beigemengt ist. I n Wasser ist Phosphin etwas löslich. Chemische Eigenschaften. Das Phosphin P H 3 unterscheidet sich vom Ammoniak N H 3 vor allem durch sein s t ä r k e r e s R e d u k t i o n s v e r m ö g e n und durch seinen schwächer basischen Charakter. Die s t ä r k e r e n r e d u z i e r e n d e n E i g e n s c h a f t e n gehen z . B . schon daraus hervor, daß sich reines Phosphin an der L u f t bereits bei 150° unter Verbrennung zu Phosphorsäure e n t z ü n d e t : H3P+ 2 0 2 — H 3 P 0 4 und daß es Lösungen von Silbernitrat oder Kupfersulfat zu M e t a l l (im Gemisch mit Metallphosphid) reduziert. Die s c h w ä c h e r e n b a s i s c h e n E i g e n s c h a f t e n erkennt man daran, daß in wässeriger Lösung der Gleichgewichtszustand der S a l z b i l d u n g mit Halogenwasserstoff: ΧΗ, + Η · ^ ± : [XH«]·, der beim A m m o n i a k (X = N) ganz auf der r e c h t e n S e i t e der Reaktionsgleichung liegt, beim P h o s p h i n (X = P) weitgehend nach l i n k s verschoben ist, so daß Phosphoniumchlorid PH 4 C1 (Sblp. —28°), Phosphoniumbromid Ρ Η , Β γ (Sblp. 30°) und Phosphoniumjodid P H 4 J (Sblp. 80°) in wässeriger Lösung in Phosphorwasserstoff und Halogenwasserstoffsäure zerfallen. Auch im Gaszustande sind die Phosphoniumhalogenide praktisch vollkommen in ihre Komponenten gespalten. Beim später zu besprechenden A r s i n (X = As) liegt das obige Gleichgewicht schon v o l l k o m m e n auf der linken Seite der Gleichung; Arsin bildet daher überhaupt keine „Arsonium" Verbindungen mehr.
253
Der Phosphor β. Diphosphin
Diphosphin P 2 H 4 entsteht gewöhnlich — besonders bei der Zersetzung von Phosphiden mit Wasser — als Nebenprodukt der Phosphindarstellung. Es läßt sich wegen seines höheren Schmelz- (—99°) und Siedepunktes (+51.7°) leicht durch Kühlung als farblose Flüssigkeit vom Phosphin abtrennen. Diphosphin ist zum Unterschied von Phosphin s e l b s t e n t z ü n d l i c h und bedingt die Selbstentzündlichkeit des rohen — Diphosphin enthaltenden — Phosphins. Es zersetzt sich — vor allem im Licht — leicht unter Disproportionierung in Phosphor und Phosphin (vgl. den entsprechenden Zerfall des Hydrazins, S. 225) : 3P a H 4 — > - 4PH 3 + 2 P ,
wobei der entstehende Phosphor einen Teil des Phosphins festzuhalten scheint („fester Phosphorwasserstoff"·, S. 251).
c. Halogenverbindungen des Phosphors Phosphor bildet mit Halogenen Verbindungen des Typus PXj, PX5 und P2X4. Außerdem kennt man noch Sauerstoff-Halogen-Verbindungen der Zusammensetzung POX3. Den T r i h a l o g e n i d e n PX 3 kommt die Elektronenformel I zu. Die Oxyhalogenide POX 3 leiten sich davon durch Anlagerung eines Sauerstoffatoms an das freie Elektronenpaar des Phosphors ab (II). Bei den P e n t a h a l o g e n i d e n P X 5 ist wahrscheinlich der Sauerstoff der Oxyhalogenide durch zwei Halogenatome ersetzt (III). Die — schwächere — „Einelektronenbindung" (vgl. S. 193) bedingt dabei wohl die leichte Abspaltbarkeit dieser beiden Halogenatome (vgl. S. 193). « e e Ol Cl Cl 8
Cl : Ρ : Cl 6
»C1:P:C1«
eCl:P:Cl«.
ö •
(I)
cfci 77
(II)
(ΙΠ)
Die T e t r a h a l o g e n i d e P 2 X 4 enthalten eine Phosphor—Phosphor-Bindung : X 2 P—PX a . Eine Übersicht über die physikalischen Eigenschaften der einzelnen Verbindungen gibt die folgende Tabelle: PX 3
PX 5
POX3
X= F
Farbloses Gas Smp. - 1 6 0 ° Sdp. - 9 5 °
Farbloses Gas Smp. - 8 3 ° Sdp. - 7 5 °
Farbloses Gas Smp. —68» Sdp. - 4 0 »
X = C1
Farblose Flüssigkeit Smp. - 9 1 ° Sdp. 75.9»
Farblose Kristalle Sblp. 100° Smp. 148°
Farblose Flüssigkeit Farblose Flüssigkeit Smp. —28» Smp. 1.3· Sdp. 180° Sdp. 108.7»
X=Br
Farblose Flüssigkeit Smp. - 4 1 . 5 ° Sdp. 176°
Rotgelbe Kristalle Smp. - PC13 + 76.9 kcal.
Die' Stickstoffgruppe
254
Der Phosphor entzündet sich dabei von selbst und verbrennt mit fahler Flamme, während in die gekühlte Vorlage ein Gemisch von Phosphortrichlorid PC13 und etwas Phosphorpentachlorid PC15 destilliert. Um letzteres zu entfernen, fügt man zum Destillat etwas weißen Phosphor hinzu und destilliert erneut (3PC16 + 2P —>- 5PC13). Phosphortrichlorid ist eine farblose, stechend riechende, bei 75.9° siedende und bei —91° erstarrende Flüssigkeit, die von W a s s e r sehr leicht unter Bildung von phosphoriger und Salzsäure zersetzt wird: PCI3 + 3HÖH >- P(OH)3 + 3HCl und daher an feuchter Luft stark raucht. Durch O x y d a t i o n s m i t t e l (ζ. B. Chlorat) — langsam auch schon durch molekularen Sauerstoff — wird es in P h o s p h o r - o x y c h l o r i d P0C13, durch Schwefel in P h o s p h o r - t h i o c h l o r i d PSC13 und durch Chlor in P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d PCI5 übergeführt. Diese Anlagerungen beruhen auf dem Bindungsbestreben des am Phosphor vorhandenen freien Elektronenpaares (vgl. S. 253). Phosphorpentachlorid PCI5 bildet sich entsprechend der letztgenannten Reaktion bei der Einwirkung überschüssigen Chlors auf P h o s p h o r t r i c h l o r i d : PC13 + Cl2 PC15 + 29.7 kcal (1) als in reinem Zustande weiße, gewöhnlich aber wegen teilweiser Spaltung in Trichlorid und Chlor grünlichweiße Masse. Beim Erhitzen im offenen Rohr sublimiert Phosphorpentachlorid bei 100°, ohne zu schmelzen. Der Schmelzpunkt kann nur in geschlossenem Rohr unter dem eigenen Druck der Dissoziationsprodukte PC13 und Cl2 bestimmt werden und liegt dann bei 148°. Als endotherme Reaktion nimmt die Spaltung in Phosphortrichlorid und Chlor mit steigender Temperatur zu. Bei 180° sind rund 40%, bei 250° rund 80°/0 des Phosphorpentachlorids dissoziiert, und bei 300° besteht der Dampf fast völlig aus den Dissoziationsprodukten. Dementsprechend nimmt der bei niedriger Temperatur nahezu farblose Dampf mit steigender Temperatur immer mehr die Farbe des Chlors an. In einer Atmosphäre von Chlorgas oder Phosphortrichlorid-Dampf verdampft Phosphorpentachlorid gemäß dem Massenwirkungsgesetz (Verschiebung des Gleichgewichts (1) nach rechts) nahezu unzersetzt. Wegen der leichten Abspaltbarkeit von Chlor wird Phosphorpentachlorid vielfach als Chlorierungsmittel benutzt. An der Luft zieht Phosphorpentachlorid Wasser an und geht in Phosphoroxychlorid und Chlorwasserstoff über: PC15 + H 2 0 — s - POCI3 + 2 HCl.
(2)
Daher raucht es an feuchter Luft. Mit viel Wasser zersetzt es sich weiter zu P h o s phorsäure :
P0CL3 +
3 H 0 H
— ^ PO(OH)3 + 3HCl.
(3)
Phosphor-oxychlorid POCI3 kann — wie aus Gleichung (2) hervorgeht — durch Versetzen von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit der berechneten Menge Wasser gewonnen werden. Zur Darstellung ist es aber, um weitere Zersetzung zu Phosphorsäure (3) zu vermeiden, zweckmäßiger, Verbindungen einwirken zu lassen, die verhältnismäßig schwer Wasser abgeben; ζ. B. Oxalsäure (H 2 C 2 0 4 —>- H 2 0 + CO + C0 2 ) : PC15 + H2C204 — > POCI3 + 2 HCl + CO + C02 oder B o r s ä u r e (2H 3 B0 3 —>- 3H 2 0 + B 2 0 3 ). Auch bei der Oxydation von Phosp h o r t r i c h l o r i d mit Kaliumchlorat : 3PC13 + KC103 — 3 P O C I 3 + KCl oder bei der Umsetzung von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit P h o s p h o r p e n t o x y d : 3PC16+ P 2 0 5 —>- 5POCI3 entsteht Phospor-oxychlorid.
Der Phosphor
255
Phosphor-oxychlorid ist eine farblose, stark lichtbrechende, an feuchter Luft rauchende Flüssigkeit, die bei 108.7° siedet und bei 1.3° erstarrt.
d. Oxyde des Phosphors Phosphor bildet drei Oxyde: ein Phosphortrioxyd P 2 0 3 , ein Phosphortetroxyd P 2 0 4 und ein Phosphorpentoxyd P a 0 5 . Ersteres ist das Anhydrid der phosphorigen (P 2 0 3 + 3 H 2 0 q z b 2H3PO3), letzteres das Anhydrid der Phosphorsäure (P 2 0 5 + 3H a O 2 H 3 P0 4 ) ; Phosphortetroxyd kann als gemischtes Anhydrid der phosphorigen und Phosphorsäure angesehen werden (P 2 0 4 + 3 H 2 0 < -> H 3 P 0 3 + H 3 P0 4 ). Phosphortrioxyd Pg0 3 . Verbrennt man Phosphor bei beschränktem Luftzutritt und niedriger Temperatur, so entsteht Phosphortrioxyd: 2 P + 1V.O, — ν
P203.
Von gleichzeitig gebildetem Phosphorpentoxyd kann es wegen seiner größeren Flüchtigkeit leicht abgetrennt werden. Phosphortrioxyd bildet eine weiße, wachsartige, kristalline, sehr giftige Masse, die bei 22.5° schmilzt und (in Stickstoffatmosphäre) bei 173.1° siedet. Sein Molekulargewicht entspricht im geschmolzenen, gelösten und dampfförmigen Zustande der Formel P 4 O e . Diese Formel leitet sich von der des vieratomigen Phosphormoleküls P 4 in der Weise ab, daß jede der sechs Ρ—Ρ-Bindungen des P 4 -Tetraeders (Fig. 86, S. 248) durch eine Ρ—Ο—Ρ-Bindung ersetzt ist. Die so zustandekommende Struktur mit dreiwertigen Phosphor- und zweiwertigen Sauerstoffatomen ist gemäß Fig. 89 von hoher Symmetrie (tetraedrische Anordnung der Phosphor-, oktaedrische der Sauerstoffatome, symmetrische räumliche Verknüpfung von vier P 3 0 3 -Sechsringen) und findet sich auch bei anderen Verbindungen, ζ. B. dem Arsenik As 4 0 6 (S. 272) und dem Urotropin N 4 (CH 2 ) 6 (II, S. 106). Die dem „Phosphortrioxyd" (P 2 0 3 ) 2 entsprechende Sauerstoffverbindung des S t i c k s t o f f s , N 2 0 3 (S. 232), ist zum Unterschied von der dimeren Phosphorverbindung m o n o m e r , da hier im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 184) die Ausbildung von Doppelbindungen möglich ist: 0 = N — O — N = 0 , was bei der dimeren Formel vermieden wird. Beim Erhitzen auf über 210° d i s p r o p o r t i o n i e r t sich Phosphortrioxyd in roten P h o s p h o r und P h o s phortetroxyd: +3 0 +4 Fig. 89. 2P +
3P204.
Bäumliche Molekularformel des
Phosphortrioxyds (P 2 0 3 ) 2 Bei 70° entzündet es sich an der L u f t und verbrennt zu P h o s p h o r p e n t o x y d : P 2 0 3 + 0 , — P 2 0 B . Diese Vereinigung mit Sauerstoff erfolgt langsam auch schon bei gewöhnlicher Temperatur ; dabei beobachtet man eine L e u c h t e r s c h e i n u n g (vgl. S. 249). Mit k a l t e m W a s s e r setzt sich Phosphortrioxyd sehr langsam unter Bildung von p h o s p h o r i g e r S ä u r e um: P 2 0 3 + 3 H 2 0 2 H 3 P 0 3 Einwirkung von h e i ß e m W a s s e r führt in heftiger und wenig übersichtlicher Reaktion zur Bildung von rotem P h o s p h o r , P h o s p h o r w a s s e r s t o f f e n und P h o s p h o r s ä u r e (vgl. S. 251). Phosphortetroxyd P 2 0 4 . Das gemäß (4) durch Erhitzen von Phosphortrioxyd darstellbare Phosphortetroxyd P 2 0 4 bildet farblose, glänzende Kristalle, die sich in W a s s e r unter beträchtlicher Wärmeentwicklung und Bildung von p h o s p h o r i g e r und P h o s p h o r s ä u r e lösen:
256
Die Stickstoffgruppe
P204 + e l i j o
H3PO3 + H3PO4.
Es entspricht in dieser Beziehung dem Stickstofftetroxyd N 2 0 4 , welches mit Wasser salpetrige und Salpetersäure liefert. Phosphorpentoxyd P3O5. Verbrennt man Phosphor bei genügender Luft- oder Sauerstoffzufuhr, so entsteht unter außerordentlicher Wärmeentwicklung Phosphorpentoxyd : 2 p + 21/2Q2 ^ p a o 5 + 365.8 kcal. T e c h n i s c h erfolgt die Darstellung durch V e r b r e n n u n g von weißem P h o s p h o r in eisernen Trommeln. Von gleichzeitig gebildeten niederen Phosphoroxyden läßt es sich durch Sublimation im Sauerstoffstrom bei Rotglut befreien. Phosphorpentoxyd bildet gewöhnlich ein weißes, schnee-artiges, geruchloses Pulver. Durch Sublimation (Sblp. 350°) kann es verflüchtigt und an kälteren Stellen in Form stark lichtbrechender Kristalle wieder verdichtet werden. Beim Erhitzen im geschlossenen Raum auf über 400° wird es pulverig amorph, dann glasig. Bei noch weiterem Erhitzen schmilzt (Smp. 563°) und verdampft dieses Glas; aus dem Dampf scheidet sich beim Erkalten wieder das kristallisierte Phosphorpentoxyd aus. Das Molekulargewicht im Dampfzustande entspricht der Formel P 4 O 10 . Diese Formel leitet sich von der P 4 0 6 -Formel (Fig. 89) dadurch ab, daß jedes Phosphoratom mit Hilfe seines freien Elektronenpaares 1 noch ein Sauerstoffatom bindet : ^ Ρ : + Ö : — > P : ( ) : · Nach vorheriger Bestrahlung phosphoresziert Phosphorpentoxyd mit grünem Lichtschein; die Intensität des Leuchtens nimmt mit abnehmender Temperatur zu und ist bei —180° glänzend hell. Die charakteristischste Eigenschaft des Phosphorpentoxyds ist sein außerordentliches Bestreben, sich mit W a s s e r begierig zu M e t a p h o s p h o r s ä u r e H P 0 3 und weiter auf dem Wege über Polyphosphorsäuren (S. 263) zu O r t h o p h o s p h o r s ä u r e H 3 P 0 4 ZU vereinigen: P206 - + =!°>. 2HP03
+ 2 Η ί
°>
2H3P04.
Es ist das kräftigste wasserentziehende Mittel, das man kennt, und wird deshalb in Exsiccatoren (S. 205) und Trockenrohren zum Entfernen auch der geringsten Spuren von Wasserdampf benutzt. Auch zur Wasserabspaltung aus chemischen Verbindungen (ζ. B . zur Darstellung von Säure-anhydriden : 2HNO s —>- N 2 0 6 + H a O; H 2 S 0 4 —>SO3 + H 2 0 ) und zur Bindung von Wasser bei chemischen Umsetzungen wird es vielfach verwandt.
e. Sauerstoffsäuren des Phosphors α. Systematik und Konstitution Der Phosphor bildet vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Zusammensetzung H 3 P0 n („Ortho-säuren") bzw. — in wasserarmerer Form („Meta-säuren") — HP0„_i (n = 2, 3, 4 und 5) und vier Sauerstoffsäuren der allgemeinen Formel H 4 P ? O n (n = 5, 6, 7 und 8). Die Bezeichnungen für die einzelnen Säuren und ihre Salze gehen aus der folgenden Tabelle hervor, in welcher die Verbindungen nach steigender Oxydationszahl des Phosphors angeordnet sind: 1 Jedes kovalent dreiwertige Phosphoratom besitzt noch ein unbeanspruchtes Elektronenpaar, da von den insgesamt 5 Außenelektronen im dreiwertigen Zustande nur 3 Elektronen zur Valenzbetätigung herangezogen sind.
Der Phosphor Oxydationszahl
Säuren des Ty pus H3P0n (HP0„-i) For mei
+ 1
Salze
Name
Orthoform Metaform
HsPOÄ
(HPO) Unterphospho- Hypo-
H3PO3
hpo2
rige Säure
257 Säuiren des Typus H4P*0n Formel
Name
Salze
phosphite
+ 2
+ 3
Phosphorige Säure
Phosphite
+ 4 + δ
Säure
H4P2O6 Unter-diphos- Hypophorsäure
H3PO4
HPO,
Phosphorsäure
Phosphate
H A O , Diphosphorsäure
diphosphate Diphosphate
H4P3O8 Peroxy-diphos- Peroxy-
( + 6) 1 ( + 7) 1
H4P2O5 Diphosphorige Diphosphate
phorsäure
H3PO5
(HP04) P.'i oxyphosphorsäure
Peroxyphosphate
diphosphate
•
Orthosäuren des Typus H:1POn. Der Aufbau der den Säuren H3POn und ihren Salzen zugrundeliegenden Anionen PO n "' läßt sich am einfachsten wie bei den Sauerstoffsäuren des Chlors (S. 154f.) vom einfachen Ion des Zentralatoms aus ableiten. Das Phosphid-ion P ' " hat die in Formel I wiedergegebene Elektronenkonfiguration. Durch Anlagerung von 1, 2, 3 und 4 Sauerstoffatomen an die vier freien Elektronenpaare dieses Anions entstehen die Anionen II, I I I , IV und V : :Ρ:
:Ρ: :Ö:
(I)
(II) (unbekannt)
Phosphid
:Ö:P: (HI)
Hypophosphit
:Ö: :Ö:Ρ: :Ö: (IV) Phosphit
— —
:0: : Ö :P : Ö : :0: (V)
Phosphat
Von diesen Anionen sind diejenigen mit freien Elektronenpaaren am Phosphor (I—IV) in wässeriger Lösung unbeständig, weil der Phosphor in diesen Verbindungen ein großes Bestreben zeigt, W a s s e r s t o f f - i o n e n des Wassers an die freien Elektronenpaare anzulagern. Löst man also ζ. B. ein Phosphit der Formel [P0 3 ] " ' in Wasser auf, so vollzieht sich sofort die Umsetzung: [P03]'" + HÖH • — [ H P O j ] " + OH'. Das Gleichgewicht dieser Reaktion liegt dabei ganz auf der r e c h t e n Seite. Es gelingt daher nicht, in Umkehrung der Reaktion durch Einwirkung von Lauge auf das H y d r o g e n p h o s p h i t - i o n [HPO a ]" das letzte (dritte) Wasserstoffatom der zugrundeliegenden phosphorigen Säure H 3 P0 3 zu neutralisieren. Die phosphorige Säure H 3 P0 3 ist mit anderen Worten trotz ihrer drei Wasserstoffatome in wässeriger Lösung8 nur eine zweibasige Säure. Analoges gilt etwa vom Phosphid-ion. Bringt man ζ. B. Calcium phosphid mit Wasser zusammen (vgl. (3), S. 252), so lagern sich an drei — in stark saurer Lösung an alle vier — Elektronenpaare des Phosphors Wasserstoff Vgl. Anmerkung 3 auf S. 228. Bei A u s s c h l u b von V\ abser (ζ. B. in Schmelzen) ist natürlich auch das d r i t t e Wasserstoffatom der phosphorigen Säure H 3 P 0 3 durch Metall ersetzbar. Analoges gilt für den Ersatz der nichtsauren H-Atome a n d e r e r Waeserstoffverbindungen (z.B. von NH S ; vgl. S. 223). H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl. 17 1
2
Die Stickstoffgruppe
258
ionen an, so daß P h o s p h o r w a s s e r s t o f f P H 3 bzw. P h o s p h o n i u m - i o n [PH 4 ]' entsteht. Somit gellt die obige Anionenreihe in w ä s s e r i g e r L ö s u n g in die folgende Reihe ü b e r : H H H " :O: H : P:H H:P:H :Ö: Ρ : H :Ö:P:H :0 (2) :Ó: H u. J L J (II) " (IÏI) (IV) (V) (I) Phosplionium
Phosphinoxyd 1
Hypophosphit
Phosphit
Phosphat
Wir ersehen daraus, daß eine lückenlose Heike vom [PH 4 ] ' bis zum [P0 4 ] ' " hin besteht, daß die Ladung des Ions bei jedem Schritt — entsprechend dem jeweiligen Ersatz eines positiv geladenen Wasserstoff-ions H + durch ein neutrales Sauerstoffatom O : — um je eine positive (negative) Einheit ab-(zu-)nimnit und daß dementsprechend die unterphosphorige Säure H 3 P 0 2 in wässeriger Lösung zum Unterschied von der z w e i b a s i g e n phosphorigen Sàtire H 3 P 0 3 und der d r e i b a s i g e n Phosphorsäure· H 3 P 0 4 eine e i n b a s i g e Säure ist. Die obige Verbindungsreihe (2) ist auch — bis auf das erste Glied — in Form von Fluord e r i v a t e n (Ersatz der Wasserstoffatome durch Fluoratome) bekannt: F • F Ρ F F (unbekannt)
F F Ρ F O
F r ΟΡ F O D if luo-phosphat
o i" • O " ΟΡΟ OP F o O Phosphor-oxyfluoiid Phosphat Fluo-phosphat Von diesen Fluorderivaten entspricht in Aufbau und Ladung das D i f l u o - p h o s p h a t - i o n P0 2 F 2 ' dem P e r c h l o r a t - i o n C104' und das F l u o - p h o s p h a t - i o n P0 3 F" dem Sulfat-ion SO/'; dementsprechend ähneln sich auch die Reaktionen der genannten isosteren Ionen. Die Peroxy-monophosphorsäure (Peroxyphosphorsäure) H 3 P 0 5 enthält ein Sauerstoffatom mehr als die Phosphorsäure H 3 P 0 4 . Da der Phosphor im Phospkat-ion kein freies Elektronenpaar mehr aufweist — vgl. Formel (2), V —, kann die Bindung des fünften Sauerstoffatoms nur durch eines der vier S a u e r s t o f f atome des Phosphations erfolgen: 0: :0 Ρ : Ö : Ó : Ö:" Dementsprechend ist die Peroxyphospkorsäure H S P 0 5 wie die Pevoxysckwefelsäure H 2 S O s (S. 198) und zum Unterschied von der Überchlorsäure HC10 4 (S. 155) eine P e r o x y - Verbindung. Metasäuren des Typus HPO„_). Die vorstehend besprochenen Säuren H 3 PO„ kommen auck in einer w a s s e r ä r m e r e n Form H P O n _ ι (H 3 PO n — H 2 0 -+- HPO n _i) vor. Zur Unterscheidung nennt man die ersteren Ortho-, die letzteren Mefa-säuren. Die metaphosphorige Säure H P 0 2 und Metaphosphorsäure H P 0 3 entsprechen in ihrer Formel der vom Phosphor-Homologen Stickstoff abgeleiteten salpetrigen Säure HjST02 und Salpetersäure HN0 3 . Diese Übereinstimmung ist aber nur äußerlich; denn die Struktur der — in Wahrheit p o l y m e r e n — Metasäuren des Phosphors und ihrer Salze ist von der der entsprechenden Stickstoffsäuren und ihrer Salze g a n z v e r s c h i e d e n (S. 262f.). Disäuren des Typus H 4 P 2 0 n . Die Di- oder Pyrophosphit-ionen unterscheiden sich in ihrer Konstitution von den Di- oder Pyrophosphat-ionen wie die Phosphit-ionen von 1
Bis jetzt nur in Form von Alkylderivaten P 0 E 3 bekannt (R. = Kohlenwasserstoffrest).
Der Phosphor
259
den Phosphat-ionen. Bei den Diphosphiten ist also je eines der vier um jedes Phosphoratom des Diphosphate gruppierten vier S a u e r s t . o ff a t o m e durch Wa s s e r s t o f f ersetzt : Ο Ο Υ'" Γ Ο Ο Ι " ΟΡΟΡΟ Η Ρ Ο Ρ Η . Ο Ο J L o o . Diphoiphat
Diphosphit
Dementsprechend ist die diphosphorige Säure H 4 P 2 0 5 zum Unterschied von der v i e r to a s i g e n Diphosphorsäure H 4 P 2 0 7 nur z w e i b a s i g . Auch in den beiden anderen Säuren des Typus H 4 P 2 O n — der Unter-diphosphorsäure H 4 P 2 0 6 und der Peroxy-diphosphorsäure H 4 P 2 0 8 — bleibt wie in allen anderen Phosphorsäuren die K o o r d i n a t i o n s z a h l 4 des Phosphors gewahrt: OO 0 o ΟΡΡΟ OΡ OOΡ o OO o o Hypo-diphosphat
Peroxy-dlphosphat
Die Formeln der beiden Ionen unterscheiden sich von der des D i p h o s p h a t s dadurch, daß im H y p o - d i p h o s p h a t die im Diphosphat vorhandene S a u e r s t o f f b r ü c k e zwischen den beiden Phosphoratomen f e h l t , während sie im P e r o x y - d i p h o s p h a t durch eine P e r o x y - b r ü c k e ersetzt ist. ß. P h o s p h o r s ä u r e Orthophosphorsäure Darstellung. Zur technischen Darstellung von Phosphorsäure dienen natürliche Mineralphosphate als Ausgangsmaterial. Der Aufschluß dieser Phosphate erfolgt entweder auf n a s s e m oder auf t r o c k e n e m Wege. Beim n a s s e n A u f s c h l u ß wird das gemahlene P h o s p h a t mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e behandelt: Ca3(P04)2 + 3H 2 S0 4 •—> 3CaS04 + 2H 3 P0 4 , das dabei entstehende wasserunlösliche Calciumsulfat abfiltriert und die zurückbleibende Phosphorsäurelösung konzentriert. Man erhält so je nach dem Arbeitsverfahren 20—50°/0ige, nicht sehr reine Lösungen. Beim t r o c k e n e n A u f s c h l u ß wird das M i n e r a l p h o s p h a t mit K o k s und K i e s e l s ä u r e im Gebläse-Schachtofen (Hochofen) oder im elektrischen Ofen (S. 247f.) verschmolzen: Ca3(P04)2 + 3Si0 2 + 5C 3CaSi03 + 5CO + 2Ρ und das hierbei aus dem Ofen austretende, aus Phosphordampf und Kohlenoxyd bestehende Gas mit L u f t ü b e r s c h u ß zu Phosphorpentoxyd verbrannt: 2 P + 2V202 —>- P 2 0 5 . Die Verbrennungsgase, die das Pentoxyd in Form von Rauch enthalten, können dann mit Wasser oder mit 50°/ 0 iger Phosphorsäurelösung zu Orthophosphorsäure umgesetzt werden : P 2 0 6 + 3H 2 0 — 2 H 3 P 0 4 . Man gewinnt so 85—90°/oige, recht reine Lösungen. Die Verbrennung des Phosphors zu Phosphorpentoxyd kann statt mit L u f t auch mit überhitztem W a s s e r d a m p f erfolgen („LILJENROTH-V erfahren"), wobei gleichzeitig W a s s e r s t o f f gewonnen wird: 2 Ρ -f 5 H 2 0 — > P 2 0 5 + 5 H 2 ; wegen technischer Schwierigkeiten ist dieses Verfahren jetzt aber nicht mehr in Anwendung. C h e m i s c h r e i n e P h o s p h o r s ä u r e läßt sich durch Verbrennen von r e i n e m P h o s p h o r mit L u f t und Umsetzung des gebildeten reinen Phosphorpentoxyds mit W a s s e r gewinnen. Die früher durchgeführte Oxydation von Phosphor mit S a l p e t e r s ä u r e wird technisch nicht mehr ausgeführt. 17*
260
Die Stickstoffgruppe
Physikalische Eigenschaften. Phosphorsäure bildet bei gewöhnlicher Temperatur wasserklare, harte, geruchlose, in Wasser äußerst leicht lösliche Kristalle, die bei 42.3° schmelzen und das spezifische Gewicht 1.88 besitzen. In den Handel kommt sie gewöhnlich als sirupöse 85—90°/ 0 ige Lösung (spez. Gewicht 1.70—1.75), da sich stärker konzentrierte Lösungen infolge ihrer Viskosität nicht mehr abhebern lassen. Chemische Eigenschaften. Orthophosphorsäure H 3 P 0 4 ist eine d r e i b a s i g e , m i t t e l s t a r k e S ä u r e und bildet dementsprechend drei Reihen von Salzen: primäre Phosphate Me I H 2 P0 4 , sekundäre Phosphate Me|HP0 4 und tertiäre Phosphate Me*P0 4 . Die Dissoziation der Säure erfolgt in drei Stufen: Η3Ρ04^Η·+Η2Ρ04' HjP0 4 'Z^±:H-+ ΠΡΟ/' ΠΡΟ/' Η' + P0 4 "'.
(3) (4) (5)
Die zugehörigen D i s s o z i a t i o n s k o n s t a n t e n haben bei 18° die Werte : K1 = 1.1 Χ 1 0 - 2 , K2 = 1.2 χ 10 - 7 und K3 = 1.8 X10 — 1 2 ; oder als S ä u r e - e x p o n e n t e n pK——logif (S. 107) geschrieben : p K i = 1.96, p Ki = 6.92, p K = 11.74. Hieraus ergibt sich (vgl. S.106f. und Fig. 41, S. 107) für den Zusammenhang zwischen ^ H -Wert und Phosphat-ionengehalt einer Phosphorsäure- oder Phosphatlösung das untenstehende Bild (Fig. 90). Man ersieht aus dem Diagramm, daß beispielsweise in einer Phosphorsäurelösung vom ^>H-Wert 2 die Hälfte der Phosphorsäuremoleküle als H 3 P 0 4 und die andere Hälfte als H 2 P 0 4 ' ^ ^ ^ 9s vorliegt, während HP0 4 "- und -ι , 3 "\ s τ si « a V" „ P0 4 "'-ionen praktisch nicht vorhanden sind. Mit zunehmendem ^>H-Wert der Lösung (also bei Zusatz von Alkali) nimmt das Molverhältnis H 3 P 0 4 : H 2 P0 4 ' infolge Verschiebung des Gleichgewichts (3) nach rechts ab, bis bei einem ^ H -Wert von 4.5 praktisch alles in Form von H 2 P0 4 'ionen vorliegt. Weiterer Zusatz von Alkali führt gemäß (4) zur Bildung vonHP0 4 "-ionen (ρ π = 6: 9 0 ° / 0 H 2 P 0 4 ' + 10°/ 0 HP0 4 " ; Pufferwirkung — P H P u = 8: 10% H 2 P 0 4 ' + 90% Fig. 90. Abhängigkeit der Ionenkonzentrationen vom HP0 4 ") und schließlich — Pft-Wert in einer Phosphorsäure-(Phosphat-)lösung nachdem bei einem ^>H-Wert von 9.5 praktisch das gesamte Phosphat in Form von HP0 4 "-ionen vorliegt — gemäß (5) zur Bildung von P0 4 "'ionen (pR = 12: 5 0 % H P 0 4 " + 50%P0 4 '")· Wie weiterhin aus dem Diagramm ersichtlich ist, reagieren die primären Phosphate in wässeriger Lösung s a u e r {pK = 4.5), die sekundären s c h w a c h b a s i s c h (ρ Έ = 9.5) und die tertiären s t a r k b a s i s c h . Letztere sind nach dem Diagramm nur bei einem ^>H-Wert von 14.5, also in s t a r k a l k a l i s c h e r Lösung ohne nennenswerte Hydrolyse auflösbar. In W a s s e r (pH = 1) erfolgt weitgehende H y d r o l y s e : P0 4 "' + H Ö H — > • H P 0 4 " + OH', wobei die Lösung a l k a l i s c h wird. Ein geeignetes P u f f e r g e m i s c h (vgl. S. 107f.) ist nach Fig. 90 ein Gemisch von p r i m ä r e m und s e k u n d ä r e m P h o s p h a t , welches im Gebiet 6—8 (90%H 2 P0 4 ' + 1 0 % H P 0 4 " bis 10% H 2 P 0 4 ' + 90% HP0 4 ") gut puffert (4). Salze. Die p r i m ä r e n P h o s p h a t e ΜβΉ^ΡΟί lösen sich alle in Wasser, während von
Der Phosphor
261
den s e k u n d ä r e n und t e r t i ä r e n P h o s p h a t e n Me£HP0 4 bzw. Me^P0 4 nur die A l k a l i s a l z e in W a s s e r , die übrigen lediglich in M i n e r a l s ä u r e n löslich sind. Die A l k a l i p h o s p h a t e gewinnt man gewöhnlich durch Zufügen der entsprechenden Menge P h o s p h o r s ä u r e zu A l k a l i h y d r o x y d - oder A l k a l i c a r b o n a t l ö s u n g e n (H 3 P0 4 + NaOH —>- NaH 2 P0 4 + H 2 0 ; 2 H 3 P 0 4 + N a 2 C 0 3 —>- 2 N a H 2 P 0 4 + H 2 0 + CO 2). Das gewöhnlich verwendete Natriumsalz ist das s e k u n d ä r e N a t r i u m p h o s p h a t N a 2 H P 0 4 · 12H 2 0. ES bildet farblose große Säulen oder Tafeln, welche an der Luft unter Bildung eines Dihydrats Na 2 HP0 4 · 2 H 2 0 verwittern und bei 40° schmelzen. Das bei der Umsetzung einer Natriumphosphatlösung mit Ammoniumchlorid entstehende s e k u n d ä r e N a t r i u m - a m m o n i u m - p h o s p h a t („Phosphorsalz") N a N H 4 H P 0 4 (Na 2 HP0 4 -f NH4C1 —>- N a N H 4 H P 0 4 + NaCl) kristallisiert aus wässeriger Lösung als Tetrahydrat aus und dient in der qualitativen Analyse zur Herstellung charakteristisch gefärbter „Phosphorsalzperlen" zwecks qualitativer Erkennung von Metalloxyden (vgl. S. 364). Uber die als Düngemittel wichtigen A m m o n i u m - und Calc i u m p h o s p h a t e vgl. S. 263f. Die u n l ö s l i c h e n P h o s p h a t e entstehen aus den löslichen durch doppelte Umsetzung. Analytisch wichtig sind : der auf Zusatz von Silbernitrat zu Phosphatlösung entstehende gelbe Niederschlag von Silberphosphat (HP0 4 " + 3Ag" Ag 3 P0 4 + H ' ; H ' + H P 0 4 " —>• H 2 P0 4 '), der bei Zugabe von Magnesiumsalz, Ammoniak und Ammoniumsalz („Magnesiamischung") ausfallende weiße, kristalline Niederschlag von Magnesium-ammonium-phosphat (HP0 4 " + Mg" + NH 4 ' — ^ MgNH 4 P0 4 + H' ; H ' + NH 3 —>• NH4") und der in salpetersaurer Lösung auf Zusatz von Ammonium-molybdat (NH4)2MO04 gebildete gelbe Niederschlag von Ammonium-molybdato-phosphat, (NH 4 ) 3 [P(Mo 3 0 10 ) 4 ] (vgl. S.499Í.). Beim Glühen gehen die s e k u n d ä r e n Phosphate unter Abspaltung eines Mols Wasser je 2 Mol Phosphat in P y r o p h o s p h a t e (Diphosphate): 2K 2 HP0 4 > K4P207 und die p r i m ä r e n Phosphate unter Abspaltung eines Mols Wasser je Mol Phosphat über die Stufe der Pyrophosphate und Polyphosphate in M e t a p h o s p h a t e über(S.262) : 2KH 2 P0 4 "~H'° >- K2H2P207
>• 2KP0 3 .
Analog verhalten sich die A m m o n i u m d e r i v a t e solcher Phosphate: 2MgNH4P04 Mg2P207 + 2NH3 + H 2 0; NaNH 4 HP0 4 • — N a P 0 3 + NH3 + H 2 0. Pyrophosphorsäure Bei längerem E r h i t z e n auf 200—300° geht die P h o s p h o r s ä u r e unter Wasserabspaltung in P y r o - ( D i - ) p h o s p h o r s ä u r e über: 2H 3 P0 4 ^ H 4 P 2 0 7 + H 2 0. (6) Die Reaktion entspricht der Bildung von Pyro-(Di-)phosphaten beim Glühen sekundärer Phosphate (s. oben). Die Pyrophosphorsäure bildet eine farblose, glasige, in kristallisiertem Zustande bei etwa 65° schmelzende Masse, die sich in Wasser leicht löst und in dieser Lösung unter Wasseraufnahme langsam — schneller beim Kochen, besonders in Gegenwart von Salpetersäure — wieder in Orthophosphorsäure übergeht. Sie ist eine wesentlich s t ä r k e r e S ä u r e als die Orthophosphorsäure (K1= 1.4 χ 10 _ 1 ; K2 = 3.2 X IO - 2 ; Κ3 = 1.7 χ ΙΟ-6 ; Κ i = 6.0 χ ΙΟ"9) und bildet zwei Reihen von Salzen, des Typus MeJ2H2P207 {„saure Pyrophosphate") und Me]P 2 0 7 („neutrale Pyrophosphate"). Die sauren Salze sind meist in Wasser — unter schwach saurer Reaktion — löslich ; von den neutralen Salzen lösen sich nur die Alkalisalze, und zwar mit schwach basischer Reaktion.
262
Die Stickstoff groppe
Die Pyrophosphorsäure unterscheidet sich von der Orthophosphorsäure dadurch, daß die Lösungen ihrer Salze mit Silbernitratlösung nicht einen gelben, sondern einen rein weißen Niederschlag (Ag 4 P 2 0,) ergeben, von der Metaphosphorsäure dadurch, daß sie Eiweiß nicht zum Gerinnen bringt und mit Bariumchloridlösung kein schwerlösliches Bariumsalz bildet. Metaphosphorsäure Bei über 300° spaltet auch die Pyrophosphorsäure H 4 P 2 0 7 Wasser ab und geht auf dem Wege über P o l y p h o s p h o r s ä u r e n (s. unten) in M e t a p h o s p h o r s ä u r e H P 0 3 über: H4P207
2HPO3 + H 2 0 .
(7)
Diese M e t a p h o s p h o r s ä u r e — analoges gilt von ihren durch Erhitzen primärer Phosphate erhältlichen S a l z e n — hat nicht das der Formel H P 0 3 entsprechende Molekulargewicht, sondern ist je nach den Darstellungsbedingungen mehr oder minder p o l y m e r i s i e r t . Die Wasserabspaltung aus der Pyrophosphorsäure bzw. ihren sauren Salzen erfolgt also nicht intramolekular, sondern — in Fortsetzung der schon bei der Bildung von Pyrophosphorsäure (sauren Pyrophosphaten) aus Orthophosphorsäure (primären Phosphaten) begonnenen ,,Kondensation" (6) — intermolekular unter Bildung h ö h e r m o l e k u l a r e r („Polyphosphorsäuren" H n + 2 P n 0 3 n + 1 ) bis h o c h m o l e k u l a r e r P r o d u k t e („Metaphosphorsäure" H x + a P a > 0 S x + 1 = [HPOg],»1: o' o' o' o' .. _ . .. HO Ρ OÍH + HO; Ρ OH — > - HO Ρ Ο Ρ OH w e ' ' C T e ' ( , ' " M ' 0 V Q
: Q
0
0
unter Wasseraustritt
o ' o ' o ' - 2 Ag). An der L u f t oxydieren sich Phosphite nicht, phosphorige Säure nur langsam zur Stufe der Phosphorsäure. Durch s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l (ζ. B . naszierenden Wasserstoff) wird phosphorige Säure in P h o s p h o r w a s s e r s t o f f übergeführt (H 3 PO s + 6 Η — H 3 P + 3 H 2 0 ) . Pyrophosphorige Säure H4P2O5 (Smp. 38°, Zers. 130°) und metaphosphorige Säure HPOjj sind nicht durch Erhitzen der orthophosphorigen Säure, sondern nur auf anderem Wege zugänglich. Sie sind von geringer Bedeutung. δ. Unterphosphorige Säure.
Untcr-diphosphorsäure
Unterphosphorige Säure H3PO2. Beim Erwärmen mit W a s s e r disproportioniert sich der w e i ß e P h o s p h o r (vgl. S.249, 251f.) in geringemMaße zu einer tieferen ( P h o s p h o r w a s s e r s t o f f ) und einer höheren Oxydationsstufe ( u n t e r p h o s p h o r i g e S ä u r e ) : 4P + 6H 2 0
PH3 + 3H 3 P0 2 .
Entfernt man die entstehende unterphosphorige Säure durch Salzbildung aus dem Gleichgewicht, d. h. kocht man den weißen Phosphor nicht mit W a s s e r , sondern mit K a l i l a u g e oder B a r i u m h y d r o x y d l ö s u n g , so verschiebt sich das Gleichgewicht uach rechts, so daß die entsprechenden Salze — N a H 2 P 0 2 bzw. B a ( H 2 P 0 2 ) 2 — isolierbar sind. Durch Umsetzung des Bariumsalzes mit Schwefelsäure gewinnt man die freie Säure: Ba(H 2 P0 2 ) 2 + H 2 S0 4 BaS0 4 + 2H 3 P0 2 . Beim Eindampfen der wässerigen Lösung kristallisiert die Säure in Form farbloser Blätter (Smp. 26.5°) aus. Unterphosphorige Säure ist eine e i n b a s i g e Säure ( K = 8.5 χ IO - 2 ) und wirkt wesentlich s t ä r k e r r e d u z i e r e n d als phosphorige Säure, wobei sie in p h o s p h o r i g e bzw. P h o s p h o r s ä u r e übergeht. So reduziert sie sich ζ. B . beim E r w ä r m e n auf 130—140° selbst zu P h o s p h o r w a s s e r s t o f f : H 3 P0 2 + 2 H 3 P0 2
> H 3 P + 2H 3 P0 3 ;
die dabei gleichzeitig entstehende p h o s p h o r i g e S ä u r e disproportioniert sich bei stärkerem Erhitzen weiter in P h o s p h o r w a s s e r s t o f f und P h o s p h o r s ä u r e (11). Gold, Silber, Quecksilber werden sowohl durch die freie Säure als auch durch deren Salze aus den Lösungen ihrer Salze gefällt. Von der phosphorigen Säure unterscheidet sie sich durch ihr Verhalten gegen Kupfersulfatlösung, indem sie das Kupfersulfat nicht nur bis zu metallischem Kupfer, sondern bis zu ,,Kupferhydrid" CuH reduziert. Die Hypophosphite M e H 2 P 0 2 sind in Wasser alle leichtlöslich.
266
Die Stickstoffgruppe
Unter-diphosphorsäure H4P 2 0 6 . Läßt man weißen P h o s p h o r sich an f e u c h t e r L u f t langsam o x y d i e r e n , so geht er nicht nur in Säuren der Oxydationsstufe P 2 0 3 (phosphorige S ä u r e H 3 P0 3 ) und P 2 0 5 ( P h o s p h o r s ä u r e H 3 P0 4 ), sondern auch in eine solche der mittleren Oxydationsstufe P 2 0 4 (Unter- d i p h o s p h o r s ä u r e H 4 P 2 0„) über (S. 249) : 2 P + 2 0 2 + 2 H 2 0 — > - H4P2Oe.
Beim Neutralisieren der erhaltenen Lösung mit Soda Na 2 C0 3 kristallisiert das ziemlich schwerlösliche saure N a t r i u m - h y p o d i p h o s p h a t Na 2 H 2 P 2 0 6 • 6 H 2 0 aus. Das Salz kann auch durch Oxydation von r o t e m P h o s p h o r mit W a s s e r s t o f f p e r o x y d in s t a r k a l k a l i s c h e r Lösimg mit guter Ausbeute gewonnen werden. Noch schwerer löslich ist das B a r i u m s a l z . Aus diesem läßt sich mittels verdünnter S c h w e f e l s ä u r e (Ausfällung von schwerlöslichem Bariumsulfat) eine wässerige Lösung der freien S ä u r e herstellen: BaH 2 P 2 0 6 + H 2 S 0 4
>- B a S 0 4 + H 4 P 2 O e .
Beim Eindampfen der Lösung kristallisiert die Säure wasserhaltig in Form zerfließlicher Kristalle der Zusammensetzung H 4 P 2 0 6 · 2H a O (Smp. 70°) aus. Trocknen des Hydrats im Vakuum über Phosphorpentoxyd führt zur wasserfreien Verbindung H 4 P 2 O e (Smp. 55°, Zers. 100°). Unter-diphosphorsäure ist eine v i e r b a s i g e Säure = 6.4 χ IO -3 ; K 2 = 1.5 χ IO -3 ; Κ 3 = 5.4 Χ IO - 8 ; ΚΑ = 9.4 Χ IO -11 ), welche s c h w ä c h e r r e d u z i e r e n d als die phosphorige Säure wirkt. Bei e r h ö h t e r T e m p e r a t u r und bei Gegenwart von M i n e r a l s ä u r e n disproportioniert sie sich in wässeriger Lösung in p h o s p h o r i g e und Phosphorsäure : H4P2Oe + H 2 0
H3P03 + H3P04.
ε. Pcroxy-monophosphorsäure. Peroxy-diphosphorsäure Die Salze der Peroxy-diphosphorsäure H 4 P 2 0 8 (Peroxy-diphosphate) lassen sich analog den Peroxy-disulfaten Me2S2Og (S. 210) durch e l e k t r o l y t i s c h e O x y d a t i o n von P h o s p h a t e n gewinnen: 2 P 0 4 " ' —>• P 2 0 8 " " + 2
0.
Ebenso entsteht die Peroxy-monophosphorsäure H 3 P0 5 analog der Peroxy-monoschwefelsäure H2SOB durch H y d r o l y s e der P e r o x y - d i p h o s p h o r s ä u r e : H4P2Oe + H 2 0
H3PO, + H 3 P 0 4 .
Beide Säuren sind unbeständig und gehen leicht unter Sauerstoffabspaltung in Phosphorsäure über; demgemäß wirken sie als O x y d a t i o n s m i t t e l .
f. Schwefelverbindungen des Phosphors Beim Zusammenschmelzen von P h o s p h o r und Schwefel erhält man je nach dem Mengenverhältnis der Ausgangsstoffe die einheitlichen Verbindungen P 4 S 3 , P 4 S 7 und P 4 S 10 : Smp. Tetraphosphor-trisulfid P 4 S 3 172.5° Tetraphosphor-heptasulfid P 4 S 7 . . 310° Tetraphosphor-dekasulfid P 4 S 1 0 . . . 290°
Sdp. 408° 523° 514°.
Die Reaktion muß in Kohlendioxydatmosphäre und mit rotem Phosphor durchgeführt werden, da sonst wegen der starken Wärmeentwicklung (Bildungswärme von P 4 S 3 : 29.4, von P4S7 : 66.7 kcal/Mol) eine explosionsartige Entzündung der Dämpfe erfolgen würde.
Der Phosphor
267
Das Trisulfid P 4 S 3 kristallisiert aus Schwefelkohlenstoff, in welchem es leicht löslich ist, in Form schwach gelber Prismen. Bei 40 bis 60° zeigt es ein dem Leuchten des farblosen Phosphors ähnliches Leuchten; bei 100° entzündet es sich an der Luft. Da es weniger gefährlich als farbloser Phosphor ist, wurde es eine Zeitlang zur Herstellung von Zündhölzern benutzt, welche an jeder Reibfläche zünden. In Schwefelkohlenstofflösung läßt es sich durch Einwirkung von Schwefel (Licht und Jod als Katalysator) in ein Pentasulfid P4S6 überführen, das sich bei höherer Temperatur in P4S3 und P4S7 disproportioniert. Das Heptasulfid P4S7 ist in Schwefelkohlenstoff sehr schwer löslich und wird zum Unterschied von P4S3, das sich an feuchter Luft nicht verändert, von Wasser langsam unter Bildung von Schwefelwasserstoff zersetzt. Das Dekasulfid P4S10 ist in Schwefelkohlenstoff, in welchem es das der Formel P 4 S ie entsprechende Molekulargewicht besitzt, ziemlich löslich und wird beim Erwärmen mit Wasser in Phosphorsäure und Schwefelwasserstoff übergeführt (P4S10 + 10H 2 0 >• P4O10 + 10H2S). Die Dichte des gelben Dampfes entspricht der Molekulargröße P 2 S 5 . An der Luft verbrennt dae Dekasulfid mit bläulich-weißer Flamme. Von den Schwefel-Halogen-Verbindungen des Phosphors sei nur das PhosphorthiocMorid PSCI3, das Analogen des Phosphor-oxychlorids P0C13, genannt. Es ist entsprechend dem letzteren ζ. B. aus P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d und Schwefelwasserstoff gewinnbar (PC1„ + H2S >• PSC13 + 2 HCl) und stellt eine farblose, bei — 35° erstarrende und bei 126° siedende Flüssigkeit dar, welche durch Wasser in P h o s p h o r s ä u r e , Salzsäure und Schwefelwasserstoff zerlegt wird (PSC13 + 4H¡,0 >- PO(OH)3 + H¡¡S + 3HC1).
g. Stickstoffverbindungen des Phosphors Unter den S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n d e s P h o s p h o r s ist das sogenannte Phosßhornitril-dichlorid PNC12 hervorzuheben, das durch Erhitzen von P h o s p h o r p e n t a c h l o r i d mit A m m o n i u m c h l o r i d im Autoklaven auf 120° oder in Tetrachloräthan-lösung auf 135° darstellbar ist: PClt + NH 3
> PNC12 + 3HCl.
Es besitzt wie die Metaphosphorsäure und ihre Salze die Neigung, sich zu p o l y m e r i s i e r e n . Dieses Polymerisationsbestreben ist nach dem früher Gesagten (S. 262f.) leicht verständlich, da die Elektronenformel des monomeren P h o s p h o r n i t r i l - d i c h l o r i d s PNC12 (I) ganz der des monomeren M e t a p h o s p h a t - i o n s P0 3 '(II) entspricht: :C1: :N:P :C1: (I)
:Ö: :Ö:P , :Ö: (II)
so daß hier eine ganz analoge Polymerisation zu [PNCl2]n-Molekülen erfolgen kann (vgl. (8), S. 262): :C1: :C1: :C1: : Ν: Ρ: Ν: Ρ : Ν: Ρ :Òl: :C1: :C1: Bei k l e i n e n Werten von η (ζ. Β. η = 3, 4, 5, 6 oder 7) schließen sich auch hier die beiden endständigen Atome zum R i n g (vgl. S. 243): (PNCI2)3 (Smp. 114°, Sdp. 256.5°), (PNC12)4 (Smp. 123.5°, Sdp. 328.5°), (PNC1S)5 (Smp. 41°, Sdp. 224° bei 13 mm Druck), (PNCla)e (Smp. 91°, Sdp. 262° bei 13 mm Druck), (PNC12)7 (Smp. —18', Sdp. 293° bei 13 mm Druck). Bei s e h r g r o ß e m η (mehrstündiges Erhitzen von Phosphornitril-dichlorid auf 300°) liegen dagegen die Moleküle in Form l a n g e r , g e w i n k e l t e r K e t t e n vor (Fig. 91).
268
Die Sticfestoffgruppe
Die k a u t s c h u k a r t i g e n E i g e n s c h a f t e n dieses hochpolymeren Phosphornitril-dichlorids („anorganischer Kautschuk") sind wie beim normalen Kautschuk (II, S. 403 f.) oder beim plastischen Schwefel (8. 183 f.) auf die Kräfte zurückzuführen, die bei der durch Dehnung des Stoffs bewirkten Parallelrichtung der Ketten wirksam werden. __ Bei der Zersetzung mit W a s s e r gehen die Phosphornitril-dichloride [PNCl2]n (12a) unter gleichzeitiger Bildung von Salzsäure in Metaphosphimsäuren [PN(OH)2]n (12b) über, die ihrerseits bei weiterer Hydrolyse (200—300°) Metaphosphorsäuren (12c), dann Fig. 91. Kettenstruktur des Phosphor1 olyphosphorsäuren (12d) und schließlich nitril-dichlorids PNCL Orthophosphorsäure (12e) ergeben: OH HO OH Cl Cl ρ ci.
) k
N
V II Ζ « + 6H,O -6 HClv
X c i
Cl· (a) Phophornitril-dichlorid OH 0 O/ \ o + 3HaO HO : \p o/- \ o / \ θ Η r
NsT < Taut0 '>
HO
ΗΝ'
merie 0 \)H (b) Metaphosphimsäure
HO/ ^ N /
°\p/°H θ/ \)H ΟΗ λ + 2HaOv + H20>H0 ο
/ p \ OH
(o)
(d)
Metaphosphorsäure
Polyphosphorsäure
\
Nnh >C N
Η
/
J
sOH
FeS + As.
Dae Arsen
269
Physikalische Eigenschalten. Arsen tritt wie Phosphor in zwei monotropen Modifikationen auf, dem grauen und dem gelben Arsen. Die beständige Form ist das graue oder metallische Arsen. Es bildet für gewöhnlich eine stahlgraue, metallisch glänzende, kristalline, spröde und daher in der Reibschale leicht zu pulvernde Masse, welche den elektrischen Strom leitet und das spezifische Gewicht 5.72 besitzt. In feinerer Verteilung sieht es braun oder schwarz aus; man erhält solche feinen Verteilungen ζ. B. durch R e d u k t i o n v o n A r s e n v e r b i n d u n g e n in wässeriger Lösung („braunes Arsen") oder durch E r h i t z e n v o n A r s e n w a s s e r s t o f f („schwarzes Arsen"). Beim Erhitzen unter Luftabschluß im geschlossenen Rohr schmilzt das metallische Arsen bei 817° (36 Atmosphären Eigendruck). Unter gewöhnlichem Druck sublimiert es, ohne zu schmelzen, bei 633°. Der entstehende Dampf ist durchsichtig zitronengelb und besteht bis gegen 800° nur aus As4-Molekülen (vgl. S.248), oberhalb 1700° nur aus As2-Molekülen. Kühlt man A r s e n d a m p f plötzlich ab, am besten durch K ü h l u n g m i t f l ü s s i g e r L u f t , so erhält man als metastabile Modifikation das gelbe Arsen, welches sich in Schwefelkohlenstoff leicht auflöst und aus dieser Lösung beim Abkühlen in durchsichtigen, stark lichtbrechenden, wachsweichen, plastischen Kriställchen vom spezifischen Gewicht 1.97 auskristallisiert. Das gelbe Arsen leitet den elektrischen Strom nicht und zeigt in Schwefelkohlenstoff ein der Formel As4 entsprechendes Molekulargewicht. Das Verhältnis zwischen gelbem und grauem Arsen entspricht dem zwischen weißem und rotem Phosphor ; nur ist das gelbe Arsen viel w e n i g e r b e s t ä n d i g als der weiße Phosphor. Schon bei schwachem E r w ä r m e n , ebenso unter dem Einfluß von L i c h t geht es schnell in g r a u e s A r s e n über. Läßt man ζ. B. im D u n k e l n eine Lösung des gelben Arsens in Schwefelkohlenstoff auf weißem Filterpapier verdunsten, so zeigt dieses Filterpapier am L i c h t nur für Augenblicke eine g e l b e Farbe, um sich dann sehr schnell b r a u n und schließlich T i l l g r a u zu färben. Die Umwandlung unter dem As As As As Einfluß von Licht geht selbst bei—180° ^As*^ As^ ^AS^ ^ A s ^ noch schnell vor sich. Τ ! f I f Die Gitterstruktur des m e t a l l i s c h e n ^¿V ^As^ A r s e n s entspricht der des s c h w a r z e n P h o s p h o r s (S. 250f.). Auch hier liegen wie ^f F [ dort (Fig. 88) parallel übereinander gelagerte, Nvc^ ^ A s ^ ^ A s * ^ durch entsprechende Verknüpfung der dreiI ι r f i wertigen Arsenatome gebildete „Wabennetze" /\ s /\ 5 As As As vor (Fig. 92; As—As-Abstand : 2.51 Â); nur S ^As^ ^As^ ^ ist, wie ein Vergleich von Fig. 92 mit Fig. 88 f ! ! F zeigt, die „Wellung" der einzelnen Schichten fe.oòerhalb As=unterhalb eine etwas andere 1 . Das Gitter des g e l b e n der Papiembene A r s e n s dürfte in Analogie zu dem des w e i ß en Fig. 92. P h o s p h o r s aus As4-Molekülen aufgebaut sein. Gitterstruktur des metallischen Arsens As^ Chemische Eigenschaften. Beim Erhitzen an der L u f t verbrennt das Arsen mit bläulicher Flamme und unter Verbreitung eines eigentümlichen, knoblauchartigen Geruchs zu einem weißen Rauch von A r s e n t r i o x y d As 2 0 3 . In gleicher Weise verbindet es sich mit vielen anderen Elementen. Mit C h l o r vereinigt es sich schon ohne vorherige Erwärmung unter Feuererscheinung. Durch s t a r k o x y d i e r e n d e S ä u r e n (konzentrierte Salpetersäure, Königswasser) wird Arsen zur A r s e n s ä u r e , durch w e n i g e r s t a r k o x y d i e r e n d e S ä u r e n (verdünnte Salpetersäure, konzentrierte Schwefelsäure) zu a r s e n i g e r S ä u r e oxydiert. 1
Und zwar entspricht die räumliche Anordnung der Arsenatome in den einzelnen Schichten ganz der Anordnung der Kohlenstoffatome in den schraffierten Schichten (Fig. 96, S. 286) des Diamantgitters.
Die Stickstoffgruppe
270
b. Arsenwasserstoff Darstellung. Arsenwasserstoff
(Arsin) AsH 3 entsteht bei der Einwirkung von n a s -
z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f (Zink und Schwefelsäure) auf lösliche A r s e n v e r b i n d u n g e n , z. B . AS(OH) + 6 H >- A S H + 3H20. 3
3
Von dieser Bildungsweise macht man bei der „MARSHschen Probe" auf Arsen (s. unten)
Gebrauch. Zur Darstellung größerer Mengen Arsen Wasserstoff geht man—in Analogie zur Darstellung von Ammoniak aus Nitriden (S. 223) oder von Phosphorwasserstoff aus Phosphiden (S. 252) — zweckmäßig von einem A r s e n i d , ζ. B. Zinkarsenid aus und setzt aus dieser Verbindung durch Einwirkung von verdünnter S c h w e f e l s ä u r e die zugrundeliegende „Säure" AsH 3 in Freiheit: Zn 3 As 2 + 3 H 2 S 0 4
>- 3 Z n S 0 4 + 2AsH 3 .
Als N e b e n p r o d u k t entsteht dabei das schon oberhalb —100° in AsH 3 und As 2 H (rot, fest, hochmolekular) zerfallende Diarsin
As 2 H 4 .
Physikalische Eigenschaften. Arsenwasserstoff ist ein farbloses, außerordentlich giftiges, unangenehm knoblauchartig riechendes Gas, welches bei —54.8° flüssig und bei —113.5° fest wird. Chemische Eigenschaften. Beim Erhitzen spaltet sich der Arsenwasserstoff in seine Bestandteile: ^ ^kcal As + χ ι / Ά + Leitet man daher Arsenwasserstoff durch ein an einer Stelle auf Rotglut erhitztes Glasrohr oder hält man in die Flamme von brennendem Arsenwasserstoff ein gekühltes Porzellanschälchen, so scheidet sich hinter der erhitzten Stelle des Glasrohres bzw. auf der Unterseite des Porzellanschälchens das Arsen als metallisch glänzender schwarzer A r s e n s p i e g e l ab. Man benutzt diese Reaktion zum analytischen Nachweis von Arsen („MARSII sehe Probe") bei Arsenvergiftungsfällen. Zu diesem Zwecke erzeugt man (vgl. Fig. 93) in einer WouLFEschen Flasche oder einem sonstigen Gasentwicklungsgefäß durch Einwirkung von Schwefelsäure auf Wasserstoff-Flamme Trichterrühr·
Arsenspiegel
arsenhaltige
Lösung
Fig. 93. MARSH sehe Arsenprobe Zink Wasserstoff und leitet das Gas zur Trocknung durch ein mit Calciumchlorid gefülltes U-Rohr und dann durch ein schwer schmelzbares Glasrohr. Nach Verdrängung der L u f t (Probe auf Knallgas; S. 43) zündet man den Wasserstoff an der ausgezogenen Spitze des Glasrohres an und hält ein glasiertes, kaltes Porzellanschälchen darüber. Sind die verwendeten Reagentien a r s e n f r e i , so darf sich am Porzellanschälchen k e i n d u n k l e r F l e c k v o n A r s e n abscheiden {„Blindprobe"). Dann wird durch das Trichterrohr die auf Arsen zu prüfende Lösung eingegossen. Ist Arsen vorhanden, so bildet sich A r s e n w a s s e r s t o f f , der an der Gasaustrittsstelle in der heißen — nunmehr eine fahlblaue Färbung annehmenden — Wasserstoff-flamme z e r f ä l l t , so daß sich an dem Porzellanschälchen ein dunkler glänzender A r s e n s p i e g e l abscheidet. S t a t t dessen kann man auch (Fig. 93) das Rohr mit einer Verengung versehen und hier auf Rotglut erhitzen. Dann setzt sich das durch Zerfall gebildete Arsen hinter der Glasverengung als Arsenepiegel ab. Arbeitet man unter stets gleichen Reaktionsbedingungen, so kann man aus der Größe und Dicke des Spiegels angenähert auf die Menge des vorhandenen Arsens schließen. Außer
Das Arsen
271
Arsen bildet auch A n t i m o n bei der geschilderten Arbeitsweise einen Metallspiegel. Das Antimon löst sich aber zum Unterschied vom Arsen nicht in H y p o c h l o r i t l ö s u n g , wodurch es von Arsen unterschieden werden kann (vgl. S. 278 u. S. 282). Bei Anwesenheit von g e n ü g e n d L u f t verbrennt Arsenwasserstoff mit hellblauer Flamme zu Wasser und A r s e n t r i o x y d : 2ASH3 + 30¡¡ — > AS 2 0 3 + 3H a O; bei m a n g e l n d e r L u f t z u f u h r oder beim A b k ü h l e n d e r F l a m m e (s. oben) verbrennt nur der Wasserstoff, so daß es zur Abscheidung von A r s e n kommt. Arsenwasserstoff wirkt in wässeriger Lösimg s t a r k r e d u z i e r e n d (AsH 3 + 3 H O H — > - AS(OH) 3 -j- 6 H ' + 6 Θ ) . So fällt er ζ. B . aus S i l b e r n i t r a t l ö s u n g metallisches Silber aus: _3 + 1 + 3 ± Q ASH3 +
3HÖH +
6Ag" — A s ( O H )
3
+
6H' +
6Ag.
Mit f e s t e m S i l b e r n i t r a t dagegen reagiert er unter Bildung von S i l b e r a r s e n i d : AsHj + 3Ag" AsAg3 + 3 H ' , das mit überschüssigem Silbernitrat die gelbe Doppelverbindung AsAg 3 · 3 AgNO e bildet. Bei Wasserzusatz wird diese unter Bildung von arseniger Säure und Abscheidung von m e t a l l i s c h e m S i l b e r zerlegt (AsAg 3 + 3Ag" + 3 H Ö H As(OH) 3 + 3 H · + 6Ag). Von dieser Reaktion macht man bei der „GUTZEITsehen Arsenprobe" Gebrauch. Sie wird so ausgeführt, daß man in einem Reagensglas wie bei der MARSHschen Probe durch Einwirkung von naszierendem Wasserstoff auf die arsenhaltige Lösung Arsenwasserstoff erzeugt, diesen durch einen Wattebausch im oberen Ende des Reagensglases von Flüssigkeitsspritzern befreit und dann auf einen Silbernitratkristall einwirken läßt, der auf einem die Mündung des Reagensglases bedeckenden Stück Filtrierpapier liegt. Die G e g e n w a r t von Arsen zeigt sich durch Gelbfärbung, bei F e u c h t i g k e i t s z u t r i t t durch S c h w ä r z u n g des Silbernitrats an. Phosphorwasserstoff und Antimonwasserstoff geben ähnliche Reaktionen.
c. Halogenverbindungen des Arsens Wie Phosphor bildet auch Arsen mit den Halogenen Verbindungen des Typus AsXj und ASX5: AsF 3 (farblose Flüssigkeit, Smp. —8.5°, Sdp. 63°), ASC13 (farblose Flüssigkeit, Smp. —16.0°, Sdp. 130.2°), AsBr 3 (farblose Kristalle, Smp. 31.2», Sdp. 221«), AsJ 3 (rote Kristalle, Smp. 141.8«, Sdp.
403°) ; A s F 5 (farbloses Gas, S m p . — 7 9 . 8 ° , Sdp. —52.8°), ASC16 (farblose Flüssigkeit, S m p . ~
—40°),
As J 6 (braune Kristalle, Smp. 76°). Die Existenz der beiden letztgenannten Verbindungen ist noch nicht ganz sichergestellt. Arsentrichlorid AsClj kann — wie alle Arsenhalogenide — aus den E l e m e n t e n gewonnen werden, indem man Arsen im Chlorgas verbrennt: As + 1V 2 C1 2 -—>- AsCls. Einfacher erfolgt die Darstellung durch Überleiten von t r o c k e n e m C h l o r w a s s e r s t o f f über erhitztes (180—200°) Arsentrioxyd: AS 2 0 3 + 6 HCl — > - 2ASC13 + 3 H 2 0 . I n wässeriger L ö s u n g führt die Reaktion nur zu einem G l e i c h g e w i c h t , da A r s e n t r i c h l o r i d von W a s s e r umgekehrt wieder zu a r s e n i g e r S ä u r e und S a l z s ä u r e hydrolysiert wird. Verwendet man allerdings einen genügenden Ü b e r s c h u ß an k o n z e n t r i e r t e r Salzsäure, so kann man das im Gleichgewicht befindliche Arsentrichlorid (zusammen mit Salzsäuredämpfen) durch Abdestillieren aus dem Gleichgewicht entfernen, so daß schließlich alle arsenige Säure in Form von Arsentrichlorid übergeht. Man benutzt diese Methode zur analytischen Abtrennung des Arsens von Antimon und Zinn.
d. Sauerstoffverbindungen des Arsens Arsen bildet zwei S a u e r s t o f f s ä u r e n : die arsenige Säure H 3 A s 0 3 (Salze: Arsenite Me|As0 3 ) und die Arsensäure H 3 A s 0 4 (Salze: Arsenate Me^AsOJ. Außerdem kennt man drei A r s e n o x y d e : das Anhydrid der arsenigen Säure (Arsentrioxyd) A s 2 0 3 , das Anhydrid der Arsensäure (Arsenpentoxyd) A s 2 0 5 und das gemischte Anhydrid der arsenigen und Arsensäure (Arsentetroxyd) A s 2 0 4 .
272
Die Stickstoffgruppe
α. Arsentrioxyd. Ârsonige Säure Vorkommen. Arsentrioxyd („Arsenik") kommt in der Natur als kubischer Arsenolith (Arsenikblüte) und als monokliner Claudetit vor. Darstellung. Arsentrioxyd entsteht bei der Verbrennung von A r s e n an der L u f t o d e r i n S a u e r s t o f f o d e r b e i der Oxydation von A r s e η mit verdünnter S a l p e t e r s ä u r e . T e c h n i s c h wird es im großen durch A b r ö s t e n a r s e n h a l t i g e r E r z e dargestellt: 2FeAsS + 50 2
>- Fe 2 0 3 + 2 S0 2 + As203.
Hierbei verflüchtigt es sich und wird in lange, gemauerte Kanäle („Giftfänge") geleitet, in denen sich die zunächst noch unreine Substanz zu einem weißen Pulver verdichtet. Die Reinigung durch Sublimation liefert je nach der Temperatur, bei der die Wiederverdichtung erfolgt, ein lockeres weißes Pulver („Giftmehl") oder ein farbloses, glasiges Produkt („Arsenglas"). Physikalische Eigenschaften. In den Handel gelangt das Arsentrioxyd gewöhnlich in der letztgenannten, durchsichtigen, amorphen Form (spez. Gewicht 3.70). Bewahrt man diese längere Zeit auf, so wird sie allmählich porzellanartig undurchsichtig, weil sie sich in ein Agglomerat regulär-oktaedrischer Kriställchen (spez. Gewicht 3.87) verwandelt. Besser erhält man diese kubische Form des Arsentrioxyds, wenn man die amorphe Form in Wasser oder Salzsäure löst und wieder auskristallisieren läßt. Bei dieser Kristallisation beobachtet man im Dunkeln ein deutliches Leuchten („Tribolumineszenz"). Die kubische Form ist die bei Zimmertemperatur beständige Modifikation des Arsentrioxyds. Bei 221° geht sie in eine andere, m o n o k l i n e Modifikation (spez. Gewicht 4.15) über : 221o n AS203 kubisch — As203 monoklin · Diese entsteht direkt, wenn man die Kristallisation des Arsentrioxyds nicht bei gewöhnlicher Temperatur, sondern oberhalb 221° vornimmt. Erhitzt man z. B. Arsentrioxyd in einem geschlossenen Glasrohr am unteren Ende auf 400°, so befindet sich nach dem Erkalten im unteren, vorher erhitzten Teil glasiges, im mittleren monoklines, im oberen oktaedrisches Arsentrioxyd. Arsentrioxyd ist im festen, flüssigen und dampfförmigen Zustande färb- und geruchlos. Die monokline Form schmilzt (unter 66 mm Druck) bei 312°, die kubische Form (unter 26 mm Druck) in metastabilem Zustande bei 272°. Der Siedepunkt liegt bei 465°. Im offenen Gefäß sublimiert Arsentrioxyd, ohne zu schmelzen, weil dann der Dampf so schnell entweicht, daß sein Partialdruck die angegebenen Schmelzpunktsdrucke nicht erreicht. Bis 800° entspricht die Dampfdichte der Molekularformel AS 4 O B (vgl. Fig. 89, S. 255 und Formel (3a), S. 279). Oberhalb dieser Temperatur findet zunehmende Dissoziation statt, und bei 1800° besitzen die Moleküle die Formel As 2 0 3 . Auch Molekulargewichtsbestimmungen in Nitrobenzol-lösungen haben zu der verdoppelten Formel As4Oe geführt. Ebenso sind die Kristalle der kubischen Form aus As 4 0 6 -Einheiten von Urotropin-Struktur (S. 255) aufgebaut, während die monokline Form höhermolekular ist (vgl. S. 279). Die Bezeichnung „Arsentrioxyd" ist also nur für die Bruttoformel zutreffend. Chemische Eigenschaften. Arsentrioxyd ist leicht zu metalüschem Arsen r e d u z i e r b a r . Erhitzt man es z. B. in einem Glühröhrchen mit K o h l e oder mit K a l i u m C y a n i d , so scheidet sich das durch Reduktion entstehende Arsen: 2AS203 + 3C 4As + 3C02 AS203 + 3KCN —>- 2As + 3KCNO im kälteren Teil des Glühröhrchens als schwarzer A r s e n s p i e g e l ab („Arsenprobe nach BERZELIUS"). Andererseits läßt sich das Arsentrioxyd auch leicht zur fünfwertigen Stufe o x y d i e r e n .
Das Arsen
273
In Wasser ist Arsentrioxyd mäßig löslich. Die Lösung hat süßlich metallischen Geschmack und rötet blaues Lackmuspapier eben noch deutlich, enthält also eine s c h w a c h e Säure. Dieser Säure („arsenige Säure") kommt die Formel H 3 As0 3 (Orthoform) bzw. H A S 0 2 (Metaform) zu: As203
+H
'°
2HAs02
+2H
' ° >- 2H 3 As0 3 .
In f r e i e m Z u s t a n d e ist die Säure n i c h t b e k a n n t ; dampft man die Lösung ein, so scheidet sich nicht die Säure, sondern das A n h y d r i d As 2 0 3 ab. Die arsenige Säure kann in drei Stufen dissoziieren, ist also zum Unterschied von der homologen z w e i b a s i g e n phosphorigen Säure (S. 265) eine d r e i b a s i g e Säure: H3As03
H' + H2As03'
2H" + HAsOs"
3H' + As0 3 "'.
Dementsprechend leiten sich von ihr Salze des Typus Me T H 2 As0 3 , Me|HAsOs und Μβ8—_33 (Arsenite) ab. Die Alkalimetalle bilden meist leichtlösliche Verbindungen des ersten Typus (ζ. B. KH 2 As0 3 ), die Schwermetalle meist schwerlösliche Verbindungen des letzten Typus (ζ. B. Ag 3 As0 3 ). In geringem Maße kann arsenige Säure auch als ein- bis dreisäurige B a s e wirken: As(OH) 3
AS(OH) 2 " +
OH'
As(OH)" + 2OH' Q = ± : A s " · +
3OH'.
Diese Basenfunktion macht sich aber nur gegenüber s t a r k e n S ä u r e n — und auch hier nur schwach — geltend (vgl. S. 271). Die arsenige Säure wirkt wie das Arsentrioxyd o x y d i e r e n d und r e d u z i e r e n d , wobei sie in A r s e n bzw. A r s e n s ä u r e übergeht: H3As03 + 3H" + 3 θ H 3 AS0 3 + HJO
As + 3H 2 0 H 3 As0 4 + 2 H ' + 2 θ .
So wird ζ. B. arsenige Säure aus salzsauren Lösungen durch Z i n n ( I I ) - c h l o r i d ( S n " — > - S n " " + 2 Θ ) als braunes Arsen ausgefällt {„BETTENDORFsehe Arsenprobe"). N a s z i e r e n d e r W a s s e r s t o f f ( Η — ^ H " + Θ ) reduziert noch weiter bis zu ArsenWasserstoff (H 3 As0 3 + 6H" + 6 Θ — ^ AsH3 + 3H 2 0). Umgekehrt führen Oxyd a t i o n s m i t t e l wie Jod ( J 2 + 2 θ —>- 2 J ' ) oder Salpetersäure die arsenige Säure in A r s e n s ä u r e über. Die Reaktion zwischen J o d und a r s e n i g e r S ä u r e wird zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g des Arsengehalts von Arseniklösungen benutzt: H 3 AS0 3 + H 2 0 + J 2
H 3 As0 4 + 2H" + 2 J ' .
(1)
Da es sich um eine Gleichgewichtsreaktion handelt, muß die entstehende Säure dabei durch B i c a r b o n a t (H' + H C 0 3 ' — H 2 0 + C0 2 ) aus dem Gleichgewicht entfernt werden. Die Einwirkung von S a l p e t e r s ä u r e auf a r s e n i g e S ä u r e benutzt man zur Darstellung von N 2 0 3 (S. 232). Arsenik ist ein starkes Gift. Schon weniger als 0.1 g können vom Magen aus tödlich wirken, falls es nicht durch Erbrechen oder durch Reaktion mit frisch gefälltem Eisenhydroxyd oder Magnesiumoxyd unschädlich gemacht wird. Durch regelmäßige kleinere Dosen kann der menschliche Organismus an das Gift gewöhnt werden; in diesem Falle werden bis zu 0.5 g auf einmal vertragen („Arsenikesser"). Verwendung. A r s e n i k findet vielseitige Verwendung für medizinische Zwecke, zum Vertilgen von Mäusen, Ratten, Fliegen, zum Konservieren von Häuten, Fellen, Vogelbälgen und in der Glasfabrikation als Läuterungs- und Entfärbungsmittel. Lösungen von N a t r i u m a r s e n i t dienen zur Vernichtung von Pflanzenschädlingen. Die giftige Farbe Schweinfuriergrün ist eine Verbindung aus Kupferacetat und Kupferarsenit : Cu(CH 3 C00) 2 · 3 Cu(As0 2 ) 2 . Hollemao
W i b e r ç , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
18
274
Die Stickstoffgruppe
β. Arsenpentoxyd. Arsensäure Darstellung. Arsenpentoxyd kann nicht wie das Phosphorpentoxyd durch Verbrennen des Elements an der Luft erhalten werden, da die Oxydation hier nur bis zum Trioxyd As 2 0 3 führt. Es läßt sich durch E n t w ä s s e r n (Erhitzen auf über 300°) von A r s e n s ä u r e gewinnen: 2H3As04
(2)
AS2OS + 3 H 2 0 .
Die Arsensäure ihrerseits erhält man durch Oxydation von Arsen oder A r s e n t r i o x y d mit k o n z e n t r i e r t e r S a l p e t e r s ä u r e . Physikalische Eigenschaften. Arsenpentoxyd ist eine weiße, glasige, an feuchter Luft zerfließliche Masse, die sich in Wasser unter Rückbildung von Arsensäure — Umkehrung von (2) — langsam auflöst. Die Arsensäure selbst scheidet sich bei starkem Einengen der wässerigen Lösung in Form kleiner, farbloser, zerfließlicher Kristalle der Zusammensetzung H 8 As0 4 · 1 / 2 H 2 0 (Smp. 35.5°) ab. Bei niedriger Temperatur(~—30°) ist noch ein höheres Hydrat H 3 As0 4 · 2H a O = H[As(OH)g] erhältlich. Chemische Eigenschaften. Wie das Arsentrioxyd läßt sich auch das Arsenpentoxyd durch E r h i t z e n mit K o h l e leicht zu Arsen reduzieren. Bei starkem E r h i t z e n spaltet es sich in A r s e n t r i o x y d und S a u e r s t o f f : 65.6 kcal + As 2 0 5
>- As 2 0 3 +
Die vom Arsenpentoxyd abgeleitete Arsensäure mittelstarke Säure: HJAb0 4 T ^
H' + H2As04'
02.
H 3 As0 4 ist eine d r e i b a s i g e ,
2H' + HAs04"
3H' +
As04"'
und etwas schwächer als Phosphorsäure. Dementsprechend leiten sich von ihr p r i m ä r e (MeH 2 As0 4 ), s e k u n d ä r e (Me¡¡HAs04) und t e r t i ä r e (Me3As04) Salze (Arsenate) ab. In wässeriger Lösimg liegen diese Arsenate wahrscheinlich in hydratisierter Form als „Hydroxosalze" — z. B. H 2 As0 4 ' · 2H a O = [As(OH) 6 ]' — vor. In ihren Löslichkeitsverhältnissen entsprechen die Arsenate im allgemeinen den Phosphaten. So fällt z. B . bei Zusatz von Ammoniumchlorid, Ammoniak und Magnesiumsalz zu einer Arsenatlösung das mit dem Ammonium-magnesium-phosphat (S. 261) isomorphe weiße, kristalline Ammonium-magnesium-arsenat NH 4 MgAs0 4 aus (HAs0 4 " + NH4" + Mg" —>NH 4 MgAs0 4 + ET), das analog ersterem beim Glühen in MagnesiumpyToarsenat übergeht (2NH 4 MgAs0 4 —>- Mg 2 As 2 0 7 + 2NH 3 + H 2 0). Mit Ammoniummolybdat entsteht in stark salpetersaurer Lösung ein gelber, feinkristalliner Niederschlag der Zusammensetzung (NH4)8 [As(Mo3O10)4] (vgl. S. 261 und 499 f.). Das Silbersalz AggAs04 ist zum Unterschied vom gelben Ag 3 P0 4 (S. 261) rotbraun. Technisch wird vor allem das Calc i u m - a r s e n a t für die Zwecke der Schädlingsbekämpfung hergestellt. Die Arsensäure unterscheidet sich von der Phosphorsäure charakteristisch durch ihr O x y d a t i o n s v e r m ö g e n . So führt sie z . B . schweflige Säure in Schwefelsäure über und macht in Umkehrung von (1) aus angesäuerter Jodkaliumlösung Jod frei.
e. Schwefelverbindungen des Arsens Arsen bildet mit S c h w e f e l drei Verbindungen: As 4 S 4 , As 2 S 3 und As 2 S 5 . Von diesen Sulfiden kommt in der Natur die Verbindung As 4 S 4 als Realgar („Rauschrot", „rote Arsenblende"» „Rubinschwefel", „Sandarach") und die Verbindung As 2 S 3 als Auripigment („Rauschgelb", „gelbe Arsenblende") vor. Realgar AS4S4 kann künstlich durch Zusammenschmelzen von A r s e n und S c h w e f e l im entsprechenden Mengenverhältnis gewonnen werden. T e c h n i s c h stellt man ihn durch Sublimieren eines Gemenges von A r s e n k i e s Fe As S (FeAsS >- FeS + As) und S c h w e f e l k i e s FeS 2 (FeS¡¡ >- FeS + S) her. E r bildet eine rote, glasige Masse („Rotglas") und gibt beim Verreiben ein orangefarbenes Pulver. Beim Erhitzen schmilzt (Smp. 320°) und verdampft (Sdp.
Das Arsen
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665°) er unzersetzt. Der Dampf besteht bis 600° aus As4S4-Molekülen ; oberhalb 800° sind nur noch ASjjSj-Molekùle nachzuweisen. Mischungen mit S a l p e t e r setzen sich beim Erhitzen unter starker Wärmeentwicklung und blendend weißer L i c h t e r s c h e i n u n g zu Arsenik und Schwefeldioxyd um (As4S4 + 1 4 0 >• 2 As¡>03 + 4 S0 2 ). Rotglas wird hauptsächlich in der Gerberei zur Enthaarung von Fellen (weißes Handschuhleder), in kleineren Mengen in der Malerei und bei Feuerwerkssätzen verwendet. Auripigment A82S3 läßt sich künstlich durch Zusammenschmelzen von Arsen und Schwefel in dem der Formel entsprechenden Mengenverhältnis darstellen: 2As + 3S~—>~ As2S3. Auch entsteht es beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in die saure Lösung von arseniger S ä u r e : 2As(OH)3 + 3H 2 S >• As2S3 + 6H 2 0. Das in der T e c h n i k durch Sublimieren von Arsenik und Schwefel erhaltene „Operment" („Gdbglas") enthält nur geringe Mengen Trisulfid und besteht im wesentlichen aus unverändertem Trioxyd; daher ist es zum Unterschied vom reinen Trisulfid giftig. Arsentrisulfid As2S3 stellt eine zitronengelbe Verbindung dar, die bei 300° zu einer roten Flüssigkeit schmilzt und bei Ausschluß von Luft bei 707° unzersetzt siedet. Unter dem Namen „Königsgelb" (reines Arsentrisulfid) und „Operment" (s. oben) wird es als Malerfarbe verwendet. Das in der Natur vorkommende Auripigment weist eine schöne goldglänzende Farbe auf. Da Arsentrisulfid in Wasser und Säuren unlöslich ist, wird es von der Magensäure nicht gelöst, so daß es vom menschlichen Organismus nicht in nennenswerten Mengen aufgenommen wird und daher auch nicht giftig wirkt. Leichtlöslich ist es in Alkalisulfid- und Ammoniumsulfidlösungen unter Bildung von Thioarseniten (s. unten). Arsenpentasulfid A82S5. Leitet man bei Zimmertemperatur in eine stark salzsaure Lösung von Arsensäure in raschem Strome Schwefelwasserstoff ein, so fällt alles Arsen als gelbes Pulver der Zusammensetzung As2SB aus: 2H 3 As0 4 + 5H 2 S > As2S5 + 8H 2 0. Die Verbindung kann auch durch Zusammenschmelzen von Arsentrisulfid und Schwefel erhalten werden. Sie ist in Wasser und Säuren unlöslich und läßt sich bei Luftausschluß unzersetzt sublimieren. In Alkalisulfidlösungen ist sie analog dem Arsentrisulfid leicht unter Bildung von Thioarsenaten löslich (s. unten). Thioarsenite und Thioarsenate. Arsentrioxyd und Arsenpentoxyd setzen sich als Säureanhydride leicht mit Alkalien unter Bildung löslicher Arsenite und Arsenate um: As 2 0„ + 6 OH'
2AsO s "' + 3 H 2 0
As 2 0 6 + 6 OH' — 2 A s 0 4 " ' + 3H 2 0.
Noch stärker ausgeprägt ist dieser saure C h a r a k t e r bei den entsprechenden Sulfiden. So lösen sich diese z. B. in Sulfidlösungen ganz entsprechend unter Bildung von Thio-arseniten und Thio-arsenaten auf: As2S» + 6SH'
2AsS 3 "' + 3H 2 S
As2S6 + 6SH'
>- 2AsS 4 '" + 3H 2 S.
Bei Anwendung von Alkalien an Stelle von Sulfidlösungen entstehen Schwefel- und Sauers t o f f s a l z e nebeneinander: As2S3 + 6OH' — > - AsS 3 "' + AsOg'" + 3 H 2 0 . Behandelt man Arsentrisulfid mit schwefelhaltigen Sulfidlösungen (z. B. ,,gelbem Schwefélammon", Polysulfidlösungen), so bilden sich infolge Anlagerung von Schwefel nicht Thioarsenite, sondern Thioarsenate: As2S3 + 6SH' + 2 S — 2 A s S 4 " ' + 3H 2 S. In wässeriger Lösung liegen die Thioarsenate wohl wie die Arsenate in hydratisierter Form als Hydroxosalze Me3[AsS4 · 2 H 2 0 ] = Me 3 [AsS 2 (SH) 2 (0H) 2 ] vor. Die den Thioarseniten und Thioarsenaten zugrundeliegenden Säuren H3AsS3 und H3AsS4 sind n i c h t b e s t ä n d i g , sondern zerfallen unter S c h w e i e l w a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g und Bildung der „Anhydrosulfide" As2S3 und As 2 S 6 : 2H 3 AsS 3 ^=±1 3H 2 S + As2S3
2H3ASS4 T ^
3H 2 S + AS2Ss.
Der Vorgang entspricht der — weniger leicht erfolgenden — Abspaltung von Wasser aus den S a u e r s t o f f s ä u r e n unter Bildung der Anhydride As 2 0 3 und As 2 0 6 : 2 H 3 A s 0 3 ^ ± : 3 H 2 0 + As 2 0 3
2H 3 As0 4
3H 2 0 + As 2 0 6 .
18*
276
Die Stickstoffgruppe
4. Das Antimon a. Elementares Antimon Vorkommen. Antimon findet sich in der Natur analog dem Arsen in Form von Antimonsulfiden, Metallantimoniden und Antimonoxyden. Das verbreitetste Erz ist der Grauspießglanz (Antimonglanz, Antimonii, Stibnit) Sb 2 S 3 . Andere Sulfide sind ζ. B. das Schwarzerz (dunkles Fahlerz) 4Cu2S · Sb 2 S 3 , die Antimonsilberblende (dunkles Rotgültigerz) 3Ag2S · Sb 2 S 3 , der Bournonit 3(Pb, Cu2)S · Sb 2 S s , der Silberantimonglanz Ag2S · Sb 2 S 3 , der Kupferantimonglanz Cu2S · Sb2S3 und der Bleiantimonglanz PbS · Sb 2 S 3 . Unter den Metallantimoniden seien erwähnt: der Breithauptit NiSb, der Ullmannit NiSbS und der Diskrasit Ag2Sb. Als Zersetzungsprodukt des Grauspießglanzes tritt der Weißspießglanz (Antimonblüte) Sb 2 0 3 auf. In Form der Doppelverbindung 2 Sb2S3 · Sb 2 0 3 kommt dieses Oxyd auch als Rotspießglanz (Antimonzinnober, Antimonblende, Pyrostibit) in der Natur vor. Gelegentlich findet sich Antimon auch gediegen, meist in isomorpher Mischung mit Arsen (Allemontit). Darstellung. Metallisches Antimon kann nach zwei Verfahren aus dem Grauspießglanz gewonnen werden. Bei dem einen Verfahren wird der Grauspießglanz mit Eisen in Tiegeln oder Flammöfen verschmolzen („Niederschlagsarbeit"), wobei sich der Schwefel mit dem Eisen verbindet : Sb2S3 + 3Fe 2Sb + 3FeS. Bei dem anderen Verfahren wird das Sulfid geröstet, wobei es in das beständige, nichtflüchtige T e t r o x y d Sb 2 0 4 übergeht, das sich dann in Flammöfen durch Glühen mit K o k s oder Holzkohle zu Metall reduzieren läßt („Röstreduktionsarbeit") : Sb2S3 + 5 0 2 —>- Sb204 + 3S0 2 Sb204 + 4C >• 2Sb + 4CO. Erfolgt das Abrösten bei begrenzter Luftzufuhr, so entsteht statt des Tetroxyda das in der Hitze flüchtige Trioxyd Sb 2 0 3 , das in Kondensationseinrichtungen niedergeschlagen wird. Das so erhaltene Rohantimon enthält meist noch Schwefel, Arsen, Kupfer, Blei und Eisen. Um diese Beimengungen zu entfernen, schmilzt man es mit Soda, wobei die Verunreinigungen oxydiert werden und sich in der Schlacke ansammeln. Grauspießglanzerze, welche größere Mengen Gangart enthalten, werden vor der Verarbeitung auf Antimon so weit erhitzt, daß das verhältnismäßig leicht schmelzende Antimonsulfid (Smp. 546°) auf schräger Unterlage ausfließt („Seigerarbeit"). Das so „ausgeseigerte" Antimonsulfid (92—98°/0 Sb2S3) wird „Antimonium crudum" genannt. Physikalische Eigenschaften. Antimon kommt wie Phosphor und Arsen in zwei Modifikationen, einer grauen metallischen und einer gelben nichtmetallischen, vor. Das gewöhnliche, graue oder metallische Antimon stellt ein silberweißes, stark glänzendes, blätterig-grobkristallines, sprödes und leicht zu pulverndes Metall vom spezifischen Gewicht 6.69 dar, welches den elektrischen Strom leitet und bei 630.5° schmilzt, bei 1640° siedet. Sein K r i s t a l l g i t t e r ist analog dem des Arsens (Fig. 92, S. 269) aus Wabenschichten mit dreiwertigem Antimon aufgebaut (Sb—Sb-Abstand: 2.87 Â). Der Antimondampf besteht nach der Dampfdichtebestimmung aus Sb4- und Sb2-Molekülen. Das gelbe — dem weißen Phosphor und gelben Arsen entsprechende — nichtmetallische Antimon entsteht beim Einleiten von Sauerstoff in flüssigen Antimon-
Das Antimon
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Wasserstoff bei -90°: 2SbH3 + 1.5 0 2 —=>- 2Sb + 3H 2 0. Es ist noch viel unbeständiger als das gelbe Arsen und färbt sich oberhalb —80° selbst im Dunkeln schon nach kurzer Zeit schwarz. Das so entstehende schwarze Antimon kann auch direkt durch Einwirkung von Sauerstoff auf flüssigen Antimonwasserstoff oberhalb —80° oder durch schnelles Abkühlen von Antimondampf gewonnen werden. Es hat ein spezifisches Gewicht von 5.3, oxydiert sich — gegebenenfalls unter Entzündung — schon bei Zimmertemperatur an der Luft und geht beim Erhitzen unter Luftabschluß in die beständige graue Modifikation über. Es ist nicht mit Sicherheit bekannt, ob das schwarze Antimon eine besondere Modifikation oder nur eine andere Erscheinungsform der metallischen Form ist. Gleiches gilt von dem sogenannten explosiven Antimon, das bei der Elektrolyse der wässerigen Lösung von Antimonhalogeniden (Sb'" + 3 θ —>- Sb) entsteht. Es ist amorph und geht beim Ritzen, Pulvern oder schnellen Erhitzen unter Aufglühen und Versprühen explosionsartig in das energie-ärmere kristallisierte gewöhnliche Antimon über. Chemische Eigenschaften. Bei gewöhnlicher Temperatur verändert sich metallisches Antimon an der Luft nicht. Beim Erhitzen über den Schmelzpunkt verbrennt es mit bläulich-weißer Flamme zu A n t i m o n t r i o x y d Sb203. Mit Chlorgas vereinigt es sich in feingepulvertem Zustande unter Feuererscheinung zum Pentachlorid SbCl5; ebenso reagiert es energisch mit den anderen Halogenen. In nichtoxydierenden Säuren wie Salzsäure oder verdünnter Schwefelsäure ist Antimon entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (ε0 = + 0 . 1 bis + 0.2 Volt) nicht löslich. In Salpetersäure löst es sich — je nach der Säurekonzentration — unter Bildung von antimoniger oder Antimonsäure. In seinen Verbindungen ist Antimon fast ausschließlich drei- und f ü n f w e r t i g . Das f ü n f w e r t i g e Antimon zeigt in saurer Lösung großes Bestreben, in dreiwertiges Antimon überzugehen, und wirkt daher oxydierend, ζ. B. gegenüber Jodidlösungen (Sb™ ' + 2J' —>- Sb"* + J2). Vier wer tig tritt Antimon nur in Form des — lediglich in Lösung bekannten—Tetrachlorids SbCl4 und der sich davon ableitenden Komplexsalze Mei[SbCl6] auf. Antimon wird hauptsächlich zur Darstellung von Legierungen verwendet, da es die Eigenschaft besitzt, weiche Metalle wie Zinn oder Blei bedeutend zu härten. Einige wichtige Blei-Antimon-Legierungen (Letternmetall, Lagermetalle) und Zinn-Antimon-Legierungen (Britanniametall, Lagermetalle) werden wir beim Blei (S. 347 f.) und Zinn (S. 342) kennenlernen.
;b. Antimonwasserstoff Darstellung. Der Antimonwasserstoff SbH3 (Stibin) bildet sich analog dem Arsenwasserstoff ASH3 (S. 270) bei der Einwirkung von naszierendem Wasserstoff auf lösliche Antimonverbindungen: Sb(OH)3 + 6H
>- SbHj + 3H20. '
Größere Mengen stellt man zweckmäßig durch Eintragen eines Antimonids (ζ. B. einer durch Erhitzen von 2 Gewichtsteilen Magnesium mit 1 Gewichtsteil Antimon erhältlichen Legierung) in kalte verdünnte Salzsäure dar: Mg3Sb2 + 6 HCl
3MgCl2 + 2SbH3.
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Die Stickstoffgruppe
In beiden Fällen bestellt das entstehende Gas zur Hauptsache aus W a s s e r s t o f f , von dem der beigemengte Antimonwasserstoff durch Kondensation mittels flüssiger Luft abgetrennt werden kann. Physikalische Eigenschaften. Antimonwasserstoff ist wie Arsenwasserstoff ein farbloses, übelriechendes, giftiges Gas, das sich bei —18° zu einer Flüssigkeit verdichtet, welche bei —91.5° erstarrt. Chemische Eigenschaften. Der Antimonwasserstoff ist eine stark e n d o t h e r m e Verbindung (34.8 kcal + Sb + 1V 2 H 2 •—->- SbH3). Daher zersetzt er sich explosionsartig in die Elemente, wenn er an einer Stelle entzündet wird. Auch bei gewöhnlicher Temperatur macht sich dieser Zerfall schon bemerkbar ; und zwar ist die Zersetzungsgeschwindigkeit in reinen Glasgefäßen zunächst äußerst gering, um dann entsprechend der Menge des abgeschiedenen Antimons zuzunehmen („Autokatalyse"). Im übrigen entsprechen die chemischen Eigenschaften des A n t i m o n w a s s e r s t o f f s weitgehend denen des A r s e n w a s s e r s t o f f s . Beim Durchleiten des Antimonwasserstoffs durch das erhitzte Glasrohr des MARSH sehen Apparates entsteht ein A n t i m o n s p i e g e l ; an einer in die fahlgrün brennende Flamme des Antimonwasserstoff-WasserstoffGemisches gehaltenen kalten Porzellanschale scheidet sich ein Antimonfleck ab. Dieser Antimonfleck unterscheidet sich von dem in gleicher Weise entstehenden Arsenfleck durch dunklere Farbe, Unlöslichkeit in Natriumhypochloritlösung und geringere Flüchtigkeit beim Erhitzen im Wasserstoffström. Mit S i l b e r n i t r a t bildet Antimonwasserstoff eine braungelbe Doppelverbindung Ag3Sb · 3AgN0 3 , die beim Befeuchten mit Wasser unter Abscheidung von schwarzem Silberantimonid Ag s Sb zerlegt wird.
c. Halogenverbindungen des Antimons Die Halogenide des Antimons haben die allgemeine Zusammensetzung SbXj (SbF s , farblose, zerfließliche Kristalle, Smp. 292°; SbCl3, farblose Masse, Smp. 73.4®, Sdp. 223»; SbBr 3 , farblose Kristalle, Smp. 96.6», Sdp. 288»; SbJ 3 , rubinrote Tafeln, Smp. 170», Sdp. 401») und SbXj ( SbFg, farblose, ölige Flüssigkeit, Smp. 7.0°, Sdp. 149.5°; SbCl5, gelbe Flüssigkeit, Smp. 2.8», Sdp. 140°; SbJ 5 , braune Flüssigkeit, Sdp. 79°). Antimontrichlorid SbClj wird erhalten, wenn man feingepulverten G r a u s p i e ß g l a n z in heißer, konzentrierter S a l z s ä u r e auflöst: Sb 2 S 3 + 6 HCl
2 SbCl3 + 3 H 2 S .
Es stellt eine farblose, durchscheinende, kristallin-blättrige, weiche Masse dar („Antimonbutter"), die bei 73.4° schmilzt und bei 223° siedet. In wenig Wasser löst es sich klar auf. Bei weiterer Zugabe von Wasser scheiden sich infolge Hydrolyse basische Chloride (Oxychloride) ab, ζ. B. SbOCl (Antimonylchlorid ; SbCl3 + H 2 0 T ^ SbOCl + 2 HCl) und 2 SbOCl· Sb 2 O s (Algarotpulver; 2SbCl 3 + 3 H 2 0 Sb 2 0 3 + 6HCl). Beim K o c h e n mit W a s s e r geht alles Antimonchlorid in A n t i m o n t r i o x y d Sb 2 0 3 über. Das Algarotpulver wurde früher als Heilmittel verwandt. Auch die anderen Trihalogenide des Antimons werden von Wasser hydrolysiert, am wenigsten das Fluorid. Beständiger gegen Wasser sind die komplexen, aus Antimon-trihalogenid und Alkalihalogeniden entstehenden Halogeno-antimonite der allgemeinen Zusammensetzung Me I [SbX 4 ], Me*[SbX 5 ] und Me*[SbX e ], Antimonpentachlorid SbCl5 entsteht bei der Behandlung von A n t i m o n t r i c h l o r i d m i t C h l o r s SbClj + Cl2
SbClg.
Es stellt eine zitronengelbe, rauchende Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 2.35 dar, welche bei 2.8° erstarrt und bei 140° unter beginnender Zersetzung inTrichlorid und Chlor siedet. Mit kleinen Mengen Wasser bildet das Pentachlorid Hydrate wie SbCl5 · H 2 0 und SbCl5 · 4 Η 2 0 ; von überschüssigem Wasser wird es zu Antimonsäure und Salzsäure hydrolysiert. Mit zahlreichen Metallchloriden vereinigt es sich zu Hexachloro-antimonaten des Typus Mei[SbCl e ]. Auch das Fluorid SbFj bildet solche Komplexverbindungen Me[SbF e ], Das Bromid SbBr 6 ist nur in Form dieser Doppelverbindungen Me[SbBr e ] erhältlich. Die Existenz eines Jodids SbJ 5 ist noch fraglich.
Dae Antimon
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d. Sauerstoffverbindungen des Antimons Antimon bildet zwei S a u e r s t o f f s ä u r e n : die antimonige Säure HSb0 2 und die Antimonsäure HSb0 3 (bzw. HSb0 3 · 3H 2 0 = H 7 SbO e = H[Sb(OH) e ] ; vgl. S. 280,345). Außerdem kennt man drei A n t i m o n o x y d e : das Anhydrid der antimonigen Säure {Antimontrioxyd) Sb 2 0 3 , das Anhydrid der Antimonsäure ( A n t i m o n p e n t o x y d ) Sb2Os und das gemischte Anhydrid der antimonigen und Antimonsäure ( A n t i m o n t e t r o x y d ) Sb 2 0 4 . Antimontrio xyd ; antimonige Säure. Antimontrioxyd kommt in der Natur sowohl kubisch (Senarmontit) als auch rhombisch (Valentinit, Antimonblüte, Weißspießglanz) kristallisiert vor. Es bildet sich beim V e r b r e n n e n von A n t i m o n an der L u f t (2Sb + lVa®2 — S b 2 0 3 ) , sowie ζ. B. bei der H y d r o l y s e von A n t i m o n c h l o r i d in siedender Sodalösung (2SbCl 3 + 3HOÏÏ ζϊ=±ι Sb 2 0 3 + 6HC1; 6HC1 + 3Na 2 C0 3 — 6NaCl + 3C0 2 + 3H 2 0). Antimontrioxyd stellt ein weißes, beim Erhitzen gelb und beim Erkalten wieder weiß werdendes, in Wasser nahezu unlösliches Pulver vom Schmelzpunkt 656° und Siedepunkt 1550° dar. Wie Arsentrioxyd kommt es in zwei enantiotropen Modifikationen vor, deren Umwandlungspunkt bei 570° liegt: 570·
3.2 kcal + Sb 2 Oj kubisch
Sb 2 0 3 rhombisch.
Der Antimontrioxyd-Dampf besteht nach der Dampfdichtebestimmung bei ] 560° überwiegend aus Sb 4 0 6 -Molekülen (vgl. Fig. 89, S. 255). Aus ebensolchen Molekülen (3a) ist das Molekülgitter der k u b i s c h e n Form aufgebaut, während die r h o m b i s c h e Form höhermolekulare Kettenmoleküle des Typus (3b) bildet:
(Sb 2 0 3 ) x (b)
Beiden Formen liegen, wie aus obigen Formeln ersichtlich, dreiwertige Antimon- und zweiwertige Sauerstoffatome zugrunde, wobei im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 184, 262 f.) durch die Art der Sb 2 0 3 -Polymerisation die Doppelbindungen einer monomeren Form 0 = Sb — O — Sb = 0 vermieden werden. Beim Glühen an der Luft nimmt das Antimontrioxyd weiteren Sauerstoff auf unter Bildung von A n t i m o n t e t r o x y d Sb 2 0 4 . Andererseits läßt es sich leicht zum M e t a l l reduzieren, z. B. durch Erhitzen mit Wasserstoff, Kohle, Kohlenoxyd oder Kalium cyanid. Als a m p h o t e r e s Oxyd bildet es sowohl mit starken B a s e n als auch mit starken S ä u r e n salzartige Verbindungen. Der b a s i s c h e Charakter ist nur schwach ausgeprägt. So löst sich Antimontrioxyd nicht in verdünnter, wohl aber in konzentrierter Schwefel- bzw. Salpetersäure unter Bildung von A n t i m o n s u l f a t Sb 2 (S0 4 ) 3 bzw. A n t i m o n n i t r a t Sb(N0 3 ) 3 . Häufiger als diese neutralen Antimonsalze SbX 3 sind allerdings die b a s i s c h e n S a l z e , vor allem die „Antimonyl-salze" SbOX, z. B. A n t i m o n y l s u l f a t (Sb0) 2 S0 4 oder A n t i m o n y l - k a l i u m - t a r t r a t („Brechweinstein•") (SbO)K[C4H4Oe] · 1 / 2 H 2 0. In verdünnter S a l z - bzw. W e i n s ä u r e ist Sb 2 0 8 unter K o m p l e x s a l z b i l d u n g löslich. Die s a u r e N a t o des Antimontrioxyds zeigt sich
280
Die Stickstoffgruppe
in der Löslichkeit in A l k a l i l a u g e n , wobei „Antimonite" Me T Sb0 2 — bzw. Me I Sb(0H) 4 — gebildet werden (Sb 2 0 3 + 2 0 H ' —>• 2Sb0 2 ' + H 2 0). Sie leiten sich von einer antimonigen Säure der Formel HSbO ä ab (Sb 2 0 3 -f H 2 0 2HSb0 2 ). Die Existenz von A n t i m o n y l s a l z e n und A n t i m o n i t e n zeigt, daß diese a n t i m o n i g e S ä u r e HSb0 2 wie das zugrundeliegende Anhydrid Sb 2 0 3 als S ä u r e und B a s e zu wirken imstande ist : Sb0 2 ' + H" Antlmonlt
SbOOH antimonige Säure (Antimony lhydioxyd)
SbO' + OH'. Antlmonyl
Ob die antimonige Säure — sei es in ihrer Metaform HSb0 2 oder in der wasserreicheren Orthoform H 3 Sb0 3 — außer in der wässerigen Lösung auch in f r e i e m Z u s t a n d e als definierte Verbindung existiert, ist fraglich. Versucht man sie durch Ansäuern von Antimonit- oder durch hydrolytische Zersetzung von Antimonylsalzlösungen herzustellen (Sb0 2 ' + H' >• HSb0 2 ; SbO' + OH' >- SbOOH), so erhält man voluminöse, weiße, gel-artige (vg. S. 329) Niederschläge (,,Antimontrioxydhydrate"), die wechselnde Mengen Wasser enthalten und allmählich, selbst unter Wasser, in das kristalline Oxyd Sb 2 0 3 übergehen.
Antimonpentoxyd; Antimonsäure. Antimonpentoxyd kann als Anhydrid der Antimonsäure durch E n t w ä s s e r n (Erhitzen) von A n t i m o n s ä u r e gewonnen werden. Unter „Antimonsäure" versteht man dabei die A n t i m o n p e n t o x y d h y d r a t e Sb s 0 5 XH 2 0, die als weiße Pulver ausfallen, wenn man etwa A n t i m o n mit konzentrierter S a l p e t e r s ä u r e oxydiert ( 2 S b + 5 0 —>- Sb205) oder Stoffe wie A n t i m o n p e n t a c h l o r i d mit W a s s e r hydrolytisch zersetzt (2SbCl5 + 5H a O —>- Sb 2 0 5 + 10HC1). Antimonpentoxyd ist ein gelbliches Pulver, das beim E r h i t z e n , ohne zu schmelzen, in das T e t r o x y d Sb 2 0 4 übergeht. In Wasser ist es sehr schwer löslich. Die Lösung rötet blaues Lackmuspapier und enthält wahrscheinlich eine Hexahydroxo-antimonsäure Sb 2 0 6 · 7 H 2 0 = 2H 7 Sb0 6 = 2H[Sb(OH) e ]. Diese ist eine e i n b a s i g e Säure von der Stärke etwa der E s s i g s ä u r e und bildet S a l z e des Typus Me1 [Sb(OH) 6 ]. Das K a l i u m salz K[Sb(OH) e ] dient in der analytischen Chemie als Reagens auf N a t r i u m - i o n e n , da das Natriumantimonat (Natrium-hexahydroxo-antimonat) Na[Sb(OH) e ] schwer löslich ist. Die durch Zusammenschmelzen von A n t i m o n p e n t o x y d und M e t a l l o x y d erhältlichen A n t i m o n a t e leiten sich großenteils von einer wasserarmeren, der Phosphorsäure H 3 P 0 4 entsprechenden Form H 3 Sb0 4 ab (H 7 Sb0 6 — 2 H 2 0 = H 3 Sb0 4 ). Antimontetroxyd. Sowohl das T r i o x y d Sb 2 0 3 wie das P e n t o x y d Sb 2 0 5 gehen beim Erhitzen an der Luft in A n t i m o n t e t r o x y d Sb 2 0 4 über: Sb 2 0 3
Sb Ä 0 4 ^ ^ ^
Sb 2 0 6 .
Antimontetroxyd ist ein weißes, in der Hitze gelb und beim Erkalten wieder weiß werdendes Pulver, das sich durch Glühen mit K o h l e (Sb 2 0 4 + 4C —>- 2Sb + 4CO) oder K a l i u m Cyanid (Sb 2 0 4 + 4 K C N — ^ 2Sb + 4KCNO) leicht zu metallischem A n t i m o n reduzieren läßt.
e. Schwefelverbindungen des Antimons Antimon bildet mit Schwefel die zwei Sulfide Sb 2 S 3 und Sb2S5. Man erhält sie als orangerote Verbindungen beim Zusammenschmelzen von A n t i m o n und S c h w e f e l (2Sb + 3S >Sb 2 S 3 ; 2Sb + 5 S >- Sb2S6) oder beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in angesäuerte Lösungen von V e r b i n d u n g e n des drei- bzw. f ü n f w e r t i g e n A n t i m o n s (2Sb"' + 3S" >Sb 2 S 3 ; 2Sb + 6S" >- Sb2S6). Wie die entsprechenden Arsensulfide lösen sie sich in A l k a l i oder A m m o n i u m s u l f i d - l ö s u n g e n unter Bildung von „Thio-antimoniten" (Sb 2 S 3 + 3 S " — 2 S b S 3 " ' ) bzw. „Thio-antimonaten" (Sb 2 S 5 + 3S" >· 2SbS 4 "'). Antimontrisulfid SbaSa schmilzt bei 646° und wandelt sich beim Erhitzen unter Luftabschluß in die beständigere grauschwarze Modifikation (Grauspießglanz) um. Zum Unterschied vom weniger basischen Arsentrisulfid As¡¡S3 ist es in starken Säuren löslich (vgl. S. 278).
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Dae Wismut
Ântimonpentasulfid SbsSs dient als „Goldschwefel" zum Vulkanisieren von Kautschuk und verleiht den so vulkanisierten Gummiwaren die charakteristische rote Farbe. Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g von Goldschwefe] erfolgt durch Zersetzung von N a t r i u m - t h i o a n t i m o n a t (,ßcHLiPPESches Salz") mit S ä u r e n : 2 SbS 4 '" + 6 Η ·
ν
Sb 2 S, +
3H2S.
Das ScHLlPPESche Salz wird dabei durch Kochen von G r a u s p i e ß g l a n z - P u l v e r mit S c h w e f e l und N a t r o n l a u g e gewonnen; hierbei setzen sich Schwefel und Natronlauge teilweise zu Natriumsulfid um, welches dann mit dem Antimontrisulfid bei gleichzeitiger Einwirkung von Schwefel Thioantimonat bildet: Sb 2 S 3 + 3 S " + 2 S >- 2SbS 4 '". Aus der Lösung kristallisiert beim Erkalten das SCHLIPPE sehe Salz als hellgelbes Salz der Formel Na 3 SbS 4 • 9 H 2 0 aus.
5. Das Wismut a. Elementares Wismut Vorkommen. Wismut kommt in der Natur nicht in größeren Mengen vor. Es wird hauptsächlich in Südamerika (Bolivien) und Australien (Tasmanien) gefunden, und zwar sowohl gediegen als auch in Form des S u l f i d s Bi 2 S 3 (Wismutglanz) und des O x y d s Bi 2 0 3 (Wismutocker). Wie Arsen und Antimon kommt es weiterhin gelegentlich in Form von D o p p e l s u l f i d e n vor, ζ. B. als Bleiwismutglanz P b S · Bi 2 S 3 , Silberwismutglanz Ag 2 S · Bi 2 S 3 und Kupferwismutglanz Cu 2 S · Bi 2 S 3 . Darstellung. Zur Darstellung des Wismuts kann man von den oxydischen oder von den sulfidischen Erzen ausgehen. Die o x y d i s c h e n Erze werden in Tiegeln oder Flammöfen mit K o h l e zu Wismut reduziert: 2 B i 2 0 3 + 3C — > - 4 B i + 3 C 0 2 .
Die s u l f i d i s c h e n Erze werden wie beim Antimon (S. 276) nach dem R ö s t r e d u k t i o n s v e r f a h r e n verarbeitet (Bi2S3 + ^ U O ^ • — ν Bi 2 0 3 -f 3S0 2 ). Das so erhaltene R o h w i s m u t wird von Beimengungen wie Arsen, Antimon, Blei, Eisen, Schwefel durch oxydierendes Schmelzen befreit ; Kupfer läßt sich durch Schmelzen mit Natriumsulfid (Überführung in Kupfersulfid), Silber bzw. Gold durch Extraktion des geschmolzenen Wismuts mit Zinn beseitigen. Physikalische Eigenschaften. Wismut ist ein rötlich-silberweiß glänzendes, sprödes, grobkristallines Metall vom Schmelzpunkt 271.0° und Siedepunkt 1560°. Seine G i t t e r s t r u k t u r entspricht der des Arsens (S. 269) und Antimons (Bi — Bi-Abstand: 3.10 Â). Das geschmolzene Wismut zeigt wie das Wasser die auffallende Eigenschaft, sich beim Erstarren auszudehnen, so daß ζ. B. mit geschmolzenem Wismut gefüllte Glaskugeln dabei zersprengt werden. Analog verhalten sich die Halbmetalle Antimon, Germanium, Silicium und Gallium. Chemische Eigenschaften. Wismut ist bei gewöhnlicher Temperatur an der Luft beständig. Bei Rotglut verbrennt es mit bläulicher Flamme zu W i s m u t t r i o x y d Bi 2 0 3 . Mit den H a l o g e n e n , sowie mit S c h w e f e l , S e l e n und T e l l u r verbindet es sich in der Hitze direkt; dagegen vereinigt es sich nicht unmittelbar mit S t i c k s t o f f und P h o s p h o r . I n W a s s e r und in n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n (Salzsäure, Schwefelsäure) ist Wismut entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (e0 = + 0 . 2 Volt) n i c h t l ö s l i c h . I n o x y d i e r e n d e n S ä u r e n (Salpetersäure, heiße konzentrierte Schwefelsäure) löst es sich unter Bildung von S a l z e n (Nitrat, Sulfat). Metallisches Wismut wird zur Herstellung l e i c h t s c h m e l z e n d e r L e g i e r u n g e n , sowie gelegentlich als Zusatz zu Britanniametall und zu Lagermetallen verwendet. Von den leichtschmelzenden Legierungen seien hier erwähnt: das „RosBsche Metall" (2 Gewichtsteile Bi, 1 Teil Pb, 1 Teil Sn) vom Schmelzpunkt 94°, das „Woonsche Metall" (4 Teile Bi, 2 Teile Pb, 1 Teil Sn, 1 Teil Cd) vom Schmelzpunkt 60° und die
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Die Stickstoffgruppe
„LiPOWiTZ-Legierung" (15 Teile Bi, 8 Teile Pb, 4 Teile Sil, 3 Teile Cd) vom Schmelzpunkt 70°. Alle diese Legierungen schmelzen schon in heißem Wasser und können ζ. B. für elektrische Sicherungen und Sicherheitsverschlüsse verwandt werden. Zur Anfertigung von Abgüssen (Münzen, Klischieren von Holzschnitten usw.) verwendet man zweckmäßig die bei 130° schmelzende Legierung aus 1 Teil Bi, 1 Teil Pb und 1 Teil Sn, die infolge ihrer Ausdehnung beim Erstarren auch die feinsten Konturen der Vorlage scharf wiedergibt.
b. Verbindungen des Wismuts Die Verbindungen des Wismuts leiten sich vorwiegend vom dreiwertigen Wismut ab. Jedoch kann Wismut vereinzelt auch fünf wer tig auftreten. Das Wismutoxyd Bi 2 0 3 weist ausgesprochen basischen Charakter auf; daher löst es sich in Säuren unter Bildung von Verbindungen ausgesprochenen S alz Charakters auf. Wismutwasserstoff (Bismutin) BiH3 (Sdp. 22°) wird in Spuren neben viel Wasserstoff erhalten, wenn man eine pulverförmige Wismut-Magnesium-Legierung mit S a l z s ä u r e zersetzt: Mg3Bi2 + 6 HCl — 3 M g C l 2 + 2BiH3. Seine Bildung läßt sich leicht dadurch nachweisen, daß das entweichende Gas, durch ein erhitztes Glasrohr geleitet, wieArsen- und Antimonwasserstoff einen Metallspiegel ergibt (vgl. S. 553). Der Wismutspiegel unterscheidet sich vom Arsenspiegel durch seine Unlöslichkeit in Natriumhypochloritlösung, vom A n t i m o n s p i e g e l durch seine Unlöslichkeit in gelber Schwefelammonlösung. Wismuthalogenide, BiX 3 ) entstehen beim Auflösen von W i s m u t o x y d in Halogenwasserstoff säuren : Bi2Oj + 6HX ^ ± 1 2BiXg + 3H 2 0. Wismutfluorid BiF 3 bildet ein wasserunlösliches, weißes, kristallines Pulver (Smp. 730°) — welches bei 500° leicht weiteres Fluor unter Bildung eines Wismut (V)-fluorids BiF 5 (farblose Nadeln, Sblp. 550°) aufnimmt —, Wismutchlorid BiCl3 eine weiße, kristalline, an feuchter Luft zerfließüche Masse (Smp. 232°, Sdp. 447°), Wismutbromid BiBr 3 gelbe, bei 218° zu einer tiefroten Flüssigkeit (Sdp. 453°, Zers. 500°) schmelzende Kristalle und Wismutjodid B i J 3 schwarze bis braune, glänzende Kristallblättchen vom Schmelzpunkt 408°. Mit Alkalihalogeniden bilden die Wismuthalogenide Komplexsalze („Tetrahalogeno-bismutate") des Typus Me[BiX 4 ], Durch Wasser werden die Wismuthalogenide unter Bildung von W i s m u t o x y halogeniden („Bismutylhalogenide") hydrolytisch gespalten: BiX s + H 2 0 BiOX + 2HX, und zwar Wismutchlorid und Wismutbromid leicht, Wismutjodid wegen seiner geringen Löslichkeit erst beim Kochen. Wismutoxychlorid und -bromid sind weiß; Wismutoxyj odid stellt ein ziegelrotes Puver dar. Wismutsalze lassen sich durch Auflösen von Wismut oder W i s m u t o x y d in Säuren gewinnen. Löst man ζ. B. gepulvertes Wismut in S a l p e t e r s ä u r e auf, so scheiden sich aus der eingedampften Lösung große, durchscheinende, farblose Kristalle der Zusammensetzung Bi(N0 3 ) 3 · 5 H 2 0 aus. Aus der Lösung von Wismut oder Wismutoxyd in heißer konzentrierter Schwefelsäure kristallisieren feine weiße Nadeln von Bijj(S0 4 ) 3 aus. Durch Wasser werden diese Salze zu basischen Salzen hydrolysiert. Ein basisches Nitrat der ungefähren Zusammensetzung B^OHJjNOg dient unter dem Namen „Magisterium bismuti" (,,Bismutum subnitricum") seit langem als gelindes Darmdesinfiziens, sowie in der Wund- und Hautbehandlung.
Vergleichende Übersicht über die Stickstoffgruppe
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Wismutoxyd; Wismuthydroxyd. Versetzt man eine W i s m u t s a l z l ö s u n g mit A l k a l i h y d r o x y d l ö s u n g , so fällt Wismuthydroxyd Bi(OH)3 als weißer, flockiger Niederschlag aus. Beim E r w ä r m e n auf 100° geht dieses Hydroxyd in die wasserä r m e r e Form BiO(OH) über: Bi(OH)3 —>• BiO(OH) + H 2 0. Bei noch stärkerem E r h i t z e n entsteht das w a s s e r f r e i e , in der Kälte gelbe, in der Hitze rotbraune Oxyd Bi 2 0 3 (Smp. 817°, Sdp. 1890°), das auch durch Verbrennen von Wismut oder durch Erhitzen von Wismutnitrat oder -carbonat gewonnen werden kann. Das Wismutoxyd Bi 2 0 3 ist zum Unterschied vom s a u r e n Stickstoffoxyd N 2 0 3 und von den a m p h o t e r e n Trioxyden des Arsens und Antimons ein ausgesprochen b a s i s c h e s Oxyd. Es löst sich daher nur in S ä u r e n , nicht dagegen in L a u g e n ; gleiches gilt vom Wismuthydroxyd Bi(OH)3. Wie Arsen- und Antimontrioxyd tritt auch Wismuttrioxyd in mehreren Modifikationen auf. Durch starke O x y d a t i o n s m i t t e l (Chlor, Kaliumpermanganat) kann das Wismuthydroxyd bei Gegenwart von Alkalilauge zu gelbbraunen bis purpurroten Salzen oxydiert werden, die sich wahrscheinlich von der roten, bei 120° Wasser abspaltenden W i s m u t s ä u r e HBi0 3 (Anhydrid: Bi 2 0 5 , Smp. 150°) ableiten. Wismutsulfid BÌ2S3, das in der Natur als stahlgrauer bis zinnweißer, kristalliner, dem Grauspießglanz Sb2S3 im Aussehen sehr ähnlicher Wismutglanz vorkommt, kann künstlich durch Erhitzen von W i s m u t mit Schwefel (2Bi + 3S—>• Bi2S3) oder durch Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in die saure Lösung eines W i s m u t s a l z e s (2Bi"" + 3 S " —>- Bi2S3) als dunkelbrauner Niederschlag erhalten werden. Zum Unterschied von Arsen- und Antimontrisulfid löst es sich nicht in Alkalien oder Alkalisulfidlösungen, zeigt also k e i n e s a u r e n Eigenschaften mehr. Bei längerem Stehen (schneller beim Kochen mit Alkalisulfidlösung) geht das gefällte amorphe Sulfid allmählich in die g r a u e k r i s t a l l i n e Form (Smp. 727°) über.
6. Vergleichende Übersicht über die Stickstoffgruppe Wie die Halogene und Chalkogene bilden auch die zuletzt behandelten Elemente S t i c k s t o f f , P h o s p h o r , A r s e n , A n t i m o n und W i s m u t eine natürliche Gruppe des Periodensystems. Hier wie dort beobachtet man dementsprechend mit steigendem Atomgewicht eine graduelle Abstufung der p h y s i k a l i s c h e n und c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n , wie aus der folgenden Zusammenstellung hervorgeht:
Atomgewicht Spezifisches Gewicht Schmelzpunkt Siedepunkt
Stickstoff
Phosphor
Arsen
Antimon
Wismut
14.008 0.96 1 — 210.5° — 195.8°
30.98 2 1.82
74.91 5.72 3 817 04 633° nimmt zi nimmt ab nimmt zu nimmt zu nimmt zu
121.76 6.69 3 630.5° 1640°
209.00 9.80 271.0° 1560°
Affinität zu elektroposit. Elementen Affinität zu elektronegat. Elementen Basecharakter der Oxyde Salzcharakter der Halogenide
44.102
280° 2 >-
>>-
>>•
>>
Metallcharakter. Der metallische (nichtmetallische) Charakter der Elemente nimmt in der Richtung vom Stickstoff zum Wismut hin zu (ab). S t i c k s t o f f ist ein reines 1 2 8 4
Fester Stickstoff beim Schmelzpunkt. Weißer Phosphor. Metallische Modifikation. Bei 36 at Druck.
284
Die Stickstoffgruppe
N i c h t m e t a l l ; Phosphor kommt außer in zwei nichtmetallischen Modifikationen schon in einer — allerdings schwierig gewinnbaren — m e t a l l i s c h e n F o r m vor; Arsen und Antimon treten ebenfalls sowohl n i c h t m e t a l l i s c h wie m e t a l l i s c h auf, wobei die metallische Modifikation in diesem Falle die gewöhnliche ist; Wismut ist bereits ein ausgesprochenes Metall. Wertigkeit. Gegenüber e l e k t r o p o s i t i v e n Elementen wie Wasserstoff oder Metallen treten die Elemente der 5. Hauptgruppe des Periodensystems nur dreiwertig auf; gegenüber e l e k t r o n e g a t i v e n Elementen wie Sauerstoff, Schwefel oder Chlor sind sie drei- und f ü n f w e r t i g , wobei mit steigendem Atomgewicht die Dreiwertigkeit mehr und mehr die Fünfwertigkeit überwiegt. Die Beständigkeit analoger Verbindungen nimmt mit steigendem Atomgewicht des Zentralatoms im ersteren Falle ab, im letzteren zu. So ist ζ. B. das Ammoniak NH 3 gegenüber dem zersetzlichen Wism u t w a s s e r s t o f f BiH 3 sehr b e s t ä n d i g , während umgekehrt die Oxyde, Sulfide und Halogenide des S t i c k s t o f f s viel unbeständiger als die des W i s m u t s sind. Basecharakter. Der saure (basische) Charakter der Oxyde Y 2 0 3 ( Y = Element der Stickstoffgruppe) nimmt vom Stickstoff zum Wismut hin ab (zu). N 2 0 3 und P 2 0 3 sind nur Säure-anhydride ; As 2 0 3 bekundet neben dem sauren bereits einen schwach basischen Charakter, der sich beim Sb 2 0 3 noch verstärkt ; Bi 2 0 3 ist ein ausgesprochenes Baseanhydrid. Entsprechend dieser Abnahme des sauren und Zunahme des basischen Charakters verschiebt sich die Dissoziation der vom Oxyd Y 2 0 3 abgeleiteten Hydroxylverbindung Y(OH) 3 : 3H' + Y 0 3 " '
Y(OH)j
Y " + 3OH'
mit steigendem Atomgewicht von Y zunehmend von der linken nach der rechten Seite hin1. So bilden die N i t r i t e und P h o s p h i t e auch in stark saurer Lösung keine Ionen Ν"' und F " , sondern nur die freien Säuren N(OH)3 (—>- NOOH + H2Ö) und P(OH)„, während die Arsenite, Antimonite und W i s m u t i t e in saurer Lösung Verbindungen YX 3 (X = Säurerest) von zunehmendem Salzcharakter bilden, denen das Ion Y"* zugrundeliegt. Umgekehrt hydrolysieren die Verbindungen YX 3 entsprechend der abnehmenden Basizität von Y(OH)3 um so leichter, je höher Y im Periodensystem steht. So werden NC13 und PC13 von Wasser augenblicklich zersetzt ; auch ASC13 geht bei Einwirkung vonWasser leicht in arsenige Säure As(OH)3 über ; SbCl3 erleidet durch Wasser nicht sofort eine vollständige hydrolytische Spaltung, sondern geht in basische Chloride über, die erst von sehr viel Wasser zu antimoniger Säure umgewandelt werden ; und BiCl3 bildet mit Wasser BiOCl, das bei weiterem Wasserzusatz nicht mehr zersetzt wird. Die Oxyde der f ü n f w e r t i g e n Elemente, Y 2 0 5 , sind alle S ä u r e - a n h y d r i d e . Auch hier nimmt der Säurecharakter mit steigendem Atomgewicht von Y ab, so daß die vom N 2 0 5 abgeleitete S a l p e t e r s ä u r e eine sehr s t a r k e und die vom Bi 2 0 5 abgeleitete W i s m u t s ä u r e eine sehr schwache Säure ist. Wasserstoffverbindungen. Auch bei den W a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g e n YH 3 ist die graduelle Abstufung der Eigenschaften sehr deutlich. So nimmt beispielsweise der basische Charakter mit zunehmendem Atomgewicht von Y ab, so daß das Gleichgewicht YH3 + H" ^ YH4" beim NH 3 ganz auf der rechten, beim AsH3 dagegen bereits ganz auf der linken Seite liegt. 1 Beim ersten (Y = N) und letzten Glied (Y = Bi) der Reihe ist die w a s s e r a r m e r e Form YO(OH) bevorzugt, für die das entsprechende Gleichgewicht H ' + YO,' < > YOOH < > YO' + OH' gilt.
Kapitel XII
Die KoHenstoffgruppe 1. D e r Kohlenstoff a. Elementarer Kohlenstoff α. Vorkommen K o h l e n s t o f f findet sich in der Natur sowohl in f r e i e m (Diamant; Graphit) als auch ÌD g e b u n d e n e m Zustande. G e b u n d e n kommt er teils im Mineralreich („LithoSphäre"), teils im Pflanzen- und Tierreich {„Biosphäre"), teils in der Luft („Atmosphäre") und im Wasser („Hydrosphäre") vor. Im Mineralreich treffen wir den Kohlenstoff in der Hauptsache in Form von Carbonaten, den Salzen der Kohlensäure H 2 C0 3 an. Wichtige derartige Carbonate sind : C a l c i u m c a r b o n a t CaC0 3 („Kalkstein", „Marmor", „Kreide"), welches ganze Gebirge bildet, C a l c i u m - m a g n e s i u m - c a r b o n a t CaC0 3 · MgC0 3 („Dolomit"), M a g n e s i u m c a r b o n a t MgC0 3 („Magnesit"), E i s e n c a r b o n a t PeC0 3 („Eisenspat"), Manganc a r b o n a t MnC0 3 („Manganspat") und Z i n k c a r b o n a t ZnC0 3 („Zinkspat"). Im Pflanzen- und Tierreich bildet der Kohlenstoff einen grundwesentlichen Bestandteil aller Organismen. Daher nennt man die Kohlenstoffverbindungen auch „organische Verbindungen". Da die Zahl der — natürlichen und künstlichen — o r g a n i s c h e n V e r b i n d u n g e n (über 400000) im Verhältnis zur Zahl der Verbindungen aller ü b r i g e n Elemente 40000) sehr groß ist, pflegt man die Kohlenstoffchemie als „Organische Chemie" von der „Anorganischen Chemie" abzutrennen und gesondert zu behandeln, obwohl anorganische und organische Chemie n i c h t w e s e n s v e r s c h i e d e n sind. Als Produkte der Verwesung urweltlicher p f l a n z l i c h e r Organismen finden sich in der Natur die K o h l e n , als Zersetzungsprodukte urweltlicher t i e r i s c h e r Organismendie Erdöle. Der Gehalt der Luft an Kohlendioxyd beträgt zwar durchschnittlich nur 0.03 Volumenprozente. Wegen der großen räumlichen Ausdehnung der Atmosphäre übersteigt aber der in dieser Form vorhandene Kohlenstoff (6.0 XlO 1 1 1) den im Tier- und Pflanzenreich enthaltenen (2.7 XlO 1 1 1) um mehr als 100°/ 0 . In noch stärkerem Maße gilt dies vom Meerwasser, das durchschnittlich 0.005 Gew.-°/0 Kohlendioxyd enthält, entsprechend einer Gesamtmenge von 2 . 7 x l 0 1 3 t Kohlenstoff, d . h . dem H u n d e r t f a c h e n des im Tier- und Pflanzenreich gespeicherten KohlenstoffVorrats. ß. Physikalische Eigenschaften Kohlenstoff kommt in zwei monotropen Modifikationen vor: regulär kristallisiert als Diamant (metastabil) und hexagonal kristallisiert als Graphit (stabil). Besondere, feinkristalline A b a r t e n des G r a p h i t s sind: Retortengraphit, Glanzkohlenstoff und Ruß, eowie (weniger rein) Koks, Holzkohle und Tierkohle. Diamant undGraphit unterscheiden sich voneinander durch ihre K r i s t a l l s t r u k t u r . Das Kristallgitter des Graphits besteht aus vielen übereinandergelagerten ebenen
286
Die Kohlenstoffgruppe
K o h l e n s t o f f scili eh ten, in welchen die Kohlenstoffatome zu lauter Sechsecken der Kantenlänge 1.42 Á zusammengefügt sind. Die ausgezogenen Linien in Fig. 94 geben — von oben gesehen — das „Wabennetz" einer solchen Kohlenstoffebene wieder. Die über bzw. unter dieser Ebene gelegene nächste Sechseckebene (gestricheltes Wabennetz in Fig. 94) ist so angeordnet, daß über (unter) der Mitte eines jeden Sechsecks der Ausgangsebene ein Kohlenstoffatom der benachbarten Ebene zu hegen kommt. Dasselbe wiederholt sich bei den folgenden Ebenen, so daß in summa ein „Schichtengitter" entsteht, welches — von der Seite gesehen — das in Fig. 95 wiedergegebene Aussehen hat. Die einzelnen Schichten haben dabei voneinander einen Abstand von 3.35 Â. Da in den Sechseck-ebenen (Fig. 94) jedes Kohlenstoffatom nur mit drei anderen durch eine homöopolare Bindung verbunden ist, betätigt es lediglich drei seiner vier Außenelektronen. Die „vierten" Valenzelektronen verbinden in m e t a l l i s c h e r B i n d u n g die einzelnen Schichten untereinander. Der Graphit ist also gewissermaßen ein Metall, bei dem die Fig. 94. Sechseckanordnung der ausgedehnten p o s i t i v geladenen K o h l e n s t o f f Kohlenstoffatome innerhalb einer ebenen die Stelle der gewöhnlichen Me t a 11Ebene des Graphit-Schichtengitters k a t i o n e n vertreten. Die f e s t e homöopolare (ausgezogene Linien : Ausgangsebene; gestrichelte Linien: darun- B i n d u n g innerhalb der einzelnen Kohlenstoffebenen ter· bzw. dariiberbefindliche Ebene) gegenüber der lockeren metallischen B i n d u n g der Ebenen untereinander sowie die freie Beweglichkeit des „Elektronengases" (S. 152) zwischen den Schichten bedingen die l e i c h t e S p a l t b a r k e i t des Graphits in Richtung der Ebenen und das elektrische Leitvermögen.
6.70 A
6,1 6ñ
¿,96/1 Fig. 95. Kristallgitter des Graphits
2.50h Fig. 96. Kristallgitter des Diamanten
Das Kristallgitter des Diamanten unterscheidet sich von dem des Graphits dadurch, daß die Ebenen des Graphits nicht mehr durch m e t a l l i s c h e B i n d u n g , sondern durch homöopolare Bindung zusammengehalten werden, indem die — beim Graphit freibeweglichen — vierten Elektronen der Kohlenstoffatome einer Ebene mit den vierten Elektronen der beiden benachbarten Ebenen — abwechselnd nach oben
287
Der Kohlenstoff
und unten — zu E l e k t r o n e n p a a r - b i n d u n g e n zusammentreten. Dies führt zu der aus Fig. 96 ersichtlichen „Wellung", Parallelverschiebung und engeren Packung der ursprünglichen Graphitebenen ; denn nur auf diese Weise findet jedes Kohlenstoff atom einer Ebene in der darüber- bzw. darunterliegenden Ebene einen Bindungspartner, während im Graphitgitter (Fig. 94 und 95) jedes zweite Kohlenstoffatom einer gegebenen Ebene über (unter) einer S e c h s e c k m i t t e der benachbarten Ebene liegt. Da jedes Kohlenstoffatom jetzt v i e r homöopolare Valenzen betätigt, ist jedes Kohlenstoffatom t e t r a e d r i s c h — im Abstand von je 1.54 Â — von vier anderen Kohlenstoffatomen umgeben, wie aus Fig. 96 hervorgeht, in der jedes durch o symbolisierte Kohlenstoffatom tetraedrisch mit vier Kohlenstoffatomen · verbunden ist und umgekehrt. Der Abstand der einzelnen Ebenen voneinander beträgt im Diamantgitter nur noch 2.05 Â. Das F e h l e n der m e t a l l i s c h e n B i n d u n g macht den Diamanten zum N i c h t l e i t e r und bedingt seine F e s t i g k e i t und H ä r t e nach allen drei Richtungen des Raumes hin. Zum Unterschied vom „Ionengitter" etwa des Natriumchlorids (S. 144 und Fig. 49, S. 145) wird ein Gitter wie das des Diamanten „Atomgitter" genannt, da hier an den Gitterpunkten keine I o n e n , sondern ungeladene A t o m e sitzen. Ersetzt man im Diamantgitter die vierwertigen K o h l e n s t o f f - a t o m e (4. Elementgruppe) durch dreiwertige A r s e n - (5. Elementgruppe), zweiwertige S e l e n - (6. Elementgruppe) oder einwertige Chlor atome (7. Elementgruppe), so geht infolge des Wegfalls eines Teils der Bindungen das „Raumgitter" des Kohlenstoffs (Fig. 96) in das „Schichtengitter" des Arsens (S. 269), das „Fadengitter" des Selens (S. 214) bzw. das „Molekülgitter" des Chlors über, in welchen die Atome entsprechend ihrer geringeren Wertigkeit nicht wie im Falle des Kohlenstoffs mit v i e r , sondern nur noch mit d r e i (As), z w e i (Se) bzw. e i n e m (Cl) Nachbarn kovalent verknüpft sind. Je nachdem, welche Bindungen des Diamantgitters in Wegfall kommen, ergeben sich verschiedene Abarten der Schichten- oder Fadenstruktur. So kann man die beiden verschiedenen Wabennetze des schwarzen Phosphors (Fig. 88, S. 250) und metallischen Arsens (Fig. 92, S. 269) dadurch vom Diamantgitter (Fig. 96) ableiten, daß man räumlich verschieden gelagerte Ebenen aus diesem Raumgitter herausschneidet 1 .
Unabhängig von der gerade vorliegenden Modifikation ist der Kohlenstoff ein geruch- und geschmackloser Stoff, der erst bei 3500° schmilzt und bei 3900° siedet. Im übrigen sind aber die Eigenschaften der beiden Modifikationen ganz verschieden, so daß wir sie getrennt behandeln wollen. Diamant Die Hauptfundstätten des Diamanten liegen im Kongogebiet, an der Goldküste und in Süd- und Südwestafrika. In Form des reinen Diamanten bildet der Kohlenstoff äußerst harte, jedoch ziemlich spröde, farblose, wasserklare, sehr stark lichtbrechende und glänzende Kristalle vom spezifischen Gewicht 3.51. Bei Anwesenheit geringer Beimengungen können die Diamanten auch gelb, rot, braun, blau, violett oder grün aussehen. Auch tiefschwarze Diamanten {„Carbonados") kommen vor. Wegen des lebhaften Farbenspiels und hohen Glanzes sind die geschliffenen reinen Diamanten als besonders k o s t b a r e E d e l s t e i n e geschätzt. Die meisten gefundenen Diamanten ( ~ 95°/0) eignen sich aber nicht zur Verarbeitung auf Schmuckstücke und dienen zu t e c h n i s c h e n Z w e c k e n : zum Schleifen besonders harten Materials (insbesondere des Diamanten selbst), in Form von Bohrerspitzen zum Bohren besonders harter Gesteine, zum Schneiden von Glas, als Achsenlager für Präzisionsapparate, als Ösen zum Ziehen feinster Drähte harter Metalle. Erhitzt man Diamant unter L u f t a b s c h l u ß auf über 1500°, so geht er unter Wärmeentwicklung in G r a p h i t über: ^Diamant Ä 1
+ °·2
kca1
·
Die schraffierten Ebenen in Fig. 96 geben die räumliche Anordnung der Atome des A r s e n Schichtengitters (Fig. 92, S. 269) wieder.
288
Die Kohlenstoffgruppe
Die umgekehrte Verwandlung von Graphit in Diamant ist bis jetzt nur sehr unvollkommen gelungen. Wie aus den Kristallgittern von Diamant und Graphit hervorgeht (S. 286), haben die Kohlenstoffebenen im Diamant einen viel kleineren Abstand voneinander als im Graphit. Zur Umwandlung in Diamant muß daher der Graphit einem a u ß e r o r d e n t l i c h h o h e n D r u c k ausgesetzt werden. Das erreicht man dadurch, daß man ζ. B. Graphit in g e s c h m o l z e n e m E i s e n oder g e s c h m o l z e n e m S i l i c a t auflöst lind die Schmelze dann a b s c h r e c k t , wobei sich der Kohlenstoff im Innern unter sehr hohem Druck ausscheidet. Die dabei erhaltenen Diamantkriställchen sind winzig und unansehnlich und stimmen zudem in ihren Eigenschaften nicht ganz mit denen echter Diamanten überein. Beim Erhitzen an der L u f t verbrennt der Diamant bei über 800° langsam, in reinem Sauerstoff unter hellem Aufleuchten zu K o h l e n dioxyd: C + 02 ν COa + 94.2 kcal. Nichtoxydierende Säuren und Basen greifen ihn nicht an. Graphit Graphit kommt je nach der Herstellungstemperatur in den verschiedensten äußeren Erscheinungsformen vor, die sich voneinander in der Größe und gegenseitigen Anordnung der Kristalle linterscheiden. Scheidet man ζ. B. den Kohlenstoff aus kohlenstoffhaltigen Substanzen durch Erhitzen auf verhältnismäßig n i e d r i g e T e m p e r a turen 400°) ab, so erhält man ihn in kleinen Kristallen vom Durchmesser 20 Â, die locker zu schwammartig porösen, im Mikroskop sichtbaren Flöckchen zusammengefügt sind {Ruß, Holzkohle, Tierkohle). Bildung bei h ö h e r e n T e m p e r a t u r e n 800°) führt zu einer festeren Verfilzung der kleinen Kristalle (Koks, Glanzkohlenstoff). Abscheidung bei verhältnismäßig h o h e n T e m p e r a t u r e n 1500°) liefert dichte, aber immer noch regellos orientierte, kristalline Aggregate größerer, etwa 40 Â im Durchmesser betragender Kriställchen (Retortengraphit), die dem natürlichen Graphit schon näher kommen und ζ. B. wie dieser den elektrischen Strom schon gut leiten. Bei s e h r h o h e n T e m p e r a t u r e n 2500°) erhält man größere Kristalle von zunehmender Orientierung (künstlicher Graphit), die sich nur wenig vom geordneten Gitter des natürlichen Graphits unterscheiden. Das s p e z i f i s c h e G e w i c h t der verschiedenen Graphitsorten variiert zwischen 1.8 (Ruß) und 2.2 (Graphit), die V e r b r e n n u n g s w ä r m e zwischen 8.13 (Ruß) und 7.84 (Graphit) kcal/g C, die F a r b e zwischen schwarz (Ruß) und grau (Graphit). Die außerordentliche Oberflächenentwicklung der feinstkristallinen, lockeren Graphitformen (bis zu 800 m 2 Oberfläche je g Substanz) macht diese zu wertvollen A d s o r p t i o n s m i t t e l n („Aktivkohle"). Wegen der verschiedenen Eigenschaften der einzelnen Graphitsorten besprechen wir die verschiedenen Formen gesondert. Ihre Erforschung verdanken wir u. a. dem deutschen Chemiker U l r i c h H o f m a n n . Natürlicher Graphit wird vor allem auf der Insel Ceylon, auf Madagaskar, in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Ostsibirien und — in weniger großen Mengen — bei Passau gefunden. Er bildet eine graue, undurchsichtige, schuppige, leicht spaltbare Masse, die sich fettig anfühlt, schwachen Metallglanz aufweist und stark abfärbt. Zum Unterschied von Diamant ist Graphit s e h r w e i c h und ein g u t e r L e i t e r d e r Elektrizität und Wärme. Chemisch ist der Graphit reaktionsfähiger als der Diamant. So verbrennt er ζ. B. an der Luft und im Sauerstoff schon bei 700° zu Kohlendioxyd. Interessant ist seine Reaktion mit F l u o r und mit o x y d i e r e n d e n S ä u r e n : Erhitzt man G r a p h i t mit F l u o r auf über 450°, so entsteht unter Aufsprengung der Kohlenstoffebenen in der Hauptsache K o h l e n s t o f f t e t r a f l u o r i d CF4. Erwärmt man aber nur auf 450°, so bleiben die Kohlenstoffebenen erhalten, und jedes Kohlenstoff-
Der Kohlenstoff
289
atom einer solchen Ebene bindet mit seinem freien vierten Elektron kovalent ein Fluoratom ^ C · + • F : —>- ^C : F : j , so daß eine Verbindung der Bruttozusammensetzung CT {„Kohlenstoffmonofluorid", „Graphitfluorid") entstellt. Ihr G i t t e r besteht aus Kohlenstoffschichten, die in ihrer Wellung und ihren Abmessungen (C — C- Abstand : 1.54 Á) ganz den schraffierten Kohlenstoffschichten des Diamantgitters (Fig. 96) entsprechen und deren vierte Valenzen gemäß Fig. 97 abwechselnd nach oben und unten mit Fluoratomen abgesättigt sind(C—F-Abstand: 1.4 Â). DerEbenenabstand des Schichtengitters beträgt 6.6 Â, ist also doppelt so groß wie beim Graphit (3.35 Á) und mehr als dreimal so groß wie beim Diamant (2.05 Â). Die Verbindung ist im reinen Zustande farblos (silberweiß-durchsichtig) und leitet zum Unterschied vom Graphit erwartungsgemäß den elektrischen Strom nicht mehr, da die freien Elektronen des Graphitgitters hier durch die kovalente Bindung der FluorO F atome blockiert sind. Beim Erhitzen auf 500° geht Fig. 97. Molekularstruktur des das Kohlenstoffmonofluorid CF unter Abgabe von Kohlenstoffmonofluorids (Graphitfluorids) (CF)œ CF4, C ^ und höheren Kohlenstoff-fluoriden in Graphit über. Analog der Bildung von Graphitfluorid CF bei der Umsetzung von Graphit und Fluor erhält man durch Oxydation von G r a p h i t mit K a l i u m c h l o r a t in einer Lösung von konzentrierter Schwefelsäure und Salpetersäure ein G r a p h i t o x y d {„Grafhitsäure"), das im Grenzfall die zu erwartende Zusammensetzung C^O besitzt und dessen Gitter sich von dem des Graphitfluorids wahrscheinlich durch Ersatz je zweier einwertiger Fluoratome durch ein zweiwertiges Sauerstoffatom ableitet. Ebenso kann man durch vorsichtige O x y d a t i o n von G r a p h i t unter k o n z e n t r i e r t e n S ä u r e n „Graphitsalze" (Bisulfat, Phosphat, Perchlorat, Nitrat, Selenat, Hydrogenfluorid) herstellen: Graphit — [ G r a p h i t ] n + -f n Q , wobei allerdings nicht wie beim Graphitfluorid die Grenzzusammensetzung CX (X = einwertiger Säurerest), sondern — aus räumlichen Gründen — nur eine maximaleZusammensetzung C24X erreicht wird. Künstlicher Graphit entsteht immer dann, wenn sich aus Kohlenstoffverbindungen bei sehr h o h e r T e m p e r a t u r Kohlenstoff abscheidet. Technisch wichtig ist das „ACHESON-Verfahren" der Graphitgewinnung, bei welchem K o k s bei Gegenwart von S i l i c i u m im elektrischen Ofen sehr hoch e r h i t z t wird. Es bildet sich dabei an weniger heißen Stellen des Ofens primär S i l i c i u m c a r b i d SiC, welches an sehr heißen Stellen in G r a p h i t und Silicium zerfällt (vgl. S. 324): 1
I Q ·
felnkrietallin + j » olC Cfeinirietallin
2 0 0 0
°
>2200 „
> Sic Si + C,'Graphit ->• C,'Graphit ·
Das in dieser Weise rückgebildete Silicium verflüchtigt sich bei der Zersetzung des Siliciumcarbids und bildet an weniger heißen Stellen erneut Carbid usw., so daß man mit einer begrenzten Menge Silicium (Zusatz in Form von Quarz: Si0 2 + 2C—>S i + 2CO; vgl. S. 310) auskommt und das Silicium, wie aus der obigen Summengleichung hervorgeht, gewissermaßen als Katalysator für die Umwandlung dient. Nebenher findet bei der hohen Temperatur sicherlich auch ein d i r e k t e s Wachsen der im Koks schon vorgebildeten G r a p h i t k r i s t a l l e statt. Künstlicher und natürlicher Graphit finden mannigfache technische Verwendung. Wegen der B e s t ä n d i g k e i t g e g e n ü b e r H i t z e u n d T e m p e r a t u r w e c h s e l und Holleman-Wiberg, Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl. 19
290
Die Kohlenstoffgruppe
wegen der guten W ä r m e l e i t f ä h i g k e i t dient Graphit zur Herstellung von Tiegeln zum Schmelzen von Metallen. Die Eigenschaft a b z u f ä r b e n wird bei der Herstellung von Bleistiften (Variierung der Härte durch Tonzusatz) benutzt. Die gute e l e k t r i s c h e L e i t f ä h i g k e i t und chemische W i d e r s t a n d s f ä h i g k e i t machen ihn als Material für Elektroden sowie für viele andere Zwecke der Elektrochemie und Elektrotechnik geeignet. Wegen seinerWeichheit benutzt man ihn als hitzebeständiges Schmiermittel und wegen seiner schwarzen F a r b e als hitzebeständige3 Schwärzungsmittel für Öfen usw. Retortengraphit (Retortenkohle) scheidet sich bei der L e u c h t g a s f a b r i k a t i o n und Koksgewinnung (S. 302f.) in dichten, festen Massen ab, indem die beim Erhitzen der Steinkohle entweichenden kohlenstoffhaltigen Gase an den sehr heißen (1500°) Retortenwänden teilweise unter Kohlenstoffbildung zerfallen. Retortengraphit ist zum Unterschied vom gewöhnlichen Graphit sehr h a r t , da in ihm die submikroskopischen Kriställchen dicht und regellos miteinander verwachsen sind, so daß keine regelmäßig orientierten größeren Kohlenstoffebenen wie beim Graphit vorliegen, längs derer ja allein eine leichte Spaltung und Parallelverschiebung möglich ist. Wie Graphit l e i t e t auch der Retortengraphit gut den e l e k t r i s c h e n S t r o m , weshalb er zur Herstellung von Kohlestiften für Bogenlampen und von Elektroden benutzt wird. Glanzkohlenstoff wird am besten durch Zersetzung von Kohlenwasserstoffen bei 800° an glatten Oberflächen (ζ. B. glasiertem Porzellan) gewonnen. In seinen Eigenschaften nimmt er eine Mittelstellung zwischen dem Graphit und den ganz feinkristallinen Kohlenstoff Sorten (ζ. B. Ruß) ein. Koks entsteht als Rückstand beim starken Erhitzen von S t e i n k o h l e n in feuerfesten Retorten. Man vinterscheidet „Gaskoks" und „Hüttenkoks". Gaskoks wird bei der Leuchtgasdarstellung, also beim Erhitzen „gasreicher" Kohlen {„Gaskohlen") gewonnen (S. 303) und ist meist locker, so daß man ihn in der Regel nur zu Feuerungszwecken verwendet. Hüttenkoks entsteht beim Erhitzen „gasarmer" Kohlen („Kokskohlen") und ist verhältnismäßig dicht und fest, so daß er in Hochöfen (S. 508ff.) zu gebrauchen ist. Ruß („Lampenschwarz") bildet sich, wenn man gasförmige oder durch Vergasen flüssiger oder fester Stoffe entstehende flüchtige Kohlenstoffverbindungen bei ungenügendem L u f t z u t r i t t verbrennt und den in der leuchtenden Flamme vorhandenen Kohlenstoff durch K ü h l u n g der F l a m m e an wassergekühlten Metallplatten und dgl. abscheidet. Technisch wichtig sind „Kienruß" (aus harzreichen Hölzern), „Ölruß" (aus Öllampen), ,,Naphthalinruß" (aus Naphthalin C10H8), „Anthracenruß" (aus Anthracen C U H 10 ), „Acetylenruß" (aus Acetylen C2H2)· Ruß dient in großem Umfange als schwarzer Farbstoff (Darstellung von Druckerschwärze und Tusche, Färben von Lackleder, Gummihandschuhen, Grammophonplatten usw.) und als Füllstoff für Kautschuk. γ. Adsorption an Aktivkohle D i e LANGMUiRsche
Adsorptionsisotherme
Die im I n n e r n eines festen Stoffs befindlichen Atome oder Moleküle üben nach allen drei R i c h t u n g e n des Raumes ihre gegenseitigen A n z i e h u n g s k r ä f t e — die ja den Zusammenhalt des festen Stoffs bedingen — aus. Dagegen werden die Bindungskräfte der in der Oberfläche befindlichen Teilchen nur nach dem I n n e r n des festen Stoffs hin beansprucht, während sie nach außen hin frei wirksam bleiben (vgl. S. 378f.). So kommt es, daß die festen Stoffe befähigt sind, Gase oder gelöste Stoffe an ihrer Oberfläche anzureichern. Man nennt diese Verdichtung an der Oberfläche „Adsorption". Sie spielt bei der heterogenen Katalyse an festen Stoffen (S. 110, 382) eine wesentliche Rolle.
291
Der Kohlenstoff
Die O b e r f l ä c h e eines Stoffs wächst mit dessen Zerteilung. Ein Würfel von 1 cm Kantenlänge, der eine Oberfläche von 6 cm2 aufweist, ergibt beispielsweise bei der Zerlegung in 1018 Würfel der Kantenlänge 10 - 6 cm (100 Â) eine Oberfläche von 6 χ IO - 1 2 χ IO18 cm2 = 600 Quadratmeter (vgl. S. 380). Dementsprechend ist ein festes Adsorptionsmittel um so wirksamer, j e feiner v e r t e i l t es ist. Wichtige derartige feinverteilte Adsorptionsmittel sind z. B. Kieselgele (S. 329f.) und Aktivkohlen (s. unten). Gewöhnlich beschränkt sich eine Adsorption auf die Bildung einer einmolekularen O b e r f l ä c h e n s c h i c h t , da dann die Bindekräfte der Oberflächenatome des festen Stoffs abgesättigt sind. J e höher bei gegebener Temperatur der Druck des zu adsorbierenden Gases oder die K o n z e n t r a t i o n des zu adsorbierenden gelösten Stoffs in der an das feste Adsorptionsmittel angrenzenden GasFig. 98. Adsorptionsisotherme oder Lösungsphase ist, desto größer ist auch die an der festen Oberfläche adsorbierte S t o f f m e n g e , da es sich um einen G l e i c h g e w i c h t s z u s t a n d handelt. Die adsorbierte Stoffmenge kann aber mit steigendem Druck bzw. steigender Konzentration nur so lange zunehmen, bis die ganze f e s t e O b e r f l ä c h e belegt ist. Daher nähert sich entsprechend Fig. 98 die je Flächeneinheit des Adsorptionsmittels adsorbierte Stoffmenge einem bestimmten S ä t t i g u n g s w e r t , nämlich dem der einmolekularen Oberflächenbesetzung. Mathematisch wird diese Beziehung durch die „Lantoium sehe Adsorptionsisotherme"
zum Ausdruck gebracht, in welcher a die je Oberflächeneinheit adsorbierte Grammmenge und c die K o n z e n t r a t i o n (bzw. den Partialdruck) des zur Adsorption kommenden Stoffs bedeutet, während kl und k2 K o n s t a n t e n sind, die bei gegebener Temperatur von der Natur und Beschaffenheit des A d s o r p t i o n s m i t t e l s („Adsorbens") und a d s o r b i e r t e n S t o f f s („Adsorbendum") abhängen und damit die Verschiedenheiten der „Oberflächenaffinität" zwischen Adsorbens und Adsorbendum zum Ausdruck bringen. Für kleine Konzentrationen c (c - CO) bei 700—800° „anoxydiert" und so durch „Aufrauhen" vergrößert. Nach dem ersten Verfahren wird ζ. B. die hochaktive Holzkohle „Carboräffin", nach dem letzteren die hochaktive Holzkohle „Supranorit" gewonnen. Aktive Holzkohle wird u. a. zur Entfuselung von Spiritus und als Desodorisierungsmittel bei der Wundbehandlung, K n o c h e n k o h l e zur Entfernung von Farbstoffen und Verunreinigungen aus Lösungen (ζ. B. zur E n t f ä r b u n g von Rohrzuckerlösungen), B l u t - und T i e r k o h l e in der Medizin zur Entgiftung und Entgasung des Darmkanals verwendet. Darüber hinaus benutzt m a n Holzkohle auch f ü r metallurgische Zwecke (ζ. B. Raffination von Kupfer) und als Bestandteil des „Schwarzpulvers" („Schieß· pulver"), K n o c h e n k o h l e („Beinschwarz") als schwarzen Farbstoff (ζ. B. f ü r Schuhwichse, als Lederschwärze, Hufschwärze, Malerfarbe). Auf der Fähigkeit, die meisten als K a m p f g a s e dienenden Stoffe bevorzugt zu a d s o r b i e r e n , beruht die Verwendung der aktiven Kohle in den „Gasmasken". Der „Gasmaskeneinsatz" enthält hinter einem zum Zurückhalten feinzerstäubter K a m p f s t o f f - N e b e l t e i l c h e n dienenden C e l l u l o s e f i l t e r u. a. eine Schicht von A k t i v k o h l e zur Adsorption g a s f ö r m i g e r K a m p f s t o f f e aus der Luft. K o h l e n o x y d wird von den Gasmaskenfiltern nur dann zurückgehalten, wenn sie besondere O x y d a t i o n s m i t t e l (ζ. B. Silberpermanganat AgMn0 4 oder „Hopcalit", ein Oxyd-PeroxydGemisch von Mangan, Silber, Kobalt und Kupfer) enthalten, welche das Kohlenoxyd zu K o h l e n d i o x y d oxydieren. δ. Chemische Eigenschaften Kohlenstoff ist ein reaktionsträges Element, das erst bei verhältnismäßig hohen Temperaturen oder bei anderweitiger Energiezufuhr mit anderen Elementen in Reaktion tritt. So vereinigt sich ζ. B. der W a s s e r s t o f f mit Kohlenstoff n u r dann zum Aoetylen, wenn man zwischen Kohleelektroden in einer Wasserstoffatmosphäre einen Lichtbogen übergehen läßt : ^ g3 0 ^ + 2Q + ^ Von den Halogenen reagiert das reaktionsfähige F l u o r bereits bei gewöhnlicher Temperatur. So kommt R u ß im Fluorgas ins Glühen und verbrennt bei Gegenwart überschüssigen Fluors zu Kohlenstofftetrafluorid : C + 2F 2
CF4 + 163 kcal.
Dagegen vereinigt sich Kohlenstoff mit C h l o r n u r unter ähnlichen Versuchsbedingungen wie bei der obenerwähnten Acetylensynthese unter Bildung von Hexachloräthan C2Cle und Hexachlorbenzol C e Cl 6 . Das dem Kohlenstofftetrafluorid entsprechende Kohlenstofftetrachlorid (II, S. 148) m u ß auf anderem Wege (Chlorieren von Schwefelkohlenstoff : CS 2 + 2 Cl2 —>- CC14 + 2 S) gewonnen werden. Mit S a u e r s t o f f und mit W a s s e r d a m p f reagiert Kohlenstoff je nach der Sauerstoff-(Wasserdampf-)Menge und Temperatur unter Bildung von Kohlenmonoxyd (S. 297ff.) oder Kohlendioxyd (S. 295ff.): C + V 2 0 2 — ^ CO + 26.4 kcal 1 CO + V 2 0 2 s- C0 2 + 67.6 kcal C+
02
!» C0 2 + 94.0 kcal
31.4 kcal + C + H 2 0 — C O + H 2 CO + H 2 0 >- C0 2 + H 2 + 9.8 kcal 21.6 kcal + C + 2 H 2 0 — C 0 2 + 2H 2 .
Daß bei der Verbrennung des Kohlenstoffs zu Kohlenoxyd w e i t weniger Wärme entwickelt wird*als bei der weiteren Verbrennung des Kohlenoxyds zu Kohlendioxyd, rührt daher, daß zur Bildung des gasförmigen Kohlenoxyds aus dem f e s t e n Kohlenstoff eine Sprengung der Kohlenstoffbindungen des Graphitgitters erforderlich ist. Der hierfür erforderliche Energie1
Die Wärmetönung bezieht sich hier und in allen anderen Fällen auf Graphitkohlenstoff.
Der Kohlenstoff
293
aufwand ( ~ 150 kcal/Grammatom C) wird der bei der Bildung des Kohlenoxyds freiwerdenden Energie entnommen, so daß die nach außen hin beobachtbare Wärmemenge gering oder — wie im Falle der Einwirkung von Wasserdampf auf Kohlenstoff — sogar negativ ist. Bei der Weiteroxydation des g a s f ö r m i g e n Kohlenoxyds zu g a s f ö r m i g e m Kohlendioxyd fällt diese Trennungsarbeit fort, so daß hier mehr Wärme nach außen frei wird. Die Festigkeit der Kohlenstoffbindungen innerhalb der Kohlenstoffschichten des Graphitgitters ist ganz allgemein für die R e a k t i o n s t r ä g h e i t des festen Kohlenstoffs verantwortlich; auch der hohe S i e d e p u n k t wird dadurch bedingt.
Beim Überleiten von Schwefeldampf über glühende Kohle bildet sich Schwefelkohlenstoff (II, S. 189f.): 20.9 kcal + C + 2 S
>- CS 2 .
Von den Elementen der Stickstoffgruppe vereinigt sich nur der Stickstoff unter den Bedingungen der Acetylensynthese mit Kohlenstoff: 72.8 kcal + 2 0 + N 2
>- C 2 N 2 .
Das dabei gebildete Cyangas C2N2 (II, S. 166) geht bei gleichzeitiger Gegenwart von Wasserstoff in Cyanwasserstoff HCN (wässerige Lösung: Blausäure; II, S. 92f.) über: CJJNJ
+ H 2 — 2 H C N + 11.4 kcal.
Unter den Elementen der vierten Gruppe des Periodensystems verbindet sich das Silicium bei 2000° mit Kohlenstoff zu Siliciumcarbid (S. 324; vgl. S. 289) SiC („Carborundum"): Si + C
SiC + 26.7 kcal.
Auch die Vereinigung von Metallen geht erst bei hoher Temperatur vor sich. Unter diesen Metall-Kohlenstoff-Verbindungen („Carbide") ist das Calciumcarbid CaC2 (S. 397 f.) besonders wichtig.
b. Wasserstoffverbindungen des Kohlenstoffs Der Kohlenstoff bildet zahlreiche Wasserstoffverbindungen, die in Band I I dieses Lehrbuches näher betrachtet werden. Erwähnt sei hier nur, daß man kettenförmige und ringförmige Kohlenwasserstoffe unterscheidet, je nachdem die Kohlenstoffatome eine Kette oder einen Ring bilden. Die kettenförmigen („aliphatischen", „acyclischen") Kohlenwasserstoffe teilt man ein in „gesättigte" Kohlenwasserstoffe („Alkane"), in welchen die Kohlenstoffatome nur durch einfache Bindungen miteinander verknüpft und alle freien Valenzen mit Wasserstoff abgesättigt sind: H
HH
H H H
H H H H
H-C-H
H—C—¿—H
H-C-C-C-H
H-C-Cj-C-C-H,
H
HH
H H H
H H H H
Methan
Äthan
Propan
I
II
I I I
I I I I
allgemein: C n H 2 n + 2 ,
Batan
und in „ungesättigte" Kohlenwasserstoffe, in denen eine oder mehrere Doppelbindungen („Alkene") oder Dreifachbindungen („Alkine") vorkommen; z. B.: H H ¿=C
¿¿
Äthylen
und
H—C=C—H. Acetylen
Die Kohlenstoffgruppe
294
Unter den r i n g f ö r m i g e n („cyclischen") Kohlenwasserstoffen sind die sogenannten „aromatischen" Kohlenwasserstoffe v o n besonderer Wichtigkeit, ' die sich v o m Kohlenstoffgerüst des Benzols: H / \ HC CH HC
V/
CH
H ableiten. Die Kohlenwasserstoffe mit wenigen Kohlenstoffatomen je Molekül (ζ. B. CH 4 , C j H j , C ï ï g , C 4 H 1 0 , CANI, CANA) sind gasförmig, diejenigen mit größerer Zahl v o n Kohlenstoffatomen je Molekül („höhere Kohlenwasserstoffe") flüssig oder fest. Eine wichtige Eigenschaft der Kohlenwasserstoffe ist ihre unter starker W ä r m e entwicklung erfolgende Verbrennung zu Kohlendioxyd und W a s s e r : 3
C m H n + (m + - J ) 0 2
>- m C0 2 +
H a O + Energie.
Daher dienen g a s f ö r m i g e K o h l e n w a s s e r s t o f f e — als solche (Acetylen, Methan, Propan, Butan) oder im Gemisch mit anderen Gasen (in Form von Leuchtgas, Kokereigas) — sowie f l ü s s i g e K o h l e n w a s s e r s t o f f e (Benzol, Benzin, Petroleum) t e c h n i s c h in ausgedehntem Maße als Heiz- und Treibstoffe. Ihre Synthese aus Wasserstoff und K o h l e („Kohlehydrierung" ; S. 3 0 4 f . ) bzw. Wasserstoff und Kohlenoxyd ( „ F I S C H E R Τ'ROPSCH-Verfahren" ; S. 300f.) wird in großtechnischem Maßstabe durchgeführt. Auch im L a b o r a t o r i u m bedient man sich von jeher der Heizwirkung der Kohlenwasserstoffe. In diesem Zusammenhang sei kurz auf die Verbrennung des L e u c h t g a s e s im B U N S E N B r e n n e r , die gebräuchlichste Art der Wärmeerzeugung i m c h e m i s c h e n L a b o r a t o r i u m , eingegangen. Die brennbaren Bestandteile des L e u c h t g a s e s (S. 302) sind: W a s s e r s t o f f H 2 , M e t h a n CH4> K o h l e n o x y d CO und „ s c h w e r e Kohlenwasserstoffe" ( Ä t h y l e n C2H4, A c e t y l e n C 2 H 2 , B e n z o l CeH„). Zündet man ein solches Gas an, so erhält man eine l e u c h t e n d e F l a m m e . Das Leuchten rührt daher, daß K o h l e t e i l c h e n , die durch thermische Z e r s e t z u n g oder u n v o l l s t ä n d i g e V e r b r e n n u n g von Kohlenwasserstoffen entstanden sind, in der Flamme zum G l ü h e n kommen. Hält man in die leuchtende Flamme einen k a l t e n G e g e n s t a n d , so schlagen sich auf diesem die Kohleteilchen in Form von R u ß ab. Will man demnach eine n i c h t l e u c h t e n d e , rußfreie Flamme erzeugen, so muß man für g e n ü g e n d e L u f t z u f u h r Sorge tragen, damit v o l l s t ä n d i g e V e r b r e n n u n g erfolgt. Diesem Zweck dient der ,,BUNSEN-Brenner" (Fig. 99). Bei diesem entströmt das H e i z g a s einer im Fuße des Brenners angebrachten D ü s e und s a u g t hierbei durch r e g u l i e r b a r e Ö f f n u n g e n L u f t an. So entsteht im Innern des über der Düse befindlichen B r e n n e r r o h r e s („Schornstein") ein L u f t - L e u c h t g a s - G e m i s c h , das beim E n t z ü n d e n in einer auf dem o b e r e n R a n d e d e s B r e n n e r r o h r e s aufsitzenden F l a m m e verbrennt. Bei dieser F l a m m e (Fig. 100) kann man einen dunklen I n n e n k e g e l und einen bläulichen A u ß e n k e g e l unterscheiden. Der I n n e n k e g e l besteht aus f r i s c h e m L u f t - L e u c h t g a s G e m i s c h und ist daher verhältnismäßig k a l t 300°). Die V e r b r e n n u n g dieses Gemisches erfolgt erst am R a n d e d e s I n n e n k e g e l s , wo sich die A u s s t r ö m u n g s g e s c h w i n d i g k e i t d e s G a s e s (welche die Flamme von unten nach oben zu treiben sucht) und die F o r t p f l a n z u n g s g e s c h w i n d i g k e i t d e r V e r b r e n n u n g (welche die Flamme dem frischen Gas entgegen in das Brennerrohr hineinzuziehen trachtet) gerade die Waage halten. Die vom Leuchtgas am Brennerfuß angesaugte L u f t („Primärluft") reicht nun nicht aus, um das g a n z e L e u c h t g a s zu verbrennen. Der u n v e r b r a n n t gebliebene, hauptsächlich aus K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f bestehende Rest des Leuchtgases, der sich mit K o h l e n d i o x y d und W a s s e r d a m p f im „Wassergasgleichgewicht" (S. 299) befindet (CO + H 2 0 * ; C0 2 + H¡,), bildet den A u ß e n k e g e l der Flamme. Seine V e r b r e n n u n g erfolgt am R a n d e d e s A u ß e n k e g e l s mit der v o n a u ß e n kommenden Luft („Sekundärluft"). Die T e m p e r a t u r der BUNSEN-Flamme ist naturgemäß an den K e g e l r ä n d e r n , den eigentlichen Verbrennungszonen, a m h ö c h s t e n und beträgt maximal etwa 2000°. Wegen des Gehaltes an K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f und des Fehlens von S a u e r s t o f f wirkt der
Der Kohlenstoff
295
i n n e r e T e i l des Außenkegels nahe dem heißen Außenrande des Innenkegels s t a r k r e d u z i e r e n d („Reduktionszone"), während der ä u ß e r e R a n d des Außenkegels wegen des hier vorhandenen ü b e r s c h ü s s i g e n L u f t s a u e r s t o f f s s t a r k e O x y d a t i o n s w i r k u n g zeigt („Oxydationszone"). Ändert man die S t r ö m u n g s g e s c h w i n d i g k e i t des Leuchtgases im BUNSEN-Brenner, so verändert sich natürlich auch die L a g e der K e g e l . V e r r i n g e r t man sie, so schreitet die Verbrennung von oben nach unten fort, der Flammenkegel wandert im Brennerrohr bis zur
t/erbrennurg mf Sekundsr/uft
.Schornstein ßussenßreve/ (sauvrs/otf-jreies Hefigas)
/
Düse fârùrenm/nffm/tfivBârfafl
i—Gas fmrentreoef (Heizgas + Luft)
•ßrennerfuss Fig. 99.
BuNSEN-Brenner
F i g . 100. BUNS E N - F l a m m e
Austrittsstelle des Gas-Luit-Gemisches, der Brenner ,,schlägt durch". V e r g r ö ß e r t man sie zu stark, so entfernt eich die Flamme vom oberen Rande des Brennerrohres, die Flamme wird „ausgeblasen".
c. Sauerstofíverbindungen des Kohlenstoffs Der Kohlenstoff bildet drei gasförmige Sauerstoffverbindungen : das Kohlenmonoxyd CO, das Kohlendioxyd C0 2 und das Kohlensuboxyd C 3 0 2 . Wir besprechen hier nur die beiden ersteren ; das Kohlensuboxyd wird in Band I I (S. 146) behandelt. α. Kohlendioxyd Vorkommen. Kohlendioxyd C0 a kommt in der N a t u r sowohl frei als auch gebunden vor. I n f r e i e m Z u s t a n d e bildet es einen Bestandteil der L u f t (0.03°/ 0 ), sowie vieler Mineralquellen („Sauerbrunnen", „Säuerlinge", „Sprudel") ; auch strömt es in einigen Gegenden (besonders in der Nähe von Vulkanen) aus Rissen und Spalten des Erdbodens aus. I n g e b u n d e n e m Z u s t a n d e findet es sich vor allem in Form von Calciumcarbonat CaC0 3 und Magnesiumcarbonat M g C 0 3 . Darstellung. T e c h n i s c h gewinnt man Kohlendioxyd durch Verbrennen von K o k s mit L u f t (vgl. S. 297f.): C + 02
>- C0 2 + 94.0 kcal
oder als Nebenprodukt beim K a l k b r e n n e n (S. 393f.): 42.7 kcal + CaC0 3 — > - CaO + C0 2 .
I n beiden Fällen ist das Kohlendioxyd mit viel S t i c k s t o f f vermengt. I n r e i n e r F o r m läßt es sich aus diesem Gasgemisch isolieren, indem man es in Türmen einer ü b e r Koks herabrieselnden K a l i u m c a r b o n a t l ö s u n g entgegenleitet, welche das Kohlendioxyd bindet: K 2 C0 3 + C0 2 + H a O
2 KHCOj
296
Die Kohlenstoffgruppe
und beim K o c h e n (Umkehrung der vorstehenden Reaktion) wieder abgibt. Auch die n a t ü r l i c h e n G a s q u e l l e n werden vielfach zur Kohlendioxydgewinnung ausgenutzt. Im L a b o r a t o r i u m setzt man das Kohlendioxyd als Anhydrid der Kohlensäure (H 2 C0 3 Hijo -f- C0 2 ) zweckmäßig aus den S a l z e n der K o h l e n s ä u r e , den, Carbonaten, durch Einwirkung von S ä u r e n in Freiheit (z. B. Zersetzung von Marmor CaC0 3 durch Salzsäure im K I P P sehen Apparat): CaC03 + 2HCl >- CaCl2 + H 2 0 + C0 2 . Physikalische Eigenschaften. Kohlendioxyd ist ein farbloses, nicht brennbares die Atmung und Verbrennung nicht unterhaltendes Gas von etwas säuerlichem Geruch und Geschmack. Sein spezifisches Gewicht (1.9768 g/Liter bei 0° und 760 mm) ist etwa anderthalb mal so groß als das der Luft. Daher sammelt es sich an Orten, wo es entweicht (z. B. Gärkellern, Grotten, Brunnenschächten usw.), am Boden an, was wegen der erstickenden Wirkung von Kohlendioxyd beachtet werden muß. Bekannt ist die „Hundsgrotte" von Neapel, in der z. B. H u n d e wegen des dem Boden entströmenden Kohlendioxyds ersticken, während M e n s c h e n dort ungehindert atmen können. Kohlendioxyd läßt sich leicht verflüssigen, da seine kritische Temperatur (31.3°) relativ hoch liegt (kritischer Druck 72.9 at, kritische Dichte 0.464 g/cm 3 ). So kann man es beispielsweise bei 0° schon durch einen Druck von 34.3, bei —20° durch einen Druck von 19.3 und bei —50° durch einen Druck von 6.6 Atmosphären zu einer farblosen, leichtbeweglichen Flüssigkeit verdichten. Kühlt man flüssiges Kohlendioxyd in einem geschlossenen Glasgefäß ab, so erstarrt es zu einer eisähnlichen Masse, welche bei —56.7° unter einem Eigendruck von 5 Atmosphären schmilzt. Bei Atmosphärendruck sublimiert festes Kohlendioxyd bei —78.5°, ohne zu schmelzen. Zur E l e k t r o n e n f o r m e l des Kohlendioxyds vgl. S. 309. Kohlendioxyd kommt in verflüssigter Form in Stahlbomben in den Handel, öffnet man das Ventil einer solchen, mit der Öffnung schräg nach unten gerichteten Stahlflasche, so fließt das flüssige Kohlendioxyd aus. Die dabei unter starkem Wärmeverbrauch sofort einsetzende Verdunstung eines Teils der Flüssigkeit kühlt den restlichen Teil rasch bis auf den Sublimationspunkt von —78.5° ab, so daß man eine schneeige Masse („Kohlensäureschnee") erhält. Die sehr hohe Sublimationswärme dieses Schnees (136.9 cal/g bei —78.5°) macht ihn — zweckmäßig im Gemisch mit Flüssigkeiten (z. B. Äther, Alkohol oder Aceton) — als Kältemittel geeignet. In den Handel kommt festes Kohlendioxyd als „Trockeneis". 1 Liter Wasser löst bei 15° 1 Liter und bei 0° 1.7 Liter Kohlendioxyd. Die entstehende Lösung reagiert schwach sauer (s. S. 297). Chemische Eigenschaften. Kohlendioxyd ist eine sehr beständige Verbindung, die erst bei s e h r h o h e n T e m p e r a t u r e n (bei 1205° zu 0.032, bei 2367° zu 21.0 und bei 2606° zu 51.7%) in K o h l e n m o n o x y d und S a u e r s t o f f zerfällt: 67.6 kcal + C02 CO + 7 2 0 2 . Dementsprechend ist C0 2 ein sehr schwaches — die Verbrennung und Atmung daher nicht unterhaltendes — Oxydationsmittel, während umgekehrt CO (bei hoher Temperatur) ein starkes Reduktionsmittel darstellt. Nur s t a r k e R e d u k t i o n s m i t t e l wie Wasserstoff, Kohle, Phosphor, Magnesium, Natrium, Kalium können in d e r H i t z e Kohlendioxyd zu Kohlenoxyd reduzieren. Die bei der Reaktion mit Wasserstoff und mit Kohle sich einstellenden Gleichgewichte: C02 + H2 CO + H 2 0 und C0 2 + C - 2 Me + C 0 2 , während im BOUDOUARD-Gleichgewicht bei 1 Atmosphäre Druck eine nur bei h o h e n T e m p e r a t u r e n durchführbare Reduktion hauptsächlich zur .Bildung von 14.0 hl en m o n o x y d tührt: MeU + U —>- Me + CO. Bei m i t t l e r e n T e m p e r a t u r e n (etwa bei der Reduktion von Eisenoxyden im Hochofen ) erhält man G e m i s c h e von Κ o h 1 e η o x y d und K o h l e n d i o x y d . Berücksichtigen muß man allerdings, daß m i t f a l l e n d e r T e m p e r a t u r die Einstellung des Gleichgewichtes (3) nur bei Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n noch "mit g e n ü g e n d e r G e s c h w i n d i g k e i t erfolgt. Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r ist die Reaktionsgeschwindigkeit bereits so gering, daß das K o h l e n o x y d — obwohl es sich nach der Lage des Gleichgewichtes (3) vollkommen in K o h l e n s t o f f und K o h l e n d i o x y d disproportionieren sollte — als m e t a s t a b i l e r S t o f f vollkommen b e s t ä n d i g ist.
Zur Herstellung von Wassergas leitet man W a s s e r d a m p f über stark erhitzten K o k s (vgl. S. 220). Dabei erfolgt die endotherme Reaktion 31.4 kcal + C + H 2 0
CO + H s .
(5)
Das gebildete K o h l e n o x y d kann sich bei n i e d r i g e n T e m p e r a t u r e n mit weiterem W a s s e r d a m p f zu K o h l e n d i o x y d umsetzen: CO + H 2 0
C 0 2 + H 2 + 9.8 kcal,
(6)
299
Der Kohlenstoff
so daß bei W a s s e r d a m p f Überschuß und w e n i g e r h o h e n T e m r ^ i t u r e n neben der Reaktion (5) auch als Summe von (5) und (6) die Reaktion stattfinden kann.
2 L 6 kcal
+
2H
*° ^
co
> +
2H
>
Das „Wassergasgleichgewicht" (6), dessen Gleichgewichtskonstante bei 830° den Wert 1 besitzt, verschiebt sich mit s t e i g e n d e r (fallender) T e m p e r a t u r nach l i n k s (rechts), da es sich um eine e x o t h e r m e Reaktion handelt. Führt man daher die Umsetzung von Kohle mit Wasserdampf bei v e r h ä l t n i s m ä ß i g n i e d r i g e n T e m p e r a t u r e n durch, so erhält man in der Hauptsache K o h l e n d i o x y d und Wasserstoff, während bei h o h e n T e m p e r a t u r e n ( > 1000°) K o h l e n o x y d und Wasserstoff entstehen. Die Mengenverhältnisse von Kohlenoxyd und Kohlendioxyd bei den verschiedenen Temperaturen entsprechen dabei, solange noch unverbrauchter Koks vorhanden ist, im Gleichgewichtszustand z u g l e i c h dem oben schon behandelten BouDOUARD - G l e i c h g e w i c h t (3), da ja bei Gegenwart von Kohle selbstverständlich auch dieses Gleichgewicht erfüllt sein muß. Da die Bildung des W a s s e r g a s e s nach (5) ein e n d o t h e r m e r Vorgang ist, muß der Koks vor dem Überleiten des Wasserdampfes auf etwa 1000° erhitzt und die durch die Reaktion (5) verbrauchte Wärme immer wieder nachgeliefert werden. Dies geschieht durch Kombination mit dem e x o t h e r m e n Prozeß (2) oder (4) der K o h l e v e r b r e n n u n g (vgl. S. 220), und zwar in d i s k o n t i n u i e r l i c h e m oder in k o n t i n u i e r l i c h e m Betrieb. Bei der d i s k o n t i n u i e r l i c h e n Arbeitsweise leitet man a b w e c h s e l n d Luft und Wasserdampf über den Koks und erzeugt die für die Wassergasbildung erforderliche Wärme je nach der Luftzufuhr entweder nach (2) durch Verbrennung der Kohle zu Kohlendioxyd (das man entweichen läßt) oder nach (4) durch· Erzeugung von Generatorgas (das man getrennt vom Wassergas auffängt). Bei der k o n t i n u i e r l i c h e n Arbeitsweise bläst man entweder W a s s e r d a m p f und L u f t (bzw. Sauerstoff) g l e i c h z e i t i g über den Koks, wobei man das „Mischgas" (durchschnittliche Zusammensetzung: 50% N 2 , 30% CO, 15% H 2 , 5 % C0 2 ) erhält; oder man gibt (bei Verwendung von Braunkohle) durch Ü b e r h i t z e n dem Wasserdampf die erforderliche Wärme mit und führt die Wasserstoffbildung bei verhältnismäßig niedriger Temperatur gemäß (7) durch (S. 39).
Generatorgas (durchschnittliche Zusammensetzung: 70°/ 0 N 2 , 25% CO, 4 % C0 2 , und etwas H 2 , CH4, 0 2 ) und Wassergas (durchschnittliche Zusammensetzung : 50% H 2 , 40% CO, 5 % C0 2 , 4—5% N 2 und etwas CH4) werden einerseits als H e i z - und K r a f t g a s e , andererseits zur Gewinnung von „Synthesegasen" (s. unten) benutzt. Bei der Verwendung zu H e i z - u n d K r a f t z w e c k e n bedient man sich der unter s t a r k e r W ä r m e e n t w i c k l u n g erfolgenden V e r b r e n n u n g v o n K o h l e n o x y d und W a s s e r s t o f f zu K o h l e n d i o x y d (CO + V2O2—^ C0 2 + 67.6 kcal) bzw. W a s s e r (H2 + V20 2 — > H 2 0 + 68.3 kcal). Der Heizwert des W a s s e r g a s e s 3000 kcal/m3) ist dabei rund dreimal größer als der des G e n e r a t o r g a s e s ( ~ 1000 kcal/m3), daersteres in. der Hauptsache die brennbaren Gase CO und H 2 enthält (5), während letzteres zu rund 2 /j (vgl. S. 220) aus nicht brennbarem Stickstoff besteht. Die Verwendung zu „Synthesegasen" gründet sich auf den Gehalt an W a s s e r s t o f f , S t i c k s t o f f u n d K o h l e n o x y d , die sich in verschiedenster Weise zu wichtigen H-,N-,CundO-haltigenProdukten — z.B. A m m o n i a k NH 3 (S. 219ff.), M e t h a n CH4 (II, S.25), M e t h y l a l k o h o l CH3OH (S. 300f.), T r e i b s t o f f e n CmHn (S. 301) — umsetzen lassen. Entsprechend dieser vielseitigen Verwendung von Generatorgas und Wassergas ist es für gewöhnlich gar nicht nötig, das Kohlenoxyd aus diesen Gasen zu isolieren. Soll es dennoch geschehen, so bringt man das kohlenoxydhaltige Gas unter D r u c k mit salzsaurer Kupfer(I) - c h l o r i d l ö s u n g zusammen, wobei dem Gasgemisch das Kohlenoxyd entzogen wird (vgl. S. 221 f., 435) ; bei v e r m i n d e r t e m D r u c k gibt die Lösung das Kohlenoxyd wieder ab. Auch kann man ζ. B. die zwei Stufen (2) und (3) der Generatorgaserzeugung g e t r e n n t durchführen, indem man zuerst nach (2) K o h l e n d i o x y d erzeugt, dieses vom S t i c k s t o f f abtrennt (S. 295f.) und dann gemäß (3) durch Überleiten über erhitzten K o k s in reines K o h l e n o x y d überführt. Im L a b o r a t o r i u m gewinnt man Kohlenoxyd als Anhydrid der Ameisensäure H 2 C0 2 (II, S. 78) durch Eintropfenlassen von konzentrierter A m e i s e n s ä u r e in 100° warme k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e : H J C O J — ^ H a O + CO.
Die KohlenstoSgruppe
300
Eigenschaften Kohlenoxyd ist ein färb- und geruchloses, die Verbrennung nicht unterhaltendes, aber selbst brennbares, giftiges Gas, das entsprechend seinem Molekulargewicht (M = 28) etwas leichter als Luft (M « 2 9 ) ist. Bei —191.5° wird es flüssig, bei —204.0» fest. Eine Verflüssigung bei gewöhnlicher Temperatur ist auch durch noch so hohen Druck nicht möglich, da seine kritische Temperatur bei —140.2° liegt (kritischer Druck: 34.6 a t ; kritische Dichte: 0.311). Nach der Elektronenformel (vgl. S. 306, 308) ist das Kohlenoxyd CO mit dem Stickstoff N 2 isoster:
: C: : : O: :N:::N:, wobei man unter „isosteren" Molekülen Moleküle mit g l e i c h e r A t o m - u n d E l e k t r o n e n z a h l versteht. Isostere Verbindungen zeichnen sich, falls auch die Kernladungssummen übereinstimmen 1 (Isosterie im engeren Sinne) vielfach durch eine auffallende Ähnlichkeit in den physikalischen Eigenschaften aus, wie die folgende Tabelle am Beispiel der Verbindungspaare CO/N2 und C0 2 /N 2 0 (vgl. S. 229f. und 308f.) zeigt: CO 69 82 133 35 0.793 0.033
Schmelzpunkt (abs.) Siedepunkt (abs.) Kritische Temperatur (abs.) Kritischer Druck (Atm.) Flüssigkeitedichte Löslichkeit in Wasser bei 0° (1 Gas/1 HaO)
N,
C
N,0
63 77 126 34 0.796 0.023
216 195 305 73 1.031 1.710
171 184 310 72 0.996 1.305
Über weitere Fälle von Isosterie vgl. S. 364 ff.
Kohlenoxyd verbrennt an der Luft mit charakteristischer b l ä u l i c h e r F l a m m e und starker W ä r m e e n t w i c k l u n g zu Kohlendioxyd 2 (vgl. S. 292) : CO + V 2 0 2
>• C0 2 + 67.6 kcal.
Wegen dieses starken Bestrebens zur Vereinigung mit Sauerstoff dient es in der Technik als R e d u k t i o n s m i t t e l zur Reduktion von Metalloxyden (Fe a 0 3 , CuO usw.) zu Metallen. Einige edle Metalle (ζ. B. Palladium) werden durch Kohlenoxyd schon bei Z i m m e r t e m p e r a t u r aus wässeriger Salzlösung ausgefällt : P d " + H 2 0 + CO —>• P d + 2 H ' + C 0 2 . Die hierbei durch die Metallabscheidung bedingte D u n k e l f ä r b u n g der Lösung dient als empfindlicher N a c h w e i s auf Kohlenmonoxyd. Außer mit S a u e r s t o f f vereinigt sich Kohlenoxyd in der Hitze auch mit vielen anderen Nichtmetallen, ζ. B. W a s s e r s t o f f (vgl. unten), S c h w e f e l (—>• Kohlenoxysulfid COS), C h l o r ( — P h o s g e n COCl2). Von g r o ß t e c h n i s c h e r B e d e u t u n g ist die Umsetzung mit W a s s e r s t o f f . Leitet man ein Gemisch von Kohlenoxyd und Wasserstoff über geeignete K a t a l y s a t o r e n , so entstehen je nach den Versuchsbedingungen (Mischungsverhältnis, Druck, Temperatur, Katalysator) ganz verschiedene Hydrierungsprodukte. So erhält man ζ. B. beim Arbeiten unter Druck (250 Atmosphären) unter Verwendung eines chromoxydhaltigen Zinkoxyds als Katalysator bei 350° nahezu ausschließlich M e t h y l a l k o h o l (vgl. II, S. 38) :
C 0
+
2
H
2
C H
3
0 H
+ 30.8 k c a l .
1 Keine Ähnlichkeit in den physikalischen Eigenschaften ist natürlich zu erwarten, wenn sich die Kernladungssummen voneinander unterscheiden, d. h. die Moleküle als Ganzes verschiedene Ladungen tragen. So sind mit dem Kohlenoxyd : C : : : O : und Stickstoff : Ν : : : Ν : beispielsweise auch die Ionen [: C: : : N:]~ (Cyanid-ion), [: N: : : 0 : ] + (Nitrosyl-ion) und [: C: : : C:]— (Acetylid-ion) isoster, die in Form ihrer Salze wie NaCN, N0C10 4 oder BaCa dem Kohlenoxyd und Stickstoff physikalisch naturgemäß nicht vergleichbar sind. Analoges gilt für die mit dem COa und N 2 0 isosteren Ionen N 3 ' (Azid-ion) und NCO' (Cyanat-ion) bzw. CNO' (Fulminat-ion). 2 Für die Reaktion zwischen CO und 0 2 ist ein gewisser F e u c h t i g k e i t s g e h a l t erforderlich. So brennt t r o c k e n e s Kohlenoxyd in t r o c k e n e r Luft nicht (vgl. S. 421).
301
Der Kohlenstoff
Die dazu erforderliche Apparatur entspricht weitgehend der AmmoniaksyntheseApparatur (S. 221f.). Bei geringer Abwandlung des Katalysators (Herstellung unter Zusatz gewisser Mengen Alkali) entstehen neben dem Methylalkohol in größeren Mengen auch höhere A l k o h o l e C n H 2 n + 1 OH: η CO + 2nH 2
s- ΟηΗ 2 η + 1 OH + (η - 1) H 2 0.'
Unter diesen findet sich vor allem der I s o b u t y l a l k o h o l C4H9OH (II, S. 44), der durch katalytische Abspaltung von Wasser Isobuten C4H8 liefert, welches einerseits zu einem Octen C g H ie kondensiert und weiter zu einem ungewöhnlich klopffesten T r e i b s t o f f C8H18 („Iso-octan") hydriert werden kann, andererseits bei der Polymerisation zu höhermolekularen Körpern guttapercha-ähnliche K u n s t s t o f f e („Oppanoie") liefert. Beim Arbeiten ohne Druck und bei ungefähr 180° entstehen sauerstofffreie, gesättigte (0ηΗ^η+2) und ungesättigte (CnH2n) aliphatische K o h l e n w a s s e r s t o f f e („Benzinsynthese von FISCHEB und TROPSCH") : η CO + (2n + 1) H 2 η CO + 2nH 2
^ CnH2n+2 + nH20 CnH2n + n H 2 0 .
Die Primärprodukte dieser Benzinsynthese (vgl. II, S. 34) sind bei Verwendimg von aktivierten Eisen-, Kobalt- und Nickelkatalysatoren gewöhnlich rund 20°/0 Methan CH4, rund 10°/0 leichte Kohlenwasserstoffe (Propan C3H8, Butan C4H10, Propen C s H e , Buten C4H8), rund 40°/ 0 bis 200° siedende Kohlenwasserstoffe {„Benzin"), rund 20% bis 320° siedende Kohlenwasserstoffe {„Dieselöl") und rund 10°/0 feste Kohlenwasserstoffe („Paraffin"). Durch „Krackung", d. h. Zersetzungsdestillation (II, S. 33) der Reaktionsprodukte kann die Ausbeute an niedermolekularen Benzinen weiter verbessert werden.
d. Natürliche Kohle und ihre technische Verwertung Die n a t ü r l i c h e Kohle(vgl. II, S. 302), die sich vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Rußland und in Deutschland in riesigen Lagern vorfindet, ist kein reiner K o h l e n s t o f f , sondern ein in der Hauptsache aus Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel bestehendes kompliziertes Gemisch k o h l e n s t o f f r e i c h e r V e r b i n d u n g e n , das durch langsame V e r m o d e r u n g {„Verkohlung") fossiler Überreste von Pflanzen unter Luftabschluß entstanden ist. Bei dieser Zersetzung wurden vor allem die Elemente Wasserstoff und Sauerstoff weitgehend als Methan CH4, K o h l e n d i o x y d C0 2 und Wasser HäO abgespalten, so daß sich im Rückstand der K o h l e n s t o f f mehr und mehr anreicherte. Noch heute können wir den Beginn einer solchen Verkohlung in der Tor/bildung beobachten. Ein fortgeschritteneres Stadium der Verkohlung stellt die aus der Tertiärzeit stammende Braunkohle dar, deren Struktur ihre pflanzliche Herkunft noch deutlich erkennen läßt. Noch älter als die Braunkohle ist die aus der Carbonzeit stammende Steinkohle, und das älteste Glied der Reihe ist schließlich der Anthrazit. Die Zunahme des Kohlenstoff- und Abnahme des Sauerstoff- und Wasserstoffgehaltes, sowie die damit parallel laufende Erhöhung des Heizwertes je Kilogramm gehen aus folgender Tabelle hervor: Zusammensetzung (%) C Holz Torf Braunkohle Steinkohle Anthrazit
50 65-65 65-75 75-90 > 90
0 44 30-40 20-30 5—18 2-3
Η
Heizwert (kcal je kg)
6 5.5-7 5-6 4-6 2-3
4000 5-6000 6-7000 7-8000 8-9000
Die Kohlenstoffgruppe
302
Die Braun- und Steinkohlen dienen wegen ihres Gehaltes an den wichtigen Elementen Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel als u n e n t b e h r l i c h e s A u s g a n g s m a t e r i a l der c h e m i s c h e n I n d u s t r i e . Die beiden wichtigsten Verfahren zur Nutzbarmachung der enthaltenen Elemente sind : die t r o c k e n e D e s t i l l a t i o n und die H y d r i e r u n g . α. Trockene Destillation yon Kohlo Erhitzt man Kohle ohne Luftzutritt in geschlossenen Gefäßen, so zersetzt sie sich in g a s f ö r m i g e , f l ü s s i g e und f e s t e P r o d u k t e . Diese Zersetzungsprodukte haben eine verschiedene Zusammensetzung, je nachdem man bei verhältnismäßig n i e d r i g e r ( < 600°) oder bei verhältnismäßig h o h e r T e m p e r a t u r ( > 1000°) arbeitet. Im ersteren Fall spricht man von „Ver Schwelung", im letzteren von „Verkokung" der Kohle. Die Schwelung wird vor allem bei der B r a u n k o h l e , die Verkokung bei der S t e i n k o h l e durchgeführt (vgl. I I , S. 303). Verkokung Die gasförmigen Produkte 10%) bei der Verkokung von Steinkohle („Steinkohlen-Rohgas") enthalten alle die Gase, die durch Kombination der Elemente C, O, Η, Ν und S denkbar und bei der hohen Arbeitstemperatur beständig sind. Es finden sich also darin: W a s s e r s t o f f H 2 , W a s s e r s t o f f Verbindungen des Kohlenstoffs (Methan CH 4 , Äthylen C 2 H 4 , Benzol C e H 6 ), des Sauerstoffs (Wasserdampf H 2 0), des Stickstoffs (Ammoniak NH 3 ) und des Schwefels (Schwefelwasserstoff H 2 S), S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n (Kohlenmonoxyd CO, Kohlendioxyd C0 2 ), S t i c k s t o f f N 2 und S t i c k s t o f f v e r b i n d u n g e n (Cyangas (CN)2, Blausäure HCN), sowie S c h w e f e l v e r b i n d u n g e n (Schwefelkohlenstoff CS 2 ). Die prozentuale Zusammensetzung aus diesen Bestandteilen ändert sich mit der Dauer der Destillation; und zwar nimmt, wie die untenstehende (nur die Hauptprodukte berücksichtigende) Fig. 102 zeigt, mit zunehmender Erhitzungsdauer der Wasserstoffgehalt auf Kosten der K o h l e n w a s s e r s t o f f Verbindungen zu. Erhitzt man l ä n g e r e Z e i t , so erhält man das „Kokereigas", welches im Durchschnitt etwa 55 Vol.-°/ 0 H 2 , 2 5 % C H 4 , 10—12% N 2> 4 — 6 % CO, 2 % C m H n und 2 % C0 2 enthält. Erhitzt man weniger l a n g e , so entsteht das „Leuchtgas", welches im gereinigten Zustande durchschnittlich aus 50 % H 2 , 3 2 1 / 2 % CH 4 , 7 % CO, 5 % N 2 , 3V2°/o C m H n , 2 % C0 2 und Spuren Sauerstoff besteht
o
t
8
κ
16
20
und beim Vermischen mit W a s s e r g a s (im Verhältnis 3 : 2 ) das „Stadtgas" (durchschnittliche Zusammensetzung: 5 0 % H 2 , 2 0 % CH 4 , 1 7 % CO, 8 % N 2 , 3 % CÒ2, 2 % C m H n ) ergibt. Die flüssigen Produkte 10%) der Verkokung von Steinkohle sind „Ammoniakwasser" (vgl. S. 222) und „Steinkohlenteer". Ersteres ist eine wässerige Lösung von Ammoniakund Ammonium sai zen (Ammoniumcarbonat, Ammoniumsulfid). Der Steinkohlenteer bildet eine schwarze, öligzähflüssige Masse, die aus ca. 10 000 hauptsächlich der a r o m a t i s c h e n R e i h e angehörenden C-, H-, O-, N- und S-haltigen ZV 28 32h Substanzen (ζ.B. Benzol C e H e , Toluol C 7 H g ,
Fig. 102. Abhängigkeit der KokereigasXylol C g H 10 , Naphthalin C 10 H 8 , Anthrazen Zusammensetzung von der Verkokungsdauer C 14 H 10 , Phenol CeHeO, Thiophen C 4 H 4 S,
Der Kohlenstoff
303
Pyridin C 6 H 8 N), sowie aus pechartigen Rückständen besteht. Auf seinerVerarbeitung baut sich eine c h e m i s c h e G r o ß i n d u s t r i e auf (vgl. II, S.302f.). Als fester Rückstand 8 0 % ) hinterbleibt bei der Verkokung der Steinkohle der kohlenstoffreiche, aber immer noch Wasserstoff ( ~ 1 % ) , Sauerstoff I°/ 0 ), Stickstoff 2°/ 0 ) und Schwefel 1 % ) enthaltende „Koks". E r dient entweder direkt oder nach vorheriger Umwandlung in Generatorgas oder Wassergas als B r e n n s t o f f . Verschwelung F ü h r t man die trockene Destillation der Kohle bei verhältnismäßig n i e d r i g e r T e m p e r a t u r (unterhalb 600°) durch, so nimmt vor allem die Menge des wertvollen T e e r s gegenüber den gasförmigen Produkten zu. Dieser „Tieftemperaturteer" enthält zum Unterschied vom „Hochtemperaturteer" in der Hauptsache nicht a r o m a t i s c h e , sondern a l i p h a t i s c h e Kohlenwasserstoffverbindungen. Man nennt ihn auch ,,Urteer", weil er der bei der Destillation von Kohle p r i m ä r entstehende Teer ist, welcher bei der Verkokung erst s e k u n d ä r in den Hoch temperaturteer übergeht (Umwandlung der aliphatischen in aromatische Verbindungen). I m übrigen führt die Schwelung wie die Verkokung insgesamt zu g a s f ö r m i g e n {„Schwelgas"), f l ü s s i g e n {„Schwelwasser", „Leichtöle", „Schwelteer") und f e s t e n {„Schwelkoks") Zersetzungsprodukten. Das bei der Schwelung von Braunkohle gebildete Schwelgas besteht aus Wasserstoff (10—30%), Stickstoff (10—30%), Methan (10—25%), Kohlenoxyd (10—25%), Kohlendioxyd (10—20%), Schwefelwasserstoff (1—3%), Sauerstoff (0.1—3%) und Kohlenwasserstoffen (1—2%). E s dient zum H e i z e n d e r S c h w e l ö f e n oder wird nach Entfernung von Kohlendioxyd und Schwefelwasserstoff als F e r n g a s abgegeben bzw. — mit Wassergas vermischt — als S t a d t g a s (Leuchtgas) verwendet. Die aus dem Schwelgas isolierbaren L e i c h t ö l e dienen gereinigt als M o t o r e n betriebsstoff. Unter den flüssigen Produkten der Schwelung bildet das S c h w e l w a s s e r , eine gelbliche, milchig-trübe Flüssigkeit von etwas teerigem Geruch, die Hauptmenge. Sie enthält nur geringe Mengen an Ammoniak und organischen Substanzen und läßt sich nicht nutzbringend verwerten. Der S c h w e l t e e r stellt eine braune bis schwarze, bei 25—35° schmelzende Masse dar, die zur Hauptsache aus gesättigten und ungesättigten K o h l e n w a s s e r s t o f f e n der aliphatischen Reihe besteht. Der feste Rückstand bei der Braunkohlenschwelung ist der „Grudekoks", ein körniges, mattschwarzes Produkt, das bei der Entzündung ohne Flamme, Rauch oder Rußbildung langsam verglüht und ein geschätztes H e i z m a t e r i a l für kleine Haushaltungsöfen darstellt. Solcher bei tieferen Temperaturen geTemperatur wonnener Koks ist ärmer an Kohlenstoff und reicher an den übrigen Elementen als der Hochtemperatur- Fig. 103. Abhängigkeit der Kokskoks, wie die nebenstehende Fig. 103 zeigt, welche die zusammensetzung von der Verkokungstemperatur Abhängigkeit der Zusammensetzung des Kokses von der Herstellungstemperatur wiedergibt. Bei der V e r s c h w e l u n g v o n H o l z erhält man als g a s f ö r m i g e s Produkt „Holzgas" (hauptsächlich C0 2 , CO, CH 4 und H 2 ), als f l ü s s i g e s Produkt „Holzgeist" (Methylalkohol), „Holzessig" (Essigsäure) und „Holzteer" und als f e s t e s Produkt „Holzkohle".
304
Die Kohlenstoífgruppe β. Kohlehydrierung
Setzt man K o h l e oder kohlenstoffreiche Stoffe wie T e e r e oder S c h w e r ö l e unter einem Druck von rund 250 Atmosphären und in Gegenwart von K a t a l y s a t o r e n bei 450° mit W a s s e r s t o f f um, so brechen die komplizierten KohlenstoffVerbindungen des Ausgangsmaterials unter Wasserstoffaufnahme auseinander, so daß aus den h o c h m o l e k u l a r e n w a s s e r s t o f f a r m e n Ausgangsprodukten n i e d e r m o l e k u l a r e , w a s s e r s t of fr eiche Kohlenwasserstoffe („Benzine") entstehen („ Kohleverflüssigung"). Diese Druckhydrierung (vgl. II, S. 33f.) wird technisch in größtem Maßstab zur Gewinnung s y n t h e t i s c h e r T r e i b s t o f f e durchgeführt. Und zwar erfolgt die technische Hydrierung in zwei S t u f e n , indem man das Ausgangsprodukt zunächst in ein Z w i s c h e n p r o d u k t , das M i t t e l ö l , überführt („Sumpfphase"), welches dann in Dampfform („Gasphase") weiter zu B e n z i n hydriert wird. Sumpfphase. Zur Hydrierung in der Sumpfphase (vgl. Fig. 104) wird das ö l oder der T e e r oder die feingemahlene, mit S c h w e r ö l (vgl. unten) zu einer breiigen Paste Trenn- und
Sumofohase
Trpnn· und
Caspftase
Fig. 104. Schematische Darstellung der technischen Kohlehydrierung
verriebene K o h l e mit dem feinpulvrigen K a t a l y s a t o r versetzt, erhitzt und durch Hochdruckpressen in die „ S u m p f ö f e n " (18 m hohe Stahlrohre von rund 1 m Durchmesser) hineingepreßt. Hier setzt sich der Kohlebrei bei 450° und 200—300 Atmosphären Druck mit W a s s e r s t o f f teilweise schon zu l e i c h t e r s i e d e n d e n , hauptsächlich aber zu s c h w e r e r f l ü c h t i g e n und n i c h t f l ü c h t i g e n K o h l e n w a s s e r s t o f f e n um. Bei der Destillation der Reaktionsprodukte erhält man bis 170° „Benzin", von 170—325° „Mittelöl" und oberhalb 325° „Schweröl". Das S c h w e r ö l dient zum Anreiben neuer Kohlepaste, das M i t t e l ö l gelangt, soweit es nicht als solches verwendet wird, zur weiteren Hydrierung in die G a s p h a s e . Wegen des Schwefelgehaltes der Kohle müssen die Kohlehydrieröfen nicht nur wie die Ammoniakhydrieröfen (S. 221 f.) beständig gegen W a s s e r s t o f f , sondern auch beständig gegen Schwefel sein. Daher sind sie innen mit Chrom-Wolframstahl ausgekleidet, welcher geringe Mengen Molybdän und Vanadin enthält. Auch die K a t a l y s a t o r e n müssen „schwefelfest" sein. Weiterhin lassen sich nur billige Katalysatoren gebrauchen, da sie ja im Kohlebrei v e r t e i l t werden und daher n i c h t r ü c k g e w i n n b a r sind. Man verwendet z. B. Schwefelverbindungen des Molybdäns und Wolframs.
Gasphase. Zur weiteren Hydrierung in der Gasphase wird das aus der Sumpfphase kommende M i t t e l ö l verdampft und im „Benzinofen" nochmals bei 450° und 200 bis 300 Atmosphären Druck mit W a s s e r s t o f f umgesetzt. Da die Stoffe jetzt im Gasz u s t a n d sind, kann der Katalysator bei diesem Arbeitsgang in festen Brocken f e s t i m Ofen a n g e o r d n e t werden. Das Mittelöl geht jetzt weitgehend in l e i c h t -
Der Smekal-Raman-Effektf
305
siedende, zum Teil sogar in gasförmige Produkte über. Bei der sorgfältigen Destillation der Reaktionsprodukte erhält man: „Gas" (Methan, Äthan, Propan, Butan), „Benzin" („Leunabenzin") und unverändertes „Mittelöl", das zum Teil wieder in den Betrieb zurückwandert. Die Gase Propan und Butan gelangen verflüssigt als „Flüssiggas" für Heiz- und Treibzwecke in den Handel. Die Ausbeute an Benzin beträgt 0.6 t je Tonne Braunkohle ; die Gewinnung des Hydrier-Wasserstoffs nach dem Wassergasverfahren (S. 38f.) erfordert allerdings nochmals 11 Kohle. Durch V a r i a t i o n der Arbeitsbedingungen (Druck, Temperatur, Kataly satoren usw.) gelingt es, die Ausbeuten an Hydrierprodukten mehr nach der Seite der höhermolekularen (Schmieröl, Heizöl, Dieselöl) oder der Seite der niedermolekularen Kohlenwasserstoffe (Leuchtöl, Benzin) zu verschieben.
2 . D e r SMEKAL-RAMAN-Effekt Nach der Elektronentheorie der Valenz muß dem K o h l e n o x y d CO die E l e k tronenformel _ + : C: : : O : (1) mit einer dreifachen K o v a l e n z zwischen Kohlenstoff und Sauerstoff zukommen, da nur auf diese Weise beide Atome eine abgeschlossene Neonschale erreichen. Berücksichtigt man die gleichzeitig dabei auftretenden Ladungen (vgl. S. 154if.), soläßt sich diese Elektronenformel (1) durch die V a l e n z s t r i c h f o r m e l (2a) mit vierwertigem Kohlenstoff wiedergeben, während man früher annahm, daß umgekehrt der Sauerstoff dem Kohlenstoff seine Wertigkeit aufzwinge und das Kohlenoxyd daher durch die Valenzstrichformel (2b) mit zweiwertigem Kohlenstoff auszudrücken sei: C=0 C=0 (2) (a) (b) Zur experimentellen Prüfung einer Frage wie der hier angeschnittenen kann man den SMEKAL-RAMAN-Effekt heranziehen, auf den wir im folgenden etwas näher eingehen wollen.
a. Wesen des SMEKAL-RAMAN-Effekts α. Experimentalbefund] Bestrahlt man eine kolloide Lösung (S. 324ff.) von der Seite her mit monochromatischem, sichtbarem L i c h t und betrachtet die Lösimg senkrecht zur Einfallsrichtung des Lichtstrahls, so stellt man fest, daß das einfallende Licht teilweise seitlich gestreut wird („TYNDALL-Effekt", S. 325), wobei das gestreute Licht die Wellenlänge des einfallenden Lichtes besitzt. Ersetzt man die kolloide Lösung durch eine echte Lösung oder eine reine F l ü s s i g k e i t , so läßt sich — zwar nicht mit dem bloßen Auge, wohl aber mit optischen Mitteln — auch hier eine Streuung des L i c h t e s feststellen. Die Zerlegung dieses gestreuten Lichtes in einem Spektrographen (Fig. 105) führt nun zu dem interessanten Ergebnis, daß das Streulicht zwar in der Hauptsache die gleiche Frequenz wie das einfallende monochromatische Licht besitzt („unverschobene Streustrahlung", „TVNDALL -Streuung"), daß aber daneben (vgl. Fig. 106a) noch andere S p e k t r a l - l i n i e n erscheinen, die in dem ursprünglichen Licht nicht vorhanden waren, wobei diese Linien im allgemeinen nach kleineren Frequenzen (entsprechend größeren Wellenlängen) hin verschoben sind („verschobene Streustrahlung", „RAMAN· Streuung"). Bestrahlt man die gleiche Flüssigkeit mit einem anderen monochromatiH o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
20
306 Kohlenstoffgrappe sehen Licht von a n d e r e r F r e q u e n z , s o erhält man das gleiche Bild, und zwar besitzen die verschobenen Linien — und das unterscheidet diesen Effekt von dem schon länger bekannten,,Fluoreszenzeffekt ^ χ (S. 138) — nicht d i e s e l b e n eirf F r e q u e n z e n , sondern d i e s ^ f / vv gleichen Entfernungen 3) v o n der E r r e g e r l i n i e wie im vorhergehenden Fall (Fig. - Frequenz 106 b). Die beschriebene Erscheinung wurde im Jahre 1928 y einf fgestn
4 •* Frequenz isorb. /7/ 9 Spectrograph Fig. 105. Prinzip der Messung
0
—>• fiamanfrpçuenz
Fig. 106. Erregerlinie und RAMAN-Spektrum
des RAMAN-Effekts
von dem indischen Physiker C . V . R A M A N entdeckt, nachdem sie fünf Jahre vorher von dem deutschen Physiker A. S M E K A L vorausgesagt worden war. Sie heißt daher „SjiEKAL-RAMAN-Effekt". ß. Deutung Die D e u t u n g des Effekts ist im Prinzip einfach. Treffen die Atome h-veint_ (S. 82) des einfallenden Lichtes (Frequenz a>einf.) mit den Molekülen der Flüssigkeit zusammen, so werden sie entweder nur „ r e f l e k t i e r t " , so daß eine TYNDALL-Linie gleicher Frequenz beobachtet wird, oder sie g e b e n e i n e n T e i l i h r e r E n e r g i e an d i e M o l e k ü l e a b , so daß das g e s t r e u t e P h o t o n h-vge3ti. einen k l e i n e r e n Wert besitzt als das e i n f a l l e n d e . Damit ist auch die F r e q u e n z vgestr. dieses Streulichtes k l e i n e r als die des erregenden Lichtes, entsprechend einer Verschiebung der W e l l e n l ä n g e nach g r ö ß e r e n Werten hin. Die E n e r g i e d i f f e r e n z zwischen einfallendem und gestreutem Photon gibt die vom getroffenen Molekül a b s o r b i e r t e E n e r g i e m e n g e an: ^•»einf. — ^· Vstr. = A (Veinf. — vgestr.) = ^"absorb.· (3) Da die verschiedenen F r e q u e n z d i f f e r e n z e n ()>βω.— »'gestr.) = »"absorb, bei gegebener Flüssigkeit u n a b h ä n g i g von der Frequenz der E r r e g e r l i n i e immer die g l e i c h e n W e r t e besitzen, nimmt ein von einem Photon getroffenes Molekül offensichtlich nur g a n z b e s t i m m t e , durch den Wert/j.? ab30Ib . charakterisierte E n e r g i e m e n g e n auf. Man nennt die von einem Molekül absorbierten Frequenzdifferenzen „RAMAN-Frequenzen" und pflegt bei der Wiedergabe eines „Raman-Spektrums" die eingestrahlte Erregerlinie als Ausgangspunkt des Spektrums zu wählen und die einzelnen „RamanLinien" von diesem Nullpunkt aus einzutragen (Fig. 106 c). Die RAMAN-Frequenz en Rab80rb. liegen in der Größenordnung von IO12 bis 10 14 je Sekunde, entsprechend W e l l e n l ä n g e n von 10® bis 104 Â oder E n e r g i e m e n g e n von
Der Smekal-Raman-Effekt
307
0.1 bis 10 kcal je Mol (vgl. S. 82f.). Damit sind die beim RAMAN-Effekt absorbierten Energiemengen in ihrer Größe den bei der Bestrahlung von Stoffen mit u l t r a r o t e m L i c h t (Wellenlänge IO6 bis 10 4 Â) absorbierten Energiebeträgen äquivalent. Hieraus geht hervor, daß die aufgenommene Energie zur A n r e g u n g v o n S c h w i n g u n g e n der Atome innerhalb des Moleküls dient (vgl. S. 143). Wie sich ans dem Vorstehenden ergibt, entsprechen U l t r a r o t s p e k t r u m (S. 143) und RAMAN-Spektrum einander. Der Unterschied ist nur der, daß die zur Anregung von Molekülschwingungen dienenden Energiequanten im Falle der Bestrahlung mit u l t r a r o t e m Licht in Form u n g e t e i l t e r L i c h t q u a n t e n , im Falle der Bestrahlung mit s i c h t b a r e m Licht dagegen in Form von A n t e i l e n g r ö ß e r e r Q u a n t e n aufgenommen werden. Das Ultrarotspektrum, das sonst nur als Absorptionsspektrum in dem meßtechnisch schwer zugänglichen ultraroten Gebiet zu beobachten ist, ist somit beim R A M A N - Spektrum in das experimentell bequem meßbare Gebiet des sichtbaren Lichts übertragen und tritt hier als Streuspektrum auf. Zu diesem Vorzug kommt noch als zweiter der, daß manche Linien, die im Ultrarot nicht auftreten („optisch inaktive" Linien) im RAMAN-Spektrum vorkommen, und daß umgekehrt manche „ramaninaktive" Linien im Ultrarotspektrum zu finden f f sind, so daß sich Ultrarot- und RAMAN-Spektrum in willkomme-
ner Weise ergänzen. Die in einem Molekül nageregten Schwingungen ,.ι
·
ι
·
*
j
·
symmetrische
asymmetrische
l/a/enzsc/iwinouno
Fi
8'
107
·
*
Oeformat/onsschutmuno
Schwingungsmöglichkeiten eines dreiatomigen £[6Str6CKb6Q 1V1016KU1S
oknnen zweierlei Art sein: es können die A t o m e in d e r V a l e n z r i c h t u n g g e g e n e i n a n d e r schwingen {„Valenzschwingungen") oder es können die W i n k e l z w i s c h e n d e n A t o m e n d e f o r m i e r t werden („Deformationsschwingungen"). So bestehen ζ. B . bei einem aus drei Atomen bestehenden gestreckten Molekül die in Fig. 107 wiedergegebenen Schwingungsmöglichkeiten. Das gleiche ist der Fall bei einem gewinkelten dreiatomigen Molekül. J e d e der drei Schwingungsarten gibt Veranlassung zu einer f ü r d a s b e t r e f f e n d e M o l e k ü l c h a r a k t e r i s t i s c h e n RAMAN-Linie, da die Anregung einer bestimmten Schwingung je nach der Bindefestigkeit, Masse und räumlichen Lagerung der Atome einen g a n z b e s t i m m t e n E n e r g i e b e t r a g erfordert. Die angeregten Schwingungen erfolgen dabei im Rhythmus der Frequenz des absorbierten Lichtes. Die Zahl der Schwingungen, die zwei angeregte Atome je Sekunde gegeneinander ausführen, ist also numerisch gleich der anregenden RAMAN-Frequenz.
Die RAMAN-Frequenzen ν stellen mit ihrer Größenordnung von IO 12 bis 10 14 je Sekunde unbequem große Zahlen dar. Deshalb ist man übereingekommen, sie durch die Lichtgeschwindigkeit c ( = 2.9978 X 10 10 cm/sec) zu dividieren: v/c = ω. Sie geben dann die Anzahl Wellenlängen des absorbierten Lichtes an, welche auf eine Strecke von 1 cm entfallen 1 {„Wellenzahl"; vgl. S. 141) und bedeuten zugleich die Zahl der Atomschwingungen in einer xio 10 Sekunde. Ihre Größenordnung liegt damit zwischen 10 2 und 10 4 . Hat also ζ. B . eine RAMAN-Frequenz den Wert 1231, so bedeutet dies, daß 1231 Wellenlängen des absorbierten Lichtes zusammen eine Strecke von 1 cm ergeben und daß die vom absorbierten Licht angeregten Atome in einer dreißigmilliardstel Sekunde 1231 Schwingungen gegeneinander ausführen.
b. Anwendung des SMEKAL-RAMAN-Effekts Da Lage und Zahl der RAMAN-Linien durch den speziellen Bau der Moleküle bedingt werden, lassen sich in nicht zu verwickelten Fällen aus dem RAMAN-Spektrum einer Substanz umgekehrt auch wieder R ü c k s c h l ü s s e auf die r ä u m l i c h e A n o r d n u n g d e r A t o m e und die A r t d e r B i n d u n g e n im Molekül ziehen. Daher stellt der SMEKAL-RAMAN-Effekt für den Chemiker ein w e r t v o l l e s H i l f s m i t t e l zur Lösung 1
Vgl. Anmerkung 1, S. 82. 20*
Die Kohlenstoffgruppe
308
chemischer K o n s t i t u t i o n s p r o b l e m e dar, wie im folgenden an H a n d einiger Anwendungsbeispiele gezeigt sei. α. Lage der RAjiAN-Linien Bringen wir zwei durch eine elastische Feder miteinander verbundene Kugeln zur Schwingung gegeneinander, so ist die Z a h l d e r S c h w i n g u n g e n je Zeiteinheit um so größer (kleiner), je l e i c h t e r (schwerer) die K u g e l n und je s t ä r k e r (schwächer) die F e d e r k r a f t ist. Gleiches gilt f ü r die Schwingungen zweier A t o m e gegeneinander. Die R à M A N - F r e q u e n z muß also um so g r ö ß e r e Werte annehmen, je k l e i n e r d i e M a s s e n d e r A t o m e und je f e s t e r d i e B i n d u n g e n zwischen den Atomen sind. Die Erfahrung bestätigt diese Erwartung, wie folgende Tabelle zeigt, die die durchschnittlichen B.AMAN-Frequenzen ω für eine Anzahl einfach, doppelt und dreifach verbundener Atome (X) wiedergibt : γ γ x=x X—X Χ—Η 1200—1800 < 1200 1800—2400 > 2400 1050
^>C=0
1720
—fesN
2240
^C—Η
2900
1000
\,C=N—
1660
—C=C—
2200
)>N—Η
3340
W
950
)>C=C/
1640
N=N
2330
-O—Η
3400
^C—Cl
660
0=0
1555
Cl—Η
2880
ic—Br
580
Br—Η
2550
^c—O— > - N
2400) unterteilen, innerhalb deren den einzelnen Bindungstypen gemäß der Art der Bindungspartner X und der Festigkeit der Bindung charakteristische Mittelwerte zukommen. Um diese Mittelwerte herum schwanken die R A M A N Frequenzen der angegebenen Bindungstypen je nach der Art der an den freien Valenzen sitzenden Substi tuen ten. Die in der Tabelle zum Ausdruck kommende Gesetzmäßigkeit gestattet bereits wichtige Schlußfolgerungen bezüglich der Konstitution vieler chemischer Verbindungen. Beispielsweise findet man für das Kohlenoxyd CO eine RAMAN-Frequenz von 2155. Daraus geht eindeutig hervor, daß Kohlenstoff und Sauerstoff durch eine d r e i f a o h e und nicht durch eine zweifache kovalente Bindung (S. 300, 305) miteinander verk n ü p f t sind, daß also die aus der E l e k t r o n e n t h e o r i e d e r V a l e n z zwangsläufig folgende Elektronenformel 550
J—Η
:C:::0:
die richtige ist. Von den f ü r das D i s t i c k s t o f f o x y d N 2 0 möglichen beiden Formeln N\ η >0
W
(a)
und
N=N=0
(4)
(b)
t r i f f t nach dem RAMAN-Spektrum nur die letztere zu. Und zwar ist diese Formel (4 b) durch die Resonanz-Elektronenstruktur 1 Diese Unterbereiche sind natürlich nicht scharf abgegrenzt und können sich gegenseitig überschneiden, wie dae Beispiel des Jodwasserstoffs zeigt.
Der Smekal-Raman-Effekt :N:::N:0:
•
•
309
:N::N::0:
wiederzugeben (vgl. S. 229f.), da die beiden gefundenen Valenzschwingungsfrequenzen (1287 und 2223) die Anwesenheit von zweifachen und dreifachen Kovalenzen anzeigen. Analoges gilt f ü r das isostere K o h l e n d i o x y d C0 2 , das die beiden Valenzschwingungsfrequenzen 1336 und 2350 aufweist ( : Ö : C : : : 0 : - < — : 0 : : C : : 0 : — > · : 0 : : : C : Ö : ) . I n ähnlicher Weise bestätigt das RAMAN-Spektrum die früher abgeleiteten Elektronenformeln der Phosphorsäuren H 3 P0„ (vgl. S. 258) : H 0 0 • + + + H H:P:0 H:ÍP:0 H* 0 : P : 0 H3 Ö Ö Ö (a) (b) (c) So findet man bei der unterphosphorigen Säure H 3 P 0 2 (a) und bei der phosphorigen Säure H 3 P 0 3 (b) eine bei 2415 bzw. 2485 liegende, das Vorliegen einer P h o s p h o r W a s s e r s t o f f - B i n d u n g anzeigende RAMAN-Frequenz, welche bei der Phosphorsäure H3PO4 (c) fehlt, während sie beim Phosphorwasserstoff P H S naturgemäß auftritt (ω = 2407). Weiterhin findet sich im Bereich 1200—1800 keine RAMAN-Linie, woraus sich ergibt, daß die Moleküle der Phosphorsäuren in Übereinstimmung mit den E l e k t r o n e n f o r m e l n (vgl. S. 257f.) und entgegen den Valenzstrichformeln (vgl. S. 156) k e i n e k o v a l e n t e n , sondern s e m i p o l a r e D o p p e l b i n d u n g e n (S. 154ff.) enthalten. H e t e r o p o l a r e n Bindungen entsprechen k e i n e RAMAN-Linien, weil hier ja die elastische Federkraft fehlt, die die Voraussetzung für Atomschwingungen bildet. Während also ζ. B. die Moleküle HCl, H B r und H J je eine RAMAN-Linie aufweisen, ergeben die davon abgeleiteten S a l z e KCl, K B r und K J keine RAMAN-Linien. Dementsprechend bietet der RAMAN-Effekt die Möglichkeit, die S a l z n a t u r von Verbindungen zu prüfen, da die RAMAN-Linien um so s c h w ä c h e r ausfallen, je p o l a r e r die Bindung zwischen Metall und Molekülrest ist. So ergeben etwa die Halogenide von Hg, P, As, Sb, C, Si, Ti und Sn IV s t a r k e RAMAN-Linien, während beispielsweise die Halogenide BiCl 3 , ZnCl2, CdJ 2 und AuCl 3 nur s c h w a c h e und die Chloride des Na, K , N H 4 , Ba, Ag, Cu, Cd, Mg und S n n überhaupt k e i n e RAMAN-Linien zeigen. I n ähnlicher Weise deutet das Auftreten einer Kobalt-Stickstoff-Frequenz bei der Komplexverbindung [Co(NH 3 ) e ] Cls darauf hin, daß hier die Ammoniakmoleküle durch e c h t e K o v a l e n z e n mit dem Kobaltatom verknüpft sind („Durchdringungskomplex"; S. 157f.), während das Fehlen dieser Frequenz bei der Verbindung [Co(NH 3 ) e ]Cl 2 anzeigt, daß hier die Ammoniakmoleküle nur durch D i p o l k r ä f t e gebunden sind („Anlagerungskomplex"; S. 158f.). ß. Zahl der RAMAN-Linien Auch aus der Z a h l der RAMAN-Linien eines Stoffes lassen sich wichtige Rückschlüsse auf die K o n f i g u r a t i o n seiner Moleküle ziehen. Es läßt sich zeigen, daß ein aus η Atomen ( n > 2 ) bestehendes Molekül insgesamt 3 n - 6 verschiedene Möglichkeiten der Schwingung besitzt (η - 1 Valenz- und 2 n - 5 Deformationsschwingungen). So sind ζ. B. bei einem vieratomigen Molekül 3 - 4 — 6 = 6 und bei einem f ü n f a t o m i g e n Molekül 3 - 5 — 6 = 9 verschiedene Schwingungsarten denkbar. J e nach der S y m m e t r i e des Moleküls können nun einzelne dieser Schwingungsfrequenzen e i n a n d e r g l e i c h sein, so daß die entsprechenden Linien a u f e i n a n d e r f a l l e n . Ist beispielsweise in einem vieratomigen Molekül das Zentralatom X mit d r e i g l e i c h e n L i g a n d e n Y besetzt (XY 3 ), so ergibt dieses Molekül bei p y r a m i d e n f ö r m i g e m Aufbau statt 6
Die Kohlenstoffgruppe
310
nur 4 und bei e b e n e m Aufbau statt 6 nur 3 Linien, da im ersteren Fall 2, im letzteren 3 Linien mit anderen Linien zusammenfallen („entartete Schwingungen"). Auf diese Weise ist es mit Hilfe des RAMAN-Effekts möglich, bei solchen Molekülen zwischen pyramidenförmigem und ebenem Aufbau zu unterscheiden. So zeigt das Experiment, daß die Ionen C103' und S 0 3 " p y r a m i d e n f ö r m i g , die Ionen N 0 3 ' und C 0 3 " dagegen eben gebaut sind. Dies ist deshalb von Interesse, weil damit die Aussagen der E l e k t r o n e n t h e o r i e der V a l e n z bestätigt werden. Nach der Elektronentheorie der Valenz besitzen nämlich die ersteren und die letzteren Ionen eine voneinander v e r s c h i e d e n e K o n s t i t u t i o n (a), während sie nach den Valenzstrichformeln (b) gleich gebaut zu sein scheinen 1 : :Ö: ++ ~ 0 :C1:0:
O
II 0=C1—0—
: 0:
0
Η n
0=N—O—
δ (a) "
(b)
Denn im ersteren Fall (C103', S 0 3 " ) sind die drei Sauerstoffatome durch je eine einf a c h e K o v a l e n z mit dem Zentralatom verknüpft, so daß nach dem T e t r a e d e r modell (vgl. NH3-Konfiguration in Fig. 52, S. 150) die Form einer P y r a m i d e entsteht. Im letzteren Fall dagegen (N0 3 ', C0 3 ") ist in jedem Zeitmoment eines der drei Sauerstoffatome zum Unterschied von den beiden übrigen durch eine d o p p e l t e K o valenz mit dem Zentralatom verbunden2, so daß bei Zugrundelegen des T e t r a e d e r modells (Ersatz zweier Substituenten im CH4-Modell — Fig. 52, S. 150 — durch einen in der Mitte der gestrichelten Verbindungslinie angeordneten Liganden) eine ebene Anordnung der vier Atome zustandekommt.
3. Das Silicium a. Elementares Silicium Vorkommen. Das Silicium ist nach dem Sauerstoff das m e i s t v e r b r e i t e t e E l e m e n t , und zwar besteht der uns zugängliche Teil der Erdrinde zu etwa 1 / i seines Gewichtes aus Silicium. Da der Sauerstoff die Hälfte des Gewichtes der Erdrinde ausmacht, ist damit das Silicium ebenso häufig wie alle übrigen 96 Elemente zusammengenommen (vgl. S. 68). Silicium findet sich nie in freiem Zustande, sondern nur gebunden in Form von Salzen verschiedener, sich vom Anhydrid Si0 2 ableitender K i e s e l s ä u r e n („Silicate"). Besonders weitverbreitet sind dabei A l k a l i - , E r d a l k a l i - , Aluminium- und E i s e n s i l i c a t e (S. 321). Auch das f r e i e S i l i c i u m d i o x y d Si0 2 kommt in der Natur in verschiedenster Form (als Sand, Quarz, Bergkristall, Amethyst usw.) vor (S. 315). Darstellung. T e c h n i s c h läßt sich Silicium in kompakten Stücken durch Reduktion von Quarz mittels K o h l e oder besser C a l c i u m c a r b i d im elektrischen Ofen darstellen : Si0 2 + 2C — S i
+ 2CO
Si0 2 + CaC2
Si + 2CO + Ca.
Die zwei Doppelbindungen der Valenzstrichformeln (b) sind gemäß den Elektronenformeln a) im Falle (5) beide semipolar, im Falle (6) dagegen teils semipolar, teils nichtpolar (vgl. S. 156). 2 Die Doppelbindung kann k e i n e m b e s t i m m t e n Sauerstoffatom zugeordnet werden, sondern wechselt von Sauerstoffatom zu Sauerstoff atom, so daß im Zeitdurchschnitt alle drei Sauerstoffatome in gleicher Weise gebunden sind („Resonanz"). Vgl. Anmerkung 1, S. 242. 1
Das Silicium
311
Im L a b o r a t o r i u m verwendet man zweckmäßig M a g n e s i u m als Reduktionsmittel: Si02 + 2Mg ν Si + 2MgO + 84kcal. Da die Reaktion beim Entzünden des Gemischs unter starker Wärmeentwicklung stürmisch verläuft, muß man sie durch Zumischen eines Überschusses an Quarzsand oder an Magnesiumoxyd mäßigen, damit nicht das gebildete Silicium wieder zu Siliciumdioxyd (Bildung von Magnesiumsilicat : Si0 2 + MgO —>- MgSi0 3 ) verbrennt. Man erhält bei dieser Darstellungsweise das Silicium als reaktionsfähiges braunes P u l v e r , welches durch Auflösen in g e s c h m o l z e n e m A l u m i n i u m und Erkaltenlassen dieser Lösung in k r i s t a l l i s i e r t e s S i l i c i u m verwandelt werden kann. D i r e k t erhält man dieses kristallisierte Silicium, wenn man ü b e r s c h ü s s i g e s A l u m i n i u m statt Magnesium zur Reduktion des Quarzes verwendet, so daß sich das gebildete Silicium : 3Si0 2 + 4 Al — > 3 Si + 2A1203 + 162 kcal gleich im Aluminiumüberschuß auflösen kann. Die Trennimg von Aluminium und auskristallisiertem Silicium erfolgt hier wie im vorigen Fall mit S a l z s ä u r e , welche das Aluminium löst und das Silicium ungelöst zurückläßt. Statt Siliciumdioxyd kann auch S i l i c i u m f l u o r i d (in Form des Salzes SiF 4 · 2KF = K 2 [SiF e ] ; S. 315) mit überschüssigem Aluminium bei Rotglut umgesetzt werden : 3SiF4 + 4Al — > 3Si + 4A1F3. Man erhält dabei das Sihcium in schönen Kristallblättchen. Physikalische Eigenschaften. Das pulverförmige braune bis graubraune und das kristallisierte dunkelgraue Silicium sind keine verschiedenen Modifikationen des Siliciums, sondern unterscheiden sich voneinander nur durch Teilchengröße und Oberflächenausbildung. Und zwar liegt allen Erscheinungsformen des Siliciums ein D i a m a n t g i t t e r (Abstand Si--Si 2.34 Á) zugrunde. Das reine kristallisierte Silicium bildet dunkelgraue, undurchsichtige, stark glänzende, harte, aber spröde Oktaeder vom spezifischen Gewicht 2.33, Schmelzpunkt 1410° und Siedepunkt 2630°. Es leitet wie Graphit den elektrischen Strom; die Leitfähigkeit nimmt mit steigender Temperatur zu. Chemische Eigenschaften. Die feinverteilte Form des Siliciums reagiert naturgemäß leichter als die grobkristalline, welche nicht besonders reaktionsfähig ist (vgl. S. 380). An der L u f t verbrennt Sihcium erst bei sehr hoher Temperatur zu Siliciumdioxyd. Mit F l u o r vereinigt es sich schon bei Zimmertemperatur unter Feuererscheinung (Si + 2F 2 —>- SiF4), mit den übrigen H a l o g e n e n beim Erhitzen. S t i c k s t o f f verbindet sich bei 1400° mit Silicium unter Nitridbildung (Si3N4). Viele M e t a l l e gehen beim Erhitzen mit Silicium im elektrischen Schmelzofen in „Silicide" (intermetallische Verbindungen — S. 152f.—von Metall und Silicium; z.B. Ca2Si, CaSi, CaSi2) über. In allen S ä u r e n (einschließlich Flußsäure) ist Silicium praktisch unlöslich. Dagegen löst es sich sehr leicht unter Wasserstoffentwicklung in heißen L a u g e n : Si + 3H 2 0 —>• H2Si03 + 2H¡¡ unter Bildung von Silicat (Si0 3 ").
b. Wasserstoffverbindungen des Siliciums Darstellung. Der einfachste Siliciumwasserstoff, das „Monosilan" SiH4, entsteht mit 100%iger Ausbeute bei der Umsetzung ätherischer Lösungen von S i l i c i u m t e t r a c h l o r i d und L i t h i u m a l a n a t (vgl. S. 375f.): SiCl4 + LiAlHj >- SiH4 + LiAlCl4. In analoger Weise führt die Einwirkung von Lithiumalanat auf D i s i l i c i u m h e x a chlorid mit 90%iger Ausbeute zu „Disilan" Si 2 H 6 : 2SÌ.A, + 3LiAlH4 2 Si2He + 3LiAlCl4.
312
Die Kohlenetoffgruppe
Auch durch Zersetzimg von Magnesiumsilicid Mg2Si mit Säuren lassen sich Siliciumwasserstoffe gewinnen: Mg¡íSi + 4 H C 1 MgCI¡! + S i H i Besonders günstig wird hierbei die Ausbeute (75%), wenn man flüssiges Ammoniak als Reaktionsmedium und Bromwasserstoff als Säure verwendet. Außer Monosilan und Disilan — und Wasserstoff, dem Hauptreaktionsprodukt — entstehen bei dieser Darstellungsmethode in kleineren Mengen auch höhere Silicium W a s s e r s t o f f e , wie der deutsche Chemiker ALFRED STOCK (1876—1946) gezeigt hat, dem wir den Ausbau der Siliciumwasserstoffchemie verdanken: Si3H8 („Triailan"), Si4H10 („Tetraailan") und wahrscheinlich auch Si.H 12 (»Pcntasilan") und SigHy („Hexasilan"), also Silane von einer der Zusammensetzung der gesättigten aliphatischen Kohlenwasserstoffe CnH2n+2 (S. 293) entsprechenden Zusammensetzung SinH2n + 2 . Die Mengen der einzelnen Bestandteile nehmen dabei mit steigendem Molekulargewicht rasch ab; so enthält das beim Arbeiten mit wässeriger Salzsäure in 25%iger Ausbeute entstehende Silangemisch 40% SiH4, 30% Si2H6, 15% Si3H8, 10% Si 4 H l0 und 5 % höhere Silane.
Für η = oo geht die Formel Si n H 2n+2 der Siliciumwasserstoffe in die Grenzformel SiŒH 200+2 = [SiHJ M über. Dieses „Polysilen" läßt sich durch Zersetzung von Calciumsilicid CaSi mit wasserfreier Säure (Eisessig oder alkoholische Salzsäure) als hellbrauner, fester, an der Luft entzündlicher, wasserzersetzlicher Körper erhalten : CaSi + 2HCl —>• CaCl2 + SiH2. Es besitzt wohl einen kettenförmigen Aufbau: SiH 2 —SiH 2 —SiH 2 —SiH 2
.
Ebenso ist auch ein „Polysilin" (SiH) œ bekannt (vgl. S. 339). Physikalische Eigenschaften. Mono- und Disilan sind Gase (SiH 4 : Smp. —184.7°, Sdp. —111.8°; Si2H6: Smp. —132.5°, Sdp. —14.5°), Tri- und TetrasilanFlüssigkeiten (Si3H8: Smp. —117.4°, Sdp. +52.9°; Si4H10: Smp. —93.5°, Sdp. +85°). Die Beständigkeit der Verbindungen nimmt mit steigender Zahl der Siliciumatome ab. Während Monosilan bei Luft- und Feuchtigkeitsabschluß erst bei Rotglut und Disilan erst gegen 300° in Silicium und Wasserstoff zerfällt, zersetzen sich Penta- und Hexasilan schon bei Zimmertemperatur so leicht, daß ihre Reindarstellung bis jetzt noch nicht gelungen ist. Chemische Eigenschaften. Chemisch sind die Silane durch ihre E m p f i n d l i c h k e i t gegenüber L u f t und Wasser charakterisiert, wobei die Reaktionsheftigkeit vom Mono- zum Hexasilan hin stark zunimmt. An der L u f t verbrennen sie mit heftigem Knall zu S i l i c i u m d i o x y d : SiH 4 + 20 2 — > - Si0 2 +
2H20.
Wasser zersetzt sie — vor allem bei Gegenwart von Alkali — zu Kieselsäure und Wasserstoff: , xx „ ^ „.„ , ΑτΓ SiH4 + o2HjO >• Si02 + 4Hj. Durch Einwirkung von H a l o g e n oder H a l o g e n w a s s e r s t o f f en lassen sich die Wasseretoffatome der Reihe nach durch Halogenatome austauschen: ^ S i - j - H -f- Η · Χ — >- ^ S i — X + H 2 . Die entstehenden H a l o g e n s u b s t i t u t i o n s p r o d u k t e wie SiH3CÌ (Smp. —118°, Sdp. — 30.4°), SiHjCl, (Smp. —122°, Sdp. + 8.3°), SiHCI3 („Silico-chloroform"; Smp. —127°, Sdp. 31.8«) und SiCl4 (Smp. — 70°, Sdp. 57.6°) werden durch W a s s e r unter Abspaltung von Halogenwasserstoff und Einführung von Sauerstoffatomen schnell zersetzt: SiH 3 -fCl + H-T-O-J-H + Cl-4-SiHj — S 1 H 3 — O — S i H 3 + 2 HCl SiH2==Cl3 + H 2 jO
>• S i H 2 = 0 + 2HCl
0|H2 + a 2 ==SiH-f-Cl + H-j-O-i-H + Cl-j-SiH=Cl 2 + H 2 jO — > - 0 = S i H — O — S i H = 0 + 6HC1
0;H 2 + C12=FSÍ=FC12 + H 2 ;0
ν 0 = S i = 0 + 4 HCl.
Das Silicium
313
Die entstehenden Silioium-Wasserstoff-Sauerstoff-Verbindungen, welche „Siloxane" genannt werden (SiH s · 0 · SiH 3 : Disil-oxan; SiH 2 0: Sil-oxan oder Prosiloxan; SiHO· 0 · SiHO: Dioxo-disil-oxan), p o l y m e r i s i e r e n sich sofort, falls sie D o p p e l b i n d u n g e n enthalten (vgl. S. 184). So ist ζ. B. das D i s i l o x a n (SiH 3 ) 2 0, daa dem M e t h y l ä t h e r (CH 3 ) 2 0 (II, S. 56) der Kohlenstoffchemie entspricht und daher auch als „Silico-methyläther" bezeichnet wird, ein bei Zimmertemperatur und Sauerstoffausschluß unverändert haltbares, monomeres, farbloses G a s (Smp. — 144°, Sdp. — 15.2°), während das dem F o r m a l d e h y d CH,Ο (II, S.104f.) entsprechende gasförmige P r o s i l o x a n („Silico-formaldehyd") SiH a O, das D i o x o d i s i l o x a n SiHO—0—SiHO („Silico-ameisensäure-anhydrid") und das S i l i c i u m d i o x y d Si0 2 infeste, farblose, hochpolymere Körper übergehen (vgl. S. 317 ff. und 322 f.). Ganz entsprechend wie die S i l o x a n - G r u n d k ö r p e r verhalten sich die durch Austausch der Wasserstoffatome H gegen Kohlenwasserstoffreste (Alkylgruppen) R davon abgeleiteten „Älkylsiloxane" B 2 SiO, R,Si 2 0 3 usw. Ihre Polymerisationsprodukte spielen technisch als „Silicone" (S. 322f.) eine immer bedeutsamer werdende Bolle.
c. Halogenverbindungen des Siliciums Silicium bildet eine Reihe von H a l o g e n v e r b i n d u n g e n der allgemeinen Zusammensetzung Si^Xjn+g, welche sich von den entsprechenden S i l a n e n durch Ersatz aller Wasserstoffatome durch Halogenatome ableiten. Der Index η kann dabei ζ. B. die Werte 1 (SiCl4), 2 (Si2Cle), 3 (Si3Cl8), 4 (Si4Cl10), 10 (Sil0Cl22), 25 (Si25Cl52) oderoo (SiœC^oo+2 = [SiCl2] χ) annehmen. Die e i n f a c h e n Glieder SiX 4 erhält man durch direkte V e r e i n i g u n g der E l e m e n t e : Si + 2 C 1 8 — S i C l 4 , die h ö h e r e n durch H a l o g e n e n t z u g aus den niederen. Läßt sich dieser Halogenentzug — wie beim C h l o r i d — nur bei h o h e r T e m p e r a t u r durchführen, so muß man die Beaktionsprodukte gleich nach der Entstehung rasch auf t i e f e T e m p e r a t u r e n a b s c h r e c k e n , da die höheren Halogenide als endotherme Verbindungen mit fallender Temperatur unbeständiger werden und daher bei mittelhohen Temperaturen leicht zerfallen (S. 314), während sie bei gewöhnlicher Temperatur wegen der zu kleinen Z e r f a l l s g e s c h w i n d i g k e i t metastabil sind: 3SiCl 4 + Si 2Si 2 Cl e ; 10SiCl4 A b 3 C ^ f o h T > Si10Cl22 + 9C12; 25SiCl 4
A b a
f-r
h
V Si 2 ,Cl si + 24Cl,; SiCl4 + H 2
G mmePtladl n
"
' g > (SiCl 2 ) x + 2HC1.
Ist der Halogenentzug — wie beim J o d i d — bei n i e d r i g e r T e m p e r a t u r durchführbar, so arbeitet man von vornherein bei m ö g l i c h s t t i e f e r T e m p e r a t u r , um das gebildete höhere Halogenid als metastabile Verbindung vor anschließender Zersetzung zu bewahren: 2 Si J 4 + 2Ag ? « ° z ^ S i 2 J e + 2AgJ. X = F Typus SiX 4
Typus SijX,
X = Cl
I
X = Br
X = J
Farbloses Gas Farblose Flüssigkeit Farblose Flüssigkeit Farblose Kristalle Smp. 5.2» Smp. 120.5» Smp. — 90.2° Smp. - 70° Sdp. 152.8» Sdp. 287.5» Sblp. - 95.7° Sdp. + 57.6° Farbloses Gas Farblose Flüssigkeit Farblose Kristalle Farblose Kristalle Smp. 2.5» Smp. 95° Smp. — 18.7° Smp. 250» Sdp. 147° Sdp. ~ 240» Sblp. - 19.1»
Typus SijXj
Farblose Flüssigkeit Farblose Kristalle Smp. - 6 7 » Sdp. ~ 215°
Typus Si4X10
Farblose Flüssigkeit Farblose Kristalle Sdp. (15 mm) 150°
Typus Siu,X22
Farbloses, zähes Ol Sdp. (Hochvakuum) 215°
Typus Si M X„
Farbloses, plastisches, dehnbares Harz
Typus [SiX 2 ] 00
Fester weißer Stoff
314
Die Kohlenstoffgruppe
Da die Beständigkeit der Siliciumhalogenide vom Jodid zum Fluorid hin zunimmt, lassen sich die Jodide leicht in die Bromide und Chloride, die Chloride leicht in die Fluoride umwandeln usw.: Si 2 J e + 3Br 2 >- Si 2 Br e + 3 J 2 ; Si2Cl6 + 3ZnF 2 >- Si 2 F e + 3ZnCl 2 .
In vorstehender Tabelle (S.313) sind die E i g e n s c h a f t e n einer Reihe von Siliciumhalogeniden zusammengestellt. Alle Verbindungen werden von W a s s e r schon bei gewöhnlicher Temperatur rasch unter Bildung von K i e s e l s ä u r e , H a l o g e n w a s s e r s t o f f und gegebenenfalls ( n > l ) W a s s e r s t o f f zersetzt : S^Xan+a + 2nH 2 0 — n S i 0 2 + (2n + 2)HX + (n — 1)H 2 . Die höheren Glieder d i s p r o p o r t i o n i e r e n sich beim Erhitzen in h a l o g e n r e i c h e r e und h a l o g e n ä r m e r e Körper. So bildet sich bei der thermischen Zersetzung von Si]0Cl22 bei Cl . v Cl ySiv Cl ySi v Cl ySiv 300° in inerter Gasatmosphäre neben den chlorX ^SKCIXSKCIC1 SK reicheren Verbindungen SiCl4, Si2Cle , Si3Cl8 und I I 1 , 1 Si4Cl10 eine feste, gelbe, chlorärmere Substanz ySi v Cl .Siv Cl ySU Cl ySi X der Zusammensetzung (SiCl)« („Siliciummono/ Cl\Si ' C l \SK C l ^ S K C O chlorid"), der im Einklang mit ihrer blättrigen ySiv Cl ySiv xCl 1 x Struktur und in Analogie zum Kohlenstoffmono'Cl^SK c i s / c i fluorid (CP)a, (S. 289) wahrscheinlich die nebenstehende Molekularstruktur zukommt. In analoger Weise ist durch Erhitzen von Si 2 J 6 ein glänzend orangeroter, schuppiger Körper der Zusammensetzung (SiJ) œ („Siliciummonojodid") gewinnbar. Im folgenden sei nur das S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d näher beschrieben: Siliciumtetrafluorid S1F4. Siliciumtetrafluorid ist bequemer als durch Synthese aus den Elementen (Si + 2 F 2 — > SiP 4 + 360 kcal) durch Einwirkung von F l u ß säure auf S i l i c i u m d i o x y d : Si0 2 + 4 H F T ^
SiF 4 + 2H¡¡0
(1)
bei Gegenwart w a s s e r e n t z i e h e n d e r Mittel (Verschiebimg des Gleichgewichtes (1) zugunsten der SiF4-Bildung) zugänglich. In der Praxis verfährt man zweckmäßig so, daß man auf ein Gemisch von gepulvertem C a l c i u m f l u o r i d (Flußspat) CaF2 und Q u a r z s a n d Si0 2 konzentrierte S c h w e f e l s ä u r e einwirken läßt, wobei letztere zunächst Flußsäure in Freiheit setzt (CaF2 + H 2 S0 4 — C a S 0 4 + 2 HF) und dann als wasserentziehendes Mittel die obige Umsetzung (1) zwischen Si0 2 und HF begünstigt. Auch auf S i l i c a t e , d. h. die Salze der sich vom Anhydrid Si0 2 ableitenden Kieselsäuren, wirkt die Flußsäure unter Bildung von gasförmigem S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d ein. Hierauf beruht einerseits die ä t z e n d e W i r k u n g der Flußsäure auf Glas (S. 96), andererseits die Entfernung von Silicium aus Silicaten durch ,,Abtauchen mit Flußsäure" zwecks nachfolgender a n a l y t i s c h e r B e s t i m m u n g der in den Silicaten enthaltenen Metalle.
Siliciumtetrafluorid ist ein farbloses, an feuchter Luft stark rauchendes Gas von stechendem und erstickendem Geruch. Führt man es durch starke Abkühlung in den festen Zustand über, so sublimiert es beim Erwärmen unter 1 Atmosphäre Druck bei —95.7°; unter 2 Atmosphären Druck schmilzt es vor dem Übergang in den gasförmigen Zustand bei —77° zu einer Flüssigkeit, welche unter 181 cm Quecksilberdruck bei —65° siedet. Als stark exotherme Verbindung (s. oben) ist Siliciumtetrafluorid sehr b e s t ä n d i g und bei Ausschluß von Feuchtigkeit recht r e a k t i o n s t r ä g e . Dagegen wird es in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) von W a s s e r leicht unter Abscheidung gallertartiger K i e s e l s ä u r e und Bildung von F l u ß s ä u r e hydrolytisch zersetzt, wobei sich die Flußsäure mit noch unverändertem Siliciumtetrafluorid zu „Fluokieselsäure" H 2 [SiF 6 ] vereinigt: SiF 4 + 2 HF
H 2 [SiF e ],
Dae Silicium
315
Wegen dieser — insgesamt durch die Gleichung 3SiF 4 + 2 H 2 0 —>- Si0 2 + 2H 2 SiF e wiederzugebenden — Zersetzung durch Wasser kann Siliciumtetrafluorid bei der Darstellung nicht über Wasser, sondern nur über Quecksilber aufgefangen werden. Fluokieselsäure H 2 [SiF 6 ]. Die auf dem ebengenannten Wege durch Einwirkung von S i l i c i u m f l u o r i d auf W a s s e r — auch technisch — zugängliche F l u o k i e s e l s ä u r e H 2 [SiF e ] ist i n r e i n e m , w a s s e r f r e i e m Z u s t a n d e n i c h t b e k a n n t . Stellt man sie durch Einwirkung konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e auf ihre S a l z e (,,Fluosilicate") wasserfrei d a r : Ba[SiF e ] -f H 2 S 0 4 — > - B a S 0 4 + H 2 [SiF„], so erfolgt weitgehender Z e r f a l l unter Bildung von S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d und F l u o r w a s s e r s t o f f (H 2 SiF e —>• SiF 4 + 2 H F ) . I n wässeriger Lösung treten dagegen keine merklichen Mengen freier Flußsäure auf, so daß die Lösung Glas nicht ätzt. Kühlt man konzentriertere Lösungen ab, so scheidet sich unter anderem ein D i h y d r a t der Fluokieselsäure in Form farbloser harter Kristalle vom Schmelzpunkt 19° ab. Beim Eindampfen wässeriger Fluokieselsäurelösungen entweicht sowohl S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d als auch F l u o r w a s s e r s t o f f . Ist die Lösung 13.3%ig, so enthält der Dampf gerade 2 H F auf lSiF 4 , so daß die Fluokieselsäure scheinbar unzersetzt destilliert. Bei größeren Konzentrationen geht mehr SiF 4 , bei kleineren mehr H F in den Dampf über. Dampft man daher eine k o n z e n t r i e r t e Fluokieselsäurelösung ein, so reichert sich die zurückbleibende Lösung an F l u ß s ä u r e an und vermag daher Glas zu ätzen und Siliciumdioxyd aufzulösen. Aus einer v e r d ü n n t e n Fluokieselsäurelösung scheidet sich beim Eindampfen umgekehrt S i l i c i u m d i o x y d aus, da sich hier das S i l i c i u m t e t r a f l u o r i d anreichert, welches von Wasser hydrolysiert wird.
Die Fluokieselsäure ist eine s t a r k e S ä u r e , welche mit Hydroxyden oder Carbonaten linter Bildung von F l u o s i l i c a t e n Meó[SiF e ] reagiert. Die Fluosilicate — die auch durch direkte Vereinigung der Komponenten zugänglich sind (SiF 4 + 2MeF —>Me 2 [SiF e ])—sind meist wasserlöslich. Schwerlöslich sind die Fluosilicate der A l k a l i m e t a l l e (außer Lithium) und das B a r i u m f l u o s i l i c a t . Die Fluokieselsäure und ihre Salze sind g i f t i g und werden als bakterien- und insektentötende Mittel angewandt.
d. Sauerstoffverbindungen des Siliciums α. Siliciumdioxyd Vorkommen. Das Siliciumdioxyd ist in der N a t u r w e i t v e r b r e i t e t und findet sich hier sowohl in k r i s t a l l i s i e r t e r wie in a m o r p h e r Form. K r i s t a l l i s i e r t kommt es in drei verschiedenen Kristallarten v o r : als „Quarz", als „ T r i d y m i t " und als „Cristobalit". Die häufigste Erscheinungsform ist dabei der Q u a r z . A b a r t e n des Quarzes sind ζ. B. „Bergkristall" (wasserklar), „Rauchquarz" (braun), „Amethyst" (violett), „Citrin" (gelb), „ M o r i o n " (schwarz), „Rosenquarz" (rosa). Schönkristallisierte Stücke hiervon dienen als S c h m u c k s t e i n e . Weiterhin findet sich Quarz als Gemengebestandteil zahlreicher G e s t e i n e (ζ. B. Granit, Gneis, Glimmerschiefer, Sandstein, Quarzsand). I n a m o r p h e r F o r m kommt Siliciumdioxyd w a s s e r h a l t i g als „Opal" und e r d i g als „Kieselgur" vor. Gealterte (wasserärmere) O p a l e sind der „Chalcedon" und seine Abarten („Achat", „Onyx", „Karneol", „Chrysopras", „Heliotrop", „Jaspis", „Feuerstein"), die bereits k r i s t a l l i n e Struktur erkennen lassen und ebenfalls als S c h m u c k s t e i n e Verwendung finden. K i e s e l g u r besteht aus den Kieselpanzern vorzeitlicher Infusorien (Diatomeen) und wird daher auch „Infusorienerde" genannt. Physikalische Eigenschaften. Siliciumdioxyd existiert in mehreren e n a n t i o t r o p e n M o d i f i k a t i o n e n . Die s t a b i l e n Modifikationen sind: tx-Quarz {„Niederquarz"), ß-Quarz („Hochquarz"), ß-Tridymit und ß-Cristobalit. Die Umwandlungspunkte liegen, wie Fig. 108 zeigt, bei folgenden Temperaturen : _575« 870° _> 1470" 1705° > ex- Quarz
- H 2 SiF e + 2H 2 0), kaum angegriffen, und auch wässerige A l k a l i e n wirken selbst beim Kochen nur langsam ein. Beim V e r s c h m e l z e n mit A l k a l i e n entstehen A l k a l i s i l i c a t e , z . B . : Si02 + 2NaOH >- Na2SiOs + H 2 0. F r i s c h h e r g e s t e l l t e s , amorphes „Siliciumdioxyd" ist r e a k t i o n s f ä h i g e r und löst sich beispielsweise in L a u g e n auf. Bewahrt man es einige Zeit auf oder trocknet man es oder erhitzt man es auf höhere Temperatur, so verliert es diese Alkalilöslichkeit, es „altert". Die „Alterung" beruht (s. unten) auf einer Kondensation der im frischen Produkt vorliegenden n i e d e r m o l e k u l a r e n K i e s e l s ä u r e n zu h ö h e r m o l e k u l a r e n Komplexen. ß. Kieselsäuren. Silicate Molekularstruktur. Zersetzt man eine Verbindimg des Typus SiX 4 , ζ. B. SiCl4, mit Wasser, so bildet sich primär die „Orthokieselsäure" Si(OH) 4 : SiCl4 + 4HÖH >- Si(OH)4 + 4HC1. Die Orthokieselsäure ist aber nur bei einem p H -Wert von 3.20 einige Zeit beständig; bei g r ö ß e r e n und k l e i n e r e n pg-Werten spaltet sie W a s s e r ab. Die Wasserabspaltung erfolgt nicht wie bei der Orthokohlensäure i n t r a m o l e k u l a r :
esx
OH
0
(a)
-
C
/;OH \'Ö1H
• 0 = C = 0,
(b)
(1)
(c)
sondern i n t e r m o l e k u l a r , d. h. zwischen zwei v e r s c h i e d e n e n M o l e k ü l e n ; denn Silicium besitzt nicht wie der Kohlenstoff die Neigung zur Ausbildung von D o p p e l b i n d u n g e n (vgl. S. 184). Als e r s t e s K o n d e n s a t i o n s p r o d u k t tritt so die Orthodikieselsäure („Fyrokieselsäure") H 6 Si 2 0 7 auf (vgl. die entsprechende Kondensation bei der Phosphorsäure; S. 262): OH
OH
OH
OH
HO—k-l-OH + HÎO—Ii—OH —>- HO—¿i—0—SÌ—OH. ¿H OrthokieselsÄure
¿H OrthokieselßÄure
(2)
¿H ¿H Ortho-düdesels&nre
W e i t e r e K o n d e n s a t i o n unter Wasseraustritt führt auf dem Wege über „Polykieselsäuren" H 2 n + 2 Si n 0 3n + 1 zur Bildung von „Metakieselsäuren" der Bruttozusammensetzung H 2 SiO s :
Die Kohlenstoffgruppe
318 OH ! ;
OH! I · -0—Si—4—o—si—!— -0—Si—1—- 0 — S i - ! - 0—Si—J— , : ι : ' ι :
AH!
OH; ι :
AH!
OHi ;
Ah!
OH ι !
Ah!
(3)
Ah!
deren Moleküle bei kleiner Gliederzahl η (ζ. Β. η = 3 oder 4 oder 6) zu einem Ring geschlossen sind: [H2Si03]3, [H2Si03]4, [H2Si03]6, bei großem η ( = oo) dagegen als offene, an den Enden wahrscheinlich durch die Elemente des Wassers abgesättigte K e t t e n vorliegen: H 200 ,^ΐοοΟ^+ι = [HaSiC^]»· Metakohlensäure H2C03 ( l b ) und Metakieselsäure H 2 Si0 3 (3)besitzen also trotz ihrer analogen Bruttozusammensetzung ganz verschiedene Strukturformeln, was sich im Einklang mit der Doppelbindungsregel (S. 184, 262) befindet. Wie aus den bisherigen Formeln hervorgeht, weist das Silicium in allen diesen Fällen die Koordinationszahl4 auf, da jedes Siliciumatom von vier Δ Sauerstoffatomen umgeben ist. Wie früher schon erwähnt Orfhokiesp!säure (S. 149f.), bilden diese vier Ortho - dis i//cate Si¡ 0," Orthosi/icate SiO¥"" Atome die Ecken eines T e t r a eders, in dessen M i t t e l punkt sich das Zentralatom, hier also das Silicium, befindet. Wir können daher, wenn wir für jede Si04-Gruppierung ein Tetraeder zeichη--6 n=3 π *00 nen, die bisher behandelten Meiakiese/säuren (H¡,3i03)„ Typen von Kieselsäuren (bzw. Metasi/icate (S/O, ")n ihrer Salze) auch durch nebenstehende Bilder (Fig. 109) verPig. 109. Beispiele für die Tetraeder-Anordnung einfacher anschaulichen. Kieselsäuren
Kem Kiese/saune s;o3] Siiicate ^fSi03"J (a)
Banci Kieselsäure oofa su onJ Si/icate - [Sn(OH)„]". Anwendung. Wegen seiner Beständigkeit an feuchter Luft und gegen schwache Säuren und Alkalien wird Zinn zum Überziehen anderer Metalle verwendet, die in dieser Hinsicht weniger beständig sind. So wird vor allem E i s e n b l e c h verzinnt, um es vor dem Rosten zu schützen (vgl. S. 456) ; es heißt dann „Weißblech" oder im gewöhnlichen Sprachgebrauch auch schlechthin „Blech". Die Verzinnung wird einfach in der Weise ausgeführt, daß man das mit verdünnter Schwefelsäure gereinigte Eisenblech in geschmolzenes Zinn eintaucht. Während r e i n e s Z i n n heute nur noch wenig benutzt wird, sind Zinnlegierungen vielfach in Gebrauch. Wichtige Zinnlegierungen sind ζ. B. die Bronzen, das Britannia· metall, das Weichlot und zahlreiche Lagermetalle. Lagermetalle sind Legierungen, aus denen die Achsenlager für Maschinenwellen usw. hergestellt werden. Ihr Hauptbestandteil kann Zinn oder Kupfer oder Blei sein. Die Zinn- oder W e i ß g u ß - L a g e r m e t a l l e (über die Blei- und Kupfer-Lagermetalle vgl. S. 348 bzw. S. 434) enthalten 50—90°/o Zinn, 7—20°/o Antimon und meist einige Prozente Kupfer. Das Weichlot oder Schneilot besteht aus 40—70% Zinn und 60—30% Blei. Man benutzt es wegen seiner leichten Schmelzbarkeit (den niedrigsten Schmelzpunkt von 181° besitzt eine Legierung von 64% Sn und 36% Pb) zum L ö t e n , d. h. zum metallischen Verbinden von Metallteilen. Zum Löten von Gefäßen wie Konservendosen, die zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln dienen, dürfen wegen der Gesundheitsschädlichkeit des Bleis nur Lote mit höchstens 10% Blei verwendet werden. Unter Britanniametall versteht man Legierungen von 88—90% Zinn, 10—8% Antimon und 2 % Kupfer. Sie dienen zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen wie ζ. B. Tischgeschirr. Die Bronzen sind Kupfer-Zinn-Legierungen und werden beim Kupfer besprochen (S. 434). b. Zinn(II)-Verbindungen Zinn (II)-chlorid SnClj wird technisch durch Lösen von Zinn-drehspänen in Salz s ä u r e dargestellt : ^ ^ gn + 2 Η α + Es kristallisiert aus der wässerigen Lösung wasserhaltig als SnCl2 · 2H¡¡0 {„Zinnsalz") in klaren Kristallen vom Schmelzpunkt 40.5°. In Wasser ist es sehr leicht löslich. Die konzentrierte wässerige Lösung ist klar; beim V e r d ü n n e n trübt sie sich infolge
Das Zinn
343
Ausscheidung von basischem S a l z : SnCl2 + H 2 0 ^zL· Sn(OH)Cl + HCl. Wegen dieser leicht eintretenden Hydrolyse kann man das Hydrat nicht durch einfaches Erhitzen entwässern; die Entwässerung muß vielmehr im Chlorwasserstoffstrom (Verschiebung des Hydrolysegleichgewichts nach links) bei Rotglut erfolgen. Direkt erhält man das wasserfreie Zinn(II)-chlorid, wenn man Zinn im Chlorwasserstoffstrom erhitzt. Es bildet eine weiße, fettglänzende Masse vom Schmelzpunkt 247° und Siedepunkt 605°. In der Nähe des Siedepunktes zeigt die Dampfdichte teilweise Assoziation der Moleküle an; oberhalb 1100° liegen nur SnCl2-Moleküle vor. Die hervorstechendste Eigenschaft des Zinn(II)-chlorids ist sein starkes Reduktionsvermögen. Diese reduzierende Wirkung beruht auf der großen Neigimg des zweiwertigen Zinns, in die vierwertige Stufe überzugehen: Sn" —>• Sn"" + 2 Θ. So fällt es ζ. B. Gold, Silber und Quecksilber aus den Lösungen ihrer Salze als Metalle aus (Hg" + 2 © —>• Hg). Reicht seine Menge nicht aus, so reduziert es die Salze des zweiwertigen Quecksilbers zu solchen des einwertigen (Hg" + θ —>• Hg'). In gleicher Weise reduziert es in saurer Lösimg Eisen(III)-salze zu Eisen(II)-salzen (Fe'" + θ —>- Fe"), Arsenate zu Arseniten (AsO/" + 2H' + 2 © —s- As0 3 "' + H 2 0), Chromate zu Chrom(III)-salzen (Cr0 4 " + 8H' + 3©—>- Cr'" + 4H 2 0), Permanganate zu Mangan(Il)-salzen (Mn04' + 8 H ' + 5 © — ^ M n " + 4 H 2 0 ) , schweflige Säure zu Schwefelwasserstoff (H 2 S0 3 + 6 H ' + 6© —>- H 2 S + 3H 2 0). Durch Luftsauerstoff wird es in salzsaurer Lösung langsam zu Zinn(IY)-chlorid oxydiert: SnCl2 + 2 HCl + V202 SnCl4 + H 2 0. Durch Zusatz von metallischem Zinn zu der Lösimg wird diese Oxydation verhindert (SnCl4 + Sn — ^ 2SnCl2). Zinn(H)-hydroxyd Sn(0H) 2 fällt als weißer, in Wasser sehr schwer löslicher Niederschlag aus, wenn man eine Zinn(II)-salz-lösung mit wenig Alkalihydroxyd Sn" + 2 OH' >- Sn(OH)a. Die Verbindung löst sich sowohl in Säuren wie in Alkalien, zeigt also sowohl basischen wie sauren Charakter. Man nennt solche Hydroxyde „amphotere" Hydroxyde. Beim Auflösen in Säuren entstehen Zinn{II)-salze: Sn(OH)2 + 2H· Sn" + 2HaO. Beim Auflösen in starken Basen werden „Stannite" gebildet (vgl. S. 373) : Sn(OH)2 + OH' >- [Sn(OH)a]' oder Sn(OH)2+ 20H' >- [Sn(OH)«]". Auch die S t a n n i t e besitzen starkes Reduktionsvermögen, da sie die Neigung haben, in S t a n n a t e (mit vierwertigem Zinn) überzugehen: [Sn(OH)4]" + 2OH' •—>- [Sn(OH)„]" + 2 ©. Zinn(II)-oxyd SnO. Beim Erwärmen unter Luftabschluß (ζ. B. im Kohlendioxydstrom) geht das Zinn(II)-hydroxyd leicht in das Zinn(II)-oxyd, ein blauschwarzes Pulver, über. Beim Erhitzen an der Luft entzündet sich dieses Oxyd und verbrennt zu weißem Zinndioxyd Sn0 2 . Zinn(II)-sulfid SnS fällt beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in Zinn(II)salz-lösungen als dunkelbrauner Niederschlag aus: Sn" + S" — S n S . Beim Schmelzen von Zinn mit S chwef el kann die Verbindung als blaugraue, kristalline Masse erhalten werden. Im Wasserstoffstrom ist Zinn(II)-sulfid unzersetzt sublimierbar. Kristallisiert bildet es metallglänzende Blättchen vom Schmelzpunkt 882° und Siedepunkt ~ 1230°.
VerSetZt:
344
Die Kohlenstoffgroppe
c. Zinn(IV)-Verbindungen Zinnwasserstoff SnH4 („Stannan") läßt sich durch Zersetzen von M a g n e s i u m , s t a n n i d Mg2Sn mit S a l z s ä u r e : Sn"" + 4H·
>- SnH 4
oder durch Behandeln von Z i n n s a l z l ö s u n g e n mit n a s z i e r e n d e m W a s s e r s t o f f (z. B. Eintragen von Magnesiumpulver in saure Zinnsulfatlösung oder — besser — kathodische Reduktion von Zinnsalzlösungen an Bleielektroden) : Sn" + 6H
ν SnH 4 + 2ΙΓ
darstellen. Bei allen diesen Reaktionen entweicht in der Hauptsache W a s s e r s t o f f , dem geringe Mengen Z i n n w a s s e r s t o f f beigemengt sind. Mit besserer Ausbeute (20%) entsteht Zinnwasserstoff bei der Umsetzung von Z i n n t e t r a c h l o r i d mit ätherischen Lösungen von L i t h i u m a l a n a t : SnCl4 + 4 LiAlH4
ν SnH4 + 4 LiCl + 4 A1H3.
Die Reaktion verläuft auf dem Wege über einen Zinn - aluminium - Wasserstoff SnH4 · 4A1H3 = Sn(AlH4)4 („Zinnalanat"), der sich bei —60° isolieren läßt und oberhalb —40° in Zinnwasserstoff (bzw. Zinn und Wasserstoff) und Aluminiumwasserstoff zerfällt.
Der Zinnwasserstoff ist in reinen Glasgefäßen bei gewöhnlicher Temperatur tagelang haltbar. Beim Erwärmen auf 150° zersetzt er sich unter Bildung eines Zinnspiegels: SnH 4
ν Sn + 2 H t .
Der Schmelzpunkt der Verbindung liegt bei —150°, der Siedepunkt bei —52°. Zinn(IY)-chlorid SnCl4 wird technisch durch Behandeln von Weißblechabfällen mit Chlor dargestellt : S n + 2C12 — ^ SnCl4. Es stellt eine farblose, an der Luft stark rauchende, nach dem Entdecker auch „Spiritus fumans Libavii" genannte Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 2.229 (20°) dar, die bei — 36° erstarrt und bei 114° siedet. Beim Zusammenbringen mit wenig Wasser oder beim Stehenlassen an feuchter Luft geht sie in eine halbfeste, kristallisierte Masse der Zusammensetzung SnCl4 · 5H 2 0 {„Zinnbutter"·, Smp. ca. 60°) über. Die w ä s s e r i g e L ö s u n g des Zinntetrachlorids ist weitgehend h y d r o l y t i s c h gespalten : SnCl4 + 2H 2 0 Sn0 2 + 4HC1. Das dabei entstehende Z i n n d i o x y d bleibt kolloid in Lösung. Leitet man in konzentrierte wässerige Z i n n t e t r a c h l o r i d - l ö s u n g C h l o r w a s s e r stoff ein, so lagern sich je Mol SnCl4 2Mol HCl an: SnCl4 + 2 HCl
V H2[SnCl„].
Die dabei entstehende Hexachloro-zinnsäure H2[SnCle] kristallisiert aus der Lösimg in Form blätteriger Kristalle der Zusammensetzung H2SnCle · 6H 2 0 (Smp. 19.2°). Unter den Salzen der Säure (Hexachloro-stannate) ist vor allem das A m m o n i u m s a l z (NH 4 ) 2 [SnQ e ] („Pinksalz") erwähnenswert, das in der Färberei als Beizmittel dient. Auch viele a n d e r e S t o f f e wie ζ. B. Ammoniak, Phosphorwasserstoff, Phosphorpentachlorid, Phosphoroxychlorid, Schwefeltetrachlorid vermögen sich an Zinntetrachlorid a n z u l a g e r n . Zinn(IV)-fluorid, -bromid, -jodid sind durch direkte Vereinigung des Z i n n s mit dem entsprechenden H a l o g e n erhältlich: Sn + 2X2 —>• SnX 4 . B r o m reagiert schon bei gewöhnlicher Temperatur, J o d bei gelindem Erwärmen. Mit F l u o r reagiert Zinn bei gewöhnlicher Temperatur nicht merklich; dagegen erfolgt bei 100° unter Feuererscheinung eine sehr heftige Reaktion. Einfacher gewinnt man das Zinn(IV)-fluorid durch Eintragen von Zinn(IV)-chlorid in wasserfreie F l u ß s ä u r e : SnCl 4 -f-4HF SnF 4 -f- 4HCl. Alle drei Halogenide sind feste, kristallisierte Stoffe (SnF 4 : Sblp 705°; SnBr 4 : Smp. 33°, Sdp. 203°; SnJ 4 : Smp. 146°, Sdp. 346°) und bilden wie Zinn(IV)-chlorid mit den
Das Zinn
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Halogeniden der Alkalimetalle Hexahalogeno-stannate Me 2 [SnX e ]. Zinn(IV)-fluorid bildet darüber hinaus mit Ammoniumfluorid ein Oktafluo-stannat (NH4)4[SnPg]. Zinndioxyd SnOg kommt in der Natur als tetragonal kristallisierter Zinnstein (Kassiterit) vor. Technisch wird es durch Verbrennen von Zinn im L u f t s t r o m hergestellt. Es stellt ein in Wasser, Säuren und Alkalien unlösliches weißes Pulver dar, das oberhalb 1800° sublimiert. Da es Glasflüsse milchigweiß trübt und chemisch sowie thermisch sehr widerstandsfähig ist, findet es technisch ausgedehnte Verwendung zur Herstellung weißer Glasuren und Emaillen. Zinnsäuren; Stannate. Schmilzt man Zinndioxyd mit N a t r i u m h y d r o x y d oder Natriumoxyd, so geht es in N a t r i u m s t a n n a t über: Sn02 + Na20 >- Na2[Sn03]. Aus der konzentrierten wässerigen Lösung der Schmelze kristallisiert ein leichtlösliches Salz der Zusammensetzung Na 2 Sn0 3 · 3H 2 0 aus. Wie die röntgenometrische Strukturbestimmung zeigt, kommt diesem Salz die Konstitution Na2[Sn(OH)e] zu. Es entspricht also in seinem Aufbau den Hexachloro-stannaten und ist als Natrium-hexahydroxostannat zu bezeichnen. Unter dem Namen „Präpariersalz" wird es in der Färberei als Beizmittel verwendet. Analoge Zusammensetzung und Struktur besitzt das gut kristallisierende Kaliumstannat K 2 [Sn(OH) e ]. Durch Umsetzung mit löslichen Calcium-, Strontium- oder Bleisalzen lassen sich hieraus die entsprechenden Calcium-, Strontiumund Bleisalze Me11 [Sn(OH)6] gewinnen. Die den Hexahydroxo-stannaten entsprechende Zinnsäure H2[Sn(OH)e] ist in freiem Zustande nicht bekannt. Versetzt man Alkalis tanna t-lösungen mit Säuren, so erhält man weiße, voluminöse, in Säuren und Alkalien lösliche Niederschläge Sn0 2 · nH 2 0, die den Charakter von Gelen (S. 329) besitzen und wechselnde Mengen Wasser enthalten. Es ist möglich, daß diese Niederschläge bei frischem Ausfällen zunächst die obige Zusammensetzung H g Sn0 6 besitzen, die sich ganz an die Formeln H7SbOe, HgTeOj und H 6 JO e der Sauerstoffsäuren der im Periodensystem rechts an das Zinn angrenzenden Elemente anschließt. Bei längerem Stehen, schneller beim Erwärmen erfolgt aber zunehmende Wasserabspaltung, die ähnlich wie bei den Kieselsäuren (vgl. S. 317ff.) über die Stufe einer Orthozinnsäure H 4 Sn0 4 , Ortho-dizinnsäure HgSnjO,, Meta-zinnsäure [H 2 Sn0 3 ] n und Meta-dizinnsäure oo[H 2 Sn 2 0 5 ] hinweg schließlich zum Zinndioxyd oo[Sn0 2 ] führt. Parallellaufend mit der Wasserabspaltung werden die Verbindungen mehr und mehr in Säuren unlöslich. Früher nannte man die frischen, in Säure löslichen, niedermolekularen Niederschläge ,,αZinnsäure" {„α-Ζinnsäure") oder gewöhnliche Zinnsäure, die gealterten, in Säure unlöslichen, hochmolekularen Niederschläge „ß-Zinnsäure" (,,b-Zinnsäure") oder Metazinnsäure. Zinndisulfid SnS-¡ wird technisch durch Erhitzen von Zinn oder Zinnamalgam mit Schwefelblumen bei Gegenwart von Salmiak dargestellt : Sn + 2 S —>- SnS 2 . Man erhält es dabei in Form goldglänzender, durchscheinender Blättchen, die als „Musivgold" in den Handel kommen und in Form der „Zinnbronze" zum Bronzieren von Gips, Bilderrahmen usw. Verwendung finden. Thiostannate. Wie sich das Zinndioxyd mit Alkalioxyden zu Stannaten vereinigt (s. oben), ergibt das Zinndisulfid mit überschüssigem Alkalisulfid Thio-stannate : SnS2 + Na2S ν Na2[SnS3], Jedoch erfolgt die Umsetzung viel leichter als dort, so daß sie bereits in wässeriger Lösung durchgeführt werden kann. In wasserhaltigem Zustande besitzen die Thiostannate die Zusammensetzimg Me2SnS3 · 3H 2 0 = Me2[Sn(SH)3(OH)3], welche der Formel Me2[Sn(OH)e] der wasserhaltigen Stannate entspricht.
Die Kohlenetoffgruppe
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6. Das Blei a. Elementares Blei Torkommen. Das wichtigste und meistverbreitete Bleierz ist der Bleiglanz (Galenit) PbS, welcher graphitfarbene, metallisch glänzende, meist würfelförmige Kristalle bildet. Seltener ist das Vorkommen als Weißbleierz PbC0 3 (S. 348), Rotbleierz PbCr0 4 (S. 349), Gelbbleierz PbMo0 4 (S. 497) und Scheelbleierz P b W 0 4 (S. 498). Darstellung. Für die Darstellung von Blei dient fast ausschließlich der B l e i g l a n z als Ausgangsmaterial. Die Verarbeitung des Bleiglanzes erfolgt dabei in der Hauptsache nach dem sogenannten ,,Röstreduktionsverfahren". Daneben ist auch das „Röstreaktionsverfahren" in Anwendung. Beim Röstreduktionsverfahren wird das Bleisulfid durch Rösten m ö g l i c h s t v o l l s t ä n d i g in Bleioxyd übergeführt: PbS + 1V202 —>· PbO + S02 („Böstarbeit"), indem man durch den mit K a l k s t e i n und S i l i c i u m d i o x y d vermischten Bleiglanz bei Rotglut Luft hindurchbläst oder -saugt. Durch das S i l i c i u m d i o x y d wird nebenher gebildetes Bleisulfat (PbS + 20 2 —>- PbS0 4 ), das bei der nachfolgenden Reduktion des gerösteten Erzes wieder in Bleisulfid zurückverwandelt werden würde (PbS0 4 + 2C — P b S + 2C02), in Bleisüicat übergeführt (PbS0 4 + Si0 2 —>- PbSiO s + S0 2 + 1 / 2 0 2 ). Der K a l k s t e i n dient als Auflockerungsmittel und fördert die Oxydation des Bleisulfids zu Bleioxyd ; auch ermöglicht er (vgl. unten) die spätere Reduktion des neben Bleioxyd gebildeten Bleisilicats zu Blei. Das durch das obige ,,Verblaserösten" erhaltene B l e i o x y d wird im Schachtofen (Hochofen) mit Koks bzw. dem durch Verbrennung daraus entstehenden Kohlenoxyd zu B l e i reduziert: PbO + CO
ν Pb + C02
{„Reduktionsarbeit").
Auf das gleichzeitig vorhandene B l e i s i l i c a t wirkt das Kohlenoxyd nicht u n m i t t e l b a r (etwa nach PbSi0 3 + CO —>- Pb -(- Si0 2 + C0 2 ), wohl aber bei Mitwirkung des aus dem Kalkstein gebildeten K a l k s (CaC03 -—>- CaO + C0 2 ) ein, welcher das freiwerdende Siliciumdioxyd als Calciumsilicat bindet (PbSi0 3 + CO -f C a O — ^ Pb + CaSi0 3 + C0 2 ). Beim Röstreaktionsverfahren wird der Bleiglanz nur u n v o l l s t ä n d i g geröstet, so daß nur zwei Drittel des Sulfids in Oxyd (bzw. Sulfat) übergehen, der Rest unverändert bleibt : 3PbS + 30 2 >- PbS + 2PbO + 2S0 2 („Böstarbeit"). Das entstehende Produkt wird dann unter möglichstem Luftabschluß auf dem „Herd" weiter erhitzt, wobei sich Bleisulfid und Bleioxyd (bzw. Bleisulfat) zu metallischem Blei umsetzen: ^ 3 p b + g ^ („ReaUionsarbeit"). pbg + 2pb0 Das nach einem dieser Verfahren erhaltene „Werkblei" enthält noch V e r u n r e i n i g u n g e n wie Kupfer, Arsen, Antimon, Zinn, Schwefel, Silber; und zwar enthält es in der Regeibis 1 % Silber (und Gold) undl—2°/ 0 andere Metalle. Die Abtrennung dieser Verunreinigungen erfolgt durch Schmelzen unter Luftzutritt. Hierbei kommen A r s e n , A n t i m o n und Z i n n als Bleiarsenat, -antimonat und -stannat an die Oberfläche und werden als „Antimonabstrich" abgezogen, während K u p f e r mit Blei eine verhältnismäßig schwer schmelzende Legierung bildet, die sich gleichfalls abscheidet und dabei allen S c h w e f e l aus dem Blei aufnimmt. Die E n t s i l b e r u n g des Werkbleis, die für die Silbergewinnung von großer Bedeutung ist, wird beim Silber besprochen (S. 439f.). Auch auf elektrolytischem Wege kann Werkblei gereinigt werden. Physikalische Eigenschaften. Blei ist ein bläulich-graues, weiches und dehnbares Schwermetall (spez. Gew. 11.34) vom Schmelzpunkt 327.4° und Siedepunkt 1750°.
Das Blei
347
Wegen seiner geringen Härte und großen Dehnbarkeit läßt es sich leicht zu Blech auswalzen und zu Drähten ausziehen. Die Drähte haben aber nur geringe Festigkeit. Chemische Eigenschalten. Frische Schnittflächen von Blei zeigen starken Glanz. Die glänzende Metalloberfläche läuft aber an der Luft schnell mattblaugrau an, da sie sich mit einer dünnen Schicht von Bleioxyd überzieht; diese Oxydschicht schützt das darunterhegende Metall vor weiterer oxydativer Zerstörung. F e i n v e r t e i l t e s B l e i dagegen entzündet sich an der Luft schon bei gewöhnlicher Temperatur von selbst („pyrophores Blei"). Beim Schmelzen von k o m p a k t e m B l e i an der Luft bedeckt sich das Blei zunächst mit einer grauen Oxydschicht („Bleiasche"), welche bei fortgesetztem Erhitzen zunächst in gelbe Bleiglätte PbO und dann in rote Mennige P b 3 0 4 übergeht. Auch mit anderen Nichtmetallen als Sauerstoff, ζ. B. mit S c h w e f e l und mit den H a l o g e n e n vereinigt sich das Blei in der Hitze direkt. D e s t i l l i e r t e s und l u f t f r e i e s W a s s e r greift Blei nicht an. Dagegen wird Blei bei G e g e n w a r t v o n L u f t s a u e r s t o f f von Wasser langsam in Bleihydroxyd übergeführt : Pb + V2Oa + H 2 0 — >• Pb(OH)2. Diese Einwirkung von Luft und Wasser ist deshalb von Bedeutung, weil Wasser vielfach durch bleierne Röhren geleitet wird, was bei der Giftigkeit der Bleiverbindungen zu Gesundheitsschädigungen führen kann. J e h ä r t e r ein Trinkwasser ist, d. h. je mehr Calciumbicarbonat Ca(HC0 3 ) 2 und Calciumsulfat CaS0 4 es enthält (S. 396), um so weniger wird das Blei angegriffen, weil sich dann an der Innenwand der Bleiröhren bald eine festhaftende Schicht von schwerlöslichem basischem Bleicarbonat bzw. Bleisulfat bildet, die nach einiger Zeit das Blei gegen den weiteren Angriff des Wassers schützt. K o h l e n s ä u r e h a l t i g e s W a s s e r löst Blei mit der Zeit als Bleibicarbonat auf: P b + V A + H 2 0 + 2C0 2 — > Pb(HC0 3 ) 2 . Gegenüber S ä u r e n , wie Schwefelsäure oder Salzsäure, welche mit Blei s c h w e r l ö s l i c h e S a l z e (Bleisulfat, Bleichlorid) bilden, ist Blei beständig, da sich dann auf der Oberfläche ein schwerlöslicher, schützender Überzug bildet (Pb + H 2 S 0 4 —>- P b S 0 4 + H¡¡). Säuren, bei denen dies nicht der Fall ist, greifen Blei a n ; im Falle o x y d i e r e n d e r Säuren (Salpetersäure) erfolgt dabei die Auflösung leicht und direkt, im Falle n i c h t o x y d i e r e n d e r Säuren (Essigsäure) bei Zutritt von Luftsauerstoff. Gefäße mit bleihaltigem Zinnbelag oder Topfwaren mit Bleiglasur sollen dementsprechend nicht zum Zubereiten von Speisen verwendet werden, um chronische Vergiftungen durch f o r t g e s e t z t e Aufnahme kleiner — an sich ungefährlicher — Bleimengen zu verhüten. Scheidet man Blei aus Salzlösungen (ζ. B. Nitrat- oder Acetatlösungen) elektrolytisch (Pb" + 2 θ — P b ) oder durch Zink (Pb" + Zn — P b + Zn") ab, so setzt es sich in Form einer verästelten kristallinen Masse {„Bleibaum") oder auch schwammartig {„Bleischwamm") ab. In seinen c h e m i s c h e n V e r b i n d u n g e n ist das Blei vorwiegend z w e i w e r t i g . Daneben tritt es wie seine leichteren Homologen auch v i e r w e r t i g auf; diese Verbindungen sind aber wesentlich u n b e s t ä n d i g e r als dort. Anwendung. Blei findet als Metall ausgedehnte Verwendung. So dient es ζ. B. zur Herstellung von B l e i r ö h r e n und von B l e i b l e c h als Bedachungsmaterial, sowie wegen seiner Beständigkeit gegenüber Schwefelsäure zur Herstellung von E i n d a m p f s c h a l e n (S. 204), zur Auskleidung der B l e i k a m m e r n der Schwefelsäurefabriken (S. 204), zur Herstellung der Platten für A k k u m u l a t o r e n (S. 352). Das hohe spezifische Gewicht und die bequeme Formbarkeit machen es zur Herstellung von G e s c h o ß k e r n e n und von F l i n t e n s c h r o t geeignet. Unter den wichtigeren Legierungen des Bleis seien erwähnt das Letternmetall und die Blei-Lagermetalle. Das Letternmetall {Schriftmetall) enthält gewöhnlich 70—90°/o
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Die Kohlenstoffgruppe
Blei, daneben Antimon und meist auch etwas Zinn. Die Blei-Lagermetalle enthalten gewöhnlich 60—80% Blei und als härtenden Bestandteil Antimon (bzw. Antimon und Zinn) oder geringe Mengen Alkali- und Erdalkalimetall. So besteht ζ. B. das bei der Reichsbahn für Achsenlager allgemein verwendete „Bahnmetall" aus Blei mit einem Zusatz von etwa 0.7% Calcium, 0.6% Natrium und 0.04% Lithium. Zum Unterschied von dem als „Weichblei" bezeichneten reinen Blei nennt man das durch Antimonzusatz gehärtete Blei auch „Hartblei".
b. Blei(II)-Verbmdungen Blei(II)-halogenide. Die Halogenide des zweiwertigen Bleis, PbX 2 , sind in kaltem Wasser alle schwerlöslich ; und zwar ist Bleifluorid nahezu unlöslich, während bei den übrigen die Löslichkeit in der Richtung von dem — etwas löslichen — Chlorid zum Jodid hin abnimmt. Die Verbindungen fallen aus Blei(II)-salzlösungen auf Zusatz der entsprechenden Halogen-ionen aus : Pb" + 2X' — > PbX 2 . Das weiße Bleifluorid schmilzt bei 818° und siedet bei 1292°. Das in weißen, seidenglänzenden, rhombischen Nadeln oder Prismen kristallisierende Bleichlorid schmilzt bei 498° und erstarrt beim Abkühlen der Schmelze zu einer hornartigen Masse („Horn· blei") ; der Siedepunkt beträgt 954°. Die weißen, seidenglänzenden rhombischen Nadeln des Bleibromids schmelzen bei 373° zu einer roten, bei 916° siedenden Flüssigkeit, welche bei Abkühlung zu einer weißen, hornartigen Masse erstarrt. Bleijodid kristallisiert in prächtigen, goldglänzenden Blättchen, die bei 412° schmelzen und bei ca. 900° sieden. Blei(II)-nitrat Pb(N0 3 ) a wird durch Auflösen von B l e i oder B l e i o x y d in heißer verdünnter S a l p e t e r s ä u r e gewonnen. Es kristallisiert in großen wasserklaren Kristallen und zersetzt sich beim Erhitzen gemäß Pb(N03)2 · — P b O + 2N02 + V202 unter Abspaltung von Stickstoffdioxyd und Sauerstoff. Daher kann man es zur DarStellung von S t i c k s t o f f d i o x y d (S. 232) und als S a u e r s t o f f ü b e r t r ä g e r für Zündmischungen benutzen. Blei(n)-sulfat PbS04 findet sich in der Natur oft in schön ausgebildeten großen, rhombischen, in reinem Zustande glasklaren („Bleiglas") Kristallen als Anglesit (Vitriol· bleierz). In Wasser ist die Verbindung nahezu unlöslich, so daß sie durch Versetzen einer B l e i s a l z l ö s u n g mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e oder einem löslichen S u l f a t erhalten werden kann: Pb" + S0 4 " —>- PbS0 4 . Erheblich besser löst sich Bleisulfat in konzentrierten starken Säuren (Salzsäure, Salpetersäure, Schwefelsäure) : PbS0 4 + H' •—>- Pb(HS0 4 )\ Daher enthält die nach dem Bleikammerverfahren hergestellte und in Bleipfannen konzentrierte Schwefelsäure des Handels Bleisulfat, das beim Verdünnen größtenteils wieder ausfällt. Auch in konzentrierten Alkahlaugen löst sich Bleisulfat, wobei Alkali-hydroxoplumbite (vgl. S. 350) entstehen. Blei(II)-carbonai PbC03 kommt in der Natur als Cerussit (Weißbleierz) vor. Künstlich erhält man es durch Einleiten von Kohlendioxyd in eine verdünnte Bleiacetatlösung oder durch Versetzen einer Bleinitratlösung mit Ammoniumcarbonat-lösung in der K ä l t e : Pb" + C0 3 " —>- PbC0 3 . Fällt man Bleisalzlösungen in der W ä r m e mit Alkalicarbonat, so entstehen b a s i s c h e B l e i c a r b o n a t e . Ein solches basisches Bleicarbonat ist z. B. das als Anstrichfarbe geschätzte „Bleiweiß", welches gewöhnlich die Zusammensetzung Pb(OH)2 · 2PbC0 3 besitzt. Da es von allen weißen Farben den schönsten Glanz, die größte Deckkraft und das beste Haftvermögen aufweist, läßt es sich trotz seiner Giftigkeit und seiner Empfindlichkeit gegenüber Schwefelwasserstoff (Bräunung infolge Bildung von Bleisulfid) als Ölfarbe nicht verdrängen.
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Dae Blei
Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g von Bleiweiß kann nach verschiedenen Verfahren erfolgen. Beim alten „holländischen Verfahren" werden dünne, spiralig aufgerollte Bleiplatten in irdene, innen glasierte Töpfe gestellt, welche am Boden Essig enthalten und in Mist oder andere verwesende Stoffe eingebettet sind. Infolge der bei der Verwesung entstehenden mäßigen Selbsterwärmung verdampft die Essigsäure langsam und bildet mit dem Blei unter der Mitwirkung des Luftsauerstoffs basisches Bleiacetat. Das bei der Fäulnis gleichzeitig gebildete Kohlendioxyd dringt langsam in die mit Bleideckeln nur lose verschlossenen Tiegel ein und wandelt das basische Acetat in basisches Carbonai um. Nach mehreren Wochen sind die Bieiplatten fast ganz zu lockerem basischem Carbonat zerfallen. Schneller erfolgt die Bleiweißgewinnung bei dem „deutschen Verfahren", bei dem man die Bleiplatten in geschlossenen Kammern aufhängt, in welche man Essigsäuredämpfe und Kohlendioxyd (aus einer Koksfeuerung) einleitet.
Blei(II)-chromat In der Natur findet chrom). T e c h n i s c h dichromatlösung
PbCrO* stellt ebenfalls eine wichtige Farbe {„Chromgelb") dar. es sich in gelblich-roten Kristallen als Rotbleierz (Krokoit, Kallowird es durch Versetzen einer B l e i a c e t a t l ö s u n g mit K a l i u m als gelbes Pulver gewonnen: 2Pb" + Cr20," + H20
>- 2 P b C r 0 4 +
2H\
Da Farbe und Glanz von anderen gelben Präparaten nicht erreicht werden, ist Bleichromat trotz seiner Giftigkeit und des Nachteils der Nachdunklung (vgl. Bleiweiß) eine der wichtigsten gelben Malerfarben. Fällt man Blei(II)-salz-lösungen nicht mit saurer, sondern mit n e u t r a l e r oder schwach a l k a l i s c h e r Chromatlösung, so erhält man basisches B l e i c h r o m a t der ungefähren Zusammensetzung PbCr0 4 · PbO, welches leuchtend rot ist und als „Chromrot" in der Ölmalerei Verwendung findet. Blei(II)-acetat Pb(CHjCOO)2 läßt sich durch Auflösen von Bleioxyd in Essigsäure gewinnen : PbO + 2CH3COOH —>- Pb(CH3COO)2 + H 2 0. Wegen seines süßen Geschmacks heißt es auch „Bleizucker". Es ist stark giftig. Verwendet man bei der Darstellung mehr Bleioxyd, als der Bildungsgleichung für Bleizucker entspricht, so erhält man basische Acetate wie Pb(CH3COO)2 · Pb(OH)a und Pb(CH3COO)2 · 2Pb(OH) 2 , deren wässerige Lösungen als „Bleiessig" bezeichnet werden. Blei(II)-oxyd PbO wird technisch durch Oxydation von geschmolzenem B l e i durch darüber geblasene L u f t dargestellt : Pb + 1 / 2 0 2 —>- PbO. Es schmilzt bei 884° und siedet bei 1470°. Geschmolzenes Bleioxyd ist rot und erstarrt beim Erkalten zu einer rotgelben, kristallin-blätterigen Masse {„Bleiglätte"). Es kommt im festen Zustande sowohl in gelben rhombischen wie in roten tetragonalen Kristallen vor. Der Umwandlungspunkt liegt bei 488°: PbOrot
PbOgeib.
Die bei gewöhnlicher Temperatur s t a b i l e Modifikation ist die rote. Jedoch läßt sich auch die gelbe Modifikation unterhalb des Umwandlungspunktes als m e t a s t a b i l e Verbindung erhalten, da die Umwandlungsgeschwindigkeit gering ist. Erwärmt man z. B. Bleicarbonat oder Bleinitrat vorsichtig, so erhält man das Blei(II)-oxyd als gelbes zartes Pulver {„Massicot") : PbC0 3 — P b O + C0 2 . Es wurde früher als Farbe benutzt. Bei längerem Kochen mit Wasser wandelt sich das gelbe Oxyd in das rote um, da letzteres als stabile Modifikation in Wasser schwerer löslich als das gelbe ist, so daß die mit gelbem Oxyd g e s ä t t i g t e wässerige Lösung in bezug auf das r o t e Oxyd ü b e r s ä t t i g t ist. In Säuren löst sich Bleioxyd leicht unter Salzbildung. In Natronlauge — außer in sehr konzentrierter — ist es nur wenig löslich. Blei(n)-hydroxyd Pb(0H)¡> fällt beim Versetzen von B l e i ( I I ) - s a l z - l ö s u n g e n mit Alkali als weißer Niederschlag aus : Pb" + 20H'—>-Pb(OH) 2 . Es ist in Wasser etwas löslich ; die wässerige Lösung bläut rotes Lackmuspapier, zeigt also alkalische Reaktion : P b ( O H ) 2 ^ ± : P b ( O H ) ' + OH'. Die Dissoziationskonstante entspricht etwa der des Ammoniaks. Als B a s e löst sich Bleihydroxyd leicht in Säuren unter Salzbildung.
350
Die Kohlenstoffgruppe
Wesentlich s c h w ä c h e r ausgeprägt ist der s a u r e Charakter des Blei(II)-hydroxyds : Pb(OH)¡¡ + HÖH Pb(OH) a ' + H". Daher ist Blei(II)-hydroxyd nur in k o n z e n t r i e r t e n Laugen unter Bildung von Plumbiten löslich: Pb(OH) 2 -f- OH' —>- Pb(OH) 3 ' (vgl. Stannite, S. 343). B e i m E n t w ä s s e r n g e h t B l e i h y d r o x y d i n B l e i o x y d ü b e r : P b ( O H ) 2 — > - PbO + H 2 0 . Nimmt man die Entwässerung bei 100° vor, so erhält man rotes Bleioxyd ; bei niederer Temperatur dagegen entsteht metastabiles gelbes Bleioxyd. Blei(II)-sulfid PbS kommt in der Natur in großen Mengen als Bleiglanz (Galenit) — oft in großen, bleigrauen, metallglänzenden, leicht spaltbaren, regulären Kristallen (Würfel, Oktaeder) — vor. Als schwerlösliche Verbindung fällt PbS beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in B l e i ( I I ) - s a l z - l ö s u n g e n als schwarzer Niederschlag aus : P b " + S" —>- P b S . Die Reaktion ist sehr empfindlich, so daß selbst Spuren von Blei in Wasser durch die Dunkelfärbung mit Schwefelwasserstoff erkannt werden können. Bleisulfid schmilzt bei 1112°, sublimiert aber schon unterhalb dieser Temperatur verhältnismäßig gut. Daher setzen sich in den zur Darstellung des Bleis dienenden Bleischachtöfen stets größere Mengen sublimierten Bleisulfids ab.
c. Blei(IV)-Verbindungen Bleiwasserstoff PMI4 („Plumban") entsteht in geringen Mengen bei der Einwirkung von kathodisch entwickeltem (atomarem) W a s s e r s t o f f auf zerstäubtes B l e i : P b + 4 H —>- PbH 4 . Leitet man das — zur Hauptsache aus Wasserstoff bestehende — gasförmige Reaktionsprodukt durch ein erhitztes Rohr, so scheidet sich ein B l e i s p i e g e l ab (vgl. S. 553). Blei(IY)-ehlorid PbCij ist eine unbeständige, gelbe, schwere, an feuchter L u f t rauchende Flüssigkeit, die bei etwa —15° zu einer gelblichen, kristallinen Masse erstarrt und leicht unter Abspaltung von Chlor und Bildung von Blei(II)-chlorid zerfällt : PbCl4 PbCl2 + Cl2. Umgekehrt kann Blei(II)-chlorid auch unter Bildung von Blei(IV)-chlorid Chlor aufnehmen. Auf diesem Wege stellt man Blei(IV)-ehlorid her. Man verfährt dazu zweckmäßig so, daß man in eine Suspension von B l e i ( I I ) - e h l o r i d in rauchender Salzsäure unter Eiskühlung C h l o r einleitet; die Salzsäure drängt dabei die sonst leicht eintretende Hydrolyse des gebildeten Blei(IV)-chlorids : PbCl 4 + 2H¡¡0 P b 0 2 + 4HC1 zurück. Wegen der Zersetzlichkeit des Blei(IV)-chlorids kann letzteres aus der erhaltenen salzsauren Lösung nicht direkt isoliert werden, sondern muß durch Zusatz von Ammoniumchlorid als zitronengelbes, beständiges Ammonium-hexachloro-plumbal (NH 4 ) 2 [PbCl e ] abgeschieden werden, das sich beim Eintragen in gekühlte konzentrierte Schwefelsäure unter Bildung des gewünschten Blei(IV)-chlorids zersetzt: (NH4)JPbCl„] + H ' s o y HjPbCl, 2 HCl + PbCl4. Das in konzentrierter Schwefelsäure unlösliche Blei(IV)-chlorid scheidet sich dabei als schwere, gelbe, stark lichtbrechende Flüssigkeit ab. Die vom Blei(IV)-chlorid abgeleiteten, den Hexachloro-stannaten entsprechenden Hexachloro-plumbate Me¡[PbCl e ] sind wesentlich beständiger als das freie Blei(IV)chlorid. Blei(IV)-bromid und Blei(IV)-jodid sind nur in Form solcher Hexahalogenoplumbate bekannt. Blei(IY)-sulfat Pb(S04)a bildet sich als gelbliches Pulver an der Anode, wenn man 80°/0ige S c h w e f e l s ä u r e zwischen B l e i e l e k t r o d e n unter Verwendung eines TonDiaphragmas elektrolysiert : Pb + 2H 2 S0 4
>- Pb(S04)2 + 4ΙΓ + 4 θ ·
351
Dae Blei
Durch Wasser wird die Verbindung unter Abscheidung von Bleidioxyd zersetzt, wobei als Zwischenprodukt das weiße basische Salz Pb(0H) 2 S0 4 auftritt: Pb(S04)2
Pb(0H)2S04
Pb(OH)4
Pb02.
Blei(IV)-sulfat Pb(S0 4 ) 2 ist mit Blei-peroxy-disulfat PbS 2 0 8 isomer. An Oxydationsvermögen übertrifft es noch das Bleidioxyd. Gleiches gilt von den den Hexachloroplumbaten entsprechenden Trisulfato-plumbaten Me 2 [Pb(S0 4 ) 3 ]. Bleidioxyd PbOg entsteht ganz allgemein bei der O x y d a t i o n von Blei(II)salzen. Die Oxydation kann auf e l e k t r o l y t i s c h e m Wege an der Anode: Pb" + 2H20 — ν Pb02 + 4H· + 2 θ oder auf chemischem Wege durch starke Oxydationsmittel wie Chlor, Brom oder Hypochlorit : Pb·· + ^ + ^ P b o 2 + 4ΙΓ + 201' erfolgen. Die e l e k t r o l y t i s c h e Abscheidung benutzt man ζ. B. zur quantitativen Bestimmung von Blei, indem man eine schwach salpetersaure Bleinitratlösung unter Verwendung einer mattierten Platinschale als Anode und eines spiralförmigen Platin· drahts als Kathode elektrolysiert. Auch zur technischen Darstellung von Bleidioxyd dient diese Bildungsweise. Die technische Darstellung auf chemischem Wege erfolgt durch Oxydation von Bleiacetatlösungen mit Chlorkalk als Oxydationsmittel. Geht man zur Darstellung von einer Verbindung des vierwertigen Bleis aus, so bedarf es natürlich keines Oxydationsmittels; so wird ζ. B. das Bleidioxyd technisch auch durch Behandeln von Mennige (s. unten) mit verdünnter Salpetersäure gewonnen: Pb2[Pb04] + 4HN03
>- 2Pb(N03)2 + Pb(0H)4 — ν Pb02 + 2H20.
Bleidioxyd stellt ein schwarzbraunes Pulver dar, welches s t a r k o x y d i e r e n d e Wirkung besitzt. Schon bei gelindem Erhitzen spaltet es unter Bildung von Blei(II)oxyd Sauerstoff ab (Pb0 2 —>• PbO + 1/202) ; beim Erwärmen mit konzentrierter Schwefelsäure entsteht unter Sauerstoffentwicklung Blei(II)-sulfat (Pb0 2 + H 2 S0 4 —>• PbS0 4 + H 2 0 + 1/202), beim Erwärmen mit konzentrierter Salzsäure unter Chlorentwicklung Blei(II)-chlorid (Pb0 2 + 4HC1 —>- PbCl2 + 2H 2 0 + Cl2). In Wasser ist Bleidioxyd praktisch unlöslich, in Säuren etwas löslich. Es besitzt also nur schwach b a s i s c h e n Charakter. S t ä r k e r ausgeprägt ist der s a u r e Charakter. So löst sich Bleidioxyd ζ. B. in heißer konzentrierter Kalilauge unter Bildimg von Kalium-hexahydroxo-filumbat K 2 [Pb(0H) e ], welches beim Erkalten der Lösung auskristallisiert: PbOj
+2H,°
>- Pb(0H)4
+20H'
> [Pb(OH),]".
Außer diesen Hexahydroxo-plumbaten Me£[Pb(0H)e] = Me£Pb03 • 3 H^O gibt es auch die wasserfreien Verbindungen Me£Pb03 („Metaplumbate") und die höherbasigen „Orthoplumbate" MeJPb0 4 . Ein wichtiges Orthoplumbat ist ζ. B. die Mennige. Mennige Pb304 ist ein Blei(II)-orthoplumbat Pb 2 [Pb0 4 ], d.h. ein B l e i ( I I ) - s a l z der den Orthoplumbaten zugrundeliegenden O r t h o b l e i s ä u r e H 4 Pb0 4 = Pb(OH)4. Sie entsteht als leuchtend rotes Pulver beim Erhitzen von feinverteiltem B l e i o x y d an der L u f t auf etwa 500°: 3PbO + V 2 0 2 Pb 3 0 4 . Als Ausgangsmaterial eignet sich besonders das lockere gelbe Massicot (S. 349). Die Mennige wird im Gemisch mit Leinöl in ausgedehntem Maße zum Schutzanstrich von Eisen gegen Rosten verwendet (vgl. S.515). Beim Erhitzen färbt sie sich dunkel; beim Erkalten kehrt die ursprüngliche Farbe wieder zurück. Oberhalb 550° zersetzt sich die Mennige unter Sauerstoffabspaltung.
Die Kohlenstoffgruppe
352
d. Der Bleiakkumulator Unter einem „Akkumulator" versteht man eine Vorrichtung zur Aufspeicherung 1 von e l e k t r i s c h e r Energie. Bei der „Ladung" eines Akkumulators wird durch Zufuhr elektrischer Energie ein chemischer Vorgang erzwungen und so die zugeführte e l e k t r i s c h e E n e r g i e in Form der chemischen E n e r g i e der entstehenden energiereicheren Reaktionsprodukte gespeichert. Bei der „EntElektronenstrom ladung" spielt sich der chemische Vorgang in umgekehrter Richtung ab, wobei die gespeicherte Energie wieder in Form von elektrischer Energie frei wird. ZM-—*\ J Der gebräuchlichste Akkumulator ist der „Blei· akkumulator". Er besteht im geladenen Zustande aus zwei in 20—30°/0ige (2 x / 2 —4 molare) Schwefelsäure (spez. Gew. 1.15—1.22) eintauchenden gitterförmigen 1 γ ν Bleigerüsten, von denen das eine mit schwamm Ρb— 2/r.so;— / förmigem B l e i , das andere mit B l e i d i o x y d ausgefüllt ist. Verbindet man die beiden Elektrodenplatten leitend l ï g . 114. miteinander, so fließt wegen der vorhandenen SpanSchema des Bleiakkumulators nung von etwa 2 Volt ein Elektronenstrom vom Blei zum Bleidioxyd (Fig. 114), wobei sich die folgenden chemischen Vorgänge abspielen:
¿1
Pb + S 0 4 " ^
v
P b 0 2 + 4Ή* + S 0 4 " + 2 0 Pb + P b 0 2 + 2 H 2 S 0 4
Entladung
2 P b S 0 4 + 2 H 2 0 + Energie.
(3)
Die dabei freiwerdende elektrische Energie (94 kcal) kann zur A r b e i t s l e i s t u n g , ζ. B. zur Durchführung von Elektrolysen, zum Antrieb von Motoren, für Beleuchtungszwecke usw. nutzbar gemacht werden. Da bei der Entladung des Akkumulators, wie aus der Gesamtgleichung (3) hervorgeht, Schwefelsäure v e r b r a u c h t wird und Wasser e n t s t e h t , sinkt während des Entladungsvorgangs die Säurekonzentration. Daher läßt sich der Ladungszustand eines Akkumulators durch Kontrolle des spezifischen Gewichts (ζ. B. mit Hilfe eines Schwimmers) verfolgen. Im e n t l a d e n e n Zustande des Akkumulators sind beide Elektrodenplatten mit unlöslichem B l e i s u l f a t bedeckt. Zur W i e d e r a u f ladung legt man an die Elektroden eine äußere Spannung von mehr als 2 Volt in umgekehrter Richtung derart an, daß man die vorher positive (negative) B l e i d i o x y d p l a t t e (Bleiplatte) mit dem positiven (negativen) Pol der äußeren S t r o m quelle verbindet und so zur Anode (Kathode) macht (vgl. S. 169ff.). Dabei kehren sich die chemischen Prozesse (1) und (2) um, so daß insgesamt (3) das Bleisulfat wieder in B l e i und B l e i d i o x y d verwandelt wird. Ist alles Bleisulfat verbraucht, so wird bei weiterer Energiezufuhr die Schwefelsäure elektrolytisch im ter kathodischer Bildung von W a s s e r s t o f f (2H' + 2 © — > - H 2 ) und anodischer Entwicklung von S a u e r s t o f f (S0 4 "->- S 0 4 + 2 θ ; S 0 4 + H 2 0 ->- H 2 S0 4 + 7 2 0 2 ) zersetzt („Gasen" des Akkumulators). Da für diese Elektrolyse eine höhere Spannung erforderlich ist als für die Ladimg des Akkumulators, macht sich das Ende der Aufladung durch eine bedeutende Steigerung der Klemmenspannung bemerkbar. Zur Überwindung des Leitungswiderstandes der Säure wird sowohl bei der Ladung wie bei der Entladung elektrische Energie verbraucht. Schon aus diesem Grunde ist daher die zum Laden eines Akkumulators erforderliche Energiemenge stets größer als die bei der E n t l a d u n g freiwerdende. In gleicher Richtung wirken andere Vorgänge (ζ. B. das Gasen bei der Ladung, die Entnahme zu großer Entladungsstrom· stärken). In der Praxis rechnet man mit einem Energieverlust von 20—25%. 1
accumulare = anhäufen.
353
Vergleichende Übersicht über die Kohlenstoffgruppe
7. Vergleichende Übersicht über die Kohlenstoffgruppe Die graduelle Änderung der physikalischen und chemischen Eigenschaften der Elemente der 4. Hauptgruppe des Periodensystems mit steigendem Atomgewicht geht aus der folgenden Zusammenstellung hervor: Kohlenstoff Atomgewicht Spezifisches Gewicht . . . . Schmelzpunkt Siedepunkt Beständigkeit der Element(II)-Verbindgn. Element(IV)-Verbindgn. Saurer Charakter d. Oxyde
12.01 2.2 1 3500° 3900°
Silicium
Germanium
28.06 2.33 1410° 2630°
72.60 5.35 958.5° 2700»
>>
Zinn
Blei
118.70 7.28 » 231.8° 2362°
207.21 11.34 327.4° 1750°
nimmt zu nimmt ab nimmt ab
>
>-
Bezüglich der chemischen Eigenschaften der Elemente ersehen wir aus der Tabelle folgendes: Bei den Verbindungen der z w e i w e r t i g e n Stufe nimmt die Bes t ä n d i g k e i t vom Kohlenstoff zum Blei hin zu. Kohlenstoff tritt überhaupt nicht zweiwertig auf 3 ; Verbindungen des zweiwertigen Siliciums (SiO, SiS) sind sehr unbeständig; größere Beständigkeit weisen die Verbindungen des zweiwertigen Germaniums (GeO, GeS, GeCl2) auf, die allerdings immer noch großes Bestreben zeigen, sich zu Germanium(IV)-Verbindungen zu oxydieren ; beim Zinn hält sich die Beständigkeit im zwei- und vierwertigen Zustande die Waage ; beim Blei überwiegt bereits die Zweiwertigkeit gegenüber der Vierwertigkeit, so daß die Blei(IV)-Verbindungen kräftige Oxydationsmittel sind. Der basische (saure) Charakter im zweiwertigen Zustande nimmt — wie ganz allgemein in allen Gruppen des Periodensystems — von den leichteren zu den schwereren Elementen hin zu (ab). Germaniumhydroxyd zeigt schwach saure Eigenschaften, Zinnhydroxyd ist ausgesprochen a m p h o t e r , Bleihydroxyd vorwiegend basisch. Die Beständigkeit der Verbindungen der v i e r w e r t i g e n Stufe nimmt zum Unterschied von den Verbindungen der zweiwertigen Stufe vom Blei zum Kohlenstoff hin zu. Während ζ. B. Bleiwasserstoff PbH 4 und Blei(IV)-chlorid PbCl4 unbeständige Verbindungen sind, die leicht unter Abspaltung von Wasserstoff bzw. Chlor zerfallen, sind die entsprechenden Kohlenstoffverbindungen CH4 und CC14 sehr stabil. Der basische (saure) Charakter der Oxyde nimmt wie bei den Oxyden der zweiwertigen Stufe in der Richtung zum Blei hin zu (ab). Gegenüber dem basischen (sauren) Charakter der Elemente im zweiwertigen Zustande ist er bei jedem Element schwächer (stärker) ausgeprägt, da ganz allgemein die Basizität (Acidität) der Oxyde eines Elements mit zunehmender Wertigkeit des Elements fällt (steigt). So sind alle fünf Elemente der Kohlenstoffgruppe im v i e r w e r t i g e n Zustande S ä u r e b i l d n e r ; beim Blei ist dieser Säurecharakter aber nur noch schwach entwickelt. Die Salze der Sauerstoffsauren der vierwertigen Stufe haben in der Metaform die Formel Me 2 Y0 3 , in der Orthoform die Formel Me 4 Y0 4 . Beim Zinn und Blei kommt die Metaverbindung auch in der hydratisierten Form Me 2 Y0 3 · 3H 2 0 = Me 2 [Y(OH) e ] vor. Entsprechende Halogenverbindungen M e 2 [ Y X e ] kennt man als Fluoride (X = F) vom Silicium ab, als Chloride, Bromide und Jodide vom Zinn ab. 1
Graphit.
3
In Verbindungen wie ζ. B. CO ist Kohlenstoff nicht zwei-, sondern vierwertig (3 Ko-
2
jS-Zinn.
valenzen, 1 Elektrovalenz): : C : : : 0 :
(vgl. S. 300, 305, 308).
H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
23
Kapitel XIII
Die Borgruppe 1. Das Bor a. Elementares Bor Vorkommen. Bor findet sich in der Natur nie in freiem, sondern nur in gebundenem Zustande, in Form von Borsäure H 3 B0 3 oder Salzen von Borsäuren der allgemeinen Formel H n _ 2 B n 0 2 n-i· Das wichtigste Bormineral ist der Kernit Na2B407 • 4H 2 0 (n = 4) ; er kommt in Kalifornien in riesigen Lagern vor und bildet das wichtigste Ausgangsmaterial für die Industrie der Borsäure und ihrer Salze. Andere wichtige Borate sind: Borax (Tinkai) Na2B407 · 10H 2 0 (n = 4), Borocalcit CaB407 · 4H 2 0 (n = 4), Boronatrocalcit NaCaBsOe · 6HaO (n = 5), Pandermit Ca 2 B e 0 u · 3H 2 0 (n = 6), Colemanit Ca2BeOu · 5HaO (n = 6) und Borazit 2Mg3B8015 · MgCl2 (n = 8). Darstellung. Reines kristallisiertes Bor läßt sich durch Reduktion von Borchlorid mit Wasserstoff im Hochspannungslichtbogen (Wolframelektroden) gewinnen : 2BC13 + 3H2 —>- 2B + 6HC1. Amorphes Bor erhält man als braunes Pulver durch Reduktion von Bortrioxyd mit metallischem Natrium oder Magnesium: B203 + 3Mg >- 2B + 3MgO. Es läßt sich durch Auskochen mit verdünnter Salzsäure und Auswaschen mit Wasser von gleichzeitig gebildeten Verunreinigungen befreien und enthält bis 98°/0 Bor. Aus geschmolzenem Aluminium kann das amorphe Bor als Aluminium-Borverbindung A1B12 (gegebenenfalls kohlenstoffhaltig als 3A1B12 · 2B4C) in Form metallisch glänzender, vierseitiger quadratischer Pyramiden („quadratisches Bor") auskristallisiert werden. Physikalische Eigenschaften. Reines, kristallisiertes Bor (spez. Gew. 2.34) ist von schwärzlich-grauer Farbe und nächst dem Diamant das härteste aller Elemente. Das amorphe Bor stellt ein braunes, geruch- und geschmackloses Pulver (spez. Gew. 1.73) dar. Der Schmelzpunkt liegt bei 2300°, der Siedepunkt bei etwa 2550°. Bei Zimmertemperatur leitet Bor den elektrischen Strom nur schlecht ; der elektrische Widerstand nimmt aber mit steigender Temperatur rasch ab. Chemische Eigenschaften. Bor ist chemisch nicht besonders reaktionsfähig und setzt sich erst bei höheren Temperaturen mit anderen Stoffen um. Beim Erhitzen an der Luft entzündet sich amorphes Bor bei 700° und verbrennt zu Bortrioxyd B a 0 3 . Mit Chlor, Brom und Schwefel vereinigt es sich in der Hitze zu Borchlorid BC13, Borbromid BBr 3 bzw. Borsulfid B 2 S 3 . Von 900° ab bindet es Stickstoff unter Bildung von Bornitrid BN. Konzentrierte Salpetersäure und Königswasser oxydieren Bor zu Borsäure. Konzentrierte Schwefelsäure wirkt erst bei 250°, Phosphorsäurebei 800°ein. Bei Rotglut reduziert Bor Wasserdampf, bei sehr hohen Temperaturen selbst Kohlenoxyd und Siliciumdioxyd. Bor ist also bei hohen Temperaturen ein sehr starkes Reduktionsmittel. Beim Schmelzen mit Alkali wird Bor in Alkaliborat übergeführt.
355
Das Bor
b. Wasserstoffverbindungen des Bors Konstitution und Systematik. Das Anfangsglied der Verbindungsgruppe der B o r w a s s e r s t o f f e — um deren Erforschung sich namentlich A L F R E D S T O C K ( S . 312) verdient gemacht hat — besitzt in Übereinstimmung mit der Außenelektronenkonfiguration des Boratoms (S. 143) die Bruttoformel BH 3 . Sein M o l e k u l a r g e w i c h t entspricht aber nicht der monomeren Formel BH 3 („Borin"), sondern der dimeren Formel (BH 3 ) 2 („Diboran"). Die Verknüpfung der beiden Borin-Moleküle kommt durch einen besonderen Bindungsmechanismus zustande, den man als „Resonanz-Briickenbindung" bezeichnet und der darin besteht, daß zwei Wasserstoffatome als B r ü c k e n a t o m e ihr Elektronenpaar wechselseitig mit zwei Boratomen teilen 1 : h!B'H:B:'H^—H':B:H'BÎH
(1)
Als t r e i b e n d e K r a f t der Zusammenlagerung kann das Bestreben der Boratome nach V e r v o l l s t ä n d i g u n g i h r e r E l e k t r o n e n s c h a l e n angesehen werden, da die Boratome in den monomeren BH3-Molekülen nur E l e k t r o n e n s e x t e t t e aufweisen, während in den dimeren Resonanzmolekülen (1) alle beteiligten Atome im Endeffekt E d e l g a s s c h a l e n erreichen. Der Bindungsmechanismus (1) läßt sich am besten durch das Valenzstrichsymbol ïï\ V
/II·..
>B/ /JLK
1J \ />B
· H : B : N : H H : B : N : H + H : H , (12) Η Η Η Η wobei über abwechselnde Additions- und Substitutionsprodukte hinweg unter Wasserstoffentwicklung letztlich ein Übergang des Bonns BH 3 in ein trisubstituiertes Derivat BX 3 (X = CI, OH, OR, NH 2 , NHR, NR 2 USW.) stattfindet: ΒΗ3·ΗΧ—> BH2X:^>- ΒΗ,Χ·ΗΧ=5ΐ>-ΒΗΧ2ΐ^.ΒΗΧΐ.ΗΧ—>-BX3.(13)
BH 3
Die A n l a g e r u n g s f r e u d i g k e i t (Teilreaktion 12, I) nimmt von der 7. zur 5. Gruppe des Periodensystems, also vom C h l o r (HCl) zum S t i c k s t o f f (NH 3 ) hin zu. Die N e i g u n g z u r W a s s e r s t o f f a b s p a l t u n g (Teilreaktion 12, II) steigt in u m g e k e h r t e r Richtung vom Stickstoff zum Chlor hin. Dementsprechend zeigt das Diboran gegenüber W a s s e r ein Maximum .der Zersetzlichkeit gemäß (13) (leichte Anlagerung, leichte Wasserstoffabspaltung), so daß hier die Zwischenverbindungen der Reaktionsreihe (13) nicht faßbar sind und eine schnelle Hydrolyse zu Borsäure B(OH) 3 erfolgt. Demgegenüber bleibt die Reaktion (13) beim A m m o n i a k (große Neigung zur Anlagerung, geringe Tendenz zur Wasserstoffabspaltung) unter gewöhnlichen Bedingungen (Zimmertemperatur) bei der Primärstufe Β Η 3 · Ν Η 3 stehen und läßt sich erst bei erhöhter Temperatur weiterführen 1 , während beim C h l o r w a s s e r s t o f f (erschwerte Anlagerung, große Neigung zur Wasserstoffabspaltung) die Umsetzung (13) nur bei Gegenwart von 1
Beim Erhitzen für sich geht ΒΗ 3 ·ΝΗ 3 in „anorganisches Benzol" über (vgl. S. 365f.).
359
Das Bor
Katalysatoren genügend schnell verläuft und sofort zu den Substitutionsprodukten fuhrt, ohne daß vorausgehende Additionsverbindungen nachweisbar wären. Die bei Vermeidung eines HX-Überschusses gewinnbaren Substitutionsglieder Β Κ , Χ und B Ü X , der Reaktionsreihe (13) zeigen in der Richtung vom Stickstoff ( X = NH 2 , NHR, NR 2 ) zum Chlor ( X = Cl) hin zunehmende Neigung zur D i s p r o p o r t i o n i e r u n g nach 3BHJX ^ r i ï 2BH 3 + B X 3 3ΕΞΧ2 ; " BH, + 2 B X S und zur Ausbildung von R e s o n a n z - W a s s e r s t o f f b r ü c k e n gemäß χ /
\
H
/
\ χ
So sind beispielsweise die Stickstoff Verbindungen BH S (NR S ) und BH(NR 2 ) 2 beständig, während eine Reindarstellung der entsprechenden (dimeren) Chlorverbindungen (BH2C1), und (BHC12)2 wegen der raschen Disproportionierung in (BH 3 ) 2 und BC13 unmöglich ist 1 und die S a u e r s t o f f verbindungen BHü(OR) (polymer) und BH(OR) a (monomer, Smp. —130.6°, Sdp. + 26°) eine Mittelstellung einnehmen, indem sie zwar isolierbar sind, aber leicht in (BH 3 ) 2 und B(OR) 3 übergehen.
In analoger Weise führen die bei der Einwirkung von Verbindungen mit Elektronenlücken (ζ. B. von Alkylverbindungen der 2. oder 3. Gruppe des Periodensystems) stattfindenden Substitutionsreaktionen über Anlagerungsverbindungen, indem hier die Substitutionen nach dem Schema Hv Μ Μ Η,. Ην /R >Β/ Έ/
+
W
/Α1< X
R
>Βχ
W
> < x
~
X
+
R
\Α1< X
t
> ο
• B(OH) 3 + 3HC1. Die Reaktion verläuft über A d d i t i o n s v e r b i n d u n g e n als Zwischenprodukte : BC1S
+ h >
V
BOI,· OH,
- H C 1 > BC1 2 (0H) USW.
Auch an viele andere Verbindungen mit freien Elektronenpaaren (Stickstoff-, Phosphor-, Sauerstoff-, Schwefel-, Halogenverbindungen) lagert sich Borchlorid — noch ausgeprägter ist die Anlagerungstendenz beim Borfluorid (vgl. S. 360f.) — leicht an, da es (vgl. S. 357) bestrebt ist, seine Elektronen-Sechserschale zu einem Oktett zu ergänzen : CI
E
Cl : Β + : Ν : R — > • Cl
R
??
?
C1:B:N:R. Cl R
Diese Anlagerungsverbindungen sind erwartungsgemäß b e s t ä n d i g e r gegen W a s s e r als das freie Borchlorid, da bei ihnen die für die primäre Anlagerung des Wassers erforderliche v i e r t e K o o r d i n a t i o n s s t e l l e des Bors b e s e t z t ist. So kann beispiels-
362
Die Borgruppe
weise die — besonders stabile — Additionsverbindung BC13-NR3 (R = CH3) aus Wasser umkristallisiert werden, ohne daß eine Hydrolyse der B—Cl-Bindungen erfolgt. Bortribromid BBr, bildet eine farblose, stark rauchende Flüssigkeit (Smp. —46°, Sdp. 90.5°), Bortrijodid BJ 3 blättrige, farblose, hygroskopische Kristalle (Smp. 43°, Sdp. 210°). Das Bestreben zur Bildung von Additionsverbindungen ist bei diesen beiden Halogeniden weniger stark entwickelt als beim Borfluorid und Borchlorid.
d. SauerstofFverbindungen des Bors Bortrioxyd B a 0 3 wird als Borsäure-anhydrid durch Glühen von B o r s ä u r e als farblose, glasige, bei Rotglut erweichende Masse erhalten: 2H3BO3 B 2 0 3 + 3H 2 0. Es ist sehr hygroskopisch und geht unter Wasseraufnahme leicht wieder rückwärts in Borsäure über. Als sehr beständige Verbindung wird Bortrioxyd durch Kohle selbst bei Weißglut nicht reduziert. Erst bei Gegenwart von Stoffen wie Chlor oder Stickstoff, die an die Stelle des Sauerstoffs treten können, wirkt die Kohle ein: B 2 0 3 -f 3C + 3C12 —>• 2 BCI3 + 3CO (S. 361). Mit Fluorwasserstoff liefert Bortrioxyd Borfluorid : B 2 0 3 + 6 H F — > 2BF3 + 3 H 2 0 (S. 360). Borsäure H3BO3 kommt in freiem Zustande in den Wasserdampfquellen ( „ S o f f i o n e n " oder „Fumarolen") vor, die in Mittelitahen (Toscana) dem Erdboden entströmen. Die Dämpfe werden in künstlich angelegten Lagunen kondensiert und die genügend angereicherten Borsäurelösungen in eisernen, durch die Soffionen erwärmten Pfannen eingedampft, wobei sich die Borsäure in perlmutterglänzenden Blättchen ausscheidet. Auch als Mineral („Sassolin") findet sich die Borsäure in Italien. Seitdem aber riesige Mengen von Kernit Na 2 B 4 0 7 · 4 H 2 0 und Colemanit Ca 2 B 6 O u · 5 H 2 0 in Kalifornien, große Lager von Boronatrocalcit NaCaB8Oe · 6 H 2 0 in Chile und erhebliche Mengen von Borocalcit CaB 4 0 7 · 4 H 2 0 und Pandermit Ca 2 B 6 O n · 3 H 2 0 in Kleinasien aufgefunden worden sind, hat die toscanische Borsäurefabrikation ihre frühere Bedeutung verloren. Diese C a l c i u m b o r a t e lassen sich durch Kochen mit Sodalösung aufschließen, wobei sich schwerlösliches Calciumcarbonat abscheidet; aus der filtrierten Lösung kristallisiert dann beim Erkalten Borax Na 2 B 4 0 7 · 10H 2 0 aus. Durch Behandeln mit Salz- oder Schwefelsäure kann dieser Borax in Borsäure übergeführt werden : Na 2 B 4 0 7 + 2H' + 5 H 2 0 —>• 4H3BO3 + 2 Na". Reine Borsäure B(OH)3 kristallisiert in schuppigen, weißglänzenden, durchscheinenden, sich fettig anfühlenden, sechsseitigen Blättchen vom spezifischen Gewicht 1.46. Sie bildet im Einklang mit der schuppigen Ausbildung ihrer Kristalle ein Schichteng i t t e r , dessen einzelne Ebenen unter Mitwirkung von Wasserstoffbrücken (S. 218) gemäß dem Schema 1 : H H H
h°\b/°H0H0\b/0H0H B 2 (NH) 3
>- 2 B N .
Bemerkenswert ist, daß kristallisiertes Bornitrid die gleiche Kristallstruktur besitzt wie Graphit (Fig. 95, S. 286), indem die eine Hälfte der Kohlenstoffatome ( · ) durch Boratome, die andere Hälfte (O) durch Stickstoffatome ersetzt ist („anorganischer Graphit") : I I I I I
\n/B\n/B\n/B\n/B\n/B\ I / \ b
\
n
/
n
I b
I / \ b
\
n
/
n
I b
I / \ b
\
n
/
n
I b
I / \ b
\
n
/
n
I b
I
/
b
\
n
\
n
/
b
I
/ \
/b\n/b\n/b\n/b\n/b\n/ Borstickstoff (BN) œ
Das Bornitrid-Molekül BN ist also hochpolymer und baut sich aus wabenförmig vernetzten, kovalent dreiwertigen Bor- und Stickstoffatomen auf. Die Gitterabmessungen sind praktisch die gleichen wie beim Graphit (B — N-Abstand: 1.45 Â, Schichtenabstand: 3.35 Â; entsprechende Abmessungen beim Graphit: 1.42 bzw. 3.35 À). Der Ersatz je zweier benachbarter Kohlenstoffatome des Graphitgitters durch ein Stickstoffund Boratom ist elektronentheoretisch deshalb möglich, weil zwei Kohlenstoffatome zusammen ebensoviele Elektronen (4 + 4 = 8) aufweisen, wie ein Bor-Stickstoff-Paar (3 + 5 = 8). Graphit und Bornitrid sind also miteinander isoster (vgl. S. 300). Ein anderes interessantes Beispiel für den Austausch von C—C durch Β—Ν ist das Borazol B3N3HC. Borazol wird beim Erhitzen von Diboran und Ammoniak (Molverhältni3 1: 2) auf 250—300° in 50 °/0iger Ausbeute erhalten : 3(BH 3 ) 2 + 6ΝΉ3
>- 2B 3 N 3 H e + 12 H 2 .
Es stellt eine farblose, wasserklare, leichtbewegliche Flüssigkeit von aromatischem Geruch dar, welche bei 55.0° siedet und bei —58.0° erstarrt, und besitzt die Elektronenkonfiguration des Benzols C6He (S. 294: vgl. II, S. 297ff.): Η Η ··
··
H:N "
N:H
H:B .
. B:H
'•'Ν ' Η
H:C
C:H
H:C .
"••O '· Η
C:H "
Da seine physikalischen und chemischen Eigenschaften (ζ. B. Dichte, Verdampfungswärme, Oberflächenspannung, Anlagerungsreaktionen) weitgehend mit denen des Benzols übereinstimmen1, wird es auch als „anorganisches Benzol" bezeichnet. In analoger Weise entsprechen die Eigenschaften der Methylhomologen des Borazols denen der isosteren Methyl-benzole. Bei der Darstellung des Borazols aus Diboran (BH 3 ) 2 und Ammoniak NHj und der Methyl" borazole aus Methyl-diboran und Ammoniak bzw. Diboran und Methylamin treten als Zwischen1 Die Bezeichnung Borazol (Bor-az-ol) bringt die Analogie zwischen C e H, und B 3 N 3 H, (Ersatz je zweier Kohlenstoffatome durch ein Bor-Stickstoff-Paar) zum Ausdruck (vgl. Anmerkung 1, S. 60).
Die Borgruppe
366
stufen Verbindungen auf, die mit den A l k a n e n , A l k e n e n und A l k i n e n (S. 293) isoster sind
und deshalb als „Borazane", „Borazene" und „Borazine" bezeichnet werden: BH 3 + NH 3
>- BH 3 - - NH 3 Borazan
BHj — NH 2 — V BH ^ NH Borazen1
(—BH — NH—) 3 .
Borazin
Auch hier treten bemerkenswerte Analogien in den Eigenschaften der isosteren Körperklassen auf.
Borcarbid B4C entsteht beim Erhitzen von B o r oder B o r t r i o x y d mit K o h l e auf etwa 2500° und bildet schwarze, glänzende Kristalle (spez. Gew. 2.52, Smp. 2350°, Sdp. > 3500°), die gegen Kaliumchlorat und Salpetersäure vollkommen beständig sind, mit Chlor und Sauerstoff unterhalb 1000° nur langsam reagieren und so hart sind, d a ß sie selbst Diamanten ritzen.
2. Das Aluminium a. Elementares Aluminium α. Vorkommen Aluminium kommt in der N a t u r nicht g e d i e g e n , sondern n u r in Form von V e r b i n d u n g e n vor, und zwar ist es das w e i t e s t v e r b r e i t e t e unter allen M e t a l l e n der Erdrinde (vgl. S. 68). Unter den Verbindungen sind vor allem zu nennen: die Feldspäte (vgl. S. 321) — z . B . Kalifeldspat (Orthoklas) K[AlSi 3 0 8 ] als Hauptbestandteil von G r a n i t , G n e i s , P o r p h y r , B a s a l t und anderen Eruptivgesteinen, Natronfeldspat (Albit) Na[AlSi 3 0 8 ], Kalkfeldspat (Anorthit) Ca[Al 2 Si 2 0 8 ] und isomorphe Gemische von Kalk- und Natronfeldspat — und die Glimmer (vgl. S. 321) — ζ . B. Kaliglimmer (Muskovit) KA12 [AlSi3O10] (OH, F) 2 , Magnesiaglimmer K(Mg, Fe) 3 [AlSi 3 O 10 ](OH, F) 2 , Lithionglimmer (Lepidolith) KLi 2 [AlSi 3 0 6 (0H, F) 4 ] (OH, F) 2 (in isomorpher Mischung mit Kaliglimmer) und Lithioneisenglimmer (Zinnwaldit) : Mischkristalle von Magnesiaglimmer und Lithionglimmer —. Als Verwitterungsprodukte feldspathaltiger Gesteine treten die Tone (vgl. S. 321) auf, mehr oder weniger plastische, hauptsächlich aus Aluminiumoxyd, Siliciumdioxyd und Wasser aufgebaute Massen. Unter besonderen Verwitterungsbedingungen (erhöhte Temperatur, erhöhter Druck) kann sich als besonderer Ton der Kaolinit bilden, ein wasserhaltiges Aluminiumsilicat der Zusammensetzung A1 2 0 3 · 2 Si0 2 • 2 H 2 0 = [Al(0H) 2 ] 2 [Si 2 0 5 ]. Stark calcium- und magnesiumcarbonathaltige Tone bezeichnet man als Tonmergel, stark durch Eisenoxyd und Sand verunreinigte Tone als Lehm. Als reines A l u m i n i u m o x y d A1 2 0 3 („Tonerde") kommt Aluminium in Form von Korund und Schmirgel (einer durch Eisenoxyd und Quarz verunreinigten körnigen Form des Korunds) vor (vgl. S. 374). Gut ausgebildete und durch Spuren anderer Oxyde gefärbte Korundkristalle sind als E d e l s t e i n e geschätzt (vgl. S. 374f.); ζ. B. Rubin (rot), Saphir (blau), orientalischer Smaragd2 (grün), orientalischer Amethyst3 4 (violett), orientalischer Topas (gelb). Unter den A l u m i n i u m h y d r o x y d e n besitzt vor allem der Bauxit AI 2 0 3 · H 2 0 = AIO(OH) (S. 374) größte technische Bedeutung als wichtigstes Ausgangsmaterial für die Aluminiumgewinnung. E r findet sich in großen Lagern in Frankreich, Ungarn, den Vereinigten Staaten, Italien, Jugoslavien, Guayana 1
Die Schreibweise BH, — NH 2 für das Borazen bringt die Mesomerie (vgl. S. 225 f., 229 f.) :
Η Η Η:Β::Ν:Η
Η Η >-Η:Β:Ν:Η
zum Ausdruck. Analoges gilt für die Bedeutung der punktierten Valenz des Borazans und Borazins. 2 Der echte Smaragd ist eine Abart des Berylls Be 3 Al 2 [Si e 0 18 ]. 3 Der echte Amethyst ist ein gefärbter Quarz Si0 2 . 4 Der echte Topas ist ein fluorhaltiges Aluminiumsilicat Al 2 [Si0 4 ](0H, F)2.
Das Aluminium
367
und an vielen anderen Stellen. Andere Hydroxyde sind Hydrargillit Α1 2 0 3 ·3Η 2 0 = A1(0H)S (S. 373f.) und Diaspor Α1 2 0 3 ·Η 2 0 = AIO(OH) (S. 374). Technisch von Bedeutung ist auch der Kryolith Na s [AlF e ], der sich vor allem in Grönland findet. ß. D a r s t e l l u n g Die t e c h n i s c h e D a r s t e l l u n g von Aluminium erfolgt durchweg durch E l e k t r o l y s e e i n e r L ö s u n g v o n A l u m i n i u m o x y d in g e s c h m o l z e n e m K r y o l i t h . Das dabei zur Anwendung gelangende A l u m i n i u m o x y d muß s e h r r e i n sein. Dementsprechend zerfällt die Aluminiumdarstellung in zwei Arbeitsgänge : die Gewinnung von reinem Aluminiumoxyd und die eigentliche Elektrolyse. Gewinnung von reinem Aluminiumoxyd Als A u s g a n g s m a t e r i a l für die Erzeugung reiner Tonerde dient fast ausschließlich B a u x i t . Jedoch lassen sich auch die weitverbreiteten T o n e und technische A b f a l l p r o d u k t e wie Kohlenasche zur Gewinnung von A1203 heranziehen. Gewinnung aus Bauxit Die in der Natur vorkommenden B a u x i t e sind mehr oder weniger stark durch E i s e n o x y d und K i e s e l s ä u r e verunreinigt. So enthalten die sogenannten „roten Bauxite" meist 20—25% Fe 2 0 3 und 1—5% Si0 2 , die „weißen Bauxite" nur 5°/ 0 Fe 2 0 3 ) aber bis zu 25°/ 0 Si0 2 . Die Entfernung dieser Verunreinigungen, namentlich des E i s e n s (als Ausgangsmaterial zur Aluminiumdarstellung dienen hauptsächlich die roten Bauxite), kann durch t r o c k e n e n oder durch n a s s e n A u f s c h l u ß erfolgen. Trockener Aufschluß. Bei dem Verfahren des t r o c k e n e n A u f s c h l u s s e s („Trocken· verfahren") wird der staubfein gemahlene B a u x i t mit der berechneten Menge gemahlener calcinierter S o d a unter gleichzeitigem Zusatz von gemahlenem gebranntem K a l k sorgfältig vermischt und in großen Drehrohröfen bis zu 100 m Länge und 2—3 m Durchmesser einer Generatorgasflamme entgegengeleitet („Calcinieren"). Bei diesem Glühprozeß (1000°) geht das Aluminiumoxyd des Bauxits im wesentlichen in N a t r i u m a l u m i n a t und teilweise auch in Calciumaluminat, das Eisenoxyd in N a t r i u m f e r r i t und Calciumferrit über: A1203 + Na2C03 >- 2NaAIO¡¡ + C0 2 , (la) Fe 2 0 3 + Na2C03 — 2 N a F e 0 2 + CO¡¡. (1 b) Behandelt man anschließend das abgekühlte, grünlich aussehende Sinterprodukt im Gegenstrom mit W a s s e r , so geht das A l u m i n a t unzersetzt in L ö s u n g , während sich das F e r r i t quantitativ in E i s e n h y d r o x y d und L a u g e spaltet, da in wässeriger Lösung das Gleichgewicht der „Salzbildung" aus Metallhydroxyd und Lauge (vgl. S. 373) beim A l u m i n i u m ganz auf der Seite des Salzes, beim E i s e n dagegen ganz auf der Seite des Hydroxyds liegt : NaA102 + 2H¡¡0 t + T Al(OH)3 + NaOH, (2a) NaFe0 2 + 2HaO Fe(OH)3 + NaOH. (2b) Das gebildete Eisenhydroxyd („Rotschlamm") wird in Dekantier- und Filtrieranlagen abgetrennt und als Gasreinigungsmasse („Luxmasse" ; S. 181 f.) verwendet. Die Ausfällung des A l u m i n i u m h y d r o x y d s aus der filtrierten Aluminatlösung erfolgt durch Einleiten von K o h l e n d i o x y d („Carbonisieren"), wodurch das Gleichgewicht (2 a) infolge Wegfangens der Lauge gemäß 2NaOH + C02 >- Na2C03 + H 2 0 (3) nach rechts verschoben wird. Das ausgefällte Aluminiumhydroxyd wird abfiltriert, gewaschen und durch scharfes Glühen in Drehrohröfen bei Temperaturen von etwa
368
Die Borgruppe
1200° in wasserfreies, feuchtigkeitsbeständiges („totgebranntes") verwandelt (S. 374) : 2A1(0H) 3 — > - AI2Oa + 3 H 2 0 .
Aluminiumoxyd (4)
Die K i e s e l s ä u r e des Bauxits wird beim Aufschluß des letzteren teilweise durch den Kalk verschlackt; ein anderer Teil geht beim Auslaugen des Glühprodukts mit Wasser in Lösung und wird vor dem Carbonisieren durch Erhitzen der Lösung unter Druck als unlösliches Natrium-aluminium-silicat Na 2 [Al 2 SiO e ] · 2 H 2 0 ausgefällt. Die Gleichungen (2a), (3) und (4) ergeben addiert die Umkehrung des Vorgangs ( l a ) : 2NaA10j + C0 2 >- Al t 0 3 + Na 2 C0 3 . Das beschriebene Aufschlußverfahren läßt sich also in einfachster Form durch die Gleichung AnfgchlnB AljOs + Na2COj < >· 2NaA10 2 + C0 2 Ausfüllung wiedergeben. In der Schmelze (Aufschluß) wird das Aluminiumoxyd des Bauxits mittels Soda in wasserlösliches Aluminat übergeführt; in der wässerigen Lösung (Ausfällung) wird durch Einwirkung des beim Calcinieren gewonnenen Kohlendioxyds das Aluminat wieder rückwärts zu Oxyd und Soda zerlegt. Die so zurückgewonnene Soda geht immer wieder in den Aufschlußprozeß zurück.
Andere, weniger gebräuchliche Verfahren des trockenen Aufschlusses von Bauxit verwenden zum Aufschließen an Stelle von Soda und Kalk: N a t r i u m s u l f a t und K o k s {„TENJAKOFF-V erfahren"), K a l k s t e i n und K o k s {,,PEDERSEN-Verfahren") oder P y r i t und K o k s {„HAGLUND-Verfahren"). Unter diesen Verfahren ist besonders auf das PENiAKOFF-Yerfahren ( G I U L I N I · Verfahren) hinzuweisen, das die Tonerdegewinnung mit einer Soda- und S c h w e f e l säureerzeugung koppelt. Wie aus den Gleichungen (2a) und (3) hervorgeht, wird beim k l a s s i s c h e n Trockenverfahren durch das Carbonisieren die für den A u f s c h l u ß des B a u x i t s (la) erforderliche Soda wieder zurückgewonnen. Beinl P E N J A K O F F V e r f a h r e n erfolgt nun der Aufschluß des Bauxits nicht mit S o d a , sondern mit N a t r i u m s u l f a t und K o k s : A1 2 0 3 + Na 2 S0 4 + C
ν 2NaA10 2 + SO, + CO.
Dementsprechend wird hier die beim Carbonisieren der Aluminatlösung entstehende Soda als Z u s a t z p r o d u k t gewonnen. Zudem ermöglicht das beim Aufschluß des Bauxits gebildete S c h w e f e l d i o x y d noch eine Schwefelsäureproduktion. Nasser Aufschluß. Der nasse A u f s c h l u ß von Bauxit erfolgt durchweg nach dem „BAYER-Verfahren". Bei diesem Verfahren wird der feingemahlene B a u x i t in einem mit Rührwerk versehenen, dampfbeheizten eisernen Druckkessel {„Autoklav") mit 35—50°/Oiger N a t r o n l a u g e unter 5—7 Atmosphären Druck 6—8 Stunden lang auf 160—170° erhitzt. Hierbei löst sich gemäß der durch Gleichung (2 a) und (2 b) wiedergegebenen Gleichgewichtslage lediglich das Aluminium-, nicht aber das Eisenoxyd auf. Letzteres wird als Oxydhydrat {„Rotschlamm") mit Filterpressen abfiltriert und dient in angetrocknetem Zustande als Kontaktmasse für Synthesegas-Fabriken (S. 299); wegen der feinen Verteilung des Niederschlags ist die Filtration nicht ganz einfach. Eine Ausfällung des A l u m i n i u m h y d r o x y d s aus der filtrierten Aluminatlösung mit Hilfe von Kohlendioxyd wie beim vorher beschriebenen Trockenverfahren ist hier nicht zweckmäßig, da die dabei entstehende Soda nicht wie dort wiederverwendet werden kann. Vorteilhaft ist hier vielmehr ein Ausfällen {„Ausrühren") des Hydroxyds durch I m p f e n mit k r i s t a l l i s i e r t e m A l u m i n i u m h y d r o x y d {Hydrargillii). Diese k r i s t a l l i n e Form ist viel energiearmer und damit auch schwerer löslich (vgl. S. 382) als die oberflächenreiche k o l l o i d e Form des Aluminiumhydroxyds, die sich in wässerigen Lösungen nach Gleichung (2 a) mit Aluminat im Gleichgewicht befindet. Gibt man daher kristallines Aluminiumhydroxyd zu der beim nassen Aufschluß erhaltenen Aluminatlösung hinzu, so scheidet die — in bezug auf die kristalline Hydroxydform
Dae Aluminium
369
übersättigte — Lösimg im Sinne des unteren Pfeils von Gleichung (2 a) Aluminiumhydroxyd aus, welches wie beim Trockenverfahren bei hohen Temperaturen zum Oxyd entwässert wird. Die K i e s e l s ä u r e des Bauxits geht beim nassen Aufschluß größtenteils in das bereits beim Trockenverfahren erwähnte unlösliche Natrium-aluminium-Silicat Na 2 [Al 2 SiO e ] · 2 H a 0 über: Si0 2 + 2NaOH + A1203 — ν H 2 0 + Na 2 [Al 2 SiO e ], das zusammen mit dem Rotschlamm ausfällt. Die Bildung dieses Silicats führt dementsprechend zu beträchtlichen Ätznatron- und Tonerdeverlusten, welche naturgemäß mit dem Kieselsäuregehalt des Bauxits steigen. Daher bevorzugt das BAYER-Verfahren möglichst k i e s e l s ä u r e a r m e Bauxite. Auf die beim Erhitzen mit Natronlauge mitaufgeschlossene und in L ö s u n g g e g a n g e n e Kieselsäure wirkt der zum Ausfällen des Aluminiumhydroxyds zugesetzte Hydrargillit natürlich nicht als Erreger ein. Insgesamt kann das Verfahren des nassen Aufschlusses durch die schematische Gleichung Aufschluß
Al(OH)3 + NaOH
- NaA10a + 2Η„0
Ausfällung
zum Ausdruck gebracht werden. Wie daraus hervorgeht, wird die zum Aufschluß erforderliche Natronlauge bei der Ausfällung des Aluminiumhydroxyds immer wieder zurückgewonnen.
Kombinierter Aufschluß. Zahlreiche Tonerde-Fabriken arbeiten nach einem komb i n i e r t e n T r o c k e n - und BAYER-Verfahren. Bei dieser Methode wird der Bauxit wie beim Trockenverfahren aufgeschlossen und das Aufschlußgut mit heißem Wasser ausgelaugt. Die gewonnene und filtrierte Aluminatlösung wird dann wie beim BAYERVerfahren so weit ausgerührt, daß etwa die Hälfte der gelösten Tonerde ausfällt. Den Rest der Tonerde scheidet man wie beim Trockenverfahren in Carbonisatoren vollständig aus. Gewinnung aus Ton Für die bisher geschilderten a l k a l i s c h e n Aufschlußverfahren kommen im allgemeinen nur Bauxite mit höchstens 3—6% Si0 2 und mindestens 50—60% A1203 in Frage. Ist der Kieselsäuregehalt wesentlich größer und der Tonerdegehalt wesentlich kleiner (wie dies ζ. B. bei den in der Natur weitverbreiteten Tonen der Fall ist ; vgl. S. 333, 366), so ist man auf s a u r e Aufschlußverfahren angewiesen, bei denen die Kieselsäure nicht mitaufgeschlossen wird. Als Säuren lassen sich verwenden: s c h w e f lige S ä u r e („ST-Verfahren"), S a l p e t e r s ä u r e („Nuvalon-Verfahren"), S a l z s ä u r e und S c h w e f e l s ä u r e . Praktisch bewährt hat sich bisher nur der Aufschluß mit schwef liger Säure. Bei diesem S c h w e f l i g s ä u r e - T o n e r d e - V e r f a h r e n wird der bei 800° vorgeglühte und gemahlene T o n im Gegenstrom unter 7 Atmosphären Druck bei 50 bis 60° mit einer etwa 20%igen s c h w e f l i g e n S ä u r e behandelt und die filtrierte Aufschlußlösung auf etwa 90° erwärmt, wobei die in Form von Aluminiumsulfit gelöste Tonerde als b a s i s c h e s A l u m i n i u m s u l f i t A1(0H) 2 S0 3 H · H 2 0 ausfällt und ein Teil der gebundenen schwefligen Säure wieder frei wird. Durch stärkeres Erwärmen unter gleichzeitiger Druckverminderung wird das basische Aluminiumsulfit in T o n e r d e , Wasser und schweflige Säure zerlegt : 2 A1(0H) 2 S0 3 H · H 2 0 A1203 + 2 S 0 2 + 5 H 2 0 . Die Reinigung der gewonnenen Tonerde erfolgt durch Weiterbehandlung nach dem BAYER-Verfahren (Auflösen in Natronlauge usw.). Die zurückerhaltene schweflige Säure kehrt immer wieder in den Aufschlußprozeß zurück. Schmelzelektrolyse des Aluminiumoxyds Das auf irgendeine der geschilderten Weisen gewonnene A l u m i n i u m o x y d wird zur Aluminiumdarstellung der „Schmelzelektrolyse" unterworfen. Da der Schmelzpunkt des Aluminiumoxyds sehr hoch liegt 2000°), elektrolysiert man dabei nicht direkt H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
24
370
Die Borgruppe
geschmolzenes reines Aluminiumoxyd, sondern eine L ö s u n g von A l u m i n i u m o x y d in g e s c h m o l z e n e m — künstlich hergestelltem (S. 376) — Kryolith ^ A I F , (Smp. ~1000°) : Αΐ 2 ο 3 :^±:2Αΐ"· + 3 0 " 2 Al'" + 6 θ 30" A1 2 0 3
>• 2 Al >• i y 2 0 2 + 6 0 >- 2A1 + 1 V 2 0 2 .
Aus dem Schmelzdiagramm Kiyolith-Aluminiumoxyd ergibt sich, daß das am niedrigsten schmelzende („elektische") Gemisch aus 81.5°/0 Na3AlFe und 18.5°/0 A1203 besteht und bei 935° schmilzt (vgl. S. 450). Dementsprechend verwendet die Technik BadZusammensetzungen mit 15—20°/0 A1203 und Badtemperaturen von ungefähr 950°. Die Dichte der Schmelze ist bei dieser Temperatur etwa 2.15, die des geschmolzenen Aluminiums (Smp. 659°) etwa 2.35, so daß das Metall bei der Betriebstemperatur schwerer als die Schmelze ist, sich unter dieser sammelt und so vor der Rückoxydation durch den Luftsauerstoff geschützt wird. Die S c h m e l z e l e k t r o l y s e wird in runden oder viereckigen, meist 2 m langen und 1—l l / 2 m breiten Eisenblechwannen durchgeführt, deren Seitenwände und Boden mit einem als K a t h o d e dienenden, etwa 20 cm dicken und durch Glühen einer aufgestampften Kohle-Teermischung erzeugten Kohlefutter ausgekleidet sind (Fig. 115). Q Als Anoden dienen kurze • Kohleblöcke von 25—30 cm Querschnitt und 30—50 cm Schmelzelektrolyt x |j | | ^ Kohleblock H öhe, die an einem mit dem 0 positiven Pol der Stromquelle verbundenen Traggerüst hängen. Der Abstand der Elektroden voneinander beträgt -Stempfmasse flüssiges tì/uminium 10 cm, von den Wänden 25 cm, (Kathode) vom Boden bzw. der sich bildenden Aluminiumschicht Fig. 115. Schmelzelektrolytische Darstellung von Aluminium 6 cm. Dementsprechend geht nach den Seitenwänden kein Strom über, so daß sich diese mit einer schützenden festen Kruste des Schmelzgemischs überziehen, während der Boden durch das sich während der Elektrolyse ansammelnde Metall geschützt bleibt, welches von Zeit zu Zeit abgestochen und in eiserne Barrenformen gegossen wird. Die theoretische Zersetzungsspannung für das Aluminiumoxyd beträgt 2.2 Volt. Praktisch muß man aber zur Überwindung der Widerstände im Bade und in den Elektroden eine Betriebsspannung von 6—7 Volt aufwenden. Die überschüssige Stromarbeit wird in Wärme umgesetzt und hält das Bad flüssig, so daß eine Außenbeheizung nicht erforderlich ist. Sobald die Badspannun g wesentlich steigt, muß neues Aluminiumoxyd nachgefüllt werden. Der anodisch gebildete Sauerstoff reagiert mit dem Kohlenstoff der Elektroden unter Bildung von Kohlenoxyd. Insgesamt ergibt sich damit für die elektrolytische Zerlegung der Aluminiumoxydschmelze die folgende Reaktionsgleichung: 4C0 kcal + A1 2 0 3 17202 + 30
2A1 + lV 2 O a - > - 3 0 0 + 79 kcal
321 kcal + A 1 2 0 3 + 3 0 — > 2A1 + 3 0 0 .
(5) (6)
(7)
Die erforderliche Energiemenge der endothermen Gesamtreaktion (7) wird der bei der Elektrolyse zugeführten elektrischen Energie entnommen.
Das Aluminium
371
γ. Physikalische Eigenschaften Aluminium ist ein silberweißes Leichtmetall1 vom spezifischen Gewicht 2.70. Es schmilzt bei 659° und siedet bei 2270°. Da es sehr dehnbar ist, kann man es zu sehr feinem Draht ausziehen, zu dünnen Blechen auswalzen und zu feinsten Folien {„Blattaluminium") aushämmern. Beim Erwärmen auf 600° nimmt es eine körnige Struktur an; bringt man es dann in Schüttelmaschinen, so geht es in Grießform („Aluminiumgrieß") über. Bei noch feinerer Zerteilung erhält man es als P u l v e r („Aluminiumbronze-Pulver"). Das spezifische elektrische Leitvermögen ist etwa 2/3-mal so groß wie das des Kupfers. Dementsprechend muß der Querschnitt einer Aluminiumleitung rund anderthalb mal so groß wie der einer gleich langen Kupferleitung gleichen Leitvermögens sein. Wegen des geringen spezifischen Gewichts von Aluminium wiegen solche Aluminiumleitungen aber trotzdem nur etwa halb so viel wie gleich gut leitende Kupferleitungen (spez. Gew. 8.92). δ. Chemische Eigenschaften Trotz seines großen Bestrebens, sich mit Sauerstoff zu verbinden, ist reines Aluminium an der L u f t b e s t ä n d i g , da es sich mit einem fest anliegenden, zusammenhängenden, dünnen O x y d h ä u t c h e n bedeckt, welches das darunter liegende Metall vor weiterem Angriff schützt. Die Bildung einer solchen zusammenhängenden Aluininiumoxydschicht läßt sich dadurch verhindern, daß man die Oberfläche des Aluminiums durch Anreiben mit Quecksilber oder Quecksilberchlorid (3HgCl2 + 2 Al —>2A1C13 + 3Hg) a m a l g a m i e r t , d.h. in eine Aluminium-Quecksilber-Legierung überführt, in welcher zwischen die Aluminiumatome Q u e c k s i l b e r a t o m e eingebettet sind, die als Atome eines edlen Metalls an der Luft kein Oxyd bilden. Ein solches amalgamiertes Aluminiumblech oxydiert sich dementsprechend außerordentlich leicht. Beim Liegen an der Luft schießen in kurzer Zeit weiße Fasern von Aluminiumoxydhydrat (geglüht: „Fasertonerde") empor, die das Blech wie mit einer Vegetation von Schimmel bedecken. Auch die Beständigkeit von Aluminium gegenüber oxydierenden Säuren wie Salpetersäure („Passivität" des Aluminiums) beruht auf der Bildung eines schützenden Oxydhäutchens. Die Schutzwirkung kann erheblich verbessert werden, indem man durch anodische Oxydation künstlich eine wesentlich dickere, harte Oxydschicht (0.02 mm) erzeugt („Eloxal-Verfahren"). So behandeltes Aluminium ist weitgehend beständig gegen Witterung, Seewasser, Säuren und Alkalien ; auch gelingt es auf diese Weise, Aluminiumdrähte elektrisch zu isolieren. F e i n v e r t e i l t e s , also oberflächenreiches Aluminium verbrennt beim Erhitzen an der Luft mit glänzender L i c h t e r s c h e i n u n g und starker W ä r m e e n t w i c k l u n g zu Aluminiumoxyd : 2A] + ^ ^ + ^ kcaL Man benutzt diese Lichtentwicklung in der Photographie bei den „Vakublitzen", bei denen in einer elektrischen Birne eine Aluminiumfolie in reinem Sauerstoff nach elektrischer Zündung in 1/B0 Sekunde verbrennt. T e c h n i s c h wird weiterhin die große Sauerstoffaffinität des Aluminiums dazu benutzt, um geschmolzenes Eisen von darin gelöstem Oxyd zu befreien („Desoxydation") und es dadurch leichter gießbar zu machen, sowie um aus schwer reduzierbaren Oxyden — ζ. B. Chromoxyd (269 kcal + Cr 2 0 3 — 2 Cr + 1 V A ) » Manganoxyd (336 kcal + Mn 3 0 4 —>- 3Mn + 20 2 ), Siliciumoxyd (208 kcal + Si0 2 — S i + 0 2 ), Titanoxyd (220 kcal + Ti0 2 —>- Ti + 0 2 ) — die Metalle in Freiheit zu setzen („Aluminothermisches Verfahren" von 1 Unter „Leichtmetallen" versteht man Metalle, deren spezifische Gewichte unterhalb 5 liegen. Alle übrigen Metalle heißen „Schwermetalle". Die Dichte der Metalle variiert zwischen 0.5 (Lithium) und 22.5 (Osmium). 24*
372
Die Borgruppe
H. GOLDSCHMIDT). Ein Gemisch von E i s e n o x y d (267 kcal + Fe 3 0 4 — 3 F e + 20 2 )und A l u m i n i u m g r i e ß dient als „Thermit" zum Schweißen und Verbinden von Eisenteilen (z. B. Eisen- und Straßenbahnschienen, gebrochenen Wellen), da es bei der Entzündung in wenigen Sekunden unter äußerst starker Wärmeentwicklung (Temperaturen bis zu 2400°) reines Eisen in weißglühend flüssiger Form liefert: 3Fe304 + 8Al —>- 4A1203 + 9Fe + 811 kcal. Das bei der aluminothermischen Reduktion von Metalloxyden gleichzeitig in geschmolzenem Zustande entstehende A l u m i n i u m o x y d wird als „Corubin" für Schleifzwecke verwendet (S. 374). Die E n t z ü n d u n g eines Thermitgemisches erfolgt zweckmäßig durch ein Gemisch von A l u m i n i u m - oder M a g n e s i u m p u l v e r mit einer leicht sauerstoffabgebenden Verbindung wie K a l i u m c h l o r a t oder B a r i u m p e r o x y d („Zündkirsche"). Man steckt in dieses Gemisch ein M a g n e s i u m b a n d und zündet dieses an. Die bei der Verbrennung des Magnesiums freiwerdende Wärme (Mg + l / 2 0 2 >- MgO + 144 kcal) entzündet die Z ü n d m i s c h u n g , diese wiederum das T h e r m i t g e m i s c h .
I n n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n löst sich Aluminium entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (ε0 = —1.69 Volt) unter W a s e r s t o f f e n t w i c k l u n g auf: Al + 3 H ' — A l ' " + 17 2 H 2 .
Von W a s s e r oder s c h w a c h e n (ζ. B. organischen) S ä u r e n wird es in der Kälte kaum angegriffen, da in solchen Lösungen die Hydroxylionen-konzentration groß genug ist, um das Löslichkeitsprodukt des sehr schwer löslichen Aluminiumhydroxyds (CAJ··· Χ CQJP = 1.9 X IO -33 ) zu erreichen, welches das Aluminium vor weiterer Einwirkung des Wassers oder der Säure schützt (S. 169). In s t a r k s a u r e r oder a l k a l i s c h e r Lösung kann sich die Schutzschicht nicht ausbilden, da sie unter Bildung von Aluminiumsalz (Al(OH)s -f3 H ' — > Al-·" + 3H 2 0) bzw. Aluminat (Al(OH)3 + O H ' — ν Al(OH) 4 '; vgl. S. 373) löslich ist; hier kommt es also zu dauernder Wasserstoffentwicklung. Ebenso reagiert a m a l g a m i e r t e s Aluminium aus oben (S.371) schon erwähnten Gründen bei Zimmertemperatur lebhaft mit Wasser unter Wasserstoffentwicklung : Al + 3HOH —>Al(OH)3 + 3H. Von dieser R e d u k t i o n s w i r k u n g des Aluminiums macht man häufig in der organischen Chemie Gebrauch. Wie mit dem Sauerstoff vereinigt sich das Aluminium auch mit den Halogenen und mit anderen Nichtmetallen unter erheblicher Wärmetönung. e. Anwendungen A l u m i n i u m findet in der Technik verschiedenartigste Verwendung : in Form von P u l v e r als rostschützender öl- oder Lackanstrich, im Buchdruck, zur Herstellung von Sprengstoffen und in der Feuerwerkerei; in Form von G r i e ß zur Gewinnung von Metallen nach dem Thermitverfahren; in Form von F o l i e n an Stelle von Stanniol zur Verpackung von Schokolade, Genußmitteln usw. ; in Form von D r a h t für elektrische Leitungen; in Form dünner Ü b e r z ü g e als Rostschutz für Eisengegenstände {„Aluminieren") und als Spiegel bei Teleskopen; in Form k o m p a k t e n M e t a l l s zur Anfertigung von Küchengeschirr sowie von Kesseln, Gärbottichen, Lagergefäßen usw. für die Brauerei, Molkerei, chemische Industrie usw. Besondere Bedeutimg besitzen die Aluminiumlegierungen. Sie werden wegen ihrer Leichtigkeit im Luftschiff- und Flugzeugbau sowie in der Automobilindustrie weitgehend verwendet. Erwähnt seien hier ζ. B. die A l u m i n i u m - M a g n e s i u m - L e g i e r u n g e n Magnalium (10—30°/0 Mg) und Hydronalium (3—12°/0 Mg), die A l u m i n i u m K u p f e r - L e g i e r u n g e n Duralumin (2.5—5.5% Cu, 0.5—2% Mg, 0.5—1.2% Mn, 0.2—1% Si) und Lautal (4% Cu, 2 % Si), die A l u m i n i u m - S i l i c i u m - L e g i e r u n g Silumin (12—14% Si) und die A l u m i n i u m - Z i n k - L e g i e r u n g Skleron (12% Zn, 3 % Cu, 0.6% Μη, bis 0.5% Fe, bis 0.5% Si, 0.08% Li). D u r a l u m i n läßt sich kalt walzen, ziehen und schmieden, verbindet Leichtigkeit (spez. Gew. 2.8) mit großer
Das Aluminium
373
Festigkeit und wird vor allem im Flugzeugbau verwendet. L a u t a l und H y d r o n a l i u m sind seewasserfest und finden dementsprechend beim Schiffsbau Verwendung. Über die A l u m i n i u m b r o n z e n , die zur Hauptsache aus Kupfer bestehen, wird beim Kupfer (S. 434) berichtet.
b. Sauerstoffverbindungen des Aluminiums Aluminium-orthohydro xyd A1(0H) 3 kommt in der Natur monoklin kristallisiert als Hydrargillit vor. Als a m p h o t e r e s H y d r o x y d löst es sich sowohl in S ä u r e n wie in B a s e n auf. Im ersteren Fall entstehen A l u m i n i u m s a l z e Al'", im letzteren A l u m i n a t e (S. 322) A l f o n s (wasserfrei: A10 2 '): Al(OH)3 + 3H' A l - + 3HOH (1) Al(OH)3 + OH' Al(OH) 4 '. (2) Das Aluminat-vm. Al(OH)4' ist wie die analog zusammengesetzte, isostere Orthokieselsäure Si(OH)4 (vgl. S. 317) nicht beständig, sondern kondensiert sich gleich jener (S. 317ff.) leicht unter Wasseraustritt zu h ö h e r m o l e k u l a r e n O x o v e r b i n d u n g e n 1 . Als erste Stufe entsteht dabei ein der Ortho-dikieselsäure Si(0H) 3 -0-Si(0H) 3 (S.317) entspr. Di-aluminat-ion [Al(0H) 3 -0-Al(0H) 3 ]", das z. B. in Form des Kaliumsalzes K 2 [H,A1 2 0 7 ] = Κ 2 0 · Α1 2 0 3 ·3Η 2 0 isoliert werden kann. Weitere Kondensation führt zu polykieselsäure-analogen Poly-aluminat-ionen [H2n+ 2Aln03n+l] -n (vgl. S. 317), also ζ. B. zu Tri-aluminat-ionen (n = 3) [Al(0H) s -0-Al(0H) 2 -0-Al(0H)g]"' oder zu Tetra-aluminat-ionen (n = 4) [Al(0H) 3 -0-Al(0H) 2 -0-Al(0H) 2 -0-Al(0H) 3 ]"", die in Form der Natriumsalze Na 3 [H 8 Al,0 lç ] = Na 2 0-Al 2 0 s · 2.67 H 2 0 und Na 4 [H 10 Al 4 Oi 3 ] = Na 2 0-Al 2 0 3 -2.5 H 2 0 bekannt sind. Beim Entwässern gehen die wasserreicheren Aluminate über Zwischenstufen, in denen wahrscheinlich meta-kieselsäure-analoge K e t t e n (S. 318) Na[H 2 A10 3 ] = Na 2 0· Α1 2 0 3 ·2Η 2 0 und Verbindungen mit Blattstruktur (S. 319) NaJH^ALjOj] = Na 2 Ó· Α1 2 0 3 ·Η 2 0 vorliegen, in w a s s e r f r e i e Aluminate Na[A10 2 ] = Na 2 0· A1203 über, denen in Analogie zu den Alumosilicaten (S.321f.) ein dem Siliciumdioxyd Si0 2 (S. 320) entsprechendes h o c h p o l y meres [A102]'-ion mit Raumnetzstruktur zugrundeliegen dürfte. Statt durch Kondensation kann das Aluminat-ion [Al(OH)4]', wie die Isolierung von Natriumsalzen der Zusammensetzung 3 Na 2 0 · A1203 · 6 H 2 0 zeigt, auch durch Aufnahme von 20H'-ionen stabilisiert werden: Na[Al(OH) 4 ] + 2NaOH^IîNa 3 [Al(OH) e ]. Die koordinative Bindung ist aber nicht sehr fest, da das Trinatriumsalz schon beim Waschen mit absolutem Alkohol in Umkehrung der vorstehenden Bildungsgleichung in das Mononatriumsalz bzw. seine Kondensationsprodukte (s. oben) übergeht.
In Umkehrung der Gleichgewichtsreaktionen (1) und (2) fällt Aluminiumhydroxyd bei der Zugabe von B a s e n zu A l u m i n i u m s a l z l ö s u n g e n (Abfangen der im Gleichgewicht (1) befindlichen Wasserstoff-ionen) und bei der Zugabe von S ä u r e n zu A l u minatlösungen (Abfangen der im Gleichgewicht (2) befindlichen Hydroxyl-ionen) als weißer Niederschlag aus. Die F ä l l u n g s f o r m ist dabei je nach der Art der Fällung verschieden. Scheidet man das Aluminiumhydroxyd aus A l u m i n a t l ö s u n g e n bei Zimmertemperatur l a n g s a m (ζ. B. durch Einleiten von Kohlendioxyd : 2 0 H ' + C0 2 —>- C0 3 " + H a O) aus, so erhält man Hydrargillit Al(OH) 3 von deutlich kristalliner Beschaffenheit, während bei s c h n e l l e r Fällung zunächst eine m e t a s t a b i l e M o d i f i k a t i o n , der Bayerit Al(OH) 3 , auftritt, die sich von selbst allmählich in die energie-ärmere Form des Hydrargillits umwandelt. Bei der Fällung aus A l u m i n i u m s a l z l ö s u n g e n (ζ. B. mit Ammoniak) entstehen zunächst amorphe Aluminiumhydroxyde Al(OH) 3 von wechselndem Wassergehalt („Aluminiumoxydhydrate" A1203 · xH 2 0), die langsam — schneller in der Wärme — über die Stufe des rhombischen B ö h m i t s AlOOH und hexagonalen B a y e r i t s Al(OH) 3 in monoklinen H y d r a r g i l l i t übergehen: A1203 + 3 H 2 0 — > - 2A1(0H) 3 . Das A l u m i n i u m h y d r o x y d Al(OH) 3 hat wie die Kieselsäure Si(OH)4 und die Z i n n s ä u r e Sn(OH) 4 in f r i s c h e m Zustande (als amorphes Oxydhydrat) andere Eigenschaften als im „ g e a l t e r t e n " Zustande (als kristallisiertes Hydroxyd). So wird das kristallisierte Aluminiumhydroxyd viel schwerer von Säuren und Basen angegriffen 1 Wie beim A l u m i n i u m gehen auch bei vielen a n d e r e n E l e m e n t e n die primär gebildeten Hydroxoverbindungen durch anschließende Kondensation in Oxoverbindungen über. Analoges gilt für die einfachen H y d r o x y d e , die vielfach leicht in O x y d e übergehen.
Die Borgruppe
374
als das amorphe. Der Grund dafür ist die V e r k l e i n e r u n g der O b e r f l ä c h e bei der Kristallisation (S. 378ff.). Bei gewöhnlicher Temperatur vollzieht sich die „Alterung" nur sehr langsam, bei höherer Temperatur wesentlich schneller. Aluminium-metahydroxyd AIO(OH) findet sich in der Natur in Form eines mit E i s e n h y d r o x y d verunreinigten Böhmits (s. oben) als Bauxit (S. 366). Eine andere, gleichfalls iu der Natur als Mineral vorkommende kristalline Modifikation des Aluminium-metahydroxyds ist der rhombische Diaspor. Böhmit und Diaspor unterscheiden sich dadurch, daß letzterer schon bei 420°, ersterer dagegen erst bei 1000° (auf dem Wege über „γ-Aluminiumoxyd") in „«-Aluminiumoxyd" (s. unten) übergeht : 2 AIO(OH) —>• A1203 + H2O. Aluminiumoxyd AI3O3 („Tonerde"), das sich in der Natur als Korund und Schmirgel findet (s. unten), entsteht in Form des kubischen ,,γ-Aluminiumoxyds" beim E n t wässern von H y d r a r g i l l i t Al(OH)3 oder B ö h m i t AIO(OH) oder durch gelindes Glühen der amorphen O x y d h y d r a t e : Al(OH)3
1 cn°
AIO(OH)
300°
>- y-Al 2 0 3 .
Es stellt ein weißes, in Wasser unlösliches, in starken Säuren dagegen lösliches, hygroskopisches Pulver dar. Bei starkem Glühen auf über 1000° geht es in das säureunlösliche, nicht hygroskopische, bei 2050° schmelzende, hexagonale „tx-Aluminiumoxyd" („Korund") über: y-AlA > α-Α1203. T e c h n i s c h wird das Aluminiumoxyd in großen Mengen aus B a u x i t erzeugt (S. 367ff.). Die Hauptmenge davon dient zur Aluminiumgewinnung (S. 369f.), ein anderer Teil zur Erz eugung künstlicher S c h l e i f m i t t e l , künstlicher E d e l s t e i n e und zur Herstellung h o c h f e u e r f e s t e r c h e m i s c h e r G e r ä t e („Sintertonerde", „Sinter kor und"). Zur Verwendung als S c h l e i f - und P o l i e r m i t t e l eignet sich das durch große Härte ausgezeichnete x-Aluminiumoxyd. Es findet sich in großen Lagern als Korund in Kanada, den Vereinigten Staaten und Indien. In unreiner Form kommt es als Schmirgel vor allem auf Naxos und in Kleinasien vor. Zur Erzeugung k ü n s t l i c h e n K o r u n d s wird Aluminiumoxyd im Flammenbogen eines elektrischen Ofens geschmolzen. Nach dem Erkalten der Sohmelze resultieren Blöcke von 2—3 Tonnen Gewicht, die gebrochen und zerkleinert werden. Das in verschiedene Korngrößen sortierte Material dient hauptsächlich für Schleif z w e c k e (Schleifscheiben, Feilen usw.), sowie für f e u e r f e s t e S t e i n e („Korundsteine", „Dynamidonsteine" ; vgl. S. 334) und wird zu diesem Zwecke mit Ton gebunden und gebrannt. Auch bei dem GOLD sCHMiDTSchen T h e r m i t v e r f a h r e n (S. 371f.) fällt eine K o r u n d s c h l a c k e an, die zu Schleifzwecken verwendet wird („Oorubin", „Korundin"). Zur Herstellung k ü n s t l i c h e r E d e l s t e i n e läßt man das mit Spuren von Metalloxyden (für Rubine: 0.2—0.3°/ 0 Chromoxyd; für Saphire: 0.1— 0.2% Titanoxyd und etwas Eisenoxyd) vermischte Aluminiumoxydpulver durch eine Knallgasflamme oder einen elektrischen Flammenbogen auf die Spitze eines kleinen Tonerdekegels fallen, wo sich die Tröpfchen des geschmolzenen Aluminiumoxyds zu einem klaren, e i n h e i t l i c h e n K r i s t a l l von 1V2 cm Dicke und 2 7 2 bis 3 cm Länge vereinigen, der nach Zerlegung in zwei Hälften zu der gewünschten Form geschliffen wird. In der Hauptsache gewinnt man nach diesem Verfahren R u b i n e , die außer zu Schmuckzwecken in der Uhrenindustrie und für elektrotechnische Meßinstrumente als Achsenlager weitgehende Verwendung finden. Daneben werden auch weiße, gelbe und blaue S a p h i r e , T o p a s e , gelbrote P a d p a r a d s c h a h s , orientalische A m e t h y s t e , sowie rote und blaue Spinelle (MgAl 2 0 4 ) und A l e x a n d r i t e (BeAl 2 0 4 ) gewonnen.
Beim Verschmelzen von A l u m i n i u m o x y d mit M e t a l l o x y d e n entstehen wasserfreie A l u m i n a t e (vgl. S. 322,373) des Typus Me*0· A1203 (Me^lO^ und Me n 0-Al 2 0 3 (Me n Al 2 0 4 ). In der Natur finden sich namentlich kristallisierte Aluminate des letzt e r e n T y p u s („Spinelle") : gewöhnlicher Spinell MgAl 2 0 4 , Zinkspinell ZnAl 2 0 4 , Eisenspinell (Fe, Mg) (Al, Fe) 2 0 4 , Chromspinell (Fe, Mg) (Al, Cr, Fe) 2 0 4 . Das Aluminium ist dabei — wie die Formeln zeigen — häufig isomorph durch dreiwertiges E i s e n und Chrom vertreten. Wegen ihrer Klarheit und ihres Kristallglanzes sind diese Spinelle als H a l b e d e l s t e i n e geschätzt.
375
Das Aluminium
c. Sonstige Aluminiumverbindungen Aluminiumwasserstoff (A1H3) v {„Alan"). A l u m i n i u m m e t h y l A1R3 (R = CH3) und W a s s e r s t o f f setzen sich in der elektrischen Glimrûentladung zu einem Gemisch der Verbindungen AIR3, A1R2H, A1RH2 und A1H3 um, die sich untereinander nach Art des Borins BH 3 (S. 355) und seiner Methylderivate (Anmerkung 2, S. 359) zu höhermolekularen Resonanzverbindungen wie A1R2H · A1R2H (schwerflüchtige, viskose, hochoxydable Flüssigkeit), A1R 2 H·A1RH 2 (fest), A1R 2 H·A1R 3 (flüssig) usw. vereinigen. Aus diesem Gemisch läßt sich durch Einwirkung von Trimethylamin NR 3 eine flüchtige, niedrig schmelzende Additionsverbindung A1H 3 -NR 3 abtrennen, die beim Erhitzen unter Abgabe des Trimethylamins in einen festen, weißen, bis 100° thermisch beständigen, hochpolymeren A l u m i n i u m w a s s e r s t o f f der Bruttozusammensetzung A1H3 übergeht. Die Verknüpfung der A1H 3 -Einheiten erfolgt wahrscheinlich wie im Falle des Diborans (BH3)2 durch R e s o n a n z - W a s s e r s t o f f b r ü c k e n (S. 355), nur daß beim Aluminium wegen der höheren Koordinationszahl 6 jedes Aluminiumatom dreimal den Resonanzbrückenmechanismus betätigen kann und damit koordinativ von 6 Wasserstoffatomen umgeben ist: I /
A 1
I \
/ H2
A 1
I \
H2
/ H2
W
A 1
\
/
I
A 1
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\
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H2
H2
/ H2
H2
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\AI/ I H2
I \
/ H2
H2
A L
I \
/ H2
W
\ a i / I
H2
\ A . / I
I
H2
I
\
H2
I \
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I
„ / H2
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I
/
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W
A ,
H2
!
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/
/ H2
\AI/
H2
H2
\
H2
I
/
A 1
H2
A I
\ H2
\
H2
I Aluminiumwasserstoff (A1H3)X
I
In Form einer flüssigen A n l a g e r u n g s V e r b i n d u n g Α1Η 3 ·3 B H j = Al(BH 4 ) 3 (Smp.—64.5° Sdp. + 4 4 . 5 ° ) : Α., ' «
Λ
>
0
,
(vgl. S. 368) ist der Aluminiumwasserstoff durch Umsetzung von Aluminiummethyl A1B3 mit Diboran (BH 3 ) 2 : AIR, + B H 3 — V A1H3 + BB 3 und in Form einer A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g A1H3 · LiH = LiAlH 4 („Lithiumalanat"; feste, weiße, ätherlösliche1 Substanz) durch Umsetzung von Aluminiumchlorid A1C13 mit Lithiumhydrid LiH darstellbar: Δ ί α , + 3 LiH — > A1H3 + 3 LiCl. 1
Wahrscheinlich liegt in der ätherischen Lösung in Analogie zu den Grignard-Verbindungen (II, S. 72) ein Ätherat vor: R20\ /H >Li/ yAl
Me0 als konstant angesehen werden können. 1
pyr (m/p) = Feuer; phoros (φόρος) = Träger.
384
Die Borgruppe
Da es nun, wie wir im Vorhergehenden gesehen haben, energiereichere und energieärmere Zustände ein- und desselben festen Stoffes gibt, die sich durch einen größeren bzw. kleineren Dampfdruck auszeichnen, ist natürlich die G l e i c h g e w i c h t s - , C o n s t a n t e " iC'Me(OH), gegebener Temperatur vom E n e r g i e - i n h a l t d e s H y d r o x y d s u n d O x y d s a b h ä n g i g . J e f e i n t e i l i g e r z . B . das abzubauende H y d r o x y d ist, desto g r ö ß e r ist auch der G l e i c h g e w i c h t s - W a s s e r d a m p f d r u c k ^H„O> da dann auch der Dampfdruck py^osi, größer ist. Und je f e i n t e i l i g e r umgekehrt das entstehende O x y d ist, desto k l e i n e r ist der W a s s e r d a m p f d r u c k über dem festen Gemisch. Die so bedingten Unterschiede des Gleichgewichtsdruckes können recht erheblich sein. So berechnet sich ζ. B. der Wasserdampfdruck von a-FeOOH bei 20° im Gleichgewicht mit einem bei 240° erzeugten oc-Fe203 zu 0.03 mm, im Gleichgewicht mit einem bei 600° gewonnenen energieärmeren ¡x-Fe203 dagegen zu 95 mm (2 a-FeOOH ^ ± . a - F e 2 0 3 + H 2 0 ) . SO kommt es, daß sich a-FeOOH bei 100° im Vakuum über Phosphorpentoxyd nicht entwässern läßt, da hierbei entsprechend der O S T W A L D sehen Stufenregel zunächst ein energiereicheres - 3BeH2 + 2A1C1,. Die freie Verbindung stellt eine feste weiße Substanz dar, ist außerordentlich empfindlich gegenüber Luft und Feuchtigkeit und reagiert mit Chlorwasserstoff heftig unter Bildung von Berylliumchlorid. Versetzt man Berylliumsalzlösungen mit B a s e n , so fällt Beryllium-hydroxyd Be(OH) 2 , das in zwei Modifikationen als Mg(OH)2. Bei Verwendung von A m m o n i a k als Base ist die Fällung wegen der gegeringen Hydroxylionenkonzentration des wässerigen Ammoniaks unvollständig. In A m m o n i u m s a l z - l ö s u n g e n löst sich Magnesiumhydroxyd leicht, weil die Ammonium-ionen die Hydroxyl-ionen abfangen (NH4' + OH' —>- NH S + H 2 0), so daß die zur Überschreitung des Löslichkeitsproduktes CMg·· X Coh' = 5.5 x l O - 1 2 erforderliche Hydroxylionenkonzentration nicht erreicht wird. Dementsprechend bildet sich auch
392
Die Gruppe der Erdalkalimetalle
bei der Zusammengabe von Magnesiumsalzlösungen und Ammoniak in Gegenwart genügender Mengen Ammoniumsalz kein Niederschlag. Als zweisäurige starke Base bildet Magnesiumhydroxyd mit Säuren basische und normale Salze. Magnesiumchlorid MgClj kommt in Form des Carnallits MgCl2 · KCl · 6 H 2 0 in den Kaliumsalzlagerstätten vor. T e c h n i s c h wird es durch Eindampfen der E n d l a u g e n der K a l i u m c h l o r i d g e w i n n u n g (S. 416f.) als Hexahydrat MgCl2 · 6 H 2 0 oder — bei stärkerem Eindampfen — als wasserärmeres Produkt gewonnen. Da die Menge des absetzbaren Magnesiumchlorids verhältnismäßig gering ist, verarbeitet man nur einen kleinen Teil der Endlaugen auf Magnesiumverbindungen ; der größte Teil wird als Abwasser in die Flüsse geleitet oder eingedampft und als Versatzmaterial in die Salzschächte (S. 416) zurückbefördert. Magnesiumchlorid ist sehr ,,hygroskopisch" (vgl. S. 412); seine Gegenwart im Kochsalz bewirkt dessen Feuchtwerden an der L u f t (S. 408). Die wässerige Lösung reagiert neutral. Beim Eindampfen der Lösung entweicht Chlorwasserstoff: MgCla + HÖH ^ ± 1 Mg(OH)Cl + HCl. Dementsprechend läßt sich das Hexahydrat auch nur in einer Chlorwasserstoffatmo. Sphäre unzersetzt entwässern (vgl. S. 376f.). Das wasserfreie Magnesiumchlorid bildet eine blättrig-kristalline Masse, die bei 718° zu einer wasserhellen, leicht beweglichen Flüssigkeit schmilzt. Magnesiumcarbonat MgCOa findet sich in der N a t u r als Dolomit (Perlspat, Braunspat) MgCOg · CaCOj und als Magnesit (Talkspat, Bitterspat) MgC0 3 . I n wässeriger Lösung bildet es sich aus Magnesium- und Carbonat-ionen nur bei genügendem Überschuß an freier Kohlensäure. Andernfalls entsteht b a s i s c h e s M a g n e s i u m c a r b o n a t [MgiMgCOjJJ (OH) 2 · 5H 2 0, das in Form eines weißen lockeren Pulvers als „Magnesia alba" („Magnesia carbonica") in der Medizin, sowie zu Pudern, Zahn- und Putzpulvern, hauptsächlich jedoch zum Füllen von Kautschuk, Papier und Farben Verwendung findet. Magnesinmsulfat MgS0 4 kommt in der N a t u r als Kieserit MgS0 4 · H 2 0 und als Bittersalz MgS0 4 · 7 H 2 0 (Magnesiumvitriol) sowie in Form des Doppelsalzes MgS0 4 · KCl · 3 H 2 0 (Kainit) vor (vgl. auch S. 416). Das Bittersalz schmeckt widrig bitter und wird in der Medizin als Abführmittel verwendet. Bei 150° verliert es 6 Mol Wasser, das siebente erst oberhalb 200°. Hierin verhält es sich analog wie die Sulfate des Zinks, Mangans, Eisens, Nickels und Kobalts, die mit ihm isomorph sind. Man nimmt daher an, daß diese „Vitriole" MeS0 4 · 7 H 2 0 die Konstitution [ M e ( H 2 0 ) j S 0 4 · H 2 0 besitzen, wobei das zum Sulfat-ion gehörende Wassermolekül durch W a s s e r s t o f f b r ü c k e n (S. 218) gebunden wird: Ov
++
CK*
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Ηχ
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Analoges gilt f ü r die Vitriole der Zusammensetzung MeS0 4 · 5 H 2 0 (Me ζ. Β. = Cu oder Μη), denen die Konstitution [ M e ^ O J J S 0 4 · H a O zukommt (S. 437). Mit Kalium- und Ammoniumsulfat bilden die Vitriole D o p p e l s u l f a t e des Typus Me£Me n (S0 4 ) 2 · 6 H 2 0 , die untereinander ebenfalls isomorph sind.
3. D a s Calcium a. Elementares Calcium Vorkommen. Das Calcium gehört zu den 10 häufigsten Elementen (S. 68) und ist am Aufbau der Erdrinde mit 3.4°/ 0 beteiligt. Und zwar findet es sich in der N a t u r als Carbonai, Sulfat, Silicat, Phosphat und Fluorid, also in Form von Verbindungen,
Das Calcium
393
welche in Wasser s c h w e r - oder u n l ö s l i c h sind. Das Carbonai CaC03 kommt als Kalkstein, Kreide und Marmor sowie in riesigen Mengen als D o p p e l c a r b o n a t CaC03 · MgCOj (.Dolomit) vor (S. 395). Das S u l f a t bildet als Gips CaS0 4 · 2 H 2 0 (wasserfrei: Anhydrit CaS0 4 ) gewaltige Lager (S. 396) und findet sich außerdem als Bestandteil des Meerwassers (0.16°/. CaS0 4 ). C a l c i u m s i l i c a t e und namentlich Calciumd o p p e l s i l i c a t e bilden die überwiegende Masse der Silicatgesteine (S. 321f.). Calc i u m p h o s p h a t e f i n d e n sich ala Phos horit Ca 3 (P0 4 ) 2 und 3Ca 3 (P0 4 ) 2 · Ca(F, Cl)s (S. 246). Das F l u o r i d kommt als Flußspat (Fluorit) CaF2 vor. Darstellung. Metallisches Calcium wird technisch durch E l e k t r o l y s e von ges c h m o l z e n e m C a l c i u m c h l o r i d (Smp. 780°) in eisernen Elektrolysegefäßen hergestellt. Als A n o d e n dienen große Kohleplatten, als K a t h o d e ein durch ein Schra.ubengewinde auf und ab bewegbarer dünner Eisenstab. Die Kathode wird so angeordnet, daß ihre untere Spitze eben die Schmelze berührt („Berührungselektrode"). Es scheidet sich dann bei der Elektrolyse geschmolzenes Calcium (Smp. 845°) ab, das beim Heben der Kathode erstarrt. Durch fortgesetztes Heben während der Elektrolyse gelangt man so zu einem immer länger werdenden metallischen Calciumstab von 1 bis mehreren Zentimetern Dicke. Physikalische Eigenschaften. Calcium ist ein silberweißes, glänzendes, an der Luft jedoch schnell anlaufendes Metall (Smp. 845°, Sdp. 1439°), welches so weich wie Blei ist und das spezifische Gewicht 1.54 besitzt. Chemische Eigenschaften. Calcium wird bei g e w ö h n l i c h e r T e m p e r a t u r von Sauerstoff, Chlor, Brom und Jod nur langsam angegriffen. Beim E r h i t z e n erfolgt lebhafte Reaktion. Beim Verbrennen an der Luft entsteht sowohl Oxyd wie Nitrid: Ca + | 0 2 — > CaO + 153 kcal 3 Ca + N 2 • Ca3N2 + 109 kcal.
Mit W a s s e r reagiert Calcium bei gewöhnlicher Temperatur träge, beim Erwärmen lebhafter unter Wasserstoffentwicklung. In flüssigem A m m o n i a k löst sich Calcium mit tief blauschwarzer Farbe als Ammoniakat Ca(NH3)e.
b. Verbindungen des Calciums Calciumhydrid CaH» wird technisch durch Überleiten von W a s s e r s t o f f über Calcium bei 400° dargestellt: Ca + H 2
>• CaH„ + 45.9 kcal.
Es kommt als weiße, kristalline Masse in den Handel, aio mit Wasser heftig unter Wasserstoffentwicklung reagiert : CaH, + 2HÖH — > - Ca(OH2 -f H , | 54 kcal.
Da 1 kg des Hydrids dabei etwa 1 m 3 Wasserstoffgas entwickelt, kann man es an abgelegenen Orten zur Erzeugung von Wasserstoff verwenden. Der Wasserstoff ist im Calciumhydrid heteropolar gebunden: H~Ca ++ H~ (vgl. S. 146, 420). Calciumoxyd CaO („Ätzkalk") wird technisch in großen Mengen durch Erhitzen von C a l c i u m c a r b o n a t (Kalkstein) auf 900—1000° („Kalkbrennen") dargestellt (vgl. S
"396):
42.7 kcal + CaC03
>- CaO + C0 2 .
Das dabei entstehende Produkt heißt „gebrannter Kalk" oder
„Branntkalk".
Das B r e n n e n des K a l k s t e i n s erfolgte in den ältesten Zeiten in Meilern, später in einfachen Feldöfen ohne Ummauerung; heute geschieht es in Schacht- oder Ring- oder Drehrohröfen. Wärmetechnisch besonders vollkommen sind die Ringöfen. Bei ihnen dient die Wärme der abziehenden Feuergase zum Vorwärmen frischen Calciumcarbonats, während die in der fertig gebrannten Ware aufgespeicherte Hitze zum Vorwärmen der Verbrennungsluft ausgenutzt
394
Die Gruppe der Erdalkalimetalle
wird. Fig. 121 gibt von oben gesehen einen horizontalen Schnitt durch einen solchen Ringofen wieder. Er besteht aus einem „Brennkanal" von etwa 3 m Breite und 3 m Höhe, in welchem der Kalkstein unter Aussparung von je 20 cm breiten „Heizschlitzen" in „Abteilen" von je 3 m Länge aufgeschichtet wird. Jedes Abteil ist durch eine Tür von außen zugänglich und weist einen zu einem Schornstein führenden Rauchabzug auf. Das Feuer wird durch entsprechendes Einführen von Brennstoff in die Heizschlitze von Kammer zu Kammer in der Richtung der Pfeile weiterverlegt. Die heißen Verbrennungsgase wärmen das Material der nachfolgenden Abteile vor, die Verbrennungsluft wird durch den in Nachglut stehenden Ofeneinsatz der vorhergehenden Abteile vorgewärmt und kühlt dabei deren Inhalt ab.
Fig. 121. Horizontalschnitt durch einen Ringofen zum Brennen von Kalkstein In Fig. 121 stehen die Abteile 9 und 10 im Vollfeuer, 7 und 8 in Nachglut, 11 und 12 in Vorglut. Das Heizfeuer befindet sich im Heizschlitz zwischen Abteil 8 und 9, die Verbrennungsluft wird in den Abteilen 7 und 8 vorgewärmt, die heißen Verbrennungsgase heizen die Beschickungen der Abteile 11—17 vor (Türen 7—17 geschlossen). Die Abteile 2—6 sind abgebrannt; aus i\bteill wird der fertig g e b r a n n t e , abgekühlte K a l k ausgefahren, in Abteil 18 neuer K a l k s t e i n eingesetzt; die Abteile 13—17 sind mit frischem K a l k s t e i n gefüllt. Nach einiger Zeit wird das Feuer um ein Abteil weiterverlegt, so daß sich Abteil 10 und 11 im Vollfeuer, 8 und 9 in Nachglut und 12 und 13 in Vorglut befinden. Abteil 2 kann dann ausgekarrt werden, während 1 mit neuem Kalkstein beschickt wird usw. Gebrannter Kalk hat die Eigenschaft, mit Wasser unter starker Wärmeentwicklung und Bildung von C a l c i u m h y d r o x y d zu reagieren („Kalklöschen"): CaO + H 2 0 — > Ca(OH)2 + 16 kcal. Der dabei entstehende „gelöschte Kalk" dient zur Bereitung von L u f t m ö r t e l (S. 399). U n r e i n e K a l k s t e i n e mit Beimengungen an Tonerde, Kieselsäure oder Eisenoxyd dürfen nicht bei zu h o h e r T e m p e r a t u r gebrannt werden, da sie sonst wegen der im Vergleich zum Calciumoxyd (Smp. 2576°) leichteren Schmelzbarkeit der Calciumaluminate, -silicate und -ferrite (Smp. 1500—1600°) s i n t e r n und so ein nur noch s c h w e r m i t W a s s e r r e a g i e r e n d e s Produkt ergeben (,,totgebrannter Kalk"). Der aus g a n z r e i n e m Calciumcarbonat (Marmor) entstehende Kalk wird auch bei sehr hohen Temperaturen n i c h t t o t g e b r a n n t , da wegen des hohen Schmelzpunktes von Calciumoxyd eine Sinterung bei den Temperaturen des Kalkbrennens nicht erfolgen kann und man daher ein lockeres, amorphes, weißes Pulver erhält. Bei starkem Erhitzen mit einer Knallgasflamme strahlt Calciumoxyd ein sehr helles weißes Licht aus („DRUMMONDsches Kalklicht"). Mit Kohle setzt es sich bei hohen Temperaturen zu C a l c i u m c a r b i d CaC2 (S. 397f.) um. Außer zur M ö r t e l b e r e i t u n g und C a r b i d g e w i n n u n g wird Calciumoxyd zur Darstellung von A m m o n i a k (S. 222), als O f e n f u t t e r (S. 511f.), als b a s i s c h e r Z u s c h l a g beim Erschmelzen von Metallen (S. 509), als D ü n g e m i t t e l (S. 263) und in der Glasfabrikation (S. 332) verwendet. Calciumhydroxyd Ca(OH)s entsteht beim L ö s c h e n v o n g e b r a n n t e m K a l k (s. oben) und bildet ein weißes, staubiges, amorphes Pulver. In Wasser ist es mäßig
Das Calcium
395
schwer löslich; die L ö s u n g heißt „Kalkwasser" und reagiert stark b a s i s c h . Eine S u s p e n s i o n von C a l c i u m h y d r o x y d in K a l k w a s s e r wird „Kalkmilch" genannt und dient u. a. als weiße Anstrichfarbe für Zimmerdecken. Calciumhydroxyd wird hauptsächlich zur Herstellung von M ö r t e l (S. 399) für Bauzwecke verwendet. Als b i l l i g s t e B a s e der Technik findet es weiterhin ausgedehnte Verwendung zum Freimachen von A m m o n i a k aus dem Gaswasser der Leuchtgasfabriken (S. 222), zum K a u s t i f i z i e r e n v o n S o d a (S. 409), als Ä t z m i t t e l in der Gerberei (II, S. 370) usw. Calciumfluorid CaF2 kommt in der Natur in beträchtlichen Mengen als Flußspat vor. Als sehr schwer löslicher Stoff fällt er stets beim Zusammengeben von Calciumionen und Fluor-ionen aus: Ca" + 2 F ' —>- CaF 2 . Der Schmelzpunkt liegt bei 1400°, der Siedepunkt bei 2500°. Calciumfluorid dient vor allem zur Darstellung von Flußsäure (S. 95), als Trübungsmittel in der Emaille-Industrie (S. 333) und als Flußmittel bei metallurgischen Prozessen (S. 389). Calciumchlorid CaCl2 wird t e c h n i s c h als A b f a l l p r o d u k t bei der S o d a f a b r i k a t i o n nach SOLVAY (S. 413f.) erhalten: CaC03 + 2NaCl >- CaCla + Na2C03. R e i n e s Calciumchlorid entsteht beim Lösen von C a l c i u m c a r b o n a t in S a l z s ä u r e : CaCOj + 2 HCl > CaCl2 + H 2 0 + C0 2 . Beim Eindunsten der wässerigen Lösung kristallisiert e s a l s H e x a h y d r a t CaCl2 ·6Η 2 0 in Form prismatischer Kristalle aus. Durch Erhitzen auf über 260° kann das Hydrat zum w a s s e r f r e i e n Calciumchlorid CaCl2 entwässert werden, einer weißen, außerordentlich hygroskopischen, bei 780° schmelzenden Masse. Die Temperatur darf bei dieser Entwässerung nicht zu r a s c h gesteigert werden, da sonst teilweise H y d r o l y s e unter Bildung von Chlorwasserstoff erfolgt. Das w a s s e r f r e i e Calciumchlorid löst sich in Wasser unter starker W ä r m e e n t w i c k l u n g , das H e x a h y d r a t dagegen unter starker A b k ü h l u n g . Mischungen von wasserhaltigem Calciumchlorid und Eis werden daher oft als „Kältemischungen" benutzt; man kann damit Temperaturen bis herab zu —50° erreichen. Wasserfreies Calciumchlorid dient als T r o c k e n m i t t e l zum Trocknen von Gasen. A m m o n i a k kann nicht damit getrocknet werden, da es sich mit Calciumchlorid unter Bildung einer Verbindung CaCl2 · 8NH 3 vereinigt. Calciumnitrat Ca(N0j)¡í wird technisch durch Einwirkung von S a l p e t e r s ä u r e auf K a l k s t e i n gewonnen: CaC03 + 2HNOs •—> Ca(N03)2 + H 2 0 + C02 und kommt unter dem Namen „Kalksalpeter" („Norgesalpeter") als D ü n g e m i t t e l in den Handel. Aus wässeriger Lösung kristallisiert Calciumnitrat in Form monokliner Prismen der Zusammensetzung Ca(N0 3 ) 2 · 4 H 2 0 aus, die oberhalb 40° in ihrem Kristallwasser schmelzen (vgl. S. 412) und beim Erhitzen auf über 100° in die wasserfreie Verbindung (Smp. ~ 560°) übergehen. Calciumcarbonat CaCOî kommt in der Natur in zwei kristallisierten Modifikationen vor: als hexagonal kristallisierter „Calcit" {„Kalkspat") — oft in gutausgebildeten Kristallen von erheblicher Größe — und als rhombisch kristallisierter „Aragonit". Die b e s t ä n d i g e Form ist der C a l c i t . Aus mehr oder weniger feinen Calcitkristallen bestehen auch die gewöhnlichen Erscheinungsformen des Calciumcarbonats in der N a t u r : Kalkstein, Kreide und Marmor. K a l k s t e i n ist ein hauptsächlich durch Ton verunreinigtes Calciumcarbonat; bei stärkeren Tongehalten wird er als Kalkmergel (75—90% CaC0 3 ), Mergel (40—75% CaC0 3 ) oder Tonmergel (10—40% CaC0 3 ) bezeichnet. K r e i d e stellt eine erdige, weiche, vorwiegend aus Schalenresten urweltlicher
396
Die Grappe der Erdalkalimetalle
Schnecken und Muscheln {„Muschelkalk") bestehende F o r m des Calciumcarbonats dar. M a r m o r Λ π r / >P, [= ip p, iiii 11 K/1 M ist ein sehr reines, feinkristallines Calciumcarbonat. A b j y β t| p Η \\ìf{J ¿ J N J Besonders rein ist der auf I s l a n d vorkommende Kalkspat. E r heißt auch „Doppelspat", weil er beson7 ders eindrucksvoll das allen Kristallen mit bestimmten Doppelspaf Symmetrieeigenschaften eigentümliche Phänomen der ,, , j T. , , „Doppelbrechung" zeigt. Hierunter versteht man die Fig. 122. Doppelbrechung des Lichtes E r e c h e i n u n g ) d a ß e i n einfallender Lichtstrahl in zwei polarisierte Lichtstrahlen („ordentlicher" und „außerordentlicher" Strahl) zerlegt wird, welche verschieden stark gebrochen werden, so daß eine durch einen solchen Kristall betrachtete Schrift oder dergleichen d o p p e l t erscheint (Fig. 122). Man benutzt den isländischen Doppelspat zur Herstellung von P r i s m e n („Nicole") für die Umwandlung von unpolarisiertem Licht in polarisiertes Licht. Als schwer lösliche Verbindimg fällt Calciumcarbonat aus wässerigen Lösungen beim Zusammengeben von Calcium - ionen und Carbonat-ionen a u s : C a " + C 0 3 " — > • C a C 0 3 . Der Niederschlag ist zunächst a m o r p h und geht dann in Berührung mit der Lösung langsam in die k r i s t a l l i n e F o r m des Calcits über. In k o h l e n s ä u r e h a l t i g e m Wasser ist Calciumcarbonat beträchtlich löslich, da sich dabei das ziemlich leicht lösliche C a l c i u m h y d r o g e n c a r b o n a t ( C a l c i u m b i c a r b o n a t ) Ca(HC0 3 ) 2 bildet: CaCOj + H 2 C0 3
Ca(HC0 3 ) 2 .
(1>
Beim K o c h e n oder E i n d u n s t e n der Lösung verschiebt sich das Gleichgewicht (1) infolge des Entweichens von Kohlendioxyd ( H 2 C 0 3 — H 2 0 + C 0 2 ) wieder nach l i n k s , so daß C a l c i u m c a r b o n a t a u s f ä l l t . Hierauf beruht die Abscheidung von „Kesselstein" beim Erhitzen von calciumbicarbonat-haltigem Wasser in Dampfkesseln und die Bildung von ,, Tropfsteinen" beim Verdunsten von hartem Wasser in Kalkgebirgen. Fast jedes Fluß- und Quellwasser enthält mehr oder weniger große Mengen an Calciumsalzen (und Magnesiumsalzen), hauptsächlich C a l c i u m b i c a r b o n a t und C a l c i u m s u l f a t . Ein an Calciumsalzen r e i c h e s Wasser heißt „hartes Wasser" zum Unterschied von calciumsalzf r e i e m oder - a r m e m Wasser, das man als „weiches Wassel" bezeichnet. Gemessen wird die Härte in „Härtegraden", unter denen man die Anzahl Milligramm CaO je 100 ccm Wasser versteht. Beim K o c h e n von hartem Wasser fällt das C a l c i u m b i c a r b o n a t als Calciumcarbonat aus, wodurch ein Teil der Härte — die „vorübergehende" oder „temporäre Härte" — verschwindet. Die zurückbleibende, auf den Gehalt an C a l c i u m s u l f a t zurückzuführende Härte heißt „bleibende" oder „permanente Härte". Vorübergehende und bleibende Härte ergeben zusammen die „Oesamthärte". Ein sehr weiches Wasser (1 Härtegrad) weist ζ. B . die in einer Buntsandsteiniandschaft (Si0 2 ) gelegene Stadt Gotha auf; dagegen ist das Leitungswasser der in einer Muschelkalklandschaft (CaC03) hegenden Stadt Würzburg sehr hart (37 Härtegrade). Die E n t h ä r t u n g von Wasser für technische Zwecke erfolgt entweder durch D e s t i l l a t i o n des Wassers (S. 49) oder durch chemische A u s f ä l l u n g der störenden Ionen (ζ. B. mit S o d a : Ca" + C 0 3 " CaC03 oder mit N a t r i u m p h o s p h a t : 3Ca" + 2 P 0 4 ' " >- Ca 3 (P0 4 ) 2 ) oder schließlich durch Bindung der Ionen mittels geeigneter „Ionenaustauscher" wie „Permutit" (vgl. S. 321 f.) oder „Wofatit". Namentlich die W o f a t i t e , organische Kunstharze, bürgern sich mehr und mehr zur Enthärtung von Wasser ein, da sie eine V o l l e n t s a l z u n g harten Wassers ermöglichen. Man leitet zu diesem Zweck das Wasser durch zwei Wofatitfilter, deren erstes saure Gruppen enthält und die K a t i o n e n des harten Wassers gegen W a s s e r s t o f f ionen austauscht: Ca" + H 2 W — - v CaW + 2H'
(2)
(W = Wofatitrest), während das zweite, b a s i s c h e Filter die Anionen bindet und dafür H y d r o x y l i o n e n abgibt: S 0 4 " + W(OH)2 — > - W S 0 4 + 2 0 H ' , (3) welche durch die gemäß (2) gebildeten Wasserstoffionen neutralisiert werden, so daß reines, salzfreies Wasser hinterbleibt. Beim E r h i t z e n zersetzt sich Calciumcarbonat unter Bildung von C a l c i u m o x y d und K o h l e n d i o x y d : ^ ^ Ca0 +
Das Calcium
397
Die Reaktion dient zur Darstellung von g e b r a n n t e m K a l k (S.393f.) und zur K o h l e n d i o x y d g e w i n n u n g (S. 295f.). Gemäß dem Massenwirkungsgesetz (vgl. S. 117f.) entspricht j e d e r T e m p e r a t u r ein ganz b e s t i m m t e r G l e i c h g e w i c h t s d r u c k pGOt (Fig. 123). Bei 900° erreicht dieser Gleichgewichtsdruck den Wert 1 Atmosphäre. Deshalb muß man beim Kalkbrennen (S. 393f.) mindestens auf 900° erhitzen, falls man nicht mit Unterdruck arbeitet. Ist der äußere Kohlendioxyddruck höher als der Gleichgewichtsdruck, so zersetzt sich Calciumcarbonat nicht; unter diesen Bedingungen gelingt es, seinen Schmelzpunkt zu ermitteln (1289° unter 110 Atmosphären Druck). Calciumsulfat CaSOi findet sich in der Natur als Gips CaS0 4 · 2 H 2 0 und Anhydrit CaS0 4 . A b a r t e n des Gipses sind das „Marienglas" {„Frauenglas") und der „Alabaster", der für Bildhauerzwecke Verwendung findet. Aus reiner wässeriger Lösung kristallisiert Calciumsulfat unterhalb 66° stets als Gips, oberhalb 66° als Anhydrit. Bei Gegenwart anderer Salze kann die Abscheidung von Anhydrit auch bei niedrigeren Temperaturen erfolgen.
SW
900° 1110° fjso· • Temperatur
Fig. 123. Dissoziationsdrucke der Erd-
Beim E r h i t z e n auf 1000 spaltet der Gips einen Teil seines Kristallwassers ab und geht in das „Halbhydrat" CaS0 4 · 1/2Ή.20 („gebrannter Gips") über. Als Pulver mit Wasser zu einem Brei verrührt, e r h ä r t e t dieses rasch zu einer festen, aus feinfaserigen, miteinander verfilzten Gipskriställchen bestehenden Masse. Auf dieser Eigenschaft beruht die Verwendung des gebrannten Gipses im B a u g e w e r b e , der k e r a m i s c h e n I n d u s t r i e , der B i l d h a u e r e i und zu vielen anderen Zwecken (S. 399). In der Technik entwässert man bei 120—180° in Eisenkesseln {„Gipskocher") oder Trommelöfen. Das dabei entstehende Produkt („Stucbgips") ist noch etwas wasserärmer als das Halbhydrat. Bei 190—200° entweicht aus dem Stuckgips der Rest des Wassers; der so gebildete „wasserfreie Stuckgips" bindet so schnell mit Wasser ab, daß er praktisch nicht verwendet wird. Beim Erhitzen auf 500° büßt der Stuckgips seine Abbindefähigkeit wieder ein. Bei höherer Temperatur, praktisch beim Brennen in Schachtöfen bei 800—900°, entsteht eine Form des Calciumsulfats („Estrichgips"), welche in feinpulveriger Form mit Wasser langsam (in 24 Stunden und länger) abbindet und hydraulische Eigenschaften aufweist, während der Stuckgips rasch (in 10—20 Minuten) abbindet und unter Wasser langsam wieder erweicht. Gips, welcher bei 1000—1200° gebrannt wird, geht in „totgebrannten Gips" über, der sich ähnlich wie natürlicher Anhydrit nur sehr schwer mit Wasser umsetzt. Oberhalb 1200° wird S0 3 ( — > S 0 2 + 1 I 2 0 2 ) abgespalten; der dabei entstehende basische Gips besitzt wieder die Fähigkeit, mit Wasser zu erhärten. Die Gewinnung von Schwefeldioxyd zur Schwefelsäurefabrikation durch die letztgenannte thermische Spaltung von Gips: CaS0 4 CaO + S 0 2 + V 2 0 2 ist wegen der erforderlichen hohen Temperatur von über 1200° u n w i r t s c h a f t l i c h . Setzt man aber dem Gips K o k s und t o n i g e Z u s c h l ä g e zu, so erfolgt die Spaltung bei w e s e n t l i c h n i e d r i g e r e r T e m p e r a t u r , da dann unter gleichzeitiger Kohlenoxydbüdung das Calciumoxyd als Calcium-aluminat und -Silicat abgefangen wird. Wählt man dabei das Mischungsverhältnis von Gips und Tonmaterial so, daß die Zusammensetzung des beim Brennen im Drehrohrofen entstehenden festen Produkts der Zusammensetzung von P o r t l a n d z e m e n t (S. 400f.) entspricht, so deckt die Zementgewinnung die Kosten der thermischen Zerlegung des Calciumsulfats. Das gewonnene Schwefeldioxyd wird nach dem Kontaktverfahren in Schwefelsäure
398
Die Groppe der Erdalkalimetalle
verwandelt. Das Verfahren („MÜLLER-KÜHNE-Verfahren") wird in beschränktem zur Schwefelsäure- und Zementerzeugung durchgeführt.
Umfang
Calciumsnlfid CaS entsteht beim Glühen von C a l c i u m s u l f a t mit K o h l e : CaS0 4 2C — >- CaS + 2CO a . ES erlangt wie viele andere Sulfide (z.B. Strontium-, Barium-, Zink-, Cadmiumsulfid) durch Zusatz von S p u r e n e i n e s S c h w e r m e t a l l s a l z e s und starkes Glühen in Gegenwart von Schmelzmitteln die Eigenschaft, nach Belichtung längere Zeit im Dunkeln n a c h z u l e u c h t e n oder bei Bestrahlung mit u n s i c h t b a r e n S t r a h l e n wie Röntgen-, Elektronen-, α- oder ultravioletten Strahlen s i c h t b a r e s L i c h t auszusenden {„Leuchtstoffe", „Luminophore", „Phosphore"). Der Schwermetall„Aktivator" darf nur in Spuren (10 - 2 °/0) vorhanden sein. Calciumcarbid CaCj („Carbid") wird technisch in riesigen Mengen aus K a l k und K o k s im Lichtbogen eines elektrischen Ofens hergestellt: 112 kcal + CaO + 3C
CaC2 + CO.
Die Reaktion ist eine G l e i c h g e w i c h t s r e a k t i o n . Unterhalb 1600° wirkt Kohlenoxyd auf Calciumcarbid unter Bildung von Kalk und Kohle ein, oberhalb 1600° beginnt bei Atmosphärendruck die Carbidbildung aus Kalk und Kohle. Technisch arbeitet man bei 2200—2300°. Bei extrem hohen Temperaturen reagieren Kalk und Carbid miteinander unter Bildung von Calcium und Kohlenoxyd (CaC2 + 2 CaO —>• 3 Ca + 2CO). Die Carbidöfen bestehen aus feuerfesten Steinen. Boden und Wände sind mit Kohlenstampfmasse ausgekleidet und bilden die eine Elektrode. Als Gegenelektroden dienen mehrere große, künstlich hergestellte Kohlenelektroden, welche in den Ofen hineinragen und zur Erzeugung eines dauernden Lichtbogens nach oben und unten bewegt werden können. Besonders geeignet sind als Gegenelektroden die „SöDERBERG-Elelctroden". Bei diesen wird in Eisenblechzylindern von bis zu l x / 2 m Durchmesser eine auf 100° angewärmte breiartige Stampfmasse aus Anthrazit, Koks, Teer und Pech mit Drucklufthämmern eingestampft. In dem Maße, in dem beim Betriebe die Elektrode unten abbrennt, wird die Masse nachgesenkt und oben neu eingestampft. Die angewendeten Spannungen betragen bei den Großöfen 100—160 Volt, die Leistungen bis zu 27000 Kilowatt. Das entstehende dünnflüssige Calciumcarbid wird von Zeit zu Zeit abgestochen, in eisernen Pfannen aufgefangen und nach dem Erkalten gebrochen und gegebenenfalls gemalden.
T e c h n i s c h e s Calciumcarbid ist grauschwarz und enthält meist noch 1—2°/ 0 Kohlenstoff und 12—15% Calciumoxyd. I n r e i n e m Z u s t a n d e bildet Calciumcarbid eine farblose kristalline Masse. 6 0 % der deutschen Carbiderzeugung dienen zur Gewinnung von K a l k s t i c k s t o f f (s. unten), 4 0 % zur Darstellung von A c e t y l e n (II, S. 128ff.); das erzeugte Acetylen wird zur Hälfte zu organischen Synthesen (Essigsäure, Alkohol, Acetaldehyd, Buna, Kunststoffe usw.; II, S. 79, 107, 131f., 134f.), zur anderen Hälfte zu Schweißzwecken (S. 43) verwendet. Kalkstickstoff. Bringt man feingemahlenes C a l c i u m c a r b i d bei hoher Temperatur mit S t i c k s t o f f zur Umsetzung, so entsteht in stark exothermer Reaktion ein Gemisch von Calcium-cyanamid CaCN2 und Kohlenstoff, das man als „Kalkstickstoff" bezeichnet : CaC2 + N 2 r^zil CaCNü + C + 72 kcal.
Die Stickstoffaufnahme („Azotierung") beginnt bei 800° und erfolgt bei 1000—1100° mit technisch brauchbarer Geschwindigkeit. Erhitzt man aber die g a n z e Carbidmasse auf eine so hohe Temperatur, so kommt man infolge der großen Reaktionswärme in Temperaturgebiete, in denen sich die exotherme G l e i c h g e w i c h t s r e a k t i o n umkehrt. Diese Schwierigkeit wird beim „FRANK-CARO-Verfahren" in der Weise überwunden, daß man nur einen Teil der Carbidmasse auf die Reaktionstemperatur erhitzt und den übrigen Teil durch die R e a k t i o n s w ä r m e zur Umsetzung bringt. Beim „POLZENIUS-KRAUSS-Verfahren" wird die Reaktion dadurch gemäßigt, daß man durch Zusatz von C a l c i u m c h l o r i d oder C a l c i u m f l u o r i d die Azotiertemperätur auf etwa 700° h e r a b s e t z t und die Reaktionswärme durch K ü h l u n g m i t k a l t e r L u f t abführt.
Das Calcium
399
Im einzelnen verläuft die Kalkstickstoffgewinnung nach dem FRANK-CARO-Verfahren so, daß man einen mit Calciumcarbid gefüllten Blechzylinder (8—10 t Einsatz) mit abnehmbarem, durchlochtem Boden in einen zylinderförmigen, aus feuerfesten Steinen gemauerten Ofen einführt, mit Hilfe einer langen, in die Mitte der Carbidsäule eingeführten Heizelektrode (Kohlenstab) das Carbidgemisch unter Einleiten von Stickstoff durch den durchlochten Boden zur Entzündung bringt {„Initialzündung") und dann nach Herausziehen des Blechzylindermantels die Azotierung von selbst weiterschreiten läßt. Beim POLZENIUS-KRAKSS-Verfahren füllt man das Carbid in große, zerlegbare Eisenkästen mit durchlochtem Boden, welche auf Wagengestellen langsam einen rohrförmigen Kanal ofen von 45—65 m Länge und rund 2 m Höhe durchfahren, während von der anderen Seite her der Stickstoff entgegenströmt. Im vorderen Teil des Kanalofens wird das Carbid vorgewärmt („Vorwärmraum,"), dann gelangt es in eine von außen beheizte Erhitzungszone („Heizraum"), wo es auf Reaktionstemperatur gelangt. Der nun folgende „Reaktionsraum" wird von außen mit kalter Luft gekühlt, damit die Temperatur während der Reaktion nicht zu hoch steigt. Im hinteren Ende des Kanalrohres („Kühlraum") erfolgt die Abkühlung des Reaktionsproduktes. Die nach beiden Verfahren resultierenden steinharten Kalkstickstoffblöcke werden gebrochen und staubfein vermählen. Das lästige Stäuben des Pulvers läßt sich durch Einölen mit 3°/o Teeröl beseitigen.
Der t e c h n i s c h e K a l k s t i c k s t o f f ist infolge des beigemengten Kohlenstoffs grau bis schwarz gefärbt, während reines C a l c i u m c y a n a m i d CaCN2 weiß ist. Er wird heute ausschließlich als S t i c k s t o f f d ü n g e m i t t e l verwendet. Die Dünge Wirkung beruht darauf, daß er im Boden unter der Einwirkung von W a s s e r und B a k t e r i e n in Ammoniak übergeht: CaCNj + 3HaO — ν CaC03 + 2NH 3 .
Früher führte man diese Umsetzung mit Wasser auch t e c h n i s c h zur Ammoniakerzeugung aus, indem man K a l k s t i c k s t o f f unter Druck mit überhitztem Wasserdampf behandelte (vgl. S. 222). Heute ist diese Art der Ammoniakgewinnung unwirtschaftlich.
c. Mörtel Mörtel sind B i n d e m i t t e l , welche mit Wasser angerührt nach gewisser Zeit steinartig e r h ä r t e n und zur V e r k i t t u n g der Steine eines Bauwerks oder zum Verputz von Mauerteilen dienen. J e nach der Widerstandsfähigkeit der erhärteten Mörtel gegen den Angriff von Wasser unterscheidet man „Lufimörtel" (ζ. B. Kalk und Gips), welche von Wasser angegriffen werden, und „Wassermörtel" (ζ. B. Portlandzement und Tonerdezement), welche dem Angriff von Wasser widerstehen. α. Luftmörtel Der bekannteste L u f t m ö r t e l ist der „Kalkmörtel". Er besteht aus einem steifen, wässerigen Brei von gelöschtem K a l k („Mörtelbildner") und Sand („Magerungs· mittel"). Die Erhärtung dieses Breis beruht darauf, daß zunächst das überschüssige Wasser verschwindet {„Abbinden"), worauf dann allmählich das Calciumhydroxyd unter der Einwirkung des Kohlendioxyds der Luft in Calciumcarbonat übergeht („Erhärten"), das als kristalline Masse Sand und Bausteine verkittet: Ca(OH)2 + C0 2 —>- CaC03 + H 2 0 .
(I)
Da bei diesem Erhärtungsvorgang Wasser frei wird, werden neue Wohnungen feucht, wenn sie zu früh bezogen werden, da das ausgeatmete Kohlendioxyd nach (1) einwirkt. Zur Vermeidung des Feuchtwerdens stellt man offene Koksfeuer auf, die einerseits das zur Erhärtung erforderliche Kohlendioxyd liefern, andererseits das entstehende Wasser zur Verdunstung bringen. Der n a t ü r l i c h e Vorgang der Erhärtung, der von außen nach innen fortschreitet, dauert bei dickem Mauerwerk Jahrzehnte- bis jahrhundertelang ; hieraus erklärt sich die außerordentliche Festigkeit alter Bauten.
400
Die Grappe der Erdalkalimetalle
Bei der D a r s t e l l u n g d e s g e l ö s c h t e n K a l k s darf nicht z u v i e l und nicht z u w e n i g Wasser verwendet werden. Im ersteren Fall „ersäuft" der Kalk, im zweiten zerfällt („verbrennt") er zu einem grießig-sandigen, mit Waaser nicht mehr abbindenden Pulver. Nur reine Sorten von gebranntem Kalk löschen rasch und lebhaft ab und geben den richtigen Kalkbrei von speckiger, schlüpfriger Beschaffenheit („Fettkalk"); unreine oder überbrannte Kalksorten löschen langsam und unvollständig ab und ergeben einen weniger guten pulverig-schlammigen „Magerkalk". Vor dem Zumischen des Sandes läßt man den Kalkbrei noch einige Zeit zur Vervollständigung des Löschens stehen („Sumpfen"). Gutem Kalk können 3 Teile S a n d beigemengt werden, magerem weniger. Der Sand verhindert einerseits eine zu starke S c h w i n d u n g des Kalks beim Erhärten und macht andererseits den Mörtel p o r ö s , so daß der durch den Luftzutritt bewirkte Erhärtungsprozeß (1) nach innen fortschreiten kann. Aus Kalkmörtel lassen sich auch B a u s t e i n e („Kalksandsteine") herstellen. Zu diesem Zwecke werden Mischungen von gebranntem Kalk und Sand abgelöscht, auf Pressen in Ziegelform gebracht und dann in einem geschlossenen Härtungskessel 8—10 Stunden der Einwirkung von überhitztem Wasserdampf (8 Atm.) ausgesetzt. Hierbei bildet sich Calciumhydrogensilicat, welches die Sandkörner verkittet. E i n anderer wichtiger Luftmörtel ist der „Gipsmörtel" in Form v o n „Stuckgi-ps" und „Estrichgips" (S. 396f.). S t u c k g i p s wird meist in reinem Zustande, d. h. ohne Sand, verwendet, da er zum Unterschied v o m Kalk beim Erhärten nicht schwindet, sondern sogar um etwa l ° / 0 „wächst". Diese Volumenvermehrung macht ihn zur Herstellung von G i p s a b g ü s s e n und G i p s v e r b ä n d e n geeignet, da so die feinsten Vertiefungen der Vorlagen ausgefüllt werden und die Gipsverbände stets stramm anliegen. D i e Porzellan- und Steinzeugfabriken (vgl. S. 335) machen aus Stuckgips Formen aller Art ; für Bauzwecke stellt man aus Stuckgips billige, schmückende Bauteile sowie D e c k e n und Wände mit Einlagen v o n Rohr oder Drahtgeflecht („Rabitzwände") her. Der E s t r i c h g i p s dient hauptsächlich zur Herstellung v o n Fußböden. ß . Wassermörtel Der gewöhnliche Kalkmörtel erhärtet als Luftmörtel nur an der Luft, nicht aber unter Wasser. Will man zu einem w a s s e r b e s t ä n d i g e n Kalkmörtel kommen, so m u ß man den Kalkstein nicht f ü r s i c h a l l e i n , sondern v e r m i s c h t m i t T o n (Aluminiumsilicat) brennen. D a s so erhaltene Produkt heißt „Zement". Zemente dienen im Gemisch mit Sand als „hydraulische Mörtel" („Wassermörtel") für W a s s e r b a u t e n , werden vielfach aber auch bei L u f t b a u t e n verwendet. Durch Vermengen v o n Zementmörtel mit K i e s oder S c h o t t e r erhält man den wichtigen Baustoff „Beton". Der bekannteste Zement ist der „Portlandzement". Zur Herstellung von Portland zement werden kalkreiche und tonreiche Materialien (z. B. Kalkstein und Ton oder Kalkmergel und Tonmergel) so miteinander vermischt, daß das Verhältnis der Gewichtsmenge der „basischen Bestandteile" (CaO) zu der der „sauren Bestandteile" (Si0 2 , A1203, Fe 2 O s ), der sogenannte „hydraulische Modul", mindestens 1.7, zweckmäßig aber ungefähr 2 beträgt. Dieses Gemisch wird in Walzenbrechern zerkleinert und dann in Mühlen fein vermählen. Das Vermählen kann trocken oder naß erfolgen; je nachdem erhält man ein „Rohmehl" oder einen „Dickschlamm". Das Rohmaterial gelangt dann zum „Brennen" in eine D r e h r o h r o f e n a n l a g e . Diese besteht aus zwei übereinanderliegenden, auf Rollen gelagerten, drehbaren und feuerfest ausgekleideten Eisenblechrohren. Das obere, 2—3 m weite und 50—70 m lange, geneigt gelagerte B r e n n r o h r , das alle 1—2 Minuten eine Umdrehung macht, wird am oberen Ende mit dem angefeuchteten R o h m e h l oder dem D i c k s c h l a m m beschickt, während vom unteren Ende her durch eine mit Preßluft betriebene K o h l e n s t a u b f e u e r u n g eine mehrere Meter lange F l a m m e in den Ofen eingeblasen wird. Das Rohmaterial bewegt sioh durch die Drehung des Ofens langsam nach unten und t r o c k n e t zunächst zu Staub; bei 1000° beginnt die Bildung der die Eigenschaften des Zements bedingenden Calciumsilicate, -aluminate und -ferrite, namentlich des T r i c a l c i u m s i l i c a t s 3CaO · Si0 2 („Alit"). Bei etwa 1250° beginnt die Masse zu e r w e i c h e n , bei 1400—1450° s i n t e r t sie zu 2—3 cm großen, graugrünen K l u m p e n („Klinker") zusammen. Ihre Zusammensetzung schwankt zwischen den Werten 58—66% CaO, 18—26% Si0 2 , 4—12% A1203 und 2—5% Fe 2 0 3 ; der Rest verteilt sich in der Hauptsache auf MgO, S0 3 , C0 2 und H 2 0 . Am unteren Ende des Ofens fällt der Klinker in die darunter befindliche kürzere und engere, ebenfalls schrägliegende K ü h l t r o m m e l . Hier
Dae Strontium
401
wird er durch kalte Luft a b g e k ü h l t , welche sich dabei selbst e r w ä r m t und dann als heiße V e r b r e n n u n g s l u f t für die Kohlenstaubfeuerung dient. Der mit einer Temperatur von 70—100° aus der Kühltrommel fallende Klinker wird dann zu einem staubfeinen Mehl vermählen. An Stelle der Drehrohröfen kann man auch Schachtöfen verwenden. Zur Bereitung v o n Z e m e n t m ö r t e l vermischt man den Portlandzement bei Wasserbauten mit 1—2, bei Luftbauten mit 3 Teilen S a n d , sowie mit W a s s e r . Die Verfestigung des Mörtels erfolgt zunächst sehr rasch durch Wasseraufnalime („Abbinden") und schreitet dann immer langsamer fort („Erhärten"). Die E r h ä r t u n g beruht im wesentlichen darauf, daß das Tricalciumsilicat des Zements durch das Wasser allmählich unter Bildung v o n M o n o c a l c i u m s i l i c a t CaSi0 3 und C a l c i u m h y d r o x y d Ca(OH) 2 zersetzt wird : 3CaO · S i 0 2 + 2 H 2 0 — > - CaO · S i 0 2 + 2Ca(OH) 2 . In ähnlicher Weise erfolgt auch eine Umwandlung der A l u m i n a t e und Ρ e r r i t e . Die Reaktionsprodukte scheiden sich in Form ultramikroskopischer Kriställchen aus und v e r f i l z e n und v e r f e s t i g e n beim Wachsen in zunehmendem Maße das ganze Gefüge. Während also bei der Erhärtimg des K a l k - L u f t mortels die Calcium c a r b o n a tbildung maßgebend ist, ist beim K a l k - W a s s e r mortel die C a l c i u m s i l i c a t b i l d u n g für die Verfestigung verantwortlich. Durch Zumischen v o n g r o b e m K i e s oder S t e i n s c h l a g zum Z e m e n t m ö r t e l erhält m a n Beton. Einen besonders stabilen Baustoff erhält man durch Einbetten von E i s e n g i t t e r n oder E i s e n d r a h t g e f l e c h t e n in Beton („Eisenbeton"), da der Beton am Eisen fest haftet und es vor dem Verrosten bewahrt. Auch n a t ü r l i c h e tonhaltige Kalksteine können zur Erzeugung von Zement verwendet werden. So stellt man z. B. aus t o n r e i c h e m M e r g e l (50—70°/o CaC0 3 , 25% Ton) durch Brennen bei etwa 1200° unterhalb der Sinterungsgrenze „Romanzement" her. V u l k a n i s c h e M a s s e n („Tuff") dienen als „Puzzolanzement" (Italien) und „Tross" (Eifel) im Gemisch mit gelöschtem Kalk als hydraulische Mörtel. T o n a r m e K a l k s t e i n e (10—20% Ton) ergeben beim Brennen den hydraulischen „ Wasserkalk" („Zementkalk"), der meist im Gemisch mit Zement, Puzzolanerde oder Trass verwendet wird. Weiterhin können auch t e c h n i s c h e A b f a l l p r o d u k t e geeigneter Zusammensetzung zur Zementgewinnung herangezogen werden. So enthält z. B. die basische G u ß e i s e n - H o c h o f e n s c h l a c k e (S. 510) 44—52% CaO, 27—35% SiOa und 8—20% A1203 + Fe s 0 3 , so daß sie durch E r h ö h u n g d e s K a l k g e h a l t e s (Brennen des Schlackenmehls mit gemahlenem Kalkstein wie bei der Herstellung von Portlandzement) in einen Z e m e n t übergeführt werden kann, der in seiner Zusammensetzung (54—60% CaO, 20—26% Si0 2 , 9—15% A1203 + Fe 2 0 3 ) nur wenig vom Portlandzement abweicht („Eisenportlandzement"). Wesentlich reicher an Aluminiumoxyd und ärmer an Siliciumdioxyd als der Portlandzement ist der „Tonerdezement" ( 3 5 — 4 0 % CaO, 3 0 — 1 5 % A1 2 0 3 , 1 0 — 2 0 % F e 2 0 3 , 1 0 — 1 2 % Si0 2 ). Man gewinnt ihn durch Schmelzen oder Sintern einer Mischung von B a u x i t und K a l k im Gebläseschachtofen oder elektrischen Ofen.
4. D a s Strontium Elementares Strontium. Das Strontium gehört zu den weniger häufigen Elementen. Die hauptsächlichsten Strontiummineralien sind Cölestin SrS0 4 und Strontianit SrC0 3 . Die D a r s t e l l u n g d e s M e t a l l e erfolgt wie beim Calcium durch E l e k t r o l y s e des g e s c h m o l z e n e n C h l o r i d s unter Anwendung einer Berührungselektrode (S. 392f.). Der hohe Schmelzpunkt des Chlorids (87z°) kann dabei durch Zusatz von Kaliumchlorid wesentlich heruntergedrückt werden. Reines Strontium (spez. Gew. 2.60) schmilzt bei 757°, siedet bei 1366° und ähnelt im übrigen vollkommen dem Calcium. Technische Verwendung findet es nicht. Strontium Verbindungen. Als Ausgangsmaterial für die Darstellung der meisten Strontiumverbindungen dient das Strontiumcarbonat SrC0 3 . Es findet sich in der Natur als Strontianit und kann weiter aus dem ebenfalls in der Natur vorkommenden Cölestin SrS0 4 durch Verschmelzen mit Soda gewonnen werden: SrS0 4 + Na a C0 3 >• SrC0 3 + Na 2 S0 4 . Beim Erhitzen spaltet das Carbonat bei 1100° COa ab (vgl. Fig. 123, S. 396) und geht in das Strontiumoxyd SrO (Smp. 2430°) über. Bei der Behandlung mit Wasser entsteht aus diesem unter starker Wärmeentwicklung das Strontiumhydroxyd Sr(OH) 2 , das zu den starken Basen gehört. Durch Auflösen H o l I e m a l i - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl. 26
402
Die Groppe der Erdalkalimetalle
des Strontiumcarbonats in Salz- bzw. Salpetersäure erhält man das Chlorid und das Nitrat. Das Strontiumchlorid SrCl2 ist zum Unterschied vom alkohol-unlöslichen Bariumchlorid BaCl2 in Alkohol löslich, so daß man die beiden Erdalkalichloride durch Alkohol trennen kann. Das Strontiumnitrat Sr(N0 3 ) 2 löst sich zum Unterschied vom Calciumnitrat nicht in Alkohol-Äther, wovon man zur Trennung von Calcium und Strontium Gebrauch macht. Strontiumsalze werden zu b e n g a l i s c h e m F e u e r verwendet, dem sie eine prächtig karminrote Farbe verleihen.
5. Das Barium Elementares Barium. Barium kommt in der Natur hauptsächlich als Schwerspat BaS0 4 und als Witherit BaC0 3 vor. Seine Darstellung auf schmelzelektrolytischem Wege macht Schwierigkeiten. Daher gewinnt man es zweckmäßig durch Reduktion von B a r i u m o x y d mit A l u m i n i u m oder Silicium bei 1200° C im Vakuum. Ee schmilzt bei 710°, siedet bei 1696° und besitzt das spezifische Gewicht 3.74. Bariumsulîat BaSO« findet sich in der Natur als Schwerspat {Baryt) und dient in dieser Form als A u s g a n g s m a t e r i a l für die meisten a n d e r e n B a r i u m s a l z e . Zu diesem Zwecke wird ein feingemahlenes Gemisch von S c h w e r s p a t und K o h l e in Drehrohröfen oder Flammöfen auf 600—800° erhitzt : BaSO, + 2C — > - BaS + 2C0 2
BaSO* + 4C — > - BaS + 4CO
und das dabei entstehende B a r i u m s u l f i d , das sich durch Auslaugen des Reaktionsproduktes mit Wasser isolieren läßt, mit den entsprechenden S ä u r e n umgesetzt. Auch durch Lösen des natürlich vorkommenden W i t h e r i t s BaCOa in S ä u r e n kann man in einfacher Weise Bariumsalze gewinnen. Das Bariumsulfat ist in W a s s e r vollkommen u n l ö s l i c h und c h e m i s c h s e h r b e s t ä n d i g ; daher findet es als M i n e r a l f a r b e („Permanentweiß", „Blanc fixe") Verwendung. Weiterhin dient es als F ü l l m a t e r i a l für Papier. Da die für diese Zwecke erforderliche f e i n s t e V e r t e i l u n g durch noch so feines Mahlen des natürlichen Schwerspats nur unvollkommen zu erzielen ist, stellt man das Bariumsulfat in großen Mengen k ü n s t l i c h her. Hierzu löst man B a r i u m s u l f i d oder B a r i u m c a r b o n a t in S a l z s ä u r e (BaS + 2HC1 - > BaCl2 + H 2 S; BaC0 3 + 2HC1 ->- BaCl2 + H 2 0 + C0 2 ) und fällt aus der gebildeten Bariumchloridlösung das Barium mit N a t r i u m - oder M a g n e s i u m s u l f a t als Sulfat aus: Ba" + S0 4 "
>- BaS0 4 .
Als N e b e n p r o d u k t entsteht Bariumsulfat bei der W a s s e r s t o f f p e r o x y d gewinnung aus Bariumperoxyd und Schwefelsäure (S. 175f.). Da Bariumsulfat bei völliger Entwässerung seine Deckkraft als Mineralfarbe wieder verliert, kommt es als P a s t e mit 20—30°/0 Wasser in den Handel. Größere Deckkraft als das P e r m a n e n t w e i ß besitzt eine andere bariumsulfathaltige weiße Anstrichfarbe, der Lithopon. Er wird durch Umsetzung von B a r i u m s u l f i d - und Zinksulfatlösungen gewonnen: BaS + ZnS0 4 — B a S 0
4
+ ZnS
und besteht aus Z i n k s u l f i d und B a r i u m s u l f a t . Lithopon besitzt annähernd die Deckkraft von Bleiweiß und hat vor diesem den Vorzug, durch Einwirkung von Schwefelwasserstoff n i c h t n a c h z u d u n k e l n ; daher ist er die am meisten verwendete weiße Farbe. Bariumcarbonat BaCOj, das in der Natur als Witherit vorkommt und künstlich durch Einleiten von K o h l e n d i o x y d in Bariumsulfidlösung als schwerlöslicher weißer Niederschlag gewonnen werden kann (Ba" + COs" —>- BaCOs), zerfällt bei
403
Dae Radium
Atmosphärendruck erst oberhalb 1400° C in Bariumoxyd und Kohlendioxyd (vgl Fig. 123, S. 396) : ^ BaC0 3
BaO + C 0 2 .
Will man daher aus dem Carbonat das Oxyd gewinnen, so setzt man zweckmäßig K o h l e zu, welche sich mit dem Kohlendioxyd unter Bildung von Kohlenoxyd umsetzt (C0 2 + C c > 2 CO) und so ein Glühen bei niedrigerer Temperatur ermöglicht. Barmmnitrat Ba(N0j)a wird technisch durch Lösen von B a r i u m s u l f i d oder B a r i u m c a r b o n a t in S a l p e t e r s ä u r e gewonnen und findet hauptsächlich Verwendung in der Feuerwerkerei für Grünfeuer und in der S p r e n g t e c h n i k . Bariumchlorid BaClg läßt sich technisch durch Auflösen von B a r i u m s u l f i d oder B a r i u m c a r b o n a t in Salzsäure oder durch Umsetzen von Bariumsulfidlösungen mit Lösungen von Calcium- oder Magnesiumchlorid darstellen. Es kristallisiert aus der wässerigen Lösung als Dihydrat BaCl2 • 2H 2 0 aus. Beim Erhitzen geht es in das wasserfreie Bariumchlorid, eine weiße Masse vom Schmelzpunkt 960°, über. Bariumoxyd BaO entsteht als lockeres, poröses, reaktionsfähiges Pulver (Smp. 1923°) beim Glühen eines Gemisches von künstlich hergestelltem B a r i u m c a r b o n a t und feiner S t a u b k o h l e oder R u ß und dient als Ausgangsmaterial für die Darstellung von Bariumperoxyd (S. 178). Ohne den Zusatz von Kohle erfolgt der Zerfall des Barium carbonats erst bei so hoher Temperatur (s. oben), daß das Bariumoxyd stark zu sintern beginnt. Mit Wasser vereinigt sich Bariumoxyd unter starker Wärmeentwicklung zum Hydroxyd. Bariumhydroxyd Ba(0H) % löst sich in Wasser bedeutend leichter als Calcium- und Strontiumhydroxyd. Aus der entstehenden, stark basisch reagierenden Lösung („Baryt· wasser") kristallisiert das Hydroxyd als Hydrat Ba(OH)2 · 8H 2 0. Zum Unterschied von den Calcium- und Strontiumsalzen sind die Bariumsalze giftig.
6. Das Radium Vorkommen. Das radiumreichste Mineral ist die P e c h b l e n d e (S. 500), in der das Radium als r a d i o a k t i v e s Zerfallsprodukt des Urans enthalten ist (S. 547). Aber auch in dieser Pechblende ist der Radiumgehalt nur sehr gering (0.14 g je 1000 kg Erz), da im radioaktiven Gleichgewicht (S. 556) auf 3 Millionen Uranatome erst 1 Radiumatom entfällt. Darstellung. Die Aufarbeitung der Pechblende und anderer radiumhaltiger Uranerze (ζ. B. des Carnotits) auf Radium erfolgt in der Weise, daß man das Radium nach Zusatz von B a r i u m s a l z gemeinsam mit dem B a r i u m als schwerlösliches S u l f a t ausfällt (vgl. S. 553) und anschließend die beiden Elemente durch fraktionierte Kristallisation der Bromide (Radiumbromid ist schwerer löslich als Bariumbromid) voneinander trennt. Das m e t a l l i s c h e Radium läßt sich aus den Lösungen seiner Salze elektrolytisch an einer Quecksilberkathode als Amalgam abscheiden und hinterbleibt beim Erhitzen des Amalgams auf 400—700° in einer Wasserstoffatmosphäre als weißglänzendes, bei etwa 700° schmelzendes und bei 1140° siedendes Metall (spez. Gew. 5—6) f Eigenschaften. Als höheres Homologes des Bariums ähnelt das Radium in seinen Eigenschaften dem Barium. Es wird wie dieses von der L u f t angegriffen und zersetzt lebhaft Wasser. Das Sulfat R a S 0 4 ist wie Bariumsulfat in Wasser und verdünnten Säuren unlöslich. Das in Wasser unlösliche Carbonat RaCOa löst sich wie Bariumcarbonat in Säuren. Von dem für das Radium und seine Verbindungen charakteristischen „radioaktiven Zerfall" wird später (S. 545ff.) ausführlicher die Rede sein. 26*
Die Gruppe der Erdalkalimetalle
404
7. Vergleichende Übersicht über die Gruppe der Erdalkalimetalle Die Elemente Beryllium, Magnesium, Calcium, Strontium und Barium bilden zusammen mit dem noch wenig untersuchten Radium die zweite Hauptgruppe des Periodensystems. Ihre wichtigsten p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n gehen aus der folgenden Tabelle hervor:
Atomgewicht Spezifisches Gewicht.... Schmelzpunkt Siedepunkt Normalpotential Basischer Charakter der Oxyde Löslichkeit der Sulfate.. Löslichkeit der Hydroxyde
Beryllium
Magnesium
Calcium
Strontium
Barium
9.02 1.86 1285° 2970° — 1.73
24.32 1.74 660° 1100° — 2.51
40.08 1.54 845° 1439° — 2.83
87.63 2.60 757° 1366° — 2.87
137.36 3.74 710° 1696° — 2.92
>-
nimmt zu nimmt ab nimmt zu
Die Abstufung ihrer c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n ist dadurch gegeben, daß vom Beryllium zum Barium hin das Normalpotential negativer wird, entsprechend einer Z u n a h m e d e s e l e k t r o p o s i t i v e n C h a r a k t e r s und damit der Verwandtschaft zu elektronegativen Elementen. So nimmt ζ. B. die Beständigkeit der Metalle gegenüber L u f t und W a s s e r vom Beryllium zum Barium hin ab, und in gleicher Richtung steigt auch die Neigung zur Vereinigung mit S t i c k s t o f f . Daß Beryllium und Magnesium so außerordentlich langsam mit Wasser reagieren, wird allerdings mit dadurch bedingt, daß ihre dabei sich bildenden Hydroxyde viel schwerer löslich sind als die des Calciums, Strontiums und Bariums, wodurch der Angriff des Wassers erschwert wird. Der b a s i s c h e C h a r a k t e r der Oxyde und Hydroxyde nimmt wie stets mit steigendem Atomgewicht des Metalls z u : Be(OH) 2 ist ein a m p h o t e r e s , Ba(OH) 2 ein s t a r k b a s i s c h e s H y d r o x y d . Entsprechend dieser Abstufung der Basizität werden die Salze der Metallbasen mit schwachen Säuren — ζ. B. die C a r b o n a t e — in der Richtung vom Barium zum Beryllium hin leichter t h e r m i s c h z e r s e t z t und h y d r o lytisch gespalten. Alle Elemente der zweiten Hauptgruppe sind z w e i w e r t i g . Zwar existieren auch Halogenide des Calciums, Strontiums und Bariums von der Formel MeX („JErdalkali· subhalogenide"), in denen die Erdalkalimetalle e i n w e r t i g zu sein scheinen. Jedoch dürfte es sich hier um M i s c h V e r b i n d u n g en von normalem Halogenid MeCl2 und freiem Metall Me handeln, ähnlich wie auch die Verbindungen des „zweiwertigen" Galliums, Indiums und Thalliums wahrscheinlich als Mischverbindungen der drei- und einwertigen Metalle aufzufassen sind (S. 385, 481 f.). Da vom Beryllium und Magnesium keine derartigen Verbindungen bekannt sind und ihre Stabilität vom Calcium zum Barium hin zunimmt, trifft demnach auch hier die schon bei den vorhergehenden Gruppen beobachtete Regel zu, daß mit steigendem Atomgewicht die relative Beständigkeit der um z w e i E i n h e i t e n niedrigeren Wertigkeit — hier der N u l l w e r t i g k e i t — zunimmt.
Kapitel XV
Die Gruppe der Alkalimetalle Die Gruppe der Alkalimetalle besteht aus den Elementen Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium, Caesium und Francium. Das letztere, in Frankreich1 entdeckte Element (Ordnungszahl 87) kommt in der Natur nur in sehr geringen Mengen als radioaktives Zerfallsprodukt des Actiniums vor und soll erst bei den radioaktiven Stoffen besprochen werden (S.578Í.).
1. Das Natrium a. Elementares Natrium Vorkommen. Wegen seiner leichten Oxydierbarkeit kommt das Natrium in der Natur nicht frei, sondern nur gebunden vor. Und zwar beträgt der Gehalt der Erdrinde an Natrium 2.6%, so daß Natrium zu den häufigsten Elementen zählt (vgl. S. 68). Die meistverbreiteten Natriummineralien sind der Natronfeldspat (Albit) Na[AlSi3Og] und der Kalk-Natronfeldspat (Oligoklas) Na[AlSi808] · Ca[Al2Si20g]. Weiterhin findet sich Natrium in mächtigen Lagern in Form von Steinsalz NaCl, Chilesalpeter NaNOs und Kryolith Na3[AlF6]. Große Mengen an Natriumchlorid sind auch im Meerwasser gelöst (S. 408). Darstellung. Da Natrium ein sehr unedles Metall ist, sind seine Verbindungen auf chemischem Wege nur schwer zum Metall zu reduzieren. Daher wird es zweckmäßig elektrolytisch dargestellt. Zur Elektrolyse darf dabei wegen der Wasserempfindlichkeit des Natriums (Na + HÖH —>• NaOH + 1/2H2) keine wässerige Lösung, sondern nur eine wasserfreie Schmelze angewandt werden. Als Schmelzelektrolyt dient Natriumhydroxyd NaOH oder Natriumchlorid NaCl. Da ersteres aus letzterem durch Elektrolyse gewonnen wird (S. 410f.), erfordert die Natriumgewinnung aus Natriumhydroxyd im ganzen einen größeren Aufwand an elektrischer Energie als die unmittelbare Elektrolyse des Natriumchlorids. Wegen des niedrigeren Schmelzpunktes von Natriumhydroxyd (NaOH: Smp. 328°; NaCl: Smp. 801°) bereitet aber dieÄtznatron-elektrolyse technisch geringere Schwierigkeiten, so daß man sich zuerst ihrer bediente. Auch der Entdecker des Natriums, der englische Naturforscher HUMPHRY D A V Y (1778—1831), gewann das Metall (1807) durch Elektrolyse von geschmolzenem Ätznatron. Heute tritt die Ätznatron-elektrolyse gegenüber der Chlorid-elektrolyse mehr und mehr in den Hintergrund. Zur Elektrolyse von geschmolzenem N a t r i u m h y d r o x y d kann man sich der „CASTNEBZelle" (Fig. 124) bedienen. Sie besteht im Prinzip aus einem unten verjüngten zylindrischen E i s e n g e f ä ß von 100—400 kg Fassungsvermögen, in das von unten her ein — oben verdickter — E i s e n s t a b als K a t h o d e eingeführt ist, während als Anode ein die Kathode umgebender e i s e r n e r Z y l i n d e r dient. Kathoden- und Anodenraum sind durch einen als „Diaphragma (stromdurchlässige Scheidewand) wirkenden D r a h t n e t z z y l i n d e r voneinander getrennt, der 1
France — Frankreich.
406
Die Gruppe der Alkalimetalle
isoliert an einer Sammelglocke für das entstehende Natrium befestigt ist. Das bei der Elektrolyse gebildete Natrium: Kathode: 2Na" + 2 θ —>" 2Na Anode: 2OH' —>- H2Q + 1IA + 2 0 Gesamtvorgang: 2NaOH >• 2 Na + HaO + 1/i0.i steigt im Kathodenraum nach oben und kann dort abgeschöpft werden. Die Elektrolyse wird bei 310—330® durchgeführt. Unterhalb dieser Temperatur erstarrt die Schmelze, oberhalb beginnt sich das Metall in der Schmelze aufzulösen. Die Elektrolyse von geschmolzenem Natriumchlorid wird zweckmäßig in der „DOWNSZelle" (Fig. 125) durchgeführt. Sie besteht aus einem mit feuerfesten Steinen ausgemauerten
Fig. 124. CASTNER-Zelle zur Schmelzelektrolyse von Natriumhydroxyd
Fig. 125. DowNS-Zelle zur Schmelzelektrolyse von Natriumchlorid
Kessel, in den von unten eine Anode aus Achesongraphit eingeführt ist, welche ringförmig von einer Eisenkathode umgeben wird. Zur Ableitung des bei der Elektrolyse anodisch gebildeten Chlors: Kathode: 2Na' + 2Q >" 2Na Anode: 2C1'—»- C^ + 2Q Gesamtvorgang: 2NaCl >- 2Na + Cl, ist die Anode von einer Eisenblechglocke überdeckt, von der als Diaphragma ein ringförmiges Drahtnetz herabhängt. Das kathodisch gebildete Natrium steigt empor, sammelt sich in dem zu einer Rinne umgebogenen Rand der Glocke und wird von hier aus durch ein eisernes Steigrohr entnommen. Durch Zusatz von Calciumchlorid wird der Schmelzpunkt des Natriumchlorids bis nahezu auf 600° erniedrigt, da sich das Natrium bei zu hoher Elektrolysetemperatur in der Schmelze fein verteilt. Physikalische Eigenschaften. Natrium ist ein silberweißes Metall vom spezifischen Gewicht 0.97, welches bei 97.8° schmilzt und bei 883° unter Bildung eines purpurfarbenen Dampfes (vgl. S. 138) siedet. Es ist recht weich (etwa von der Härte des weißen Phosphors) und läßt sich daher mit dem Messer schneiden oder mittels einer eisernen Schraubenpresse durch enge Öffnungen hindurch als Draht oder Band pressen. Das elektrische Leitvermögen ist bei 0° 22mal größer als das des Quecksilbers und 3mal kleiner als das des Silbers. Im Dampfzustande ist Natrium im wesentlichen einatomig, doch kommen daneben auch Naa-Moleküle vor (S. 151f.). So beträgt ζ. B. der Assoziationsgrad beim Siedepunkt 16%. Chemische Eigenschaften. Natrium oxydiert sich an f e u c h t e r L u f t außerordentH,° lich leicht (Na NaOH), so daß die blanke Metalloberfläche eines frisch durch-
Das Natrium
407
schnittenen Natriumstückes schnell a n l ä u f t und sich mit einer H y d r o x y d k r u s t e bedeckt. Daher bewahrt man Natrium unter P e t r o l e u m auf. Die auch hier mit der Zeit sich bildenden K r u s t e n rühren von Reaktionen des Metalls mit im Petroleum enthaltenen S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n her. Gegenüber t r o c k e n e m S a u e r s t o f f ist Natrium zum Unterschied davon sehr b e s t ä n d i g (vgl. S. 421). So behält Natrium in L u f t , welche mit Phosphorpentoxyd g e t r o c k n e t wurde, tagelang seinen metallischen Glanz bei und kann sogar in vollkommen t r o c k e n e m S a u e r s t o f f geschmolzen werden, ohne sich zu entzünden. Bei Anwesenheit von Spuren Feuchtigkeit verbrennt es dagegen beim Erwärmen an der Luft leicht mit i n t e n s i v gelber F l a m m e . Bei dieser Verbrennung entsteht nicht das einfache Oxyd Na 2 0, sondern das Natriumperoxyd Na 2 0 8 (S. 177). Ersteres kann aus letzterem durch Erhitzen mit metallischem Natrium gewonnen werden: Na 2 0 2 + 2Na —>- 2Na a O. Auch sonst ist das Natrium ein sehr r e a k t i o n s f ä h i g e s E l e m e n t . Leitet man ζ. B. über erwärmtes N a t r i u m Chlor, so vereinigt es sich mit diesem unter blend e n d e r L i c h t e r s c h e i n u n g zu N a t r i u m c h l o r i d : 2Na + CL¡ —>· 2NaCl + 197 kcal. Auf W a s s e r geworfen schwimmt es umher und geht unter Schmelzen und Wasserstoff e n t w i c k l u n g in N a t r i u m h y d r o x y d über: 2Na + 2HÖH >• 2NaOH + Ha + 67.4 kcal. Hindert man es dabei an der B e w e g u n g (indem man es ζ. B. auf ein auf dem Wasser schwimmendes Stück F i l t r i e r p a p i e r legt), so e n t z ü n d e t sich der freiwerdende W a s s e r s t o f f , da die Wärmeentwicklung dann lokalisiert ist. In f l ü s s i g e m Amm o n i a k löst sich Natrium ohne Wasserstoffentwicklung mit i n t e n s i v b l a u e r F a r b e . Beim E r h i t z e n zersetzen sich diese Lösungen in analoger Weise wie beim Wasser (s. oben) unter Bildung v o n N a t r i u m a m i d N a N H 2 : 2Na + 2 H N H 2 - > 2 N a N H 2 + H 2 (vgl. auch S. 439). Anwendung. Metallisches Natrium findet ausgedehnte t e c h n i s c h e V e r w e n d u n g zur Darstellung von N a t r i u m p e r o x y d Na 2 0 2 (ζ. B. für Bleich- und Waschzwecke; S. 177 f.), N a t r i u m a m i d N a N H 2 (z.B. für Indigosynthese; II, S. 478) und N a t r i u m c y a n i d (ζ. B. zur Goldgewinnung; S. 446), sowie für o r g a n i s c h e S y n t h e s e n (ζ. B. in der Farbenindustrie). Im L a b o r a t o r i u m ist es als k r ä f t i g e s R e d u k t i o n s m i t t e l unentbehrlich. In der B e l e u c h t u n g s t e c h n i k benutzt man es bei den N a t r i u m dampf-Entladungslampen.
b. Verbindungen des Natriums α. Natriumchlorid (Kochsalz) Vorkommen. N a t r i u m c h l o r i d {„Kochsalz") NaCl findet sich als „Steinsalz" in mächtigen Lagern vor allem in der Norddeutschen Tiefebene (ζ. B. Staßfurt), in Galizien (ζ. B. Wieliczka) und im Salzkammergut. Ihre Entstehimg ist auf die Abschnürung und Eintrocknung vorzeitlicher M e e r e s t e i l e zurückzuführen (vgl. S. 415f.). Bei dieser E i n d u n s t u n g schied sich das schwerer lösliche N a t r i u m c h l o r i d zuerst, das leichter lösliche K a l i u m c h l o r i d zuletzt ab, so daß die Steinsalzlager nach der völligen Eintrocknung von einer aus K a l i s a l z e n bestehenden Schicht bedeckt waren. Meist wurde diese oberste Schicht. später durch eindringende R e g e n - u n d F l u ß w ä s s e r wieder weggewaschen. Nur an einigen Stellen (ζ. B. bei Staßfurt) blieben die K a l i s a l z s c h i c h t e n durch Überlagerung von wasserundurchlässigem Ton vor dem Wasser g e s c h ü t z t ; sie sind heute als K a l i s a l z l a g e r s t ä t t e n (S. 415f.) von großer Bedeutung. Früher räumte man die Kalisalzschicht ab, um zu dem damals allein gesuchten Steinsalz zu gelangen ; daher der Name „Abraumsalze" für diese Kalisalze. Heute sind umgekehrt die K a l i s a l z e — namentlich für D ü n g e z w e c k e — so wertvoll, daß man
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Die Grappe der Alkalimetalle
vielfach die Lager nur ihretwegen abbaut und das Steinsalz zur Ausfüllung der Lücken benutzt. Große Mengen an Natriumchlorid finden sich im M e e r w a s s e r , das durchschnittlich 2.7°/ 0 NaCl enthält. Manche B i n n e n s e e n ohne Abfluß — wie das T o t e Meer in Palästina und der S a l t L a k e in den Vereinigten Staaten von Amerika — stellen recht k o n z e n t r i e r t e K o c h s a l z l ö s u n g e n dar. Gewinnung. Kochsalz wird in der Hauptsache nach drei Methoden gewonnen: 1. durch bergmännischen Abbau von Steinsalzlagern, 2. durch Auflösen von Steinsalz unter oder über Tage und Eindampfen der so erhaltenen „Sole", 3. durch Eindunsten oder Einfrieren von Meer- oder Seewasser. Durch b e r g m ä n n i s c h e n A b b a u von Steinsalz wird hauptsächlich das für t e c h n i s c h e Z w e c k e gebrauchte Natriumchlorid gewonnen. Der Abbau ist dabei nur für h o c h p r o z e n t i g e s Steinsalz, z. B. das „jüngere" (S. 416) Steinsalzlager von Staßfurt (97.8% NaCl) lohnend. U n r e i n e s Salz, wie z. B. das „ältere" (S. 415) Staßfurter Steinsalz (90—95°/o NaCl) wird nur zum A u s f ü l l e n a b g e b a u t e r K a l i s a l z s t r e c k e n verwendet. Das bergmännisch gewonnene Steinsalz kommt als „Gewerbesalz", „Fabriksalz", „Düngesalz", „Viehsalz" in den Handel. „Speisesalz" {„Tafelsalz", „Siedesalz") wird hauptsächlich durch E i n d a m p f e n w ä s s e r i g e r S t e i n s a l z l ö s u n g e n gewonnen. Zu diesem Zwecke löst man Steinsalz in natürlichen S o l e n bis zur Sättigung auf und d a m p f t die Lösungen in großen, offenen, flachen Eisenpfannen e i n {„Siederei"). Hält man die Sole während des Eindampfens unter guter Rührung in l e b h a f t e r W a l l u n g , so erhält man „Feinsalz"; zur Erzeugung gröberen Salzes {„Mittelsalz") läßt man die Sole bei 70—90° r u h i g s t e h e n ; sehr l a n g s a m e s E i n d u n s t e n bei 50—70° führt zu ganz grobem Salz {„Grobsalz"). Zur Gewinnung des Kochsalzes a u s M e e r w a s s e r läßt man letzteres in w a r m e n L ä n d e r n (z. B. an den Küsten des Mittelmeeres) in ausgedehnte flache Bassins {„Salzgärten") eintreten, in welchen das Wasser durch die Sonnenwärme v e r d u n s t e t und der Reihe nach die einzelnen S a l z e des Meerwassers a u s k r i s t a l l i s i e r e n . In Ländern m i t k a l t e m K l i m a (z. B. am Weißen Meer) läßt man das Meerwasser in flachen Bassins teilweise g e f r i e r e n . Das Wasser scheidet sich dann als r e i n e s E i s ab, und die zurückbleibende konzentrierte Salzlösung wird e i n g e d a m p f t . C h e m i s c h r e i n e s N a t r i u m c h l o r i d kann nicht durch U m k r i s t a l l i s i e r e n a u s W a s s e r hergestellt werden, da Natriumchlorid in k o c h e n d e m und in k a l t e m Wasser praktisch die g l e i c h e L ö s l i c h k e i t besitzt (s. unten). Man verfährt daher so, daß man in eine gesättigte Kochsalzlösung C h l o r w a s s e r s t o f f einleitet. Die dadurch bedingte Erhöhung der Chlorionenkonzentration führt dann zur Ü b e r s c h r e i t u n g des L ö s l i c h k e i t s p r o d u k t e s von Natriumchlorid (cNa· χ Ca» = ¿Naci)> so daß letzteres ausfällt. Eigenschaften. Natriumchlorid kristallisiert in farblosen, durchsichtigen Würfeln vom spezifischen Gewicht 2.164, welche bei 801° schmelzen und bei 1440° unter Bildung eines aus NaCl-Molekülen bestehenden Dampfes sieden. Die Kristalle enthalten häufig M u t t e r l a u g e eingeschlossen, welche beim E r h i t z e n mit knisterndem Geräusch dampfförmig entweicht, wobei die Kristalle zerspringen {„dekrepitieren"). Das beim A u f l ö s e n des Steinsalzes von Wieliczka in Wasser zu beobachtende Knistern („Knister) salz von Wieliczka") ist auf eingeschlossene komprimierte Gase (Stickstoff, Sauerstoffzurückzuführen, welche die Kristallrinde zersprengen, sobald diese infolge der Auflösung dünn genug geworden ist. Chemisch reines Natriumchlorid zieht an der Luft kein Wasser an, ist also nicht „hygroskopisch" (vgl. S. 412). Das F e u c h t w e r d e n und Z e r f l i e ß e n von Kochsalz an feuchter Luft beruht auf Beimengungen von M a g n e s i u m s a l z e n (S. 391). Die Lös-
Das Natrium
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lichkeit von Natriumchlorid in Wasser ändert sich nur wenig mit der Temperatur und beträgt bei 0° 35.6, bei 100° 39.1 g NaCl je 100 g Wasser. Eine konzentrierte Kochsalzlösung ist bei Zimmertemperatur 26°/0ig· Bei tieferen Temperaturen (—10°) scheidet sich das Natriumchlorid aus wässerigen Lösungen in Form eines Dihydrats NaCl · 2 H 2 0 aus, welches bei + 0.15° in das wasserfreie Salz übergeht. Verwendung. Natriumchlorid ist technisch von großer Bedeutung, da es direkt oder indirekt das Ausgangsmaterial für die Darstellung fast aller a n d e r e n N a t r i u m v e r b i n d u n g e n — z. B. S o d a N a 2 C 0 3 (S. 3l3f.), Ä t z n a t r o n N a O H (s. unten), G l a u b e r s a l z N a 2 S 0 4 (S. 411 f.), B o r a x Na 2 B 4 0 7 (S. 362), W a s s e r g l a s N a 2 S i 0 3 (S. 320) - und zahlreicher wichtiger Stoffe — z.B. S a l z s ä u r e (S.87f.), C h l o r (S. 78ff.) — ist. Weiterhin ist es für S p e i s e - und K o n s e r v i e r u n g s z w e c k e („Einsalzen", „Einpökeln"), zum „Aussalzen" organischer Farbstoffe und für viele andere industrielle und gewerbliche Zwecke unentbehrlich. „Eis-Kochsalz-Mischungen" dienen als Kältemischungen zur Erzeugung tiefer Temperaturen (bis —21°).
ß. Natriumhydroxyd (Ätznatron) Natriumhydroxyd wird technisch entweder durch „Kaustifizierung von Soda" oder elektrolytisch nach dem Verfahren der „Chloralkali-elektrolyse" dargestellt.
Fig. 126. Verfahren der Gegenstrom-Dekantation zur Kaustifizierung von Soda Kaustifizierung von Soda. Setzt man S o d a mit Ä t z k a l k um, so entsteht nach der Reaktionsgleichung ^ ^ + Ca(QH)2 2NaOH + CaC03 (1) N a t r i u m h y d r o x y d („kaustifizierte Soda") und C a l c i u m c a r b o n a t . Diese K a u s t i f i z i e r u n g d e r S o d a erfolgt in der T e c h n i k zweckmäßig nach dem Verfahren der kontinuierlichen „Gegenstrom-Dekantation". Bei diesem Verfahren tritt eine Mischung von feingemahlenem, gebranntem Ä t z k a l k und S o d a l ö s u n g zunächst in eine aus mehreren hintereinandergeschalteten „Dorr-Rührern" bestehende R ü h r a n l a g e ein, in welcher sich unter fortwährendem Rühren die Umsetzung (1) vollzieht. Aus dem letzten Rührwerk läuft die entstandene Mischung von C a l c i u m c a r b o n a t s c h l a m m und N a t r o n l a u g e in eine aus mehreren „Dorr-Eindickern" bestehende Sedim e n t a t i o n s a n l a g e , in welcher sich die Calciumcarbonatsuspension a b s e t z t . Die im 1. Eindicker (vgl. Fig. 126) gewonnene klare verdünnte N a t r o n l a u g e fließt oben über den Rand des Gefäßes in eine rund herumlaufende A b l a u f r i n n e ; der unten abgezogene S c h l a m m wird zur w e i t e r e n E x t r a k t i o n der Natronlauge in den 2. Eindicker gepumpt und dort mit dem Überlauf aus dem 3. Eindicker ausgewaschen. Die aus dem 2. Eindicker ablaufende W a s c h l a u g e wird dem 1. Rührwerk zugeführt, der abgezogene S c h l a m m im 3. Eindicker mit F r i s c h wasser ausgewaschen. Der Ätznatronverlust im Schlamm beträgt nur 0.1%· Die entstehende verdünnte Natronlauge ist etwa 10%ig und wird in Verdampfapparaten konzentriert. Aus den konzentrierten Laugen kann durch Erhitzen bis auf 500° in eisernen Schmelzkesseln wasserfreies Natriumhydroxyd erhalten werden.
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Die Gruppe der Alkalimetalle
Chloralkali-elektrolyse. Die e l e k t r o l y t i s c h e Z e r s e t z u n g w ä s s e r i g e r A l k a l i c h l o r i d l ö s u n g e n erfolgt nach der Gesamtgleichung 2H;ÖH + 2 Meid — H ¡ ¡ + 2MeOH + C V E s muß bei dieser Elektrolyse verhindert werden, daß die kathodisch gebildete L a u g e MeOH mit dem anodisch gebildeten Chlor in B e r ü h r u n g k o m m t , da sonst nach der Gleichung 2MeOH + Cl2 — ν MeOCl + MeCl + H 2 0 unter gleichzeitiger R ü c k b i l d u n g v o n C h l o r i d H y p o c h l o r i t g e b i l d e t wird (S. 121). Man erreicht dies durch die T r e n n u n g v o n K a t h o d e n - u n d A n o d e n r a u m . Die Trennung erfolgt im Prinzip beim „Diaphragmaverfahren" (Fig. 127 a) durch eine poröse, stromdurchlässige S c h e i d e w a n d („Diaphragma"), beim „Glockenverfahren" (Fig. 127b) durch eine zwar stromundurchlässige, aber nicht bis zum Boden reichende und so den Stromtransport ermöglichende T r e n n w a n d und beim „Quecksilberverfahren" (Fig. 127c) durch eine völlige Abtrennung von Kathoden- und Anodenraum und g e s o n d e r t e D u r c h f ü h r u n g von K a t h o d e n - und Anodenvorgang.
(a)
(b)
(c)
Fig. 127. Schematische Darstellung der Verfahren zur Chloralkalielektrolyse Der Kathodenvorgang des Diapbragmaverfahreiis besteht in einer Entladung der durch Dissoziation des Wassers (2) gebildeten Wasserstoff-ionen (3), der Anodenvorgang in einer Entladung der aus der Dissoziation des Natriumchlorids (4) stammenden Chlorionen (5); die nichtentladenen Natrium- und Hydroxyl-ionen bleiben in der Lösung als Natriumhydroxyd zurück (6): 2 Η Ο Η ^ ± : 2 Η · + 20H' (2) Kathode: 2H' + 2 θ H2 (3) 2NaCl 2 Na' + 2C1' (4) Anode: 2C1' — C l 2 + 2© (5) 2Na' + 2 OH' 2NaOH (6) Gesamtvorgang: 2HaO + 2NaCl >- Hj + 2NaOH + Cl2. (7) Als K a t h o d e n dienen meist E i s e n e l e k t r o d e n , als Anoden Elektroden aus Retortenkohle, Achesongraphit oder geschmolzenem Magnetit (Fe 3 0 4 ). Brauchbare poröse Diaphragmen erhält man aus mit feingemahlenem Kochsalz vermischtem Zement, aus dem nach dem Festwerden das Kochsalz herausgelöst wird. Da bei zu großer Hydroxylionenkonzentration auch eine anodische Entladung von OH-Ionen unter Bildung von Sauerstoff und Wasser erfolgt, kann man die Elektrolyse nicht bis zur völligen Zersetzung des Natriumchlorids fortsetzen. Daher beschickt man bei den diskontinuierlich arbeitenden Diaphragmaverfahren (ζ. B. dem „Oriesheimer Verfahren") die Elektrolysezellen immer mit neuer Chloridlösung, sobald eine etwa 5%ige Natronlauge entstanden ist; das beim Eindampfen dieser verdünnten Lauge in Vakuumverdampf apparaten fast völlig ausfallende Natriumchlorid kehrt wieder in den Betrieb zurück. Bei den — wesentlich günstigeren — kontinuierlich arbeitenden Verfahren (ζ. B. dem „Billiter-Verfahren") wird durch eine entsprechende Regelung des Zuflusses der Chloridlösung an der Anode und des Abflusses der Lauge an der Kathode der Beteiligung der Hydroxyl-ionen am Strom-
Das Natrium
411
transport (Wanderung zur Anode) entgegengewirkt, so daß hier stärkere (12—16°/0ige) Natronlaugen erzielt werden können. Das Glockenverfahren arbeitet ohne D i a p h r a g m a und hat seinen Namen daher, daß hier der A n o d e n r a u m (Kohle-Anode) durch eine in den Kathodenraum (Eisenblech-Kathode) eintauchende „Glocke," von letzterem abgetrennt ist. Der Stromtransport zwischen den beiden Räumen erfolgt hier unter dem Band der Glocke hinweg, wo ja Kathoden- und Anodenflüssigkeit in direkter Verbindung miteinander stehen. Die Vorgänge, die sich an den beiden Elektroden abspielen, sind die gleichen wie beim Diaphragmaverfahren. Auch beim Glockenverfahren muß wie beim kontinuierlich arbeitenden Diaphragmaverfahren die infolge der Wanderung der Hydroxyl-ionen erfolgende Verschiebung der Grenzschicht Chloridlösung/Natronlauge nach der Anode hin durch eine entsprechende Geschwindigkeit des Zuflusses von Chloridlösung an der Anode und des Abflusses von Natronlauge an der Kathode kompensiert werden. Diese Einstellung einer stationären Grenzschicht erfordert wegen des Fehlens eines Diaphragmas sorgfältige Wartung, so daß das kontinuierliche Diaphragmaverfahren im allgemeinen vorzuziehen ist. Beim Quecksilberverfahren werden Anoden- und Kathodenvorgang in g e t r e n n t e n Zellen gesondert durchgeführt. In der einen Zelle (Fig. 127c, links) wird durch Verwendung einer Q u e c k s i l b e r k a t h o d e die Zerlegung der Natriumchloridlösung in Natrium (als Amalgam) und Chlor ermöglicht (vgl. S. 171). Das gebildete Amalgam wird in einer zweiten Zelle Fig. 127c, rechts), in der das Quecksilber als Anode geschaltet ist, zu 20—50%iger Natronjauge und Wasserstoff zersetzt: 2NaCl^T±:2Na· + 2C1' Kathode: 2Na" + 2 e — ^ 2 N a Anode: 2CT >- Cl2 + 2Q 2NaCl >- 2Na + Cl2 2NaCl + 2H 2 0
2HOH 2H' + 2 0 H ' Kathode: 2H' + 2 © — > " H 2 Anode : 2Na—>• 2Na' + 2Q 2Na + 2H 2 0 ν 2NaOH + H„ Cl2 + 2NaOH + H„.
(8)
Insgesamt (8) spielt sich somit beim Quecksilberverfahren der gleiche Vorgang wie beim Diaphragma- und Glockenverfahren (7) ab. Der Vorteil ist aber der, daß die Natronlauge getrennt von der Natriumchloridlösung erzeugt wird, so daß eine c h l o r i d f r e i e , reine Lauge entsteht. Da in der Technik in zunehmendem Maße chloridfreie Laugen gebraucht werden, gewinnt das Quecksilberverfahren in neuerer Zeit immer mehr an Bedeutung. Meistens wird dabei die hydrolytische Zersetzung des Natriumamalgams auf chemischem Wege mit Graphit als Katalysator durchgeführt. Eigenschaften und Verwendung. N a t r i u m h y d r o x y d {„Ätznatron") bildet eine weiße, undurchsichtige, strahlig-kristalline und stark hygroskopische Masse vom spezifischen Gewicht 2.13, welche in reinem Zustande bei 322° schmilzt, bei 1390° siedet und gewöhnlich in Stangen-, Schuppen- oder Plätzchenform in den Handel kommt. I n Wasser löst sich Natriumhydroxyd leicht (bei 0° 42 g, bei 20° 109 g, bei 100° 342 g NaOH/lOOg Wasser) unter bedeutender Wärmeentwicklung. Die wässerige Lösung reagiert stark alkalisch und heißt „Natronlauge". Als starke Base findet die Natronlauge in der Technik f ü r zahlreiche Zwecke Verwendung; so in der S e i f e n f a b r i k a t i o n (II, S. 83) und F a r b s t o f f i n d u s t r i e (ζ. Β. I I , S. 362, 479), weiterhin zur Darstellung von C e l l u l o s e aus Holz und Stroh (II, S. 257), zur Herstellung von Kunstseide (II, S. 258), zum „Mer cerisieren" (II, S. 257) von B a u m w o l l e und zum R e i n i g e n von F e t t , ö l und P e t r o l e u m . γ . Natriumsulfat (Glaubersalz) Vorkommen. Natriumsulfat kommt in der N a t u r sowohl in Form großer Lager (ζ. B. am Kaspischen Meer, in K a n a d a und in Nevada) als auch gelöst im Seewasser und in Salzsolen vor. Einige w i c h t i g e N a t r i u m s u l f a t - M i n e r a l i e n sind: Thenardit N a 2 S 0 4 , Glauberit N a 2 S 0 4 · CaS0 4 , Astrakanit N a 2 S 0 4 · MgS0 4 • 4 H 2 0 , Glaserit N a 2 S 0 4 · 3 K 2 S 0 4 und Vanthoffit MgS0 4 · 3 N a 2 S 0 4 . Darstellung. Zur t e c h n i s c h e n D a r s t e l l u n g v o n N a t r i u m s u l f a t geht man stets von S t e i n s a l z aus und setzt dieses entweder mit S c h w e f e l s ä u r e oder mit M a g n e s i u m s u l f a t um.
412
Die Grappe der Alkalimetalle
Die Einwirkung von S c h w e f e l s ä u r e auf N a t r i u m c h l o r i d bei 800° dient zur Darstellung von S a l z s ä u r e (vgl. S. 87f.) und liefert N a t r i u m s u l f a t als N e b e n produkt : — ^ Na 2 S0 4 + 2HC1. 2NaC1 + Statt S c h w e f e l s ä u r e kann auch ein Gemisch von S c h w e f e l d i o x y d (Röstgas), L u f t und W a s s e r d a m p f verwendet werden: 2NaCl + S 0 2 + H 2 0 + 1 / ì 0 2 — > - 2HC1 + N a 2 S 0 4 {„HARGRBAVES-Verfahren"). I n Deutschland wird diese Herstellung aus Natriumchlorid und Schwefelsäure immer mehr durch die Umsetzung von N a t r i u m c h l o r i d (Steinsalz) und M a g n e s i u m s u l f a t (Kieserit) ersetzt: 2NaCl + MgS0 4
Na¡,S0 4 + MgCl 2 .
Denn in den von der K a l i u m c h l o r i d g e w i n n u n g aus Carnallit oder Hartsalz stammenden L ö s e r ü c k s t ä n d e n (S. 416f.) finden sich Natriumchlorid und Magnesiumsulfat. D a das in der Reaktionslösung gebildete Natriumsulfat nur bei t i e f e n T e m p e r a t u r e n auskristallisiert, führte man den Prozeß früher nur im W i n t e r aus. Heute h a t man sich durch Einführung von K ä l t e m a s c h i n e n vom Winterbetrieb freigemacht. Der größte Teil des — durch Umkristallisieren gereinigten — Natriumsulfats geht in wasserfreier Form als „calciniertes Natriumsulfat" in den Handel. Eigenschaften. L ä ß t man Natriumsulfat aus wässeriger Lösung auskristallisieren, so kristallisiert es u n t e r h a l b 32.4° w a s s e r h a l t i g als D e k a h y d r a t N a 2 S 0 4 · 1 0 H 2 0 {„Glaubersalz") in großen, farblosen, monoklinen Prismen, o b e r h a l b 32.4° w a s s e r f r e i in Form rhombischer Kristalle aus. Oberhalb 32.4° ist also wasserfreies, unterhalb 32.4° wasserhaltiges Natriumsulfat schwerer löslich. Nach dem Massenwirkungsgesetz zeigt kristallwasserhaltiges Natriumsulfat bei j e d e r T e m p e r a t u r einen ganz b e s t i m m t e n W a s s e r d a m p f d r u c k p H i 0 , weil es sich um ein heterogenes System handelt und die Sättigungsdampfdrucke der festen Komponenten dieses Systems gegeben sind (vgl. S. 117f.): Na 2 S0 4 · IOHJO Z £ ± : N a 2 S 0 4 + 1 0 H 2 0 . Bei Z i m m e r t e m p e r a t u r ist dieser Wasserdampfdruck g r ö ß e r als der normale WasserdampfPartialdruck der L u f t . Daher gibt Glaubersalz an der Luft Wasser ab, es „verwittert", wobei die vorher durchsichtigen und wasserhellen Kristalle weiß und kreideartig werden. Beim E r w ä r m e n von Glaubersalz steigt der Wasserdampfdruck des obigen Gleichgewichtssystems, bis er bei 32.4° den Wasserdampfdruck einer g e s ä t t i g t e n N a t r i u m s u l f a t l ö s u n g erreicht. Oberhalb 32.4° bildet sich daher eine — an Na 2 S0 4 • 10H 2 0 gesättigte, in bezug auf Na 2 S0 4 übersättigte — Lösung von Natriumsulfat in Wasser: das Glaubersalz „schmilzt im eigenen Kristallwasser" unter Abscheidung von wasserfreiem Salz. Salze, die in Wasser sehr leicht löslich sind, zeigen einen durch die große Salzkonzentration der Lösung bedingten sehr geringen Wasserdampfdruck über der gesättigten Lösung. Ist dieser Wasserdampfdruck bei Zimmertemperatur g e r i n g e r als der Partialdruck des Wasserdampfes in der L u f t , so kondensiert sich das Wasser der Luft unter BUdung einer gesättigten Lösung: das betreffende Salz „zerfließt", es ist „hygroskopisch".
Natriumsulfat wird hauptsächlich in der Glas-, Farbstoff-, Textil- und Papierindustrie verwendet. S. Natriumnitrat (Chilesalpeter) Vorkommen. Das Natriumnitrat ist das wichtigste in der N a t u r vorkommende Nitrat. E s findet sich vor allem in Chile und wird daher auch „Chilesalpeter" genannt. Kleinere Lagerstätten kommen in Ägypten, Kleinasien, Columbien und Kalifornien vor. Von technischer Bedeutung sind aber nur die chilenischen Vorkommen. Gewinnung. Der r o h e Chilesalpeter [„Caliche") ist meist stark durch Sand und Ton sowie durch andere Salze (vor allem Natriumchlorid, daneben etwas Natrium-,
Das Natrium
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Magnesium- und Calciumsulfat und kleine Mengen Natriumjodat und Kaliumperchlorat) verunreinigt und stellt eine graue oder braune Gesteinsmasse dar. Man gewinnt aus diesem Material das Natriumnitrat durch Auslaugen mit heißem Wasser. Die hierbei entstehende Natriumnitratlösung wird zur Abtrennung des Tonschlamms und des ungelöst gebliebenen Natriumchlorids filtriert und dann in der Kälte zur Kristallisation gebracht. Das gewonnene Natriumnitrat ist 98°/0ig. Die Mutterlaugen enthalten das Natriumjodat und dienen zur Jodgewinnung (S. 86f.). In Deutschland wird das Natriumnitrat vorwiegend durch Umsetzimg von S o d a mit synthetischer S a l p e t e r s ä u r e gewonnen: Na 8 C0 3 + 2HNOj — > - 2 N a N 0 3 + H a O + C0 2 ,
indem man die nitrosen Endgase der Ammoniakoxydation (S. 234f.) in Sodalösung absorbiert und die dabei entstehende Lösung von Nitrit und Nitrat (Na 2 C0 3 + 2 N 0 2 —>- NaNO¡¡ + NaN0 3 + C0 2 ) nach dem Ansäuern mit Salpetersäure an der Luft zu einer salpetersauren Nitratlösung oxydiert, welche mit Soda neutralisiert und in VakuumVerdampfern eingedampft wird. Eigenschaften. Natriumnitrat kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form farbloser, würfelähnlicher Rhomboeder („kubischer Salpeter") aus, welche bei 317° schmelzen und sich bei 380° zu zersetzen beginnen. In Wasser löst es sich leicht ; die Löslichkeit nimmt mit steigender Temperatur stark zu. Verwendung. Der größte Teil des Chilesalpeters diente früher zu Düngezwecken; ein anderer Teil wurde zur Herstellung von Salpetersäure (S. 235) und von Kalisalpeter (S.417 f.) benutzt.Heute besitzt das Natriumnitrat bei uns nur noch a l s D ü n g e m i t t e l eine begrenzte Bedeutung (S. 422f.). e. Natriumcarbonat (Soda) Vorkommen. Das Natriumcarbonat Na 2 C0 3 findet sich in der Natur vor allem in Nordamerika in gewaltigen Seen, von denen der Mono-Lake (Kalifornien) 90 Millionen und der Owens-Lake (Kalifornien) 50 Millionen t Na 2 C0 3 enthält. Noch bedeutender ist der Sodagehalt im Magadi-See (Ostafrika), der auf 200 Millionen t geschätzt wird. Auch sonst findet sich Soda vielfach in der Natur im Erdboden und in der Asche vieler Salzsteppen- und Seestrandpflanzen (ζ. B. am Mittelmeer, in Südrußland und Armenien). Gewinnung. Nahezu die gesamte Soda der Welt wird nach dem sogenannten ,,Ammoniaksoda-Verfahren" {„SOLFA Y-Verfahren") aus Kochsalz gewonnen. In neuerer Zeit gewinnt daneben die Förderung von N a t u r s o d a steigende Bedeutung. Das früher übliche „LEBLANC-V erfahren" besitzt nur noch historisches Interesse. Das Sôlvaï-Verfahren besteht im Prinzip darin, daß man A m m o n i u m b i c a r b o n a t NH 4 HC0 3 und K o c h s a l z NaCl zu N a t r i u m b i c a r b o n a t NaHCO a und A m m o n i u m c h l o r i d NH4C1 umsetzt: NH 4 - + HCCV + Na" + Cl'
Ξ» NaHC0 3 + NH4" + Cl'
und das schwerlösliche und daher aus der Lösimg ausfallende Natriumbicarbonat durch G l ü h e n („Calcinieren") in S o d a („calcinierte Soda") überführt: 2NaHC0 3 — ν Na 2 C0 3 + H a O + C0 2 . Im einzelnen verläuft der Prozeß so, daß man in eine gesättigte K o c h s a l z l ö s u n g zuerst A m m o n i a k und dann K o h l e n d i o x y d einleitet, wobei sich Ammoniak und Kohlensäure zu A m m o n i u m b i c a r b o n a t umsetzen (1), das mit dem N a t r i u m c h l o r i d in oben angegebener Weise reagiert (2). Das beim Glühen des gebildeten N a t r i u m b i c a r b o n a t s entstehende Kohlendioxyd (3) wird immer wieder in den Prozeß zurückgeführt. Den Rest des erforderlichen Kohlendioxyds erhält man durch Brennen von Kalkstein (4). Der hierbei entstehende Kalk wird zur Rückgewinnung des Ammoniaks aus dem als Nebenprodukt anfallenden Ammoniumchlorid (2) benutzt (5). Insgesamt spielen sich somit die folgenden Vorgänge ab:
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Die Grappe der Alkalimetalle
2NH 3 + 2C0¡¡ + 2H 2 0 ^=±12NH 4 HC0 3 (1) 2 NH4HC03 + 2 NaCl >- 2 NaHCOs + 2 NH4C1 (2) 2NaHC03 >- Na2C03 + H s 0 + C02 (3) CaCOj — C a O + C02 (4) 2NH4C1 + CaO —>- 2NH3 + CaCl2 + H2Q (5) 2NaCl + CaCOj —>- Na2C03 + CaCl2, (6) so daß letzten Endes lediglich Kochsalz und Kalkstein zu Soda und Calciumchlorid umgesetzt werden (6), ein Vorgang, der sich in wässeriger Lösung freiwillig nur in umgekehrter Richtung abspielt. Bin Nachteil des Ammoniaksoda-Verfahrens ist der Umstand, daß das ganze Chlor des Natriumchlorids in Form des wertlosen Calciumchlorids verlorengeht. Nach dem LEBLANC-Verfahren wurde die Soda früher so hergestellt, daß man Kochsalz mit Schwefelsäure zu Natriumsulfat und Salzsäure umsetzte (7), das Natriumsulfat mit Kohle zu Natriumsulfid reduzierte (8) und das Natriumsulfid mit Kalkstein in Soda umwandelte (9): V ' 2NaCl + H 2 S0 4 — N a 2 S 0 4 + 2HC1 (7) Na2S04 + 2C >• Na2S + 2C0 2 (8) Na2S + CaC03 ·—>- Na2CQ3 + CaS (9) 2NaCl + CaCOs + H 2 S0 4 + 2C —>• Na2C03 + CaS + 2C0 2 + 2HC1. (10) Hier waren also, in summa betrachtet (10), außer den auch in den SOLVAY-Prozeß eingehenden Auegangsmaterialien Kochsalz und Kalkstein (6) noch Schwefelsäure und Kohle erforderlich. Eigenschaften. In w a s s e r f r e i e m Zustande („calcinierte Soda") stellt Natriumearbonat ein weißes, bei 853° schmelzendes Pulver vom spezifischen Gewicht 2.5 dar. In Wasser löst es sich unter starker E r w ä r m u n g (Hydratbildung) und mit ausgesprochen a l k a l i s c h e r Reaktion (C0 3 " + HÖH HC0 3 ' + OH'). Aus der Lösung kristallisiert u n t e r h a l b 32.0° das D e k a h y d r a t Na 2 C0 3 · 1 0 H 2 0 {„Kristallsoda"), das wichtigste Hydrat der Soda, aus. O b e r h a l b 32.0° geht das Dekahydrat in ein M o n o h y d r a t Na 2 C0 3 · H 2 0 und oberhalb 107° das Monohydrat in die w a s s e r f r e i e Verbindung Na 2 C0 3 über. Die K r i s t a l l s o d a Na 2 C0 3 · 10H 2 0 bildet große, wasserhelle Kristalle (spezifisches Gewicht 1.45), welche bei 32° in ihrem Kristallwasser schmelzen (vgl. S. 412). Leitet man in eine kaltgesättigte wässerige Sodalösimg K o h l e n d i o x y d ein, so bildet sich in Umkehrung der — namentlich beim Erwärmen, in geringem Maße aber auch schon bei Zimmertemperatur in wässeriger Lösung vor sich gehenden — Zerfallsreaktion (3) N a t r i u m b i c a r b o n a t NaHC0 3 : Na2C03 + H 2 0 + C02 7Γ*: 2NaHC03. Das Natriumbicarbonat stellt ein weißes Pulver dar, welches sich in Wasser mit s c h w a c h a l k a l i s c h e r Reaktion löst (8.8 g bei 15°, 11.0 g bei 30° in 100 g Wasser). S o d a wird in großen Mengen in der Seifen- (II, S. 83) und Glasindustrie (S. 332) angewendet und ist auch sonst eines der wichtigsten Produkte der chemischen Großindustrie. N a t r i u m b i c a r b o n a t findet hauptsächlich als Backpulver, ferner zur Herstellung von Brausepulvern und in der Medizin zum Abstumpfen von Magensäure (vgl. S. 78) Verwendung („Bullrichsalz").
2. Das Kalium a. Elementares Kalium Vorkommen. Der Gehalt der Erdrinde an K a l i u m in Form von Verbindungen beträgt etwa 2.4°/0 (S. 68). Weitverbreitete K a l i u m m i n e r a l i e n sind der Kalifeldspat K[AlSi 3 0 8 ] und der Kaliglimmer KAl 2 [AlSi 3 O 1 0 ](OH,F) 2 . In den K a l i s a l z l a g e r n (S.415f.) finden sich vor allem: K a l i u m c h l o r i d KCl (als solches — Sylvin — und
Dae Kalium
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in Form von Doppelsalzen wie Carnallit KCl · MgCl2 · 6H 2 0 und Kainit KCl · MgS04 · 3H 2 0) und Kaliumsulfat K 2 S0 4 (in Form von Doppelsalzen wie Schönit K 2 S0 4 · MgS04 · 6H 2 0 und Polyhalit K 2 S0 4 · MgS04 · 2CaS0 4 · 2H 2 0). Der Gehalt des Meerwassers an Kaliumchlorid beträgt nur etwa l / 4 0 des Natriumchloridgehaltes, da der Erdboden Kaliumverbindungen zum Unterschied von NatriumVerbindungen stark adsorbiert (S. 322), so daß sie nicht bis ins Meer gelangen. Aus dem Erdboden kommt das Kalium in die Landpflanzen, bei deren Veraschung es in Kaliumcarbonat {„Pottasche") übergeht (S. 419). Darstellung. Kalium wird analog dem Natrium durch Elektrolyse von geschmolzenem Kaliumhydroxyd dargestellt. Die Kaliumgewinnung spielt aber technisch keine so große Rolle wie die Natriumerzeugung. Eigenschaften. Kalium ist ein silberweiß glänzendes, bei gewöhnlicher Temperatur fast wachsweiches Metall vom spezifischen Gewicht 0.86, schmilzt bei 63.5° und siedet bei 760° unter Bildimg eines blaugrünen Dampfes. Chemisch ist Kalium reaktionsfähiger als Natrium. So verbrennt es beim Erhitzen an der Luft leicht mit intensiv violettem Licht zu einem Peroxyd K 0 2 und zersetzt Wasser mit so großer Heftigkeit, daß die entstehende Wärme genügt, um den gebildeten Wasserstoff (2K + 2HOH — ν 2KOH + H2) zu entzünden. Kalium besitzt wie die übrigen Alkalimetalle die Eigenschaft, unter dem Einfluß von ultraviolettem Licht Elektronen abzuspalten : 99.6 kcal + Κ — K + + θ , da die verhältnismäßig kleine Ionisierungsarbeit bereits von den kleinen Quanten des langwelligen ultravioletten Spektralgebietes geleistet werden kann (vgl. S. 82f.). Beiden anderen Metallen mit fester gebundenen Außenelektronen erfolgt die Abspaltung erst beim Bestrahlen mit energiereicherem Licht. Von der leichten Abspaltbarkeit des äußeren Elektrons macht man bei den „Alkalifihotozellen" Gebrauch, welche in der Tonfilm- und Fernsehtechnik Anwendung finden. Sie bestehen aus evakuierten Glasgefäßen mit zwei Elektroden, von denen die eine mit einer Schicht von Kaliumoder Caesiummetall (89.2 kcal + Cs —>- Cs+ -f θ ) belegt ist.
b. Verbindungen des Kaliums α. Kalisalz-Lagerstätten
Unter den Kalisalz-Lagerstätten sind vor allem die norddeutschen und elsässischen Vorkommen zu nennen, welche den größten Teil des Weltbedarfs an Kalisalzen decken. Die n o r d d e u t s c h e n S a l z l a g e r sind durch Eintrocknen eines großen Binnenmeeree entstanden, welches in der Urzeit vom Ural bis an die französisch-belgischen Gebirge und von Mittelengland bis an die böhmische Gebirgsmasse reichte. Bei dieser Eindunstung, deren Dauer auf rund 100000 Jahre geschätzt wird, schieden sich die im Meerwasser gelösten Salze gemäß ihrer K o n z e n t r a t i o n und L ö s l i c h k e i t bei den verschiedenen Temperaturen des S o m m e r s und W i n t e r s aus. Zuerst fiel das in Wasser am schwersten lösliche C a l c i u m c a r b o n a t CaC0 3 aus, das daher u n t e r den e i g e n t l i c h e n S a l z l a g e r n liegt („Zechsteinkalk"). Über dem Calciumcarbonat wechseln sich in ziemlich regelmäßiger Folge 8—10 cm starke Schichten von N a t r i u m c h l o r i d (als „Steinsalz" NaCl) mit schwachen Schichten von C a l c i u m s u l f a t (als „Gips" C a S 0 4 · 2 H 2 0 und „Anhydrit" CaS0 4 ) ab. Diese „Jahresringe" (beim älteren Staßfurter Steinsalz etwa 3000) sind darauf zurückzuführen, daß sich im S o m m e r vorwiegend das C a l c i u m s u l f a t , im W i n t e r vorwiegend das N a t r i u m c h l o r i d abschied. Auf das mit Calciumsulfat durchsetzte Steinsalz („älteres Steinsalz") folgte zunächst Steinsalz mit Schichten aus P o l y h a l i t 2CaS0 4 · MgS0 4 · K 2 S 0 4 · 2 H 2 0 („Polyhalitregion"), Steinsalz mit Schichten aus K i e s e r i t MgS0 4 · H 2 0 („Kieseritregion") und Steinsalz mit Schichten aus C a r n a l l i t KCl · MgCl2· 6 H 2 0 („Carnallitregion"). Nachdem das Binnenmeer eingetrocknet war, bedeckten S a n d und t o n i g e Massen („Salzton") die Salzablagerungen und schützten die zuletzt ausgeschiedenen und dementsprechend in Wasser besonders leicht löslichen K a l i u m s a l z e vor späterer Wiederauflösung (vgl. S. 407f.). Durch eine Senkung des Bodens folgte eine zweite (an einzelnen Stellen sogar
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Die Grappe der Alkalimetalle
noch eine d r i t t e ) Überflutung und Salzfolge. Zuerst schied sich wieder A n h y d r i t in einer 40—80 m tiefen Schicht und auf diesem das „jüngere Steinsalz" ab, dessen Jahresringe oft kaum bemerkbar sind und das infolgedessen r e i n e r als das ältere Steinsalz ist (vgl. S. 408). Die e l s ä s s i s c h e n K a l i s a l z l a g e r sind keine direkten Meeresausscheidungen, sondern durch Herauslösen von Kaliumsalzen aus ursprünglichen Lagerstätten, Weitertransport und Wiederausscheidung entstanden. Ihnen fehlen dementsprechend ganz die schwerlöslichen Sulfate. Die für die Industrie wichtigsten Kalisalze sind : 1. der Carnallit KCl · MgCl2 · 6 Η 2 0 , 2. das „Hartsalz", ein in der Hauptsache aus Steinsalz NaCl, Kieserit M g S 0 4 · H 2 0 und Sylvin KCl bestehendes Gemenge, 3. der „Sylvinit", ein aus Steinsalz und Sylvin bestehendes Gemisch und 4. der Kainit KCl • M g S 0 4 · 3 H 2 0 . Von geringerer Bedeutung sind Schönit K 2 S 0 4 · M g S 0 4 · 6 H 2 0 und Polyhalit K 2 S 0 4 · M g S 0 4 · 2 C a S 0 4 · 2 Η 2 0 . Die Aufschließung der Kalisalzlager erfolgt durch bis zu mehr als 900 m tiefe Schächte, und zwar ausschließlich durch Schießarbeit mit Sprengstoffen. Ein Teil des Salzes bleibt dabei stets als Pfeiler stehen; die bei der Salzgewinnung entstehenden Hohlräume werden mit „älterem Steinsalz" oder mit Fabrikrückständen ausgefüllt. Die k a l i r e i c h e n Rohsalze werden gleich nach Verlassen des Schachtes gemahlen und kommen direkt als „Düngesalz" in den Handel. Die k a l i ä r m e r e n Rohsalze werden vorher auf hochprozentige Kalisalze verarbeitet. ß . Kaliumchlorid Das Kaliumchlorid ist das wichtigste unter den aus natürlichen Kalirohsalzen industriell erzeugten Kalisalzen. Ausgangsmaterial für seine Gewinnung ist meistens der C a r n a l l i t . Daneben dienen auch H a r t s a l j und S y l v i n i t als Rohsalze. Aus r e i n e m C a r n a l l i t KCl · MgCl 2 · 6 H 2 0 läßt sich Kaliumchlorid leicht durch Behandeln mit Wasser gewinnen, da Carnallit in wässeriger Lösung in seine Bestandteile KCl und MgCl2 zerfällt, von denen das K a l i u m c h l o r i d als s c h w e r e r l ö s l i c h e s Salz beim Eindampfen der Lösung zuerst auskristallisiert. Der in der Natur vorkommende Carnallit ist aber fast immer mit größeren Mengen S t e i n s a l z NaCl, A n h y d r i t C a S 0 4 und K i e s e r i t M g S 0 4 · H 2 0 sowie mit etwas B r o m c a r n a l l i t K B r · MgB r 2 · 6 H 2 0 v e r u n r e i n i g t . Dadurch wird die Aufarbeitung auf Kaliumchlorid etwas k o m p l i z i e r t e r . Meist erfolgt die Aufarbeitung in der Weise, daß man zunächst in 10—30 m langen eisernen, mit Rühr-, Transport- und Heizvorrichtungen versehenen Trögen das am einen Ende zugeführte R o h s a l z einer am anderen Ende aufgegebenen, auf 80° vorgewärmten L ö s e l a u g e entgegenschickt. Die aus dem laufenden Betrieb stammende, etwa 6—10% NaCl und 12—14°/0 MgClj enthaltende Löselauge löst in der Hauptsache das K a l i u m c h l o r i d und N a t r i u m c h l o r i d heraus, während A n h y d r i t und K i e s e r i t bei dem Lösungsprozeß als L ö s e r ü c k s t a n d (vgl. unten) zum anderen Ende des Lösetrogs transportiert und hier durch ein Becherwerk ausgetragen werden. Zur Ausscheidung der gelösten Salze wird die erhaltene heiße Salzlösung in Kühlanlagen im Gegenstrom durch frische kalte Löselauge (die sich dabei auf 80° vorwärmt) auf Zimmertemperatur a b g e k ü h l t . Dabei scheidet sich ein Gemisch von K a l i u m c h l o r i d und N a t r i u m c h l o r i d ab. Zur Gewinnung von hochprozentigem Kaliumchlorid muß dieses Salzgemisch mit Wasser a u s g e w a s c h e n („gedeckt") werden, wobei das in der Kälte leichter lösliche Natriumchlorid herausgewaschen und ein etwa 98%iges Kaliumchlorid gewonnen wird. Letzteres gelangt dann zum Trocknen in Trockentrommeln. Die nach dem Auskristallisieren des Kaliumchlorid-Natriumchlorid-Gemisches zurückbleibende M u t t e r l a u g e wird in Vakuumverdampfapparaten e i n g e d a m p f t , wobei sich zunächst weiteres Kaliumchlorid und Natriumchlorid und später — bei genügender Anreicherung von Magnesiumchlorid — „künstlicher Carnallit" abscheidet, der in gleicher Weise wie der natürliche Carnallit weiterverarbeitet wird. Die magnesiumchloridreichen „Endlaugen" wandern zur „Entbromung" (S. 85) in die Bromfabrik und werden dann größtenteils in die Flüsse geleitet (S. 391). Die L ö s e r ü c k s t ä n d e der Carnallitverarbeitung werden in rotierenden Siebtrommeln mit W a s s e r behandelt, wobei die feinen K i e s e r it kristalle durch die Löcher des Siebes geben, während der A n h y d r i t zurückbleibt. Der so abgetrennte Kieserit setzt sich in flachen, eisernen Kästen rasch zu Boden und dient zur Herstellung von Bittersalz MgS0 4 · 7 H 2 0 (S. 392), „Kali-
Dae Kalium
417
magnesia" KjS0 4 · MgS0 4 · 6 H 2 0 (s. unten), Kaliumsulfat
NagSO«· 10H20 (S. 412).
K 2 S0 4 (s. unten) und Glaubersalz
Die Aufarbeitung von H a r t s a l z und S y l v i n i t auf Kaliumchlorid erfolgt in ähnlicher Weise wie die des Carnallits.
Kaliumchlorid kristallisiert aus wässerigen Lösungen in Form von Würfeln, welche bei 768° schmelzen und bei 1411° sieden. Die Dampfdichte bei 2000° entspricht der einfachen Formel KCl. γ . Kaliumhydroxyd (Ätzkali) Kaliumhydroxyd {„Ätzkali") wird technisch fast ausschließlich durch E l e k t r o l y s e von K a l i u m c h l o r i d l ö s u n g e n dargestellt. Das Verfahren wurde bereits beim N a t r i u m h y d r o x y d (S. 410f.) ausführlicher beschrieben. Auch durch Umsetzung von K a l i u m c a r b o n a t mit Ä t z k a l k (vgl. S. 409) kann die Verbindung gewonnen werden. Kaliumhydroxyd bildet eine dem Natriumhydroxyd ähnliche, harte, weiße, bei 410° schmelzende Masse, welche sich in Wasser zu einer stark alkalisch reagierenden Lösung {„Kalilauge") löst. An der Luft zieht es begierig Wasser und Kohlendioxyd an, worauf sich seine Verwendung als T r o c k e n m i t t e l und als Absorptionsmittel für K o h l e n d i o x y d gründet. Technische Verwendung findet das Kaliumhydroxyd in der Seifenfabrikation zur Herstellung w e i c h e r S e i f e n {„Schmierseifen"). δ. Kaliumsulfat Kaliumsulfat wird technisch durch Umsetzung von K a l i u m c h l o r i d und M a g n e s i u m s u l f a t (Kieserit) gewonnen. Die Reaktion wird in zwei S t u f e n in der Weise ausgeführt, daß man zunächst durch Umsetzung einer Kieseritlösung mit Kaliumchlorid K a l i u m - m a g n e s i u m - s u l f a t {„Kalimagnesia") K 2 S0 4 · MgS0 4 · 6 H 2 0 geWUmt :
2MgS0 4 + 2KCl — ν K 2 S0 4 · MgS0 4 + MgCl2
(1)
und dieses dann nach Abtrennung von der Lösimg und Wiederauflösen in Wasser mit w e i t e r e m K a l i u m c h l o r i d umsetzt: K , S 0 4 · MgS0 4 + 2KCl
2K 2 S0 4 + MgCl2.
(2)
Eine Darstellung in e i n e m Arbeitsgang ist nicht möglich, da sich sonst das Magnesiumchlorid zu stark a n r e i c h e r t und auf diese Weise das Gleichgewicht der u m k e h r b a r e n Reaktion (2) zu weit nach l i n k s verschoben wird. Kaliumsulfat kristallisiert aus wässeriger Lösung w a s s e r f r e i in Form rhombischer Prismen, welche bei 1074° schmelzen und in Wasser mäßig löslich sind. Beim Lösen in verdünnter Schwefelsäure geht es in Kaliumbisulfat K H S 0 4 über: K s S 0 4 + H 2 S0 4 — 2 K H S 0 4 ,
das in wasserfreiem Zustande bei etwa 200° schmilzt und bei stärkerem Erhitzen unter Abspaltung von Wasser zunächst in Kaliumpyrosulfat K 2 S 2 0 7 und dann unter Abspaltung von Schwefeltrioxyd in das n o r m a l e S u l f a t K 2 S0 4 übergeht (vgl. S. 207): 2KHS04
> K 2 S 2 0,
~ 8 0 ' >- K 2 S 0 4 .
Sowohl Kaliumsulfat wie Kalium-magnesium-sulfat kommen als D ü n g e m i t t e l in den Handel. e. Kaliumnitrat (Salpeter) Kaliumnitrat {„Salpeter") wird entweder durch Einwirkung von N a t r i u m n i t r a t auf K a l i u m c h l o r i d („Konversionssalpeter"): NaN0 3 + KCl
KNO3 + NaCl
H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
(3) 27
418
Die Grappe der Alkalimetalle
oder durch Umsetzung von K a l i u m c a r b o n a t oder K a l i u m h y d r o x y d mit syn· thetischer S a l p e t e r s ä u r e dargestellt: 2HNO„ + K 2 CO s
2 K N 0 3 + HaO + CO,.
(4
Das Verfahren der „Konversion" (3) beruht darauf, daß von den vier Komponenten der beiden miteinander im Gleichgewicht befindlichen, wechselseitig umwandelbaren („reziproken") Salzpaare das N a t r i u m c h l o r i d in der H i t z e und das K a l i u m n i t r a t in der K ä l t e das schweretlösliche ist. Man verfährt bei der technischen Salpeterdarstellung dementsprechend so, daß man in schmiedeeisernen, mit Heizschlangen und Rührwerken ausgestatteten Gefäßen äquivalente Mengen von Natriumnitrat und Kaliumchlorid in eine aus Waschwäseern und Mutterlaugen des laufenden Betriebes bestehende heiße Lösung einträgt, die Lösung vom abgeschiedenen Natriumchlorid abfiltriert und das Filtrat in schmiedeeisernen Kristallisiergefäßen unter Bühren abkühlt. Hierbei scheidet sich in feinen Kriställchen ein mit Natriumchlorid vermengter Rohsalpeter aus, welcher durch Auswaschen mit kaltem Wasser und Umkristallisieren gereinigt wird. Bei dem durch Gleichung (4) wiedergegebenen Verfahren leitet man analog der Natriumnitratdarstellung (S. 413) die nitrosen Abgase der Ammoniakoxydation in eine Kaliumcarbonatlösung. Kaliumnitrat kristallisiert aus wässerigen Lösungen w a s s e r f r e i in F o r m rhombischer, kühlend und bitter schmeckender Prismen aus, welche bei 339° schmelzen und bei höherem Erhitzen unter Sauerstoffabgabe in K a l i u m n i t r i t übergehen (S. 2 3 6 ) . E s findet u. a. zur Fabrikation von „Schwarzpulver" (einer Mischung von Schwefel, Salpeter und Holzkohle) Verwendung. Der billigere N a t r o n s a l p e t e r ist für diesen Zweck wegen seiner Z e r f l i e ß l i c h k e i t nicht geeignet. ζ. Kaliumcarbonat (Pottasche) Kaliumcarbonat („Pottasche") kann nicht nach einem dem Ammoniaksoda-Verfahren (S. 413 f.) entsprechenden Verfahren aus Kaliumchlorid und Ammoniumbicarbonat (KCl + NH 4 HCO S KHCO3 + NH 4 C1) gewonnen werden, da das hierbei entstehende K a l i u m b i c a r b o n a t wesentlich l e i c h t e r l ö s l i c h als Natriumbicarbonat ist und daher nicht wie dieses aus der Lösung der beiden reziproken Salzpaare unter dauernder Verschiebung des Gleichgewichts nach rechts ausfällt. Daher muß man zur Darstellung ein etwas a b g e ä n d e r t e s Verfahren („ENGELΡ RECHT-V erfahren") verwenden, bei welchem K a l i u m c h l o r i d nicht mit A m m o n i u m bicarbonat, sondern mit M a g n e s i u m b i c a r b o n a t umgesetzt wird: 2KC1 + Mg(HC0 3 ) 2
2KHCO, + MgCl2.
Hierbei fällt das K a l i u m b i c a r b o n a t aus der Lösung als schwerlösliches D o p p e l s a l z mit M a g n e s i u m c a r b o n a t aus, welches dann wie das Natriumbicarbonat durch C a l c i n i e r e n in das n o r m a l e C a r b o n a i übergeführt werden k a n n : 2KHCO3 — > • K 2 C0 3 + H 2 0 + C 0 2 . Im einzelnen verfährt man bei dieser Darstellungsmethode so, daß man in eine K a l i u m chloridlösung, in welcher M a g n e s i u m c a r b o n a t MgCOa · 3 H 2 0 suspendiert ist, K o h l e n d i o x y d einleitet. Das hierbei gemäß (6) gebildete M a g n e s i u m b i c a r b o n a t setzt sich mit dem K a l i u m c h l o r i d zu K a l i u m b i c a r b o n a t um (6), welches mit überschüssigem Mag n e s i u m c a r b o n a t das schwer lösliche D o p p e l s a l z KHC0 3 · MgC03 · 4 H 2 0 bildet und als solches ausfällt (7). Das abfiltrierte D o p p e l s a l z wird dann durch E r h i t z e n mit Wasser unter Druck auf 80° in K a l i u m c a r b o n a t l ö s u n g und M a g n e s i u m c a r b o n a t (das in den Prozeß zurückkehrt) zerlegt (8): MgC03 + H 2 0 + C0 2 — V Mg(HC0 3 ) 2 (5) Mg(HC0 3 ) 2 + 2KCl — ν MgClj + 2 K H C 0 3 (6) 2KHCO3 + 2MgC0 3 >- 2KHC0 3 · MgCOs (7) 2KHCQ 3 - MgCOj, — ν - K 2 C0 3 + H2Q + C0 2 + 2MgCQ3 2 KCl + MgCOj — >
K 2 C0 3 + MgCl2.
(8) (9)
Das Lithium, Rubidium und Caesium.
419
Zusammengenommen (9) spielt sich damit eine ganz dem Ammoniaksodaverfahren entsprechende Gesamtreaktion ab, nur daß hier das A l k a l i c h l o r i d nicht wie dort mit Calciumcarbonat — vgl. Gleichung (6), S. 414 —, sondern mit Magnesiumcarbonat umgesetzt wird.
Zwei andere — technisch heute ausschließlich durchgeführte — Verfahren zur Pottaschegewinnung gehen vom K a l i u m h y d r o x y d bzw. K a l i u m s u l f a t aus. Bei dem ersteren leitet man in elektrolytisch gewonnene K a l i l a u g e K o h l e n d i o x y d ein („Carbonisierung von Kalilauge") : 2KOH + CO, — > K 2 C0 3 + H 2 0;
bei dem letzteren stellt man durch Einwirkimg von K o h l e n o x y d auf eine wässerige Lösung von K a l i u m s u l f a t und Ä t z k a l k (10) bei 230° und 30 Atmosphären Druck eine K a l i u m f o r m i a t l ö s u n g (II, S. 78) her (11), welche nach Abfiltrieren des Gipses zur Trockene eingedampft und dann nach Zusatz von Kaliumhydroxyd unter Luftzufuhr c a l c i n i e r t wird („Formiat-Pottasche-Verfahren") : K 2 S0 4 + Ca(OH)2 CaS0 4 + 2KOH 2KOH + 2CO — > 2HCOOK 2HCOOK + 2KOH + 0 2 — ^ 2K2COs + 2H a O.
(10) (11) (12)
In begrenztem Umfange dienen auch technische A b f a l l p r o d u k t e — ζ. B. H o l z a s c h e (vgl. S. 416), veraschte M e l a s s e s c h l e m p e und veraschter „Wollschweiß" von Schafen — zur Gewinnung von Pottasche.
Kaliumcarbonat bildet eine weiße, hygroskopische Masse, welche bei 894° schmilzt und in Wasser Tinter Bildung einer alkalisch reagierenden Lösung sehr leicht löslich ist (113.5 g K 2 C0 3 /100 g Wasser bei 25°). Es dient hauptsächlich zur Herstellung von Schmierseifen (II, S. 83) und zur Fabrikation von KaÜglas (S. 332). η. Kalihaltige Düngemittel K a l i u m s a l z e gehören zu den wichtigsten N ä h r s t o f f e n der Pflanzen. Da die in jedem Ackerboden in reichlicher Menge vorhandenen K a l i u m s i l i c a t e von der Pflanze nur schwer und schlecht ausnutzbar sind, muß man dem Boden bei intensiver Bewirtschaftung Kaliumsalze als D ü n g e s a l z e zuführen. In Frage kommen hier vor allem das K a l i u m c h l o r i d (als solches bzw. in Form von Carnallit KCl ·MgCl2 · 6 H 2 0 oder Kainit KCl • MgS0 4 · 3H 2 0) und das K a l i u m s u l f a t (als solches oder in Form von „Kali-Magnesia" K 2 S0 4 · MgS0 4 · 6H 2 0). Im allgemeinen zieht man die S u l f a t e den chlorhaltigen Salzen vor, da v i e l e P f l a n z e n (z.B. die Kartoffeln) gegen die Wirkung von C h l o r i d e n empfindlich sind. Besonders vorteilhaft ist die Kalidüngung bei Klee, Gras, Tabak, Kartoffeln und Rüben. Unter den kalihaltigen M i s c h d ü n g e r n seien erwähnt: der „Kaliammonsalpeter" (Mischkristalle von Kaliumnitrat und Ammoniumchlorid), das „Nitrophoska" (ein aus Ammoniumchlorid bzw. -sulfat, Diammoniumphosphat und Kaliumnitrat bestehendes Gemenge) und der „Hakaphos" (ein aus Harnstoff, Kaliumnitrat und Diammoniumphosphat hergestellter Mischdünger).
3. Das Lithium, Rubidium und Caesium Lithium. Lithium ist in gebundenem Zustande als Begleiter des Natriums und Kaliums weit verbreitet, kommt aber stets nur in geringen Konzentrationen vor. Unter den L i t h i u m mineralien seien erwähnt: die P h o s p h a t e Amblygonit LiAl[P0 4 ]F und Triphylin (Li, Na)
(Fe, Mn) [P0 4 ] und die Silicate Spodumen (Triphan) LiAl[Si¡¡Oe], Lepidolith (Lithionglimmer)
K(Al2[AISi3O10], Li2[AlSi3Oe(OH, F)4]) (OH, F)2 und Petalit (Kastor) (Li, Na) [AlSi4O10]. Das m e t a l l i s c h e L i t h i u m kann durch E l e k t r o l y s e des geschmolzenen Chlorids LiCl erhalten werden. Gewöhnlich wird dabei der Schmelzpunkt des Chlorids (606°) durch Zusatz 27*
Die Gruppe der Alkalimetalle
420
von K a l i u m c h l o r i d herabgedrückt. Das silberweiße, an feuchter Luft schnell anlaufende Metall ist mit einem spezifischen Gewicht von 0.534 nach dem festen Wasserstoff (spezifisches Gewicht 0.0763 bei — 260°) das l e i c h t e s t e aller festen Elemente. Der Schmelzpunkt liegt bei 179°, der Siedepunkt bei 1340°. An der L u f t oder in S a u e r s t o f f erhitzt verbrennt Lithium mit intensiv weißem Licht zu Lithiumoxyd Li 2 0. Beim Erwärmen mit W a s s e r s t o f f geht es in Lithiumhydrid LiH über, das in geschmolzenem Zustande unter Zerlegung in Lithium und Wasserstoff den elektrischen Strom leitet. Der Wasserstoff wird dabei anodisch entwickelt, was für die elektronegative Natur des Wasserstoffs in dem festen Hydrid spricht. Die Verbindung besitzt stark hydrierende Wirkung und reagiert in feingepulvertem Zustande mit den ätherischen Lösungen zahlreicher Metallhalogenide (ζ. B. BeCl2, MgBr2, A1C13, GaCl3) unter Bildung von M e t a l l h y d r i d e n (n LiH + MeXn >- η LiX + MeHn). Mit molekularem S t i c k s t o f f vereinigt sich Lithium zum Unterschied von den*anderen Alkalimetallen langsam schon in der Kälte, besonders lebhaft bei dunkler Rotglut unter Bildung von Lithiumnitrid Li3N. Mit K o h l e n s t o f f bildet es Lithiumcarbid Li2C2. Wie Natrium und Kalium reagiert auch Lithium lebhaft mit W a s s e r ; doch reicht die entwickelte Wärme nicht wie dort zum Schmelzen des Metalls aus. Unter den weiteren Verbindungen des Lithiums ist das Lithiumcarbonat Li 2 C0 3 hervorzuheben, das zum Unterschied von den Carbonaten der übrigen Alkalimetalle in Wasser s c h w e r löslich ist (bei 0°: 1.54, bei 100°: 0.73 g Li2C03/100 g Wasser) und daher aus Lithiumsalzlösungen durch Zugabe von Soda leicht ausgefällt werden kann. Es bildet das A u s g a n g s p r o d u k t für die Darstellung der meisten a n d e r e n L i t h i u m s a l z e . Ein anderes schwerlösliches Salz ist das Lithiumphosphat Li 3 P0 4 , dessen Bildung zum Nachweis von Lithium verwendet werden kann. Das durch Umsetzung des Carbonate mit Salzsäure erhältliche Lithiumchlorid LiCl löst eich zum Unterschied von Natrium- und Kaliumchlorid in Alkohol, was man zu seiner Abtrennung von diesen Chloriden benutzen kann. Lithiumhydroxyd LiOH ist wie die anderen Alkalihydroxyde eine s t a r k e B a s e . Rubidium und Caesium. Rubidium' und Caesium kommen in Begleitung der anderen Alkalimetalle in sehr geringen Konzentrationen vor. Verhältnismäßig viel R u b i d i u m (bis über l°/ § ) enthält derLepidolith (S.419). Als Caesiummineral sei der sehr seltene PolluxCs4[Al4Si,02e]. H20 erwähnt. Entdeckt wurden Rubidium und Caesium im Jahre 1860 durch den deutschen Chemiker R O B E R T W I L H E L M B U N S E N (1811—1899) und den deutschen Physiker G U S T A V R O B E R T K I R C H H O F F (1824—1887) im Dürkheimer Mineralwasser. Und zwar gelang B U N S E N die Isolierung der beiden Metalle auf Grund der von K I R C H H O F F angeregten „Spektralanalyse" (S. 41), indem 1 er die wichtigsten S p e k t r a l - l i n i e n des Rubidiums und Caesiums 2 als Führer bei der chemischen Abtrennung benutzte und nach jeder durchgeführten Trennung denjenigen Teil, in dem sich die Linien am intensivsten zeigten, weiter untersuchte. Die r e i n e n M e t a l l e werden zweckmäßig nicht durch E l e k t r o l y s e , sondern auf c h e m i s c h e m Wege durch Reduktion der H y d r o x y d e mit M a g n e s i u m im Wasserstoffstrom bzw. C a l c i u m im Vakuum oder besonders vorteilhaft durch Erhitzen der D i c h r o m a t e mit Z i r k o n im H o c h v a k u u m auf etwa 500° dargestellt: Cs2Cr20, + 2Zr >- 2Cs + 2ZrO s + Cr 2 0 3 , wobei die Alkalimetalle abdestillieren (Rubidium: Smp. 39.0°, Sdp. 696°; Caesium: Smp. 28.5°, Sdp. 708°). Rubidium und Caesium sind weit r e a k t i o n s f ä h i g e r als ihre leichteren Homologen und entzünden sich z. B. bei S a u e r s t o f f z u t r i t t ohne weiteres unter Bildung der Peroxyde R b 0 2 und Cs0 2 . Ebenso erfolgt z. B. mit W a s s e r sehr heftige Reaktion. Die V e r b i n d u n g e n gleichen in Zusammensetzung und Eigenschaften denen des Kaliums. Unter den schwerlöslichen und daher zum analytischen Nachweis geeigneten Salzen seien erwähnt: die Perchlorate RbC104 und CsC104, die Hexachloroplatinate Rb 2 [PtCl e ] und Cs 2 [PtCl e ] und die Bitartrate RbH[C 4 H 4 0„] und CsH[C 4 H 4 O e ].
4. Das Ammonium a. Freies Ammonium Wir erwähnten schon früher, daß die aus Ammoniak und Säuren entstehenden A m m o n i u m s a l z e N H 4 X in ihren Eigenschaften den A l k a l i s a l z e n gleichen (S. 224). E s hat daher nicht an Versuchen gefehlt, das den Alkalimetallen entsprechende Ammonium N H 4 in f r e i e r F o r m zu isolieren. Alle diese Versuche sind bis jetzt miß1 2
rubidus = dunkelrot. caesius = himmelblau.
421
Das Ammonium
lungen. Dagegen konnte das Ammoniumradikal NH 4 bei der Einwirkung von Ammoniumsalzen auf Alkalimetall-Amalgame (Quecksilber-Legierungen) und bei der Elektrolyse von Ammoniumsalzen in flüssigem Ammoniak unter Verwendung von Quecksilberkathoden als „Ammoniumamalgam" isoliert werden: Na + N H /
Na" + NH 4
bzw.
NH4" + ©
>• NH 4 .
Dieses Ammoniumamalgam stellt eine weiche, schwammartige, voluminöse, schon bei Zimmertemperatur in Quecksilber, Ammoniak und Wasserstoff zerfallende (NH4 —>NH 3 + V2 H 2 ) Masse dar.
b. Ammoniumsalze Ammoniumchlorid NH4CI {„Salmiak") wird technisch durch Vereinigung von A m m o n i a k und S a l z s ä u r e : NH 3 + HCl — > - NH4C1
(1)
oder als Nebenprodukt der Ammoniaksoda-Fabrikation (S. 413 f.) gewonnen. Seine Keinigung erfolgt durch Umkristallisieren oder Umsublimieren. Es stellt ein farbloses, bitter-salzig schmeckendes, in Wasser leicht lösliches Salz dar, welches aus wässerigen Lösungen in Form federfahnenartig angeordneter Oktaeder, aus dem Dampfzustande als faserig-kristalline Masse auskristallisiert. Salmiak s u b l i m i e r t leicht und dissoziiert dabei in Umkehrung der Bildungsgleichung (1) in A m m o n i a k und Chlorw a s s e r s t o f f . Bei 350° ist die Spaltung vollkommen. Merkwürdig ist die von H. B . B A K E R entdeckte Tatsache, daß v ö l l i g t r o c k e n e r , d. h. längere Zeit über Phosphorpentoxyd gehaltener Salmiak n i c h t d i s s o z i i e r t und daß sich umgekehrt in gleicher Weise g e t r o c k n e t e s Ammoniak- und Chlorwasserstoffgas n i c h t zu S a l m i a k v e r e i n i g e n . Spuren F e u c h t i g k e i t bewirken also eine wesentliche B e s c h l e u n i g u n g sowohl der Bildung wie des Zerfalls von Ammoniumchlorid. Diese Erscheinung der katalytischen Wirkung geringer Mengen Wasser findet sich auch in v i e l e n a n d e r e n F ä l l e n . So kann ζ. B. weißer P h o s p h o r , der sich an feuchter Luft bereits bei ziemlich niedriger Temperatur entzündet, in völlig trockenem Sauerstoff auf 150° erhitzt werden, ohne sich zu entzünden. K o h l e n o x y d verbrennt in trockenem Sauerstoff viel schwerer als in feuchtem. Eine mit sehr sorgfältig getrocknetem K n a l l g a s gefüllte Röhre kann auf Rotglut erhitzt werden, ohne daß Explosion eintritt. S c h w e f e l w a s s e r s t o f f und S c h w e f e l d i o x y d wirken nur bei Gegenwart geringer Mengen flüssigen Wassers aufeinander ein. N a t r i u m kann in einer trockenen Sauerstoffatmosphäre geschmolzen werden. Vgl.a. S. 81.
Ammoniumsulfat (NH4)8S04 steht der Erzeugungsmenge nach unter allen Ammoniumsalzen an erster Stelle und dient ausschließlich zu D ü n g e z w e c k e n . Es wird technisch entweder durch Vereinigung von A m m o n i a k und S c h w e f e l s ä u r e : 2NH 3 + H 2 S0 4 —->- (NH 4 ) 2 S0 4
oder — zur Ersparnis von Schwefelsäure — durch Umsetzung von A m m o n i u m · c a r b o n a i und Gips dargestellt: (NH4)2COs + CaS0 4 — > CaCOj + (NH 4 ) 2 S0 4 .
(2)
Im einzelnen verfährt man bei diesem „Gips-Ammonsulfat-Verfahren" so, daß man den feingemahlenen Gips (oder Anhydrit) mit Waschlauge zu einem Brei anrührt und diesen Brei in einem mit Rührwerk versehenen, geschlossenen Behälter mit A m m o n i a k und K o h l e n d i o x y d ( 2 N H j + C0 2 + H 2 0 — > - (NH 4 ) 2 C0 3 ) sättigt. Nach einigen Stunden wird der Calciumcarbonatschlamm mit Tauch-Saugfiltern abfiltriert, das F i l t r a t in Vakuumverdampfern eingedampft und das Salz abgeschleudert und in Drehrohröfen getrocknet.
Ammoniumsulfat kristallisiert in farblosen, großen rhombischen Prismen und löst sich sehr leicht in Wasser (bei 0° : 71 g, bei 20° : 76 g, bei 100° : 98 g (NH 4 ) 2 S0 4 in 100 g Wasser). Beim Erhitzen auf über 350° geht es unter Abspaltung von Ammoniak in Ammoniumbisulfat NH 4 HS0 4 über, welches unzersetzt bei 490° siedet.
Die Grappe der Alkalimetalle
422
Ammoniumnitrat NH4NO3 („Ammonsalpeter") wird technisch durch Sättigen von wässeriger S a l p e t e r s ä u r e mit A m m o n i a k g a s oder A m m o n i a k w a s s e r dargestellt: NH 3 + HNOj —>- NH 4 N0 3 .
E s stellt ein farbloses, an feuchter L u f t zerfließendes, in Wasser unter starker Abkühlung (6.2 kcal/Mol) lösliches, kristallines Salz dar, welches bei 169.5° schmilzt und bei etwas höherer Temperatur in Wasser und Distickstoffoxyd zerfällt ( S. 229). Man kennt bei gewöhnlichem Druck fünf beständige M o d i f i k a t i o n e n dee Ammoniumnitrats, deren Umwandlungspunkte bei - 18°, + 32.5°, + 84.2° und + 125.2° hegen. Wegen seines hohen Stickstoffgehaltes ist Ammoniumnitrat ein sehr vorteilhafter S t i c k s t o f f d ü n g e r . Infolge seiner Explosionsgefährlichkeit und Zerfließlichkeit kann man diesen aber n i c h t in r e i n e m Z u s t a n d e , sondern nur im G e m i s c h mit Zus c h l ä g e n verwenden, welche seine explosiven Eigenschaften beseitigen und den Dünger streufähig machen. Solche Stoffe sind: Ammoniumsulfat, Calciumcarbonat, Calciumsulfat, Calciumnitrat, Phosphate usw. So stellt z. B. der „Leunasalpeier" („Ammonsulfatsalpeter") ein Doppelsalz der Formel (NH 4 ) 2 S0 4 · 2 N H 4 N 0 3 dar. Gemische von Ammoniumnitrat und Calciumcarbonat kommen als „Kalkammonsalpeter" in den Handel. Ammoniumcarbonat ( N H 4 ) 2 C O J wird technisch durch Einleiten von K o h l e n d i o x y d in A m m o n i a k w a s s e r : 2NH, + CO, + H 2 0 —>- (NH4)2C03
oder — in Umkehrung der Bildungsgleichung (2) für Ammoniumsulfat — durch Erhitzen eines Gemisches von A m m o n i u m s u l f a t und C a l c i u m c a r b o n a t (Kreide) hergestellt : (NH 4 ) a S0 4 + CaC03
>- (NH4)2C03 + CaS0 4 .
Das beim letztgenannten Verfahren abeublimierende Salz enthält außer dem normalen Ammoniumcarbonat (NH 4 ) a C0 3 noch Ammoniumbicarbonat NH 4 HC0 3 und Ammonium-carbaminat NH4COaNHs. Die beiden ersteren Verbindungen sind Salze der K o h l e n s ä u r e (I), das letztere stellt ein Salz der Carbaminsäure (II) dar: /OH 0=C< \OH
/NH2 0=C< X 0H
(I)
(Π)
Beim Kochen mit Wasser geht das Carbaminat in das Carbonat über: / | N H 2 + HÍOH 0=Cο
39 Y 40 Zr 41 Nb 42 Mo 43 Te 44 Ru 45 Rh 46 P d 47 Ag 48 Cd
.2 ο •β φ Ρ4 to
So Ti V Cr Μη Fe Co Ni Cu Zn
425
1. Schale 2. Schale 3. Schale 4. Schale 5. Schale 6. Schale 7. Schale
Scandium Titan Vanadin Chrom Mangan Eisen Kobalt Nickel Kupfer Zink
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
8 8 8 8 8 8 8 8 8 8
Yttrium Zirkon Niob Molybdän Technetium Ruthenium Rhodium Palladium Silber Cadmium
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
8 8 8 8 8 8 8 8 8 8
18 18 18 18 18 18 18 18 18 18
8 8 8 8 8 8 8 8 8 8
+ + + + + + + + + +
1 2 3 4 5 β 7 8 9 10
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 8 8 8 8 8 8 8 8 8 8
+ + + + + + + + + +
1 2 3 4 6 6 7 8 9 10
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
57
La Lanthan
2
8
18
18
8 + 1
2
72 73 74 75 76 77 78 79 80
Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg
2 2 2 2 2 2 2 2 2
8 8 8 8 8 8 8 8 8
18 18 18 18 18 18 18 18 18
32 32 32 32 32 32 32 32 32
8 8 8 8 8 8 8 8 8
2 8 4 5 β 7 8 9 10
2 2 2 2 2 2 2 2 2
2
8
18
32
φ 13 89 Ο 'S φ Ρ4
Hafnium Tantal Wolfram Rhenium Osmium Iridium Platin Gold Quecksilber
Ac Actinium
+ + + + + + + + + 18
8 + 1
2
Die Tabelle ist etwas v e r e i n f a c h t dargestellt. Bei manchen Elementen (in der 4. Periode z. B. beim Chrom und beim Kupfer) befindet sich noch eines der beiden äußersten Elektronen in der zweitäußersten Schale. Diese Feinheiten interessieren aber im allgemeinen mehr den Physiker als den Chemiker. Immerhin ersieht man daraus, daß der energetische Unterschied zwischen den in der z w e i t ä u ß e r s t e n Schale neueintretenden und den beiden A u ß e n e l e k t r o n e n häufig nicht allzu groß ist, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß bei den Übergangselementen b e i d e Elektronenarten valenzchemisch betätigt werden können (vgl. S. 426).
Da sich die in der obigen Tabelle enthaltenen Übergangselemente nur im Bau der z w e i t ä u ß e r s t e n Schale voneinander unterscheiden und die zweitäußerste Schale von w e i t g e r i n g e r e m E i n f l u ß auf die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n eines Atoms ist als die äußerste Schale, sind die chemischen Eigenschaften der Ü b e r g a n g s e l e m e n t e einer Periode naturgemäß nicht so charakteristisch voneinander verschieden •wie die der H a u p t g r u p p e n e l e m e n t e einer Periode. Das erkennt man schon daran, daß hier nicht wie dort M e t a l l e und N i c h t m e t a l l e , sondern nur M e t a l l e vorkommen und daß fast alle diese Elemente entsprechend der Anwesenheit von 2 Elektronen in der äußersten Sehale z w e i w e r t i g aufzutreten imstande sind (z. B. Ti", V", Cr", Mn", Fe", Co", Ni", Cu" und Zn" in der 4. Periode). Immerhin beobachtet man auch bei den Übergangselementen eine gewisse — wenn auch gegenüber den Hauptgruppenelementen abgeschwächte — P e r i o d i z i t ä t , da
Das Periodensystem der Elemente (II. Teil)
426
auch die über das stabile Oktett hinaus vorhandenen Elektronen der z w e i t ä u ß e r s t e n Schale zur Yalenzäußerung herangezogen werden können und damit einen Einfluß auf das chemische Verhalten ausüben. So treten die in den einzelnen Übergangsperioden der obigen Tabelle an e r s t e r S t e l l e stehenden Elemente (Sc, Y, La, Ac) maximal d r e i w e r t i g (2 -f 1 = 3), die an z w e i t e r S t e l l e stehenden (Ti, Zr, Hf) maximal v i e r w e r t i g (2 -J- 2 = 4 ) , die jeweils nachfolgenden Elemente maximal f ü n f w e r t i g (V, Nb, Ta), s e c h s w e r t i g (Cr, Mo, W), s i e b e n w e r t i g (Mn, Te, Re) bzw. a c h t w e r t i g (Fe 1 , Ru, Os) auf. Dementsprechend lassen sich die e r s t e n s e c h s E l e m e n t e einer jeden Übergangsperiode den Elementen der 3. bis 8. Hauptgruppe zuordnen, welche die gleiche Höchstwertigkeit aufweisen. Bei den in den einzelnen Übergangsreihen darauf noch folgenden restlichen Elementen nimmt gemäß der mit wachsender positiver Kernladung naturgemäß zunehmend festeren Bindung der Valenzelektronen die Fähigkeit zur Valenzbetätigung der in der zweitäußersten Schale neu aufgenommenen Elektronen fortschreitend ab. So sind z. B. die E n d g l i e d e r der Übergangsperioden (Zn, Cd, Hg) maximal nur noch z w e i w e r t i g , besonders da die zweitäußerste Schale (vgl. Tabelle, S. 425) eine stabile Anordnung von 8 + 10 = 18 Elektronen enthält, welche Edelgascharakter besitzt und sich chemisch schwer angreifen läßt. Diese Elemente stehen daher den Elementen der 2. Hauptgruppe nahe. Die z w e i t l e t z t e n Glieder einer jeden Übergangsperiode (Cu, Ag, Au) erstreben in ihrem e i n w e r t i g e n Zustand, der dem der Elemente in der 1. Hauptgruppe entspricht, ebenfalls diese beständige Achtzehnerschale, indem bei Valenzbetätigung nur e i n e s Elektrons der äußersten Schale das zweite Elektron für den Bau dieser Achtzehnerschale zur Verfügung steht. Immerhin können sie aber insgesamt auch z w e i (Cu, Ag) oder gar d r e i (Ag, Au) Valenzelektronen betätigen und damit außer e i n - auch z w e i - und dreiwertig auftreten. Die beiden restlichen Glieder jeder Übergangsperiode (Co, Ni; Rh, P d ; Ir, Pt) schließen sich in ihrem chemischen Verhalten den vorangehenden Elementen (Fe; R u ; Os) an, mit dem einen Unterschied, daß die Höchstwertigkeit dieser Elemente nicht erreicht wird, da sich entsprechend der stärkeren Anziehung durch die größere Kernladung nur ein T e i l der Überschußelektronen der zweitäußersten Elektronenschale valenzchemisch betätigen läßt, so daß die maximale Wertigkeit nur noch 4 bis 6 beträgt 2 . Zwischen der n i e d r i g s t e n und h ö c h s t e n Wertigkeitsstufe eines Übergangselements sind die verschiedensten Z w i s c h e n s t u f e n möglich. So kann z. B. das zweiwertige M a n g a n die in der 3. Schale zum vorhandenen Oktett neu hinzugekommenen Elektronen s t u f e n w e i s e zur Valenzäußerung heranziehen und auf diese Weise z w e i - , d r e i - , v i e r - , f ü n f - , s e c h s - und s i e b e n w e r t i g auftreten. In analoger Weise vermag das M o l y b d ä n z w e i - , d r e i - , v i e r - , f ü n f - und s e c h s w e r t i g zu sein usw. Hierin unterscheiden sich die Ü b e r g a n g s e l e m e n t e von den entsprechenden H a u p t g r u p p e n e l e m e n t e n wie Chlor oder Schwefel, bei denen die freien Elektronen — abgesehen von ganz wenigen Auspahmen — nur p a a r w e i s e betätigt werden (vgl. S. 154fl.), so daß sich die verschiedenen Wertigkeitsstufen um je z w e i E i n h e i t e n voneinander unterscheiden.
b. Einordnung in das Periodensystem Die vorstehend gemachten Feststellungen über die P e r i o d i z i t ä t der chemischen Eigenschaften der Ü b e r g a n g s e l e m e n t e zeigen in Verbindung mit den früheren Ausführungen über die P e r i o d i z i t ä t der H a u p t g r u p p e n e l e m e n t e (vgl. S. 6öff.), 1
Beim Eisen (maximale Wertigkeit: 6) ist die Achtwertigkeit bis jetzt noch nicht verwirklicht worden (vgl. Anmerkung 2). 2 Da sich die mit wachsendem Atomgewicht zunehmende Kernladung naturgemäß bei der ersten Übergangsreihe (kleinerer Atomradius) stärker auswirkt als bei der zweiten oder gar dritten (größerer Atomradius), beobachtet man die höhere S e c h s w e r t i g k e i t bei den Gliedern der h ö h e r e n (Rh, Ir, Pt), die niedrigere V i e r w e r t i g k e i t bei den Gliedern der n i e d e r e n Übergangsreihen (Co, Ni, Pd).
Elemente der Nebengruppen
427
daß die „langen" Perioden (4., 5., 6. und 7. Periode) im Vergleich zu den beiden vorangehenden „kurzen" Perioden (2. und 3. Periode) eine d o p p e l t e P e r i o d i z i t ä t aufweisen. Denn in der nachfolgenden Zusammenstellung der Elemente können bei den l a n g e n P e r i o d e n die Elementgruppen sowohl der l i n k e n H ä l f t e (Edelgase bis Edelmetalle) wie der r e c h t e n H ä l f t e (Edelmetalle bis Edelgase) unter die entsprechenden Gruppen der darüberstehenden beiden k u r z e n P e r i o d e n eingeordnet werden. He
Li Be Β C Ν 0 F
Ne
Ne
Na Mg Al Si Ρ S Cl
Ar
Cr Μη
Fe Co Ni
Ar
Κ Ca So Ti V
Cu Zn Ga Ge As Se Br
Kr
Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc
Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te J
X
Χ
Cs Ba LatHf Ta W Re
Os Ir Pt
Rn
Rn
Fr Ra Ac ψ
Au Hg ΊΊ Pb Bi Po At
Er
Die durch fetteren Druck hervorgehobenen Elemente der kurzen und langen Perioden („Hauptgruppen") zeigen dabei untereinander eine b e s o n d e r s n a h e c h e m i s c h e V e r w a n d t s c h a f t , während die durch normalen Druck wiedergegebenen Elemente („Nebengruppen") den zugehörigen Gruppen der kurzen Perioden w e n i g e r e n g v e r w a n d t sind 1 . Diese Beziehungen der Haupt- und Nebengruppen zueinander können in z w e i e r l e i W e i s e — durch das L a n g - und das K u r z p e r i o d e n s y s t e m — zum Ausdruck gebracht werden. Beim „Langperiodensystem" (S. 428) setzt man die besonders eng verwandten Elemente einfach übereinander und läßt bei den beiden kurzen Achterperioden, bei denen die Übergangselemente.der langen Perioden fehlen, einen entsprechenden Raum frei. Die Zugehörigkeit der Übergangsgruppen zu den Hauptgruppen wird durch die darübergesetzten römischen Gruppennummern 0 bis VIII angedeutet, wobei man die doppelte Periodizität der langen Perioden durch Beifügen der Buchstaben a und b zum Ausdruck bringt. Die so entstehende Anordnung ist zwar recht übersichtlich, läßt aber die Zusammenhänge zwischen Hauptgruppen und Nebengruppen nicht deutlich genug erkennen. Das „Kurzperiodensystem" (S. 429) bringt diese Zusammenhänge durch Unterteilung der langen Perioden in zwei kurze Perioden zum Ausdruck und unterscheidet die Elemente der Haupt- und Nebengruppen voneinander durch verschiedenes Einrücken. Die so entstehende Anordnung ist zweckmäßiger, aber zugleich Weniger übersichtlich als die erstere und täuscht zudem eine engere Verwandtschaft zwischen Haupt- und Nebengruppen vor, als sie in der Tat vorhegt. Am besten vereinigt man die Übersichtlichkeit des Lang- und die Zweckmäßigkeit des Kurzperiodensystems durch eine Kombination beider Systeme, indem man im Langperiodensystem die Übergangselemente wie beim gekürzten Periodensystem (S. 67) nur durch eine gestrichelte Linie andeutet und sie als „ N e b e n s y s t e m " unterhalb des „ H a u p t s y s t e m s " in der durch das Kurzperiodensystem zum Ausdruck gebrachten Einteilung anordnet. Auf diese Weise gelangt man zu der am Schluß des Buches auf einer Klapptafel wiedergegebenen Anordnung. 1 Der gestrichelte Pfeil bringt die an dieser Stelle ausgelassenen Lanthaniden- und ActinidenElemente (S. 430 f.) zum Ausdruck.
Das Periodensystem der Elemente (II. Teil)
428
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- FeO + S0 2 + 112 kcal
(1)
2 FeO + SiOj
>- Fe 2 Si0 4 + 18 kcal.
(2)
433
Das Kupfer
Nach 40—60 Minuten ist die Verschlackung beendet, worauf man die Schlacke abgießt. Sie enthält einige Prozente Kupfer und wird beim Rohsteinschmelzen wieder zugeschlagen. In der zweiten Periode des Verblasens wird das K u p f e r s u l f i d teilweise zu K u p f e r o x y d oxydiert, welches sich mit unverändertem K u p f e r s u l f i d unter Bildimg von metallischem K u p f e r umsetzt: CujS + 17a0 2 Cu2S -f 2CusO
CujO + S 0 2 + 93 kcal >• 6Cu + SOj — 30 kcal.
(3) (4)
Die Reaktionen (1) und (3) liefern die Wärme für die beiden Perioden des Blaseprozesses ; zu Beginn des Verblasens muß der Konverter natürlich stark angewärmt werden. Das erhaltene Konverterkupfer heißt „Rohkupfer" oder „Schwarzkupfer".
Aus k u p f e r a r m e n Erzen und Abfallprodukten, z. B. den bei der Schwefelsäurefabrikation anfallenden kupferhaltigen Pyritabbränden wird das Rohkupfer zweckmäßig nach einem nassen V e r f a h r e n gewonnen, indem man diese Ausgangsmaterialien — nötigenfalls nach vorherigem Rösten — mit verdünnter S c h w e f e l s ä u r e auslaugt und aus der so erhaltenen K u p f e r s u l f a t lösung das Kupfer durch E i s e n s c h r o t t ausfällt (, ¡Zementieren")·. Cu" + Fe —>• Cu + F e " (vgl. S. 165). Das entstehende Kupfer heißt ,,Zementkupfer" und wird verschmolzen und elektrolytisch gereinigt.
Reinigung von Rohkupfer. Das Rohkupfer enthält etwa 94—97°/0 Kupfer; die Verunreinigungen bestehen aus Zink, Blei, Arsen, Antimon, Eisen, Nickel, Schwefel, sowie gegebenenfalls Silber, Gold und Platin. Zur Befreiung von diesen Fremdstoffen wird das Rohkupfer zweckmäßig zuerst der R a f f i n a t i o n s s c h m e l z e und dann der e l e k t r o l y t i s c h e n R a f f i n a t i o n unterworfen. Das Raffinationsschmelzen besteht aus einem zuerst oxy- Kathode dierenden und dann reduzieren- tìnode' den Schmelzen. Das Rohkupfer K/fupfersu/faf/ösung wird dabei in kleinen FlammFig. 128. Elektrolytische Kupfer-Raffination öfen zunächst mit schlackenbildenden Zuschlägen geschmolzen („Einschmelzen") und unter Luftzutritt erhitzt („Verblasen"), wobei sich Zink, Blei, Arsen und Antimon verflüchtigen und Eisen und Nickel verschlacken. Nach einigen Stunden wirkt gebildetes Kupferoxyd auf noch vorhandenes Kupfersulfid gemäß (4) unter S02-Entwicklung ein („Braten"). Die völlige Austreibung des Schwefeldioxyds erfolgt durch „Dichtpolen" (vgl. S. 341). Zur Beseitigung des noch vorhandenen Kupferoxyds wird schließlich noch unter Verwendimg von Holzkohle oder Anthrazit reduziert („Zähpolen"). Das so erhaltene „Garkupfer" besteht zu 99°/0 und mehr aus Kupfer und enthält noch die gesamten Edelmetalle. Zur elektrolytischen Raffination gießt man das Garkupfer in die Form großer, 3 cm dicker A n o d e n p l a t t e n , welche man in einer als Elektrolyt dienenden schwefelsauren Kupfersulfatlösung in der aus Fig. 128 ersichtlichen Weise mit F e i n k u p f e r b l e c h K a t h o d e n zusammenschaltet. Beim Einschalten des Stromes geht Kupfer an der Anode in Lösung, während sich an der K a t h o d e aus der Kupfersulfatlösung reines K u p f e r als hochroter, dichter Niederschlag abscheidet: Curoh — > - Cu" + 2 © 2 θ + Cu" >- Curein Curoh
(Anode) (Kathode)
>- Curein.
Von den Verunreinigungen gehen die unedleren Metalle (Eisen, Nickel, Kobalt, Zink) ebenfalls anodisch in Lösung, ohne sich kathodisch abzuscheiden, während die edleren Η o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
28
434
Die Kupfergruppe
Metalle (Silber, Gold, Platin) als Staub von der Anode abfallen und mit anderen festen Abfallstoffen den „Anodenschlamm" bilden, der als Ausgangsmaterial zur Gewinnung der enthaltenen E d e l m e t a l l e dient. Physikalische Eigenschaften. Das metallische Kupfer stellt ein hellrotes, verhältnismäßig weiches, aber sehr zähes und dehnbares Metall dar, welches sich zu sehr feinem Draht ausziehen und zu äußerst dünnen, grün durchscheinenden Blättchen ausschlagen läßt. Es besitzt nach dem Silber die beste elektrische Leitfähigkeit unter allen Metallen. Das spezifische Gewicht beträgt 8.92, der Schmelzpunkt 1083°, der Siedepunkt 2350°. Chemische Eigenschaften. An der L u f t oxydiert sich Kupfer oberflächlich langsam zu rotem K u p f e r ( I ) - o x y d Cu 2 0, das an der Oberfläche fest haftet und dem Kupfer die bekannte rote Kupferfarbe verleiht. Bei Gegenwart von K o h l e n d i o x y d bildet sich auf dem Kupfer allmählich ein Überzug von grünem b a s i s c h e m C a r b o n a t („Patina"), welches das darunterliegende Metall vor weiterer Zerstörung schützt. Seiner Stellung in der .Spannungsreihe entsprechend (ε0 = + 0 . 3 5 Volt) wird Kupfer nur von o x y d i e r e n d e n S ä u r e n (ζ. B. Salpetersäure; vgl. S. 166), nicht dagegen von n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n (ζ. B. Salzsäure; vgl. S. 164f.) gelöst und aus seinen Salzlösungen durch u n e d l e r e M e t a l l e wie Eisen (vgl. S. 433), Zink, Magnesium abgeschieden. In seinen chemischen Verbindungen tritt das Kupfer ein- und zweiwertig auf. Die z w e i w e r t i g e Stufe ist dabei die b e s t ä n d i g e r e . Verwendung. Das Kupfer dient in sehr ausgedehntem Maße zur Herstellung von L e g i e r u n g e n . Unter diesen Legierungen seien vor allem diejenigen mit Zink, mit Zinn, mit Aluminium und mit Nickel erwähnt. Die K u p f e r - Z i n k - l e g i e r u n g e n werden als „Messing" bezeichnet. J e nachdem Zinkgehalt unterscheidet man hier R o t - , G e l b - und W e i ß m e s s i n g . Das rötlichgoldähnliche „Rotmessing" („Tomhak") besteht zu 80°/ 0 und mehr aus Kupfer und ist sehr dehnbar, so daß man es zu feinsten Blättchen („unechtes Blattgold", „Bronzefarbe") aushämmern kann. Vergoldet ist es unter dem Namen „Talmi" bekannt. Das „Gelbmessing" enthält 20—40% Zink und dient besonders für Maschinenteile. Das blaßgelbe „Weißmessing" enthält bis zu 80°/ 0 Zink, ist spröde und kann nur gegossen werden. Die K u p f e r - Z i n n - l e g i e r u n g e n werden als „Bronzen" bezeichnet. So besteht ζ. B. die für besonders zähfeste Maschinenteile (Achsenlager) verwendete „Phosphorbronze" aus 9 1 % Cu, 9 % Sn und Spuren P h o s p h o r , welcher die Oxydbildung beim Guß verhindert und so die Dichtigkeit und Festigkeit erhöht. Ähnliche Zusammensetzung besaß die bis zur Einführung der Gußstahlrohre für Kanonenläufe verwendete „Kanonenbronze" („Geschützbronze"). Eine mechanisch besonders widerstandsfähige Bronze („Siliciumbronze") erhält man durch Zusatz von 1—2% S i l i c i u m , welches die elektrische Leitfähigkeit wenig verändert, das Material aber besonders fest, hart und widerstandsfähig macht, so daß es ζ. B. für die Herstellung der Oberleitungsdrähte und Schleifkontakte der Straßenbahnen geeignet ist. Die zum Glockenguß dienende „Glockenbronze" besteht aus 75—80% Kupfer und 25—20% Zinn. Die modernen Kunstbronzen („Statuenbronze") enthalten neben bis zu 10% Zinn zur Erhöhung der Gießbarkeit und Bearbeitungsfähigkeit noch etwas Z i n k und Blei. Die früheren deutschen Kupfermünzen enthielten 9 5 % Cu, 4 % Sn und 1 % Zn. Als Lagermetall für Eisenbahnachsen dient eine Legierung aus 7 8 % Cu, 7 % Sn und 15% P b . Die K u p f e r - A l u m i n i u m - l e g i e r u n g e n finden als „Aluminiumbronzen" mit 5 bis 1 2 % Aluminium Verwendung. Sie besitzen goldähnliche Farbe und Glanz, sind gegenüber dem Kupfer zäher, härter und schmelzbarer und dienen wegen ihrer großen Festigkeit und Elastizität ζ. B. zur Herstellung von Waagebalken und Uhrfedern. Weiterhin bestanden die deutschen 5- und 10-Rentenpfennigstücke aus Kupfer (91.5°/0) und Aluminium (8.5%).
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Das Kupfer
Unter den K u p f e r - N i c k e l - l e g i e r u n g e n ist auf das „Konstantem" (60% Cu, 40% Ni) hinzuweisen, dessen elektrischer Widerstand fast unabhängig von der Temperatur ist. Die früheren deutschen Nickelmünzen enthielten 75% Cu und 25% Ni. Eine Legierung von 55—60% Cu» 12—26% Ni und 19—31% Zn wird als „Neusilber" (versilbert: „Alpaka") bezeichnet. Wegen seiner ausgezeichneten elektrischen Leitfähigkeit dient Kupfer weiterhin zur Herstellung elektrischer L e i t u n g e n , wegen seiner Widerstandsfähigkeit an der Luft zu D a c h b e d e c k u n g e n und wegen seiner guten Wärmeleitfähigkeit zur Herstellung von Heizrohren, Kühlschlangen, Waschkesseln, Braupfaimen usw.
b. Kupfer(I)-Verbindungen Kupfer(I)-oxyd CujO. Versetzt man Kupfer(I)-salzlösungen mit Alkali, so entsteht ein gelber Niederschlag von K u p f e r ( I ) - o x y d , der beim Erwärmen in gröberkristallines rotes Kupfer(I)-oxyd übergeht: 2 Cu' + 2 OH' ν CujO + HaO. (1) Man benutzt diese charakteristische Fällung von rotem Kupfer(I)-oxyd bei der „FEHLiNGSchen Probe" zum Nachweis von Zucker, indem man die auf Zucker zu prüfende Lösung (z. B. Harn) mit einer alkalischen Lösung von Kupfersulfat und Seignettesalz {,JFEH LING sehe Lösung", S. 436) kocht, wobei der Zucker das zweiwertige Kupfer zum einwertigen reduziert, welches gemäß (1) reagiert. Im f e u c h t e n Zustande oxydiert sich das Kupfer(I)-oxyd an der Luft leicht zu blauem Kupfer(II)-hydroxyd Cu(OH)2: Cu20 + 1 / 2 O i + 2H 2 0 ->- 2Cu(OH)2. Aus dem gleichen Grunde färbt sich eine Lösung von Kupfer(I)-oxyd in Ammoniak durch Sauerstoffabsorption rasch blau (vgl. S. 436). Kupier(I)-Chlorid CuCl entsteht beim Erwärmen von Kupfer(II)-chlorid mid metallischem Kupfer (CuCl2 + Cu— >• 2CuCl) in konzentrierter Salzsäure als komplexe Säure HfCuCy ; beim Verdünnen der Lösung zerfällt diese Säure unter Abspaltung von Salzsäure und Bildung eines weißen Niederschlags von CuCl. In trockenem Zustande ist die Verbindung an der Luft beständig. Im f e u c h t e n Zustande oxydiert sie sich an der Luft leicht zu grünem basischem Kupfer(II)-chlorid: 2CuCl + 1 / 2 0 2 + HäO—>• 2Cu(OH)Cl. In konzentrierter Salzsäure und in Ammoniak löst sich Kupfer(I)-chlorid unter Komplexbildung: CuCl + HCl->• H[CuCl¡¡] bzw. CuCl + 2NH3—>- [Cu(NH3)2] Cl. Die Lösungen besitzen die Fähigkeit, unter Bildung einer Komplexverbindung der Formel [CuCl(CO)] K o h l e n o x y d zu absorbieren, wovon man sowohl bei der Gasanalyse wie bei der technischen A m m o n i a k s y n t h e s e (vgl. S. 221 f.) Gebrauch macht. Kupfer(I)-jodid CuJ bildet sich im Gemisch mit Jod als bräunlich-weißer Niederschlag beim Versetzen einer Kupfersulfatlösung mit Kaliumjodid, da das zweiwertige Kupfer durch das Jod-ion zu einwertigem Kupfer reduziert wird, welches mit unverändertem Jodid schwerlösliches, weißes Kupfer(I)-jodid bildet: Cu" + J' —>- Cu" + γ 2 Ja Cu' + J' — ν CnJ Cu" + 2 J' CuJ + l / 2 J 2 . Man benutzt die Reaktion zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g von K u p f e r , indem man das freiwerdende Jod mit Natriumthiosulfatlösung titriert (vgl. S. 212). Kupfer(I)-Cyanid CuCN kann auf analoge Weise wie Kupfer(I)-jodid durch Zusammengeben von K u p f e r s u l f a t - und Kaliumcyanidlösung als weißer Niederschlag erhalten werden: Cu" + 2CN' — > CuCN + V2(CN)2. 23*
436
Die Kupfergruppe
Im Ü b e r s c h u ß von K a l i u m c y a n i d löst es sich zu dem farblosen, sehr beständigen K o m p l e x s a l z KgfCi^CNJJ auf: CuCN +
3CN'
—[CU(CN)
4
]"'.
Daß wirklich ein K o m p l e x s a l z und nicht nur ein D o p p e l s a l z CuCN · 3KCN (vgl. S. 378) entstanden ist, erkennt man hier wie in anderen Fällen daran, daß das Komplex-ion k e i n e der g e w ö h n l i c h e n R e a k t i o n e n seiner Bestandteile (Cu* und CN') zeigt. So fällt z. B . beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in die Komplexsalzlösung kein Kupfer(I)-sulfid Cu2S aus, weil der Komplex so beständig (vgl. S. 158), d. h. so wenig gemäß [Cu(CN)4]"' Cu' - f 4CN' dissoziiert ist, daß das Löslichkeitsprodukt von Cu2S nicht erreicht wird.
c. Kupfer(II)-Verbindungen Kupfer(II)-oxyd CuO entsteht als schwarzes Pulver beim Erhitzen von metallischem K u p f e r an der L u f t : Cu + 7¡¡Oa
CuO + 37.5 kcal.
Umgekehrt gibt es an reduzierende Substanzen bei erhöhter Temperatur seinen Sauerstoff leicht wieder ab, wovon man bei der „organischen Elementaranalyse" (II, S. 5ff.) zur Bestimmung von W a s s e r s t o f f (Verbrennung zu Wasser) und K o h l e n s t o f f (Verbrennung zu Kohlendioxyd) Gebrauch macht. Kupfer (II) -hydro xyd Cu(OH)a scheidet sich als flockiges, voluminöses, hellblaues Oxydhydrat ab, wenn man eine K u p f e r (II)-salzlösung mit A l k a l i l a u g e versetzt: Cu" + 2OH' — C u ( O H ) s .
Beim Kochen der Flüssigkeit — langsam auch schon bei gewöhnlicher Temperatur — färbt sich der Niederschlag unter Abspaltung von Wasser und Bildung von K u p f e r ( I l ) - o x y d schwarz: Cu(OH)¡¡ —>- C u 0 + H 2 0 . B e s t ä n d i g e s , kristallines, himmelblaues Hydroxyd („Bremerblau") erhält man, wenn man zuerst b a s i s c h e s K u p f e r salz fällt und das gut ausgewaschene basische Salz mit A l k a l i l a u g e behandelt. Bei Gegenwart von „Seignettesalz" (Kalium-natrium-tartrat) KNaC 4 H 4 O e werden Kupfersalze durch A l k a l i e n n i c h t g e f ä l l t ; vielmehr entsteht in diesem Falle eine tiefblaue Lösimg, in welcher ein Kupfer-Tartrat-Komplex vorliegt. Unter dem Namen „FEHLING sehe Lösung" dienen derartige alkalische Kupfersalzlösungen zum Nachweis r e d u z i e r e n d e r S t o f f e (S. 435). In k o n z e n t r i e r t e n A l k a l i l a u g e n löst sich Kupfer(II)-hydroxyd mit tiefblauer Farbe merklich unter Bildung von Cupriten·. C U ( O H ) 2 + 2 0 H ' ^ z ± : C u ( 0 H ) 4 " . Ebenso ist Kupfer(II)-hydroxyd in A m m o n i a k wasser mit intensiv kornblumenblauer Farbe als K o m p l e x s a l z [CuiNHgJJ (OH)A löslich; die Lösung heißt „ S C H W E I Z E R S Reagens" (II, S. 255) und besitzt die Eigenschaft, Z e l l u l o s e a u f z u l ö s e n , wovon man bei der Herstellung der „Kupferseide" (H, S. 258) Gebrauch macht. Kupfer (II)-Chlorid CuCU entsteht beim Auflösen von K u p f e r ( I I ) - o x y d in S a l z säure und Eindampfen der Lösung als grünes Dihydrat CUC1 2 -2H 2 0. Sehr v e r d ü n n t e wässerige Lösungen des Chlorids sind hellblau gefärbt und enthalten wie alle verdünnten Kupfer(II)-salzIösungen das Komplex-ion [Cu(H20)4] " ; die grünbraune Farbe k o n z e n t r i e r t e r , namentlich salzsaurer Lösungen ist wohl auf die Bildung komplexer Ionen des Typus [ C U C L J " zurückzuführen; m i t t e l s t a r k e Lösungen zeigen die grüne Farbe des Dihydrats [CUC12(H20)2] . Beim Erhitzen auf 150° im Chlorwasserstoffstrom entsteht das braungelbe, wasserf r e i e Chlorid CuCl2. Dieses wird in der Wärme durch S a u e r s t o f f leicht in Chlor und
437
Das Kupfer
Kupferoxyd übergeführt (1), -welches sich durch C h l o r w a s s e r s t o f f wieder in das Chlorid zurückverwandeln läßt (2) : (1)
CuClj + V i 0 2 CuO + Cüj CuO + 2HC1 — » - CuClg + H^O
(2)
2 HCl + V A
(3)
—
H20 +
CV
Auf dem Wechselspiel beider Reaktionen beruht die k a t a l y t i s c h e W i r k u n g des Kupferchlorids bei der C h l o r d a r s t e l l u n g aus Chlorwasserstoff und Luft (3) nach d e m DEACON-Verfahren
( S . 79).
Kupfer(II)-bromid CuBr2 ist braunschwarz gefärbt; Kupfer(II)-jodid CuJ2 ist unbeständig und zerfällt sofort in Kupfer(I)-jodid CuJ und Jod (S. 435). Kupier ( I I ) -suliat CUSO4 ist das bekannteste unter den Kupfersalzen. Es entsteht beim Auflösen von K u p f e r in heißer verdünnter S c h w e f e l s ä u r e bei L u f t z u t r i t t : Cu + Vï0 2 + HjSCV — » - CuS0 4 + H j O
und kristallisiert aus der Lösung als P e n t a h y d r a t CuS04 · 5H 2 0 („Kupfervitriol") in Form großer, blauer, durchsichtiger trikliner Kristalle aus. Von den fünf Molekülen Kristallwasser des Hydrats sitzen v i e r in komplexer Bindung am Kupfer, das f ü n f t e am Sulfat-ion (S. 392): [Cu(H 2 0) 4 ]S0 4 · H 2 0. Bei 100° getrocknet verlieren die Kristalle — unter Zwischenbildung eines Trihydrats (S. 117f.) — v i e r Mol Wasser; das so gebildete Monohydrat CuS04 · H 2 0 gibt das letzte Mol Wasser erst oberhalb 200° ab. Die wasserfreie Verbindung CuS04 ist weiß und nimmt unter Blaufärbung leicht wieder Wasser auf. Man benutzt diese Farbänderung zum N a c h w e i s kleiner Mengen Wasser, z.B. in Alkohol. Versetzt man Kupfersulfatlösungen mit Ammoniakwasser, so bildet sich zunächst ein bläulicher Niederschlag von basischem S u l f a t ; dieser löst sich im A m moniaküberschuß unter Bildung einer intensiv dunkelblauen Lösimg (empfindlicher Kupfernachweis!), aus der sich das kristalline K o m p l e x s a l z Cu(NH 3 ) 4 ]S0 4 · H 2 0 isolieren läßt. Die tiefblaue Farbe kommt dem „ Tetrammin-kupfer(II)-ion" [Cu(NH 3 ) 4 ]" zu, welches dem hellblauen „Tetraquo-kttpfer(II)-ion" [Cu(H 2 0) 4 ]" (S. 436) entspricht. Der T e t r a m m i n - k o m p l e x [Cu(NH 3 ) 4 ]" ist nicht so stark komplex wie der früher (S. 436) erwähnte T e t r a c y a n o - k o m p l e x [Cu(CN) 4 ]"' (vgl. S. 158). Daher kommt es, daß die im Gleichgewicht befindliche Kupferionenkonzentration ( [Cu(NH3)4] τ " * ' Cu" + 4 N H 3 ) in diesem Falle dazu ausreicht, um mit Schwefelwasserstoff schwerlösliches K u p f e r s u l f i d zu ergeben. Kupfersulfatlösungen finden unter anderem in der „Galvanoplastik" zur Vervielfältigung von Kunst- und kunstgewerblichen Gegenständen, Münzen usw. Verwendung. Zu diesem Zwecke schaltet man die durch Überbürsten mit Graphit leitend gemachte, vertiefte Gips-, Wachs- oder Guttapercha-Matrize als K a t h o d e in einer K u p f e r s u l f a t l ö s u n g mit einer A n o den platte aus reinem Kupfer zusammen. Bei gut geregelter Elektrodenspannung scheidet sich dann auf der Kathode eine leicht ablösbare, dünne Kupferschicht ab, die alle Einzelheiten der Matrize mit größter Genauigkeit wiedergibt. Sonstige Kupfer(n)-Verbindungen. Kupfer(II)-nitrat [Cu(H 2 0) 4 ](N0 3 ) 2 · 2H 2 0 kristallisiert aus Lösungen von Kupfer in Salpetersäure nach weitgehendèm Eindampfen in Form blauer, säulenförmiger, bei 26° in ihrem Kristallwasser schmelzender und an der Luft leicht zerfließender Prismen. Normales Kupfer(II)-carbonat ist nicht bekannt. Wohl aber kennt man basische Carbonate wechselnder Zusammensetzung, welche beim Versetzen von Kupfer(II)-salzlösungen mit Alkalicarbonaten entstehen. Von den in der Natur vorkommenden basischen Carbonaten haben wir bereits den als Halbedelstein geschätzten grünen Malachit CuC03 · Cu(OH) 2 und den blauen Kupferlasur 2CuC03 · Cu(OH) a erwähnt. Das bei der Einwirkung von Essigsäuredämpfen auf Kupferplatten entstehende basische Kupferacetat ist unter dem Namen „Grünspan" bekannt und wird als Malerfarbe verwendet. Andere grüne Malerfarben sind das „ScHEELEsche
438
Die Kupfergruppe
Grün" (ein Gemisch von basischem und normalem Arsenit) und das „Schweinfurter Grün" (ein gemischtes Kupfer-arsenit-acetat 3Cu(As02)2· Cu(CH3COO)2). Physiologische Wirkung von Kupferverbindungen. Die löslichen Kupferverbindungen sind für den Menschen nur m ä ß i g g i f t i g . So kann ein erwachsener Mensch beispielsweise täglich 100 mg Kupfer in Form von Kupfersulfat zu sich nehmen, ohne Schaden an der Gesundheit zu erleiden. Dagegen ist das Kupfer für n i e d e r e O r g a n i s m e n ein h e f t i g e s G i f t . So sterben ζ. B. Bakterien und Fäulniserreger in Wasser, das sich in einem kupfernen Gefäß befindet, rasch ab. Daher halten sich auch Blumen in kupfernen Vasen besser als in gläsernen. In gleicher Weise wirkt eine in das Wasser gelegte blankgeriebene Kupfermünze günstig.
2. Das Silber a. Elementares Silber α. Vorkommen Silber kommt in der Natur vielfach g e d i e g e n vor. In g e b u n d e n e m Zustande findet es sich in Form von S i l b e r e r z e n und von s i l b e r h a l t i g e n E r z e n . Die hauptsächlichsten Silbererzlagerstätten liegen in Mexiko, den Vereinigten Staaten, Südamerika und Kanada. Unter den e i g e n t l i c h e n S i l b e r e r z e n (die allerdings meist auch nur wenige Prozente Silber enthalten) seien als wichtigste genannt der Silberglanz (Argentit) Ag2S, der Kupfersilberglänz Cu2S · Ag2S, sowie S i l b e r d o p p e l s u l f i d e mit Arsen- und Antimonsulfid (z.B. Arsenfahlerz 4 Ag2S · As2S3, lichtes Rotgültigerz 3 Ag2S · As 2 S 3 , Antimonfahlerz 4Ag 2 S-Sb 2 S 3 , dunkles Rotgültigerz 3Ag 2 S-Sb 2 S 3 , Silberantimonglanz Ag2S · Sb2S3). In kleiner Menge tritt das Silber auch als Hornsilber AgCl auf. Unter den s i l b e r h a l t i g e n E r z e n ist vor allem der Bleiglanz PbS zu nennen, welcher 0.01—1°/0 Silber in Form von Silbersulfid Ag2S enthält. Ebenso ist häufig der Kupferkies CuFeS 2 silberhaltig. Bei der Gewinnung von Blei und Kupfer aus diesen Erzen sammelt sich das Silber im R o h b l e i (S. 346,439f.) und R o h k u p f e r (S. 433f.) an, aus denen dann das Silber isoliert werden kann. Vielfach schlägt man beim Bleiund Kupfergewinnungsprozeß absichtlich Silbererze zu, um auf diese Weise das Silber in diesen Metallen anzureichern. ß. D a r s t e l l u n g von R o h s i l b e r Ans Silbererzen Die Gewinnung des Silbers aus seinen E r z e n erfolgt meist auf nassem Wege durch die „Cyanidlaugerei". Bei diesem Verfahren wird das zu f e i n e m S c h l a m m z e r k l e i n e r t e Material unter guter D u r c h l ü f t u n g mit 0.1—0.2°/0iger N a t r i u m cyanidlösung ausgelaugt, wobei sowohl metallisches Silber wie Silbersulfid und Silberchlorid als k o m p l e x e s S i l b e r Cyanid in Lösung gehen: 2Ag + H 2 0 + VaOa + 4NaCN •—2Na[Ag(CN) 2 ] + 2NaOH Ag2S + 4NaCN ^TÏ: 2Na[Ag(CN)a] + NaaS 2AgCl + 4NaCN
>- 2Na[Ag(CN)2] + 2NaCl.
(1)
(2)
(3) Da die Reaktion (2) zu einem Gleichgewicht führt, muß bei der Auslaugung s u l f i d i s c h e r Silbererze das gebildete Natriumsulfid Na 2 S durch Einblasen von L u f t oxydiert (2S" + 2 0 2 + Bao —>- S 2 0 3 " + 2 OH') oder durch Zusatz von Bleisalz gefällt (Pb" -f S" —>- PbS) und so aus dem Gleichgewicht entfernt werden.
439
Das Silber
Aus den erhaltenen klaren Laugen fällt man das Silber durch Einrühren von Z i n k oder A l u m i n i u m s t a u b (vgl. S. 165) aus (2Ag- - f Zn—-v 2Ag + Zn"): 2Na[Ag(CN) a ] + Zn
Na 2 [Zn(CN) 4 ] + 2Ag,
filtriert dann die Aufschlämmung durch Filterpressen und schmilzt die so erhaltenen, zu 9 5 % aus Silber bestehenden Preßkuchen ein. Die Reinigung dieses R o h s i l b e r s erfolgt wie später (S. 440) beschrieben. Das für die Cyanidlaugerei erforderliche N a t r i u m c y a n i d kann technisch durch Überleiten von Ammoniakgas über geschmolzenes N a t r i u m und Glühen des gebildeten N a t r i u m a m i d s (Na + NH 3 >• NaNH 2 + 1 ¡ i & i ) mit K o h l e gewonnen werden („GASTNER-KELLNER.
Verfahren")·.
„
2NaNH„ + C — — > - Na2N2C Natriumamid
Natriumcyanamid
> 2NaCN . NatriumCyanid
Aus Werkblei Bei der B l e i g e w i n n u n g aus Bleiglanz findet sich der Silbergehalt des Bleiglanzes im W e r k b l e i (S. 346) wieder. Um das Silber aus diesem zu isolieren, muß es vorher angereichert werden. A n r e i c h e r u n g des S i l b e r s Die A n r e i c h e r u n g kann nach zwei Verfahren erfolgen, die nach ihren Erfindern P A R K E S bzw. PATTINSON als „Parkesieren" bzw. „Pattinsonieren" bezeichnet werden. Die gebräuchlichere Methode ist das P a r k e s i e r e n . Parkesieren. Das Verfahren des P a r k e s i e r e n s bedient sich der Tatsache, daß bei Temperaturen unterhalb etwa 400° Zink und B l e i praktisch n i c h t m i t e i n a n d e r m i s c h b a r sind (so daß sich geschmolzene Zink-Blei-Mschuugen beim Abkühlen unter 400° in zwei Schichten — eine flüssige Schicht von Blei (Smp. 327°) und eine darauf schwimmende, spezifisch leichtere Schicht von festem Zink (Smp. 419°) — trennen), während S i l b e r in geschmolzenem Zink l e i c h t l ö s l i c h ist und sich beim Erstarren der Zinkschmelze in Form von Z i n k - S i l b e r - M i s c h k r i s t a l l e n ausscheidet. Man kann dementsprechend das in geschmolzenem Blei enthaltene Silber gewissermaßen mit geschmolzenem Zink (1—11/a °/0 des Bleigewichts) „ausschütteln". Im einzelnen verfährt man bei diesem Verfahren der „Zinkentsilberung" so, daß man dem über den Zinkschmelzpunkt erhitzten silberhaltigen Werkblei nicht gleich die Gesamtmenge, sondern zunächst nur etwa den zehnten Teil des erforderlichen Zinks zusetzt, gut einrührt und abkühlt, wobei sich ein „Zinkschaum" abscheidet, der weniger Silber, dafür alles Kupfer und Gold des Werkbleis enthält und gesondert aufgearbeitet wird. Dann erhitzt man wieder und rührt die Hälfte des restlichen Zinks ein, welches die Hauptmenge des Silbers herausnimmt, so daß der Silbergehalt des Bleis auf 0.03% heruntergeht. Nach dem Abkühlen und Abheben auch dieses silberreichen Schaums wird mit der zweiten Hälfte des Zinks alles Silber bis auf einen Silbergehalt von 0.0005% (5 g Silber je 1000 kg Blei) herausgeholt.
Der silberhaltige, durch anhängendes entsilbertes Blei {„Armblei") verunreinigte Z i n k s c h a u m wird nun in einem Seigerkessel vorsichtig bis über den Schmelzpunkt des Bleis erwärmt, wobei das anhängende Armblei ausseigert, das dann zum Armblei des Entsilberungskessels zurückgegeben wird. Der nach der Ausseigerung zurückbleibende Zinkschaum („Reichschaum") enthält rund 75°/0 Blei und bis zu 1 0 % Silber. Aus ihm wird durch Erhitzen das Zink (Sdp. 907°) abdestilliert. Das so gewonnene „Reichblei", das 8 — 1 2 % Silber enthält, geht zum „Treibprozeß" (s. S. 440). Pattinsonieren. Die theoretischen Grundlagen des P a t t i n s o n i e r e n s ergeben sich aus dem Schmelzdiagramm der Silber-Blei-Legierungen (vgl. S. 448ff.). Nach diesem Diagramm scheidet sich beim Abkühlen von geschmolzenem silberhaltigem Blei so lange r e i n e s B l e i ab, bis der Gehalt an Silber auf 2 . 5 % (entsprechend dem bei 304°C schmelzenden Eutektikum) gestiegen ist. Läßt man daher geschmolzenes silber-
440
Die Kupfergruppe
haltiges Werkblei erkalten und schöpft die .dabei sich ausscheidenden Bleikristalle laufend mit siebartigen Schöpflöffeln ab, so bleibt zum Schluß ein ,,Reichblei" zurück, welches bis zu 2.5°/0 Silber enthält. Während beim Parkeeieren etwa vorhandenes Wismut im Armblei zurückbleibt, wird beim Pattinsonieren auch das Wismut zusammen mit dem Silber entfernt. Daher wird das — gegenüber dem Zinkentsilberungsverfahren sonst ganz zurücktretende — Verfahren des Pattinsonierens mit Vorteil bei der Entsilberung wismuthaltigen Werkbleis angewandt (vgl. S. 281). Isolierung des angereicherten Silbers Zur I s o l i e r u n g des angereicherten S i l b e r s wird das Reichblei der „Treibarbeit" („Kupellation") unterworfen. Sie besteht darin, daß man auf das in einem Flammofen {„Treibherd") geschmolzene Metall einen W i n d s t r o m leitet, wodurch das B l e i , nicht aber das edlere Silber oxydiert wird. Die so gebildete B l e i g l ä t t e PbO wird laufend durch seitliche Rinnen („Glättegassen") flüssig (Smp. 870°) abgezogen ; ein Teil der Glätte wird auch vom Ofenfutter aufgenommen oder dampft weg. Etwa vorhandenes Wismut reichert sich in der zuletzt gebildeten Glätte an. Gegen Ende des Prozesses bleibt auf dem flüssigen Silber nur noch ein feines Häutchen Bleiglätte zurück, das bald hier bald dort zerreißt und dabei die glänzende Oberfläche des geschmolzenen S i l b e r s durchblicken läßt („Silberblick"). Das gewonnene Rohsilber enthält 95°/ 0 und mehr Silber und heißt „Blicksilber". γ . Reinigung von Rohsilber Die R e i n i g u n g des nach einem der vorstehend beschriebenen Verfahren gewonnenen R o h s i l b e r s erfolgt zweckmäßig auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e („MÖBIUSVerfahren"). Zu diesem Zwecke vergießt man das Rohsilber zu etwa 1 cm starken A n o d e n p l a t t e n , die in analoger Weise wie bei der elektrolytischen Kupferraffination (vgl. Fig. 128, S. 433) in einer als Elektrolyt dienenden salpetersauren S i l b e r n i t r a t l ö s u n g mit K a t h o d e n aus dünn gewalztem F e i n s i l b e r b l e c h zusammengeschaltet werden. Bei der Elektrolyse gehen an der Anode S i l b e r und die Verunreinigungen a n K u p f e r und B l e i in Lösung, während vorhandenes G o l d als solches abfällt und sich zusammen mit anderen Resten als „Anodenschlamm" in einem „Anodensack" sammelt. An der K a t h o d e scheidet sich reines E l e k t r o l y t s i l b e r aus. Da die Abscheidung nicht in Form eines glatten, zusammenhängenden Überzugs, sondern in Form loser, verästelter Kristalle („Dendriten") erfolgt, sind zur Vermeidung eines zwischen Anode und Kathode auftretenden K u r z s c h l u s s e s scherenförmige A b s t r e i f e r vorhanden, die sich während der Elektrolyse hin und her bewegen und die Silberkristalle in einen E i n s a t z k a s t e n abstreifen. Das so gewonnene „Feinsilber" ist 99.6—99.9°/^. Der goldreiche A n o d e n s c h l a m m wird mit Schwefelsäure oder Salpetersäure ausgekocht, eingeschmolzen und f ü r die G o l d e l e k t r o l y s e zu 95—97°/ 0 igen G o l d a n o d e n vergossen (S. 446f.). 8. Physikalische Eigenschaften Das Silber ist ein weißglänzendes, in regulären Oktaedern kristallisierendes Metall vom spezifischen Gewicht 10.50, welches bei 960.5° schmilzt und bei 1980° unter Bildung eines einatomigen, blauen Dampfes siedet. E s leitet die Wärme und Elektrizität am besten unter allen Metallen (κ18ο = 6.14 χ IO5 reziproke Ohm) und läßt sich wegen seiner Weichheit und Dehnbarkeit leicht zu feinsten, blaugrün durchscheinenden Folien von nur 2 / 1000 — 3 / 1000 mm Dicke aushämmem und zu dünnsten, bei 2 km Länge nur 1 g wiegenden Drähten (,,Filigrandraht'') ausziehen. I n geschmolzenem Zustande löst es leicht Sauerstoff, der dann beim Erstarren des Silbers unter Aufplatzen der Oberfläche („Spratzen") wieder entweicht.
Das Silber
441
e. Chemische Eigenschatten
Entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (S. 164) ist das Silber ein edles Metall. Als solches oxydiert es sich auch bei höherer Temperatur nicht an der Luft. Erst bei Anwendung höherer Sauerstoffdrucke verbindet es sich in der Wärme mit Sauerstoff gemäß dem Gleichgewicht 2Ag + 1 / 2 0 2 A g 2 0 + 6.95 kcal. Wegen dieser Luftbeständigkeit werden Gebrauchs- und Ziergegenstände aus Kupfer oder Kupferlegierungen häufig mit einem Silberüberzug versehen. Dies geschieht zweckmäßig auf elektrolytischem Wege durch „galvanische Versilberung", indem man auf den Gegenständen das Silber kathodisch aus einer Lösung von Kaliumcyanoargentat K[Ag(CN)2] niederschlägt, aus der sich das Silber nicht wie aus Silbernitratlösungen in gröberen Kristallen (S. 440), sondern in zusammenhängender und daher leicht polierbarer Schicht abscheidet (vgl. S. 443). Dagegen erfolgt die Versilberung von Glas zur Herstellung von Spiegeln zweckmäßig auf chemischem Wege durch Aufgießen und Erwärmen einer mit einem geeigneten Reduktionsmittel (z.B. Seignettesalz, S. 436) versetzten ammoniakalischen Silbernitratlösung. Das schwärzliche „Anlaufen" des Silbers an der Luft beruht auf einer Reaktion mit dem in bewohnten Räumen stets spurenweise enthaltenen Schwefelwasserstoff, wobei sich schwarzes Silbersulfid AgaS bildet : 2Ag -f- H 2 S + V2O2 —>" Ag2S + H 2 0. Palladiumgehalte von 20—30°/o machen das Silber anlaufbeständig. Nichtoxydierende Säuren wie Salzsäure greifen Silber nicht an. In Salpetersäure löst sich Silber leicht, in konzentrierter Schwefelsäure erst bei erhöhter Temperatur. Wie das Kupfer tritt auch das Silber in seinen chemischen Verbindungen ein- und zweiwertig auf. In diesem Falle ist aber die einwertige Stufe die beständigere; die zweiwertige Stufe läßt sich — abgesehen vom Silber(II)-fluorid AgF2 — nur bei Stabilisierung durch Komplexbildung erhalten (S. 443f.). Auch einzelne Komplexverbindungen des dreiwertigen Silbers sind bekannt. ζ. Verwendung
Silber wird nicht in reinem Zustande verarbeitet, da es für die gewöhnlichen Zwecke zu weich ist. Durch Legierung mit Kupfer wird es härter, ohne den Silberglanz zu verlieren. Daher bestehen die meisten silbernen Gegenstände aus Silber-KupferLegierungen. So enthalten z. B. die Silbermünzen der meisten Staaten 90°/0 Ag und 10°/0 Cu, während die silbernen Gebrauchsgegenstände meist aus 80°/0 Ag und 20°/o Cu bestehen. Man bezieht den Silbergehalt silberner Gegenstände gebräuchlicherweise auf 1000 Gewichtsteile und nennt den so sich ergebenden Gehalt „Feingehalt". Ein 80%iges Silber weist also beispielsweise einen Feingehalt von 800 auf. Beträchtliche Mengen an Silber werden weiterhin zum Versilbern von Gebrauchsgegenständen und zur Herstellung von Spiegeln verbraucht.
b. Silber(I)-Verbindungen
Silberoxyd AgÄ0 fällt beim Versetzen einer Silbersalzlösung mit Laugen als dunkelbrauner Niederschlag aus : 2Ag" + 2 OH' >- 2AgOH AgaO + HaO. Es löst sich nur wenig in Wasser (0.2 Millimol/Liter bei 25°); die Lösung reagiert infolge Anwesenheit von AgOH stark basisch. Wegen dieses stark basischen Charakters von AgOH reagieren die Silbersalze zum Unterschied von den meisten anderen Schwermetallsalzen in wässeriger Lösung neutral, unterliegen also nicht wie diese der Hydrolyse. Beim Erhitzen auf 200° zerfällt das Silberoxyd in reversibler Reaktion
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Die Kupfergruppe
in seine Elemente : Ag 2 0 2Ag + 1 / 2 0 2 . Will man es daher bei erhöhter Temperatur aus den Elementen gewinnen, so muß man einen Sauerstoffdruck wählen, der höher als der Dissoziationsdruck ist (vgl. S. 441). Reduktionsmittel wie Wasserstoff oder Wasserstoffperoxyd reduzieren das Oxyd leicht zum Metall. Silbernitrat AgNOj ist das wichtigste Silbersalz und dient als Ausgangsmaterial f ü r die Darstellung aller anderen Silberverbindungen. Man gewinnt es durch Auflösen von S i l b e r in S a l p e t e r s ä u r e : 3Ag + 4HN0 3 —>- 3AgN0 3 + NO + 2H 2 0 in Form schöner rhombischer, bei 209° schmelzender Kristalle. E s löst sich in Wasser sehr leicht (215 g AgN0 3 /100 g Wasser bei 20°) zu einer neutral reagierenden Lösung. Auf die H a u t wirkt festes Silbernitrat o x y d i e r e n d und ä t z e n d unter Abscheidung von dunklem Silber ein. Daher dienen Stäbchen von Silbernitrat als „Höllenstein" {„Lapis infernalis") in der Medizin zur Beseitigung von Wucherungen. Silberchlorid AgCl (Smp. 450°) kommt in der N a t u r als Hornsilber vor und fällt als charakteristischer „käsiger", weißer, am Licht sich dunkel färbender (S. 444) Niederschlag beim Versetzen einer S i l b e r n i t r a t l ö s u n g mit Chlor-ionen aus: Ag· + α ' —>- AgCl. Diese Fällung von schwerlöslichem Silberchlorid dient sowohl zum q u a l i t a t i v e n N a c h w e i s wie zur q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g von Silber bzw. Chlor. Die quantitative Bestimmung kann „grammetrisch" („gewichtsanalytisch") durch Wägen des ausgefällten Silberchlorids oder „titrimetrisch" („maßanalytisch") durch Titration der Silbersalzlösung mit eingestellter Chloridlösung bzw. der Chloridlösung mit eingestellter Silbersalzlösung („Argentometrie") erfolgen („Fällungsanalyse"). Der Endpunkt bei der Titration macht sich durch ein plötzliches Klarwerden der über dem Niederschlag stehenden Lösung bemerkbar („Klarpunkt ). Solange die Lösung nämlich noch überschüssige Chlor- oder Silber-ionen enthält, wirken diese stabilisierend auf das bei der Fällung neben dem käsigen Niederschlag gebildete kolloide Silberchlorid ein (vgl. S. 328), so daß die Lösung über dem Niederschlag trübe erscheint. In dem Augenblick, in dem die letzte Menge des stabilisierenden Ions ausgefällt ist, flockt das Kolloid aus. Zur scharfen Erkennung und Bestimmung der Opaleszenz und des Klarpunktes bedient man sich bei Präzisionsanalysen eines Trübungsmessers („Nephelometer"). 1 Liter W a s s e r löst bei 18° nur 1.2 χ Ι Ο - 5 Mol Silberchlorid auf. Auch in S a l p e t e r s ä u r e ist Silberchlorid praktisch unlöslich. Sehr leicht löst es sich unter Komplexsalzbildung in A m m o n i a k - , N a t r i u m t h i o s u l f a t - und K a l i u m c y a n i d l ö s u n g e n : AgCl + 2NHS >- [Ag(NH3j2]' + Cl' AgCl + 2S 2 0 3 " — ^ [Ag(S203)a]"' + Q' AgCl + 2CN' — ν [Ag(CN)j]' + Cl\
(la) (2a) (3a)
Silberbromid AgBr (Smp. 419°) fällt beim Zusammengeben einer S i l b e r s a l z l ö s u n g und B r o m i d l ö s u n g als käsiger, gelblich-weißer Niederschlag aus. E s ist in Wasser noch schwerer löslich als Silberchlorid und löst sich in Ammoniak schwer, in Thiosulfat- und Cyanidlösung leicht auf. Das in Wasser noch schwerer lösliche gelbe Silberjodid AgJ (Smp. 552°) löst sich weder in Ammoniak noch in Thiosulfatlösung, sondern nur noch in Cyanidlösung auf. Dieses unterschiedliche Verhalten der drei Silberhalogenide gegenüber Ammoniak, Thiosulfat und Cyanid ist darauf zurückzuführen, daß die Komplex-ionen (la), (2a) und (3a), wenn auch nur spurenweise, so doch in der Richtung vom Ammoniak- zum Cyanidkomplex hin merklich abnehmend dissoziiert sind: [Ag(NH3)2]· ^ [Ag( S203)2]"' [Ag(N)2]'
Ag' + 2NH3 Ag" + 2 S 2 0 3 " Ag" + 2CN\
(lb) (2 b) (3 b)
Das Silber
443
Daher überschreitet zwar die Silberionenkonzentration einer gesättigten Lösung des leichter löslichen und in Lösung praktisch vollkommen dissoziierten Silberchlorids die Silberionenkonzentration aller drei Komplex-ionen, so daß sich bei Zugabe von Ammoniak, Thiosulfat oder Cyanid zu einer Silberchlorid-Aufschlämmung die Gleichgewichte (lb), (2b) und (3b) nach links verschieben, entsprechend einer Auflösung des Chlorids. Dagegen reicht die wesentlich geringere Silberionenkonzentration einer gesättigten Silberjodidlösung nur noch zur Verschiebung des Gleichgewichtes (3b), nicht aber der Gleichgewichte (lb) und (2b) nach links aus. Die Tatsache, daß aus allen drei Silberkomplexsalz-Lösungen mit Schwefelwasserstoff schwarzes S i l b e r s u l f i d Ag2S ausgefällt wird, zeigt, daß die dem Löslichkeitsprodukt des Silbersulfids entsprechende Silberionenkonzentration noch kleiner als selbst die des Silbercyanidkomplexes ist. Damit ergibt sich für die genannten Silberverbindungen folgende Reihe abnehmender Silberionenkonzentration : AgCl — > · [Ag(NHs)s]· — A g B r — >- [Ag(S203)2]"' —>- AgJ — > [Ag(CN)2]' — » Ag2S. Dieser Reihe entsprechend können aus den verschiedenen Komplexsalzlösungen durch Zusatz löslicher Halogenide nur die r e c h t s , nicht aber die links neben den Komplexen stehenden Silberverbindungen ausgefällt werden. Von der Dissoziation des Cyankomplexes gemäß (3b) macht man bei der g a l v a n i s c h e n Versilberung (S. 44) Gebrauch, bei der sich das im Gleichgewicht befindliche Silber kathodisch in Form eines dichten Überzugs abscheidet, wodurch das Gleichgewicht (3b) gestört und immer wieder nach rechts „nachverschoben" wird. Die bei der Silberabscheidung in Freiheit gesetzten Cyan-ionen bilden mit den an der Silberanode in Lösung gehenden Silber-ionen neues Komplexsalz. Sonstige Silbersalze. Silberfluorid AgP (Smp. 435°) ist zum Unterschied von den übrigen drei Silberhalogeniden in Wasser leicht löslich. Das durch Lösen von Silber in heißer konzentrierter Schwefelsäure erhältliche Silbersulfat Ag 2 S0 4 löst sich in Wasser nur wenig. Das beim Einleiten von Schwefelwasserstoff in Silbersalzlösungen als schwarzer Niederschlag ausfallende Silbersulfid Ag a S ist das schwerstlösliche Silbersalz.
c. Silber(II)-Verbindungen Durch Oxydation mit s t a r k e n O x y d a t i o n s m i t t e l n bei Gegenwart s t a b i l i s i e r e n d e r K o m p l e x b i l d n e r können Silber(I)-Verbindungen in S i l b e r ( I I ) - V e r b i n d u n g e n übergeführt werden. Geeignete O x y d a t i o n s m i t t e l sind P e r s u l f a t e (Kaliumpersulfat oder noch zweckmäßiger Ammoniumpersulfat) : S2Og" + 2Ag" — ^ 2 S0 4 " + 2Ag" sowie der e l e k t r i s c h e S t r o m (anodische Oxydation) : Ag· — A g " + θ · Als K o m p l e x b i l d n e r haben sich bewährt: P y r i d i n C5H5N (I), a a ' - D i p y r i d y l C 10 H 8 N 2 (II) und o - P h e n a n t h r o l i n C12HgN2 (III):
(I)
(II)
(III)
So erhält man z. B. durch Zufügen einer halb gesättigten Lösung von K a l i u m p e r s u l f a t zu einer Lösung von S i l b e r n i t r a t und P y r i d i n prächtig orangefarbene Prismen von Tetra-pyridino-Silber(II)-persulfat [Ag(C5H6N)4] S 2 0 8 (I), welche mit der entsprechenden Kupfer(II)-Verbmdung Mischkristalle bilden. Durch e l e k t r o l y t i s c h e O x y d a t i o n einer Lösung von S i l b e r n i t r a t und P y r i d i n ist das — gleichfalls in
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Die Kupfergruppe
orangeroten Kristallen kristallisierende — Nitrat [Ag(C5H5N)4] (NOs)2 erhältlich. Bei der Oxydation einer Lösung von Silbernitrat und o-Phenanthrolin C12H8N2 mit Ammoniumpersulfat fällt das schokoladebraune Persulfat [Ag(C12HgN2)2] S 2 0 8 (III) aus, das sich in konzentrierter Salpetersäure durch Umsatz mit den entsprechenden Salzen in das Perchlorat, Chlorat, Nitrat und Sulfat überführen läßt. Die Salze bilden mit den analogen Verbindungen des zweiwertigen Kupfers und Cadmiums Mischkristalle und machen aus Jodidlösungen die berechnete Menge Jod frei : Ag" + J ' —->Ag' + 1 / 2 J 2 . Durch Umsatz von Silbernitrat,αα'-Dipyridyl CiaHgN2 und Kalium persulfat kommt man zum rötlich-braunen Persulfat [Ag(C10H8N2)2] S 2 0 8 (II), das sich durch doppelte Umsetzung mit anderen Salzen in das Nitrat, Chlorat, Perchlorat und Bisulfat überführen läßt. Von nichtkomplexen Salzen des zweiwertigen Silbers ist bisher mit Sicherheit nur das Silber (II)-fluorid AgF2 bekannt. Es entsteht bei der Einwirkung von F l u o r auf sehr fein verteiltes Silber („molekulares Silber") unter starker Wärmeentwicklung als dunkelbraunes Pulver: Ag -(- Fa
AgFj + 84.6 kcal.
Die Verbindung ist thermisch sehr beständig; ihr Dissoziationsdruck beträgt beim Schmelzpunkt (690° C) erst 1 / 10 Atmosphäre. Als gutes Fluorierungsmittel kann es mit Vorteil an Stelle von freiem Fluor benutzt werden, da bei seiner Verwendung die Schwierigkeiten fortfallen, welche die Verunreinigungen des elementaren Fluors — namentlich sein Sauerstoffgehalt — mit sich zu bringen pflegen. Die hervorragende katalytische Wirkung des Silbers bei der Umsetzung von Gasen mit Fluor dürfte ebenfalls auf die intermediäre Bildung von Silber(II)-fluorid zurückzuführen sein. Die Zweiwertigkeit des Silbers in allen vorgenannten Verbindungen wird durch das Ergebnis magnetischer Messungen (S. 481) bestätigt.
d. Der photographische Prozeß Silberchlorid, -bromid und -jodid färben sich am Licht infolge photochemischer Zersetzung in Silber und Halogen langsam erst hell-, dann dunkelviolett und schließlich schwarz: h-ν + AgX — ν Ag + V,X a . (4) Von dieser Lichtempfindlichkeit, namentlich des Silberbromids, macht man bei der „Photographie" Gebrauch. Die lichtempfindliche Schicht. Zur Herstellung der lichtempfindlichen Schicht auf Platten, Filmen und Papieren werden gelatinehaltige warme Lösungen von Silbernitrat und Ammoniumbromid miteinander vermischt. Hierbei scheidet sich das Silberbromid nicht wie bei der Vermischimg entsprechender wässeriger Lösungen in flockiger Form, sondern in so feiner Verteilung aus, daß es nur an einem schwachen Opaleszieren der erstarrenden Masse zu erkennen ist. Diese kolloide Verteilung des Silberbromids ist auf die Schutzkolloidwirkung der Gelatine zurückzuführen, die zugleich auch als Bindemittel für die Bindung der Schicht auf der Unterlage (Glasplatte, Film, Papier) dient. Die frisch bereitete „Bromsilbergelatine" ist zunächst noch wenig lichtempfindlich und muß noch „reifen", zu welchem Zwecke sie längere Zeit erwärmt und der Einwirkung von Ammoniakgas ausgesetzt wird. Hierbei wird sie undurchsichtig und weißgelb, weil sich die kolloiden Silberbromidteilchen zu groß eren Körnchen von 2/iooo—3/íooo mm Durchmesser vereinigen. Das latente Bild. Bei der Belichtung der lichtempfindlichen Schicht im photographischen Apparat entstehen an der belichteten Stelle infolge der obenerwähnten
Das Silber
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photochemischen Zersetzung des Silberbromids in Silber und Brom (4) Spuren von k o l l o i d e m , in Silberbromid verteiltem Silber(„PAoío/taZoíá"), während das gleichzeitig gebildete freie Brom durch die Gelatine gebunden wird. Je i n t e n s i v e r die Belichtung an einer Stelle ist,um so g r ö ß e r ist auch die Anzahl der an dieser Stelle gebildeten „Silberkeime". Die ausgeschiedene Silbermenge ist im ganzen genommen so gering, daß das auf diese Weise gewonnene Bild dem Auge u n s i c h t b a r ist („latentes Bild"). Es muß daher erst noch zum sichtbaren Bild „entwickelt" werden. Das Entwickeln. Zu diesem Zwecke behandelt man die lichtempfindliche Schicht in einer „Dunkelkammer" bei rotem, auf die Schicht praktisch nicht einwirkendem Licht mit r e d u z i e r e n d e n Lösungen. Diese „Entwickler" vermögen das S i l b e r b r o m i d zu S i l b e r zu reduzieren. Die Reduktion setzt aber nur v o n d e n S t e l l e n a u s ein, an denen sich bereits S i l b e r k e i m e befinden; und zwar geht sie an s t a r k b e l i c h t e t e n und daher an Silberkeimen reichen Stellen r a s c h e r vor sich als an schwach belichteten, silberkeimarmen Stellen. So kommt es, daß durch die Entwicklung das photographische Bild zum s i c h t b a r e n Bild verstärkt wird. Die u n b e l i c h t e t e n Stellen der photographischen Schicht werden vom Entwickler erst bei sehr l a n g e m E n t w i c k e l n angegriffen: das Bild „verschleiert". Das Fixieren. Das durch die Entwicklung gewonnene sichtbare Bild kann n o c h n i c h t a n s T a g e s l i c h t gebracht werden, da es noch unverändertes S i l b e r b r o m i d enthält, welches eine S c h w ä r z u n g des ganzen Bildes am L i c h t hervorrufen würde. Daher muß erst das ü b e r s c h ü s s i g e S i l b e r b r o m i d e n t f e r n t werden. Diese Operation („Fixieren") erfolgt mit Hilfe von N a t r i u m t h i o s u l f a t („Fixiersalz"), welches das Silberbromid als l ö s l i c h e s K o m p l e x s a l z — vgl. (2a), S. 442 — bindet. Das nach dem Fixieren und Auswaschen mit Wasser („Wässern") vorliegende, lichtbeständige Bild heißt „Negativ" und ist l i c h t v e r k e h r t , d . h . dunkel an den hellbelichteten Stellen und umgekehrt. Das Kopieren. Zur Herstellung eines w i r k l i c h k e i t s g e t r e u e n Bildes („Positiv") wird das durchsichtige Negativ in der Dunkelkammer mit lichtempfindlichem Papier bedeckt und dieses Papier durch das Negativ hindurch b e l i c h t e t und dann in gleicher Weise wie vorher e n t w i c k e l t und f i x i e r t . Da jetzt bei der Belichtung die d u n k l e n Stellen des Negativs das Licht nur w e n i g durchlassen und u m g e k e h r t , entsteht bei diesem Prozeß des „Kopierens" ein Papierbild („Abzug") mit w i r k l i c h k e i t s g e t r e u e n Schwarz-Weiß-Werten. Das Tonen. Das gewonnene Positiv kann zur Verschönerung des F a r b t o n s nooh „getont" werden. Zu diesem Zwecke bringt man den Papierabzug in sehr verdünnte G o l d - oder Platinsalzlösung, wobei entsprechend der Stellung der Metalle in der Spannungsreihe (S. 164) S i l b e r in Lösung geht und G o l d bzw. P l a t i n an dessen Stelle tritt: 3Ag + Au"" —>- 3Ag" + Au. Das Sensibilisieren. Wie wir schon früher betonten (S. 83), können nur solche Lichtstrahlen gemäß (4) photochemisch wirksam sein, welche von dem photochemisch umzusetzenden Stoff a b s o r b i e r t werden. Die gelbliche Farbe des Silberbromids zeigt, daß dieses im Bereich der Komplementärfarbe zu Gelb, nämlich im B l a u absorbiert. Deshalb ist Silberbromid gerade gegenüber den Strahlen, die dem Auge am hellsten erscheinen, den g e l b e n und g r ü n e n , und erst recht natürlich gegenüber den r o t e n une m p f i n d l i c h . Um daher beim Photographieren eine dem Helligkeitsempfinden des m e n s c h l i c h e n A u g e s entsprechende Verteilung der photochemischen Einwirkung der verschiedenen Lichtwellenlängen zu erzielen („orthochromatische" Platten und Filme), muß das Bromsilber mit geeigneten F a r b s t o f f e n („Sensibilisatoren") angefärbt werden, welche rotes, gelbes und grünes Licht a b s o r b i e r e n und dessen Energie auf das Silberbromid ü b e r t r a g e n (S. 83).
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Die Kupfergruppe
3. Das Gold a. Elementares Gold Vorkommen. Gold findet sich in der Natur hauptsächlich in gediegenem Zustande, daneben auch an Tellur gebunden als „Schrifterz" AuAgTe4 und als „Blättererz" (Pb, Au) (S, Te, Sb)1_2. Das natürlich vorkommende gediegene Gold ist nie chemisch rein, sondern meist ziemlich stark mit Silber, sowie mit kleinen Mengen Kupfer, Platin und anderen Metallen verunreinigt. Das auf seiner ursprünglichen Lagerstätte (meist in Quarzschichten) gefundene Gold heißt „Berggold". Bei der Verwitterung der goldführenden Schichten wurde es vom Wasser weggewaschen und findet sich dann als „Seifengold" oder „Waschgold" in den Flußsanden und Ablagerungen in Form von Goldstaub oder Goldkörnern. Das Meerwasser enthält durchschnittlich 0.01 mg Gold je m3, so daß der Goldgehalt aller Weltmeere zusammengenommen mehrere Millionen Tonnen beträgt ; die Isolierung aus dem Meerwasser ist aber praktisch unrentabel. Die bedeutendsten Goldvorkommen finden sich in Südafrika, Australien und Kalifornien. In Europa ist Siebenbürgen das Hauptgoldland. Außer Golderzen werden für die Goldgewinnung auch technische Nebenprodukte wie Elektrolysenschlämme (S. 434 und S. 440) und Krätzen (vgl. S. 341) aufgearbeitet. Gewinnung. Die älteste Methode der Goldgewinnung ist die „Goldwäsche", bei der die zerkleinerten goldhaltigen Gesteine und Sande in Wasser aufgeschlämmt werden, wobei sich die Goldflitter und Goldkörnchen wegen ihres großen spezifischen Gewichtes (19.3) rascher absetzen als die leichteren Begleitmaterialien. Das Verfahren ist primitiv und bringt nur einen Teil des Goldes aus. Bei den moderneren Methoden der Goldgewinnung wird das in Steinbrechern vorgebrochene Erz in Pochwerken (oder Mühlen) gründlich mit Wasser und Quecksilber durchgearbeitet, wobei sich ein großer Teil des Goldes mit dem Quecksilber amalgamiert. Der gleichzeitig entstehende, immer noch goldhaltige grobteilige Schlamm („Pochtrübe") läuft dann über geneigt liegende amalgamierte K u p f e r p l a t t e n , welche einen weiteren Teil des Goldes zurückhalten. Das gebildete Goldamalgam wird von den Platten mehrmals am Tage mit einem Schaber abgekratzt. Insgesamt lassen sich so über 60°/0 des vorhandenen Goldes ausbringen. Zur Gewinnung des Restes wird das inNaßgrießmühlen zunächst bis zur Schlammfeinheit zerteilte und dann in Eindickern (S. 409) bis auf 50—60°/0 Wasser entwässerte Material in „Agitatoren" unter lebhafter Durchmischung und Durchlüftung mit P r e ß l u f t mit 0.1—0.25%iger K a l i u m - oder Natriumcyanidlösung ausgelaugt. Hierbei geht das Gold als komplexes Cyanid in Lösung: 2 Au + H20 + V202 -(- 4KCN —>- 2K[Au(CN)2] + 2KOH. Die Trennung der goldhaltigen Cyanidlösung von den Laugerückständen erfolgt nach dem Verfahren der Gegenstrom-Dekantation (S. 409). Aus dem im ersten Teil des Prozesses erhaltenen Goldamalgam wird das Quecksilber durch Erhitzen abdestilliert und durch Kondensation in einem Kühlersystem wieder zurückgewonnen. Das zurückbleibende R o h g o l d schmilzt man in Graphittiegeln ein. Die Fällung des Goldes aus den Cyanidlaugen erfolgt wie beim Silber (S. 439) mit Zinkstaub: 2K[Au(CN) 2 ] + Zn—>- K 2 [Zn(CN)J + 2Au, wobei sich das Gold als Schlamm abscheidet, der abfiltriert und verschmolzen wird. Die Reinigung des Rohgoldes von Silber und anderen Verunreinigungen kann auf chemischem W e g e (durch Behandeln mit konzentrierter Schwefelsäure, in welcher sich die Verunreinigungen lösen) oder durch E l e k t r o l y s e erfolgen. Bei der elektrolytischen Goldraffination werden Anoden aus R o h g o l d (S. 440) in einer salzsauren
Das Gold
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Goldchloridlösung mit Kathoden aus Peingoldblech zusammengeschaltet (vgl. S. 433f. und S. 440). Das entstehende Elektrolytgold ist 99.98°/0ig. Der gleichzeitig gebildete Anodenschlamm dient als Ausgangsmaterial für die Gewinnung der enthaltenen Platinmetalle. Physikalische Eigenschaften. Reines Gold ist ein gelbrotes („goldgelbes") weiches Metall vom spezifischen Gewicht 19.3, welches bei 1063° zu einer grün leuchtenden Flüssigkeit schmilzt und bei 2700° siedet. Seine auffallendste Eigenschaft ist seine Dehn- und Walzbarkeit. So kann man es ζ. B. zu blaugrün durchscheinenden Blättchen von nur 0.0001 mm Dicke ( ~ 1 / 10 der Wellenlänge von rotem Licht) ausschlagen. Elektrische und Wärmeleitfähigkeit betragen rund 70°/0 der des Silbers. Chemische Eigenschaften. Als typischer Vertreter der edlen Metalle (S. 164) wird Gold von Luft und Säuren nicht angegriffen. Lösungsmittel für Gold sind nur starke Oxydationsmittel wie Chlorwasser und Königswasser oder Komplexbildner wie Kaliumcyanidlösung (bei Luftzutritt). In seinen Verbindungen tritt Gold ein- und dreiwertig auf. Die Verbindungen sind alle thermisch nicht sehr beständig und zersetzen sich beim Erwärmen leicht unter Zurücklassung des Metalls. Verwendung. Gold wird zur Herstellung von Schmuckstücken und Luxusgegenständen aller Art, sowie zu Münzzwecken verwendet. Da es in reinem Zustande hierfür zu weich ist, legiert man es mit anderen Metallen, meist Kupfer oder Silber. So bestehen ζ. B. die Goldmünzen der meisten Staaten aus 90% Gold und 10°/0 Kupfer. Wie beim Silber (S. 441) gibt man auch hier gebräuchlicherweise den Feingehalt an Gold in Tausendsteln an. Früher rechnete man nach K a r a t und bezeichnete reines Gold als „24-karätig". Ein 18-karätiger goldener Gegenstand besitzt also einen GoldFeingehalt von 750, d. h. er besteht zu 75°/0 aus Gold. In Form von „CASSIUSschem Goldpurpur", einer beim Zusammengeben von Goldsalzlösung und Zinn(II)-chloridlösung entstehenden Adsorptionsverbindung von kolloidem Gold und kolloidem Zinndioxyd (2Au" + 3 S n " — ^ 2Au + 3Sn""; Sn"" + 2H 2 0 Z¿Z±L Sn0 2 + 4H') dient Gold zum Färben von Glasflüssen (vgl. S. 332f.) und Porzellan (vgl. S. 337). So stellt z. B. das prächtig rot gefärbte „Goldrubinglas" eine kolloide Lösung von Gold in Glas dar.
b. Verbindungen des Golds Gold(I)-Verbindungen. Bei der Einwirkung von Kalilauge auf Gold(III)-salzlösungen bei Gegenwart eines Reduktionsmittels (z. B. schwefliger Säure) entsteht dunkelviolettes Gold(I)-hydroxyd AuOH (Au'" + 2 θ + OH' —>- AuOH), welches bei 200° in das Gold(I)-oxyd Au20 übergeht (2AuOH — ν Au20 + H 2 0), das sich bei 250° in seine Bestandteile spaltet. Gold(I)-chlorid AuCl entsteht beim Erhitzen von Gold(IH)-chlorid auf 185° (AuCl3 —>- AuCl + Cl2) als weißes, in Wasser unlösliches Pulver. Es zerfällt bei weiterem Erhitzen leicht in seine Elemente und disproportioniert sich beim Erwärmen unter Wasser in Gold und Gold(III)-chlorid : 3AuCl —>- 2Au + AUC13. Gold(I)-jodid AuJ entsteht analog dem Kupfer(I)-jodid (S. 435) beim Versetzen einer Gold(III)-salzlösung mit Kaliumjodid : Au'" + 3 J ' — > AuJ + J 2 . Das beim Auflösen von Gold in Kaliumcyanidlösung bei Luftzutritt entstehende komplexe Cyanid K[Au(CN)¡¡] dient zur galvanischen Vergoldung. Gold (III)-Verbindungen. Versetzt man eine Gold(III)-salzlösung mit Alkali, so fällt das gelbe Gold(III)-hydroxyd Au(OH)3 aus, das als solches nicht isolierbar ist, sondern beim Trocknen in das braune Metahydroxyd AuO(OH) übergeht. Im Überschuß von Alkali löst sich das Hydroxyd unter Bildimg von Meta-auraten Au02Me; es besitzt also amphoteren Charakter. Die wichtigste Goldverbindimg ist das Gold(III)-chlorid AuCL. Es entsteht beim Überleiten von Chlor über feinverteiltes Gold bei 180° und
Die Kupfergrupp©
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stellt eine gelbbraune, unter erhöhtem Chlordruck bei 288° schmelzende Masse dar. In W a s s e r löst sich das Chlorid mit gelbroter Farbe unter Bildung eines Hydrats AuC1 3 · H 2 0, das sich wie eine Säure H [ A u C 1 3 ( 0 H ) ] verhält und beim Versetzen mit Silbernitrat ein schwerlösliches gelbes Silbersalz ergibt. In S a l z s ä u r e löst sich das Gold(III)-chlorid mit hellgelber Farbe unter Bildung von Tetrachlorogoldsäure H [AuCl 4 ], welche beim Einengen der Lösung als Tetrahydrat H [ A u C 1 4 ] ·4Η 2 0 in Form langer, hellgelber, sehr zerfließlicher Nadeln erhalten werden kann. Die Salze dieser Säure („Tetrachloro-aurate") geben in wässeriger Lösung die gewöhnlichen Goldreaktionen, so daß man annehmen muß, daß das Komplex-ion AuC1 4 ' unbeständig ist. Das Kaliumsalz Κ [AuClJ · 1 / 2 H 2 0 ist das am meisten benutzte Goldsalz. Durch Reduktionsmittel wie Wasserstoffperoxyd, Hydroxylamin, Hydrazin, schweflige Säure, Eisen(II)-salze wird aus Goldsalzlösungen leicht elementares Gold als brauner bis schwarzer Niederschlag ausgefällt.
4. Schmelz- und Erstarrungsdiagramme binärer Systeme Auf S. 439f. wiesen wir darauf hin, daß man nach dem PATTINSON-Prozeß durch Abkühlen silberhaltigen Bleis das Silber bis zu einem Gehalt von 2.5°/0 anreichern kann. Die Frage nun, ob und in welcher Weise und bis zu welchem Grade man g a n z a l l g e m e i n aus einem gegebenen Gemisch mehrerer Metalle einzelne Komponenten in reinem Zustande zur Abscheidung bringen kann, hängt von dem jeweiligen Typus des S c h m e l z - u n d E r s t a r r u n g s d i a g r a m m s des fraglichen Systems ab. Wir wollen uns daher im folgenden etwas näher mit einigen G r u n d t y p e n solcher Diagramme für den e i n f a c h s t e n Fall der b i n ä r e n Systeme befassen, wobei es für unsere Betrachtungen belanglos ist, ob das binäre flüssige System aus zwei geschmolzenen M e t a l l e n oder S a l z e n oder aus der wässerigen L ö s u n g eines S a l z e s oder aus einer homogenen Mischung z w e i e r F l ü s s i g k e i t e n besteht. Bei der Abkühlung eines solchen flüssigen binären Systems bestehen z w e i Mögl i c h k e i t e n : es können sich entweder r e i n e S t o f f e oder M i s c h k r i s t a l l e abscheiden. Wir behandeln zunächst den ersten Fall.
a. Abscheidung reiner Stoffe α. Keine Yerbindungsbildung Löst man in einer Flüssigkeit Α (ζ. Β. Wasser) einen Stoff Β (ζ. Β. Silbernitrat) auf, so wird der G e f r i e r p u n k t von¿4 e r n i e d r i g t (vgl. S.57f.). Trägt man die Gefrierpunkte in Abhängigkeit von dem Gehalt an Β in ein K o o r d i n a t e n s y s t e m (Ordinate: Erstarrungspunkt ; Abszisse: Molprozente A bzw. B) ein, so erhält man dementsprechend eine a b f a l l e n d e K u r v e (Kurve A—C in Fig. 129). Dasselbe ist der Fall, wenn man in flüssigem Β steigende Mengen von A auflöst (Kurve Β—C in Fig. 129). Die beiden Kurven s c h n e i d e n sich in einem t i e f s t e n P u n k t C („eutektischer Punkt"). Hier scheidet sich beim Abkühlen einer flüssigen Lösung der gegebenen Zusammensetzimg sowohl festes A a l s a u c h festes Β in Form eines mikroskopischen G e m e n g e s der reinen Kristalle beider Bestandteile („Eutefetikum" 1 ) ab. Durch die genannten Kurven wird das Diagramm in verschiedene Z u s t a n d s f e l d e r eingeteilt. O b e r h a l b der Kurven befindet sich das Gebiet der u n g e s ä t t i g t e n L ö s u n g e n . Hier können T e m p e r a t u r und Z u s a m m e n s e t z u n g der Lösung weit· 1
eutektos (sútsktos) — leicht schmelzbar.
Schmelz- und Erstarrungsdiagramme binärer Systeme
449
gehend variiert werden, ohne daß es zur Bildimg einer festen Phase kommt. Denn da wir hier ein Gleichgewicht zwischen nur 2 Phasen Ρ (Lösung unter dem eigenen Dampfdruck) bei 2 Bestandteilen Β haben, bestehen nach dem Phasengesetz von G I B B S (S. 187f.) 2 Freiheitsgrade F (Ρ + F = B + 2 = 4). Erstdann, wenn beim Abkühlen solcher ungesättigter Lösungen die Temperaturen der Gefrierpunktskurven erreicht werden, kommt es zur Abscheidung von festem A oder B. Kühlen wir z . B . eine Lösung von der Zusammensetzung des Punktes 1 (Fig. 129) ab, bewegen wir uns also in der Richtung des gestrichelten Pfeils abwärts, so scheidet sich bei der Temperatur des Schnittpunktes mit der Kurve A—C festes A ab, da hier ja der Erstarrungspunkt von A erreicht ist. Dadurch wird die Lösung ärmer an A, was gemäß Kurve \ReinerStofFA\
\Reiner StoffB\
o Mo!prozenteA wo Molprozente Β
Fig. 129. Schmelzdiagramm: Abscheidung reiner Stoffe ohne Verbindungsbildung A—C eine Erniedrigung des Gefrierpunktes bedingt. Wir bewegen uns damit auf der Kurve A—C abwärts, bis schließlich beim Punkte C auch der Erstarrungspunkt von Β erreicht ist und somit das E u t e k t i k u m ausfällt, das die primär ausgeschiedenen A -Kristalle umhüllt. In analoger Weise scheidet sich beim Abkühlen einer Lösung von der Zusammensetzung 2 zunächst reines Β aus, das dann in das später ausfallende E u t e k t i k u m C eingebettet wird. Wie daraus hervorgeht, geben die Kurven A—C und Β—C das Gebiet der ges ä t t i g t e n Lösungen wieder. Hier haben wir 1 F r e i h e i t s g r a d weniger als bei den u n g e s ä t t i g t e n Lösungen, da sich hier eine weitere — die feste — Phase mit im Gleichgewicht befindet. Wir können daher entweder die Gefriertemperatur wählen, womit die Zusammensetzung der flüssigen Mischung gegeben ist, oder die Zusammensetzung vorgeben, was eine zwangsläufige Festlegung des Gefrierpunktes bedingt. H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
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Die Kupfergruppe
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U n t e r h a l b der Kurven liegt das Gebiet der ü b e r s ä t t i g t e n L ö s u n g e n . Denn hier enthalten die Lösungen m e h r A bzw. B , als dem durch die Kurven vorgeschriebenen S ä t t i g u n g s w e r t entspricht. Diese Lösungen sind dementsprechend i n s t a b i l und z e r f a l l e n — wie dies an einer übersättigten Lösimg von der Zusammensetzung des Punktes 3 (Fig. 129) gezeigt ist — in f e s t e s Β (bzw.^4) und g e s ä t t i g t e L ö s u n g e n . Besonders a u s g e z e i c h n e t ist der Punkt C. Eine Lösung dieser Zusammensetzimg und Temperatur erstarrt bei k o n s t a n t b l e i b e n d e r Temperatur zu einem feinkristallinen G e m i s c h von festem A und festem Β ( E u t e k t i k u m ) . Entsprechend dem Phasengesetz von G I B B S besteht hier k e i n e W a h l f r e i h e i t mehr, da sich v i e r Phasen
Übersättigte Lösunoen von Ñ in AB (Trennung infestes fí undgesättigte Lösungen)
Moipronnfefí 100 MotprozenteB
Fig. 130. Schmelzdiagramm: Abscheidung reiner Stoffe mit Verbindungsbildung
(Dampf, Lösung, festes A und festes B) miteinander im G l e i c h g e w i c h t befinden („Quadrupelpunkt"). U n t e r h a l b des konstanten Erstarrungspunktes hegen nur f e s t e M i s c h u n g e n vor, und zwar l i n k s von der Zusammensetzung des Eutektikums feste Mischungen von A und Eutektikum, r e c h t s davon feste Mischungen von Β und Eutektikum. — Beispiele für den durch Fig. 129 wiedergegebenen Typus von Schmelz- und Erstarrungsdiagrammen sind die Systeme Silber-Blei (vgl. S. 439 f.), AluminiumoxydKryolith (vgl. S. 369f.) und Wasser-Silbernitrat : Kompoi lente A Formel Ag A1 2 0 3 AgNOs
Smp. 961° 2050° 209°
Kompo Qente Β Formel Pb Na 3 AlF e H2O
Smp. 327° 1000° 0°
Eutektik um C Gew.-% 2 . 5 % Ag 18.5% A I A 47.1% AgN0 3
Smp. 304° 935° — 7.3»
Sie lassen sich alle gemäß dem vorstehend Gesagten durch einfaches Erstarrenlassen der flüssigen Mischung in festes A (bzw. B) und Eutektikum trennen.
451
Schmelz- und Erstarrungsdiagramme binärer Systeme
ß. Bildung einer Verbindung Bilden die beiden Komponenten A und Β des binären Systems miteinander eine V e r b i n d u n g , ζ. B. der Formel AB, so kann sowohl der Stoff A wie der Stoff Β mit der Verbindung AB ein Diagramm vom Typus der Fig. 129 bilden. Fügen wir diese beiden Diagramme an der für beide g e m e i n s a m e n O r d i n a t e z u s a m m e n , so entsteht ein Diagramm vom Typus der Fig. 130, in welcher die gestrichelte Ordinate in der Mitte die gemeinsame Ordinate darstellt. Wie wir daraus ersehen, macht sich die Bildung einer V e r b i n d u n g im Erstarrungsdiagramm durch das Auftreten eines M a x i m u m s in der Gefrierpunktskurve bemerkbar. Von dieser Tatsache macht man I Reiner
90
too
StoffB\
MolpmemtB
Fig. 131. Schmelzdiagramm: Abscheidung von Mischkristallen ohne Mischungslücke
häufig zur Ermittlung der Z u s a m m e n s e t z u n g von Verbindungen Gebrauch. Beispielsweise hat man auf diesem Wege die Hydrate der Schwefelsäure (S. 205) nachgewiesen. Im übrigen liegen die Verhältnisse im hier behandelten Fall ganz analog wie bei Fig. 129. Auch hier lassen sich abgegrenzte Z u s t a n d s g e b i e t e erkennen, deren Bedeutung aus der Beschriftung von Fig. 130 hervorgeht und deren Lage und Form die Möglichkeit der T r e n n u n g flüssiger Gemische in festes A (bzw. B) und AB bedingt.
b. Abscheidung von Mischkristallen
α. Lückenlose Mischungsreihe Scheiden sich beim Abkühlen eines binären Systems keine reinen S t o f f e , sondern M i s c h k r i s t a l l e aus, so kommen zu den in Fig. 129 wiedergegebenen beiden Kurven A—C und Β—C der gesättigten Lösungen („Liquiduskurven" 1 ) gemäß Fig. 131 noch 1
liquidus — flüssig. 29*
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Die Kupfergruppe
zwei w e i t e r e Kurven A—C und Β—C („Soliduskurven" 1 ) hinzu, welche die Zusammensetzung der M i s c h k r i s t a l l e angeben, die sich bei den verschiedenen Temperaturen mit den durch die Liquiduskurven gekennzeichneten gesättigten Lösungen im G l e i c h g e w i c h t befinden. Denn im allgemeinen haben die aus einer gesättigten Lösung ausfallenden M i s c h k r i s t a l l e eine a n d e r e Zusammensetzimg als die L ö s u n g . Wie ein Vergleich von Fig. 131 mit Fig. 129 zeigt, entsprechen bei ersterer die S o l i d u s k u r v e n den O r d i n a t e n von Fig. 129. Dementsprechend scheiden sich im Falle eines Diagramms nach dem Typus von Fig. 131 die übersättigten Lösungen — wie an
Fig. 132. Schmelzdiagramm: Abscheidung von Mischkristallen mit Mischungslücke einer Lösung von der Zusammensetzung des Punktes 1 gezeigt ist — nicht in gesättigte Lösungen und festes A (bzw. B), sondern in gesättigte Lösungen und Mischkristalle. Auch im Falle von Fig. 131 ist wie bei Fig. 129 eine Trennimg des binären Systems in reines A (bzw. B) und Kristalle C möglich, jedoch bedarf es hierzu zum Unterschied von dort eines f r a k t i o n i e r t e n Schmelzens und Erstarrens. Die Verhältnisse liegen dabei ganz analog wie bei dem früher schon behandelten Fall der Trennung von Sauerstoff-Stickstoff-Gemischen durch fraktionierte Destillation und Kondensation (S. 32ff.). Wir brauchen nur an die Stelle der dort gebrauchten Begriffe Siedekurve, Taukurve, fraktionierte Destillation, fraktionierte Kondensation, flüssig, gasförmig, Verdampfen, Kondensieren usw. die Begriffe Soliduskurve, Liquiduskurve, fraktioniertes Schmelzen, fraktioniertes Erstarren, fest, flüssig, Schmelzen, Gefrieren usw. zu setzen. Genau wie dort werden auch hier die Schmelzpunktsverhältnisse nicht immer durch das etwas kompliziertere Bild von Fig. 131, sondern häufig auch durch ein dem Zustandsdiagramm der Sauerstoff-Stickstoff-Gemische (Fig. 16, S. 33) analoges ein1
solidus — fest.
Schmelz- und Erstarrungsdiagramme binärer Systeme
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facheres Diagramm (entsprechend dem linken bzw. rechten Teil von Fig. 131) wiedergegeben. Als Beispiele für diesen Typus seien die Systeme Kupfer-Gold und Kaliumchlorid-Natriumchlorid angeführt. ß . Vorhandensein einer Mischungslücke
Nicht immer brauchen die Komponenten A und Β wie im Falle des in Fig. 131 wiedergegebenen Systems eine lückenlose Reihe von Mischkristallen zu bilden. Vielmehr kann in der Mischungsreihe auch eine mehr oder minder große Mischungslücke vorkommen. Dann geht Fig. 131 in Fig. 132 über. Der Unterschied zwischen beiden Fällen besteht darin, daß die gesättigten Lösungen im eutektischen Punkt C bei Fig. 131 in e i n h e i t l i c h e M i s c h k r i s t a l l e der gleichen Zusammensetzung, bei Fig. 132 in ein feinkristallines Gemenge von M i s c h k r i s t a l l e n der Zusammensetzung I und I I übergehen. Im übrigen gilt für solche Systeme mit Mischungslücke das für Systeme ohne Mischungslücke Gesagte.
Kapitel XVin
Die Zinkgruppe 1. Das Zink a. Elementares Zink α. Vorkommen Zink kommt in der Natur nur gebunden vor. Das für die Verhüttung wichtigste Z i n k e r z ist die Zinkblende ZnS. In zweiter Linie sind der Zinkspat („edler Galmei") ZnCOg und das Kieselzinkerz („Kieselgalmei") Zn 2 Si0 4 · H 2 0 zu nennen. Die anderen Erze sind von untergeordneter Bedeutung. Die Hauptfundstätten für Zinkblende und Zinkspat sind Oberschlesien, Belgien, Frankreich, England, Australien und die Vereinigten Staaten. ß. Gewinnung Die Darstellung von Zink kann auf t r o c k e n e m Wege durch Reduktion von Zinkoxyd mit Kohle oder auf nassem Wege durch Elektrolyse von Zinksulfatlösungen erfolgen. Nach dem ersteren Verfahren werden etwa 2 / s , nach dem letzteren 1/3 der Welterzeugung gewonnen. Das erforderliche Zinkoxyd wird aus der Zinkblende durch Rösten (S. 202), aus dem Zinkspat durch Brennen (S. 393) erzeugt : ZnS + lVsOs >- ZnO + S0 2 + Π3 kcal 17 kcal + ZnC03 ZnO + COa. Die Zinksulfatlösungen gewinnt man aus den so erhaltenen zinkoxydhaltigen Produkten durch Auslaugen mit Schwefelsäure: ZnO + H 2 S0 4 ZnS04 + HaO. Trockenes Verfahren. Beim trockenen Verfahren wird die g e r ö s t e t e Zinkblende („Röstblende") bzw. der g e b r a n n t e Galmei mit gemahlener K o h l e im Überschuß vermischt und in geschlossenen D e s t i l l i e r g e f ä ß e n („Muffeln") aus feuerfestem Ton (Schamotte) auf 1100—1300° e r h i t z t . Hierbei findet eine R e d u k t i o n des Oxyds zu elementarem Zink statt: 57 kcal + ZnO + C Zn + CO. Wegen der hohen Temperatur entweicht das Zink (Sdp. 907°) dampfförmig und wird in Vorlagen aus Schamotte, die vor den Muffeln angebracht sind (Fig. 133), zu flüssigem Metall kondensiert. Die R e s t e des Zinkdampfes (5—13°/0) schlagen sich in außen auf die Vorlagen aufgesteckten B l e c h b e h ä l t e r n („Vorstecktuten") als Z i n k s t a u b nieder. Die Beheizung der Zink-Muffelöfen erfolgt in der Regel mit Generatorgas, wobei die Verbrennungsluft im Gegenstrom durch die heißen Verbrennungsabgase immer wieder vorgewärmt wird (vgl. S. 513). Das in den Vorlagen erhaltene flüssige R o h z i n k ist 9 7 — 9 8 ° / ^ und enthält stets mehrere Prozente Blei und einige Zehntelprozente Eisen, sowie Spuren von Cadmium und Arsen. Die Reinigung dieses Rohzinks erfolgt zweckmäßig durch
Das Zink
455
f r a k t i o n i e r t e D e s t i l l a t i o n , wobei Zink (Sdp. 907°) und Cadmium (Sdp. 767°) zuerst übergehen, während Blei (Sdp. 1540°) und Eisen (Sdp. 3000°) im Rückstand zurückbleiben. Das blei- und eisenfreie Zink wird dann nochmals destilliert und kondensiert, wobei sich der größte Teil des Zinks als „Feinzink" (99.99°/0) verflüssigt, während sich das flüchtigere Cadmium zusammen mit Zinkdampf als „Cadmiumstaub" ( ~ 4 0 % Cd) niederschlägt. Der bei der Zinkerzverhüttung in den Blechtuten sich ansammelnde Z i n k s t a u b stellt ein feines, graublaues Pulver von Zinkmetall dar, dessen Partikelchen von unmeßbar dünnen Oxydhäutchen umhüllt sind, so daß der Staub nicht ohne weiteres zu Metall zusammengeschmolzen werden kann. Er enthält etwa 90°/0 des Cadmiumgehaltes der ganzen Beι schickung und bildet zuι sammen mit dem obigen Cadmiumstaub das Ausgangsmaterial für die Cadmiumgewinnung (S. 458). Der geschilderte Zinkhüttenprozeß ist der u n v o l l k o m m e n s t e aller Verhüttungsprozesse, da 10—15°/o des im Erz ursprünglich enthaltenen Metalles verlorengehen und nur kleine Einheiten umgesetzt werden können. Die Verluste entstehen durch Absorption von Zink durch das Muffelmaterial, durch Verflüchtigung von Zink durch die Wandung hindurch, durch Entweichen von Zinkdämpfen aus den Vorlagen und durch unvollständige Reduktion.
fíáumasche Fig. 133.
Zink-Muffelofen
Nasses Verfahren. Bei dem nassen Verfahren werden die durch Auslaugen von gerösteter Zinkblende oder gebranntem Galmei mit Schwefelsäure erhaltenen Z i n k s u l f a t l ö s u n g e n unter Verwendung von B l e i a n o d e n und A l u m i n i u m k a t h o d e n e l e k t r o l y s i e r t , wobei sich das Zink als E l e k t r o l y t z i n k auf dem Aluminium niederschlägt und alle 24 Stunden abgezogen und umgeschmolzen wird. Das so gewonnene „Feinzink" ist wie das nach dem Trockenverfahren erhaltene und gereinigte 99.990/oig. Die Abscheidung des Zinks aus den sauren Lösungen wird durch die hohe Überspannung des Wasserstoffs am Zink ermöglicht. Um eine glatte Abscheidung des Zinks zu erzielen, müssen die verwendeten Zinksalzlösungen a u ß e r o r d e n t l i c h rein sein. Die Reinigung erfordert r e c h t e r h e b l i c h e K o s t e n und u m f a n g r e i c h e Anlagen. Daher hat die Elektrolyse das Muffelverfahren noch nicht verdrängt. Wie sich neuerdings gezeigt hat, kann bei Verwendung von Q u e c k s i l b e r als Kathodenmaterial auf die Hochreinigung der Zinksalzlösungen verzichtet werden. Man erhält dabei auf dem Wege über ein Z i n k a m a l g a m ein 99.999°/0iges Feinstzink {„Kuss-Verfahren"). γ. Physikalisehe Eigenschaften Das Zink ist ein bläulich-weiß es Metall vom spezifischen Gewicht 7.13. Bei gewöhnlicher Temperatur ist es ziemlich spröde ; bei 100—150° wird es aber so weich und dehnbar, daß es zu dünnem Blech ausgewalzt und zu Draht gezogen werden kann; oberhalb 200° wird es wieder spröde. Der Schmelzpunkt liegt bei 419.4°, der Siedepunkt bei 906°. Der Zinkdampf ist nach der Dampfdichtebestimmung einatomig.
Die Zinkgruppe
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δ. Chemische Eigenschaften An der L u f t ist Zink beständig, da es sich mit einer dünnen, festhaftenden S c h u t z s c h i c h t von Zinkoxyd bzw. basischem Zinkcarbonat überzieht. Wegen dieser Luftbeständigkeit findet es vielfach Verwendung für D a c h b e d e c k u n g e n sowie zum „Verzinken" von Eisenblech und Eisendraht, das durch Eintauchen in geschmolzenes Metall, durch Metallspritzverfahren oder auf elektrolytischem Wege vorgenommen wird. Beim E r h i t z e n an der Luft bis zum Siedepunkt verbrennt das Zink unter intensiver Lichterscheinung zu Z i n k o x y d : Zn + V2O2
>" ZnO + 83.3 kcal.
Entsprechend seiner Stellung in der Spannungsreihe (ε0 = —0.76 Volt) entwickelt Zink mit S ä u r e n Wasserstoff (S. 164): Zn + 2 H X
>• ZnX 2 + H 2 + Energie.
(1)
In den Trockenelementen der T a s c h e n l a m p e n b a t t e r i e n nutzt man die dabei freiwerdende E n e r g i e zur Erzeugung eines e l e k t r i s c h e n S t r o m e s aus (Zn—>-Zn" -J2@ ; 2 θ + 2Η' —>- Η,). Diese Elemente bestehen aus einem als A n o d e dienenden Z i n k b l e c h z y l i n d e r , der eine konzentrierte A m m o n i u m c h l o r i d l ö s u n g (NH4* < > NTT3 + H') und als K a t h o d e einen durch einen p o r ö s e n T o n z y l i n d e r von der Anode getrennten G r a p h i t s t a b enthält. Die Entwicklung von W a s s e r s t o f f , die zur Ausbildung einer G e g e n s p a n n u n g an der Kathode führen würde („Polarisation"), wird durch B r a u n s t e i n oder durch mit S a u e r s t o f f g e s ä t t i g t e a k t i v e K o h l e vermieden, welche den Wasserstoff zu W a s s e r oxydieren („Depolarisation"). In den üblichen Taschenlampenbatterien sind drei derartige Elemente hintereinander geschaltet. Daß Zink mit W a s s e r nicht ebenfalls gemäß (1) (X = OH) unter Wasserstoffbildung reagiert, ist auf die Bildung einer schützenden, schwerlöslichen H y d r o x y d s c h i c h t auf der Oberfläche zurückzuführen (S. 169). Diese kann sich in saurer Lösung naturgemäß nicht ausbilden. Bei Vergrößerung der Zinkoberfläche wird die Einwirkung des Wassers merklicher; so zersetzt Z i n k s t a u b Wasser bereits bei gewöhnlicher Temperatur. Sehr r e i n e s Zink entwickelt mit Säuren bei gewöhnlicher Temperatur fast k e i n e n W a s s e r s t o f f . Dies rührt daher, daß die bei der Lösung des Zinks gebildeten positiven Zinkionen (Zn >- Zn" + 2 Θ ) eine Annäherung und Entladung der ebenfalls positiven Wasserstoffionen (2H' + 2 θ Η;;) am Zink erschweren. Berührt man aber das sehr reine Zink mit einem P l a t i n b l e c h , so daß die Elektronen zum P l a t i n abfließen und sich hier mit den Wasserstoff-ionen vereinigen können, so geht das Zink — unter Wasserstoffentwicklung am P l a t i n — in Lösung. Beim gewöhnlichen Handelszink spielen die V e r u n r e i n i g u n g e n an Kupfer usw. die Rolle des Platins. Man kann solche Fremdmetalle auch künstlich auf Zink niederschlagen. So dienen ζ. B. mit Kupfersulfatlösung behandelte Zinkgranalien (Zn -f Cu" >- Zn" + Cu) als „Zink-Kupfer-Paar" zu Reduktionszwecken. Auch sonst kommt den durch die Verunreinigung von Metallen mit anderen Metallen bedingten „Lokalelementen" hohe praktische Bedeutung zu; so ζ. B. bei der Erscheinung der „Korrosion", d. h. der allmählichen Zerstörung metallischer Werkstoffe durch chemische Einwirkung von außen. Auch hier wird die Auflösung von Metallen in Flüssigkeiten durch die Anwesenheit von F r e m d m e t a l l e n (als Verunreinigungen, als Überzüge usw.) häufig beschleunigt. So rostet z . B . ein mit Zinn überzogenes Eisenblech („Weißblech") bei einer B e s c h ä d i g u n g der Zinnhaut r a s c h e r als u n v e r z i n n t e s Eisen, weil in dem bei Zutritt von Wasser entstehenden L o k a l e l e m e n t das Eisen die e l e k t r o n e n - a b g e b e n d e , d.h. sich oxydierende Elektrode darstellt. Dagegen bildet v e r z i n k t e s Eisen bei einer Beschädigung der Zinkschicht k e i n e Spur v o n E i s e n r o s t , weil Zink in der Spannungsreihe über dem Eisen steht und in diesem Fall daher das Zink die negative, s i c h a u f l ö s e n d e Anode darstellt.
Unter den L e g i e r u n g e n des Zinks sind die Z i n k - K u p f e r - L e g i e r u n g e n , die bereits beim Kupfer (S. 434) besprochen wurden, die wichtigsten.
457
Das Zink
b. Verbindungen des Zinks Zinkwasserstoff ZnHg ist analog Berylliumwasserstoff BeH 2 (S. 388) durch Einwirkung von Diboran (BH 3 ) 2 auf Zinkmethyl ZnR 2 (R = CH3) in Form einer nichtflüchtigen, weißen, festen A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g ZnH 2 -BH 3 : ZnR2 + 2BH3·—>- ZnHj + 2BH¡R, sowie durch Umsetzung ätherischer Lösungen von Zinkjodid und Lithiumalanat in f r e i e m Z u s t a n d e erhältlich: Zn J 2 + 2 LiAlH4 —>- ZnH2 + 2 Li J + 2A1H3 und stellt eine feste, weiße, hochoxydable Substanz dar, die oberhalb 90° — rasch bei 105° — in die Elemente zerfällt. Zinkoxyd ZnO kommt in der Natur als Rotzinkerz vor und wird technisch durch Verbrennen von Z i n k d a m p f an der L u f t hergestellt, indem man Mischungen von oxydischem Zinkerz und Koks in einem Drehrohrofen bei Luftüberschuß der Flamme einer Kohlenstaubfeuerung entgegenschickt. Die mit Zinkoxyd beladenen Reaktionsgase passieren eine Flugstaubkammer, in welcher sich das sogenannte „Voroxyd" absetzt, das in den Drehrohrofen zurückkehrt und dabei ein 90- bis 95°/0iges Zinkoxyd ergibt. Zinkoxyd (Smp. 1260°) wird unter dem Namen „Zinkweiß" als weiße Malerfarbe verwendet; die Anstriche sind Schwefelwasserstoff- und lichtbeständig. Beim Glühen mit K o b a l t o x y d CoO geht es in ein schön grünes Pulver ( , , R I N M A N S Grün") über (S. 520), das aus Mischkristallen von Zinkoxyd und Kobalt(II)-oxyd besteht und ebenfalls als Malerfarbe dient. Beim Erhitzen nimmt Zinkoxyd zunehmend eine gelbe Farbe an. Zinkhydroxyd Zn(0H) 2 , das in fünf verschiedenen Modifikationen auftritt, fällt beim Versetzen von Z i n k s a l z l ö s u n g e n mit A l k a l i e n als weißer, gelatinöser Niederschlag aus, der sich sowohl in Säuren wie in Basen löst, also a m p h o t e r e Eigenschaften hat. Im ersteren Falle bilden sich Z i n k s a l z e , im letzteren Z i n k a t e : Zn(OH)2 + 2H" >- Zn" + 2H 2 0 Zn(OH)2 + 20H' —>- [Zn(OH)4]". In A m m o n i a k ist Zinkhydroxyd unter K o m p l e x s a l z b i l d u n g löslich: Zn(OH)2 + 4 N H S — ^ [Zn(NH3)4](OH)2. Zinkchlorid ZnClg kann durch Erhitzen von Z i n k im C h l o r s t r o m oder durch Auflösen von Z i n k in S a l z s ä u r e gewonnen werden. Das wasserfreie Salz schmilzt bei 318° und siedet bei 730° und wird, da es sehr hygroskopisch ist, in der synthetischen Chemie häufig als wasserabspaltendes Mittel verwendet. Aus der wässerigen Lösung kristallisiert Zinkchlorid als Trihydrat aus. Mischungen von Zinkoxyd und konzentrierter Zinkchloridlösung ergeben wie beim Magnesium (S. 391) eine infolge Bildung von basischem Zinkchlorid Zn(OH)Cl erhärtende Masse, die man zu Zahnfüllungen verwenden kann. Zinksulfat ZnSÜ4 wird technisch durch vorsichtiges oxydierendes R ö s t e n von Z i n k b l e n d e (ZnS + 20¡¡ —>- ZnS0 4 ) oder durch Auslaugen o x y d i s c h e r Z i n k e r z e mit S c h w e f e l s ä u r e (ZnO + H 2 S 0 4 — > - ZnS0 4 + H 2 0) gewonnen und kristallisiert aus wässerigen Lösungen in Form großer, farbloser Kristalle der Zusammensetzung Z n S 0 4 - 7 H 2 0 („Zinkvitriol") aus, welche mit anderen Vitriolen (z. B. MgS0 4 · 7 H 2 0 und FeS0 4 · 7H 2 0) isomorph sind. Zinksulfid ZnS (Sblp. 1180°) kommt in der Natur als kubische Zinkblende und als hexagonaler Wurtzit vor. Es fällt beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in Z i n k s a l z l ö s u n g e n als amorpher weißer Niederschlag aus: Zn" + H2S
4- 2 H \
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Die Zinkgruppe
sofern man die dabei entstehende freie Säure bindet. Bei längerem Stehen a l t e r t der Niederschlag (vgl. S. 317) unter Bildung höherpolymerer P r o d u k t e , die sich in Säuren weniger leicht lösen. K r i s t a l l i s i e r t e s Zinksulfid, welches Spuren von Schwermetallen 0 . 0 1 ° / o ) enthält, hat wie die Sulfide der Erdalkalimetalle (S. 3 9 7 ) die Fähigkeit, nach B e l i c h t u n g im Dunkeln weiterzuleuchten. Diese Phosphoreszenz tritt auch beim Bestrahlen mit u n s i c h t b a r e n S t r a h l e n (ultraviolettem Licht, Röntgenstrahlen, Kathodenstrahlen, radioaktiven Strahlen) auf. Daher benutzt man Zinksulfid als „SwoTsche Blende" zum Sichtbarmachen von Röntgenstrahlen und radioaktiven Zerfallsprodukten (S. 549, 551 f.). Die kubische Zinkblende kristallisiert im Diamantgitter (Fig. 96, S. 286; O = Zn¿ • = S). Das hexagonale Wurtzitgitter unterscheidet sich vom Zinkblendegitter lediglich in der gegenseitigen Orientierung der einzelnen ZnS4- und SZn4-Tetraeder.
2. Das Cadmium Elementares Cadmium. Cadmium kommt in der Natur als Cadmiumhlende CdS und als Cadmiumcarbonat CdC03 vor, und zwar fast immer als Begleiter der Zinkblende ZnS und des Galmei ZnC0 3 . Daher wird es auch technisch als Nebenprodukt der Zinkgewinnung — sowohl beim trockenen, wie beim nassen Verfahren — gewonnen. Bei der trockenen Zinkgewinnung wird Cadmium als edleres (EQÍ = —0.40Volt; ε Ζη = — 0 . 7 6 Volt) und niedriger siedendes (Sdp.Cd = 767°; Sdp.Zn = 906°) Metall l e i c h t e r reduziert und verdampft. Daher destilliert es bei der Reduktion der Zinkerze in der Muffel bevorzugt ab und verbrennt in den Vorlagen mit brauner Flamme zu Cadmiumoxyd. Der in den ersten Stunden übergegangene c a d m i u m · o x y d h a l t i g e Z i n k s t a u b (3—4% Cd) wird dann mit K o k s vermischt und in besonderen kleineren Muffeln bei mittlerer Rotglut destilliert. Hierbei geht zuerst das Cadmium über und kondensiert sich in der Vorlage teils als Metall, teils als Staub. Der an Cadmium angereicherte S t a u b wird nochmals mit Koks bei etwas höherer Temperatur destilliert und liefert weiteres Metall mit 99.5°/0 Cadmium, das in Form dünner Stangen in den Handel kommt. Bei der nassen Zinkgewinnung verfährt man so, daß man aus den Zinksulfatlaugen das enthaltene Cadmium durch Z i n k s t a u b fällt (Zn + C d " — Z n " -f- Cd), den so gewonnenen Cadmiumschwamm o x y d i e r t (Cd + 1 / 2 0 2 —>- CdO) und dann in Schwefelsäure auflöst (CdO + H 2 S0 4 — C d S 0 4 + H 2 0). Bei d e r E l e k t r o l y s e der auf diese Weise gewonnenen Cadmiumsulfatlösung unter Verwendung von Aluminiumkathoden und B l e i a n o d e n scheidet sich das Cadmium als sehr reines E l e k t r o l y t c a d m i u m ab. Cadmium ist ein silberweißes, ziemlich weiches Metall vom spezifischen Gewicht 8.64, welches bei 320.9° schmilzt und bei 767° unter Bildung eines einatomigen Dampfes siedet. Bei gewöhnlicher Temperatur ist es an der L u f t beständig; beim Erhitzen entzündet es sich und verbrennt unter Bildung eines braunen Rauchs zu Cadmiumoxyd. In n i c h t o x y d i e r e n d e n S ä u r e n , wie verdünnter Salzsäure und Schwefelsäure, löst sich Cadmium schwer, in verdünnter S a l p e t e r s ä u r e dagegen leicht. Technische Verwendung findet das Cadmium vor allem zur Herstellung rostschützender Überzüge auf Eisen. Cadmiumverbindungen. Cadmiumoxyd CdO entsteht beim Verbrennen von Cadmium an der Luft, beim Rösten des Sulfids, sowie beim Erhitzen des Hydroxyds oder Carbonate als braunes, amorphes, leicht reduzierbares Pulver. Cadmiumhydroxyd Cd(OH)2 bildet sich beim Versetzen von Cadmiumsalzlösungen mit Alkali als weißer Niederschlag und ist zum Unterschied von Zinkhydroxyd in Alkalien nicht löslich.
Das Cadmium — Das Quecksilber
459
In Ammoniak löst es sich wie Zinkhydroxyd unter Komplexbildung : Cd(OH)2 + 4NH S —[Cd(NH3)4] (OH) 2 1 . Cadmiumchlortd CdCl2 (Smp. 565°, Sdp. 964°) kristallisiert aus wässeriger Lösung als Dihydrat und kann zum Unterschied von Zinkchlorid ohne Zersetzung entwässert werden. Cadmiumsulfid CdS, das be'm Einleiten von Schwefelwasserstoff in alkalische oder mäßig saure Cadmiumsalzlösungen als schön gelber amorpher Niederschlag ausfällt, dient in der Malerei unter dem Namen „Cadmiumgelb" als sehr dauerhafte gelbe Farbe. Cadmiumsulfat CdS0 4 kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form eines Hydrats der komplizierten Zusammensetzung 3 CdS0 4 · 8 H 2 0 aus. Es existiert aber auch ein Salz CdS0 4 · 7H 2 0, das den Vitriolen des Magnesiums, Zinks, Eisens usw. entspricht.
3. Das Quecksilber a. Elementares Quecksilber Yorkommen. Das Quecksilber kommt in der Natur hauptsächlich in Form von Q u e c k s i l b e r s u l f i d („Zinnober") HgS, seltener gediegen in Tröpfchen — eingeschlossen in Gesteinen — vor. Die Hauptfundorte sind Almadén in Spanien und Idria in Italien. In Deutschland findet sich etwas Quecksilber in der Rheinpfalz. Gewinnung. Als A u s g a n g s m a t e r i a l für die Quecksilbergewinnung dient fast immer der Zinnober. Die zinnoberhaltigen Erze werden in Schachtöfen (großstückige Erze) oder in Schüttröstöfen (feinere Erzsorten) bei L u f t z u t r i t t auf höhere Temperatur e r h i t z t , wobei das entstehende Quecksilber zusammen mit dem gleichzeitig gebildeten Schwefeldioxyd dampfförmig entweicht: HgS + O a — ^ H g + SOa. Die Quecksilberdämpfe werden dann in wassergekühlten Röhrenkondensatoren aus glasiertem Steinzeug k o n d e n s i e r t , wobei sich das flüssige Quecksilber in mit Wasser gefüllten, zementgefütterten Eisenkästen sammelt. Ein Teil des Quecksilberdampfes kondensiert sich nicht zu flüssigem Metall, sondern zu einem aus Quecksilber, Quecksilbersalzen, Flugstaub, Ruß und Teer bestehenden S t a u b („Stupp"). Diese — zu etwa 80°/ 0 aus Quecksilber bestehende — Stupp wird durch eine eiserne P r e s s e (,,Stupp-Presse") gepreßt, wobei 80°/ 0 des Quecksilbergehaltes in einen Sammelbehälter ausfließen. Der Stupprückstand wird wieder den Röstöfen zugeführt. Das auf diese Weise bei der Destillation oder aus Stupp gewonnene Quecksilber, das in schmiedeeisernen Flaschen in den Handel kommt, ist sehr rein und bedarf keiner Raffination mehr. Unreines Quecksilber wird zweckmäßig in der Weise gereinigt, daß man es durch ein mit 20°/0iger S a l p e t e r s ä u r e gefülltes, senkrecht gestelltes, langes Glasrohr hindurchtropfen läßt, wobei die Salpetersäure die verunreinigenden Metalle herauslöst, und es dann nach dem Waschen und Trocknen der Vakuumdestillation unterwirft. Physikalische Eigenschaften. Quecksilber ist das einzige bei Zimmertemperatur flüssige Metall. Es erstarrt bei —38.84° und siedet bei 356.95° unter Bildung eines einatomigen Dampfes. Wegen seines hohen spezifischen Gewichtes (13.595 bei 0°) dient es zum Füllen von B a r o m e t e r n und Manometern (S. 22). Die elektrische Leitfähigkeit ist verhältnismäßig gering. Der Widerstand einer Quecksilbersäule von 1 mm2 Querschnitt und 1.063 m Länge bei 0° stellt die gesetzliche Einheit des elektrischen Widerstandes („1 Ohm") dar. 1 In k o n z e n t r i e r t e n Ammoniaklösungen entstehen Hexammin-ionen [Cd(NH 3 ) e ]". Die „charakteristische Koordinaticmszahl" des Cadmiums beträgt ganz allgemein 4, die „maximale Koordinationszahl" 6.
460
Die Zinkgruppe
Der Sättigungsdruck des Quecksilbers beträgt bei Zimmertemperatur nur 0.001 mm. Da aber die Quecksilberdämpfe sehr giftig sind, genügen die in schlechtgelüf t e t e n chemischen und physikalischen L a b o r a t o r i e n aus verspritztem Quecksilber in die Luft gelangenden Quecksilberdampfmengen vielfach zur Hervorrufung chronischer Q u e c k s i l b e r v e r g i f t u n g e n , zumal eingeatmetes Quecksilber, wie namentlich A L F R E D STOCK (vgl. S . 312) gezeigt hat, nur sehr langsam im Harn ausgeschieden wird und sich daher im menschlichen Organismus ansammelt. Die Quecksilbervergiftungen geben sich anfangs nur in leichtem Bluten des Zahnfleisches, später durch Gedächtnisschwäche, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen sowie schließlich durch schwerste Schädigungen des Nervensystems zu erkennen. Durch e l e k t r i s c h e E n t l a d u n g e n wird der Quecksilberdampf zu i n t e n s i v e m L e u c h t e n angeregt, wobei er ein an u l t r a v i o l e t t e n S t r a h l e n reiches Licht ausstrahlt, das bei Umhüllung des Lichtbogens mit Quarz- oder Uviolglas (gewöhnliches Glas absorbiert ultraviolettes Licht) großenteils nach außen austreten kann. Derartige „Quecksilberlampen" dienen als Lichtquellen in der Reproduktionstechnik sowie zur Auslösung photochemischer Reaktionen und zu Heilzwecken (,,künstliche Höhensonne"). Chemische Eigenschaften. Reines Quecksilber verändert sich bei gewöhnlicher Temperatur an der L u f t nicht, während sich unreines Quecksilber an der Luft mit einem Oxydhäutchen überzieht. Oberhalb 300° vereinigt es sich mit S a u e r s t o f f zum Oxyd HgO, das bei noch stärkerem Erhitzen ( > 4 0 0 ° ) wieder in die Elemente zu zerfallen beginnt (S. 9). Mit Halogenen und mit Schwefel verbindet es sich leicht. In Wasser und Salzlösungen löst sich Quecksilber in Gegenwart von Luft spurenweise. Von verdünnter Salz- und Schwefelsäure wird es praktisch nicht, von verdünnter S a l p e t e r s ä u r e langsam angegriffen (vgl. S. 164ff.). Viele Metalle lösen sich in Quecksilber unter Bildung von Legierungen auf, die man in diesem Falle als „Amalgame" bezeichnet. Sie sind bei kleineren Metallgehalten flüssig, bei größeren Metallgehalten fest. Natrium-Quecksilber-Legierungen sind bereits bei Gehalten von > 1 . 5 ° / 0 N a fest. Die Amalgambildung erfolgt bei einigen Metallen (z.B. Zinn) unter Wärmeverbrauch, meist aber unter merklicher W ä r m e entwicklung. Besonders heftig ist die Reaktion bei der Natrium- und K a l i u m amalgambildung. Von besonderer Wichtigkeit ist das Silberamalgam als Zahnfüllmasse („Amalgamplomben"). Es ist in frischbereitetem Zustande wie alle Amalgame p l a s t i s c h , so daß es sich den Hohlräumen im Zahn gut anpaßt, und erhärtet nach einiger Zeit von selbst. Die früher vielfach als Zahnfüllmassen verwendeten K u p f e r amalgame werden heute mehr und mehr verlassen, da sie im Laufe der Zeit unter Freiwerden von Quecksilber angegriffen werden, was bei der G i f t i g k e i t des Quecksilbers (siehe oben) nicht unbedenklich ist. In seinen chemischen Verbindungen tritt Quecksilber ein- und zweiwertig auf. Die Verbindungen des einwertigen Quecksilbers sind durchweg bimolekular.
b. Quecksilber(I)-Verbindungen Quecksilber(I)-Chlorid HgoCl» kann durch Sublimieren eines äquivalenten Gemische von Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d und Quecksilber: HgClj + Hg
Hg2CJ3
oder durch Versetzen einer Quecksilber (I)-salzlösung mit einem löslichen Chlorid: Hga" + 2C1' — » Hg2Cla erhalten werden. Es stellt eine gelblichweiße, im sublimierten Zustande faserig-kristal-
Das Quecksilber
461
line, bei 383° sublimierende, wasserunlösliche Substanz dar. Am L i c h t färbt sich Quecksilber(I)-chlorid wie Silberchlorid (S.444) infolge Abscheidung von Metall d u n k e l . Beim Übergießen mit A m m o n i a k wird es s c h w a r z , da es sich dabei in ein Gemenge von weißem Quecksilber(II)-amido-chlorid Hg(NH 2 )Cl (S. 462) und feinverteiltem, schwarzem metallischem Quecksilber verwandelt: HgHgClj + NH 3
Hg + Hg(NH2)Cl + HCl
NH4Cl).
Wegen dieser Schwarzfärbung trägt das Quecksilber(I)-chlorid auch den Namen „Kalomel"1. Die Dampfdichte oberhalb 400° entspricht einem Molekulargewicht 237 und damit der Molekularformel HgCl (Mol.-Gew. 236.1). Dies r ü h r t aber daher, daß sich der Dampf bei dieser Temperatur aus einem äquimolekularen Gemisch von Q u e c k s i l b e r (Mol.-Gew. 200.6) u n d Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d (Mol.-Gew. 271.5) zusammensetzt: Hg2Cl2
Hg + HgCl¡¡.
Verhindert man die Dissoziation durch sorgfältige T r o c k n u n g (vgl. S. 421), so entspricht die Dampfdichte der Formel Hg 2 Cl 2 . I n gleicher Weise stimmt die in geschmolzenem Quecksilber (II)-chlorid als Lösungsmittel gemessene G e f r i e r p u n k t s e r n i e d r i g u n g mit der Formel Hg 2 Cl 2 überein. Ebenso ergibt die r ö n t g e n o g r a p h i s c h e Strukturbestimmung in festem Zustand ein aus Hg 2 Cl 2 -Molekülen aufgebautes Gitter. Die Anwesenheit der Dissoziationsprodukte Hg und HgCl2 im Dampf des Quecksilber(I)chlorids wird unter anderem dadurch bewiesen, daß sich die beiden Bestandteile durch D i f f u s i o n trennen lassen und daß sich ein in den Dampf gebrachtes G o l d b l ä t t c h e n infolge des Vorhandenseins von Quecksilberdampf sofort amalgamiert.
Quecksilber(I)-bromid HgäBra und Quecksilber(I)-jodid HgoJ» sind noch schwerer löslich als Quecksilber(I)-chlorid. Auch hier nimmt also wie bei den Silberhalogeniden die Löslichkeit mit steigendem Atomgewicht des Halogens ab. Quecksilber(I)-nitrat H g 2 ( N 0 j ) j entsteht bei der Einwirkung von kalter verdünnter S a l p e t e r s ä u r e auf überschüssiges Q u e c k s i l b e r (vgl. S. 231) oder — was auf das gleiche herauskommt — bei der Einwirkung von Q u e c k s i l b e r auf Q u e c k s i l b e r ( I I ) nitratlösung: Hg + Hg(N0 3 ) 2
Hg 2 (N0 3 ) 2 .
(2)
Da es durch Wasser unter Abscheidimg eines gelben b a s i s c h e n Salzes H g 2 ( 0 H ) N 0 3 hydrolytisch gespalten wird : Hg a (N0 3 ) 2 + H Ö H — H g 2 ( 0 H ) N 0 3 + H N O S ) ist es nur in verdünnter S a l p e t e r s ä u r e ohne Zersetzung löslich. Beim Versetzen der Lösung mit A l k a l i l a u g e bildet sich vielleicht das O x y d H g 2 0 : Hg 2 (N0 3 ) 2 —>- Hg 2 (OH) 2 —> H g 2 0 . Dieses zerfällt aber sofort in Quecksilber(II)-oxyd und metallisches Quecksilber: H g 2 0 - ^ H g + Hg0. Daß dem Quecksilber(I)-nitrat wie dem Quecksilber(I)-chlorid die v e r d o p p e l t e F o r m e l Hg 2 (N0 3 ) 2 zukommt, läßt sich durch quantitative Verfolgung des Gleichgewichts (2) zeigen. Bei Annahme völliger elektrolytischer Dissoziation der Salze wird dieses Gleichgewicht gemäß dem Massenwirkungsgesetz durch die Beziehung (3 a) wiedergegeben : CHg,-
(3)
c
Hg"
(a)
(b)
Wäre aber das Quecksilber(I)-nitrat monomolekular (HgN0 3 ), so würde entsprechend der Reaktionsgleichung H g + Hg(N0 3 ) 2 < > 2 H g N 0 3 das Gleichgewicht durch die Beziehung (3 b) zum Ausdruck gebracht werden. Das Experiment zeigt, daß beiVaria1
kalos (καλός) = schön; melas (μέλας) = schwarz.
462
Die Zinkgrnppe
tion der Konzentrationen von einwertigem und zweiwertigem Quecksilber-ion nur die Gleichung (3a) zutrifft. Daher muß das Quecksilber(I)-ion durch die Formel H g 2 " wiedergegeben werden.
c. Quecksilber(II)-Verbindungen Quecksilber(II)-oxyd HgO entsteht beim Erhitzen von Q u e c k s i l b e r an der L u f t (Hg + —> HgO) als r o t e s kristallines Pulver, beim Versetzen von Q u e c k s i l b e r ( I I ) - s a l z l ö s u n g e n mit Alkali (Hg" + 2 O H ' — H g ( O H ) 2 — H g O + H 2 0 ) dagegen als g e l b e r amorpher Niederschlag. Der Farbenunterschied wird lediglich durch die verschiedene K o r n g r ö ß e der beiden Präparate bedingt. Und zwar ist das gelbe Oxyd feiner verteilt als das rote, wie sich überhaupt ganz allgemein die Farbe einer Substanz mit zunehmendem Zerteilungsgrad der Probe aufhellt. Beim Erhitzen f ä r b t sich das gelbe Oxyd infolge Kornvergrößerung r o t ; die rote Farbe bleibt beim Abkühlen erhalten. Quecksilber(II)-Chlorid HgCl2 {„Sublimat") sublimiert bei der technischen Darstellung durch Erhitzen von Q u e c k s i l b e r s u l f a t und N a t r i u m c h l o r i d als weiße, in Wasser ziemlich leicht (1:15) lösliche, bei 280° schmelzende und bei 302° siedende Substanz a b : HgS0 4 + 2NaCl — H g C l
s
+ Na 2 S0 4 .
Bei der Einwirkimg von A m m o n i a k geht es in das weiße, in Wasser unlösliche „unschmelzbare Präzipitat" Hg(NH 2 )Cl ü b e r : HgClj + NHS — ν Hg(NHa)Cl + HCl
NH4C1).
Bei gleichzeitiger Gegenwart von viel A m m o n i u m c h l o r i d entsteht das weiße „schmelzbare Präzipitat" Hg(NH 2 ) 2 · 2HC1 = [Hg(NH 3 ) 2 ]Cl 2 : HgClj + 2NH a — >- [Hg(NH,) 2 ]Cl 2 .
Das selbst in recht saurer Lösung beständige D i a m m i n - q u e c k s i l b e r ( I I ) - i o n [Hg(NH 3 ) 2 ]" geht in s e h r k o n z e n t r i e r t e n Ammoniaklösungen in ein T e t r a m m i n ion [Hg(NH 3 ) 4 ]" über 1 . Die wässerige Lösung von Quecksilber(II)-chlorid leitet den elektrischen Strom nur wenig, d. h. das Q u e c k s i l b e r ( I I ) - c h l o r i d ist in wässeriger Lösung nur s e h r w e n i g i o n i s i e r t . Daher verhalten sich derartige Lösungen in mancher Hinsicht anders als normale Salzlösungen. Schüttelt man ζ. B. Quecksilberoxyd mit einer Alkalichloridlösung, so wird die Lösung infolge Freiwerdens von Alkalihydroxyd stark alkalisch: HgCl, + 2 0 H ' ; 2C1' + Hg(OH)2 ^ umgekehrt werden Quecksilber(II)-chloridlösungen durch Alkalien nur bei Anwendung eines beträchtlichen Überschusses an Alkali quantitativ hydrolysiert. Beim Vermischen von Quecksilber(II)-nitratlösungen mit Alkalichloridlösungen t r i t t infolge exothermer Bildung des undissoziierten Quecksilber(II)-chlorids eine beträchtliche Wärmetönung auf, während sonst beim Vermischen echter Salzlösungen kein Wärmeeffekt zu beobachten ist. Sublimat ist ein s e h r s t a r k e s G i f t , das in Mengen von 0.2—0.4 g einen erwachsenen Menschen tötet. Wegen seiner hervorragenden a n t i s e p t i s c h e n Wirkung dient es als Desinfektionsmittel bei der W u n d b e h a n d l u n g . Zu diesem Zwecke kommt es in Form von „Sublimatpastillen" in den Handel. 1 Das Quecksüber(II)-ion Hg" besitzt allgemein die „charakteristische" Koordinationszahl 2 und die „maximale" Koordinationszahl 4 (vgl. Anmerkung 1, S. 459).
Das Quecksilber
463
Die Sublimatpastillen stellen kein reines Quecksilber(II)-chlorid dar, sondern bestehen aus einem Gemisch von S u b l i m a t und N a t r i u m c h l o r i d . Der N a t r i u m c h l o r i d g e h a l t verhindert die h y d r o l y t i s c h e S p a l t u n g des Sublimats in wässeriger Lösung: HgCl a + H Ö H
Hg(OH)Cl + HCl
(4)
und damit eine durch die hierbei gebildete Säure verursaohte ätzende Wirkung der Lösung, da sich aus Natriumchlorid und Sublimat ein K o m p l e x s a l z Na a [HgCl 4 ] bildet, das nicht der Hydrolyse unterliegt. Zugleich ist dieses Komplexsalz l e i c h t e r l ö s l i o h als das reine Quecksilber(II)-chlorid und wird auch nicht wie dieses durch L e i t u n g s w a s s e r mit der Zeit unter Fällung von Oxychloriden (Abfangen der Säure in (4) durch das Bicarbonat des Leitungswassers: H ' + HC0 3 '—>- H 2 0 + C0 2 ) z e r s e t z t . U m Verwechslungen vorzubeugen, sind die Sublimatpastillen mit einem organischen Farbstoff (Eosin) r o t g e f ä r b t .
Quecksilber (II)-Jodid HgJj kommt in zwei e n a n t i o t r o p e n M o d i f i k a t i o n e n , einer g e l b e n und einer r o t e n , vor. Der U m w a n d l u n g s p u n k t liegt bei 127°; unterhalb dieser Temperatur ist die rote, oberhalb die gelbe Form die beständigere : 127° H
gJ2rot
H J
g 2geU>.
Bei der Darstellung von Quecksilber(II)-jodid durch Verreiben der Elemente bei Z i m m e r t e m p e r a t u r erhält man die r o t e Modifikation; dagegen entsteht bei der Vereinigung von Quecksilberdampf und Joddampf bei e r h ö h t e r T e m p e r a t u r unter Leuchterscheinung die g e l b e Form. Beim Versetzen einer Quecksilber(II)-salzlösung mit Kaliumjodid fällt zuerst — der OSTWALD sehen Stufenregel (S. 185) entsprechend — gelbes Quecksilber(II)-jodid aus, das aber bald rot wird. Analoge Farbänderungen zeigen auch zwei Komplexverbindungen des jodids mit K u p f e r ( I ) - bzw. S i l b e r ( I ) - j o d i d : Cu 2 [HgJ 4 ] r o t
Quecksilber(II)-
Cu2[HgJ4]echwarz,
35· Ag 2 [HgJ 4 ] h e l I g e l b
—^
Ag2[HgJ4]orange.
Vielleicht gehört auch das einfache Quecksilber(II)-jodid als „autokomplexea Salz" zu dieser Reihe der komplexen Jodide:
127» Hg[HgJ4]rot
Hg[HgJ4]gelb.
Wegen der verhältnismäßig großen Umwandlungsgeschwindigkeit kann man die obigen Verbindungen als o p t i s c h e T h e r m o m e t e r verwenden.
Das in Wasser sehr schwer lösliche Quecksilber(II)-jodid löst sich im Ü b e r s c h u ß v o n K a l i u m j o d i d leicht unter Bildimg einer farblosen Lösung von k o m p l e x e m K a l i u m - q u e c k s i l b e r - j o d i d auf: HgJ2 + 2 K J — >
K2[HgJ4],
Eine mit K a l i l a u g e alkalisch gemachte Lösung dieses Komplexsalzes dient unter dem Namen „KESSLERS Reagens" als außerordentlich empfindliches R e a g e n s auf Amm o n i a k , da bereits Spuren von Ammoniak die Lösung infolge Bildung von Hg[HgJ 3 (NH 2 )] o r a n g e b r a u n färben, während größere Ammoniakmengen t i e f braune F ä l l u n g e n ergeben. Die Farbreaktion kann auch zur q u a n t i t a t i v e n Bes t i m m u n g kleiner Ammoniakmengen (z.B. in Trinkwasser) verwendet werden, da man aus der I n t e n s i t ä t der Farbe durch V e r g l e i c h mit der durch eine b e k a n n t e Ammoniakmenge hervorgerufenen F ä r b u n g auf den A m m o n i a k g e h a l t der untersuchten Lösung schließen kann. Hier wie in anderen Fällen erfolgt dabei der Farbvergleich („Kolorimetrie") zweckmäßig in einem „Kolorimeter", welches es gestattet, festzustellen, bei welcher S c h i c h t d i c k e der untersuchten farbigen Lösung F a r b g l e i c h h e i t mit der V e r g l e i c h s l ö s u n g vorliegt. Dann
464
Die Ziiikgruppe
sind in beiden — von oben betrachteten — Schichten gleich viele farbige Teilchen enthalten, so daß sich die Schichtdicken umgekehrt wie die Konzentrationen des farbigen Stoffs verhalten („BEERsches Gesetz").
Die schon beim Quecksilber(II)-chlorid kaum noch ausgeprägte S a l z n a t u r ist beim Quecksilber(II)-jodid ganz v e r s c h w u n d e n , so daß dieses mit verdünnter Alkahlauge bzw. Silbernitrat keine Reaktion auf Quecksilber- bzw. Jod-ionen ergibt. Gleiches gilt vom Quecksilber(II)-cyanidHg(CN)2, das durch Erwärmen von Q u e c k s i l b e r ( I I ) - o x y d und Wasser mit irgendwelchen C y a n i d e n gewonnen werden kann : HgO + H 2 0 + Me(CN)j — > - Hg(CN)2 + Me(OH)2.
Wegen seiner minimalen elektrolytischen Dissoziation zeigt es keine der gewöhnlichen Quecksilberreaktionen außer der Fällung von Quecksilbersulfid Hg S, das ein extrem kleines Löslichkeitsprodukt (10 - 5 3 ) besitzt. Quecksilber (II)-sulfid HgS findet sich in der N a t u r in r o t e n hexagonalen Kristallen als „Zinnober". Beim Einleiten von S c h w e f e l w a s s e r s t o f f in Q u e c k s i l b e r ( I I ) s a l z l ö s u n g e n fällt es als s c h w a r z e r , in Waaser und Säuren unlöslicher Niederschlag aus (Hg" + S"—>- HgS). Da die rote Modifikation als die b e s t ä n d i g e r e in Lösungsmitteln s c h w e r e r l ö s l i c h als die unbeständige schwarze Form ist, gelingt es, das schwarze Quecksilbersulfid durch Erwärmen mit einer zur vollkommenen Auflösung unzureichenden Lösungsmittelmenge in roten Zinnober umzuwandeln, indem sich die schwarze Form in dem Maße nachlöst, in welchem die rote infolge Übersättigung der Lösung ausfällt. Als L ö s u n g s m i t t e l benutzt man in der Technik zur Herstellung derartigen ,,künstlichen Zinnobers" N a t r i u m s u l f i d l ö s u n g e n . Auch durch S u b l i m a t i o n von schwarzem Quecksilbersulfid kann Zinnober künstlich gewonnen werden, da letzterer einen g e r i n g e r e n D a m p f d r u c k besitzt als ersteres. Wegen seiner prachtvoll leuchtend roten Farbe dient der Zinnober für Malereizwecke. Quecksilber(II)-sulfat HgS0 4 , das durch Erhitzen von Q u e c k s i l b e r mit konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e erhalten wird: Hg + 2 H 2 S 0 4 — > - HgSOj + S0 2 + 2 Η , 0 ,
kann nur aus schwefelsaurer Lösung auskristallisiert werden, da es in wässeriger L ö s u n g unter Bildung eines schwerlöslichen gelben Niederschlags von basischem Quecksilbersulfat h y d r o l y t i s c h zersetzt wird: 3 HgS0 4 + 2 H 2 0
>- HgS0 4 · 2 HgO + 2 H ¡ S 0 4 .
Mit den Sulfaten der A l k a l i m e t a l l e bildet Quecksilber(II)-sulfat D o p p e l s a l z e der Zusammensetzung HgS0 4 · Me 2 S0 4 · 6 H 2 0 , welche mit den analog zusammengesetzten Doppelsalzen des Magnesiums, Eisens usw. isomorph sind. Quecksilber(II)-nitrat Hg(NO,t)ä kristallisiert aus der Lösung von Q u e c k s i l b e r in überschüssiger, heißer S a l p e t e r s ä u r e in großen, farblosen, rhombischen Kristallen der Zusammensetzung Hg(N0 3 ) 2 · 8 H 2 0 aus, welche ähnlich wie das Sulfat in wässeriger Lösung zu schwerlöslichen basischen Salzen h y d r o l y s i e r t werden. Versetzt man Quecksilber(II)-nitratlösungen mit A m m o n i a k , so erhält man nicht wie mit Alkalilaugen gelbes Quecksilberoxyd, sondern ein unlösliches, gelbhchweißes, von der sogenannten „MILLON sehen Base" [NH2(HgOH)2] OH bzw. ihrem Anhydrid pÍHaHgijOJOH abgeleitetes Salz der Formel [NH 2 Hg 2 0]N0 3 : 2Hg(OH) 2 + NH4° [NH2(HgOH)2] " [NH 2 (Hg 2 0)]\
Kapitel XIX
Die Gruppe der seltenen Erdmetalle Zur Gruppe der seltenen Erdmetalle (3. Nebengruppe des Periodensystems) gehören die Elemente Scandium, Yttrium, Lanthan und Actinium, sowie die auf das Lanthan folgenden 14 Elemente der Atomnummer 58 bis 71 („Lanthaniden"; S. 430f.).
1. Das Scandium, Yttrium und Lanthan Vorkommen. Während L a n t h a n meist mit den leichteren und Y t t r i u m mit den schwereren Lanthaniden vergesellschaftet in der Natur vorkommt, findet sich S c a n d i u m in den typischen Mineralien der Lanthaniden meist nur in ganz untergeordnetem Maße (Näheres S. 467). Das einzige bis jetzt bekannte s c a n d i u m r e i c h e Mineral ist der in Norwegen und auf Madagaskar vorkommende Thortveitit (Y, Sc) 2 [Si 2 0 7 ]. Y t t r i u m , das häufigste der drei Elemente, findet sich als vorwiegender Bestandteil im Öadolinit Y 2 Feii[Si 2 Be 2 0 8 ]0 2 , im Thalenit Y 2 [Si 2 0 7 ], im Xenotim Y P 0 4 und im Euxenit, einem Niobat und Titanat des Yttriums. L a n t h a n findet sich vor allem als Begleiter des Cers im Cení Ce 4 (Si0 4 ) 3 , im Monazit CeP0 4 und im Orthit, einem komplizierter zusammengesetzten Cersilicat. Darstellung. Die Darstellung der freien Elemente erfolgt zweckmäßig durch E l e k t r o l y s e der geschmolzenen C h l o r i d e oder durch Reduktion der C h l o r i d e mit A l k a l i m e t a l l . Da die Reinigung der Ausgangssubstanzen von den beigemengten anderen seltenen Erdmetallen große Schwierigkeiten macht (S. 469f.), sind die reinen Metalle noch wenig bekannt. Beim Lanthan begnügt man sich beispielsweise meist mit der Herstellung von „Lanthan-Mischmetall", indem man von den in der Glühstrumpffabrikation anfallenden, hauptsächlich Lanthan- und Cersalze enthaltenden Abfällen (S. 485) ausgeht und direkt die Chloride des Erdmetallgemisohs der Schmelzelektrolyse unterwirft. Physikalische Eigenschaften. S c a n d i u m stellt ein hellgraues, glänzendes Metall vom spezifischen Gewicht 3.1 dar, das bei etwa 1400° schmilzt und bei dieser Temperatur schon merklich flüchtig ist (Sdp. 2400°). Das metallische Y t t r i u m schmilzt bei 1490°, siedet bei 2500° und besitzt ein spezifisches Gewicht von 4.34. Reines L a n t h a n ist ein dehnbares, bei 885° schmelzendes und bei 1800° siedendes Metall vom spezifischen Gewicht 6.15. Chemische Eigenschaften. Scandium, Yttrium und Lanthan sind chemisch dem A l u m i n i u m ähnlich. Ihre H y d r o x y d e Me(OH)3 fallen beim Versetzen ihrer Salzlösungen mit Alkali oder Ammoniak als schleimige, weiße Niederschläge aus und sind im Überschuß des Fällungsmittels unlöslich. Der basische Charakter der Hydroxyde nimmt vom Scandium zum Lanthan hin zu. So ist Lanthanhydroxyd eine ziemlich starke Base, die an der Luft begierig Kohlendioxyd anzieht, während Scandium nur schwach basische Eigenschaften aufweist und Yttrium eine Mittelstellung einnimmt. Entsprechend dieser Abstufung der Basizität sind die Salze des Scandiums stark, die des Lanthans weit weniger hydrolytisch gespalten. Durch Glühen der Hydroxy de erhält man die O x y d e Me 2 0 3 als weiße, lockere Pulver. Mit Wasser bilden diese Oxyde die Hydroxyde zurück; Lanthanoxyd reagiert dabei so lebhaft, daß es sich ähnlich wie gebrannter Kalk löschen läßt. Die durch Erhitzen der mit Kohle vermischten Oxyde im Chlorstrom erhältlichen C h l o r i d e MeCl3 bilden zerfließliche weiße Massen, die aus wässeriger Lösung in Form von Hydraten kristallisieren. Beim Entwässern dieser Hydrate durch Erhitzen erfolgt — namentlich beim Scandiumchlorid — leicht Chlorwasserstoffabspaltung. Die Löslichkeit der S u l f a t e Me s (S0 4 ) 3 nimmt vom sehr leicht löslichen Scandiumsulfat bis zum schwerlöslichen Lanthansulfat hin stark ab. Mit Alkalisulfaten bilden die Sulfate Komplexsalze, unter anderem der Formel Me I [Me m (S0 4 ) 2 ] und Me 3 [Me i n (S0 4 ) 3 ]; auch die den letzteren Salzen zugrundeliegenden komplexen Säuren H 3 [Me I I I (S0 4 ) 3 ] sind bekannt. Die C a r b o n a t e Me 2 (C0 3 ) s zersetzen sich beim Erhitzen leioht unter Kohlendioxydabspaltung. Ebenso sind die N i t r a t e Me(N0 3 ) 3 durch Glühen leicht zu zersetzen. In beiden Fällen nimmt die Zersetzlichkeit im Einklang mit dem zunehmenden basischen Charakter vom Scandium zum Lanthan hin ab. Holleman-Wiberg, Anorganische Chemie. 30. u.31. Auf].
30
466
Die Gruppe der seltenen Erdmetalle
2. Das Actinium Als radioaktives Zerfallsprodukt des Urans (vgl. S. 547) findet sich das Actinium in sehr geringen Mengen in U r a n e r z e n . Es besitzt die typischen Eigenschaften eines s e l t e n e n E r d m e t a l l s und ist erwartungsgemäß s t ä r k e r b a s i s c h als das Lanthan. Wie die anderen seltenen Erdmetalle bildet es ein leichtlösliches Sulfat, Chlorid und Nitrat und ein unlösliches Oxalat, Carbonat und Phosphat. Beim Glühen von Actiniumsalzen flüchtiger Säuren (ζ. B. des Nitrats) hinterbleibt Actiniumoxyd Ac a 0 3 . W ä g b a r e M e n g e n des Elements und seiner Verbindungen (ζ. B. Halogenide, Oxyhalogenide, Oxyd, Sulfid, Phosphat) sind erst in neuester Zeit auf k ü n s t l i c h e m W e g e (Neutronenbeschuß von Radium) gewonnen worden.
3. Die Lanthaniden Die auf das Lanthan (Atomnummer 57) folgenden 14 Elemente 58—71 werden als „Lanthaniden" oder als „Seltene Erdmetalle" im engeren Sinne bezeichnet. Bei ihnen erfolgt, wie früher (S. 430f.) schon auseinandergesetzt, der Ausbau der vierten Elektronenschale von der Elektronenzahl 18 auf den Maximalwert 32, während die fünfte (zweitäußerste) und sechste (äußerste) Schale bei allen Lanthaniden den gleichen Bau aufweisen. Dementsprechend sind sich die Elemente der Lanthanidengruppe chemisch außerordentlich ähnlich, so daß ihre Isolierung und Reindarstellung die größten Schwierigkeiten bereitet und einen großen Aufwand an Arbeit und Zeit erfordert hat. Die Eigenschaften der Lanthaniden sind im allgemeinen aperiodischer Natur, d. h. sie ändern sich stetig und gleichlaufend beim Fortschreiten vom einen zum nächsten Glied. Doch läßt sich in manchen Eigenschaften auch ein — allerdings nur schwach ausgeprägter — periodischer Verlauf erkennen. Unter den aperiodischen Eigenschaften ist die sogenannte „Lanthaniden· kontraktion", d.h. die Abnahme des Ionenradius r mit steigendem Atomgewicht, eine der wichtigsten: Atomnummer 68 59 60 Element-ion . Ce3* Pr»+ Nd 3 + Atomgewicht 140.13 140.92 144.27 r in  1.18 1.16 1.16
61 1 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 a Pm 3 + Sm3+ Eu 3 + Gd'+ Tb 3 + Dy 3 + Ho 3 + Er»+ Tm 3 + Yb 3 + Op3* 147 150.43 152.0 156.9 159.2 162.46 164.94 16.72 16.94 173.04 174.99 (1.14) 1.13 1.13 1.11 1.09 1.07 1.05 1.04 1.04 1.00 0.99
Sie erklärt sich durch die Zunahme der positiven Kernladung und die dadurch bedingte festere Bindung der Elektronenschalen und ist für einen großen Teil der mit dem Vorkommen, der Darstellung und dem Verhalten der Lanthaniden zusammenhängenden Fragen bedeutungsvoll (S. 467ff.). Auch ist sie dafür verantwortlich, daß die auf die Lanthaniden folgenden Elemente Hafnium, Tantal, Wolfram usw. nahezu die gleichen Ionenradien aufweisen wie ihre leichteren Homologen Zirkon, Niob, Molybdän usw. in der vorhergehenden (fünften Periode), während sonst die Ionenradien innerhalb einer Gruppe des Periodensystems mit steigendem Atomgewicht wachsen. Andere Eigenschaften der Lanthaniden wiederum — z. B. Wertigkeit, Atomvolumen und Farbe (S. 471ff.) — zeigen einen periodischen Verlauf und erlauben eine Einordnung der seltenen Erdmetalle in ein „Periodensystem der Lanthaniden" (S. 430), das ebenfalls für das Vorkommen, die Darstellung und das physikalische und chemische Verhalten dieser Elemente von Bedeutung ist (S. 430f., 467ff.). 1 Zur Bezeichnung Promethium, (Pm) für das seltene Erdmetall der Ordnungszahl 61 vgl. S. 577. 2 GEORGES U R B A I N , der fast gleichzeitig mit A U E R VON WELSBACH ( 1 9 0 7 ) das Element 7 1 entdeckte, schlug den Namen Lutetium (Lu) vor, den das Element noch im ausländischen Schrifttum besitzt. Da aber A U E R VON WELSBACH die Priorität der Entdeckung und damit der Namengebung zuzugestehen sei, entschied sich die deutsche Atomgewichtskommission 1923 für den von A U E R vorgeschlagenen Namen Cassiopeium (Cp).
467
Das Actinium — Die Lanthaniden
a. Geschichtliches In einem im Jahre 1788 bei Ytterby in Schweden aufgefundenen Mineral („ Ytter• bit") entdeckte im Jahre 1 7 9 4 der finnische Forscher J O H A N N G A D O L I N eine neue Erde, die später den Namen „Yttererde" erhielt. Wenige Jahre darauf ( 1 8 0 3 ) erkannte der schwedische Chemiker J . J . B E R Z E L I U S (S. 2 8 ) in einem anderen schwedischen Mineral („Cerit") eine unbekannte Erde, die er ,,Ceriterde" nannte. Beide Erden wurden bis zum Jahre 1839, also noch 35 Jahre lang, für e i n h e i t l i c h e S t o f f e gehalten. In den Jahren 1 8 3 9 — 1 8 4 3 gelang es dann einem Schüler und Mitarbeiter von B E R Z E L I U S , C. G . M O S A N D E R , sowohl die Cerit- wie die Yttererde weiter aufzuspalten. Und zwar konnte die C e r i t e r d e zunächst in Cer-, Lanthan- und ,,Didym"-oxyd 1 , die Y t t e r e r d e zunächst in Terbium-, Erbium- und Yttriumoxyd zerlegt werden. Die weiteren Untersuchungen, an denen vor allem die Forscher A U E R V . W E L S B A C H , C L E V E , CROOKES, D E M A R C A Y , LECOQ DE B O I S B A U D R A N , M A R I G N A C , N I L S O N , S O R E T lind U R B A I N beteiligt waren, führten dann zur Entdeckung auch der übrigen seltenen Erden.
b. Vorkommen α. Allgemeines Bei der ersten Phasentrennung des schmelzflüssigen Erdmagmas in eine E i s e n s c h m e l z e (Siderosphäre), S u l f i d s c h m e l z e (Chalkosphäre), S i l i c a t s c h m e l z e (Lithosphäre) und D a m p f h ü l l e {Atmosphäre) sammelten sich die L a n t h a n i d e n als lithophile Elemente in der L i t h o s p h ä r e . Im zweiten Stadium, dem der magmatischen Erstarrung, reicherten sie sich mit anderen seltenen Elementen vorwiegend in den R e s t s c h m e l z e n der lithophilen Gruppe an, aus denen sie sich dann nach genügender Ansammlung in e i g e n e n k r i s t a l l i s i e r t e n P h a s e n ausschieden. Diese typische S o n d e r u n g der dreiwertigen Lanthaniden ist auf ihre g e r i n g e k r i s t a l l c h e m i s c h e V e r w a n d t s c h a f t z u a n d e r e n d r e i w e r t i g e n E l e m e n t e n zurückzuführen, indem ihre verhältnismäßig großen Ionenradien r (S. 466) einen Einbau ihres Gitters in das der gewöhnlichen gesteinsbildenden Mineralien weitgehend verhindern: Element r in Â
B 3+ 0.20
Al3+ 0.57
Cr^ 0.64
V»+ 0.65
Fe3+ 0.67
Ti3+ 0.69
Mn3+ 0.70
Die nahe kristallchemische Verwandtschaft der Lanthaniden u n t e r e i n a n d e r dagegen, die in dem kleinen Ionenradien-Intervall von 1.18 bis 0.99 Â zum Ausdruck kommt, ermöglicht i s o m o r p h e V e r t r e t b a r k e i t , wodurch sich das ständig g e m e i n s a m e V o r k o m m e n dieser Elementgruppe erklärt. Die Ionenradien der schon besprochenen drei seltenen Erdmetalle S c a n d i u m , Y t t r i u m und L a n t h a n (S. 465) nehmen — wie ganz allgemein innerhalb einer Gruppe des Periodensystems — mit steigendem Atomgewicht zu : Atomnummer Element-ion rin A
21 Sc 3+ 0.83
39 Y3+ 1.06
57 La 3+ 1.22
So kommt es, daß sich die Ionenradien der Lanthaniden in diesen Radienbereich von Scandium bis Lanthan einfügen und auf diese Weise auch Scandium, Yttrium und Lanthan in der Natur mit den Lanthaniden vergesellschaftet sind. Dabei stehen naturgemäß die e r s t e n Lanthaniden dem L a n t h a n , die f o l g e n d e n dem Y t t r i u m am nächsten, während das S c a n d i u m mit seinem verhältnismäßig kleinen Ionenradius eine gewisse S o n d e r s t e l l u n g einnimmt. Besonders hinzuweisen ist auf das Y t t r i u m , das mit seinem Ionenradius 1.06 mitten in den Bereich der Lanthaniden hineinfällt 1 C. AUER V. WELSBACH (S.469) konnte im Jahre 1885 das „Didym" in zwei Bestandteile, dae Neodym und Praseodym, zerlegen.
30*
468
Die Grappe der seltenen Erdmetalle
und dort neben dem H o l m i u m mit dem Ionenradius 1.05 seinen Platz findet, was mit der praktischen Erfahrung der überaus schwierigen Trennbarkeit von Yttrium und Holmium in Einklang steht. Die Erscheinung, daß zwei Elemente von g l e i c h e r V a l e n z und annähernd g l e i c h e m I o n e n r a d i u s in der Natur z u s a m m e n vorkommen, ist sehr häufig. Tritt dabei das eine der Elemente gegenüber dem anderen an Menge stark zurück, so ist sein Nachweis vielfach außerordentlich schwierig. Man spricht dann von einer „Tarnung" des seltenen Elements durch das häufigere. Beispiele für derartige Tarnungen sind die Paare 82 67 Atomnummer . . 12 28 38 13 31 39 14 32 40 72 4+ Mg2+ Ni 2+ Sr 2+ P b 2+ Al3+ Ga3+ Y3+ Ho 3+ Si4+ Ge Zr 4+ Hf 4 + Element 0.78 0.78 1.27 1.32 0.57 0.63 1.06 1.05 0.39 0.44 0.87 0.86 r in Á Infolge der Tarnung durch das Z i r k o n wurde z. B. das H a f n i u m , obwohl es kein besondere seltenes Element ist (S. 486), erst sehr spät (1922) entdeckt. Auch v e r s c h i e d e n w e r t i g e Ionen können sich, wenn sie annähernd g l e i c h e n I o n e n r a d i u s besitzen, gegenseitig isomorph vertreten. Beispiele hierfür sind die Ionenpaare 12 Atomnummer . . 11 20 21 26 21 20 39 22 41 21 40 Mg2+ Sc3+ Fe 2 + Sc3+ Ca 2+ Y3+ Na 1 + Ca 2+ Sc3+ Zr 4+ Ti 4+ Nb 5+ Element . 0.98 1.06 0.78 0.83 0.83 0.83 1.06 1.06 0.83 0.87 0.64 0.64 r in À Dieses „Abfangen" eines Elements durch ein anderes Element von anderer Wertigkeit erfolgt dann, wenn das a b z u f a n g e n d e Ion eine h ö h e r e W e r t i g k e i t besitzt als das abfangende, so daß beim Einbau in das Gitter ein g i t t e r e n e r g e t i s c h e r G e w i n n eintritt. Infolge der so bedingten b e v o r z u g t e n Aufnahme r e i c h e r n sich die eingebauten Elemente in der Kristallphase gegenüber der ursprünglichen Schmelze an. So findet sich z. B. das S c a n d i u m nicht wie die Lanthaniden überwiegend in den magmatischen Restkristallisationen, sondern in den m a g n e s i u m - und eisenreichen Silicaten der Hauptkristallisationen der lithophilen Gruppe. In ähnlicher Weise trifft man das Y t t r i u m häufig als Begleiter von Calciummineralien an. Das V a l e n z g l e i c h g e w i c h t wird in solchen Fällen des isomorphen Austausches ungleichwertiger Ionen durch einen entsprechenden Eintritt z u s ä t z l i c h e r A n i o n e n oder einen Ersatz n i e d r i g wertiger Anionen durch höherwertige gewahrt.
Die P e r i o d i z i t ä t der Eigenschaften macht sich beim Vorkommen der Lanthaniden z. B. dadurch bemerkbar, daß das E u r o p i u m , das gemäß dem Periodensystem der Lanthaniden (S. 430) z w e i w e r t i g auftreten kann (rEu·· = 1.2—1.3 Â), häufig als Begleiter des S t r o n t i u m s (rgr·· = 1.27 Â) und B l e i s (fpb·· = 1.32 Â) auftritt. ß. Wichtige Mineralien Eines der wichtigsten L a n t h a n i d e n m i n e r a l i e n ist der Monazit CeP0 4 , der sich vor allem in den südnorwegischen Granitpegmatiten findet. Die technische Gewinnung dieses Monazits ist allerdings wegen seiner unregelmäßigen Verteilung in dem harten Begleitgestein wenig lohnend. Von weit größerer Bedeutung für die Industrie der seltenen Erdmetalle sind daher die durch natürliche Verwitterungs- und Schlämmungsprozesse aus den p r i m ä r e n Monazitlagerstätten entstandenen s e k u n d ä r e n Ablagerungen („Monazitsand"), in denen der Monazit wesentlich a n g e r e i c h e r t ist. Solche sekundären Lagerstätten finden sich vor allem in Brasilien, in Südindien, auf Ceylon und in den Vereinigten Staaten. Der Monazit enthält bevorzugt die l e i c h t e r e n Lanthanidenelemente 57—64 („Ceriterden"; vgl. S. 430), wobei die Elemente mit g e r a d e n Atomnummern (Oer, Neodym, Samarium, Gadolinium) ü b e r w i e g e n (vgl. unten). Gleiches gilt von den ebenfalls wichtigen Silicaten vom sogenannten O r t h i t - t y p u s (z. B. Cerit Ce 4 (Si0 4 ) 3 ), nur daß bei diesen Orthiten die Ceriterden gegenüber den schwereren Lanthaniden noch etwas stärker am Gesamtbestand beteiligt sind als beim Monazit. Umgekehrt finden sich die s c h w e r e r e n Lanthanidenelemente 64—71 („Yttererden" ; vgl. S. 430) zusammen mit dem Yttrium bevorzugt in den Mineralien vom Typus des Thalenits Y 2 [Si 2 0 7 ], Thortveitits (Y, Se) 2 [Si 2 0 7 ] und Xenotims Y P 0 4 , wobei auch hier wieder die Elemente mit g e r a d z a h l i g e n Atomnummern (Gadolinium, Dysprosium, Erbium, Ytterbium) ü b e r w i e g e n .
Die Lanthaniden
469
γ . Häufigkeit Betrachtet man die r e l a t i v e H ä u f i g k e i t der seltenen Erdmetalle in der Natur, so macht man die interessante Beobachtimg, daß die Elemente mit g e r a d e n Atomnummern h ä u f i g e r sind als die ungeraden Elemente (Fig. 134). Ähnliches gilt auch bei den anderen Elementen („HiRKiNsSChe Regel"), so daß es sicher kein Zufall ist, daß alle bis jetzt in der N a t u r noch nicht oder nur spurenweise aufgefundenen Grundstoffe ungerade Atomnummern aufweisen (43, 61, 85, 87). Die r e l a t i v h ä u f i g s t e n Elemente unter den seltenen Erdmetallen sind Y t t r i u m und Cer. Sie sind viel weniger selten als ζ. B. Cadmium, Quecksilber, Antimon und andere Elemente, welche im üblichen Sinne nicht als „seltene" Stoffe bezeichnet werden. Insgesamt dürfte der Gehalt der festen Erdrinde an seltenen Erdmetallen 0.01—0.02°/ 0 betragen. Die Bezeichnung „seltene Erdmetalle", die aus einer Zeit stammt, in der die weite Verbreitung dieser Gruppe noch nicht bekannt war, ist also nicht ganz zutreffend.
c. Trennung S7 SS 59 60 61 62 63 65 66 67 68 6Í 70 71 Um die seltenen Erdmetalle aus La Ce Pr Nd Pm Sm fu 6d Tb Dg Ho Lr Tm Yb Cp ihren Mineralien von den übrigen Elementen (z. B. Eisen und Aluminium) Fig. 134. Relative Häufigkeit der seltenen Erdmetalle a b z u t r e n n e n , fällt man sie zweckmäßig in Form ihrer O x a l a t e 1 aus, da sich diese Oxalate vor den anderen Oxalaten durch ihre S c h w e r l ö s l i c h k e i t in verdünnten S ä u r e n und in überschüssiger O x a l a t l ö s u n g auszeichnen. Zu diesem Zwecke werden die sehr fein gepulverten Mineralien zunächst mit konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e bis zu schwacher Rotglut erhitzt, wobei die seltenen Erdmetalle in S u l f a t e verwandelt werden und die Kieselsäure in die unlösliche Form übergeht. Dann löst man die Sulfate in E i s w a s s e r auf (die Löslichkeit der Sulfate nimmt mit fallender Temperatur zu) und fällt die seltenen Erdmetalle aus dieser Lösung durch Zusatz von O x a l s ä u r e . Beim E r h i t z e n gehen die Oxalate in die O x y d e über. Die Trennimg des so erhaltenen Oxydgemischs der seltenen Erden kann entweder in mühseliger Operation durch — oft mehrtausendfach wiederholte — F r a k t i o n i e r u n g oder in einzelnen Fällen auf Grund des periodischen Verhaltens der Lanthaniden in einfacherer Weise durch W e r t i g k e i t s ä n d e r u n g , d . h . O x y d a t i o n ( R e d u k t i o n ) zu einer höheren (niederen) Wertigkeitsstufe erfolgen.
α. Durch Fraktionierung Zur Trennung durch F r a k t i o n i e r u n g lassen sich L ö s l i c h k e i t s u n t e r s c h i e d e und B a s i z i t ä t s u n t e r s c h i e d e verwenden. Die systematische Ausbildung beider Verfahren erfolgte hauptsächlich durch den deutschen Forscher C . A U E R VON W E L S B A C H (1858—1929). Löslichkeitsunterschiede. Bei dem Verfahren der — auf geringen Löslichkeitsunterschieden basierenden — f r a k t i o n i e r t e n K r i s t a l l i s a t i o n geht man (vgl. umstehendes, stark gekürztes Fraktionierungsschema) von einer Lösung L 0 aus, die 1
Oxalate sind Salze der Oxalsäure HOOC —COOH (II, S. 163 ff.).
Die Grappe der seltenen Erdmetalle
470
teilweise zur Kristallisation gebracht wird, wobei man Kristalle K1 (schwerer löslicher Anteil) und eine Mutterlauge L1 (leichter löslicher Anteil) erhält. Die Kristalle Kt werden erneut gelöst und fraktioniert kristallisiert, wobei Kristalle K 2 und eine Lösung L 2 erhalten werden, in welcher man die durch Weiterauskristallisieren der Lösung L t neben der Mutterlauge L a ' erhaltenen Kristalle K2' auflöst usw. Auf diese Weise kommt man bei genügend häufiger Wiederholung der Operation schließlich zu einer Trennung in s c h w e r e r l ö s l i c h e , m i t t e l s c h w e r l ö s l i c h e und l e i c h t e r lösliche Anteile, die ihrerseits wieder zum Ausgangspunkt für n e u e F r a k t i o n i e r u n g e η gemacht werden können. Als Salze eignen sich zur fraktionierten Kristallisation besonders D o p p e l n i t r a t e , D o p p e l s u l f a t e , D o p p e l c a r b o n a t e und D o p p e l o x a l a t e der seltenen Erdmetalle. So reichern sich ζ. B. beim Abkühlen einer mit überschüssigem W i s m u t - M a g n e s i u m n i t r a t 2Bi(N0 3 ) 3 · 3Mg(N0 3 ) 2 · 24H 2 0 versetzten Lösung analog zusammengesetzter, mit letzterem Doppelsalz isomorpher M a g n e s i u m - d o p p e l n i t r a t e des La, Ce, Pr, Nd, Sm, Eu, Gd und Tb in den e r s t e n Kristallisationen die Elemente La, Ce, Pr, Nd und Sm an, während in den l e t z t e n Fraktionen Eu, Gd und Tb enthalten sind und das reine Wismut—Magnesiumdoppelnitrat in den dazwischenliegenκ, L, den Mittelfraktionen ausfällt. Basizitätsunterschiede. Die B a s i z i Κa LhK2' LÌ' t ä t der Hydroxyde der seltenen Erdmetalle nimmt mit steigendem A t o m g e w i c h t ab, da infolge des abLK LK Κ nehmenden Ionenradius die Hydroxylgruppen in zunehmendem Maße fester leichter gebunden werden. Diese Abstufung schwerer lösliche lösliche Anteile der Basizität kann man in der Weise Anteile Κ LK L zur Trennung der seltenen Erdmetalle y benutzen, daß man die Lösung ihrer κ 7 \ / \ / N Salze f r a k t i o n i e r t mit B a s e n (z.B. mittelschwer Natronlauge, Ammoniak, Magnesia, LKlösliche AnteileLK Oxyden der seltenen Erdmetalle) f ä l l t , wobei z u e r s t die schwächer basischen Y t t e r e r d e n und d a n n die stärker basischen C e r i t e r d e n ausfallen. Indem man die so erhaltenen Fraktionen ihrerseits wieder fraktioniert und dabei jeweils die letzte Fraktion der ersten Fällung mit der ersten der zweiten Fällung vereinigt und diese Kombination erneut der Fraktionierung unterwirft, kommt man wie bei dem vorher erwähnten, ganz analog verlaufenden Verfahren nicht nur zu einzelnen Gruppen, sondern schließlich bis zu den E i n z e l g l i e d e r n . Eine andere, ebenfalls auf den Basizitätsunterschieden beruhende Trennungsmethode ist die f r a k t i o n i e r t e Z e r s e t z u n g d e r N i t r a t e . Da die Nitrate s c h w a c h e r Basen l e i c h t e r zerlegbar sind als diejenigen starker Basen, werden sich beim Erhitzen der Erdmetallnitrate auf steigende Temperaturen z u e r s t die Nitrate der Y t t e r g r u p p e und d a n n die der C e r i t g r u p p e zersetzen. Durch Ausziehen mit Wasser kann man dabei jeweils die noch unzersetzten Nitrate von den zersetzten abtrennen.
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ß. Durch Wertigkeitsänderung Sehr viel e i n f a c h e r und w i r k s a m e r als die vorgenannten Trennungsmethoden sind jene Verfahren, die sich des Umstandes bedienen, daß einige Lanthaniden zum Unterschied von den übrigen — durchweg dreiwertigen — seltenen Erdmetallen zwei-
471
Die Lanthaniden
bzw. vierwertig aufzutreten imstande sind. Entsprechend ihrer Stellung im P e r i o d e n s y s t e m der L a n t h a n i d e n (S. 430) lassen sich nämlich E u r o p i u m und Y t t e r b i u m (in geringerem Maße auch Samarium) leicht zur z w e i w e r t i g e n Stufe reduzieren, während Cer und T e r b i u m (in geringerem Maße auch Praseodym) leicht in den v i e r w e r t i g e n Zustand übergeführt werden können. Da die Elemente in dieser niedrigeren bzw. höheren Wertigkeitsstufe natürlich ganz andere chemische Eigenschaften als im dreiwertigen Zustande haben, sind sie leicht von den bei der Oxydation (Keduktion) unverändert gebliebenen Erdmetallen abzutrennen. Löst man ζ. B. ein aus 66% Sm, 26% Gd und 8 % Eu bestehendes Erdengemisch in Salzsäure und e l e k t r o l y s i e r t die mit S c h w e f e l s ä u r e versetzte Lösung unter Verwendung einer Quecksilberkathode und einer Platinanode, so scheidet sich an der K a t h o d e ein schwerlöslicher Sulfatniederschlag ab, dessen Erdengehalt bereits zu 91% aus E u r o p i u m (als EuS0 4 ), zu 7 % aus Samarium und zu 2 % aus Gadolinium besteht. Analoges gilt für Y t t e r b i u m und S a m a r i u m . Bei k l e i n e r e n G e h a l t e n an reduzierbaren seltenen Erdmetallen elektrolysiert man die schwefelsaure Lösimg zweckmäßig unter g l e i c h z e i t i g e r F ä l l u n g eines M e t a l l ( I I ) - s u l f a t s , in dessen Gitter sich das gewünschte Erdmetall(II)-sulfat einbauen kann (vgl. S. 468). So ergab ζ. B. ein Gemisch mit einem Erdengehalt von 63% Gd, 14% Dy, 10% Sm, 7 % Y, 4 % Tb, 1 % Eu und 1 % sonstigen Erden bei der ersten Elektrolyse der schwefelsauren Lösung unter Strontiumchloridzusatz einen Strontiumsulfatniederschlag mit einem Erdengehalt von 45% Sm, 30% Eu, 24% Gd und 1 % sonstigen Erden. Eine Wiederholung der Elektrolyse nach Entfernung des Strontiums und ohne Strontiumchloridzusatz führte dann zu einem 90%igen, eine dritte Wiederholung zu einem über 99%igen Europium(II)-sulfat. Umgekehrt kann man z.B. das Cer von den anderen Erdmetallen durch Oxyd a t i o n abtrennen, indem man die Lösung der dreiwertigen Erden in schwach alkalischer Lösung mit K a l i u m p e r m a n g a n a t behandelt. Hierbei wird das Cer(III)-salz zu Cer(IV)-salz oxydiert, welches viel leichter als die Salze der dreiwertigen Erdmetalle der H y d r o l y s e unterliegt und daher als C e r ( I V ) - h y d r o x y d Ce(OH)4 ausfällt. Ähnliches gilt vom T e r b i u m und vom P r a s e o d y m .
d. Physikalische Eigenschaften Die durch S c h m e l z e l e k t r o l y s e der wasserfreien Chloride erhältlichen reinen E l e m e n t e stellen silberglänzende Metalle vom spezifischen Gewicht 1 7—9 dar, die bis jetzt noch wenig untersucht worden sind (Smp. Ce 775°, Pr 940°, Nd 840°, Sm 1350°, Yb 1800°). Ihre physikalischen Eigenschaf ten sind teils aperiodischer, teils periodischer Natur. Unter den a p e r i o d i s c h e n physikalischen Eigenschaften haben wir bereits auf die Verminderung des Ionenvolumens mit wachsender Kernladungszahl ( L a n t h a n i d e n k o n t r a k t i o n ) hingewiesen (S. 466). Unter den p e r i o d i s c h e n physikalischen Eigenschaften ist das A t o m volumen Vit der Metalle zu nennen, unter dem man das je Grammatom Metall eingenommene Volumen Vit = A/d (in cm3) versteht (A = Atomgewicht, d = spez. Gewicht). Es nimmt zum Unterschied vom Ionenvolumen nicht stetig ab, sondern weist — wie aus nachstehender Fig. 135 hervorgeht — einen p e r i o d i s c h e n Verlauf auf. Die M a x i m a des Atomvolumens der Lanthaniden kommen den Elementen Europium und Ytterbium zu 2 und sind, wie magnetische Messungen zeigen (S. 482), darauf zurückzuführen, daß 1
2
Im einzelnen haben die Dichten der seltenen Erdmetalle folgende Werte: Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb 6.8 6.8 7.0 (6.9) 6.9 5.2 7.9 8.3 8.5 8.8 9.2 9.3 7.0 Vgl. Anmerkung 1.
Cp 9.7
Die Grappe der seltenen Erdmetalle
472
diese beiden Elemente im metallischen Zustande zum Unterschied von den übrigen seltenen Erdmetallen nicht drei-, sondern z w e i w e r t i g sind. Die hierdurch bedingte geringere Anziehung zwischen Metall-ionen und Elektronengas führt zu einer Ausweitung des Metallgitters und damit zu einer Vol u m en Vergrößerung. I n analoger Weise finden sich die vorhergehenden Maxima der Atomvolumenkurve bei den e i n w e r t i g e n Alkalimetallen Na, K, R b und Cs (Fig. 135). Die oben definierten „Atomvolumina" sind natürlich nur ein a n g e n ä h e r t e s Maß der w a h r e n Atomvolumina (S. 136, 137), da die Atome ja nicht bei allen Stoffen in g l e i c h e r W e i s e angeordnet sind und dementsprechend auch nicht stets den g l e i c h e n B r u c h t e i l des ihnen im Volumen eines Grammatoms zur Verfügung stehenden Baumes ausfüllen.
Eine weitere charakteristische periodische Eigenschaft ist die F a r b e der dreiwertigen Lanthaniden-ionen: La" farblos
Ce" farblos
Pr"· gelbgrün
Nd'" rotviolett
Gd" farblos
Tb" fast farblos
Dy·" blaß gelbgrün
Ho" bräunlich gelb
Pm" (rot Î)
Sm" tiefgelb
Er" Tm" tief rosa blaß grün
Eu" fast farblos
Gd" farblos
Yb" farblos
Cp" farblos
Während die Lanthaniden-ionen mit unbesetzter, halbbesetzter und vollbesetzter 4. Unterschale (S. 430f.) (La"", Gd'", Cp'") f a r b l o s sind und auch die unmittelbar
t
S
SS
» Atomnvmmer Fig. 135. Atomvolumen-Kurve der Elemente
benachbarten Ionen (Ce'", Tb'" bzw. Eu"', Yb'") praktisch keine Farbe aufweisen, zeigen die übrigen Ionen der seltenen Erdmetalle mit zunehmender Entfernung von diesen Randgruppen eine charakteristische F ä r b u n g von z u n e h m e n d e r I n t e n s i t ä t . So sind die zunächst folgenden Glieder (Pr'", D y ' " bzw. Sm"*, Tm'") gelb bis grün, während die restlichen Mittelglieder (Nd'", Ho'", Pm'", Tm"') eine rote bis violette Färbung aufweisen. Das N e o d y m , dessen Verbindungen eine Absorptionsbande im Gelb besitzen und daher rosa-violett erscheinen, ist ein Bestandteil des als Sonnenschutzbrille im Handel befindlichen „Neophan"·Glases. Mit N e o d y m - und P r a s e o d y m o x y d gefärbte Gläser (vgl. S. 332) werden wegen ihrer eigentümlich schönen Färbung als K u n s t g l ä s e r geschätzt. Die optischen A b s o r p t i o n s s p e k t r e n der farbigen Salze, die für die einzelnen seltenen Erdmetalle charakteristisch sind, sind ein gutes Merkmal zur Unterscheidung der Elemente. Farblose Erden wie Yttrium, Lanthan, Cer geben keine Absorptionsspektren, dagegen linien-
Magnetochemie
473
reiche E m i s s i o n s s p e k t r e n . Ein weiteres wichtiges Hilfsmittel zur Erkennung und Reinheitsprüfung von seltenen Erden sind die P h o s p h o r e s z e n z s p e k t r e n , die die Lanthaniden bei Gegenwart kleiner Verunreinigungen an anderen Erden (0.1—1 °/0) im Vakuum unter dem Einfluß von Kathodenstrahlen ausstrahlen. Die g e n a u e s t e P r ü f u n g der R e i n h e i t ist mit Hilfe der R ö n t g e n s p e k t r e n möglich.
e. Chemische Eigenschaften Auch bei den chemischen Eigenschaften der Lanthaniden können wir zwischen aperiodischen und periodischen Eigenschaften unterscheiden. Von den a p e r i o d i s c h e n Eigenschaften haben wir die mit der Lanthanidenkontraktion (S. 466) zusammenhängende A b n a h m e der B a s i z i t ä t der Oxyde und Hydroxyde mit steigendem Atomgewicht des Metalls bereits erwähnt (S.470). So stehen die Hydroxyde der C e r i t e r d e n g r u p p e in ihrer Basizität denen der E r d a l k a l i m e t a l l e nahe, während die schwächstbasischen Glieder der Y t t e r e r d e n g r u p p e schon mehr dem Aluminium zu vergleichen sind. Entsprechend der Abnahme der Basizität nimmt bei den Salzen in der Richtung vom Cer zum Cassiopeium der Grad der H y d r o l y s e in wässeriger Lösung und die Leichtigkeit der t h e r m i s c h e n Zersetzung zu. Unter den periodischen chemischen Eigenschaften ist vor allem auf die im Einklang mit dem Periodensystem der Lanthaniden (S. 430) stehende Z w e i w e r t i g k e i t von Europium und Ytterbium und V i e r w e r t i g k e i t von Cer und Terbium hinzuweisen, die zur einfachen Abtrennung dieser Elemente von den übrigen Erdmetallen benutzt werden kann (S. 470f.). Der leicht erfolgende Übergang zwischen drei- und vierwertigem Cer : CeCe"" + θ farblos
gelb
ermöglicht die Benutzung von Cer(IV)-sulfatlösungen als O x y d a t i o n s m i t t e l in der oxydimetrischen M a ß a n a l y s e („Ceromärie" ; vgl. S. 167). Technische Verwendung findet unter den seltenen Erdmetallen vor allem das Cer als Bestandteil der G a s g l ü h l i c h t s t r ü m p f e (S. 485) und als Legierungsbestandteil der „Zündsteine" (70°/ o Ce + 30°/ 0 Fe) von T a s c h e n f e u e r z e u g e n .
4. Magnetochemie Wir hatten schon an mehreren Stellen des Buches (S. 153, 385, 444, 471f.) Gelegenheit, auf die Bedeutung m a g n e t i s c h e r Messungen für die Lösung c h e m i s c h e r P r o b l e m e hinzuweisen (vgl. auch S. 493). Im folgenden wollen wir uns etwas näher mit diesem Spezialgebiet der Chemie befassen, das als „Magnetochemie" bezeichnet wird und dessen Ausbau wir unter anderem dem deutschen Chemiker W I L H E L M K L E M M verdanken.
a. Magnetische Grundbegriffe Magnetisches Feld. Schickt man durch eine D r a h t s p u l e einen elektrischen S t r o m , so ist der R a u m innerhalb und außerhalb der Spule gegenüber dem Normalzustand in charakteristischer Weise v e r ä n d e r t ; der S t r o m hat ein „Magnetfeld" erzeugt. Das Magnetfeld ist dabei ein besonderer Z u s t a n d des R a u m e s , der sich ausschließlich durch die E r fahrung erkennen läßt. Läßt man z . B . die stromdurchflossene Spule ein mit E i s e n feilspänen bestreutes waagerecht liegendes K a r t e n b l a t t durchqueren und klopft leicht gegen die Unterlage, so ordnen sich die Späne zu charakteristischen „Feldlinien", wie dies Fig. 136 in schematischer Form zum Ausdruck bringt. Hängt man die stromdurchflossene Spule an einem dünnen F a d e n auf, so dreht sie sich mit dem einen Ende nach Norden. Man ist übereingekommen, das nach Norden sich einstellende Ende der Spule „Nordpol", das andere „Südpol" zu nennen und anzunehmen, daß die — in sich geschlossenen —
474
Die Gruppe der seltenen Erdmetalle
Feldlinien b e i m N o r d p o l h e r a u s k o m m e n und in d e n S ü d p o l z u r ü c k f l i e ß e n . Fließt der E l e k t r o n e n ström in der Spule in der aus Fig. 136 ersichtlichen Richtung, so befindet sich der Nordpol stets rechts („AMPÈREsche Schioimmerregel"). Ein gleiches Feld wie in Fig. 136 erhält man, wenn man die E i n z e l s p u l e durch ein S p u l e n b ü n d e l ersetzt (Fig. 137a). Dies ist nicht verwunderlich, da sich im I n n e r n d e r S p u l e n — wie der in Fig. 137 b wiedergegebene Querschnitt a—6 der Fig. 137 a zeigt — die Wirkung der elektrischen Ströme a u f h e b t , so daß nur an der P e r i p h e r i e eine Komponente übrig bleibt, die einem U m l a u f d e s E l e k t r o n e n s t r o m s um das gesamte B ü n d e l entspricht. Fig. 137 b gibt uns zugleich das Schema eines sogenannten „permanenten Magneten" wieder. An die Stelle der stromdurchflossenen S p u l e n treten hier die durch die A t o m e l e k t r o n e n bedingten Stromkreise, deren E b e n e n bei einem p e r m a n e n t e n M a g n e t e n alle oder zu einem großen Teil _. ,„„ .... . , . p a r a l l e l liegen, so daß auch hier in summa Fig. 136. Feldlinienverlauf um eine ström- £ u r e i n S t r o ^ u m ^ O b e r f l ä c h e des Magdurchflossene Drahtspule netfjn D a h e r v e r i a u f e n auch bei einem p e r m a n e n t e n M a g n e t e n (Fig. 137c), ζ. B . einem Eisenstab, die Feldlinien in der bei dem S p u l e n b ü n d e l (Fig. 137a) gekennzeichneten Weise, nur daß sich hier naturgemäß die Feldlinien im I n n e r n nicht wie bei den Spulen sichtbar machen lassen.
D D O O D O D Q O Querschnitt des Spu/enbùnde/s • m
permanenter Magnet (C)
Fig. 137. Feldlinienverlauf um ein stromdurchfloeBenes Spulenbündel und einen permanenten Magneten Magnetische Polstärke. Wie die Erfahrung zeigt, s t ö ß t der N o r d p o l eines Magneten den N o r d p o l eines anderen ab, während er dessen S ü d p o l a n z i e h t . Die K r a f t K , mit der dies geschieht, wird durch das „CoULOMBsche Gesetz" Vi' Pi
(1)
wiedergegeben, wobei ρ die ,,Polstärke" und r den Abstand zwischen den beiden Polen bedeutet. Als E i n h e i t d e r P o l s t ä r k e wird gemäß dem Gesetz (1) ein P o l definiert, der auf einen g l e i c h s t a r k e n P o l in der Entfernung von 1 cm eine Kraft von 1 d y n ausübt, eine K r a f t also, die derjenigen entspricht, welche einer Masse von 1 g die Beschleunigung von 1 cm je Sekunde zu erteilen vermag. Magnetische Feldstärke. Unter der „Feldstärke" an einer Stelle des Magnetfeldes versteht man die K r a f t in d y n , die an dieser Stelle auf den oben definierten E i n h e i t s p o l ausgeübt wird. Die E i n h e i t d e r F e l d s t ä r k e liegt also dann vor, wenn auf den E i n h e i t s p o l eine K r a f t v o n 1 d y n einwirkt. Diese Einheit heißt „1 Oersted". Man kann sich die Feldstärke auch durch eine v e r s c h i e d e n e D i c h t e d e r F e l d l i n i e n veranschaulichen und ist übereingekommen, die Zahl der an einer bestimmten Stelle des Magnetfeldes senkrecht durch 1 cm 2 hindurchlaufenden Feldlinien numerisch gleich der Anzahl von Oersted an dieser Stelle zu setzen. Magnetisches Moment. Unter dem „magnetischen Moment" M eines Magneten versteht man das P r o d u k t aus der P o l s t ä r k e ρ und der L ä n g e l des Magneten (vgl. S. 1 5 0 f . ) : M=p-l. (2)
Magnetochemie
475
Da nach (1) die Dimension der Polstärke [Länge· |/KraftJ ist und wir unter der Feldstärke eine [Kraft/Polstärke] verstehen, die Polstärke also auch als [Feldstärke · Fläche] definiert werden kann, ist die Dimension des magnetischen Moments [Feldstärke · Volumen]. Man drückt es dementsprechend in Oerstedt · cm3 aus. Lasse ich einen ElekÛeAtron von der Ladung e tronenstrom der Stromund Um/aufcsh/ r/sec stärke I eine Kreisbahn durchfließen, welche die Fläche F umschließt (Fig. 138a), so ist das magne- Stromstärke 3 t i s c h e Moment M des dieser Strombahn äquivaBeMronmbahn lenten Magneten (dessen uomfíadtusr Polverbindungslinie gemäß (bj dem eingangs Gesagten (a> senkrecht auf der Fläche Fig. 138. Magnetische Wirkung eines elektrischen Kreisstroms steht, wobei der Nordpol oberhalb, der Südpol unterhalb der Papierebene liegt) gleich dem P r o d u k t aus S t r o m s t ä r k e und umflossener Fläche: M = ρΊ = I' F. (3) Auch ein um einen Atomkern kreisendes E l e k t r o n (Fig. 138b) bedingt dementsprechend ein magnetisches F e l d und besitzt ein magnetisches Moment m, dessen Größe wie die des obigen Elektronenstroms (Fig. 138a) durch das P r o d u k t aus S t r o m s t ä r k e und umflossener F l ä c h e wiedergegeben wird. Die S t r o m s t ä r k e beträgt in diesem Falle e · ν (e = Ladung des Elektrons; ν = Umlaufzahl je Sekunde), die F l ä c h e r2· π (r= Radius der Elektronenbahn). Also ist das magnetische Moment m = e · ν ί-2 · π. Nun sind nach der B o H R S c h e n Atomtheorie (S. 133 ff.) ν und r gewissen Quantenbedingungen unterworfen, derart, daß die Werte des Produktes ν r 2 nur ganzzahlige Vielfache eines bestimmten kleinsten E l e m e n t a r w e r t e s sein können. Dieser kleinste Wert liegt dann vor, wenn das Elektron auf seiner Grundbahn in einem Atom kreist. Setzt man den Wert ein, so erhält man als kleinsten W e r t des magnetischen Moments 9.24 X IO -21 Oersted · cm» je Molekül bzw. (9.24 Χ IO"21) Χ (6.022 Χ ΙΟ23) = 5564 Oersted· cm8 je Mol. Man bezeichnet diese Einheit des magnetischen Moments als „1 Β ΟΠΕ schee Magneton" und gibt die magnetischen Momente von Atomen und Molekülen in dieser Einheit an.
b. Die magnetische Suszeptibilität Bringt man einen Körper in ein h o m o g e n e s M a g n e t f e l d , so sind zwei Fälle möglich (Fig. 139): der Körper v e r d i c h t e t die Feldlinien in seinem Innern (b) oder er d r ä n g t sie a u s e i n a n d e r (a). I m e r s t e n Fall nennen wir ihn „paramagnetisch" (oder wenn der Effekt besonders stark ist: „ferromagneΝ tisch"), im z w e i t e n „diamagnetisch". Wir haben dann also im Innern des Körpers nicht mehr die u r s p r ü n g liche F e l d s t ä r k e sondern die davon verschiedene n e u e Feldstärke {„Induktion") Ά — S3 = $ ( ± , & ' ; d . h . die ursprüngliche Zahl von φ FeldPsramagnet/scher Diamaanefischer linien je cm 2 nimmt um Stoff Stoff Feldlinien zu bzw. ab. Das Verhältnis (à) (3) Fig. 139. Verhalten diamagnetischer und paramagnetischer = μ (4) Stoffe im homogenen Magnetfeld
77
»
s
\
476
Die Grappe der seltenen Erdmetalle
wird die magnetische „Permeabilität" (Durchlässigkeit) eines Stoffs genannt und stellt den Faktor dar, mit dem man die ursprüngliche Feldstärke multiplizieren muß, um die neue Feldstärke zu erhalten (ξ) · μ = ξ) ( ± ) Φ')· Bei d i a m a g n e t i s c h e n Stoffen (§' negativ) ist die P e r m e a b i l i t ä t gemäß (4) stets kleiner, bei p a r a m a g n e t i s c h e n Stoffen positiv) stets größer als 1. Meist gibt man allerdings nur das Verhältnis k±>V
-
k
(5)
e
an, das die hinzukommende bzw. wegfallende Feldstärke in Bruchteilen der ursprünglichen Feldstärke § ausdrückt = k · φ) und dessen 4jr-ten Teil1 man die magnetische „Saszeptibilität" (Aufnahmefähigkeit) eines Stoffes nennt (κ = £/4π). Wie aus (5) ersichtlich, ist diese Suszeptibilität bei p a r a m a g n e t i s c h e n Stoffen ( § ' positiv) > 0, bei d i a m a g n e t i s c h e n Stoffen (§' negativ) < 0. Die Suszeptibilität kann auf 1 cm3 oder auf 1 g Stoff bezogen werden. Durch Multiplikation der ersteren (*cm·) mit dem Molvolumen (Fuoi) oder der l e t z t e r e n (x g ) mit dem Molekulargewicht (M) erhält man die auf 1 Mol des Stoffes bezogene „molare
Suszeptibilität"
#moi; "cm· · FMol = *g · M = XmoI ·
(6
>
In dieser Form wird die Suszeptibilität vom Chemiker immer angegeben. Das Z u s t a n d e k o m m e n des Dia- und Faramagnetismus kann man sich wie folgt veranschaulichen: Diamagnetismus. Nähert man einem k r e i s f ö r m i g geschlossenen Leiter den N o r d p o l eines Magneten, so fließt während der Annäherung in dem Leiter ein E l e k t r o n e n s t r o m in der aus Fig. 140 Ν ersichtlichen Richtung. Dieser Elektronenstrom ist nach S. 473 f. einem M a g n e t e n äquivalent, dessen Nordpol rechts liegt. Das durch die Annäherung des Magneten i n d u z i e r t e M a g n e t f e l d ist also d e m a n g e Fig. 140. l e g t e n M a g n e t f e l d e n t g e g e n g e r i c h t e t und sucht die Näherung LENZSches Oesetz des Magneten zu hemmen („L ENZsches Oesetz"). In gleicher Weise wird auch beim Einbringen eines Körpers in ein Magnetfeld ein entgegengesetzt gerichtetes Magnetfeld erzeugt, indem hier an die Stelle des geschlossenen Leiters in Fig. 140 die E l e k t r o n e n b a h n e n in den Molekülen des betreffenden Stoffs treten. Da sich auf diese Weise (Fig. 141a) die F e l d Ν Ν l i n i e n im Innern des Körpers t e i l w e i s e a u f h e b e n , ergibt sich in summa eine A b n a h m e der Zahl der Feldlinien: der Körper ist >.N.·· •S d i a m a g n e t i s c h (vgl.Fig. 139a). Paramagnetismus. Der diamagnetische Effekt muß naturgemäß b e i a l l e n S t o f f e n auftreten, da in allen Stoffen Elek•:s· tronen kreisen, deren Bewegung durch das äußere Magnetfeld beeinflußt wird. Über diesen Effekt kann sich aber in gewissen Fällen noch ein z w e i t e r E f f e k t lagern, nämlich dann, wenn die Atome û/amagnef/smus Faramagnetismus oder Moleküle des betrachteten Stoffes nach außen hin ein p e r Φ) m a n e n t e s m a g n e t i s c h e s MoFig. 141. m e n t auf weisen: Zustandekommen des Diamagnetismus und Paramagnetismus Jedes rotierende oder um einen Atomkern k r e i s e n d e E l e k t r o n 1 Der Faktor 1 ¡ i J t rührt daher, daß man — unnötigerweise — an Stelle von ,Magnetisierungsintensität" I einsetzt, die gleich dem 4jt-ten Teil von ist.
die sogenannte
Magnetooheime
477
besitzt ein m a g n e t i s c h e s Moment (vgl. S. 474f. u. 480). Diese magnetischen Einzelmomente der Elektronen eines Atoms oder Moleküls können sich — wie dies bei den diamagnetischen Stoffen der Fall ist — gegenseitig a u f h e b e n (vgl. unten), so daß nach außen hin kein magnetisches Moment in Erscheinung tritt. In vielen Fällen aber (vgl. S. 479) heben sich die Einzelmomente n i c h t heraus, so daß die Atome oder Moleküle nach außen hin ein p e r m a n e n t e s m a g n e t i s c h e s Moment besitzen. Die so bedingten „Molekularmagnete" sind entsprechend der Temperaturbewegung regellos v e r t e i l t . Legt man aber ein ä u ß e r e s m a g n e t i s c h e s F e l d an, so r i c h t e n sich die Molekularmagnete aus, indem sich der Nordpol des Molekularmagneten dem Südpol des äußeren Magneten zukehrt und umgekehrt. Auf diese Weise entsteht ein M a g n e t f e l d , das dem äußeren F e l d g l e i c h g e r i c h t e t ist (Fig. 141b). Die Zahl der Feldlinien im Innern des Körpers nimmt damit zu: der Körper ist p a r a m a g n e t i s c h (vgl. Fig. 139b).
Die molare Suszeptibilität χΜο1 eines Stoffs setzt sich dementsprechend aus zwei Einzelgliedern zusammen, einem diamagnetischen Anteil £dia> der bei allen S t o f f e n vorhanden ist, und einem paramagnetischen Anteil ^ para , der nur dann auftritt, wenn die Moleküle oder Atome des Stoffs ein permanentes magnetisches Moment besitzen: 1 /7\ /. Mol
Λ dia ι" Apara '
*'
Da der paramagnetische Anteil stets größer als der diamagnetische ist, sind Stoffe mit magnetischen Momenten stets paramagnetisch. Das diamagnetische Glied χαΛ ist temperaturunabhängig, da die Temperatur naturgemäß die Dreh- und Umlaufgeschwindigkeit der Elektronen nicht beeinflußt. Dagegen ist die Temperatur von Einfluß auf das paramagnetische Glied ^p»», weil die Temperaturbewegung der Moleküle der Einstellung der Molekularmagnete in die Nord-Süd-Richtung des äußeren magnetischen Feldes entgegenwirkt. Und zwar muß der R i c h t u n g s e f f e k t um so geringer sein, je höher die Temperatur ist. Im einfachsten Pali ist die paramagnetische Suszeptibilität der absoluten Temperatur umgekehrt proportional („CURIE sches Gesetz") : Q
£para ~
*
Die K o n s t a n t e C hängt dabei mit dem magnetischen Moment M des Stoffa durch die Beziehung ii 2 (9) G=3B (M = magnetisches Moment pro Mol ; R = Gaskonstante) zusammen, so daß man durch Bestimmung der Temperaturabhängigkeit der paramagnetischen Suszeptibilität eines Stoffs sein magnetisches Moment ermitteln kann.
c. Der Diamagnetismus
Diamagnetisch sind alle Stoffe, deren Atome oder Moleküle abgeschlossene Elektronenschalen besitzen. Denn in diesem Falle heben sich die magnetischen Einzelmomente der E l e k t r o n e n gegenseitig auf, so daß nach außen hin kein magnetisches Gesamtmoment in Erscheinung tritt und das paramagnetische Glied %para daher in Fortfall kommt. So zeigen ζ. B. alle Edelgase und alle Stoffe mit edelgasähnlichen Ionen (K+, Ca++, Cl~, S - - u s w . ) oder edelgasähnlichen Atomen (wie dies bei den meisten organischen Verbindungen der Fall ist) Diamagnetismus. Ähnliches gilt für das Nebensystem des Periodensystems (s. Tafel am Schluß des Buches), wobei die Edelmetalle die Rolle der Edelgase einnehmen. So sind ζ. B. die Kupfer(I)- und Cadmium(II)-ionen, die den Alkalimetall- und Erdalkalimetall-ionen des Hauptsystems entsprechen, diamagnetisch. Wie der französische Chemiker P . PASCAL gezeigt hat, läßt sich die diamagnetische S u s z e p t i b i l i t ä t eines Moleküls in erster Näherung additiv aus empirischen Einzelwerten für die Atome (#Atom) und Bindungen (^Bindung) des Moleküls zusammensetzen . _ Σ Xxtom + -^Bindung · (10)
478
Die Grappe der seltenen Erdmetalle
Diese Regel ermöglicht es einerseits, bei m e h r e r e n m ö g l i c h e n K o n s t i t u t i o n e n eines Moleküls durch Vergleich der für die einzelnen Formeln b e r e c h n e t e n S u s z e p t i b i l i t ä t e n mit dem e x p e r i m e n t e l l e r m i t t e l t e n W e r t die richtige Strukturformel zu finden (vgl. unten), und gestattet es andererseits, bei p a r a m a g n e t i s c h e n S t o f f e n , bei denen j a nur die Gesamtsuszeptibilität £ M o l (7) bestimmbar ist, den diamagnetischen Anteil zu errechnen und damit auch den paramagnetischen Anteil ^para zu erfassen. Andere Größen, die sich in ähnlicherWeise wie die molare diamagnetische Suszeptibilität χ= κ· F M o 1 a d d i t i v aus Atom- und B i n d u n g s i n k r e m e n t e n zusammensetzen lassen und daher wie diese zur Lösung von Konstitutionsfragen herangezogen werden können, sind der Para· chor Ρ = y1/. · F M o l ; vgl. S. 379 f., 478 f.) und die Molrefraktim R = r · 7 M o l (r = ~ ^ ; η = Lichtbrechungsquotientj. Alle drei Größen stellen, wie ersichtlich, ein Maß für die Molekularvolumina F M o 1 von Stoffen u n t e r b e s t i m m t e n E x p e r i m e n t a l b e d i n g u n g e n (bei der molaren Suszeptibilität: bei gleichen diamagnetischen S u s z e p t i b i l i t ä t e n ; beim Farachor: bei gleichen O b e r f l ä c h e n s p a n n u n g e n ; bei der Molrefraktion: bei gleichen B r e c h u n g s quotienten) dar. Auch der einfache Vergleich der Molekularvolumina F M o l beim S i e d e p u n k t von Flüssigkeiten ermöglicht bereits eine additive Berechnung der Volumina aus Einzelwerten („Koppsche Regel"). In welcher Art und Weise die genannten Größen zur Lösung chemischer Strukturprobleme verwendet werden können, sei im folgenden am Beispiel des P a r a o h o r s gezeigt, der besonders empfindlich auf Strukturfeinheiten anspricht. Der Parachor. Wie der englische Physikochemiker S. SUGDEN gezeigt hat, ist der Ausdruck
,
γ /» .
M
(11)
®£1. — dd.
(γ = Oberflächenspannung in dyn/cm, M = Molekulargewicht, rff]< = Dichte der Flüssigkeit in g/cm8, = Dichte des zugehörigen Dampfes in g/cm3) für n i c h t a s s o z i i e r t e F l ü s s i g k e i t e n eine nahezu t e m p e r a t u r u n a b h ä n g i g e und a d d i t i v aus empirischen Atom- und B i n dungswerten e r r e c h e n b a r e M o l e k ü l k o n s t a n t e . Man bezeichnet sie als „Parachor" 1 Ρ (vgl. S. 379f.), weil sie — wie oben schon angedeutet — ein Maß für das Molekularvolumen von Flüssigkeiten bei Temperaturen darstellt, bei denen die Oberflächenspannungen der verglichenen Flüssigkeiten einander gleioh sind 2 . Nachfolgende Tabelle gibt einige Einzelwerte für Atome und Bindungen wieder: Atomparachore Kohlenstoff C Stickstoff Ν Sauerstoff 0 Phosphor Ρ Schwefel S Chlor Cl
Bindungsparachore 4.8 12.5 20.0 37.7 48.2 54.3
einfache Kovalenz 0.0 kovalente Doppelbindung . . . . 23.2 semipolare Doppelbindung . . . —1.6 kovalente Dreifachbindung 46.6
Anwendungsbeispiele: Das Sulfurylchlorid SO^Cl^ besitzt nach der experimentellen Bestimmung einen Parachor von 195.3. Dieser Wert stimmt mit dem für die übliche V a l e n z Strichformel (a) : 5: O w c i u ;; -
>S
- Ti + 2 J 2 . Zu diesem Zwecke erwärmt man in einem evakuierten, einer Wolfram-Glühbirne ähnlichen Gefäß eine Mischung von pulverförmigem T i t a n und J o d auf 500°, wobei sich das T e t r a j o d i d bildet, welches verdampft und sich an einem elektrisch auf 1200° e r h i t z t e n , sehr dünnen W o l f r a m d r a h t zersetzt. Das Titan scheidet sich am Wolframdraht mit der Zeit in Form eines Stabes ab; das freiwerdende Jod bildet mit dem Titanpulver immer wieder von neuem Jodid.
Reines Titan ist stahlhart und gut schmiedbar, schmilzt bei etwa 1800°, siedet bei über 3000°, leitet den elektrischen Strom sehr gut und besitzt das spezifische Gewicht 4.49. In seinen chemischen Verbindungen ist es vier-, drei- und zweiwertig. Die b e s t ä n d i g s t e Stufe ist die v i e r w e r t i g e . Technische Verwendung findet das Titan hauptsächlich in der Stahlindustrie zur Herstellung eines „Titanstahls", der besonders widerstandsfähig gegen Stöße und Schläge ist und daher zur Herstellung von Eisenbahnrädern dienen kann. Titanverbindungen. S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n . Titaniioxyd Ti0 2 ist ein weißes, bei 1560° schmelzendes, gegen Säuren und Basen recht beständiges Pulver, das mit Bariumsulfat vermischt als w e i ß e A n s t r i c h f a r b e {„Titanweiß") in den Handel kommt. Es besitzt sowohl s a u r e wie b a s i s c h e Eigenschaften, wobei der saure Charakter schwächer und der basische Charakter stärker als beim Siliciumdioxyd ist. So bildet Titandioxyd beim Schmelzen mit Alkalien Titanate, welche durch Wasser leicht unter Bildung von Titansäure zersetzt werden : Na 4 Ti0 4 + 4 HÖH —>- 4NaOH + Η 4 Ί ΐ 0 4 (—>- H 2 Ti0 3 —>- Ti0 2 ), und löst sich in konzentrierter Schwefelsäure unter Bildung von Titansulfat Ti(S0 4 ) 2 , das beim Verdünnen der Lösung zu Titanylsulfat hydrolysiert wird : Ti(S0 4 ) 2 + H 2 0 — T i 0 ( S 0 4 ) + H 2 S0 4 . Die wässerige Lösung von Titanylsulfat ist das beste Reagens auf Wasserstoffperoxyd, da das farblose Titanylsulfat durch Wasserstoffperoxyd zu orangegelbem Peroxy-titanylsulfat Ti0 2 (S0 4 ) oxy31*
Die Titangruppe
484
diert wird: T i 0 ( S 0 4 ) + H 2 0 2 — s - T i 0 2 ( S 0 4 ) 1 + H 2 0 . Beim Erhitzen mit Titan im Vakuum auf über 1500° geht Titan(IV)-oxyd in goldgelbes Titan(II)-oxyd über: T i 0 2 + Ti —>• 2 TiO ; beim Glühen im Wasserstoff ström wird es zu amethystfarbenem Titan(III)-oxyd reduziert: 2 T i 0 2 + H 2 — T i 2 0 3 + H 2 0 . H a l o g e n v e r b i n d u n g e n . Titan(IV)-chlorid TiCl 4 entsteht beim Überleiten von Chlor über ein glühendes Gemenge von Kohle und Titandioxyd: T i 0 2 + 2 C + 2Cl ä — > - TiCl 4 + 2 CO. E s stellt eine stechend riechende, wasserhelle, an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit vom Schmelzpunkt —23° und Siedepunkt 136.5° dar, welche von Wasser unter Bildung von Titansäure zersetzt wird : T i C l 4 + 2 H 2 0 —>- T i 0 2 + 4 H C 1 . Mit Lithiumalanat setzt sich Titan(IV)-chlorid in ätherischer Lösung bei —110° unter Bildung eines farblosen, festen, ätherunlöshchen Titan - aluminium - Wasserstoffs TiH 4 · 4 AlHg = Ti(AlH 4 ) 4 („Titan-alanat") um, der oberhalb — 90° in Titan, Aluminium und Wasserstoff zu zerfallen beginnt. Durch Anlagerung von Alkalichloriden an Titan(IV)-chlorid entstehen die gelben Hexachloro-titanate Me 2 [TiCl e ]. Leitet man ein Gemisch von TiCl 4 -Dampf und Wasserstoff durch eine auf 400° erhitzte Röhre, so entsteht das dunkelviolette, kristalline Titan (III)-Morid TiCl 3 , das mit Wasser wie das Chrom(III)-chlorid (S. 494) Hexahydrate TiCl 3 · 6 H 2 0 von grüner und violetter Farbe bildet. Bei stärkerem Erhitzen disproportioniert sich das wasserfreie Trichlorid in Titan(IV)-chlorid und schwarzes Titan(II)-chlorid TiCl 2 . Die Verbindungen des dreiwertigen Titans lassen sich leicht zu solchen des vierwertigen Titans oxydieren und wirken daher reduzierend. Von dieser Reduktionswirkimg macht man in der Maßanalyse Gebrauch (,,Titanometrie").
2. D a s Zirkon Elementares Zirkon. Zirkon kommt in der Natur hauptsächlich als S i l i c a t ZrSi0 4 („Zirkon") und als D i o x y d Zr0 2 („Zirkonerde") vor. Seine B e i n d a r s t e l l u n g kann in analoger Weise wie die des Titans (S. 483) durch t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g des T e t r a j o d i d s erfolgen: ZrJ 4 >-Zr + 2 J 2 . In P u l v e r f o r m erhält man es bei der Reduktion von Z i r k o n ( I V ) f l u o r i d ZrF 4 (als Doppelsalz K 2 [ZrF e ]) mit N a t r i u m . Chemisch reines Zirkon ist ein verhältnismäßig weiches, biegsames und hämmerbares Metall, welches bei I860 0 schmilzt, oberhalb 2900° siedet und ein spezifisches Gewicht von 6.52 besitzt. In P u l v e r f o r m verbrennt das Metall an der L u f t unterhalb Botglut; k o m p a k t e s Zirkon wird von Sauerstoff erst bei W e i ß g l u t oxydiert. C h l o r g a s setzt sich mit Zirkon bei dunkler Rotglut zu Zirkon(IV)-chlorid um. Salzs ä u r e , S a l p e t e r s ä u r e und S c h w e f e l s ä u r e greifen Zirkon — auch in der Wärme — nur wenig an; dagegen wirken K ö n i g s w a s s e r und F l u ß s ä u r e schon bei gewöhnlicher Temperatur rasch ein. In seinen Verbindungen ist Zirkon hauptsächlich v i e r w e r t i g , doch tritt es wie Titan auch zwei- und dreiwertig auf. Zirkonverbindungen. S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n . Zirkondioxyd (Zirkonerde) Zr0 2 ist ein weißes, gegen Säuren und Alkalien sehr beständiges Pulver, das sich erst bei 2700° zu einer dem Quarzglas ähnelnden glasartigen Masse zusammenschmelzen läßt. Wegen seiner chemischen, thermischen und mechanischen Widerstandsfähigkeit dient es zur Herstellung von Schmelztiegeln und anderen feuerfesten chemischen Geräten. Erhitzt man Zirkonerde auf s e h r h o h e T e m p e r a t u r e n , so strahlt sie ein b l e n d e n d w e i ß e s L i c h t aus. Von dieser Eigenschaft machte man früher bei der „NERNST-Lampe" Gebrauch, bei der ein Zirkonerdestäbchen („NERNST-Stift") aus 85°/0 Zr0 2 und 15% Y 2 0 3 elektrisch auf über 2000° erhitzt wurde. Daa aus sauren Zirkon(IV)-salzlösungen durch Ammoniak als voluminöser Niederschlag gefällte Zir1con(IV)-hydroxyd Zr(OH)4 ist stärker basisch und schwächer sauer als die entsprechende Titanverbindung. So bildet es mit S c h w e f e l s ä u r e ein h y d r o l y s e b e s t ä n d i g e s Sulfat Zr(S0 4 ) 2 , während es in A l k a l i e n u n l ö s l i c h ist. Erst beim S c h m e l z e n m i t A l k a l i e n geht es in Zirkonate wie Na 2 ZrO s und Na 4 Zr0 4 über, die durch Wasser leicht zersetzt werden. H a l o g e n v e r b i n d u n g e n . Zirkon(IV)-chlorid ZrCl4 entsteht analog dem Titanchlorid aus Zirkondioxyd, Chlor und Kohle und bildet ein weißes Pulver, das durch Wasser zu einem basischen Chlorid ZrOCl2 hydrolysiert wird. Mit Chloriden bildet es Hexachloro-zirkonaie Me2[ZrCle]. 1
Als komplexe Säure H 2 [Ti0 2 (S0 4 ) 2 ].
Dae Zirkon — Das Hafnium — Das Thorium
485
3. Das Hafnium Das Hafnium kommt nicht in Form selbständiger Mineralien, sondern nur als B e gleiter des Zirkons (mit Gehalten von 1—5% Hf) vor. Es ist in der Natur häufiger als Kobalt, Zinn, Arsen, Antimon und Silber, wird aber wegen der völligen Gleichheit der Ionenradien von Zr4+ und Hf 4+ vom Zirkon so g e t a r n t (S. 468), daß es erst im Jahre 1922 von dem ungarischen Chemiker GEORG V. H E V E S Y entdeckt wurde. Die Trennung von Zirkon und Hafnium macht größte Schwierigkeiten und gelingt unter anderem durch mühsame fraktionierte Kristallisation der Doppelfluoride K2[MeF„] bzw. (NH4)3[MeFe]. Die D a r s t e l l u n g des metallischen Hafniums erfolgt durch Reduktion des T e t r a c h l o r i d s mit N a t r i u m oder des Oxyds mittels Calcium und Natrium. Das so erhaltene R o h hafnium wird dann in der beim Titan (S. 483) geschilderten Weise auf dem Wege über das T e t r a j o d i d in reines H a f n i u m verwandelt (Temperatur des Gefäßes 400—600°; Temperatur des Wolframdrahtes 1750°). Das reine Hafniummetall besitzt einen hohen Glanz, kann leicht gezogen und gewalzt werden und ist gut schmied- und hämmerbar. Das spezifische Gewicht beträgt 13.31, der Schmelzpunkt liegt bei 2210°, der Siedepunkt oberhalb 3200°. An der L u f t überzieht sich Hafnium mit einer dünnen O x y d h a u t . Im Chlorstrom reagiert es beim Erwärmen unter Feuererscheinung. Mit S t i c k s t o f f und K o h l e n s t o f f vereinigt es sich bei hoher Temperatur unter Bildung von N i t r i d bzw. Carbid. In seinen bisher dargestellten Verbindungen ist es ausschließlich v i e r w e r t i g .
Dae bei 3050° schmelzende Hafniumdioxyd Hf0 2 ist etwas basischer als das Zirkondioxyd. Das Hafniumteirachlorid HfCl4 stellt eine weiße, bei 432° schmelzende Substanz dar.
4. Das Thorium Als A c t i n i d e n - E l e m e n t (S. 431) steht das T h o r i u m in enger Beziehung zu den seltenen Erdmetallen und findet sich daher in der N a t u r zusammen mit diesen. Das technisch wichtigste Ausgangsmaterial zur Gewinnung des Thoriums und seiner Verbindungen ist der M o n a z i t s a n d (S. 468). Zur Abtrennung des Thoriums von den seltenen Erden schließt man diesen Monazitsand mit heißer konzentrierter S c h w e f e l s ä u r e auf und fällt aus der auf 0° abgekühlten Sulfatlösung mit O x a l s ä u r e die Oxalate der seltenen Erden und des Thoriums. Bei der Behandlung der Oxalate mit warmer, gesättigter A m m o n i u m o x a l a t l ö s u n g geht das T h o r i u m o x a l a t zum Unterschied von den übrigen Oxalaten als komplexes Oxalat i n L ö s u n g , aus der es dann beim Ansäuern wieder ausfällt. Reines metallisches Thorium läßt sich wie Titan, Zirkon und Hafnium durch t h e r m i s c h e Z e r s e t z u n g des J o d i d s T h J 4 erhalten. Es schmilzt bei 1845°, siedet bei 3530°, besitzt das spezifische Gewicht 11.71, ist gegen L u f t bei Zimmertemperat u r sehr beständig und löst sich kaum in S ä u r e n , überhaupt nicht in A l k a l i e n . Über seinen radioaktiven Zerfall vgl. S. 546ff. Technische Verwendung findet hauptsächlich das beim Glühen von Thoriumhydroxyd oder von Thoriumsalzen flüchtiger Säuren (ζ. B. Thoriumnitrat) hinterbleibende weiße Thoriumdioxyd T h 0 2 (Smp. 3050°). Es besitzt die Eigenschaft, in einer BuNSEN-Flamme ein h e l l e s L i c h t auszustrahlen, dessen I n t e n s i t ä t durch Zusatz von Oer (Maximum der Ausbeute an sichtbarem Licht bei einem Gehalt von 99.1% T h 0 2 und 0.9% Ce0 2 ) noch g e s t e i g e r t wird. Hiervon macht man beim G a s g l ü h l i c h t s t r u m p f („A UER-Sirumpf") Gebrauch. Man stellt diese Glühstrümpfe her, indem man ein lockeres, zyKnder-konisches oder halbkugeliges G e w e b e aus Baumwolle, Ramiefaeer oder Kunstseide mit einer konzentrierten Lösung von T h o r i u m - und C e r n i t r a t t r ä n k t und dann v e r b r e n n t . Das dabei zurückbleibende O x y d g e r ü s t behält die Form des Gewebes bei und wird zur Stabilisierung für den Transport mit K o l l o d i u m lösung getränkt. Entzündet man diese Glühstrümpfe über einer G a s f l a m m e , so verbrennt das Kollodium, und das feinmaschige O x y d g e r ü s t strahlt ein i n t e n s i v e s L i c h t aus.
Kapitel XXI
Die Vanadingruppe 1. Das Vanadin Elementares Yanadin. Spuren von Vanadin finden sich in zahlreichen Eisenerzen, Tonen, Basalten und Ackerböden. Unter den ausgesprochenen V a n a d i n e r z e n sind zu nennen: der in Peru vorkommende Patrónit (Vanadinsulfid), der dem Apatit Cag(P04)sCl entsprechende Vanadinit (chlorhaltiges Bleivanadat) und der in Colorado vorkommende Roscoelit (Vanadinglimmer). Die D a r s t e l l u n g des Metalls gelingt durch Reduktion von V a n a d i n p e n t o x y d mit Aluminium oder C a l c i u m : V 2 0 6 + δ Ca
960
V 2V + 5CaO.
Reines Vanadin (spezifisches Gewicht 5.98) ist stahlgrau, nicht brüchig, läßt sich kalt bearbeiten, schmilzt bei 1715° und siedet bei 3000°. An der L u f t bleibt es wochenlang blank, von S ä u r e n wird es nur langsam angegriffen. Bei Weißglut vereinigt es sich mit K o h l e zu einem silberweißen, bei 2830° schmelzenden und bei 3900° siedenden C a r b i d VC, mit S t i c k s t o f f zu einem grauen N i t r i d VN (Smp. 2050°). In seinen chemischen Verbindungen ist es fünf-, vier-, drei- und zweiwertig. Die b e s t ä n d i g s t e Stufe ist die f ü n f w e r t i g e . In Form einer E i s e n l e g i e r u n g mit etwa 50% V („Ferrovanadin") wird es im elektrischen Ofen durch Reduktion von Vanadin- und Eisenoxyd mit Kohle gewonnen und als Zusatz zur Fabrikation eines zähen, harten, erschütterungsfesten S p e z i a l s t a h l s („Vanadinstahl") verwendet. Yanadinverbindungen. S a u e r s t o f f v e r b i n d u n g e n . Das beständigste Oxyd des Vanadins ist das Vanadinpentoxyd Y E s entsteht beim Glühen vieler Vanadinverbindungen an der Luft, stellt ein braunrotes, wasserunlösliches, unzersetzt schmelzendes Pulver dar und bildet leicht kolloide Lösungen mit stäbchenförmigen Ultramikronen. Beim Erhitzen mit gelinden Reduktionsmitteln geht es in das tiefdunkelblaue, fast schwarze Dioxyd YOa, beim Glühen im Wasserstoffstrom in das glänzend schwarze Trioxyd V 2 0 3 über. Mit Alkalien vereinigt sich das Vanadinpentoxyd analog dem Phosphorpentoxyd zu Vanadaten. In stärker alkalischer Lösung (p^ > 1 1 ) haben diese Vanadate die Formel Me 3 V0 4 , leiten sich also von einer Orthovanadinsäure H s V 0 4 ab. Bei Zusatz von Säure erfolgt wie bei der Kieselsäure (vgl. S. 317ff.) eine Molekülvergrößerung unter Wasserabspaltung, wobei Salze von Ρolyvanadinsäuren der allgemeinen Formel H n + 2 V n 0 3 l l + 1 entstehen: nH3V04 ^
( n - 1 ) HaO + Hn + 2 V n 0 3 n + 1 .
Durch besondere Stabilität zeichnen sich dabei die D i v a n a d a t e V 2 0 7 " " (p H = 9—11), T e t r a v a n a d a t e („Metavanadate") H 2 V 4 0 1 3 " " (pn = 7—9) und P e n t a v a n a d a t e H 3 V 5 0 1 6 " " (ph = 2—7) aus. Erwähnenswert ist das in Wasser schwer lösliche, in gesättigter Salmiaklösung unlösliche A m m o n i u m - m e t a v a n a d a t (NH 4 ) 4 H 2 V 4 0 1 3 , das beim Glühen an der Luft in Vanadinpentoxyd übergeht und zur A b t r e n n u n g und q u a n t i t a t i v e n B e s t i m m u n g des Vanadins dienen kann.
Das Vanadin — Das Niob und Tantal — Das Protactinium
487
Die Fähigkeit zur Bildung höherkondensierter Säuren ist nicht auf das Vanadin beschränkt, sondern findet sich auch bei verschiedenen anderen Metallen, z. B. Niob, Tantal, Arsen, Molybdän, Wolfram. Man faßt diese höherkondensierten Säuren unter der Bezeichnung „Isopolysäuren" zusammen (vgl. S. 498f.).
Reduziert man eine salzsaure Yanadinsäurelösung, so färbt sie sich unter Bildung von Salzen des vier-, drei- und zweiwertigen Vanadins zunächst blau, dann grün und schließlich grauviolett. An der Luft oxydieren sich diese niedrigen Oxydationsstufen wieder zur Stufe des fünfwertigen Vanadins. Dieser leichte Wechsel der Oxydationsstufe, der dem Vanadin eigentümlich ist, bedingt seine Verwendbarkeit als sauerstoffübertragender K a t a l y s a t o r bei Oxydationsreaktionen (vgl. S. 201). Halogenverbindungen. Von reinen Halogenverbindungen des fünfwertigen Vanadins ist nur das weiße, feste, in Wasser mit rotgelber Farbe lösliche Pentafluorid VFS bekannt. Dagegen kennt man noch ein dem Phosphor-oxychlorid POCl3 entsprechendes Vanadin-oxychlorid V0C13, eine gelbe, bei 127° siedende Flüssigkeit, welche wie P0C13 von Wasser zersetzt wird. Die niederen Chloride des Vanadins sind alle intensiv gefärbt : VC14 ist eine dunkelbraunrote, in Wasser mit blauer Farbe lösliche Flüssigkeit; VC13 bildet pfirsichblütenrote, dem Chromchlorid CrCl3 ähnliche, in Wasser mit grüner Farbe lösliche Tafeln; die grünen, glimmerglänzenden Tafeln des Dichlorids VC12 lösen sich in Wasser mit grauvioletter Farbe.
2. Das Niob und Tantal N i o b 1 und T a n t a l finden sich in der Natur hauptsächlich als E i s e n n i o b a t (Fe, Mn) - 2Na2Cr04 + 3KN0 2 + 2COa.
Eine große technische Bedeutung hat auch die R e g e n e r i e r u n g von C h r o m a t aus den in den Farbstoff-fabriken anfallenden schwefelsauren C h r o m ( I I I ) - s u l f a t -
Die Chromgruppe
490
l ö s u n g e n (vgl. unten). Sie erfolgt heute ausschließlich auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e durch a n o d i s c h e O x y d a t i o n : 2Cr'" + 7H 2 0 Cr 2 0 7 " + 1 4 H ' + 6 θ · (1) Als E l e k t r o d e n dienen B l e i - e l e k t r o d e n ; Kathoden- und Anodenraum sind durch ein Tondiaphragma voneinander getrennt. Die regenerierten sauren Dichromatlösungen dienen in Umkehrung von Gleichung (1) zu neuen Oxydationszwecken. Im Kathodenraum erfolgt bei der Chxomsäure-Regenerierang eine Wasserstoffentwicklung, also A b n a h m e der Säure-konzentration (6H* + 6 θ — 3 H ¡ ¡ ) , im Anodenraum dagegen gemäß (1) eine Z u n a h m e der Wasserstoffionen-konzentration. Daher verfährt man in der Praxis so, daß man jeweils nur die säurereiche Anodenflüssigkeit zu neuen Oxydationszwecken benutzt, während die an Säure verarmte Kathodenflüssigkeit anschließend in den Anodenraum und die ausgebrauchte Chromatlösung des Oxydationsbetriebes in den Kathodenraum übergeführt wird usw.
Eigenschaften. Säuert man die v e r d ü n n t e Lösung eines Chromats mit v e r d ü n n t e r Säure an, so schlägt die g e l b e Farbe der C h r o m a t l ö s u n g in die o r a n g e n e Farbe des D i c h r o m a t s um, da das beim Ansäuern primär entstehende Hydrogenchromat (Cr0 4 " + H " —>• HCr0 4 ') nicht wie das entsprechende Hydrogensulfat (S. 207) erst in der Hitze und bei Wasserausschluß, sondern bereits in wässeriger Lösung und bei Zimmertemperatur Wasser abspaltet (2HCr0 4 ' H 2 0 + Cr 2 0 7 ") : 2Cr0 4 " + 2H· ^ ± 1 Cr 2 0 7 " + H 2 0 . gelb
(2a)
orange
Entsprechend diesem Gleichgewicht (2) enthält jede Chromatlösung auch Dichromationen und jede Dichromatlösung auch Chxomat-ionen. Durch Vergrößerung und Verkleinerung der Wasserstoffionen-konzentration kann das Gleichgewicht willkürlich nach rechts und links verschoben werden. Hiervon macht man ζ. B. zur Trennung von B a r i u m und S t r o n t i u m Gebrauch, indem man in einer Dichromatlösung durch Einstellung eines bestimmten Wertes (abgestumpfte essigsaure Lösung) eine Chromationen-konzentration erzeugt, die zur Ausfällung von B a r i u m c h r o m a t (Leacro, = IO-9·'), nicht aber zur Überschreitung des größeren Löslichkeitsprodukts von S t r o n t i u m c h r o m a t (L Sr c r o, = ΗΓ4·4) ausreicht. I n k o n z e n t r i e r t e r und s t ä r k e r s a u r e r Lösung findet eine K o n d e n s a t i o n über die Stufe des Dichromats hinaus unter Bildung von T r i c h r o m a t Cr 3 O 10 ", T e t r a c h r o m a t Cr 4 0 1 3 " und noch höheren ,,Polychromaten" [Cr n 03 n + i] " statt ; z. B. : 2Cr 2 0 7 " + 2H- Ä allgemein: 2Cr n O sn+1 " + 2H"
Cr 4 0 13 " + HaO, Cr n .0 3n . +1 " + H 2 0
(n' = 2n).
(2b) (2e)
Parallel damit verschiebt sich die Farbe der Lösung vom ursprünglichen G e l b über O r a n g e nach H o c h r o t hin. Versetzt man schließlich eine k o n z e n t r i e r t e Chromatlösung mit k o n z e n t r i e r t e r Schwefelsäure, so erhält man das intensiv rote, hochpolymere Chromsäure-anhydrid (Cr0 3 ) x , da sich unter der wasserentziehenden Wirkung der Schwefelsäure keine Polychromsäure H 2 Cr n 0 3 n + l bilden kann: mH 2 Cr n 0 3n+1
ν (Cr03)x + mH 2 0 (x = m-n).
Die c h a r a k t e r i s t i s c h s t e Eigenschaft der Chromate ist ihre starke o x y d i e r e n d e W i r k u n g , da sie ein großes Bestreben haben, in die Stufe des d r e i w e r t i g e n Chroms überzugehen : Cr0 4 " + 8H' + 3 Q — > Cr'" + 4H 2 0, Cr 2 0 7 " + 14H' + 6 θ — > · 2Cr"· + 7 H 2 0 .
(3)
Die Oxydationswirkung ist, wie aus vorstehenden Gleichungen hervorgeht, in s a u r e r Lösung besonders stark. Daher finden s c h w e f e l s a u r e D i c h r o m a t l ö s u n g e n in der T e c h n i k (z.B. in Farbstoff-fabriken) ausgedehnte Verwendung zu O x y d a t i o n s z w e c k e n . Das Chrom geht beim Oxydationsprozeß in C h r o m (III)-sulf a t über (3), das elektrolytisch wieder in Dichromat zurückverwandelt wird (1).
Das Chrom
491
Die den normalen Chromaten zugrundeliegende Chromsäure H 2 Cr0 4 , die zum Unterschied von der Schwefelsäure H 2 S0 4 nur in verdünnter wässeriger Lösung bekannt ist, ist in e r s t e r Stufe (H 2 Cr0 4 H* + HCr0 4 ') s t a r k , in z w e i t e r Stufe (ΤΤ(ΊΓΠ4' —>- H ' -[- firO)") dagegen nur s e h r w e n i g dissoziiert. Dementsprechend reagieren die Alkalichromate in wässeriger Lösung alkalisch : Cr0 4 " + HÖH
HCrO/ + OH'.
Ώίβ HydrogenchromateHCr04', die ebenfalls zum Unterschied von den Hydrogensulfaten HSO4' nur in wässeriger Lösung bekannt sind, reagieren naturgemäß in rein wässeriger Lösung schwach sauer. Das gleiche gilt von den Dichromaten Cr 2 0 7 ", die ja mit den Hydrogenchromaten im Gleichgewicht stehen (S. 490). Das schwerstlösliche Chromat ist das rote Quecksilber(I)chromat Hg 2 Cr0 4 . Es löst sich zum Unterschied von allen anderen schwerlöslichen Chromaten (ζ. B. Bleichromat PbCr0 4 , Bariumchromat BaCr0 4 ) auch nicht in verdünnter Salpetersäure und wird zur quantitativen Fällung und Bestimmimg von Chrom benutzt, da es beim Glühen in das direkt wägbare Chrom(III)-oxyd Cr 2 0 8 übergeht. Das gelbe Bleichromat PbCr0 4 dient unter dem Namen „Chromgelb" als Malerfarbe (S. 349). Chrom (TI)-oxyd OO3. Das den Chromaten zugrundeliegende und aus ihnen durch Zusatz konzentrierter Schwefelsäure (vgl. S. 490) gewinnbare Chrom{VI)-oxyd Cr0 3 bildet lange, rote, leicht lösliche, bei 198° schmelzende Nadeln, die sich in v i e l W a s s e r mit g e l b e r Farbe zu C h r o m s ä u r e , in w e n i g W a s s e r mit g e l b l i c h r o t e r bis r o t e r Farbe zu P o l y c h r o m s ä u r e n lösen. Es zersetzt sich bei 250° leicht in Chrom (III)-oxyd Cr,0 _„, , , ^ „ , „ 2 3 und Sauerstoff: 5.3 kcal + 2CrOs —>• Cr2n03 + IV2O2 lind stellt wegen der leichten Sauerstoffabgabe ein s e h r k r ä f t i g e s O x y d a t i o n s m i t t e l dar. So kann man beispielsweise seine wässerige Lösung nicht durch Papierfilter filtrieren, da diese oxydiert werden. Leitet man trockenes A m m o n i a k über CrOg-Kristalle, so wird es unter Feuererscheinung zu S t i c k s t o f f oxydiert: 2NH S + 2CrOs
>- N a + Cr2Os + 3 H 2 0 + 109 kcal.
(4)
Erhitzt man daher einen großen A m m o n i u m d i c h r o m a t - K r i s t a l l an einer Stelle: (NH 4 ) 2 Cr 2 0 7 —>• 2NH3 -f- 2Cr0 3 +H 2 0, so schreitet die gemäß (4) beginnende Reaktion unter lebhaftem Glühen und Rauschen (Stickstoffentwicklung) und unter Bildung von lockerem, grünem Cr 2 0 3 -Pulver durch die ganze Masse hindurch fort. Chromylchlorid CrO^Clj. Als Chlorid der Chromsäure kann das Chromylchlorid Cr02Cl2 durch Einwirkung von S a l z s ä u r e auf C h r o m s ä u r e gewonnen werden: 0 2 Cr/
OH + HCl OH + HCl ^ ^
.Cl + HÖH 0 2 Cr< . \ C 1 + HÖH
(5)
Da die Reaktion u m k e h r b a r ist und das Chromylchlorid durch Wasser leicht wieder rückwärts in Chromsäure und Salzsäure zerlegt wird, muß man bei der Darstellung das entstehende W a s s e r durch k o n z e n t r i e r t e S c h w e f e l s ä u r e binden. Dementsprechend erhitzt man ein Gemisch von K a l i u m c h r o m a t (oder -dichromat) und K a l i u m c h l o r i d mit k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e . Das Chromylchlorid destilliert dabei als dunkelrote Flüssigkeit vom Siedepunkt 116.7° und Erstarrungspunkt —96.5» ab. In der a n a l y t i s c h e n Chemie macht man von der umkehrbaren Reaktion (5) zum N a c h w e i s v o n C h l o r i d e n neben Bromiden und Jodiden Gebrauch, indem man die auf Chloride zu prüfende Substanz nach Zusatz von D i c h r o m a t mit k o n z e n t r i e r t e r S c h w e f e l s ä u r e (Verschiebung des Gleichgewichts (5) nach rechts) erhitzt und die entstehenden Dämpfe in N a t r o n l a u g e (Verschiebung des Gleichgewichts (5) nach links) einleitet. Die Anwesenheit von Chloriden gibt sich dabei durch die Bildung von gelbem Chromat zu erkennen, das als solches nachgewiesen werden kann. B r o m i d e und J o d i d e gehen bei der Reaktion zum Unterschied von den Chloriden in elementares B r o m und J o d über.
Die Chromgruppe
492
β . Peroxy-chromate Es existieren z w e i G r u p p e n von Peroxy-Verbindungen des Chroms. Die Verbindungen der einen Gruppe (Me2Cr2012) werden durch Oxydation von D i c h r o m a t e n gewonnen („Peroxy-dichromate") und sind b l a u . Die Verbindungen der anderen Gruppe (Me3Cr08) entstehen bei der Oxydation von C h r o m a t e n („Peroxy-chromate") und sind rot. Peroxy-dichromate MegCrgOig. Die Peroxy-dichromate Me 2 Cr 2 0 12 werden zweckmäßig durch vorsichtiges Zugeben von 30°/oigem W a s s e r s t o f f p e r o x y d zu D i c h r o m a t l ö s u n g e n unter Eiskühlung gewonnen: Cr 2 0 7 " + 5 H 2 0 2 — > - Cr2012" + 5 H 2 0 .
Sie bilden dunkelblaue Kristalle und unterscheiden sich in ihrem Aufbau dadurch von den Dichromaten, daß fünf Sauerstoffatome des Dichromat-moleküls (a) durch 0 2 Gruppen (Peroxy-gruppen) ersetzt sind (b) : 0 0 OCr OCr 0 0 0 (a)
Me+ Me+
Γ 0η2
— r> 0 2 1—
Me+ 0 Cr 0 2 Cr 0 Me+ . 02 0a (b)
(1)
Somit stellen die P e r o x y - d i c h r o m a t e eine wesentlich höhere Oxydationsstufe als die P e r o x y - d i s u l f a t e dar, bei denen nur das Brückensauerstoffatom zwischen den beiden Zentralatomen durch eine Peroxygruppe ersetzt ist (S. 198). Das C h r o m a t o m ist in den Peroxy-dichromaten wie in den Dichromaten s e c h s w e r t i g , da durch die Anlagerung von Sauerstoffatomen an die O-Atome des Dichromat-ions ( C r : Ö : + Ö : —> Cr : 0 : 0 : j naturgemäß nichts an der Valenzbetätigung der sechs Außenelektronen des Chroms geändert wird. Die blauvioletten, wässerigen L ö s u n g e n der Peroxy-dichromate zersetzen sich leicht unter S a u e r s t o f f e n t w i c k l u n g und Rückbildung der ursprünglichen D i ehr ornate : ^ ^ + Bei gleichzeitiger Gegenwart von W a s s e r s t o f f p e r o x y d führt die Reduktion in saurer Lösung darüber hinaus bis zur Stufe des d r e i w e r t i g e n C h r o m s (H 2 Cr 2 0 12 + 8 H 2 0 2 — > Cr 2 0 3 + 9 H 2 0 + 8 0 , ) . Genau wie sich die Dichromate (la) auch als Anlagerungsprodukte von Cr0 3 an Chromate Cr0 4 " auffassen lassen, kann man die Peroxy-dichromate (lb) auch als Additionsverbindungen von Cr0 5 an Peroxy-chromate Cr0 7 " ansehen, wobei sich das Chromperoxyd Cr0 5 vom Chromoxyd Cr0 3 gemäß (1) durch Ersatz zweier Sauerstoffatome durch Peroxygruppen ableitet:
O OCr O
02 O Cr 02
(a)
(b)
(2)
Schüttelt man wässerige blaue P e r o x y - d i c h r o m a t l ö s u n g e n mit Ä t h e r aus, so läßt sich dieses Chromperoxyd Cr0 6 (2 b) als beständige blaue Ä t h e r - A n l a g e r u n g s v e r b i n d u n g Cr0 6 · 0R a in den Äther überführen. Hiervon macht man zum analytischen N a c h w e i s v o n C h r o m a t e n und D i c h r o m a t e n Gebrauch, indem man eine mit Äther versetzte schwefelsaure Wasserstoffperoxydlösung mit der auf Chromat zu prüfenden Lösung schüttelt; die Anwesenheit von Chromat macht sich dann durch eine i n t e n s i v e B l a u f ä r b u n g der — spezifisch leichteren und daher auf der wässerigen Lösung schwimmenden — Ä t h e r s c h i c h t bemerkbar.
Peroxy-chromate Me:(CrOg· Die roten Peroxy-chromate Me 3 Cr0 8 entstehen bei der Einwirkung von 30%igem W a s s e r s t o f f p e r o x y d auf a l k a l i s c h e C h r o m a t l ö s u n g e n bei Eiskühlung. Bei dieser Umsetzung wären eigentüch Peroxy-chromate
493
Das Chrom
der Zusammensetzung Me2CrOg zu erwarten (3). Diese sind aber nicht faßbar und gehen als starke Oxydationsmittel unter Oxydation von OH' zu H 2 0 2 (2OH' — > H 2 0 2 + 2 Θ) in Peroxy-chromate Me 3 Cr0 8 mit fünf wertigem Chrom über (Cr0 8 " + θ —>• Cr0 8 "') : 2CT04" + 8H 2 0 2 2CrO„ ' + 20H' 2CT04" + 7HaOa + 2 OH'
2Cr(0 2 ) 4 " + 8 H 2 0
(3) (4) (5)
2CrOg/// + HaOa >- 2Cr0 8 '" + 8H 2 0.
Der Zusammenhang zwischen dem Peroxychromat-ion Cr0 8 "' (6b) und dem Chromation Cr0 4 " (6a) geht aus folgender Gegenüberstellung hervor: O O Cr O
O
Me+ Me+
(a)
0 2 Cr Oj,
02
Me+ Me+
(6)
Me+
(b)
aus der man ersieht, daß die Sauerstoffatome des Cr0 4 -Ions durch Peroxygruppen ersetzt sind. Auch andere Metalle Me, ζ. Β. Titan, Zirkon, Niob, Tantal, Molybdän, Wolfram und Uran sind imstande, Peroxyverbindungen mit der Atomgruppierung n —8 02 0 , Me 0 2 Oa zu bilden, wobei η die Gruppennlimmer und Wertigkeit des Zentralatoms darstellt. Die von der Gruppennummer V I abweichende F ü n f Wertigkeit des Chroms in den Peroxy-chromaten Cr0 8 "' wird durch die Isomorphie der Peroxy-chromate mit den Peroxy-niobaten Me3[NbOg] und Peroxy-tantalaten Me3 [Ta0 8 ], sowie durch magnetische Messungen (S. 481) bewiesen. Auch das dem Chrom benachbarte M a n g a n ist befähigt, mit niedrigerer als der Gruppenwertigkeit in Peroxyverbindungen des obigen Typus einzutreten. Schreibt man die den Komplexformeln (1), (2) und (6) zugrundeliegenden E l e k t r o n e n formeln gemäß den früher (S. 154ff.) gegebenen Regeln in V a l e n z s t r i c h f o r m e l n um, so erhält man die Formelbilder:
O II
O II
II O
II O
0—0
Me—0—Cr—0—Cr—O—Me
O II
O
(7)
0—0 o—o
II
X
Me—O-yCr-^-O—O-^Cr-^-O—Me
0—0
0=Cr O.
0—0
(8)
0—0 O—Me Me
(a)
Ov /O—O—Me I >CrM3—O—Me . / 0 \0—O—Me (b)
(9)
Diese — in Lehrbüchern häufig noch anzutreffenden — Formeln (7), (8) und (9) sind zwar vom rein formalen Standpunkt aus ebenfalls „richtig", lassen aber in keiner Weise den wirklichen Bau der Moleküle und die Zusammenhänge zwischen Peroxyverbindungen und einfachen Chrom-Sauerstoffverbindungen erkennen, wie dies bei der — die Elektronenformeln symbolisierenden — komplexen Schreibweise (1), (2) und (6) der Fall ist. Auch hier bestätigt sich also wieder die früher (S. 156) schon betonte Überlegenheit der Elektronenformeln gegenüber den Valenzstrichformeln.
494
Die Chromgruppe
c. Chrom(III)-Verbindungen Chrom (III)-hydro xyd Cr(0H) 3 fällt beim Versetzen einer C h r o m ( I I I ) - s a l z lösung mit Ammoniak als bläulich-graugrüner, wasserreicher Niederschlag aus. Als a m p h o t e r e s Hydroxyd löst es sich wie Aluminiumhydroxyd Al(OH)3 sowohl in S ä u r e n wie in B a s e n auf. Im ersteren Falle entstehen Chrom (III)-salze Cr"', im letzteren Chromite Cr(OH) 4 ': C r " -
- 9 Mn + 4 A1208 + 602 kcal. Aber auch diese hat keine technische Bedeutung, da das reine Metall praktisch nicht verwendet wird. Von technischer Bedeutung sind dagegen die Eisen-Mangan-Legierungen mit einem Mangangehalt von 4—5% („Stahleisen"), 5—20% („Spiegeleisen") und 30—90% („Ferromangan"). Sie dienen hauptsächlich als Desoxydationsmittel bei der Flußstahlerzeugung (S. 512) und zur Gewinnung von „Manganstahl" und werden aus einem Gemisch von Koks, Mangan- und Eisenerzen im Hochofen bzw. elektrischen Ofen gewonnen. Eigenschaften. Metallisches Mangan ist silbergrau, hart und sehr spröde. Es schmilzt bei 1247°, siedet bei 2030° und besitzt ein spezifisches Gewicht von 7.21. Da es in der Spannimgsreihe oberhalb des Wasserstoffs steht, wird es von Säuren (langsam auch schon von Wasser) unter Wasserstoffentwicklung angegriffen. Beim Erhitzen an der Luft verbrennt es zu Mn 3 0 4 . In seinen chemischen Verbindungen ist Mangan zwei-, drei-, vier-, fünf-, sechsund siebenwertig. Die beständigsten Oxydationsstufen sind die des zwei- und siebenwertigen Mangans. Die Basizität (Acidität) der Oxyde nimmt mit steigender Wertigkeit des Mangans ab (zu). So ist das Mangan (II)-oxyd MnO ein ausgesprochenes Base-anhydrid: MnO + H 2 0—>-Mn(OH) 2 , das Mangan(VII)-oxyd Mn207 dagegen ein ausgesprochenes Säure-anhydrid: Mn207 + H 2 0—>- 2HMn0 4 , während das Mangan(IV)-oxyd Mn02 amphoter ist und sich dementsprechend sowohl mit 1
technetos (τεχνητοί) = künstlich.
Das Mangan
503
Säuren (Mn0 2 + 4 H ' — > Μη"" + 2 H 2 0 ) wie mit Basen (Mn0 2 + 2 O H ' —>- M n 0 3 " + H 2 0 ) umsetzt.
b. Verbindungen des Mangans Mangan (II)-Verbindungen. Das Mangan(II)-oxyd MnO hinterbleibt beim Glühen der höheren Manganoxyde im Wasserstoffstrom als grünlich-graues Pulver, welches sich in Säuren leicht mit schwacher Rosafarbe unter Bildung von Mangan(II)-salzen löst. Das ihm entsprechende Mangan(II)-hydroxyd Mn(OH) a fällt beim Versetzen von Mangan(H)-salzlösungen mit Alkalien unter L u f t a b s c h l u ß als w e i ß e r Niederschlag aus, der sich zum Mangan(II)-oxyd MnO entwässern läßt : Mn(OH) 2 —>• MnO + H a O, während MnO durch Wasseranlagerung nicht umgekehrt wieder in das Hydroxyd übergeht. Nimmt man die Fällung des Hydroxyds an der L u f t vor, so färbt sich der weiße Niederschlag infolge Oxydation zu Mangan(IV)-oxydhydrat bald b r a u n . Mangan{II)-chlorid MnCl2 kristallisiert aus der wässerigen Lösung in Form des blaßroten Tetrahydrats MnCl2 · 4 H 2 0 aus und kann nur durch Erhitzen im C h l o r w a s s e r s t o f f s t r o m zum wasserfreien, weißen, bei 650° schmelzenden Chlorid e n t w ä s s e r t werden, da sonst H y d r o l y s e unter Chlorwasserstoffbildung erfolgt. Das beim Versetzen von Mangan(II)-salzlösungen mit Ammoniumsulfidlösung ausfallende Mangan(II)-sulfid MnS besitzt eine charakteristische Fleischfarbe, welche sonst keinem anderen Sulfid eigen ist. Mangan(II)-sulfat MnS0 4 hinterbleibt beim Abrauchen aller Manganoxyde mit Schwefelsäure bis zur beginnenden Rotglut als weißer Rückstand, der aus wässeriger Lösung je nach der Temperatur als Heptahydrat („Manganvitriol") MnS0 4 · 7 H 2 0 « 9°), Pentahydrat („Manganvitriol") MnS0 4 · 5 H 2 0 (9—27°) oder Monohydrat MnS0 4 · H 2 0 ( > 27°) auskristallisiert. Es bildet mit den Alkalisulfaten D o p p e l s a l z e vom Typus K 2 S 0 4 · MnS0 4 · 6 H 2 0 , welche mit den entsprechenden Verbindungen des Magnesiums, Zinks, Eisens usw. isomorph sind. Mangan (III) -Verbindungen. Mangan(III)-oxyd Mn 2 0 3 entsteht beim Erhitzen des Mangan(IV)-oxyds im Sauerstoffstrom als braunes Pulver und geht bei stärkerem Erhitzen an der Luft in das ebenfalls braun gefärbte Mangan(II,III)-oxyd Mn 3 0 4> das beständigste Manganoxyd, über. Von konzentrierter Schwefelsäure, Phosphorsäure, Salzsäure wird es unter Bildung rotvioletter, unbeständiger, leicht hydrolysierender Mangan(III)-salze gelöst. Mangan(IV)-Verbindungen. Die beständigste Mangan(IV)-Verbindung ist das Mangan(IV)-oxyd (Mangandioxyd) M n 0 2 . Es kommt in der Natur als Braunstein vor und kann künstlich durch Schmelzen der niederen Oxyde mit Kaliumchlorat oder durch Erhitzen des Mangan(II)-nitrats als schwarzes Pulver erhalten werden. Oberhalb 500° beginnt es merklich nach der umkehrbaren Reaktion 4Mn0 2 < > 2Mn¡¡03 + 0 2 zu dissoziieren; bei stärkerem Glühen geht es in Mn s 0 4 über. Als a m p h o t e r e s Oxyd setzt sich Mn0 2 sowohl mit S ä u r e n wie mit B a s e n um. I m ersteren Falle entstehen sehr unbeständige und daher leicht wieder zerfallende Mangan(IV)-„salze" (Mn0 2 + 4HC1—>- MnCl4 + 2 H 2 0 ; MnCl 4 ->- MnCl2 + Cl2), im letzteren Salze einer manganigen Säure H 4 Mn0 4 bzw. H 2 Mn0 3 („Manganite") : Mn0 2 + Ca(OH) 2 —>CaMn0 3 + H 2 0 . Mangan(V)-Verbindungen. Beim Eintragen von B r a u n s t e i n Mn0 2 und N a t r i u m o x y d N a 2 0 in eine N a t r i u m n i t r i t - Schmelze N a N 0 2 wird der Braunstein zu blauem Ν atrium-hypomanganat Na 3 Mn0 4 mit fünfwertigem Mangan o x y d i e r t : +4
+o
+5
2MnOz + 3 N a 2 0 — 2 λ % Μ η 0 4 .
(1)
Auch durch R e d u k t i o n von P e r m a n g a n a t (S. 504f.) oder M a n g a n a i (S. 504) in stark alkalischer Lösung mit N a t r i u m s u l f i t kann das Hypomanganat gewonnen werden :
504
Die Mangangruppe +5 +7 —o NaMn04 + Na 2 0 >• Na3Mn04.
(2)
Die Verbindung, die aus konzentrierter Natronlauge als Dekahydrat Na 3 Mn0 4 · 10 H 2 0 in Form hellblauer Prismen auskristallisiert und in konz. NaOH schwer, in konz. K O H leicht löslich ist, bildet mit Natriumphosphat, -arsenat und -vanadat M i s c h k r i s t a l l e und steht in stark alkalischer Lösung mit der v i e r - und s e c h s w e r t i g e n S t u f e des Mangans im D i s p r o p o r t i o n i e r u n g s g l e i c h g e w i c h t : +5 +6 +4 +4HOH 2Mn04 1 Mn0 4 " + Mn0 4 "" ( Mn0 2 + 2H 2 0 + 4 OH') . (3) Beim Verdünnen, Ansäuern oder Erhitzen der alkalischen Lösung verschiebt sich das Gleichgewicht (3) nach rechts, so daß die b l a u e Farbe der Lösung unter gleichzeitiger Ausscheidung von Braunstein in die g r ü n e Farbe des Manganate Mn0 4 " umschlägt. Mangan (VI)-Verbindungen. Ein Mangan(VI)-oxyd der Formel Mn0 3 und eine davon sich ableitende Mangansäure HgMnO,! sind nicht bekannt. Dagegen kennt man die Salze dieser Säure, die Manganate Me 2 Mn0 4 . Das K a l i u m m a n g a n a t K 2 Mn0 4 wird t e c h n i s c h als Zwischenprodukt der Kaliumpermanganatgewinnung (vgl. unten) durch Schmelzen von B r a u n s t e i n und Ä t z k a l i an der L u f t und Behandeln des Reaktionsproduktes mit Wasser in Form einer g r ü n e n L ö s u n g erhalten: Mn02 + V A + 2 KOH
>- K2Mn04 + H 2 0 .
Zur Darstellung im L a b o r a t o r i u m fügt man dem Schmelzgemisch zweckmäßig ein geeignetes O x y d a t i o n s m i t t e l (z. B. Salpeter oder Kaliumchlorat) zu {„Oxydationsschmelze"). Beim Verdunsten der Lösung im Vakuum kristallisiert das Kaliummanganat K 2 Mn0 4 in Form dunkelgrüner, metallglänzender, rhombischer Kristalle aus, welche mit Kaliumsulfat K 2 S 0 4 und Kaliumchromat K 2 Cr0 4 isomorph sind. S ä u e r t man Manganatlösungen a n , so schlägt die g r ü n e Farbe in eine v i o l e t t e um („mineralisches Chamäleon"), weil die entstehende freie Mangansäure in der sauren Lösung das grüne Manganai Mn0 4 " zu violettem P e r m a n g a n a t Mn0 4 ' oxydiert und dabei selbst in die niedrigere Oxydationsstufe der m a n g a n i g e n S ä u r e übergeht: +6 +β +7 +4 2 Mn0 4 " + H2Mn04 + 2H" 2Mn0 4 ' + H2Mn03 + H 2 0 . In a l k a l i s c h e r Lösung, in der dieses Gleichgewicht nach links verschoben ist, bleibt die Disproportionierung naturgemäß aus. Daher sind die Manganate in Natron- oder Kalilauge u n z e r s e t z t löslich. Mangan (VII)-Verbindungen. Will man die durch die Oxydationsschmelze aus Braunstein gewonnenen Kaliummanganatlösimgen q u a n t i t a t i v in Kaliumpermanganatlösungen überführen, so muß man ein O x y d a t i o n s m i t t e l zugeben: Mn0 4 " Mn04' + θ · In der Technik benutzte man früher C h l o r (Cl2 + 2 θ ->- 2C1') oder O z o n (0 3 + 2 H" + 2 θ —>- 0 2 + H 2 0). Heute erfolgt die Oxydation ausschließlich auf e l e k t r o l y t i s c h e m W e g e (anodischer Elektronenentzug). Das an der Kathode dabei gleichzeitig gebildete Ä t z k a l i (2HOH + 2 θ H 2 + 2 OH') dient zu neuem Aufschluß von Braunstein. Das Kaliumpermanganat KMn0 4 kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form metallisch schimmernder, tiefpurpurfarbener, in Wasser mit violetter Farbe löslicher Prismen aus, welche mit Kaliumperchlorat KC10 4 isomorph sind. Es stellt — auch in verdünnter Lösimg — ein s e h r s t a r k e s O x y d a t i o n s m i t t e l dar und geht bei solchen Oxydationsreaktionen in a l k a l i s c h e r L ö s u n g in B r a u n s t e i n (f 0 = + 0 . 5 7 V o l t ) : Mn04' + 2H20 + 3 θ —>" Mn02 + 4 OH', (4)
Das Rhenium
505
in s a u r e r L ö s u n g in M a n g a n (II)-salz (ε0 = + 1.52 Volt) über: Mn • Μη" + 4 H 2 0 .
(5)
Da bei den Oxydationsreaktionen in s a u r e r Lösung (5) die intensiv v i o l e t t e Farbe des Permanganats durch die s e h r s c h w a c h e Farbe des Mn"-ions ersetzt wird, kann man mit Permanganat in saurer Lösung ohne Indikator t i t r i e r e n {„Manganometrie"). So kann man z . B . E i s e n ( I I ) - s u l f a t (Fe"—>• Fe'" + Θ), O x a l s ä u r e (C 2 0 4 " —ν 2C0 2 + 2 Θ), s a l p e t r i g e S ä u r e (HN0 2 + H 2 0 ->- H N 0 3 + 2 H ' + 2Θ), W a s s e r s t o f f p e r o x y d ( H 2 0 2 — 0 2 + 2 H ' + 2 Θ) manganometrisch bestimmen. Wie aus dem Vorstehenden (S. 503ff.) hervorgeht, kann das Mn0 4 -ion in verschiedensten Oxydationsstufen als Permanganat, Manganai, Hypomanganat und Manganit auftreten: +7
Mn 1.7°/0 C) und die Gewinnung von S t a h l « 1.7% C). Erzeugung von R o h e i s e n Die Roheisenerzeugung durch Reduktion oxydischer Eisenerze mit Koks erfolgt nahezu ausschließlich in hohen GebläseS c h a c h t ö f e n („Hochöfen"). Lediglich in Ländern mit billigen Wasserkräften und teuren Kohlen spielt die Erzeugung in elektrischen Öfen eine begrenzte Rolle. Hochofen. Ein moderner Hochofen (Fig. 145) besitzt eine Höhe von 25—30 m und einen Rauminhalt von 500—800 m a und vermag täglich etwa 1000 t Eisen aus durchschnittlich 3500 t Rohmaterial (vgl. S. 510) zu erzeugen. Er besteht im Prinzip aus zwei mit den breiten Enden zusammenstoßenden, abgestumpften Kegeln von kreis7m?. rundem Querschnitt aus feuerfesten, dichten Flg. 145. Schematische Darstellung eines Schamottesteinen. Der obere K e g e l Hochofens zur Eisenerzeugung („Schacht"), der etwa drei Fünftel der gesamten Höhe ausmacht und dessen oberes Ende „Gicht" genannt wird, ruht getrennt vom unteren auf einem Tragring, der von einer Eisenkonstruktion gehalten wird. Der untere Kegel („Rast") sitzt auf einem 3m hohen und 4 m weiten zylindrischen Teil („Gestell") auf, der seinerseits auf einer aus feuerfestem Material bestehenden Unterlage („Bodenstein") ruht. Die W a n d s t ä r k e der beiden Kegel beträgt etwa 70 cm, die des Gestells 100—150 cm. Der b r e i t e s t e Teil des Ofens („Kohlensack") hat einen Durchmesser von 6—8 m ; der „Rastwinkel" (gemessen gegen eine im Kohlensack gedachte Horizontale) beträgt durchschnittlich 75°, der „Schachtwinkel" 85°. Eine gerade Zylinderform ist für den Hochofen nicht möglich, weil die Beschickung während des Niedergehens anschwillt und ein „Hängen" des Hochofens verursachen würde, falls man nicht durch Verbreiterung des Durchmessers nach unten dieser Volumenvergrößerung Rechnimg trüge. Im unteren Teil
Das Eisen
509
des Hochofens ist wiederum eine Verkleinerung des Durchmessers möglich, da hier die Beschickung unter Volumenverminderung zum Schmelzen kommt. Rast und Gestell werden mit W a s s e r , der Schacht dagegen nur mit L u f t gekühlt. Hochofenprozeß. Die B e s c h i c k u n g des Hochofens erfolgt in der Weise, daß man das mittels eines Schrägaufzugs nach oben beförderte A u s g a n g s m a t e r i a l durch die G i c h t in den Ofen einfüllt. Und zwar wird zuerst eine Schicht K o k s {„Koksgicht"), dann eine Schicht E r z mit Z u s c h l a g („Erzgicht"), dann wieder eine Schicht K o k s , darauf wieder eine Schicht E r z mit Z u s c h l a g usw. eingebracht. Die mit dem Erz aufgegebenen „Zuschläge" dienen dazu, die B e i m e n g u n g e n des Erzes („Gangart") währenddes Hochofenprozesses in leicht schmelzbare C a l c i u m - a l u m i n i u m - s i l i c a t e („Schlacke") überzuführen. Handelt es sich ζ. B. um k i e s e l s a u r e - und t o n e r d e haltige Gangarten, was meist der Fall ist, so schlägt man dementsprechend k a l k haltige Bestandteile (z.B. Kalkstein, Dolomit) zu; im Falle kalkhaltiger Gangarten werden umgekehrt k i e s e l s ä u r e - und t on e r d e h a l tige Zuschläge (ζ. Β. Feldspat, Tonschiefer) zugegeben. Die u n t e r s t e Koksschicht wird e n t z ü n d e t . Die erforderliche V e r b r e n n u n g s l u f t („Wind"), die in „Winderhitzern" auf 700—800° vorgewärmt wird und deren Menge durchschnittlich 5400 t je 1000 t Eisen beträgt, wird durch 6—12 in einer waagerechten Ebene („Formebene") über den oberen Umfang des Gestells gleichmäßig verteilte „Windformen" eingeblasen. Durch die V e r b r e n n u n g der Kohle, die auf dem Wege über Kohlendioxyd zu K o h l e n o x y d führt (S. 297f.) : 2C + 0 2
>• 2CO + 62.8kcal.
steigt die T e m p e r a t u r im unteren Teil des Hochofens auf 1600°. Das heiße K o h l e n o x y d gelangt, da der angeblasene Hochofen wie ein Schornstein zieht, in die darauffolgende E is en o x y d schicht, reduziert dort das O x y d zum M e t a l l („unmittelbare Reduktionswirkung" des Kohlenoxyds) und wird dabei selbst zu K o h l e n d i o x y d oxydiert :
+ 3c o
2 Fe
+ 3 C02 + 8 kcal.
(1)
I n der anschließenden heißen Koksschicht wandelt sich das K o h l e n d i o x y d gemäß dem BOUDOUARD-Gleichgewicht (S. 298) wieder in K o h l e n o x y d u m : 41 kcal + C02 + C T ^ 2CO ,
(2)
das von neuem gemäß (1) als Reduktionsmittel wirkt usw. I n den w e n i g e r h e i ß e n , höheren Schichten (500—900°) der ,,Reduktionszone" zerfällt das K o h l e n o x y d gemäß (2) auch teilweise wieder rückwärts unter Bildung von K o h l e n d i o x y d und f e i n v e r t e i l t e m K o h l e n s t o f f . Dieser feinstverteilte Kohlenstoff r e d u z i e r t einerseits (zum Unterschied vom nicht reduzierend wirkenden groben Koks) ebenfalls das E i s e n o x y d („mittelbare Reduktionswirkung" des Kohlenoxyds) : 116 kcal + Fe 2 0 3 + 3C 2 Fe + 3 CO (3) und l ö s t sich andererseits im schwammförmig ausgeschiedenen E i s e n auf. Durch die Aufnahme des Kohlenstoffs sinkt der S c h m e l z p u n k t des reduzierten Eisens, der beim reinen Eisen 1528° beträgt, bis auf 1100—1200°, so daß das Eisen in der unteren heißen „Schmelzzone" tropfenförmig durch den glühenden Koks läuft und sich im G e s t e l l unterhalb der spezifisch leichteren, aus Gangart und Zuschlag entstandenen flüssigen S c h l a c k e ansammelt. Auf diese Weise wird es durch die Schlacke gegen die oxydierende Einwirkung der Gebläseluft geschützt. In den oberen k ä l t e r e n Teilen des Schachts (200—300°) erfolgt k e i n e R e d u k t i o n mehr. Das Kohlenoxyd-Kohlendioxyd-Gemisch w ä r m t hier nur die frische Beschickung v o r („Vorwärmzone") und entweicht durch die Gicht als „Gichtgas".
510
Die Eisengruppe
Hochofenprodukte. Die Erzeugnisse des Hochofenprozesses sind: R o h e i s e n , S c h l a c k e und Gichtgas. Und zwar erhält man durchschnittlich auf 1 1 Eisen (zu deren Gewinnung 2 t Erz, 11 Kohle, J / 2 t Zuschlag und 5 % t Wind erforderlich sind) 11 Schlacke und 7 t Gichtgas. Das sich im Gestell ansammelnde flüssige Roheisen wird von Zeit zu Zeit durch ein „Stichloch" abgestochen und entweder flüssig dem Stahlwerk (vgl. S. 511ff.) zugeführt oder zu Roheisenblöcken vergossen. Es enthält im allgemeinen 2.5—4% K o h l e n s t o f f , sowie wechselnde Mengen Silicium (0.5—3°/0), Mangan (0.5—6%), Phosphor (0—2%) und Spuren Schwefel (0.01—0.05%). Nimmt man die Abkühlung des Roheisens langsam, z . B . in Sandformen {„Masselbetten") vor, so scheidet sich der gelöste Kohlenstoff als Graphit aus und man erhält das sogenannte „graue Roheisen" mit grauer Bruchfläche (Smp. ~ 1200°). Mitbedingend für diese Ausscheidung des Kohlenstoffs als Graphit ist ein Vorwiegen des Siliciumgehalts gegenüber dem Mangangehalt ( > 2 % Si; < 0.2%Μη). Bei rascher Abkühlung, ζ. B. in E i s e n s c h a l e n („Kokillen") bleibt der Kohlenstoff als E i s e n c a r b i d Fe3C („démentit") gelöst, so daß ein „weißes Roheisen" mit weißer Bruchfläche (Smp. ·~1100°) entsteht. Hier ist ein Überwiegen des Mangangehalts ( < 0 . 5 % Si; > 4 % Μη) mitbedingend, der der Graphitausscheidimg entgegenwirkt. Daß bei langsamer Abkühlung der Zementit n i c h t erhalten wird, beruht darauf, daß er als e n d o t h e r m e Verbindung ( + 5.2 kcal) nur bei hoher Temperatur stabil ist und bei langsamem Abkühlen dementsprechend in E i s e n und Graphit zerfällt. Das siliciumhaltige graue Roheisen wird wegen seiner dünnflüssigen Beschaffenheit vorzugsweise zu Gußwaren verarbeitet und zu diesem Zwecke nochmals umgeschmolzen („Gußeisen"). Das manganhaltige weiße Roheisen dient zur Herstellung von S t a h l . Stark manganhaltiges Eisen bann besonders viel Kohlenstoff aufnehmen und heißt bei 6—20% Mn „Spiegeleisen" (3.5—6% C) und bei > 3 0 % Mn „Ferromangan" (5—7.5% C). Solohe Eisenmangane dienen als Zusatz zu anderen Eisensorten, als Desoxydationsmittel und zur Rückkohlung von entkohltem Eisen (S. 512).
Die Schlacke fließt durch eine unterhalb der Formebene befindliche wassergekühlte Öffnung („Schlackenform") ständig ab. Sie stellt ein C a l c i u m - a l u m i n i u m - s i l i c a t dar und wird je nach ihrer Zusammensetzung als W e g e b a u m a t e r i a l oder zur Herstellung von Mörtel, B a u s t e i n e n bzw. E i s e n p o r t l a n d z e m e n t (S. 401) verwendet. Die anfallende Menge ist etwa so groß wie die des Roheisens. Das aus dem Hochofen kommende Gichtgas wird vom mitgeführten Staub befreit und dient zum Betrieb der für das Hochofenverfahren erforderlichen Winderhitzer, Gebläse, Pumpen, Beleuchtungs-, Gasreinigungs- und Transportvorrichtungen. Der Überschuß wird für den Stahlwerksbetrieb oder sonstige industrielle Zwecke verwendet. Die Zusammensetzung des Gases schwankt in den Grenzen 52—60% N 2 , 25—30% CO, 10—16%C0 2 , 0.5—4%H 2 , 0.5—3%CH 4 . Deutschland besitzt sehr große Vorkommen an eisenarmen und k i e s e l s ä u r e r e i c h e n Eisenerzen — namentlich Brauneisenstein—, deren Verhüttung nach dem n o r m a l e n Hochofenprozeß aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich ist. Würde man nämlich diese Erze dem gewöhnlichen Hochofenverhüttungsverfahren unterwerfen, so wären wegen des geringen Eisengehaltes sehr große Hochofenanlagen und wegen der großen Menge an saurer Gangart gewaltige Mengen an K a l k z u s c h l a g erforderlich, was wiederum einen gesteigerten Bedarf an Koks zur Folge hätte. In solchen Fällen wendet man zweckmäßig das „saure Schmelzen" an, bei welchem dem Erz nur so viel Kalk (0.7 statt wie sonst 1.2 Teile CaO auf 1 Teil Si0 2 + A1 2 0 3 ) zugemischt wird, daß gerade noch eine nicht zu schwerflüssige Schlacke entsteht. Da diese Schlacke sauer ist und daher nicht wie die normale basische Schlacke den aus dem Koks stammenden, für das Eisen schädlichen Schwefelgehalt aufnimmt, ist das so gewonnene Roheisen schwefelhaltig (bis 0.8% S) und muß daher nachträglich e n t s c h w e f e l t werden. Dies geschieht durch Behandlung mit Soda, wobei etwa 10 kg Soda/t Roheisen verbraucht werden. Die anfallende Schlackenmenge ist 2—3mal größer als beim gewöhnlichen Hochofenverfahren. Der Koks-
Das Eisen
511
verbrauch kann durch Anwendung s a u e r s t o f f r e i c h e n Windes gesenkt werden, ist aber auch dann noch größer als beim normalen Verhüttungsprozeß. Eine andere Möglichkeit zur Aufarbeitung eisenarmer Erze bietet das „Küuppsche Rennverfahren", das zugleich die Verwendung von billigerem K o k s m a t e r i a l (ζ. B. K o k s s t a u b , Grudekoks, T i e f t e m p e r a t u r k o k s ) an Stelle des teuren, festen H ü t t e n k o k s gestattet. Hierbei wird das mit dem Koks vermischte Erz in einem geneigt gelagerten Drehrohrofen einer Kohlenstaubfeuerung entgegengeschickt, wobei das erzeugte Eisen wegen der verhältnismäßig niedrigen Arbeitstemperatur ( < 1100°) n i c h t flüssig, sondern als E i s e n s c h w a m m erhalten wird. Dieser Eisenschwamm verdichtet sich zu größeren „Luppen", welche in der halbweichen Schlacke eingebettet bleiben. Die ausgetragene Schlacke wird nach dem Erkalten gemahlen und das Eisen m a g n e t i s c h daraus abgetrennt.
Gewinnung von S t a h l Das R o h e i s e n ist wegen seines verhältnismäßig hohen K o h l e n s t o f f g e h a l t e s spröde und erweicht beim Erhitzen nicht allmählich, sondern plötzlich. Es kann daher unter dem Hammer n i c h t g e s c h m i e d e t und g e s c h w e i ß t werden. Um es in s c h m i e d b a r e s E i s e n („Stahl") überzuführen, muß man es bis zu einem Gehalt von < 1.7°/0 C „entkohlen". Beträgt der Kohlenstoffgehalt 0.5—1.7%, so läßt sich das Eisen durch E r h i t z e n auf etwa 800° und darauffolgendes rasches A b k ü h l e n („Abschrecken") „härten". Solchen h ä r t b a r e n S t a h l nennt man auch „Stahl" im engeren S i n n e , während der n i c h t h ä r t b a r e S t a h l mit < 0 . 5 ° / 0 C häufig als „Schmiedeeisen" davon unterschieden wird. Die H ä r t u n g beruht darauf, daß die im gewöhnlichen Stahl vorliegende f e i n d i s p e r s e M i s c h u n g von E i s e n und Z e m e n t i t Fe 3 C beim Erhitzen in eine f e s t e L ö s u n g von Zementit Fe 3 C in Eisen („Austenit") übergeht, die bei r a s c h e m A b k ü h l e n als m e t a s t a b i l e P h a s e teilweise erhalten bleibt („Martensit") und in dieser Form die H ä r t e des Stahls bedingt, während sie sich bei langsamem A b k ü h l e n unter Ausscheidung von Zementit wieder e n t m i s c h t , wodurch der Stahl seine ursprüngliche N a t u r h ä r t e zurückerlangt. Durch E r h i t z e n des gehärteten Stahls auf verschiedene Temperaturen („Anlassen") können Z w i s c h e n z u s t ä n d e zwischen dem s t a b i l e n und m e t a s t a b i l e n Zustand des Stahls erhalten werden, denen ganz bestimmte Härte- und Zähigkeitseigenschaften zukommen („Vergüten"). Die E n t k o h l u n g des Roheisens bis zum Kohlenstoffgehalt des Stahls („Frischen") kann entweder so erfolgen, daß man zuerst v o l l k o m m e n e n t k o h l t und dann nachträglich wieder r ü c k k o h l t , oder so, daß man gleich von vornherein bis zum g e w ü n s c h t e n K o h l e n s t o f f g e h a l t entkohlt. Der e r s t e Weg wird beim „Windfrischverfahren", der zweite beim „Herdfrischverfahren" eingeschlagen. Windfrischverfahren. Beim W i n d f r i s c h v e r f ahren wird der Kohlenstoff des Eisens zusammen mit den übrigen Verunreinigungen (Silicium, Phosphor, Mangan) durch Einpressen von L u f t oxy- Fig. 146. Schematische Darstellung diert, wobei man eine O x y d s c h l a c k e und r e i n e s eines Konverters zur Stahlerzeugung E i s e n erhält. Man verwendet hierbei große, um eine Mittelachse kippbare, feuerfest ausgemauerte Gefäße („Konverter", „Birnen") von 6—7 m Höhe und 3—4 m Durchmesser, welche 15—35 t Roheisen fassen (Fig. 146). Bei p h o s p h o r s ä u r e h a l t i g e n Eisensorten muß die feuerfeste Auskleidung aus b a s i s c h e n Stoffen wie Calcium- und Magnesiumoxyd bestehen („basisches Futter")
Die Eisengruppe
512
und mit dem Roheisen ein Kalkzuschlag zugegeben werden, um das beim Frischen gebildete Phosphorpentoxyd in Calciumphosphat zu verwandeln und so vor der Rückreduktion durch Eisen zu Phosphor zu bewahren („THOMAS-Birne"). Phosphorsäurefreie Eisensorten dagegen können auch in Konvertern mit „saurem Futter" (Quarz-Ton-Material) Verblasen werden („BEssEMER-Bime"). Das Füllen des Konverters erfolgt durch Eingießen des flüssigen, 1300° heißen Roheisens durch den Hals des horizontal gedrehten Apparates (gestrichelter Teil von Fig. 146). Dann wird durch den Boden, welcher 5 0 — 2 5 0 Öffnungen von 1 0 — 2 0 mm Weite aufweist, Luft eingepreßt und der Konverter langsam aufgerichtet (Fig. 146). Die Höhe des über den „Winddüsen" stehenden Eisenbades beträgt 40 bis 50 cm, die je Minute eingeblasene „Wind"Menge 5 0 0 — 8 0 0 m3. Die bei der Verbrennung von Silicium, Mangan, Kohlenstoff und Phosphor freiwerdende Wärme: 0
Ζ
*
6
8
10 12
ft
Fig. 147. Verlauf des Frischprozesses in der BESSEMER-Birne
Si + Oa
16 18 SOm/n Ρ + Γ / Λ
>- Si0 2 + 208 kcal 1 IÌ^ ì O s + 175 kcal
C02 C + °¡> Mn + V 2 0 2 — > MnO
+
+
94 kcal
93 kcal
gleicht den durch das Einblasen des kalten Windes auftretenden W ä r m e v e r l u s t mehr als aus und verhindert so ein E r starren des flüssigen Eisens. Die Hauptwärmelieferanten sind Silicium und Phosphor. Daher ist für das BESSEMERVerfahren ein ausreichender Silicium gehalt (1.5—2°/ 0 ) und für das THOMASVerfahren ein ausreichender Phosphorgehalt ( 1 . 0 — 2 . 5 % ) erforderlich. Der Eisenabbrand beträgt in beiden Fällen etwa 10—12%. Fig. 148. Verlauf des Frischprozesses in der Die beim Windfrischverfahren auftreTHOMAS-Birne tenden Vorgänge werden durch Fig. 147 und 148 wiedergegeben. Wie man sieht, verbrennen zuerst Silicium und Mangan, dann folgt der Kohlenstoff. Die Verbrennung des Kohlenstoffs macht sich durch eine lange, blendend weiße, mit donnerndem Geräusch brennende Flamme bemerkbar. Der Phosphorgehalt erleidet beim sauren BESSEMER-Prozeß keine Veränderung, während er beim alkalischen THOMAS-Verfahren nach dem Kohlenstoff verbrennt („Nachblasen"). Nach etwa 1 / i Stunde ist der Prozeß beendet. Man kippt dann die Birne wieder in die waagerechte Lage und fügt nach Abgießen der Schlacke zur „Rückkohlung" eine entsprechende Menge kohlenstoffhaltiges Spiegeleisen oder Ferromangan zu. Der Mangangehalt des Spiegeleisens (Ferromangans) wirkt dabei gleichzeitig alsDesoxydationsmittel zur Entfernung des im Eisen gelösten E i senoxyds (FeO + Mn — F e + MnO), welches den Stahl brüchig machen würde. Die beim TnoMAS-Prozeß anfallende „THOMAS-Schlacke", die wegen ihres hohen Phosphorsäuregehalts (10—25%) ein wichtiges Düngemittel darstellt, kommt
Das Eisen
513
in feingemahlenem Zustande {„ThomAS-Mehl") direkt in den Handel. Ihr Hauptbestandteil ist der S i l i c o - c a r n o t i t 5CaO · P 2 0 5 · S i 0 2 . Herdfrischverfahren. Beim H e r d f r i s c h v e r f a h r e n \„Siemens-Martin-V erfahren") erfolgt die Oxydation des Kohlenstoffs im Roheisen wesentlich l a n g s a m e r als beim Windfrischverfahren, so daß man durch U n t e r b r e c h u n g des Prozesses zu gegebener Zeit bereits während des Frischens auf einen g e w ü n s c h t e n K o h l e n s t o f f g e h a l t des Stahls hinarbeiten kann. Die Oxydation wird in diesem Falle durch l u f t h a l t i g e , über das 1500° heiße flüssige Roheisen streichende F l a m m e n g a s e bewirkt und durch den S a u e r s t o f f g e h a l t von gleichzeitig zugegebenem „Schrott", d. h. altem v e r r o s t e t e m E i s e n („Schrott-Verfahren") oder von oxydischem E i s e n e r z („Roheisen-Erzprozeß") unterstützt. Um die für den Prozeß erforderlichen h o h e n T e m p e r a t u r e n zu erzielen, müssen •ÌS H e i z g a s und V e r b r e n n u n g s l u f t , die zur Erzeugung der Flammengase \M Wen.*toff dienen, vor ihrer Vereinigung und I * Verbrennung h o c h e r h i t z t werden. j » Dies geschieht in „Wärmespeichern", in denen die V e r b r e n n u n g s g a s e je1.5 weils ihre Wärme auf die frischen A u s g a n g s g a s e übertragen („Siemens1,0 XS/Adum sehe Regenerativfeuerung"). • Mftr \Pho Oj Als O f e n dient beim S I E M E N S sk MARTiN-Verfahren ein basisch gefütter0 0,5 1.0 1,5 2,0 2,5- 3,0 3¿ f,0 t.S 5,OA ter, kippbarer, 100—300 t fassender Fig. 149. Verlauf des Frischprozesses im Trog {„Herd"). I n diesen kommt als SlEMENS-MARTIN-Ofen Ausgangsmaterial beim S c h r o t t v e r f a h r e n Roheisen (20—35°/0) und Schrott (80—65%), beim R o h e i s e n - E r z p r o z e ß Roheisen (80%), Schrott und Rotoder Magneteisenstein (20%), sowie in beiden Fällen zur Beseitigung des Phosphorgehaltes Kalk. Der Verlauf des Roheisen-Erzprozesses im SiEMENs-MARTiN-Ofen wird durch Fig. 149 wiedergegeben.
%
I
1
Außer dem Windfrisch- und Herdfrischverfahren gibt es noch eine Anzahl seltener angewandter Methoden zur Entkohlung von Roheisen. Erwähnt sei hier ζ. B. der „Puddelprozeß", bei dem das Roheisen in mit Eisenoxyd gefütterten Flammöfen bis nahe an seinen Schmelzpunkt erhitzt und durch Umrühren mit Stangen der Einwirkung des Sauerstoffs der Verbrennungsgase und des Ofenfutters ausgesetzt wird. Das in dieser Weise im h a l b f e s t e n Z u s t a n d e entkohlte Eisen heißt „Schweißstahl", zum Unterschied von dem im f l ü s s i g e n Z u s t a n d e entkohlten Eisen, das „Flußstahl" genannt wird. Weiterhin kann man aus kohlenstoffreichem Eisen gegossene Gegenstände wie Schlüssel, Fenster- und Türbeschläge usw. nachträglich durch „Tempern" in kohlenstoffarmen schmiedbaren Stahl verwandeln, indem man sie mit E i s e n o x y d umpackt und 4—6 Tage bei 850—1000° in besonderen Öfen glüht, wobei der K o h l e n s t o f f v e r b r e n n t . Auf diese Weise wird bei Massenartikeln die mühsame Einzelschmiedung von Hand vermieden. Die U m k e h r u n g des Temperns ist die „Zementation", bei der kohlenstoffarmes Eisen durch Erhitzen in K o h l e p u l v e r oberflächlich oder vollkommen in Stahl verwandelt wird.
Stahllegierungen Der nach dem Windfrisch- oder Herdfrisch-Verfahren gewonnene S t a h l kann durch U m s c h m e l z e n in G r a p h i t t i e g e l n („Tiegelschmelz-Verfahren") oder in e l e k t r i s c h e n Ö f e n mit Lichtbogen- oder Induktionsheizung („Elektrostahl-Verfahren") n a c h r a f f i n i e r t oder durch entsprechende Zusätze mit Metallen oder Nichtmetallen l e g i e r t werden („Ferrosilicium", „Ferrotitan", „Ferrophosphor", „FerroH o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie. 30. u. 31. Aufl.
33
Die Eisengruppe
514
vanadin", „Ferrochrom", „Ferromolybdän", „Ferrowolfram", „Ferromangan", „Ferronickel"). Durch Zusatz solcher „Ferrolegierungen" zu Stahl lassen sich dessen Eigenschaften weitgehend v e r ä n d e r n . Wichtige Zusatzmetalle sind ζ. B. N i c k e l , Chrom und W o l f r a m . Ein Zusatz von N i c k e l erhöht in bedeutendem Maße die Z ä h i g k e i t des Stahls (vgl. S. 523). Eine Legierung mit 25% Ni kann ζ. B., ohne zu zerreißen, auf die doppelte Länge ausgezogen werden. Nickelstahl mit 36% Ni zeigt die Eigentümlichkeit, sich beim Erwärmen fast nicht auszudehnen, und wird daher vielfach für Präzisionsmeßinstrumente benutzt {„Invarstahl"). Chrom macht den Stahl besonders h a r t . Somit erhält man durch Kombination von Eisen mit N i c k e l und Chrom ein h a r t e s Material von hoher Z ä h i g k e i t , das sich ζ. B. zur Herstellung von Panzerplatten, Geschützteilen, Achsen usw. eignet. Besonders bekannt ist der „V2A-Stahl", der 7 1 % F e > 2 0 °/o Cr, 8°/ 0 Ni und je etwa 0 . 2 % Si, C und Mn enthält und wegen seiner chemischen Widerstandsfähigkeit gegen Luft und Säuren auch in der chemischen Technik und für Gebrauchsgegenstände („Nirosta") viel benutzt wird. Der „WTi-Stahl", ein mit etwas Chrom legierter Invarstahl, hat denselben Ausdehnungskoeffizienten wie Glas lind kann deshalb an Stelle von Platin zum Einschmelzen der Glühdrähte in Glühfadenlampen benutzt werden. Stahlsorten mit einem Gehalt an W o l f r a m werden auch bei beginnender Kotglut noch n i c h t e n t h ä r t e t und dienen als Material für schnellaufende und daher heiß werdende Werkzeuge (ζ. B. Meißel für Stahldrehbänke). So enthält z. B. der „Schnelldrehstahl" 15—18% W, 2 — 5 % Cr und 1 — 3 % V . M o l y b d ä n und V a n a d i n wirken ähnlich wie Wolfram. Gewisse Κ ob alt-Wolfram-Stahlsorten zeichnen sich durch besonders gute magnet i s c h e Eigenschaften aus und dienen daher zur Herstellung permanenter Magnete; so ζ. B . eine Legierung aus 5 0 % Fe, 4 0 % Co, 7 % W, 2 . 5 % Cr und 0 . 5 % C. Silicium-Gehalte von 10—13% erhöhen die S ä u r e b e s t ä n d i g k e i t des Stahls. Derartige Legierungen dienen daher zur Herstellung von Apparaturen für die anorganische Großindustrie. Riesige Mengen von Ferrosilicium (25%, 5 0 % , 7 5 % , 9 8 % Si) werden in der Stahlindustrie als D e s o x y d a t i o n s m i t t e l benutzt. γ. Physikalisehe Eigenschaften Chemisch reines Eisen ist ein silberweißes, verhältnismäßig weiches Metall vom spezifischen Gewicht 7.86, welches bei 1528° schmilzt und bei 3000° siedet. Es kommt in zwei enantiotropen Modifikationen als - 2FeO + H 2 0) oder erhitzt man Eisen(II)-oxalat (FeC 2 0 4 —>• FeO + CO + C0 2 ), so erhält man ein schwarzes Produkt („Wüstit-Phase"), das einen mehr oder minder großen E i s e n u n t e r s c h u ß gegenüber der Formel FeO (normale Zusammensetzung : Fe0.90O bis Fe0.95O) aufweist (vgl. S. 147). Eisen (II)-hydro xyd Fe(OH) 3 fällt aus E i s e n ( I I ) - s a l z l ö s u n g e n auf Zusatz von Alkali bei L u f t a b s c h l u ß als weißer, flockiger Niederschlag aus: F e " + 2 0 H ' — Fe(OH) 2 . An der L u f t oxydiert sich dieser Niederschlag außerordentlich leicht und geht dabei über graugrüne, dunkelgrüne und schwärzliche Zwischenstufen schließlich in r o t b r a u n e s E i s e n ( I I I ) - h y d r o x y d über. Die dunkleren Zwischenstufen stellen Mischhydroxyde des zwei- und dreiwertigen Eisens dar. Eisen (II)-Chlorid FeCI2 entsteht beim Auflösen von E i s e n in S a l z s ä u r e und kristallisiert aus der Lösimg als T e t r a h y d r a t FeCl2 · 4H 2 0 in Form grüner mono33*
516
Die Eisengruppe
kliner Prismen aus. Das w a s s e r f r e i e Salz erhält man als weiße, sublimierbare Masse beim Erhitzen von E i s e n in t r o c k e n e m C h l o r w a s s e r s t o f f g a s . Mit Kalium- und Ammoniumchlorid bildet Eisen(II)-chlorid gut kristallisierende D o p p e l s a l z e , ζ. B. K 2 FeCl 4 · 2H 2 0. Eisen(II)-sulfid FeS entsteht beim Versetzen von E i s e n ( I I ) - s a l z l ö s u n g e n mit A m m o n i u m s u l f i d als grünlich-schwarzer, in Säuren leicht löslicher Niederschlag, der sich in feuchtem Zustande an der Luft zu Eisen(III)-hydroxyd und Schwefel oxydiert. T e c h n i s c h wird Eisen(II)-sulfid durch Zusammenschmelzen von E i s e n a b f ä l l e n mit S c h w e f e l (Fe + S - > - FeS) oder P y r i t (Fe + FeS 2 ->- 2FeS) als kristalline, metallglänzende, bei 1190° schmelzende Masse erhalten. In dieser Form dient es zur S c h w e i e l w a s s e r s t o f f e r z e u g u n g im L a b o r a t o r i u m (S. 189): FeS + 2 HCl—>• FeCl2 + H 2 S. Eisen(II)-sulfat FeSiXj wird technisch durch Lösen von E i s e n a b f ä l l e n in S c h w e f e l s ä u r e ( F e - f - H 2 S 0 4 — > FeS0 4 + H a ) oder durch O x y d a t i o n von teilweise geröstetem P y r i t an der Luft (FeS + 2 0 2 —ν FeS0 4 ) oder als N e b e n p r o d u k t bei der Fällung von Z e m e n t k u p f e r (S. 433) aus K u p f e r s u l f a t l ö s u n g e n (CuS0 4 + Fe —>• FeS0 4 + Cu) gewonnen. Es kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form großer, hellgrüner, monokliner Prismen der Zusammensetzung FeS0 4 · 7H 2 0 („Eisenvitriol"), welche mit den entsprechenden Vitriolen des Magnesiums, Nickels, Zinks und Mangans isomorph sind. Die infolge Hydrolyse sauer reagierende Lösung o x y d i e r t sich an der Luft leicht unter teilweiser Abscheidung von basischem Eisen(III)sulfat : 2FeS0 4 + H 2 0 + V a 0 2 - ^ 2Fe(0H)S0 4 . Wesentlich luftbeständiger ist das D o p p e l s a l z mit A m m o n i u m s u l f a t (NH 4 ) 2 Fe(S0 4 ) 2 · 6 H 2 0 („MoHRsches Salz"). Es eignet sich gut zur Einstellung von Permanganatlösungen : 2Mn0 4 ' + 10Fe"-f 16H' —>- 2Mn" + lOFe'" + 8H 2 0. An trockener Luft verwittert das Eisen(II)-sulfathydrat unter Verlust von Wasser. Beim Erhitzen auf 300° unter Luftabschluß hinterbleibt das wasserfreie, weiße Sulfat FeS0 4 . Eisenvitriol findet zahlreiche technische Verwendungen, ζ. B. zur Tintenfabrikation, in der Färberei und zur Vernichtung von Unkraut. Eiscn(II)-carbonat FeCOj kommt in der Natur als Eisenspat (Siderit) vor und fällt aus E i s e n ( I I ) - s a l z l ö s u n g e n beim Versetzen mit A l k a l i c a r b o n a t tinter L u f t a b s c h l u ß als w e i ß e r , amorpher Niederschlag aus, der sich an der L u f t infolge Oxydation unter Abgabe von Kohlendioxyd bald in r o t b r a u n e s E i s e n ( I I I ) - h y d r o x y d verwandelt. Ähnlich den Erdalkalicarbonaten löst sich auch Eisen(II)-carbonat in kohlendioxydhal tigern Wasser unter Bildung von E i s e n (II) - b i c a r b o n a t auf: FeCOg + H 2 0 + C02—>• Fe(HC0 3 ) 2 . Als solches findet es sich in manchen M i n e r a l w ä s s e r n (,,Eisensäuerlinge", „Stahlwässer"), die zur Bekämpfung der Bleichsucht dienen. An der L u f t scheiden solche Eisenwässer E i s e n ( I I I ) - o x y d h y d r a t aus. In dieser Weise sind die als „Eisenocker", „Raseneisenerz" und „Sumpferz" bekannten Ablagerungen entstanden, aus denen wohl auch das Brauneisenerz hervorgegangen ist. Die R e i n i g u n g von eisenhaltigen Wässern für T r i n k - und W a s c h z w e c k e erfolgt durch Sättigung mit L u f t (Ausfällung des Eisens als Eisen(III)-hydroxyd).
c. Eisen(III)-Verbindungen Eisen(III)-oxyd Fe 2 0 3 , das in der Natur in verschiedenen Formen (vgl. S. 507) vorkommt, entsteht beim Erhitzen von Eisen(III)-salzen flüchtiger Säuren, beim Entwässern von Eisen(III)-hydroxyd sowie beim Verbrennen von Eisen im Sauerstoffstrom und existiert in zwei M o d i f i k a t i o n e n als „- Fe 2 (S0 4 ) 3 + 3HaO. In Wasser löst es sich unter starker Hydrolyse mit brauner Farbe. Beim Kochen solcher wässeriger Lösungen fallen basische Sulfate aus. Mit Alkalisulfaten bildet Eisen(III)-sulfat Alaune des Typus MeFe(S04)2 • 12H 2 0. Eisen (III) -rhodanid Fe(SCN)s wird in Form einer blutroten Lösung beim Zusammengeben einer Eisen (III)-salz- und Khodanidlösung erhalten: Fe'" + 3SCN' —>- Fe(SCN)3. Die Farbe ist so intensiv, daß selbst geringste Spuren von Eisen(III)-ionen auf diese Weise analytisch nachgewiesen werden können.
d. Komplexe Eisenverbindungen Unter den komplexen Eisenverbindungen sind die Cyanokomplexe („Hexacyano-ferrate") mit die beständigsten. Sie entstehen beim Zusammentreffen von Eisenund Cyan-ionen und haben je nach der Wertigkeit des Eisen-ions die Formel MeJ [Fen(CN)6] bzw. Me* [FeIU(CN)6] : Fe" + 6CN' — [ F e ( C N ) e ] " " Fe"' + 6CN' >- [Fe(CN)e]'". Besonders charakteristische Vertreter dieser beiden Verbindungstypen sind das gelbe und das rote Blutlaugensalz. Gelbes Blutlaugensalz K4[Fe(CN)6]. Versetzt man eine Eisen(II)-salzlösung mit Kaliumcyanidlösung, so fällt rötlichbraunes, schwerlösliches Eisen(II)cyanid Fe(CN)2 aus (1), das sich im Überschuß der Kaliumcyanidlösung wieder auflöst, wobei die Lösung infolge Bildung von gelbem Blutlaugensalz (2) blaß8elbwird:
Fe" + 2CN' >- Fe(CN)2 (1) Fe(CN)2 + 4CN' >- [Fe(CN),]"" (2) Fe" + 6CN' [Fe(CN)e]"". Beim Eindampfen der Lösung kristallisiert das Salz in Form großer, schwefelgelber, monokliner Kristalle der Formel K4[Fe(CN)6] · 3H 2 0 aus. Sein Name rührt daher, daß es früher durch Erhitzen von B l u t mit Kaliumcarbonat gewonnen wurde. Zur technischen Gewinnung von gelbem Blutlaugensalz kann man von verbrauchter Gasreinigungsmasse (S. 181f.) ausgehen, welche infolge des Cyanwasserstoffgehaltes des rohen Leuchtgases bereits Cyanverbindungen des Eisens enthält. Die Ionisation des Komplex-ions [Fe(CN)e] " " in wässeriger Lösung gemäß [Fe(CN) e ]"" Fe" + 6CN' ist so gering, daß alle gewöhnlichen F e " - K e a k t i o n e n ausbleiben. So gibt die Lösimg z . B . mit Natronlauge oder Ammoniumsulfid keine Fällung. Setzt man einer konzentrierten Lösung des Komplexsalzes konzentrierte Salzsäure zu, so fällt die dem Salz zugrundeliegende Hexacyanoeisen(II)-säure H4[Fe(CN)6] als weißer kristalliner Niederschlag aus, der sich an der Luft infolge Zersetzung bald bläut. Bei Zugabe verdünnter Salzsäure entsteht eine wässerige Lösung der Säure, die beim Kochen Blausäure entwickelt: H4Fe(CN)6 — > 4HCN + Fe(CN)2. Rotes Blutlaugensalz K3[Fe(CN)6]. Behandelt man eine Lösung von gelbem Blutlaugensalz mit Chlor oder Brom, so entsteht eine rötlichgelbe Lösung, aus der sich dunkelrote Prismen von rotem Blutlaugensalz gewinnen lassen: [Fe(CN)e]"" + V2C12 ^ [Fe(CN)e]'" + Cl'.
519
Das Kobalt
Die wässerige Lösung ist viel unbeständiger als die des gelben Blutlaugensalzes (vgl. S. 158) und wirkt zum Unterschied von letzterer infolge spurenweiser Abgabe von Blausäure giftig. Sie wird bisweilen als O x y d a t i o n s m i t t e l benutzt: [Fe(CN) e ]"' + θ
>
[Fe(CN),]"".
Die dem Salz zugrundeliegende freie H e x a c y a n o - e i s e n ( I I I ) - s ä u r e H3[Fe(CN)0] kristallisiert in braunen Nadeln und ist sehr unbeständig. Berlinerblau; TuRNBiiLLs-Blau. Versetzt man eine Lösung des gelben B l u t laugensalzes mit E i s e n ( I I I ) - s a l z oder eine Lösung des roten B l u t l a u g e n s a l z e s mit Eisen (II)-salz, so entsteht in beiden Fällen bei Anwendung eines Molverhältnisses 1 : 1 das gleiche, kolloid gelöste „lösliche Berlinerblau" KFe[Fe(CN) e ] : [Fe(CN) e ]"" + F e ' " + K' ä- [Fe(CN) e ]FeK [Fe(CN) e ]"' + F e " + K' — > - [Fe(CN) e ]FeK.
Die i n t e n s i v e F a r b e ist dabei hier wie in vielen anderen Fällen (ζ. B. Mennige, Molybdänblau, Wolframbronzen) auf die gleichzeitige Anwesenheit zweier W e r t i g k e i t s s t u f e n des gleichen E l e m e n t s zurückzuführen, die wohl in gegenseitiger Wechselwirkung stehen: [Feii(CN) e ]FeniK
[Felii(CN) e ]FenK.
Bei Anwendung überschüssiger Eisen(III)- bzw. Eisen(II)-ionen entstehen blaue N i e d e r s c h l ä g e , die als „unlösliches Berlinerblau"
unterschieden werden:
und „unlösliches
TURNBULLS-Blau"
3 [ F e ( C N ) , ] " " + 4 F e " · — > - [Fe(CN)e]3Fe4 2[Fe(CN) e ]'" + 3 F e " >• [Fe(CN) e ] 2 Fe s ,
obwohl auch hier infolge E l e k t r o n e n a u s t a u s c h e s ([Fe(CN)e] " " -f- Fe'" z^zL· [Fe(CN)e] ' " + Fe") weitgehend analoge Verbindungen vorliegen dürften. Gelbes B l u t l a u g e n s a l z und Eisen(II)-ionen ergeben einen weißen Niederschlag: [Fe(CN) 6 ]"" + 2Fe"—>• [Fe(CN)„]Fe2, der an der Luft infolge Oxydation rasch blau wird. Aus r o t e m B l u t l a u g e n s a l z und Eisen(III)-ionen bildet sich kein Niederschlag, sondern eine dunkelbraune Lösung: [Fe(CN)„]'" -f Fe'" —>• [Fe(CN)e]Fe.
Prussiate. Verbindungen, bei denen eine Cyanogruppe des Fe(CN)e-ions durch andere Gruppen ersetzt ist, heißen „Prussiate". ErwäKnt seien hier ζ. B. : das Natrium-nitrosy 1-prussiat Na 2 [Fe n (CN) 5 NO]S das Natrium-carbonyl-prussiat Nag[Fen(CN)5CO], das Natrium-ammin-prussiat Na3[Fen(CN)5NH8], das Natriumnitrito-prussiat Na4[Ferr(CN)5N02] und das Natrium-sulfito-prussiat Na 5 [Fe n (CN) 5 S0 3 ]. Bei der Oxydation mit Brom gehen diese E i s e n ( I I ) - p r u s s i a t e in Eisen (III)-prussiat e über: [Fe I I (CN) s X]- n + i / 2 B r 2 — [ F e ^ C N ^ X ] - « 1 1 - 1 ) + Br'.
2. Das Kobalt Vorkommen. Der größte Teil der Weltproduktion an Kobalt wird aus den in Katanga (Belgisch-Kongo) vorkommenden Kupfererzen und aus den in Ontario (Kanada) gefundenen kupferhaltigen Magnetkiesen Fe 3 S 4 (S. 522) gewonnen. Die beiden bekanntesten K o b a l t e r z e sind der Speiskobalt CoAs2 und der Kobaltglanz CoAsS. Sie finden sich in Deutschland in geringeren Mengen im sächsischen Erzgebirge. Darstellung. Zur technischen Darstellung von Kobalt werden die NickelKobalt-Kupfer-Erze in der beim Nickel (S. 522) geschilderten Weise aufgearbeitet, wobei man einen „Rohstein" {„Speise") erhält, der das Nickel, Kobalt und Kupfer in Form von Sulfiden und Arseniden enthält. Dieses Rohmaterial wird dann mit Soda und S a l p e t e r abgeröstet, wobei Schwefel und Arsen teils entweichen, 1
Das NO ist in dieser Verbindung als NO+ (: Ν : : : O :) enthalten (S. 528).
520
Die Eisengrappe
teils zusammen mit den Oxyden von Kupfer, Nickel und Kobalt als S u l f a t und Arsenat im Röstgut zurückbleiben. Sulfat und Arsenat lassen sich mit Wasser auslaugen. Die beim Auslaugen ungelöst bleibenden Metalloxyde werden in heißer Salzsäure oder Schwefelsäure gelöst und mit K a l k m i l c h und Chlorkalk fraktioniert gefällt. Hierbei resultiert schließlich reines K o b a l t (III)-o xyd Co 2 0 3 , das mit K o h l e zu metallischem K o b a l t reduziert wird. Eigenschaften. Kobalt ist ein stahlgraues, glänzendes, magnetisches, bei 1490° schmelzendes und bei etwa 3200° siedendes Metall vom spezifischen Gewicht 8.83. Wie Nickel wird es von feuchter L u f t nicht und von n i c h t o x y d i e r e n d e n Säuren nur langsam angegriffen, während es in oxydierenden Säuren leicht löslich ist. In seinen Verbindungen tritt Kobalt zwei- und dreiwertig auf. Bei den normalen Verbindungen ist die zweiwertige Stufe wesentlich beständiger als die dreiwertige ; bei den komplexen Verbindungen liegen die Stabilitätsverhältnisse gerade umgekehrt (vgl. S. 521). Verwendung. Ein Teil des Kobalts geht in Form von „Schmälte" (Kalium-kobaltsilicat) zur Färbung von Glasflüssen (S. 332) in die keramische und Glasindustrie („Kobaltblau", „Kobaltglas"). Eine Legierung aus 50—60% Co, 3 0 - ^ 0 % Cr und 8—20% W („Stellit") wird zur Herstellung von Meißelspitzen benutzt, da sie wie der Schnelldrehstahl (S. 514) ihre Härte bis über 600° beibehält. Kobalt(II)-Verbindungen. Wässerige Kobalt(II)-salzlösungen und k r i s t a l l wasserhaltige Kobalt(II)-salze sind rot gefärbt, da sie das rote Komplex-ion [Co(H 2 0) 6 ]" enthalten. Die wasserfreien Kobalt(II)-salze dagegen sind rein blau. Besonders leicht gelingt die Entwässerung beim Kobalt(II)-chlorid CoCl2 · 6H 2 0, das schon beim Erwärmen auf etwa 35° blau wird. Schreibt man daher mit einer verdünnten Kobalt(II)-chloridlösung auf Papier, so sind die Schriftzüge bei gewöhnlicher Temperatur fast nicht zu sehen, während sie bei leichtem Erwärmen schön blau erscheinen („sympathetische Tinte"). An feuchter Luft färbt sich das wasserfreie blaue Kobalt(II)salz infolge Wasseraufnahme wieder rosa, worauf die „Wetterbilder" und „Wetterblumen" beruhen, die einen um so blaueren Ton annehmen, je trockener die Luft, also je geringer die Wahrscheinlichkeit einer Regenbildung ist. Kobalt(II)-sulfat CoS0 4 · 7HaO bildet dunkelrote, monokline Prismen, die mit Eisen(II) - sulf at und anderen Vitriolen isomorph sind und mit Alkalisulfaten Doppelsalze des Typus K 2 Co(S0 4 ) 2 · 6H 2 0 geben. Kobalt(II)-nitrat Co(N03)2 · 6H 2 0 kristallisiert aus wässeriger Lösung in Form roter, monokliner Tafeln aus. Erhitzt man Kobalt(II)-nitrat mit Aluminiumsulfat, so entsteht aus den den beiden Salzen zugrundeliegenden Oxyden ein blau gefärbter Spinell: CoO+A1 2 0 3 —>- Al 2 [Co0 4 ] {„TijÉNARDS-Blau"; S. 337). Die Blaufärbung ist so intensiv, daß man sie zum Nachweis von Aluminium benutzen kann. In ähnlicher Weise verwendet man das beim Glühen von Kobaltnitrat mit Zinkoxyd entstehende grüne Kobaltzinkat („RiNMANS-Grün"; S. 457) zum Nachweis von Zink. Das durch Zugabe von ammoniakalischer Schwefelammonlösung zu Kobalt(II)-salzlösungen unter L u f t a b s c h l u ß frisch g e f ä l l t e amorphe Kobalt(II)-sulfid CoS löst sich in kalter verdünnter Salzsäure leicht unter H2S-Entwicklung auf 1 : CoS + 2HCl
CoCl2 + H 2 S.
(1)
Beim Fällen unter L u f t z u t r i t t oxydiert sich das Kobalt(II)-sulfid rasch zu säurelöslichem 2 basischem Kobalt(III)-sulfid: 1 Zum Unterschied davon ist das aus e s s i g s a u r e r Lösung mit H 2 S fällbare k r i s t a l l i n e CoS in verdünnter Salzsäure schwer löslich (vgl. S. 382). 2 Der bei der Auflösung in Säure freiwerdende Schwefelwasserstoff (Co(OH)S + 3 HCl C0CI3 + H 2 S) reagiert, soweit er nicht zu Schwefel oxydiert wird (2COC13 + H 2 S y 2CoCl2 + 2HCl + S) gemäß (3) weiter, so daß nur ein Teil des Co(OH)S in Lösung geht: 4Co(OH)S + 4 HCl 2CoCl¡¡ + Co2S3 + S + 4 H 2 0 .
Das Kobalt 2CoS + i 0 2 + H 2 0
>• 2Co(OH)S,
521 (2)
das bei Gegenwart von überschüssigem Schwefelamm on in s ä u r e u n l ö s l i c h e s Kobalt(Ill)-sulfid übergeht : 2Co(OH)S + H 2 S
Co2S3 + 2 H 2 0 .
(3)
Auf diesem Übergang des säurelöslichen Co S in säureunlösliches Co2S3 in alkalischer Lösung1 (analoges gilt für das Nickel, S. 523) beruht die Möglichkeit der analytischen Abtrennung des Kobalts und Nickels von den Elementen der Schwefelwasserstoff- und Schwefelammongruppe (S. 191f.), indem CoS und NiS beim Fällen der Schwefelw a s s e r s t o f f g r u p p e aus s a u r e r Lösung1 infolge ihrer Leichtlöslichkeit nicht ausfallen, während sie beim Fällen der S c h w e f e l a m m o n g r u p p e aus a m m o n i a k a l i s c h e r Lösung infolge des Übergangs in säureunlösliches Co2S3 bzw. Ni 2 S 3 leicht von den säurelöslichen übrigen Sulfiden dieser Gruppe zu trennen sind (Behandlung des Schwefelammon-Niederschlags mit verdünnter Salzsäure). Kobalt(ni)-Verbindungen. Das vorstehend erwähnte basische Kobalt(III)-sulfid Co(OH)S (analoges gilt vom basischen Nickel(III)-sulfid Ni(OH)S) ist ein Oxydationsmittel und vermag im feuchten Zustande beispielsweise CO zu C0 2 zu oxydieren : 2Co(OH)S + CO
>~ 2CoS + C0 2 + H 2 0 .
Ist dem Kohlenoxyd Luft oder Sauerstoff beigemischt, so geht die Reaktion infolge dauernder Regeneration des basischen Sulfids — vgl. (2) — weiter, so daß feuchtes Co(OH)S die Oxydation des CO zu C0 2 durch Luftsauerstoff katalysiert 2 . Kobalt(III)oxyd Co 2 0 3 entsteht als braunschwarzes Pulver bei gelindem Erhitzen von Kobalt(II)nitrat : 2Co(N0 3 ) 2 —>• Co 2 0 3 + 4 N 0 2 + 7 2 0 2 . Bei stärkerem Glühen geht es zunächst in das schwarze Kobalt (II, III)-oxyd Co 3 0 4 und schließlich in das olivenfarbene Kobalt(Il)-oxyd CoO über. Kobalt(III)-sulfat Co 2 (S0 4 ) 3 · 18H 2 0 bildet sich in der Kälte bei anodischer Oxydation von Kobalt(II)-sulfat in konzentrierter Schwefelsäure: 2 C o S 0 4 + S 0 4 " —>• Co 2 (S0 4 ) 3 + 2 Q und bildet mit Kaliumsulfat einen den anderen Alaunen (S. 377f.) entsprechenden Kobaltalaun KCo(S0 4 ) 2 · 12H 2 0. Wie alle n i c h t k o m p l e x e n Kobalt(III)-salze ist es sehr unbeständig und geht in wässeriger Lösung in Kobalt(II)sulfat über. Umgekehrt haben die k o m p l e x e n Kobalt(II)-Verbindungen ein großes Bestreben, sich zu Kobalt(III)-Verbindungen zu oxydieren. Versetzt man ζ. B. eine Kobalt(II)-salzlösung mit einem Überschuß von Kaliumcyanid, so bildet sich zwar zunächst das dem gelben Blutlaugensalz entsprechende rotviolette Kalium-hexacyanokobaltat(II) K 4 [Co(CN)6]. Dieses geht aber in wässeriger Lösung — bei Luftabschluß unter Wasserstoffentwicklung, an der Luft ohne eine solche — in das mit dem roten Blutlaugensalz isomorphe hellgelbe Kalium-hexacyano-kobaltat(III) K3 [Co(CN)e] über : 2 [Co(CN)6] " " + 2H' — 2 [Co(CN)6] " ' + H 2 . Die Stabilitätsverhältnisse liegen hier also gerade umgekehrt wie bei den entsprechenden E i s e n Verbindungen (S. 518 f.), was durch die unterschiedlichen Elektronenkonfigurationen bedingt wird (vgl. S. 158). Zur A b t r e n n u n g vom N i c k e l und zum N a c h w e i s von K o b a l t eignet sich das gelbe, kristalline, schwerlösliche Kalium-hexanitrito-kobaltat(III) K 3 [Co(N0 2 ) e ], das beim Versetzen von Kobalt(II)-salzlösungen mit überschüssigem Kaliumnitrit und Ansäuern mit verdünnter Essigsäure ausfällt : Co"-(-N0 2 ' + 2H°—>-Co"" + N 0 + H 2 0 ; Co"· + 6N0 2 ' — [ C o ( N 0 2 ) 6 ] " ' . In saurer Lösung bleibt die Oxydation (2) aus. Die Katalyse ist nicht unbegrenzt fortsetzbar, da das Kobaltsulfid CoS infolge teilweiser Selbstoxydation zu Kobaltsulfat CoS0 4 allmählich verbraucht wird. 1
2
522
Die Eisengruppe
3. Das Nickel Vorkommen. Etwa 9 0 % der Weltproduktion an Nickel werden aus den in Ontario Kanada) vorkommenden Magnetkiesen Fe 3 S 4 erzeugt. Sie enthalten K u p f e r (als Kupferkies CuFeS 2 ) und N i c k e l (als Pentlandit NiS), sowie Spuren von Gold, S i l b e r und P l a t i n m e t a l l e n . Weiterhin ist für die Nickelgewinnung der Garnierit (Ni, Mg)H 2 Si0 4 wichtig, der sich vor allem in Neukaledonien findet. Von sonstigen Nickelerzen sind zu erwähnen: der Rotnickelkies NiAs, der Weißnickelkies NiAs2, der Arsennickelkies NiAs S und die Nickelblende NiS. Darstellung. Die D a r s t e l l u n g des N i c k e l s aus den kanadischen Magnetkiesen erfolgt analog der Kupfergewinnung (S. 432f.) in der Weise, daß man das — zur Entfernung eines Teils des S c h w e f e l s vorgeröstete — Material, das zur Hauptsache aus Ni 2 S, Cu 2 S, Fe S und Fe 2 0 3 besteht, mit kieselsäurehaltigen Zuschlägen und K o k s verschmilzt. Hierbei verschlackt das E i s e n o x y d unter Kohlenoxydbildung großenteils zu E i s e n s i l i c a t , welches ständig aus dem Ofen abfließt, während der gleichzeitig gebildete, hauptsächlich aus Ni 2 S, Cu2S und FeS bestehende, spezifisch schwerere „Kupfer-Nickel-Rohstein" periodisch abgestochen wird und zur weiteren Abtrennung des Eisens in den K o n v e r t e r gelangt. Hier wird das E i s e n s u l f i d durch eingeblasene Luft o x y d i e r t und mit zugesetztem Si0 2 v e r s c h l a c k t . Zurück bleibt der zur Hauptsache aus Ni 2 S und Cu2S bestehende „Kupfer-Nickel-Feinstein" mit 80°/0 Cu + Ni und 20°/o S. Er wird in Formen gegossen und zerkleinert. Die K o n v e r t e r g a s e dienen zur Schwefelsäuregewinnung. Die Weiterverarbeitung des zerkleinerten K u p f e r - N i c k e l - F e i n s t e i n s kann in verschiedener Weise erfolgen. Entweder verzichtet man auf eine Trennung von Kupfer und Nickel und röstet den Feinstein bei etwa 1100° zu einem Gemisch von N i c k e l und K u p f e r o x y d ab, welches sich mit K o h l e in Flammöfen zu einer K u p f e r N i c k e l - L e g i e r u n g mit durchschnittlich 70°/0Ni und 3 0 % Cu („Monelmetall") reduzieren läßt. Oder man verschmilzt den Feinstein mit N a t r i u m s u l f i d Na 2 S (Natriumsulfat und Kohle), wobei nur das Kupfersulfid ein leicht schmelzendes Doppelsulfid bildet, so daß sich das flüssige Schmelzgemisch in zwei scharf getrennte S c h i c h t e n — den aus N i c k e l s u l f i d bestehenden „Boden" und den das K u p f e r s u l f i d enthaltenden „Kopf" — trennt; die „Böden" werden dann zu N i c k e l o x y d geröstet und mit K o h l e zu metallischem N i c k e l reduziert, das zur weiteren Reinigung schließlich noch e l e k t r o l y t i s c h r a f f i n i e r t wird. Ein wesentlich r e i n e r e s N i c k e l läßt sich aus dem Feinstein nach dem „MOND-Verfahren" gewinnen, das auf der Bildung und Zersetzung von N i c k e l t e t r a c a r b o n y l beruht: Ni + 4 CO
Ni(CO)4 + 43.3 kcal.
Dieser „MONDsche Nickelprozeß" verläuft im einzelnen so, daß man den bei 700° totgerösteten F e i n s t e i n in 10 m hohen und 2 m weiten Türmen bei etwa 400° mit W a s s e r g a s reduziert NiO + CO —>• Ni + C0 2 ) und das reduzierte Material in ähnlichen Türmen („ Verflüchtiger") bei 80° einem von unten aufsteigenden K o h l e n o x y d s t r o m entgegenführt. Das hierbei gebildete und anschließend von Flugstaub befreite N i c k e l c a r b o n y l gelangt dann in gußeiserne, übereinander angeordnete, mit Nickelkügelchen von 2 — 5 mm Durchmesser gefüllte und auf 180° angeheizte Z e r s e t z u n g s k a m m e r n („Zersetzer"), in welchen es sich in K o h l e n o x y d und N i c k e l zersetzt. Das N i c k e l scheidet sich dabei auf den Kugeln mit einer Reinheit von 99.8—99.9°/ 0 ab. Das freigewordene K o h l e n o x y d kehrt wieder in den Prozeß zurück.
Eigenschaften. Nickel ist ein silberweißes, schmied- und schweißbares, zähes, bei 1455° schmelzendes und bei 3075° siedendes, schwach magnetisches Metall vom spezifischen Gewicht 8.90. Wegen seiner Polierbarkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Luft werden Haus- und Küchengeräte vielfach g a l v a n i s c h v e r n i c k e l t oder
Das Nickel — Die Metallcarbonyle
523
mit Nickelblech verschweißt („Plattierung"). Von n i c h t o x y d i e r e n d e n Säuren •wird Nickel bei Zimmertemperatur nur langsam, von oxydierenden Säuren leicht gelöst. Gegenüber Alkalihydroxyden ist es selbst bei 300—400° beständig; deshalb lassen sich Nickeltiegel im Laboratorium gut zum Schmelzen von Natriumund Kaliumhydroxyd gebrauchen. In seinen chemischen Verbindungen tritt Nickel praktisch nur zweiwertig auf. Verwendung. Die Hauptmenge an Nickel wird durch die S t a h l i n d u s t r i e verbraucht, da durch Zusatz einiger Prozente Nickel zum Stahl dessen H ä r t e und Zähigk e i t stark erhöht wird. So werden aus Nickelstahl ζ. B. Gewehrläufe, Geschützrohre und Panzerplatten hergestellt. Ein anderer Teil dient zur galvanischen Vernickelung sowie als R e i n n i c k e l zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen und von Münzen. Unter den Nickellegierungen sind vor allem die N i c k e l - K u p f e r L e g i e r u n g e n (z.B. Monelmetall) zu erwähnen, die sich durch große K o r r o s i o n s b e s t ä n d i g k e i t auszeichnen. Auch Nickel-Chrom- und Nickel-MolybdänLegierungen sind gegen Säuren sehr beständig. F e i n v e r t e i l t e s Nickel dient als technischer K a t a l y s a t o r für die Fetthärtung (II, S. 157f.). Nickelverbindungen. Nickel(II)-oxyd NiO hinterbleibt beim Glühen von Nickelsalzen flüchtiger Säuren (ζ. B. des Hydroxyds, Nitrats, Carbonate) als grünlichgraues, in Wasser unlösliches, in Säuren leicht lösliches Pulver vom Schmelzpunkt 1990°. Das beim Überleiten von Wasserstoff über Nickel(II)-oxyd bei 200° entstehende feinverteilte Nickel ist ein ausgezeichneter Katalysator für die Hydrierung organischer Verbindungen. Nickel(II)-hydroxyd Ni(OH)2 fällt aus Nickel(II)-salzlösungen bei Zusatz von Alkali als grüner, voluminöser, an der Luft beständiger Niederschlag aus. Bei der Oxydation mit Kaliumhypobromit (Brom und Kalilauge) geht es in schwarzes Nickel(III)-hydroxydNi(OH) 3 über. Nickel(II)-chloridNiCl2 kristallisiert aus wässerigen Lösungen in Form grüner, monokliner Prismen der Zusammensetzung NiCl2 · 6 H 2 0 aus und läßt sich nur im Chlorwasserstoffstrom zum wasserfreien, gelben Chlorid NiClj entwässern. Nickel(II)-sulfid NiS läßt sich aus sauren Lösungen von Nickel(II)salzen n i c h t durch Schwefelwasserstoff fällen. Hat man es aber mit Hilfe von Ammoniumsulfid erst einmal aus a m m o n i a k a l i s c h e r Lösung niedergeschlagen, so löst es sich in verdünnten Säuren nicht mehr auf. Diese Erscheinung erklärt sich wie beim Kobaltsulfid CoS durch die leichte Oxydierbarkeit des säurelöslichen NiS in ammoniakalischer Lösung zu Ni(OH)S und dessen Übergang in säureunlösliches Ni2S3 (vgl. S. 520f.). Nickel(II)-sulfatNiSOi läßt sich aus wässerigen Lösungen in Form eines grünen Heptahydrats N i S 0 4 - 7 H 2 0 („Nickelvitriol") auskristallisieren, das mit anderen Vitriolen analoger Zusammensetzung isomorph ist und wie diese Doppelsalze bildet. Νickel(II)-Cyanid Ni(CN)2 löst sich im Überschuß von Kaliumcyanid zu einer Κ omplexverbindung K 2 [Ni(CN) 4 ], die schon durch Salzsäure unter Wiederabscheidung von Ni(CN)2 zerlegt wird.
4. Die Metallcarbonyle Unter der Bezeichnung „Metallcarbonyle" faßt man eine Reihe von K o h l e n oxydverbindungen der Metalle der 6. bis 8. Nebengruppe des Periodensystems zusammen. Ihre Erforschung verdanken wir hauptsächlich dem deutschen Chemiker W A L T E R H I E B E R .
Die Eisengruppe
524
a. Systematik und Konstitution α. Monomolekulare Typen Besonders interessant sind unter denMetallcarbonylen die sehr flüchtigen m o n o m o l e k u l a r e n Typen Me(CO)n. Sie werden nur von den Metallen mit g e r a d e r O r d n u n g s z a h l — also den Elementen C h r o m , E i s e n , N i c k e l und ihren H o m o l o g e n — gebildet und haben folgende charakteristische Zusammensetzungen: OI
25
Mn
26
42
43
Tc
44
RU(CO) 5 farblose Flüssigkeit, Smp. —22»
74
75
Re
78
Os(CO)5 farblose Flüssigkeit, Smp. 18°
Cr(CO)6 farblose, rhombische, sehr leicht sublimierende Kristalle Mo (CO) $ farblose, rhombische, sehr leicht sublimierende Kristalle
W(CO) 6 farblose, rhombische, sehr leicht sublimierende Kristalle
Fe(CO)s gelbe Flüssigkeit, Smp. —20°, Sdp. 103»
27
Co
45
Rh
77
Ir
28
Ni(C0) 4 farblose Flüssigkeit, Smp. —25°, Sdp. 43» Pd
78
Pt
Offensichtlich sind die Formeln auch hier wie bei vielen anderen Komplexverbindungen (vgl. S. 157 f.) eine Folge des Bestrebens der Metalle, durch Einbau freier Elektronenpaare anderer Atome die Elektronenschale des n ä c h s t h ö h e r e n E d e l g a s e s zu erlangen. Denn genau wie beispielsweise das z w e i f a c h p o s i t i v g e l a d e n e E i s e n i o n (24 Elektronen) im Molekül des g e l b e n B l u t l a u g e n s a l z e s durch die Anlagerung von s e c h s Cyan-ionen die Edelgasschale des K r y p t o n s (36 Elektronen) erreicht (24 + 6 χ 2 = 36 Elektronen) : Fe + 6 : C : : : Ν :
>- [Fe(:C : : : N : ) , ]
,
gelangt das n e u t r a l e E i s e n a t o m , das z w e i E l e k t r o n e n m e h r besitzt (26 Elektronen), im Molekül des E i s e n p e n t a c a r b o n y l s durch die Aufnahme von f ü n f Kohlenoxydmolekülen zur g l e i c h e n E d e l g a s s c h a l e (26 + 5 χ 2 = 36 Elektronen) : Fe + 5 : C : : : O :
>- [Fe(:C : :: O :),].
I n derselben Weise erreichen R u t h e n i u m und O s m i u m in den analog gebauten Pentacarbonylen Ru(CO) 5 und Os(CO)5 die Edelgasschalen des X e n o n s und R a d o n s , während bei den Elementen der C h r o m g r u p p e (Chrom, Molybdän, Wolfram), denen je zwölf Elektronen zur nächsten Edelgaskonfiguration fehlen, eine Aufnahme von je s e c h s und beim N i c k e l , das nur a c h t Elektronen benötigt, eine Aufnahme von nur v i e r Kohlenoxydmolekülen pro Metallatom erforderlich ist. Für die H e x a c a r b o n y l e ist eine Anordnung der C O - M o l e k ü l e an den sechs Ecken eines O k t a e d e r s , für das N i c k e l - t e t r a c a r b o n y l eine Anordnung an den vier Ecken eines T e t r a e d e r s nachgewiesen. Für die P e n t a c a r b o n y l e , deren Konstitution noch nicht sichersteht und bei denen offensichtlich nicht alle Kohlenoxydmoleküle gleichwertig sind (vgl. S. 526), wird die Konfiguration einer vierseitigen Pyramide oder einer dreiseitigen Doppelpyramide diskutiert.
525
Die Metallcarbonyle β . Höhermolekulare Typen
Bei den wenig bis nicht flüchtigen h ö h er m o l e k u l a r e n T y p e n : 26
Mn
Γβ2(00)9 goldgelbe, pseudohexagonale Kristalle, Zers. bei 100°
27
Co4(CO)12 schwarze Kristalle, Zers. bei 60°
Fe 3 (CO) 12 tiefgrüne, monokline Prismen, Zers. bei 140° 44
Tc
Bu 2 (C0) 9 orangefarbene, monokline, sublimierende Prismen Buj(CO),Ä grüne Nadeln.
ne
75
ße s (CO)io farblose, monoklin-prismatische Kristalle, Smp. 177°
Os2(CO)9 hellgelbe, pseudohexagonale, sublimierende Kristalle Smp. 224°
Co2(CO)8 orangefarbene Kristalle, Smp. 51°, Zers. bei 52°
45
77
Kh2(CO)8 gelbrote Kristalle, Smp. 76° Rh4(€0)u dunkelrote Kristalle, Sblp. > 150° Ir2(CO)8 grüngelbe, sublimierende Kristalle
Ir 4 (CO) I2 kanariengelbe, trigonale Kristalle, Zers. bei 210°
erreicht die auf jedes Metallatom entfallende G e s a m t e l e k t r o n e n z a h l (,,effektive Elektronenzahl") nicht ganz die Elektronenzahl des nächsten Edelgases. Denn während die m o n o m e r e n Typen, wie wir oben sahen, ganz allgemein die Zusammensetzung Me(CO) n besitzen (wobei 2n die zur nächsten Edelgasschale fehlende Elektronenzahl bedeutet), kommt den d i m e r e n Gliedern die Bruttozusammensetzung Me(CO)n_0.5, den t r i m e r e n die Bruttozusammensetzung Me(CO) n _i und den t e t r a m e r e n die Bruttozusammensetzung Me(CO) n _i.5 z u : Me(CO) n _ 0
Me(CO) n _ 0 5
Me(CO) n _,
monomer
dimer
trimer
Me(CO) n _ 1-5 . tetramer
Da jedes Kohlenoxydmolekül ein E l e k t r o n e n p a a r beisteuert (S. 524), fehlen hier also den einzelnen Metallatomen e i n (dimere Carbonyle) bzw. z w e i (trimere Carbonyle) bzw. d r e i (tetramere Carbonyle) Elektronen bis zur nächsten Edelgasschale, was die Z u s a m m e n l a g e r u n g dieser Moleküle zu g r ö ß e r e n M o l e k ü l v e r b ä n d e n bedingt. Denn bei einer solchen Zusammenlagerung können die Metallatome der Carbonyle in ähnlicher Weise ihre Elektronenschalen vervollständigen, wie etwa das elektronen-ungesättigte Chloratom durch Vereinigung mit einem zweiten Chloratom zur Argonschale gelangt
Cl · +
- C l : — > : C l : C l : j . Und zwar werden
im Falle der höhermolekularen Metallcarbonyle d a n n f ü r alle beteiligten Atome Edelgasschalen erreicht, wenn man annimmt, daß j e d e s Metallatom mit j e d e m übrigen Metallatom des gleichen Moleküls j e e i n E l e k t r o n e n p a a r (direkt oder auf dem Wege über ein Kohlenoxydmolekül) g e m e i n s a m hat.
526
Die Eisengruppe
b. Darstellung
Die klassische D a r s t e l l u n g der Metallcarbonyle beruht auf der d i r e k t e n Einwirkung von K o h l e n o x y d auf Metall. Das Metall muß dabei in „ a k t i v e r F o r m " , d.h. in genügend feiner Zerteilung vorliegen. So wird z . B . das Nickeltetracarbonyl Ni(CO)4 technisch durch Überleiten von K o h l e n o x y d bei 80° über bei 400° durch Reduktion des Oxyds mit Wassergas gewonnenes Nickelpulver dargestellt (S. 522). In analoger Weise gewinnt man Eisen-pentacarbonyl Fe(CO)s und Kobalt-tetracarbonyl [CoiCOJJa technisch durch Erhitzen von f e i n v e r t e i l t e m E i s e n bzw. K o b a l t und K o h l e n o x y d unter Druck auf 150—200°. Bei E n e r g i e zufuhr (ζ. B. in Form von Licht, Wärme oder chemischer Energie) gehen die so erhältlichen niedermolekularen Carbonyle in die energiereicheren höhermolekularen Typen über, die ihrerseits bei noch stärkerem Erhitzen in Metall und K o h l e n o x y d zerfallen. So geht beispielsweise das E i s e n - p e n t a c a r b o n y l Fe(CO)5 am S o n n e n l i c h t allmählich in Eisen-enneacarbonyl Fe 2 (CO) 9 , bei der Oxydation im alkalischen System in Eisen-tetracarbonyl [Fe(C0 4 )] 3 und beim E r h i t z e n auf 150° in Eisen (,,Carbonyleisen") über. Statt aus Metall und Kohlenoxyd kann die Darstellung der Metallcarbonyle mit Vorteil auch durch Einwirkung von Kohlenoxyd auf Metallverbindungen (ζ. B. Halogenide, Oxyde, Sulfide) bei erhöhter T e m p e r a t u r und unter Druck erfolgen. So entsteht ζ. B. das Ruthenium-pentacarbonyl Ru(CO)5 bei der Umsetzung von K o h l e n o x y d und R u t h e n i u m (III)-jodid und das Rkenium-pentacarbonyl [Re(CO)5]2 bei der Reaktion zwischen K o h l e n o x y d und R h e n i u m h e p t o x y d bzw. -heptasulfid. Eine Erhöhung der Ausbeute läßt sich bei diesen Verfahren dadurch erreichen, daß man dem Reaktionsgemisch ein „Beimetall" zumischt, welches den an das carbonylbildende Metall gebundenen S ä u r e r e s t aufzunehmen vermag. So läßt sich z . B . die Ausbeute an K o b a l t - t e t r a c a r b o n y l [Co(CO)4]2 bei der Einwirkung von K o h l e n o x y d auf K o b a l t ( I I ) - b r o m i d bei 200 at und 250° durch Zugabe von S i l b e r , K u p f e r oder Zink auf ein Mehrfaches steigern. In gleicher Weise wirkt die Anwesenheit von Metallen, besonders K u p f e r , bei der technischen Darstellung von Nickel- und E i s e n c a r b o n y l aus sulfidhaltigem Metall vorteilhaft.
c. Eigenschaften
Die physikalischen E i g e n s c h a f t e n der einzelnen Metallcarbonyle gehen aus den Tabellen auf S. 524 und S. 525 hervor. Unter den chemischen E i g e n s c h a f t e n ist vor allem auf die Reaktion mancher Metallcarbonyle mit B a s e n („Basenreaktion") hinzuweisen, die zur Bildung von „Carbonylwasserstoffen" führt. Läßt man ζ. B. E i s e n - p e n t a c a r b o n y l Fe(CO)5 auf B a r y t l a u g e einwirken, so wird eines der fünf Kohlenoxydmoleküle hydrolytisch als K o h l e n s ä u r e abgespalten und als B a r i u m c a r b o n a t gefällt, während sich aus der mit Phosphorsäure angesäuerten alkalischen Lösung ein Eisen-carbonylwasserstoff FeH2(CO)4 abdestillieren läßt: (CO)4Fe;CO + 2HÖ|H -—(CO) 4 FeH 2 + CO(OH)2 H2CÖr+ 2ÖH' >- C0 3 " + 2 HÖH Fe(CO)6 + 2 OH' —>- FeH2(CO)4 + CO„". In analoger Weise entsteht aus dem K o b a l t - t e t r a c a r b o n y l [Co(CO)4]2 bei der Umsetzung mit B a s e n ein Kobalt-carbonylwasserstoff CoH(CO)4. Die Bildungstendenz dieser Verbindung ist besonders groß, so daß sie auch durch direkte Einwirkung von W a s s e r s t o f f auf K o b a l t - t e t r a c a r b o n y l unter CO-Druck oder durch T o t a l s y n t h e s e aus K o b a l t m e t a l l , W a s s e r s t o f f (50 at) und K o h l e n o x y d (200 at) bei 200° erhalten werden kann :
Die Metallcarbonyle [Co(C0)4]2 + H 2 — > • 2CoH(CO)4
527
Co + V 2 H 2 + 4C0 — C o H ( C O ) 4 .
Die beiden C a r b o n y l w a s s e r s t o f f e FeH2(CO)4 und CoH(C0)4, die leicht der S e l b s t z e r s e t z u n g unter Abspaltung von W a s s e r s t o f f und Bildung w a s s e r s t o f f freier Carbonyle unterliegen: FeH2(CO)4 ^ H 2 + i/ 3 [re(CO) 4 ] 3 COH(CO)4 — s - ι / , Η , + ν2[0ο(00) 4 ] 2 ,
verhalten sich physikalisch und chemisch wie „ P s e u d o - n i c k e l - t e t r a c a r b o n y l e " , bei denen die Atomgruppierungen FeH 2 bzw. CoH die Stelle des N i c k e l a t o m s im Nickel-tetracarbonyl Ni(CO)4 einnehmen: FeH«(CO)4 farblose Flüssigkeit, Smp. —70"
CoH(CO)4
Ni(CO)4
hellgelbe Flüssigkeit, Smp. —26°
farblose Flüssigkeit, Smp. - 25"
(1)
In analoger Weise bilden auch die E l e m e n t h o m o l o g e n des Kobalts Carbonylwasserstoffe : KhH(CO)4
schwachgelbe Flüssigkeit Smp. —12°
und
IrH(CO) 4 ,
(nur qualitativ nachgewiesen)
in denen die Metall-Wasserstoff-Gruppen die Rolle des entsprechenden N i c k e l H o m o l o g e n vertreten. Ebenso bildet offensichtlich das R h e n i u m eine Carbonylwasserstoffverbindung BeH(CO)5, in welcher die ReH-gruppe ein „ P s e u d o - o s m i u m atom" darstellt, so daß die Substanz dem O s m i u m - p e n t a c a r b o n y l Os(CO)5 an die Seite zu stellen ist. Wie die Verbindungsreihe (1) zeigt, wirkt die F e H a - g r u p p e , die insgesamt 26 (Fe) + 2 (2 H) = 28, und die C o H - g r u p p e , die insgesamt 27 (Co) + 1 (H) = ebenfalls 28 Kernladungen und Elektronen aufweist, wie ein N i c k e l a t o m , das die 28 Kernladungen nicht auf mehrere Atome a u f g e t e i l t , sondern in e i n e m Kern vereinigt innerhalb der Elektronenhülle von 28 Elektronen enthält. E i s e n und K o b a l t nehmen also durch Aufnahme von zwei bzw. e i n e m Wasserstoffatom die Eigenschaften des im Periodensystem um zwei bzw. e i n e Stelle rechts von ihnen stehenden N i c k e l s an: Fe Co ^ N i "^FeH^CoH ^FeH2. Diese Erscheinung ist ein S p e z i a l f a l l einer als „Grimhscher Hydrid verschicbungssatz" bekannten Regel, wonach Atome durch Aufnahme von a ( = 1, 2, 3 oder 4) WasserStoffatomen die Eigenschaften der im Periodensystem, um a Ordnungszahlen höheren Atome annehmen. So bestehen ζ. B. bei den Elementen Bor bis N a t r i u m folgende Zusammenhänge: Β C ^ Ν 0 ^F ^Ne Na ^ B H ^ C H ^ N H ^ O H ^ F H ^(NeH) BH 2 ^ CH 2 ^ N H 2 ^ 0 H 2 ^ F H 2 ~"bh4^CH4^NH4. Entsprechend dieser Zusammenstellung treten beispielsweise die Atomgruppen FH 2 , OH 3 und NH 4 wie das N a t r i u m in Form p o s i t i v e r I o n e n auf, wie etwa die Verbindungsreihe Na[C10 4 ], H 2 F[C10 4 ], r o t e i c i ] und NH 4 [C10 4 ] zeigt (das Neon bildet als Edelgas kein dem Hydridverschiebungssatz entsprechendes NeH + -ion). Dem E d e l g a s Ne entsprechen die in s i c h a b g e s ä t t i g t e n Moleküle HF, H 2 0, NH 3 und CH 4 . Die Gruppen OH, NH 2 , CH 3 und BH 4 treten wie das F l u o r a t o m als e i n w e r t i g e — heteropolar oder homöopolar gebundene — Liganden auf, wie ζ. B. die Verbindungsreihe Li[F], Li [OH], Li[NH 2 ], Li[CH 3 ] und Li[BH 4 ] oder die Verbindungsreihen BeF 2 , Be(OH)2, Be(NH2)2, Be(CH3)2 und Be(BH4)2 bzw. A1F3, Al(OH)3, A1(NH2)3, A1(CH3)3 und A1(BH4)3 beweisen. Genau wie der S a u e r s t o f f kommen auch die Atomgruppen NH, CH 2 undBH 3 unter normalen Bedingungen nicht „ a t o m a r " , sondern nur „ m o l e k u l a r " — m i t einer D o p p e l b i n d u n g im Molekül —vor: 0 = 0 , N H = N H , CH 2 =CH 2 , BH 3 =BH 3 1 . 1 Da die Valenzelektronen des Diborans B 2 H e zur normalen Bindung aller sechs Wasserstoffatome nicht ausreichen, wirken zwei Wasserstoffatome beim Zustande ko m men der Doppelbindung" des Moleküls mit (S.355).
Die Eisengruppe
528
Das A c e t y l e n CH=CH entspricht in seinem Aufbau dem S t i c k s t o f f m o l e k ü l N = N fein Borwasserstoff B H 2 = B H 2 ist nicht bekannt). Die K o h l e n s t o f f n a t u r der BH-gruppe findet sich in der Ä t h y l e n ä h n l i c h k e i t des D i b o r a n s wieder: CH 2 =CH 2 , (BH)H a =(BH)H 2 .
d. Nitrosylcarbonyle Unter den D e r i v a t e n der Metallcarbonyle sind vor allem die „Nitrosylcarbonyle" zu erwähnen, die neben K o h l e n o xydmolekülen CO auch S t i c k o x y d m o l e k ü l e NO im Molekül enthalten. Dieser Einbau von NO-Molekülen führt zu v a l e n z c h e m i s c h e n B e s o n d e r h e i t e n , die dadurch bedingt werden, daß das NO ein E l e k t r o n m e h r als das CO besitzt und dementsprechend auch ein E l e k t r o n m e h r als dieses zur effektiven Elektronenzahl des zentralen Metallatoms beisteuert. Infolge dieses zusätzlichen Elektrons vermag ja das NO zum Unterschied vom CO und in Analogie zu den Alkalimetallen S a l z e wie NO[BF 4 ], N0[C10 4 ] und N 0 [ S 0 3 H ] zu bilden, in denen die NO-gruppe das K a t i o n darstellt: [:Ν:::0:]θ
[: Ν : : : 0:]++ © ·
Tritt dementsprechend ein S t i c k o x y d m o l e k ü l als Komplexbestandteil in ein Molekül ein, so gibt es das überzählige Elektron an das Zentralatom ab, um sich dann als p o s i t i v e s I o n mit Hilfe seines freien Stickstoff-Elektronenpaares in ganz analoger Weise anzulagern, wie etwa der komplexe Einbau eines K o h l e n o x y d m o l e k ü l s oder eines negativen C y a n i d - i o n s erfolgt: Beispiele:
:N:::0: [Feil(CN) 5 NO]"
:C:::0: [Pen(CN) B CO]'"
:C:::N: [FeH(CN)6CN]"".
Ersetzt man daher ζ. B. in der Formel des N i c k e l - t e t r a c a r b o n y l s Ni(CO)4 ein oder z w e i CO-Moleküle durch eine entsprechende Zahl von NO-Molekülen, so muß man — falls man zu a n a l o g z u s a m m e n g e s e t z t e n Molekülen kommen will — gleichzeitig das Nickelatom durch K o b a l t bzw. E i s e n (welche e i n bzw. zwei Elektronen w e n i g e r besitzen) ersetzen, um der durch den Eintritt des Stickoxyds bedingten Vermehrung der effektiven Elektronenzahl (S. 525) des Zentralatoms Rechnung zu tragen: Ni(CO)4 farblose Flüssigkeit, Smp. —25°, Sdp. 43°
CO(CO)3NO
rote Flüssigkeit, Smp. — 1», Sdp. 79»
Fe(CO)2(NO)2
rote Flüssigkeit, Smp. 18®, Sdp. 110».
Denn durch die Aufnahme eines bzw. zweier Elektronen werden E i s e n und K o b a l t zu „ P s e u d o - n i c k e l - a t o m e n " (Elektronenzahl: 26 + 2 = 27 + 1 = 28): Fe^Co^Ni Fe-^CoFe-,
wie auch die schon besprochene Verbindungsreihe FeH 2 (CO) 4 , Coïï(C0) 4 und Ni(CO)4 zeigt (S. 527), bei der die obigen negativen Ladungen der Metallatome durch den Einbau positiver Wasserstoff-ionen (Protonen) neutralisiert sind. Im Zusammenhang mit den Nitrosyl-carbonyl-komplexen seien die Nitrosyl-cyanokomplexe („Nitroayl-prussiate" im weiteren Sinne; vgl. S. 519) wie beispielsweise [Mn(CN) s N0]"' [Fe(CN) 5 N0]" [Ni(CN) 3 NO]" (2) erwähnt, deren effektive Elektronenzahl der Elektronenzahl von Edelgasen (hier des Kryptons) entspricht und die in einfacher Weise durch Einwirkung von H y d r o x y l a m i n auf die entsprechenden Cyanokomplexe in a l k a l i s c h e r L ö s u n g darstellbar sind, wobei eine der eintretenden NO-Menge äquivalente Menge Ammoniak entbunden wird. Die Wirkung des Hydroxylamins beruht auf seiner Fähigkeit zur Disproportionierung in Ammoniak und Nitroxylsäure (vgl. S.239f.) : 2 H„NO >-H s N + H 3 N 0 2 ( = ? ! 5 > HNO), indem die dabei gebildete Säure HNO in der alkalischen Lösung (HNO + OH' >• NO' + H 2 0 ) als Nitroxyl-icm, NO' in die komplexen Cyanide eintritt:
529
Die MetaJJcarbonyle [Mn(CN),]'" + NO' rot
^ [Mn(CN)jNO]'" + CN', violett
[Ni(CN) 4 ]" + NO' blaßgelb
[Ni(CN) 3 N0]" + CN'. violett
(3)
v
Die t r e i b e n d e K r a f t des CN'/NO'-Austausches bildet der innermolekulare Übergang des N i t r o x y l - i o n s NO' in den Bindungszustand des Nitrosyl-ions NO": :N::Ö: > :N:::0: + 2 0» Nitroxyl-ion Nitrosyl-ion
(4)
wobei 2 Elektronen frei werden, die die effektive Elektronenzahl 34 des Mangans bzw. Nickels in den obigen Cyanokomplexen (3) zur Elektronenzahl 36 des Kryptons ergänzen. Besitzt der mittels Hydroxylamin in ein Nitrosylprussiat umzuwandelnde Cyanokomplex bereits von vornherein die effektive Elektronenzahl eines Edelgases, wie dies bei dem Cyano-eisen-komplex (Fe(CN) e ]"" der Fall ist, so tritt naturgemäß die NO-Gruppe als N i t r o s y l - i o n NO' in das Molekül ein: [Fe(CN),]"" + NO" [Fe(CN) s NO]" + CN', so daß sich die negative Ladung des Cyano-komplexes um 2 Einheiten vermindert. Die Bindungsumlagerung (4) bedingt dann eine extramolekulare Reduktionsreaktion, nämlich die Umwandlung von überschüssigem Hydroxylamin in Ammoniak (2© + H3NO + H 2 0 H 3 N + 20H').
e. Metallisonitrile Wie die schweflige Säure (S. 200f.) und salpetrige Säure (S. 238) kommt auch die B l a u s ä u r e HCNin zwei tautomeren, miteinander im Gleichgewicht stehenden Formen vor: H:C:::N:^=5r:C:::N:H, die als „Nitrii"· und „Isonitril" - Form voneinander unterschieden werden. Das tautomere Gleichgewicht liegt ganz auf der Seite der Nitrilform; doch lassen sich beide Molekülarten in Form organischer Derivate getrennt als „Nitrile" R : C : : : N : und ,,Isonitrile" : C : : : N : R (.R = Kohlenwasserstoffrest) isolieren, welche in ihrer Elektronenkonfiguration dem Kohlenoxyd : C : : : 0 : entsprechen. Wie das Kohlenoxyd vermögen sich nun auch die I s o n i t r i l e mit ihrem freien Kohlenstoff-Elektronenpaar an die carbonyl-bildenden Metalle anzulagern. Die Bindung zwischen Metall und Kohlenstoff ist dabei fester als bei den Carbonylen, so daß bei der Einwirkung von Isonitrilen auf Metallcarbonyle unter Austausch von CO gegen CNR M e t a l l i s o n i t r i l e gebildet werden. So führt beispielsweise die Umsetzung von Nickel-tetracarbonyl Ni(CO)4 mit Methyl isonitril CNR (R = CH3) zum blaßgelben, kristallinen Nickel-monocarbonyl-trimethylisonitril Ni(CO)(CNR)3, während bei der entsprechenden Einwirkung von P h e n y l isonitril CNR (R = C6H5) Nickel· tetraphenylisonitril Ni(CNR)4 entsteht, das in prächtigen kanariengelben, in Chloroform leicht löslichen Prismen kristallisiert.
H o l l e m a n - W I b e r g , Anorganische Chemie.
30. u. 31. Aufl.
34
Kapitel XXV
Die Gruppe der Platinmetalle Unter dem Namen Platinmetalle faßt man die gemeinschaftlich vorkommenden Metalle R u t h e n i u m , R h o d i u m , P a l l a d i u m , Osmium, I r i d i u m und P l a t i n zusammen. *
1. Vorkommen Bei dem Vorkommen der Platinmetalle muß man zwischen primären und sekundären Lagerstätten unterscheiden. Der Gehalt der p r i m ä r e n Lagerstätten (Eisen-, Chrom-, Nickel-, Kupfererze) an Platinmetallen ist sehr gering. Die wichtigsten derartigen Platinvorkommen sind die kanadischen Kupfer-Nickel-Magnetkiese in Ontario und die südafrikanischen Kupfer-Nickel-Kiese in Transvaal, in welchen die Platinmetalle als S u l f i d e enthalten sind. Durch Verwitterung solcher primärer Lagerstätten und durch einen durch fließende Gewässer bedingten natürlichen Schwemmprozeß haben sich die Platinmetalle dank ihres hohen spezifischen Gewichtes an bestimmten Stellen angereichert. Derartige s e k u n d ä r e Lagerstätten finden sich vor allem am Ost- und Westabhang des Urals sowie in Kolumbien. Sie enthalten die Platinmetalle in gediegenem Zustande.
2. Gewinnung Zur Gewinnung der Platinmetalle müssen diese zunächst in Form des „Rohplatins" a n g e r e i c h e r t werden. Dies geschieht bei dem gediegenen russischen und kolumbischen Vorkommen in der Weise, daß man durch einen W a s c h - und Sedimentationsprozeß die spezifisch schwereren Rohplatinteilchen, die durchschnittlich 8 0 % Pt, 1 0 % Fe + Cu und je 1 % der übrigen Platinmetalle enthalten, von dem spezifisch leichteren Sand und Geröll abtrennt. Bei der Aufarbeitung der k a n a d i s c h e n Magnetkiese auf Nickel reichern sich die Platinmetalle mit dem Nickel an und sammeln sich bei der e l e k t r o l y t i s c h e n Reinigung des Nickels im Anodenschlamm, bei der Reinigung nach dem MoND-Verfahren im Rückstand der Kohlenoxydbehandlung. Die in den s ü d a f r i k a n i s c h e n Erzen enthaltenen Platinmineralien werden durch F l o t a t i o n angereichert und einer chlorierenden R ö s t u n g unterworfen, bei welcher die Platinmetalle in lösliche Doppelchloride übergehen. Bei der Aufarbeitung g o l d h a l t i g e r Erze auf Gold sammeln sich die Platinmetalle im A n o d e n s c h l a m m der elektrolytischen Goldraffination (S. 446f.) Das gewonnene R o h p l a t i n besteht aus zwei Legierungen, dem „Platin-iridium" (Pt, Ir, Rh, Pd) und dem „Osmium-iridium" (Os, Ir, Rh, Ru). Zur Trennung der beiden Gruppen behandelt man das Produkt mit K ö n i g s w a s s e r , wobei sich das P l a t i n iridium löst, während das Osmium-iridium ungelöst zurückbleibt. Die weitere T r e n n u n g und R e i n g e w i n n u n g der Einzelglieder ist eine schwierige und zeitraubende Operation, auf die hier nicht näher eingegangen sei. Sie gründet sich zur Hauptsache auf die Unterschiede in der O x y d i e r b a r k e i t der Metalle, der L ö s l i c h k e i t ihrer Komplexsalze und der B e s t ä n d i g k e i t der verschiedenen Wertigkeitsstufen.
531
Physikalische Eigenschaften — Chemische Eigenschaften
3. Physikalische Eigenschaften Die Platinmetalle sind stahlgraue bis silberweiße Edelmetalle. Ihre wichtigsten p h y s i k a l i s c h e n E i g e n s c h a f t e n gehen aus der folgenden Zusammenstellung hervor : Osmiumgruppe
Leichte Platinmetalle
Schwere Platinmetalle
Ru silberweiß, spröde spez. Gew. 12.25 Smp. 2370°, Sdp. 4150° Wertigkeit: max. 8, best. 4
Iridiumgrappe
Platingruppe
Rh Pd silberweiß, dehnbar silberweiß, dehnbar spez. Gew. 12.35 spez. Gew. 11.97 Smp. 1966°, Sdp. > 2500° Smp. 1554°, Sdp. ~ 2540° Wertigkeit : Wertigkeit : max. 6, best. 3 max. 4, best. 2
Os
Ir
graublau, spröde spez. Gew. 22.48 Smp. 2700», Sdp. >5300° Wertigkeit : max. 8, best. 6, 8
silberweiß, sprde spez. Gew. 22.42 Smp. 2454°, Sdp. 4400° Wertigkeit: max. 6, best. 3, 4
Pt grauweiß, dehnbar spez. Gew. 21.45 Smp. 1774°, Sdp. 4350° Wertigkeit: max. 6, best. 2, 4
Wie hieraus zu ersehen ist, nehmen s p e z i f i s c h e s G e w i c h t , S c h m e l z p u n k t und S i e d e p u n k t in der Richtung von oben nach unten und von rechts nach links, also vom P a l l a d i u m zum O s m i u m hin zu. I n gleicher Richtung steigen auch die maximalen und die beständigsten W e r t i g k e i t s s t u f e n der einzelnen Metalle. Die spezifisch leichteren Metalle der ersten waagerechten Periode faßt man unter dem Namen,,leichte Platinmetalle" (spezifisches Gewicht ~ 12), die spezifisch schwereren der zweiten Periode unter der Bezeichnung „schwere Platinmetalle" (spezifisches Gewicht ·—- 22) zusammen. Die senkrechten Gruppen unterscheidet man als Osmium-, Iridium- und Platingruppe.
4. Chemische Eigenschaften a. Osmiumgruppe Ruthenium und Osmium zeichnen sich vor den übrigen Platinmetallen dadurch aus, daß sie a c h t w e r t i g aufzutreten imstande sind. Ruthenium. Schmilzt man R u t h e n i u m mit K a l i u m h y d r o x y d und S a l p e t e r , so entsteht wie beim Mangan eine g r ü n e S c h m e l z e . Sie enthält das dem Kaliummanganat KjMnO,, entsprechende Kaliumruthenat K 2 R u 0 4 (mit s e e h s w e r t i g e m Ruthenium), welches sich in Wasser mit orangegelber Farbe löst und aus der Lösung in Form grünglänzender Kristalle auskristallisiert werden kann. Beim A n s ä u e r n disproportionieren sich die orangegelben Kaliumruthenatlösungen analog den Manganatlösungen (vgl. S. 504) leicht unter Bildung von dunkelgrün gelöstem Kalium•perruthenat K R u 0 4 (mit s i e b e n w e r t i g e m Ruthenium) und n i e d e r e m O x y d . Ebenso können die Ruthenatlösungen durch C h l o r zu Perruthenatlösungen o x y d i e r t werden: R u 0 4 " + 1 / 2 C1 2 —>- R u O / + Cl'. Das P e r r u t h e n a t kristallisiert aus der wässerigen dunkelgrünen Lösung in Form schwarzer, metallglänzender Oktaeder aus. Leitet man einen s t a r k e n Chlorstrom in eine k o n z e n t r i e r t e Kaliumruthenatlösung, so geht die Oxydation über die Stufe des siebenwertigen Rutheniums hinaus bis zum a c h t w e r t i g e n Ruthenium, indem Ruthenium-tetroxyd R u 0 4 absublimiert : R u 0 4 " + C l 2 — > RU0 4 + 2 Cl'. Dieses Ruthenium-tetroxyd bildet goldgelbe, nach 34*
532
Die Gruppe der Platinmetalle
Ozon riechende Kristalle, welche bei 25.5° schmelzen und etwas oberhalb 100° unter Bildung gelber, die Schleimhäute des Halses empfindlich angreifender Dämpfe sieden. Von den Verbindungen des f ü n f w e r t i g e n Rutheniums sei das dunkelgrüne Ruthenium-pentafluorid RuF 5 erwähnt, welches zugleich das höchste Halogenid des Rutheniums ist. V i e r w e r t i g e s Ruthenium liegt dem Ruthenium-dioxyd R u 0 2 zugrunde, das beim Erhitzen von metallischem Ruthenium im Sauerstoffstrom als indigoblaues, metallglänzendes, säureunlösliches Pulver entsteht. Das diesem Oxyd entsprechende Ruthenium-tetrachlorid RUC14 kommt nur in Form roter K o m p l e x s a l z e der Zusammensetzung Me 2 [RuCl e ] vor. Dagegen ist durch Erhitzen der Elemente das rotbraune Ruthenium-trichlorid RUC13 in freier Form darstellbar. Osmium. Das dem Ruthenium-tetroxyd R u 0 4 entsprechende Osmium-tetroxyd 0 s 0 4 entsteht beim Erhitzen von feingepulvertem O s m i u m an der L u f t , kristallisiert in farblosen Kristallen vom Schmelzpunkt 40° und Siedepunkt 134° und ist bis 1500° beständig. Seine Dämpfe sind sehr giftig, riechen chloroxydähnlich und verursachen schlimme Augenentzündungen. Auch im Osmium-oktafluorid OsF 8 , einer leichtflüchtigen, citronengelben, kristallinen Substanz, tritt Osmium achtwertig auf. Beim Schmelzen mit K a l i u m h y d r o x y d und S a l p e t e r geht Osmium in Kaliumosmat K 2 0 s 0 4 über, das aus wässeriger Lösung in Form des dunkelvioletten Dihydrats K 2 0 s 0 4 · 2 H 2 0 auskristallisiert und nicht analog dem Kaliumruthenat unter Bildung von Perosmaten disproportioniert. Mit C h l o r bildet Osmium die C h l o r i d e OsCl4, OsCl8 und OsCl2. Die vom OsCl4 abgeleiteten K o m p l e x s a l z e Me2[OsCle] sind rot bis braunrot gefärbt und kristallisieren gut.
b. Iridiumgruppe Die beständigste Wertigkeitsstufe des Rhodiums und Iridiums ist die d r e i w e r t i g e Stufe; das Iridium bildet außerdem auch im v i e r w e r t i g e n Zustande noch beständige Verbindungen. Rhodium. Kompaktes Rhodium wird von keiner Säure, selbst nicht von K ö n i g s w a s s e r angegriffen. Beim Erhitzen von R h o d i u m p u l v e r im C h l o r s t r o m entsteht braunrotes, wasserfreies Rhodium-trichlorid RhClg, das mit Alkalichloriden rote, gut kristallisierende K o m p l e x s a l z e des Typus Me 3 [RhCl e ] bildet. Von diesen Salzen läßt sich namentlich das A m m o n i u m s a l z (NH 4 ) 3 [RhCl e ] zur Abscheidung des Rhodiums verwenden. Noch schwerer löslich und daher zur Abtrennung des Rhodiums — vor allem vom Iridium — noch besser geeignet ist das hellgelbe C h l o r o - p e n t a m m i n Salz [Rh(NH 3 ) 5 Cl] Cl 2 . Von schmelzendem K a l i u m b i s u l f a t wird Rhodium kräftig unter Bildung eines gelben komplexen Sulfats angegriffen. Iridium. Wie Rhodium wird auch Iridium, das chemisch inaktivste Platinmetall, in reinem Zustande nicht von Königswasser angegriffen. Beim Erhitzen im C h l o r s t r o m entsteht, je nach der Temperatur und dem Verteilungsgrad des Metalls, das braune Iridium-tetrachlorid IrCl 4 oder das dunkelolivengrüne Iridium-trichlorid IrCl 3 . Beide geben mit Alkalichloriden K o m p l e x s a l z e , von der Zusammensetzung Me 2 [IrCl e ] (schwarzrot) bzw. Me 3 [IrCl e ] (olivgrün). Mit F l u o r vereinigt sich Iridium zum gelben, leichtflüchtigen Iridium-hexafluorid IrF 6 (Smp. 44°).
c. Platingruppe Palladium und Platin sind beide zwei- und vierwertig. Beim P a l l a d i u m ist dabei die z w e i w e r t i g e , beim P l a t i n die v i e r w e r t i g e Stufe die beständigere. Palladium. Die charakteristischste Eigenschaft des metallischen Palladiums ist seine Fähigkeit, große Mengen von W a s s e r s t o f f zu a b s o r b i e r e n . So löst das k o m p a k t e M e t a l l bei Zimmertemperatur rund das 600-fache, f e i n v e r t e i l t e s P a l l a d i u m
Chemische Eigenschaften
533
(„Palladiumschwamm") das 850-fache, eine wässerige Suspension von f e i n s t v e r t e i l t e m P a l l a d i u m {„Palladiummohr", „Palladiumschwarz") das 1200-fache und eine k o l l o i d a l e P a l l a d i u m l ö s u n g sogar das 3000-fache Volumen Wasserstoff. Der im Palladium gelöste Wasserstoff ist besonders r e a k t i o n s f ä h i g und läßt sich in der organischen Chemie für viele R e d u k t i o n s z w e c k e verwenden. Durch ein h e i ß e s Palladiumblech diffundiert Wasserstoff so leicht hindurch, als ob überhaupt keine Trennungswand vorhanden wäre. I m übrigen ist das Palladium das unedelste und legierungsfreudigste Platinmetall. Unter den Verbindungen des z w e i w e r t i g e n Palladiums ist das Palladium{II)· jodid P d J 2 besonders charakteristisch, das aus Lösungen von P a l l a d i u m ( I I ) - s a l ζ e n beim Versetzen mit K a l i u m j o d i d als schwarzer, in Wasser und Alkalien unlöslicher, im Überschuß von Kaliumjodid mit dunkelbrauner Farbe löslicher Niederschlag ausfällt. Das Palladium(II)-chlorid PdCl 2 kristallisiert aus wässeriger Lösung in Forr.i eines rotbraunen, zerfließlichen Dihydrats PdCl 2 · 2 H 2 0 aus und bildet mit Alkalichloriden K o m p l e x s a l z e des Typus Me 2 [PdCl 4 ]. E s läßt sich in wässeriger Lösung sehr leicht zu metallischem, feinverteiltem, schwarzem P a l l a d i u m reduzieren. Beim Auflösen von feinverteiltem Palladium in K ö n i g s w a s s e r erhält man das Palladium{IV)-chlorid PdCl 4 in Form der braun gelösten H e x a c h l o r o - p a l l a d i u m ( I V ) - s ä u r e H 2 [PdCl e ]. Versetzt man die Lösung mit Kalium- oder Ammoniumchlorid, so scheiden sich die schwerlöslichen roten K o m p l e x s a l z e K 2 [PdCl e ] bzw. (NH 4 ) 2 [PdCl e ] aus. Beim K o c h e n gibt die Lösung der Hexachloro-palladium(IV)-säure C h l o r a b : P d C l 4 — ν PdCl a + Cl 2 . Platin. Wie Palladium wird auch Platin in der Kälte nur von K ö n i g s w a s s e r nennenswert angegriffen, während es gegen andere Säuren beständig ist. Von schmelzenden H y d r o x y d e n , C y a n i d e n und S u l f i d e n der Alkahmetalle wird Platin wegen seiner großen Neigung zur Komplexsalzbildung angegriffen ; diese Stoffe dürfen daher in Platintiegeln nicht erhitzt werden. Ebensowenig dürfen B l e i und andere S c h w e r m e t a l l e darin geschmolzen werden, weil sie mit Platin leichtschmelzende L e g i e r u n g e n bilden. Wie Palladium nimmt auch f e i n v e r t e i l t e s P l a t i n erhebliche Mengen W a s s e r s t o f f auf. Ebenso vermag es S a u e r s t o f f zu absorbieren, worauf wohl seine k a t a l y t i s c h e Wirkung bei O x y d a t i o n s p r o z e s s e n (vgl. S. 201) beruht. Die bekannteste Verbindung des Platins ist die Hexachloro-platin(IV)-säure H 2 [PtCl e ], die beim Lösen von P l a t i n i n K ö n i g s w a s s e r entsteht und aus wässeriger Lösung in Form gelber Kristalle der Zusammensetzung H 2 [PtCl e ] • 6 H 2 0 auskristallisiert. Die komplexe N a t u r dieser Säure ergibt sich daraus, daß Silbernitrat k e i n S i l b e r c h l o r i d , sondern ein gelbes Silbersalz Ag 2 [PtCl e ] fällt. Unter den A l k a l i s a l z e n sind die in Form goldgelber Oktaeder kristallisierenden Verbindungen (NH 4 ) 2 [PtCl 6 ], K 2 [PtCl 6 ], Rb 2 [PtCl e ] und Cs 2 [PtCl 6 ] zum Unterschied vom entsprechenden Lithium und Natriumsalz in Wasser schwer löslich, so daß sie zur T r e n n u n g der schwereren Alkalimetalle von den leichteren benutzt werden können. Beim E r h i t z e n von (NH 4 ) 2 [PtCl e ] auf schwache Rotglut entsteht infolge Zersetzung des Salzes metallisches P l a t i n in Form einer grauen, locker zusammenhängenden Masse {„Platinschwamm"). Bei der Einwirkung von R e d u k t i o n s m i t t e l n auf die wässerige Lösung des Salzes entsteht das Platin als ä u ß e r s t f e i n v e r t e i l t e s , sammetschwarzes Pulver {„Platinschwarz", „Platinmohr"). Nimmt man die Reduktion in Gegenwart von A s b e s t vor, so schlägt sich das feinverteilte Platin auf dem oberflächenreichen Asbest nieder {„Platinasbest"). Beim Versetzen einer Lösung von Hexachloro-platin(IV)-säure mit A l k a l i e n werden die Chloratome stufenweise durch Hydroxylgruppen ersetzt: [PtClg]" —>- [Pt(OH) 6 ]". Die als Endstufe entstehende gelbweiße Hexahydroxoplatin{IV)-säure H 2 [Pt(OH 6 )] geht beim Entwässern in schwarzes Platin{IV)-oxyd PtO» über.
534
Die Grappe der Platinmetalle
E r h i t z t man die Hexachloro-platm(IV)-säure H 2 [PtCl e ] auf 240°, so entsteht das braune, wasserunlösliche Platin(II)-chlorid PtCl 2 . Es löst sich in Salzsäure unter Bildung der komplexen Tetrachloro-platin(Il)-säure H 2 [PtCl4] und bildet mit Alkalichloriden Komplexsalze des Typus Me 2 [PtCl 4 ]. In gleicher Weise bildet das zweiwertige Platin komplexe Cyanide des Typus Me 2 [Pt(CN)J. Unter diesen Verbindungen ist das B a r i u m - t e t r a c y a n o - p l a t i n a t ( I I ) Ba[Pt(CN) 4 ] · 4 H 2 0 zu erwähnen, das zum Nachweis von Kathoden-, Röntgen- und radioaktiven Strahlen dient (S. 549), da es unter der Einwirkung dieser Strahlen ein gelbgrünes F l u o r e s z e n z l i c h t ausstrahlt.
5. Verwendung Ruthenium ist das s e l t e n s t e unter den Platinmetallen und findet keine nennenswerte praktische Verwendung. Osmium zeichnet sich durch einen besonders hohen S c h m e l z p u n k t aus und wurde wegen dieser Eigenschaft eine Zeitlang zur Herstellung von Glühlampenfäden verwendet. Später wurde es durch T a n t a l (S. 487) und schließlich durch das heute übliche Wolfram (S. 498) verdrängt. Rhodium findet vorwiegend in Legierungen mit P l a t i n Anwendung. Besonders wichtig sind hier Platinlegierungen mit einem Gehalt von 1—10% Rh als Katalysatoren bei der Ammoniakverbrennung (S. 234f.), da sich derartige Legierungen vor dem Reinplatin durch erhöhte Ausbeuten, geringere Betriebsverluste und gute Haltbarkeit auszeichnen. Weiterhin macht das hohe Reflexionsvermögen das Rhodium als Belagmaterial für hochwertige Spiegel geeignet. Iridium zeichnet sich durch besondere H ä r t e aus, weshalb Goldschreibefedern vielfach mit I r i d i u m s p i t z e n versehen werden. Legierungen mit 10—20% Iridium dienen wegen ihrer großen Härte und chemischen Widerstandsfähigkeit zur Herstellung chemischer L a b o r a t o r i u m s g e r ä t e (Tiegel, Schalen usw.). Der die Einheit des Längenmaßes bildende Normalstab („Urmeter") besteht aus einer Legierung von 90°/0 Platin und 10°/0 Iridium. Palladium dient in feinstverteilter Form als Katalysator bei Hydrierungsreaktionen im L a b o r a t o r i u m . Für t e c h n i s c h e Zwecke wird das billigere Nickel als Katalysator vorgezogen. Beimengungen von 20—30°/o Pd machen das S i l b e r a n l a u f b e s t ä n d i g (vgl. S. 441). Platin ist das wicht i g s t e und h ä u f i g s t e Metall der Platingruppe und findet ausgedehnte technische Verwendung. In Form von feinmaschigen P l a t i n d r a h t n e t z e n dient es als K a t a l y s a t o r für die Verbrennung von Ammoniak zu Stickoxyd (S. 234f.) und von Schwefeldioxyd zu Schwefeltrioxyd (S. 201). Auch im L a b o r a t o r i u m macht man von der katalytischen Wirkung feinverteilten Platins häufigen Gebrauch. Wegen seines hohen Schmelzpunktes und seiner chemischen Widerstandsfähigkeit dient es zur Herstellung chemischer Geräte wie Tiegeln, Schalen, Anoden, Heizdrähten usw. Große Mengen Platin werden auch in der S c h m u c k i n d u s t r i e und in der Z a h n t e c h n i k verarbeitet. PlatinGold- legierungen bilden den besten Werkstoff für Spinndüsen zur Herstellung von Zellwolle und Kunstseide.
K a p i t e l XXYI
Die natürliche Elementumwandlung Wir wiesen schon früher (S. 136) darauf hin, daß die Elemente mit höheren Kernladungszahlen als der des Wismuts (Po, At, Rn, Fr, Ra, Ac, Th, Pa, U, Np, Pü, Am, Cm, Bk und Cf) unbeständig sind und „radioaktiv zerfallen". Dieser unter Elementumwandlung vor sich gehende radioaktive Zerfall geht vom A t o m k e r n und nicht von der E l e k t r o n e n h ü l l e des Atoms aus. Daher ist für das Verständnis der radioaktiven Erscheinungen die Kenntnis des B a u s d e r A t o m k e r n e erforderlich.
1. D e r Atomkern a. Bau der Atomkerne α. Urbausteine der Materie Proton und Neutron Nach unseren heutigen Kenntnissen sind alle Atomkerne aus zwei verschiedenen Kern-Elementarteilchen („Nukleonen") aufgebaut, den „Protonen" (p) und den „Neutronen" (n). Das P r o t o n besitzt die M a s s e 1 (genaues Atomgewicht: 1.00731) und die L a d u n g -f 1 (d. h. 1 positive Elementarladung von 1.602 χ IO - 1 9 Coulomb; vgl. S. 134). Das N e u t r o n weist ebenfalls die M a s s e 1 auf (genaues Atomgewicht: 1.00868), ist aber zum Unterschied vom Proton e l e k t r i s c h n e u t r a l . Protonen. J e d e s c h e m i s c h e E l e m e n t i s t d u r c h e i n e g a n z b e s t i m m t e A n z a h l v o n P r o t o n e n im K e r n s e i n e r A t o m e c h a r a k t e r i s i e r t . Diese P r o t o n e n z a h l („Kernladungszahl", „Atomnummer", „Ordnungszahl") variiert, wie aus der Tabelle auf S. 536 zu ersehen ist, zwischen 0 und 98, entsprechend der Existenz von 99 verschiedenen Atomarten 1 (vgl. S. 135, 425, 430 und 431). Enthält der Atomkern k e i n P r o t o n , so liegt das Element N e u t r o n i u m (S. 564) vor; enthält er 1 P r o t o n , so handelt es sich um das Element W a s s e r s t o f f ; 2 P r o t o n e n im Kern entsprechen dem Element H e l i u m usw. Die Reihe schließt mit dem Element C a l i f o r n i u m , das 98 K e r n p r o t o n e n aufweist. Bereits im Jahre 1815 hatte der englische Arzt W I L L I A M P R O U T (1785—1850) die Hypothese aufgestellt, daß alle c h e m i s c h e n E l e m e n t e aus dem leichtesten Element, dem Wassers t o f f , aufgebaut seien. Diese Ansicht wurde dann wieder fallen gelassen, als sich herausstellte, daß die A t o m g e w i c h t e zahlreicher chemischer Elemente, bezogen auf Wasserstoff als Einheit, von der G a n z z a h l i g k e i t abwichen. Wie nun der oben wiedergegebene Aufbau der Atome aus Protonen (Wasserstoffkernen) zeigt, enthielt jene alte Hypothese durchaus einen wahren Kern.
Neutronen. Die außer den Protonen im Atomkern noch enthaltenen N e u t r o n e n bewirken gewissermaßen als „Kittsubstanz" den Zusammenhalt der — als gleich1 Die Tabelle verzeichnet in Spalte 4 und 5 nicht nur die n a t ü r l i c h vorkommenden (fettgedruckte Kerngewich te; vgl. Tabelle S.539), sondern auch die k ü n s t l i c h dargestellten (S.S60ff.) Atomarten der aufgeführten Elemente.
536
Die natürliohe Elementumwanâlung
Atom-Nr.
Element
Symbol
Kernaufbau
0 1 2 3 4 6 6 7 8 9 10
Neutronium Wasserstoff Helium Lithium Beryllium Bor Kohlenstoff Stickstoff Sauerstoff Fluor Neon
Nn 1 H He Li Be Β C Ν 0 F Ne
Op lp 2ρ 3ρ 4ρ δρ 6ρ 7ρ 8ρ 9ρ 10 ρ
92
Uran
Ù
93
Neptunium
Np
94
Plutonium
Pu
95
Americium
Am
96 97 98
Curium Eerkelium Californium
Cm Bk Cf
92 ρ + 136,137,138, 139, 140,141,142,143, 144, 145,146, 147 η 93 ρ + 138,141,142,143, 144,145,146 η 94 ρ + 138,140, 142,143, 144,145, 146,147 η 9δ ρ + 143, 144,145,146, 147 η 96 ρ + 142,144,145,146 η 97 ρ + 146 η 98 ρ + 146,148 η
+ 1η + 0 , 1, 2 η + 1, 2, 3, 4 η + 3, 4, 5 η + 3, 4, 5, 6 η + 5, 6, 7 η + 3, 4, 5, 6, 7, 8 η + 6, 7, 8, 9, 10 η + 6, 7, 8, 9 , 1 0 , 11η + 8, 9, 10, 11 η + 9, 10, 11, 12,13 η
Kerngewicht 1 1, 2, 3 3, 4, 5, 6 6, 7, 8 7, 8, 9, 10 10, 11, 12 9, 10, 11, 12, 13, 14 13, 14, 15, 16, 17 14, 15, 16, 17, 18, 19 17, 18, 19, 20 19, 20, 21, 22, 23
228, 229, 230, 331, 233, 234, 235, 236, 238, 239 231, 234, 235, 236, 238, 239 232, 234, 236, 237, 239, 240, 241 238, 239, 240, 241,
232, 237, 237, 238, 242
238, 240, 241, 242 243 244, 246
namig geladene Teilchen sich gegenseitig abstoßenden — Protonen. Der Zusammenhalt beruht dabei wahrscheinlich auf einem dauernden gegenseitigen Austausch der elektrischen Ladung („Austauschkräfte") : % + p2 ~ > ~ p t + n2 (vgl. S. 538f.). Protonenund Neutronenzahl ergeben zusammen, da beide das abgerundete Atomgewicht 1 besitzen, das in der letzten Spalte der Tabelle angegebene abgerundete Atomgewicht des Kerns („Massenzahl"). Auch die Zahl der Neutronen ist bestimmten G e s e t z m ä ß i g k e i t e n unterworfen (vgl. S. 538). Sie kann aber zum Unterschied von der Zahl der Protonen innerhalb gewisser Grenzen schwanken, ohne daß hierdurch die chemischen Eigenschaften des betreffenden Elements merklich verändert werden. Denn die chemischen Eigenschaften eines Atoms hängen praktisch nur vom Bau der E l e k t r o n e n h ü l l e (S. 136f.) und damit von der P r o t o n e n z a h l ab, so daß es für das chemische Verhalten eines Atoms gleichgültig ist, wieviele ungeladene Neutronen sich außerdem im Atomkern befinden. Ein Atom, dessen Kern neben 3 Protonen noch 3 Neutronen enthält, unterscheidet sich also chemisch nicht von einem Atom, das neben diesen 3 Protonen noch 4 Neutronen im Kern aufweist ; beide Atome sind Lithiumatome, da die Kernladungszahl und damit die Elektronenzahl in der Atomhülle 3 beträgt. Dem einen Lithiumatom kommt die Massenzahl 6, dem anderen die Massenzahl 7 zu. Das n a t ü r l i c h vorkommende Lithium ist ein Gemisch beider Atomarten, so daß sein m i t t l e r e s Atomgewicht (6.940) zwischen beiden Werten liegt. Da beide Atomsorten chemisch g l e i c h a r t i g reagieren, das Mischungsverhältnis also stets erhalten bleibt, ändert sich dieses Durchschnitts-Atomgewicht bei chemischen Reaktionen nicht. Daher bedient sich der Chemiker in der Praxis hier wie in anderen Fällen stets dieser — auf S. 27 zusammengestellten — m i t t l e r e n Atomgewichte („praktische Atomgewichte").
ι Zum Symbol Nn vgl. S. 564.
Der Atomkern
537
Isotope. Man n e n n t die zu einem E l e m e n t gehörenden A t o m e g l e i c h e r K e r n l a d u n g u n d v e r s c h i e d e n e r M a s s e „Isotope" u n d kennzeichnet deren M a s s e n z a h l (Nukleonenzahl) d u r c h einen l i n k s o b e n a m A t o m s y m b o l a n g e b r a c h t e n I n d e x , währ e n d m a n die K e r n l a d u n g s z a h l (Protonenzahl) d u r c h einen l i n k s u n t e n befindlichen I n d e x z u m Ausdruck bringt. F ü r die beiden oben e r w ä h n t e n Lithiumisötopen ergeben sich somit die Symbole | L i u n d ¡Li. Der N a c h w e i s v o n I s o t o p e n eines Elements gelingt am einfachsten mit dem von dem englischen Physiker F R A N C I S W I L L I A M A S T O N stammenden „Massenepektrographcn". Schickt man eine e l e k t r i s c h e E n t l a d u n g durch verdünnte Gase oder D ä m p f e , so werden durch Abspaltung von Elektronen p o s i t i v g e l a d e n e Atome oder Moleküle gebildet, die von der positiven A n o d e a b g e s t o ß e n und von der negativen K a t h o d e a n g e z o g e n werden. Ist die Kathode d u r c h l ö c h e r t , so fliegen die positiven Ionen durch die „Kanäle" hindurch und können außerhalb der Entladungsröhre als „Kanalstrahlen" zur weiteren Untersuchung dienen (Fig. 160). Entsprechend der verschiedenen L a d u n g e, der verschiedenen Masse m und der verschiedenen G e s c h w i n d i g k e i t ν der Teilchen läßt sich ihre Bahn durch e l e k t r i s c h e und m a g n e t i s c h e F e l d e r beeinflussen. Durch eine sinnreiche Anordnung der beiden Felder kann die Ablenkung so erfolgen, daß unabhängig von der Geschwindigkeit jeweils a l l e T e i l c h e n m i t g l e i c h e r Masse u n d L a d u n g a n ein u n d d i e s e l b e S t e l l e g e l a n g e n und auf einer hier angebrachten photographischen Platte eine L i n i e ergeben (vgl. Lehrbücher der physikalischen Chemie). Auf diese Weise erhält man ein dem gewöhnlichen optischen Spektrum ähnliches „Maesenspektrum", das aus der Lage der Linien die einzelnen Massen m zu berechnen gestattet. Fig. 151 gibt ein solches Kana/straHen Manale negstive Elektronen Massenspektrum von Zimmerluft bei den Massenzahlen 14—16 wieder. Man erkennt die Anwesenheit von 14 N, 15 N, 16 Gas 0, " Ν Ή , 14 N 1 H 2 , " C 1 ^ , " O H , , 12 1 C H4 in den untersuchten Kanalstrahlen. J_ positive Gasionen Ein anderer empfindlicher NachXaffiode weis von Isotopen gründet sich auf Fig. 160. Erzeugung von Kanalstrahlen s p e k t r o s k o p i s c h e Messungen, da
c
ID-
Fig. 151. Massenspektrum von Zimmerluft bei den Massenzahlen 14 bis 16 die Spektral-linien und -banden von Isotopen ein wenig gegeneinander verschoben sind. Die Isotopen des Sauerstoffs sind ζ. B. auf diese Weise entdeckt und erst später mittels des Massenspektrographen aufgefunden worden. Nachfolgende Tabelle (S. 539) gibt den heutigen S t a n d der Isotopenforschung f ü r die in d e r N a t u r v o r k o m m e n d e n I s o t o p e n (274 stabile u n d 49 radioaktive Isotope) w i e d e r 1 ( k ü n s t l i c h e Isotope vgl. S. 560). Die erste Spalte e n t h ä l t die A t o m n u m m e r , die zweite d a s A t o m s y m b o l , die d r i t t e das m i t t l e r e A t o m g e w i c h t des Elements, die vierte die M a s s e n z a h l e n der Isotopen. Letztere sind n a c h fallender H ä u f i g k e i t angeordnet ; die in K l a m m e r n beigefügten Zahlen geben die H ä u f i g k e i t der betreffenden I s o t o p e n a r t in Prozenten wieder, während die k u r s i v e n Zahlen sich auf r a d i o a k t i v z e r f a l l e n d e Isotope (S. 545ff.) beziehen. Wie aus der Tabelle hervorgeht, sind 22 E l e m e n t e (Be, Ρ , N a , Al, Ρ , Sc, V, Μη, Co, As, Y, N b , R h , J , Cs, P r , Tb, H o , T m , Ta, Au, Bi) aus n u r e i n e r A t o m a r t 1 Bei den radioaktiven Stoffen pflegt man als Atomgewicht, sofern genauere Bestimmungen nicht vorliegen, das des langlebigsten Isotops anzugeben.
538
Die natürliche Elementumwandlung
aufgebaut („Reinelemente") ; sie besitzen bis auf Beryllium alle ungerade Ordnungszahlen. Die übrigen Elemente stellen „Mischelemente" dar, wobei bis zu 10 Isotopen eines Elements vorkommen. Unter den Einzelatomgewichten der nicht-radioaktiven Elemente (Neutronium bis Wismut) sind alle Massenzahlen von 1—209 mit Ausnahme der Massen 5 und 8 vertreten 1 . Isobare. Rund 80 Massenzahlen der Tabelle treten mehrfach auf. Derartige Atomarten gleicher Masse und v e r s c h i e d e n e r K e r n l a d u n g nennt man „Isobare". Für sie gilt die „ M A T T A U C H sehe Isobarenregel", wonach kein Paar stabiler Isobaren existiert, deren Kernladungszahlen nur um 1 Einheit voneinander verschieden sind.
Entsprechend dieser M A T T A U C H sehen Regel sind Ζ . B . die Isobaren JJAr und $JCa sowie die Isobaren und Hf s t a b i l , während die dazwischenliegenden Isotopen $¡K bzw. '™Cp i n s t a b i l (radioaktiv) sind. Auch kann man aus der M A T T A U C H sehen Regel z . B . ableiten, daß die bisher in der Natur nicht aufgefundenen Elemente 43 und 61, deren Existenz wegen ihrer verhältnismäßig niedrigen Kernladungszahl denkbar wäre, nicht als stabile Elemente existieren können, da die Nachbarelemente (4aMo und M Ru bzw. ^Nd und e2 Sm) bereits dicht mit stabilen Isotopen besetzt sind (vgl. S. 539). Zwei A u s n a h m e n der MATTAUCHSchen Regel sind die Isobarenpaare '^Cd - ij'9ln und Jf5Sb — i||Te.
Elementbegriîf. Auf S. 9 definierten wir ein E l e m e n t als einen Stoff, der zum Unterschied von den chemischen Verbindungen durch k e i n e der „gebräuchlichen" physikalischen und chemischen Methoden in einfachere Stoffe zerlegt werden kann. Die im Vorstehenden entwickelte Lehre vom Aufbau der Atomkerne ermöglicht nunmehr eine etwas e x a k t e r e F o r m u l i e r u n g des Elementbegriffs: Ein Element ist ein Stoff, dessen Atome alle die gleiche Kernladung besitzen. Haben die Atome eines Elements zugleich auch alle die gleiche Masse, so liegt ein „Reinelement", a n d e r n f a l l s ein „Mischelement" vor. Damit läßt sich die auf S. 19 gegebene Einteilung der Stoffe wie folgt fortsetzen: b. Elemente: Molekülaufbau aus einer einzigen A t o m a r t . oc. Mischelemente: Atomaufbau aus Kernen v e r s c h i e d e n e r Masse. ß. Reinelemente: Atomaufbau aus Kernen gleicher Masse. N e g a t r o n und P o s i t r o n Bei den Elementen bis zur Kernladungszahl 20 (Ca) ist die N e u t r o n e n z a h l etwa gleich der P r o t o n e n z a h l , so daß das Atomgewicht angenähert gleich der verdoppelten Atomnummer ist. Vom Calcium ab steigt die Neutronenzahl r a s c h e r als die Protonenzahl, so daß beispielsweise beim Arsen auf 33 Protonen 42 Neutronen, beim Caesium auf 55 Protonen 78 Neutronen und beim Gold auf 79 Protonen 118 Neutronen entfallen. Ist in einem Atomkern das Verhältnis von Neutronen- zu Protonenzahl g r ö ß e r , als es dem stabilen Verhältnis entspricht, so erfolgt im Kern ein Ausgleich in der Weise, daß ein Kern-Neutron in ein Kern-Proton übergeht (vgl. S. 568f.). Die dabei freiwerdende E n e r g i e wird in Form eines n e g a t i v e n E l e k t r o n s e~ abgegeben: η — > - p + e(1) Derartigen Vorgängen werden wir beim natürlichen radioaktiven Zerfall (S. 545ff.) vieler Elemente und bei der künstlichen Atomumwandlung (S. 568f.) begegnen. Umgekehrt kann, wenn das Verhältnis von Neutronen- zu Protonenzahl kleiner als das stabile Zahlenverhältnis ist, auch ein Kern-Pro ton in ein Kern-Neutron übergehen (vgl. S. 568f.). In diesem Falle wird die Energie des Vorgangs (1) „mit umgekehrtem Vorzeichen" frei, und zwar in Form eines p o s i t i v e n E l e k t r o n s e+: ρ —>- η + e+ (2) 1 In Form künstlicher auf S. 536).
Isotope treten die Massenzahlen 5 und 8 auf (vgl. Tabelle
Der Atomkern
tì o
Prak"o tisches Atoma >> M gew. (Int. Wert)
0 1 2 3 4 5 β 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Nn H He Li Be Β C Ν 0 F Ne Na Mg Al Si Ρ S
£
Massenzahlen der Isotopen (geordnet nach fallender Häufigkeit) ( ) = Häufigkeit in °/0
1 1 (99.985); 2 (0.015) 4 (100); 3 (IO"4) 7 (92.7); 6 (7.3) 9 (100) 11 (81.2); 10 (18.8) 12 (98.9); 13 (1.1) 14 (99.62); 15 (0.38) 16 (99.76); 18 (0.20); 17 (0.04) 19 (100) 20 (90.51); 22 (9.21); 21 (0.28) 23 (100) 24 (78.6); 26 (11.3); 25 (10.1) 27 (100) 28 (92.3); 29 (4.7); 30 (3.0) 31 (100) 32 (95.06);34(4.18);33(0.74); 36 (0.02) 17 Cl 35.457 35 (75.4); 37 (24.6) 18 Ar 39.944 40 (99.57); 36 (0.35); 38 (0.08) 19 Κ 39.096 39 (93.26); 41 (6.73); 40 (0.01) 20 Ca 40.08 40 (96.9); 44 (2.1); 42 (0.6); 48 (0.2); 43 (0.1); 46 (IO" 8 ) 21 Sc 45.10 45 (100) 22 Ti 47.90 48 (73.5); 46 (8.0); 47 (7.7); 49 (5.5); 50 (5.3) 23 V 50.95 51 (100) 24 Cr 52.01 52 (83.8); 53 (9.5); 50 (4.3); 54 (2.4) 25 Μη 54.93 55 (100) 26 Pe 55.85 56 (91.64); 54(5.81);57(2.21); 58 (0.34) 27 Co 58.94 59 (100) 28 Ni 58.69 58 (69.76); 60 (26.16); 62 (3.66); 64 (1.16); 61 (1.25) 29 Cu 63.54 63 (68.94); 65 (31.06) 30 Zn 65.38 64 (48.9); 66 (27.8); 68 (18.6); 67 (4.1); 70 (0.6) 31 Ga 69.72 69 (60.16); 71 (39.84) 32 Ge 72.60 74 (37.1); 72 (27.3); 70 (21.2); 73 (7.9); 76 (6.5) 33 As 74.91 75 (100) 34 Se 78.96 80 (49.8); 78 (23.5); 82 (9.2); 76 (9.0); 77 (7.6); 74 (0.9) 35 Br 79.919 79 (50.53); 81 (49.47) 36 Kr 83.7 84 (57.0); 86 (17.4); 83 (11.5); 82 (11.5); 80 (2.2); 78 (0.3) 37 Rb 85.48 85 (72.8); 87 (27.2) 38 Sr 87.63 88 (82.7); 86 (9.8); 87 (7.0); 84 39 Y 88.92 89 (100) [(0.5) 40 Zr 91.22 90 (51.5); 94 (17.4); 92 (17.1); 91 (11.2); 96 (2.8) 41 Nb 92.91 93 (100) 42 Mo 95.95 98 (24); 96 (17); 95 (16); 92 (16); 97, 94, 100 (je 9) 44 E u 101.7 102 (31); 104 (18); 101 (17); 99, 100 (je 13); 96 (6); 98 (2) 45 Rh 102.91 103 (100) 46 Pd 106.7 106 (27); 108 (27); 105 (23); 110 (13); 104 (9); 102 (1) 47 Ag 107.880 107 (51.92); 109 (48.08) 1.0080 4.003 6.940 9.013 10.82 12.010 14.008 16.0000 19.00 20.183 22.997 24.32 26.97 28.06 30.98 32.066
539
%
Prak"o tisches Atoms t>> gew. (Int m Wert)
48
Cd
112.41
49 50
In Sn
114.76 118.70
51 52
Sb Te
121.76 127.61
53 54
J X
126.92 131.3
55 56
Cs Ba
132.91 137.36
57 La 58 Ce 59 Pr 60 Nd
138.92 140.13 140.92 144.27
62
Sm
150.43
63 64
Eu Gd
152.0 156.9
à o
65 Tb 66 Dy 67 Ho 68 Er 69 Tm 70 Yb
159.2 162.46 164.94 167.2 169.4 173.04
71 Cp 72 Hf 73 Ta 74 W 75 Re 76 Os
174.99 178.6 180.88 183.92 186.31 190.2
77 78 79 80
Ir Pt Au Hg
193.1 195.23 197.2 200.61
81 82
T1 Pb
204.39 207.21
83 84
Bi Po
209.00 210
85 At 86 Rn 87 Pr 88 Ra 89 Ac 90 Th
210 222 223 226.05 227 232.12
91 92
231 238.07
Pa υ
Massenzahlen der Isotopen (geordnet nach fallender Häufigkeit) ( ) = Häufigkeit in °/0 114 (29); 112 (24); I I I (13); 110, 113 (je 12); 116 (8); 106, 108 (je 1) 115 (95.77); 113 (4.23) 120 (33); 118 (24); 116 (14); 119 (8); 117 (8); 124 (6); 122 (5); 112 (1); 114 (0.7); 115 (0.3) 121 (57.25); 123 (42.75) 130(34), 128(32); 126 (19); 125 (7); 124(5); 122 (2); 123(1); 127 (100) [120 132; 129; 131; 134; 136; 130; 128; 124; 126 133 (100) 138; 137; 136; 135; 134; 130; 132 139 (99.91); 138 (0.09) 140 (89); 142 (11); 138; 136 141 (100) 142; 144; 146; 143; 145; 148; 150 152; 154; 147; 149; 148; 150; 144 153 (52.23); 151 (47.77) 158; 160; 156; 157; 155; 154; 152 159 (100) 164; 162; 163; 161; 160; 158; 165 (100) [156 166; 168; 167; 170; 164; 162 169 (100) 174; 172; 173; 171; 176; 170; 168 175 (97.5); 176 (2.5) 180; 178; 177; 179; 176; 174 181 (100) 184; 186; 182; 183; 180 187 (62.93); 185 (37.07) 192; 190; 189; 188; 187; 186; 184 193 (61.5); 191 (38.5) 195; 194; 196; 198; 192 197 (100) 202; 200; 199; 201; 198; 204; 196 205; 203 — 207; 208; 210 208; 207; 206; 204 — 210; 211; 212; 214 209 (100) — 210; 211; 212;214 210; 211; 212; 214; 215; 216; 218 215; 216; 218 219; 220; 222 223 223; 224; 226; 228 227; 228 232 (100); — 227; 228; 230; 231; 232; 234 231 (100); 234 238(99.27); 235(0.72); 234(0.006)
540
Die natürliche Elementumwandlung
( + e - = — e + ) . Derartige Umwandlungen spielen sich nur bei v o r h e r i g e r E n e r g i e zufuhr ab und treten daher nicht bei dem f r e i w i l l i g ablaufenden Zerfall der na türlich-radioaktiven Elemente, sondern nur bei dem durch Energiezufuhr e r z w u n g e n e n Zerfall der künstlich-radioaktiven Elemente (S. 568f.) auf. N e g a t i v e s und p o s i t i v e s Elektron werden auch als „Negatron" und „Positron" voneinander unterschieden und als ,,Leptonen" („leichte Elementarteilchen") den ,,Nukleonen" („schwere Elementarteilchen"··, S. 535) gegenübergestellt. Sie besitzen das genau gleiche, praktisch verschwindende A t o m g e w i c h t 0.0005485 (V 1837 der Masse de» Wasserstoffatoms) und die genau gleiche elektrische L a d u n g von 1.602 χ 1 0 - 1 * Coulomb (im einen Fall mit negativem, im anderen mit positivem Vorzeichen). — Z u s a m m e n f a s s e n d ergibt sich somit, daß die unendliche Vielfältigkeit der belebten und unbelebten Welt letzten Endes auf nur vier U r b a u s t e i n e (p, n, e~, e + ) zurückzuführen ist, die zudem durch die Gleichungen (1) und (2) miteinander in i n n e r e m Z u s a m m e n h a n g stehen. Zwei dieser Teilchen ( P r o t o n und N e u t r o n ) besitzen die Masse 1, die beiden anderen (Negatron und P o s i t r o n ) sind praktisch masselos. Durch Kombination der Urteilchen entstehen zunächst die rund 100 verschiedenen A t o m a r t e n (S. 535f.), aus diesen die Hunderttausende von M o l e k ü l e n (S. 143ff.) und aus den Molekülen schließlich die u n e n d l i c h v i e l f ä l t i g e n E r s c h e i n u n g s f o r m e n der Natur. ß. Präparative Isolierung von Isotopen Da die c h e m i s c h e n Eigenschaften der Isotopen eines Elements praktisch nicht voneinander verschieden sind, muß man zur wirksamen Trennung von Isotopen p h y s i k a l i s c h e Methoden anwenden, die sich auf die verschiedene Masse der Isotopen gründen. Das einfachste, wirksamste und schnellste derartige Verfahren ist das von den deutschen Physikochemikern K L A T J S CLTJSIUS und G E R H A R D D I C K E L im Jahre 1938 ausgearbeitete „Trennrohrverfahren", das sich der Kombination zweier physikalischer Erscheinungen, der „Thermodiffusion" und der ,,Konvektionsströmung" bedient. Bringt man in ein am einen Ende e r h i t z t e s und am anderen Ende g e k ü h l t e s Rohr ein Gasgemisch aus l e i c h t e n und schweren Molekülen, so sammeln sich die schweren Moleküle bevorzugt im k ä l t e r e n , die l e i c h t e r e n Moleküle bevorzugt im h e i ß e r e n Teil des Rohres an. Dieser Effekt der „thermischen Diffusion" ist ganz allgemein um so s t ä r k e r , je g r ö ß e r die T e m p e r a t u r d i f f e r e n z und j e g r ö ß e r der relative M a s s e n u n t e r s c h i e d der beiden Gase ist. Bei einem I s o t o p e n gemisch, bei welchem die Massendifferenz der isotopen Moleküle meist nur wenige P r o z e n t e der Molekülmasse ausmacht, sind dementsprechend auch nur sehr geringe T r e n n u n g s e f f e k t e zu erwarten. Das T r e n n r o h r v e r f a h r e n bewirkt nun durch gleichzeitige Erzeugung einer K o n v e k t i o n s s t r ö m u n g eine fortlaufende S t e i g e r u n g des winzigen E f f e k t » der Thermodiffusion. Das zu trennende Gemisch wird zu diesem Zwecke in ein wassergekühltes, senkrecht stehendes, ungefähr 1 cm weites und 30 bis 40 m langes G l a s r o h r gebracht, dessen A c h s e ein e l e k t r i s c h g e h e i z t e r D r a h t bildet (Fig. 152). Infolge der t h e r m i s c h e n D i f f u s i o n wandern dann die l e i c h t e n Moleküle bevorzugt zum h e i ß e n D r a h t , die schweren Moleküle dagegen an die g e k ü h l t e R o h r w a n d . In der U m g e b u n g des h e i ß e n D r a h t e s besitzt nun das Gas infolge der dort herrschenden h ö h e r e n T e m p e r a t u r eine g e r i n g e r e D i c h t e , so daß am Draht eine a u f s t e i g e n d e S t r ö m u n g entsteht. An der k a l t e n W a n d dagegen, an der das Gas eine g r ö ß e r e D i c h t e aufweist, kommt eine a b s i n k e n d e S t r ö m u n g zustande. Auf diese Weise bildet sich im Rohr eine k r e i s e n d e
541
Der Atomkern
,,Konvektionsströmung" aus, die kontinuierlich die an dem heißen Draht sich ansammelnden l e i c h t e n Moleküle nach o b e n und dementsprechend die an der kalten Wand sich anreichernden s c h w e r e n Moleküle nach u n t e n He/zdraht transportiert. Bei diesem G e g e n s t r o m kommen (vgl. Fig. 152) naturgemäß im T e m p e r a t u r g e f ä l l e jeweils Gasgemische einander gegenüber zu stehen, die sich noch nicht im Thermodiffur\ O sions-gleichgewicht befinden und bei denen daher stets weitere Mengen von leichtem Gas an den heißen Draht und von schwerem •δ ^ Gas an die kalte Wand d i f f u n d i e r e n . So s t e i g e r t sich infolge J •des K r e i s l a u f e s der Effekt schließlich soweit, daß am o b e r e n «Ό Ende das l e i c h t e , am u n t e r e n das s c h w e r e Isotop in r e i n e m Z u s t a n d e erhalten wird. So gelang ζ. B. im Laufe weniger Wochen die quantitative Trennung der C h l o r i s o t o p e n 35Cl u n d 37C1 in Form von je V2 Liter Η 3 5 « und H37C1 mit einem Reinheitsgrad von je 99.5°/ 0 . I n gleicher Weise ließen sich die N e o n i s o t o p e n 20 Ne und 22 Ne quantitativ trennen.
Andere, ebenfalls recht wirksame Methoden bedienen sich der verschiedenen D i f f u s i o n s g e s c h w i n d i g k e i t , der verschiedenen Ver- d a m p f u n g s g e s c h w i n d i g k e i t und der verschiedenen I o n e n e n t l a d u n g s g e s c h w i n d i g k e i t , da die l e i c h t e r e n Isotopen infolge ihrer geringeren Masse etwas s c h n e l l e r d i f f u n d i e r e n bzw. v e r d a m p f e n bzw. e n t l a d e n werden als die schwereren (vgl. unten).
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Die Reindarstellung von Isotopen ist deshalb von Wichtigkeit) weil mit ihrer Hilfe eine I n d i z i e r u n g von Atomen möglich ist, deren Weg im Verlaufe einer Reaktion verfolgt werden soll. Verfüttert man ζ. B. an ein Tier eine Aminosäure (II, S. 266ff., 290), •die an Stelle des g e w ö h n l i c h e n S t i c k s t o f f s l 4 N d a s s c h w e r e S t i c k s t o f f i s o t o p 15 N enthält, so läßt sich das Schicksal dieser Aminosäure im tierischen Körper bis ins einzelne v e r f o l g e n , da der im Stoffwechsel ausgeschiedene oder in Form von Eiweiß im Organismus zurückbehaltene Stickstoff seiner Herkunft nach an der A n w e s e n h e i t d e s I s o t o p s 15 N erkannt werden kann (vgl. S. 542, 553 f. und 569). γ.
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Leichter und schwerer Wasserstoff
Der Wasserstoff besteht gemäß der auf S. 539 wiedergegebenen Tabelle zu 99.985°/0 aus dem Isotop JH und zu 0.015°/0 aus dem Isotop f H . D a sich hier die Massen wie 1:2 verhalten, der prozentuale Massenunterschied also a u ß e r o r d e n t l i c h g r o ß ist, werden die — in anderen Isotopiefällen verschwindenden — Unterschiede in den physikalischen und chemischen Eigenschaften so m e r k l i c h , daß man zwischen einem „leichten" und einem „schweren" Wasserstoff unterscheidet und den ersteren als Protium 1 (Symbol l H oder H), den letzteren als Deuterium 2 {Symbol 2 H oder D) bezeichnet 3 .
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(1)
Die Aussendung eines E l e k t r o n s e~ (Übergang eines Kern-Neutrons in ein KernProton; vgl. S. 538) führt zur Vermehrung der p o s i t i v e n L a d u n g des ursprünglichen Atoms um e i n e Einheit, so daß das neu entstehende Element der n ä c h s t f o l g e n d e n G r u p p e des Periodensystems angehört. Da das Elektron ein verschwindend geringes Atomgewicht besitzt und zudem vom zurückbleibenden, positiv geladenen Element-ion in der Außenhülle wieder aufgenommen wird (s. unten), ändert sich bei dieser Art der radioaktiven Umwandlung das A t o m g e w i c h t n i c h t , so daß ein I s o b a r e s des Ausgangselements entsteht. So verwandelt sich ζ. B. das Metall A c t i n i u m vom Atomgewicht 227 und der Kernladungszahl 89 bei der Elektronenabgabe in das Element T h o r i u m mit dem g l e i c h e n Atomgewicht 227 und der Kernladungszahl 90: 2
f*Ac
>- 215Th+ + _»e- + Energie.
(2)
Hier wie oben ist der L a d u n g s z u s t a n d des ßeaktionsprodukts chemisch unwesentlich, da sich die gebildeten Ionen sehr bald nach ihrer Entstehung durch Aufnahme oder Abgabe von A u ß e n e l e k t r o n e n wieder neutralisieren.
Die vorstehenden Grundgesetze der radioaktiven Umwandlung, gemäß denen je nach der Art der aus dem Atomkern emittierten Teilchen eine gesetzmäßige „Verschiebung" der Elemente innerhalb des Periodensystems erfolgt, bilden den Inhalt des im Jahre 1913 von FAJANS, RUSSELL und SODDY aufgestellten „radioaktiven YerscMebungsgesetzes". ß . Zerfallsreihen Das bei einer radioaktiven Umwandlung n e u e n t s t e h e n d e E l e m e n t ist meist seinerseits wieder r a d i o a k t i v , so daß der Zerfall w e i t e r g e h t und zu einer ganzen „Zerfallsreihe" Veranlassung gibt. Man kennt insgesamt d r e i solcher Zerfallsreihen, Von denen die e i n e („Actinium-Zerfallsreihe") mit dem Uranisotop 2 | | U („ActinoUran"), die z w e i t e („Uran-Zerfallsreihe") mit dem Uranisotop 2 | | U und die d r i t t e („Thorium-Zerfallsreihe") mit dem Thoriumisotop 2 j ^ T h beginnt 1 (s. Tabelle S. 547). Die c h e m i s c h e n E i g e n s c h a f t e n der einzelnen Glieder dieser Zerfallsreihen stehen im Einklang mit den Aussagen des oben erwähnten V e r s c h i e b u n g s g e s e t z e s . So zeigt z . B . das R a d i u m Β ( 2 | | P b ) analytisch ganz die Reaktionen des B l e i s und das R a d i u m C ( 2 | | B i ) ganz die des W i s m u t s , so daß Radium Β und Radium C durch die Methoden zu trennen sind, die man für die Trennung von Blei und Wismut anwendet. Dagegen gelingt es ζ. B. auf keine Weise, Radium Β von Blei oder Radium C von Wismut zu trennen. Besonders bemerkenswert sind die drei g a s f ö r m i g e n Zerfallsprodukte („Emanationen") A c t i n o n , R a d o n u n d T h o r o n , welche die Kernladungszahl 86 besitzen und Isotope des Edelgases R a d o n sind. Sie sind die Ursache dafür, daß jeder in die Nähe 1 Die Massenzahlen der Einzelglieder dieser drei natürlichen Zerfallsreihen entsprechen den Werten 4 η + 3 (Actinium-Zerfallsreihe), 4 η + 2 (Uran-Zerfallsreihe) und 4 n + 0 (ThoriumZerfallsreihe) (n = ganze Zahl). Die noch fehlende Zerfallsreihe mit den Massenzahlen 4 η + 1 wurde neuerdings als künstlich-radioaktive Zerfallsreihe („Neptunium-Zerfallsreihe" ; S. 580) aufgefunden.
547
Die natürliche Radioaktivität
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co τί - 2 0 3 . Ionisationskammer W a s s e r wird durch radioaktive Strahlen Fig. 156. Ionisationskammer in W a s s e r s t o f f und S a u e r s t o f f gespalten (eine wässerige Radiumsalzlösung entwickelt täglich mehr als 30 ccm Knallgas je g Radium); W a s s e r s t o f f wird so stark aktiviert, daß er sich bereits bei Zimmertemperatur mit S c h w e f e l , Arsen und P h o s p h o r zu Schwefelwasserstoff, Arsenwasserstoff und Phosphorwasserstoff vereinigt. Die Anregung von Atomen durch radioaktive Strahlen kann auch zur v ö l l i g e n Abs p a l t u n g von A u ß e n e l e k t r o n e n führen. Dann sprechen wir von einer Ionisation der betreffenden Atome (vgl. S. 140f.). So kann z.B. ein einziges α-Teilchen auf seiner Bahn in Luft 100000—300000 Ionen erzeugen. In analoger Weise wirken auch die ß- und y-Strahlen ionisierend. Radioaktive Strahlen machen somit die L u f t l e i t e n d , was zur experimentellen Messung der „Stärke" von radioaktiven Präparaten benutzt wird. Zu diesem Zwecke läßt man die Strahlen in eine „Ionisationskammer" (Fig. 156) eintreten und mißt den durch die Ionisierung der Luft hervorgerufenen, zwischen zwei geladenen Elektroden übergehenden I o n i s a t i o n s s t r o m . Meist ermittelt man dabei nur die durch die y - S t r a h l e n bewirkte Luftionisation, indem man die übrigen radioaktiven Strahlen durch entsprechende Eintrittsfenster ausfiltriert ; zur Kennzeichnung der Stärke gibt man dann die Anzahl mg R a d i u m an, welche die gleiche y-StrahlenIntensität wie das untersuchte Präparat ergeben. Statt aus F r e m d a t o m e n können die Elektronen durch die radioaktiven Strahlen auch aus den Elektronenhüllen der r a d i o a k t i v e n A t o m e s e l b s t abgespalten werden. Auf diese Weise entsteht die „sekundäre ß-Strahlung", deren Energie naturgemäß davon abhängt, ob sie der K-, L- oder M-Schale des Atoms entstammt.
Die Ionisierung von Fremdatomen kann selbstverständlich auch c h e m i s c h e Reaktionen zur Folge haben. Treffen ζ. B. radioaktive Strahlen auf S i l b e r b r o m i d (Ag+Br - ) auf, so wird das aus dem Brom-ion abgelöste Elektron ( B r - —>- Br + Θ) vom benachbarten Silber-ion aufgenommen (Ag+ + θ —>- Ag), so daß in summa die dem photographischen Prozeß bei der Belichtung (S. 444f.) zugrundehegende S p a l tung des B r o m s i l b e r s in B r o m und S i l b e r stattfindet (AgBr —>- Ag -+- Br). Dementsprechend wirken radioaktive Strahlen auf p h o t o g r a p h i s c h e P l a t t e n ein, was historisch deshalb bedeutsam ist, weil diese Eigenschaft zur E n t d e c k u n g der Radioaktivität führte (S. 548f.). Das bisweilen in der Natur vorkommende „blaue Steinsalz" verdankt seine blaue Farbe kolloid gelöstem Natrium, welches in ganz analoger Weise durch Zersetzung von Natriumchlorid (NaCl —>• Na -f- Cl) unter dem Einfluß radioaktiver Strahlen entstanden ist. Die Einwirkung radioaktiver Substanzen auf den l e b e n d e n Organismus erfolgt hauptsächlich durch die stark durchdringenden y- S t r a h l e n und findet mannigfaltige
Die natürliche Radioaktivität
553
Anwendung in der M e d i z i n . Zwar wirken die Radiumstrahlen auch auf g e s u n d e s G e w e b e ein und vermögen dort gefährliche S c h ä d i g u n g e n hervorzurufen. Da aber das n o r m a l e Gewebe in den meisten Fällen vier- bis siebenmal w i d e r s t a n d s f ä h i g e r gegen die Strahlen als das e r k r a n k t e ist, gelingt es doch, durch entsprechende D o s i e r u n g Hautkrankheiten und auch innere Erkrankungen günstig zu beeinflussen. Namentlich bei K r e b s e r k r a n k u n g wird die heilende oder wenigstens bessernde und schmerzstillende Wirkung der y-Strahlen vielfach angewandt. Als γ-Strahler dient in der Medizin vor allem das R a d i u m . Als Ersatz für das teure und seltene Radium kann M e s o t h o r i u m I ( 2 | ¡ Ra), ein Isotop des Radiums, verwendet werden, das sich aus den Löserückständen der Thorerdefabrikation aus Monazitsand (S. 485) zusammen mit Bariumsulfat ausfällen läßt. Als „1 mg Mesothorium" kommt ein solches Bariumpräparat in den Handel, das dieselbe γ- StrahlenIntensität wie 1 mg Radium ergibt. Wie hier macht man auch in anderen Fällen zur A n r e i c h e r u n g r a d i o a k t i v e r E l e m e n t e von der „ H A H N sehen Fällungsrcgel" Gebrauch. Diese Regel besagt, daß ein in unwägbaren Mengen in einer Lösung vorhandenes r a d i o a k t i v e s E l e m e n t dann mit dem kristallinen Niederschlag eines anderen, in großer Menge vorhandenen oder zugesetzten Elements a u s f ä l l t , wenn es in das K r i s t a l l g i t t e r des Niederschlags e i n t r e t e n oder von diesem a b s o r b i e r t werden kann (vgl. S. 468). So läßt sich ζ. B. das R a d i u m aus Pechblendelösungen trotz der vorliegenden enormen Verdünnung durch Zusatz von Bariumchlorid und Schwefelsäure mit dem entstehenden B a r i u m s u l f a t ausfällen (S. 403), da sich das Radiumsulfat in das Bariumsulfatgitter mit einbaut.
I n neuerer Zeit gewinnen k ü n s t l i c h e anstelle der n a t ü r l i c h e n radioaktiven Elemente zunehmende medizinische Bedeutung (S. 569). 8. Radioaktive Indikatoren Die r a d i o a k t i v e n E l e m e n t e ermöglichen eine besonders einfache „ M a r k i e r u n g " bestimmter Elemente und gestatten so, deren Weg und Schicksal im Verlaufe chemischer Reaktionen genau zu verfolgen. Denn die mit den radioaktiven Elementen zwangsläufig verknüpfte S t r a h l u n g läßt sich auch bei Anwesenheit von nur g e r i n g s t e n E l e m e n t s p u r e n stets mit g r o ß e r S c h ä r f e nachweisen, so daß die radioaktiven Indikatoren in dieser Hinsicht den zu gleichen Zwecken verwendeten, aber weniger leicht analytisch nachweisbaren n i c h t r a d i o a k t i v e n isotopen Elementen (vgl. S. 541, 542) überlegen sind. Zersetzt man z . B . eine B l e i - M a g n e s i u m - L e g i e r u n g der Zusammensetzung PbMgj mit verdünnter S a l z s ä u r e , so läßt sich eine gemäß der Gleichung PbMg 2 + 4 H ' —>- PbH 4 + 2Mg" erfolgende Bildung von B l e i w a s s e r s t o f f PbH 4 wegen der geringen Menge des letzteren nur s c h w e r n a c h w e i s e n . Fügt man dem Blei aber das radioaktive Isotop T h o r i u m Β ( 2 Pb) zu und leitet das bei der Reaktion gebildete Gas durch ein erhitztes Glasrohr, so läßt sich der infolge Zersetzung des Bleiwasserstoffs entstehende — unsichtbare — B l e i s p i e g e l ( P b H 4 — P b + 2H 2 ) wegen seiner R a d i o a k t i v i t ä t eindeutig nachweisen. Auf analoge Weise gelang so auch der Nachweis einer flüchtigen W i s m u t w a s s e r s t o f f v e r b i n d u n g BiH 3 , indem man sich des T h o r i u m C ( 2 1 2 Bi) als radioaktiven Indikators bediente. Nachdem auf solche Weise die Existenz eines Wismutwasserstoffs sichergestellt war, gelang anschließend auch die präparative Darstellung dieser Verbindung aus dem g e w ö h n l i c h e n nichtradioaktiven Wismut (S. 282). Andere Anwendungsgebiete radioaktiver Indikatoren sind ζ. B. die Bestimmung der L ö s l i c h k e i t schwerlöslicher Salze und die Ermittlung der O b e r f l ä c h e feinverteilter Substanzen. So kann man ζ. B. die L ö s l i c h k e i t von Bleichromat PbCr0 4 nicht dadurch ermitteln, daß man ein größeres Volumen der gesättigten Lösung eindampft und den Rückstand wiegt, weil wegen der Schwerlöslichkeit des Bleichromats die
554
Die natürliche Elementumwandlung
unvermeidlichen Fehler das Gewicht des gelösten Bleichromats übersteigen. Mischt man dem Ausgangs-Bleisalz aber etwas T h o r i u m Β ( 2 | | Pb) bei und fällt das Bleisalz dann als Bleichromat, so kann man durch Vergleich der Radioaktivität des Verdampfungsrückstandes der filtrierten Lösung mit der Radioaktivität des ursprünglichen Gemisches die Menge des gelösten Bleichromats errechnen. In ähnlicher Weise kann z. B. die O b e r f l ä c h e von ausgefälltem Bleisulfat ermittelt werden, indem man dem Bleisulfat T h o r i u m Β beimischt und durch Messung der Aktivitäten das Atomverhältnis ThBoberfiäche/ThB l ö 3 n i l g ermittelt. Da dieses gleich dem Atomverhältnis Pboberfiäche/Pbxgaung sein muß, läßt sich bei Kenntnis der Bleikonzentration in der Lösung (PbLöSnilg) die Zahl der Bleiatome an der Oberfläche des Bleisulfats {PbobertUche) und damit die Oberfläche selbst errechnen. Weiterhin kann die Oberfläche von Substanzen und ihre Änderung beim Altern, Rekristallisieren, Verformen usw. dadurch bestimmt werden, daß man der Substanz durch Mischkristallbildung einen emanation-abgebenden radioaktiven Stoff beimischt. Aus der Menge des von •der Oberfläche aus abgegebenen Gases kann man dann Rückschlüsse auf die Oberfläche und innere Makrostruktur der untersuchten Substanz ziehen ( „Emaniermethodo"). Von besonderer Bedeutung ist die radioaktive Indizierung von Elementen bei der Lösung b i o c h e m i s c h e r Probleme. Da die biochemisch wichtigen Elemente hauptsächlich am Anfang des Periodensystems stehen (C, Η, Ο, N, S, P) und ihre n a t ü r l i c h vorkommenden Isotopen daher nichtradioaktiv sind, muß man hier allerdings k ü n s t lich-radioaktive Isotope als Reaktions-Indikatoren verwenden (S. 569).
c. Radioaktive Zerfallsgeschwindigkeit α. Halbwertszeit Die G e s c h w i n d i g k e i t des radioaktiven Zerfalls entspricht der einer m o n o d ftt (it
m o l e k u l a r e n R e a k t i o n (S. 101), d . h . die je Zeiteinheit z e r f a l l e n d e Menge -j—
eines radioaktiven Stoffs ist in jedem Augenblick der noch v o r h a n d e n e n M e n g e m proportional: ^ =
(1)
Dementsprechend nimmt die Geschwindigkeit einer radioaktiven Zerfallsreaktion mit der Zeit immer mehr und mehr ab und nähert sich a s y m p t o t i s c h dem Werte N u l l . Der P r o p o r t i o n a l i t ä t s f a k t o r k, den wir früher allgemein als Geschwindigkeitskonstante bezeichneten, hat hier den speziellen Namen „Zerfallskonstante". Sie gibt die Menge eines radioaktiven Stoffs an, die je Sekunde zerfällt, wenn die M e n g e n e i n h e i t des Stoffs vorliegt ^für m = 1 wird —
= kj. Für R a d i u m ζ. B. hat k
den Wert 1.38 x l O - 1 1 ; d. h. : von 1 g Radium zerfallen je Sekunde 1.38 XlO - 1 1 g, von l k g 1.38 ΧΙΟ - 1 1 kg, von 1 Grammatom 1.38 xlO" 1 1 Grammatome. Die Größe k ist bei jedem radioaktiven Element v o n a l l e n ä u ß e r e n B e d i n g u n g e n u n a b h ä n g i g . Die Zerfallsgeschwindigkeit bleibt also stets die gleiche, gleichgültig ob man den radioaktiven Stoff bei —253°, bei +3000°, in elementarer Form oder in Form chemischer Verbindungen untersucht. Aus der Größe h = 1.38 X 10 - 1 1 für Radium folgt, daß von 1 g Radium im Laufe eines Jahres 1.38 X IO"11 X 60 X 60 X 24 X 365 = 0.000435 g ( = 0.435 mg) zerfallen. Da hierbei bis zur Stufe des verhältnismäßig langlebigen Radium D ( 2 |![Pb) 4 Heliumkerne je Radiumatom emittiert werden (S. 547), entspricht dies einer jährlichen Heliummenge von (4 X 22415 X 0.000435) : 226 = 0.17 ccm. Die experimentell gefundene Heliummenge (S. 551f.) befindet sich damit in Übereinstimmung.
Die natürliche Radioaktivität
555
Zwischen den Grenzen m0 (ursprünglich vorhandene Menge) und mt (nach t Sekunden noch vorhandene Menge) i n t e g r i e r t I J—~~ W. gleichung (1) die Beziehung:
,In ma —
=
Jk o
• dt\, /
ergibt die Differential-
, .. . = & Χί
(2)
aus der sich bei experimenteller Bestimmung von m0 und mt (an Stelle der Stoffmengen m können auch die ihnen gemäß (1) proportionalen Strahlungsintensitäten eingesetzt werden) die Zerfallskonstante k eines radioaktiven Stoffs ergibt. Ist k auf diese Weise einmal ermittelt, so kann man (2) dazu benutzen, um f ü r gegebenes m 0 und mt die Größe t zu berechnen. So beträgt ζ. B. die Zeit / halb , in der gerade die H ä l f t e einer radioaktiven Substanz umgewandelt wird [m% = oder ^
, nach (2) ganz allgemein : ¿halb = -i- X In ^halb =
0.693
— -¡g- X h i 2 (3)
I n Form dieser „Halbwertszeit" ¿halb wird die Zerfallskonstante k meist angegeben, 0 693 weil ¿halb anschaulicher als k ist. F ü r R a d i u m beträgt nach (3) ¿halb = ι 38 χ i o - 1 1 = 5.02 χ IO10 Sekunden, w a s — d a 1 J a h r 60 χ 60 X 24 X 365 = 3.15 χ IO7 Sekunden h a t — (5.02 χ 10 10 ) : (3.15 χ IO7) = 1590 Jahren entspricht. Jede zu irgendeiner Zeit betrachtete beliebige Menge Radium ist demnach 1590 Jahre später zur Hälfte zerfallen. Die Halbwertszeiten der radioaktiven Elemente können die extremsten Werte besitzen und variieren bei den in der N a t u r vorkommenden Stoffen zwischen einer z e h n m i l l i o n s t e l S e k u n d e (Thorium C , 2 P o ) und 600 B i l l i o n e n J a h r e n (Indium, In). Die Zeit ¿ganz, nach der nur noch ein Tausendstel der ursprünglichen Substanz vorhanden. letztere also zu 99.9%, d. h. praktisch ganz zerfallen ist, ergibt sich nach (2) zu W = T X l n ^ ö ö = T
X l n l 0 0 0
°der 691
'ganz — £ · entsprechend dem Zehnfachen der Halbwertszeit (3). Nach 1590 X 10 = 16900 Jahren ist demnach eine gegebene Radiummenge praktisch völlig zerfallen. ß . Radioaktives Gleichgewicht Wenn reines R a d i u m unter Emission von «-Strahlen in R a d o n übergeht, so beträgt die von M ^ Grammatomen Radium j e S e k u n d e gebildete Radonmenge h ^ · Jf-ßa = TOj^ Grammatome Radon. (4) Von den auf diese Weise zu einer bestimmten Zeit i n s g e s a m t vorhandenen M a n Grammatomen Radon zerfallen j e S e k u n d e · - m'Rn Grammatome Radon (5) unter Emission von α-Strahlen und Bildung von R a d i u m A weiter. Zunächst wird die Menge Μ·&η des unzersetzt vorliegenden Radons mit der Zeit z u n e h m e n , da anfangs «i ß n > m'%,„ ist, d. h. m e h r R a d o n g e b i l d e t w i r d a l s z e r f ä l l t . Nach und nach s t e i g t aber infolge dieser Zunahme v o n M E n die je Sekunde z e r f a l l e n d e R a d o n m e n g e m'x,n gemäß (5) so an, daß schließlich ™Βη = ™'ltn
(6)
556
Die natürliche Elementumwandlung
wird. Von jetzt ab ä n d e r t s i c h d i e R a d o n m e n g e n i c h t m e h r , da in der Zeiteinheit e b e n s o v i e l R a d o n g e b i l d e t w i r d wie w i e d e r z e r f ä l l t . Das damit eingestellte G l e i c h g e w i c h t heißt „radioaktives Gleichgewicht". Die Gleichgewichtsbedingung hierfür lautet gemäß (6) bei Einsetzen von (4) und (5) : kßg · Mb& = ¿En · M ß n oder — unter gleichzeitiger Berücksichtigung von (3) — : ¿halb ^Bn
•halb Un
(7)
In Worten: Die im radioaktiven Gleichgewicht befindlichen Atommengen radioaktiver Elemente verhalten sich wie die Halbwertszeiten bzw. umgekehrt wie die Zerfallskonstanten. Im obigen Fall ζ. B. hat k&D den Wert 2.097 χ IO"6 und ÄEa den Wert 1.38 X 10 - 1 1 . Dementsprechend stehen Radium und Radon d a n n im radioaktiven Gleichgewicht, wenn (2.097 X 10"6) : (1.38 X IO"11) = 152000mal mehr Radium- als Radonatome vorhanden sind. Die mit l g R a d i u m im radioaktiven Gleichgewicht befindliche R a d o n m e n g e 0.6 mm3) wird „1 Curie" genannt. Der 10 10 -te Teil davon heißt „1 Eman" und dient zur Charakterisierung des Emanationsgehaltes von Thermalwässern. Die stärkste Radiumquelle der Welt ist die von Brambach in Sachsen; ihr Brunnenwasser enthält über 26000 Eman-Einheiten je Liter.
Die Gesetzmäßigkeit (7) kann natürlich auf s ä m t l i c h e — benachbarte oder nicht benachbarte — G l i e d e r e i n e r Z e r f a l l s r e i h e ausgedehnt werden. Daher kann man ζ. B. aus der Tatsache, daß das Verhältnis von R a d i u m zu U r a n in den Uranerzen k o n s t a n t ist (MB* : Mv = 3.49 X 10~7 bzw. Mv : M K a = 2.87-10 6 ), den Schluß ziehen, daß diese beiden Elemente im r a d i o a k t i v e n G l e i c h g e w i c h t miteinander sind, d . h . daß das U r a n die —allerdings nicht unmittelbare — „Muttersubstanz" des Radiums ist. Bei Kenntnis des G l e i c h g e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e s MA : MB und der Z e r f a l l s k o n s t a n t e (bzw. Halbwertszeit) der e i n e n S u b s t a n z A kann man die Beziehung (7) dazu benutzen, um die Z e r f a l l s k o n s t a n t e (Halbwertszeit) der a n d e r e n Substanz Β zu errechnen. Auf diese Weise ermittelt man ζ. B. die Halbwertszeit besonders l a n g l e b i g e r Elemente, deren Zerfallskonstante auf d i r e k t e m Wege nicht bestimmbar ist. So folgt ζ. B. aus dem obigen Atomverhältnis M^-.MJJ = 3.49 χ 10-', daß die H a l b w e r t s z e i t des U r a n s 1590: (3.49X10"')= 4.56 Χ 109 Jahre beträgt. Bei besonders k u r z l e b i g e n Elementen läßt sich die Zerfallskonstante (Halbwertszeit) aus einer von G E I G E R und N U T T A L empirisch aufgefundenen l o g a r i t h m i s c h e n B e z i e h u n g zwischen Z e r f a l l s k o n s t a n t e k und R e i c h w e i t e Β der α-Strahlen („GEIOER-NUTTALSche Kegel") errechnen. So folgt ζ. B. aus der für die Uran-Zerf a l l s r e i h e geltenden Gleichung log k = — 37.7 + 53.9 X log B, daß die Zerfallskonstante k des R a d i u m C (R = 6.60 cm) ungefähr 10® betragen muß.
γ . Altersbestimmung von Mineralien Unter den p r a k t i s c h e n N u t z a n w e n d u n g e n der Beziehung (2) zwischen umgewandelter Stoffmenge m und Zeit t sei die A l t e r s b e s t i m m u n g v o n M i n e r a l i e n angeführt, die uns Auskunft über das M i n d e s t a l t e r d e r E r d e gibt. Wie aus der Uranzerfallsreihe (S. 547) hervorgeht, geht jedes U r a n atom beim radioaktiven Zer. fall schließlich in ein inaktives B l e i a t o m über. Ermittelt man daher in einem Uranmineral analytisch den Gehalt an U r a n b l e i , so lassen sich natürlich mit Hilfe von (2) die A n z a h l J a h r e t berechnen, die zum Zerfall der dieser Bleimenge entsprechenden Uranmenge erforderlich waren. So ergab ζ. B. die Analyse des in Afrika vorkommenden sogenannten Morogoro-Erzes ein Atomverhältnis P b : U = 0.107. Auf 1 Grammatom Uran sind danach also 0.107 Grammatome Uranblei (entstanden aus 0.107 ursprünglich noch zusätzlich vorhandenen Grammatomen Uran) enthalten, so daß
Die natürliche Radioaktivität j g . _ 1 + 0.107 _
557
L107
mt 1 ist. Hieraus berechnet sich, da k für Uran den Wert 1.5 Xl0~ l 0 /Jahr besitzt, nach (2): 4 =
1 in-io I.öIf χ 1U
=
680
Millionen Jahre.
Das untersuchte Erz ist also vor 680 Millionen Jahren durch irgendeinen Schöpfungsakt entstanden1. Von den bisher nach der geschilderten Methode untersuchten Mineralien erwies sich als eines der j ü n g s t e n (60 Millionen Jahre) der in der oberen Kreide vorkommende Uranit, als eines der ä l t e s t e n (1400 Millionen Jahre) ein im unteren Präkambrium enthaltener Uranit. Das Alter der oberen Kreideformation beträgt somit 60 Millionen Jahre, das der Erde selbst mindestens 1400 Millionen Jahre 2 . Statt des B l e i s kann man zur Altersbestimmung von Uranmineralien auch das entwickelte H e l i u m g a s (auf 1 Uranatom entstehen ja bis zur Endstufe Blei 8 Atome Helium) ermitteln, das in vielen Fällen zum überwiegenden Teil innerhalb des Minerals e i n g e s c h l o s s e n bleibt und erst beim Auflösen, Schmelzen oder Erhitzen der gepulverten Erzprobe entweicht (vgl. S. 71,73) und dann aufgefangen und genau gemessen werden kann. Die auf diese Weise gefundenen Alterswerte stimmen mit den nach der „Bleimethode" erhaltenen in allen den Fällen genau überein, in denen während des Zerfalls noch kein Helium nach außen entwichen ist; andernfalls sind sie naturgemäß etwas kleiner.
d. Radioaktiver Energie-umsatz α. Massenverlust durch Strahlung Wie auf S. 548 erwähnt, ergibt sich aus dem Atomgewicht des Urans und des Heliums für das Endprodukt des radioaktiven Uranzerfalls, das U r a n b l e i , ein Atomgewichtswert 206, der auch experimentell bestätigt wird. Verwendet man nun zur Berechnung die g e n a u e n A t o m g e w i c h t s w e r t e von Uran und Helium, so resultiert eine k l e i n e D i s k r e p a n z . Entsprechend der Abgabe von 8 Heliumatomen (Atomgewicht 4.003) aus dem Uranatom (Atomgewicht 238.07) sollte man nämlich für das Uranblei ein Atomgewicht von 238.07 — 8 X4.003 = 206.05 erwarten, während der experimentelle Wert (gemessen an einem in Dakota gefundenen Uranit) 206.02 beträgt. Das entspricht einem M a s s e n v e r l u s t von 206.05 — 206.02 = 0.03 Atomgewichtseinheiten.
Dieser Massendefekt erhöht sich noch um rund 0.02 Atomgewichtseinheiten, wenn man berücksichtigt, daß das Uran aus drei Isotopen mit den Massenzahlen 234 (0.006%), 235 (0.720%) und 238 (99.274%) besteht, von denen hier nur das s c h w e r s t e Uranisotop 2 1 ¡ U in Frage kommt, und daß das gefundene Atomgewicht des Bleis etwas zu groß ausfallen muß, da infolge des Actino-Uran-Zerfalls (S. 547) neben dem Blei-isotop 2 g | P b auch geringe Mengen des Blei-isotops 2 ® ¡ Pb entstehen. Die ß- Strahlung, die beim Uranzerfall noch auftritt, kann für diesen Massenverlust nicht verantwortlich gemacht werden, da — wie früher erwähnt — die ausgestrahlten Elektronen als Außenelektronen wieder in die Atomhülle aufgenommen werden. Somit scheinen je Grammatom Uran rund 50 mg Masse s p u r l o s zu v e r s c h w i n d e n . 1 Der so erhaltene Alterswert ist etwas zu klein; denn bei g e n a u e r e n Berechnungen muß man natürlich auch die im radioaktiven Gleichgewicht befindlichen Z w i s c h e n p r o d u k t e des Zerfalls mit in Rechnung setzen. 2 Das Alter der S o n n e wird auf 6000 Millionen, das des W e l t a l l s auf 10000 Millionen Jahre geschätzt.
558
Die natürliohe Elementumwandlung
Eine genauere Betrachtung zeigt nun, daß diese Masse in Form der gewaltigen Zerfallsenergie von insgesamt 50 Millionen e-Volt wieder erscheint, welche beim "Übergang von Uran in Blei frei wird. Nach der früher (S. 12) schon erwähnten EiNSTEiNschen M a s s e - E n e r g i e - G l e i c h u n g entspricht nämlich einer Energiemenge E von 1 Million e-Yolt ( = IO6 χ 9.6519 X IO11 = 9.6519 X IO17 erg) je Mol eine Masse m = (9.6519 X IO17) : (2.9978 χ IO10)8 = 0.0011 g oder 1.1 mg. Demnach stellen die 50 Millionen e-Volt eine Masse von 55 mg dar, was mit dem experimentell feststellbaren Massenverlust beim Uranzerfall übereinstimmt. Somit erleidet das Uran bei seinem Übergang in Blei außer einem materiellen Massenverlust von rund 32.02 Atomgewichtseinheiten noch einen energetischen Massenverlust von rund 0.05 Atomgewichtseinheiten. Der Übergang von R a d i u m in Blei ist mit einer Energie-entwicklung von insgesamt 34 Millionen e-Volt — in Form kinetischer Energie der α- und ^-Teilchen — verknüpft. Diese 34 Millionen e-Volt entsprechen einer W ä r m e m e n g e von (34 χ 10 e ) Χ 2 3 . 0 6 2 » 8 X IO8 kcal pro Grammatom Radium, was sich in Übereinstimmung mit der e x p e r i m e n t e l l gemessenen Wärmeentwicklung (S. 561) befindet. Das Massen-Äquivalent dieser Energiemenge beträgt nach 8) 37 mg, welche somit beim Übergang von Radium in Blei „verschwinden".
ß. Packungsanteil Die Masse eines jeden aus Protonen und Neutronen zusammengesetzten Atomkerns ist kleiner als die Summe der Massen seiner B e s t a n d t e i l e . Die Differenz m („Massendefekt") entspricht gemäß der Beziehung (8) der Bindungsenergie E, welche beim Aufbau des Atomkerns aus den beiden Bausteinen frei wird, und stellt ein Maß für die B e s t ä n d i g k e i t des Atomkerns dar. So beträgt z . B . das Atomgewicht des H e l i u m s 1 |He 4.00384, während sich als Summe der Atomgewichte von 2 W a s s e r s t o f f a t o m e n und 2 Neutronen der Wert (2x1.008131) + (2X1.00895) = 4.03416 ergibt. Der Massendefekt m = 4.03416 —4.00384 = 0.03032 entspricht einer bei der Bildung von Heliumkernen aus Protonen und Neutronen freiwerdenden Bindungsenergie von 0.03032 χ (2.9978 χ IO10)2 = 2.725 χ 1019 erg = 6.51 χΙΟ8 kcal = 28.2 χ10 β e-Vol/Grammatom Helium : 2 H + 2Nn — > - He + 651000000 kcal.
(9)
Wollte man demnach Heliumkerne in Protonen und Neutronen a u f s p a l t e n , so müßte man dazu den ungeheuren Energiebetrag von 651 Millionen Kilokalorien je Grammatom (4.00384 g) aufwenden. Dies läßt uns verstehen, warum beim radioaktiven Zerfall Helium kern e und nicht dessen B a u s t e i n e ausgeschleudert werden (vgl. S. 545). Offenbar findet ein A u f b a u v o n A t o m k e r n e n aus Protonen und Neutronen nach Art der Gleichung (9) auch jetzt noch im Weltall statt, wie die aus dem Weltenraum zu uns dringende „Höhenstrahlung" („Ultrastrahlung", „kosmische Strahlung") schließen läßt. Denn deren e r s t a u n l i c h hohe E n e r g i e von 109 bis 10 1 2 e-Volt (entsprechend einer Wellenlänge von 1 0 _ a bis IO -5 X E ) läßt sich nur durch kosmische Vorgänge von ähnlich gewaltigem Ausmaß erklären. Manche Forscher nehmen ja sogar an, daß sie ihren Ursprung nicht nur einer t e i l w e i s e n , sondern sogar einer völligen „Zerstrahlung" von Materie verdanke. Hierbei würden noch gewaltigere Energiemengen frei, da einer Materiemenge von 1 g nach (8) eine Energiemenge von 2.16 X 10 1 0 kcal ( = 9 3 1 X 10e e-Volt) äquivalent ist, welche der Wärmemenge entspricht, die bei der Verbrennung von 21¡i Tausend Tonnen Kohle entwickelt wird. Bei der Erforschung der kosmischen Strahlung wurde 1937 von dem amerikanischen Physiker C . D. A N D E R S O N eine neue Art von Elementarteilchen, das „Meson" („Mesotron", „schweres Elektron") entdeckt, das wie das Elektron eine n e g a t i v e oder p o s i t i v e L a d u n g , aber eine etwa 1 Hier wie im folgenden verwenden wir für die einzelnen Isotopen die — genauer angebbaren — p h y s i k a l i s c h e n (S. 543), d.h. auf ' ¡ O = 16.00000 bezogenen Atomgewichte.
Die natürliche Radioaktivität 2 0 0 m a l („leichtes Meson", „μ-Meson")
559
bis 300mal („schweres Meson", „n-Meson")
größere Masse
als dieses besitzt (Atomgewicht ~ 0.1). Die Mesonen gehen — unter Abgabe des Massenunterschiede in Form von k i n e t i s c h e r E n e r g i e und von N e u t r a l t e i l c h e n 1 — leicht in E l e k t r o n e n 8 über und besitzen e i n e H a l b w e r t s z e i t von 10~ 8 (π-Mesonen) bis 1 0 - e sec (/¿-Mesonen). Auf die Erdoberfläche gelangen sie teils u n z e r s e t z t als „harte kosmische Strahlung", teils in Form ihrer Z e r f a l l s p r o d u k t e als „weiche kosmische
Strahlung".
Zur Charakterisierung der r e l a t i v e n B e s t ä n d i g k e i t von Atomkernen pflegt man meist nicht den oben definierten M a s s e n d e f e k t tn, sondern den ,, Packungs-
—*·
Massenzah/
Fig. 157. Packungsanteil-Kurve der Elemente
anteil" / anzugeben, worunter man die A b w e i c h u n g v o m g a n z z a h l i g e n A t o m g e w i c h t — ausgedrückt als B r u c h t e i l dieses Atomgewichts — versteht: . _ Atomgewicht — Massenzahl Massenzahl.
Fig. 157 gibt die Packimgsanteile der einzelnen Elemente in Form einer K u r v e wieder. Als Atomgewichte sind dabei die auf 0 = 16.0000 bezogenen p h y s i k a l i s c h e n A t o m g e w i c h t e zugrundegelegt. J e t i e f e r ein Element in dieser Kurve steht, um so b e s t ä n d i g e r sind seine Atomkerne. Das M a x i m u m d e r S t a b i l i t ä t liegt beim C h r o m (/er = —7.9 χΙΟ - 4 ). Hervorzuheben ist die im Vergleich zu den Nachbarkernen auffallend große Stabilität des H e l i u m k e r n s , die sich durch eine entsprechende U n s t e t i g k e i t des sonst weitgehend stetigen Kurvenverlaufs zu erkennen gibt. Sie läßt das Auftreten von Heliumkernen beim radioaktiven Zerfall (S. 545) einleuchtend verstehen und bildet die Grundlage zur Konstruktion der „Wasserstoffbombe", welche die bei der Umwandlung von Wasserstoff in Helium freiwerdende ungeheuere Energie — vgl. (9) — „auszunutzen" sucht. 1 Die s c h w e r e n M e s o n e n geben Neutralteilchen von etwa 100 facher Elektronenmasse („neutrales Meson", „v-Meson", „Neutretto"), die l e i c h t e n M e s o n e n Neutralteilchen von kleinerer als Elektronenmasse („Neutrino"; vgl. S. 550) ab. 2 Die s c h w e r e n M e s o n e n wandeln sich zunächst in l e i c h t e M e s o n e n , letztere direkt in E l e k t r o n e n um.
Kapitel XXVII
Die künstliche Elementumwandlung Wie aus den Ausführungen über den Bau der Atomkerne (S. 535ff.) hervorgeht, ist jedes E l e m e n t durch eine ganz b e s t i m m t e Anzahl von P r o t o n e n im Kern seiner Atome c h a r a k t e r i s i e r t . Will man daher ein E l e m e n t in ein anderes E l e m e n t verwandeln, so muß man die Zahl der K e r n p r o t o n e n verändern. Vergrößert man sie durch „Hineinschießen" von Protonen in den Kern, so entsteht ein im Periodensystem auf das Ausgangselement folgendes E l e m e n t ; v e r k l e i n e r t man sie durch „Herausbombardieren" von Protonen aus dem Kern, so gelangt man zu einem im Periodensystem weiter links stehenden Grundstoff mit kleinerer Kernladung. Als „Geschosse" dienen zweckmäßig die Atomkerne mit den kleinsten Kernladungen 0 (Neutronen), 1 (Wasserstoffkerne) und 2 (Heliumkerne), da Teilchen mit geringer positiver Ladung besonders leicht in andere, ebenfalls positiv geladene Atomkerne einzudringen vermögen. Doch sind in neuester Zeit auch mit sechsfach positiv geladenen K o h l e n s t o f f kernen erfolgreiche Elementumwandlungen vorgenommen worden (S. 584). Man hat bis heute schon tausende von Kernreaktionen untersucht. Dabei wurden über 700 verschiedene k ü n s t l i c h e Atomarten gewonnen, so daß man zur Zeit zusammen mit den über 300 n a t ü r l i c h e n Atomarten (S. 539) schon mehr als 1000 verschiedene I s o t o p e der 98 Elemente kennt. Dabei befindet sich diese Zahl noch dauernd im Wachsen. Im folgenden behandeln wir zunächst die Kern-Einzelreaktionen, bei denen jeder „Treffer" nur einen einzigen Elementarakt auslöst. Anschließend werden dann die Kern-Kettenreaktionen besprochen, bei denen nach Art der Chlorknallgas-Reaktion (S. 81) jeder ausgelöste exotherme Elementarakt weitere exotherme Elementarakte zur Folge hat, so daß bei gesteuertem Ablauf eine ständige Entnahme von Energie und Reaktionsprodukten möglich ist („Atomkraftanlage"), während bei ungesteuertem Ablauf eine Explosion von verheerender Wirkung erfolgt {„Atembombe").
1. Die Kern-Einzelreaktion Um positiv geladene Helium- oder Wasserstoffkerne mit anderen, mehrfach positiv geladenen Atomkernen in Wechselwirkung zu bringen, muß man ersteren zur Überwindung der bei der Annäherung wachsenden gegenseitigen Abstoßung eine hohe k i n e t i s c h e E n e r g i e mit auf den Weg geben. Im Falle der Heliumkerne liegen Teilchen solcher hohen Energie ζ. B. in den aS t r a h l e n r a d i o a k t i v e r Substanzen vor, deren Energie mehrere Millionen e - V o l t — entsprechend einer Anfangsgeschwindigkeit von einigen zehntausend K i l o m e t e r n je Sekunde — beträgt (S. 549). In den Anfangszeiten der Atomzertrümmerung bediente man sich daher dieser natürlichen α-Teilchen zur Beschießung von Atomkernen. Heutzutage ist man nicht mehr auf diese mengenmäßig geringen und energetisch begrenzten radioaktiven Strahlenquellen angewiesen, sondern stellt in Beechleunigungskammern α-Strahlen beliebigen Energieinhalts her. Als besonders zweck-
Die Kern-Einzelreaktion
561
mäßig hat sich hierbei das von dem amerikanischen Physiker E R N E S T L A W R E N C E entwickelte „Cyclotron" erwiesen. Es besteht (Fig. 158) aus zwei halbkreisförmigen, flachen, hohlen Dosen („D-Elektroden"), die in einer evakuierten, zwischen den Polen eines starken Magneten (Magnetpole oberhalb und unterhalb der Papierebene) befindlichen Entladungskammer untergebracht und mit einer hochfrequenten Wechselspannung ( ~ 100 kVolt, ~ 107 Wechsel/Sekunde) verbunden sind. Die im Spalt zwischen den beiden Elektroden bei A erzeugten α-Teilchen (Heliumionen) werden von dem dort
Fig. 158.
Wirkungsweise des Cyclotrons (schematisch)
herrschenden elektrischen Feld erfaßt und in das Innere einer der beiden Halbdosen gerissen, wo sie — wie in einem Faraday-Käfig dem elektrischen Feld entzogen — unter dem Einfluß des senkrecht zur Papierebene gerichteten homogenen Magnetfeldes einen H a l b k r e i s beschreiben. Bei Wiedereintritt in den Spalt zwischen den beiden Halbdosen werden die Teilchen durch das synchron mit der Umlaufzeit sein Vorzeichen wechselnde elektrische Feld nachbeschleunigt und so fort, wobei sich der Krümmungsradius des Halbkreises infolge der wachsenden Geschwindigkeit ständig vergrößert 1 , so daß sich die Teilchen auf einer aus Halbkreisen zusammengesetzten S p i r a l b a h n vom Zentrum wegbewegen, bis sie schließlich nach Erreichen der gewünschten Geschwindigkeit bei Β durch eine Ablenkplatte („Deflektor") aus ihrer Spiralbahn abgelenkt und dem Bestimmungsort zugeführt werden. Die maximale Stromstärke des so erzeugten α-Strahls beträgt bisher 10 - 4 Ampere. Zur Emittierung einer dieser Stromstärke entsprechenden α-Strahlen-Intensität wären 10 kg reines Radium erforderlich, da die von 1 g r e i n e m (d. h. von Zerfallsprodukten freiem) Radium je Sekunde emittierte Anzahl von Heliumkernen (vgl. S. 551 f., 554) einer Stromstärke von rund 10 - 8 Ampere entspricht. Das erste Cyclotron hatte einen Durchmesser von nur 10 cm. Der Durchmesser des modernsten Cyclotrons (California-Universität Berkeley) beträgt nahezu 5 m. Es vermag Heliumionen von maximal 400 Millionen e-Volt zu erzeugen. Sein Magnet allein hat ein Gewicht von nahezu 5000 Tonnen. Pläne zur Beschleunigung von Partikeln bis zu einigen Milliarden e-Volt sind bereits in Ausarbeitung („Bevatron", „Cosmotron", Magnetgewicht 10000 Tonnen, Kammerdurchmesser 33 m. Vgl. S. 586).
Wasserstoffkerne benötigen zum Eindringen in andere positiv geladene Atomkerne k e i n e so g r o ß e k i n e t i s c h e E n e r g i e wie Heliumkerne, da sie gegenüber letzteren 1
Die zum Durchlaufen eines Halbkreises erforderliche Zeit ist immer die gleiche, da der größere Krümmungsradius durch die größere Geschwindigkeit kompensiert wird. H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie.
30. u. 31. Aufl.
36
562
Die künstliche ElementumWandlung
eine nur h a l b so g r o ß e p o s i t i v e L a d u n g tragen. Daher genügt zur Kernumwandlung hier schon eine Energie von mehreren h u n d e r t t a u s e n d e - V o l t , entsprechend einer Anfangsgeschwindigkeit der Wasserstoffteilchen von einigen t a u s e n d K i l o m e t e r n je Sekunde. Ja selbst mit Wasserstoffkernen von nur einigen z e h n t a u s e n d e-Volt Energie konnten, wenn auch mit relativschlechter Ausbeute, Atomumwandlungen beobachtet werden. Als Wasserstoffkerne können sowohl Kerne der Masse 1 (Prot o n e n ) wie Kerne der Masse 2 ( D e u t e r o n e n ) dienen. Die D e u t e r o n e n sind dabei wegen ihrer größeren Masse w i r k s a m e r als die Protonen. Die D a r s t e l l u n g energiereicher Protonen und Deuteronen erfolgt zweckmäßig im C y c l o t r o n (S. 560f.). Dieses gestattet zur Zeit die Beschleunigung von Protonen bis zu 400 Millionen und von Deuteronen bis zu 200 Millionen e-Volt. Wegen der p o s i t i v e n Ladung von Helium- und Wasserstoffkernen gelingt die Umwandlung eines Atomkerns durch Beschießung mit diesen Geschossen um so s c h w i e riger, je h ö h e r die p o s i t i v e K e r n l a d u n g des umzuwandelnden Atoms ist. Keine solche Einschränkung gilt für die Beschießung von Atomkernen mit Neutronen. Diese vermögen auch in die s c h w e r s t e n A t o m k e r n e leicht einzudringen, da sie als u n g e l a d e n e T e i l c h e n k e i n e A b s t o ß u n g d u r c h d i e p o s i t i v e n L a d u n g e n des Kerns erfahren. Und selbst ganz „langsame" Neutronen mit Energien bis herab zur Größenordnung von 1 e-Volt (entsprechend einer Geschwindigkeit von immerhin einigen 10 Kilometern je Sekunde) können noch Kernreaktionen auslösen. Als N e u t r o n e n q u e l l e dient dabei im einfachsten Pali ein Gemisch von R a d o n bzw. R a d i u m und B e r y l l i u m p u l v e r (S. 564), während die Erzeugung h ö h e r e r N e u t r o n e n i n t e n s i t ä t e n zweckmäßig durch Einwirkung cyclotron-beschleunigter D e u t e r o n e n auf D e u t e r i u m (S. 566) oder noch vorteilhafter im „Uran-Pile" (S. 572ff.) vorgenommen wird. Ähnliche Vorrichtungen wie für die Beschleunigung von α-Teilchen, Deuteronen und Protonen wurden auch für die Beschleunigung von E l e k t r o n e n bis zu Energieinhalten von 300 Millionen e-Volt entwickelt GjBetatron", „Synchrotron"). Mit ihrer Hilfe rückt die Möglichkeit näher, auch mit Hilfe von ^-Strahlen Kernumwandlungen vorzunehmen, worüber bis jetzt noch wenig bekannt ist (vgl. S. 585). Ebenso dürfte die Erforschung der M e s o n e n (S. 558f.) aus der Anwendung des Betatrons und Synchrotrons großen Nutzen ziehen (vgl. S. 586).
Je nach der Energie der zur Bombardierung von Atomkernen benutzten Elementarteilchen sind die Ergebnisse der Umsetzung verschieden. Benutzt man Teilchen verhältnismäßig „ g e r i n g e r " E n e r g i e (bis zu einigen 10 Millionen e-Volt), so findet eine e i n f a c h e K e r n r e a k t i o n statt, bei welcher das auftreffende Teilchen absorbiert wird oder ein oder zwei Elementarteilchen aus dem getroffenen Kern herausschießt. Sind dagegen die Projektile sehr energiereich (einige 100 Millionen e-Volt), so erfolgt eine ausgesprochene K e r n z e r s p l i t t e r u n g (engl, „spallation"), bei welcher der beschossene Kern bis zu 40 und mehr Masseneinheiten verlieren kann. Besonders interessant ist noch eine d r i t t e Art der Kernreaktion, die K e r n s p a l t u n g (engl. „fission"), bei welcher der Atomkern in zwei Bruchstücke zerfällt. Sie erfolgt bei den instabilen schweren Kernen häufig schon bei der Bestrahlung mit ganz langsamen Neutronen, bei den stabileren leichten Kernen nur unter der Einwirkung sehr energiereicher Geschosse. Im folgenden seien diese verschiedenen Arten der Kernumwandlung näher besprochen.
a. Die einfache Kernreaktion α. Methoden der Kernumwandlung Kernumwandlung mit Heliumkernen Trifft ein Heliumkern auf einen Atomkern auf, so wird er von diesem im allgemeinen nicht einfach nur „eingefangen" (Beispiel: ¡ L i - f |He-> 1 JB), sondern schleudert beim Aufprall meist zugleich einen Kernbaustein — ein Ρ r o t ο η oder ein N e u t r o n — heraus.
Die Kern-Einzelreaktion
563
Emission von Protonen. Wird ein P r o t o n aus dem Atomkern herausgeschleudert, so entsteht aus einem Element E von der Kernladung k und der Masse m ein Element der Kernladung k -f- 1 und Masse m + 3 : i B + JHe —•*• ΙΉ. + 1 + lE,
(1)
weil das herausgeschleuderte Proton von den in Form des Heliumkerns zugeführten 2 Ladungs- und 4 Masseneinheiten 1 Ladungs- und 1 Masseneinheit mit sich führt. Der ä l t e s t e — schon historisch gewordene — Versuch dieser Art wurde im Jahre 1919 von dem englischen Physiker Lord R U T H E R F O R D (S. 549) durchgeführt und stellt die e r s t e g e g l ü c k t e E l e m e n t v e r w a n d l u n g ü b e r h a u p t dar. R U T H E R F O R D ließ die beim Zerfall von Thorium C ( 2 H Bi) freiwerdenden, sehr energiereichen (6 Millionen e-Volt) α - S t r a h l e n auf S t i c k s t o f f g a s einwirken. Dabei beobachtete er auf einem dahinter gestellten Leuchtschirm neben den hellen Lichtblitzen der auf den Leuchtschirm auftreffenden Heliumkerne auch s c h w ä c h e r e S z i n t i l l a t i o n e n . Durch exakte mathematische Analyse des Phänomens konnte er zeigen, daß diese schwächeren Lichtblitze von W a s s e r s t o f f k e r n e n herrührten, und er gab diesem Befund die kühne Deutung, daß die beobachteten Wasserstoffteilchen a u s d e n S t i c k s t o f f k e r n e n h e r a u s g e s c h o s s e n worden seien. Die späteren Untersuchungen b e s t ä t i g t e n d i e s e D e u t u n g , und wir müssen heute den Scharfsinn des menschlichen Geistes bewundern, der imstande war, aus dem Aufblitzen einiger weniger Lichtpunkte auf einem Leuchtschirm die Lösung eines so uralten Rätsels und Wunschtraums der Menschheit, der künstlichen Elementverwandlung, abzuleiten. Entsprechend der allgemeinen Gleichung (1) entsteht bei der Beschießung von Stickstoff mit Heliumkernen neben Wasserstoff auch S a u e r s t o f f vom Atomgewicht 17: »JN + IHe — ^ Ì H + i J O . (2) Das Einfangen des α-Teilchens und die Entstehung zweier neuer Kerne können dabei dem Auge direkt s i c h t b a r g e m a c h t werden: Läßt man den Vorgang sich in einer mit g e s ä t t i g t e m W a s s e r d a m p f gefüllten Kammer („WusoN-Kammer") abspielen, in der man durch p l ö t z l i c h e E x p a n s i o n ( A b k ü h l u n g ! ) einen vorübergehenden Zustand der Ü b e r s ä t t i g u n g erzeugt, so wirken die längs der Bahn der Atomtrümmer durch Zusammenstoß mit Gasmolekülen erzeugten I o n e n (vgl. S. 552) als K o n d e n s a t i o n s k e r n e für W a s s e r t r ö p f c h e n . Bei geeigneter B e l e u c h t u n g kann man daher die Bahnen als w e i ß e N e b e l - l i n i e n auf dunklem Hintergrund sehen oder photographieren. Auf solchen „Nebelaufnahmen" finden sich nun (Fig. 159) gelegentlich Bahnen von Heliumkernen, die an einer Stelle p l ö t z l i c h a b b r e c h e n (Einfangen des Teilchens durch einen Stickstoffkern), während gleichzeitig z w e i n e u e B a h n s p u r e n von dieser Stelle ausgehen : eine dünne Spur des ausgeschleuderten Wasserstoffkerns und eine kräftige Spur des Sauerstoffkerns. Eine Analyse der Impulsbedingungen bei Fig. 159. WILSON-Aufnahme einer der Gabelung ergibt dabei in Übereinstimmung mit Kernumwandlung durch α-Teilchen der obigen Reaktionsgleichung (2) die Massen 1 und 17. Eine solche Atomumwandlung findet allerdings bei Verwendung von «-Strahlen aus natürlichen radioaktiven Quellen nur äußerst s e l t e n statt. Von 100000 α-Teilchen stößt durch36*
564
Die künstliche Elementumwandlung
sehnittlieh nur ein einziges in geeigneter Weise mit einem Stickstoffkern zusammen. Daher ist auch eine c h e m i s c h e I s o l i e r u n g und C h a r a k t e r i s i e r u n g der bei der Kernreaktion (2) entstehenden Elemente Wasserstoff und Sauerstoff n i c h t m ö g l i c h , wie folgende Überschlagsrechnung zeigt: 1 g Radium entwickelt pro Jahr 167 mm 3 Helium (S. 551 f.)· Erzeugte j e d e s Heliumatom ein Wasserstoff- und ein Sauerstoffatom, so entstünden — da dann auf 2 Heliumatome 1 Wasserstoff- und 1 Sauerstoffmolekül entfielen — in 1 Jahr je rund 80 mm 3 Wasserstoff und Sauerstoff. Da aber von 100000 Heliumkernen nur e i n e r wirksam ist, entwickeln sich bei einer einjährigen Bestrahlung von Stickstoff mit 1 g Radium nur 80 :100000 = 0.0008 mm 3 (d. h. rund Viooo Kubikmillimeter!) Wasserstoff und Sauerstoff. Demgegenüber ist bei Verwendung c y c l o t r o n - b e s c h l e u n i g t e r α-Teilchen infolge der höheren α-Strahlen-Intensität und der vermehrten Trefferausbeute die Gewinnung wägbarer Mengen von Kernreaktionsprodukten in erträglichen Reaktionszeiten durchaus möglich (vgl. Anmerkung 2, S. 581).
In derselben Weise, in der man Stickstoff durch Bombardieren mit α-Strahlen in Sauerstoff überführen kann, kann man gemäß der allgemeinen Reaktionsgleichung (1) ζ. B. auch Lithium in Beryllium, Bor in Kohlenstoff, Fluor in Neon, Natrium in Magnesium, Magnesium in Aluminium, Aluminium in Silicium, Silicium in Phosphor, Phosphor in Schwefel oder Calcium in Scandium umwandeln. Die Gesamtzahl bisher festgestellter derartiger Fälle beträgt über 30. Émission von Neutronen. Bei der Bombardierung von Atomkernen mit Heliumkernen können statt Protonen auch N e u t r o n e n herausgeschossen werden. In diesem Falle entsteht aus dem Element E von der Kernladung k und der Masse m ein Element von der Kernladung k + 2 und der Masse m + 3 : 1 E + «He — ^ W n + ^ + l E .
(3)
Eine besonders wichtige Reaktion dieser Art ist die Umsetzung zwischen H e l i u m und Berylliumkernen, die zur Bildung von N e u t r o n e n und K o h l e n s t o f f führt: •Be + |He — H - ¿Nn +
(4)
Sie dient als besonders einfache und ergiebige Neutronenquelle zur L a b o r a t o r i u m s d a r s t e l l u n g v o n N e u t r o n e n für weitere Atomumwandlungen (S. 567). Und zwar benutzt man zu diesem Zwecke ein in ein Glasröhrchen eingeschmolzenes Gemisch von α-strahlendem R a d i u m oder R a d o n und metallischem B e r y l l i u m p u l v e r („Neutronenkanone"). Die gebildeten Neutronen, die eine maximale kinetische Energie von 7.8 Millionen e-Volt (entsprechend einer Anfangsgeschwindigkeit von 39000 km/sec) besitzen, d u r c h d r i n g e n als ungeladene Teilchen l e i c h t d a s G l a s (vgl. unten und S. 562) und können so zur Einwirkung auf außerhalb des Glasröhrchens befindliche Materie gebracht werden. Bei der Durchführung der Reaktion (4) wurden die Neutronen im Jahre 1930 von den deutschen Physikern W. B O T H E und H. B E C K E R erstmals e n t d e c k t . ] Allerdings hielten die beiden Forscher die Neutronenstrahlung wegen ihres großen Durchdringungsvermögens zunächst für eine e n e r g i e r e i c h e γ - S t r a h l u n g . Der englische Physiker J . C H A D W I C K zeigte dann im Jahre 1932, daß es sich in Wirklichkeit um u n g e l a d e n e T e i l c h e n v o n d e r Masse 1 (genaues physikalisches Atomgewicht: 1.00895) handelt, denen er den Namen „Neutronen" gab. Die Neutronen sind r a d i o a k t i v und zerfallen mit einer Halbwertszeit von'12,8 Minuten unter ß-Strahlung in Protonen. Entsprechend der Kernladung 0 ist das Neutron im Periodensystem v o r d e m W a s s e r s t o f f einzureihen. Da es k e i n e A u ß e n e l e k t r o n e n besitzt und daher auch keine c h e m i s c h e n V e r b i n d u n g e n einzugehen in der Lage ist, ist es c h e m i s c h i n a k t i v (vgl. S. 143ff.) und dementsprechend in die G r u p p e d e r E d e l g a s e einzuordnen (vgl. S. 67). Als E l e m e n t („Neutronium") wird es durch das Symbol Nn, als K e r n b e s t a n d t e i l („Neutron") gewöhnlich durch das Symbol η gekennzeichnet. In analoger Weise werden Wasserstoff und Helium als E l e m e n t e durch die Symbole Η und He, als K e r n b a u s t e i n e meist durch die Symbole ρ (Proton) und α (αTeilchen) zum Ausdruck gebracht.
Gemäß der durch Gleichung (3) wiedergegebenen Atomumwandlungsmethode kann man ζ. B. Lithium in Bor, Bor in Stickstoff, Kohlenstoff in Sauerstoff, Stickstoff in Fluor, Fluor in Natrium, Natrium in Aluminium, Magnesium in Silicium, Aluminium in Phosphor, Silicium in Schwefel, Phosphor in Chlor oder Kalium in Scandium überführen. Insgesamt kennt man bereits über 100 solcher Kernreaktionen.
565
Die Kern-Einzelreaktion
Kernumwandlung mit Wasserstoffkernen Wegen der geringeren erforderlichen kinetischen Energie (vgl. S. 561 f.) können die Wasserstoffkerne zum Unterschied von den Heliumkernen durch fremde Kerne häufig nur e i n g e f a n g e n werden, ohne daß es zur Emission irgendwelcher Kernbestandteile kommt. Andererseits können aber auch wie bei der Beschießung mit Heliumkernen Kernbausteine des bombardierten Atomkerns — Heliumkerne, Wasserstoffkerne, Neutronen — herausgeschossen werden. Einfangen von Wasserstoffkernen. Bei der e i n f a c h e n A u f n a h m e von Wasserstoffkernen entsteht entsprechend der Vermehrung der positiven Kernladung um 1 Einheit das im Periodensystem auf das Ausgangselement folgende Element : t
B +
l
H—+
B.
i + 1
(5)
Die Masse dieses Elements k + \E ist je nachdem, ob Protonen oder Deuteronen zur Anwendung gelangen, um 1 oder 2 Einheiten größer als die des ursprünglichen Grunds t o f f s (mkE + Ì H —>•
m
i+\E;
iE
+ i H —>•
m
kX\É).
So kann man auf diese Weise ζ. B. Lithium in Beryllium, Beryllium in Bor, Kohlenstoff in Stickstoff, Fluor in Neon oder Silicium in Phosphor umwandeln. Rund 20 derartige Reaktionen sind bis heute bekannt. Emission von α-Teilchen. Werden bei der Beschießung von Atomkernen mit Wasserstoffkernen H e l i u m k e r n e aus den Atomkernen herausgeschossen, so haben wir eine Umkehrung der Kernreaktion (1) vor uns: +
(6)
Die Masse des entstehenden, im Periodensystem links vom Ausgangselement stehenden Grundstoffs ist um 3 oder 2 Einheiten kleiner als die des ursprünglichen Elements ("E + ÎH —>- jjHe +"!?£;
m
kE
+
—>- ¿He +
m
kZ\É).
Ein Beispiel für diesen
Reaktionstypus ist die Umwandlung von L i t h i u m in H e l i u m : JLi + Ì H — >
«He + £He.
(7)
Daß diese Reaktion nicht dazu dienen kann, um Helium in meßbaren Mengen aus Lithium und Wasserstoff zu erzeugen, sei wieder an Hand eines Z a h l e n b e i s p i e l s erläutert: Wendet man bei der Reaktion (7) Protonen mit einer Energie von 200000 e-Volt an, so dringt unter rund 100 Millionen Wasserstoffkernen nur ein einziger in einen Lithiumkern ein. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß es sich — u m einen früher (S. 133) gebrauchten Vergleich heranzuziehen — darum handelt, in einem R a u m von 1000 Kubikmetern ein bestimmtes Kubikmillimeter zu treffen, ohne zu zielen I Würde man einen Protonenstrom von 1 Milliampere Stärke (das ist die obere zur Zeit in Atomumwandlungs-Apparaturen erreichbare Grenze) ein ganzes J a h r lang auf Lithium richten, so entstünde in diesem Zeitraum nicht viel mehr als Vxo Kubikmillimeter Heliuml An eine Umwälzung unserer S t o f f W i r t s c h a f t durch das Verfahren der Beschießung von Atomkernen mit P r o t o n e n oder D e u t e r o n e n ist also wie im Falle der Beschießung von Atomkernen mit H e l i u m k e r n e n (S. 563f.) vorerst nicht zu denken. Gleiches gilt f ü r die Frage einer etwaigen Umgestaltung unserer E n e r g i e w i r t s c h a f t durch die obigen Arten der Kernumwandlung. Zwar liefert der einzelne Kernvorgang (7) für je 200000 e-Volt aufgewandter Energie insgesamt 17 Millionen e-Volt in Form kinetischer Energie der beiden entstehenden Heliumatome. Da aber 100 Millionen Wasserstoffkerne von 200000 e-Volt Energie notwendig sind, u m diese 17 Millionen e-Volt zu erzeugen, muß i n s u m m a zur Gewinnung einer bestimmten Energiemenge doch ein millionenmal größerer Energiebetrag aufgewendet werden. I m Gegensatz dazu lassen die durch N e u t r o n e n ausgelösten K e r n - K e t t e n r e a k t i o n e n (S. 572 ff.) in naher Zukunft eine weitgehende Umwälzung der Stoff- und Energieerzeugung erwarten.
Eine der Reaktion (7) ganz entsprechende Reaktion gibt das l e i c h t e r e Lithiumisotop mit Deuteronen : gLi + f H
>- i He + | H e .
(8)
Die dabei gebildeten «-Teilchen besitzen eine h ö h e r e k i n e t i s c h e E n e r g i e (11 Mil-
566
Die künstliche Elementumwandlung
lionen e-Volt je Teilchen) als a l l e a n d e r e n a u s n a t ü r l i c h e n r a d i o a k t i v e n P r o zessen s t a m m e n d e n « - S t r a h l e n . Sonstige Beispiele f ü r den Reaktionstypus (6) sind die Umwandlungen von Beryllium in Lithium, Bor in Beryllium, Kohlenstoff in Bor, Stickstoff in Kohlenstoff, Fluor in Sauerstoff, Natrium in Neon, Magnesium in Natrium, Aluminium in Magnesium oder Silicium in Aluminium. Die Gesamtzahl der bisher festgestellten Fälle dieser Art beträgt über 50. Emission von Protonen. Werden bei der Beschießung mit Wasserstoffkernen W a s s e r s t o f f k e r n e aus anderen Atomkernen herausgeschossen, so kommt es naturgemäß nicht zu einer Elementumwandlung, da bei der Kernreaktion die Zahl der Kernprotonen in den Atomen des bombardierten Elements unverändert bleibt: kE
+ jH
XH
+ kE.
(9)
Wohl aber geben solche Kernprozesse zur Bildung i s o t o p e r Kerne Veranlassung, wenn die aufgenommenen und abgegebenen Wasserstoffkerne v e r s c h i e d e n e M a s s e haben. Bombardiert man beispielsweise Elemente mit Deuteronen und werden dabei Protonen emittiert, so gelangt man zu Isotopen mit einer um 1 Einheit größeren Masse C 3 E + ; H — ^ ÌH + m + | £ ) . Ein besonders interessanter Fall dieser Art liegt bei der Kernreaktion |H + |H —>• ÌH + ?H
(10)
vor, bei der ein W a s s e r s t o f f i s o t o p mit der M a s s e 3 {„Tritium" T) entsteht, das mit einer Halbwertszeit von 12.5 Jahren unter /?-Strahlung in | H e (s. auch unten) übergeht 1 . I n analoger Weise lassen sich Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff, Stickstoff, Natrium oder Aluminium in schwerere Isotope verwandeln. Insgesamt kennt man bereits über 160 Fälle dieser Art. Emission von Neutronen. Die Bombardierung von Atomkernen mit Wasserstoffkernen unter Emission von N e u t r o n e n f ü h r t zur Bildung von Elementen, die im Periodensystem rechts vom Ausgangselement stehen: (11) t B + 1 H — 0 N n + i + 1 Ä. J e nach der Anwendung von Protonen oder Deuteronen ist die Masse dieses Element t + XE gleich der Masse des Ausgangselements + JH —>- ¿Nn + ¿ +"[É) oder um 1 Einheit größer ( " E + i H —>- jNn + " t \ E ) . Gelegentlich werden auch 2 Neutronen ausgeschleudert (über 90 bisher bekannte Fälle). Eine besonders interessante Reaktion der Art (11) ist die Umsetzung von Deuteronen mit Wasserstoffatomen der Masse 2 : |H + fH
5Nn + |He,
(12)
welche zur Bildung von H e l i u m mit dem A t o m g e w i c h t 3 f ü h r t . Ein solches Helium wäre ein idealer Füllstoff für Gasballons und Luftschiffe, da es als Heliumisotop ebenso unentflammbar und reaktionsträge wie das gewöhnliche Helium und dabei um 25°/ 0 leichter als dieses ist. Wegen der kleinen Ausbeuten bei künstlichen Elementumwandlungen (vgl. S. 563f., 565) ist aber an eine präparative Auswertung von Gleichung (12) vorerst noch nicht zu denken. Dagegen läßt sich die Reaktion (12) als ergiebige k ü n s t l i c h e — d. h. von radioaktiven Stoffen unabhängige — N e u t r o n e n q u e l l e 1 Die physikalischen Eigenschaften des leichteren Heliumisotops weichen merklioh von denen des schwereren ab: krit. Temp. Sdp. Dichte (1—3°K) 3 He 3.34° Κ 3.20» Κ 0.08 g/cm3 4 He 5.20°Κ 4.21°K 0.14 g/cm3.
Die Kern-Einzelreaktion
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vgl. S. 562) benutzen. So kann man auf diesem Wege mit dem Cyclotron unter (günstigen Bedingungen Neutronenintensitäten schaffen, die sonst nur ein Gemisch von 100 kg Emanation und Beryllium ergeben würde. Die Energie der Neutronen kann dabei bis auf 20 Millionen e-Volt gesteigert werden. Als weitere Beispiele für den Reaktionstypus (11) seien erwähnt: die Umwandlung von Lithium in Beryllium, Beryllium in Bor, Bor in Kohlenstoff, Kohlenstoff in Stickstoff, Stickstoff in Sauerstoff, Sauerstoff in Fluor, Fluor in Neon, Natrium in Magnesium oder Aluminium in Silicium. Die Gesamtzahl der bisher bekannten Fälle der Art (11) beträgt über 230. Kernumwandlung mit Neutronen Einfangen von Neutronen. Erfolgt bei der Beschießung eine e i n f a c h e A u f n a h m e des Neutrons durch den bombardierten Kern, so entsteht ein I s o t o p des ursprüng. liehen Elements E : ^ + ^ m+ ^ (13) Diese Art der Atomumwandlung ist heute b e i f a s t j e d e m E l e m e n t bekannt (festgestellt wurden bisher über 220 derartige Reaktionen) und gelingt naturgemäß besonders leicht mit l a n g s a m e n Neutronen. Solche Neutronen geringer Energie entstehen, wenn man schnelle Neutronen durch W a s s e r H 2 0 oder festes P a r a f f i n CmHn hindurchtreten läßt, wobei sie infolge elastischer Zusammenstöße mit Wasserstoffkernen ihre Energie vermindern. I n gleicher Weise entsteht ein Isotop (Masse m — 1) des beschossenen Elements, wenn 2 Neutronen herausgeschleudert werden (über 80 bisher bekannte Fälle). Das aufprallende Neutron muß dabei mindestens eine Energie von 8 Millionen e-Volt besitzen, da die Bindungsenergie des Neutrons in den meisten Kernen rund 8 Millionen e-Volt beträgt. Für das Herausschießen von Wilson16q 3 Neutronen ist dementsprechend eine Mindestenergie des NeuAufnahme einer trons von 16 Millionen e-Volt erforderlich. Kernumwandlung durch Emission von Protonen. Werden bei der Bombardierung mit Neutronen Neutronen P r o t o n e n aus dem Atomkern herausgeschossen, so entsteht in Umkehrung des Reaktionstypus (11) der im Periodensystem vor dem Ausgangselement stehende Grundstoff: m
kE
+ JNn — > - }H +
i
J[E.
(14)
Auf diese Weise kann man z. B. Stickstoff in Kohlenstoff, Fluor in Sauerstoff, Natrium in Neon, Magnesium in Natrium, Chrom in Vanadin, Eisen in Mangan, Nickel in Kobalt, Zink in Kupfer, Palladium in Rhodium umwandeln usw. Über 90 derartige Umwandlungen sind bis heute bekannt. Emission von α-Teilchen. Das Herausschießen von H e l i u m k e r n e n führt in Umkehrung des Reaktionstypus (3) zur Bildung eines im Periodensystem zwei Stellen vor dem Ausgangsstoff stehenden Elements: m
kE
+ JNn
^ *He +
m
k~
\E.
(15)
So entsteht aus Phosphor Aluminium, aus Chlor Phosphor, aus Scandium Kalium, aus Mangan Vanadin, aus Kobalt Mangan, aus Thorium Radium usw. (Gesamtzahl der bisher festgestellten Fälle über 50). Da die Neutronen als u n g e l a d e n e T e i l c h e n die Atome eines Gases frei durchfliegen, ohne sie zu ionisieren, offenbaren sie in einer WiLSON-Kammer ihre Anwesenheit nur bei d e r K o l l i s i o n mit e i n e m a n d e r e n A t o m k e r n . Die bei diesem Zusammenstoß gebildeten zwei Atomtrümmer machen sich durch das plötzliche Erscheinen zweier von einem Punkte ausgehender N e b e l s p u r e n bemerkbar (Fig. 160), während die Bahn des auftreffenden Neutrons u n s i c h t b a r bleibt.
Die künstliche Elementumwandlung
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Kernumwandlung mit y-Strahlen Auch s e h r k u r z w e l l i g e y - S t r a h l e n — wie die des Thorium C" ( 2 g f T l ) mit einer Energie von 2.6 Millionen e-Volt — können Atomumwandlungen bewirken („Kernphotoeffekt"). Es handelt sich hier um die Umkehrung der Reaktionstypen (5) und (13), die ja wie alle exothermen Kernreaktionen stets mit der gleichzeitigen Emission von γ-Strahlung verknüpft sind. Erwähnt sei hier etwa die Aufspaltung von D e u t e r o n e n in N e u t r o n e n und P r o t o n e n : ÎH+Shv—>-
JNn + Ì H .
Noch wirksamer ist die bei k ü n s t l i c h e n A t o m u m w a n d l u n g e n freiwerdende γ-Strahlung, deren Energie bis zu rund 20 Millionen e-Volt ansteigen kann. Mit ihr gelingt auch die Zertrümmerung b e s o n d e r s s t a b i l e r Atomkerne wie etwa des Silbers: ' ^ A g + gÄv—*-JNn + »S?Ag. Über 80 derartige Umwandlungen sind bis heute bekannt. ß. Die künstliche Radioaktivität Die bei der Beschießung von Elementen mit Heliumkernen, Wasserstoff kernen, Neutronen oder γ- Strahlen entstehenden neuen Elemente sind in der Mehrzahl der Fälle n i c h t b e s t ä n d i g , sondern r a d i o a k t i v („künstliche Radioaktivität"). Der e r s t e Fall einer derartigen künstlichen Radioaktivität wurde im Jahre 1934 von dem Forscherehepaar I R È N E C U R I E und F R É D É R I C J O L I O T beobachtet. Sie fanden, daß die bei der Beschießung von A l u m i n i u m mit - ? £ Si -f J e + .
Daß die Positronenstrahlung in der Tat von radioaktiven Phosphoratomen ausging, konnte chemisch dadurch bewiesen werden, daß die Strahlung beim Auflösen des verwendeten Aluminiumblechs in Salzsäure (Al + 3 H° >- ΑΓ" + 3 H) nicht in die Lösung, sondern in das entstehende Gas (P + 3 H >- PH 3 ) überging und daß beim Lösen des aktivierten Aluminiums 1 in Salpetersäure (2 Ρ + 2 / 2 0 2 + 3HgO > 2H 3 P0 4 ) und Zusatz von etwas Phosphat und Zirkonsalz die Radioaktivität quantitativ mit dem ausfallenden Zirkonphosphat aus der Lösung entfernt wurde.
Seitdem sind zahllose weitere Fälle von künstlicher Radioaktivität aufgefunden worden (S. 560), so daß man heute von j e d e m der 98 bekannten Elemente mindestens ein, gewöhnlich sogar m e h r e r e radioaktive Isotope kennt. Die meisten künstlich gewonnenen radioaktiven Elemente zerfallen dabei entweder unter Ausstrahlung von p o s i t i v e n oder unter Ausstrahlung von n e g a t i v e n E l e k t r o n e n 1 . Eine Emission von H e l i u m k e r n e n wie bei den natürlichen radioaktiven Elementen wurde bisher, abgesehen von den schweren Elementen, nur ganz vereinzelt beobachtet (ζ. B. | B e — > - | H e + | H e ) ; umgekehrt ist der Zerfall unter Bildung von P o s i t r o n e n nur bei den k ü n s t l i c h e n radioaktiven Substanzen bekannt. Ob ein p o s i t i v e s oder ein n e g a t i v e s Elektron ausgestrahlt wird, hängt davon ab, ob in dem durch Beschießen gewonnenen neuen Atomkern das Verhältnis von P r o t o n e n zu N e u t r o n e n oder das Verhältnis von N e u t r o n e n zu P r o t o n e n gegenüber dem stabilen Zahlenverhältnis zu g r o ß ist (vgl. S.538f.). So sind ζ. B. diedurchEin1 Der Ausstrahlung von Positronen ist die Aufnahme von Negatronen aus der K-Schale der Elektronenhülle („K-Einfang") energetisch äquivalent. In beiden Fällen wandelt sich das radioaktive Element in das im Periodensystem davorstehende Element um.
Die Kern-Einzelreaktion
569
f a n g e n von Neutronen gebildeten radioaktiven Elemente stets „negatronenaktiv", indem die vermehrte Neutronenzahl durch Übergang von Neutronen in Protonen (n—>-p + e~) wieder verringert wird. Umgekehrt sind die durch P r o t o n e n a u f n a h m e entstehenden radioaktiven Kerne „positronenaktiv", indem sie sich durch Übergang von Protonen in Neutronen ( p — η + e+) stabilisieren. Die G e s c h w i n d i g k e i t dee radioaktiven Zerfalls folgt in beiden Fällen den beim n a t ü r l i c h e n r a d i o a k t i v e n Zerfall besprochenen Zerfallsgesetzen (S. 554f.). Die künstlichen radioaktiven Elemente erweitern in willkommener Weise die Zahl der für radioaktive Indikatorzwecke (S. 553f.) brauchbaren Grundstoffe. So kann man mit ihrer Hilfe den Weg und das Schicksal zahlreicher in den Organismus eingeführter Elemente an Hand der ausgesendeten Strahlung leicht verfolgen (vgl. S. 541, 553f.). Als besonders wertvoll haben sich dabei die radioaktiven Isotopen fH (Halbwertszeit 12.5 Jahre), 1 ¿C1 (5 χ 10» Jahre), f |P (14.3 Tage), ? |S (87.1 Tage), f gCa (180 Tage), % »Fe (46 Tage), « ¿¡Zn (250 Tage), § ¡ Sr (53 Tage) und 1 > j £ J (8.0 Tage) erwiesen. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, chemische, analytische, biochemische, physiologische, medizinische, agrikulturchemische Probleme wie z. B. innermolekulare Umlagerungen, Stoffwechselreaktionen, Wirkungsweisen von chemischen Heilmitteln, von Bakterien, von Spurenelementen usw. zu studieren und aufzuklären (vgl. II, S. 54, 90, 211 f., 278, 465). Darüber hinaus gewinnen die künstlichen radioaktiven Isotopen als S t r a h l u n g s q u e l l e n zunehmende m e d i z i n i s c h e Bedeutung, da sie gegenüber den nat ü r l i c h e n radioaktiven Stoffen den Vorteil leichterer Dosierbarkeit und größerer Billigkeit besitzen und zudem im Organismus verbleiben können, weil sie bei ihrem Abklingen in harmlose Stoffe übergehen. Erwähnt seien hier das aus gewöhnlichem Natrium (ff Na) durch Neutronenbeschuß gewinnbare „Radio-Natrium" ff Na, das mit einer Halbwertszeit von 14.8 Stunden in Magnesium übergeht (f*Na·— f | M g + _fe~ + γ) und der aus normalem Phosphor ( f J P ) durch Neutronenbeschuß erhältliche „Radio-Phosphor" f |P, welcher mit 14.3 Tagen Halbwertszeit in normalen Schwefel zerfällt ( f | P — ^ + _o e - + Erleichtert wird diese Verwendung radioaktiver Isotopen in der wissenschaftlichen Forschung durch die Tatsache, daß diese Stoffe heutzutage nicht nur in der Größenordnung von M i k r o g r a m m e n und M i l l i g r a m m e n , sondern auch von Grammen oder in manchen Fällen sogar von K i l o g r a m m e n gewinnbar sind (S. 572ff.).
b. Die Kernzersplitterung Wesentlich eingreifender als die bisher besprochenen e i n f a c h e n K e r n r e a k t i o n e n sind die Umwandlungen, die sich bei der Einwirkung von Geschossen sehr hoher E n e r g i e (einige 100 Millionen e-Volt) abspielen. Die Beschießung irgendwelcher Elemente des Periodensystems führt in diesem Falle durchweg zu einer überaus großen Anzahl radioaktiver Reaktionsprodukte, deren Ordnungszahl sich häufig über einen Bereich von 10—20 Einheiten erstreckt und deren Massenzahl oft um 20—50 Einheiten von der des Ausgangselements abweicht. So befindet sich unter den zahlreichen Reaktionsprodukten der Beschießung von Arsen ¡ ¡ A s mit α-Teilchen von 400 Millionen e-Volt beispielsweise das 37-Minuten-Chlorisotop 17CI, dessen Kernladungszahl um 16 und dessen Massenzahl um 37 Einheiten kleiner als die des Ausgangskerns ist. Die Bestrahlung von K u p f e r 6 3,||Cu mit Deuteronen von 200 und Heliumkernen von 400 Millionen e-Volt ergab bisher allein in der M a n g a n f r a k t i o n Manganisotope der Massenzahl 51 bis 56. Bei der Bestrahlung von Antimon 7 0 i ? f S b m i t Deuteronen von 200 Millionen e-Volt wurden bisher schon radioaktive Isotope der Elemente Molybdän 1
Die Reindarstellung von
!kstoff :
1
¿C erfolgt zweckmäßig durch Einwirkung von Neutronen auf JNn SR + i 1, so geht die gesteuerte Kettenreaktion infolge der lawinenartig anwachsenden Neutronenzahl (vgl. Fig. 165, S. 674) in eine unkontrollierbare Ketten-Explosion über (S. 575f.). Durch die oben erwähnten — automatisch mittels einer Ionisationskammer nach Maßgabe der Neutronendichte regulierten — Cadnvumstäbe muß dementsprechend der Multiplikationsfaktor k dauernd auf dem Wert 1 gehalten werden2. Ein in Betrieb befindlicher Üran-Pile pendelt somit ständig zwischen dem Erlöschen und der beginnenden Katastrophe. 1
Bremssubstanz
Λ,
Bremssubstanz
¿35,, sz u
o
o Neutron
Fig. 164. Schema der gesteuerten Kern-Kettenreaktion
Pile (engl.) = aufgehäufte Masse (im übertragenen Sinne: Batterie). Daß dies möglich ist, wird mit dadurch bedingt, daß ein kleiner Teil der bei den Spaltungsvorgängen freiwerdenden Neutronen mit einer gewissen Verzögerung emittiert wird, so daß die Regelung durch die Cadmiumstäbe nicht in Bruchteilen von Sekunden zu erfolgen braucht, sondern im Laufe von Minuten vorgenommen werden kann. 2
Die künstliche Elementumwandlung
574
Der Uran-Pile ist sowohl als Energie- wie als Stoffgenerator von ungeheurer wissenschaftlicher und praktischer Bedeutung. Die Energieentwicklung (160 Millionen e-Yolt = 3.7 Milliarden kcal je Grammatom gespaltenen Urans1) eröffnet die Möglichkeit einer laufenden Entnahme von W ä r m e e n e r g i e („Atomkraftanlage") oder von kinet i s c h e r N e u t r o n e n e n e r g i e und macht den Uran-Pile zu einer E n e r g i e - u n d N e u t r o n e n q u e l l e u n v o r s t e l l b a r e n A u s m a ß e s , die zur E r r i c h t u n g v o n K r a f t -
Fig. 165. Schema der ungesteuerten Kern-Kettenreaktion
z e n t r a l e n und zur p r ä p a r a t i v e n G e w i n n u n g v o n r a d i o a k t i v e n I s o t o p e n aller Elemente verwendet werden kann 8 (S. 562, 567, 569). Die Stofferzeugung3 in Form der Zerfalls- und Umwandlungsprodukte des Urans (vgl. S. 570f.) dient schon heute zur t e c h n i s c h e n G e w i n n u n g v i e l e r w i s s e n s c h a f t l i c h w i c h t i g e r I s o t o p e (vgl. S. 569, 576f., 579ÊE.) und wird vor allem bei der Erzeugung von P l u t o n i u m (vgl. S. 581 f.) ausgenutzt. 1
Eine gleiche Gewichtsmenge guter S t e i n k o h l e liefert bei der Verbrennung nur etwa 2000 kcal, also ungefähr den zweimillionsten Teil an Wärmeenergie. In Wirklichkeit ist der energetische Unterschied zwischen Kohleverbrennung und Uranspaltung noch wesentlich größer, da ja die 160 Millionen e-Volt Spaltungsenergie noch um die erheblichen Zerfallsenergien der zahlreichen Spaltungsprodukte des Urans zu erhöhen sind (vgl. S. 571). 2 Zur Ausnutzung der Neutronenenergie werden die umzuwandelnden Elemente entweder an die Oberfläche des Piles herangebracht oder mittels Sonden in das Innere des Brenners eingeführt. Im letzteren Falle müssen natürlich zur Kompensation des auftretenden Neutronenverlustes die absorbierenden Cadmiumstäbe etwas weiter aus dem Pile herausgezogen werden. 3 Das Massenäquivalent (to = E/c 2 ) der Uranspaltungs-Energie beträgt etwa 1 g/kg Uran, d. h. aus 1 kg Uran entstehen rund 999 g aktive Elemente.
Die Kern-Kettenreaktion
575
Für die Bildung von Plutonium ist das Uranisotop 2 ^|Uverantwortlich, indem das bei der Einwirkung von Neutronen gemäß(2) daraus gebildete Uranisotop 2 | | U (Halbwertszeit: 23.5 Minuten) unter ß-Ausstrahlung über ein N e p t u n i u m i s o t o p 2 ( H a l b w e r t s z e i t : 2.3Tage) in das P l u t o n i u m i s o t o p 2 ^ j P u (Halbwertszeit: 24000 Jahre) übergeht: 2
|?Np ^ — y
«jPu.
Eine f e s t e E i n l a g e r u n g von Uranstücken in den Graphitmoderator gemäß Fig. 163 wäre in diesem Falle nicht zweckmäßig, da hierdurch ein kontinuierlicher Betrieb verhindert würde. Man verfährt daher bei der Plutoniumgewinnung so, daß man das Uran in wassergekühlten 1 Aluminiumrohren durch den Moderator h i n d u r c h b e w e g t , so daß man am einen Ende der Rohre neues Material einfüllen, am anderen Ende das plutoniumhaltige Material ( ~ 1 / l0 °/ 0 Pu) entnehmen kann („Plutonium-Pile"). Die Abtrennung des gebildeten Plutoniums vom Uran erfolgt auf chemischem Wege. Wegen der lebensgefährlichen r a d i o a k t i v e n A u s s t r a h l u n g des Piles und der Reaktionsprodukte 2 müssen natürlich außergewöhnliche Vorsichtsmaßregeln für die Umgebung getroffen werden. So ist der Pile zum Schutze gegen die Strahlung von einer starken luftdichten Betonmauer umgeben, und alle Arbeitsgänge wie Auflösen, Fällen, Oxydieren usw. werden mittels Fernschaltung gesteuert und überwacht. Auf diese Weise lassen sich in einem Plutonium-Pile von 10" kW Leistung Plutoniummengen von etwa 1 kg täglich (entsprechend mehreren Zentnern pro Jahr) produzieren.
b. Die ungesteuerte Kern-Kettenreaktion Will man die kontrollierte Kern-Kettenreaktion des Uran-Piles in eine ungesteuerte K e t t e n - E x p í o si ο η übergehen lassen, so muß man aus dem natürlichen Uran das im Überschuß (99.7°/0) vorhandene, neutronenabsorbierende und damit ketten-störende (S.572f.) Uranisotop 2 f f U entfernen, d.h. von dem reinen Uranisotop 2 \ | U ausgehen. Die Trennung von 2 3 | U und 2 f f U m a c h t naturgemäß größte Schwierigkeiten, da die beiden Atomarten als Isotope sich c h e m i s c h v ö l l i g g l e i c h a r t i g verhalten und daher nur auf Grund ihres sehr geringen Massenunterschieds p h y s i k a l i s c h trennbar sind (S. 540). Zum Ziele führten (seit 1942) die f r a k t i o n i e r t e D i f f u s i o n von gasförmigem Uranhexafluorid UF 6 (vgl. S. 540f.) und die — noch wirksamere — e l e k t r o m a g n e t i s c h e T r e n n u n g in Separatoren nach dem Prinzip des AsTONschen Massenspektrographen (S. 537). Das letztere Verfahren ermöglicht heute schon eine tägliche Produktion von mehreren Kilogramm 2 3 jjU. Wie es nun eine „kritische Größe" gibt, oberhalb deren die einfache Kern-Reaktion eines mit n a t ü r l i c h e m Uran ( 2 3 5 • 2 3 8TJ) arbeitenden Uran-Piles in eine gesteuerte Kern-Kettenreaktion übergeht (S. 573), gibt es auch eine kritische Größe, oberhalb derer aus der Kern-Reaktion eines A c t i n o u r a n - P i l e s ( 2 3 5 U ) eine gesteuerte bzw. ungesteuerte Ketten-Reaktion wird. Sie ist dann erreicht, wenn die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen des Piles und damit der Neutronenverlust nach außen hin so klein geworden ist, daß der Multiplikationsfaktor k (S. 573) gleich bzw. größer als 1 wird. U n t e r h a l b der kritischen Größe (k < 1) ist ein 2 3 ¡U-Block h a r m l o s , o b e r h a l b dieser Größe (k > 1) e x p l o d i e r t er wegen der im Bruchteil von Sekundenlawinenartig anwachsenden Zahl kettenfortführender Neutronen (Fig. 165) mit v e r h e e r e n d e r W i r k u n g 3 („Atombombe"). Die erste während des letzten Welt krieges abgeworfene Atombombe bestand aus solchem 2 jj | U . 1 Die Kühlung eines Piles ist ein wichtiges und nicht leicht lösbares Problem, da die Leistung einer Uranspaltungs-Anlage bis zu 10e kW beträgt, entsprechend einer Wärmeentwicklung von rund 1li Million kcal/sec. 2 Die ß- und γ-Strahlung der bei der Spaltung von 1 kg Uran oder Plutonium gebildeten radioaktiven Elemente ist der entsprechenden Ausstrahlung von rund 1000 Tonnen Radium äquivalent. 3 Durch Umhüllung der Üranbombe mit einem die Neutronen in das Innere reflektierenden, nicht absorbierenden Material („Tamper") wird der Multiplikationsfaktor erhöht und zugleich ein vorzeitiges Auseinanderplatzen der Bombe in Teilstücke unterkritischer Größe vermieden,.
Die künstliche Elementumwandlung
576
Analog dem Uranisotop 2 1 ¡ U explodiert auch das P l u t o n i u m i s o t o p 2 j j | P u bei Überschreitung der kritischen Menge (10—30 kg) mit ungeheurer Wucht und furchtbarer Wirkung. Da es leichter gewinnbar als 2 jj f U ist (S. 575, 581 f.), stellt es einen noch geeigneteren Atom-Sprengstoff als dieses dar. So bestand schon die zweite während des letzten Weltkrieges verwendete Atombombe aus 2 j ^ P u .
3. Die Elemente 43, 61, 85 und 87 Bis vor wenigen Jahren waren im Periodensystem der Elemente die Plätze 43, 61, 85 und 87 unbesetzt. Durch das Verfahren der künstlichen Elementumwandlung sind diese Grundstoffe jetzt aber synthetisch gewinnbar, so daß man ihre Eigenschaften bestens kennt.
a. Das Technetium Das Element 43 wurde im Jahre 1937 von den italienischen Forschern C. Perrier und E. Segre als Reaktionsprodukt der Bestrahlung von Molybdän mit Deuteronen entdeckt und erhielt 1947 auf Vorschlag der Entdecker den Namen „Technetium" (Tc), da es in der Natur nicht vorkommt, sondern nur künstlich darstellbar ist 1 . Im Jahre 1925 hatten WALTHER NODDACK und IDA TACKE auf der Suche nach den Elementen 43 und 75 in Anreicherungsfraktionen von aufgearbeitetem Columbit und Tantalit röntgenspektroskopisch nachweisbare Mengen der beiden Elemente erhalten und ihnen die Namen „Masuriumi" (Ma) und „Rhenium" (Re) gegeben. Während sich aber die Entdeckung des R h e n i u m s durch präparative Reindarstellung des Metalls und seiner Verbindungen bestätigen ließ (S. 505f.), gelang es — im Einklang mit der MATTAUCH sehen Isobarenregel (S. 538) — bisher nicht, das natürliche Vorkommen von Masurium präparativ zu stützen.
Heute kennt man bereits 20 künstliche Isotope des Technetiums, deren Massenzahlen von 92 bis 105 und deren Halbwertszeiten von wenigen ¡Sekunden bis zu 9.4 χ 105 Jahren variieren. Einige von ihnen seien im folgenden angeführt : γ « 0 > 4 43 1T/.X 53 m ÎÎTo
y > »To c β4 37 ±TpX 91 d
ß+ 4H3T ρ °IRu 4 37 HP« >100 a
lDlTn 4 3 10
16.6 m
β 8 TV
1 40 ¡3f „
~ > ζ-»-' 15m
Κ
4 3 TO 62 d S35TC
SjjMo
Κ > »¡Mo 20.0 h Κ S 5 Mo 4.2 d
β
ic •483TV
β
~
2.8 d 40 m γ
> 4 4Ru >
±C •43IT» ' > 9.4xl05a ß
SIRu
V»JiEu
ß
I l Ru
043βA1, TpX •> »To 6.6 h Sie lassen sich hauptsächlich durch Einwirkung von Protonen, Deuteronen oder aTeilchen auf das Nachbarelement M o l y b d ä n ( 42 Mo), sowie durch die U r a n k e r n s p a l t u n g gewinnen und gehen beim radioaktiven Zerfall entweder (niedere Massen zahlen) unter ß+ -Strahlung (K-Einfang) in M o l y b d ä n ( 42 Mo) oder (höhere Massenzahlen) unter /5~-Strahlung in R u t h e n i u m ( 4 4 Ru) über. Besonders wichtig ist unter den aufgeführten Atomarten das Technetiumisotop \ jjTc, das in Uran-Piles mit einer Leistung von 1 0 kW ( ~ 2 4 0 0 0 keal/see) als Spaltungsprodukt des Urans (Spaltungsausbeute 6 . 2 ° / o ) in Mengen von etwa 4 g täglich (entsprechend rund l 1 / 2 kg jährlich) produziert wird und sich wegen seiner langen Halbwertszeit von nahezu 1 Million Jahren wie ein gewöhnliches stabiles Element verhält, so daß seine Eigenschaften bestens bekannt sind. Das Technetium gehört zur 7. Nebengruppe („Eka-Mangan") und steht chemisch dem R h e n i u m näher als dem M a n g a n . So läßt es sich·analog dem Rhenium und zum ••To
5
1
Vgl. Anmerkung 1, S. 502.
Die Elemente 43, 61, 85 und 87
577
Unterschied vom Mangan aus s t a r k s a l z s a u r e r Lösung (bis zu 5 n-HCl) mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f quantitativ fällen. Das dem Rheniumsulfid Re2S7 entsprechende S u l f i d Tc 2 S, wird durch W a s s e r s t o f f p e r o x y d in alkalischer Lösung leicht und vollständig in die den P e r r h e n a t e n MeRe0 4 analogen Verbindungen MeTc0 4 („Pertechnetate") übergeführt. Das dem Oxyd Re 2 0 7 entsprechende O x y d Tc 2 0 7 läßt sich wie dieses im Sauerstoffstrom bei 500° v e r f l ü c h t i g e n . Im trockenen Chlorgasstrom ist das Technetium wie das Rhenium f l ü c h t i g . Durch k a t h o d i s c h e Reduktion oder durch Z i n k wird es aus seinen Salzlösungen leicht in m e t a l l i s c h e r F o r m (Dichte des Metalls: 11.49 g/cm3; Isomorphie mit Rhenium) abgeschieden. Bei der Ausfällung von MnOa aus saurer oder alkalischer Lösung fällt es nicht mit aus.
b. Das Promethium Die erste c h e m i s c h e I d e n t i f i z i e r u n g des Elements 61 wurde im Jahre 1945 von den amerikanischen Forschern J. A. M A R I N S K Y , L. E. G L E N D E N I N und C . D. C O R Y E L L vorgenommen, welche eindeutig nachwiesen, daß ein bei der Uranspaltung auftretendes Bruchstück der Halbwertszeit 3.7 Jahre ein Isotop des seltenen Erdmetalls 61 ist. Sie sind damit als die eigentlichen Entdecker dieses Elements anzusprechen und haben im Jahre 1947 den Namen „Promethium" (Pm) dafür vorgeschlagen, um „die Kühnheit und den möglichen Mißbrauch menschlichen Geistes" bei der Synthese neuer Elemente zu symbolisieren. Die vermeintliche Entdeckung des Elements 61 in natürlichen Mineralien durch die amerikanischen Forscher J. A. H A R R I S , L. F. YNTEMA und B. S. HOPK NS (1926; „Illinium," II) und die italienischen Forscher L . EOLLA und L. FERNANDES (1926; „Florentium" Fr) hat sich nicht bestätigen lassen. M . L . P O O L , J. D. KURBATOV und L . L . Q U L L , die 1941/43 die Bildung radioaktiver Isotope des Elements 61 bei der Bestrahlung der Nachbarelemente Praseodym und Neodym mit cyclotronbeschleunigten α-Teilchen, Deuteronen und Neutronen wahrscheinlich machten (,,Cyclonium" Cy), führten keine chemischen Abtrennungen durch.
Man kennt bis heute 10 künstliche Isotope des Promethiums, deren Massenzahlen von 144 bis 156 und deren Halbwertszeiten von wenigen Minuten bis zu 3.7 Jahren variieren. Einige von ihnen seien im folgenden angeführt: > 6417 Pm
3.7 a
> l 4 ? Sm 6 2°™
l i61 epm
ß ^ ν 11 8 Sm 62 5.3d
ι 4 9 Pm tlrw
2.0d
>• 1 4 » S m 6 2°™
ß 16 3 P m — 6 i r m .158o mQ™ «2
1 5 s Sm «>om
Sie entstehen bei der Beschießung des Nachbarelements N e o d y m ( 6 0 Nd) mit Protonen, Deuteronen oder α-Teilchen, sowie als (indirekte) Spaltungsprodukte des Urans und gehen beim radioaktiven Zerfall unter /3~-Strahlung in S a m a r i u m ( 6 2 Sm) über. Von den aufgeführten Isotopen beansprucht das längstlebige Isotop 1 j j P m das meiste Interesse, da es in Uran-Piles mittlerer Leistung (105 kW) mit einer Spaltungsausbeute von 2.6°/0 in einer Menge von etwa P/2 g täglich ( ~ α/2 kg jährlich) produziert werden kann und sich wegen seiner Halbwertszeit von nahezu 4 Jahren noch bequem in substantiellen Mengen untersuchen läßt, zumal die ausgestrahlte ß - Strahlung verhältnismäßig weich ist (0.2 Millionen e-Volt). Es kann auch durch Bestrahlung von Neodym 1 β ï Pm)· mit Pile-Neutronen gewonnen werden ( 1 1 ® N d 1 * ] Nd
c. Das Astatium Das erste radioaktive Isotop des Halogens der Ordnungszahl 85 wurde im Jahre 1940 von D. R . C O R S O N , K . R. M C K E N Z I E und E. S E G H E durch Bestrahlung von Wismut mit cyclotron-beschleunigten α-Teilchen (30 Millionen e-Volt) gewonnen. Da auch H o l l e m a n - W i b e r g , Anorganische Chemie.
30. u. 31. Aufl.
37
Die künstliche Elementumwandlung
578
alle übrigen Isotopen radioaktiv sind, gaben die Entdecker dem Element im J a h r e 1947 den Namen „Astatium" 1 (At). 1944/46 stellten Β. K a r l i k u n d T . B e r n e r t das n a t ü r l i c h e V o r k o m m e n von Astatium als Zwischenglied der drei radioaktiven Zerfallsreihen (vgl. S. 547) fest. Die im Jahre 1931 beschriebene Auffindung des Elements 85 in natürlichen Erzen durch F. Allison und Mitarbeiter („Alabamium" Ab) blieb bisher unbestätigt.
Die bis jetzt bekannten 16 Isotopen des Astatiums, deren Massenzahlen von 201 bis 218 und deren Halbwertszeiten von 1 0 - 4 Sekunden bis 8.3 Stunden variieren, gehen beim radioaktiven Zerfall unter Strahlung in W i s m u t ( 83 Bi) oder unter KEinfang (Anmerkung 1, S. 568) in P o l o n i u m ( 8 4 Po) über. Einige von ihnen seien im folgenden angeführt: κ 2 28125 At. y 2 0 8 -Ri 2 1 β At 3 AI 28ι 60 At, 8 5 ΙΟ" 1 211 Bi 8.3 h > ; ; p o 0.25s κ α 284 11 Pn 2 81 δ4 At, sehr kurzν 2 1 ° B i • Ï8 5Ï A t 0.021s > 2 , .8? B i jiWjr in 211 es· 3A· 1 t α 2 2 l 5 At >- 2 11 Bi 2 ib sI At ; 811 Λ Bi einige s 44% > 2 ° ' B i Die Glieder mit den Massenzahlen 215, 216 und 218 gehören zu den drei natürlichen (S. 547), das Glied der Massenzahl 217 zu der künstlichen radioaktiven Zerfallsreihe (S. 380). Die anderen Isotopen sind durch Beschießen von Wismut mit α-Teilchen (vgl. S. 577) gewinnbar (ζ. B. 2 ° | B i --t2 n ' 8 I5At). Als Uranspaltungsprodukt t r i t t Astatium nicht auf, so daß eine Gewinnung in größeren Mengen wenig aussichtsreich ist. Als s c h w e r s t e s H a l o g e n („Eka-Jod") ist das Astatium noch elektropositiver als J o d und verhält sich bereits wie ein M e t a l l . Analog den übrigen Halogenen läßt es sich in e l e m e n t a r e r F o r m (At 2 ) aus wässeriger Lösung mit Schwefelkohlenstoff a u s s c h ü t t e l n und durch s c h w e f l i g e S ä u r e zum negativen Ion (At') r e d u z i e r e n . Da seine W a s s e r s t o f f V e r b i n d u n g (HAt) l e i c h t e r o x y d i e r b a r als die übrigen Halogenwasserstoffe ist, kann es aus den durch Reduktion mit schwefliger Säure erhaltenen Lösungen nach dem Ansäuern mit Salpetersäure nur u n v o l l s t ä n d i g mit Silberionen als S i l b e r a s t a t i d (AgAt) gefällt werden. Seine F l ü c h t i g k e i t ist erwartungsgemäß g e r i n g e r als die des Jods, weshalb es bei der Sublimation von J o d aus sauren Lösungen nur zu einem Teil mitsublimiert. Bemerkenswert ist die F ä l l b a r k e i t des Astatiums mit S c h w e f e l w a s s e r s t o f f (selbst aus stark saurer Lösung) und seine e l e k t r o c h e m i s c h e A b s c h e i d u n g auf Zink aus schwefelsaurer Lösung. Hier dokumentiert sich der verstärkte m e t a l l i s c h e Charakter.
d. Das Francium Das Element der Ordnungszahl 87 wurde im J a h r e 1939 von der französischen Forscherin M. Perey als Abzweigungsprodukt der natürlichen radioaktiven Actiniumreihe (S. 547) entdeckt und von ihr im J a h r e 1947 zu Ehren ihres Heimatlandes „Francium" (Fr) genannt ( 2 F r ) . Ein zweites Isotop dieses Elements ( 2 2 }Fr) kommt als kurzlebiges Glied der künstlichen radioaktiven Neptunium-Zerfallsreihe (S. 580) vor: 2 8U7 p r.
4.8m 218
2 23
8817 Al· sAt 219
87 220
TrA
^
21m
V 2 3 3 Tin
88«a.
Weitere Franciumisotope ( F r , Fr, F r ) sind sehr kurzlebig und zerfallen unter «-Strahlung in A s t a t i u m ( 8 5 At). Da das n a t ü r l i c h vorkommende Actinium 2 1 \ Ac als Muttersubstanz des Francium isotops 2 2 , F r schwierig zu isolieren ist, dürfte dieses Ausgangsmaterial für die Francium1
Vgl. Anmerkung 1, S. 78.
Die Transurane
579
erzeugung in Zukunft zweckmäßig k ü n s t l i c h durch Bestrahlung von Radium mit 2 2 Pile-Neutronen gewonnen werden : 2 g «Ra § ¿Ra g1 Ac. Die baldige Herstellung w ä g b a r e r Mengen Francium ist allerdings auf diesem Wege nicht zu erwarten. Die von F. Allison im Jahre 1929 behauptete Entdeckung des Elementes 87 („ Virginium" Vi) in natürlichen Mineralien konnte bis jetzt nicht bestätigt werden. Gleiches gilt von dem als „Moldavium" (Ml) beschriebenen Element 87.
Als A l k a l i m e t a l l („Eka-Caesium") schließt sich das Prancium in seinen Eigenschaften an die übrigen Alkalimetalle an. So wird es beispielsweise analytisch weder in der Schwefelwasserstoff-, noch in der Schwefelammon- oder Erdalkaligruppe (S. 191 f.) gefällt und bildet analog dem Rubidium und Cäsium schwerlösliche Niederschläge der Zusammensetzung FrC10 4 und Fr 2 PtCl 6 .
4. Die Transurane Die Elemente 93, 94, 95,96,97 und 98 werden als „Transurane" zusammengefaßt, d a sie im Periodensystem jenseits (trans) des Urans stehen. Sie sind alle — direkt oder indirekt — aus Uran darstellbar und bilden zusammen mit den Elementen Thorium, Protactinium und Uran die den Lanthaniden entsprechende Gruppe der „Actiniden" (S. 431), deren bis jetzt bekannte Isotope mit den zugehörigen Strahlungen und Halbwertszeiten in der Tabelle auf S. 580/581 zusammengestellt sind. Die Elemente 93 und 94 erhielten anolog dem nach dem Planeten Uranus benannten U r a n ihre Namen („Neptunium" und „Plutonium") nach den jenseits des Uranus folgenden Planeten Neptun und Pluto1. Das Element 95, das die gleiche Elektronenkonfiguration in den drei äußeren Schalen wie das Europium aufweist (S. 430f.), wurde in Analogie zu diesem nach der A l t e n W e l t benannten Element nach der N e u e n W e l t als „Americium" bezeichnet. P ü r das Element 96 wurde in Analogie zu dem nach dem Lanthaniden-FoTschei Gadolin (S. 467) benannten Element gleicher Elektronenkonfiguration ( G a d o l i n i u m ) ein an die Erforscher der Actiniden-Reïhe und ihrer radioaktiven Zerfallsprodukte, M a r y a und P i e r r e Curie (S. 549), erinnernder Name („Curium") gewählt. Die in B e r k e l e y ( K a l i f o r n i e n ) erstmals synthetisierten Elemente 97 und 98 wurden nach ihrem Entdeckungsort „Berkelium" und „Californium" benannt.
a. Das Neptunium Das N e p t u n i u m wurde im J a h r e 1940 von den amerikanischen Forschern E . M. McMillan und P. H . Abelson in Form des ß-Strahlers 2 jj SjNp (Halbwertszeit: 2.3 Tage) als Folgeprodukt des durch Aufnahme l a n g s a m e r Neutronen aus U r a n 2 | ^ U entstehenden Uranisotops 2 j> ®U ( 2 | | U + η — > 2 j¡ | U ) entdeckt (vgl. S. 571,575,581) : 2 932 9
23.5 m
ν 239 ·\τ_ 83Np ·
Mi
(I)
Seitdem sind zahlreiche weitere Isotope des Neptuniums aufgefunden worden (vgl. Tabelle S. 580/581), unter denen das Isotop 2 jj ^Np (α-Strahler) wegen seiner langen Halbwertszeit von 2.25 X 106 Jahren am bedeutsamsten ist. Es ist ein Folgeprodukt des durch Beschießen von Uran 2 | ? U mit s c h n e l l e n Neutronen erhältlichen Uranisotops 2 j > ¡ U ( 2 3 | U + n ^237TJ + 2n):
1
Angeeichte der infernalen Wirkung des Plutoniums als Atombombensprengstoff (S. 576) erscheint allerdings die d i r e k t e Ableitung dieses Elementnamens von Pluto, dem Gott der Unterwelt, mindestens ebenso gerechtfertigt. 37«
Die künstliche Elementumwandlung
580
Bis jetzt bekannte Isotope
90 Th
α Kurzlebig
229
(Praktisch beständige 231 232
225
226
227
228
;Κ 7.8 Min.
α 30.9 Min.
α 18.9 Tage
1.90 Jahre
α 7 χ IO3 Jahre
α 8.3 χ ΙΟ4 Jahre
α 1.7 Min.
a;K 38 Min.
Κ ; 6 J N n + 2 *|Cf; | C ^ 4 J N n + 2||Cf.
5. D i e gegenseitige Umwandlung von Masse und Energie Im Verlaufe einer Atomkern-Umwandlung ändert sich zwar die V e r t e i l u n g , nicht aber die G e s a m t z a h l der Ladungs- und Masseneinheiten. Daher ist bei allen angegebenen Umwandlungsprozessen die Summe der u n t e r e n (Zahl der Ladungseinheiten) bzw. der o b e r e n (Zahl der Masseneinheiten) Atom-Indizes auf beiden Seiten der Reaktionsgleichung d i e s e l b e . Setzt man aber in die Reaktionsgleichung nicht die a b g e r u n d e t e n g a n z z a h l i g e n , sondern die g e n a u e n M a s s e n z a h l e n ein, so ergeben sich k l e i n e A b w e i c h u n g e n (vgl. S. 557f. und 558f.). So beträgt beispielsweise bei der auf S. 565 erwähnten Kernreaktion zwischen L i t h i u m und W a s s e r s t o f f : ¡Li + ÌH — • «He + «He
(1)
die Summe der genauen Atomgewichte (bezogen auf x | 0 = 16.0000) auf der linken Seite 7.0181 (¡Li) + 1.0081 (JH) = 8.0262, auf der rechten Seite dagegen 2 X4.0038 (|He) = 8.0076. Das ergibt einen M a s s e n v e r l u s t von 8.0262—8.0076 = 0.0186 Atom-
Die gegenseitige Umwandlung von Masse und Energie
585
gewichtseinheiten. J e Grammatom Lithium verschwinden also bei der Reaktion mit Wasserstoff 18.6 mg Substanz. Da nach der EiNSTEiNschen M a s s e - E n e r g i e - Ä q u i valenzbeziehung » = "J
(2)
eine Masse von 1.1 mg einer Energiemenge von 1 Million e-Volt/Grammatom äquivalent ist (S. 558), entspricht dieser Massenverlust einer Energiemenge von (ΙΟ6 X18.6) : 1.1 = 17 Millionen e-Yolt. Dies ist aber gerade die k i n e t i s c h e E n e r g i e der beiden nach (1) entstehenden H e l i u m a t o m e (S. 565). Wir ersehen daraus (vgl. a. S. 12), daß das Gesetz von der E r h a l t u n g der Masse nur begrenzte Gültigkeit besitzt und streng genommen ein Grenzfall des Gesetzes v o n der Erh a l t u n g der Energie (S. 45) ist. Nur in solchen Fällen, in denen die bei Materie-Umsetzungen entwickelten oder aufgenommenen Energiemengen E im Hinblick auf die Gleichung (2) klein sind, gilt es p r a k t i s c h genau. Dies trifft z. B. für alle normalen c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n zu, da deren Wärmetönung zu klein ist, um sich in Form eines meßbaren Massendefekts zu äußern. So beträgt beispielsweise die Wärmetönung der stark exothermen Verbrennung des Kohlenstoffs zu Kohlendioxyd 94 kcal je Mol Kohlendioxyd. Das entspricht einem Massenverlust von 0.0000000044 g je Mol (44 g) Kohlendioxyd, d. h. von 10~8 °/0. Da demgegenüber die bisher zur Prüfung des Gesetzes von der Erhaltung der Masse benutzten und herstellbaren Waagen eine maximale Genauigkeit von „nur" 10~e °/0 erreichten (S. 12), konnte bei c h e m i s c h e n R e a k t i o n e n die begrenzte Gültigkeit des Massengesetzes bisher nicht festgestellt werden. Erst bei K e r n r e a k t i o n e n wie der obigen (1) mit ihren u n g e h e u r e n E n e r g i e - u m s ä t z e n ergab sich die zwingende Notwendigkeit, den Gültigkeitsbereich des Gesetzes einzuschränken.
Im Falle der Kernreaktion zwischen Lithium und Wasserstoff (1) erfolgt eine k ü n s t l i c h e U m w a n d l u n g v o n M a t e r i e in E n e r g i e . Auch der umgekehrte Weg einer k ü n s t l i c h e n U m w a n d l u n g v o n E n e r g i e in M a t e r i e ist möglich. So kann man beispielsweise P h o t o n e n , also L i c h t e n e r g i e teilchen, in E l e k t r o n e n , also Materieteilchen, verwandeln, sofern die Energie der Lichtatome groß genug ist. Die Atome von r o t e m Licht der Frequenz 4 XlO l 4 /Sekunde (entsprechend einer Energiemenge von 1.6 e-Volt) oder von u l t r a v i o l e t t e m Licht der Frequenz 20 X 10 14 /Sekunde (entsprechend einer Energie von 8 e-Volt) sind beispielsweise für eine Umwandlung in Elektronen zu e n e r g i e a r m . Läßt man dagegen Photonen von m e h r e r e n M i l l i o n e n e - V o l t , wie sie in den y - S t r a h l e n r a d i o a k t i v e r pig. χββ. S u b s t a n z e n zur Verfügung stehen, auf eine Substanz auftreffen, W I L S O N - Aufnahme so beobachtet man häufig die plötzliche Bildung eines sogenannten einer Elektronen„Elektronenzwillings", d.h.die g l e i c h z e i t i g6 e E n t s t e h u n 6g e i n e s ζ Willingsbildung im Λ , j . Ρ. . . magnetischen Feld . N e g a t r o n e u n d e i n e s ΏP o s i t r o n s von einer gemeinsamen Ursprungsstelle aus (Fig. 166). Die Summe der k i n e t i s c h e n E n e r g i e beider Teilchen ist dabei um 1 M i l l i o n e - V o l t k l e i n e r als die der angewandten γ-Strahlung. Es verschwindet also eine E n e r g i e m e n g e von 1 Million e-Volt, während gleichzeitig in Form des positiven und negativen Elektrons (Summe der elektrischen Ladung gleich Null) eine M a t e r i e m e n g e von 2 χθ.00055 = 0.0011 g/„Mol" Licht entsteht, wie es der Masse-Energie-Gleichung (2) entspricht (S. 584) : 1 Million e-Volt/Mol Energie
0.0011 g Masse .
(3)
In Übereinstimmung mit dieser Energiebilanz vermögen sich aus γ-Strahlen von g e r i n g e r e r E n e r g i e als 1 Million e-Volt k e i n e E l e k t r o n e n z w i l l i n g e zu bilden. Zwangsläufig ergibt sich damit die Schlußfolgerung, daß auf dem geschilderten Wege eine „ M a t e r i a l i s i e r u n g " d e r E n e r g i e stattfindet. Fig. 166 gibt die N e b e l b a h n eines E l e k t r o n e n z w i l l i n g s in der WILSON-Kammer bei Vorhandensein eines M a g n e t f e l d e s wieder. Wie man sieht, werden N e g a t r o n und P o s i t r o n
586
Die künstliche Elementumwandlung
entsprechend ihrer entgegengesetzten Ladung nach v e r s c h i e d e n e n B i c h t u n g e n hin abgelenkt. Durch derartige Nebelaufnahmen und ihre Auswertung wurde das Positron bei der Untersuchung der H ö h e n s t r a h l u n g (S. 658f.) von C.D.ANDERSON im Jahre 1932 erstmals entdeckt.
Auch die U m k e h r u n g des Vorgangs (3), die V e r n i c h t u n g d e r M a s s e von Negatronen und Positronen unter Bildung von y-Strahlen von 1 Million e-Volt Gesamtenergie läßt sich verwirklichen. Läßt man Positronen auf die Elektronen einer Aluminium- oder Bleischicht auftreffen, so beobachtet man für jedes sich mit einem Elektron vereinigende Positron 2 Quanten y-Strahlung von je 500000 e-Volt. Die M e s o n e n (S. 558f.), die eine etwa 200-fache Elektronenmasse besitzen und als a n g e r e g t e E n e r g i e z u s t ä n d e d e s E l e k t r o n s betrachtet werden können, sind einer Energiemenge von rund 100 Millionen e-Volt äquivalent. Es muß daher analog der Bildung von Elektronenzwillingen unter geeigneten Bedingungen möglich sein, kinetische Energie von 200 Millionen e-Volt in „Mesonenzwillinge" (Summe der elektrischen Ladung gleich Null) umzuwandeln. I n der Tat konnte bei der Beschießung von Antikathoden aus Graphit, Beryllium, Kupfer oder Uran mit α - T e i l c h e n von 300 Millionen e-Volt Energie die Entstehung von positiven und negativen Mesonen photographisch nachgewiesen werden. Analoge Ergebnisse sind bei den geplanten Versuchen zur Beschleunigung von E l e k t r o n e n auf 300 Millionen e-Volt im Betatron (S. 562) zu erwarten, da sich nach theoretischen Überlegungen hochbeschleunigte Elektronen noch besser als schwerere Partikeln zur Umwandlung in Mesonen eignen. Als noch weittragender ist das Problem der künstlichen Verwandlung von Energie in P r o t o n e n und N e u t r o n e n anzusehen, da hierbei in Wiederholung des S c h ö p f u n g s a k t e s die Urbausteine der chemischen Grundstoffe erschaffen würden. Theoretisch sind hierzu Mindestenergien von einigen Milliarden e-Volt erforderlich. Die Entwicklungsarbeiten zur Erzeugung derartig hoher Energien sind bereits weit fortgeschritten. Möge sich der Mensch hierbei der Vermessenheit und möglichen Folgen solcher Eingriffe in den göttlichen Schöpfungsbereich bewußt bleiben! —
A α-Aluminiumoxyd 374 «-Berylliumhydroxyd 388
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