Landpacht, Marktgesellschaft und agrarische Entwicklung: Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser, 16. bis 19. Jahrhundert 3515124446, 9783515124447

Wie hat sich die Landpacht in Deutschland langfristig entwickelt? Dieser Frage gehen Johannes Bracht und Ulrich Pfister

128 22 5MB

German Pages 364 [366] Year 2020

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Kapitel 1 Einleitung
Kapitel 2 Die Verbreitung von Landpacht: Ein historischer Überblick
Kapitel 3 Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser
3.1 Renteien und adeliger Grundbesitz
3.2 Landpacht, Renteiverwaltung und Grundherrschaft
3.3 Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts
3.4 Regionale Exportgewerbe, Industrialisierung und erste Agrarmodernisierung
3.5 Die untersuchten Güter im Kontext
Kapitel 4 Pachtobjekte und Pachtverträge
4.1 Herkunft und Größe des Pachtlandes
4.2 Pachtbuchungen in der Rechnungsführung der Renteien
4.3 Pachtbedingungen
4.4 Die zeitliche Befristung von Pachtbeziehungen
4.5 Vertragsanbahnung im Übergang vom Paternalismus zur Marktgesellschaft
Kapitel 5 Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen
5.1 Von Pachtbuchungen zu Preisreihen von Pachtobjekten
5.2 Methoden der zusammenfassenden Beschreibung der Entwicklung von Pachtzinsen
5.3 Kalibrierung
5.4 Nominale Pachtzinsen auf den einzelnen Besitztümern
5.5 Konstruktion einer aggregierten Reihe von Pachtzinsen
5.6 Ergebnis: Nominale Pachtzinsen vom 16. zum 19. Jahrhundert
5.7 Unterschiede zwischen den fünf Gütern hinsichtlich Niveau und Wachstum der Pachtzinsen
5.8 Vergleich mit Pachtzinsen in weiteren deutschen Regionen
Kapitel 6 Die Preisentwicklung von Agrarprodukten
6.1 Der Preisindex für Getreide
6.2 Robustheitstests des Getreidepreisindexes
6.3 Wandel der Agrarstruktur und Erzeugerpreise im 19. Jahrhundert
Kapitel 7 Was bestimmte die Pachtzinsen? Preisbildung auf der Ebene einzelner Landparzellen
7.1 Das Ausmaß der Trägheit von Pachtzinsen
7.2 Die Anpassung von Pachtzinsen an Veränderungen von Produktpreisen
7.3 Pachtzinsen und Grundsteuerreinertrag
7.4 Einflüsse von Parzelleneigenschaften auf den Pachtzins
Kapitel 8 Pachtzinsen und langfristige Agrarentwicklung
8.1 Die realen Pachtzinsen auf fünf Gütern, 1570–1900
8.2 Pachtzinsen, Naturalerträge und Reinerträge im Vergleich
8.3 Pachtzinsen in ökonomischer Sicht
8.4 Pachtzinsen, Löhne, Bevölkerung und langfristige Agrarentwicklung
Kapitel 9 Schluss
Anhang
A1 Datenstruktur und Record linkage
A2 Zusatzbeträge
A3 Tagelöhne von Landarbeitern in Nordkirchen und Westfalen, späte 1720er Jahre bis 1892
A4 Bevölkerungsentwicklung in der Umgebung der Rentei Anholt, 1795–1905
A5 Geld, Währung und Silbergehalte
A6 Flächenmaße
A7 Quellen- und Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Abbildungen
Verzeichnis der Tabellen
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Landpacht, Marktgesellschaft und agrarische Entwicklung: Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser, 16. bis 19. Jahrhundert
 3515124446, 9783515124447

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Johannes Bracht / Ulrich Pfister

Landpacht, Marktgesellschaft und agrarische Entwicklung Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser, 16. bis 19. Jahrhundert

Geschichte Franz Steiner Verlag

VSWG – Beiheft 247

vierteljahrschrift für sozialund wirtschaftsgeschichte – beihefte Herausgegeben von Mark Spoerer, Jörg Baten, Markus A. Denzel, Thomas Ertl, Gerhard Fouquet und Günther Schulz

band 247

Johannes Bracht / Ulrich Pfister

LANDPACHT, MARKTGESELLSCHAFT UND AGRARISCHE ENTWICKLUNG Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser, 16. bis 19. Jahrhundert

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mir freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und dem Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Layout, Satz und Herstellung durch den Verlag Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12444-7 (Print) ISBN 978-3-515-12445-4 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 1 Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Kapitel 2 Die Verbreitung von Landpacht: Ein historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

3 .5 .1 3 .5 .2 3 .5 .3 3 .5 .4 3 .5 .5 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

9

25

Kapitel 3 Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser . . . . . . . . . . . . . . . Renteien und adeliger Grundbesitz (unter Mitarbeit von Friederike Scholten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landpacht, Renteiverwaltung und Grundherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regionale Exportgewerbe, Industrialisierung und erste Agrarmodernisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die untersuchten Güter im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

Kapitel 4 Pachtobjekte und Pachtverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herkunft und Größe des Pachtlandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pachtbuchungen in der Rechnungsführung der Renteien . . . . . . . . . . . . . . . . . Pachtbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zeitliche Befristung von Pachtbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragsanbahnung im Übergang vom Paternalismus zur Marktgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93 94 99 106 116

Anholt (unter Mitarbeit von Friederike Scholten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Assen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benkhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nordkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wewer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41 47 57 62 72 74 80 84 86 90

125

6

Inhaltsverzeichnis

5.1 5.2

Kapitel 5 Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Pachtbuchungen zu Preisreihen von Pachtobjekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden der zusammenfassenden Beschreibung der Entwicklung von Pachtzinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 133

5.6

138 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Kettenindizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Regressionsbasierte Indizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Nominale Pachtzinsen auf den einzelnen Besitztümern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Konstruktion einer aggregierten Reihe von Pachtzinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Ergebnis: Nominale Pachtzinsen vom 16. zum 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 170

5.7

Unterschiede zwischen den fünf Gütern hinsichtlich Niveau und

5 .2 .1 5 .2 .2 5 .2 .3 5.3 5.4 5.5

5.8

6.1 6.2 6.3

7.1 7.2 7.3 7.4

8.1 8.2

8 .2 .1 8 .2 .2 8.3 8.4

8 .4 .1 8 .4 .2 8 .4 .3

Wachstum der Pachtzinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich mit Pachtzinsen in weiteren deutschen Regionen . . . . . . . . . . . . . . .

175 178

Kapitel 6 Die Preisentwicklung von Agrarprodukten . . . . . . . . . . . . . . . . Der Preisindex für Getreide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Robustheitstests des Getreidepreisindexes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wandel der Agrarstruktur und Erzeugerpreise im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . .

186 186 190 194

Kapitel 7 Was bestimmte die Pachtzinsen? Preisbildung auf der Ebene einzelner Landparzellen . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ausmaß der Trägheit von Pachtzinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anpassung von Pachtzinsen an Veränderungen von Produktpreisen . . . . Pachtzinsen und Grundsteuerreinertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflüsse von Parzelleneigenschaften auf den Pachtzins . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199 199 208 212 222

Kapitel 8 Pachtzinsen und langfristige Agrarentwicklung . . . . . . . . . . . Die realen Pachtzinsen auf fünf Gütern, 1570–1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pachtzinsen, Naturalerträge und Reinerträge im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . .

229 229 234

Kapitel 9 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

286

Vergleich von Pachtzinsen mit landwirtschaftlichen Ertragsund Mengenindikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Die realen Pachtzinsen der fünf Güter im internationalen Vergleich . . . . . . 243 Pachtzinsen in ökonomischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Pachtzinsen, Löhne, Bevölkerung und langfristige Agrarentwicklung . . . . . . . 259 Hintergrund: Bevölkerung, Lohn, Nutzfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Die Totale Faktorproduktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Die Relation zwischen Pachtzins und Arbeitslohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

Inhaltsverzeichnis

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303

A1 A1.1 A1.2 A1.3

Datenstruktur und Record linkage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Record linkage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpolationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

305 305 306 313

A2

Zusatzbeträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315

A3

Tagelöhne von Landarbeitern in Nordkirchen und Westfalen, späte 1720er Jahre bis 1892 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

Bevölkerungsentwicklung in der Umgebung der Rentei Anholt, 1795–1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323

A5 A5.1 A5.2 A5.3 A5.4

Geld, Währung und Silbergehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geldsysteme und Münzreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Assen, Nordkirchen und Wewer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benkhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anholt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

325 325 327 330 331

A6 A6.1 A6.2 A6.3

Flächenmaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anholt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benkhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nordkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333 333 334 335

A7 A7.1 A7.2 A7.3 A7.4

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Forschungsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342

A4

Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Tabellen

360

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

7

Danksagung

Eine Reihe von Institutionen und Personen haben die Entstehung dieses Buchs unterstützt . Unser Dank gilt zunächst der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung des Vorhabens und die Unterstützung der Drucklegung (Sachbeihilfe PF 351/8) . Weiter danken wir dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und dem Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität für Druckkostenzuschüsse . Persönlich danken wir Georg Fertig, dem das Basisdesign des Projektes und der Antrag an die DFG zu verdanken ist, und den Studierenden, die als Hilfskräfte die umfangreiche Datenaufnahme im Archiv gestalteten . Letztere sind namentlich im Quellenverzeichnis unter den erarbeiteten Forschungsdaten genannt . Hervorgehoben seien aber Friederike Scholten, die in Recherche und Koordination eine wesentliche Stütze des Projektes war, und Stephanie Klages und Christin-Elisabeth Härtel, die zusammen und jede für sich sehr zum produktiven Gedeihen der Datengrundlage beigetragen haben . Wir bedanken uns außerdem bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LWL-Archivamts, die eine ausgezeichnete Infrastruktur bereit- und eine angenehme Arbeitsatmosphäre herstellten . Dank gebührt auch Fürst Carl Philipp zu Salm-Salm für die Bereitstellung der Anholter Rechnungen im LWL-Archivamt . Für die kritische Durchsicht des Manuskripts danken wir Michael Kopsidis und Wilfried Reininghaus . Schließlich danken wir den Herausgebern der Beihefte der VSWG für die Aufnahme in die Schriftenreihe und dem Steiner-Verlag für die gute Zusammenarbeit .

Kapitel 1 Einleitung

Diese Studie untersucht auf der Grundlage des Verwaltungsschriftguts von fünf Adelsgütern die Entwicklung von Pachtverhältnissen zwischen dem späten 16 . und dem 19 . Jahrhundert . Daraus ergeben sich Einsichten zu drei Vorgängen, nämlich zum Übergang zur Marktgesellschaft, zur Agrarentwicklung sowie zur Bedeutung des Einkommens aus Land für die soziale Elite und den entstehenden Staat . Zwar bezieht sich der Untersuchungsraum primär auf Westfalen nördlich der Lippe und das Gebiet am Niederrhein, doch resultieren aus unserer Analyse eine Reihe von Ergebnissen zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Allgemeinen . In den meisten Teilen Deutschland sowie etlichen Gebieten in seiner Nachbarschaft war Großgrundbesitz während der Vormoderne in der Regel als Grundherrschaft verfasst . Verfügungsrechte über den überwiegenden Teil des Bodens waren geteilt zwischen grundherrlichem Obereigentum und bäuerlichem Nutzrecht, und Bauern leisteten für letzteres regelmäßige Abgaben in Naturalien und/oder Geld . Weitere Leistungen und Arbeitsdienste folgten teilweise aus der persönlichen Abhängigkeit von Bauern von einer Grundherrschaft . Ebenso zu nennen ist der ursprünglich dem Kirchenunterhalt gewidmete Zehnte .1 Im Zuge der Agrarreformen des 19 . Jahrhunderts entwickelte sich der Familienbetrieb zur dominanten Betriebsform in der deutschen Landwirtschaft, obwohl bis nach dem Zweiten Weltkrieg besonders östlich der Elbe zahlreiche Großbetriebe existierten .2 Vor diesem Hintergrund war Landpacht – genau gesagt: zeitlich befristete Geldpacht, im Folgenden gelegentlich auch als Festpacht abgekürzt – in Deutschland vor dem späten 20 .  Jahrhundert wenig verbreitet; ca . 1880–1950 betrug der Anteil des Pachtlands an der landwirtschaftlichen Nutzfläche ziemlich konstant etwa ein Achtel . 1 Lütge: Geschichte; Henning: Dienste und Abgaben; Übersichtsdarstellungen bei Rösener: Bauern, Kap . 7; Achilles: Landwirtschaft, 28–32; Troßbach: Bauern, 6–17; zu Westfalen s . Richtering: Bäuerliche Leistungen; Reininghaus: Wirtschaft in Westfalen, Kap . B .II .5 . 2 Dipper: Bauernbefreiung; Harnisch: Kapitalistische Agrarreform; Kopsidis: Agrarentwicklung, Kap . 6 .

12

Einleitung

Allerdings gab es einige wenige regionale Schwerpunkte; der wichtigste unter ihnen war das Rheinland, wo im ersten Viertel des 20 .  Jahrhunderts knapp die Hälfte der Nutzfläche aus Pachtland bestand . In von Westen nach Osten abnehmender Intensität war Landpacht auch in Westfalen in dieser Zeit schon relativ verbreitet . Damit zählen diese Gebiete – möglicherweise zusammen mit der Nordseeküste – zur Randzone einer größeren Region, welche die nördlichen und südlichen Niederlande, England und Nordfrankreich umfasst, in der im Zusammenhang mit einer frühen Urbanisierung die Landwirtschaft vergleichsweise stark kommerzialisiert war und daher auch der Zugang zu Land überwiegend marktförmig geregelt wurde . Tatsächlich bildete sich zeitlich befristete Geldpacht im Untersuchungsgebiet ähnlich wie anderswo im Spätmittelalter heraus .3 Im Unterschied zu anderen deutschen Gebieten blieb sie hier aber in der Folgezeit erhalten, und zahlreiche Hinweise deuten darauf hin, dass sich Pachtverhältnisse in der langen Zeit bis zur Nationalstaatsgründung und der damit verbundenen Entstehung einer Agrarstatistik allmählich weiter ausbreiteten . Obwohl zeitlich befristete Geldpacht nur in einem relativ kleinen Teil Deutschlands kontinuierlich verbreitet war, eignet sich ihre Untersuchung zur Analyse von Themen, die weit über den Untersuchungsraum hinaus von Bedeutung sind . Dies hängt damit zusammen, dass ihr alltäglicher Vollzug Informationen erzeugte, die aus Quellen, die im Zusammenhang mit anders gearteten Beziehungen zwischen Herren und Bauern bezüglich der Landnutzung entstanden, nicht in derselben Weise hervorgehen . Wie schon eingangs erwähnt bezieht sich dies im Besonderen auf drei Themenbereiche, nämlich auf den Übergang zur Marktgesellschaft, die Agrarentwicklung sowie die Bedeutung des Einkommens aus Land für die soziale Elite und den entstehenden Staat . Bereits in der Vormoderne nützten Menschen auf vielfältige Weise Märkte . Untersucht ist dieser Sachverhalt vor allem für Produktmärkte, weniger für Märkte, die sich auf Produktionsfaktoren wie Arbeit und Land beziehen .4 Märkte waren meist Teil einer von dichten sozialen Beziehungen geprägten Lebenswelt . Transaktionen erfolgten oft unter Partnern, die sich auch in anderen Situationen begegneten . Folglich waren Märkte für unterschiedliche Güter miteinander verklammert, und sie waren eingebettet in Redistributionsbeziehungen, die ihrerseits von Macht- und Herrschaftsverhältnissen abhingen – im Untersuchungsraum waren diese überwiegend paternalistisch geprägt .5 Seinerseits konnte dies dazu führen, dass die Nutzung eines konkreten Markts nur ei-

Die ausführliche Darstellung der langfristigen Entwicklung von Pachtverhältnissen erfolgt gleich anschließend in Kapitel 2 . An dieser Stelle sei deshalb nur verwiesen auf Irsigler: Auflösung der Villikationsverfassung; Reinicke: Agrarkonjunktur; van Bavel/Schofield: Development of Leasehold . 4 Häberlein/Jeggle: Praktiken des Handels; Fontaine, Le marché; Fallstudie zur Marktnutzung Fenske: Marktkultur . Eine Gesamtsicht auf Vertragsformen in Arbeitsmärkten entwickelt Reith: Lohn und Leistung; zum Bodenmarkt G . Fertig: Äcker . Im Vergleich zu Faktormärkten für Arbeit und landwirtschaftliche Nutzflächen relativ gut untersucht sind vormoderne Finanzmärkte; stellvertretend für unterschiedliche Ansätze s . Denzel: Integration Deutschlands; Clemens: Schuldenlast . 5 Polanyi: Great Transformation; Bardhan: Interlocking Factor Markets . 3

Einleitung

nem eingeschränkten Personenkreis offenstand, der über die erforderlichen individuellen Privilegien verfügte . Märkte stellten vielfach keine öffentlichen Güter, sondern Clubgüter dar, und vormoderne wirtschaftliche Institutionen waren Ordnungen mit begrenzter Zugänglichkeit .6 All dies hatte Folgen für die Ausgestaltung und die Funktionsweise von Märkten: Abgesehen vom Fernhandel und spezieller, stark regulierter Märkte wie dem Getreidehandel war die vertragliche Regelung von Transaktionen wenig formalisiert . Angesichts verbreiteter Informalität und geringer Liquidität waren Märkte oftmals wenig effizient . Dies zeigt sich in der ausgeprägten Trägheit der Preise für viele Güter: Preise widerspiegelten möglicherweise konventionelle Auffassungen über Austauschbeziehungen; situative Verschiebungen von Angebot und Nachfrage gingen höchst bedingt in sie ein .7 Mit dem Konzept des Übergangs zur Marktgesellschaft meinen wir sowohl die Differenzierung des Markts für ein bestimmtes Gut aus einem Feld bisher miteinander verketteter Transaktionen mit mehreren Gütern als auch die Herauslösung des Marktgeschehens aus einem Feld multiplexer Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren . Je nachdem setzt dieser Übergang überdies eine Individualisierung von Verfügungsrechten und das Treffen von Vorkehrungen zu deren Schutz voraus . Als Folge dieser drei Vorgänge wurden auf Märkten vermehrt Verfügungsrechte über bestimmte Güter ohne Ansehen von Ansprüchen der Beteiligten auf andere Güter sowie ohne Ansehen des sozialen Kontextes der Transaktionspartner übertragen . Damit schuf die Marktgesellschaft wenigstens dem Anspruch nach eine Ordnung des offenen Zugangs mit inkludierenden Märkten . Unterstützt wurde dieser Übergang durch eine Formalisierung sowohl der Transaktionen regelnden Verträge als auch der Organisation des Marktgeschehens . Dies senkte Transaktionskosten und erhöhte dadurch die Marktliquidität, wozu auch die bessere Zugänglichkeit von Märkten beitrug . Ergebnis war eine Steigerung der Markteffizienz; Märkte waren nun preisbildend, und sie konnten dadurch besser zur Allokation knapper Ressourcen beitragen, was seinerseits wirtschaftlicher Entwicklung förderlich war .8 Unsere Studie konfrontiert diese allgemeinen Vorstellungen mit Pachtverhältnissen . Ein Pachtvertrag regelt die Miete einer Immobilie; wir haben es folglich mit einem Markt für die Nutzung des Produktionsfaktors Land zu tun . Von Landpacht zu unter-

Ogilvie: Guilds, Efficiency, and Social Capital; Lindberg: Club Goods; North et al .: Limited Access Orders . 7 Zu Lohnträgheit s . Pfister: Timing and Pattern, 710–713, Anhang S2, 11–13 . 8 S . nochmals Polanyi: Great Transformation; Bardhan: Interlocking Factor Markets; North et al .: Limited Access Orders . Weiter insbesondere North: Institutionen, institutioneller Wandel; Acemoglu/Robinson: Warum Nationen scheitern . Ergänzende historisch-anthropologische Perspektiven bei Reddy: Rise of Market Culture; Sabean: Property, 17–19 . Institutionenökonomisch ausgerichtete Beiträge zu Deutschland von Acemoglu et al .: Consequences of Radical Reform; Kopsidis/Bromley: French Revolution; Wegner: Defensive Modernization; ders .: Capitalist Transformation . Zum Übergang zur Marktgesellschaft in den ländlichen Gebieten des Untersuchungsraums Pfister et al .: Life Course Strategies . 6

13

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Einleitung

scheiden ist der Markt für Immobilienkäufe und -verkäufe, auf dem Verfügungsrechte umfassend und auf Dauer übertragen werden . Die Märkte für Pacht und für Besitzrechte konnten sich durchaus unterschiedlich entwickeln . Im Untersuchungsraum war der Bodenmarkt noch um die Mitte des 19 . Jahrhunderts allenfalls begrenzt preisbildend; die Übertragung von Land war überwiegend in Familienstrategien eingebettet .9 Demgegenüber zeigen wir, dass sich Pachtzinsen um diese Zeit durchaus an Preise von Agrarprodukten und daraus sich ergebende Änderungen des Angebots beziehungsweise der Nachfrage an Pachtland anpassten, auch wenn die Anpassungsgeschwindigkeit wegen der mehrjährigen Dauer von Pachtverträgen niedrig war . Diese Flexibilität des Mietpreises für landwirtschaftliche Nutzflächen kontrastiert mit den durch ausgesprochene Preisträgheit gekennzeichneten Verhältnissen in der Frühen Neuzeit; wir finden Parzellen, für die ohne Weiteres länger als ein Jahrhundert derselbe Pachtzins zu entrichten war . In dieser Zeit waren Pachtbeziehungen zudem ausgesprochen informal: Wir verfügen über wenige schriftliche Zeugnisse über Vertragsinhalte, und Verträge wurden offensichtlich vielfach formlos verlängert . Der Übergang zwischen den beiden Zuständen lässt sich mit einem ausgeprägten institutionellen Wandel um 1800 in Verbindung bringen: Die Verwaltungen von Rittergütern kümmerten sich verstärkt um die Beobachtung der Vertragsfristen, betrieben nach deren Ablauf systematisch eine Neuaushandlung der Pachtzinsen – zeitweise auch mit Hilfe öffentlich ausgeschriebener Versteigerungen –, und Vertragsinhalte sind zunehmend schriftlich überliefert . In Umrissen wird über diese Formalisierung von Pachtbeziehungen hinaus ein Bemühen erkennbar, das Rittergut aus paternalistischen Verpflichtungen gegenüber den Hintersassen zu lösen und die bisher verketteten Märkte für die Miete von Pachtland, Arbeit und Agrarprodukte voneinander zu trennen . Nur zum Teil standen diese Vorgänge mit den um 1800 stattfindenden politischen und sozialen Umbrüchen, insbesondere mit den einsetzenden Agrarreformen im Zusammenhang . Dies war nicht zuletzt deshalb nicht der Fall, weil Pachtbeziehungen wenig reguliert waren . Der Zugang zu Transaktionen in diesem Feld war im Prinzip offen, und diese wurden durch die Beteiligten gestaltet, wobei nicht zuletzt aufgrund der Herkunft der uns zugänglichen Quellen die Verwaltungen der Rittergüter als treibende Kräfte in Erscheinung treten . Der beschriebene institutionelle Wandel verweist damit auf Änderungen der Tiefenstruktur der Marktkultur in Deutschland im Übergang von der Frühen Neuzeit zum 19 . Jahrhundert . Der um 1800 ablaufende institutionelle Wandel von Pachtbeziehungen erhöhte allerdings nicht notwendigerweise die Effizienz des Marktes für die Miete von landwirtschaftlichen Nutzflächen, und die Gutsverwaltungen erreichten durch die höhere Flexibilität von Pachtzinsen auch keine nachhaltige Steigerung des von ihnen abgeschöpften Teils des betrieblichen Reinertrags . Im 18 . Jahrhundert waren im Untersu-

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G . Fertig: Äcker, insbes . Kap . 7 .

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chungsgebiet Getreidepreise stationär, d . h . nach einem Schock kehrten sie wieder zu einem langfristigen Gleichgewicht zurück . Dies ist konsistent mit einer malthusianischen Wirtschaft mit statischer Technologie . Angesichts der Stationarität von Getreidepreisen war mittelfristig keine Änderung der Pachtzinsen erforderlich . Preisträgheit ist somit kompatibel mit den stilisierten Eigenschaften einer vorindustriellen Wirtschaft . Dies bedeutet auch, dass es für die Zeitgenossen objektiv nicht der Mühe wert war, formale Institutionen zur Aushandlung von Preisen zu entwickeln und zu nutzen . Im 19 . Jahrhundert waren dagegen Agrarpreise nicht mehr stationär, was Anpassungen der Pachtzinsen erforderte . Der Wandel von Pachtbeziehungen vom 18 . zum 19 . Jahrhundert reflektiert mithin eine Veränderung sowohl der durch die involvierten Akteure praktizierten Marktkultur als auch der wirtschaftlichen Anforderungen an das Marktgeschehen . Ob zwischen den beiden Vorgängen eine Kausalbeziehung bestand und welcher Gestalt sie war, muss unsere Untersuchung offenlassen . In ökonomischer Perspektive ist bei vollständiger Konkurrenz sowie bei Abwesenheit von Transaktionskosten der Pachtzins gleich dem Grenzprodukt des Produktionsfaktors Boden . Umgekehrt stellt der Pachtzins den Betrag dar, bei dem sich die Bearbeitung eines Stückes Land für den Pächter angesichts des erforderlichen Aufwands gerade noch lohnt . Damit stellen Pachtverhältnisse einen Schlüssel zum Studium der Rolle des Bodens in der landwirtschaftlichen Produktion und der Agrarentwicklung im Allgemeinen dar . Diese Themen bilden den zweiten Hauptgegenstand der gegenwärtigen Studie . Mit der sogenannten neolithischen Revolution, in der die Menschheit sesshaft wurde und zur Landwirtschaft überging, rückte der Boden neben die menschliche Arbeit als zweiter Faktor der Produktion . Über Jahrtausende bildeten Arbeit und Boden die Lebensgrundlage von Gesellschaften . Dabei trug der Boden zweifache Bedeutung . In den europäischen Gesellschaften vor Beginn der Industrialisierung wurde Arbeit vor allem in der Landwirtschaft ausgeübt . Boden war also Gegenstand eines Großteils der Arbeit . Zugleich erwirtschafteten landwirtschaftliche Betriebe einen über die von ihnen ausgelegten Kosten hinausgehenden Mehrwert, den sogenannten Reinertrag . Laut Ricardos Theorie der Bodenrente führte die Immobilität des Faktors Boden dazu, dass der Reinertrag abzüglich Steuern dem Bodeneigentümer zukam . In dieser Sicht spiegelt der Pachtzins die Höhe des Reinertrags wider .10 Unsere Langzeitstudie eignet sich zur Auseinandersetzung mit Ricardos Bodenrententheorie . Die Ergebnisse legen nahe, dass sie bezüglich der Vormoderne korrekt war, dass aber im 19 . Jahrhundert vor dem Hintergrund der ersten Agrarmodernisierung der Unternehmerlohn wachsende Teile des Reinertrags beanspruchte . Dies folgte daraus, dass die Umsetzung agrartechnischer Innovationen mit Risiko verbunden war und dass neue Methoden, wie zum Beispiel die ganzjährige Stallfütterung, sorgfalts-

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Ricardo: Principles, Kap . 2 .

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intensiv waren, was seinerseits eine verstärkte Überwachung erforderte . Beides betraf den Land pachtenden Betriebsleiter, nicht den Landbesitzer, so dass der daraus folgende Unternehmerlohn nicht an letzteren, sondern an ersteren fiel . Jenseits der mehrfachen produktionstheoretischen Bedeutung des Pachtzinses besteht sein Wert für die historische Forschung schlichtweg darin, dass er einer der wenigen Parameter der Agrarwirtschaft darstellt, der sich mit einer einigermaßen hohen zeitlichen Auflösung rekonstruieren lässt .11 Dies hängt damit zusammen, dass zum Beispiel die landwirtschaftliche Gesamtproduktion erst mit dem Einsetzen der modernen Agrarstatistik, in Deutschland ab 1878, bekannt ist . Für die vorstatistische Ära liegt für England eine breit angelegte Rekonstruktion vor; nicht zuletzt angesichts der Quellenlage muss sich die Forschung zu Deutschland aber damit begnügen, die landwirtschaftliche Nettowertschöpfung in der vorindustriellen Ära indirekt anhand der Bevölkerungszahl sowie des aus Löhnen und Preisen extrapolierten Pro-Kopf-Konsums zu schätzen .12 Dies ist eine grobe Methode, und die Ergebnisse dürften dementsprechend eine weite Fehlermarge aufweisen . Eine weitere Möglichkeit zur indirekten Erfassung des Umfangs wenigstens der Getreideproduktion während der Ära vor den Landreformen besteht in der Untersuchung von bäuerlichen Abgaben, deren Höhe zumindest dem Prinzip nach vom Ernteumfang abhing . Das wichtigste Beispiel hierfür bilden die Zehntabgaben auf Getreide . Möglicherweise zum Teil wegen der Schwierigkeit geeignete Quellen zu finden, ist allerdings die internationale Bewegung zur Konstruktion langer Reihen zu Zehnteinkünften der 1970er und 1980er Jahren an der deutschen Forschung weitgehend vorbeigegangen .13 Ein weiterer Indikator desselben Typs stellen die Erträge aus Teilpacht dar, bei der Bauern einen festen Teil der Ernte an den Grundbesitzer lieferten . In Deutschland war aber dieses Arrangement unbedeutend; während der Neuzeit kam es offenbar nur im Westmünsterland und möglicherweise um den Niederrhein vor .14 Geht es um die Frage, mit welchen Einsatzmengen an Boden und an Arbeit der landwirtschaftliche Output erzeugt wurde, ist man auf Schätzungen des Ausmaßes der kultivierten Fläche und der eingesetzten Arbeitskräfte angewiesen . Besonders der Umfang der Kulturfläche ist schwer zu bestimmen; für Deutschland existieren nur für wenige, weit auseinanderliegende Zeitpunkte Schätzungen auf der Grundlage bodenkundlicher Untersuchungen . Dabei erweist sich, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche in der Neuzeit langfristig nur wenig zunahm . Zwar verringerte sich im Dreißig11 Einen Überblick über die methodischen Zugänge bieten van Zanden: Development of Agricultural Productivity; Olsson/Svensson: Measuring and Explaining Agricultural Growth . 12 Broadberry et al .: British Economic Growth, Kap . 2 und 3; Pfister: Economic Growth; Pfister/Kopsidis: Institutions vs . Demand . 13 Goy/Le Roy Ladurie: Les fluctuations . Deutsche Forschungen: Glaser: Klimarekonstruktion, 146–158; Hildebrandt/Gudd: Getreideanbau; Bauernfeind: Materielle Grundstrukturen, 91–97, 489–492; Sreenivasan: Peasants of Ottobeuren, 344 . 14 Kopsidis et al .: Agricultural Output Growth .

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jährigen Krieg im Zuge der Bevölkerungsverluste für längere Zeit auch die Nutzfläche . Auf regionaler Ebene bewirkten umgekehrt Einpolderungen in den Nordseeregionen sowie die Nutzbarmachung der Moore in den nördlichen Teilen Deutschlands vor allem im 19 . Jahrhundert durchaus eine nachhaltige Ausdehnung der Kulturfläche . Insgesamt stellte aber der Boden eine knappe Ressource dar, die durch eine wachsende Bevölkerung mit steigender Intensität in Anspruch genommen wurde .15 In der pflanzlichen Produktion ergibt sich der Output als Produkt von Anbaufläche und Ertrag pro Flächeneinheit . Angesichts der relativen Konstanz der Nutzfläche stellen die Hektarerträge einen zentralen variablen Parameter der pflanzlichen Produktion dar .16 Die Ermittlung des Ertrags pro Flächeneinheit ist allerdings für viele historische Kontexte schwierig, wenn nicht unmöglich . Direkte historische Nachweise über die Erträge des Bodens liegen aus den Jahrhunderten vor 1800 meist in Form von Ernte/Aussaat-Verhältnissen vor . Sie geben immerhin über das Verhältnis von Output zu Input Auskunft und sind somit ein Näherungswert für die Flächenproduktivität . Allerdings ist die Fehlermarge beträchtlich, und für Deutschland existieren vor 1800 nur wenige über die Zeit hinweg miteinander vergleichbare Angaben .17 Vor diesem Hintergrund stellt der für die Miete von Nutzflächen bezahlte Preis einen wichtigen Zugang zur Beschreibung der Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktivität in der vorstatistischen Ära dar, und die Konstruktion langer Reihen von Pachtzinsen auch schon nur für eine Region verspricht einen erheblichen Erkenntnisgewinn bezüglich der langfristigen Agrarentwicklung Deutschlands insgesamt . Sowohl inhaltlich wie methodisch kann unsere Untersuchung hierfür auf eine Reihe von Studien zu anderen Ländern aufbauen .18 Konkret untersuchen wir fünf zwischen dem Niederrhein und der mittleren Weser gelegene Adelsgüter: Anholt, Assen, Benkhausen, Nordkirchen und Wewer . Aus deren Rechnungsbücher extrahieren wir etwas mehr als 200 .000 Einzelbuchungen von Zinsansprüchen, die potentiell mit Zeitpacht in Verbindung standen . Durch die manuelle Verknüpfung über auf einander folgende Rechnungsjahre hinweg bilden wir aus diesen Einzelinformationen Preisreihen für knapp 7 .200 Objekte, die klar als Gegenstände von Zeitpacht identifizierbar sind . In weiteren Arbeitsschritten konstruieren wir unterschiedliche Arten langer Reihen von 15 S . unten in Tabelle 8 .5 die Ergebnisse von Bork et al .: Landschaftsentwicklung; weiter s . Thoen/Soens: Struggling with the Environment, 461 und passim . 16 Ergänzend ist die Häufigkeit der Kultivierung der Nutzflächen zu beachten . Vor allem im 19 . Jahrhundert, ansatzweise – nicht zuletzt um den Niederrhein – auch schon früher, verringerte sich der Umfang der Brache . Darüber hinaus fand ein Wandel von Wechselsystemen, unter denen der Ackerbau mit einer mehrjährigen Nutzung des Landes als Weide alternierte, zu Dauersystemen statt . 17 Slicher van Bath: Yield Ratios . Zu den wenigen deutschen Reihen s . unten, Kapitel 8 .2 .1 . 18 Wichtiger Ausgangspunkt: Goy/Le Roy Ladurie: Prestations paysannes; wichtige spätere Sammelwerke und Einzelstudien: Allen: Enclosure and the Yeoman; Moriceau: Les fermiers; Hoffman: Growth in a Traditional Society; Turner et al .: Agricultural Rent; Clark: Land Rental Values; van Bavel/Schofield: Development of Leasehold . – Früher Hinweis auf die Relevanz des Themas im deutschen Kontext bei Abel: Agrarkrisen, 129–133, 211–214 .

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Pachtzinsen sowohl auf der Ebene der einzelnen Besitztümer als auch für den Untersuchungsraum insgesamt . Sie sagen uns, wie sich der Mietpreis für ein Hektar Land in Gramm Silber zwischen dem späten 16 . Jahrhundert und 1900 entwickelt hat . Für die weitere Analyse kombinieren wir diese Reihen von Pachtzinsen mit Angaben über Löhne sowie mit Preisen von Agrarprodukten . Ausgehend von der Einsicht, dass die Entwicklung des Quotienten der Preise der Inputfaktoren mit denjenigen der Outputpreise der Veränderung der Totalen Faktorproduktivität entspricht, untersuchen wir das Ausmaß und die Richtung von Veränderungen der landwirtschaftlichen Produktivität . Wir finden, dass im späten 18 .  Jahrhundert das Produktivitätsniveau im gesamten Untersuchungsraum bestenfalls gleich hoch war wie im frühen 17 . Jahrhundert . In den letzten Jahrhunderten vor dem mit der ersten Agrarmodernisierung verbundenen Wachstum im 19 .  Jahrhundert gab es offensichtlich keine nachhaltige Entwicklung des Agrarsektors; eine Zunahme der landwirtschaftlichen Produktion konnte nur durch Bevölkerungswachstum und in dem Sinn als Verelendungswachstum erfolgen . Dieser Sachverhalt kontrastiert mit den Verhältnissen in England und im Pariser Becken, wo zwischen dem frühen 17 . Jahrhundert und der Französischen Revolution das Produktivitätsniveau um etwa ein Viertel zunahm . Wenigstens zum Teil gründete die sogenannte Kleine Divergenz im frühneuzeitlichen Europa zwischen den dynamischen Wirtschaften im Umkreis des Ärmelkanals und dem Rest des Kontinents auf einer unterschiedlichen Entwicklung der Agrarproduktivität . Letztere stellte sich ähnlich wie im Fall der Reallöhne vor allem ab dem zweiten Viertel des 18 . Jahrhunderts ein .19 Der ungefähre Gleichstand zwischen dem Niveau der landwirtschaftlichen Produktivität im frühen 17 . und am Ausgang des 18 . Jahrhunderts bedeutet nicht, dass es über die Zeit hinweg keine Veränderungen gegeben hätte . Episoden der Produktivitätssteigerung stellten sich vor allem im Zusammenhang mit der Wiedererwärmung am Ende der Kleinen Eiszeit im frühen 18 . Jahrhundert und im Kontext von Marktintegration ein . Letztere förderte die komplementäre Spezialisierung von einzelnen Regionen, wodurch sich der Einsatz von Inputfaktoren wie Land und Arbeit zu Produktionslinien verlagerte, in denen diese ein höheres Grenzprodukt aufwiesen, was die gesamtwirtschaftliche Effizienz erhöhte . Dieses Ergebnis ist konsistent mit Studien, welche die große Bedeutung von Nachfrage und Marktintegration für Agrarentwicklung betonen . Konkret bedeutet es, dass das Zurückbleiben der Agrarproduktivität in Deutschland gegenüber den nordwesteuropäischen Wirtschaften während der Frühen Neuzeit mit dem relativ niedrigen und stagnierenden Urbanisierungsgrad zusammen zu sehen

Allen: Economic Structure; ders .: Great Divergence; Broadberry et al .: British Economic Growth, 374–383; Pfister: Timing and Pattern, 721–725 .

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ist, der seinerseits durch hohe Transporthindernisse in einem weiten Binnenland bedingt war .20 Demgegenüber sank die landwirtschaftliche Produktivität nach den frühen 1730er Jahren über mehrere Jahrzehnte deutlich . Im Moment sehen wir als einzige Erklärung dafür die durch bodenkundliche Untersuchungen belegte Erosion in dieser Zeit, die ihrerseits vor allem durch häufige und starke Niederschläge verursachte wurde . Eine Intensivierung der Landbearbeitung – die wir durch die Veränderung der Pachtparzellen zu kleineren Objekten nachzeichnen können – begrenzte immerhin die Auswirkungen des Produktivitätsrückgangs . Wir zeigen weiter, dass sich die Richtung von Veränderungen im Produktivitätsniveau aus der Pachtzins/Lohn-Relation erschließen lässt . Letztere betrug in den 1610er Jahren sowohl im Untersuchungsraum als auch in England etwa 25–30, in den ersten sechs Dekaden des 19 . Jahrhunderts in beiden Gebieten eher um die 40 . Die Zahl besagt, wie viele Tagewerke zur Bezahlung der Pacht für ein Hektar erforderlich sind, oder umgekehrt wie viele Tagelöhner mit dem Pachtzins für ein Hektar jeweils für einen Tag beschäftigt werden können . In produktionstheoretischer Hinsicht stellt die Pachtzins/Lohn-Relation die Grenzrate der Substitution zwischen Land und Arbeit dar: Wenn ein Hektar Land weniger zur Verfügung steht, müssen 25–30 beziehungsweise etwa 40 Tagewerke mehr aufgewendet werden, um den Output an Agrarprodukten konstant zu halten . Die langfristige Zunahme vom frühen 17 . Jahrhundert bis ca . 1800 konkretisiert die oben getroffene Charakterisierung der deutschen Agrarentwicklung in dieser Zeit als Verelendungswachstum . In der Frühen Neuzeit fluktuierte die Pachtzins/Lohn-Relation parallel zur Bevölkerungsgröße, was eine zentrale Aussage von Abels Theorie der Agrarkonjunktur belegt:21 Wuchs die Bevölkerung, so wurde die hinsichtlich ihres Umfangs weitgehend gegebene landwirtschaftliche Nutzfläche intensiver bearbeitet, was den Ertrag pro Hektar und damit auch den realen Pachtzins steigerte . Zugleich sank das Grenzprodukt des Faktors Arbeit . Fluktuationen im Produktivitätsniveau (d . h . im Niveau der Totalen Faktorproduktivität) modifizierten diesen Zusammenhang höchstens bedingt: Während Episoden mit steigender Produktivität legte auch die Pachtzins/ Lohn-Relation zu . Dies bedeutet, dass die Produktivitätssteigerung bodenvermehrend wirkte – sie war äquivalent zu einer Zunahme der Nutzfläche . Dies bestätigt – für die Frühe Neuzeit – Ricardos Theorie der Bodenrente, denn eine Zunahme der Produktivität steigert den betrieblichen Reinertrag, was seinerseits die Höhe des Pachtzinses positiv beeinflusst .

Grantham: Agricultural Supply; ders .: Contra Ricardo; van Zanden: Development of Agricultural Productivity; Kopsidis/Wolf: Agricultural Productivity; Pfister/Kopsidis: Institutions vs . demand; zum Verlauf der Integration von Getreidemärkten in Deutschland im 17 . und 18 . Jahrhundert Albers et al .: Great Moderation . 21 Abel: Agrarkrisen . 20

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Bereits zu Beginn des 19 . Jahrhunderts zerschlug sich aber der positive Zusammenhang zwischen der Bevölkerungsgröße und der Pachtzins/Lohn-Relation . Während sich das Bevölkerungswachstum deutlich beschleunigte, stieg die Pachtzins/Lohn-Relation kaum noch . Dies impliziert, dass der mit der ersten Agrarmodernisierung verbundene agrartechnische Fortschritt arbeitsvermehrend wirkte, d . h . die Zunahme der Produktivität war nun äquivalent mit einer Vermehrung der Arbeitskraft . Der negative Effekt des Bevölkerungswachstums auf das Grenzprodukt der Arbeit wurde weitgehend durch eine Steigerung der Effizienz der Arbeit kompensiert . Wir interpretieren dieses wichtige Ergebnis nochmals als Folge des Sachverhalts, dass die mit der ersten Agrarmodernisierung verbundenen agrartechnischen Innovationen nicht von denjenigen implementiert wurden, die Land verpachteten, sondern von den das Land bearbeitenden Familienbetrieben und den von ihnen beschäftigten Arbeitskräften . Da wichtige neue Arbeiten – ganzjährige Stallfütterung, Hackbau – vermehrt Aufmerksamkeit und Sorgfalt erforderten, fielen die Früchte agrartechnischen Fortschritts nicht nur dem unternehmerischen Einsatz von Betriebsleitern, sondern auch den Arbeitskräften zu . Diese Argumente und Befunde haben auch Implikationen für die Beurteilung der Bedeutung des Einkommens aus Land für die soziale Elite und den entstehenden Staat, dem dritten Themenkreis, den diese Studie adressiert . Allerdings werden hierzu keine eigenständigen Analysen durchgeführt; die Befunde hierzu ergeben sich vielmehr beiläufig aus den oben kurz vorgestellten Untersuchungen . Man kann versuchen, aus Schätzungen der Feudalquote Aussagen zum Einkommen aus Land zu gewinnen; die existierenden Studien zu deutschen Kontexten basieren aber primär auf Querschnitten und erlauben deshalb keine Aussagen zur langfristigen Entwicklung .22 Das Studium von Pachtverhältnissen bietet somit auch in dieser Hinsicht ein neues Erkenntnispotential . Deflationiert man den nominalen Pachtzins mit landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen, so erhält man einen Index des realen Pachtzinses; zudem gibt die bereits besprochene Pachtzins/Lohn-Relation einen Hinweis auf die relative Einkommensposition der Eigentümer dieser beiden Produktionsfaktoren . Dabei gilt es allerdings zweierlei zu beachten: Erstens ergibt sich das Gesamteinkommen aus Land als Produkt von Zins pro Flächeneinheit und Nutzfläche; von der Entwicklung letzterer vor der Mitte des 19 . Jahrhunderts haben wir wie oben erwähnt nur sehr vage Vorstellungen . Zweitens entwickelten sich möglicherweise andere Einkommen aus Land als diejenigen aus Verpachtung nicht in derselben Weise wie die letzteren . Dies gilt besonders für grundherrschaftliche Abgaben; die Verpachtung auf Zeit (sowohl gegen einen festen Geldzins als auch in der Form von Teilpacht) betraf noch am Beginn des 19 . Jahrhun-

Henning: Dienste und Abgaben, 156–160; Achilles: Lage, 107–114; zusammenfassend ders .: Landwirtschaft, 32 f .

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derts relativ kleine Flächen, generierte aber im Vergleich zu grundherrlichen Abgaben bereits einen beträchtlichen Teil der Einnahmen der untersuchten Güter . Die langfristige Ausdehnung der Pachtflächen im Untersuchungsraum dürfte somit bei gegebenem Besitzumfang eine deutliche Einnahmensteigerung erlaubt haben . In England belief sich der Anteil des aus dem Produktionsfaktor Land gezogenen Einkommens am gesamten Volkseinkommen zwischen dem Spätmittelalter und dem dritten Viertel des 18 . Jahrhunderts auf etwa 20 %, um danach allmählich zu sinken . Da vor allem die Landwirtschaft bodenintensiv produzierte, war das Gewicht des Bodens im landwirtschaftlichen Einkommen allein noch deutlich höher, in der Größenordnung von knapp 30–40 % .23 Land stellte somit in der vorindustriellen Ära eine wichtige Einkommensquelle dar . Die Analyse deutscher Pachtzinsen kann zu drei mit der Einkommensentwicklung zusammenhängenden Themen Aussagen treffen . Erstens stellte Einkommen aus Land neben dem Staatsdienst und der Offizierskarriere eine wichtige Lebensgrundlage der adeligen Elite dar und beeinflusste dadurch die Ausgestaltung ihrer materiellen Lebensführung . In vormodernen Gesellschaften verfügten am ehesten die Eliten über den Einkommensspielraum, um gehandelte Konsumgüter in nennenswertem Umfang zu kaufen . Veränderungen in Konsummustern sowie die Entwicklung des europäischen und interkontinentalen Fernhandels hingen somit von Fluktuationen des Bodeneinkommens ab . Angesichts der relativen Stabilität der Nutzfläche bestand deshalb ein deutlicher Zusammenhang zwischen der langfristigen Entwicklung der Pachtzinsen in wirtschaftlichen führenden Teilen Nordwesteuropas und dem Wachstum der Importe von Kolonialwaren vom 17 . zum 19 . Jahrhundert . Umgekehrt erklärt die langfristige Stagnation der landwirtschaftlichen Produktivität sowie im 17 . und 18 . Jahrhundert sowie im Besonderen ihre ungünstige Entwicklung in den Jahrzehnten nach 1730 wenigstens zum Teil, weshalb Deutschland an der Dynamik der atlantischen Wirtschaft und an der Konsumrevolution im 18 . Jahrhundert relativ wenig Anteil hatte .24 Zweitens verpachteten selbstverständlich auch Territorialherrschaften ihren Domänenbesitz . Entsprechend stellte Einkommen aus Land eine wichtige Komponente von Staatseinnahmen dar . Noch um 1820/30 stammte in Preußen ein Sechstel und in vier deutschen Mittelstaaten ein Viertel bis ein Drittel der Staatseinnahmen aus Domänen .25 Nun legt unsere Untersuchung nahe, dass um 1850 der reale Pachtzins eine ähnliche Höhe aufwies wie in den 1570er Jahren . Angesichts dieses Sachverhalts reichten die primär auf Landeinkommen basierten Ressourcen von Herrschaftsträgern

23 Clark: Macroeconomic Aggregates, 81 f .; Allen: Enclosure and the Yeoman, 228; Hoffman: Growth in a Traditional Society, 91 f . 24 O’Rourke/Williamson: After Columbus, 434 f .; Prinz: Konsum; Pfister: Quantitative Development; Fertig/Pfister: Coffee, Mind and Body . 25 Dumke: Der Zollverein als Modell, 88; Schwennicke: Ohne Steuer kein Staat, 10–13; Ebert, Domänengüter .

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nicht mehr zur Deckung der Ausgaben aus, als im Zuge der sogenannten Militärischen Revolution des 15 .–17 . Jahrhunderts die Kosten der Kriegsführung stiegen . Die Entwicklung des Staats in der Frühen Neuzeit kam dem Finanzbedarf nach, indem jener Steuern und indirekte Abgaben auf gehandelte Güter einzutreiben begann . Besonders ausgeprägt war dieser Druck im und nach dem Dreißigjährigen Krieg . Die in den 1620er und 1630er Jahren erfolgten Bevölkerungsverluste verringerten dagegen sowohl die landwirtschaftliche Nutzfläche als auch die Pachtzins/Lohn-Relation . Es wurde somit schwierig, mit Einkommen aus Land Arbeitskräfte – nicht zuletzt stehende Heere – zu bezahlen . Gemäß der uns vorliegenden Angaben verringerte sich die Kaufkraft von Landeinkommen hinsichtlich der Möglichkeit zur Beschäftigung von Arbeitskräften zwischen den Jahren um 1615 und um 1655 in einer Größenordnung von 55 % . Das Wegbrechen der Kaufkraft des Bodeneinkommens seit den 1620er Jahren verlieh dem langfristigen Übergang von der auf Einkünfte aus Domänen gestützten Finanzierung von Herrschaftsträgern zum Steuerstaat einen starken Impuls: Seit dem zweiten Viertel des 17 . Jahrhunderts weiteten Obrigkeiten die indirekten Steuern auf Grundnahrungsmittel, besonders im Rahmen von Akzise-Regimes, stark aus, und die gelehrte Publizistik beschäftigte sich im halben Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg intensiv mit der Steuerthematik .26 Drittens belegen unsere Ergebnisse die drastischen Verteilungsfolgen der ersten Agrarmodernisierung sowie der um die Mitte des 19 . Jahrhunderts einsetzenden Globalisierung . In den 1850er Jahren belief sich der Anteil des Faktors Land am deutschen Volkseinkommen auf etwa 16 %, was ähnlich hoch liegt wie die Schätzung für Großbritannien um dieselbe Zeit; es ist zu vermuten, dass diese Quote wie dort im 18 . Jahrhundert noch deutlich höher lag . 1905–1913 betrug dann der Anteil des Faktors Land am Volkseinkommen nur noch 6 % .27 Wie oben erwähnt wuchs nach 1800 die Pachtzins/Lohn-Relation kaum noch, was zusammen mit dem starken Bevölkerungswachstum als Ausdruck der arbeitsvermehrenden Richtung agrartechnischen Fortschritts zu interpretieren ist . Da die Bevölkerung deutlich stärker expandierte als die Nutzfläche, impliziert die Konstanz der Pachtzins/Lohn-Relation eine Verschiebung der faktoriellen Einkommensverteilung von Boden zu Arbeit . Verstärkt wurde dieser Effekt durch die erste Welle der modernen Globalisierung ab der Mitte des 19 . Jahrhunderts . Zwischen der Mitte der 1860er und den späten 1870er Jahren verwandelte sich Deutschland fast mit einem Schlag von einem wichtigen Nahrungsmittelexporteur zu einem bedeutenden Importeur vor allem von Getreide . Die Integration transatlantischer Märkte ging mit einem starken Rückgang der realen Preise von Getreide einher, was seinerseits die relative Einkommensposition von Land26 Boelcke: Sanftmütige Akzise; Krüger: Entstehung und Ausbau, 106–109; Schwennicke: Ohne Steuer kein Staat, 196 f .; Simon: Merkantilismus und Kameralismus, 76; North: Finances and Power, 148–152, 157–159 . 27 Pfister: Crafts-Harley View .

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besitzern verschlechterte . Der drastische Fall der Pachtzins/Lohn-Relation um 40 % zwischen 1860 und 1900 resultierte wenigstens zum Teil aus der Invasion europäischer Märkte durch amerikanisches Getreide . Es wundert deshalb nicht, dass der junge Nationalstaat mit heftigen Verteilungskonflikten zwischen Globalisierungsverlierern und -gewinnern belastet war, die vor allem über die Zollpolitik ausgetragen wurden . Zusammengenommen trugen die erste Agrarmodernisierung und die Anfänge der modernen Globalisierung dazu bei, dass Land bis zum Beginn des 20 . Jahrhunderts seine in der Vormoderne große Bedeutung als Einkommensquelle völlig eingebüßt hatte .28 Zur Entfaltung all dieser Argumente und Ergebnisse ist das Buch wie folgt aufgebaut: Wir beginnen mit einem Überblick über die Entwicklung von Pachtverhältnissen sowohl in Deutschland insgesamt als auch im Untersuchungsraum vom Spätmittelalter zum frühen 20 . Jahrhundert (Kapitel 2) . Darauf stellen wir die fünf untersuchten Rittergüter hinsichtlich ihrer Organisation vor und schildern ihren Kontext bezogen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Agrarverfassung (Kapitel 3) . Kapitel 4 beginnt die Analyse mit einer Darstellung der institutionellen Ausgestaltung von Pachtverhältnissen und deren Wandel hin zu Merkmalen, die eine moderne Marktgesellschaft kennzeichnen . Kapitel 5 ist primär Methodenfragen gewidmet, indem es den Weg von einzelnen Pachtbuchungen in den Rechnungsbüchern von Rittergütern zu langen Reihen aggregierter Pachtzinsen dokumentiert . Am Schluss entwickeln wir aber darüber hinaus eine Interpretation des unterschiedlichen Niveaus nominaler Pachtzinsen auf den einzelnen Gütern, und wir vergleichen unsere Reihen mit den spärlichen Informationen aus anderen deutschen Regionen, besonders den Einkünften aus der Verpachtung staatlicher Domänen in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts . Kapitel 6 steht zu Kapitel 5 in einer gewissen Analogie, indem hier ein Preisindex von landwirtschaftlichen Produkten für den Untersuchungsraum konstruiert wird . Dieser Schritt ist erforderlich, um reale Pachtzinsen sowie darüber hinaus auch Veränderungen des Produktivitätsniveaus untersuchen zu können . Die in Kapitel 5 und 6 erarbeiteten Reihen von nominalen Pachtzinsen und Agrarpreisen stellen eine wichtige Grundlage für das Studium der Preisbildung auf dem Markt für die Miete landwirtschaftlicher Nutzflächen in Kapitel 7 dar . Wir beginnen mit der Darstellung des Ausmaßes der Trägheit von Pachtzinsen beziehungsweise ihrer Veränderung über die Zeit hinweg und prüfen vor dem Hintergrund der dabei erzielten Befunde die Existenz und die Geschwindigkeit der Anpassung von Pachtzinsen an Preisschocks . Ein weiterer Gegenstand betrifft das Ausmaß, in dem der Pachtzins den betrieblichen Reinertrag abschöpfte . Mit Angaben aus dem zweiten Viertel des 19 . Jahrhunderts zeigen wir, dass diese Quote zwischen Gütern variierte und auf zwei 28 Webb: Agricultural Protection; Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik; Grant: Migration, 220; Torp: Herausforderung der Globalisierung, 97–100 sowie Kap . IV–VII; allgemein O’Rourke: European Grain Invasion; O’Rourke/Williamson: Globalization and History, Kap . 3, 6, 9, sowie dieselben: When did Globalisation Begin .

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von drei Besitzkomplexen nur bei 80 % lag . Dieses Ergebnis widerspricht Ricardos Bodenrententheorie und legt die Basis für eine spätere kritische Auseinandersetzung mit dieser . Schließlich untersucht Kapitel 7 die Determinanten der Pachtzinsen auf dem Niveau einzelner Parzellen . Im Zentrum steht dabei der sogenannte Plattage-Effekt, d . h . der Sachverhalt, dass kleine Parzellen pro Hektar einen höheren Pachtzins aufwiesen als große . Da kleine Parzellen meist intensiver bewirtschaftet wurden als größere, stellt der Nachweis eines Plattage-Effekts eine wichtige Grundlage für das Nachzeichnen von Vorgängen agrarischer Intensivierung dar . Kapitel 8 erarbeitet schließlich auf der Basis langer Reihen von Pachtzinsen, ergänzt um Angaben zu Löhnen und Preisen von Agrarprodukten, Aussagen zur langfristigen Agrarentwicklung . Zunächst konstruieren wir Indizes des realen Pachtzinses und vergleichen deren Verlauf einerseits mit anderen Indikatoren zur Agrarentwicklung Deutschlands, andererseits mit Indizes der realen Pachtzinsen in England, Frankreich und den Niederlanden . In einem Zwischenschritt werden zwei theoretische Themen entfaltet, nämlich einerseits die Beziehung zwischen der Totalen Faktorproduktivität und den Preisen von Inputfaktoren und Produkten, andererseits der Zusammenhang zwischen der Grenzrate der Substitution und der Richtung technischen Fortschritts . Auf dieser Grundlage erfolgen anschließend eine Schätzung der Totalen Faktorproduktivität sowie eine Diskussion der Entwicklung der Pachtzins/Lohn-Relation . Zum Abschluss fasst Kapitel 9 die Hauptergebnisse nochmals ausführlicher, als es hier in der Einleitung möglich ist, zusammen .

Kapitel 2 Die Verbreitung von Landpacht: Ein historischer Überblick

Laut der Landwirtschaftszählung von 2010 machte Pachtland in der BRD in den Grenzen bis 1989 52,7 %, in den neuen Bundesländern 74,1 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus . Zwar besaß in beiden Teilen Deutschlands die überwältigende Mehrheit der Landwirtschaftsbetriebe eigenes Land, aber mehr als zwei Drittel bewirtschafteten (auch) Pachtland . Mit einem Anteil des Pachtlands von insgesamt etwa 60 % zählte die BRD spätestens seit den 1990er Jahren zusammen mit Belgien und Frankreich zu den Ländern der Europäischen Union, in denen Landpacht besonders stark verbreitet war; 1997 belief sich der Mittelwert in der EU auf 41 % .1 Die seit dem ausgehenden 20 . Jahrhundert bestehende Sachlage ist allerdings Ergebnis einer relativ jungen Entwicklung, die sich im Zuge des massiven Strukturwandels, einer Veränderung der Agrartechnik sowie der Öffnung der Märkte für landwirtschaftliche Güter in der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts einstellte . Ein wichtiger institutioneller Einschnitt war zudem die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR ab 1952 . Noch 1949 belief sich in der damaligen BRD der Anteil des Pachtlands auf 12,1 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche .2 Bis zur Mitte des 20 . Jahrhunderts war somit Landpacht in Deutschland wenig verbreitet . In der Vormoderne war die Verfügung über die landwirtschaftliche Nutzfläche überwiegend in eine Agrarverfassung eingebettet, die Verfügungsrechte zwischen einem grundherrlichen oder gutsherrlichen Obereigentum und einem bäuerlichen Nutzrecht aufteilte . Im Zug der Agrarreformen des frühen 19 . Jahrhunderts wurden diese Institutionen durch das individuelle Bodeneigentum abgelöst . Daneben existierten aber bereits in der Vormoderne ande-

1 Landwirtschaftszählung 2010, 5 .1 Eigentums- und Pachtverhältnisse der landwirtschaftlich genutzten Fläche (https://www .destatis .de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/ LandwirtschaftlicheBetriebe/Tabellen/5_1_EigentumsPachtverhaeltnisseBundeslaender .html; abgerufen am 15 .8 .2016); Agrarbericht der Bundesregierung 2001, § 66 . 2 Statistik der BRD 21, Heft 2, 136, 168 .

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Die Verbreitung von Landpacht

re Formen der Verfügung über individuell bearbeitetes Land, darunter die in dieser Studie im Vordergrund stehende zeitlich begrenzte Pacht zu einem festen Preis (Festpacht, Geldpacht in Abgrenzung zu Teilpacht) . Innerhalb Deutschlands war allerdings Festpacht ungleich verteilt; das Gebiet um den Niederrhein und einige Zonen im nördlichen Westfalen stellten den wichtigsten räumlichen Schwerpunkt dar . Das gegenwärtige Kapitel gibt einen Überblick über die langfristige Entwicklung der Verbreitung dieser Form der Landleihe in Nordrhein-Westfalen und im übrigen Deutschland . Das nächste Kapitel, vor allem Abschnitt 3 .2, geht dann auf die Einbettung der Zeitpacht einerseits in die Bewirtschaftung des Grundbesitzes, andererseits in die weiteren agrarischen Institutionen und ihren Wandel ein . Einen geeigneten Ausgangspunkt zur historischen Beschäftigung mit der Verbreitung von Landpacht in Deutschland bilden die landwirtschaftlichen Betriebszählungen des frühen 20 . Jahrhunderts . Insgesamt waren nach der Betriebsstatistik von 1925 12,4 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche verpachtet . Einen ähnlichen Wert hatten schon die Zählungen von 1882 und 1907 zu Tage gefördert (12,9 beziehungsweise 12,8 %) . Allerdings war Landpacht in den einzelnen Betriebsgrößenklassen von unterschiedlicher Bedeutung; 1907 bestanden von den Betrieben, die 100 ha und mehr Land bewirtschafteten, 26,1 % zu mehr als der Hälfte aus Pachtland . Umgekehrt bestanden in der Größenklasse bis 2 ha 37,8 % und in der Größenklasse 2–5 ha 15,1 % der Betriebe mindestens zur Hälfte aus Pachtland . Kleinbauern, nicht zuletzt auch Industriebauern, waren somit stark vom Zugang zu Pachtland abhängig . Demgegenüber bestanden von den eigentlichen bäuerlichen Betrieben in den Größenklassen zwischen 5 und 100 ha durchwegs weniger als 10 % mindestens zur Hälfte aus Pachtland – dies trotz der Tatsache, dass seit der ersten Betriebszählung von 1882 Landpacht in dieser Gruppe besonders stark an Bedeutung gewonnen hatte .3 In räumlicher Hinsicht entsprach der geringen Bedeutung der Landpacht im ersten Viertel des 20 . Jahrhunderts in Deutschland insgesamt eine ausgeprägte Konzentration auf einige wenige Zonen; nur in wenigen Gebieten betrug dieser Anteil mehr als ein Fünftel (Abbildung 2 .1) .4 Der wichtigste Schwerpunkt lag im Rheinland; hier bestand knapp die Hälfte der Nutzfläche aus Pachtland . Festpacht war weiter in Vorpommern und Mecklenburg relativ stark verbreitet; im Regierungsbezirk Stralsund wurde etwa ein Drittel des Nutzlands in Zeitpacht vergeben . Darüber hinaus kam diese Form der Landvergabe noch im Umland von Berlin, in Mitteldeutschland (südliches Niedersachsen, preußische Provinz Sachsen) sowie in Friesland und Oldenburg vergleichsweise häufig vor . Hier bestand etwa ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche (in Berlin mehr) aus Pachtland . Zeitgenössische Beobachter brachten die Kaiserliches Statistisches Amt: Statistik des deutschen Reichs, NF 5, 12* f . [sic]; Skalweit: Pachtproblem, 8–11; Brandt: Untersuchungen, 569 f .; Huppertz: Räume und Schichten, 96 f . 4 Ergänzend für das Gebiet des deutschen Reichs im Jahr 1925 s . Huppertz: Räume und Schichten, Karte VII . 3

Die Verbreitung von Landpacht

Abbildung 2.1 Verbreitung von Geldpacht in Nordwesteuropa in den 1920er Jahren (Anteil des Pachtlands an der landwirtschaftlichen Nutzfläche) Quelle: Huppertz: Räume und Schichten, Karte IX; vgl. die ebenda in den Fußnoten 35 ff. angeführte Literatur. Legende: Dunkles Muster > 80 %, vertikale Balken 70–80 %, horizontale Balken 60–70 %, gekreuzte Schraffur mit Kreuz 50–60 %, gekreuzte Schraffur 40–50 %, dichte horizontale Schraffur 30–40 %, lose horizontale Schraffur 20–30 %, gebrochene horizontale Linien 10–20 %, weiß < 10 %.

überdurchschnittliche Verbreitung der Pacht in diesen Gebieten in Verbindung mit der Entwicklung der kommerziellen Zuckerrübenproduktion beziehungsweise der Viehwirtschaft; im Hinterland der Nordseeküste verpachteten Bauern zunehmend fette Weiden an städtische Viehmäster .5 Umgekehrt lässt sich sagen, dass im Süden sowie im Osten (mit Ausnahme Mittelschlesiens) Landpacht im frühen 20 .  Jahrhundert eher selten vorkam . Dasselbe gilt für einen Großteil der Mittelgebirge – konkret für die Eifel, den Hunsrück und die linksrheinische Pfalz im Westen sowie für das bergische und westfälische Sauerland, das Quellgebiet der Weser in der Mitte sowie das sächsische Bergland weiter im Osten . Marktferne Lagen, die sich wenig für den Getreidebau, geschweige denn für eine

5

Skalweit: Pachtproblem, 12 f .

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eigentliche Intensivlandwirtschaft, eigneten, boten offenbar keine gute Grundlage für die Entwicklung eines Marktes für die Miete von Boden . Verlagert man die Betrachtung auf die Ebene der Kreise innerhalb des Rheinlands (Abbildung 2 .2), so erweist sich komplementär zum eben Gesagten, dass Landpacht vor allem in der Umgebung urbaner Agglomerationen häufig vorkam . Schwerpunkte waren das jeweilige Umland von Köln und Aachen; weitere Konzentrationen befanden sich um Düsseldorf, Krefeld, Duisburg, Essen und Wuppertal . Die Nähe verdichteter Märkte für Agrargüter scheint im Umland von Städten auch die Entwicklung von Märkten für die Miete von Land befördert zu haben . Weitet man umgekehrt den Blickwinkel aus und bezieht auch die Nachbargebiete Deutschlands im Nordwesten Europas ein (s . nochmals Abbildung 2 .1), so erweisen sich die Gebiete mit relativ starker Verbreitung von Zeitpacht im Rheinland sowie im nordwestlichen Niedersachsen als Randgebiete einer größeren, um den Ärmelkanal angelagerten Zone, in der verbreitet mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus Pachtland bestand . Die Existenz entwickelter Märkte für die Miete von landwirtschaftlichen Nutzflächen war augenscheinlich ein Merkmal von Regionen, die durch eine hohe urbane Verdichtung mit entsprechender Nachfrage nach Agrargütern sowie einen hohen Entwicklungsstand nicht-landwirtschaftlicher Wirtschafts-

Abbildung 2.2 Verbreitung von Geldpacht im Rheinland 1925 (Anteil des Pachtlands an der landwirtschaftlichen Nutzfläche) Quelle: Huppertz: Räume und Schichten, Karte VIII.

Die Verbreitung von Landpacht

zweige geprägt waren . Die weiteren Ausführungen dieses Kapitels werden zeigen, dass dieses Muster eine ausgeprägte, bis ins ausgehende Hochmittelalter zurück reichende historische Persistenz aufweist . Vor der 1882 einsetzenden reichsweiten landwirtschaftlichen Betriebsstatistik befassten sich bereits die preußischen Volkszählungen wenigstens mittelbar mit Pachtverhältnissen . So unterschied diejenige von 1861 zwischen haupt- und nebenberuflichen Landwirten sowie zwischen Eigentümern und Pächtern (Abbildungen 2 .3–2 .6) . Diese Angaben sind nicht direkt mit dem bisher betrachteten Anteil des Pachtlands an der Nutzfläche vergleichbar, denn Betriebe, die neben dem eigenen Grundbesitz auch Pachtstücke bewirtschafteten, wurden dabei nicht berücksichtigt . 1907 hatten 47,1 % aller Betriebe, die mindestens ein halbes Hektar umfassten, irgendwelches Land gepachtet, aber nur 17,2 % bestanden ausschließlich aus Pachtland . 1882 wurden reichsweit nur geringfügig kleinere Anteile verzeichnet; für Preußen allein betrugen die Zahlen 45,3 beziehungsweise 20,5 % . Vor diesem Hintergrund ist es frappierend, dass die Pächteranteile 1861 in ganz Preußen viel niedriger ausfielen, nämlich 3,8 % für die hauptberuflichen Landwirte und 7,8 % für die Nebenerwerbslandwirte . Dies kontrastiert nicht zuletzt mit einer allerdings auch von den Zeitgenossen mit Vorbehalten versehenen Aussage, dass bereits 1816 13,1 % der selbständigen Landwirte Zeitpächter waren .6

44%

20% 0% Abbildung 2.3 Anteil der Pächter an den hauptberuflichen Landwirten in den Regierungsbezirken Preußens, 1861 (Skala in Prozent) Quellen: Meitzen: Der Boden IV, 266 f.; Kartengrundlage HGIS Germany auf http://hgisg.i3mainz. hs-mainz.de/intro/hgisg_check.php und http://calvert.hul.harvard.edu:8080/opengeoportal/ (abgerufen am 15.8.2016)

Meitzen: Der Boden IV, 266 f .; Kaiserliches Statistisches Amt: Statistik des deutschen Reichs, NF 5, 8* [sic]; Berghoff-Ising: Entwicklung des landwirtschaftlichen Pachtwesens, 56; Brandt: Untersuchungen, 569 .

6

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25%

0% Abbildung 2.4 Anteil der Pächter an den nebenberuflichen Landwirten in den Regierungsbezirken Preußens, 1861 (Skala in Prozent) Quellen: wie Abbildung 2.3.

53% 40%

20%

0%

Abbildung 2.5 Anteil der Pächter an den hauptberuflichen Landwirten in den Kreisen der Provinzen Rheinland und Westfalen, 1861 (Skala in Prozent)

Quellen: Meitzen: Der Boden IV, 242–261. Kartengrundlage: Max Planck Institute for Demographic Research and Chair for Geodesy and Geoinformatics, University of Rostock 2011: MPIDR Population History GIS Collection.

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69% 60%

Abbildung 2.6 Anteil der Pächter an den nebenberuflichen Landwirten in den Kreisen der Provinzen Rheinland und Westfalen, 1861 (Skala in Prozent)

40%

Quellen: wie Abbildung 2.5.

0%

20%

Zwar muss vor diesem Hintergrund offenbleiben, ob sich Landpacht in den 1860er und 1870er Jahren in Preußen stark verbreitete, oder ob die Berufszählung von 1861 die Häufigkeit von Pachtverhältnissen unterschätzte . Trifft man die Annahme, dass eventuelle Fehler im Raum zufällig verteilt sind, so lässt sich aber auch mit diesen Informationen wenigstens ein grober Eindruck der Verbreitung von Pachtverhältnissen gewinnen . Regierungsbezirke, in denen Pächter mehr als 5 % der hauptberuflichen Landwirte ausmachten, lagen zum einen in Pommern und im angrenzenden Westpreußen (Danzig), wobei Stralsund mit 44,1 % mit Abstand den höchsten Pächteranteil aufwies, zum andern im Umkreis von Berlin sowie drittens im Westen, vor allem im nordwestlichen Westfalen (Münster) sowie am nördlichen Niederrhein (Düsseldorf, Köln, Aachen; Abbildung 2 .3) . Betrachtet man die räumliche Verteilung der Pächteranteile unter den Nebenerwerbslandwirten (Abbildung  2 .4), so zeigt sich noch ein etwas stärkeres Gewicht des Westens: Anteile über 10 % wiesen die Regierungsbezirke Minden, Münster, Düsseldorf und Köln sowie Stralsund auf . Der hohe Anteil im Regierungsbezirk Minden (22,1 %) hängt wenigstens zum Teil damit zusammen, dass die hier sehr zahlreichen Heuerlinge in einigen Kreisen als Kleinpächter registriert wurden . Heuerlinge waren Einlieger in einem Bauernhof, erhielten von diesem ein kleines Stück Pachtland und bezahlten dafür teilweise mit Arbeitsleistungen auf dem Bauernhof . In unserer Studie beachten wir diese Institution nicht weiter, wobei keineswegs

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ausgeschlossen ist, dass unter den Pächtern insbesondere des ostwestfälischen Gutes Benkhausen sich auch Heuerlinge von Bauern befanden .7 Die Unterschiede in der räumlichen Verteilung der Pächteranteile zwischen hauptberuflichen und Nebenerwerbslandwirten lassen sich noch etwas anders beleuchten, indem man die Anzahl der Pächter nicht auf die Zahl der Landwirte, sondern auf die Nutzfläche in den jeweiligen Regierungsbezirken bezieht . Bei dieser Betrachtung ragt Stralsund deutlich aus den ostelbischen Bezirken heraus, rangiert aber deutlich hinter den Regierungsbezirken Münster, Düsseldorf, Köln und Aachen, sowie bezüglich der Dichte der Pächter unter den Nebenerwerbslandwirten auch nach Minden .8 Gleichzeitig war natürlich im Westen auch die Dichte an Landwirten pro Flächeneinheit höher als im Osten; Betriebsflächen waren dort vergleichsweise kleiner . Pachtverhältnisse waren somit vor allem in Gebieten verbreitet, in denen der Boden aufgrund einer hohen Bevölkerungsdichte und einer hohen Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln seitens einer gewerblichen Bevölkerung besonders intensiv bewirtschaftet wurde . Dieser Schluss erweist sich nicht zuletzt aus der schwach positiven Korrelation zwischen den Pächteranteilen und dem steuerbaren Reinertrag pro Flächeneinheit auf der Ebene der Regierungsbezirke . Der Reinertrag kann dabei als Indikator für die Produktivität der regionalen Landwirtschaft interpretiert werden . Für die hauptberuflichen Landwirte beträgt die Pearson-Korrelation r = 0,21, für die Nebenerwerbslandwirte r = 0,33 . Gleichzeitig weiß man, dass die Höhe des steuerbaren Reinertrags pro Flächeneinheit in dieser Zeit in erster Linie durch den Zugang einer Region zu Märkten mit hoher Nachfrage nach Agrarprodukten geprägt war .9 Die Verbreitung von Zeitpacht widerspiegelte somit zum Teil den Grad der Kommerzialisierung und Intensität der regionalen Landwirtschaft . Daneben legt die deutliche Abweichung der Werte einzelner Regierungsbezirke vom Zusammenhang zwischen Reinertrag und Pächteranteil aber auch die Relevanz institutioneller Faktoren nahe: In der Provinz Sachsen, besonders im Regierungsbezirk Merseburg, wies die Landwirtschaft eine hohe Produktivität auf, aber Pacht war hier eher wenig verbreitet . Im Regierungsbezirk Münster, wo die Pächteranteile hoch lagen, war der Steuerreinertrag in den frühen 1860er Jahren dagegen nur knapp durchschnittlich . Ohne diese beiden Regierungsbezirke betragen die Korrelationen zwischen Pächteranteil und steuerbarem Reinertrag r = 0,30 (hauptberufliche Landwirte) beziehungsweise r = 0,50 (Nebenerwerbslandwirte) . Verengt man den Blickwinkel auf die westlichen Provinzen und verlagert die Betrachtungsebene auf die Kreise, so zeigen sich analoge Befunde zu denjenigen für ganz

Meitzen: Der Boden III, 422; Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, Kap .  VII; Schlumbohm: Höfe, Kap . 7 . 8 Meitzen: Der Boden III, 421 . 9 Kopsidis/Wolf: Agricultural Productivity; Steuerreinertrag in Silbergroschen pro Morgen nach Meitzen: Der Boden IV, 120 . 7

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Preußen beziehungsweise zu denjenigen für die 1920er Jahre (Abbildungen 2 .5 und 2 .6) . Greift man Kreise heraus, in denen entweder hauptberufliche und/oder nebenberufliche Pächter wenigstens 20 % der Landwirte ausmachten, so erweist sich das Umland der städtischen Zentren Köln, Duisburg und Aachen, darüber hinaus der untere Niederrhein (Neuss, Krefeld, Kempen, Mörs, Geldern, Rees und Kleve) sowie das Gebiet um den Unterlauf der Wupper als Schwerpunkte der Landpacht . In Westfalen kam Pacht – abgesehen von der Konzentration um Paderborn – vor allem nördlich der Lippe vor, mit Schwerpunkten um Bielefeld, im Kreis Lübbecke (bei Minden), in Tecklenburg sowie im Münsterland . Bezogen auf die hauptberuflichen Landwirte war der Pächteranteil im Westmünsterland am höchsten (Anteile um 40–45 %), und in Richtung Südosten nahm die Pächterdichte stetig ab . Unter den nebenberuflichen Landwirten fanden sich die höchsten Pächteranteile in einigen Kreisen um das ostwestfälische Bergland (Lübekke, Paderborn, Tecklenburg), was wieder mit der Verbreitung des Heuerlingswesens in diesem Gebiet und der Erfassung von Heuerlingen als Kleinpächter in Verbindung zu sehen ist . Allerdings fällt auf, dass im zentralen und südlichen Münsterland, wo das Heuerlingswesen unbekannt war, die Nebenerwerbslandwirte ebenfalls beachtliche Anteile an Pächtern aufwiesen (ca . 20 %) . Dies legt nahe, dass hier Kleinstellen relativ oft auf der Grundlage von Pacht errichtet wurden . Sowohl im Rheinland als auch in Westfalen war Landpacht in den südlichen, meist gebirgigen oder durch Hochflächen geprägten Zonen selten . Im Rheinland bestand überdies ein Zusammenhang zwischen dem Pächteranteil und dem steuerbaren Reinertrag der Landwirtschaft; für die hauptberuflichen Landwirte betrug er r = 0,45, für die Nebenerwerbslandwirte r = 0,51 . Wiederum zeigt sich, dass die Ferne zu städtischen Märkten mit konzentrierter Nachfrage nach Agrarprodukten und die geringe Eignung für eine intensive Landwirtschaft (mit Ausnahme der Weinbaugebiete im Moseltal) offenbar der Verbreitung von Festpacht nicht förderlich waren . Allerdings fehlte in Westfalen ein statistischer Zusammenhang zwischen dem Pächteranteil und dem steuerbaren Reinertrag der Landwirtschaft . Konkret konzentrierten sich die Pächter in relativ ertragsschwachen Gebieten im nördlichen Teil der Provinz, während in der fruchtbaren Hellweger Börde Pacht selten war . In Westfalen scheinen institutionelle über wirtschaftliche Faktoren bei der Verbreitung der Landpacht dominiert zu haben . Insgesamt ist eine hohe Kontinuität hinsichtlich der räumlichen Muster der Verbreitung von Landpacht zwischen den frühen 1860er und den 1920er Jahren, d . h . über die in der Ära des Kaiserreichs erfolgten institutionellen, wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche hinweg, zu beobachten . Eine gewisse Ausnahme stellt höchstens Mitteldeutschland, vor allem die preußische Provinz Sachsen, dar . Hier war Pacht 1861 augenscheinlich noch wenig, 1925 dann ziemlich stark verbreitet . Dies dürfte damit zusammenhängen, dass sich der kommerzielle Anbau von Zuckerrüben, der als wichtiger Grund für die Verbreitung der Pacht in diesem Gebiet angesehen wurde, erst in der Ära des Kaiserreichs entwickelte .

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Interessiert man sich für die Zeit vor 1860, ist man auf die regionale agrarhistorische Forschung verwiesen . In Norddeutschland verbreitete sich Landpacht vor allem im Zuge institutioneller Veränderungen der Gutswirtschaft, die um die Mitte des 18 . Jahrhunderts einsetzten und gegen 1800 an Dynamik gewannen . Besonders ausgeprägt war diese Entwicklung um Stralsund und auf Rügen im damaligen Schwedisch Pommern sowie im östlichen Holstein . Die günstige Agrarkonjunktur bewog die Gutsbesitzer, vom Teilbetrieb auf der Grundlage der Fronarbeit von gutsabhängigen Bauern zur Eigenwirtschaft auf der Basis von Lohnarbeitskräften überzugehen . Parallel zur Ablösung der Hofdienste wurden dabei vielfach die bisherigen Bauernhufen in Zeitpachtbetriebe umgewandelt . In Holstein ging dieser Umstellung meist eine Verkoppelung der Flur voraus . Zusammen mit dem Wegfallen der Fronarbeit erlaubte sie eine Effektivierung der bäuerlichen Betriebsführung, so dass die Bauern vergleichsweise hohe Pachtzinsen zu leisten im Stande waren . Auf Seiten der Güter trug das Einkommen aus Landpacht dazu bei, die Liquidität für die Bezahlung von Lohnarbeitskräften zu gewährleisten . Allerdings blieb die Leibeigenschaft zunächst bestehen, und durch geringfügige Arbeitsdienste sowie die gutsherrliche Kontrolle der Betriebsführung blieben die Zeitpächter weiter in die Gutsherrschaft eingebettet . Erst im Zug des Reichssiedlungsgesetzes von 1919 wurden die ostholsteinischen Pächter reguliert und mit Eigentum ausgestattet, was die geringe Verbreitung von Landpacht in der Betriebszählung von 1925 erklärt .10 Auch in Schwedisch Pommern erfolgte die Verbreitung der Zeitpacht im späten 18 .  Jahrhundert teilweise im Zusammenhang mit der Ablösung der Hofdienste und der Ausweitung der gutsherrlichen Eigenwirtschaft . Im Unterschied zu Holstein ging damit aber seltener eine Umstellung des Nutzungssystems einher; Verkoppelungen erfolgten erst im 19 . Jahrhundert . Auch standen bei der Einführung der Zeitpacht oft rein finanzielle Motive im Vordergrund: Güter wurden zunehmend meistbietend verpachtet; ob ein Rendant oder die Bauern als Pachtnehmer auftraten, war sowohl körperschaftlichen als auch privaten Besitzern zunächst vielfach gleichgültig . Auf diesem Weg kam es zum bis in die Mitte des 19 . Jahrhunderts verbreiteten Arrangement, dass ganze Dörfer ihr Land kollektiv selber pachteten . Schließlich kam es in Schwedisch Pommern stärker als in Holstein im Zusammenhang mit der Aufgabe der Hofdienste und der Ausweitung der Eigenwirtschaft der Gutsbetriebe auch zu einem Legen der Bauernstellen .11 Weiter spielte zudem Festpacht in Teilen von Brandenburg zeitweise eine bedeutsame Rolle . Nach den enormen Bevölkerungsverlusten und der starken Zerstörung des landwirtschaftlichen Kapitalstocks im Zuge des Dreißigjährigen Kriegs stellte in der Uckermark neben dem auf Lohnarbeitskräfte gestützten Ausbau der gutswirt10 Cord: Strukturwandel, Kap . 2–4, S . 248–255; zum weiteren Zusammenhang s . auch Rasmussen: Innovative Feudalism . 11 Meitzen: Der Boden I, 506 f .; Fuchs: Untergang des Bauernstandes, 132–173 .

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schaftlichen Eigenbetriebe und der konsequenten Ausnützung von Leibeigenschaft die Abgabe wüst liegender Höfe in Zeitpacht an persönlich Freie ein wichtiges Mittel des Wiederaufbaus dar . Pachtverträge waren mit einer Dauer von drei bis sechs Jahren auf kurze Fristen ausgelegt, wurden aber meist stillschweigend verlängert; oft wurde das Pachtgeld durch einige Dienstpflichten, besonders in Gestalt von Getreidefuhren nach Berlin, ergänzt . Viele erfolgreiche Pächter scheinen aber in der Agrarkonjunktur des 18 . Jahrhunderts ihren Hof käuflich zu erblichem Besitz erworben zu haben . Dies dürfte erklären, weshalb im 19 . Jahrhundert und in den frühen Agrarstatistiken Zeitpacht in Brandenburg wenig verbreitet war .12 Am Niederrhein und in den nordöstlich daran angrenzenden Teilen Westfalens war Zeitpacht schon seit dem Spätmittelalter verbreitet . Damit folgte dieses Gebiet der im 12 . und 13 . Jahrhundert einsetzenden Entwicklung in einer größeren, in Abbildung 2 .1 noch für das frühe 20 . Jahrhundert erkennbaren Zone im Nordwesten des europäischen Kontinents . Die agrarhistorische Forschung zu England, zur nördlichen Hälfte Frankreichs, zu den südlichen Niederlanden (Belgien) und den Vereinigten Provinzen, besonders zu Holland und Seeland, kann sich deshalb spätestens seit dem 15 . Jahrhundert auf eine breite Überlieferung an Pachtverzeichnissen stützen .13 Konkret entstand die zeitlich begrenzte Festpacht am Niederrhein seit dem 12 . Jahrhundert im Zuge des Verfalls der sogenannten Villikationsverfassung sowie im Zusammenhang mit dem danach erfolgten Übergang zur sogenannten Rentengrundherrschaft . Zunächst verringerten im Umkreis von Städten gelegene Grundherrschaften die Eigenwirtschaft auf dem sogenannten Salland oder Fronhof auf den Umfang eines großen Betriebs, der für die Selbstversorgung der Hausgemeinschaft des Herrschaftssitzes erforderlich war . Der Rest des Sallands wurde verpachtet, wobei Zeitpacht zu einem festen Mietpreis nur eines von mehreren möglichen Arrangements darstellte . (Die Einbettung der Zeitpacht in das Gefüge der regionalen Agrarverfassung wird unten in Kapitel 3 .2 behandelt .) In der Folgezeit weiteten sich Pachtverhältnisse teilweise über das ehemalige Salland auf Bauernbetriebe (Hufen) aus, die bisher von Grundholden und Hofhörigen besessen worden waren .14

Harnisch: Herrschaft Boitzenburg, 114–129; Enders: Bauern und Feudalherrschaft, 262 f ., 274–282; weitere Hinweise bei Cord: Strukturwandel, 76 . 13 Zur Institutionengeschichte s . vor allem van Bavel/Schofield: Development of Leasehold . Weiter s . die Beiträge von Béaur, Constant, Garnier, Michel und Pavard in Goy/Le Roy Ladurie (Hg .): Prestations paysannes, Bd . 2; die Beiträge von Wewer sowie der Herausgeber in van der Wee/Cauwenberghe: Productivity of Land . Einzelstudien: Moriceau: Les fermiers; Hoffman: Growth in a Traditional Society; van Zanden: Agricultural Productivity, 362 f .; de Vries/van de Woude: The First Modern Economy, 532–536 . 14 Grundlegend zur Landpacht vor allem im Rheinland Irsigler: Auflösung der Villikationsverfassung; Reinicke: Agrarkonjunktur, 87–172 . An älterer Literatur ist zu erwähnen von Schwerz: Beschreibung II, 5 f .; Bosch: Wirtschaftliche Bedingungen, 54–58, 82–84, 161–170; Aubin: Rheinisches Wirtschaftsleben, 125–30; Steinbach: Rheinische Agrarverhältnisse, 420–422; Huppertz: Räume und Schichten, 102–118; Henn: Zur Lage, 175–177; ders .: Soziale und wirtschaftliche Lage, 245 f . 12

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Über die Entwicklung der Zeitpacht im Verhältnis zu anderen Formen der Landvergabe zwischen Spätmittelalter und 19 . Jahrhundert ist wenig bekannt . Um 1670 bestand im Hochstift Köln offenbar etwa ein Drittel der Steuern unterworfenen Nutzfläche aus Pachtland, und Lokalstudien zu niederrheinischen Dörfern beziehungsweise Besitzkomplexen legen einen starken Bedeutungsgewinn der Zeitpacht im 17 . und 18 . Jahrhundert nahe .15 In den Gebieten um den nördlichen Niederrhein und im Westmünsterland löste zeitlich begrenzte Geldpacht möglicherweise die im Spätmittelalter dominierende Teilpacht ab . Jedenfalls legt dies unsere Fallstudie zur Herrschaft Anholt nahe, wo im mittleren 15 . Jahrhundert Land vor allem in Teilpacht ausgegeben wurde, in der Mitte des 18 . Jahrhunderts Festpacht dagegen die wichtigste Einnahmequelle aus der Landvergabe darstellte (s . unten, Kapitel 3 .5 .1, insbesondere Tabelle 3 .2) . Im Gegensatz zur Zone am Niederrhein und zum westlichen Münsterland wurden in den weiter östlich gelegenen Gebiete nur selten ganze Höfe in Zeitpacht ausgegeben; eine für rheinische Dörfer typische Figur wie der Halfe – Pächter eines großen Betriebs oder auch des gesamten ehemaligen Sallands eines Besitztums, der beziehungsweise das ursprünglich in Halbpacht ausgegeben worden war – fehlte in Westfalen .16 Bis zum 17 . Jahrhundert scheint deshalb zeitlich begrenzte Geldpacht hier von eher untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein . Zwar wird sie sowohl im Lagerbuch des Vests Recklinghausen von 1660 als auch im Bördekataster von 1685, das die Grundbesitzverhältnisse im Umland von Soest dokumentiert, erwähnt, aber das Lagerbuch des Vests Recklinghausen macht zugleich deutlich, dass diese Form der Landvergabe noch relativ selten war . Zum selben Schluss führt der Befund, dass das Rittergut Harkotten (Sassenberg, nördlich von Warendorf) 1682 12,9 % seiner Einnahmen aus Verpachtung erzielte .17 Drei Vorgänge bewirkten in der Zone zwischen Recklinghausen und dem zentralen Münsterland einerseits und dem im Grenzgebiet zwischen Westfalen und dem westlichen Niedersachsen gelegenen Weserraum bis zum 19 . Jahrhundert andererseits einen langfristigen Bedeutungsgewinn der Festpacht . Erstens wurde auch außerhalb des Sallands – hier als Hovesat bezeichnet18 – Land überwiegend parzellenweise verpachtet . Ähnlich wie in Brandenburg nach dem Dreißigjährigen Krieg erfolgte dies besonders in Fällen, in denen einer Grundherrschaft gehörende Höfe wüst lagen, d . h .

Quantitative Angaben für die Zeit bis zum späten 16 . Jahrhundert bei Reinicke: Agrarkonjunktur, 117– 124; für die Zeit danach Steinbach: Rheinische Agrarverhältnisse, 421; Feinendegen: Der niederrheinische Adel, 85–89; Dohms: Lobberich, 90–92; zusammenfassend Henn: Soziale und wirtschaftliche Lage, 245 . 16 Irsigler: Auflösung der Villikationsverfassung, 295 f .; zu den Verhältnissen im 17 . und 18 . Jahrhundert vgl . exemplarisch Gersmann/Langbrandter: Adelige Lebenswelten, 107–113 . Auch auf hessischen Besitztümern wurde das Eigengut bis mindestens um 1800 überwiegend im Ganzen verpachtet; Wunder: Adel im Hessen des 18 . Jahrhunderts, 188–191 . 17 Klessing: Beiträge, 10 f .; Koske: Bördekataster, 617 f .; Burghardt: Vestisches Lagerbuch, 293–348, insbes . 226–231 . 18 Schütte: Wörter und Sachen, 319 . 15

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nicht durch einen Grundholden (Hofbauern) und Leibeigenen (beziehungsweise Eigenbehörigen) besetzt werden konnten .19 Zweitens entwickelten sich Kleinstellen oftmals auf der Basis von Pachtland .20 Dies sparte Kapitalkosten für die Errichtung eines landwirtschaftlichen Betriebs und stellte somit für Großgrundbesitzer ein Mittel dar, um Arbeitskräfte an den Ort zu binden . Die beiden genannten Vorgänge hatten zur Folge, dass Rittergüter auf der Grundlage von Zeitpacht außerhalb grundherrschaftlicher Beziehungen Verfügungsrechte an ehemaligem Bauernland ausübten, die zudem im Vergleich zu grundherrschaftlichen Abgaben deutlich ertragreicher waren . Umgekehrt bedeutet dies, dass im Vergleich etwa zu Hessen, wo noch am Ende des 18 . Jahrhunderts etwa 70 % der Einnahmen eines Ritterguts aus dem adeligen Eigengut (dem ehemaligen Salland) stammten, im Untersuchungsraum andere mit Verfügungsrechten über Land in Zusammenhang stehende Einkommensquellen von deutlich größerer Bedeutung waren .21 Drittens ist auf die Folgen der Landreformen im 19 . Jahrhundert zu verweisen . Zwar hatten diese keine erkennbaren direkten Auswirkungen auf die Ausgestaltung von Pachtverträgen . Pachtland war nicht mit Grundlasten wie z . B . Diensten belastet, und in der Regel wurden auch keine Zehnten auf Pachtland erhoben (s . unten, Kapitel 4 .3, 7 .4) . Wenigstens zwei indirekte Folgen sind aber denkbar: Einerseits konnten Pachthöfe Nutzungsrechte an den Gemeinheiten besitzen, so dass sie von deren Teilung und Privatisierung profitierten . Ebenso ist es möglich, dass etwaige Produktivitätsgewinne infolge von Gemeinheitsteilungen  – zum Beispiel als Folge besserer Düngung aufgrund der vermehrten Produktion von Futter auf ehemaligen Gemeinheiten – durch die Pachtzinsen abgeschöpft wurden . Andererseits stellte für die ehemaligen Grundherren die Anlage der eingehenden Ablösegelder in Land, das pachtweise ausgegeben wurde, eines unter mehreren Mitteln dar, den Wegfall von Feudalabgaben zu kompensieren . Die späteren Teile dieser Studie werden beide möglichen Entwicklungen in Betracht ziehen . Die zur Verbreitung von zeitlich gebundener Festpacht verfügbaren Informationen für die Zeit zwischen dem Ende des Mittelalters und etwa 1860 beruhen in erster Linie auf Dorfstudien, Untersuchungen zu einzelnen Adelsgütern und auf Verzeichnissen der Ansprüche meist weltlicher Landbesitzer an die ländliche Bevölkerung . Zwei Institutionen geraten dabei aus dem Blick: weltliche Herrschaften und die Kirche . Auch nach dem Mittelalter waren kirchliche Institutionen wichtige Träger von Verfügungs19 Klessing: Beiträge, 10; Richarz: Herrschaftliche Haushalte, 72, 74; Ilisch: Einkünfte, 41 f .; ähnlich zu Vorderpommern im 17 . Jahrhundert Fuchs: Untergang des Bauernstandes, 98 . 20 Jarren: Hiltruper Höfe, 53 f ., 319–322; Ilisch: Einkünfte, 41 f . erwähnt mehrere Kötter als Halter von Pachtland; vgl . weiter Brakensiek: Agrarreform, 146–148 . Im Seelenstandsregister von Lippborg (1750) werden fünf von 78 ansonsten meist als Kolonen (Erbpächter) bezeichneten Bauern als Pächter benannt . Dass ihre Haushalte deutlich kleiner waren als diejenigen von Kolonen, legt nahe, dass es sich um Kleinstellen handelte; s . unten, Kapitel 3 .5 .2, insbesondere Tabelle 3 .4 . 21 Wunder: Adel im Hessen des 18 . Jahrhunderts, 205; vgl . unten Kapitel 3 .2, 3 .5 .1 .

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rechten über Land . Wieweit sie Land in Zeitpacht vergaben, ist aber bislang kaum untersucht worden, und auch die gegenwärtige Studie trägt nicht zur Aufklärung dieser Frage bei . Insbesondere ist offen, wieweit das um 1300 geltende päpstliche Verbot der Verpachtung geistlichen Landes gegen Zins in der Folgezeit beachtet wurde . Am Ende der Frühen Neuzeit wurde aber das im Eigentum von Kirchengemeinden befindliche Land sowohl in katholischen als auch evangelischen Gebieten oft in Zeitpacht vergeben, und zwar nicht nur im Rheinland und in Westfalen, sondern auch in anderen Gebieten, wo diese Form der Landvergabe ansonsten wenig verbreitet war .22 Schließlich waren auch herrschaftliche Domänen wichtige Grundbesitzer . 1882 machten in Preußen die Staatsdomänen immerhin 1,2 % der Nutzfläche aus; angesichts der Stabilität ihres Umfangs wenigstens seit 1849 dürfte sich dieser Anteil im 19 . Jahrhundert wenig verändert haben .23 In den ostelbischen Gebieten des Königreichs Preußen wurden die einzelnen Staatsdomänen ab 1717–1730 in der Regel jeweils gesamthaft, d . h . mit allen Besitzrechten, Polizei- und Jurisdiktionsbefugnissen und Nebenbetrieben, an einen bürgerlichen Generalpächter auf Zeit verpachtet .24 In den westlichen Territorien der Monarchie verwalteten dagegen die Kriegs- und Domänenkammern den Staatsbesitz weiterhin noch selber, und dabei griffen sie auch auf Zeitpacht zurück . In der Grafschaft Mark bewirtschafteten zu Beginn des 19 . Jahrhunderts neun landesherrliche Renteien zwei Vorwerke (betrieben somit nur eine kleine Eigenwirtschaft) und hatten 141 Höfe in Zeitpacht sowie 78 Höfe in Erbpacht ausgegeben . 67 Erbpachthöfe lagen allerdings in den südlichen, gebirgigen Zonen; gleichzeitig wurden dort nur 14 Höfe in Zeitpacht verliehen . Dieses Ergebnis bestätigt das für spätere Zeitpunkte gefundene Muster, dass zeitlich gebundene Festpacht im Mittelgebirge selten war und sich vor allem in für eine intensive Landwirtschaft geeigneten Tiefländern entwickelte . Allerdings scheint sich diese Tendenz zur Landvergabe in Festpacht erst im Verlauf des 18 . Jahrhunderts eingestellt zu haben . Die systematische Verpachtung ganzer Höfe kontrastiert überdies mit der weiter nördlich angetroffenen Tendenz, vor allem einzelne Parzellen zu verpachten .25 Es zeigt sich somit, dass zwar in Deutschland bis zur Mitte des 20 .  Jahrhunderts zeitlich befristete Geldpacht vergleichsweise wenig verbreitet war . Demgegenüber erlangte Festpacht in einer Großregion um den Ärmelkanal, die früh durch urbane Verdichtungsräume und eine kommerzielle Landwirtschaft geprägt war, bereits seit

22 Reinicke: Agrarkonjunktur, 117 f .; Holzem: Religion und Lebensformen, 263; detaillierte Fallstudie zu einem Dorf im nördlichen Hessen in Ebert et al .: Schwebda, 137–161 . 23 Anteil auf der Basis von Statistik des deutschen Reichs, NF 5, 55 sowie Berghoff-Ising: landwirtschaftliches Pachtwesen, 73 . Zum Umfang der Domänen s . Riemann: Preußische Domänenpolitik, Anlage 1 . 24 Müller: Domänen und Domänenpächter, 153; Für die Folgezeit Riemann: Preußische Domänenpolitik . 25 Meitzen: Der Boden III, 419; Bosch: Wirtschaftliche Bedingungen, 163; Reininghaus/Kloosterhuis: Taschenbuch Romberg, 120; Ditté: Preußische Verwaltung, 147–240 . Seit 1825 durften die Regierungen die Domänen nicht mehr selber verwalten, sondern mussten sie verpachten; Berghoff-Ising: Landwirtschaftliches Pachtwesen, 68 .

Die Verbreitung von Landpacht

dem Spätmittelalter wachsende Bedeutung . Das Gebiet um den Niederrhein und das nördliche Westfalen stellen Randgebiete dieser Zone dar, und entsprechend existierte hier Zeitpacht kontinuierlich vom Spätmittelalter bis ins 20 . Jahrhundert . Die gegenwärtige Studie nutzt diesen Sachverhalt für eine Untersuchung der langfristigen Entwicklung von Pachtverhältnissen .

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Kapitel 3 Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Das vorangehende Kapitel  hat gezeigt, dass sich Zeitpacht um Geld im nördlichen Rheinland und – wenn auch weniger ausgeprägt – in Westfalen im Vergleich mit anderen Gebieten Deutschlands besonders früh und stark entwickelt hat . Zur Analyse von Pachtverhältnissen untersucht deshalb die gegenwärtige Studie das Verwaltungsschriftgut von fünf adeligen Besitztümern aus dem Raum zwischen Rhein und Weser . Maßgeblich für die Auswahl waren die Kriterien der Bearbeitbarkeit vom Standort Münster aus sowie die Datenverfügbarkeit, soweit sie sich mit einer Prüfung der Archivverzeichnisse abschätzen ließ . Die fünf Güter decken mit Nordostwestfalen (Benkhausen), der Paderborner Hochfläche (Wewer), dem nördlichen Rand der

Abbildung 3.1 Übersichtskarte: Die fünf untersuchten Adelsgüter Dünne Linie: Heutige Grenzen von Nordrhein-Westfalen.

Renteien und adeliger Grundbesitz

Soester Börde (Assen), dem Kernmünsterland (Nordkirchen) sowie dem Grenzraum zum niederrheinischen Gebiet (Anholt) sehr unterschiedliche Agrarlandschaften ab (Abbildung 3 .1) . Einzig das gebirgige Hochland im Süden ist nicht vertreten, was den Umstand reflektiert, dass in diesen Gebieten aufgrund der geringen Eignung für intensive Landwirtschaft und wegen der Ferne zu städtischen Märkten Zeitpacht selten vorkam . Im Folgenden wird die Geschichte der Landpacht auf diesen fünf Gütern in den weiteren institutionellen und wirtschaftlichen Kontext Westfalens und des nördlichen Rheinlands eingeordnet . Der erste Abschnitt behandelt die Rentei als Institution, mit welcher der Adel seine Besitzansprüche im ländlichen Raum verwaltete . Die beiden folgenden Abschnitte betten Landpacht in das Gefüge der Beziehungen zwischen Herren und Bauern ein, nicht zuletzt auch in den Wandel ländlicher Institutionen im Zuge der Agrarreformen . Kapitel 3 .4 entfaltet die Grundzüge des wirtschaftlichen Kontextes, dessen zentralen Elemente die erste Agrarmodernisierung und die Entwicklung des Gewerbesektors bilden . Kapitel 3 .5 beinhaltet schließlich kurze Darstellungen der einzelnen Güter, ihrer Besitzgeschichte sowie ihres naturräumlichen, wirtschaftlichen und sozialen Kontextes . 3.1

Renteien und adeliger Grundbesitz (unter Mitarbeit von Friederike Scholten)

Die in dieser Studie untersuchten Akten entstammen Einheiten, welche die Sprache des 18 . und 19 . Jahrhunderts als Rentei bezeichnete . Es handelt sich dabei um Einheiten zur Verwaltung der Einkünfte aus Grundrechten und Bodenbesitz sowie aus personenrechtlichen und herrschaftlichen Ansprüchen . Im privaten Bereich waren sie meist mit einem unterschiedlich repräsentativen Anwesen, einem Haus, einer Burg oder gar einem Schloss verbunden . Diese Einheiten sind gemeint, wenn wir im Folgenden synonym die Begriffe des Ritterguts1, des Adelsguts oder schlicht des Besitzkomplexes oder Besitztums verwenden . Ressourcenansprüche an den ländlichen Raum bildeten vom 16 . zum 19 . Jahrhundert eine wichtige Einkommensquelle des Adels, und umgekehrt stellten jene ein wichtiges Element der sozialen Beziehungen und der wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem Lande dar . Westfalen und das Gebiet in seinem weiteren Umkreis wiesen eine hohe Dichte an ländlichen Adelsgütern auf, was sich in der großen Zahl an Burgen und Schlössern in der heute vorfindlichen historischen Bausubstanz niederschlägt .2 1 Aus rechtshistorischer Sicht wird dieser Begriff allerdings nur für Besitztümer verwendet, welche die Landstandsfähigkeit des Besitzers begründeten; Handwörterbuch der Rechtsgeschichte 4, Sp . 1075 f . 2 Asch: Europäischer Adel, 52–81, 124–131; Sikora: Adel in der Frühen Neuzeit, 32–41; Reif: Westfälischer Adel, 58–67, 213–240; Linde et al .: Adelsgüter und Domänen; Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft,

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Allerdings waren diese Besitztümer von sehr unterschiedlicher Größe und Beschaffenheit . Die von uns bearbeiteten Güter müssen sich durch eine gute Überlieferung schriftlicher Quellen auszeichnen . Diese setzte ihrerseits eine erhebliche Größe voraus, welche eine entsprechende Ausdifferenzierung der Verwaltungstätigkeit begünstigte . Die fünf untersuchten Besitzkomplexe sind damit keineswegs repräsentativ, was schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass zwei von ihnen durch Bischöfe erworben wurden (Assen, Nordkirchen) und einer das Zentrum einer kleinen reichsunmittelbaren Herrschaft darstellte (Anholt) . Es gab viele kleinere Güter, deren Besitz eher Status und Prestige – nicht zuletzt die Landstandsfähigkeit – gewährte als ein umfangreiches Einkommen . Entsprechend war es hier nicht erforderlich, eine Rentei zu errichten und geordnete Verwaltungsakten anzulegen .3 Die Verfügung über ein ländliches Besitztum war Teil einer ständisch gebundenen Lebensführung der Elite; zum Agrarkapitalisten wurde der Adelige dadurch nicht . Erstens war die Alltagsgestaltung von männlichen Angehörigen der Oberschicht in der Neuzeit bis ins 19 .  Jahrhundert durch Pluriaktivität gekennzeichnet; Dienst am Hof und in der entstehenden staatlichen Verwaltung, je nachdem die Offizierslaufbahn, erforderten Entwicklung und Pflege von mehreren unterschiedlichen Kompetenzen . Gerade im Rheinland und in Westfalen konnten im Hinblick auf die Streuung des Einkommensrisikos auch Engagements in Bergbau und Gewerbe dazu kommen . Mit der Entwicklung der höfischen Gesellschaft und der wissenschaftlichen Revolution wurden seit dem 17 . Jahrhundert zusätzlich ästhetischer Genuss und intellektuelle Fähigkeiten statusbildend . All dies bildete aber nur jeweils ein Element in einer umfassenden Lebensteilhabe, in der die Spezialisierung auf eine bestimmte Aktivität mit spezifischen Kompetenzerfordernissen geringen Wert besaß . Auch im 19 . Jahrhundert, als sich die Betätigungsfelder der Elite zunehmend zu spezialisierten, teilweise professionalisierten Tätigkeiten ausdifferenzierten, entwickelte sich nur begrenzt ein adeliges Berufsleben .4

185–187; zum Verhältnis zwischen landwirtschaftlichem und nicht-landwirtschaftlichem Einkommen von Adeligen s . auch Schattkowsky: Zwischen Rittergut, Residenz und Reich, 69–96; weitere wichtige Fallstudien zu grundherrschaftlichen Räumen sind unter anderen Brunner: Adeliges Landleben, 40–51; Bei der Wieden: Außenwelt, 208–236; Wunder: Adel im Hessen des 18 . Jahrhunderts, 96–99 . 3 Als Beispiel eines kleinen Ritterguts, das neben der Eigenwirtschaft praktisch über keine abhängigen Bauern verfügte, s . Linde: Rittergut Gröpperhof . 4 Endres: Die wirtschaftlichen Grundlagen; Demel: Der europäische Adel, 422–424; Asch: Europäischer Adel, Kap . 4 und 6; Sikora: Adel in der Frühen Neuzeit, Kap . II; Frie: Regionale Adelsforschung, 24; Bratvogel: Berufsbilder, 148; Wunder: Adel im Hessen des 18 .  Jahrhunderts, 179, 185 f . Rheinische und westfälische Beispiele, die neben dem Güterbesitz montanindustrielle Aktivitäten, Mitgliedschaften in Domkapiteln und Dienste bei auswärtigen Fürsten einschlossen, unter anderen bei Richtering: Christian Franz Dietrich von Fürstenberg; Reininghaus: Wirtschaftliches Handeln; Böth: Johann Ignaz Franz Maria von Landsberg-Velen; Schulz: Adel der Grafschaft Mark, 146–153; ders .: Adeliges Wirtschaften; zur Selbstwahrnehmung des Adels im späten 19 . Jahrhundert Keinemann: Vom Krummstab, 352–363; Gersmann/Langbrandter: Adelige Lebenswelten, 101–107 .

Renteien und adeliger Grundbesitz

Zweitens ging der adelige Alltag mit einer großen geographischen Mobilität einher . Dies schlug sich darin nieder, dass beispielsweise in der Grafschaft Mark um 1800 nur 45 % der Besitzer eines Ritterguts auch dort lebten .5 Die häufige Abwesenheit hatte mehrere Gründe: Die erwähnten Aufgaben an einem Hof und in der Verwaltung, die Wahrnehmung ständischer Rechte sowie das Ausüben von unterschiedlich lukrativen Ehrenämtern – in Westfalen stellten besonders die Domkapitel wichtige Adelspfründen dar – erforderten die Anwesenheit an Machtzentren und häufige Reisen zwischen ihnen . Neben den Rittergütern unterhielten deshalb viele Adelsfamilien nach Möglichkeit auch städtische Wohnsitze, die sich zu einem Schwerpunkt des gesellschaftlichen Lebens entwickeln konnten . Außerdem waren Adelsfamilien häufig Eigentümer von mehr als einem Rittergut . Im Rheinland besaß um 1820 eine Adelsfamilie durchschnittlich 3,0 Güter in der Provinz (Besitz anderswo ließ sich nicht berücksichtigen), und nur ein Achtel (12,6 %) aller Rittergüter stellten den einzigen Besitz einer Familie dar . In der Grafschaft Mark besaßen Adelsfamilien um 1800 zwar im Mittel nur 1,9 Güter, was aber wenigstens zum Teil mit der geringen Größe des Territoriums zusammen hing; im Mittel besaßen die Familien zusätzlich 1,3 Güter in anderen Gebieten . Wahrscheinlich war die um 1800 erkennbare Kumulation von Rittergütern Ergebnis einer langfristigen Verringerung der Zahl an Adelsfamilien, die ihrerseits auf die Kombination der sozialen Abschließung nach unten mit dem (auch durch demographischen Zufall möglichen) Aussterben von als männliche Abstammungsgruppen definierten Familien zurück ging . Immerhin erweiterte der Besitz mehrerer Rittergüter den Spielraum von Familienstrategien, denn er ermöglichte die gleichwertige Ausstattung mehrerer männlicher Nachkommen; auch weitere, nicht zuletzt konfliktive Familiensituationen ließen sich mit Hilfe des Besitzes mehrerer Anwesen bewältigen . Zusammen genommen führten geographische Mobilität, häufiger Aufenthalt in städtischen Zentren und Mehrfachbesitz dazu, dass Rittergüter von ihren Eigentümern wenigstes bis zum frühen 19 . Jahrhundert überwiegend nicht kontinuierlich bewohnt, sondern vielmehr aus der Ferne verwaltet wurden .6 Drittens war es zwar nicht für alle, aber doch für viele adelige Besitzer lange offenbar allenfalls begrenzt erstrebenswert, ein Rittergut selber systematisch, insbesondere gewinnbringend zu bewirtschaften . Zum einen zielte der vom überwiegenden Teil der Mitglieder des Adels gepflegte Wirtschaftsstil primär auf die Gewährleistung einer standesspezifischen Lebensführung, so dass die Betriebsführung nicht am Erwirtschaften eines Gewinns orientiert war . Zum anderen verfügten einschlägige RatEigene Auswertung von Reininghaus/Kloosterhuis: Taschenbuch Romberg, 87–95 . Weidner: Landadel in Münster; Kumulation von Güterbesitz: eigene Auswertungen von Reininghaus/ Kloosterhuis: Taschenbuch Romberg, 87–95; Weitz: Preußische Rheinprovinz, 347–354; zur demographischen Entwicklung des Adels Reif: Westfälischer Adel, 46–58; Beispiele zu den von uns untersuchten Besitztümern s . unten, Kapitel 3 .5; weiter Linnemann: Ein Gut, 38–43, sowie die in Anm . 4 genannten Beispiele westfälischer Biographien . – Eine deutlich stärkere Bindung an den Landsitz sieht für Hessen Wunder: Adel im Hessen des 18 . Jahrhunderts, 99 f ., 151 f . Meist besaß eine Familie auch nur ein Gut; ebenda, 118 .

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

geber in der Form der sogenannten Hausväterliteratur wahrscheinlich über geringe praktische Relevanz . Auffällig in dieser Hinsicht ist die Rezeptionsgeschichte der „Vier Bücher über die Landwirtschaft“, die der rheinische Humanist Konrad Heresbach in lateinischer Sprache 1570 publizierte: Während das Werk bis 1631 zehn englische Auflagen erfuhr, wurde es in Deutschland vor dem 19 . Jahrhundert kaum wahrgenommen .7 Erst das Wegfallen der grundherrlichen Ansprüche an Bauern und Land sowie von weiteren Einkommensquellen, die an Herrschaftsrechte und kirchliche Pfründen gebunden waren, im Zuge der Mediatisierung kleinerer Herrschaftsgebilde im frühen 19 . Jahrhundert begünstigte die verbreitete Aufnahme eines systematischen Gelderwerbs durch den Adel . Dabei entwickelte sich die Land- und Forstwirtschaft zu einem bevorzugten Betätigungsfeld, zumal das nun vermehrt aufmerksam gepflegte repräsentative Haus als Mittelpunkt eines ländlichen Besitztums zu einer wichtigen Quelle adeliger Identität in der nachständischen Zeit wurde .8 Angesichts der unregelmäßigen Präsenz vor Ort stützten sich die Besitzer bei der Pflege und Nutzung ihrer Güter auf Hilfspersonal . Eine zentrale Stellung nahm dabei der Rentmeister ein; wir dürfen diese Funktionsträger als überwiegende Autoren der von uns untersuchten Akten ansehen . Der Rentmeister beaufsichtigte den Eingang bäuerlicher Leistungen und führte darüber Buch . Im Zusammenhang damit scheint er wenigstens auf einem Teil der Güter auch die grundherrlichen Rechte im Hofgericht ausgeübt zu haben (Anholt); überdies nahm er auswärtige Gerichtstermine wahr, welche die Rechte des Ritterguts betrafen . Weiter leitete er die Eigenwirtschaft des Besitzes, wobei er sich hierbei manchmal auf die Hilfe eines Angestellten stützen konnte, dessen Stellung derjenigen eines mittelalterlichen Meiers ähnelte . Schließlich verwaltete der Rentmeister die Ausgaben, wozu die Aufsicht über den Haushalt des Anwesens, unter Einschluss der Beschäftigungsverhältnisse mit den Dienstboten, gehörte .9 Rentmeister gehörten nicht dem Adel an . Vereinzelt kann die Tätigkeit mehrerer Generationen einer Familie beziehungsweise von Verschwägerten auf demselben Besitztum nachgewiesen werden, was auf eine frühe Herausbildung einschlägiger Verwaltungskompetenz hindeutet . Gelegentlich konnte sich ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Rentmeistern und auf dem Landsitz lebenden Besitzern herausbilden, was

Allgemein Brunner: 236–245, 300 f .; ders .: Das „Ganze Haus“, 104 f .; Von der Wieden: Außenwelt, 221, 226 f .; Grillmeyer: Der Adel und sein Haus, 359, insbes . Anm . 13; zu Heresbach Irsigler: Konrad Heresbach, 106–109; zur Abwägung zwischen Güterbewirtschaftung und politischer Karriere in einem Ego-Dokument des frühen 18 . Jahrhunderts Richtering: Christian Franz Dietrich von Fürstenberg, 34 f . 8 Reif: Westfälischer Adel, 230, 233–236, 310, 375–398; Keinemann: Vom Krummstab, 343–346; allgemein s .  Grillmeyer: Der Adel und sein Haus; Frie: Adelsgeschichte, 407 f .; Bratvogel: Berufsbilder, 138; von Kamp: Adelsleben, Kap . 1, insbes . 54 f .; Tönsmeyer: Adelige Moderne, 54–68 . 9 Tinnefeld: Herrschaft Anholt, 70–74, 78 f .; Gersmann/Langbrandter: Adelige Lebenswelten, 89 f .; Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 190; VWA, Nor .Ak 4133, Observaten-Beantwortung der Rechnung Nordkirchen (1813/14), ad 46, num . 146 . Als Vergleichsfolie hierzu und zum Folgenden s . von Kamp: Adelsleben, 56–64; Tönsmeyer: Adelige Moderne, 75–87 . 7

Renteien und adeliger Grundbesitz

sich zum Beispiel in der Gesellschafterrolle ersterer niederschlug . Waren die Besitzer knapp bei Kasse, schossen die Rentmeister gelegentlich auch Geld vor oder verzichteten eine Weile auf ihr Gehalt . Auf den Gütern der Familie Romberg im Dortmunder Süden und im Westmünsterland ist anhand der Führung der Rechnungsbücher ab der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts eine deutliche Systematisierung der Verwaltung und eine gesteigerte Rechenhaftigkeit der Betriebsführung festgestellt worden; unsere eigene Analyse im nachfolgenden Kapitel deutet in eine ähnliche Richtung . Um die Wende zum 19 . Jahrhundert erfuhren mindestens einzelne Rentmeister Lob als agrartechnische Innovatoren . Dass ab dem frühen 19 . Jahrhundert die Ausbildung als Landwirt bezeugt ist, weist auf eine Tendenz zur Professionalisierung dieser Tätigkeit hin .10 Allerdings ist zu betonen, dass die Funktion des Rentmeisters nur sehr eingeschränkt als delegierte Verwaltung umschrieben werden kann . Anders als in modernen Unternehmen war der Rentmeister keine Führungskraft, die strategische Entscheidungen des Eigentümers in dispositive Handlungen umsetzte . Vielmehr bündelte die Funktion Beauftragungen bezüglich einer Vielzahl von Einzelaufgaben; Rentmeister waren vor allem Instruierte, höchstens beschränkt Bevollmächtigte .11 Die Besitzverwaltung erforderte daher eine dichte Korrespondenz zwischen abwesenden Besitzern und Rentmeistern, denn selbst Entscheidungen über Transaktionen größeren Umfangs und über die Ausgestaltung von (gegebenenfalls auch einzelnen) Pachtverträgen waren an die Zustimmung des Eigentümers gebunden, die im Einzelfall auch verweigert werden konnte . Nur die bessere Information über die Gegebenheiten vor Ort und der direkte Kontakt zu den Ortsansässigen, möglicherweise über die Zeit hinweg auch die zunehmend überlegene Fachkompetenz, verliehen der Meinung des Rentmeisters Gewicht . Die überlieferten Korrespondenzen belegen, dass sich die Besitzer oftmals intensiv um ihr Gut kümmerten; es wäre voreilig, aus der Pluriaktivität und der Mobilität von Adeligen auf ein Desinteresse an ihrem ländlichen Besitztum zu schließen .12 Die Auffächerung betriebswirtschaftlicher Entscheidungen auf ein mit hohen Distanzkosten befrachtetes Kommunikationsfeld zwischen Eigentümer und Rentmeister brachte es allerdings mit sich, dass profitmaximierende Strategien mit hohen Trans-

10 Patel: Adeliges Familienleben, 139–141, 191 f .; Reininghaus: Wirtschaftliches Handeln, 69, 71, 77; ders .: Vorindustrielle Wirtschaft, 187–190; Solterbeck: Blaues Blut, 104–112 . 11 VWA, Nor .Ak 12297, Nr .  102 (1805): „Wir Maximilian Fridrich regierender Reichsgraf zu Plettenberg Mietingen ertheilen hiermit als Herr der Herrlichkeit Nortkirchen im Münsterland unserm Hofrath Levenhagen über die für ihne bestimte Verrichtungen auf gedachter Unserer Herrlichkeit Nordkirchen folgende Instruction: …“; A 13200 Kontrakt zw . dem Grafen von Plettenberg Mietigen und dem Hofrath Levenhagen (8 .7 .1811): „Es werden dem Hofrath Levenhagen nähere Dienstinstructionen, je nachdem man es den Umständen nach nöthig erachtet, successive ertheilt werden, und er soll gehalten seijn, dieselben genau zu befolgen“ . 12 Scholten: Adelige Gutswirtschaft, 66–69; Schattkowsky: Zwischen Rittergut, Residenz und Reich, 184–192 .

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

aktionskosten verbunden waren .13 Vertragsbeziehungen nach außen, insbesondere zu Bauern, blieben deshalb lange einer informellen, traditionsgebundenen Regelung überlassen . So wurden Pachtverträge – der Gegenstand dieser Studie – nur sehr allmählich bezüglich der Dauer spezifiziert und einer regelmäßigen Neuaushandlung unterworfen . Auf einer Rentei, nämlich auf Nordkirchen, können wir im späten 18 . und frühen 19 .  Jahrhundert intensive Bestrebungen feststellen, durch systematische Neuaushandlung von Verträgen die Rentabilität des Besitztums zu steigern . Allerdings erfolgte dies situationsgebunden im Zusammenhang mit einer finanziellen Notlage des Eigentümers, und nachhaltige Erfolge im Sinne einer überdurchschnittlichen Steigerung der Pachtzinsen sind kaum erkennbar (s . unten, Kapitel 4 .5, 5 .6, 8 .4 .2) . Es ist somit nochmals zu bekräftigen, dass der auf den Renteien in Westfalen und im angrenzenden Rheinland vom ausgehenden 16 . bis ins 19 . Jahrhundert praktizierte Wirtschaftsstil aus mehreren Gründen nicht als agrarkapitalistisch gekennzeichnet werden kann . Zwar nutzten die adeligen Besitztümer systematisch Märkte, insbesondere solche für den Handel von Agrargütern und für die Miete von Pachtland . Aber erstens waren marktförmige Beziehungen in ein komplexes Gefüge von durch Macht und Abhängigkeit geprägten Beziehungen eingebettet (s . nachfolgenden Abschnitt) . Zweitens fehlte ein Akteur, der zur Formulierung und Implementierung profitmaximierender Strategien in der Lage gewesen wäre . Die Funktion des Rentmeisters bündelte Beauftragungen in einer Vielzahl von Einzelaufgaben; die Delegation von Entscheidungsbefugnissen war eng begrenzt . Betriebliche Entscheidungen waren dadurch in ein Kommunikationsfeld zwischen Besitzer und Rentmeister eingebettet, das durch hohe Distanzkosten geprägt war . Schließlich war Landbesitz für Adelige bis weit ins 19 . Jahrhundert hinein ein Feld umfassender Lebensteilhabe, so dass seine Verwertung keinen eigenständigen Zweck darstellte . Rittergüter waren in erster Linie ein Mittel zur Gewährleistung eines sicheren Einkommens und der Sicherung von sozialem Status, nicht zur Erzielung eines Gewinns . Betriebswirtschaftliche Entscheidungen unterlagen einer begrenzten Rationalität; nur eingeschränkt waren Rittergüter ein Instrument im Portfolio eines profitmaximierenden Anlegers oder eine Organisation zur Umsetzung einer unternehmerischen Strategie .14

13 Die hohen Transaktionskosten der Verwaltung von Rittergütern spiegeln sich nicht zuletzt in Fällen betrügerischen Verhaltens von Rentmeistern beziehungsweise Verwaltern; Linnemann: Ein Gut, 266, 270– 273 (zwei Betrugsfälle 1707/09 und 1756/57) . 14 Harnisch: Grundherrschaft, insbes . 77, sieht in gutswirtschaftlich geprägten Gebieten ein deutlich systematischeres, planvolleres Wirtschaftshandeln als es hier für eine grundherrschaftlich geprägte Region gezeichnet wird; vgl . auch Schattkowsky: Zwischen Rittergut, Residenz und Reich, 178–184 . Zum Begriff der begrenzten Rationalität s . Gigerenzer/Selten: Adaptive toolbox . Ähnliche Schlüsse wie die gegenwärtige Passage, aber bezogen auf industrielle Unternehmertätigkeit bei Berghoff: Adel und Industriekapitalismus; Schulz: Adeliges Wirtschaften . Weniger gefolgt wird hier Wunder: Adel im Hessen des 18 . Jahrhunderts, 179 f ., 183 f ., 618 f ., der den landsässigen Adeligen als am Modell des homo oeconomicus ausgerichteten Unternehmer sieht, der allerdings in seidenen Fesseln agiert haben soll .

Landpacht, Renteiverwaltung und Grundherrschaft

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Landpacht, Renteiverwaltung und Grundherrschaft

Pachtverhältnisse waren Teil eines Gefüges von agrarischen Institutionen, die in Westfalen und teilweise im angrenzenden Rheinland durch die Rentengrundherrschaft geprägt waren, was sich nicht zuletzt in der Institution der Rentei niederschlug . Dieser Einbettung in ländliche Machtstrukturen und Redistributionsmechanismen waren sich die Zeitgenossen gerade im Zeitalter der Agrarreformen deutlich bewusst; der Rentmeister von Nordkirchen wies 1831/32 darauf hin, „dass […] das Pacht- und Zehntkorn, wenn man auch bei der Annahme mit Strenge verfährt, doch niemals von der erste Güte zu sein pflegt .“ Konkretisiert wurde die hierarchische Beziehung zwischen Rittergütern und Bauern im 18 . Jahrhundert im Zusammenhang mit der Übergabe eines Hofs oder einer Parzelle an einen neuen Bewirtschafter und ergänzend auf den sogenannten Hofsprachen, auf denen einerseits die Abgabepflichten von eigenbehörigen Höfen geprüft wurden, andererseits den Bauern auch Verhaltensmaßregeln und Pflichten eingeschärft wurden .15 Zwar betrieben Rittergüter zur Selbstversorgung eine umfangreiche Haus- und Landwirtschaft, was sich in einem großen Bestand an Handwerkern und Gesinde und einer weniger gut fassbaren Beschäftigung zahlreicher Tagelöhner niederschlug . So arbeiteten 1749/50 selbst bei Abwesenheit ihrer Besitzer auf Nordkirchen 40, auf Haus Crassenstein in Diestedde 19 Personen . Auf dem Hauptsitz der Familie Fürstenberg, Schloss Herdringen, waren 1744 94 Personen angestellt, obwohl der Hausherr eigentlich 30 als ausreichend ansah .16 Den wirtschaftlichen Nerv stellten aber die eigentlichen Renteiverwaltungen dar, die bäuerliche Abgaben und Leistungen regelten, überwachten und einsammelten . Selten waren Besitztümer, die analog zu ostelbischen Rittergütern ihr Einkommen vor allem aus der eigenen Landwirtschaft gewannen, und diese Variante wird in der gegenwärtigen Studie nicht weiter beachtet, zumal sich ja für solche Güter keine Informationen über Zeitpacht gewinnen lassen . Es ist auffällig, dass die beiden gut bekannten Beispiele dieses Typs – der Gröpperhof im Lippischen sowie der Neuhof an der Weser – im späten 16 . Jahrhundert entstanden, als aufgrund des Bevölkerungswachstums die Bodenrente stieg und Arbeitskräfte leicht verfügbar waren (s . unten, Kapitel 8 .1, 8 .4 .3) . Umgekehrt verlor der Neuhof die im Vergleich zur Eigenwirtschaft zunächst bedeutenderen Einnahmen aus grundherrlichen Berechtigungen im frühen 17 . Jahrhundert im Gefolge von Familienkonflikten; nur Zehntansprüche blieben erhalten . Hervorzuheben ist weiter, dass sich zwar der kleine Gröpperhof teil15 Hofsprache Nordkirchen: VWA, Nor .Ak 5107 und 5067 (beide 1716/17); ebenda, Nr . 12068, Verkauf von Korn durch das Rentamt Nordkirchen (1831/1832), Wortlaut zitiert nach Scholten: Adelige Gutswirtschaft, 12; Klessing, Beiträge: 105–113; Jolk: Grundherrschaftliche Anweisungen; Rüffer: Vererbungsstrategien, 99–103; zur Einbettung von Marktbeziehungen in soziale Institutionen Polanyi: Great Transformation . 16 BAM 1750/152/900, fol . 779–959 (Verwendung des Typoskripts im selben Archiv); Henkelmann/ Wunschhofer: Status Animarum, 4; Richtering: Christian Franz Dietrich von Fürstenberg, 40; vgl . Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 190 f .; Richarz: Herrschaftliche Haushalte, 41–43 .

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

weise wie ostelbische Gutsbetriebe auf Fronarbeit stützte, der Neuhof dagegen ausschließlich Lohnarbeitskräfte einsetzte .17 Sieht man von solchen, im Weserraum relativ zahlreichen Fällen meist kleinerer Besitztümer ab, so betrieben westfälische und rheinische Rittergüter jenseits einer auf den Eigenbedarf einer großen Hausgemeinschaft ausgerichteten Eigenwirtschaft typischerweise keine Gutswirtschaft, wie sie östlich der Elbe dominierte . Vielmehr waren sie in die Grundherrschaft nordwestdeutschen Typs eingebettet, sofern sie nicht im Rheinland (hier: Anholt) weitgehend zu zeitlich begrenzter Halbpacht oder Festpacht übergegangen waren .18 Renteien bewirtschafteten ein breit gefächertes Bündel von Ansprüchen . Beispielhaft lässt sich die Einnahmenstruktur sowie deren langfristiger Wandel im Zuge sowohl der organisatorischen und betrieblichen Veränderungen in der Renteiverwaltung als auch der Umgestaltung der Agrarverfassung aus vier Aufstellungen für Nordkirchen erschließen (Tabelle 3 .1) .19 Vorab ist hervorzuheben, dass diese zeitgenössischen Zusammenstellungen unter den konkret angefallenen Einnahmen eines Jahres auch unplanmäßige Einnahmen führen, die mithin nicht der regulären jährlichen Einnahmestruktur zuzurechnen sind .20 Die von uns vorgenommene prozentuale Aufgliederung berücksichtigt nur klar als strukturelle Einnahmen zu erkennende Positionen . Weiter ist bei manchen Posten nicht klar, welchem Wirtschaftsbereich sie zuzuordnen sind: 1823 verkauftes Korn konnte aus bäuerlichen Abgaben oder auch aus Naturalpachteinnahmen stammen . Schließlich sind die Positionen über die Zeit hinweg überwiegend nicht vergleichbar; vor allem die Übersicht von 1732 ist noch nach Provenienz gegliedert, während sich die späteren Zusammenstellungen zunehmend an funktionalen Kriterien orientieren . Die unterschiedliche Struktur der Aufstellungen von 1784 und 1732 widerspiegelt die früher beschriebene Tendenz zur Rationalisierung der Renteiverwaltungen in der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts . Allerdings ist zu beachten, dass wir die Gesamtrechnung von 1784 im Unterschied zu den übrigen Aufstellungen stark bearbeitet haben; bereits der Sachverhalt, dass sich die systematische Gliederung aus der Quelle relativ leicht erarbeiten lässt, belegt die Tendenz zur Systematisierung der Rechnungslegung nach funktionalen Kriterien . Alle diese Merkmale der zeitgenössischen Buchführung implizieren, dass sich die langfristige Entwicklung der Einnahmenstruktur einer Rentei nur mit einem erheblichen Forschungsaufwand, welcher den Rahmen der gegenwärtigen Studie deutlich überschreitet, zuverlässig beschreiben

Linnemann: Ein Gut, 25–27, 45–50, 358–371, 483–485; Linde: Rittergut Gröpperhof, 41–43, 214–217; allgemein Bei der Wieden: Außenwelt, 208–214, 221 f .; Linde et al .: Adelsgüter und Domänen, 16–18, 35–39 . 18 Steinbach: Rheinische Agrarverhältnisse, 421; Gesamtsicht Lütge: Deutsche Agrarverfassung, Kap . IV; zu Westfalen und den angrenzenden niederrheinischen Gebieten vgl . oben, Kap . 2 . 19 Zum Vergleich s . die Aussagen zur Buchführung auf hessischen Rittergütern bei Wunder: Adel im Hessen des 18 . Jahrhunderts, 195–205; außerdem zur Aussagekraft von Gutsrechnungen Harnisch: Rechnungen . 20 In Tabelle 3 .1 ist die Position „Bestand“ der Bargeldübertrag aus dem vorangegangenen Jahr; „Reste“ sind Einnahmen, die in einem der Vorjahre fällig waren, aber erst im Rechnungsjahr bezahlt wurden . Ein weiterer unregelmäßiger Posten sind „Activkapitalien“, von Schuldnern zurückgezahlte Darlehen . 17

Landpacht, Renteiverwaltung und Grundherrschaft

lässt . Möchte man trotzdem die Größenordnungen einzelner Beträge vergleichen, so gilt zu beachten, dass der Taler von 1826 einen gegenüber dem Reichstaler von 1732 um etwa 14 % verringerten intrinsischen Silbergehalt aufwies und dass die Mark dem Drittel eines Talers entsprach (Anhang A5) . Bei allen Vorbehalten gegenüber der Konsistenz der Angaben in Tabelle 3 .1 lassen sich drei langfristige Tendenzen erkennen: Erstens wiesen noch im frühen 19 . Jahrhundert grundherrliche Abgaben ein erhebliches Gewicht auf (1826: Bäuerliche Prästationen, Hühner und Eier, zusätzlich der Zehnte) . Auf den im Gang befindlichen institutionellen Wandel weist immerhin die Position der Ablösegelder hin . Die Position der Reste, die sich noch 1899 in verminderter Höhe wieder findet, hing wahrscheinlich mit Ansprüchen auf Abgaben zusammen, die in der napoleonischen Ära verweigert worden waren und in der Folge als Forderung an die Leistungspflichtigen und ihre Nachkommen hypothekarisch gesichert werden konnte; im späten 18 . Jahrhundert waren Restanzen noch minimal (höchstens 2 % der Einnahmen) .21 Zweitens fällt auf, dass abgesehen von den bereits erklecklichen Einnahmen aus der Forstwirtschaft 1826 bis zum frühen 19 . Jahrhundert Nebenbetriebe, etwa in der Form von Brauereien, Brennereien aber auch von Bergwerken, Salinen und gewerblichen Anlagen, von sehr geringer Bedeutung waren . 1784 lieferten die Ziegelei, die Fasanerie und der Holzverkauf nur kleine Einkommensbeiträge . Dies mag daran liegen, dass es im Gebiet von Nordkirchen keine Bodenschätze gab, unterstreicht aber gleichzeitig die starke Verankerung des Besitzkomplexes in der Rentengrundherrschaft, die keine Naturalleistungen erzeugte, die zur Errichtung von verarbeitenden Betrieben Anlass geboten hätten . Der Ausweis vom Ende des 19 . Jahrhunderts kontrastiert scharf damit, denn neben der offenbar nun sehr umfangreichen Forstwirtschaft stellen der eigene Landwirtschaftsbetrieb und das Gestüt bedeutsame und zusammengenommen wohl die wichtigsten Einkommensquellen dar . Darin widerspiegelt sich der oben erwähnte allgemeine Bedeutungsgewinn der unternehmerischen Tätigkeit des Adels im 19 . Jahrhundert, der eine deutliche Ausweitung der selber bewirtschafteten Flächen zur Grundlage hatte . Teilweise wurde der Aufbau eines eigenen landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Betriebs aus dem Ertrag der Grundlastenablösung finanziert . Es ist charakteristisch, dass in Nordkirchen die Ablösezahlungen 1850 einen Höhepunkt erreichten, und dass im selben Jahr ein deutlich erkennbarer Trend hinsichtlich der Zunahme des Anteils der Forstwirtschaft an den Gesamteinnahmen einsetzte (bis 1897: 2,5 % p . a ., mit R2 = 0,42) .22 Allerdings setzte der Adel dabei nicht ausschließlich auf den immer

Reif: Westfälischer Adel, 232 . Quelle: VWA, Nor .Ak, Renteirechnungen 1700–1900 (mit Lücken); detaillierte Dokumentation wird in der derzeit laufenden Dissertation von Friederike Scholten erfolgen . Für die 1830er und 1840er Jahre ist allerdings eine Berechnung des Anteils der Einnahmen aus Holzverkäufen nicht möglich, so dass eine exakte Datierung des Einsetzens des steigenden Trends unmöglich ist .

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Tabelle 3.1 Die Einnahmen der Rentei Nordkirchen (1732, 1784, 1826, 1899)

1732 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 43

ad pensionem aus der hovesat Haus Buxfort K. Selm Haus Grotenhaus K. Südkirchen Haus Haselburg Haus Davensberg Teckl. fidejussion Wachtgelder Pfachtgelder Dienstgelder Pfachtschweinen Hausstättengeld Hausheuer Münster Pfachtgeld in Werne Hausheuer in Werne Zehntgeld K. Werne Wartgeld in Werne … von gerichtsbrüchten Summa

Reichstaler 181 1657 250 268 470 76 559 593 9 97 1472 736 285 20 153 44 12 1 0 0 10755

1784

% Oberkategorie

Landverleihe 42,9 % Hovesat Pachtgeld Pachtkorn Pacht: Schweine Pacht: Geflügel, Eier Mastgeld aus der Dernenkämper Mark Leibhörigkeit 8,3 % Spann und Handdienste Dienstgeld Versterb, Gewinn und Freibriefe Zehnten 2,1 % Zehntgeld Blutzehnt Kornzehnt Vermietung von Häusern 0,4 % Herrschaftsrechte 2,4 % Holzbrüchten Wachtgeld Branntweinaccise Bieraccise Aus der Hoheit Eigenwirtschaft 2,4 % verkauftes Holz aus der Ziegeley aus der Fasanerie Kapitaleinkommen 3,7 % Während der Vormundschaft erworbene Anlagen Zinseinkommen Nebenhaushalte 33,2 % Auswärtige Besitztümer Oeconomie Außerordentlich, nicht 4,5 % zuzuordnen Total, ohne Rückstände

Reichstaler

%

2243 1524 631 282 44 375 42

18,7 % 12,7 % 5,3 % 2,4 % 0,4 % 3,1 % 0,4 %

120 759 118

1,0 % 6,3 % 1,0 %

147 62 37 51

1,2 % 0,5 % 0,3 % 0,4 %

96 108 26 10 48

0,8 % 0,9 % 0,2 % 0,1 % 0,4 %

59 178 48

0,5 % 1,5 % 0,4 %

163 274

1,4 % 2,3 %

2528 1452

21,1 % 12,1 %

537

4,5 %

11972

Landpacht, Renteiverwaltung und Grundherrschaft

Tabelle 3.1 Die Einnahmen der Rentei Nordkirchen (Fortsetzung) 1826 I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII

Taler

%

Bestand 993 Defekte 0 Reste 7712 Zinsen 177 1,0 % Zeitpacht und Miethe 9012 48,6 % Gras 468 2,5 % Erbpachtzins 59 0,3 % Bäuerliche Prästationen 3373 18,2 % Grundrenten 79 0,4 % Zehnten 378 2,0 % Korn 1586 8,5 % Verkaufte Pachtschweine 20 0,1 % Hühner und Eier 13 0,1 % Gewinne 204 1,1 % Aus den Forsten 2448 13,2 % Ablösegelder 508 2,7 % Außergewöhnliche 236 1,3 % Summa 27266 [bereinigt um Bestände] 18561

1899

Mark

%

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Bestand 30632 Defekte Reste 7580 Activ-Kapitalien 97552 Passiv-Kapitalien 100 Zinsen der Aktiv-Kapitalien 6014 2,8 % Erbpacht 1059 0,5 % Zeitpacht und Miete 91935 42,8 % Eig. Landwirtschaftsbetrieb 32536 15,1 % Forstwirtschaft 57694 26,8 % Jagd und Fischerei 2733 1,3 % Gärtnerei 814 0,4 % Schloss 372 0,2 % Schlossanlagen 0 0,0 % Gestüt 15453 7,2 % Wagenpferde 3247 1,5 % … 24 Insgemein 3001 1,4 % Summa der Einnahmen 350763 [bereinigt um Bestände] 214900

Bemerkungen: 1784: 257 Reichstaler an Rückständen sind im Total nicht berücksichtigt. Quellen: VWA, Nor.Ak; 1732: Nr. 2435; 1784: Nr. 2497; 1826: Nr. 2378, 1899: Nr. 2634.

mit Risiko behafteten Erfolg der eigenen Unternehmen . Dies belegt die Position der knapp hunderttausend Mark betragenden Kapitalien im Ausweis von 1899, die ebenfalls aus der Grundlastenablösung stammen dürften . Mit Zinserträgen von etwa 6000 Mark war allerdings ihr Einkommensbeitrag vergleichsweise bescheiden . Drittens  – und als Voraussetzung für die gegenwärtige Studie zentral  – erweisen sich Einnahmen aus Verpachtung als langfristige Konstante im Einkommensgefüge des Besitzkomplexes . In den Aufstellungen des 19 . Jahrhunderts werden sie deutlich als Einkommen aus Zeitpacht bezeichnet; in beiden betrachteten Stichjahren stellten sie die wichtigste Einkommensquelle dar und machten möglicherweise etwa ein Drittel der Eingänge aus . Aber bereits 1732 und 1784 bildeten Pachtgelder eine wichtige Einnahmenposition; allerdings konnten sie sowohl im Zusammenhang mit Erbpacht stehende Leistungen als auch Entgelte für Zeitpacht umfassen . Da die Aufstellung Herkunft und Art der Einkünfte nicht trennt, lässt sich ihr Gewicht nicht bestimmen, denn auch die untergeordneten Sammelstellen (Haus Buxfort, Grotenhaus, etc .) dürften einen Teil ihrer Einkommensbeiträge aus Verpachtung erzielt haben . Ohne genauere Abklärung lässt sich überdies die Natur der aus der Hovesat, dem ehemaligen Salland einer Grundherrschaft, d . h . dem adeligen Eigengut, stammenden Einnahmen nicht verorten . Die Hovesat wurde im 18 ./frühen 19 .  Jahrhundert

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

zu variierenden Anteilen stückweise verpachtet und selber bewirtschaftet oder auch mit der eigenen Ökonomie – also dem landwirtschaftlichen Betrieb des Hauses – en bloc verpachtet . Sie konnte damit unterschiedliche Arten von Einnahmen generieren . Insgesamt scheint aber im Untersuchungsraum das ehemalige Salland eine relativ geringe Bedeutung als Einnahmequelle von Rittergütern gespielt zu haben . Auf hessischen Rittergütern trug im späten 18 . Jahrhundert das adelige Eigengut demgegenüber durchschnittlich 70 % zu den Einnahmen bei .23 Der Gegensatz unterstreicht die wirtschaftliche Bedeutung der Ausweitung von Zeitpacht auf bisheriges Bauernland für die Einnahmen von Rittergütern im Untersuchungsraum . Aufstellungen wie diejenigen in Tabelle  3 .1 verzeichnen die einzelnen Positionen in Geldwerten, und auch die von uns ausgewerteten Verzeichnisse notieren Pachteinnahmen durchwegs in Geldeinheiten . Allerdings erfolgten bäuerliche Leistungen in der Neuzeit durchaus auch in Naturalien, auch wenn langfristig eine Monetisierung der Ressourcenflüsse von Bauern zu Herren erfolgte . Noch eine geringe Bedeutung von Geldleistungen in grundherrschaftlichen Abgaben dokumentieren das Tafelgutverzeichnis des Bischof von Münster von 1573/74 sowie das Vestische Lagerbuch von 1660 . In den Einkünften der Herrschaft Anholt im späten 16 . und frühen 17 . Jahrhundert kamen Geldeinnahmen dagegen häufiger vor . Auf den Landsberg-Velenschen Rittergütern überwogen vom 17 . zur ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts Geldleistungen zunehmend stärker, wobei allerdings das Größenverhältnis zwischen Natural- und Geldabgaben erheblichen mittelfristigen Schwankungen unterlag . Da Getreidepreise zwischen der Mitte des 17 . und dem dritten Viertel des 18 . Jahrhunderts stabil waren und danach anstiegen, was dem Wert von Naturalabgaben zugutekam, kann von einem langfristigen Trend der Monetisierung gesprochen werden .24 Die punktuelle Angabe zu Nordkirchen im Jahre 1784 legt nahe, dass nur noch ein knappes Fünftel der Einnahmen aus der Landvergabe in Naturalien anfiel (Tabelle 3 .1) . Wie Zahlungen effektiv geleistet wurden, ist allerdings im Einzelnen manchmal nicht leicht festzustellen, denn Zeitgenossen entwickelten Instrumente, welche es erlaubten, Getreidemengen leicht in Geldeinheiten und umgekehrt zu transformieren . Spätestens ab dem 16 .  Jahrhundert und bis 1841 sind für Münster die sogenannten Kappentaxen dokumentiert . Diese Preise für die vier Hauptgetreide wurden durch das  Domkapitel  auf der Grundlage von Marktbeobachtungen in den vier bis sechs Wochen um Martini festgelegt . Sie kamen bei der monetären Verrechnung von Naturalabgaben an das Domkapitel, insbesondere von verspätet eingehenden Leistun-

Wunder: Adel im Hessen des 18 . Jahrhunderts, 188, 205 . Um 1800 waren diese Ländereien auf 60 % aller Güter meist en bloc verpachtet . 24 Allgemein Bosch: Wirtschaftliche Bedingungen, 84; Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 153 f .; zu den angeführten Beispielen Tinnefeld: Herrschaft Anholt, 76–81; Reif: Westfälischer Adel, 64–67; Burghardt: Vestisches Lagerbuch, 348–354; Schütte: Tafelgutverzeichnis . Zur Entwicklung der Getreidepreise s . u ., Kapitel 6, insbesondere Abbildung 6 .1 . 23

Landpacht, Renteiverwaltung und Grundherrschaft

gen, zur Anwendung . Das Paderborner Domkapitel kannte einen ähnlichen Mechanismus . Angesichts der überragenden Bedeutung der Domkapitel als an bäuerlichen Leistungen Berechtigten stellten die von ihnen festgesetzten Werte Leitpreise dar, die weitherum den flexiblen Wechsel zwischen Geld- und Naturabgaben ermöglichten .25 Die Struktur der von Renteien zwischen dem 17 . und dem 19 . Jahrhundert mit der Verfügung über Land erzielten Einnahmen beruhte auf den agrarischen Institutionen, die sich im Zuge des im Hochmittelalter einsetzenden Verfalls der sogenannten Villikationsverfassung sowie im Zusammenhang mit dem danach erfolgten Übergang zur sogenannten Rentengrundherrschaft einstellten . Grundherren verringerten die Eigenwirtschaft auf dem sogenannten Salland oder Fronhof, das beziehungsweise der im Untersuchungsraum als Hovesat oder Bauland bezeichnet wurde . Erhalten blieb ein umfangreicher Betrieb, der die Selbstversorgung der großen Hausgemeinschaft des Adelssitzes gewährleistete . Der Rest des Sallands wurde verpachtet, und Fronverpflichtungen wurden in Abgaben gewandelt . Im Spätmittelalter wurde diese Entwicklung durch fallende Getreidepreise und Arbeitskräfteknappheit im Gefolge des Schwarzen Tods begünstigt: Niedrige Produktpreise im Verhältnis zu den Kosten für Arbeit machten die Getreideerzeugung durch Großgrundbesitzer weniger attraktiv, während besonders eine Geldpacht begrenzten Schutz gegen den Rückgang von Produktpreisen bot und direkt den Kauf von Konsumgütern erlaubte . Erfolgreichen Bauern ermöglichten flexible Pachtverhältnisse möglicherweise bessere Einkommensverhältnisse als die Bewirtschaftung von Hufen als Zinsbauern im Rahmen der herkömmlichen Grundherrschaft . Bis in die frühe Neuzeit weiteten sich Pachtverhältnisse je nach örtlichen Gegebenheiten über das ehemalige Salland hinaus auch auf Land der von der Grundherrschaft abhängigen Bauernbetriebe (Hufen) aus . Dies erfolgte vor allem dann, wenn Höfe wüst fielen, d . h . nicht durch einen hofhörigen Bauern besetzt werden konnten .26 Im Untersuchungsraum entwickelten sich vier Arten der Landpacht im weiten Sinn . Die erste ist die von uns untersuchte zeitlich begrenzte Geldpacht (oder Festpacht), die sich wie beschrieben im Rheinland im Übergang zum Spätmittelalter offenbar rasch zu einer sehr bedeutsamen Form der Landvergabe entwickelte (Kapitel 2) . Dabei dehnte sich die Vertragsdauer im Verlauf des Spätmittelalters auf längere Zeitspannen aus, konkret von 6 auf 12 und 24 Jahre .27 In den von uns untersuchten Akten, die im späten 16 . Jahrhundert einsetzen, ist die Befristung bis ins späte 18 . Jahrhundert oft unklar, und es ist von der verbreiteten Praxis einer stillschweigenden Fortschreibung eines nur mehr grundsätzlich zeitlich befristeten Vertrags auszugehen (s . unten, Kapi-

25 Gerhard/Kaufhold: Preise, 71 f ., 81; Scholten: Adelige Gutswirtschaft, 42; zur Bedeutung des Besitzes der Domkapitel vgl . Reif: Westfälischer Adel, 67–69 . 26 Lütge: Deutsche Agrarverfassung, 83–101; Rösener: Grundherrschaft, 31–37; Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 154–162; s . auch oben, Kapitel 2 . 27 Vgl . die in Kapitel 2, Anm . 14 angeführte Literatur .

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

tel 4 .4) . Nochmals ist zu betonen, dass der Übergang zu Zeitpacht, wenn sie sich auf andere Ländereien als das ehemalige Salland erstreckte, Verfügungsrechte des Gutsbesitzers über ehemaliges Bauernland außerhalb des Rahmens grundherrschaftlicher Beziehungen schuf, die im Vergleich zu letzteren eher ertragreicher waren . Von der Zeitpacht gegen Geld, die auch ohne förmliche zeitliche Begrenzung im Prinzip auslaufen konnte, ist als zweiter Typ die Erbpacht deutlich zu unterscheiden . Diese Form des Verfügungsrechts über Boden dominierte in der Neuzeit in Nordwestdeutschland (ohne das Rheinland) und wird verbreitet als Meierrecht, im westfälischen Sprachgebrauch des 18 . und frühen 19 . Jahrhunderts als Kolonat bezeichnet . Im Unterschied zum in der Frühen Neuzeit teilweise noch fortdauernden grundherrschaftlichen Verhältnis der Hofhörigkeit, bei dem der Bauer das Nutzungsrecht am Boden als Untereigentum besaß, war ein Erbpächter der Wirt des Hofs . Der Grundbesitzer konnte Einfluss auf den Erbgang nehmen, und der Hoferbe hatte ein Antrittsgeld zu bezahlen . Die Abgabenbelastung war wahrscheinlich höher als bei grundherrlichen Höfen .28 Als Zwischenform zwischen Zeitpacht und Erbpacht existierte vor allem im Rheinland drittens das Leibgewinngut, d . h . die Pacht auf Lebenszeit, die auch auf drei Leiber – also drei Generationen – ausgedehnt werden konnte und sich dadurch der Erbpacht annäherte . Schließlich kam viertens auch die zeitlich befristete Teilpacht vor, bei welcher der Grundbesitzer einen festen Anteil der Ernte erhielt, meist die Hälfte oder ein Drittel . Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Teilpacht in Westdeutschland im Mittelalter praktiziert wurde und in der frühen Neuzeit an Bedeutung verlor, auch im Rheinland . Im frühen 19 . Jahrhundert war offenbar dieses Arrangement im Westmünsterland aber noch weit verbreitet . Für die Rentei Anholt stellte die Teilpacht, vor allem in Form der sogenannten dritten Garbe, im späten 18 . und in der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts die hinsichtlich des generierten Einkommens hinter der zeitlich begrenzten Festpacht zweitwichtigste Vertragsform dar .29 Bis zum frühen 19 . Jahrhundert waren somit die agrarischen Institutionen im untersuchten Raum nördlich der Mittelgebirge durch eine hohe Vielfalt gekennzeichnet . Denn neben den vier genannten Formen der Landpacht existierten grundherrschaftliche Verhältnisse, bei denen der Bauer ein Untereigentum am von ihm benutzten Land besaß und dafür Abgaben leistete, fort . Darüber hinaus ist auch nochmals auf die wohl

28 Klassisch Wittich: Grundherrschaft, 19–61; weiter Lütge: Deutsche Agrarverfassung, 99, 190 f .; Rösener: Grundherrschaft, 39–41; Lienen: Obern- und Niederntudorf, 299–308; Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 155 f .; regionales Fallbeispiel Burghardt: Vestisches Lagerbuch, 327 . 29 von Schwerz: Beschreibung der Landwirtschaft I, 14 f .; Bosch: Wirtschaftliche Bedingungen, 30–33, 57 f ., 85 f ., 160; Henn: Zur Lage, 176; ders .: Soziale und wirtschaftliche Lage, 245; Spiess: Teilpacht; Reinicke: Agrarkonjunktur, 100 f ., 109–115; Rösener: Grundherrschaft, 35; Kopsidis et al .: Agricultural Output Growth und unten, Kapitel 3 .5 .1 . Das Lagerbuch des Hauses Hameren (Zentrum in Billerbeck im westlichen Münsterland) aus der Zeit kurz vor 1446 verzeichnet für 11 von 65 Einheiten (Höfe, aber auch Einzelparzellen) die Abgabe von Teilpacht (in fünf Fällen die Dritte Garbe, in sechs Fällen die vierte Garbe); Ilisch: Grundherrschaft, 62–65 . Aus der Neuzeit ist uns kein Hinweis auf Teilpacht aus dem Münsterland bekannt .

Landpacht, Renteiverwaltung und Grundherrschaft

meist kleineren Rittergüter zu verweisen, die ihre Erträge in erster Linie aus Eigenwirtschaft gewannen . Die lokale Ausprägung dieser insgesamt sechs institutionellen Arrangements bezüglich der Verfügungsrechte über und der Nutzung von Land war dabei höchst variabel . Sicher lässt sich als Tendenz feststellen, dass in Westfalen und im angrenzenden Niedersachsen Erbpacht in der Form des Meierrechts beziehungsweise des Kolonats, teilweise ersetzt oder ergänzt durch Eigenbehörigkeit (s . unten), dominierte . Zeitlich befristete Pacht in der Form von Festpacht, Leibgewinngütern und Teilpacht kamen demgegenüber vor allem im Rheinland vor . Allerdings lassen sich ohne weiteres noch grundherrschaftlich geprägte Dörfer finden: In Grefrath (westlich von Krefeld) war Landpacht auch im 18 . Jahrhundert unbedeutend, möglicherweise weil hier keine Adelsfamilie einen zusammenhängenden Besitzkomplex aufbauen konnte . 1763 betrugen in Grefrath die bäuerlichen Leistungen für die Landnutzung weniger als 10 % der Getreideernte – eine im Vergleich extrem niedrige Feudalquote . Auch zeitlich begrenzte Pacht kam in unterschiedlicher Zusammensetzung vor: Während die Herrschaft Anholt ihr Einkommen vor allem aus Festpacht und aus im Teilbau ausgegebenem Land erzielte, dominierte in den Besitzungen der von Pelden gen . Cloudt, die um Moers ihren räumlichen Schwerpunkt hatten, die Vertragsform des Leibgewinnguts, wobei allerdings im Verlauf der frühen Neuzeit zeitlich begrenzte Festpacht an Bedeutung gewann . In Lobberich, einem Nachbardorf von Grefrath, wurden schließlich im 17 . und 18 . Jahrhundert vielfältige ältere Arrangements umfassend durch Zeitpacht abgelöst .30 Es existieren keine Forschungen, welche die hohe Variabilität agrarischer Institutionen zwischen Spätmittelalter und frühem 19 . Jahrhundert bezüglich Zeit und Raum systematisch untersuchen und erklären . Auch unsere auf Festpacht konzentrierte Untersuchung wird keinen Beitrag zu diesem Thema leisten . Immerhin seien einige gängige Hypothesen, die zum Teil schon angeklungen sind, genannt: Festpacht auf Zeit und noch ausgeprägter Teilpacht haben den Vorteil, dass sie auf relativ kurze Frist eine Anpassung des Preises für die Bodennutzung an die Ertragsentwicklung erlauben . Des Weiteren lassen sich im Rahmen von Zeitpacht leicht neue Betriebe gründen, ohne dass die eigentlichen Wirte in nennenswertem Umfang Kapital beitragen müssen . Ein Angebot von unternehmerischem Talent und Arbeitskraft lässt sich durch Zeitpacht unmittelbar in eine Intensivierung der Bodennutzung umsetzen . Umgekehrt schlägt bei der Teilpacht allerdings der Aufwand für das Einziehen und die Kommerzialisierung des dem Besitzers zustehenden Teils der Ernte negativ zu Buch . Zeitlich befristete Verträge insgesamt weisen den Nachteil auf, dass der Bewirtschafter keinen Anreiz hat, nachhaltig zu wirtschaften oder gar in eine Parzelle oder einen Hof zu investieren, wenn nicht Vorkehrungen für die Aufteilung der daraus erzielten Er30 Feinendegen: Der niederrheinische Adel, 85–89; Dohms: Lobberich, 90–92; Kriedte: Taufgesinnte, 601–7, insbesondere Fußnote 23 auf S . 604; zur Höhe der Feudalquote Achilles: Landwirtschaft, 48 f ., 81 f . Zu Anholt s . Kopsidis et al .: Agricultural Output Growth und unten, Kapitel 3 .5 .1 .

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tragssteigerung getroffen werden . Dies spricht für längerfristige, wenn nicht erbliche Verträge . Ungünstig gelegenes, eher unfruchtbares Land kann nur eine niedrige Miete einbringen; hier lohnte sich möglicherweise der Aufwand nicht, andere Verträge als die grundherrliche Erbzinslast oder die Erbpacht auszuprobieren . Schließlich sei betont, dass unter vorindustriellen Verhältnissen der bäuerliche Familienbetrieb in den meisten Nutzungssystemen die optimale Betriebsgröße und -form darstellt . In einem Kontext marktförmiger Aneignung von Gütern macht es deshalb Sinn, die Eigenwirtschaft eines Besitzkomplexes auf das für die Selbstversorgung erforderliche Minimum zu begrenzen .31 Die bisherigen Ausführungen hatten die institutionelle Ausgestaltung von Verfügungsrechten über Land zum Gegenstand . Weitere Elemente agrarischer Institutionen beziehen sich auf den Status von Personen, der auch Verfügungsrechte über Arbeit beinhalten kann . Während im Rheinland personenrechtliche Unterschiede im Spätmittelalter und im Verlauf der Frühen Neuzeit an Bedeutung stark einbüßten, existierte in Westfalen nördlich der Lippe bis ins frühe 19 . Jahrhundert die Eigenbehörigkeit, d . h . eine Variante der Leibeigenschaft . In Ravensberg waren 1795 59 %, im Fürstbistum Paderborn um dieselbe Zeit etwa 20 % und im Münsterland im späten 18 . Jahrhundert nach zeitgenössischer Auffassung der überwältigende Teil der Inhaber von Hofstellen eigenbehörig . Der durch die Bezeichnung nahegelegte Zugriff des Herrn auf die Arbeitskraft des Abhängigen manifestierte sich vor allem in der Verpflichtung der Kinder zu einem halbjährigen Gesindedienst ohne Entlohnung . Weiter leisteten Eigenbehörige Fronarbeit, in der Regel einen Spanndienst pro Woche . Aus den Nordkirchener und Meinhöveler Besitzungen standen der Gutsführung gut 2 .200 beziehungsweise 1 .000 Handdienste pro Jahr zu, die auch gegen Ende des 18 . Jahrhunderts fast zur Gänze noch natural geleistet wurden .32 Dass die Gelder, die als Ersatz für aus der Eigenbehörigkeit resultierende Dienste bezahlt wurden, im Jahr 1784 insgesamt schon über 7 % der Einnahmen ausmachten, verdeutlicht das ökonomische Gewicht der geleisteten Dienste (Tabelle 3 .1) . Abgesehen von den genannten Arbeitsverpflichtungen waren Eigenbehörige an den Hof gebunden, und die Eheschließung unterlag formal dem Konsens des Herrn . Ansonsten waren Angehörige dieser Gruppe hinsichtlich ihres Status Freien gleichgestellt; sie waren Mitglieder der Gemeinde und der Markgenossenschaften, und sie verfügten über ein erbliches Nutzungsrecht an einer Hofstätte . Tatsächlich war Eigenbehörigkeit an einen Hof gebunden, nicht an Personen; bei der Übernahme eines bestimmten Hofs musste man sich gegebenenfalls in die Eigenbehörigkeit begeben . Der Status drückte sich vor allem in ungemessenen Leistungen aus, die hauptsächlich 31 Aereboe: Agrarpolitik, 202–214; Kopsidis: Agrarentwicklung, 136–176; zeitgenössisches Argument z . B . in Bei der Wieden: Außenwelt, 217 . 32 VWA, Nor .Ak, Handdienstregister, Nr .  4398 (1761/62), Nr .  5081 (1780/81), Nr .  5078 (1799/1800), Nr . 7016 (1805/06) .

Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts

beim Ableben eines Eigenbehörigen fällig wurden, denn der Herr konnte den mobilen Nachlass beanspruchen . In dreißig Sterbefällen des Damenstifts Quernheim aus dem Zeitraum 1692–1802 belief sich der mittlere Anteil des abgeschöpften mobilen Vermögens auf 12 %, war also eher bescheiden . Für den Zugang zu Pachtland war die personenrechtliche Stellung ohne Belang: Eigenbehörige konnten zu ihrer Hofstätte, an der sie ein erbliches Nutzungsrecht hatten, weitere Parzellen in Zeitpacht hinzumieten; auch nutzten sie Hofstätten oft in Erbpacht, die in Paderborn nach dem Meierrecht ausgestaltet war .33 3.3

Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts

In der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts setzte ein vom Staat vorangetriebener Wandel agrarischer Institutionen ein . Er hatte zwar keine unmittelbaren Folgen für die Zeitpacht von Land (sehr wohl aber für die Erbpacht), veränderte jedoch den Möglichkeitsraum, der Großgrundbesitzern und Bauern bei der Wahl von Verträgen zur Verfügung stand . Die entstehende staatliche Agrarpolitik erstreckte sich auf zwei Felder: Auf der einen Seite stand die herkömmlich als Bauernbefreiung bezeichnete Individualisierung von Verfügungsrechten über bereits bisher individuell genutztes Land und über Arbeit im Verhältnis zwischen Grundherren und Bauern . Auf der anderen Seite veränderte eine beginnende Agrarpolitik – in der zeitgenössischen Begrifflichkeit als Landeskulturgesetzgebung bezeichnet  – die institutionellen Rahmenbedingungen des landwirtschaftlichen Nutzungssystems . Ziel war die Erleichterung der sogenannten ersten Agrarmodernisierung (s . unten, Kapitel 3 .4) durch die Ermöglichung der Auflösung der Allmenden beziehungsweise Gemeinen Marken, die Schaffung der Rahmenbedingungen für Meliorationen und Vereinödungen beziehungsweise Verkoppelungen sowie für die Aufgabe des Flurzwangs .34 Links des Rheins wurden die Rahmenbedingungen für die Ablösung grundherrlicher Ansprüche – d . h . die sogenannte Bauernbefreiung – in der Zeit der Zugehörigkeit zu Frankreich geschaffen . Sie beinhaltete die entschädigungslose Abschaffung 33 Klessing: Beiträge; Bohnenkamp: Rechtsverhältnisse; Henning: Herrschaft und Bauernuntertänigkeit, 249–323; Scharpwinkel: Eigentumsordnungen; Homoet et al .: Sterbfallinventare, 26 f .; Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, 97; Jürgens: Aufhebung der Leibeigenschaft, 115–126; Brakensiek: Agrarreform, 25–32; Lienen: Obern- und Niederntudorf, 299–308; Rösener: Grundherrschaft, 40 f .; Burghardt: Vestisches Lagerbuch, 331–341; Strunz-Happe: Wandel, 31–34; Rüffer: Vererbungsstrategien, 51–53 und Beispiele im Anhang 247–288; Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 164 f . Die unpublizierte Bachelorarbeit von Christin-Elisabeth Härtel zu „Landpacht und Eigenbehörigkeit: Nordkirchen in der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts“ (Universität Münster 2011) kann für das späte 18 . Jahrhundert Pachtverträge, die mit Eigenbehörigen und wenigen Freien abgeschlossen wurden, vergleichen und findet keinen Unterschied hinsichtlich Vertragsmodalitäten und Preis . – Zur Eigenbehörigkeit im Rheinland s . Becker: Land am unteren Niederrhein, Kap . 4 .1, zum Rückgang im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit 26–30 . 34 Allgemein s . Dipper: Bauernbefreiung; Achilles: Deutsche Agrargeschichte, 129–162 .

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

von Hörigkeit und Leibeigenschaft, soweit sie überhaupt noch existierte, sowie des Zehnten . Grundlasten konnten zum 25fachen Jahresertrag abgelöst werden, wenn es sich um Naturalabgaben handelte; bei Geldrenten betrug der Bewertungssatz das 20fache des Jahresertrags . Für Bauern auf Staatsdomänen wurde der Satz schon 1800 auf 15 ermäßigt . Über den zeitlichen Verlauf der Regulierung der auf dem Bauernland lastenden Abgaben ist aber bisher wenig bekannt; jedenfalls war sie noch in den 1820er Jahren gebietsweise wenig fortgeschritten, und Ablösungen zogen sich mindestens bis in die 1850er Jahre hin . Es ist auch zu beachten, dass insgesamt die Ablösungsfrage im Rheinland im Vergleich zu anderen Gebieten Deutschlands von geringer Relevanz war, da hier wie oben gezeigt grundherrschaftliche Institutionen bereits stark in den Hintergrund gerückt waren und Pachtverhältnisse Ressourcenflüsse zwischen Bauern und Großgrundbesitzern vielerorts dominierten . Es bestand deshalb sowohl von Seiten der unmittelbar Beteiligten als auch von Seiten des preußischen Staats keinen Druck, den Vollzug zu beschleunigen . Es lassen sich deshalb noch im späten 19 . Jahrhundert nicht abgelöste grundherrschaftliche Leistungen finden .35 Östlich des Rheins erfolgten nach Anfängen in der napoleonischen Zeit in den 1820er Jahren vorläufige Regelungen zur Beseitigung der Grundherrschaft . Die Eigenbehörigkeit war schon 1811 weitgehend entschädigungslos abgeschafft worden; auf die Landnutzung bezogene grundherrliche Rechte wurden für beide Westprovinzen nach den Gesetzen von 1825/29 bewertet und konnten zum Fünfundzwanzigfachen des Jahresertrags abgelöst werden; sowohl Empfänger als auch Bauern konnten die Ablösung beantragen . In den anschließenden zwei Jahrzehnten fanden aber erst wenige Verfahren statt . Die abschließende gesetzliche Regelung von 1850 reduzierte den Kapitalisierungssatz auf das Achtzehnfache der Jahresleistung und schuf staatliche Rentenbanken zum Abschluss langfristiger Abzahlungsverträge beziehungsweise umgekehrt zur Schaffung sicherer Einkommensquellen für die bisherigen Berechtigten . Erst jetzt fand auf breiter Front die Überführung des Bodens in die alleinige Verfügungsgewalt der Bauern statt .36 Als Ausgangspunkt der modernen Agrarpolitik jenseits der Regelung von Verfügungsrechten ist im Untersuchungsraum das preußische Landeskulturedikt von 1811 anzusehen . Der erste wichtige konkrete Vorgang in diesem Zusammenhang, die Auflösung der bisher gemeinschaftlich genutzten Allmenden beziehungsweise Gemeinheiten oder Marken, setzte allerdings im preußischen Ravensberg bereits 1769 ein . 35 Engels: Ablösungen, 27–40, 165–168, 173 . Ob Leibgewinngut (d . h . Pacht auf Lebenszeit) wie Erbpacht als ablösbare Feudallast anzusehen war oder vielmehr wie Zeitpacht nicht unter die Reformbestimmungen fiel, war umstritten . Das preußische Gesetz von 1825 überließ die Entscheidung über dessen feudalen Ursprung den Gerichten; ebenda, 29–32, 44–47, 83 . 36 Engels: Ablösungen, 52–126; Teuteberg: Einfluss der Agrarreformen, 213–222; Reif: Westfälischer Adel, 233–235; Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, 105–122; Jürgens: Aufhebung der Leibeigenschaft; Keinemann: Vom Krummstab, 151–160; Strunz-Happe: Wandel, 61–202; Wigger: Bäuerliche Rechtsverhältnisse, 57–144; Bracht: Geldlose Zeiten, Kap . 6 .

Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts

Für den Gesamtstaat wurde 1821 die Gemeinheitsteilungsordnung erlassen . Auf ihrer Grundlage wurden in den nachfolgenden Jahrzehnten die gemeinen Marken allgemein aufgelöst, im Rheinland meist erst nach Erlass einer eigenen Ordnung im Jahre 1851 .37 Je nach örtlichen Gegebenheiten erforderte die landwirtschaftliche Inwertsetzung dieser Ländereien eine Melioration . Die wichtigsten Grundlagen dafür stellten das Privatflussgesetz von 1843 sowie das Deichgesetz von 1848 dar . Sie legten die Basis für Meliorationen durch halbstaatliche Genossenschaften, die zu ihrer Finanzierung auch Obligationen ausgeben konnten; zugleich verschaffte sich der Staat Zwangsmittel gegenüber nicht kooperationswilligen Besitzern .38 Die Auflösung der Gemeinheiten und teilweise daran anschließende Meliorationen bildeten langfristig eine wichtige Grundlage für die Intensivierung der Landnutzung (vgl . unten, Kapitel 3 .4) . In den Regierungsbezirken Münster und Arnsberg nahm die privat genutzte Landfläche ca . 1830–1880 um etwa 40 % zu . Allerdings erfolgte selten unmittelbar eine Aufgabe der extensiven Weidewirtschaft zugunsten der Anlage von Wiesen oder der Kultivierung von Blattfrüchten . Immerhin wurde für das Tecklenburger Land in einem Vergleich von 17 Gemeinden ein schwach positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Reduktion der Gemeinheiten und der Zunahme der Bodenproduktivität nachgewiesen; dies deutet darauf hin, dass die Gemeinheitsteilungen die Agrarmodernisierung begünstigten . Dass parallel zur Verringerung der Markenflächen die Besitzerdichte etwas stieg, impliziert weiter, dass die Arbeitsnachfrage durch die Privatisierung der Gemeinheiten zunahm, was die Gründung neuer unterbäuerlicher Betriebe erleichterte . Allerdings ist zu beachten, dass die Gemeinheitsteilungen kurzfristig negative Verteilungswirkungen hatten, indem die unterbäuerlichen Haushalte bei der Landverteilung meist leer ausgingen, so dass sich ihr Zugang zu Land verschlechterte . Um die Lebensfähigkeit ihrer Betriebe zu gewährleisten, mussten sie erst wieder Landparzellen kaufen oder pachten .39 Schwierig nachzuvollziehen ist schließlich die Auflösung der genossenschaftlichen Flurorganisation, wo eine solche existiert hatte . Eine solche Organisation des Ackerbaus bestand vor allem bei der Einteilung des Nutzlands in offene Gewannfluren . Ein wichtiges Merkmal bestand im Fehlen von Parzellengrenzen, weshalb ein Gewann einheitlich genutzt werden musste, was als Flurzwang bezeichnet wird . Dies schloss

Schlitte: Zusammenlegung, 765–770; Engels: Ablösungen, 127–157; Brakensiek: Agrarreform, 46–83, 419–422 . 38 Gudermann: Ökonomie und Ökologie, 222–246 . 39 Brakensiek: Agrarreform, 153–182, 424–434; Gudermann: Ökonomie und Ökologie, 241 f .; Fertig: Gemeinheitsteilungen; Küpker: Weber, Hausierer, Hollandgänger, 254–276, 362–372, 404 f . Küpkers Daten 231 und 258 legen einen schwachen negativen Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Fläche der Gemeinheiten und dem Wachstum des steuerbaren Reinertrags pro Hektar nahe (r = -0,28) . Mit der Veränderung der Besitzerdichte (270 f .) korreliert das Wachstum der Markenfläche ebenfalls leicht negativ (r = -0,26) . Wegen der geringen Fallzahl (17 Gemeinden) sind die Beziehungen allerdings statistisch bei weitem nicht signifikant . 37

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sowohl Absprachen bezogen auf die anzubauende Nutzpflanze und die dabei zu befolgenden Termine ein als auch eine Regelung der gemeinschaftlichen Weide außerhalb der Wachstumsperiode und in der Brachezeit . Im Untersuchungsraum waren offene Gewannfluren überwiegend im äussersten Südosten Westfalens verbreitet; in anderen Teilen Deutschlands waren sie im Zusammenhang mit der Dreifelderbrachewirtschaft üblich .40 In England, aber auch anderswo in Europa, stellten die sogenannten Einhegungen (enclosures) die wichtigste Form institutionellen Wandels von einem genossenschaftlich geregelten zu einem individuellen Ackerbau dar, denn sie wirkten potentiell weit unmittelbarer auf ein regionales Nutzungssystem und auf das Agrarwachstum als die oben angesprochenen Landreformen im deutschen Raum .41 Zwei Zweige der staatlichen Agrarpolitik unterstützten den Übergang von offenen Gewannfluren zum individuellen Ackerbau: Erstens wurden Voraussetzungen zur Aufhebung von Servituten (Weiderechte, Überfahrtsrechte) und zur Anlage von Flurwegen geschaffen . Zweitens schufen die Staaten Rahmenbedingungen für die Zusammenlegung verstreuter Parzellen durch Verkoppelungen (Vereinödungen, Güterzusammenlegungen) . Während zur Beschreibung der Rechtslage eine immer noch maßgebliche Kompilation von Schlitte aus dem späten 19 . Jahrhundert existiert, bleibt der konkrete Verlauf der Aufgabe von Gewannfluren kaum erforscht . In Preußen hatte bereits das Landeskulturedikt von 1811 jedem Besitzer das Recht zur freien Entscheidung über die Art der Kultivierung seines Landes zugesprochen, und es suchte auch Servitute zu begrenzen . In Westfalen waren wohl diese Bestimmungen vor allem für die Gebiete im Südosten der Provinz relevant, in denen Gewannfluren existierten . In den Kreisen des Paderborner Lands, des Sauerlands und der Hellweger Börde wurden von den 1830er bis zu den 1880er Jahren mit einem gewissen zeitlichen Schwerpunkt in den 1860er Jahren zahlreiche Servitutbefreiungen durchgeführt; in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts erfolgten zudem an vielen Orten Verkoppelungen .42 Allerdings finden sich im Untersuchungsraum schon früh Veränderungen des Nutzungssystems, die gemeinhin als schlecht vereinbar mit offenen Gewannfluren gelten . So wurden am Niederrhein bereits im Spätmittelalter Teile der Brache angesät, und zwar mit Leguminosen (Wicken, Erbsen), Färbepflanzen (insbesondere Waid) und Getreide . Bis ins 18 . Jahrhundert nahm dieser Anteil mancherorts auf die Hälfte und mehr zu .43 Eine

Müller-Wille: Feldbau, 308 f ., 321 et passim; Deter: Veränderung der Bodennutzungssysteme, 357 f . Exemplarisch seien genannt die auch für die gegenwärtige Untersuchung sehr wichtige Studie von Allen: Enclosure and the Yeoman, sowie als Beispiel für die neuere Forschung Olsson/Svensson: Agricultural Growth . 42 Müller-Wille: Feldbau, 323; Weiss: Begleittext; Brakensiek: Agrarreform, 75–81, 289, 297, 326, 331, 345, 349, 355, 360, 371, 374, 389; überwiegend auf Schlitte: Zusammenlegung, basierende Übersicht bei Prass: Reformprogramm, 258–270; für den Untersuchungsraum einschlägige Passagen in Schlitte: Zusammenlegung, 446–484, 748–788 . 43 Irsigler: Auflösung der Villikationsverfassung, 306 f .; Reinicke: Agrarkonjunktur, 180–188; Zückert: Allmende, 77–79, 311 . 40 41

Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts

genossenschaftliche Flurorganisation war somit ausreichend flexibel, um Veränderungen der Landnutzung zuzulassen; staatliches Handeln war keine notwendige Voraussetzung für institutionellen Wandel vor Ort . Für adelige Besitztümer hatte die vom Staat vorangetriebene Agrarreform kurzfristige Einkommenseinbußen zur Folge; langfristig wirkten sie auf eine Veränderung der betrieblichen Strategien hin . Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft in Gestalt der Eigenbehörigkeit (1808) war zunächst unklar, ob die damit im Zusammenhang stehenden Leistungen abzulösen oder entschädigungsfrei aufgehoben waren . Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit kam es rechts des Rheins ab 1808 vereinzelt und ab 1811 allgemein zu Abgabenverweigerungen . Die Berechtigten gingen in der Folge gerichtlich gegen die Verweigerer vor und hatten damit in der Regel Erfolg; auch stützte die einsetzende preußische Gesetzgebung die Position der Grundherren . Letztere ließen die verweigerten Abgaben als hypothekarisch gesicherte Forderung in den Grundbüchern eintragen . In der Aufstellung der Rentei Nordkirchen von 1826 betrugen diese Ansprüche noch immer fast 32 .500 Taler . Im Rechnungsjahr selbst wurden davon ca . 7 .700 Taler beglichen, gut 40 % der in diesem Jahr regulär erzielten Einnahmen von etwa 18 .500 Talern . (Tabelle 3 .1) .44 Die in Westfalen in den 1830er Jahren einsetzende und in den 1850er Jahren verbreitet vollzogene Ablösung der Grundlasten leistete einer betrieblichen Umstrukturierung der adeligen Besitztümer Vorschub . Einerseits beendete sie die Rentengrundherrschaft; es gab keine Einnahmen aus bäuerlichen Leistungsverpflichtungen mehr zu verwalten . Andererseits bewirkten die Ablösungen eine Akkumulation von liquiden Mitteln bei den ehemaligen Grundherren . Renteien konnten diese als Finanzinvestoren in Schuldtiteln anlegen und daraus ein Zinseinkommen erzielen . Für Nordkirchen wurde bereits auf diese Option hingewiesen (vgl . oben, Diskussion von Tabelle 3 .1) . Darüber hinaus kaufte der Adel in erheblichem Umfang Land und baute seine Eigenwirtschaft auf . Ein Schwerpunkt lag auf dem Land der ehemaligen Marken, das sich aufforsten ließ . Hierbei trafen drei Umstände aufeinander: Erstens bestand praktisch nur für das Land der ehemaligen Marken ein liquider Bodenmarkt, auf dem sich Finanzkapital anlegen ließ . Zweitens wies der bäuerliche Familienbetrieb bei der damaligen Landbautechnik eine günstige Größe auf; der adelige Großbetrieb war dagegen allenfalls bei der arbeitsextensiven und kapitalintensiven Forstwirtschaft im Vorteil . Drittens bewirkte die beginnende Industrialisierung eine Zunahme der Nachfrage nach Holz, bis in die 1850er Jahre auch als Brennstoff, was die in dieser Zeit zunehmend systematischer betriebene Forstwirtschaft sehr lukrativ machte .45 Die langfristige Zunahme des Beitrags der Forstwirtschaft als Einnahmequelle der Rentei Nordkirchen widerspiegelt diese allgemeinen Zusammenhänge (Tabelle 3 .1 und Text Allgemein vgl . Reif: Westfälischer Adel, 231–233; vgl . auch Schulz: Adel der Grafschaft Mark, 146–150 . Reif: Westfälischer Adel, 235; Brakensiek: Agrarreform, 158–165; Selter: Waldnutzung, 115, 285–333; Keinemann: Vom Krummstab, 160–168; G . Fertig: Äcker; sowie ders .: Gemeinheitsteilungen, 406 f . 44 45

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oben) . Wieweit auch Zeitpacht, spätestens seit Beginn des 19 . Jahrhunderts klar die wirtschaftliche Hauptstütze dieses Besitzkomplexes, durch den institutionellen Wandel in dieser Zeit wenigstens mittelbar beeinflusst wurde, ist Gegenstand unserer ferneren Untersuchung (s . vor allem Kapitel 4 .2) . 3.4

Regionale Exportgewerbe, Industrialisierung und erste Agrarmodernisierung

Will man Pachtzinsen als Indikator für das Grenzprodukt des Faktors Boden interpretieren, so lohnt es sich zu Beginn der Analyse einen Überblick über die Kräfte zu gewinnen, welche die Bodenproduktivität beeinflussen . Auf der Angebotsseite sind dies die Agrartechnik und die pro Flächeneinheit eingesetzte Arbeitskraft; auf der Nachfrageseite sind die Entwicklung nichtlandwirtschaftlicher Einkommensquellen und das Bevölkerungswachstum ins Blickfeld zu nehmen . Das Folgende gibt deshalb einen kurzen Überblick über die Entwicklung dezentraler, noch vorindustrieller Exportgewerbe (Protoindustrien), die Anfänge der Industrialisierung sowie den epochalen Wandel der landwirtschaftlichen Technik in Gestalt der ersten Agrarmodernisierung . Beachtet werden weiter Vorgänge der Integration von Getreidemärkten, die für die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage von großer Bedeutung sind . Nur sehr allgemein wird schließlich auf die Bevölkerungsentwicklung eingegangen; detaillierte Informationen werden im Zusammenhang mit der konkreten Analyse geboten . Seit dem Spätmittelalter entwickelten sich räumlich verstreute Exportgewerbe oder Protoindustrien im nördlichen Rheinland und in Westfalen komplementär zu den urbanen Verdichtungsräumen in den Niederlanden . Es handelte sich um ressourcenund arbeitsintensive Tätigkeiten, welche einerseits die im Vergleich zu Gebieten mit hohem Verstädterungsgrad niedrigen Arbeitskosten in kleinstädtischen und ländlichen Zonen ausnützten . Andererseits verwerteten sie Metallvorkommen und die in den Mittelgebirgen reichlich vorhandene Energie in Gestalt von Biomasse (Wald) und Wasserkraft . Bis ins frühe 19 . Jahrhundert entwickelten sich folgende Standorte regionaler Exportgewerbe:46

Allgemein zur Entwicklung vorindustrieller regionaler Exportgewerbe s . Kaufhold: Gewerbelandschaften; Ogilvie: Beginnings of Industrialization; zum Konzept der Protoindustrialisierung Kriedte et al .: Industrialisierung vor der Industrialisierung; Pfister: Protoindustrielles Wachstum . Gesamtdarstellung der westfälischen Exportgewerbe bei Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 545–720; wichtige Studien zu den Gewerben am Niederrhein sind unter anderen: Engels/Legers: Aus der Geschichte; Kermann: Manufakturen; Kisch: Hausindustrielle Textilgewerbe; Adelmann: Vom Gewerbe zur Industrie, Kap . 1; Ebeling/ Schmidt: Zünftige Handwerkswirtschaft; Kriedte: Taufgesinnte; Hahn/Zorn: Historische Wirtschaftskarte, 48–55, Anhang Abb . 10 .

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Regionale Exportgewerbe, Industrialisierung und erste Agrarmodernisierung













Die Montangewerbe der Mittelgebirge mit den am Gebirgsfuß angelagerten eisenverarbeitenden Gewerben: Diese Zone erstreckte sich vom kölnischen Sauerland im Osten bis zur Eifel im Westen . Die Eisenvorkommen und große Waldflächen nutzende Eisenverhüttung war vor allem im inneren Gebirge verbreitet . Die mit Wasserkraft gut ausgestatteten Gebiete am nördlichen Gebirgsrand spezialisierten sich dagegen auf die Eisenverarbeitung . Wichtige Erzeugnisse waren Eisenstäbe, Draht und davon abgeleitete Produkte (Nadeln, Schnallen etc .), Sensen und Messer . Flachs- und Hanfverarbeitung in Nordostwestfalen: In diesem auch das Gebiet um Osnabrück einschließenden Textilrevier wurden verschiedene Qualitäten von Leinwand hergestellt . Darüber hinaus wurde Flachsgarn ins Wuppertal exportiert . Das Textilrevier an der Wupper: An der mittleren Wupper (entsprechend etwa der heutige Stadt Wuppertal) und im östlich daran anschließenden Schwelm waren verschiedene textilgewerbliche Aktivitäten verbreitet, die einen Schwerpunkt in der Verarbeitung und Veredelung aufwiesen . Hierzu zählte das Bleichen von Garn aus Nordostwestfalen, dem südlichen Niedersachsen und dem nördlichen Hessen, das umgekehrt der umfangreichen Spitzenklöppelei in den Städten der südlichen Niederlande als Ausgangsmaterial diente . Ab dem 18 . Jahrhundert entwickelten sich die Bandweberei und die Baumwollverarbeitung als weitere Branchen des Textilgewerbes . Der Gewerbedistrikt in und um Aachen: Dies stellt das einzige um eine größere Stadt angelagerte vorindustrielle Gewerberevier im Untersuchungsraum dar . Verviers, Aachen und das die beiden Städte umgebende Gebiet entwickelten sich bis ins frühe 19 . Jahrhundert zu einem der wichtigsten Standorte der Wolltuchherstellung im nordwestlichen Teil des europäischen Festlands . Des Weiteren waren hier Messingherstellung und die Eisenverarbeitung, insbesondere die Nadelfabrikation verbreitet . Das Textilrevier links des unteren Niederrheins: Ausgehend von einem autochthonen Leinwandgewerbe entwickelten sich im 18 . Jahrhundert zwei Standorte, die importierte Textilfasern verarbeiteten: Krefeld wurde zu einem Zentrum des Seidengewerbes, Rheydt (Mönchengladbach) ist ein früher Kern der Baumwollindustrie . Das Barchentrevier in Wesel und im Sandmünsterland: Barchent ist ein Mischgewebe mit einer Kette aus Leinengarn, während für den Schussfaden Baumwolle verwendet wird . Ausgehend vom Zentrum in Amersfoort (Provinz Utrecht) dehnte sich seine Herstellung bis ins 16 . Jahrhundert nach Wesel aus . Ab dem späten 16 .  Jahrhundert verbreitete sich diese Branche auch im angrenzenden Westmünsterland und in Warendorf aus (vgl . Kapitel 3 .5 .1) .

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Bezogen auf die Lage der von uns untersuchten Renteien lässt sich sagen, dass Anholt und Benkhausen in der unmittelbaren Umgebung von Gewerberegionen liegen, während sich die übrigen drei Güter in Gebieten befinden, die eher als agrarische Versorgungszonen von Gewerberegionen beziehungsweise von späteren Industrierevieren in Frage kommen . Die Entwicklung von Exportgewerben steigerte die Arbeitsnachfrage und bewirkte dadurch in den fraglichen Regionen ein Bevölkerungswachstum . Es ist deshalb symptomatisch, dass in den späten 1810er Jahren, als erstmals regional desaggregierte Bevölkerungszahlen erfasst wurden, in der Umgebung von Anholt und Benkhausen – also in den beiden protoindustriellen Kontexten – die Bevölkerungsdichte deutlich höher war als in der überwiegend agrarisch geprägten Umgebung der drei anderen Adelsgüter .47 Darüber hinaus ist behauptet worden, Protoindustrialisierung habe der Bildung einer Klassengesellschaft Vorschub geleistet . Dies meint, dass soziale Beziehungen verstärkt durch Marktmechanismen vermittelt wurden und dass eine große Unterschicht entstand, deren Mitglieder ihr Einkommen ausschließlich durch Lohnarbeit erwarben  – also ein ländliches Proletariat . Diese These ist allerdings dahingehend zu qualifizieren, als beispielsweise in der Hellweger Börde und in den angrenzenden Teilen des Kleimünsterlands  – also überwiegend landwirtschaftlich geprägten Gebieten – ab der Mitte des 18 . Jahrhunderts eine Unterschicht von Lohnarbeitern und insbesondere Dienstboten fassbar wird, die hinsichtlich ihres Umfangs mit derjenigen im ostwestfälischen Leinwanddistrikt durchaus vergleichbar ist . Einkommen aus nicht-landwirtschaftlicher Tätigkeit trug tendenziell zur sozialen Integration kleinbäuerlicher Haushalte ins Milieu bäuerlicher Landbesitzer bei . Eine durch erhebliche Ungleichheit und soziale Distanz geprägte Klassengesellschaft konnte sich bis zum Ende der Frühen Neuzeit nicht nur in protoindustriellen Distrikten, sondern mindestens so sehr auch in agrarischen Regionen entwickeln . Unsere spätere Analyse zeigt, dass dies auch Folgen für die Preisbildung von Pachtland hatte .48 Die Entwicklung nicht-landwirtschaftlicher Sektoren und das Bevölkerungswachstum erhöhten die Nachfrage nach Nahrungsmitteln, was seinerseits ein Potential für den Anstieg der Preise für Landpacht begünstigte . Allerdings legt die existierende Forschung zum Agrarwachstum und zur Entwicklung von Agrarmärkten nahe, dass die dezentrale räumliche Struktur von Protoindustrien Marktentwicklung und Agrar-

47 S . unten, Abbildung 3 .2 . Allgemein s . Kriedte et al .: Industrialisierung vor der Industrialisierung, Kap . 3; auf den Untersuchungsraum bezogen Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, 84–89; ergänzende Angaben unten Kapitel 5 .7, Tabelle 5 .4 . 48 Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, Kap . VI; C . Fertig: Familie; zur Gesindedichte und Sozialstruktur in einem durch Leinenverarbeitung geprägten ostwestfälischen Kontext s . Schlumbohm: Lebensläufe, 54 f ., 199 (in Belm machten 1772 Vollbauern 22 % der Haushaltsvorstände aus, und 13 % der Bevölkerung bestand aus Gesinde); zum südlichen Münsterland s . unten Tabellen 3 .4 und 3 .5 sowie G . Fertig: Marriage and Economy, 259; allgemein zur ländlichen Sozialstruktur in Westfalen Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 106 f ., 183–185 . Zur Preisbildung von Pachtland s . unten, Kapitel 7 .4 .

Regionale Exportgewerbe, Industrialisierung und erste Agrarmodernisierung

wachstum nur begrenzt stimulierte . Vielmehr besteht ein Konsens, dass vor der Industrialisierung Agrarwachstum vor allem durch die Entwicklung großer Städte gefördert wurde . Zwar konnten sich auch um kleinere Städte durch Intensivlandwirtschaft geprägte Gürtel entwickeln, die sich auf dichte Märkte (thick markets) vor Ort stützten, auf denen permanent und mit beträchtlicher Liquidität eine große Vielfalt von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Inputs (Heu, Fäkalien als Dünger) gehandelt wurden . Die Etablierung kontinuierlicher Marktbeziehungen über weitere Distanzen war dagegen mit hohen Fixkosten verbunden; nur bei räumlich geballter Nachfrage nach Nahrungsmitteln lohnten sich Handel und regionale Spezialisierung auf Überschussproduktion . Die Entwicklung räumlich verstreuter nicht-landwirtschaftlicher Tätigkeiten stimulierten deshalb Agrarwachstum weniger als Urbanisierung .49 Konkret schlägt sich dieser Zusammenhang darin nieder, dass am Niederrhein zwar bereits im Spätmittelalter auch kleinere Städte einen durch Intensivlandwirtschaft geprägten Gürtel aufwiesen, welcher der Gegend vielerorts den Charakter einer Gartenlandschaft verlieh . Im selben Zusammenhang entwickelte sich auch früh die Zeitpacht von Land . Aber noch im frühen 19 . Jahrhundert waren über einen weiteren Raum ausgreifende Getreidemärkte vor allem auf die großen Städte (Köln, Aachen, Düsseldorf) hin orientiert; die Nachfrage aus kleinstädtischen und ländlichen Gewerberegionen bildete sich nicht in der Marktstruktur ab . Der einzige Fall, in dem vor der Industrialisierung eine Marktinfrastruktur zur Vermittlung zwischen auf die Erzeugung von Getreideüberschüssen spezialisierten Agrarproduzenten und Zonen mit räumlich verstreuten Exportgewerben entstand, betrifft die Austauschbeziehungen zwischen der Hellwegzone und dem durch Montangewerbe und Eisenverarbeitung geprägten Sauerland . Ursprünglich wurden Metallwaren in den großen Hellwegstädten (Dortmund, Soest) abgesetzt und dort gegen Getreide getauscht . Nachdem Exportkaufleute ihre Exportmärkte zunehmend direkt belieferten, entstanden seit dem Spätmittelalter spezialisierte Getreidemärkte an der Ruhr zur Versorgung der gewerblichen Bevölkerung im Sauerland mit Getreide aus dem Hellweg . Begünstigt wurde die Marktansiedlung teilweise dadurch, dass an der Ruhr auch Mühlenwerke standen, so dass sich Handel mit Weiterverarbeitung verbinden ließ . Bis zur ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts entwickelte sich eine eigentliche Marktkette mit den Plätzen Hattingen, Witten, Herdecke, Schwerte, Langschede und Menden . Es ist aber zweifelhaft, dass dieses Marktgebiet systematisch auch außerhalb der Börde gelegene Gebiete einbezog, in denen die von uns untersuchten Güter Assen, Nordkirchen und Wewer liegen .50 Mit der Industrialisierung änderten sich allerdings die Märkte für Grundnahrungsmittel und damit auch das Potential für regionales Agrarwachstum . Kennzeichen industrieller Produktion ist die Mechanisierung der Herstellung von Manufakturgütern Grantham: Agricultural Supply; Pfister/Kopsidis: Institutions vs . Demand . Irsigler: Auflösung der Villikationsverfassung, 306–310; Reinicke: Nutzungsformen; Hahn/Zorn: Historische Wirtschaftskarte, 34–39, Anhang Abbildung 7; Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 315–317 .

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unter Einsatz von Arbeitsmaschinen, die ihrerseits durch Antriebsmaschinen mit mechanischer Kraft versorgt werden . Hierbei kamen im Verlauf des 19 . Jahrhunderts zunehmend Dampfmaschinen zum Einsatz . Die meisten Gewerbetreibenden verfügten über zu wenig Geld und Platz zur Beschaffung von Arbeitsmaschinen, und der Leistungsumfang einer Dampfmaschine erforderte die gleichzeitige Versorgung einer größeren Zahl an Arbeitsmaschinen . Dies begünstigte die Verlagerung der Produktion von Manufakturgütern von den verstreuten Werkstätten der Gewerbetreibenden in zentrale Betriebe von Unternehmern oder Fabriken . Die zunehmende Verfügbarkeit von Steinkohle löste überdies die Betriebsstandorte von dezentralen Energievorkommen (Wasser, Wald) und ermöglichte deren Agglomeration an für Beschaffung, Produktion und Absatz günstigen Orten . Stärker als in der vorindustriellen Ära ging deshalb nun gewerbliche Entwicklung mit dem Wachstum städtischer Agglomerationen einher .51 Chronologisch lässt sich für den Untersuchungsraum der Übergang zur industriellen Produktion auf die 1840er und 1850er Jahre datieren: In den 1840er Jahren erfuhr das Wachstum der Roheisenproduktion im Ruhrgebiet eine Beschleunigung, und Puddelöfen zur Herstellung von Schmiedeeisen verbreiteten sich rasch . In der Textilverarbeitung wurden zwar bereits seit Ende 18 . Jahrhundert mechanische Spinnmaschinen eingesetzt, aber erst seit Mitte des 19 .  Jahrhunderts entstanden große Einheiten, die mit modernen Spinnmaschinen und Dampfkraft arbeiteten . Meistens entwickelten sich die Industriereviere aus bisherigen regionalen Exportindustrien . Die steigende Bedeutung von Steinkohle und neue Techniken zu ihrem Abbau bewirkten aber eine Verlagerung des Montangewerbes und teilweise der Eisenverarbeitung vom Mittelgebirge in die Zone zwischen Ruhr und Emscher . Einige Gebiete mit wenig wertschöpfungsintensiven Heimgewerben erfuhren auch eine ausgeprägte Deindustrialisierung und Reagrarisierung .52 Die im Gefolge der Industrialisierung zunehmende Agglomeration der Bevölkerung in urbanen Zentren förderte die Stufung landwirtschaftlicher Aktivitäten nach Maßgabe des Zugangs zu städtischen Märkten . In den einzelnen Landkreisen Preußens hing bereits in den 1860er Jahren die Höhe der ricardianischen Bodenrente (Erlös minus Bewirtschaftungskosten; vgl . unten, Kapitel 7 .3) von der Distanz zu Städten und deren Bevölkerungszahl ab . In Westfalen alleine war ca . 1830–1880 lokales Agrarwachstum umso stärker ausgeprägt, je näher der fragliche Standort zum aufstrebenden Ruhrrevier lag . Die Ausweitung einer räumlich konzentrierten Nachfrage nach Nahrungsmitteln bewirkte somit eine zunehmende Stufung der umliegenden landwirt-

51 Einige Referenzwerke: Berg: Age of Manufactures; Allen: British Industrial Revolution; Ditt/Pollard: Von der Heimarbeit in die Fabrik; Matzerath: Urbanisierung in Preußen . 52 Übersichten in Düwell/Köllmann: Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Bd . 1, 73–196; ergänzend insbesondere Adelmann: Vom Gewerbe zur Industrie, Kap .  4; zu einem durch Reagrarisierung gekennzeichneten Kontext s . Küpker: Weber, Hausierer, Hollandgänger .

Regionale Exportgewerbe, Industrialisierung und erste Agrarmodernisierung

schaftlichen Gebiete dergestalt, dass nahegelegene Gebiete mit gutem Marktzugang sich auf die Herstellung wertschöpfungsintensiverer Agrarprodukte spezialisierten .53 Die räumliche Reichweite landwirtschaftlicher Spezialisierung weitete sich im 19 . Jahrhundert dank Marktintegration deutlich aus . Schon vom Ausgang des 18 . Jahrhunderts bis ca . 1850 bewegten sich die Preise von Agrargütern auf den einzelnen Märkten im Rheinland und in Westfalen zunehmend parallel . Für Westfalen alleine gilt überdies, dass bis in die frühen 1860er Jahre die Geschwindigkeit der Preisanpassung an Schocks zwischen Märkten sich deutlich verbesserte . Erwartungsgemäß war dabei die Marktintegration in Gebieten in und um Zentren von Montangewerbe und Eisenverarbeitung stärker als in davon weiter entfernten Gebieten, besonders im Münsterland .54 Die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur trug erheblich zur Integration der Märkte für Agrarprodukte bei . Noch am Ende des 18 . Jahrhunderts existierten in Deutschland kaum befestigte Straßen vom Typ der französischen Chausseen . Nach 1815 setzte dann ein umfangreicher staatlicher Straßenbau ein, der besonders im Rheinland durch die Bautätigkeit von Kreisen ergänzt wurde . In Westfalen bestand ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Existenz einer Chausseeverbindung zwischen zwei Märkten und dem Preisabstand zwischen ihnen bezüglich des Roggenpreises; Straßenbau beförderte somit die Integration von Getreidemärkten . Ähnliche Folgen hatte der ab den 1840er Jahren einsetzende Eisenbahnbau: In den frühen 1860er Jahren war der Steuerreinertrag pro Morgen Nutzfläche in den Kreisen der beiden Regierungsbezirke Arnsberg und Münster umso höher, je besser ein Kreis durch Eisenbahnen erschlossen war .55 Insgesamt gilt somit, dass im 19 . Jahrhundert nicht nur die Nachfrage nach Nahrungsmitteln wuchs und sich räumlich stärker konzentrierte, sondern darüber hinaus dank einer Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur die Produzenten landwirtschaftlicher Erzeugnisse einen zunehmend besseren Zugang zu überlokalen Absatzmärkten erhielten . Grundlage für das marktinduzierte Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion war agrartechnischer Fortschritt, den man schematisch unter die Begriffe der ersten und der zweiten Agrarmodernisierung fassen kann . Die erste Agrarmodernisierung beinhaltete arbeitsintensivierende Innovationen, die lokale Stoffkreisläufe optimierten und Land sparten . Die zweite, in Deutschland erst allmählich im späten 19 . Jahrhundert einsetzende Agrarmodernisierung bestand vor allem aus arbeitssparenden Innovationen, die Arbeitsabläufe mechanisierten und hierfür zunehmend bezogen auf ein lokales Nutzungssystem externe Energiequellen nutzten (fossile Brennstoffe,

Kopsidis/Wolf: Agricultural Productivity; Kopsidis/Hockmann: Technical Change . Kopsidis: Marktintegration, 266–313; ders .: Creation . Kopsidis: Marktintegration, 119 f ., 313–337; Müller: Infrastrukturpolitik, 454–457 et passim; Uebele/ Gallardo Albarrán: Paving the Way . 53 54 55

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Elektrizität) . Darüber hinaus wurde zunehmend Kunstdünger eingesetzt, was lokale Nährstoffkreisläufe aufbrach . Die erste Agrarmodernisierung bestand im Wesentlichen aus fünf Elementen:56 (1) Das Hornvieh wurde nicht nur im Winter, sondern zunehmend auch während des restlichen Jahrs im Stall gehalten . Dies ermöglichte insbesondere das Sammeln und die gezielte Ausbringung von organischem Dünger . Trotz ihrer zentralen Bedeutung für die erste Agrarmodernisierung lässt sich allerdings die Verbreitung der ganzjährigen Stallfütterung quellenmäßig nicht direkt fassen . (2) Die ganzjährige Stallfütterung erforderte eine Steigerung der Futtererzeugung . Als Mittel hierzu dienten die Anlage von Wiesen zur Produktion von Heu sowie der Anbau von Futterpflanzen  – insbesondere von Klee, Esparsette, Luzerne und Futterrüben . Die Ausdehnung der Futtererzeugung auf Wiesen und im Feldbau gibt einen indirekten Hinweis auf den Übergang zur Stallfütterung . Im Rheinland wurde 1883 auf 10,3 % der Ackerfläche Klee angebaut; in Westfalen betrug der Anteil 7,7 % . Das Rheinland stand hinsichtlich des Anbaus an Futtersaaten nach dem Königreich Sachsen an der Spitze aller deutschen Staaten und preußischen Provinzen; diese Region verfügte damit am Ende des 19 . Jahrhunderts über eines der intensivsten Agrarsysteme Deutschlands . (3) Die kultivierte Ackerfläche wurde ausgedehnt, und die Erträge pro Flächeneinheit nahmen zu . Die Ausweitung der Anbauflächen basierte einerseits auf der Nutzung von bisherigem Ödland, nicht zuletzt mittels Meliorationen, andererseits auf der Verringerung des Brachlands . Sowohl im Rheinland als auch in Westfalen betrug der Anteil der Brache an der Nutzfläche 1883 gut 5, 1927 knapp 2 % . In Westfalen, nicht aber im Rheinland, wurde eine mit der Ausdehnung des Brachlands vergleichbare Fläche noch als Ackerweide genutzt; diese Parzellen wurden im mehrjährigen Turnus bebaut und wieder längere Zeit brach gelassen . Im Vergleich zu einer klassischen Dreifelderwirtschaft, bei der ein Drittel der Ackerfläche brach lag, war somit die Intensität der Bodennutzung in den frühen 1880er Jahren stark gesteigert . Die Ausdehnung von Kulturflächen und der Anstieg der Hektarerträge wurden ermöglicht durch die gezielte Düngung sowie durch den Sachverhalt, dass Klee, andere Futterkräuter und Futterrüben Stickstoff banden und damit dem Boden Nährstoffe zuführten . Insofern als einige neue Ackerfrüchte – besonders Futterrüben und Kartoffeln (s . unten) – im Hackbau betrieben wurden und mehrfaches Jäten erforderten, intensivierte sich die Bodenbearbeitung, was der Nährstoff-

56 Das Folgende auf der Basis von Achilles: Deutsche Agrargeschichte, 163–185; Allen: The Nitrogen Hypothesis; zum konkreten Verlauf auf regionaler Ebene Kopsidis: Marktintegration, 155–201; zu den Anbauverhältnissen 1883–1927 Engelbrecht: Feldfrüchte, 44 .

Regionale Exportgewerbe, Industrialisierung und erste Agrarmodernisierung

(4)

(5)

aufschließung in der Ackerkrume förderlich war und somit zusätzlich zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit beitrug . Der Kartoffelanbau ergänzte Getreide hinsichtlich der Erzeugung pflanzlicher Grundnahrungsmittel . Er ermöglichte eine höhere Nährstoffproduktion pro Flächeneinheit als der Getreidebau und eignete sich wegen der intensiven Bodenbearbeitung als Vorfrucht für den Anbau von Getreide . Im Rheinland waren 1883 knapp 13,9 %, in Westfalen 9,8 % der Ackerfläche mit Kartoffeln bebaut . Allerdings wurden getreidelastige Fruchtfolgen nur begrenzt zugunsten von Fruchtwechselsystemen (jährlicher Wechsel von Halmfrüchten zu Blattfrüchten wie Klee, Rüben und Kartoffeln) aufgegeben . Im Rheinland wuchs 1883 auf 55,9 % der Ackerfläche Getreide, in Westfalen gar auf 62,9 % . Bei einer klassischen Dreifelderwirtschaft würde sich der Anteil auf zwei Drittel belaufen, bei einer Fruchtwechselwirtschaft die Hälfte . Besonders Westfalen folgte somit dem in Deutschland verbreiteten Trend zur sogenannten verbesserten Dreifelderwirtschaft, bei welcher der Getreideanteil nur wenig sank und vor allem die Brache zugunsten des Anbaus von Blattfrüchten stark zurück gedrängt wurde . Die Erweiterung der Futterbasis schuf ein Potential zur Entwicklung der Viehwirtschaft . Dies schloss die Veredelung in Gestalt der Erzeugung von Fleisch und Milchprodukten mit ein . Die Spezialisierung und Verbesserung von Viehrassen unterstützten diesen Vorgang . Allerdings war dies ein sehr langsamer Vorgang . Laut einer groben Schätzung für Westfalen nahm der Anteil der tierischen Wertschöpfung an der gesamten Wertschöpfung ca . 1830–1878/82 lediglich von 46,8 auf 50,8 % zu .

Während die 1878 einsetzende reichsweite Agrarstatistik Hinweise auf den Grad des Fortschreitens der Agrarmodernisierung am Beginn des letzten Viertels des 19 . Jahrhunderts erlaubt, liegen die Anfänge der Agrarmodernisierung und ihr konkreter Verlauf ziemlich im Dunkeln . Im vorangegangenen Abschnitt wurde erwähnt, dass im Rheinland vor allem im Umland von Städten bereits seit dem Spätmittelalter die Brache zunehmend bebaut wurde, und zwar unter anderem mit den damals bekannten Leguminosen (vor allem Wicken, Erbsen) . Bemerkenswert ist auch die Existenz von bewässerten Wiesen in Anholt bereits um 1500, die auf eine intensive Produktion von Viehfutter hindeutet (Kapitel 3 .5 .1) . Ähnlich wie in den führenden Volkswirtschaften in Nordwesteuropa stellte im Rheinland die sogenannte Agrarrevolution wohl einen früh einsetzenden und sehr langfristigen, inkrementellen Vorgang dar . Für den überwiegenden Teil Westfalens (weniger für Ravensberg und das Paderborner Land) gilt dagegen, dass im frühen 19 . Jahrhundert noch sehr große Intensivierungsreserven bestanden . Dies erweist sich aus den erhaltenen Akten der Katastralabschätzung von 1822/35 für die Regierungsbezirke Arnsberg und Münster: Klee wurde erst auf 5,0 % der Ackerfläche angebaut, Kartoffeln gar nur auf 1,2 % . Die praktizierten Fruchtfolgen

69

70

Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

legen eine im Vergleich zur Dreifelderwirtschaft eher extensivere Bodennutzung nahe . Umso rascher wandelten sich hier Agrartechniken in den mittleren Jahrzehnten des 19 . Jahrhunderts nach Maßgabe der im Zuge der Industrialisierung stürmisch anwachsenden Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln . Es sei auch nochmals hervorgehoben, dass in dieser Zeit die Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln aus den wachsenden Gewerberevieren im Wesentlichen durch das regionale Angebot befriedigt werden musste, was einen Übergang zu Agrartechniken voraussetzte, welche den Boden intensiver nutzten .57 Wie schon erwähnt, beinhaltete die zweite Agrarmodernisierung die Verbreitung des Einsatzes von Maschinen, die zunehmend mit ortsfremden Energiequellen (Kohle, Elektrizität, Dieseltreibstoff) angetrieben wurden; darüber hinaus kam zunehmend Kunstdünger zum Einsatz . Allerdings war die zweite Agrarmodernisierung nach Anfängen um die Mitte des 19 . Jahrhunderts am Ende des Untersuchungszeitraums noch wenig fortgeschritten, und eine Auswirkung auf Pachtzinsen ist nicht ersichtlich; wir können uns deshalb auf kurze Bemerkungen beschränken . Die langsame und selektive Mechanisierung wird daraus ersichtlich, dass in Deutschland insgesamt noch 1907 drei Viertel der Maschinennutzung auf die Dreschmaschine entfielen, welche die bei weitem arbeitsintensivste Tätigkeit im Getreidebau mechanisierte . Andere Anwendungen, besonders Sä- und Erntemaschinen, waren in erster Linie in Großbetrieben verbreitet, die den Zuckerrübenanbau betrieben . Auch der Einsatz von Dreschmaschinen hing von der Betriebsgröße ab: Während Betriebe mit Flächen über 20 Hektar das Dreschen praktisch maschinell erledigten (Anteile der Betriebe mit Maschineneinsatz über 95 %), verwendeten unter den hier vor allem interessierenden bäuerlichen Einheiten mit Betriebsflächen zwischen 5 und 20 Hektar 80–90 % eine Dreschmaschine . Bei Kleinbetrieben lag dieser Anteil noch deutlich darunter . Auch war die Verbreitung des Maschineneinsatzes ein junges Phänomen; anlässlich der ersten Betriebszählung 1882 hatte erst etwa ein Drittel der westfälischen Bauern mit Betriebsflächen zwischen 5 und 20 Hektar eine Dreschmaschine eingesetzt . Lange tiefe Löhne und nur allmähliches Sinken der Maschinenpreise ließ den Maschineneinsatz für kleinere Betriebe erst relativ spät rentabel werden . Gegen die Wende zum 20 . Jahrhundert erleichterte besonders das Aufkommen kommerziell betriebener Dampfdreschmaschinen die Mechanisierung dieses Arbeitsgangs auf kleineren Betrieben: Kleinbäuerliche Einheiten mit weniger als 5 Hektar Nutzfläche griffen eher auf diese Dienstleistung zurück als auf eine eigene, von Hand oder mit Einsatz

57 Kopsidis: Marktintegration, 171; ders .: Leistungsfähigkeit; ders .: Agrarentwicklung, 324–329; Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 213, 340–342 . In Ostwestfalen war möglicherweise der Bracheanteil zu Beginn des 19 . Jahrhunderts schon deutlich niedriger als in den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster, nämlich bei 10 % (Ravensberg) beziehungsweise 20–25 % (Paderborn); Henning: Bauernwirtschaft, 48–51; Deter: Veränderung der Bodennutzungssysteme, 363 f .; Strunz-Happe: Wandel, 51, Anm . 51 .

Regionale Exportgewerbe, Industrialisierung und erste Agrarmodernisierung

eines Nutztiers betriebene Maschine . Genossenschaften trugen dagegen wenig zur Verbreitung des Maschineneinsatzes bei .58 Die Verbesserung der Nährstoffversorgung des Bodens stellt langfristig einen zentralen Treiber des Wachstums der pflanzlichen Erzeugung des Bodens dar . Seit dem letzten Viertel des 19 . Jahrhundert leisteten zugekaufte Handelsdünger einen wachsenden Beitrag zur Nährstoffzufuhr . Grundlage dafür bildete einerseits wissenschaftlicher Fortschritt, vor allem was das Verständnis des pflanzlichen Stoffwechsels und die Bodenkunde anbelangt . Allerdings waren noch im frühen 20 . Jahrhundert die Kenntnisse hinsichtlich des praktischen Einsatzes mineralischer Dünger in der Landwirtschaft vage und rudimentär . Andererseits machte ein Rückgang der relativen Preise zwischen Handelsdünger und Getreide den Düngereinsatz zunehmend rentabel . Verringerung von Transport- und Handelskosten im Zuge der ersten Ära der Globalisierung bewirkten eine Halbierung der Preise für den Stickstoff liefernden Chilesalpeter zwischen der zweiten Hälfte der 1860er Jahre und dem Ende des Jahrhunderts . Die Aufnahme des Thomas-Gilchrist-Verfahrens in der Flussstahlherstellung weitete ab den frühen 1880er Jahren das Angebot an phosphorhaltigen Düngern stark aus, und der forcierte Ausbau der Förderung von Kalisalzen in den 1890er Jahren schuf die Grundlage für den verstärkten Einsatz von Kali in der Landwirtschaft .59 Der Einsatz von Handelsdünger wuchs zwar im Kaiserreich rasant, aber noch auf einem tiefen Niveau, weshalb er bis 1900, dem Ende unseres Untersuchungszeitraums, wenigstens bezüglich der Versorgung des Bodens mit Stickstoff und Kali nur einen minderheitlichen Anteil an der Verbesserung der Nährstoffzufuhr hatte . So steigerte die deutsche Landwirtschaft insgesamt die Zufuhr an durch die Pflanzen direkt ausnutzbarem Kali von 24 tausend t (im folgenden Tt) 1878/80 auf 86 Tt 1898/1900, aber in der gleichen Zeitspanne erhöhte sich die Zufuhr an Kali über Stalldünger absolut gesehen um ein Vielfaches, nämlich von 395 Tt auf 693 Tt . Dies erfordert die Einbettung der Betrachtung in eine Nährstoffbilanz . Dabei erweist sich, dass nur bei der Phosphatzufuhr, die besonders für den Anbau von Zuckerrüben und Kartoffeln bedeutsam ist, schon 1878/80 Handelsdünger einen Beitrag von 19,5 % zur effektiv verwertbaren Nährstoffzufuhr leistete . 1898/1900 betrug der Anteil dann bereits 42,6 %, bei Stickstoff aber nur 16,2 % und bei Kali 10,0 % . Regionale Ernährungsbilanzen für das Rheinland und Westfalen fehlen . Erhebungen für 1937 weisen beträchtliche kleinräumige Unterschiede hinsichtlich des Aufkommens an Stallmist nach; auch war etwa in der Hellweger Börde Gründüngung relativ verbreitet, links des Niederrheins relativ selten . Wie diese Konstellationen in den untersuchten Orten die betrieblichen Ent-

58 Siuts: Bäuerliche und handwerkliche Arbeitsgeräte, 71–79, 94–96; Berthold: Mechanisierung; Vogeding: Lohndreschbetriebe, 36–79, 104–114; Achilles: Deutsche Agrargeschichte, 240–252 . 59 Hahne: Betriebswirtschaftliche Studien, 177–191; Achilles: Deutsche Agrargeschichte, 231–239 .

71

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

scheidungen bezüglich des Einsatzes von Handelsdünger beeinflusst haben, insbesondere von Einheiten mit Pachtland, muss hier offenbleiben .60 3.5

Die untersuchten Güter im Kontext

Wie eingangs erwähnt untersuchen wir Zeitpacht anhand der Verwaltungsakten von fünf Rittergütern: Anholt, Assen, Benkhausen, Nordkirchen und Wewer (Abbildung 3 .1) . Die Auswahl wurde vor allem durch Datenverfügbarkeit diktiert, d . h . das Vorliegen homogener Quellenbestände über einen längeren Zeitraum, die sich vom Standort Münster aus bearbeiten ließen . Mit Ausnahme von Wewer liegen sie alle nördlich der Lippe . Einerseits reflektiert dies die vergleichsweise geringere Häufigkeit von Adelsgütern im Süden Westfalens – die natürliche Ungunst des Gebirges hinsichtlich der landwirtschaftlichen Bodennutzung war der Bildung adeliger Besitztümer wenig förderlich .61 Andererseits war zeitlich begrenzte Festpacht in den Hochländern generell relativ selten; in für die Landwirtschaft wenig geeigneten, marktfernen Zonen konnten sich kommerzielle Formen der Landvergabe offenbar wenig entwickeln (s . oben Kapitel 2) . Es fällt deshalb schwer, im Archivgut der vergleichsweise wenigen Renteien von Gebirgszonen für die gegenwärtige Fragestellung einschlägige Quellenbestände aufzufinden . Allerdings liegen die bearbeiteten Besitztümer aus naheliegenden Gründen weniger im Zentrum gewerblicher Ballungsräumen, sondern eher in potentiellen landwirtschaftlichen Versorgungszonen (s . oben, Kapitel 3 .4) . Dies erklärt, weshalb sie sich in Gebieten befanden, deren Bevölkerung im 19 . Jahrhundert deutlich weniger rasch wuchs als diejenige von Westfalen insgesamt (Abbildung 3 .2) . Im Folgenden ergänzen wir die allgemeinen Ausführungen der früheren Teile des Kapitels durch Informationen zu den einzelnen Gütern . Behandelte Themen sind die Besitzer (wobei wenn möglich der Gesichtspunkt der Anwesenheit vor Ort beachtet wird), das landwirtschaftliche Nutzungssystem, die Sozialstruktur, die Bevölkerungsentwicklung und die Wirtschaftsstruktur der weiteren Umgebung . Sozialstruktur und Bevölkerungsentwicklung beinhalten Informationen zum landwirtschaftlichen Arbeitskräfteangebot, was seinerseits den Pachtwert von Land beeinflussen kann . Die örtliche Wirtschaftsstruktur, besonders die Entwicklung nicht-landwirtschaftlicher Gewerbe, bestimmt bis zu einem gewissen Grad die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die potenziell ebenfalls Auswirkungen auf Pachtzinsen hat . Schließlich beeinflusst das landwirtschaftliche Nutzungssystem durch die räumliche

Hahne: Betriebswirtschaftliche Studien, 162, 169, VIII (AnhangsTabelle 8) . Schulz: Adeliges Wirtschaften, 140, Anm . 10 (Auswertung des auch oben verwendeten Verzeichnisses der adeligen Güter in der Grafschaft Mark zu Beginn des 19 . Jahrhunderts in Reininghaus/Kloosterhuis: Taschenbuch Romberg, 87–95) .

60 61

Die untersuchten Güter im Kontext

180 Umgebung von Anholt Kreis Beckum Kreis Rahden/ Lübbecke Kreis Lüdinghausen Kreis Paderborn Provinz Westfalen

160 140 120 100 80 60 40 20 1810

1820

1830

1840

1850

1860

1870

1880

1890

1900

1910

Abbildung 3.2 Bevölkerungsdichte in der Umgebung der untersuchten Besitztümer, 1818–1905 (Einwohner pro km2) Quellen: Nitsch/Gudermann: Agrarstatistik, 33–37; Reekers: Westfalens Bevölkerung, 6 f.; Umgebung von Anholt: Anhang A4.

Anordnung von Betrieben (Streusiedlung vs . konzentrierte Siedlungen; Vereinödung vs . Streubesitz) und durch die Nutzung von Parzellen die Struktur des Pachtmarkts . Unterschiedliche örtliche Gegebenheiten, aber auch Verschiedenheiten in der Quellenlage und der Forschungsliteratur haben zur Folge, dass die Ausführungen zu den jeweiligen Besitzkomplexen unterschiedlich akzentuiert und auch unterschiedlich detailliert sind . Einige Informationen sind schwierig beizubringen; so belassen wir es bei zufälligen und unsystematischen Angaben über die Größe eines Guts . Vorhandene Angaben beziehen sich oft auf die Hovesat, d . h . das ursprünglich der Eigenwirtschaft einer Grundherrschaft dienende Land .62 Soweit Rittergüter auch außerhalb dieses Bezirks über abhängige Kolonate verfügten und Pachtland abgaben, ist diese Angabe nur begrenzt aussagekräftig .

62

Angaben bei Reif: Westfälischer Adel, 61, 223; Linnemann: Ein Gut, 9 f .

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

3.5.1

Anholt (unter Mitarbeit von Friederike Scholten)

Anholt liegt im westlichen Zipfel der preußischen Provinz Westfalen an der Grenze zum Niederrhein (Abbildung  3 .3) . Rees, die nächste Ortschaft am heutigen Rheinufer, befindet sich 10 km weiter südlich . Das Schloss war im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit Zentrum einer kleinen reichsunmittelbaren Herrschaft . Die Rentei bezog allerdings auch Einkünfte aus Landbesitz in der Umgebung des Gebiets, in dem die Landesherrschaft ausgeübt wurde, d . h im Münsterland (Kreis Borken), im Rheinland und in den Niederlanden . 1600 wird der grundherrliche Besitz mit 7480 holländischen Morgen (1 holl . Morgen = 0,8511 ha) angegeben; hinzu kamen 1200 Morgen in Nachbargebieten und 1000 Morgen in dem vor allem zur Holzgewinnung genutzten Bredenbrock .63 Angesichts des weitgehenden Zurücktretens grundherrschaftlicher Beziehungen zwischen Bauern und Grundbesitzern wies die lokale Agrarverfassung Merkmale auf, die eher für das Rheinland als für Westfalen typisch sind; die institutionelle Einbettung der Landpacht auf Anholt unterschied sich deutlich von derjenigen auf den anderen vier von uns untersuchten Besitztümern .

Abbildung 3.3 Lage von Anholt und der heutigen Region des nördlichen Niederrheins Quelle: Wikipedia Commons, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Isselburg_in_BOR.svg, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Municipalities_in_KLE.svg, https://de.wikipedia.org/wiki/ Datei:Municipalities_in_WES.svg, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Borken_in_BOR.svg; Urheber: TUBS, CC BY-SA 3.0, bearbeitet durch die Verfasser.

63

Tinnefeld: Herrschaft Anholt, 77; Parras: Marstall, 16 .

Die untersuchten Güter im Kontext

Die Ursprünge von Schloss Anholt liegen in einer im 12 .  Jahrhundert am östlichen Rand der Rheinniederung entstandenen Wehranlage; die Gräfte wird durch den Fluss Issel gespeist, der weiter nördlich in den Niederlanden in die IJssel mündet . Seit dem 13 .  Jahrhundert bildete sich um Burg und Stadt Anholt eine kleine Herrschaft, die 1402 über Erbgang an die Familie von Bronckhorst-Batenburg gelangte . Diese zählte im ausgehenden Mittelalter und am Beginn der Neuzeit zu den wichtigsten Adelsfamilien Gelderns und des Niederrheins . Bronckhorst und Batenburg waren allodiale Herrschaften mit hoher Gerichtsbarkeit; nur über weitere Güter und Rechte waren sie in den Lehensverband von Geldern eingebunden . Damit war die Herrschaft reichsunmittelbar .64 1649 kam Anholt durch Erbgang an einen Zweig der aus dem Rheingau stammenden, auch in den Vogesen begüterten Familie Salm . Der bedeutendste Vertreter dieser Linie, Carl Theodor Otto zu Salm (1645–1710), stieg ab 1685 zu einer einflussreichen Stellung am Wiener Hof auf und ließ die Burg Anholt zu einem Barockschloss umbauen . Sein Sohn Ludwig Otto (1674–1738) scheint sich überwiegend auf Anholt aufgehalten zu haben . Dessen Erbtochter heiratete ein anderes Mitglied der Familie Salm; dieser Zweig nannte sich in der Folge Salm-Salm . Die männlichen Familienmitglieder lebten überwiegend in den südlichen Niederlanden, auf den Besitzungen um Senones westlich der Vogesen und in Paris .65 Im Zuge der Französischen Revolution verlor die Familie Salm-Salm ihre linksrheinischen Besitztümer . Der Reichsdeputationshauptschluss entschädigte sie gemeinsam mit dem Familienzweig Salm-Kyrburg durch die Erweiterung der Herrschaft Anholt um ein Gebiet, das den Ämtern Ahaus und Borken des ehemaligen Fürstbistums Münster entsprach . Das neue Fürstentum Salm mit Regierungssitz in Bocholt gehörte 1806 zu den Gründungsmitgliedern des Rheinbunds, wurde aber im Winter 1810/11 vom Kaiserreich Frankreich absorbiert . Mit dem Übergang zu Preußen wurden die Fürsten 1815 mediatisiert . Seit dem Beginn des 19 .  Jahrhunderts, dann nach 1815 als erbliche Mitglieder des Westfälischen Landtags, hatte die Familie ihren Lebensmittelpunkt auf Schloss Anholt, wovon aus der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts der mehrmalige Ausbau der Parkanlagen zeugt .66 Bereits im 15 . Jahrhundert scheint der Besitz vor allem mittels Pacht und kaum mehr über grundherrschaftliche oder mit Leibeigenschaft in Zusammenhang stehende Abgaben in Wert gesetzt worden sein . Laut dem Lagerbuch von 1437 wurde Ackerland durchgängig in Teilpacht vergeben, wobei der Herr ein Drittel des Ertrags beanspruchte, nämlich die sogenannte dritte Garbe . Allerdings konnten die Bewirtschafter die dritte Garbe über einen zeitlich begrenzten Raum durch eine Festpacht ablösen, die auch in Geldform geleistet werden konnte . Zwischen Teilpacht und zeitlich befriste64 65 66

Kwiatkowski: Herrschaft, Kap . 2; für das 16 . und frühe 17 . Jahrhundert s . Tinnefeld: Herrschaft Anholt . Parras: Marstall, 32–34 . Reigers: Stadt Bocholt, 27–82; Parras: Marstall, 35–38 .

75

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

ter Festpacht bestand somit ein gewisses Kontinuum . In der gegenwärtigen Untersuchung werden allerdings Einnahmen aus der dritten Garbe nicht berücksichtigt .67 In den um 1600 relativ dichten Akten wird dann ein vielfältiges Bündel an Vertragsformen sichtbar; neben der Teilpacht existierten die zeitlich befristete Festpacht  – diesbezügliche Angaben können wir ab 1613 auswerten –, die Pacht auf Lebenszeit und die Erbpacht . Über die Zeit hinweg verlagerte sich das Gewicht von Natural- zu Geldabgaben .68 Etwas genauere Informationen über die Einnahmenstruktur der Rentei lassen sich für das 18 . und 19 . Jahrhundert beibringen . Tabelle 3 .2 gibt eine zeitgenössische Kategorisierung der Einnahmen aus der Mitte des 18 . Jahrhunderts wieder . Etwa ein Neuntel der Einnahmen stammten aus Herrschaftsrechten wie den verpachteten Zöllen, der Akzise und dem (geringfügigen) Judentribut; der Hauptteil bestand aus Steuern (7,7 % der Gesamteinnahmen) . Einen ähnlich hohen Anteil machten überwiegend auch in der zeitgenössischen Gesamtaufstellung nicht klassifizierte Einnahmen aus, die in Tabelle 3 .2 als Rest bezeichnet werden; Landverkäufe stellten hier den größten Block dar (4,6 % der Gesamteinnahmen) . Die Verpachtung von vier Mühlen und des Brauhauses – wohl ursprünglich grundherrschaftliche Nebenbetriebe, die allerdings schon im Spätmittelalter verpachtet waren69 – erbrachten ein weiteres Zwanzigstel der Einnahmen . Tabelle 3.2 Einnahmestruktur der Rentei Anholt, 1752/53 (Prozent) Pachtschweine, Pacht Mühlen, Steuern, -hühner Erbpacht Festpacht Teilpacht Zehnte Brauhaus Herrschaftsrechte Rest 2,0

3,3

37,8

18,1

10,8

5,4

11,2

11,3

Quelle: FSSA Anholt, Akten Anholt 352.

Gut 70 % der Einnahmen der kleinen Herrschaft gingen somit auf Verfügungsrechte über Land zurück . Abgesehen vom Zehnten sind kaum Einnahmen aus Grundherrschaft im weiteren Sinn zu verzeichnen . Die Zuordnung von Pachtschweinen und -hühnern ist unklar . Einerseits zählten Tiere und Eier zu den fixen Komponenten der Leistungspflichten, die auf in Teilpacht ausgegebenen Gütern lagen (s . unten) . Andererseits hatten die eigenbehörigen Höfe der Herrschaft an wiederkehrenden Abgaben vor allem Hühner und Eier zu liefern .70 Zusammen mit den Einnahmen der Rentei aus einem Todfall (weniger als 0,1 % der Gesamteinnahme; in Tabelle 3 .2 unter der Ru-

Kwiatkowski: Herrschaft, 131–134; Kopsidis et al .: Agricultural output growth, 8, 11 f . Tinnefeld: Herrschaft Anholt, 76–84 . Kwiatkowski: Herrschaft, 133 . Wigger: Bäuerliche Rechtsverhältnisse, 33 f ., Anm . 219 (Angabe zum Fürstentum Salm von 1809, als die Herrschaft im Raum Bocholt über 75 eigenbehörige Höfe verfügte . Allerdings dürften diese überwiegend aus dem ehemaligen Besitz des Hochstifts Münster gestammt haben) . 67 68 69 70

Die untersuchten Güter im Kontext

brik „Rest“ subsumiert) stellen somit die 2,0 % der Pachtschweine und Pachthühner die Obergrenze des möglichen Anteils der Einkommensflüsse aus Grundherrschaft und Leibeigenschaft dar . Geringe Bedeutung kam auch der Erbpacht zu; nur 3,3 % der Gesamteinnahmen beziehungsweise ein Zwanzigstel der aus Verfügungsrechten über Land folgenden Erträge gingen auf diese Quelle zurück . Es bleiben somit 57,4 % der Gesamteinnahmen beziehungsweise vier Fünftel der aus Berechtigungen an Bodenerträgen stammenden Einnahmen, die mit der zeitlich befristeten Landvergabe erzielt wurden . Dabei dominierten Einnahmen aus Festpacht über diejenigen aus Teilpacht (vor allem in Form der dritten Garbe) etwa im Verhältnis 2 : 1 . Allerdings gilt es zu beachten, dass die Miete der in Teilpacht abgegebenen Höfe und Parzellen oft zusätzlich zum Anteil an der Ernte auch eine Festpachtkomponente in Geld und Tieren (vor allem Hühnern) sowie Eiern aufwies . Die in Verbindung mit Teilpacht bezogenen monetären Leistungen machten 1752/53 8,9 % der Gesamteinnahmen beziehungsweise knapp ein Viertel der in Tabelle 3 .2 als Bezüge aus Festpacht ausgewiesenen Einnahmen aus .71 Zwei weitere Befunde aus dem Einnahmenverzeichnis von 1752/53 fallen ins Auge: Erstens waren anteilige Naturalleistungen verrentet; sowohl der Zehnte als auch die mit Teilpacht verbundenen Leistungen (die Abgabe der dritten, selten auch der vierten Garbe) waren verpachtet . Teilpachten waren dabei soweit erkennbar überwiegend an die Pflichtigen selbst verpachtet . Zweitens wurden anders als auf den übrigen in dieser Studie untersuchten Rittergütern nicht nur einzelne Parzellen (Flogländereien), sondern ganze Hofstätten zeitlich befristet verpachtet, und zwar sowohl in Festpacht als auch in Teilpacht . Kleinstellen wurden aber offenbar überwiegend über Festpacht geschaffen; 25 der 203 Einnahmepositionen zur Festpacht (d . h . ein Achtel) beziehen sich auf einzelne Hausstätten, meist mit Garten und/oder wenigen Landparzellen . Allerdings generierten sie nur gerade 4 % der aus Festpacht stammenden Einnahmen . Gesamthaft gesehen waren somit in der Herrschaft Anholt in der Mitte des 18 . Jahrhunderts sowohl grundherrschaftliche Institutionen als auch die anderswo sehr wichtige Erbpacht von geringer Bedeutung . Die in dieser Studie interessierende zeitlich begrenzte Festpacht stellte die wichtigste Kategorie der aus Landvergabe erzielten Einnahmen dar, und es wird ein Bestreben sichtbar, Einkünfte möglichst wenig direkt zu bewirtschaften, sondern zu verrenten . Teilaufstellungen über Einnahmen aus Verpachtung von 1800 bis in die späten 1850er Jahre lassen darauf schließen, dass das 1752/53 geltende Verhältnis zwischen den Einnahmen aus Erbpacht, Festpacht und Teilpacht wohl bis in die 1850er Jahre stabil blieb . Auch Abgaben an Hühnern finden sich bis in diese Zeit . Zwischen den späten 1850er und den späten 1870er Jahren änderte sich dann aber das institutionelle Ge-

71 von Schwerz: Beschreibung der Landwirtschaft I, 14 f .; hierzu und zum folgenden s . auch Kopsidis et al .: Agricultural Output Growth, 5–12 .

77

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

füge: Teilpacht wurde 1866 aufgegeben, und in der Renteirechnung von 1878 kommen Zehnten und Abgaben nicht mehr vor; die Feudallasten waren in der Zwischenzeit offensichtlich abgelöst worden .72 Insgesamt finden wir in Anholt eine wahrscheinlich für viele rheinische Rittergüter geltende Situation vor, in der Zeitpacht – hier in den Varianten von Festpacht und Teilpacht – früh die hauptsächliche Form der Landvergabe war . Das weitgehende Zurücktreten grundherrlicher Arrangements bedeutete auch, dass ganze Höfe und Kleinstellen verpachtet wurden . Damit unterscheidet sich Anholt deutlich von den restlichen vier hier untersuchten Gütern, in denen Zeitpacht lediglich eine Ergänzung der Landvergabe unter grundherrschaftlichen Bedingungen darstellte und sich deshalb überwiegend nur auf einzelne Parzellen bezog (vgl . unten, Kapitel 4 .2) . In naturräumlicher Hinsicht gehört Anholt zum Sandmünsterland, das für den Ackerbau eher ungünstige Bedingungen bot . Dies schlägt sich darin nieder, dass im Kreis Borken, dem Anholt angehört, zum Zeitpunkt der Katastrierung von 1822/35 der Reinertrag des Nutzlands pro Flächeneinheit deutlich unter dem westfälischen Mittel lag . Um Anholt bestand der Untergrund aus Sand, Lehm und Kies; Nässe stellte angesichts der Nähe der Rheinniederung sowie gelegentlicher Überschwemmungen der Issel eine Herausforderung dar . Angesichts dieser Bedingungen war der Anbau des anspruchslosen Buchweizens verbreitet, während umgekehrt lange kaum Weizen erzeugt wurde . Die geringe Eignung des Gebiets für den Ackerbau scheint allerdings auch nicht durch eine entwickelte Viehwirtschaft kompensiert worden zu sein . Dies schlägt sich einerseits darin nieder, dass in den Pachtverzeichnissen Wiesen selten vorkommen (s . Kategorienbezeichnung in Tabelle 3 .2 sowie unten Kapitel 4 .2, Tabelle 4 .3) . Zu beachten ist allerdings, dass um Stadt und Schloss Anholt schon zu Beginn der Neuzeit mit einem ausgeklügelten Dammsystem systematisch gewässerte und auf diese Weise gedüngte Heuwiesen bestanden, die dreimal im Jahr gemäht werden konnten . Andererseits war im westfälischen Vergleich sowohl ca . 1830 als auch 1887/82 der Anteil der mit Klee angesäten Fläche relativ gering . Eine gewisse Intensivierung des Ackerbaus wird immerhin durch den Rückgang der Kultivierung des Buchweizens vor allem im späten 18 . und frühen 19 . Jahrhundert angezeigt .73 Die geringe Eignung des Gebiets für den Ackerbau schuf für viele Haushalte im Westmünsterland einen Anreiz zur Aufnahme gewerblicher Tätigkeiten . Bereits im 16 . Jahrhundert war Wesel (ca . 30 km südlich von Anholt am östlichen Rheinufer gelegen) ein Zentrum der Barchentherstellung . Wesel und sein nördliches Hinterland stellten dabei die südöstliche Randzone eines größeren Barchentreviers dar, dessen

72 FSSA Anholt, Akten Anholt 363, 364 (Renteirechnungen 1799/1800–1808), Rentei Anholt 290 (Renteirechnung 1878), 94 (Pachtgüter [1830er Jahre, 1855/57?]) . Zur Aufgabe der Teilpacht s . Kopsidis et al .: Agricultural Output Growth, 7, Abbildung 2 . 73 Heimatverein Anholt: Anholt, 26–44; Kopsidis: Marktintegration, 126 f ., 157, 171; Parras: Marstall, 45 f ., 62; Kopsidis et al .: Agricultural Output Growth, Tabelle 2 .

Die untersuchten Güter im Kontext

Zentrum in Amersfoord (Provinz Utrecht) lag . Seit dem 16 .  Jahrhundert verlagerte sich das Gewerbe zunehmend ins Westmünsterland, besonders in die kleine Stadt Bocholt, gut 15 km östlich von Anholt . Bis zum Ausgang des 18 . Jahrhunderts entwickelte sich Bocholt zum Hauptstandort des Textilgewerbes nordöstlich des Niederrheins, und viele Haushalte in der Umgebung betätigten sich in der Leinwand- und Barchentherstellung . 1706/07 bis 1789/90 folgte die von der Schau in Bocholt gesiegelte Menge an Barchent einem exponentiellen Trend von 1 %, was dem aggregierten Wachstum der deutschen Baumwolleinfuhren über die Niederlande und Hamburg zwischen den 1750er Jahren und ca . 1790 entspricht . Ab den 1820er Jahren verlagerte sich die Produktion allmählich zur Erzeugung reiner Baumwollwaren, aber Garn wurde mit damals bereits rückständigen, überwiegend handbetriebenen Jennies gesponnen . Einem allgemeinen Trend in Westdeutschland folgend verbreitete sich der Einsatz von Dampfmaschinen und von fortschrittlicher Spinn- und Webtechnik erst ab den 1850er Jahren .74 Anholt selber wurde nicht von Exportgewerben erfasst, aber die Nachbarschaft zu einem dezentralen Textilrevier, in dem ein wachsender Teil der Bevölkerung außerhalb der Landwirtschaft beschäftigt war, implizierte eine Zunahme der Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln . Der damit im Zusammenhang stehende Markt vor allem für Getreide scheint überwiegend dezentral stattgefunden zu haben . Die Stadt Anholt erhielt erst 1793 einen förmlichen Markt, der als Versorgermarkt für die Stadtbewohner konzipiert war, und 1806 wurde über geringe Getreidenachfrage geklagt .75 Ein Schlaglicht auf den dezentralen Handel wirft die Dokumentation eines von der Herrschaft organisierten Verkaufs der dritten Garbe, d . h . des ihr zustehenden Teils der Ernte aus Teilpacht, im Jahr 1843: Aufgeführt sind 17 Käufer, die alle aus der Herrschaft selber oder aus ihrer unmittelbaren Umgebung stammten . Offensichtlich bestand vor Ort ein liquider Handel, der größere Mengen aufzunehmen in der Lage war .76 Im Vergleich mit der Umgebung der anderen hier untersuchten Adelsgüter sowie dem restlichen Westfalen wies das Gebiet um Anholt zwar eine deutlich höhere Bevölkerungsdichte auf (Abbildung  3 .2), doch wuchs die Bevölkerung vergleichsweise langsam . Im Kreis Borken, zu dem Anholt wie erwähnt gehörte, expandierte die Bevölkerung 1818–1871 mit einer Jahresrate von 0,24 % . Allerdings ist es möglich, die Einnahmen der Rentei aus Festpachten ab 1810 nach ihrer regionalen Herkunft aufzuschlüsseln . Gewichtet man das Bevölkerungswachstum der jeweiligen Gebiete nach deren Bedeutung für die Einnahmen an Festpachten der Rentei, so resultiert für die Zeit 1795/1818–1869/71 ein etwas stärkeres Bevölkerungswachstum von 0,36 % (vgl .

74 Reigers: Stadt Bocholt, 158; Reekers: Bocholter Gewerbe; dies .: Beiträge, 406–426; Reininghaus: Weseler Textilgewerbe, 22–30, 35–38, 43–46; Teuteberg: Westmünsterländische Textilindustrie, 8–15, 286–288, 353 f ., 393–396 . 75 FSSA Anholt, Akten Anholt 196, 26 .1 .1793, 4 .5 .1795, 22 .2 .1806 . 76 FSSA Anholt, Rentei Anholt 356 .

79

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Anhang A4) . In den drei folgenden Jahrzehnten bis 1900/05 expandierte die Bevölkerung allerdings deutlich stärker, nämlich mit einer Jahresrate von 1,31 % . Für das 18 . Jahrhundert sind keine Bevölkerungsangaben für Anholt und seine unmittelbare Umgebung bekannt . Im Fürstbistum Münster nahm die Bevölkerung in den im Status animarum von 1749/50 dokumentierten Kirchengemeinden bis 1795 mit einer Jahresrate von 0,19 % zu .77 Es ist also denkbar, dass die Bevölkerung im Einzugsbereich der Rentei Anholt im 18 . Jahrhundert ähnlich langsam oder noch langsamer wuchs als in den ersten zwei Dritteln des 19 . Jahrhunderts . 3.5.2

Assen

Das Gut Assen liegt im Kirchspiel Lippborg in der heutigen Gemeinde Lippetal, wenig nördlich der Lippe und gut 15 km nördlich von Soest beziehungsweise gut 10 km südlich von Beckum (Abbildung 3 .4) . Auswertbare Pachtregister sind ab 1653 erhalten, als der Besitz durch Heinrich von Galen (1609–1694) erworben wurde, der seinerseits Bruder des seit 1650 in Münster amtierenden Bischofs Bernhard war (1606–1678) . Die im Gefolge der Übernahme des Bischofsamts durch Bernhard einen sozialen Aufstieg erfahrende Familie von Galen verfügte daneben über weitere Besitztümer in Westfalen und im nördlich anschließenden münsterischen Niederstift . Erwähnt seien die kleinen Güter Bisping und Romberg im Süden Münsters und Dinklage, von wo aus Heinrich seit 1641 als Droste des Amts Vechta wirkte, und das 1677 vom Bischof für die Nachkommen seines Bruders zu einer Herrschaft erhoben wurde . Heinrich selber teilte 1671 seinen Besitz und starb auf Assen . Dieses Anwesen erbte sein Sohn Christoph Heinrich (1662–1731), der sich allerdings überwiegend in Wien aufgehalten zu haben scheint, wo er 1686 zum kaiserlichen Hofrat ernannt worden war . Da er kinderlos war, trat er 1710 Assen an seinen jüngsten Bruder ab, der in der Folge sein Kanonikat zeitweise aufgab, um eine Ehe zu führen . Über seine Nachkommen ist wenig bekannt; 1811 ging Assen an den auf Dinklage ansässigen Familienzweig über . Die Familie scheint in der Folgezeit sowohl auf Assen als auch auf Dinklage gewohnt zu haben . Im späten 19 . Jahrhundert hatte Ferdinand (1830–1906) seinen Lebensmittelpunkt in Dinklage; 1874–1903 vertrat er als Mitglieder des Zentrums den Wahlkreis Vechta und Delmenhorst im Reichstag .78 Aufgrund der Lage im äußersten Südosten des Münsterlands, wenig nördlich von Soest, lässt sich die Umgebung von Haus Assen in naturräumlicher Hinsicht dem Rand der Hellweger Börde zuordnen . Allerdings lag anlässlich der Erstkatastrierung 1822/35 der Steuerreinertrag der Ackerflächen im Abschätzungsverband Beckum, in

77 78

Gehrmann: Bevölkerungsgeschichte, 92, 478 . Heitkamp: Familie von Galen, 22–29, 93, 124, 157–159 .

Die untersuchten Güter im Kontext

Abbildung 3.4 Lage von Haus Assen im heutigen Kreis Soest Quelle: Wikipedia Commons, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Lippetal_in_SO.svg, CC BY-SA 3.0; Urheber: TUBS, bearbeitet durch die Verfasser.

dem die meisten Pachtländereien des Guts lagen, um etwa ein Drittel unter demjenigen des Gebiets um Soest, und bis in die 1860er Jahre vergrößerte sich der Abstand auf die Hälfte . Das nördliche Hinterland der Lippe profitierte somit nur begrenzt vom Intensivierungs- und Wachstumspotential, das sich für die Bördezone aus dem Aufstieg des Industriereviers zwischen Ruhr und Emscher ergab . Um 1800 war hier noch die Vöhdewirtschaft verbreitet, bei der das Land abwechselnd jeweils für mehrere Jahre als Acker und als Weide (beziehungsweise als sogenannte Dreischfläche) genutzt wurde . Immerhin gilt auch das Nordufer der Lippe als Gebiet, in dem schon im frühen 19 . Jahrhundert die Dreischflächen deutlich zurück gingen und einer dauernden Nutzung als Ackerland mit höchstens einjähriger Brache Platz machte . Allerdings schlug sich in Lippborg die vermutliche Agrarintensivierung nicht in einem Bevölkerungswachstum nieder . Im Vergleich mit den anderen untersuchten Orten war hier die Bevölkerungsdichte 1818 niedrig, und sie nahm bis ins frühe 20 . Jahrhundert eher unterdurchschnittlich zu .79

79 Zur Bevölkerungsdichte s . Abbildung  3 .2; weiter Müller-Wille: Feldbau, 310–313; ders .: Bodenplastik und Naturräume, 210 f .; Kopsidis: Marktintegration, 127, 219–222 .

81

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Tabelle 3.3 Sozialstruktur der koresidierenden Gruppen (Haushalte, Inwohner) in der Kirchengemeinde Lippborg, 1750 (Prozent, n = 198)

Bauer

Weber

Handwerker

Übrige nichtlandw. Tätigkeiten

Tagelöhner

Witwe

39,4

9,1

18,2

4,5

26,3

2,5

Quelle: Henkelmann/Wunschhofer: Status Animarum, 185–220. Bemerkung: Ausgeschlossen wurden zwei Haushalte von Geistlichen, die Insassinnen des Armenhauses sowie vier weitere Haushalte mit nicht klassifizierbarer oder unbekannter Tätigkeit. Zur Erfassung von Inwohnerinnen und Inwohnern s. Anmerkung 83 im Text.

Laut des auf Anweisung der Leitung des Bistums Münster um die Mitte des 18 . Jahrhunderts erstellten Seelenstandsregisters wies die Kirchengemeinde Lippborg eine ausgesprochen bäuerlich geprägte Bevölkerung auf (Tabelle 3 .3) . Rund 40 % der Haushalte wurden als Bauern bezeichnet, was über den Anteilen liegt, die sich für diese Zeit sowohl in ostwestfälischen Gebieten als auch im Kernmünsterland finden .80 Wie schon erwähnt dominierte die Nutzung des Landes in Erbpacht: 62 % der 78 Bauern waren Kolonen (Erbpächter) und 32 % villici (den Hof im Meierrecht Besitzende?) . Die restlichen 6 % (fünf Haushalte) bezeichnete der Pastor als Pächter, d . h . diese hatten nicht nur einzelne Landstücke, sondern auch die ganze Hofstätten in Zeitpacht . Der bäuerlichen Bevölkerung stand allerdings eine breite Unterschicht gegenüber, die insbesondere auf unselbständige Lohnarbeit in der Landwirtschaft angewiesen war . Landwirtschaftliche Familienbetriebe waren somit keineswegs geschlossen, sondern nutzten neben dem Markt für Pachtland vor allem Arbeitsmärkte . In dieser Hinsicht war Lippborg wahrscheinlich mit den Verhältnissen im südlich anschließenden Bördeland vergleichbar, wie sie exemplarisch für Borgeln untersucht worden sind .81 Etwa 19 % der Bevölkerung bestand 1750 aus Gesinde, was am oberen Rand der um diese Zeit für Westfalen bekannten Gesindedichten liegt .82 Drei Viertel aller Knechte und Mägde lebten in Bauernhaushalten, die im Mittel 2,3 Dienstboten aufwiesen . Die zweite wichtige Gruppe landwirtschaftlicher Lohnarbeiter bestand aus Tagelöhnern (26,3 % der Einheiten) . Die prekäre Stellung der Unterschicht erweist sich daraus, dass die Quelle 14 % aller koresidierender Gruppen als Inwohner bezeichnet; ein Drittel (34,6 %) aller Tagelöhner gehörte dieser Kategorie an . Im Vergleich zum ostwestfälischen Heuerlingswesen waren allerdings Inwohner nicht nur weniger verbreitet, sie

80 Zu Ostwestfalen s . Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, 40 f .; Schlumbohm: Lebensläufe, 54 f .; zum Kernmünsterland s . die Angaben zu Nordkirchen unten in Tabelle 3 .4; des Weiteren findet eine Auswertung des Status animarum für Diestedde einen Anteil von Bauernhaushalten von 22 %; Henkelmann/Wunschhofer: Status Animarum, 1–27 . 81 Bracht: Geldlose Zeiten; C . Fertig: Familie; G . Fertig: Äcker . 82 Vgl . G . Fertig: Marriage and economy, 259 .

Die untersuchten Güter im Kontext

lebten überdies auch seltener bei Bauern (10 von 26 Einheiten, die Inwohner mit Berufsangabe aufwiesen), sondern eher in Häusern von anderen Unterschichtshaushalten, d . h . Handwerkern und Tagelöhnern .83 Zwei weitere Merkmale der lokalen Unterschicht verdienen Beachtung . Erstens fehlte die anderswo zahlreiche Gruppe von Köttern weitgehend (nur ein Haushalt, der zusammen mit weiteren nicht in eine größere Gruppe klassifizierbaren Einheiten in Tabelle 3 .3 ausgeschieden wurde) . Landwirtschaftlicher Kleinbesitz ohne Verbindung zu einem nichtlandwirtschaftlichen Kleingewerbe war somit offenbar selten . Allerdings waren die fünf im Seelenstandsregister von 1750 aufgeführten Haushalte von Pächtern mit im Mittel 6,4 Personen deutlich kleiner als diejenigen von Kolonen (9,8), was die Vermutung nahe legt, dass es sich bei ihnen um kleinbäuerliche Betriebe handelte . Kleinstellen basierten somit möglicherweise vor allem auf der Leihe von Land in Zeitpacht .84 Zweitens war die Zahl an Gewerbetreibenden im Vergleich zu anderen grundsätzlich agrarisch geprägten Gemeinden mit knapp einem Drittel relativ hoch .85 Zum Einen verfügte Lippborg über ein differenziertes Dorfhandwerk, was nicht zuletzt für die erhebliche Nachfrage der zahlreichen bäuerlichen Haushalte nach nicht-landwirtschaftlichen Erzeugnissen spricht: In der Gemeinde lebten vier Schmiede, acht Schneider und zwölf Schuhmacher . Zum anderen gab es nicht-landwirtschaftliche Tätigkeiten unter Ausschluss des Handwerks im engeren Sinn . Bedienstete des Schlosses ( Jäger, Pförtner, Soldat), der Verwalter des Armenhauses, der Lehrer, in anderen Gemeinden Krämer, lassen sich zu dieser Gruppe zählen . Schließlich fällt die umfangreiche, knapp 10 % der koresidierenden Einheiten umfassende Gruppe der Weber auf, die fast durchgehend im eigenen Haus (d . h . anders als in Ostwestfalen kaum als Inwohner) lebten . Möglicherweise war Lippborg mit anderen Standorten am nördlichen Lippeufer Teil des ostmünsterländischen Leinwand- und Barchentreviers, das in Warendorf sein Zentrum hatte . Der Sachverhalt ist nicht zuletzt im Hinblick auf landwirtschaftliche Intensivierungsvorgänge im 19 . Jahrhundert, die für uns auch im Zusammenhang mit der Analyse der langfristigen Entwicklung von Pachtzinsen relevant sind, von Bedeutung . Der Niedergang der zerstreuten Textilherstellung im Zuge der Industrialisierung setzte nämlich auf dem Land Arbeitskräfte frei . Konkret erweist sich dies aus dem Rückgang der Anzahl an Webstühlen im Kreis Beckum im Zeitraum von 1828 bis 1849 .

Zum ostwestfälischen Heuerlingswesen s . Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, Kap . VII; Schlumbohm: Höfe, Kap .  7 .  – In Tabelle  3 .3 werden nur Inwohnergruppen erfasst, die verheiratet waren beziehungsweise eine Tätigkeitsbezeichnung aufweisen . Zusätzlich lebten in 14,1 % der erfassten Einheiten Inwohnerinnen und Inwohner, die vor allem aus alleinstehenden Frauen, teilweise mit Kindern, ohne Berufsangabe bestanden . Die in Tabelle 3 .3 ausgewiesenen Witwen lebten dagegen klar im eigenen Haus . 84 Eine ähnliche Sozialstruktur wurde für Hiltrup dokumentiert; Jarren: Hiltruper Höfe, 68 f . 85 Nordkirchen ist ein Kontrastbeispiel; vgl . unten, Tabelle 3 .5 . In Deutschland insgesamt lag um 1750 der Anteil der nicht-landwirtschaftlichen Beschäftigung im ländlichen Raum bei etwa 20 %; Pfister: Economic Growth, 6 . 83

83

84

Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Trotz eines geringen Bevölkerungswachstums ist somit von einer Ausweitung des landwirtschaftlichen Arbeitsangebots im Verlauf des 19 . Jahrhunderts auszugehen .86 3.5.3

Benkhausen

Das Schloss Benkhausen liegt im nördlichen Vorland des Wiehengebirges und damit am äußersten Südrand in der norddeutschen Tiefebene in der heutigen Stadtgemeinde Espelkamp unmittelbar nördlich des Mittellandkanals (Abbildung 3 .5) . In historischer Zeit gehörte das Besitztum zum Amt Reineberg im erloschenen, seit 1648 dem Haus Brandenburg zugehörigen Fürstbistum Minden . Pachtbuchungen lassen sich ab den 1790er Jahren auswerten .

Abbildung 3.5 Lage von Schloss Benkhausen im heutigen Kreis Minden-Lübbecke Quelle: Wikipedia Commons, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Espelkamp_in_MI.svg, CC BY-SA 3.0; Urheber: TUBS, bearbeitet durch die Verfasser.

Das Gut Benkhausen entstand um 1510 durch die Aufteilung des Besitzes von Harteke von Münch († um 1508) unter seinen zwei Söhnen; der ältere übernahm den Stammsitz auf der Ellerburg (ca . 1 km nordwestlich von Benkhausen), der jüngere gründete

86 Reekers: Beiträge, 365, 369–373, 384, 390; Schleier: Territorium, 139–164; dies .: Textillandschaften, 155–160, 169–175 .

Die untersuchten Güter im Kontext

mit Benkhausen ein neues, deutlich kleineres Rittergut . Zwar verfügte Benkhausen 1775 über 238 preußische Morgen Ackersaat und stellte damit im Vergleich mit sechs anderen mindischen Gütern mit entsprechenden Angaben ein mittelgroßes Gut dar . Die Ellerburg besaß aber 1859 859 Morgen, und um 1800 gehörten 70 eigenbehörige Stätten zu diesem Besitzkomplex . Anlässlich einer (temporären) Besitzteilung im Jahr 1597 werden demgegenüber als Besitz des Guts Benkhausen nur 12 Meierhöfe und ca . 20 unterbäuerliche Stellen genannt . Auch wenn die Ländereien des Guts im 17 . Jahrhundert noch deutlich ausgedehnt wurden, ist es im Vergleich mit den meisten anderen hier untersuchten Renteien als relativ kleines Besitztum anzusehen .87 Die Familie von Münch starb 1773 aus; der letzte Besitzer vererbte Benkhausen an Philipp Clamor von dem Bussche (1728–1808) von der Ippenburg unter der Bedingung, den Namen Münch zu führen . Unter seinem Sohn Georg K . F . von dem Bussche Münch (1791–1874; 1817–1838 Landrat des Kreises Rahden) erlebte das Gut eine Blütezeit . Einer allgemeinen Tendenz folgend (s . oben, Kapitel  3 .2) verwendete er Ablösungsgelder zum Ankauf großer Waldflächen in Rahden (unmittelbar nördlich der heutigen Gemeinde Espelkamp) . Allerdings setzte er auch Fremdmittel in großem Umfang ein und hinterließ bei seinem Tod hohe Schulden . Da in den 1870er Jahren nicht nur er selber, sondern auch alle seine Nachkommen starben, ging der Besitz 1885 an einen Nachkommen des Bruders von Philipp Clamor von dem Bussche über . Ihm misslang die Sanierung, und er starb schon 1900 . Seine Witwe überließ die Betriebsführung Verwaltern, und zwischen 1924 und 1930 trat ein Konkurs ein; endgültig verkauft wurde der Familienbesitz 1962 .88 Naturräumlich ist das Mindener Vorland des Wiehengebirges durch einen fruchtbaren Lössstreifen gekennzeichnet . Nördlich, wo sich die Ländereien Benkhausens befinden, schließen sich weniger ertragsreiche sandige Böden an . Dort waren die Garnspinnerei und die Herstellung grober Leinwand (sogenanntes Löwendlinnen) bis ins frühe 19 . Jahrhundert weit verbreitet; in Rahden existierte um 1800 eine Legge, d . h . ein auf den Aufkauf von Leinen spezialisierter Markt . Das Gebiet gehörte somit zum weiteren Umkreis des Osnabrücker Leinwandbezirks, der große Mengen einfacher Leinentücher als „Osnabrugs“ in den Nordseeraum exportierte . Die umfangreiche Unterschicht, die bereits im Zusammenhang mit der Teilung des Besitzes von Benkhausen im Jahre 1597 erkennbar ist (gegen zwei Drittel der Stätten sind dem Kleinbesitz zuzurechnen), könnte somit sowohl mit dem Arbeitskräftebedarf der Landwirtschaft als auch mit dem beträchtlichen nicht-landwirtschaftlichen Beschäftigungsangebot in Beziehung stehen . Im Zuge der Industrialisierung verlor allerdings das dezentrale Textilgewerbe auch hier seine Bedeutung; in der Gewerbezählung von 1849 war das Textilgewerbe im Kreis Lübbecke, in dem Benkhausen lag, bereits marginal . Im Einklang 87 Nordsiek: Grundherrschaft, 163–167, 318–321; Schütte: Geschichte des Rittergutes Benkhausen, 199; Linnemeier: Ein Gut, 10 . 88 Schütte: Geschichte des Rittergutes Benkhausen, 204–207 .

85

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

mit der naturräumlichen Lage und der frühen gewerblichen Entwicklung war die Bevölkerungsdichte bis in die früheren 1840er Jahren relativ hoch und nahm danach bis ins späte 19 . Jahrhundert ab .89 Trotz der Nähe zu Niedersachsen und trotz des Sachverhalts, dass die Wirte von Bauernhöfen als Meier bezeichnet wurden, dominierte in Minden ähnlich wie in Ravensberg und im Münsterland Eigenbehörigkeit als bäuerliches Besitzrecht gegenüber der Erbpacht im Meierrecht . Wie anderswo bestand der Unterschied vor allem in einer niedrigeren Abgabenlast der Erbpächter, in erster Linie als Folge der Nichtexistenz der Abgaben im Sterbfall .90 3.5.4

Nordkirchen

Nordkirchen liegt unmittelbar neben dem gleichnamigen Dorf im Kern- oder Kleimünsterland, gut 30 km südlich von Münster und 10–15 km nördlich der Lippe (Abbildung 3 .6) . Die aus dem frühen 18 . Jahrhundert stammende Schlossanlage des hier untersuchten Anwesens ist als „westfälisches Versailles“ überregional bekannt . Seit dem letzten Drittel des 14 . Jahrhunderts verfügten die aus Lüdinghausen stammenden Herren von Morrien über zunehmend zahlreichere Rechte in Nordkirchen, und zu Beginn des 15 . Jahrhunderts errichteten sie dort eine Burg . Dass sie den Sitz ca .  1516–1522 mit Befestigungsanlagen versahen und ihn auch in der folgenden Zeit weiter ausbauten, deutet auf eine beständige Vermehrung des damit verbundenen Besitzes hin .91 Über sukzessive Erweiterungen sowohl durch die von Morrien als auch durch die Nachbesitzer wurde Nordkirchen vermutlich zu einem der größten Adelsgüter Westfalens und umfasste 1864 einen Besitz von ca . 2 .800 Hektar . Ein 1750 erstelltes Verzeichnis führt 232 grundsätzlich in Erbpacht vergebene, allerdings zum Teil wüste, d . h . nicht besetzte Höfe auf . Neben diesem Komplex um Nordkirchen umfasste der Besitz auch Berechtigungen insbesondere in Ascheberg, Lüdinghausen und Selm . Vereinzelte Pachtflächen lagen außerdem in Dülmen, Werne und im Vest Recklinghausen .92 1691 starb das Geschlecht der Morrien im Mannesstamm aus, und 1694 wurde Nordkirchen mit dem dazugehörigen Besitz durch Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg (1644–1706) erworben, der so Subsidien sicher und statusträchtig anlegte . Die Mittel reichten aus, um das Besitztum wenig später durch den Erwerb kleine89 Müller-Wille: Feldbau: Bodenplastik und Naturräume, 280 f .; Ditt: Naturräume, 44 f .; Reekers: Beiträge, 365–372, 383 f ., 388; Hoffmann: Quellenkritische Untersuchungen, Anhang Tabellen B .5, 6, 26; zur Bevölkerungsentwicklung s . Abbildung 3 .2 . 90 Nordsiek: Grundherrschaft, 243–246, 256–259 . 91 Erler: Geschichte, 8–12, 16 f .; Jung: Schloss Nordkirchen, 13 f .; Mummenhoff/Dethlefs: Schloss Nordkirchen, 12–22 . 92 VWA, Nor .Ak 3374, Familien-Fideikommiß-Inventar (1864); Schwieters: Bauernhöfe, 374–380 .

Die untersuchten Güter im Kontext

Abbildung 3.6 Lage von Schloss Nordkirchen im heutigen Kreis Coesfeld Quelle: Wikipedia Commons, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Nordkirchen_in_COE.svg, CC BY-SA 3.0; Urheber: TUBS, bearbeitet durch die Verfasser.

rer Adelsgüter in der Umgebung zu arrondieren . Die Anlage- und Familienpolitik des Bischofs legte die Grundlage für den Aufstieg des in Nordkirchen ansässigen Zweigs der von Plettenberg, die ursprünglich aus der Grafschaft Mark stammten, zu einer der führenden münsterländischen Adelsfamilien . Noch unter Friedrich Christian wurde mit dem Bau der bekannten repräsentativen Schlossanlage begonnen; abgeschlossen wurde er 1733 unter seinem Neffen Ferdinand von Plettenberg (1690–1737) . Zum Baukomplex zählten auch die Rentei für die Verwaltung der Einkünfte aus dem umfangreichen Grundbesitz sowie ein Armenhaus . Die Familie lebte aber selten längere Zeit auf Nordkirchen; Ferdinand etwa wirkte ab 1723 in Bonn als Minister für die von Kurfürst Clemens August von Bayern besessenen Bistümer im deutschen Nordwesten, nach seinem politischen Fall 1733 wandte er sich nach Wien . Die Nachkommen orientierten ihre Verkehrskreise eher an der kaiserlichen Hofgesellschaft als an der regionalen Elite . Der letzte männliche Vertreter des Familienzweigs verstarb 1813 .93 Die hohen Baukosten des Schlosses, der repräsentative Lebensstil Ferdinands und sein politisches Scheitern führten zu einer hohen Verschuldung der Familie von Plettenberg-Nordkirchen, die in der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts zunehmend drückend wurde . Ab 1764 stand der Besitz zeitweise unter landesherrlicher Zwangsverwaltung; zu Beginn des 19 . Jahrhunderts mussten außerhalb Westfalens liegende 93 Erler: Geschichte, 18–43, 61–69; Jung: Schloss Nordkirchen, 14, 19 f ., 29 f .; Braubach: Ferdinand von Plettenberg; Reif: Westfälischer Adel, 54–57, 77; Mummenhoff/Dethlefs: Schloss Nordkirchen, 27–228; Patel: Adeliges Familienleben, 139; Solterbeck: Blaues Blut, 57–61 .

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Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Besitztümer pfandweise an Gläubiger abgetreten werden . Nach 1813 gelang dem Vormund der Erbtochter Maria (1809–1861), Freiherrn Maximilian von Friedrich von Ketteler (1779–1832), die Sanierung .94 Wie sich weiter unten an verschiedenen Stellen unserer Analyse zeigt, besteht eine zeitliche Parallele zwischen dem auf dem Besitzkomplex lastenden wirtschaftlichen Druck und Bestrebungen zur Einkommenssteigerung durch die Einführung formaler Verträge beziehungsweise von Marktmechanismen (vgl . Kapitel 4 .5) . Maria heiratete 1833 Graf Nikolaus Franz von Esterházy de Galántha (1804–1885) . Das Paar lebte regelmäßig auf Nordkirchen, ebenso wie der 1897 kinderlos verstorbene Sohn Nicolas (1839–1897) . Die Tagebücher Marias, die unter anderem eine Beschreibung des Dorfs Nordkirchen enthalten und die Interaktion der Besitzer mit ihrem ländlichen Umfeld dokumentieren, belegen die oben allgemein erwähnte Tendenz zum Bedeutungsgewinn des ländlichen Hauses als Identifikationsquelle des Adels in der auf das Ende der Ständegesellschaft folgenden Ära .95 In naturräumlicher Hinsicht gehört das Umland von Nordkirchen zum Kernmünsterland . Das Gebiet ist durch Streusiedlung geprägt, und die Bevölkerungsdichte war im 19 . Jahrhundert im Vergleich zur Zone um Anholt und Benkhausen, aber auch im Verhältnis zu anderen Gebieten Westfalens niedrig . Zudem nahm sie im Zeitverlauf allenfalls moderat zu (s . Abbildung 3 .2) . Die fruchtbaren, aber schweren Kleiböden wurden noch im frühen 19 .  Jahrhundert eher extensiv genutzt, denn Brache und Dreischflächen, die abwechselnd jeweils mehrere Jahre als Acker und als Weide dienten, waren groß und verminderten sich im Verlauf des 19 . Jahrhunderts nur allmählich . Immerhin resultierte daraus eine merkliche Erweiterung der für den Getreidebau genutzten Fläche; der Anbau von Blattfrüchten – Kartoffeln und Klee – verbreitete sich eher langsam . Entsprechend lagen die Hektarerträge des Getreidebaus im Vergleich Tabelle 3.4 Sozialstruktur der koresidierenden Gruppen (Haushalte, Inwohner) in der Kirchengemeinde Nordkirchen, 1749/50 (Prozent, n = 168)

Bauer

Kötter

Handwerker

übrige nichtlandw. Tätigkeiten

8,3

16,1

13,1

6,5

Abwesend im herrschaftl. Dienst

Tagelöhner

Inwohner, Witwe, arm

6,5

34,5

14,9

Quelle: BAM 1750/152/900, fol. 779–959. (Verwendet wurde das im selben Archiv verwahrte Typoskript, dem insbesondere bezüglich der Abgrenzung von koresidierenden Gruppen gefolgt wird.) Bemerkung: Ausgeschlossen wurden der Schlosshaushalt sowie die Haushalte von drei Verwaltern und von drei Geistlichen sowie das Armenhaus (10 Insassinnen und Insassen). Nicht berücksichtigt wurden 14 Haushalte mit unbekanntem Status oder unbekannter Tätigkeit.

94 Erler: Geschichte, 47 f ., 67–69; Reif: Westfälischer Adel, 77; Mummenhoff/Dethlefs: Schloss Nordkirchen, 227–229; Solterbeck: Blaues Blut, 61–63, 184–223 . 95 Erler: Geschichte, 70–72; Mummenhoff/Dethlefs: Schloss Nordkirchen, 229–238; Patel: Adeliges Familienleben, 15–19, 127–143, 191 f .

Die untersuchten Güter im Kontext

mit anderen Zonen der westfälischen Bucht im unteren Durchschnitt . Immerhin nahmen im Kernmünsterland insgesamt ab den mittleren Jahrzehnten des 19 .  Jahrhunderts die Milchviehbestände zu, und die Marktkontakte ins aufstrebende Ruhrrevier verdichteten sich .96 Die geringe Zahl an räumlich verstreuten Einzelhöfen ging mit einer umfangreichen unterbäuerlichen Schicht einher, wie das Seelenstandsregister der Kirchengemeinde Nordkirchen von 1749/50 deutlich ausweist (Tabelle 3 .4) . Mit einem Anteil des Gesindes an der gesamten Bevölkerung von 21 % liegt Nordkirchen am oberen Rand der bekannten Gesindedichten zu der Zeit im Bistum Münster; auch unter Ausklammerung der im herrschaftlichen Haushalt tätigen Dienstboten resultiert noch ein ansehnlicher Wert von 17 % .97 Dauerhaft an den Haushalt gebundene Lohnarbeitskräfte wurden durch eine große Gruppe an im Taglohn Beschäftigten ergänzt; die männlichen Vorstände von über ein Drittel der koresidierenden Gruppen – die Gesamtzahl schließt sowohl Haushalte als auch Inwohner ein – waren Tagelöhner . Ebenfalls zur Unterschicht zu zählen sind Einheiten, deren männlichen Vorstände als Angestellte des Gutsbesitzers abwesend waren (6,5 %) . Offensichtlich diente das Umland eines Adelssitzes der Rekrutierung von Arbeitskräften, was umgekehrt möglicherweise Unterschichtshaushalte anzog .98 Schließlich bestand die Unterschicht aus etwa 15 % aller Einheiten, die der Pastor ohne Angabe einer Erwerbstätigkeit als Inwohner, Witwen oder Arme bezeichnete . Demgegenüber machten die Bauernhaushalte nur ein Zwölftel aller Einheiten aus, die Mittelschicht von Köttern (meist wohl relativ gutsituierte Pferdekötter), Handwerkern und weiteren Haushalten, die nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeiten nachgingen, gut ein Drittel . Die Polarisierung zwischen einem großen adeligen Besitztum, einer relativ geringen Zahl verstreuter Bauernhöfe und einer breiten Unterschicht, die angesichts gegebener Hofstätten nur schwer an Land kam, dauerte mindestens in die ersten Jahrzehnte des 19 . Jahrhunderts fort . Ausweislich der spätestens 1830 erstellten summarischen Mutterrolle des Urkatasters für den Abschätzungsverband Nordkirchen verfügte die Gräfin Plettenberg über vier Neuntel des steuerbaren Grundkapitals (44,6 %) . Die 10 % Bauernbetriebe mit dem höchsten Grundkapital stellten einen Anteil von weiteren 36,2 % . Auf die restlichen 90 % der ortsansässigen Grundbesitzer entfiel somit weniger als ein Fünftel des steuerbaren Grundbesitzes . Zum Vergleich: In Lippborg war dieser Anteil 1825 annähernd doppelt so hoch, denn auf den Besitz der von Galen auf Assen entfiel nur 20,5 % des steuerbaren Grundkapitals der gesamten Kirchgemeinde, und auf denjenigen der 10 % größten bäuerlichen Grundbesitzer 41,7 % .99 Der ungleiche und rigide

Müller-Wille: Feldbau; Kopsidis: Marktintegration, 134, 156–159, 170 f ., 222–224 . Vgl . G . Fertig: Marriage and Economy, 259 . 1817 sah der Rentmeister diesen Zusammenhang als offensichtlich an; VWA, Nor .Ak 12859, Nr .  072, 5 .4 .1817 . 99 LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterbücher Münster, Nr . 832, 1157 . 96 97 98

89

90

Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Zugang zur Nutzung von Grund und Boden seitens der Unterschichten hatte erhebliche Folgen für die Preisbildung für Pachtland (s . unten, Kapitel 7 .4) . 3.5.5

Wewer

Das Gut lag in der Gemeinde gleichen Namens, die seit 1969 ein Stadtviertel im Südwesten Paderborns ist . Naturräumlich ist das Gebiet dem westlichen Rand der Paderborner Hochfläche zuzurechnen, der durch das Tal der Alme markiert wird, an der Wewer liegt (Abbildung 3 .7) . Lehensträger der Rechte des Hochstifts Paderborn in Wewer waren spätestens seit 1449 Vertreter der Familie von Imbsen . Zu Beginn des 16 . Jahrhunderts war das Gut im Besitz der Brüder Cordt und Johann . Letzterer, Domherr in Paderborn, verkaufte seine Hälfte 1519 an Reinhard von Brenken . In der Folge gehörte das Besitztum gemeinschaftlich den beiden Familien von Imbsen und von Brenken . Sitz der von Brenken war die 1515/16 auf einer älteren Baugrundlage errichtete Wasserburg; die von Imbsen ließen gegenüber der Alme 1684/86 ein Barockschloss erbauen . Die von uns ab 1691 ausgewerteten Pachteinkünfte stammen aus dem Archiv der von Imbsen . Diese Familie starb 1833 im Mannesstamm aus . Durch Heirat kam das Archiv in den Besitz der Familie von Landsberg-Velen; entsprechend enden unsere Quellen im frühen 19 . Jahr-

Delbrück

Bad Lippspringe

e

Lipp

Altenbeken Salzkotten

Haus Wewer

Borchen

Lichtenau

Abbildung 3.7 Lage von Schloss Wewer in der heutigen Stadtgemeinde Paderborn Quelle: Wikipedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wewer_in_Paderborn.svg, CC BY-SA 2.0; Urheber: TUBS, durch die Verfasser bearbeitet.

Die untersuchten Güter im Kontext

hundert . Der verschuldete Besitz gelangte 1838 an Friedrich Brenken zu Erpernburg, dessen Vater bereits nach dem Aussterben der von Brenken zu Wewer (1817) in den Besitz der anderen Hälfte des Guts gekommen war .100 In naturräumlicher Hinsicht stellt das Gebiet um Paderborn den südöstlichen Abschluss der westfälischen Bucht dar . Mit ihren kalkhaltigen und teilweise sandigen Böden war die Paderborner Hochfläche für den Landbau deutlich weniger geeignet als das westlich anschließende Bördeland . Dies drückt sich darin aus, dass der anlässlich der Katastrierung von 1822/35 für Wewer festgestellte Reinertrag pro Morgen Nutzfläche deutlich niedriger lag als bei den anderen untersuchten Gütern (s . unten, Kapitel 5 .3, Tabelle 5 .2) . Dass trotz (oder gerade wegen) der teilweise intensiven Nutzung des Ackerlands mit Vier- und Fünffelderfolgen der Feldbau wenig ertragreich war, wird auch durch die noch relativ weite Verbreitung des Anbaus von Buchweizen in der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts nahegelegt . Außerhalb der Ackerflur bestanden im regionalen Vergleich offenbar relativ ausgedehnte Gemeinheiten, die insbesondere eine Grundlage für die landextensive Schafhaltung bildeten; das Hochstift führte Wolle aus . Die Bedeutung der Schafhaltung wird durch den Sachverhalt angezeigt, dass im Amt Neuhaus, dem Wewer zugeordnet war, auf die Gemeinheiten mehr als die pro Haushalt festgeschriebene Zahl an Schafen aufgetrieben werden konnte, wenn pro 50 Haupt ein Taler Weidegeld bezahlt wurde (1719) .101 Die Bevölkerungsdichte war in Wewer im frühen 19 . Jahrhundert mit gut 40 Einwohnern pro km2 ähnlich niedrig wie um Assen und Nordkirchen (Abbildung 3 .2) . Im Unterschied zu den Gebieten um die letztgenannten Besitztümer war die Sozialstruktur in der zweiten Hälfte des 18 .  Jahrhunderts aber weniger durch die Polarisierung zwischen großen Bauernhöfen und einer großen agrarischen, teilweise gewerblichen Unterschicht geprägt als von einer Dominanz kleinbäuerlicher Haushalte . Im 1779 für das Hochstift Paderborn angelegten Lagerbuch wurden für Wewer je fünf Meier und Halbmeier sowie 53 Viertelsmeier oder Kötter ausgewiesen; weitgehend landlose Brinksitzer, die in Teilen des Paderborner Landes häufig vorkamen, fehlten in Wewer . Die Nachbardörfer im Südwesten Paderborns (Alfen, Nordborken) wiesen eine ähnliche Sozialstruktur auf . Gewerbliche Beschäftigungsmöglichkeiten existierten kaum, und umgekehrt scheint Auswanderung relativ verbreitet gewesen zu sein . Im 18 . Jahrhundert nahm die Zahl kleinbäuerlicher Haushalte im Paderborner Land allgemein zu . Es kann deshalb vermutet werden, dass ausgehend von einer dünnen Bevölkerung das Arbeitsangebot für den Ackerbau langfristig zunahm, was auch für Pachtzinsen

Ludorff: Bau- und Kunstdenkmäler, 149 f .; Gabriele Rustemeyer: „Wewer“, EBIDAT  – Die Burgendatenbank, https://www .ebidat .de/cgi-bin/ebidat .pl?id=4172 (abgerufen am 1 .3 .2019); LA NRW Münster, Findbuch A 450 We II, Bestandsübersicht . 101 Müller-Wille: Feldbau, 305; ders .: Bodenplastik und Naturräume, 212 f .; Henning: Herrschaft und Bauernuntertänigkeit, 205; ders .: Bauernwirtschaft, 45–48, 83 f .; Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, 58 f .; Deter: Veränderung der Bodennutzungssysteme; Keinemann: Hochstift Paderborn, Bd . 1, 308–323 . 100

91

92

Fünf Adelsgüter zwischen Rhein und Weser

Folgen zeitigen musste . In institutioneller Hinsicht ist zu erwähnen, dass im Amt Neuhaus in Abweichung von einer generellen Tendenz im Paderborner Land die landbesitzende Bevölkerung wie im Münsterland meist eigenbehörig war .102

Büschings Magazin XXI Theil, 7 .4 .1787 (zitiert nach http://wiki-de .genealogy .net/Amt_Neuhaus_ (historisch), abgerufen am 22 .6 .2016); Henning: Herrschaft und Bauernuntertänigkeit, 257–261; ders .: Bauernwirtschaft, 19 f ., 31–34; Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, 41–43, 467; Keinemann: Hochstift Paderborn, Bd . 1, 330–332 .

102

Kapitel 4 Pachtobjekte und Pachtverträge

Die langfristige Verbreitung von zeitlich begrenzter Geldpacht ist Teil eines übergreifenden Vorgangs der Durchsetzung einer Marktgesellschaft . Pachtverhältnisse gründen auf formalen und informellen Institutionen, mit denen die Beteiligten Pachtverträge anbahnen, schließen und die daraus folgenden Ressourcenflüsse nachhalten sowie überwachen . Im Anschluss an Polanyi und weitere Autoren kann die Durchsetzung einer Marktgesellschaft als Übergang zwischen zwei Zuständen verstanden werden:1 In einem ersten Zustand sind Marktinstitutionen wenig ausdifferenziert und folgen aus ihrer Einbettung in ein weiteres Feld sozialer Beziehungen, in denen neben dem Tausch zwischen einer Ware und dem generalisierten Medium Geld auch Transfers und Redistribution praktiziert werden . In einem zweiten Zustand, demjenigen der Marktgesellschaft, existieren ausdifferenzierte Institutionen, die speziell auf die Transaktion eines Guts oder einer Klasse von Gütern zugeschnitten sind . Mindestens dem Anspruch nach sind sie inkludierend; sie rahmen Transaktionen unter formal Gleichberechtigten ohne Rücksicht auf die sozialen Merkmale der Beteiligten .2 Marktinstitutionen und ihr Wandel beeinflussen das Marktgeschehen, nicht zuletzt die später in dieser Studie untersuchte Preisbildung . Darüber hinaus bestimmen sie auch die Ausgestaltung der materiellen Artefakte, vor allem die schriftlichen Dokumente, welche die beteiligten Akteure als Hilfsmittel für das Eingehen von Marktbeziehungen einsetzen . Es besteht somit eine enge Beziehung zwischen Marktinstitutionen und den Quellen, die uns Pachtverhältnisse zu beschreiben erlauben . Unter dem Leitgesichtspunkt des Übergangs zur Marktgesellschaft behandelt das gegenwärtige Kapitel drei miteinander verbundene Gegenstände: erstens die auch im Rest der Studie verwendeten Quellen und die für ihre Auswertung eingeschlagenen 1 Polanyi: Great Transformation; zu dieser Entwicklung im Untersuchungsraum G . Fertig: Äcker; Pfister et al .: Life Course Strategies . 2 Diese Eigenschaften moderner Märkte betonen North et al .; Limited Access Orders; Acemoglu/Robinson: Warum Nationen scheitern .

94

Pachtobjekte und Pachtverträge

Verfahren, zweitens die Herkunft und den Umfang des Pachtlands, sowie drittens die Ausgestaltung von Pachtverträgen und deren Wandel . Die ersten beiden Unterabschnitte zeigen, wie groß der Umfang des Pachtlandes gemessen an den gesamten Ländereien der Güter war und wie wir über die Rechnungsbücher der Renteien auf Pachtbeziehungen zugreifen können . In Kapitel 4 .3 analysieren wir überlieferte Pachtbestimmungen im Hinblick auf die Inhalte der Vertragsbeziehungen zwischen Pächtern und Verpächtern . Der überwältigende Teil dieser Information stammt aus dem 19 . Jahrhundert, so dass zu vermuten ist, dass Pachtverhältnisse in der Frühen Neuzeit überwiegend formlos geregelt wurden . Deshalb geht Kapitel 4 .4 der Frage nach, wieweit Geldpacht zeitlich befristet war und wie sich dies im Zeitverlauf änderte . Zum Schluss stellt Kapitel 4 .5 die vom 18 . zum 19 . Jahrhundert zu beobachtende Formalisierung der Pachtbeziehungen in den Kontext des Übergangs zu einer Marktgesellschaft . 4.1

Herkunft und Größe des Pachtlandes

Einen Einstieg zur Beschreibung der Pachtbeziehungen auf den untersuchten Gütern bieten die in Niekammer’s Güteradressbuch von 1931 enthaltenen Informationen über den Umfang der jeweiligen Besitztümer (Tabelle 4 .1) . Zu beachten ist, dass die Eigentümer nicht verpflichtet waren, ihre Besitzungen und deren Nutzungen samt der mit ihnen in einem Pachtverhältnis stehenden Hofpächter korrekt anzugeben . Allem Anschein nach waren sie jedoch ziemlich auskunftsfreudig . So gibt es keinen Anlass, an den Zahlen für den Gesamtbesitz sowie die Flächen des Pachtlandes zu zweifeln . Tabelle 4.1 Grundbesitz der fünf untersuchten Güter 1931 (Hektar)

Grundeigentümer Anholt (Fürst zu Salm-Salm) Assen (Graf von Galen) Benkhausen (Freih. von dem Bussche-Münch) Nordkirchen (Herzog Arenberg) Wewer (Freiherr von und zu Brenken)

Parzellenpachten

nicht diff./ Eigenbesitz

656 1.721

5.097 2.438 486 1.324 857

2.595

Hofpachten

total

1.235 577

6.988 4.736 486 4.819 1.088

900 231

Quelle: Niekammer’s Landwirtschaftliche Güter-Adreßbücher, Bd. 10, Westfalen, 3., verm. und verb. Aufl., Gießen und Leipzig 1931.

Zwei Einschränkungen sind allerdings vorzunehmen: Erstens behandelt der ausgewertete Band des Güteradressbuchs die Besitzungen in der preußischen Provinz Westfalen; anderswo gelegene Besitzungen werden damit nicht ausgewiesen, und dass solche Besitzungen existierten, ist sicher für Anholt anzunehmen . Zweitens könnte sich in den Zahlen des nicht spezifizierten Eigenbesitzes durchaus weiterer zur Parzellenpacht ausgegebener Besitz verbergen . Hier liegen für Anholt, beziehungsweise

Herkunft und Größe des Pachtlandes

für Fürst Nikolaus von Salm-Salm, allein Nachweise der Parzellenpacht in den Kreisen Ahaus und Coesfeld vor, und nicht aus dem Kreis des Stammsitzes, nämlich Borken . So werden sich unter den annähernd 5 .100 ha unspezifizierten Besitzes, alles im Stadtgebiet Anholt, sicherlich Hunderte Hektar an Parzellenbesitz verbergen . Das meiste vom Grafen von Galen als Parzellenpacht vergebene Land lag hingegen hauptsächlich gar nicht in der Gegend des Stammsitzes der Familie von Galen – Haus Assen –, sondern im Stadtkreis Münster . Unser Zugriff über die Renteirechnungen von Assen hat hier folglich nur geringe Relevanz für die Gesamtfinanzen des Hauses . Der Freiherr von dem Bussche-Münch als Besitzer des Hauses Benkhausen wiederum wird, in Anbetracht der Randlage des Gutes in Westfalen, nicht nur im hier allein nachgewiesenen Kreis Lübbecke, sondern auch in der Provinz Hannover Land besessen haben, so dass die geringe Fläche hier nicht allzu überraschen darf . Allerdings befand sich Benkhausen 1931 am Ende eines mehrjährigen Konkursverfahrens, in dessen Folge auch Land verkauft wurde . So steht die niedrige Zahl von 486 ha doch dafür, dass der Stammsitz weniger reichhaltig ausgestattet war als bei den vorgenannten Besitztümern . Auch hier dürfte sich in der Summe ein Anteil Parzellenpacht verbergen . Für Wewer ist allein Land im Kreis Paderborn, und hier in der Gemeinde Wewer, nachgewiesen . Parzellenpacht dürfte sich durchaus in den unspezifizierten 857 Hektar verbergen . Allerdings gilt es zu beachten, dass das Gut bis 1838 in zwei Besitzkomplexe aufgeteilt war und wir nur denjenigen Teil untersuchen, welcher der Familie von Imbsen gehörte (Kapitel 3 .5 .5) . Zusammen mit Benkhausen stellte somit Wewer-Imbsen im Vergleich zu den anderen drei untersuchten Rittergütern ein eher kleines Besitztum dar . Dem Besitzer des Hauses Nordkirchen, dem Herzog von Arenberg, gehörte vor allem Land im Kreis Lüdinghausen, in dem auch das Haus Nordkirchen lag, während in den Kreisen Dortmund (Stadt) und Recklinghausen ein paar Pachthöfe und selbst genutzte Holzungen lagen . Im Inventar des Fideikommisses aus dem Jahr 1864, das augenscheinlich kaum Besitz unberücksichtigt ließ, wurde eine Fläche von gut 2 .950 Hektar festgehalten .3 Ausweislich des Adressbuchs summierte sich der Besitz 1931 auf 4 .819 Hektar . Somit war der Umfang des Guts in der Zwischenzeit um 63 % angestiegen . In den Fluren der Gemeinde Nordkirchen sind ausweislich des Adressbuchs rund 1 .200 ha Ackerland, rund 1 .000 ha Weiden und 130 ha Wiesen in Parzellenpacht vergeben worden, während der Herzog weitere 1 .053 ha Holzung selber nutzte . Wenn man davon ausgeht, dass der seit 1864 neuerworbene Besitz primär in Hof- und Parzellenpacht vergeben wurde, so darf man für die Mitte des 19 . Jahrhunderts annehmen, dass zum Nordkirchener Renteikomplex 1 .600–1 .800 ha an Pachtflächen zählten . Insgesamt lag ein Großteil des Pachtlandes in direkter Nähe der Stammsitze . Dies nährt die Vermutung, dass verpachtete Parzellen in erster Linie jenem Land ent-

3

VWA, Nor .Ak 3374, Familien-Fideikommiß-Inventar (1864) .

95

96

Pachtobjekte und Pachtverträge

stammten, das ursprünglich im Rahmen der Villikationsverfassung von den Gütern zur Eigenwirtschaft genutzt wurde . In diesem Fall entfaltet die Vergabe von Pachtland auch eine zusätzliche ökonomische Dimension, da sein Ausmaß offensichtlich das Ergebnis von Entscheidungen für oder gegen die eigene Bewirtschaftung war . Das unter der Villikationsverfassung als Salland oder Hovesat durch den Fronhof einer Grundherrschaft direkt bewirtschaftete Land war steuerfrei bis zum Jahr 1865, und die adeligen Besitzer waren frei darin, wie sie es benutzen wollten, ob in Eigenwirtschaft, als Zeitpachtland oder in langfristiger Erbpacht .4 Die diesbezüglichen Festlegungen und ihr Wandel sollen im Folgenden explorativ für Nordkirchen genauer verfolgt werden . Wie erinnerlich stellte die Verpachtung der Hovesat, des ehemals von einem Fronhof selber bewirtschafteten Sallands, sowohl ein wichtiges Element des Zerfalls der Villikationsverfassung als auch eine zentrale Quelle zur Entwicklung der Landpacht auf Zeit dar (s . oben, Kapitel 2, 3 .2) . Der Begriff Hovesat findet sich in den Rechnungen der Güter Nordkirchen (bis 1850) und Assen (bis 1799), nicht aber auf Wewer, Anholt und Benkhausen . Im Fall von Benkhausen und Wewer dürfte dies damit zusammenhängen, dass diese Besitztümer erst am Beginn des 16 . Jahrhunderts aufgebaut wurden (vgl . Kapitel 3 .5) . Eine Übersicht über die Umfänge der Hovesat liegt nicht vor, es spricht aber einiges dafür, dass 300 ha selten überschritten wurden . Heinz Reif zitiert den Freiherrn vom Stein mit einer Einschätzung, die durchschnittliche Hovesat habe umgerechnet 50–100 ha umfasst . Linnemeier führt Güter aus dem Fürstentum Minden im 18 . Jahrhundert an, deren Salland zwischen 32 und 120 ha umfasste .5 Nun verfügte der Komplex Nordkirchen im 19 .  Jahrhundert, wie in Kapitel  3 .5 .4 ausgeführt, über neun ursprünglich eigenständige Güter, die wahrscheinlich jeweils mit Hovesaten ausgestattet waren . Innerhalb der damaligen Gemarkung Nordkirchen befanden sich davon drei, sowie drei weitere Besitzkomplexe, die in den Gutsbesitz eingegliedert worden waren (Abbildung 4 .1) . Insgesamt gehörte etwa die Hälfte des Landes in der damaligen Gemarkung Nordkirchen, die etwa 3 .500 ha umfasste, zum Gut Nordkirchen, also rund 1 .750 ha . Die Hovesat war bestens geeignet, um flexible betriebliche Strategien zwischen der Ausgliederung und der Eingliederung von Einnahmequellen zu verwirklichen . Die Kartierung von Gutsländereien in der Dorfflur der Gemarkung Nordkirchen weist verschiedene Nutzungen der in mittelbarer Nähe des Schlosses liegenden Flächen aus (Abbildung 4 .2) . Es zeigt sich, dass der größte Teil der Hovesat in dieser Zeit verpachtet war . Die 1 .750 ha teilten sich folgendermaßen auf: an verpachteter Hovesat auf Nordkirchen und Meinhövel etwa 960 ha, an Hovesat in eigener Nutzung 75 ha sowie an sonstigen verpachteten Flächen 84 ha . Die nicht in den Rechnungen aufgeführten, 4 Gesetzsammlung für die königlichen preußischen Staaten 1861, Nr . 5379, S . 253, Gesetz, betr . die anderweite Regelung der Grundsteuer, 21 . Mai 1861 . 5 Reif: Westfälischer Adel, 223; Linnemeier: Ein Gut, 10; vgl . Wunder: Adel im Hessen des 18 . Jahrhunderts, der für dortige Rittergüter den Umfang des Eigenlands mit 32 bis 72 ha angibt .

Herkunft und Größe des Pachtlandes

Abbildung 4.1 Provenienz des Grundbesitzes des Hauses Nordkirchen um die Mitte des 19. Jahrhunderts Quellen: Parzellenzuschnitt nach Urkarten 1826 und Mutterrolle 1859 (Katasteramt Kreis Coesfeld); Nutzungen nach Renteirechnung Nordkirchen in VWA, Nor.Ak 2585.

also grundsätzlich nicht zur Verpachtung vorgesehenen Flächen beliefen sich auf 632 ha . Der Umfang dieser letztgenannten Flächen ist erstaunlich groß . Ein Abgleich mit den Urmesstischblättern von 1842, in denen ebenfalls die meisten Parzellenzuschnitte, zudem aber auch landschaftspägende Elemente wie Alleen und Nutzungen wiedergegeben sind, zeigt deutlich, dass diese nicht in den Rechnungen geführten Flächen zum größten Teil mit Wald bewachsen und also der Forstwirtschaft zugeordnet waren . Insgesamt erweist sich, dass die Hovesat – zumindest im Fall von Nordkirchen – nur einen Teil des in Parzellenpacht ausgegebenen Grundes ausmachte . Der Hauptteil der Parzellenpachten lag gar außerhalb der Nordkirchener Gemarkung . Der überwältigende Teil des Pachtlandes muss aus nicht besetzten Bauernstellen, von denen es immer etliche gab, entstanden sein .6 Für peripher liegende Parzellen und Höfe bot sich die Pacht als geeignete Vertragsart an, weil sie wenig Kontrolle erforderte . Das zentral um das Schloss gelegene Land hingegen, bei dem gar nicht entscheidend war, ob es der Rechtsqualität Hovesat

6 Schwieters: Bauernhöfe, 374–380 (Hofverzeichnis von 1750); vgl . unten Kapitel 4 .4 die Geschichte der Verpachtung des Göbbelskotten; allgemein vgl . auch Kapitel 2 .

97

98

Pachtobjekte und Pachtverträge

Abbildung 4.2 Die Nutzung des Grundbesitzes Nordkirchen um die Mitte des 19. Jahrhunderts (nur damalige Gemarkung Nordkirchen) Quellen/Bemerkungen: wie Abbildung 4.1.

entsprach, konnte aus Sicht des Gutes durchaus entweder in Pacht vergeben oder in Eigenwirtschaft bearbeitet werden . Tatsächlich wechselte die Nutzung mancher Parzellen gerade im 18 . und in der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts wiederholt zwischen Pacht und Eigenwirtschaft hin und her . Selbst wenn die Entscheidung für eine Verpachtung des Sallandes gefallen war, waren für die Renteien noch zwei Alternativen zu prüfen, nämlich, größere Teile daran im Gesamten einem Pächter zu übertragen oder es parzellenweise an Dorfbewohner abzugeben . In Nordkirchen experimentierte man zeitweise mit der ersten Möglichkeit, letztlich erschien der Rentei aber die letztere Option deutlich vorteilhafter .7 Eine mögliche theoretische Begründung liegt darin, dass die parzellenweise Abgabe an relativ kleine Landbesitzer eine hohe Relation zwischen Arbeit und Land bewirkt und damit einen hohen Bodenertrag pro Flächeneinheit begünstigt . Potentiell stellt die Kenntnis der Parzellengröße damit auch eine wichtige Hintergrundinformation für die Beurteilung der Preisbildung von Pachten dar (s . unten, Kapitel 7 .4) . Aus dem 19 . Jahrhundert stammende Angaben zur Größe verpachteter Parzellen geben einen Hinweis, ob

7

VWA, Nor .Ak 3466, Nr . 113, 23 .8 .1811; s . auch ebenda, Nr . 204, 30 .6 .1814 .

Pachtbuchungen in der Rechnungsführung

den Renteien eine solche intensive Bewirtschaftung ihres Landes gelungen ist (Tabelle 4 .2) . In dieser Beziehung variierten die Pachtländereien der fünf Güter stark . An dieser Stelle sei nur ein kurzer Eindruck von der Bandbreite vermittelt . Tabelle 4.2 Mittlere Größe verpachteter Parzellen (Hektar)

Jahr Max. Min. arithmetisches Mittel Median

Anholt

Assen

Benkhausen

Nordkirchen

1860 9,47 0,03 0,51 0,14

1848 27,71 0,04 1,62 0,65

1830 9,01 0,02 0,44 0,25

1806/1859 39,97 0,03 4,39 2,28

Quellen: FSSA Anholt, Rentei Anholt 611, 612, 613; VWA, Ass.A 2621; LA NRW Münster, Benkhausen 1686; VWA, Nor.Ak 7253 und 7254. Bemerkung: Da in Nordkirchen nicht alle Pachtverträge gleichzeitig abgeschlossen wurden und sich die Pachtperioden unterschieden, enthält keines der Pachtregister die Gesamtheit der Pachtparzellen. Daher werden hier die zwei Register von 1806 und 1859 herangezogen, die auch der hedonischen Regression in Abbildung 5.4 und Tabelle 5.2 zugrunde liegen. Die in den beiden Registern enthaltenen Parzellen mit Flächenangabe aber ohne Angabe eines Pachtzinses, bleiben hier – wie auch in der hedonische Regression – unberücksichtigt. Ihr Einschluss würde die obigen Berechnungen allenfalls im zweiten Nachkommabereich ändern.

Eher kleine Parzellen enthielten die Besitzungen Anholt und Benkhausen, große dagegen Nordkirchen . Dabei sei nicht auf die Ausdehnung der kleinsten Flächen geschaut, sondern vor allem die Diskrepanz der Mittelwerte betrachtet . Die erkennbare Spreizung zwischen arithmetischem Mittel und Median in Anholt lässt erkennen, dass hier extrem viele Parzellen sehr klein waren . Benkhausen hatte insgesamt kleine Pachtparzellen, die Verteilung der Größen kann man aber hier als relativ homogen bezeichnen, weil arithmetisches Mittel und Median näher beisammen liegen als auf den anderen Gütern . In Nordkirchen hingegen maß die größte Pachtparzelle fast 40 ha . Die durchschnittliche Parzelle war viel größer als in Benkhausen und Anholt . Mit 4,39 ha im Mittelwert und 2,28 ha im Median wiesen viele Pachten des Besitztums von Nordkirchen bereits volle Betriebsgrößen auf . Für bereits mit grundherrschaftlichen und später abgelösten Flächen ausgestattete Betriebe waren sie nicht zwangsläufig eine Bereicherung . Assen lag in allen Bereichen zwischen den geschilderten Extremwerten . 4.2

Pachtbuchungen in der Rechnungsführung der Renteien

Nähere Erkenntnisse über Umfang und Beschaffenheit des Pachtlands erhält man über das bisher Gesagte hinaus nur aus den Einträgen der Pachtansprüche und -eingänge in den Rechnungsbüchern; im Folgenden bezeichnen wir diese Einträge als (Pacht-) Buchungen . Sie richteten sich allerdings verständlicherweise nicht nach beschrei-

99

100

Pachtobjekte und Pachtverträge

bend-statistischen Ansprüchen, sondern dienten eben lediglich der Buchhaltung einer Rentei . Die Buchungen stellen unsere Hauptquelle für die Analyse der langfristigen Entwicklung von Pachtbeziehungen dar, insbesondere auch was die Höhe von Pachtzinsen anbelangt . Der gegenwärtige Abschnitt beschreibt die im Zusammenhang mit Zeitpachten gepflegte Buchungspraxis auf den untersuchten Renteien und gibt anhand einer Schätzung der verpachteten Flächen einen Eindruck der langfristigen Entwicklung der verpachteten Flächen und damit der potentiellen Bedeutung von Landpacht für die Einnahmen von Rittergütern . Die Buchhaltung adeliger Güter unterlag keinen einheitlichen Regeln und war bis ins frühe 19 .  Jahrhundert durch geringe Professionalität gekennzeichnet (vgl . oben, Kapitel 3 .1) . Zu Anholt, Assen, Nordkirchen und Wewer werten wir jährliche Renteirechnungen aus . Die Gliederung der Rechnungen ist uneinheitlich, und nur in seltenen Fällen existierten abgeschlossene Rubriken für Zeitpachten . Vielmehr konnten die Einträge auch über ein Jahrhundert nach einer erfolgten Akquisition nach Provenienzen des Besitzes geordnet sein, die quer zu den thematischen Feldern lagen . In der Buchführung der Rentei Nordkirchen etwa folgten Rubriken beispielweise eine Zeitlang der Bezeichnung „Besitzungen im Kirchspiel Nordkirchen“, „Neue Acquisiten“ oder dergleichen (vgl . oben Tabelle 3 .1) . In unserer Quellenerfassung für die vier fraglichen Güter haben wir deshalb über alle Rubriken hinweg potentiell mit Pacht im Zusammenhang stehende Buchungen erfasst . Erst in einem zweiten Schritt haben wir Buchungen identifiziert, die zweifelsfrei die Zinsen von über mehrere Jahre hinweg in Zeitpacht vergebenen Objekten betreffen . Im Fall von Benkhausen wurden im Unterschied zu den übrigen Gütern Pachtverzeichnisse ausgewertet, die nicht jährlich, sondern allein für das erste Jahr der Pachtabschlüsse geführt wurden . Diese Vorgehensweise ergibt sich daraus, dass die Ländereien dieses Besitztums ab dem frühen 19 . Jahrhundert zunehmend gesamthaft an einem einzigen Termin jeweils neu verpachtet wurden . Für die Jahre zwischen den Sammelverpachtungen rechnen wir folglich mit Sollwerten; angesichts des hohen Aufwands zur Erfassung der effektiven Eingänge halten wir diese Unschärfe für vertretbar . Tabelle 4 .3 gibt wieder, in welcher Zahl die Buchungen der Datenbanken mit Zusätzen über die Nutzung und Qualität eines Objekts versehen sind . Nur wenige Buchungen sind so ausführlich, dass sie die Beschaffenheit der Pachtobjekte explizit beschreiben, und diese Angaben stammen überwiegend erst aus dem 19 . Jahrhundert . Teilweise ergeben sich die Nutzungen des Landes aus den Rubriken der Rechnungen, etwa der 1673 bis 1717 in Anholt gebräuchlichen Rubrik „Empfang Gärten in den Breels“ . Die ebenfalls in Anholt gebräuchlichen Rubriken „Empfang von Bau und Weidegründen“ und „von verpachteten Flogländereien: Wiesen, Weiden, Gärten, Häusern“ sind zwar eher pertinenzorientiert beziehungsweise betrieblich orientiert, jedoch wurden auch hier alle Nutzungen gemischt registriert . Auf dieser Basis ist nur eine inhaltliche Aussage möglich: Wald wurde kaum verpachtet, sondern nur landwirtschaftlich genutztes Land . Meistens ist implizit von der

Pachtbuchungen in der Rechnungsführung

Verpachtung von Ackerland auszugehen, denn Wiesen, Weiden und Gärten wurden häufig explizit benannt . Die Benennung der Parzelle allein ist hingegen ein allenfalls schwaches Indiz für die Nutzung, denn hinter einem „… kamp“ konnte sich immer auch eine Weide oder Wiese verbergen . Angesichts des Aufbaus der Rechnungsbücher ist es auch nicht immer einfach, die für ein Objekt geltenden Vertragsverhältnisse aufgrund der Buchungen einzuschätzen . Eindeutig als Zeitpacht zuzuordnen ist eine Buchung nur dann, wenn explizit ZeitTabelle 4.3 Typen von Pachtobjekten auf der Basis von Pachtbuchungen Nordkirchen Assen Benkhausen Anholt Pachten Buchungen Buchungen Buchungen

Wewer Buchungen

Anzahl Beobachtungen Einheit

53.757 A)

20.362 A)

8.245 B)

116.725 A)

10.722 A)

Kulturart Ackerland Garten Wiese Weide Wald Hofstellen und Häuser unspezifiziert Kontext Acker sonstige #

9 1.160 296 2.378 175 1.402 48.016 321

7.139 254 1.355 1.888 69 155 7.890 1.612

5.818 100 994 9

5.209 7.623 258 347 21 516 60.036 42.715

1.053 403 426 11

22.448 10.047 445 68 1.897

1.228 3.845 154

5.965

2.939

737

1.601

70.845+ 398 4.489 358 20

1.787 462 16.603

212 54 14.132

679

Erster Datensatz Jahr

1558

1653

1791

1613

1651

letzter Datensatz Jahr

1903

1922

1899

1899

1837

Nutzung/Vertragsform Zeitpacht Kontext Zeitpacht++ Pacht unbestimmt o. Erbpacht Viehtrieb Herrschaft Hofgeld ## sonstige# interne Verweise unbestimmt

115 1.209

30.488 9.851

657 7.552 620

10

3.239 183 4.351

Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1). Bemerkung: A) Jährliche Buchungen aus Renteirechnungen, B) Einträge der Pachtregister am Beginn einer Periode. # Inklusive von Kombinationen der voranstehenden Kulturarten nzw. Nutzungen/Vertragsformen. ## Hofgeld kommt in den Akten zu Wewer nach dem Dreißigjährigen Krieg auf, etwa 1651; LA NRW Münster, Landsberg-Velen, Wewer 8259. Bis 1725 wird Hofgeld weitgehend universell für pachtähnliche Verträge verwendet, auch für Einnahmen der Flurstücke. Ab 1726 (Ebenda, Akte 12921) wird dies dann unterschieden. Das eigentliche Hofgeld ist wohl als monetäre Abgabe an den Grundherrn zu interpretieren. Vgl. Henning: Dienste und Abgaben, 216 f.; + darin 4.210 Buchungen der Teilpacht „Dritte Garbe“ oder „Vierte Garbe“. ++ ohne Hinweis auf Vertragsform, aber in einer Kontinuität mit Zeitpachtverträgen stehend.

101

102

Pachtobjekte und Pachtverträge

pacht benannt beziehungsweise eine Pachtperiode oder ein Pachtende angegeben sind . Tabelle 4 .3 offenbart, dass dies zwar insgesamt in der Mehrzahl der Fall war, aber enorm viele Einträge der Rechnungen gerade der frühen Jahrhunderte blieben unspezifiziert . Wir haben uns daher entschieden, den Zusammenhang zwischen unspezifizierten Buchungen über mehrere Jahre hinweg in die Interpretation miteinzubeziehen . Das folgende Kapitel 4 .3 wird zeigen, wie schwierig gerade im 16 . und 17 . Jahrhundert die eindeutige Interpretation der Buchungen ist . Für Tabelle 4 .3 haben wir eine Kategorie gebildet, die Buchungen als im „Kontext von Zeitpachten stehend“ bewertet, wenn Zeitpacht in ihrer durch Record linkage hergestellten Kontinuität belegt ist . In den späteren Indexkonstruktionen sind wir anders verfahren; dort haben wir jene Buchungen ausgeschlossen, in denen explizit keine Pacht vorlag, weil etwa die Herrschaft die Parzelle nutzte, weil die Pacht auf Lebenszeit oder gratis vergeben war (Kapitel 5 .1) . Mit Hilfe der Pachtverzeichnisse auf Benkhausen und der als Einnahmen aus Zeitpacht identifizierten Buchungen auf den vier anderen Gütern lässt sich ein näherungsweiser Überblick über die Entwicklung der verpachteten Flächen, aber auch über die Dichte der im Weiteren verwendeten Quellen gewinnen . Allerdings ist nur auf Benkhausen der Umfang der verpachteten Ländereien direkt aus den Pachtregistern ersichtlich . Für die übrigen vier Güter dividieren wir jeweils die aus den Buchungen gewonnene Gesamteinnahme aus Zeitpacht durch den um Flächenänderungen bereinigten Erlös pro Hektar (s . unten Abbildung 5 .8) . Dies ist insofern nur ein ungefährer Schätzwert der Pachtflächen, als der Pachtzinsindex Veränderungen in der Wertstruktur der Pachtflächen berücksichtigt, was bei der Summe der Pachtbuchungen natürlich nicht der Fall ist . Das Ergebnis findet sich in Abbildung 4 .3 . Die für Anholt, Assen, Nordkirchen und Wewer indirekt geschätzten Pachtflächen kommen den tatsächlichen Umfängen wohl recht nahe . Im vorangehenden Kapitel 4 .1 schätzten wir die Gesamtfläche der Pachtparzellen Nordkirchens in den 1860er Jahren, als die Besitzungen zum Zwecke des Fideikommiss verzeichnet wurden, auf 1 .600 bis 1 .800 ha . Aus Abbildung 4 .3 entnehmen wir nun ebenfalls eine Fläche der Pachtparzellen auf diesem Besitzkomplex von gut 1 .800 ha . Dies bestätigt sowohl die hier angestellten Überlegungen zu Nordkirchen im Speziellen, als auch insgesamt die im Verlauf der Untersuchung durchgeführte Konstruktion von langen Reihen von Pachtzinsen (Kapitel 5 .4) und deren essentielle Kalibrierung auf einen bestimmten Betrag pro Flächeneinheit zu einem definierten Zeitpunkt (Kapitel 5 .3) . In einer quellenkundlichen Sicht weisen starke kurzfristige Ausschläge und Lücken auf die Qualität der Dokumentation hin . In Anholt beispielsweise bestehen 1632–1671 und 1872–1887 längere Lücken . In diesen Jahren mangelte es somit an auswertbaren Rechnungen . Außerdem gibt es Jahre, in denen die Gesamteinnahmen durch Pachten bemerkenswert eingebrochen zu sein scheinen . Auch dies sind Fälle selektiver Überlieferung . So liegt aus Nordkirchen für 1796 allein eine Rechnung des angekauften Gutes Davensberg vor, weshalb die dokumentierten Pachteinnahmen sehr niedrig sind .

Pachtbuchungen in der Rechnungsführung

2500

2000

Anholt Assen Benkhausen Nordkirchen Wewer

1500

1000

500

0 1600

1625

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

Abbildung 4.3 Geschätzte Flächen an verpachtetem Land, fünf Güter, 1600–1900 (Hektar) Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1). Bemerkungen: Summe der Einnahmen aus Zeitpacht, in Gramm Silber umgerechnet (wie Anhang A5), dividiert durch flächenbereinigten Pachterlös in Gramm Silber pro Hektar (wie Abbildung 5.8). Ausnahme: Für Benkhausen lassen sich die Flächen direkt aus den Pachtverzeichnissen erschließen.

Demgegenüber gibt es praktisch keine Ausreißer nach oben, denn die Höchstwerte stellen eben das Niveau der aufsummierten Pachten dar . Tabelle 4 .4 zeigt den Umfang der Pachtflächen sowohl der einzelnen Güter als auch insgesamt für einzelne kurze Zeitabschnitte . Langfristig stieg die geschätzte Gesamtfläche des von uns untersuchten Pachtlands von weniger als 1 .000 ha im frühen 17 . Jahrhundert auf etwa 1 .500 ha um 1700, 1 .700 ha um 1800, 2 .600 ha um 1870 sowie auf etwa 3 .800 ha um 1900 . Teilweise folgt diese Entwicklung aus der Veränderung der Erhebungsbasis: Ab 1653 liegen Buchungen aus Assen vor, ab 1691 auch aus Wewer (s . Tabelle 4 .3 für die Zeiträume, aus denen Pachtbuchungen vorliegen) . Mit dem Übergang von Nordkirchen an die Familie Plettenberg im Jahre 1694 wurde zudem dieser Besitzkomplex um mehrere Nebengüter erweitert (vgl . Kapitel 3 .5 .4); die Verdoppelung der Pachtländereien Nordkirchens in den 1690er Jahren ist maßgeblich auf diesen Vorgang zurückzuführen . Während die drei Güter Anholt, Assen und Nordkirchen in den Jahrzehnten davor je etwa 300–400 Hektar Land in Zeitpacht ausgegeben hatten, stieg Nordkirchen ab dem Ende des 17 . Jahrhundert zum dominierenden Besitzer von Pachtland in unseren Daten auf; 1898/99 entfiel 58 % der untersuchten Pachtfläche al-

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Pachtobjekte und Pachtverträge

lein auf Nordkirchen . Pachtpreise für diesen Besitzkomplex beruhen somit auf einer besonders dichten Informationsgrundlage . Tabelle 4.4 Geschätzte Pachtflächen, 1614–1899 (Hektar)

1614–16 1672–74 1691/92 1699/1700 1719–21 1752/53 1764/65 1776/77 1796–98 1837/38 1870/71 1898/99

Anholt

Assen

315 202 174 290 187 250 287 300 348 288 586 654

466 438 494 371 559 473 507 465 534 568 888

Benkhausen

Nordkirchen

18 52 41 72

420 332 288 531 543 552 490 743 592 1.130 1.444 2.264

Wewer

133 131 31 140 152 114 277

Summe 735 1.000 1.033 1.447 1.133 1.500 1.402 1.663 1.700 2.005 2.639 3.878

Quellen: wie Abbildung 4.3.

Den Gegenpol stellt Benkhausen dar, wo wir in der Spitze höchstens knapp 100 ha verpachtete Fläche beobachten können (1830: 96 ha) . Insgesamt umfassten die Pachtländereien dieses Besitzes, also die in den Registern ausgewiesenen, entweder verpachteten oder grundsätzlich zur Verpachtung geeigneten Gründe, zwar 64 ha 1818, 196 ha 1830, 262 ha 1842, 445 ha in 1851, 330 ha 1859 und 353 ha 1887 . Die Pachtregister erwähnen aber zahlreiche Parzellen ohne Zins, die entsprechend nicht in unsere Untersuchung eingehen können . Wahrscheinlich wurden sie größtenteils durch das Gut Benkhausen selber beziehungsweise seine Ökonomie genutzt . Ein letzter die Erhebungsbasis betreffender Punkt bezieht sich auf die Aufgabe der Teilpacht auf Anholt ab den späten 1850er Jahren (vgl . Kapitel 3 .5 .1) . Zwar lässt sich bezüglich der in zeitlich begrenzter Geldpacht ausgegebenen Landfläche kein klarer Trendbruch nach oben feststellen, aber der deutliche Anstieg zwischen etwa 1860 und dem Wiedereinsetzen der vollständigen Dokumentation 1888 (1860 528 ha, 1888 655 ha) könnte auf die teilweise Umwandlung von Teilpachten in Geldpachten zurückzuführen sein . Jenseits der reinen Quellenbeschreibung ist die in Abbildung 4 .3 und Tabelle 4 .4 dargebotene Information auch von inhaltlichem Interesse, insofern sie Rückschlüsse auf die Veränderung von Pachtflächen innerhalb gegebener Besitzkomplexe (was Zukäufe und Verkäufe nicht ausschließt) erlaubt . Zwei Tendenzen fallen ins Auge: Erstens gingen im Dreißigjährigen Krieg die Pachtflächen deutlich zurück, auf Nordkirchen ab 1628, auf Anholt nach dem Abbrechen der Quellen 1632 . Das Gut Nordkirchen bezog in den 1640er Jahren im Mittel nur aus etwa 208 ha Pachtzinsen, in den 1650er Jahren aus 205 ha – praktisch eine Halbierung der für 1614–16 geschätzten Pachtlände-

Pachtbuchungen in der Rechnungsführung

reien . Wahrscheinlich war dies eine Folge des massiven Bevölkerungsrückgangs, der die Nachfrage nach Pachtland verringerte und wohl auch zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Nutzfläche führte (s . unten, Kapitel 8 .4 .1) . Zwar erholte sich in Nordkirchen in den 1660er Jahren die mittlere geschätzte Pachtfläche wieder auf 318 ha, aber die Angaben zu Anholt und Assen in Tabelle  4 .4 legen nahe, dass der Umfang von Pachtländereien erst gegen Ende des 17 . Jahrhundert nachhaltig zunahm . Wie von Enders für die Uckermark festgestellt, spielte somit Zeitpacht eine Rolle beim Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg; anders als dort war dies aber kein neues Phänomen, sondern bewirkte zunächst lediglich eine Rückkehr zum Vorkriegszustand .8 Zweitens nahm auch unter Ausklammerung von Änderungen der Erhebungsbasis der Umfang der beobachteten Pachtländereien langfristig zu . Der Beginn dieser Entwicklung lässt sich auf die Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg datieren; zwischen 1699/1700 und 1764/65 blieb die gesamte Pachtfläche der untersuchten Güter bestenfalls knapp stabil . Die Expansion konzentriert sich allerdings auf Nordkirchen, eine etwas schwächere Tendenz ist auch auf Assen erkennbar . Auf Anholt wurde die im frühen 17 . Jahrhundert, um 1700 und um 1800 erreichte Schwelle von etwa 500 ha erst um 1870 nachhaltig übertroffen, aber wie erwähnt war dies die Zeit, in der Anholt Teilpacht aufgab, was einen Spielraum für die Ausweitung der Geldpacht schuf . Der langfristige, weitgehend stetige Bedeutungsgewinn der Landpacht wenigstens auf einem Teil der untersuchten Güter seit dem letzten Drittel des 18 . Jahrhundert könnte zum einen mit einer bewussten Abkehr von der Eigenwirtschaft in den 1800er–1820er Jahren zusammenhängen, zum anderen ab 1821 mit den nun stärker von Seite der Verwaltung unterstützten Agrarreformen (vgl . oben, Kapitel 3 .3) . Zwischen 1821 und 1850 waren Komplettablösungen der bäuerlichen Verpflichtungen nur dann möglich, wenn die Bauern die Grundherren im Gegenzug mit beträchtlichen Einmalzahlungen kompensierten . In den 1850er Jahren wurden dann die Grundherren meist in Form von Rentenbriefen entschädigt, die regelmäßige Zinsen abwarfen; ob die Schuld in einem bestimmten Jahr fällig war, unterlag einer Losentscheidung . Die Rentei Nordkirchen etwa erzielte hohe Einnahmen an Ablösegeldern in den Jahren zwischen 1830 und 1850, nicht aber darüber hinaus .9 Die Agrarreformen schmälerten die Einkommen der ehemaligen Grundherren und gaben ihnen zugleich liquide Mittel zur Neuorientierung ihrer wirtschaftlichen Grundlage an die Hand, die nach Reif aber vor allem im Kauf weiteren Landes bestand . Insbesondere Graf Galen, Besitzer des Hauses Assen, tat sich allein bis 1835 durch den Zukauf von 16 Zeitpachthöfen hervor .10 Das Haus Benkhausen kaufte Flächen aus der Markenteilung des Rahdener Mittwaldes auf, die ab 1830 bei den Pachten

8 Enders: Bauern und Feudalherrschaft, 262 f ., 274–282; vgl . oben, Kapitel 2 . 9 VWA, Nor .Ak 2577, 2582, 2583, 2584, 2585, 2588, 2592 . 10 Reif: Westfälischer Adel, 226–228 .

105

106

Pachtobjekte und Pachtverträge

geführt wurden .11 Auch die starke Zunahme der Pachtflächen des Besitztums Nordkirchen um 72 % zwischen 1835 und 1859 steht in auffallender zeitlicher Parallele zu den Grundlastenablösungen . Die geringe Dynamik auf Anholt hingegen könnte damit zusammenhängen, dass dort schon im Spätmittelalter grundherrschaftliche Beziehungen weitgehend zugunsten von Geldpacht und Teilpacht aufgelöst worden waren (vgl . Kapitel 3 .5 .1); das Potential zur Ausweitung von Landpacht auf Zeit fehlte somit . In Gebieten, in denen Grundherrschaft auch noch in der Neuzeit fortdauerte, bestand umgekehrt Raum für eine langfristige Ausweitung der Pachtflächen . Allerdings bedeutet die auf wenigstens einem Teil der untersuchten Güter erkennbare beschleunigte Ausweitung der Pachtflächen im 19 . Jahrhundert nicht notwendigerweise, dass Zeitpacht in der Wirtschaftstätigkeit der Renteien an Bedeutung zunahm . In Nordkirchen entspricht unsere Schätzung der Fläche an verpachtetem Land für 1864 58 % des damaligen Gesamtbesitzes des Guts; auch nach einer langanhaltenden Ausweitung von Pachtland gab es hier noch anders genutzte Flächen . Auf diesem Besitztum bedeutete die Ausdehnung von Pachtflächen auch nicht, dass die Abhängigkeit der Gutsfinanzen von dieser Einkommensquelle zunahm . Der Anteil der Einnahmen aus Miete und Pacht an den Gesamteinnahmen steigerte sich im Mittel der Jahre 1825–29 bis 1892–96 lediglich von 32 % auf 36 %; andere Aktivitäten dieses Besitzkomplexes, zum Beispiel die Forstwirtschaft, entwickelten sich im 19 . Jahrhundert ähnlich dynamisch .12 4.3

Pachtbedingungen

Pachtverträge selber wurden in den Renteiverwaltungen von Rittergütern relativ selten aufbewahrt . Die Vertragsdokumente wurden den Pächtern ausgestellt; die Landbesitzer besaßen allenfalls Kopien . Spätestens nach Vertragsende waren diese ohne Wert . Entsprechend geben vor allem Verpachtungsprotokolle sowie Akten zu den Bedingungen, unter denen Pachten öffentlich versteigert wurden, Auskunft über die Inhalte von Pachtverträgen . Diese Quellen stammen überwiegend aus dem 19 . Jahrhundert . Konkret nutzen wir im Weiteren folgende Dokumente zur Beschreibung der inhaltlichen Ausgestaltung von Pachtbeziehungen: – Nordkirchen: Bedingungen der Verpachtung von Gruppen einzelner Parzellen in Selm (1804, 1820) und Nordkirchen (1805) .13 Die Bestimmungen zu den Verpachtungen in Selm und Nordkirchen in den Jahren 1804 und 1805

Schütte: Geschichte des Rittergutes Benkhausen, 206 . VWA, Nor .Ak, Renteirechnungen 1825–1900 (mit Lücken) . Detaillierte Dokumentation wird in der derzeit laufenden Dissertation von Friederike Scholten erfolgen; vgl . oben, Tabelle 3 .1 . 13 VWA, Nor .Ak 3466, Nr .  12 (Nordkirchen 14 .10 .1805), 157 (Selm, September 1820) und 171 (Selm 19 .09 .1804) . 11 12

Pachtbedingungen







sind praktisch identisch . Zusätzlich wird die Ausschreibung der Pacht eines größeren Teils der Hovesat des Besitzes Nordkirchen als Beispiel für die Vermietung eines größeren Landkomplexes an einen unternehmerischen Pächter herangezogen, deren Bedingungen sich teilweise deutlich von der parzellenweisen Verpachtung an Bauern unterscheiden (1814) .14 Assen: Einzelne Pachtverträge beziehungsweise deren Protokolle von 1710 bis 1722, 1752, 1855, 1870–72, 1875, 1877, 1884, 1886, 1887, 1890, 1895, 1896 und 1902 .15 Hierbei handelt es sich um Verträge über die Verpachtung separater Parzellen an einzelne Pächter . Darfeld: Schloss Darfeld war der Sitz der Droste zu Vischering, die hier ihren über mehrere Renteien verstreuten Besitz verwalteten . Während der Datenerhebung waren Rechnungen des Bestandes für die Benutzung gesperrt, weshalb dieser Besitzkomplex im Rest dieser Studie nicht weiter untersucht wird . Zahlreiche Akten bieten aber eine gute Grundlage zum Studium der inhaltlichen Ausgestaltung von Pachtverträgen . Konkret nutzen wir Unterlagen der Renteien Bevern (etwa 20 km nordöstlich von Münster) und Grollenburg in Leer bei Horstmar im nordwestlichen Münsterland aus dem Zeitraum von den 1810er bis zu den 1850er Jahren .16 Benkhausen: Ab 1826 wurden sämtliche Pachtländereien des Guts gesamthaft verpachtet . Zunächst lehnten sich die Bestimmungen noch stark an den Wortlaut derjenigen der ersten bekannten Verpachtung einiger Parzellen im Jahr 1816 an . 1833 wurde dann ein neues Formular verwendet, das sich in der Folgezeit ähnlich wiederfindet . Wir nutzen im Folgenden die beiden Dokumente von 1816 und 1833 .17

Schon ein Blick auf den Umfang der Dokumente legt nahe, dass über die Zeit hinweg die Inhalte von Pachtverträgen zunehmend ausführlicher geregelt wurden . Auf der Rentei Grollenburg stieg die Zahl an Artikeln von acht in den Bestimmungen von 1812 auf 21 1856 an . Auf Benkhausen wurde die Vertragsmaterie 1816 ebenfalls in acht, 1833 dann in zwölf Abschnitte gegliedert . Die Rentei Nordkirchen schließlich packte die Bedingungen der Verpachtung von Grundstücken in Selm (1804) und Nordkirchen (1805) in 16 beziehungsweise 12 Abschnitte, diejenigen in Selm sechzehn Jahre später dann in 18 Punkte (1820) . Zusammen mit dem Fehlen derartiger Dokumente vor 1800 lässt dies auf einen Formalisierungsschub im frühen 19 . Jahrhundert schließen .

14 15 16 17

VWA, Nor .Ak 3466, Nr . 204 (30 .6 .1814) . VWA, Ass .A 2474, 2622 und 1024 . VWA, Dar .G .I 41 (Rentei Bevern) und Dar .G Rentei Grollenburg (ohne Signatur) . LA NRW Münster, Benkhausen 7640 (25 .7 .1816), 910 (24 .8 .1833) .

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Pachtobjekte und Pachtverträge

Die genannten Dokumente regeln im Einzelnen folgende Belange:18 1. Zeit: Dauer, Zahltermine, reguläres Ende des Pachtverhältnisses . Der Pachtvertrag setzt zwei Vorgänge mit unterschiedlichem Zeitrhythmus in eine Beziehung: Auf der einen Seite steht das zeitlich befristete Nutzungsrecht am Boden, das mit periodischen Geldleistungen entgolten wird; auf der anderen Seite findet sich der landwirtschaftliche Produktionszyklus, der grundsätzlich ein Jahr umfasst . Über Fruchtfolgen und in diesem Zusammenhang getätigte Investitionen in Gestalt des Einbringens von Dünger oder des Anbaus arbeitsintensiver Pflanzen mit hohen Vorfruchtwerten sind aber mehrere Produktionszyklen miteinander verbunden . Pachtverträge müssen deshalb nicht zuletzt mögliche Grenzen der Synchronisierbarkeit von Pachtverhältnissen mit dem landwirtschaftlichen Produktionszyklus bewältigen . Alle Vertragsbedingungen regelten die Dauer des Pachtverhältnisses, die auf den untersuchten Gütern meistens zwischen 3 und 12 Jahren betrug . Mit einer Ausnahme (Bevern 1812) legten sie auch fest, wann der jährliche Pachtpreis zu bezahlen ist . Allerdings gibt es kein regional einheitliches Muster . Auf Darfeld (Bevern 1836, Grollenburg 1856) hatte der Pachtzins bis spätestens Martini (11 . November) einzugehen, in Benkhausen 1816 nach der Ernte zwischen Michaelis (29 . September) und Martini . 1833 erfolgte aber hier eine Vorverschiebung auf den 1 . Juli . Auf Nordkirchen war die Pacht an zwei Terminen zu entrichten, nämlich die erste Hälfte explizit vor der Ernte an Jakobi (25 . Juli; Selm 1820: acht Tage davor) und der Rest gegen Jahresende . 1804/5 war das Weihnachten, in Selm 1820 Martini . Im letzten Pachtjahr war aber die gesamte Pacht bereits im Sommer fällig: 1804/5 an Jakobi, 1820 schon an Johanni (24 . Juni) . In Assen sollte im 19 . Jahrhundert die Pacht gegen Ende des Pachtjahres, und zwar von Äckern und Gärten bis spätestens Michaelis, von Weiden und Wiesen bis Martini eingehen . Die Pachtzahlung zu einem Zeitpunkt vor der Ernte, insbesondere auch lange vor ihrer möglichen Verwertung, muss einen deutlichen Druck auf die Liquidität der Pächter ausgeübt haben; in den Quellen finden sich aber keine Hinweise auf mögliche Konsequenzen . Der Zins für die als größeren Komplex verpachtete Hovesat von Nordkirchen wurde gemäß der Bestimmung von 1814 schließlich an vier Terminen fällig, nämlich zum 1 . Februar, 1 . Mai, 1 . August und zum 1 . Dezember . Es war größtenteils selbstverständlich, dass die Pacht irgendwann zwischen der Ernte durch den Vorpächter und dem Anbau des Wintergetreides im Herbst angetreten wurde . Eine genaue Terminierung der Übergabe erfolgte nur im Fall der Verpachtung der Hovesat von Nordkirchen (1814), wo die Felder nach der bevorstehenden Ernte, die Gebäude am 16 . Oktober, die Wiesen und Weiden am 1 . Februar, die Gärten gar erst an Gertrudis (17 . März) des Folgejahres an den neuen Pächter gingen . Unter den übrigen Dokumenten sagen nur die Bestimmungen für Benkhausen 1833, dass die Pacht nach Beendigung der laufenden Ernte angetreten wird . Zusätzlich spezifizierte

18

Zum Vergleich s . insbesondere Reinicke: Agrarkonjunktur, 124–172 .

Pachtbedingungen

die Rentei Grollenburg 1856, dass das Ackerland erst am 15 . September übernommen werden kann, wenn im laufenden Jahr Klee steht . Der zeitliche Bezug des Pachtantritts zum landwirtschaftlichen Produktionszyklus implizierte, dass neue Pachtverträge im hohen und späten Sommer abgeschlossen wurden . Die betrachteten Dokumente stammen in der Regel aus dem Zeitraum zwischen dem 30 . Juni (Hovesat Nordkirchen 1814) und September; nur die Verpachtung einiger Parzellen der Gemarkung Nordkirchen im Jahr 1805 erfolgte erst am 14 . Oktober . Sinngemäß analoge Aussagen wurden zum Vertragsende getroffen . Das Auslaufen der Pacht der Hovesat von Nordkirchen wurde wieder für einzelne Nutzungen datumgenau spezifiziert, zusätzlich wurde festgehalten, dass die Kleenutzung mit dem Pflügen des Feldes für die Wintersaat (durch den nächsten Pächter) endete . Unter den übrigen Verträgen erwähnt nur jener für Grollenburg (1856), dass die Pacht für Ackerland nach der Ernte, für Gärten am 11 . November (Martini) endete . Gelegentlich wurde betont, dass keine automatische Erneuerung des Vertrags vorgesehen sei beziehungsweise kein Anspruch auf Vertragsverlängerung bestehe (Selm 1804, Hovesat Nordkirchen 1814, Grollenburg 1856) . Einige Bestimmungen schlossen explizit eine Vergütung für den im Boden liegenden Dünger sowie für durch den Pächter unternommene Landverbesserungen aus (Selm 1804, Nordkirchen 1805, Benkhausen 1833) . Nur im Vertrag für die Hovesat von Nordkirchen wurde der Dünger (sowohl im Boden als auch im Haus) sowie der Strohvorrat anlässlich des Pachtantritts und des Pachtendes verrechnet . Um eine reibungslose Übergabe der Pachtobjekte nach Vertragsende zu gewährleisten, beschränkten schließlich mehrere Vertragsbestimmungen die Nutzungsmöglichkeiten gegen Ende der Laufzeit . Wir behandeln sie gleich anschließend im Zusammenhang mit generellen Nutzungsvorschriften . 2. Nutzungsvorschriften . Der Pächter war gehalten, dem Pachtobjekt Sorge zu tragen, er sollte „Wiese und Ackerland in guter Kultur erhalten, gehörig düngen und angemessen verbessern“, was immer das konkret heißen mochte (Darfeld, Rentei Bevern 1836; ähnlich in allen Verträgen von Assen) . Auf Weiden und Wiesen des Guts Assen mussten Maulwurfs- und Ameisenhügel eingeebnet werden . Konkrete Nutzungsvorschriften bezogen sich auf die Art der Nutzung, besonders gegen das Ende der Pachtperiode hin, den Plaggenhieb, den Schutz von Bäumen sowie auf die Wasserhaltung . Nutzungsvorschriften hingen zum Teil mit dem Schutz der Grenzen der Pachtobjekte zusammen; diese Bestimmungen behandeln wir teilweise im nachfolgenden Punkt . Die untersuchten Dokumente weisen allerdings bezüglich der Nutzungsvorschriften keine einheitliche Tendenz auf . Besonders die frühen Pachtbedingungen äußerten sich zu diesem Thema noch praktisch nicht (Grollenburg 1812, Benkhausen 1816) oder nur summarisch (Selm 1804, Nordkirchen 1805: Rückgabe in unstrafbarem Zustand) . Die Nutzung als Acker, Wiese oder Weide hatte im Prinzip unverändert fortgeführt zu werden; Grollenburg behielt sich 1856 die Erlaubnis zur Kulturänderung vor und Benkhausen verbot 1833 das Auftreiben von Vieh auf gepachtetes Ackerland  – was möglicherweise auf eine Abschaffung der Branche und einen umfassenden Über-

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Pachtobjekte und Pachtverträge

gang zur ganzjährigen Stallfütterung hindeutet . Derselbe Rahmenvertrag verbot auch den Plaggenhieb (das Ausheben von Grassoden zur Verwendung als Streue) auf den Kehrungen, d . h . dem Platz am Rand eines Feldes, auf dem Pflüge gewendet wurden . Wohl um eine reibungslose Übergabe nach Vertragsende zu gewährleisten, verbot die Rentei Grollenburg 1856 den Anbau von Stoppelrüben, Spörgel „und Vergleichbarem“ (an Futterpflanzen) im letzten Pachtjahr . In Assen verbot die Herrschaft die Nutzung sowohl des Hochholzes als auch des Schlagholzes im letzten und vorletzten Pachtjahr (1872, 1890, 1895, 1896, 1902) . Ähnlich galt es Eichen- und Buchenbestände zu schützen, beziehungsweise Pachtbestimmungen verboten überhaupt deren Nutzung (Selm 1804, Grollenburg 1856) . Im Kontrast zur geringen Systematik dieser Nutzungsbestimmungen stellten fast alle Verträge die Wasserhaltung in die Verantwortung der Pächter (Ausnahme: Benkhausen 1833): „Alles Zumachen, Graben, Bäche und die Wassercanäle-Räumung, übernehmen Mietsleute, soweit es erforderlich ist, auf eigene Kosten“ (Benkhausen 1816) . Ähnliche Vorschriften finden sich in allen ausgewerteten Verträgen Assens aus dem 19 . Jahrhundert . Die Herrschaft Nordkirchen drohte im Fall der Nachlässigkeit hinsichtlich des Unterhalts von Gräben und Grenzwällen sowie daraus folgenden Landschäden mit Wiederherstellung durch den Landbesitzer auf Kosten des Pächters an (Selm 1804) . 3. Grenzen . Wenigstens implizit über die Vorschrift zur Pflege der Gräben beinhalteten alle Vertragsbestimmungen Vorkehrungen zum Schutz der Grenzen der Pachtobjekte . Oft wurde im selben Atemzug auch die Pflege von Frechten (Zäunen),19 Wällen und Hecken als Aufgabe der Pächter festgelegt .20 Manchmal wurde den Pächtern grundsätzlich verboten, die Pachtobjekte zu verändern, d . h . Parzellen zu teilen oder zu verschmelzen (Selm 1820, ähnlich Grollenburg 1856) . Auch wurde ihnen aufgetragen, für die Bewahrung der Grenzen zu sorgen; sollten „die Nachbarn, solche[n] zu nahe treten“, so war dies unverzüglich der Herrschaft zu melden (Benkhausen 1833; ähnlich Grollenburg 1856, Assen 1872–77, 1884, 1890–1902) . Analog waren nach den Bestimmungen zu Selm von 1804 durch Fremde angerichtete Schäden meldepflichtig . 4. Servitute und Auflagen . Vor dem Übergang der Zuständigkeit für Infrastruktur an Staat und Gebietskörperschaften im Verlauf der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts oblag die Sorge für den Zustand der Infrastruktur den Anrainern .21 Entsprechend wurden die Pächter – meist im Zusammenhang mit der Behandlung der Wasserhaltung und der Grenzen – in mehreren Vertragsbedingungen zum Unterhalt von Schlagbäumen, Pforten, Wegen und Brücken sowie zur Reinigung von am Rand der Grundstücke liegenden Bächen und Flüssen verpflichtet (Nordkirchen, Güterkomplex Selm 1804, Schütte: Wörter und Sachen, 699 . Einzig ein Assener Vertrag von 1710 (VWA, Ass .A 1024) sieht vor, dass „die Vrechten vom Hauße Assen in esse gehalten werden sollen“ . 21 Müller: Infrastrukturpolitik, 121–124, 298 . 19 20

Pachtbedingungen

1820; Darfeld, Rentei Bevern 1836, Rentei Grollenburg 1856) . Die Herrschaft Assen bedingte sich zum einen die Nutzung aller Wege aus, zum anderen gestand sie Pächtern nur zu, bestimmte Wege zu nutzen . 1855 und 1872 war hier die Winterhude vorbehalten, 1872 auch die Jagd . 5. Unterverpachtung . Außer einigen frühen Bestimmungen (Grollenburg 1812, Benkhausen 1816) enthalten alle Verträge Aussagen zum Thema der Weiterverpachtung der Vertragsgegenstände an Unterpächter . Allerdings sind die getroffenen Vorschriften sehr uneinheitlich . Manchmal wurde die Unterverpachtung schlicht verboten (Benkhausen 1833, Grollenburg 1856, Assen 1872, 1884, 1886, 1890, 1895, 1896, 1902); dies trifft nicht zuletzt auf die im Ganzen verpachtete Hovesat Nordkirchen zu (1814) . Letzteres kontrastiert mit den Rahmenverträgen dieses Besitztums bezüglich der Verpachtung einzelner Parzellen, die Unterverpachtung unter der Bedingung erlaubten, dass sowohl Pächter als auch Unterpächter hafteten (Selm 1804, 1820, Nordkirchen 1805) . 6. Höhere Gewalt, Zahlungsverzug, vorzeitiges Vertragsende . Keine andere inhaltliche Bestimmung ist derart universell und einheitlich: Alle hier betrachteten Bestimmungen schließen den Nachlass von Pachtzahlungen kategorisch aus, auch bei Vorliegen höherer Gewalt . Meist geschieht dies lakonisch; ausführlich stipulieren die Bedingungen der Verpachtung der Nordkirchen gehörenden Parzellen in Selm 1804: „Die Anpächter sind in jedem Fall schuldig die Pacht zu zahlen, und nicht befugt, wegen Unglücksfällen, Mißwachs, Hagelschlag, Vieh[schaden?], Kriegesbedrängnisse, fouragirungen, Plünderungen und überhaupt aus keinem Grunde, etwas an der Pacht einzubehalten“ . Entsprechend drakonisch sind die bei Zahlungsverzug angedrohten Sanktionen, die abgesehen vom ersten erhaltenen Rahmenvertrag für Benkhausen (1816) in allen hier betrachteten Dokumenten erwähnt werden und breiten Raum einnehmen . Typischerweise behielt sich der Landbesitzer in diesem Fall die Verwertung der auf dem Feld stehenden Früchte ohne Anrufung eines Gerichts vor . Einige Bestimmungen sahen vor, dass bei längerer Verzögerung ab einigen Monaten oder einem Jahr der Pachtvertrag hinfällig wurde (Hovesat Nordkirchen 1814, Selm 1820; alle Verträge auf Darfeld, alle auf Assen) . Andere mögliche Gründe für eine vorzeitige Kündigung waren das Ausbleiben der Zahlung des Weinkaufs (insbesondere schon Selm 1804, Nordkirchen 1805; zum Weinkauf s . unten, Punkt 8) und grobe Verstöße gegen die Pachtbestimmungen, besonders die Veränderung von Grenzen (Grollenburg 1856) . Auf Assen wurde 1855 für den Kündigungsfall festgehalten, dass die Herrschaft das Recht habe, die Parzellen „auf Gefahr und Kosten des säumigen Pächters anderweitig unter der Hand oder durchs Meistgebot verpachten zu lassen, in welchem Falle das, was bei solcher Verpachtung etwa weniger heraus kommen möchte, der Rentei Assen nebst allen Schaden und Kosten von den säumigen Pächtern ersetzt werden muß, ohne daß letztere auf den etwaigen Mehrbetrag Anspruch machen können .“ Andererseits behielt sich die Herrschaft in allen Verträgen dieses Guts außer 1855 das Recht vor, im Falle anderer Pläne für die Grundstücke – Verkauf, Tausch, Eigenbedarf – mit Frist von einem Jahr zu kündigen . Sämtliche Assener Verträge des 19 . Jahrhunderts sehen

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Pachtobjekte und Pachtverträge

außerdem den Tod des Pächters als vorzeitiges Vertragsende vor . Die frühen Vertragsprotokolle dieses Besitzkomplexes aus den 1710er und 1720er Jahren enthalten dagegen gar keine Kündigungsklauseln . Allein ein Vertrag von 1716 enthält die Formel, dass im Falle, „daß einer in Zahlung seiner Pächten säumfehlig werden würde, dem soll … land abgenommen und einem andere[n] untergethan werden“ .22 7. Sicherheit, Pachtvoraussetzungen . Wie in anderen Zusammenhängen wurde wohl auch hier der Brei selten in heißem Zustand genossen, d . h . die Landbesitzer konnten die pünktliche Pachtzahlung in gutem Geld23 wohl nicht immer durchsetzen . Jedenfalls sah sich die Rentei Nordkirchen veranlasst, zur Verpachtung von Parzellen in Nordkirchen 1805 und Selm 1820 nur Interessenten in Betracht zu ziehen, die ihr gegenüber keine Schulden aufwiesen . Akten, die das Ausmaß von Zahlungsverzögerungen systematisch dokumentieren, haben wir nicht gefunden . Zwar kamen Gerichtsverfahren offensichtlich kaum vor; dass der Rentmeister von Nordkirchen sich im Dezember 1815 zur Ankündigung veranlasst sah, er werde am Freitag, den 29 . des Monats um zehn Uhr am Hause des Herrn Kaufmann Kranz in Beckum(-Hövel) die noch rückständigen Pacht- und Weidegelder des Guts Lake empfangen, zeigt aber das routinemäßige Auftreten von Außenständen an .24 Die Position der Rückstände in den Rechnungsbüchern weisen ebenfalls auf das Phänomen hin, beziehen sich aber vornehmlich auf Abgabenverweigerungen (s . oben, Kapitel 3 .3, Tabelle 3 .1) . Um möglichst prompte Zahlung zu gewährleisten, verlangte die Rentei bei der Verpachtung von Parzellen in der Gemarkung Nordkirchen selber 1805 die Stellung eines Bürgen, anlässlich der Verpachtung eines Großteils der Hovesat des Besitzes Nordkirchen auch die Stellung einer Kaution von 2 .000 Reichstalern (1814) . Für die Verpachtung von Parzellen in Selm wurden schließlich nur mit Haus und Hof Angesessene zugelassen, von denen eine gute Bonität erwartet werden konnte; Heuerlinge wurden von der Abgabe eines Gebots ausdrücklich ausgeschlossen . Alle diese Vorkehrungen stammen aus dem Bestand der Rentei Nordkirchen; in den Pachtverträgen der anderen Besitztümer haben wir keine derartigen Bestimmungen gefunden . Nur auf Assen behielt sich die Herrschaft teilweise das Recht vor, einen Bürgen oder eine Kaution zu verlangen (Assen 6 .9 .1710, 1855, 1872, 1875, 1884, 1890) . 8. Nebenkosten und Steuern . Die Leistung des Pachtzinses war mit anderen monetären Transfers, die potentiell an die Nutzung des Pachtobjekts gebunden waren, in Beziehung zu setzen . Die untersuchten Pachtbedingungen thematisieren drei Zahlungsflüsse: Steuern und Zehnten, den Weinkauf, sowie die eigentlichen VertragsVWA, Ass .A 1024 (25 .8 .1716) . Alle vier vor der preußischen Währungsreform von 1822 erlassenen Pachtbestimmungen des Besitzes Nordkirchen stipulieren die Bezahlung in guter (Konventions-)münze, wobei teils gar keine, teils unterschiedliche Münzsorten genannt werden . Wenig erstaunt, dass die Bedingungen der Verpachtung der Hovesat 1814 relativ streng sind, indem sie die Bezahlung in groben Sorten, nicht unter einem halben Reichstaler, vorsahen . 24 VWA, Nor .Ak 3457, Nr . 38 (10 .12 .1815) . 22 23

Pachtbedingungen

abschlussgebühren (zur Behandlung derselben in der Auswertung s . Anhang A2) . Die Verpachtung der Hovesat von Nordkirchen 1814 gab wahrscheinlich das zeitgenössische Rechtsverständnis wieder, wenn sie stipulierte, dass Realsteuern – auf dem Boden haftende Verpflichtungen – vom Verpächter als dem Landeigentümer, andere Steuern vom Pächter zu bezahlen waren (ähnlich Grollenburg 1856) . Entsprechend notierte der Rahmenvertrag zu Benkhausen von 1816, dass das Land zehntfrei verpachtet wurde . Im Unterschied zu England zahlten Pächter somit keine Grundsteuern oder Zehnten .25 Dagegen sahen alle Verträge, außer denjenigen der Rentei Bevern von 1826 und 1831, die Zahlung eines aus dem Kontext der Grundherrschaft stammenden Antrittsgeldes vor . In Nordkirchen begegnet dies vornehmlich als sogenannte Vorheuer, nur sehr selten als sogenannter Weinkauf .26 Tatsächlich ist die Vorheuer durch die Buchungen hier von 1650 bis 1897 durchgehend belegt, verstärkt aber zwischen 1800 und 1850 . Der Gebrauch des Terminus Weinkauf hingegen, ohnehin sehr selten, begegnet hier zuletzt 1805 . In Benkhausen ist der Weinkauf zuzüglich der Zeitpacht durchgehend bis zum letzten ausgewerteten Vertrag von 1899 belegt, in der Rentei Grollenburg des Besitztums Darfeld bis 1866, in Assen im Vertrag von 1877 .27 Auch in den frühen Verträgen des zuletzt genannten Besitztums findet sich der Weinkauf in der Regel als Zahlungspflicht . In zwei Verträgen von 1710 verzichtete die Herrschaft allerdings explizit auf den Weinkauf: In einem Fall gegen Kompensation durch ein Schwein, in einem anderen Fall sollte, wenngleich „auch einem jeden der Weinkauff, wie sonsten zu geben gebrauchlich ist, bei dieser Verpfachtung geschoncken oder remittirt sein“ .28 Dieser Transfer an den Grundbesitzer ist Teil der Kosten für die Landpacht, und wir schlagen ihn deshalb zum Pachtzins dazu (s . nochmals Anhang A2) . Der Weinkauf war bei Vertragsabschluss zu bezahlen, und wie schon erwähnt konnte ein Säumnis die Vertragsaufhebung zur Folge haben . Einzelne Vertragsbedingungen sprechen schließlich die Kosten der Erstellung von Vertragsdokumenten an . Darfeld bürdete die Kosten für die Ausfertigung des Vertrags und dessen Kopie sowie Schreib- und Stempelgebühren dem Pächter auf (Rentei Bevern 1836, Rentei Grollenburg 1856), die Rentei Assen in den Jahren 1877, 1895, 1896 und 1902 . Allerdings scheinen die Pachtverträge bei weitem nicht immer in eigenen Urkunden niedergeschrieben worden zu sein . Auf Benkhausen etwa wurde anlässlich der Verpachtung von 1825 der Rahmenvertrag deutlich vorgelesen und von den Pächtern namentlich unterschrieben .29 Bereits der Rahmenvertrag von 1815 endet mit

Clark: Land Rental Value, 302 . Schütte: Wörter und Sachen, 800 f . VWA, Dar .G, Rentei Grollenburg . VWA, Ass .A 1024, 6 .9 .1710 . LA NRW Münster, Benkhausen 7645 (1825) . S . auch VWA, Nor .Ak 4137 (1813): „Ein Pacht Contract ist herüber nicht angefertigt, weil der Pachter nicht schreiben konnte“ . 25 26 27 28 29

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Pachtobjekte und Pachtverträge

den Unterschriften derjenigen, die erfolgreich auf die Ausschreibung geboten hatten (Abbildung 4 .4), und am Schluss der Rahmenbestimmungen für die Selmer Parzellen von 1820 finden sich zahlreiche Unterschriften, allem Anschein nach diejenigen der Pachtnehmer .

Abbildung 4.4 Vertrag über Pachtparzellen auf Gut Benkhausen vom 25. Juli 1816 für die Periode 1818 bis 1822 mit Unterschriften aller Pächter Quelle: LA NRW Münster, Benkhausen 7640.

9. Vertragswirksamkeit: Ratifikationsvorbehalt . Die Pachtbedingungen von Nordkirchen, Assen (19 . Jahrhundert) und Grollenburg (hier erst 185630) enthalten einen ausdrücklichen Ratifikationsvorbehalt: Der Vertrag galt erst, wenn ihn der Grundbesitzer genehmigt hatte . Auf Assen wurde 1855 eine 8-tägige Frist in Aussicht gestellt, in Verträgen desselben Guts von 1872–77 und in der Akte zu Grollenburg von 1856 hingegen eine 14-tägige . Umgekehrt waren die Pächter von Beginn an an den Vertrag gebunden

30 Der Sachverhalt hängt möglicherweise damit zusammen, dass die früheren Dokumente Einzelverträge sind .

Pachtbedingungen

und konnten nicht ohne Übernahme der eventuell resultierenden Unkosten davon zurücktreten . Der Ratifikationsvorbehalt hängt damit zusammen, dass der Rittergutsbesitzer die Vertragsanbahnung in der Form von Verhandlungen, der Verkündigung der Rahmenbedingungen sowie allenfalls der Versteigerung meist nicht selber durchführte, sondern durch einen Rentmeister oder Gutsverwalter erledigen ließ .31 Wie erinnerlich beinhaltete die Funktion des Rentmeisters keine umfassende Delegation der Verwaltung eines Ritterguts sondern lediglich die Kumulation eines breiten Bündels an Einzelaufgaben (s . oben, Kapitel  3 .1) . Der Rentmeister konnte somit nicht nach seinem Gutdünken Pachtverträge abschließen, sondern war auch im Einzelfall an die Weisung des Besitzers gebunden .32 Aus theoretischer Sicht müsste die institutionelle Ausgestaltung der Gutsverwaltung die Transaktionskosten der Vertragsschließung und das Risiko potentieller Pachtnehmer erhöht haben . Empirisch ist dies schwierig einzuschätzen . Die Durchsicht der Akten zu Nordkirchen legt nahe, dass die Besitzer beziehungsweise ihre rechtlichen Stellvertreter in aller Regel die Ratifikation gewährten . Es kann auch nicht festgestellt werden, ob die seltene Verweigerung der Ratifikation Konsequenzen für das Funktionieren des Pachtmarkts und die Beziehung zwischen Bauern und Rittergut hatte .33 Soweit die Inhalte von Pachtverträgen im Untersuchungsraum, wie sie sich aus Akten erschließen lassen, die überwiegend aus der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts stammen . Die zunehmende Ausführlichkeit der Bestimmungen, gerade auch im Vergleich zu den wenigen erhaltenen Verträgen aus dem 18 . Jahrhundert (wobei das Fehlen möglicherweise das Argument ebenfalls stützt), legt eine Formalisierung von Vertragsbeziehungen um diese Zeit nahe . Insgesamt wird man sagen können, dass gerade um die Mitte des 19 . Jahrhunderts sich die Renteien als Verpächter ein Maximum an Handlungsfähigkeit sicherstellten und dem Pächter ein Maximum an Verpflichtungen und Risiken aufbürdeten . Damit stellt sich zugleich die Frage nach der Ausgestaltung von Pachtverträgen vor 1800 . Im nachfolgenden Abschnitt nutzen wir Informationen über die Dauer beziehungsweise die Befristung von Pachtungen zur Gewinnung von Aussagen über die langfristige Entwicklung der Ausgestaltung von Pachtverträgen auf den untersuchten Besitzkomplexen .

31 Auf der Rentei Bevern (Besitztum Darfeld) tritt in den wenigen vor 1830 erhaltenen Dokumenten der Droste zu Vischering als Kontrahent auf, danach der Rentmeister; VWA, Dar .G .I 41 . 32 Im Einzelnen s . Bracht/Scholten: Between rack rents and paternalism . 33 Beispiel mit kurzfristig gewährter Ratifikation: VWA, Nor .Ak 12155, Nr . 8, 12 ./15 .4 .1814; Beispiel einer verweigerten Ratifikation, die binnen 16 Tagen in eine erfolgreiche Neuversteigerung mündete: VWA, Nor .Ak 3470, Nr . 17, 2 .4 .1811 und Nr . 16, 19 .4 .1811; selektive Ratifikation einzelner Verträge in einer gebündelten Verpachtung zahlreicher Parzellen: VWA, Nor .Ak 2357, Lackesche Verpachtungsprotokolle Nr . 93, 22 .3 .1815 .

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Pachtobjekte und Pachtverträge

4.4

Die zeitliche Befristung von Pachtbeziehungen

Unsere Untersuchung steht, wie aus den beiden vorstehenden Unterkapiteln deutlich wird, im Spannungsfeld zwischen eher zufällig, aber meist erst im 19 . Jahrhundert abgeschlossenen Verträgen, die Pachtobjekte und -konditionen explizit benennen, und den großen Informationsbeständen der Buchungen in Rechnungsbüchern, die aber wenig Angaben über die Ausgestaltung von Pachtbeziehungen enthalten . Wie gezeigt, enthalten auch die frühen Pachtverträge Assens klare Befristungen . Dem sind nun die Informationen der Buchungen selbst gegenüberzustellen, die im Falle Assens zeigen, dass sich in den Rechnungen des 18 . Jahrhunderts nur in geringer Zahl Befristungen finden . Abbildungen 4 .5 bis 4 .7 geben die langfristige Entwicklung des Verhältnisses zwischen explizit befristeten und zeitlich nicht begrenzten Pachtbeziehungen auf Anholt, Assen und Nordkirchen auf Basis der Renteirechnungen wieder . Auf Assen erfolgte erst am Ende des 18 . Jahrhunderts ein – dann allerdings umfassender – Übergang zur Angabe der Befristung in den Buchungen von Pachteinnahmen . Schon kurz nach der Jahrhundertwende verschwindet diese Information aber allmählich wieder aus den Renteirechnungen . Ab dem Jahr 1844 wurde schließlich beim überwältigenden Teil 1200 Zeitpachten 1000

Pachten ohne zeitliche Spezifikation Erb- oder auf Lebenszeit vergebene Pacht

800

600

400

200

0 1550

1600

1650

1700

1750

1800

1850

1900

Abbildung 4.5 Notation von befristeten und nicht terminierten Pachtverhältnissen in Renteirechnungen: Anholt 1613–1899 (Anzahl Buchungen pro Jahr) Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1). Bemerkung: Gesamtzahl der Buchungen: 71.125.

Zeitliche Befristung

225 200

Zeitpachten Pachten ohne zeitliche Spezifikation Erb- oder auf Lebenszeit vergebene Pacht

175 150 125 100 75 50 25 0 1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

Abbildung 4.6 Notation von befristeten und nicht terminierten Pachtverhältnissen in Renteirechnungen: Assen 1653–1922 (Anzahl Buchungen pro Jahr) Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1). Bemerkung: Gesamtzahl der Buchungen: 19.514.

aller Buchungen (über 90 %) eine Befristung notiert, wenngleich sich auch im letzten Viertel des 19 .  Jahrhunderts noch eine größere Zahl an Einträgen ohne Angabe der Laufzeit findet . Aus den Pachtprotokollen von Assen von 1710 bis 1722 wissen wir aber, dass auch zu dieser Zeit praktisch alle Pachtverträge Klauseln zur Befristungen enthielten, die allerdings in den entsprechenden Buchungen in den Rechnungen dieses Besitzkomplexes ausnahmslos nicht dokumentiert sind . Somit ist die Annahme gerechtfertigt, dass zeitlich befristete Geldpacht mindestens auch im 18 . Jahrhundert weiter verbreitet war, als die Buchungen in den Rechnungsbüchern der Renteien allein aussagen . Auch in den Buchungen von Nordkirchen finden sich bis ins erste Viertel des 18 . Jahrhunderts kaum explizite Aussagen zur Befristung von Pachtverhältnissen . Im zweiten Viertel des 18 . Jahrhunderts setzte dann ein Trend zur Befristung ein, der gegen 1850 zum Stillstand kam; in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts enthielten 89 % aller Pachtbuchungen einen Hinweis auf die Befristung . In den Buchungen auf Anholt wiederum bilden ab 1672 die Zeitpachten, nachgewiesen über Pachtperiode, Pachtende oder Zählung des Pachtjahres, die klare Mehrheit aller Pachten, während lebenslange oder Erbpachten und zeitlich unbestimmte Pachten in der Zahl gering bleiben . Allerdings zeigt sich auch hier, dass in der ersten

117

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Pachtobjekte und Pachtverträge

450 Zeitpachten

400

Pachten ohne zeitliche Spezifikation Erb- oder auf Lebenszeit vergebene Pacht

350 300 250 200 150 100 50 0 1550

1575

1600

1625

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

Abbildung 4.7 Notation von befristeten und nicht terminierten Pachtverhältnissen in Renteirechnungen: Nordkirchen 1558–1903 (Anzahl Buchungen pro Jahr) Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1). Bemerkung: Gesamtzahl der Buchungen: 51.097.

Hälfte des 17 . Jahrhunderts entweder Befristungen selten waren oder eben deren Notation in den Rechnungen weitgehend unterblieb . Dies ändert sich mit der Rechnung 1672, der ersten nach einer Überlieferungslücke von 40 Jahren . Es stellt sich natürlich die Frage, was es zu bedeuten hat, wenn in den Rechnungen in einem Fall eine Befristung dokumentiert wurde, in einem anderen Fall aber nicht . Es könnte sein, und dafür sprechen die überlieferten Verträge von Assen, dass vertraglich vereinbarte Befristungen keinen Eingang in die Rechnungen fanden . Es könnte auch sein, dass in Assen und Nordkirchen – nicht allerdings in Anholt – eine vertragliche Befristung in der Frühen Neuzeit tatsächlich seltener vorgenommen wurde und auf Verträge beschränkt blieb, die aus Sicht des Verpächters riskant waren . Beide Interpretationen können mit Beispielen aus den Rechnungen von Nordkirchen für die Jahre 1579–82 belegt werden . Neben bewussten Änderungen der Vertragskonditionen, die dann zu Vertragsurkunden führten, gab es auch eine konkrete Praxis der – möglicherweise stillschweigenden – Verlängerung von Zeitpachten, wie aus einigen Buchungen aus dem späten 16 . Jahrhundert klar wird . Der Plansekenkamp in der Flur Nordkirchen ist eine vom späten 16 . bis ins 18 . Jahrhundert kontinuierlich in den Pachtbuchungen dokumentierte Parzelle . Die drei Buchungen aus den Jahren 1580, 1581 und 1585 zeigen zunächst ein-

Zeitliche Befristung

VWA, Nor.Ak 1366 (1580): „Henrich Smeddes gifft Jarlichs von dem Planßeckenkamp xvii R. Dlr, die er de a. p. [15]80, Im folgenden 81ten Jahr am 27ten februarii betalt, so Ich entfangen, facit–xix dlr xx ß“.

VWA, Nor.Ak 1572 (1581): „Nortkercken – Henrichen Smeddes wedtwe mitt Irem itzigen manne Offer tho Poppingk hebben den Planßeken Kamp uf vier Jar, langk widergewonnen, davon itzo In anno [15]81 der Irste termyn felligk, alß nemblich–xvii dlr. Itzt Jarlichs 1 Par Hoener.“

VWA, Nor.Ak 1380 (1585): „Die Planßeken Kamp–xvii R.dlr facit–xx dlr vii ß“ Abbildung 4.8 Einkünfte der Rentei Nordkirchen aus der Verpachtung des Plansekenkamps (Flur Nordkirchen), 1580, 1581, 1585

mal auffällige Hand- und Darstellungswechsel, was generell ungewöhnlich war (Abbildung 4 .8) . Während im Jahr 1580 Henrich Smeddes „jährlichs“ 17 Reichstaler oder 19 Taler 20 Schillinge kurrent zahlte, wurde 1581 darauf hingewiesen, dass die Pacht seiner Witwe und ihrem neuen Mann für vier Jahre für die gleiche Summe überlassen worden sei . Im Jahr 1585 und in den Folgejahren wurde schlicht der Wert ohne Nennung des Pächters fortgeschrieben . Das Beispiel lässt vermuten, dass vor dem zweiten Viertel des 18 . Jahrhunderts Befristungen nicht nur höchst selten notiert wurden, son-

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Pachtobjekte und Pachtverträge

dern dass sie vermutlich auch tatsächliche Ausnahmen in den Vertragsarrangements darstellten . Der Übergang zu einem neuen, der Renteiverwaltung offenbar teilweise noch unbekannten Arbeitspaar ließ es geboten erscheinen, den Pachtvertrag sicherheitshalber auf einen Anbauzyklus zu begrenzen . Da der neue Pächter sich offenbar als zuverlässig erwies, wurde das Pachtverhältnis stillschweigend verlängert . Das sehr sorgfältig geführte Rechnungsbuch von 1581 dokumentiert auch die Befristung der Verpachtung des ebenfalls in Nordkirchen gelegenen Flaßkempkens an Stattmann (Abbildung 4 .9) . 1581 befand sich diese Pacht im dritten von vier Pachtjahren . Die Pachtzahlungen Stattmanns sind auch in den Rechnungen der beiden Vorjahre 1579 und 1580 notiert, aber es werden keine Informationen zur Vertragslaufzeit geboten . Dies lässt den Schluss zu, dass in den frühen Jahrhunderten sehr wohl Pachten befristet waren, ohne dass dies in den Rechnungen notiert wurde . Sofern Pachtverhältnisse stillschweigend verlängert wurden, stellt sich die Frage, ob damit eine Fortschreibung der Pachthöhe und damit Preisrigidität verbunden war (vgl . ausführlich unten, Kapitel 7 .1 und 7 .2) . Einzelbeispiele legen nahe, dass die Absenz von (dokumentierter) Befristung Preisanpassungen durchaus zuließ . Das Volbertskempken – um nochmals eine in Nordkirchen gelegene Parzelle anzuführen – ist mit nur wenigen Lücken von 1559 bis 1725 in den Rechnungsbüchern als Pachtobjekt verzeichnet . Dabei erfahren wir die ganze Zeit nie etwas über eine eventuelle Befristung . Dennoch erhöhte sich langfristig der Pachtpreis von 2 Reichstalern oder Gutegroschen auf 4 Reichstaler, und zwar in mehreren Schritten: von 2 ggr . auf 2 Rt . 6 ß in 1601, wobei aber die Zahl von 62 Schillingen gleichblieb, auf 2 Rt . 14 ß in 1609, 2 Rt . 15 ß in 1622, 3 Rt . in 1696 und 4 Rt . in 1704 .34 Schon vor dem frühen 19 . Jahrhundert beinhaltete die formlos unbefristete Geldpacht somit durchaus die grundsätzliche Möglichkeit der Veränderung der Pachthöhe . Die sehr unterschiedlich häufige Dokumentation der Befristung von Pachtverhältnissen wirft die Frage nach Übergängen zwischen unterschiedlichen Vertragsarrangements auf . Die Bedeutung dieses Gesichtspunkts ergibt sich daraus, dass für Nordwestdeutschland die Teilpacht und die zeitlich befristete Geldpacht als wichtige Übergangsstadien in der Entwicklung von Erbpacht im Spätmittelalter angesehen werden (s . oben, Kapitel 3 .2) . Wie ist vor diesem Hintergrund die Pacht in der frühen Neuzeit zu bewerten? Wie gezeigt, konnte sowohl Erbpacht als auch Zeitpacht in den Buchungen explizit als solche geführt werden, in den allermeisten Fällen vor dem 19 . Jahrhundert fehlt aber die Spezifikation . Gleichwohl haben wir durch das Record linkage der Buchungen die Auswertbarkeit der Renteirechnungen erhöht, indem wir ausreichend spezifizierte, aber zeitlich auseinander liegende Buchungen einer Parzelle vergleichen (Kapitel 5 .1, Anhang A1) . Dies erlaubt es, der Frage nachzugehen, ob es Prozesse der Umwandlung von einem Status in einen anderen gab . Tatsächlich gibt

34

S . Kapitel 7 .1, Abbildung 7 .1 und die dortigen Belege .

Zeitliche Befristung

VWA, Nor.Ak 1365 (1579)

VWA, Nor.Ak 1366 (1580)

VWA, Nor.Ak 1572 (1581) Abbildung 4.9 Einkünfte der Rentei Nordkirchen aus der Verpachtung des Flaßkempkens (Flur Nordkirchen), 1579–1581

es in den Nordkirchener Daten neun Fälle – sechs aus der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts, drei aus der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts –, in denen Zeitpachten in Erbpachten verwandelt wurden . In Anbetracht der intensiven Diskussion innerhalb der Gutsführung von Nordkirchen kurz nach der Wende zum 19 . Jahrhundert, ob es angesichts wegbrechender Dienstpflichten der untertänigen Bauern lohnend sei, die Ländereien der Hovesat in Erbpacht umzuwandeln, erscheinen dies wenige Fälle zu sein .35 Allein in einem Fall ist ein in Erbpacht vergebenes Stück in Zeitpacht umgewandelt worden .36

35 Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7 .1), NOR-Buchung, ErstbID 1047, 12803, 20774, 124584, 125277, 125819, 127456, 129164 und 131128 . Siehe außerdem VWA, Nor .Ak 13427 . 36 Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7 .1), NOR-Buchung, ErstbID 124900 .

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Pachtobjekte und Pachtverträge

Wieweit folgte die Wahl zwischen Zeitpacht, unbefristeter („lebenslanger“) Pacht und Erbpacht strategischen Erwägungen, wieweit herrschte die Entscheidung im Einzelfall vor? Hinweise gibt die Verpachtung des Tüllinghofs Sundern und der zwei Rahdenkämpe durch die Gutsverwaltung von Nordkirchen im Sommer 1815 . Die drei Parzellen lagen in Lüdinghausen westlich der Stever; der Sundern war ein Eichenwald, der nach Rodung und Verkauf des Holzes zwanzig Jahre früher wieder aufgeforstet worden war, und die Rahdenkämpe waren Ackerland mittelmäßiger Qualität . Nach Kenntnis des Rentmeisters waren die drei Parzellen ursprünglich Teil des „in den ältesten Zeiten als wüst eingezogenen“ Hofs der Tüllingshofs Erben, waren dann aber der Hovesat von Haus Alrodt (einem Nebenbesitz) zugeschlagen worden . Leider konnten die Parzellen „von jeher wegen ihrer entfernten abgesonderten Lage und Mangel an Concurrenz von Pachtlustigen meistbietend nicht untergebracht werden“, weshalb sie dem jeweiligen Besitzer des Göbbelskotten, der am Haus Alrodt eigenbehörig war, „schon vor mehr als 200 Jahren“ in Pacht gegeben worden waren . Dafür bezahlte er seit mehr als 150 Jahren nur 12 Reichstaler Pacht . Zudem behauptete er, die Grundstücke in Erbpacht zu halten, „welches aber widersprochen wurde, und nicht bewiesen werden konnte“ . Deshalb sei es ihm, dem jetzigen Rentmeister, auch gelungen, bei jeder Verpachtung der Güter von Gut Alrodt den Pachtzins auf mittlerweile 25 Reichstaler zu steigern . Anlass des Vorgangs von 1815 war das Angebot eines Schäfers, die drei Parzellen käuflich zu erwerben . Damit konfrontiert, wies der Göbbelskötter auf seine Investitionen in die fraglichen Pachtstücke und auf die Abhängigkeit seines Betriebs von deren Bewirtschaftung hin . Gleichzeitig zeigte er sich zum käuflichen Erwerb außerstande; er anerbot stattdessen die Übernahme der Objekte in Erbpacht gegen Erlegung einer hohen Einmalgebühr (Vorheuer, analog zum Weinkauf; s . Kapitel 4 .3, Punkt 8) und die Übernahme der Hälfte der ordentlichen Steuer . Auf Anraten ihres Rentmeisters nahm die Reichsgräfin Plettenberg dieses Angebot an; Hauptargumente waren die Höhe der erreichten Pacht, die Aussicht auf ein in Zukunft eher sinkendes Pachtzinsniveau sowie der Sachverhalt, dass beide Ehepartner auf dem Göbbelskotten älter als 40 Jahre waren, so dass es unwahrscheinlich sei, dass die Pacht länger als dreißig Jahre – möglicherweise Synonym für Langzeitpacht ohne Erblichkeit – dauern würde .37 Das Beispiel zeigt dreierlei: Erstens war die Vertragsform zwischen Zeitpacht und Erbpacht verhandelbar, und der Unterschied konnte von den Zeitgenossen sehr wohl identifiziert und vertraglich dingfest gemacht werden . Zweitens konnten vertragliche Arrangements auf individuelle Verhandlungen zurückgehen, in denen die Gutsführung auf sehr konkrete Angebote reagierte, ohne dass eine größere betriebliche Strategie tangiert oder bemüht worden wäre . Drittens waren unter Umständen die Pächter 37 VWA, Nor .Ak 12155, Nr . 1, 13 ./16 .6 .1815 . In den Akten der Rentei Bevern (Besitztum Darfeld) findet sich (als einziges Beispiel in den von uns gesichteten Quellen) eine Pacht mit einer Laufzeit von dreißig Jahren: VWA, Dar .G .I 41, 29 .6 .1842 .

Zeitliche Befristung

sehr viel höhere Pachtzinsen zu zahlen fähig und bereit, wenn ihnen denn Konkurrenz erwuchs – ein Tatbestand, den wir nachfolgend in Kapitel 4 .5 weiterverfolgen . Nicht jede vertragliche oder stillschweigende Befristung gelangte also auch in die Rechnungsbücher . Immerhin ermöglichen die vorhandenen Befristungsangaben in den Buchungen die Entwicklung der Laufzeiten von Pachtverträgen nachzuvollziehen . Diese können sowohl auf Veränderungen von Bodennutzungssystemen, als auch auf die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Verpächter und Pächter bezogen werden . Daher haben wir die mit einer Pachtdauer versehenen Buchungen der beiden in dieser Hinsicht lang und gut belegten Güter Anholt und Nordkirchen dahingehend ausgewertet, welche Pachtfristen sich am häufigsten fanden . Zum Teil stammen diese Information aus Rubrikentiteln, wenn viele Pachten zeitgleich abgeschlossen wurden, oder aus Angaben wie „auf vier/sechs/acht Jahre verpachtet“, oder aber aus Nennungen des Pachtendes beziehungsweise der Zählung des aktuellen Pachtjahres . Sofern ein Pachtverhältnis Ackerflächen einschloss, richtete sich seine Dauer sinnvollerweise nach der im Feldbau praktizierten Fruchtfolge . Typischerweise wurde der Boden im Brachejahr durch mehrmaliges Pflügen und Düngen für einen mehrjährigen Anbauzyklus vorbereitet . Eine Beendigung des Pachtverhältnisses vor dem vollständigen Durchlaufen des Anbauzyklus’ hätte den Pachtnehmer um einen Teil seiner Investitionen gebracht, zumal die Vertragsbestimmungen zum Teil explizit die Verrechnung von im Boden liegenden Dünger nach Vertragsende ausschlossen (s . Kapitel 4 .3, Punkt  1) . Bei der weitverbreiteten Dreifelderwirtschaft waren somit Pachtverträge über drei Jahre oder über ein Vielfaches davon gängige Praxis . Eine längere Vertragsdauer implizierte einerseits eine inflexible Preisanpassung an die Marktentwicklung, was für den Bodeneigentümer von Nachteil war, wenn er langfristig steigende Pachtpreise erwartete . Andererseits erhöhte eine lange Dauer die Sicherheit von Investitionen des Pächters in der Form von Parzellenabgrenzungen (nicht zuletzt von für die Wasserhaltung wichtigen Gräben) und anderen Landverbesserungen, was langfristig einen positiven Effekt auf den Wert des Landes ausübte, und sie sparte die mit der Vertragsschließung verbundenen Aushandlungskosten . Dieses Argument wiegt nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Sachverhalts schwer, dass die oben untersuchten Pachtbedingungen manchmal eine Vergütung für Meliorationen ausschlossen oder jedenfalls nie explizit eine solche vorsahen . Lange Pachtperioden erleichterten somit die Einführung agrartechnischer Innovationen, sofern diese Investitionen mit langer Amortisationsdauer erforderten .38 Auf Nordkirchen finden wir als einzigem der fünf untersuchten Besitztümer über die Zeit hinweg eine stetige und deutliche Verlängerung der Pachtlaufzeiten . In der ersten Hälfte des 18 .  Jahrhunderts dauerten 78 % der Pachten mit bekannter Laufzeit vier Jahre; in den letzten drei Jahrzehnten des 19 .  Jahrhunderts wiesen 84 % der ent-

38

Zum Vergleich s . Reinicke: Agrarkonjunktur, 127–131 .

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Pachtobjekte und Pachtverträge

sprechend dokumentierten Pachtbeziehungen eine Laufzeit von zwölf Jahren auf (Tabelle 4 .5) . Ein konkreter Anlass für diese Entwicklung ist nicht ersichtlich; sie ist aber konsistent mit der Zunahme der Kapitalintensität des Ackerbaus im Zuge des mit der ersten Agrarmodernisierung erfolgten Übergangs zur ganzjährigen Stallhaltung (Kapitel 3 .4) und dem besseren Schutz von Investitionen durch eine längere Vertragslaufzeit . Tabelle 4.5 Mittlere Pachtdauer auf Nordkirchen (Jahre) 1550–1699 1700–1749 1750–1799 1800–1849 1850–1869 1870–1903 Mittelwert Median Modalwert Anzahl Fälle davon mit Modalwert

1,84 1 1 31 21

4,82 4 4 391 304

6,01 6 4 942 418

9,42 8 6 5.739 2.035

11,72 12 12 5.560 3.696

11,61 12 12 9.976 8.369

Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1). Bemerkung: Kriterium für die Auswahl: Explizite Nennung der Pachtdauer oder des Pachtbeginns und Pachtendes. Tabelle 4.6 Mittlere Pachtdauer auf Anholt (Jahre) 1600–1699 1700–1749 1750–1799 1800–1849 1850–1869 1870–1899 Mittelwert Median Modalwert Anzahl Fälle davon mit Modalwert

5,97 6 6 1.437 1.394

5,79 6 6 5.885 5.057

7,77 6 6 449 252

11,05 10 12 2.341 663

6,24 6 6 6.543 5.994

7,10 6 6 4.021 2.404

Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1).

Das Überwiegen der Verpachtung über vier Jahre in der ersten Hälfte des 18 . Jahrhunderts passt nicht zu einer Dreifelderwirtschaft und ist entsprechend bemerkenswert . Offenbar unterlagen verpachtete Flächen in dieser Zeit vielmehr einer vierjährigen Fruchtfolge, während auf Anholt – dem zweiten Gut mit so lang zurück reichenden und dichten Befristungsangaben – seit dem 17 . Jahrhundert Pachtverträge mit Ausnahme der ersten Hälfte des frühen 19 . Jahrhunderts sechs Jahre dauerten (Tabelle 4 .6) . Möglicherweise existierte im Kernmünsterland, in dem Nordkirchen und Assen lagen, ein sowohl intensiver als auch relativ ertragsarmer Feldbau, wie man ihn noch um 1800 im Paderborner Land kennt (s . oben Kapitel 3 .5 .5) . Der Rückgang des Pachtpreises pro Flächeneinheit in Nordkirchen im zweiten Viertel des 18 . Jahrhunderts, den wir unter den anderen Gütern nur in Assen finden (s . unten, Abbildung 5 .8), könnte im Zusammenhang damit stehen, dass in dieser Zeit die Bewirtschaftung mit einer Vierjahresfolge an Grenzen stieß . Die Ausdehnung der Pachtdauer ab der Mitte des 18 . Jahrhunderts deutet darauf hin, dass um diese Zeit im Kernmünsterland ein Übergang zu anderen

Vertragsanbahnung

Fruchtfolgen erfolgte . Schwerz berichtete im frühen 19 . Jahrhundert, dass auf besseren Böden, wo als Sommerfrucht alle sechs Jahre Gerste angebaut wurde, eine verbesserte Dreifelderwirtschaft vorherrschte, bei der jede zweite Brache durch den Anbau von Hülsenfrüchten (manchmal vermengt mit Hafer) ersetzt und das entsprechende Feld nur wenig gedüngt wurde . Auf schlechten Böden wurde eine sechsjährige Folge praktiziert, bei der das Land ab dem vierten Jahr als Dreische genutzt wurde (d . h . zur Viehweide diente) .39 Der Schutz der zyklischen Investitionen des Landwirts in die Bodenfruchtbarkeit verlangte eine mindestens sechsjährige Laufzeit von Pachtverträgen, und der Befund einer entschiedenen Verlängerung der Pachtverhältnisse auf diesen Wert um die Mitte des 18 . Jahrhundert zeigt, dass die Anreizstruktur von Verträgen flexibel an Änderungen des Nutzungssystems angepasst werden konnte . Eine völlig andere Situation treffen wir in Benkhausen an . Hier wurden ab dem frühen 19 . Jahrhundert mit wenigen Ausnahmen alle Pachtparzellen in jeweils ein- und demselben Jahr über einen einheitlichen Zeitraum neu verpachtet . Zwischen 1814 und 1845 betrug die Vertragsdauer vier Jahre, 1846–1850 5 Jahre, 1851–1866 acht Jahre und 1867–1899 wieder vier Jahre . Dies ist konsistent mit einer vierjährigen Fruchtfolge, die um Minden weit verbreitet war .40 Anders als in Nordkirchen bestand offenbar kein Anlass, die Vertragsdauer auf ein Vielfaches eines einzigen Anbauzyklus’ auszudehnen . In Anholt wiederum wurden Pachten in einem sechsjährigen Rhythmus vergeben . Einzig in der ersten Hälfte des 19 .  Jahrhunderts waren Pachten über 12 Jahre in der Mehrheit, was aber auch eine sechsjährige Fruchtfolge nahelegt . Die allmähliche Entwicklung der dortigen Landwirtschaft von einer sehr extensiven Bewirtschaftung, bei der noch in den 1820er Jahren mehr als die Hälfte der Jahre die Felder brach lagen, zu einer intensiveren Bodennutzung fand innerhalb einer sechsjährigen Fruchtfolge statt .41 4.5

Vertragsanbahnung im Übergang vom Paternalismus zur Marktgesellschaft

Die vom 18 . zum 19 .  Jahrhundert beobachtbare Formalisierung von Pachtverträgen stellte ein Element im Wandel ländlicher Sozialbeziehungen von durch Paternalismus geprägten Verhältnissen zu einer Marktgesellschaft dar . Der letzte Teil des gegenwärtigen Kapitels ordnet die bisherigen Befunde in diesen größeren Horizont ein . Paternalismus bezeichnet einerseits eine moralische Ökonomie, welche ein legitimes Grundrecht auf die ständisch differenzierte Grundversorgung im Rahmen einer sogenannten von Schwerz: Beschreibung der Landwirtschaft I, 174 f .; vgl . die Angaben aus der Steuerabschätzung der 1820er Jahre bei Kopsidis: Leistungsfähigkeit, 347–350 . 40 von Schwerz: Beschreibung der Landwirtschaft I, 62 f .; Mooser: Ländliche Klassengesellschaft, 54 . 41 Kopsidis: Marktintegration, 224–229; ders .: Leistungsfähigkeit, 317, 344 . 39

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Pachtobjekte und Pachtverträge

„Hausnotdurft“ beinhaltet und die Elite verpflichtet, den Gemeinen Mann und die auf Lohnarbeit angewiesene Unterschicht zu schützen sowie in Not nach Möglichkeit zu unterstützen . Im Gegenzug beansprucht die Elite Loyalität, Ehrerbietung und die Anerkennung ihrer Autorität . Andererseits verweist der Begriff des Paternalismus auf ein Geflecht multiplexer Interaktion unter sozial Ungleichen: Rittergut und Pächter verkehrten zusammen nicht allein im Zusammenhang mit der Landpacht, sondern auch im Rahmen der Grundherrschaft, soweit sie noch bestand, sowie auf Arbeits- und Produktmärkten . Austauschverhältnisse in einem Einzelfeld – hier: Landpacht – waren somit eingebettet einerseits in Herrschaftsbeziehungen im Sinn Polanyis, andererseits in einen Komplex von verklammerten Märkten (interlocking markets) im Sinn Bardhans . Der Übergang zu einer Marktgesellschaft bedeutet vor diesem Hintergrund die Schaffung formaler Marktbeziehungen, die eine anonyme Interaktion unter sozial Fremden strukturieren, die Loslösung der Interaktion auf einem bestimmten Feld aus Herrschaftsbeziehungen und anderen Teilmärkten, sowie einen Bedeutungsverlust der moralischen Ökonomie .42 Unsere bisherigen Forschungen zu diesem fundamentalen Übergang haben sowohl den Blick für die Vielfalt der Beziehungen und auf die Gleichzeitigkeit von Tauschvorgängen verschiedener Art in den Wirtschaften des 18 . und 19 . Jahrhunderts geschärft, als auch gezeigt, wie im Hinblick auf familiäre und betriebliche Vermögensflüsse Marktelemente und traditionelle Tauschvorgänge kombiniert wurden .43 Ein Schlaglicht auf die Stellung der Landpacht in diesem umfassenden Vorgang werfen mehrere Vorgänge auf Nordkirchen im frühen 19 . Jahrhundert . Wie erinnerlich wurde das Besitztum in dieser Zeit insolvent und musste saniert werden . Bestrebungen zur Steigerung der Einnahmen mittels der Einführung formaler Elemente in die Vergabe von Pachten waren Teil der Bemühungen um eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Guts .44 1800 kommentierte der offenbar um kontinuierlich hohe Einnahmen besorgte Rentmeister die Einbettung der Landpacht in multiplexe Beziehungen – sowohl in die Grundherrschaft als auch in die Märkte für Arbeit und landwirtschaftliche Produkte – ziemlich skeptisch: Die Dorf- und geringen Kirchspielseingesessenen haben zwaren von jeher immer einige […] Verdienste mit allerhand Arbeiten am Hause Nordkirchen gehabt . Und man hat es sogar für eine Notwendigkeit angesehen, ihnen für beständig Arbeit geben zu müssen, da sie in hiesiger Gegend außer mit Weben, wenig oder nicht verdienen konnten . Wenn aber

42 Wichtige Referenzen umfassen Polanyi: Great Transformation; Thompson: Moralische Ökonomie; Bardhan: Interlocking Factor Markets; Berdahl: Preußischer Adel; Reddy: Rise of Market Culture; Blickle: Nahrung und Eigentum; zu den philosophischen Grundlagen Dworkin: Defining Paternalism . 43 Pfister et al .: Life Course Strategies; allgemein zur Relevanz von Familienstrategien im Zusammenhang mit dem Übergang zu Marktgesellschaften Sabean: Property; ders . Kinship . 44 Vgl . oben, Kapitel 3 .5 .4 . Zum folgenden vgl . Bracht/Scholten: Between Rack Rents and Paternalism .

Vertragsanbahnung

auch bei einigen der bezielte Endzweck einer richtigen Pächten Zahlung dadurch erreichet wurde, so brachte dennoch diese an sich sonst so gute Veranstaltung bei vielen anderen eine entgegen gesetzte Würkung hervor . indem die mersten ihre Weberstühle verließen, und auf ihr tägliches Verdienst am Hause Nordkirchen sich verlassend mehrere Ländereien anpachteten, allenthalben, wo nur etwas am lebensbedürfnissen verkauft wurde, mitkauften […], nach einigen Jahren aber, wenn theure Zeiten langwierige Krankheiten oder Unglücksfälle eintraten, in Armut gerieten, ganz beträchtliche mehrenteils unerzwingliche Rückstände hatten, und dann die angepachteten Ländereien entweder anderen übertrugen, oder gar unbestellt liegen ließen […] . Wie sehr von Seiten des Hauses Nordkirchen darauf der Bedacht zu nehmen sei, dass den mersten der Dorfseingesessenen in der Folge nicht zu vielen Ackerbau, und auch nicht so häufige Arbeit mehr am Hause Nordkirchen gegeben werde .45

Diese Äußerungen geben Einblick in die Gesellschaft und Wirtschaft eines Ritterguts um 1800, in dessen Handeln mehrere Ziele in Konflikt gerieten: Ein erstes Ziel bestand darin, für die Eigenwirtschaft des Guts auf ein möglichst großes Arbeitskräftepotential an Tagelöhnern und Dienstpflichtigen aus dem Dorf zurückgreifen zu können . Zweitens galt es, die Ländereien möglichst einträglich zu verpachten . Drittens wird die Sorge erkennbar, die Untertanen in guter ökonomischer Verfassung zu bewahren, damit diese ihre Höfe halten und Abgaben sowie Pachtzinsen pünktlich leisten konnten . Im Zusammenhang damit wurde schließlich das Ziel verfolgt, Armut zu vermeiden, denn die Armenfürsorge oblag auch dem Gut . Die paternalistisch motivierte Verknüpfung von Pachtvergabe mit Beschäftigung hatte nach Meinung des Rentmeisters offensichtlich zu Risiken geführt, die das Einkommen des Hauses beeinträchtigten . Als Lösung schlug er eine Entflechtung von Grundabhängigkeit, Landmarkt und Arbeitsmarkt vor . Für das Verhalten des Guts auf dem Markt für Pachtland bedeutete dies, dass den eigenen Grundabhängigen nicht mehr selbstverständlich, ohne Rücksicht auf ihre betrieblichen Verhältnisse, Parzellen aus dem Gutsbesitz abgegeben werden sollten . Veränderungen in der Anbahnung von Pachtverträgen, welche die Verpachtung von Land als möglichst sozial ungebundenes, formales Marktgeschehen anstrebten, lassen sich als Umsetzung einer Strategie der Entflechtung und Entbettung interpretieren, die auf eine von sozialen Rücksichten freien Maximierung der Einnahmen der Rentei abzielten . Konkret zeigt sich dies in zwei Phänomenen: der Versteigerung von Pachten an den Meistbietenden sowie der expliziten Neuverhandlung der Konditionen nach Ablauf der Laufzeit eines Vertrags . Die Auktion mit Vergabe an den Meistbietenden stellt wenigstens vom Prinzip her einen formalen Marktmechanismus dar, der ein Gut ohne Ansehen der Person dem VWA, Nor .Ak 13427: Korrespondenz des Rentmeisters Sandfort mit dem Grafen Merfeld, kaiserl . Subdelegaten in der Plettenbergischen Administrationssache betr . Haushaltung und Wirtschaft des Hauses Nordkirchen, 1800 .

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Pachtobjekte und Pachtverträge

Akteur mit der höchsten Zahlungsbereitschaft zuweist . Das Verfahren, wie Verpächter und Pächter zueinander fanden, muss nicht notwendigerweise in den Vertragstexten selbst zur Sprache kommen . Dennoch sehen bereits die frühesten Assener Verträge von 1710 bis 1722 Verpachtungen an den Meistbietenden vor . Auf Benkhausen enthalten die Verträge von 1818 bis 1837 einen Verweis auf das Höchstgebot . Hingegen sind die Rechnungen von Anholt und Wewer in der Hinsicht wenig auskunftsfreudig . Andernorts im Untersuchungsgebiet lassen sich aber durchaus auch sehr frühe Versteigerungen von Pachten finden, so bereits 1651 auf Gut Krudenburg im Kreis Wesel .46 Tabelle 4.7 Anteil der Versteigerungen an den Meistbietenden unter Pachtabschlüssen und Buchungen, Nordkirchen, 1570–1909 (Prozent)

Anteil Auktionen (n)

1570– 1769

1770– 1779

1780– 1789

1790– 1799

1800– 1809

1810– 1819

1820– 1909

1570– 1909

0,8 (369)

10,8 (102)

22,8 (79)

27,3 (165)

79,0 (157)

16,8 (273)

0,2 (3.992)

4,9 (5.137)

Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1). Bemerkungen: Ein Vertrag ist ein in den Buchungen mit einem Pachtbeginn spezifizierter Abschnitt einer Pachtkette (siehe zur Konstruktion der Ketten Anhang A1). Als Auktion wird ein Vertrag dann codiert, wenn in einer Buchung die Versteigerung oder das Attribut „meistbietend“ als Methode der Pächterfindung genannt wurde.

Auf Nordkirchen finden sich in den ab 1780 erhaltenen Pachtprotokollen Verpachtungen von Parzellen auf dem Weg der Auktion, in den Rechnungen wird das Verfahren ab 1767 notiert, und zwischen 1800 und 1809 erfolgten fast 80 % aller dokumentierten Neuverpachtungen über diesen Mechanismus (Tabelle 4 .7) . In diesen Jahren weisen auch die Pachtprotokolle beinahe durchgehend den Modus der Auktion nach . Nach den ersten beiden Dekaden des 19 . Jahrhunderts nimmt die Zahl dieser Hinweise aber rasch wieder ab . Heißt das, dass die Auktion auch tatsächlich wieder an Bedeutung verlor? Die wenigen expliziten Nennungen, etwa bei der Verpachtung des Eckern 1840, deuten darauf hin . Andererseits weisen teilweise auch spätere Pachtprotokolle die Praxis des Meistgebots nach .47 Auch sind Zeitungsannoncen von 1870 überliefert, mit denen die Rentei zum Versteigerungstermin zwecks Wiederverpachtung von 19 Parzellen einlud .48 In der folgenden Renteirechnung 1871 wird allerdings keine dieser Pachten als Ergebnis einer Auktion gekennzeichnet .49 Es ist möglich, dass nach einer Phase am Anfang des Jahrhunderts, in der die Gutsführung in Nordkirchen stark auf das Instrument der Auktion setzte, sie diese später nur als ein Instrument unter ande46 47 48 49

LA NRW Münster, Landsberg-Velen, Findbuch 450: Haus Krudenburg, Nr . 36305 . VWA, Nor .Ak 3476 (1836/1866 Vol . I), 3477 (1864/79 Vol . II), 4368 (1857), 4774 (1882) . VWA, Nor .Ak 7254 (1859) . VWA, Nor .Ak 2607 (1871) .

Vertragsanbahnung

ren betrachtete, etwa neben einer Vergabe „unter der Hand“ .50 Der Bedeutungsverlust der Auktion als Mittel der Vertragsanbahnung könnte teilweise damit zusammenhängen, dass der hohe Aufwand der öffentlichen Versteigerungen nicht mit den erwarteten Einnahmeverbesserungen im Verhältnis stand . Teilweise lässt sich der rasche Bedeutungsverlust der Auktion in den 1810er Jahren aber auch in Beziehung zum Einsatz des anderen Mittels zur Steigerung der Konkurrenz um Pachten setzen . Es bestand in der Neuverhandlung jedes Vertrags nach Ablauf der Laufzeit, allenfalls unter Androhung einer Auktion: Indessen glaube ich, daß ein abermaliger Versuch dies surplus noch um etwas erhöhen würde […] . Nach erhaltenen gnädigen Bescheid werde ich sodann von den Pächtern der bemerkten Stücke eine angemessene Erhöhung des gestrigen Gebots fordern und sollten sie sich nicht verstehen, diese Stücke in einem abermaligen Termin zur Verpachtung aussetzen . (1814)51 Man mußte daher bei einer jeden neuen Verpachtung mit jedem Kötter eigentlich besonders accordiren und alles versuchen, damit die Grundstücke nicht gegen einen beständigen niedrigen Pachtpreiß bei einem und dem nemlichen Colonat auf immer verblieben . Bei jeder Verpachtung wurde also der Pachtpreis immer in etwa höher gebracht . (1819)52

Möglicherweise hatte die durchgehende Versteigerung von Pachten in den 1800er Jahren den Boden dafür bereitet, dass nun universelle Neuverhandlungen von Pachten nach Vertragsablauf durchsetzbar waren (vgl . unten Kapitel 7 .1) und deshalb in späteren Dekaden das aufwändige Mittel der Auktion nur noch begrenzt eingesetzt zu werden brauchte, um eine Steigerung von Pachtzinsen herbeizuführen . Der Nutzung förmlicher Marktmechanismen und der Ausdifferenzierung des Pachtwesens aus einem Geflecht multiplexer lokaler Beziehungen waren allerdings enge Grenzen gesetzt . Denn erstens fehlte gelegentlich die dem Prinzip einer Auktion zugrundeliegende Konkurrenz zwischen potentiellen Pächtern . Dies traf besonders in einem Einzelhofgebiet zu, wie es in der Umgebung von Nordkirchen vorlag . In einer Dorfsiedlung mit umgebender Feldflur sahen sich die meisten Betriebe mit ähnlichen Wegekosten zur Bearbeitung einer bestimmten Parzelle konfrontiert, so dass hier grundsätzlich mit einer Vielzahl von Interessenten gerechnet werden konnte . In einer Zone mit verstreuten Höfen und Kampfluren war dies nicht der Fall; eine Parzelle war meist nur für die unmittelbaren Nachbarn attraktiv, so dass eine durch Konkurrenz geprägte Marktsituation kaum herzustellen war . Mehr als einmal biss sich die Rentei an dieser Herausforderung die Zähne aus:

50 51 52

Bracht/Scholten: Between rack-rents and paternalism . VWA, Nor .Ak 2357, Lakesche Verpachtungsprotokolle Nr . 45, 23 .10 .1814 . VWA, Nor .Ak 3486 (1819), Vermessung und Verpachtung der Grundstücke des Hauses Ahlrodt .

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Pachtobjekte und Pachtverträge

Die beiden Kämpe am Holz-Meinhövel können wegen ihrer Abgelegenheit nicht anders als an die Kötter Roggenkamp und Kortendiek, welche in deren Nähe wohnen, untergebracht werden . Die mehrmaligen Versuche zur Verpachtung durch das Meistgeboth sind immer gescheitert, weshalb auch jetzt kein Verpachtungs-Protokoll darüber aufgenommen ist .53

Zweitens fiel den adeligen Grundbesitzern die Lösung von einer moralischen Ökonomie der gerechtfertigten Notdurft und des Austauschs von Gunst gegen Loyalität keineswegs leicht . Selbst in der Ära der Sanierung der Gutsfinanzen wurde das Streben nach einer Steigerung der Pachtpreise durch diesen herkömmlichen Deutungs- und Argumentationsrahmen eingehegt . Ende 1814 musste Gräfin Plettenberg auf Nordkirchen entscheiden, ob sie den in einer Versteigerung Höchstbietenden als neuen Pächter annehmen oder die fraglichen Pachtobjekte vielmehr beim bisherigen Pächter belassen sollte . Auf Empfehlung des Rentmeisters verzichtete sie auf die Ratifizierung und beließ den Vertrag beim bisherigen Pächter, dem „alten Graffelder“; Hauptargument war die „stets bewiesenen Treue“ . Für den Fall seines Ablebens während des neuen sechsjährigen Pachtvertrags wurde eines seiner Kinder als Vertragsnachfolger ins Auge gefasst .54 Vor diesem Hintergrund hatten die Bemühungen der Rentei zur Unterwerfung der Pachtbeziehungen unter Marktprinzipien wohl bestenfalls begrenzte Auswirkungen auf die Inhalte der Pachtverträge . Wir werden später zeigen, dass auf Nordkirchen auch noch um 1830 Pachtzinsen den Bodenertrag unvollständig abschöpften und dass in den Jahrzehnten um 1800 die Pachtpreise auf diesem Besitztum nicht stärker stiegen als auf anderen Gütern (Kapitel 5 .7, 7 .3, 8 .4 .2) . Aufschlussreich ist auch eine Betrachtung der Kontinuität von Pachtbeziehungen anhand der Familien- beziehungsweise Hofnamen der 1859 auf Nordkirchen dokumentierten Pächter . Fünfzig Jahre früher hatten bereits 57 % der Vorfahren beziehungsweise Vorbesitzer dieselben Parzellen gepachtet, und im Vergleich zum Zeitpunkt hundert Jahre früher belief sich der Kontinuitätsgrad immer noch auf 42 % . Die Stärke der Bindung zwischen Familien und einzelnen Parzellen war zwar der Natur der Sache gemäß etwas niedriger als diejenige zwischen Familien und ganzen Höfen, wie sie für andere Gemeinden in Westfalen festgestellt wurde . Gleichzeitig war der land-family bond aber stärker als im von der einschlägigen Forschung viel diskutierten Earls Colne (Essex, Südostengland), wo um 1750 nur 41 % der 1700 dokumentierten Familien immer noch dasselbe Land gepach-

VWA, Nor .Ak 6587 (1818), Kalkulaturbemerkungen und deren Beantwortungen zur Rechnung von Nordkirchen und Meinhövel; ähnlich VWA, Nor .Ak 4285 (1817/18), Observaten zu den Nordkirchener und Meinhöveler Rechnungen und deren Beantwortung . Vgl . auch nochmals die Geschichte der Verpachtung von Tüllinghofs Sundern und der zwei Rahdenkämpe im Jahr 1815, oben Kapitel 4 .4 . 54 VWA, Nor .Ak 2357, Nr . 55, 11 ./13 .11 .1814 . 53

Vertragsanbahnung

tet hatten .55 In einer fern der städtischen Nachfrage nach Agrarprodukten gelegenen Zone mit geringer gewerblicher Entwicklung ließ sich eine lokale Gemeinschaft nicht durch die Einführung einzelner Marktinstitutionen transformieren; der Übergang zur Marktgesellschaft war ein langwieriger, zögerlicher Prozess .56 Insgesamt zeigt sich, dass im Zuge der in der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts einsetzenden Systematisierung der Renteiverwaltung auch eine Formalisierung der Pachtverträge erfolgte .57 Zumindest wurden Pachtverträge besser aufbewahrt, aber schon ab dem zweiten Viertel des 18 .  Jahrhunderts ist wenigstens auf Nordkirchen auch eine zunehmend explizitere Spezifizierung von Pachtverträgen erkennbar, vor allem anhand der Befristung der Pachtdauer . Um die Mitte des 19 . Jahrhunderts wurden Vertragslaufzeiten über mehrere Anbauzyklen hinweg verlängert, was die Sicherheit der durch den Pachtnehmer vorgenommenen Investitionen mit langer Amortisationszeit steigerte . Bis zum frühen 18 .  Jahrhundert erfahren wir wenig über die Ausgestaltung von Pachtverträgen, nicht zuletzt über ihre zeitliche Befristung . Teilweise folgt dies aus einer schlechten Überlieferungslage und aus der spröden zeitgenössischen Dokumentation . Teilweise legen die verfügbaren Angaben aber auch die Tendenz nahe, Pachtverträge stillschweigend über einen Anbauzyklus hinaus zu verlängern, unter Einschluss der Übertragung auf die Erben eines Pachtnehmers . Dieser vermutlich verbreitet implizite Charakter der Verpachtung einzelner Parzellen um Geld schuf für Pächter eine gewisse Sicherheit hinsichtlich der Stabilität von Betriebsflächen und der Amortisierbarkeit von Investitionen mit langer Amortisationsdauer . Gleichzeitig schlossen formlose, implizite Verträge aber die Änderung der Pachtpreise nicht aus . Angesichts der Leistungsfähigkeit vormoderner institutioneller Arrangements waren Bemühungen zur Entflechtung von Pachtverhältnissen aus anderen Märkten und zur Herauslösung aus paternalistischen Austauschbeziehungen durch die Einführung formaler Marktmechanismen kurzlebig . In einem durch kleinräumige Interaktionsstrukturen gekennzeichneten Kontext ließen sich Prinzipien der Marktgesellschaft nur sehr begrenzt durchsetzen, und – wie unsere späteren Befunde erweisen – erbrachten sie auch nicht die von den Renteien erhofften wirtschaftlichen Ergebnisse .

Bracht/Scholten: Between Rack Rents and Paternalism, Tabelle 2; French/Hoyle: English Individualism Refuted, 610; Fertig/Fertig: Bäuerliche Erbpraxis, 177 . 56 Vgl . G . Fertig: Äcker, Kap . 7; Pfister et al .: Life Course Strategies . 57 S . oben, Kapitel 3 .1 und Diskussion von Tabelle 3 .1 in Kapitel 3 .2 . 55

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Kapitel 5 Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

Im vorangehenden Kapitel haben wir Pachtverträge und die damit im Zusammenhang stehende Buchführung der Renteien von Rittergütern kennen gelernt . Im gegenwärtigen Kapitel wenden wir uns der Preisgeschichte der Landpacht zu . Uns interessiert, wie sich der Preis für die Miete von Land, gemessen in Gramm Silber pro Hektar, über die Zeit hinweg verändert hat . Wir gehen dieses Thema auf drei Ebenen an, nämlich auf derjenigen der einzelnen Pachtobjekte, auf der Ebene des einzelnen Ritterguts sowie schließlich auf derjenigen der Gesamtheit aller fünf untersuchten Besitzkomplexe . Den Anfang macht die Verbindung von einzelnen Pachtbuchungen zu Zeitreihen der für die jeweiligen verpachteten Objekte gezahlten Zinsen (Kapitel 5 .1) . In einem zweiten Schritt werden mehrere alternative Verfahren zum Einsatz gebracht, um diese Preisreihen von Einzelstücken zu Zeitreihen der von einem Besitzkomplex pro Hektar eingenommenen Pachtzinsen zusammenzufassen (Kapitel 5 .2–5 .4) . Als letzten Schritt fasst Kapitel 5 .5 die mit verschiedenen Verfahren gewonnenen Preisreihen der einzelnen Güter zu Reihen zusammen, welche die Entwicklung der Pachtzinsen auf den untersuchten Besitzkomplexen in ihrer Gesamtheit wiedergeben . Interessiert man sich dafür, ob und um wie viel die Miete von Land über die Zeit hinweg teurer geworden ist, so wird man die Entwicklung realer Pachtzinsen betrachten, d . h . man wird die nominalen Pachtzinsen  – die hier konstruierten Mietpreise in Gramm Silber pro Hektar – um die Entwicklung der Preise der Produkte, die auf Pachtland erzeugt werden können, bereinigen . Diese Operation führen wir erst später in Kapitel 8 durch . Dennoch ist die Betrachtung bereits von nominalen Pachtzinsen in verschiedener Hinsicht von Interesse . Zunächst prüfen wir, wieweit die Pachtzinsen auf den einzelnen Gütern der Entwicklung im gesamten Untersuchungsgebiet folgen beziehungsweise von ihr abweichen (Kapitel 5 .6) . Zweitens interpretieren wir das unterschiedliche Niveau der auf den einzelnen Besitzkomplexen im ausgehenden 18 . und 19 . Jahrhundert für die Miete von Land bezahlten Preise (Kapitel 5 .7) . Zuletzt stellen wir die Entwicklung der Pachtzinsen im Untersuchungsraum in den Zusammenhang mit den wenigen Informationen über andere deutsche Gebiete (Kapitel 5 .8) .

Von Pachtbuchungen zu Preisreihen

5.1

Von Pachtbuchungen zu Preisreihen von Pachtobjekten

Quellengrundlage für das Nachzeichnen der Entwicklung von Pachtzinsen sind die Buchungen einzelner Pachtzahlungen beziehungsweise von Ansprüchen darauf in den Rechnungsbüchern der untersuchten Rittergüter . Die in einzelnen Buchungen enthaltenen Informationen wurden zunächst für jeden Besitzkomplex getrennt tabellarisch erfasst, und zwar dergestalt, dass jede Buchung eine Zeile darstellt . Auf dieser Grundlage wurden die einzelnen Buchungen über aufeinander folgende Jahre hinweg zu Ketten von Buchungen zusammengefügt, die Preisreihen von einzelnen Pachtobjekten enthalten . Dieses manuell durchgeführte sogenannte Record linkage stellte den zentralen und zeitaufwändigsten Arbeitsschritt der gegenwärtigen Studie dar . Die Vorgehensweise und der damit einhergehende Datenbankaufbau werden in Anhang A1 dargestellt . Die Datenbanken selber sind online verfügbar; wir zitieren sie und die auf ihnen aufbauenden Auswertungsdateien im Folgenden als „Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7 .1)“ . Der Rest dieses Abschnitts gibt einen zusammenfassenden Überblick über die wesentlichen Schritte des Datenbankaufbaus sowie über die Eigenschaften der dabei gewonnenen Preisreihen der einzelnen Pachtobjekte . Die vier hauptsächlichen Kriterien, Buchungen aus verschiedenen Jahren ein und demselben Pachtobjekt zuzuordnen, waren (1) das Auftreten der Buchung an einer vergleichbaren Stelle in verschiedenen Rechnungsbüchern, (2) die Namensgleichheit des Objekts und (3) die Gleichheit von Flurnamen oder von Namen des Komplexes an Grundbesitz, in dem sich ein Objekt befand, sowie schließlich (4) die Gleichheit von Flurkartennummern beziehungsweise Kataster-Parzellennummern . Die letzteren Informationen, ebenso wie manchmal zu findende Angaben zur Fläche einer Parzelle, liegen erst für das 19 . Jahrhundert vor . Damit mehrere Buchungen ein und demselben Pachtobjekt zugeordnet wurden, mussten wenigstens zwei der genannten vier Kriterien erfüllt sein . Möglichst zurückhaltend wurde zusätzlich auf die Namensgleichheit des Pächters und die Stabilität des Pachtzinses als Kriterien für den Bezug mehrerer Buchungen auf dasselbe Objekt zurückgegriffen . Eine gesonderte Behandlung erforderten Neukombinationen von Pachtobjekten, d . h . Buchungen anlässlich des Zusammenschlusses von Objekten zu einem größeren Komplex, aber auch bei deren Teilung in mehrere kleinere Parzellen und bei Änderungen, bei denen mehrere Pachtobjekte zusammengelegt und aufs Neue auf mehrere, aber unterschiedlich zugeschnittene oder benannte Pachtobjekte aufgeteilt wurden . Solche Veränderungen konnten einen realen Vorgang der Teilung oder Konsolidierung von Parzellen widerspiegeln . Zusammenschlüsse konnten aber auch aus einer buchhalterischen Zusammenfassung der von ein und derselben Person für mehrere Pachten geschuldeten Zinsen folgen . Da Neukombinationen im Prinzip Anlässe zur Neufestsetzung von Pachtzinsen boten, ist ihre angemessene Berücksichtigung unerlässlich . Die Neukombinationen markieren jeweils das Ende einer oder mehrerer Pachtobjektketten, und den Beginn einer oder mehrerer neuer . Technisch gesehen

133

134

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

wurden dazu die letzten Pachtzinsen einer oder mehrerer Pachtobjektketten eines Jahres aufsummiert und mit der entsprechenden Summe der Pachtzinsen des Folgejahres verknüpft (siehe Anhang A1) . Weil in Wewer die Quellenüberlieferung weniger homogen als in den anderen Beständen ist, d . h . weil relativ häufig die Struktur der Rechnungen geändert wurde, ist bei diesem Besitztum die Zahl der Neukombinationen relativ hoch . Abbildung  5 .1 zeigt für jede untersuchte Rentei den chronologischen Verlauf der Datenbasis, die sich aus der Verkettung von Pachtbuchungen zu Preisreihen ergibt; dargestellt ist die Anzahl Verkettungen von Buchungen mit anderen Buchungen aus einem früheren Jahr, d . h . die verwertbaren Buchungen setzen ein Jahr früher ein als die gezeigten Graphen . Allgemein zeigt sich, dass ab den 1670er Jahren regelmäßig für drei Güter Informationen über Pachtzinsen vorliegen und dass die überlieferten Rechnungsbestände um oder nach 1900 abreißen . Die Jahre dazwischen stellen im Wesentlichen unseren Untersuchungszeitraum dar, wobei wir mit den Angaben zu Anholt und Nordkirchen auch Aussagen über die Zeit zurück ins späte 16 . Jahrhundert machen . Alle Graphen weisen einen deutlichen positiven Trend auf . Dies reflektiert vor allem die langfristige Zunahme der dokumentierten Fläche an verpachtetem Land, sekundär allenfalls eine Tendenz, zunehmend kleinere Parzellen zu verpachten – mit Ausnahme von Nordkirchen folgen die Zahlen der verketteten Buchungen in Abbildung 5 .1 einem etwas steileren Trend als die geschätzte Pachtfläche in Abbildung 4 .3 . Die Entwicklungen auf drei Gütern  – Anholt, Benkhausen und Wewer  – weisen Besonderheiten auf, die kurz kommentiert seien . In den Rechnungsbüchern von Anholt beginnt die Zahl an Buchungen ab den 1830er Jahren stark zu schwanken . Zuerst nimmt sie stark zu; 1854–1871 bewegt sie sich zwischen knapp 600 und gut 1000 pro Jahr, mit steigender Tendenz (Werte in Abbildung 5 .1 nicht gezeigt) . In dieser Zeit wurde allerdings die Pachtfläche nicht unbedingt ausgeweitet, sondern es wurden vermehrt kleine Parzellen vermietet (vgl . Abbildung 4 .3) . 1872/3 bricht dann die Zahl an Pachtbuchungen zusammen . Bis 1888 finden sich eine Reihe von Buchungen verpachteter Hausstätten, die wir aber nicht auswerten (s . unten) . Erst danach dokumentieren die Rechnungsbücher wieder in größerer Zahl landwirtschaftlich genutzte Parzellen . Die Zahlen bleiben aber wegen des Überhandnehmens von Sammelbuchungen weit hinter denjenigen der 1850er und 1860er Jahre zurück; die gesamte verpachtete Fläche wies wohl einen eher größeren Umfang als um die Mitte des 19 . Jahrhunderts auf . Möglicherweise hängt die gesamte Entwicklung seit den 1850er Jahren mit der Aufgabe von Teilpacht zugunsten von zeitlich begrenzter Geldpacht zusammen (vgl . oben Kapitel 3 .5 .1) . Zu Benkhausen verzeichnet Abbildung 5 .1 nur einzelne Datenpunkte . Dies geht auf den Sachverhalt zurück, dass dieses Besitztum für sein Pachtland in festen Abständen von vier bis acht Jahren jeweils gesamthaft neue Verträge abschloss (vgl . oben Kapitel 4 .2) . Bei diesen Anlässen wurden die Pachtbedingungen für jedes einzelne Objekt in tabellarischen Pachtregistern festgehalten . Wir nutzen für unsere Untersuchung die-

Von Pachtbuchungen zu Preisreihen

500 450 400 350

Anholt Assen Benkhausen Nordkirchen Wewer

300 250 200 150 100 50 0 1550 1575 1600 1625 1650 1675 1700 1725 1750 1775 1800 1825 1850 1875 1900 1925

Abbildung 5.1 Anzahl verketteter Pachtbuchungen auf den fünf untersuchten Gütern, 1559–1918 Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1).

se periodischen Zusammenstellungen, nicht die im Prinzip jährlich angelegten Pachtrechnungen wie bei den anderen Gütern . Die Punkte in Abbildung 5 .1 geben die Anzahl Pachten wieder, die sich mit einem Eintrag im zuletzt vorangegangenen Register in Verbindung bringen lassen . Zu Wewer sind schließlich zwei Bemerkungen anzubringen . Erstens lässt sich keine Buchung aus den Jahren 1827–1837 mit Pachtobjekten in Verbindung bringen, die bis 1815 dokumentiert sind . Wir lassen deshalb in der Auswertung das spätere Fragment beiseite und werten nur das Korpus bis 1815 aus . Zweitens ist aus Abbildung 5 .1 ersichtlich, dass die Datenbasis zu Wewer unter allen Gütern den kleinsten Umfang hat . Dies hängt wahrscheinlich teilweise mit der geringen Größe dieses Besitztums zusammen . Darüber hinaus erwies es sich hier aber auch besonders schwierig, Ketten von sich auf jeweils dasselbe Objekt beziehenden Pachtbuchungen zu konstruieren . Wie oben erwähnt, fanden hier auch besonders viele Neuzuschnitte von Parzellen durch Teilungen und Konsolidierungen statt . Die Datengrundlage zu Wewer ist somit im Vergleich zu den anderen Gütern sowohl klein als auch fragil . Der visuelle Eindruck von Abbildung 5 .1 wird durch zwei Arten von Diskontinuitäten geprägt: Einerseits weisen die einzelnen Graphen Lücken auf (auch wenn von Benkhausen abgesehen wird), und andererseits fluktuieren sie teilweise heftig, auch unter Ausklammerung der auf Anholt von den 1850er bis zu den 1880er Jahren zu beobachtenden Entwicklung . Die beiden Sachverhalte spiegeln zwei Arten von Lücken wi-

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136

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

der, nämlich erstens Lücken in der Überlieferung (Lücken in den Graphen) und zweitens Lücken in einzelnen Ketten von Pachtbuchungen (Ausschläge der Graphen nach unten) . Die Überlieferungslücken auf der Ebene der einzelnen Güter (ohne Benkhausen) sind des Überblicks halber auch in Tabelle 5 .1 zusammengestellt . Jahre, für die keine Pachtbuchungen vorliegen, werden ab dem zweiten Viertel des 19 . Jahrhunderts seltener und treten in der zweiten Jahrhunderthälfte gar nicht mehr auf; zu Benkhausen existieren ab 1814 umfassende Pachtregister . Im 18 . und frühen 19 . Jahrhundert fehlen dagegen Angaben für ein Fünftel bis ein Drittel der Jahre . Im späten 17 . Jahrhundert ist die Quellenbasis zwar noch schmal, doch sind Lücken im Vergleich zu später relativ selten . Mit 36 % (1700–1824) weist Wewer die höchste Quote an fehlenden Jahren auf, was nochmals die Fragilität dieses Datensatzes unterstreicht . Mit 8 % fehlenden Jahren ist das große Korpus zu Nordkirchen auch durch besonders wenige Lücken gekennzeichnet, während Anholt und Assen mit einem Anteil der Fehljahre von 25 % diesbezüglich die Mitte halten (alle drei Güter 1675–1824) . Tabelle 5.1 Überlieferungslücken von Pachtbuchungen (Anzahl fehlender Jahre pro Zeitraum von 25 Jahren) 1675– 99

1700– 24

1725– 49

1750– 74

1775– 99

1800– 24

1825– 49

1850– 74

1875– 99

Anholt Assen Nordkirchen Wewer

3 0 3 -

4 5 2 16

9 1 1 10

6 11 3 1

10 1 3 9

5 19 0 9

1 13 0 -

0 0 0 -

0 0 0 -

Summe

6

27

21

21

23

33

14

0

0

Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1).

Lücken in Ketten von Pachtbuchungen können aber auch in Jahren vorkommen, für die Rechnungsbücher überliefert sind, und zwar aus drei Gründen: Erstens wechselte die Verwendung zwischen Ausgabe in Pacht und Eigenwirtschaft; die meisten nicht durch Überlieferungslücken verursachten Unterbrechungen in den Preisreihen von Pachtobjekten haben diese Ursache . Zweitens kamen bei kontinuierlicher Verpachtung immer wieder Jahre vor, in denen der Pachtzins erlassen wurde oder die Parzelle gratis vergeben und mit anderen Leistungen verrechnet wurde . Drittens konnte es vorkommen, dass eine Pachtparzelle aus unbekannten Gründen einige Jahre lang nicht geführt wurde, danach aber wieder in den Rechnungen auftauchte . Trotz dieser durch verschiedene Ursachen bedingten Lücken konnte eine im Vergleich zu den meisten anderen Studien zur Geschichte der Landpacht große Datenbasis erzeugt werden . Gut 120 .000 Buchungen konnten zu insgesamt knapp 7 .200 Preisreihen einzelner Pachtobjekte verkettet werden . Knapp zwei Drittel aller Reihen

Von Pachtbuchungen zu Preisreihen

stammen allerdings allein von zweien der fünf untersuchten Besitzkomplexe, nämlich von Anholt und Nordkirchen (vgl . Tabelle A1 .1) . Zur Vorbereitung der weiteren Auswertung wurden die Preisreihen der einzelnen Pachtobjekte folgenden Arbeitsschritten unterzogen: Erstens wurden nicht bearbeitbare Objekte ausgeschieden . Dies sind einerseits solche, die in den Quellen nur einmal dokumentiert sind . Sie stellen keine Preisreihe dar und können deshalb keine Auskunft über Preisveränderungen geben . Dies bildet einen Unterschied zur Datenbasis von Indizes, die direkt auf Flächenangaben zurückgreifen, also zu Durchschnittsindizes und hedonischen Indizes, auf die noch zurückzukommen ist . Andererseits wurden Pachtobjekte mit Häusern ausgeschlossen, da wir allein am Mietpreis landwirtschaftlich genutzten Landes interessiert sind . Aus diesem Grund verwenden wir auch die Begriffe des Pachtobjekts und der Parzelle als Synonyme . Des Weiteren ausgeschlossen wurden Buchungen über Erbpachten sowie Buchungen, bei denen der monetäre Zins nur einen Teil der Pacht ausmachte, oder deren Pachtzins sich nur auf einen Teil der Fläche bezog . Zweitens wurden die Geldbeträge aus den in den Rechnungsbüchern verwendeten, teilweise sehr variablen Münzsystemen in Gramm Silber umgerechnet . Anhang A5 stellt die dabei angewandten Grundsätze dar . Zugegebenermaßen verwässern wir damit das Konzept der nominalen Pachtzinsen . Es existieren nämlich Parzellen, die über sehr lange Zeit hinweg mit demselben in zeitgenössischer Münzwährung ausgedrückten Zins belastet waren . Angesichts der Verringerung des intrinsischen Silbergehalts der umlaufenden Münzen konnte dies bedeuten, dass der in Gramm Silber ausgedrückte Pachtzins sank . Dass auf diese Weise nominale Preise nicht präzise und nur indirekt gemessen werden, gilt es in der späteren Analyse im Auge zu behalten (vgl . unten, Kapitel 7 .1 und 7 .2) . Die Standardisierung der Pachtzinsen auf Gramm Silber ist aber zu Vergleichszwecken sinnvoll und für die Deflationierung mit Preisen von Agrargütern, die aus anderen Quellen gewonnen werden, unerlässlich . Drittens ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass besonders Verfahren, die einzelne Preisreihen mittels Verkettung zu einem Gesamtindex zusammen führen (unten Kapitel 5 .2 .3), auf lückenlose Reihen angewiesen sind . Deshalb erzeugen wir eine Variante unserer Datenbasis, in der die Lücken in den Preisreihen der einzelnen Parzellen mit exponentieller Interpolation geschlossen werden (dazu Anhang A1 .3) . Der Anteil interpolierter Datenpunkte an allen in die Kettenindizes eingegangen Wachstumsraten variiert vor allem zeitlich sehr stark . Im Zeitraum 1675–1900 schwankt er auf der Ebene von Vierteljahrhunderten zwischen 5 und 47 % . Die Überlieferungslücken konzentrieren sich vor allem im Zeitraum vor 1825 . Aber auch zwischen den Gütern ist er unterschiedlich hoch (Tabelle A1 .2) .

137

138

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

5.2

Methoden der zusammenfassenden Beschreibung der Entwicklung von Pachtzinsen

5.2.1

Übersicht

Als erstes interessiert uns, wie sich Pachtzinsen auf der Ebene der einzelnen Güter langfristig entwickelten . Es gilt somit, für jeden Besitzkomplex die Preisreihen der einzelnen Pachtobjekte zu einer aggregierten Reihe zusammenzufassen . Dieser Arbeitsschritt ist Gegenstand dieses und der beiden folgenden Abschnitte . Es existieren zahlreiche unterschiedliche Methoden, um die Entwicklung von Pacht- und Immobilienpreisen in einem gesamten Markt – hier: auf einem ganzen Besitzkomplex – nachzuzeichnen . Die Wahl des Maßes ist weitgehend von der Art der verfügbaren Information abhängig . Daher lässt sich keine allgemein verbindliche Methode der Indexierung benennen und voraussetzen . Das Folgende gibt zunächst einen Überblick über die in repräsentativen historischen Studien verwendeten Methoden zur Beschreibung der Entwicklung von Pachtzinsen . Konkret sind dies Durchschnittspreisindizes sowie Kettenindizes . Aus einer vergleichenden Diskussion dieser Verfahren entwickeln wir unser eigenes methodisches Vorgehen . Dieses stellt in erster Linie auf Kettenindizes, sekundär auf regressionsbasierte Indizes ab . Diese beiden Verfahren werden anschließend in Kapitel 5 .2 .2 und 5 .2 .3 beschrieben . (1) Durchschnittspreisindizes . Bei diesem Verfahren berechnet man den durchschnittlichen Preis (Kaufpreis oder Pachtzins) pro Flächeneinheit (typischerweise Hektar) . Voraussetzung ist die Existenz von Informationen über Parzellengrößen . Der Durchschnittspreis lässt sich einerseits (a) als Quotient der aggregierten Preissumme dividiert durch die gesamte Fläche, für die Informationen verfügbar sind, berechnen . Andererseits kann man ihn (b) als arithmetisches Mittel der für die einzelnen beobachteten Parzellen ermittelten Preise berechnen . Wenigstens das letztere Verfahren ist in zweierlei Hinsicht anfällig auf Verzerrungen . Die erste Verzerrung kann daraus resultieren, dass die Größe einer Parzelle und der Pachtzins nicht in einem linearen Verhältnis zueinanderstehen . Solches ist der Fall, wenn für besonders große Parzellen relativ hohe Pachtzinsen pro Hektar gezahlt werden . Dieser als sogenannter Plottage bekannte Effekt kommt etwa zustande, wenn sich auf großen Nutzflächen Skalenerträge erwirtschaften lassen . Auf der anderen Seite gibt es auch den sogenannten Plattage-Effekt, bei dem für kleine Parzellen höhere Preise pro Flächeneinheit gezahlt werden, und der im Folgenden wiederholt angesprochen wird . Eine eingehende Diskussion des Plattage-Effektes in den hier untersuchten Daten findet sich in Kapitel 7 .4 .1

1

Colwell/Sirmans: Nonlinear Urban Land Prices; Clark: Land Rental Values, 289 .

Methoden

Zweitens spielt unabhängig von solchen nichtlinearen Effekten die Stückelung des Landes eine Rolle . Wenn die Größe der Parzellen nicht in allen Fällen gleich ist, müssen die verschiedenen Pro-Hektar-Werte verschieden gewichtet werden . Man stelle sich eine größere Parzelle vor, die Teil einer größeren beobachteten Gesamtfläche ist und deren Pachtzins pro Hektar relativ hoch liegt . Sodann wird die fragliche Fläche samt dem dazugehörigen Pachtzins in mehrere gleiche Teile geteilt . Jeder dieser Teile geht nun mit der gleichen Pro-Hektar-Pacht in den Mittelwert für die beobachtete Gesamtfläche ein und verzerrt folglich diesen nach oben . Der umgekehrte Effekt stellt sich ein, wenn zum Beispiel aus buchhalterischen Gründen mehrere Pachtverträge, die sich auf Parzellen desselben größeren Komplexes oder auf denselben Pachtnehmer beziehen, zu einem größeren Aggregat zusammengefügt werden . Durchschnittspreise sind in den wichtigen Studien von Allen und Turner et al . eingesetzt worden .2 Allen berechnete einen vergleichsweise einfachen Durchschnittspachten-Index auf heterogener Quellengrundlage ohne Berücksichtigung etwaiger Größeneffekte . Hingegen gewichtete er seine Daten entsprechend der naturräumlichen Umgebung und dem Anteil an verkoppeltem Land . Turner et al . ließen in ihre von 1690 bis 1914 reichende Preisreihe die wohl in der Forschung bislang größte Datenbasis einfließen, indem sie die Pachteinnahmen zahlreicher über ganz England verteilter Besitzkomplexe erhoben . Ihre Reihe folgt der aggregierten Variante (a) eines Durchschnittspreises, denn sie bilden den Quotienten von aggregierten Pachteinnahmen und der Summe der auf allen erfassten Gütern verpachteten Fläche . Plattage- oder Plottageeffekte, aber auch Effekte der Veränderung der zugrunde liegenden Datenbasis konnten auf diese Weise, so groß die Datengrundlage war, nicht berücksichtigt werden . Durchschnittspreisindizes berechnen wir weiter unten für Benkhausen, Anholt und, in sehr eingeschränktem Maß, für Nordkirchen . (2) Hedonische Indizes . Diese Methode setzt Regressionsverfahren ein und berücksichtigt die Eigenschaften der Objekte, deren Preise beobachtet werden . Damit lösen sie im Prinzip die methodischen Schwächen, die mit der einfachen Berechnung von Durchschnittspreisen verbunden sind . Wichtige Beispiele in der historischen Forschung zu Pachtzinsen sind die Studien von Hoffman und Clark .3 Hoffman wertet 809 Pachtabschlüsse aus dem Pariser Umland zwischen 1450 und 1790 aus; ab 1550 zwischen 20 und 40 pro Dekade, wobei er die Nutzungsstruktur und Qualität des Pachtlandes sowie die Entfernung vom Zentrum Paris statistisch kontrolliert . Elaborierter noch ist die von Clark durchgeführte Schätzung mit Panelregression . Er wertet Pachten von Stellen und Parzellen der Armengüter in fünf Regionen in England und Wales aus . Zeitreihen enthalten jährliche Beobachtungen von Hofpachten samt Flächenan-

2 3

Allen: Enclosure and the Yeoman; Turner et al .: Agricultural Rent . Hoffman: Land Rents; ders .: Growth in a Traditional Society; Clark: Land Rental Values .

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140

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

gaben, die aber nicht von einer konstanten Auswahl an Höfen stammen . Mittels einer Querschnittsregression wird der Mittelwert der Pachten im Zeitraum 1820–1824 ermittelt, der dann zur Kalibrierung und Gewichtung der für die einzelnen Regionen erstellten Indizes dient . Bei der Mittelwertberechnung ergeben sich starke PlattageEffekte (d . h . kleine Einheiten werden durchschnittlich teurer gepachtet als große) und Populationseffekte (hohe Bevölkerungsdichte führt zu höheren Pachtzinsen) .4 Mit dieser Methode begegnet Clark adäquat einer zweifachen Verzerrung in seinen Daten, nämlich dem Plattage-Effekt in Folge der verhältnismäßig kleinen Parzellengrößen der von den Armengütern verpachteten Grundstücke, und zweitens dem Effekt, dass seine Daten mehrheitlich aus Gegenden stammen, in denen die Populationsdichte und entsprechend die Pachtzinsen hoch waren . Bereits dieser kurze Überblick zeigt, dass in der historischen Forschung über die Landpacht sehr unterschiedliche Methoden zur zusammenfassenden Beschreibung der Entwicklung der für die Miete von Land bezahlten Preise verwendet werden . Eine Abwägung der verschiedenen Vorgehensweisen erfolgt selten .5 Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass die verschiedenen Methoden zum selben Ergebnis führen, zumal sie auch unterschiedliche Aussagen anstreben: Der aggregierte Durchschnittswert (Quotient Pachteinnahmen/Pachtfläche; Variante 1a) bezieht sich auf die Entwicklung der Gesamteinnahme des Verpächters pro Flächeneinheit in einem untersuchten Gebiet, während alle anderen Verfahren die Entwicklung des Mietpreises der einzelnen Objekte nachzeichnen . Ein einfacher Mittelwert aus den Pachtzinsen, die für die beobachteten Parzellen gezahlt werden (Variante 1b), zeichnet die im Durchschnitt aller Pachtparzellen pro Flächeneinheit bezahlten Geldbeträge nach; er folgt also eher einer Pächterperspektive . Hedonische Indizes wiederum sagen etwas darüber aus, wie sich diese Geldbeträge entwickelt hätten, wenn die (messbaren und gemessenen) Eigenschaften der Pachtobjekte konstant geblieben wären . Zugleich gibt die zugrundeliegende hedonische Regressionsschätzung Koeffizienten für die durchschnittlichen Unterschiede zwischen Kulturarten und für einen eventuellen Plottage- oder Plattageeffekt aus . Die einzelnen Methoden adressieren somit durchaus unterschiedliche Sachverhalte . Unsere eigene Analyse hat erstens der eben geschilderten Methodenvielfalt Rechnung zu tragen . Zweitens hat sie die Herausforderung zu bewältigen, dass wir im Unterschied zu den oben erwähnten Studien nur für einen sehr kleinen Teil der Pachtobjekte über Informationen bezüglich derer Eigenschaften, insbesondere ihres Flächenumfangs, verfügen . Wir müssen deshalb zu Methoden greifen, die gültige Aussagen über die Entwicklung von Pachtzinsen auch ohne Flächenangaben erlauben . Drittens wenden wir Verfahren, die verbreitet zur Beschreibung moderner ImmobiClark: Land Rental Values, 288 . Ansätze einer Methodendiskussion bei Clark: Renting the Revolution; Turner et al .: Reply; Grantham: The French Agricultural Productivity Paradox . 4 5

Methoden

lienmärkte verwendet werden, erstmalig auf die historische Erforschung von Landpacht an . Konkret bedeutet dies, dass wir hedonische Indizes nur für sehr kleine Datensätze, die sich alle auf das 19 .  Jahrhundert beziehen, konstruieren können . Wir benutzen deshalb das Verfahren vor allem für die Analyse von Prozessen der Preisbildung (Kapitel 7 .4) und verwenden im gegenwärtigen Kapitel seine Ergebnisse nur zur Kalibrierung zunächst einheitsloser Reihen sowie für den Methodenvergleich . Auf die Gesamtheit der verfügbaren Informationen wenden wir vier Methoden an, mit denen wir für jedes der fünf untersuchten Güter einheitslose Reihen von Pachtzinsen bilden . Die ersten beiden basieren auf der Verkettung von jährlichen Wachstumsraten (Kapitel 5 .2 .2) . Es sind dies der flächenbereinigte Pachterlös sowie der Kettenindex des pro Pachtobjekt bezahlten Mietpreises . Die zwei weiteren Methoden verwenden Regressionsanalyse für die Indexkonstruktion (Kapitel 5 .2 .3) . Es handelt sich um den Repeat sales-Index sowie um die Schätzung eines unbalancierten Panels mit Fixed effects . Das folgende stellt diese vier Verfahren dar und erörtert die bei ihrem Einsatz zu meisternden methodischen Herausforderungen . Die resultierenden Reihen werden erst in Kapitel 5 .4 präsentiert; zuvor werden sie auf konkrete Preise pro Flächeneinheit kalibriert (Kapitel 5 .3) . 5.2.2

Kettenindizes

Die beiden von uns verwendeten Kettenindizes verwenden die Veränderungsrate von Pachten über zwei benachbarte Jahre hinweg, t und t+1 . Die gemittelten Veränderungsraten zwischen zwei benachbarten Jahren werden über einen größeren Zeitraum miteinander verkettet und gemäß den Ergebnissen von Kapitel 5 .3 (Tabelle 5 .2) bezüglich eines Basisjahres auf einen Wert in Gramm Silber pro Hektar normalisiert .6 Ausschlaggebend ist die Methode der Mittelung . Wir berechnen zwei Varianten von Veränderungsraten . Ein aggregierter Index (Pa), den wir im Folgenden als flächenbereinigten Pachterlös bezeichnen, setzt einfach die Gesamtsummen der für die n in beiden Jahren beobachtbaren Pachtobjekte bezahlten Pachtzinsen miteinander in Relation: n

Pa (t ,t +1) = ∑ pi ,t +1 i =1

n

∑p i =1

it

(5 .1)

Pa bezeichnet somit die jährliche Wachstumsrate der Gesamterlöse, welche ein Besitzkomplex aus Objekten erzielt, die er sowohl im einen als auch im darauffolgenden Jahr

Eine klassische Anwendung der Verkettungsmethode in der Wirtschaftsgeschichte ist Isserlis: Tramp Shipping Cargoes, 74 .

6

141

142

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

verpachtet hat . Durch die Verkettung dieser Wachstumsraten entsteht eine Reihe, die den um Flächenänderungen bereinigten Pachterlös eines Guts nachzeichnet . Durch die Kalibrierung auf einen Preis pro Hektar bezüglich eines Basisjahrs erhält man eine Zeitreihe des pro Hektar eingenommenen Pachtzinses . Damit steht der flächenbereinigte Pachterlösindex in Analogie zum aggregierten Durchschnittspreis pro Flächeneinheit (Variante 1a in Kapitel 5 .2 .1) . Wie in Kapitel 5 .2 .1 ausgeführt, vermag dieses Maß in keinerlei Weise Veränderungen der Pachtzinsen zu erfassen, die damit zusammenhängen, dass später im Untersuchungszeitraum dokumentierte Objekte möglicherweise andere Eigenschaften aufweisen als solche, für die am Anfang der beobachteten Zeitspanne Angaben vorliegen . Dies ist problematisch, wenn – wie im Fall der wichtigsten Studien zu England – die Datenbasis eine durch die Quellenlage diktierte Auswahl darstellt . Die gegenwärtige Studie basiert dagegen auf einer Vollerhebung der von einer Rentei verpachteten Objekte; der flächenbereinigte Pachterlös trifft in diesem Fall sehr wohl eine gültige Aussage über die aus der Vermietung von Land erzielten Einkünfte . Wir verwenden ihn deshalb im weiteren Verlauf der Studie als Hauptindikator für die Entwicklung von Pachtzinsen . Die im Weiteren verwendeten Verfahren haben vor diesem Hintergrund vor allem die Funktion, die Robustheit der mit den flächenbereinigten Pachterlösen gewonnenen Ergebnisse zu prüfen sowie den Einfluss von Änderungen der Parzelleneigenschaften – konkret: von Änderungen der Nutzungsformen und der Nutzungsintensität – so gut als möglich zu erfassen . Als Einstieg hierzu verwenden wir den Jevons-Index PJ der pro Parzelle gezahlten Pacht: n

PJ (t ,t +1) = ∏ ( pi ,t +1 / pit )1 / n i =1

(5 .2)

Der Jevons-Index stellt das geometrische Mittel der jährlichen Veränderungsraten der für die Miete der einzelnen Objekte bezahlten Pachtzinsen pi dar . Obwohl er bereits im 19 . Jahrhundert entwickelt worden ist, gilt er auch heute noch als angemessenes Maß für die Abbildung der Gesamtentwicklung mehrerer Preisreihen, wenn man über keine Informationen zu deren Gewichtung verfügt .7 Analog zu den flächenbereinigten Pachterlösen verketten wir die jährlichen Werte des Jevons-Indexes und kalibrieren sie mit dem Preis pro Hektar in einem Basisjahr gemäß Tabelle 5 .2 unten . Eine Eigenschaft von verkettungsbasierten Indizes besteht darin, dass nur Objekte in die Berechnung einfließen können, deren Werte in zwei aufeinander folgenden Jahren bekannt sind . Daher bildet auch diese Reihe die um Änderungen in der Zusammensetzung der Pachtobjekte bereinigte Preisentwicklung ab . Wir bezeichnen sie im Folgenden als Kettenindex des Pachtzinses der einzelnen Parzellen oder schlicht als Kettenindex .

7

Diewert: Essays, 72–76; Silver/Heravi: Why Elementary Price Index Numbers Formulas Differ, 4 f .

Methoden

Selbstverständlich berücksichtigt auch dieses Maß die Eigenschaften von verpachteten Objekten und deren Veränderung noch in keiner Weise . Die Konstruktion beider Kettenindizes kann sich wie erwähnt nur auf Fälle stützen, in denen die Pachtzinsen für eine Parzelle in zwei aufeinander folgenden Jahren dokumentiert sind . Die zugrundeliegenden Preisreihen für einzelne Pachtobjekte weisen jedoch zahlreiche Lücken auf (vgl . Kapitel 5 .1) . Um die Information über die Entwicklung der Pachtzinsen in diesen Intervallen nicht zu verlieren, verwenden wir für die Berechnung die am Ende von Kapitel 5 .1 beschriebene Variante der Datenbasis, welche die Lücken durch exponentielle Interpolation schließt . 5.2.3

Regressionsbasierte Indizes

Der Vorteil regressionsbasierter Indizes besteht darin, dass ihre Konstruktion ohne Interpolation fehlender Datenpunkte auskommt, und dass sie im Prinzip die Berücksichtigung der Eigenschaften von Parzellen und ihrer Veränderung über die Zeit hinweg erlauben . Wir wenden zwei Verfahren an, den Repeat sales-Index und Panelregression mit Fixed effects . In der späteren Analyse stützen wir uns vor allem auf die letztere Methode und berichten die Repeat sales-Indizes zu Vergleichszwecken wegen der Popularität dieses Ansatzes . Der Repeat sales-Index wurde für die Darstellung der Preisentwicklung von Objekten entwickelt, die in unregelmäßigen Abständen gehandelt werden . Klassisches Anwendungsgebiet bilden die Immobilienmärkte, bei denen Verkäufe von Immobilien nur in größeren Abständen vorkommen, und so pro Objekt nur wenige Beobachtungen vorliegen . In der historischen Forschung ist das Verfahren bisher für die Konstruktion von Frachtraten- und Konsumgüterpreisindizes, nicht aber auf den Gegenstand von Landpreisen oder Pachtzinsen angewendet worden .8 Wie ein Kettenindex verlangt ein Repeat sales-Index Objekte, die mindestens zweimal gehandelt wurden, d . h . für die zwei Preise zu unterschiedlichen Zeitpunkten feststehen, zwischen denen sich eine Veränderungsrate berechnen lässt . Der Repeat sales-Index erfordert keine Informationen über die Eigenschaften der untersuchten Objekte, da sich die Veränderungsraten der Preise immer auf dasselbe Objekt beziehen, und wesentliche Eigenschaften (bei landwirtschaftlichen Parzellen vor allem Fläche und Bodenqualität, bei Häusern Wohnfläche und Lage) als konstant angenommen werden .

8 Klassisch Bailey et al .: A Regression Method; neuerer Methodenüberblick bei Grimes/Young: A Simple Repeat Sales House Price Index; historische Anwendungen bei Klovland: A Repeat Sales Index; ders .: The Construction of Ocean Freight Rate Indices; ders .: Challenges .

143

144

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

Zentrale Operation ist eine OLS-Regression mit den Veränderungsraten zwischen zwei Beobachtungen eines Pachtobjekts als abhängiger Variable und Zeitdummies als unabhängigen Variablen . Das formale Modell lautet:9 ln (pit) – ln (pi,t-j) = γ1D1 + γ2D2 + γ3D3 + … + γTDT + εit

(5 .3)

wobei pit der Preis für die Verpachtung einer Parzelle i im Jahr t ist, und pi,t-j derjenige für die letzte vorangehende Pacht im Jahr t-j . Somit ist ln (pit) – ln (pi,t-j) die Wachstumsrate des Pachtzinses der Parzelle i zwischen t-j und t. D. . sind Dummy-Variablen, die den Wert -1 im Jahr t-j und 1 im Jahr t annehmen . Auf Basis der geschätzten Parameter (γt) können die Indexwerte der nominalen Pachtzinsen (Xt) wie folgt berechnet werden: Xt = eγt

(5 .4)

Wie alle anderen hier besprochenen Reihen wird der so berechnete Index entsprechend den Angaben in Tabelle 5 .2 unten auf ein Basisjahr kalibriert, in dem der Pachtzins in Gramm Silber pro Hektar geschätzt werden kann . Zwei Schwächen des Repeat sales-Indexes sind für unseren Anwendungsfall relevant . Erstens legen die durchgeführten statistischen Tests (Beusch-Pagan, Koeken, White) nahe, dass die Schätzungen von Gleichung 5 .3 mit OLS für alle Güter durch Heteroskedastizität gekennzeichnet sind . Die Schätzung mit OLS setzt voraus, dass die Streuung der Fehlerterme εit über die einzelnen Parzellen hinweg und in allen Zeitperioden identisch ist . Trifft dies nicht zu, so liegt Heteroskedastizität vor . In diesem Fall sind nicht nur die Koeffizienten oder Parameter ineffizient (d . h . unzuverlässig), sondern auch die statistischen Gütemaße falsch . Bei der gegenwärtigen Anwendung begünstigt bereits der Sachverhalt, dass die einzelnen Parzellen über unterschiedlich lange Zeiträume dokumentiert sind, das Auftreten von Heteroskedastizität, denn bei über längere Zeit dokumentierten Parzellen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Pachthöhe neu festgesetzt wurde . Überdies bewirkt die ab den Jahrzehnten um 1800 sichtbare Tendenz zur häufigeren Neuaushandlung von Pachtverträgen, dass im 19 .  Jahrhundert Pachtzinsen in der Tendenz variabler waren als davor (Kapitel 7 .1), was die Möglichkeit von Heteroskedastizität sowohl über Parzellen als auch über die Zeit hinweg schafft . In der Forschung zu modernen Immobilienmärkten haben überdies Case und Shiller darauf hingewiesen, dass mit wachsendem zeitlichem Abstand des Weiterverkaufs einer Immobilie die Wahrscheinlichkeit steigt, dass deren Qualität nicht mehr dieselbe ist . Einleuchtend ist das Beispiel, dass sich die Nachbarschaft im Zeitverlauf ändert und dies eine Immobilie auf- oder abwertet . Statistisch gesehen ist damit der Störterm betroffen, der sich in den Residuen der Regression niederschlägt . Case und Shiller schlagen daher vor, die Veränderungsraten mit großen zeitlichen Abständen

9

Vgl . Klovland: A Repeat Sales Index .

Methoden

mittels des Weighted Least Square-Verfahrens schwächer zu gewichten . Dass dieses Verfahren in diesem Anwendungsfall wirklich zu signifikanten Verbesserungen führt, ist allerdings in der Folge bestritten worden .10 Ein statistisches Verfahren, um Heteroskedastizität zu begegnen, ist etwa die OLS-Schätzung mit bezüglich Heteroskedastizität robusten Standardfehlern . Dies stellt sicher, dass trotz Heteroskedastizität korrekte statistische Schlüsse gezogen werden . Tatsächlich aber bleiben damit die Koeffizienten unverändert, nur die Güteparameter wie Standardfehler und Signifikanz ändern sich . Im gegenwärtigen Zusammenhang sind wir aber nicht an statistischen Gütekriterien interessiert, sondern an der Höhe der Schätzparameter γ, die wir zur Berechnung einer Zeitreihe der nominalen Pachten nutzen . Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Parameterschätzung bietet das Verfahren mit Feasible Generalized Least Squares, wobei die Fehlervarianzen alternativ nach Parzellen oder Zeitperioden partitioniert werden .11 Angesichts der großen Anzahl an Parzellen reicht die Rechenkapazität eines üblichen Tischrechners zur Anwendung dieses Verfahrens nicht aus, und es wurde deshalb an dieser Stelle nicht benutzt . Für den späteren Vergleich der mit unterschiedlichen Methoden erzielten Ergebnisse ist deshalb vorzumerken, dass kurzfristige Ausschläge in den mit Regressionsverfahren erzeugten Pachtreihen für die einzelnen Güter und deutliche Abweichungen zu den mit anderen Methoden gewonnenen Reihen in einzelnen Perioden auf Heteroskedastizität zurück gehen können . Die zweite Schwäche des Repeat sales-Indexes bezieht sich auf die Nichtberücksichtigung der Eigenschaften von Parzellen . Liegt beispielsweise ein Plattage-Effekt vor und tendieren Güter über die Zeit hinweg dazu, zunehmend kleinere Parzellen zu verpachten, so wird man mit einem Repeat sales-Index eine Zunahme der Pachtzinsen konstatieren, auch wenn innerhalb der Größenklassen die Mietpreise für die Landnutzung konstant geblieben sind . Entsprechend haben Grimes und Young in einem Methodenvergleich, der sowohl den klassischen Repeat sales-Index von Gleichung 5 .3 als auch die Modifikation von Case und Shiller einbezieht, gezeigt, dass eine Regression für ein unbalanciertes Panel mit Fixed effects sich zu einem Repeat sales-Index äquivalent verhält, aber zusätzlich den Vorteil hat, nicht beobachtete Eigenschaften der untersuchten Objekte zu kontrollieren .12 Unbalanciert ist diese Regression, weil die Daten in sich überlappenden Ketten organisiert sind, so dass nicht jede Parzelle für jedes Jahr als Beobachtung belegt ist . Mit Fixed effects ist schließlich gemeint, dass für jedes Pachtobjekt (jede Buchungskette) eine eigene Dummy-Variable eingeführt wird, um individuelle Eigenschaften zu modellieren . Auch die Zeit wird mithilfe von Dummy-Variablen (hier für Fünfjahresperioden) modelliert . Die Panelregression hat 10 11 12

Case/Shiller: Prices of Single-Family Homes; Wang/Zorn: Estimating House Price Growth . Baltagi: Econometric Analysis, 79–82; Greene: Econometric Analysis, 264–268, 282–285 . Grimes/Young: A Simple Repeat Sales House Price Index; allgemein vgl . Baltagi: Econometric Analysis .

145

146

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

gegenüber Repeat sales-Regressionen den Nachteil einer geringeren Zahl an Freiheitsgraden in der Regressionsschätzung, was aus der großen Zahl an Effekten für die einzelnen Objekte folgt . Dieser Nachteil wiegt allerdings in unserem Fall mit hohen Beobachtungszahlen nicht schwer . Wir nutzen deshalb in der Folge vor allem diesen Ansatz, um die mit den aggregierten, flächenbereinigten Pachterlösen erzielten Ergebnisse auf ihre Robustheit zu prüfen . Konkret schätzen wir das folgende unbalancierte Panel mit Fixed effects: m

ln ( pij ) = c + α i Li + β j T j + ∑ γ z X iz + ε ij, i ≠ l, j ≠ k

(5 .5)

z =1

pij ist wie bisher der Betrag des Pachtzinses für Parzelle i im Zeitpunkt j, L ist der Fixed effect der Parzelle i, T der Fixed effect des Zeitpunkts j, und die Matrix X enthält einen Vektor von m Merkmalen, die spezifisch für die einzelne Parzelle i sind („Typ-Dummies“, s . unten) . εij ist der Fehlerterm; c, α, β und γ sind die Schätzparameter . Als Zeiteinheit wurden zentrierte Fünfjahresabschnitte gewählt, d . h . zum Beispiel bezieht sich die Angabe „1715“ auf die Jahre 1713–1717 . Gegenüber der Berücksichtigung der einzelnen Jahre reduziert die Zusammenfassung der Daten zu zentrierten Fünfjahresmitteln den Rechenaufwand und verbessert nicht zuletzt vor dem Hintergrund der relativ zahlreichen fehlenden Werte die Stabilität der Ergebnisse (vgl . Kapitel 5 .1) . Angesichts der Trägheit von nominalen Pachtzinsen (s . unten, Kapitel 7 .1) ist der dadurch verursachte Informationsverlust gering . Die Matrix X umfasst wie erwähnt Merkmale, die sich über zahlreiche Parzellen hinweg in identischer Form wiederfinden . Konkret handelt es sich um Angaben bezüglich der Nutzung als Acker, Wiese oder Weide . Damit rückt das gegenwärtige Verfahren in die Nähe der in Kapitel 7 .4 für das 19 . Jahrhundert entwickelten hedonischen Indizes . Im Unterschied zu dort ist allerdings zu beachten, dass auf der Ebene der gesamten Datensätze Informationen über die Nutzungsart sehr lückenhaft sind . Damit ist es unwahrscheinlich, dass ihre Berücksichtigung zu zusätzlichen Einsichten im Vergleich zu den hedonischen Indizes führt . Vielmehr dient der Vergleich zwischen Spezifikationen mit und ohne Typ-Dummies zur Prüfung der Frage, ob bekannte Verschiebungen der Nutzungsarten einen Einfluss auf die für ein Gut gewonnene aggregierte Pachtreihe ausüben . Konkret wurden Schätzungen, welche sich auf die Nutzungsform beziehende Dummy-Variablen einschließen, für die Güter Anholt (Acker, Weide), Benkhausen (Acker) und Nordkirchen (Weide) durchgeführt . Die resultierenden aggregierten Pachtreihen waren in allen Fällen nahezu identisch mit denjenigen, die unter Weglassung sämtlicher Typ-Dummies gewonnen wurden . Die verfügbaren Informationen über die Nutzungsform einzelner Parzellen und ihre Veränderung über die Zeit hinweg haben somit keinen Einfluss auf den langfristigen Verlauf güterspezifischer Pachtindizes . Vor diesem Hintergrund wird im weiteren Verlauf der Studie mit den Pachtreihen gearbeitet, die unter Weglassung der Typ-Dummies X geschätzt wurden . Immerhin  – und

Methoden

das ist der entscheidende Vorteil der Panelregression mit Fixed effects gegenüber den anderen hier in Betracht gezogenen Methoden – kontrollieren die Fixed effects für die Parzellen α systematisch die nicht beobachteten Eigenschaften von Parzellen, wozu im Zusammenhang mit einem möglichen Plattage-Effekt auch die Größe und die Nutzungsform zählen . In Gleichung (5 .5) steht die Konstante c für den logarithmierten Pachtzins der letzten Parzelle im letzten Fünfjahresabschnitt . Die Schätzparameter α geben näherungsweise die prozentuale Abweichung der mittleren Pacht der so bezeichneten Parzelle von denen der übrigen Parzellen von diesem Betrag an, die Parameter β dagegen den näherungsweisen prozentualen Unterschied zwischen der mittleren Pacht in den einzelnen Perioden von demjenigen der letzten Periode . Entsprechend lässt sich die auf einen Besitzkomplex aggregierte Reihe der nominalen Pachthöhe zj berechnen als zj = exp (c + βj) . Für die weitere Betrachtung wird auch diese Zeitreihe gemäß Tabelle 5 .2 unten auf den in einem Basisjahr beobachteten Wert in Gramm Silber pro Hektar normalisiert . Der Schätzung von Gleichung (5 .5) werden die in Kapitel 5 .1 beschriebenen Daten zugrunde gelegt, mit der Ausnahme von Gut Benkhausen . Wie erinnerlich liegen hier ab 1814 die Angaben nach den Stichjahren vor, in denen die Pachten gesamthaft erneuert wurden .13 Für die Zwecke der Schätzung einer Panelregression mit Fixed effects wurden die Werte in den Zwischenjahren jeweils fortgeschrieben . Am Ende der Historie einer einzelnen Parzelle wurde entsprechend der Wert des letzten Stichjahres bis zum Jahr vor der nächsten allgemeinen Vertragserneuerung eingesetzt . Das Ende der Laufzeiten der 1899 abgeschlossenen Pachten wurde arbiträr auf 1902 festgesetzt, da so eine vollständige Fünfjahresperiode zustande kommt (1898–1902) . Damit umfasst der verwendete Datensatz in Abweichung von den Angaben in Anhang A1 17 .542 einzelne Beobachtungen, deren Zahl sich nach Beseitigung der nur einmal vorkommenden Parzellen auf 17 .531 verringert . Es erstaunt nicht, dass auch die Schätzungen eines unbalancierten Panels mit Fixed effects unter Heteroskedastizität leiden (Breusch-Pagan-Test) . Die vermutlichen Ursachen sind dieselben, die im Zusammenhang mit der Vorstellung des Repeat sales-Indexes erörtert wurden, nämlich die Veränderung der Fluktuation der Pachtzinsen einzelner Parzellen über die Zeit hinweg sowie die unterschiedliche Länge der Preisreihen auf der Ebene der einzelnen Pachtobjekte . Angesichts der großen Zahl an Fixed effects für Parzellen erweist sich auch hier die Anwendung von Feasible Generalized Least Squares mit unterschiedlichen Partitionierungen von Fehlervarianzen als nicht gangbar . Trotz der Vorteile des Verfahrens durch die Kontrolle nicht beobachteter Eigenschaften von Parzellen müssen deshalb die damit erzielten Ergebnisse unter einen methodischen Vorbehalt gestellt werden .

13

Zwei abweichende Datenpunkte kommen in den Jahren 1815 und 1847 vor .

147

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

5.3

Kalibrierung

Die eben besprochenen Verfahren erbringen dimensionslose Indizes der Entwicklung der Pachtzinsen über die Zeit hinweg . Um sie sowohl miteinander als auch mit der Pachtentwicklung in anderen Regionen vergleichen zu können, kalibrieren wir sie auf Gramm Silber pro Hektar (für die Umrechnungsfaktoren s . Anhänge A5 und A6) . Aufgabe ist also im Folgenden, für jeden untersuchten Besitzkomplex bezüglich eines Basisjahrs einen Richtwert der Pachtzinsen in Gramm Silber zu entwickeln, nach dem dann die mit verschiedenen Methoden für den jeweiligen Besitzkomplex konstruierten Indizes kalibriert werden . Das Ergebnis findet sich in der letzten Zeile von Tabelle 5 .2 . Die Darstellung behandelt die Güter in alphabetischer Reihenfolge . Anholt . Die Rechnungen dieses Besitzkomplexes enthalten vor allem für das 19 . Jahrhundert für einen Teil der Buchungen Flächenangaben . Aus ihnen lassen sich für die Jahrzehnte von 1810 bis 1870 neben einheitslosen Indizes (flächenbereinigte Pachterlöse, Repeat sales-Index) mehrere flächenbasierte Indizes konstruieren (Abbildung 5 .2) .

600%

700

Flächenbereinigter Pachterlös (Index, 1800=100%, linke Skala) Repeat sales-Index (1800=100%, linke Skala) Durchschnittspreisindex: Mittlerer Pachtzins pro Hektar (g Ag; rechte Skala) Hedonischer Index (g Ag/ha; rechte Skala) Regressionsschätzung: Mittlerer Pachtzins pro Hektar (g Ag; rechte Skala)

600

500%

500

400%

400

300%

300

200%

200

100%

100

0% 1820

1825

1830

1835

1840

1845

1850

1855

1860

1865

1870

1875

Pachtzins in g Ag/ha

700%

Pachtzins in % (1800=100%)

148

0 1880

Abbildung 5.2 Pachtzinsen auf Anholt: Einheitslose Indizes, mittlerer Pachtzins pro Hektar und hedonischer Index (1800 = 100 % beziehungsweise Gramm Silber pro Hektar) Datengrundlage: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabelle A.01 und A.02; Forschungsdaten Landpacht (ebd.). Bemerkungen: Der hedonische Index wurde auf eine Parzelle Ackerland in der Größe des arithmetischen Mittels von 0,51 ha normalisiert; siehe Tabelle 4.2. Er basiert auf 3.953 Beobachtungen und bezieht sich auf zentrierte Fünfjahresperioden. Der Regressionsschätzung liegen 12.053 Beobachtungen zugrunde; sie schließt als Regressoren nur eine Konstante sowie Zeiteffekte (zentrierte Fünfjahresperioden) ein.

Kalibrierung

Der sehr unterschiedliche Verlauf der mit verschiedenen Verfahren gewonnenen Reihen vor allem in den 1840er Jahren legt nahe, dass in dieser Zeit Veränderungen in den Eigenschaften der einzelnen Parzellen einen erheblichen Einfluss auf die Pachteinkünfte hatten; wie erinnerlich weist der Vergleich zwischen den Abbildungen 4 .3 und 5 .1 für diese Zeit auf eine Verlagerung zu kleineren Pachtobjekten hin . Zum Teil dürften aber Zusammenfassungen vieler Flächen zu wenigen Buchungen für die Unterschiede in den Verläufen der einzelnen Indizes verantwortlich sein . Auch die stark unterschiedliche Zahl der mit Flächen dokumentierten Pachten erschwert die Interpretation: Vor 1829 und nach 1872 ist nur bei maximal 4 Parzellen die Größe bekannt, weshalb diese unberücksichtigt blieben . Der aus einer hedonischen Panelregression gebildete Index ist bis 1857 eher mit Vorsicht zu interpretieren . Die Jahre 1847 und 1848 sind unzureichend belegt, und selbst 1849–1857 liegen pro Jahr nur 5 bis 12 Buchungen mit Flächenangaben vor . 1858–1871 liegen pro Jahr hingegen zwischen 720 und 950 Beobachtungen vor; die dokumentierte Fläche verhundertfachte sich von 1857 auf 1858 (vgl . oben, Abbildung 4 .3) . Den Werten der späteren Jahre ist daher eine hohe Validität beizumessen . Wir wählen als Anker der Kalibrierung deshalb den für die auf 1860 zentrierte Periode 1858–1862 errechneten Wert von 459 Gramm Silber pro Hektar (im folgenden g Ag/ha), der aus einer Regression des Pachtzinses auf zentrierte Fünfjahresabschnitte ohne Berücksichtigung von Unterschieden in Nutzung und Parzellengröße hervorgeht .14 Assen . Zu diesem Besitztum liegen zwei Gruppen von Angaben zu Pachtzinsen vor (für die Quellennachweise s . die Anmerkungen zu Tabelle 5 .2) . Zum einen sind dies die Auswahlpachten aus den Wertschätzungsprotokollen anlässlich der Erstkatastrierung . Diese implizieren für den Zeitraum 1790–1820 einen durchschnittlichen Pachtzins von 80,8 Gramm Silber pro Hektar und für 1820–25 von 86,7 g Ag/ha . Tatsächlich beruhen diese Werte aber nur auf sieben Zeitpachten, die verhältnismäßig groß sind . Entsprechend sind sie wohl nicht repräsentativ, und wir berücksichtigen sie im Folgenden nicht . Zum anderen ist von 1854 ein Verzeichnis von Pachtparzellen erhalten, das die jeweilige Parzellennummer und -bezeichnung, den Steuer-Reinertrag der Parzelle, die Fläche und den bisherigen, für die Vertragsperiode 1848–54 gültigen Pachtzins wiedergibt . 169 Stücke konnten in die Berechnung einbezogen werden . Der als Quotient der Summe aller Pachtzinsen und der Summe aller Flächen berechnete Mittelwert liegt mit 117,88 g Ag/ha recht nah am arithmetischen Mittel des Pachtzinses pro Hektar für die einzelnen Parzellen (128,49 g Ag/ha) . Gewählt wurde hier der Kalibrierungsfaktor 118 g Ag/ha für das Jahr 1848 .

14 Wir standardisieren somit den Pachtpreis nicht auf eine bestimmte Nutzungsform wie z . B . Acker . Ebenso bleibt ein Plottage- oder Plattage-Effekt unberücksichtigt .

149

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

Benkhausen . Die ausgesprochen gute Datenqualität der für diesen Besitzkomplex angelegten Pachtregister erforderte zunächst eine besondere Datenbehandlung . In der Notation wurden einerseits zum Teil mehrere Pachtbeträge unter einer Flächenangabe aufsummiert, andererseits waren mehrere Flurstücke mit einzelnen Flächenangaben an ein- und dieselbe Person verpachtet, weshalb nur ein aggregierter Pachtzins ausgewiesen wurde . In die Berechnung des Pachtzinses pro Flächeneinheit gingen daher nur solche Buchungen ein, in denen jeweils sowohl der Zins als auch die Fläche ausgewiesen waren . Des Weiteren wurden die gebuchten Pachtbeträge in Silberwerte und die regionalen Flächenmaße in Hektar umgerechnet . Die entsprechenden Umrechnungfaktoren lassen sich Anhang A6 entnehmen .

500%

Flächenbereinigter Pachterlös (Index, 1801=100%; linke Skala) Repeat sales-Index (1801=100%; linke Skala) Durchschnittspreisindex: Mittlerer Pachtzins pro Hektar (g Ag; rechte Skala) Hedonischer Index (g Ag/ha; rechte Skala) Regressionsschätzung: Mittlerer Pachtzins pro Hektar (g Ag; rechte Skala)

700

600

500

400%

400

300%

300

Pachtzins in g Ag/ha

600%

Pachtzins in % (1801=100%)

150

200% 200 100%

0% 1790

100

1800

1810

1820

1830

1840

1850

1860

1870

1880

1890

1900

0

Abbildung 5.3 Pachtzinsen auf Benkhausen: Einheitslose Indizes, mittlerer Pachtzins pro Hektar und hedonischer Index (1800 = 100 % beziehungsweise Gramm Silber pro Hektar) Datengrundlage: Zeitreihen Landpacht, (Anhang A7.1), Tabellen A.01 und A.02; Forschungsdaten Landpacht (ebd.). Bemerkungen: Der hedonische Index wurde auf eine zehntfreie, auf vier Jahre verliehene Parzelle Ackerland in der Größe des arithmetischen Mittels von 0,44 ha normalisiert; siehe Tabelle 4.2. Die Regressionsschätzung basiert auf 3.502 Beobachtungen und schließt als Regressoren nur eine Konstante sowie Zeiteffekte ein.

In Abbildung  5 .3 beziehen sich die grauen Graphen auf Pachtzinsen pro Flächeneinheit . Der erste stellt die mittleren Pachteinkünfte pro Hektar dar (Durchschnittspreisindex: Pachtsumme aller Parzellen mit Flächenangaben dividiert durch deren Gesamtfläche) . Der zweite Index entspringt einer Regressionsschätzung, die allein

Kalibrierung

Zeit-Dummies als abhängige Variablen enthält, also Durchschnittswerte unabhängig von Qualitäts- und Quantitätsmerkmalen schätzt . Beide sind etwa auf gleichem Niveau . Der dritte hier grau gefärbte Index wurde ebenfalls mittels Regressionsschätzung errechnet, jedoch als hedonischer Index unter Einbezug der verfügbaren Qualitätsmerkmale . Veränderungen des Pachtzinses großer Parzellen erlangen in den ersten beiden Verfahren stärkeres Gewicht als im dritten . Der hedonische Index hat außerdem über den gesamten Zeitraum ein niedrigeres Niveau als die beiden ersten Indizes, weil die relativ teurer verpachteten Wiesen und Gärten in den Pachten etwas überwiegen und der hedonische Index diese Qualitäten kontrolliert . Weitere Unterschiede liegen in Variationen in den Größen der Parzellen und der Verteilung der Qualitäten im Zeitverlauf begründet . Diese Einflüsse lassen sich kaum analytisch trennen . Liegen die Werte des hedonischen Indexes über denjenigen der mittleren Pachteinkünfte pro Hektar, wie es in den 1830er Jahren der Fall ist, so kann dies auf eine Dominanz kleiner Buchungen hinweisen, so wie der umgekehrte Fall – zwischen 1840 und 1860 und erneut nach 1870 – damit zu tun haben kann, dass es wenige große Pachtobjekte gab, die aber auf die Fläche gerechnet mit höheren Zinsen belegt waren . Beides kann aber auch darin begründet liegen, dass die Mischung der Kulturarten unter den Parzellen variierte . Bis zum Jahr 1814 liegen die Fallzahlen unter 20 und sind damit sehr gering . Zudem werden in dieser Zeit ausschließlich Wiesen betrachtet; Wiesen erzielten überdurchschnittlich hohe Pachtzinsen (unten Tabelle 7 .4) . Die 1797, 1798 und 1803, wenn auch nicht 1801, beträchtliche Diskrepanz der Indizes sowie der Rückgang der mittleren Pachtzinsen von 1803 auf 1814 dürfte auf diese einseitige Massierung der Wiesen zurückzuführen sein, da der hedonische Index für Ackerland berechnet wird . Zwischen 1814 und 1899 variierte die Fallzahl durchgängig zwischen 150 und 350 . Einzig das Jahr 1885 sticht noch heraus, da in diesem Jahr ausschließlich Parzellen verpachtet wurden, die bis dahin noch vom Gut in Eigenwirtschaft genutzt wurden . Beim Durchschnittspreisindex und beim hedonischen Index beziehen sich somit die Werte für 1879 und 1885 auf komplett unterschiedliche Parzellen, von denen die 1885 verpachteten leicht unterdurchschnittlich groß und häufiger aus Wiesen und Gärten bestanden als das bisherige Pachtland . Da der hedonische Index für 1879 und 1885 nur verhaltenes Wachstum zeigt, ist der Ausreißer des Durchschnittspreisindexes 1885 zum großen Teil auf Änderungen in den Eigenschaften der berücksichtigten Parzellen zurückzuführen, die von der hedonischen Regression kontrolliert werden . Nichtsdestotrotz schlägt die verbesserte durchschnittliche Qualität auch auf den vom hedonischen Index ausgewiesenen höheren Wert ab 1887 durch . Des Weiteren finden sich in Abbildung 5 .3 auch der mit Verkettung gewonnene Index sowie der Repeat sales-Index . Da sie einheitslos sind, werden sie für 1801 auf 100 % gesetzt . Auch diese stellen sich aufgrund der Homogenität der Größen in Benkhausen sehr ähnlich dar . Der durch die hohe Qualität der Pachtobjekte und niedrige Fallzahlen verursachte Rückgang der Flächenindizes nach 1803 wird nivelliert, wenn Wachstumsraten gleicher Parzellen durch Ketten- oder Repeat sales-Indizes ausgewertet werden .

151

152

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

Der Hauptunterschied zwischen einheitslosen Indizes und flächenbasierten Indizes liegt darin, dass erstere ab 1859 weitgehend konstant bleiben, während letztere zwischen 1859 und 1871 und wieder zwischen 1879 und 1887 stark ansteigen . Ein Grund dafür dürfte auch hier sein, dass in den Rechnungen 1859 und 1867 die Zahl der Buchungen um 200 Einträge und 1885 um weitere 70 steigt, mithin etliche Parzellen-Ketten neu hinzukommen . Damit veränderten sich die Eigenschaften der berücksichtigten Pachtobjekte . In den Wachstumsraten der Zinsen unterschieden sich die neu hinzugetretenen Parzellen jedoch nicht vom angestammten Pachtland, wie die einheitslosen Indizes nachweisen . Die Indizes weisen also unterschiedliche Entwicklungen aus, die darauf verweisen, dass die einheitslosen Indizes implizit davon ausgehen, dass die Zusammensetzung der Qualitäten konstant bleibt . Niveauveränderungen können von ihnen nur dann ausgewiesen werden, wenn sie aus Wachstumsraten errechnet werden . Bei der Wahl eines geeigneten Kalibrierungsdatums ist vor diesem Hintergrund wichtig einen Zeitpunkt zu finden, an dem die Zusammensetzung der Pachten möglichst repräsentativ für den gesamten Zeitraum ist . In Benkhausen stellen die Jahre von 1834 bis 1846 geeignete Anker für die Kalibrierung dar, denn in diesen Jahren weisen die mit verschiedenen Verfahren gewonnenen Indizes einen ähnlichen Verlauf auf . Im Folgenden verwenden wir den auf das Jahr 1846 bezogenen Kalibrierungswert von 347 Gramm Silber pro Hektar . Nordkirchen . Die Pachtbuchungen in den Rechnungen dieses großen Guts enthalten überhaupt keine Flächenangaben . Demgegenüber existieren aber zwei Pachtregister, also Querschnittsverzeichnisse, die Pachtgrundstücke von Nordkirchen und der dazu gehörigen umliegenden Gutskomplexe samt Flächenangaben, Kulturart und Pachtzins aufführen . Diese Register wurden im Hinblick auf Neuverpachtungen erstellt . Da aber in Nordkirchen, im Unterschied zu Benkhausen, nicht alle Pachtperioden im gleichen Jahr begannen und endeten, enthalten die Register hier jeweils eine Auswahl der Pachtparzellen, nämlich diejenigen, die neu verpachtet wurden . Die ausgewerteten Register stammen aus den Jahren um 1806 (301 Einträge der Quelle, 218 Beobachtungen in der Regression, davon 35 mit Nutzungsart), sowie von 1859 (208 Einträge, 118 Beobachtungen, 31 mit Nutzungsart; zu den Quellennachweisen s . Tabelle 5 .2) . Daneben konnte eine sehr überschaubare Übersicht von Pachten des Zeitraums 1790–1825 ausgewertet werden, die im Zuge der erstmaligen Katastrierung von Taxatoren der preußischen Steuerbehörden in Wertschätzungsprotokollen erhoben und mit Reinertragsschätzungen der betreffenden Parzellen verglichen wurden . Die in den Wertschätzungsprotokollen ausgewiesenen Pachtzinsen zeigen ein deutlich höheres Niveau für Verpachtungen ganzer Höfe, was in Anbetracht des hier im Zins enthaltenen Gebäudekapitals nicht überrascht . Hält man sich entsprechend der Anlage der gegenwärtigen Untersuchung nur an die Parzellenpachten, so lagen diese markant niedriger als alle anderen Schätzungen (Kreuz in Abbildung 5 .4) . Möglicherweise sind die an die Taxatoren weitergereichten Pachtzinsen nach unten hin verzerrt, weil diese für die Prüfung der Schätzung der Grundsteuerreinerträge herangezogen

Kalibrierung

175%

175

150%

150

125%

125

100%

100

75%

75

50%

25%

0% 1800

Flächenbereinigter Pachterlös (Index, 1800=100%; linke Skala) Repeat sales-Index (1800=100%; linke Skala) Hedonischer Index (g Ag/ha; rechte Skala) Durchschnittspreisindex: Mittlerer Pachtzins pro ha (g Ag; rechte Skala) Durchschnitt Parzellenpachten Wertschätzungsprotokoll 1822/35 (g Ag/ha) Durchschnitt Parzellen- und Hofpachten Wertschätzungsprotokoll 1822/35 (g Ag/ha) Regressionsschätzung: Mittlerer Pachtzins pro Hektar (g Ag; rechte Skala) 1810

1820

1830

1840

1850

1860

Pachtzins in g Ag/ha

Pachtzins in % (1800=100%)

wurden und weil sowohl Verpächter als auch Pächter ein Interesse daran hatten, dass letztere niedrig eingeschätzt wurden: Die Verpächter, weil sie auf die Pachtparzellen eine dem Reinertrag nach bemessene Grundsteuer zahlen mussten, die Pächter, weil sie für ihr im Untereigentum der Grundherrschaft erlangtes Land steuerpflichtig waren .

50

25

0 1870

Abbildung 5.4 Pachtzinsen auf Nordkirchen: Einheitslose Indizes, mittlerer Pachtzins pro Hektar und beobachtete Werte (1800 = 100 % beziehungsweise Gramm Silber pro Hektar) Quellen: VWA, Nor.Ak 4210, 7254; LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterbücher 2148: Wertschätzungsprotokoll Lüdinghausen; Tabelle 5.2. Datengrundlage: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabellen A.01 und A.02; Forschungsdaten Landpacht (ebd.). Bemerkungen: Der hedonische Index wurde auf eine Parzelle Ackerland mit einer Fläche von 4,39 ha normalisiert; er basiert auf 65 Beobachtungen. Dem Durchschnittspreisindex liegen 336 Beobachtungen zugrunde. Die Regressionsschätzung basiert auf 336 Beobachtungen und schließt als Regressoren nur eine Konstante sowie Zeiteffekte ein.

153

154

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

Tabelle 5.2 Durchschnittliche Pachtzinsen als Kalibrierungsfaktoren (Gramm Silber pro Hektar) Nordkirchen 1820–25: Durchschnitt lokaler Pachtzinsen in g Ag/ha -Anzahl Pachtbuchungen1822–35: Durchschnitt lokaler Katasterreinerträge g Ag/ha 1810: PachtTabelle 180621 1810: PachtTabelle 181022 1848: PachtTabelle23

Anholt

Assen

72,2 (Parz.) 113,1 (Parz. +Höfe)15

85,40 (nur Höfe) N = 12

86,67 N=7

108,7218

94,89 (nur Höfe)

102,3019

16

Wewer

Benkhausen

17

81,9220 N = 82

155,40 (a) 135,14 (b) 146,81 (a) 125,96 (b) 128,49 (a) 117,88 (b)

1859: Pachttabelle24

207,71 (a) 107,10 (b) In Regressionen aus den Zeit-Koeffizienten ermittelte Indexwerte (ohne Berücksichtigung der Qualitäten oder Nutzungen: 1793–1797 338,71 1798–1802 357,90 1803–1807 294,59 351,41 1806 132,44 1808–1812 294,59 1813–1817 297,99 280,38 1818–1822 247,46 289,76

15 Nordkirchen: LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterbücher 2148 (= Wertschätzungsprotokoll Lüdinghausen) . Diese Übersicht enthält nur 2 Hofpachten und 3 Parzellenpachten, wobei eine die Zusammenfassung mehrerer Pachtverträge eines Verpächters darstellt . 16 Anholt: hier nur Gemarkung Anholt, für alle Pachtflächen der Herrschaft inkl . Bocholt, Dingden, Liedern 4,10 Taler pro ha (68,61 g Ag/ha) . Grundlage der Berechnungen ist ein Panel aus 80 Pachtbeträgen in 5 Dekaden (LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterverwaltung, Nr . E_III_2), Die Reinerträge der Pachtflächen ergeben sich aus LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterverwaltung, Nr . E_III_1a, hier steht einem durchschnittl . Pachtzins von 68,21 g Ag/ha ein Reinertrag von 75,60 g Ag/ha gegenüber, die Pacht betrug also 90 % des Reinertrags . 17 LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterbücher 2154: Wertschätzungsprotokoll Kreis Beckum, hier Werte für Gemeinde Beckum . 18 LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterbücher 2148: Wertschätzungsprotokoll Lüdinghausen . Berechnet für Gemarkung Nordkirchen (Äcker, Wiesen, Weiden, Gärten, exkl . Ödland, Häuser, Hofräume) . 19 LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterbücher 2154: Wertschätzungsprotokoll Kreis Beckum . Berechnet für Gemarkung Beckum (Äcker, Wiesen, Weiden, Gemüse- und Obstgärten, exkl . Holzungen, Häuser, Heiden, Teiche, Hofräume) . 20 LA NRW Münster, Landsberg-Velen, Wewer 14567: Mutterrollenextrakt . 21 VWA, Nor .Ak 7253 . 22 VWA, Nor .Ak 4210 . 23 VWA, Ass .A 2621 . 24 VWA, Nor .Ak 7254 .

Kalibrierung

Nordkirchen 1823–1827 1828–1832 1833–1837 1838–1842 1843–1847 1848–1852 1853–1857 1858–1862 1859 1863–1867 1868–1872 1873–1877 1878–1882 1883–1887 1888–1892 1898–1902 gewählter Kalibrierungsfaktor und -zeitpunkt für die einheitslosen Indizes (g Ag/ha)

Anholt

Assen

Wewer

Benkhausen

335,10 192,83 298,66 293,02 294,84 253,69 275,80 459,49

277,00 287,69 282,36 302,33 346,56 345,40

466,14 464,27 347,32 356,09

424,21 424,50 427,52 435,44 533,37 513,03 520,29 347 (1845)

408,33

142,06

391,73 142 (1859)

459 (1860)

118 (1848)

99 (1806)

a) Mittelwert der einzelnen Pro-Hektar-Pachtzinsen, b) Σ Pachtzinse/Σ Flächen in ha. Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1).

Die Mittelwerte der Pachtzinsen in den Pachtregistern wurden wie in den vorangehend behandelten Gütern berechnet (Tabelle 5 .2) . Die Fallzahlen unterscheiden sich, weil zahlreiche Parzellenpachten zwar mit Zins und Fläche, nicht aber mit Nutzungsarten belegt sind . Während die Werte des Durchschnittspreisindexes 1859 deutlich niedriger als 1806 ausfallen, lassen die Resultate des hedonischen Indexes, in dem die Nutzungsarten des Landes kontrolliert werden, eine leicht steigende Tendenz vermuten . Die Werte der Koeffizienten der linearen Regression, welche die Eigenschaften von Parzellen unberücksichtigt lässt, liegen für beide Zeitschnitte dazwischen . In Abbildung 5 .4 werden die Werte mit dem einheitslosen Pachterlösindex und dem Repeat sales-Index verglichen . Die beiden letzteren Graphen zeigen eine nach oben geöffnete Parabel, die mit den Ergebnissen der beiden Regressionsindizes gut in Einklang zu bringen ist . Aus diesem Grund wird als Kalibrierungsfaktor der Wert für 1859 von 142 g Ag/ha gewählt . Wewer . In den Rechnungsbüchern dieses Guts finden sich nur selten Flächenangaben, so dass sich die Kalibrierung nicht auf diese Quelle stützen kann . Wir nehmen deshalb eine grobe Schätzung auf der Grundlage des anlässlich der Erstkatastrierung festgestellten Steuerreinertrags der Ländereien dieses Ritterguts vor . Letzterer lag mit rund 82 g Ag/ha um 25 % unter dem Niveau Nordkirchens (s . Tabelle 5 .2) . Wir nehmen an, dass auch die Pachtzinsen im Durchschnitt 25 % unter dem Nordkirchener Niveau lagen und kalibrieren deshalb die Reihe für Wewer mit dem Wert von 99 g Ag/ha für

155

156

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

1806, was 75 % des in der Regression für Nordkirchen und diesen Zeitpunkt ermittelten Wertes entspricht (Tabelle 5 .2) . 5.4

Nominale Pachtzinsen auf den einzelnen Besitztümern

Auf der Grundlage der im vorangegangenen Abschnitt durchgeführten Kalibrierung können mit den in Kapitel 5 .2 dargestellten Verfahren der Indexkonstruktion unterschiedliche, aber mit einander vergleichbare Reihen von nominalen Pachtzinsen für die einzelnen Rittergüter konstruiert werden . Sie sind online verfügbar; wir verweisen auf sie im Folgenden mit „Zeitreihen Landpacht (Anhang A7 .1), Tabellen A .01 und A .02“ . Gezeigt werden sie in Abbildung 5 .5 . Die Interpretation dieses Materials erfolgt später, insbesondere in Kapitel  5 .7 sowie in Kapitel  7 . Im gegenwärtigen Abschnitt steht die methodische Erörterung der Unterschiede zwischen den vier verschiedenen Verfahren im Vordergrund . Abgesehen von Aussagen zu den Eigenschaften von Pachtzinsen auf einzelnen Gütern entwickeln wir die Gründe für unsere Entscheidung, im weiteren Verlauf unserer Studie vor allem einer Reihe den Vorzug zu geben, nämlich der Entwicklung der flächenbereinigten Pachterlöse . Wir beginnen mit einer Erörterung beschreibender Statistiken zu den Pachtzinsen der einzelnen Besitzkomplexe . Danach erfolgt ein Vergleich der mit unterschiedlichen Verfahren der Indexkonstruktion erzielten Ergebnisse, und zum Schluss werden methodische Folgerungen für das weitere Vorgehen gezogen . Zwischen den einzelnen Besitztümern bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Eigenschaften der von den einzelnen Parzellen abgeworfenen Pachtzinsen . Der mittlere Wert variiert zwischen den Rittergütern, was bei gegebenem Bodenertrag auf unterschiedliche Größen der verpachteten Parzellen hindeutet . Unterschiede zwischen dem Median und dem arithmetischen Mittel sowie der Variationskoeffizient (Quotient von Standardabweichung und Mittelwert) geben Hinweise auf die Streuung der Pachtzinsen zwischen Parzellen . Nimmt die Streuung über die Zeit hinweg zu, so legt dies eine Tendenz zur Aufsplitterung eines Teils des Pachtlands zur Steigerung des Zinseinkommens nahe . Auf den einzelnen Besitzkomplexen verhalten sich die statistischen Kennzahlen der Pachtzinsen auf der Ebene individueller Parzellen wie folgt (s . Tabelle A1 .3): – Anholt weist die mit Abstand höchsten Fallzahlen auf . Insgesamt handelt es sich bei den Pachtobjekten dieses Besitzes um eher kleine Stücke (mäßig hoher mittlerer Preis), und trotzdem streuen ab 1851 die Pachtzinsen sehr stark . Letzteres zeigt der Variationskoeffizient an, der in Anholt zwischen 1851 und 1870 mit 3,5 den höchsten der hier berechneten Werte erreicht . Ab 1885 bestimmen aggregierte Pachtbuchungen die deskriptive Statistik . Die Fallzahlen sinken, aber Mittelwert und Median steigen etwa um den Faktor 10 .

Nominale Pachtzinsen









Der Datenbestand für Assen zeigt relativ hohe arithmetische Mittel und niedrige Mediane, was auf eine linkssteile Verteilung der Pachtgrößen schließen lässt . Der Variationskoeffizient ist dementsprechend groß (etwa vergleichbar mit Anholt) . 1901–1920 ist eine auffällige Zunahme der mittleren Pachtzinsen zu konstatieren, was auf Aggregatbuchungen zurückzuführen ist . Benkhausen weist die homogensten Pachtbuchungen unter den betrachteten Besitzkomplexen auf, denn der Variationskoeffizient liegt hier unter 1 . Auch der mittlere Preis pro Parzelle ist hier vergleichsweise niedrig; zusammen mit Wewer dürfte Benkhausen die kleinsten Pachtparzellen aufgewiesen haben . Die steigende Tendenz des Variationskoeffizienten deutet darauf hin, dass ein Teil der bereits kleinen Parzellen im Verlauf des 19 . Jahrhunderts weiter zersplittert wurde . Nordkirchen weist unter allen untersuchten Besitzkomplexen die mit Abstand höchsten durchschnittlichen Pachtzinsen pro Parzelle auf (hohe Werte für arithmetisches Mittel und Median), und damit auch vermutlich die größten Pachtparzellen, denn das Niveau pro ha ist niedrig gewesen, wie das vorangehende Kapitel 5 .3 zeigte . Die Pachten sind insgesamt relativ homogen, denn der Variationskoeffizient bewegt sich zwischen 1,2 und 1,6 . Seine leicht steigende Tendenz legt allerdings nahe, dass auch hier über die Zeit hinweg ein Teil des Pachtlandes in kleinere Parzellen aufgeteilt wurde . Der Datensatz zu Wewer enthält schließlich nur relativ kleine Fallzahlen, was mit dem geringen Umfang des Pachtlands auf diesem Besitz zusammenhängt (vgl . Abbildung 4 .3) . Die Mittelwerte der Zinsbeträge sind besonders ab 1750 klein, die Mediane aber sind die niedrigsten unter allen ausgewerteten Daten . Unter den hier betrachteten Gütern dürfte somit Wewer die absolut kleinsten Pachtparzellen aufgewiesen haben . Allerdings weist der hohe Wert des Variationskoeffizienten (in der zweiten Hälfte des 18 . Jahrhunderts 3,4) darauf hin, dass auch einzelne Parzellen mit hohen Pachtzinsen und damit wohl großem Flächenumfang vorkamen .

Aus den Pachtzinsen für einzelne Parzellen konstruieren wir für jeden Besitzkomplex vier, nach Möglichkeit fünf Reihen, die in Abbildung 5 .5 abgebildet sind . Es sind dies (1) der flächenbereinigte Pachterlös, (2) der Repeat sales-Index, (3) die mit Panelregression gewonnene Reihe sowie (4) der Kettenindex des Pachtzinses pro Parzelle . Alle diese Reihen werden entsprechend der Angaben in der letzten Zeile von Tabelle 5 .2 kalibriert . Für Anholt, Benkhausen und Nordkirchen ist (5) die Bildung von hedonischen Indizes möglich (s . Kapitel 7 .4 zu den berücksichtigten Merkmalen der Parzellen) . Für die Darstellung in Abbildung 5 .5 normalisieren wir deren Werte auf eine 1 ha große Ackerparzelle .

157

158

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

800 700

Anholt

Flächenbereinigter Pachterlös Repeat sales-Index Panelregression

600

Kettenindex Jevons Hedonischer Index (1 ha Ackerland)

500 400 300 200 100 0 1600

1625

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1850

1875

1875

a 250

200

Flächenbereinigter Pachterlös Repeat sales-Index Panelregression Kettenindex Jevons

Assen

150

100

50

0 1650

b

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1900

1900

Nominale Pachtzinsen

500

Benkhausen Flächenbereinigter Pachterlös Repeat sales-Index Panelregression Kettenindex Jevons Hedonischer Index (1 ha zehntfreies Ackerland)

400

300

200

100

0 1790

1800

1810

1820

1830

1840

1850

1860

1870

1880

1890

1900

c

200

150

Flächenbereinigter Pachterlös Repeat sales-Index Panelregression Kettenindex Jevons Hedonischer Index (1 ha Ackerland)

Nordkirchen

100

50

0 1550

d

1575

1600

1625

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

159

160

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

200

150

Flächenbereinigter Pachterlös Repeat sales-Index Panelregression Kettenindex Jevons

Wewer

100

50

0 1690

1700

1710

1720

1730

1740

1750

1760

1770

1780

1790

1800

1810

e Abbildung 5.5 a–e Pachtzinsen auf den fünf untersuchten Gütern: Methodenvergleich (Gramm Silber pro Hektar) Datengrundlage: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabellen A.01 und A.02; Forschungsdaten Landpacht (ebd.).

Für Benkhausen und Nordkirchen weisen die hedonischen Indizes deutlich niedrigere Niveaus auf als die übrigen Reihen . Dies liegt daran, dass die Pachtpreise für Ackerland unter dem mittleren Zins für das gesamte Pachtland liegen; Wiesen und Gärten waren auf diesen Gütern teurer als Ackerland (vgl . unten Kapitel 7 .4) . Im Fall von Anholt fällt diese Indexvariante durch enorme Schwankungen auf . Wie bereits beim reinen Flächendurchschnittsindex (Abbildung 5 .2) hängt dies mit der disparaten Datenlage zusammen, da nur eine Auswahl der Pachtbuchungen mit Flächenangaben versehen ist . Der hedonische Index für Nordkirchen weist dasselbe Problem auf: Im Unterschied zu den auf Record linkage basierenden Reihen ist hier nicht sichergestellt, dass zwischen zwei Indexpunkten die gleiche Auswahl an Parzellen verglichen wird . Die beiden kurzen Reihen zu Anholt und Nordkirchen lassen sich somit praktisch nicht inhaltlich interpretieren . Anders präsentiert sich die Lage für Benkhausen, denn der für dieses Besitztum konstruierte hedonische Index verwendet praktisch das gleiche, hervorragende Material wie die übrigen Indizes . Darüber hinaus können auch einzelne, nicht verlinkte Buchungen berücksichtigt werden . Der hauptsächliche Unterschied zwischen den Reihen bezieht sich auf die 1850er Jahre: Die auf Record linkage basierenden Reihen

Nominale Pachtzinsen

verzeichnen eine starke Zunahme, während sich der hedonische Index nur etwa im Rahmen des langfristigen Wachstums entwickelt . Der Indexwert für 1859 ist in den Verkettungsindizes nur durch 23 Wachstumsraten des Intervalls 1851–1859 definiert, während die durchschnittliche Zahl bei etwa 150 Werten liegt . Der Indexwert für 1867 wiederum wird berechnet aus 171 Wachstumsraten, d . h . mindestens 148 erstmals im Jahr 1859 verzeichneten Buchungsketten . Die in den hedonischen Index eingehenden Fallzahlen bewegen sich für alle drei Belegjahre 1859, 1867 und 1871 zwischen 174 und 180 . Durch die wenigen Wachstumsraten des Jahres 1859 überschätzen die Verkettungsindizes die Zunahme der Pachtzinsen in den 1850er Jahren, während der hedonische Index einen realistischeren langsamen Anstieg zeigt . Im Großen und Ganzen verlaufen die vier auf Record linkage basierenden Reihen – flächenbereinigter Pachterlös, Repeat sales-Index, Jevons-Kettenindex und Panelregression – einigermaßen parallel . Allerdings kommen auf den einzelnen Gütern mit Ausnahme von Benkhausen in einigen Zeiträumen durchaus erhebliche Diskrepanzen vor; im Folgenden seien sie der Reihe nach kurz besprochen . Im Fall von Anholt weichen die Niveaus der verschiedenen Indizes bis zum ersten Viertel des 19 . Jahrhunderts stark voneinander ab . Teilweise resultiert dieser Sachverhalt aus der späten Kalibrierung der Indizes auf das Niveau von 1860 . Ein genauerer Vergleich zeigt, dass die verschiedenen Maße vor allem das Wachstum im Zeitraum ca . 1830–1860 unterschiedlich abbilden, davor aber sich weitgehend decken . Allerdings gibt die Panelregression auch das Wachstum zwischen 1870 und 1900 gänzlich anders wieder als die übrigen Indizes . Dies hängt damit zusammen, dass diese Methode mittels Dummyvariablen die unbeobachteten Eigenschaften der Parzellen kontrolliert . Wie erwähnt fällt die Zahl der in den Rechnungen verbuchten Parzellen, zudem werden kaum noch Parzellenpachten nachgewiesen, möglicherweise aufgrund einer vermehrten Abgabe von Land in Erbpacht . Von über 1000 im Jahr 1871 fällt die Zahl an Buchungen auf 4–5 im Jahr 1873, um erst 1889 wieder auf über 80 anzusteigen . Dies ist insgesamt für die Verlässlichkeit der Anholter Indizes problematisch, aber nur der mit Panelregression gewonnene Index produziert unrealistische Extremwerte (vgl . nochmals Abbildung 4 .3 und 5 .1) . Auch auf Assen steigt vor allem der mit Panelregression konstruierte Index zwischen 1854 und 1886 stark an; zudem weist diese Reihe die stärksten Sprünge auf . Die drei anderen Reihen liegen eng beieinander, was überrascht, denn im Detail ist in Assen eine durchaus bemerkenswerte Entwicklung zu konstatieren: ein überproportionaler Anstieg der Pachtzinsen für Parzellen, die am Beginn ihrer Beobachtung einen unterdurchschnittlichen Pachtzins erzielten und damit wohl eine kleine Fläche aufwiesen . Während die Pachtzinsen der Pachtketten, deren erster Zins über dem Median lag (für dessen Werte s . Tabelle A1 .3), zwischen 1854 und 1886 um 139 % stiegen, legten die kleineren Pachten um 374 % zu . An dieser Stelle sei daran erinnert, dass wir den Effekt der Zinssteigerung durch Teilung von Parzellen (Plattage) mittels der Beobachtung von Pachtketten nicht nachweisen können, denn diese beruhen auf einer Konstanz der

161

162

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

Fläche . Teilungen sind datenbanktechnisch durch Neukombinationen zu fassen (siehe Anhang A1 .2), was aber vergleichsweise selten vorkommt . In Assen sind für den Zeitraum 1854–1886 nur fünf solche Teilungen dokumentiert, von denen sogar nur eine mit einer Pachtsteigerung einherging .25 Nun ist es nicht unwahrscheinlich, dass mehr Parzellenteilungen als diese fünf vorgenommen wurden . Auch wenn dem so sein sollte, konnten sie keinen Einfluss auf die von uns gemessenen Veränderungen der Pachtzinsen ausüben . Die Indizes, die solch eine Erhöhung der Wachstumsraten kleinerer Parzellen im Vergleich deutlich ausweisen müssten, sind die mit Panelregression, Repeat sales und Verkettung nach Jevons gewonnenen Reihen, weil in sie die Wachstumsraten unabhängig von dem absoluten Wert eingehen . Der Pachterlös-Index verhält sich demgegenüber wenig sensitiv . Dass sich dennoch der Verlauf der Pachterlöse wenig von demjenigen des Jevons- und des Repeat sales-Indexes unterscheidet, bestärkt vielmehr den Befund, dass der Pachtzins bereits existierender kleinerer Parzellen anstieg, nicht aber große Flächen in kleine Einheiten zerschlagen wurden . Auf Nordkirchen fällt zwischen 1808 und 1831 der flächenbereinigte Pachterlös stark, der Kettenindex hingegen nur leicht, während die mit Panelregression erzeugte Reihe hingegen in dieser Zeit sogar zulegt . Differenziert man die Daten, so ist zu erkennen, dass nur die teuren Pachten, d . h . wahrscheinlich die Zinsen für große Parzellen, sanken . Hierzu teilen wir die Ketten von Pachtzinsen wiederum entlang des Medianpreises bei der ersten Buchung in zwei Klassen (für dessen Werte s . Tabelle A1 .3) . 1808–1831 fielen die flächenbereinigten Pachterlöse der Parzellen, die zu Beginn der Beobachtung einen über dem Median liegenden Pachtzins erzielten, um 19 %, während bei der anderen Hälfte der Pachtketten der flächenbereinigte Erlös stabil blieb und die mittlere Wachstumsrate (Kettenindex) sogar positiv war . Der Rückgang des flächenbereinigten Pachterlöses bei allen Parzellen in der fraglichen Zeitperiode geht somit ausschließlich auf die Pachtzinsen großer Parzellen zurück, denn diese beeinflussen die aus Verpachtung erzielte Gesamteinnahme stärker als diejenigen von kleinen Parzellen . Bei Betrachtung der mittleren Pachtzinsen pro Parzelle sowie bei Kontrolle parzellenspezifischer Eigenschaften dominiert dagegen der Einfluss der kleineren Parzellen (Panelregression) . Eine Erklärung für die unterschiedliche Preisentwicklung bei großen und kleinen Pachten ist im starken Rückgang der Agrarpreise nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und nach den auf den Ausbruch des Vulkans Tambora (1815) folgenden Erntekrisen zu finden (s . unten Abbildung  6 .1) . Offensichtlich wurde bei den Zinsen für große Parzellen der Tatsache Rechnung getragen, dass die Reinerträge mit sinkenden Erzeugerpreisen für Getreide fielen . Bei kleineren Parzellen wurde eher kein Getreide angebaut (Wiesen, Gärten, für den Hackbau genutzte Flächen), und so waren deren Pachtzinsen auch weniger dem Verfall der Getreidepreise unterworfen .

25

Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7 .1), NOR-Buchung, NeukombiID 68, 69, 70, 71 und 213 .

Nominale Pachtzinsen

Bei Wewer fallen schließlich die starken Anstiege des Pachterlöses 1764/65 und des Kettenindexes 1807/08 ins Auge . Beide hängen mit Extremwerten für einzelne Parzellen zusammen . Im ersten Fall handelt es sich um das als Alfsche Conduction bezeichnete Objekt, das später als Ländereien aus dem Klinkengut geführt wurde . Von 1764 auf 1765 stieg sein Pachtzins von 103 auf 180 Taler auf ein Niveau, das um den Faktor 10 über allen anderen Pachten von Wewer lag . Der starken Zunahme des Pachtzinses dieses Komplexes um 74 % steht eine Konstanz bei den 22 anderen Pachtketten gegenüber . Da der Pachterlös durch die aus großen Parzellen erzielten Einnahmen dominiert wird, hat die starke Veränderung des Pachtzinses der Alfschen Conduction einen erheblichen Einfluss auf den Pachterlös des Besitzkomplexes insgesamt . 1807/08 wird der Kettenindex durch die starke Zunahme (126 %) des für die wohl relativ kleine, „auf dem Kottenberge“ gelegene Parzelle geforderten Pachtzinses dominiert .26 Da Repeat sales-Index und Panelregression von logarithmierten Werten ausgehen, sind sie weniger anfällig für solche Ausreißer . Aus den Befunden dieses Abschnitts lassen sich sowohl methodische als auch inhaltliche Schlüsse ziehen . Der Pachterlös-Index gibt die Entwicklung der Gesamteinnahme eines Besitzkomplexes aus der Verpachtung von Land wieder, bereinigt um die Veränderung des Umfangs der verpachteten Flächen . Die langfristige Zunahme des Werts dieses Indikators bedeutet, dass vom späten 17 . zum Ausgang des 19 . Jahrhunderts die untersuchten Rittergüter pro Hektar an verpachtetem Land nominal deutlich höhere Einnahmen erzielen konnten . Im Rest unserer Studie stützen wir uns vor allem auf diesen Index . Er erfasst am ehesten die auf die Gesamtheit des Bodens bezogene Entwicklung, wenn man so will, die volkswirtschaftliche Bedeutung der Pacht . Wir nehmen dabei in Kauf, dass die Entwicklung dieses Indikators konstruktionsbedingt durch die auf größeren Parzellen erzielten Pachtzinsen bestimmt wird . Der Kettenindex, der Repeat sales-Index und der mit Panelregression konstruierte Index erzählen eine andere Geschichte, nämlich diejenige der durchschnittlichen Parzelle . Ihr Wert besteht vor allem darin, dass der Vergleich zwischen ihrer Entwicklung und derjenigen des flächenbereinigten Pachterlöses Hinweise auf mögliche Gründe für die langfristige Zunahme der nominalen Pachtzinsen liefert . Gegenüber den anderen Indikatoren zeichnet sich die mittels Panelregression gewonnene Reihe dadurch aus, dass sie Pachtzinsen um die Effekte nicht beobachteter parzellenspezifischer Eigenschaften bereinigt (Parzellen-Fixed effects) . Hierin ist das Verfahren verwandt mit einem hedonischen Index, der allerdings die Eigenschaften von Parzellen deutlich genauer einbezieht . Mit den uns zur Verfügung stehenden Quellen ließ sich nur für Benkhausen ein einigermaßen konsistenter hedonischer Index konstruieren . Im Vergleich weisen die beiden Reihen zwar dieselbe langfristige Zunahme auf (die Graphen in Abbildung 5 .5 folgen beide einem exponentiellen Trend

26

Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7 .1), NOR-Buchung, ErstID 1286, BID 1477 .

163

164

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

von 0,7 %), aber in einzelnen Subperioden weichen sie durchaus deutlich voneinander ab . Dies mag teilweise damit zusammenhängen, dass mit der Panelregression parzellenspezifische Eigenschaften nicht explizit gemessen werden . Vor allem aber ist der Sachverhalt zu betonen, dass der hedonische Index auf punktgenauen Informationen über Parzellen aufbaut, die anderen Indikatoren demgegenüber auf Pachtketten basieren, wobei Wechsel der Datenbasis durch das Abreißen und das Hinzukommen von Preisreihen einzelner Pachtobjekte eine verzerrende Wirkung haben können . Der Vergleich zwischen den flächenbereinigten Pachterlösen und den mit Panelregression konstruierten Reihen bietet einen groben Hinweis auf die Bedeutung der Veränderung parzellenspezifischer Eigenschaften, insbesondere bezüglich der Größe und der Intensität der Nutzung, für die langfristige Zunahme der nominalen Pachtzinsen . Liegen die Wachstumsraten der Pachterlöse unter denen des mit Panelregression konstruierten Indexes, so wiesen eher die Parzellen mit absolut niedrigen Pachten hohe Pachtsteigerungen auf . Dies ist hier der Fall . In inhaltlicher Hinsicht sind die Hinweise bedeutsam, dass die langfristige Zunahme der nominalen Pachtzinsen vor allem durch kleinere Parzellen getragen wurde . Dies weist auf die Gegenwart eines Plattage-Effekts hin (s . dazu auch unten, Kapitel 7 .4) . Allerdings sind in der Summe Teilungen und Zusammenlegungen von Parzellen – oder auch Buchungsbeträgen – für den langfristigen Trend nicht ausschlaggebend . Entsprechende Tests haben keine gravierenden Unterschiede zu Tage gefördert . Außerdem beziehen die Panelverfahren solche Neukombinationen nicht ein, da diese Fälle immer genau einmal vorkommen und somit nicht mit Fixed effects modelliert werden können . Die gezielte Zerschlagung großer in kleine Parzellen spielte somit für den langfristigen Anstieg der Pachtzinsen eine geringere Rolle als die Steigerung der für die Pacht kleiner Objekte bezahlter Mietpreise . 5.5

Konstruktion einer aggregierten Reihe von Pachtzinsen

Der letzte Schritt in der Konstruktion von Reihen nominaler Pachtzinsen besteht in der Aggregation der Reihen der einzelnen Güter zu einem Gesamtindex . Hierfür werden nochmals die in Kapitel 5 .2 besprochenen Verfahren angewendet, nur dass die Beobachtungen nun nicht mehr Mikrodaten sind, sondern die bereits zu güterspezifischen Indizes aggregierten Werte der verschiedenen Einzelreihen . Ergebnis sind einerseits ein jährlicher Jevons-Index sowie andererseits drei mit Panelregression geschätzte Reihen, die auf den mit unterschiedlichen Methoden gewonnenen Pachtreihen für die einzelnen Güter aufbauen . Sie sind alle online verfügbar; wir verweisen auf sie im Folgenden mit „Zeitreihen Landpacht (Anhang A7 .1), Tabellen B .01 und B .02“ . Die fünf Güter, deren Rechnungsbücher hier ausgewertet werden, sind in vier unterschiedlichen landwirtschaftlichen Regionen lokalisiert: (1) Anholt im mit mageren Böden ausgestatteten Grenzgebiet zwischen dem westlichen Münsterland, dem

Konstruktion einer aggregierten Reihe

Niederrhein und den Niederlanden, (2) Nordkirchen und Assen im südlichen, von Kleiböden geprägten Münsterland, das im 19 . Jahrhundert zu einem agrarischen Versorgungsgebiet des Ruhrreviers wurde, (3) Wewer auf der Paderborner Hochfläche und (4) Benkhausen nahe Minden im von Protoindustrien durchzogenen östlichen Westfalen . Idealerweise würde man diese Güter als Repräsentanten der wichtigsten Agrarregionen behandeln und die auf ihnen festgestellten Pachtzinsen nach Flächenanteilen gewichtet in einen aggregierten Index einfließen lassen . Es ist jedoch weder bekannt, wie stark die lokalen Bodengüten streuten, noch, ob die Stückelung des Pachtlandes der Güter, die ja zwischen den Gütern enorme Unterschiede aufweist, typisch für die Gesamtheit der Pachtobjekte in der jeweiligen Region ist . Unserem Eindruck nach könnten die lokalen Eigenheiten der Güter sehr viel stärker ausgeprägt sein als die Gemeinsamkeiten innerhalb einer Region . Diese Unsicherheiten führten uns zu der Entscheidung, bei einer Zusammenführung der Pachten keine Gewichtung anzuwenden und die Information für alle Güter zu gleichen Anteilen in einen aggregierten Index einfließen zu lassen . Abbildung 5 .6 gibt zunächst einen Überblick über die Datenverfügbarkeit in den einzelnen Zeitabschnitten . Im Idealfall liegen für eine Fünfjahresperiode aus jedem der fünf güterspezifischen Indizes fünf Beobachtungen – eine pro Jahr – vor, also maximal 25 . Dabei gilt es zu beachten, dass für die gesamte weitere Analyse die Angaben zu Benkhausen nach 1814 überwiegend interpoliert wurden . Wie erinnerlich wurden ab diesem Jahr die Pachtverträge meist im Abstand mehrerer Jahre gesamthaft neu verhandelt . In den Jahren dazwischen wurden die Werte aus der vorangehenden Verhandlungsrunde fortgeschrieben . Die am Ende einer Pachtperiode entstehenden Sprünge in den Pachtzinsen drücken ökonomische Veränderungen aus, die sich im Verlauf der Periode ergaben, sich aber erst an deren Ende in neuen Pachtzinsen manifestierten . Die Indizes der anderen Güter, deren Pachten zeitversetzt neuverhandelt wurden, können diese jährlichen Veränderungen abbilden . Mit interpolierten Jahreswerten haben wir die Daten zu Benkhausen dieser Situation angepasst und auf diese Weise starke Sprünge in der resultierenden Zeitreihe vermieden . Um schließlich für die Fünfjahresperiode 1898/1902 vollständige Werte zu erhalten, wurden die Pachtbeträge des Jahres 1898 bis 1902 fortgeschrieben .27

27 Die Bemerkung gilt für die beiden mit dem Verfahren der Repeat sales- und des Kettenindexes konstruierten Reihen; die mit Panelregression geschätzte Reihe basiert für Benkhausen bereits auf interpolierten Werten (s . oben Kapitel 5 .2 .3) .

165

166

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

25

5

20

4

15

3

10

2

5

1 Repeat sales-Indizes (n Jahre pro Fünfjahresperiode, linke Skala) Pachterlösindizes (n Jahre pro Fünfjahresperiode, linke Skala) Panelregression-Indizes (in Fünfjahresperioden, n Güter, rechte Skala)

0 1550

1575

1600

1625

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

0

Abbildung 5.6 Anzahl Datenpunkte für die fünf Güter (pro zentrierte Fünfjahresperiode) Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1).

Ab 1653/57 sind für den flächenbereinigten Pachterlös pro Fünfjahresperiode 15 und ab 1693/97 fast durchgehend 20 Datenpunkte belegt . Dies entspricht dem Sachverhalt, dass ab diesen Fünfjahresperioden für drei beziehungsweise vier Güter Pachtangaben vorliegen . Nur am Ende des 18 . und zu Beginn des 19 . Jahrhunderts existieren in einigen Jahren Angaben zu fünf Gütern . Dies hängt damit zusammen, dass die Informationen zu Benkhausen 1794 einsetzen und diejenigen zu Wewer nach 1814 versiegen . Grundsätzlich konstruieren wir einen aggregierten Index, sobald Pachtreihen über mindestens drei Güter vorliegen . Ab der Fünfjahresperiode 1673/77 können für alle Indextypen Werte konstruiert werden . Die flächenbereinigten Pachterlöse der einzelnen Güter führen wir auf jährlicher Basis zu einem Jevons-Index zusammen (Nr . 1 in Abbildung 5 .7 und Tabelle 5 .3; zur Konstruktion s . Kapitel 5 .2 .2, Formel 5 .1) . Der Index wird durch das geometrische Mittel der jährlichen Wachstumsraten der flächenbereinigten Pachterlöse der einzelnen Güter gebildet . Ab 1613 stützt er sich auf Informationen für zwei Güter, und 1653 erweitert sich die Basis auf drei, 1691 auf vier Güter . Die ersten, nicht sehr zuverlässigen Datenpunkte zu Benkhausen (vgl . Kapitel 5 .4) werden außen vor gelassen; vielmehr wird 1815 Wewer durch Benkhausen ersetzt . Ab 1899 entfällt für die letzten Jahre dann Anholt, so dass der Index wieder mit Informationen für nur drei Güter gebildet wird . Die mit den Methoden des Repeat sales-Indexes und der Panelregression konstruierten Pachtreihen der einzelnen Güter beginnen etwas später als die Kettenindizes

Konstruktion einer aggregierten Reihe

und weisen Lücken auf, was zu einer stärkeren Fluktuation der Zahl an verfügbaren Datenpunkten führt . Deshalb aggregierten wir diese beiden Typen von Reihen ausschließlich mit dem Verfahren der Panelregression und für zentrierte Fünfjahresperioden (Nr . 3 und 4) . Im Hinblick auf den Methodenvergleich wird dieses Verfahren darüber hinaus auch auf die flächenbereinigten Pachterlöse angewendet (2) . Analog zur Konstruktion der Pachtreihen für einzelne Güter wird beim Panelverfahren eine Regressionsgleichung mit Fixed effects geschätzt (vgl . Kapitel 5 .2 .3, Gleichung 5 .5): ln (pij) = c + αi Li + βj Tj + εij , i ≠ l, j ≠ k

(5 .6)

pij stellt den kalibrierten Indexwert in Gramm Silber pro Hektar für Gut i in der Fünfjahresperiode j dar, L ist der Fixed effect des Guts i, T der Fixed effect der Fünfjahresperiode j, εij der Fehlerterm, und k sowie l sind die Anzahl Fünfjahresperioden beziehungsweise Güter; c, α und β sind die Schätzparameter . Eine über alle fünf Güter hinweg aggregierte Reihe der Pachtzinsen Aj berechnet sich als Aj = exp (c + βj) . Wie die auf der Ebene der einzelnen Güter mit Panelregression konstruierten Reihen und Repeat sales-Indizes sind auch die mit OLS durchgeführten Schätzungen von Gleichung 5 .6 durch Heteroskedastizität gekennzeichnet (Breusch-Pagan-Test), d . h . die Fehlervarianzen unterscheiden sich deutlich zwischen Gütern beziehungsweise einzelnen Zeitabschnitten . Im Unterschied zu den Datenmengen, die auf der Ebene der einzelnen Besitzkomplexe zu verarbeiten sind, weisen die hier untersuchten Datensätze einen genügend kleinen Umfang auf, um die Sensitivität der Schätzungen im Hinblick auf Heteroskedastizität mit Hilfe von Feasible Generalized Least Squares (GLS) zu prüfen . Dabei werden die Fehlervarianzen alternativ nach Gütern oder Zeitperioden partitioniert .28 Es erweist sich, dass die Schätzung mit Feasible GLS, welche die Fehlervarianzen nach Zeitperioden gruppiert, praktisch zu identischen Ergebnissen wie OLS führt . Heterogenität zwischen Zeitabschnitten stellt damit keine Ursache von Heteroskedastizität dar . Dagegen weichen die Schätzungen mit Feasible GLS, bei denen die Fehlervarianzen nach Gütern partitioniert werden, in einzelnen Zeitabschnitten deutlich (bis zu 20 % und mehr) von den mit OLS gewonnenen Werten ab . Für alle Indizes Nr . (2) bis (4) präsentiert sich der Einbruch der nominalen Pachtzinsen um 1700 mit Feasible GLS (Fehlervarianzen nach Gütern partizioniert) weniger stark als mit OLS; bei den Reihen, die auf flächenbereinigten Pachterlösen (2) oder Repeat sales-Indizes basieren (3), ist auch die Spitze in der Ära der Napoleonischen Kriege weniger ausgeprägt (auf 1810 beziehungsweise auf 1815 zentrierte FünfjahresPerioden) . Wir verwenden im Folgenden deshalb die mit feasible GLS und Partitionierung der Fehlervarianzen nach Gütern erzielten Schätzergebnisse .

28

Baltagi: Econometric Analysis, 79–82; Greene: Econometric Analysis, 264–268, 282–285 .

167

168

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

Alle auf die eine oder andere Weise erstellten aggregierten Indizes werden auf den mit dem flächenbereinigten Pachterlös gerechneten durchschnittlichen Pachtzins auf den fünf Gütern in den Jahren 1796–1798 kalibriert (139,6 Gramm Silber pro Hektar) . Bei den auf Panelregression basierenden Indizes wird die Fünfjahresperiode 1793/97 auf diesen Wert kalibriert . Abbildung 5 .7 zeigt die mit den beschriebenen Verfahren über die fünf Besitzkomplexe hinweg aggregierten Reihen von Pachtzinsen; Tabelle 5 .3 gibt die Wachstumsraten des exponentiellen Trends zwischen 1673/77 und 1898/1902 wieder . Die inhaltliche Analyse im Rest dieser Studie, soweit sie sich auf die aggregierte Ebene bezieht, wird sich vor allem auf den jährlichen Jevons-Index der flächenbereinigten Pachterlöse stützen . Er misst die um Änderungen in den Pachtflächen bereinigten Einnahmen der fünf Besitzkomplexe aus der Vermietung von Land . Abgesehen von der klaren inhaltlichen Bedeutung hat er die beiden methodischen Vorteile, dass er auf jährlicher Basis verfügbar ist und dass die zu Grunde liegenden Reihen auf der Ebene der einzelnen Güter nicht mit dem Makel der Heteroskedastizität behaftet sind (Repeat sales-Index, mit Panelregression konstruierte Reihen) . Die mit verschiedenen Verfahren konstruierten und aggregierten Reihen folgen im Wesentlichen demselben langfristigen Verlauf . Insbesondere liegen ab 1763/67 der 350 Flächenbereinigter Pachterlös, Jevons-Index (1) 300

Flächenbereinigter Pachterlös aggregiert mit Panelregression (2) Repeat sales-Indizes aggregiert mit Panelregression (3) Panelregression (Güter) aggregiert mit Panelregression (4)

250

200

150

100

50

0 1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

Abbildung 5.7 Nominaler Pachtzins auf fünf Besitzkomplexen, 1653/57 bis 1898/1902 (Gramm Silber pro Hektar, Indizes 2 bis 4 für zentrierte Fünfjahresperioden, Periode 1793/97 auf Durchschnittswert der fünf Güter 1796–1798 kalibriert) Datengrundlage: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabellen B.01 und B.02; Forschungsdaten Landpacht (ebd.).

Konstruktion einer aggregierten Reihe

Jevons-Index und die Panelregression der flächenbereinigten Pachterlöse praktisch gleichauf; beide Verfahren der Indexkonstruktion führen somit wenigstens für den Rest des Untersuchungszeitraums zu sehr ähnlichen Ergebnissen . Der aggregierte Repeat sales-Index (3) zeichnet die Zunahme der Pachtzinsen in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts schwächer als die anderen Reihen . Umgekehrt schert der auf mit Panelregression gewonnenen güterspezifischen Reihen aufbauende Index (4) im letzten Viertel des 19 .  Jahrhunderts nach oben aus . Dies lässt sich durch das Verhalten der Einzelindizes für Anholt und Assen erklären . Mit der Wahl des Jevons-Indexes der flächenbereinigten Pachterlöse als maßgebliche Reihe optieren wir somit für einen Kompromiss zwischen den beiden Extremvarianten . Das Auseinanderklaffen des flächenbereinigten Gesamterlöses und der mit Panelregression erzeugten Reihe ab den 1870er Jahren lässt sich inhaltlich dahin gehend interpretieren, dass einige Güter in dieser Zeit die Landabgabe von kleinen Parzellen wieder zu größeren Einheiten verlagerten, möglicherweise um die mit dem Abschluss und der Überwachung von Pachtverträgen verbundenen Kosten zu begrenzen . Angesichts des Plattage-Effekts führte dies dazu, dass Pachtsteigerungen auf der Ebene der kleinen Größenklassen von Parzellen nur abgeschwächt auf das Wachstum der Gesamterlöse aus der Verpachtung durchschlugen . Schreitet man von 1768/72 zum Beginn des Untersuchungszeitraums zurück, so steigen die Abstände zwischen den Werten der verschiedenen Indizes tendenziell an . Der jährliche Jevons-Index der flächenbereinigten Pachterlöse reagiert offensichtlich sensibel auf die massive Steigerung des Pachtzinses für die Alfsche Conduction, einen größeren Güterkomplex auf Wewer, im Jahr 1765 (vgl . Kapitel 5 .4); der Index legt 1764/65 um 8,3 % zu . Da die Pachtzinsen der übrigen Parzellen in Wewer über diese zwei Jahre hinweg stabil bleiben und auf den anderen Gütern im Mittel um 4,0 % sinken, wird in allen folgenden Analysen die Wachstumsrate des jährlichen JevonsIndexes der Pachterlöse 1764/65 auf null gesetzt . Die Indexwerte für die Jahre vor 1765 erhöhen sich entsprechend gegenüber Abbildung 5 .7 um 8,3 % . Aber auch abgesehen vom Ausreißereffekt 1764/65 verstärkt sich die Streuung zwischen den Graphen in Abbildung 5 .7, je weiter man in der Zeit zurückschreitet . Das Ergebnis lässt sich durch die unterschiedliche Bezugsgröße der jeweiligen Verfahren interpretieren: Während sich der Jevons-Index auf den gesamten Pachterlös bezieht, gehen der Repeat sales-Index sowie die Panelregression (auf der Güterebene) von der einzelnen Parzelle aus . Die Reihe, die sowohl auf Güterebene als auch für die Aggregation Werte aus Panelregressionen nutzt (Index Nr . 4), kontrolliert die Effekte nicht beobachteter Eigenschaften sowohl von Parzellen als auch von Gütern auf die Pachthöhe der einzelnen Parzellen . Der Abstand zwischen dieser Reihe und dem Jevons-Index (den man sich vor 1765 mit Vorteil um etwa 8 % höher denkt) kann somit den Effekt der Parzellengröße und Nutzungsart beziehungsweise der diesbezüglichen Veränderung über die Zeit hinweg widerspiegeln .

169

170

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

Tabelle 5.3 Exponentielle Trends verschiedener Reihen von Pachtzinsen ab 1673/78 (prozentuale Zunahme pro Jahr)

Gesamtindex 1 Gesamtindex 2 Gesamtindex 3 Gesamtindex 4

Methode der Güterindizes

Methode der Aggregierung

Pachterlöse Pachterlöse Repeat sales Panel

Jevons-Index Panel 5J. Panel 5J. Panel 5J.

jährliches Wachstum des exponentiellen Trends 1673/78–1898/1902 0,63 % 0,58 % 0,42 % 0,54 %

Datengrundlage: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabellen B.01 und B.02; Forschungsdaten Landpacht (ebd.). Bemerkung: Die mit Panelregression aggregierten Reihen basieren auf dem Feasible GLS-Schätzverfahren, bei dem die Fehlervarianzen nach Gütern partitioniert sind. Die Wachstumsrate von Gesamtindex 1 wurde für 1764/65 wegen des Ausreißers in Wewer auf 0 korrigiert.

Insgesamt bedeuten die dargestellten Unterschiede zwischen den einzelnen Graphen in Abbildung 5 .7, dass die regressionsbasierten Verfahren zur Aggregation der güterspezifischen Indizes etwas flachere Verläufe der nominalen Pachtzinsen aufweisen als der Jevons-Index der flächenbereinigten Pachterlöse . Ausdrücklich zeigen dies die in Tabelle  5 .3 gezeigten Wachstumsraten der exponentiellen Trends zwischen 1673/77 und 1898/1902 . Der jährliche Jevons-Index der flächenbereinigten Pachterlöse weist ein Trendwachstum von 0,63 % pro Jahr auf . Demgegenüber entwickeln sich die Trends der übrigen drei Indizes mit Jahresraten von 0,42 % bis 0,58 % . Besonders aussagekräftig ist die Wachstumsrate der Reihe, deren zugrundeliegenden güterspezifischen Indizes bereits mit Panelregression zustande kommen, denn sie kontrolliert wie erwähnt unbeobachtete parzellen- und güterspezifische Eigenschaften der einzelnen Parzellen . Beschränkt man die Betrachtung auf den Zeitraum bis 1873/77, so beträgt das Trendwachstum für diese Reihe 0,48 %, für den jährlichen Jevons-Index der Pachterlöse 0,58 % . Will man diesem Unterschied eine inhaltliche Bedeutung geben, so lässt sich spekulativ schließen, dass der Sachverhalt, dass später dokumentierte Parzellen intensiver genutzt wurden als Parzellen, die überwiegend zu Beginn des Untersuchungszeitraums beobachtet werden können, etwa ein Fünftel der langfristigen Zunahme der nominalen Pachtzinsen aufschließen . 5.6

Ergebnis: Nominale Pachtzinsen vom 16. zum 19. Jahrhundert

Ein wichtiges Ziel ist erreicht: Wir haben auf der Grundlage der Verzeichnung von Pachteinnahmen und Pachtverträgen im Verwaltungsschriftgut der Renteien von fünf adeligen Besitztümern Zeitreihen von Pachtzinsen auf drei Ebenen konstruiert, nämlich für einzelne Parzellen, für die jeweiligen Güter sowie für den Untersuchungsraum insgesamt . Für die eingeschlagene Vorgehensweise bestimmend ist der Sachverhalt,

Ergebnis: Nominale Pachtzinsen vom 16. zum 19. Jahrhundert

dass die Quellen – abgesehen von Benkhausen ab 1814 – nur wenige Informationen über die verpachteten Objekte enthalten, insbesondere was deren Fläche betrifft . Wir haben deshalb in einem ersten Schritt die in den jeweils für ein Jahr angelegten Rechnungsbüchern eingetragenen Pachtbuchungen über mehrere Jahre hinweg zu Preisreihen individueller Pachtobjekte verkettet . Dieser zwar auf eine Datenbank gestützte, aber manuell durchgeführte und dadurch sehr aufwändige Arbeitsgang des sogenannten Record linkage stellt das Herzstück der gegenwärtigen Studie dar . In einem weiteren Arbeitsgang galt es dann, diese Reihen zunächst auf Güterebene zusammenzuführen und ausgehend von einem Basisjahr auf einen Preis in Gramm Silber pro Hektar zu kalibrieren . Zuletzt wurden dann diese güterspezifischen Reihen ohne Gewichtung zu aggregierten Indizes der Entwicklung nominaler Pachtzinsen zusammengefasst . Das von uns präferierte Maß für die Abbildung der Entwicklung der Pachtzinsen ist der flächenbereinigte Pachterlös . Er basiert auf den Wachstumsraten der Summen aller Pachtzinsen eines Jahres und zeichnet damit die um Änderungen in der Zusammensetzung der verpachteten Flächen bereinigte Entwicklung der Pachteinnahmen eines Gutes nach . Seine Resultate stehen für einen, allerdings in Kapitel 7 .3 genauer zu spezifizierenden, Teil der gesamten Agrarproduktion auf den Pachtländereinen eines Besitzkomplexes . Er ist deshalb auch für Vergleiche mit dem Niveau der Agrarproduktion besser geeignet als andere Verfahren zur Zusammenfassung einzelner Reihen . Die meisten existierenden Untersuchungen zu Pacht- und Immobilienpreisen stützen sich anders als die gegenwärtige Studie nicht auf eine Gesamterhebung der von wichtigen Akteuren (hier: Renteien) erzielten Erlöse, sondern auf die Beobachtung von Transaktionen in einem mehr oder minder heterogenen Markt . Die zur Beschreibung der Preisentwicklung verwendeten Maße können deshalb nicht die Gesamterlöse in den Blick nehmen, sondern müssen vom einzelnen Objekt ausgehen, das verpachtet oder verkauft wird . Die gängige Methode basiert auf einem hedonischen Index, der die beobachteten Eigenschaften von Immobilien oder Pachtparzellen berücksichtigt . Da wie erwähnt die von uns ausgewerteten Quellen nur wenige Informationen über Pachtobjekte enthalten, können wir diese Methode nur für kleine Datensätze anwenden, die sich auf drei Güter im 19 . Jahrhundert beziehen . Für die gesamte Datenbasis sind wir vielmehr zunächst auf relativ einfache Verfahren zurückgeworfen . Konkret betrachten wir das geometrische Mittel der jährlichen Wachstumsraten ( Jevons-Index) sowie den zur Beobachtung von Immobilienmärkten verwendeten Repeat sales-Index, wobei der letztere der Tatsache Rechnung trägt, dass Immobilien und Pachtobjekte nur in unregelmäßigen Abständen Gegenstand von Transaktionen bilden . Die Schwäche beider Verfahren besteht in der Nichtberücksichtigung der Eigenschaften der beobachteten Objekte . Gerade in der gegenwärtigen, einen langen Zeitraum in den Blick nehmenden Untersuchung ist davon auszugehen, dass später dokumentierte Objekte andere Eigenschaften aufweisen als früher dokumentierte – konkret: sie dürften kleiner und intensiver genutzt worden sein . Kleinere, intensiver

171

172

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

genutzte Parzellen erbrachten pro Flächeneinheit einen höheren Pachtzins als große (Plattage-Effekt; unten Tabelle 7 .4) . Die Berücksichtigung beziehungsweise Nichtberücksichtigung von Pachteigenschaften hat somit potentiell erhebliche Auswirkungen auf die Preisentwicklung, die ein bestimmtes Maß nachzeichnet . Einen gewissen Ausweg bietet die Schätzung eines unbalancierten Panels mit Fixed effects mittels Regressionsverfahren . Die Fixed effects der Parzellen kontrollieren dabei deren nicht beobachteten Eigenschaften . Damit berücksichtigt dieses Verfahren die Merkmale von Parzellen, wenn auch deutlich ungenauer als ein hedonischer Index, denn die Fixed effects der Parzellen verbrauchen eine sehr große Zahl an Freiheitsgraden . Wir verwenden deshalb vor allem die mit Panelregression gewonnenen Reihen, um die auf die flächenbereinigten Umsätze gestützten Aussagen auf ihre Robustheit hin zu prüfen . Der Vergleich zwischen den beiden Maßen erlaubt auch gewisse Rückschlüsse darauf, wieweit Veränderungen der nominalen Pachtzinsen über die Zeit hinweg auf eine Veränderung der Eigenschaften der Pachtobjekte – vor allem eine Steigerung oder Minderung der Nutzungsintensität – zurückgehen . Abgesehen vom anderen Aussagegehalt weist die Panelregression auch den Vorteil auf, dass Lücken in den Daten nicht interpoliert werden müssen; für die Berechnung des flächenbereinigten Pachterlöses und des darauf aufbauenden aggregierten Jevons-Indexes mussten 500 Anholt Assen Benkhausen Nordkirchen Wewer Alle

400

300

200

100

0 1550

1575

1600

1625

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

Abbildung 5.8 Nominale Pachtzinsen auf fünf Gütern, 1560 bis 1902 (flächenbereinigter Pachterlös in Gramm Silber pro Hektar) Datengrundlage: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabellen A.01 und B.01; Forschungsdaten Landpacht (ebd.).

Ergebnis: Nominale Pachtzinsen vom 16. zum 19. Jahrhundert

11–27 % der Datenpunkte interpoliert werden . Allerdings leiden die Schätzungen sowohl des unbalancierten Panels als auch des Repeat sales-Indexes unter Heteroskedastizität, was wahrscheinlich mit der Änderung der Eigenschaften von über einen langen Zeitraum hinweg beobachteten Parzellen zusammenhängt . Nur bei der Konstruktion der Gesamtindizes für die gesamte Datenbasis, nicht aber bei der Konstruktion der güterspezifischen Reihen können wir die Effekte von Heteroskedastizität prüfen und korrigieren . Es besteht somit die Möglichkeit, dass die mit Panelregression erzielten Ergebnisse nicht zuverlässig sind . Hält man sich zunächst an die flächenbereinigten Pachterlöse, so zeigen sich in Abbildung 5 .8 drei erklärungsbedürftige Phänomene: Erstens ein in groben Zügen ähnlicher langfristiger Entwicklungsverlauf der Pachtzinsen auf den einzelnen Gütern, der es geradezu erst erlaubt, letztere gültig zu einem Gesamtindex zu aggregieren, zweitens das sich durch die Kalibrierung ergebende höchst unterschiedliche Niveau der Pachtzinsen auf den einzelnen Besitzkomplexen, sowie drittens die Verschiedenheit des Trendwachstums der güterspezifischen Pachtzinsen . Im Rest des gegenwärtigen Abschnitts stellen wir kurz den langfristigen Entwicklungsverlauf dar . Die Interpretation wird zurückhaltend erfolgend, da erst die um Erzeugerpreise deflationierten realen Pachtzinsen eine Auskunft über wahrgenommene Knappheit von Mietparzellen geben (Kapitel 8 .1) . Das nachfolgende Kapitel 5 .7 geht dann auf Unterschiede im Niveau von Pachtzinsen zwischen den untersuchten Gütern ein; die in diesem Zusammenhang besprochenen Zusammenhänge betreffen zugleich wichtige Bestimmungsgründe des langfristigen Trendwachstums von Pachtzinsen . Einzig die Rechnungsbücher der Rentei Nordkirchen enthalten bereits für eine längere Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg verwertbare Informationen über die Pachtzinsen von landwirtschaftlichen Parzellen . Sie legen nahe, dass die Preise für die Miete von Boden in den 50 Jahren vor dem Krieg auf einem nominalen Niveau lagen, das erst lange nach dem Ende des Konflikts, nämlich mit dem Maximum von 1808, wieder erreicht wurde . Wie in Nordkirchen erreichten auch auf Anholt die in Gramm Silber pro Hektar gemessenen Pachtzinsen in den späten 1620er Jahren einen Höhepunkt, auf den bis in die 1680er Jahre ein Rückgang erfolgte . Der allgemeine Fall der in Silberäquivalenten ausgedrückten Pachtzinsen ging allerdings wenigstens im späteren 17 . Jahrhundert ausschließlich auf den Verfall der Silberwährung zurück (vgl . Anhang A5) . Während der in Abbildung 5 .8 wiedergegebene Jevons-Index für alle Güter 1653– 1699 einem fallenden exponentiellen Trend mit einer Jahresrate von -0,5 % folgte, war sein in Taler rückgerechneter Wert 1699 marginal höher als 1653; bis Mitte der 1690er Jahre nahm er sogar leicht zu (der exponentielle Trend 1653–1699 steigt mit 0,2 % p . a .) . In zeitgenössischer Münzwährung ausgedrückt waren somit die nominalen Pachtzinsen in der zweiten Hälfte weitgehend stabil und wurden allein durch den Rückgang des Edelmetallgehalts der Silberwährung entwertet . Nach dem Tiefpunkt um 1700 erfolgte bis in die frühen 1720er Jahre ein Anstieg der Pachtzinsen, der sich in Nordkirchen graduell und stetig vollzog, auf Anholt, Wewer

173

174

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

und vor allem auf Assen jedoch teilweise abrupt zustande kam . Erst im ersten Viertel des 18 . Jahrhunderts fand somit eine Erholung von den Rückgängen statt, die auf Anholt und Nordkirchen in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Kriegs einsetzten . Im folgenden halben Jahrhundert zwischen ca . 1730 und 1780 stagnierten dann die flächenbereinigten Pachterlöse wieder – auf einigen Gütern nahmen sie leicht zu (der Sprung auf Wewer in den Jahren 1764/5 sollte zurückhaltend interpretiert werden), auf anderen eher ab (besonders Assen, Nordkirchen) . Parallel verringerte sich bis zum Ende des Siebenjährigen Kriegs (1756–63) der Silbergehalt des Reichstalers mit dem sukzessiven Abgehen vom Münzvertrag von Leipzig und dem Übergang zum Konventionsfuß nochmals um 10 % (vgl . Anhang A5) . In zeitgenössischer Münzwährung gemessen nahmen somit nominale Pachtzinsen, im Gegensatz zu den in Silberäquivalenten ausgedrückten Werten, insgesamt tendenziell zu, und anders als im späten 17 . Jahrhundert vermochten somit die gezahlten Pachtzinsen wenigstens auf Anholt und Wewer die schleichende Münzverschlechterung zu kompensieren . Allerdings zeigen die mit Panelregression erzeugten Reihen ein pessimistischeres Bild: Von 1728/32 bis 1778/82 fiel das aggregierte Maß um 16 % (Panelregression sowohl auf Güterebene als auch bei der Aggregation; Abbildung  5 .7) . Mit anderen Worten: Berücksichtigt man Veränderungen in der Zusammensetzung der Parzellen, wie es mit den Fixed effects in der Panelregression geschieht, so ist der Rückgang stärker . Will man dem Unterschied zur Entwicklung der flächenbereinigten Umsätze eine inhaltliche Bedeutung beimessen, so gelang auf einigen Gütern in der fraglichen Zeit die Stabilisierung der in Silberäquivalenten gemessenen Pachteinkünfte nur, indem die Zusammensetzung der Pachtobjekte hinsichtlich ihrer von uns nicht messbaren Eigenschaften geändert wurde . Die neu vergebenen Parzellen erlaubten pro Hektar höhere Mietpreise abzuschöpfen, vermutlich weil sie im Vergleich zu den bisherigen kleiner waren und intensiver bewirtschaftet wurden . Im Jahrhundert zwischen etwa 1780 und 1880 nahmen die Pachtzinsen auf allen untersuchten Gütern stark zu, wobei im frühen 19 . Jahrhundert die Reihe zu Wewer endet und diejenige zu Benkhausen beginnt . Das jährliche Trendwachstum belief sich in dieser Zeit auf etwa 0,8 % . Anders als früher blieb der intrinsische Wert der Münzwährungen in dieser Zeit im Wesentlichen stabil; in Silberäquivalenten ausgedrückte Beträge spiegeln somit weitgehend auch die Entwicklung der in zeitgenössischen Münzen notierten Pachtzinsen wider . Allerdings vollzog sich die langfristige Steigerung der Pachtzinsen keineswegs gleichförmig, sondern in einer heftigen Wellenbewegung, die zu einem guten Teil parallel zu derjenigen der Agrarpreise verlief (s . unten, Kapitel 6): In der Ära der Kriege im Gefolge der Französischen Revolution (1792–1815) stiegen die Pachtzinsen stark an; in der darauf folgenden Agrardepression fielen sie bis etwa 1830 wieder deutlich zurück, wobei auf Benkhausen lediglich eine Stagnation eintrat . Der ab 1830 feststellbare erneute Auftrieb der flächenbereinigten Pachterlöse begann ab etwa 1860 auf den Renteien von Anholt und Benkhausen zu erlahmen, spätestens 1880 gilt dies für die vier für diese Zeit dokumentierten Besitztümer insgesamt .

Unterschiede zwischen den fünf Gütern

Allerdings verläuft der mit Panelregression bestimmte mittlere Pachtzins pro Parzelle in den letzten Jahrzehnten des untersuchten Zeitraums mit Ausnahme von Benkhausen höher als der flächenbereinigte Gesamterlös (Abbildungen 5 .5, 5 .7) . Letzterer bietet uns insgesamt konservative Schätzungen an . Entwicklungen der kleinen Parzellen, Teilungen und Intensivierungseffekte haben auf ihn kaum Einfluss . Wenn demgegenüber der auf Panelregression basierende Index, aber auch der Jevons- und der Repeat sales-Index stärker steigen, so deutet dies grundsätzlich auf höhere Wachstumsraten der kleinen Pachtbuchungen – also der Pachtzinsen kleiner Parzellen – hin . Es lässt sich somit auf einen wachsenden oder auch doppelten Plattage-Effekt schließen: Kleine Parzellen waren nicht nur durchschnittlich teurer (unten Tabelle 7 .4), ihr Mietpreis wuchs auch schneller als derjenige großer Stücke . Der Verlauf der mit Panelregression konstruierten Reihen, insbesondere derjenigen zu Anholt, besagt somit, dass bei gegebenen Parzelleneigenschaften nominale Pachtzinsen auch noch im späten 19 . Jahrhundert durchaus zunahmen; die Kombination der Verlagerung zu größeren Pachtobjekten und der Plattage-Effekt machten aber den Effekt dieser Steigerung der Pachtzinsen auf die Erlöse der Renteien weitgehend zunichte . Über die Gründe dieser Entwicklung lässt sich nur spekulieren . Denkbar ist, dass die Renteien im Zuge administrativer Rationalisierungsbemühungen die Transaktionskosten der Schließung und Überwachung von Pachtverträgen zu senken bestrebt waren . Nicht ausgeschlossen ist auch, dass der angetroffene Befund auf die zunehmende Knappheit von Arbeitskräften in der Landwirtschaft zurückging, die ihrerseits aus der Steigerung der Reallöhne folgte . 5.7

Unterschiede zwischen den fünf Gütern hinsichtlich Niveau und Wachstum der Pachtzinsen

Jenseits der Parallelen im langfristigen Verlauf zeigt Abbildung 5 .8 auch deutliche Unterschiede zwischen den fünf untersuchten Besitztümern hinsichtlich des Niveaus und des langfristigen Wachstums der flächenbereinigten Pachterlöse . Es sei angemerkt, dass das Niveau auf die in Kapitel 5 .3 festgestellten Kalibrierungsfaktoren zurückgeht, die Lage der verschiedenen Reihen also anhand des Pachtwerts in Gramm Silber pro Hektar in einem gut dokumentierten Basisjahr festgelegt wurde . Man muss also fragen, worin die Ursachen für die unterschiedlichen Kalibrierungsfaktoren liegen, und warum die Entwicklung der Indizes auf der Ebene der einzelnen Güter sich langfristig unterscheidet . In Tabelle 5 .4 geben wir einerseits das Niveau des für die Miete eines Hektars Nutzfläche bezahlten Pachtzinses in den Jahren 1814/15 wieder (für diese Jahre kann diese Größe auf allen fünf Gütern festgestellt werden), andererseits die Wachstumsraten des Pachtzinses getrennt für das 18 . und das 19 . Jahrhundert . Wir stellen diese Größen zwei möglichen Einflussgrößen gegenüber, nämlich zwei aus dem 20 . Jahrhundert

175

176

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

stammenden Indikatoren für die Bodengüte sowie der Bevölkerungsdichte zu Beginn der modernen Volkszählungen . Dem liegt die Überlegung zu Grunde, dass bei vollständiger Konkurrenz Produktionsfaktoren entsprechend ihres Grenzprodukts entlohnt werden . Im Fall der landwirtschaftlichen Nutzfläche wird dieses durch die Bodenfruchtbarkeit und durch die Intensität der Bewirtschaftung bestimmt . Die Bevölkerungsdichte misst das vor Ort bestehende Arbeitskräftepotential und stellt damit einen groben Indikator für die Intensität der Bodenbewirtschaftung dar . Tabelle 5.4 Pachtzinsen, Bodengüte und Bevölkerungsdichte Anholt Pachtzins g Ag/ha 1814/15 Pachtzins Wachstum 1691–1815 Pachtzins Wachstum 1814–1899 Bevölkerungsdichte Kreis 1818 Bodengüte (Ackerzahl 2017; Maximum: 100) Müncheberger Soil Quality Rating (Maximum: 102)

Assen

Benkhausen

Nordkirchen

Wewer

283

105 1,7 %

292 0,6 % 1,0 % 57

124 0,2 % 1,1 % 44

0,8 % 59

116 0,1 % 0,9 % 44

50

55

40

46

55

60–69

60–69

50–59

60–69

60–69

44

Datengrundlage: Pachterlös in Gramm Silber pro Hektar: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabelle A.01;. Bevölkerungsdichte (Kreis, bei Anholt Umgebung): Nitsch/Gudermann: Agrarstatistik, 33–37; Reekers: Westfalens Bevölkerung, 6 f.; Anhang A4. Bodengüte: Bodenrichtwert-Portal www.boris.nrw.de (zuletzt abgerufen am 17.1.2018). Für Anholt Gemeinde Rees (südlich an Isselburg grenzend, im Bodenrichtwert 2017 gleich); für Assen Gemeinde Lippborg; für Benkhausen Gemeinde Espelkamp; für Wewer Paderborn-Wewer, Gemarkung Elsen. Für Nordkirchen Auskunft des Katasteramtes Kreis Coesfeld. Müncheberger Soil Quality Rating: 50-< 60: Ertragspotential gering, 60-< 70: mittel, https://www. bgr.bund.de/DE/Gemeinsames/Oeffentlichkeitsarbeit/Pressemitteilungen/Bilder/2013/2013-11-08bodenguete-karte.html (zuletzt abgerufen am 17.1.2018).

Konkret verwenden wir zwei Klassifizierungen der Bodengüte, nämlich zum einen die in den 1930er Jahren erstmals festgestellte und weitgehend noch immer, trotz der zum Teil tiefgreifenden Änderung der Methoden der Bodenbearbeitung sowie der Vermehrung des Einsatzes von Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln, gültige sogenannte Ackerzahl . Zum anderen greifen wir auf das Müncheberger Soil Quality Rating zurück, einer aktuellen auf den globalen Vergleich ausgerichteten Bewertung der Ertragsfähigkeit von Böden . Allerdings zeigt sich, dass die Bodengüten der Gebiete, in denen die fünf untersuchten Güter liegen, nicht sehr stark streuen . Teilweise hängt dies mit ihrer Lage zusammen: Sie lagen weder auf den begünstigten Böden des Hellweges noch auf den weniger fruchtbaren Böden im äußersten Osten Westfalens und in den Gebirgen . Weiter diskriminieren die verwendeten Indikatoren vermutlich wenig hinsichtlich kleinräumiger Unterschiede in der Bodenfruchtbarkeit, die sich zudem möglicherweise über die Zeit hinweg verändert hat . Laut Ausweis der Ackerzahl lagen in der

Unterschiede zwischen den fünf Gütern

Umgebung von Wewer die vergleichsweise besten Böden, die schlechtesten befanden sich um Benkhausen . Nun ist Wewer das Gut mit der niedrigsten Kalibrierung des Pachtzinses pro Hektar, während Benkhausen 1814/15 knapp hinter Anholt das zweithöchste Niveau unter allen fünf Gütern aufwies . Entsprechend existiert in Tabelle 5 .4 eine inhaltlich unplausible negative Rangkorrelation zwischen der Ackerzahl und dem Pachtzins pro Hektar 1814/15 (Spearman’s rho = -0,56) . Wesentlich eindeutiger ist der positive Zusammenhang zwischen dem Pachtzins pro Hektar 1814/15 und der Bevölkerungsdichte um 1818 (Spearman’s rho = 0,60) . Konkret waren sowohl Pachtzinsen als auch die Bevölkerungsdichte auf Anholt und Benkhausen deutlich höher als auf den anderen Gütern . Trotz unterschiedlicher Wachstumsraten der Bevölkerung blieb dieser Unterschied bis zum Ende des Untersuchungszeitraums erhalten (vgl . Abbildung 3 .2; abgesehen von Wewer, für das nach 1815 keine Informationen zu den Pachtzinsen vorliegen) . Der Befund ist im Zusammenhang mit zwei weiteren Tatbeständen zu interpretieren: Erstens verpachteten Benkhausen und auch Anholt überwiegend vergleichsweise kleine Parzellen (Kapitel  5 .4) . Zweitens lässt sich wie schon mehrfach erwähnt in unserem Material ein Plattage-Effekt nachweisen (Tabelle 7 .4); kleine Parzellen warfen pro Hektar einen höheren Pachtzins ab als große . Zusammengenommen implizieren die drei Befunde, dass eine hohe Bevölkerungsdichte die Verpachtung von Land in kleinen Einheiten ermöglichte, die intensiver bewirtschaftet wurden als große und deshalb höhere Pachtzinsen abwarfen . Drei Erklärungen für diesen Zusammenhang sind denkbar: Erstens ermöglichte eine hohe Bevölkerungsdichte die Ansiedlung von kleinbäuerlichen Haushalten . Dadurch, dass sie nur über eine kleine Wirtschaftsfläche verfügten, waren sie zu einer intensiven Bewirtschaftung des Bodens gezwungen, um die unabhängige Haushaltsführung aufrecht zu erhalten . Zweitens konnte für unterbäuerliche Haushalte der Zugang zu Boden die Funktion einer Versicherung gegen Schwankungen des Einkommens ausüben, das außerhalb des eigenen Betriebs durch Lohnarbeit erzielt wurde . Der Pachtzins konnte dadurch prinzipiell nach oben vom Grenzprodukt der Arbeit abweichen . Drittens bewirkte eine hohe Bevölkerungsdichte ceteris paribus eine generelle Verbilligung der Arbeitskraft, was zu einem vermehrten Einsatz von Arbeitskraft auch in der Form von Lohnarbeit durch vollbäuerliche Betriebe führen konnte . Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sowohl Anholt als auch Benkhausen im Einzugsbereich protoindustrieller Exportgewerbe lagen . Im ersten Fall war dies das westmünsterländische Baumwollgewerbe, welches sein Zentrum in Bocholt hatte; nördlich von Benkhausen waren bis ins frühe 19 . Jahrhundert die Garnspinnerei und das Weben grober Leinwand verbreitet (s . oben, Kapitel 3 .5) . Die hohe Bevölkerungsdichte in diesen beiden Gebieten kann Ergebnis der Arbeitsnachfrage nichtlandwirtschaftlicher Sektoren sein; hohe Bevölkerungsdichte und aus der Beschäftigung im Textilgewerbe fließende Einkommen bewirkten eine starke lokale Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln . Unabhängig von der Intensität der Bodenbewirtschaftung

177

178

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

übte dies einen positiven Einfluss auf den Mietwert von landwirtschaftlichen Nutzflächen aus . Dass eine hohe Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln den Pachtzins nach oben trieb, bestätigt nicht zuletzt der Vergleich der Wachstumsraten der flächenbereinigten Pachterlöse im 18 . und im 19 . Jahrhundert (vgl . nochmals Tabelle 5 .4) . Während sie sich im 18 . Jahrhundert zwischen den einzelnen Gütern stark unterschieden, erfolgte im 19 . Jahrhundert langfristig eine einigermaßen parallele Steigerung von jährlich etwa 1 %, trotz sehr unterschiedlichen Wachstumsraten der Bevölkerung (vgl . nochmals Abbildung 3 .2) . Infolge der zu dieser Zeit stattfindenden Integration der Produktmärkte (vgl . Kapitel 3 .4) homogenisierte sich allmählich die Nachfrage nach Agrargütern und damit auch die Entwicklung des Mietpreises von Land, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau . Im 18 .  Jahrhundert übten dagegen lokale Bedingungen offenkundig einen stärkeren Einfluss auf das langfristige Wachstum von Pachtzinsen aus; der Stagnation im südlichen Münsterland (Assen, Nordkirchen) stand die Zunahme auf Anholt und Wewer gegenüber .29 Im Fall von Anholt liegt ein Zusammenhang mit der protoindustriellen Entwicklung der Region nahe . Für Wewer ist darauf zu verweisen, dass hier noch im frühen 19 . Jahrhundert Schafhaltung und damit eine sehr extensive Form der Bodennutzung, verbreitet war . Zugleich gibt es Hinweise darauf, dass sich die Zahl kleinbäuerlicher Einheiten im Verlauf des 18 . Jahrhundert vermehrte (Kapitel 3 .5 .5) . Die starke Steigerung des Pachtzinses auf diesem Gut lässt sich somit im Zusammenhang mit einer Zunahme der Relation zwischen Arbeitskräften und Nutzfläche ausgehend von einer sehr niedrigen Intensität der Bodennutzung sehen . 5.8

Vergleich mit Pachtzinsen in weiteren deutschen Regionen

Natürlich möchte man gerne wissen, ob die für die fünf in dieser Studie untersuchten Güter gefundenen Pachtzinsen für weitere Teile Deutschlands repräsentativ sind und ob die für den Untersuchungsraum herausgestellten Zusammenhänge zwischen Pachtzinsen auf der einen Seite und Bodenfruchtbarkeit, Bevölkerungsdichte und lokaler Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln auf der anderen Seite auch in einem weiteren Kontext gelten . Für die frühe Neuzeit existiert unseres Wissens einzig eine Zusammenstellung der Pachtzinsen, die für das Ackerland der Marienkirche in Stralsund im 16 . und frühen 17 . Jahrhundert gezahlt wurden (Tabelle 5 .5) .

29 Die starke Zunahme des flächenbereinigten Pachterlöses auf Wewer ist teilweise auf wenige Ausreißer zurückzuführen; vgl . Kapitel 5 .4 . Die in dieser Hinsicht weniger sensible Reihe, die mit Panelregression konstruiert wurde, wies von 1691/2 bis 1813/15 einen exponentiellen Trend mit einem jährlichen Wachstum von 1,0 % auf (zwischen den Eckjahren zentrierte Fünfjahresmittelwerte) .

Vergleich mit Pachtzinsen in weiteren deutschen Regionen

Tabelle 5.5 Pachtzins der Marienkirche in Stralsund (Schilling pro Morgen Ackerland)

Pachtzins

1540–9

1550–9

1560–9

1570–9

1580–9

1590–9

1600–9

1610–9

30,3

34,0

44,8

59,4

68,0

88,0

104,0

128,0

Quelle: Biederstedt: Löhne und Preise, 55 (Mittelwerte aus bis zu vier Angaben).

Diese Reihe zeigt eine stetige Zunahme des nominalen Pachtzinses von den 1540er Jahren bis in die 1610er Jahre . Da die Angaben nicht um eine eventuelle Verminderung des intrinsischen Werts der lokalen Währung berichtigt sind, ist die Vergleichbarkeit mit den hier verwendeten Beträgen in Gramm Silber begrenzt; die effektive Pachtsteigerung wird möglicherweise überzeichnet . Die spätere Auswertung dieser Reihe zeigt aber auch eine starke Zunahme der realen Pacht wenigstens bis in die 1590er Jahre (s . unten Tabelle 8 .4) . Zusammen mit den Angaben zu Nordkirchen (s . Abbildung 5 .8 oben) legen somit zwei Reihen aus unterschiedlichen Gebieten Deutschlands einen Anstieg der Pachtzinsen in der zweiten Hälfte des 16 . Jahrhunderts nahe . Dies war eine Ära ausgeprägten Bevölkerungswachstums (s . unten Abbildung 8 .6) . Wenigstens vorläufig – die inhaltliche Interpretation von Pachtzinsen im Zeitverlauf erfordert die Deflationierung um Erzeugerpreise – lässt sich somit schließen, dass der für das 19 . Jahrhundert im untersuchten Gebiet zu beobachtende Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und Pachtzins auch in diachroner Perspektive galt . Für den Zeitraum 1850–1913 existieren Angaben über die Pachtzinsen staatlicher beziehungsweise fürstlicher Domänen in Baden, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg und Preußen (Abbildung 5 .9) . Die Pachten ganzer Großbetriebe unterliegen anderen Bedingungen als Parzellenpachten . Während bloße Parzellen von bestehenden Betrieben gepachtet werden, die in der Regel über Baulichkeiten und Gerätschaft verfügen, enthalten Pachtbetriebe auch die Miete für Wohn- und Betriebsgebäude und das ganze Inventar . So unterscheiden sich die den Pachtentscheidungen zugrundeliegenden Kosten- und Ertragsstrukturen: Bei Domänenbetrieben ist die Lohnarbeit der dominierende Kostenfaktor; der Pachtzins beinhaltet neben einer Bodenrente stärkere Anteile einer Kapitalrente . Gleichzeitig dürften Großbetriebe aufgrund des größeren Koordinationsaufwands eher eine niedrigere Produktivität als die Parzellen pachtenden Familienbetriebe aufgewiesen haben .30 Schwerer wiegt noch, dass zu den Besitzständen der Domänen lange auch Dienste, Gerechtigkeiten und Gewerbebetriebe zählten, so dass die für ihre Pacht bezahlten Zinsen nur zum Teil Preise für die Miete landwirtschaftlicher Nutzflächen widerspiegeln .31 Im Einzelnen lassen sich aus den vorliegenden Informationen die folgenden Reihen erstellen:

30 31

Kopsidis: Agrarentwicklung, 147–167 . Ebert: Domänengüter, 169–288 .

179

180

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen



– –



32

Für Baden teilten die statistischen Jahrbücher des Großherzogtums 1879–1898 Pachtzinsen für Acker und Wiesen mit . Die Angaben erfolgten zusammen mit solchen über Grundstückspreise, beziehen sich somit wohl auf private, überwiegend bäuerliche Ländereien . Für einen etwas längeren Zeitraum, nämlich 1875–1905, wurden überdies für die im Verlauf eines Jahres neu verpachteten Staatsdomänen die bisher bezahlten sowie die neu vereinbarten Pachtzinsen angegeben . Da die Staatsdomänen hinsichtlich ihrer Ertragskraft offensichtlich nicht homogen waren, schwankt auch der Mittelwert von bisherigem und neuem Pachtzins von Jahr zu Jahr erheblich . Zur Beseitigung dieser zufälligen Volatilität wurde die Reihe der Mittelwerte von bisherigem und neuem Pachtzins mittels eines HP-Filters mit λ = 6 .25 geglättet . Die Angaben zu den großherzoglichen Domänen in Mecklenburg-Schwerin wurden unmittelbar einer Zusammenstellung des statistischen Jahrbuchs dieses Staats entnommen . Für Oldenburg liegen fünfjährige Mittelwerte (1857–1860 ein vierjähriger Mittelwert) über die anlässlich von Neuverpachtungen staatlicher und herzoglicher Domänen in den Marschen erzielten Preise vor, zuletzt für 1886–1890 . Eine Glättung der durch die Heterogenität der jeweils neu verpachteten Objekte bewirkten Volatilität der Zinsen analog zu Baden ist wegen der Mitteilung von Fünfjahresmitteln durch die Quelle nicht möglich . Für den Graphen in Abbildung 5 .9 wurden die Angaben zu behausten Objekten (d . h . ganzen Betrieben) und unbehausten Objekten (Stückländereien, einzelnen Parzellen) aggregiert . Nur die Angaben zu den Marschländereien wurden berücksichtigt . Die Pachterträge aus Geestländereien machten meist weniger als 10 % der Erlöse aus der Verpachtung von in den Marschen gelegenen Besitzungen aus . Die Informationen zu Preußen schließlich sind Sollwerte, die den Entwürfen zum Staatshaushalt entstammen . 1849 umfassten die Staatsdomänen 328 .000 Hektar . Sechs Regierungsbezirke wiesen mehr als 25 .000 Hektar auf und vereinigten 58,5 % der Nutzfläche aller Domänen; es handelt sich um die Regierungsbezirke Gumbinen, Stralsund, Stettin, Frankfurt a . O ., Potsdam und Magdeburg . Bis 1909 stieg der Umfang der Staatsdomänen auf 444 .000 Hektar, einerseits wegen der Übernahme von Domänen in den 1866 neu erworbenen Gebieten im Westen (51 .000 ha), andererseits wegen Zukäufen im Osten, vor allem in der ersten Dekade des 20 . Jahrhunderts .32 Die neun Regierungsbezirke mit mehr als 25 .000 Hektar Domänenland vereinigten 1909 60,4 % der gesamten Nutzfläche des Staatslandes auf sich . In Brandenburg gehörte Potsdam nicht mehr zu dieser Kategorie, dafür waren im Nordosten Posen, Allenstein, Danzig und Marienwerder dazugekommen . Die in Schleswig-Holstein

Zum Hintergrund s . Riemann: Preußens Domänenpolitik, 30 f .

Vergleich mit Pachtzinsen in weiteren deutschen Regionen

und westlich der Elbe gelegenen Einheiten machten höchstens ein Sechstel der Gesamtfläche aller Domänen aus .33 Die hier für den Osten und den Westen jeweils gesamthaft wiedergegebenen Pachtzinsen berücksichtigen die erheblichen Umschichtungen innerhalb dieser Gebiete nicht; die entsprechende Korrektur und die Gewinnung jährlicher Werte vor 1900 übersteigen den Rahmen der gegenwärtigen Studie . Die Graphen in Abbildung 5 .9 lassen sich einerseits hinsichtlich ihres Niveaus, andererseits bezüglich des Zeitverlaufs miteinander vergleichen . Die Pachten der fünf hier untersuchten Güter wiesen im späten 19 . Jahrhundert einen ähnlich hohen Erlös pro Hektar auf wie die preußischen Domänen in den Westprovinzen; mindestens bezogen auf das Niveau ist somit unsere Reihe für ein weiteres Gebiet repräsentativ .34 Im Osten wiesen die Domänen in Preußen und in Mecklenburg ab etwa 1890 gemeinsam ein deutlich tieferes Niveau auf, während zu dieser Zeit die Pachtzinsen in Baden auf einem knapp doppelt so hohem Niveau wie in den ostelbischen Gebieten lagen . Analog zu den Unterschieden innerhalb des von dieser Studie untersuchten Raums lassen sich die Niveauunterschiede zwischen diesen drei Regionen als Folge des Südwest-Nordost-Gradienten bezogen auf die Bevölkerungsdichte interpretieren: Die hohe Bevölkerungsdichte im Südwesten implizierte eine intensive Bodennutzung und damit hohe Bodenerträge; die vergleichsweise dünne Bevölkerung im Osten bewirkte umgekehrt eine niedrige Intensität der Bodenbearbeitung und damit auch einen geringen Preis für die Miete von Nutzflächen . Der Befund ist durchaus konsistent mit einer gerade umgekehrten Abfolge der landwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität, denn bei gegebener Agrartechnik korreliert der Ausstoß pro Arbeitseinheit mit der Ausstattung der Arbeitskräfte mit dem Faktor Boden .35 Die sehr hohen Pachterträge in den Oldenburgischen Marschen schließlich müssen, anders als die Unterschiede zwischen den hier untersuchten Gütern, mit der hervorragenden Ertragskraft der dortigen Böden und der starken Entwicklung der kommerziellen Viehwirtschaft erklärt werden .36 Im Zeitverlauf nahmen nominale Pachtzinsen über das dritte Viertel des 19 . Jahrhunderts zu und stagnierten danach, wenn sie nicht gar leicht abnahmen . Die von den preußischen Staatsdomänen erzielten Pachtzinsen wichen von diesem Muster allerdings etwas ab; hier hielt die zunehmende Tendenz bis in die 1890er Jahre an . Teilweise dürfte dies auf nachholendes Agrarwachstum in ostelbischen Gebieten zurückgegangen sein, wie es für Hektarerträge und die Arbeitsproduktivität im späten 19 .

Meitzen: Der Boden III, 420; Riemann: Preußens Domänenpolitik, Anlagen 1 und 4 . Riemann: Preußens Domänenpolitik, 32 betont, dass die Pachtpreise der Domänen im Westen zu Beginn des 20 . Jahrhunderts in etwa den für die Miete privater Ländereien zu bezahlenden Preisen entsprachen . 35 Grant: Migration and Inquality, 235–242 . 36 Kollmann: Herzogtum Oldenburg, 167 . 33 34

181

182

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

160 140 120

Oldenburg, Staatsdomänen (Marsch) Baden Preußische Staatsdomänen, Ost Mecklenburg-Schwerin, Staatsdomänen

Fünf Güter Baden, Staatsdomänen Preußische Staatsdomänen, West

100 80 60 40 20 0 1850

1855

1860

1865

1870

1875

1880

1885

1890

1895

1900

1905

1910

1915

Abbildung 5.9 Pachtzinsen für Ackerland in Deutschland, 1850–1913 (Mark pro Hektar) Quellen: Baden: Statistisches Jahrbuch des Großherzogtums Baden, Bd. 11 (1878) bis Bd. 36 (1906/7), zur Glättung der Reihe für die Staatsdomänen s. Text; Mecklenburg-Schwerin, Großherzogliche Domänen: Statistisches Handbuch für das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 1910, 280; Oldenburg, staatliche und fürstliche Domänen (fünfjährige Mittelwerte, Marsch): Kollmann: Herzogtum Oldenburg, 449 f.; Preußische Staatsdomänen: Riemann: Preußens Domänenpolitik, Anlage 2 sowie Königreich Preußen: Anlagen zum Staatshaushalt für die Etatsjahre 1910–1913, Bd. 1, Beilage A. Datengrundlage: Fünf Güter: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabelle B.01, Spalte 5 (5,55 g Ag/ Mark); Forschungsdaten Landpacht (ebd.).

und frühen 20 . Jahrhundert nachvollzogen werden kann . Hauptgrund dafür war der frühe und starke Einsatz mineralischer Dünger, der eine Verbesserung der auf relativ unfruchtbaren Böden erzielten Ernten ermöglichte . Als weiterer Grund ist die in den 1880er Jahren aufkommende Expansion des Zuckerrübenanbaus anzuführen, denn ein Großteil der Zinssteigerungen in der Zeit ging auf das Konto von Einheiten in Gebieten, in denen diese Kultur stark an Verbreitung gewann .37 In der Zeit davor nahmen die Pachtzinsen pro Hektar auf den fünf untersuchten Gütern von 1857–60 bis 1881–5 um 28 % zu, auf den Staatsdomänen in den oldenburgischen Marschen um 36 % und auf denjenigen Preußens um 161 % . Die Wachstumsrate

Berghoff-Ising: Entwicklung des landwirtschaftlichen Pachtwesens, 77; Grant: Migration and Inquality, 235–245 .

37

Vergleich mit Pachtzinsen in weiteren deutschen Regionen

auf den untersuchten Gütern und auf den Domänen in den oldenburgischen Marschen ist somit in etwa vergleichbar . Die vielleicht etwas höhere Steigerungsrate in den oldenburgischen Marschen mag darauf zurückzuführen sein, dass in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts die Nachfrage nach tierischen Produkten deutlich stärker zunahm als diejenige nach pflanzlichen Erzeugnissen, was sich nicht zuletzt in der Entwicklung relativer Preise niederschlug . Der Preis für die Miete von Marschenland profitierte davon wahrscheinlich stärker als derjenige für im Binnenland gelegene Nutzflächen .38 Die starke Zunahme der mit der Verpachtung preußischer Staatsdomänen erzielten Preise dürfte wenigstens bis etwa 1880 überwiegend geographische und institutionelle Gründe gehabt haben . Zum einen bewirkten die Reichseinigungskriege eine starke Ausweitung des bisher sehr kleinen Domänenbesitzes, der westlich der Elbe lag . Die in den neu erworbenen Provinzen gelegenen Domänen wiesen  – allerdings mit erheblichen regionalen Unterschieden – im Vergleich zu den alten Domänen in Westfalen (im Rheinland waren die Domänen in der französischen Ära verkauft worden) deutlich höhere Pachterträge auf, was die ältere Forschung auf die bessere Marktanbindung zurück führte . Die vergleichsweise südlichere Lage (und damit klimatische Bedingungen) könnte allerdings ebenfalls einen Teil der Differenz erklären .39 Zum andern waren Zeitgenossen der Meinung, dass in den 1840er Jahren die Staatsdomänen im Vergleich zu privaten Ländereien zu extrem günstigen Konditionen verpachtet worden seien . Da von den in der Regel agrarwissenschaftlich gut ausgebildeten Pächtern ein Beitrag zur Entwicklung der landwirtschaftlichen Technik in der jeweiligen Region erwartet wurde, pflegte man sie mit Samthandschuhen anzufassen . Ab 1850 versuchte man demgegenüber den Abstand durch konsequente Verpachtung an den Meistbietenden sowie durch eine Verkleinerung der Einheiten zu vermindern (nur 10 % der Nutzfläche einer Domäne durfte in Unterpacht weitergereicht werden, so dass es sich um ausgeprägte Großbetriebe handelte; die Zerschlagung konnte somit Effizienzgewinne erzielen) . Zugleich wurde das Kompetenzgefälle zwischen Pächtern von Staatsdomänen und lokal ansässigen Landwirten zunehmend als vernachlässigbar eingeschätzt . Trotzdem verwiesen noch in den 1880er Jahren zeitgenössische Urteile auf die langanhaltende Privilegierung der Pächter von Staatsdomänen als Erklärung der Zunahme des Preises ihrer Vermietung .40 Die enorme Steigerung der Pachtzinsen preußischer Staatsdomänen im Vergleich mit denjenigen auf den hier untersuchten Rittergütern beziehungsweise auf den oldenburgischen Domänen zwischen den 1850er und den 1880er Jahren lässt sich somit vor allem mit der Änderung der Verpach-

Kollmann: Herzogtum Oldenburg, 167, 207 f .; zur Entwicklung der relativen Preise s . auch unten, Kapitel 6 .3 . 39 Riemann: Preußens Domänenpolitik, 16, Anlage IV; Ebert: Domänengüter, 354; vgl . mit Meitzen: Der Boden III, 420 . 40 Berghoff-Ising: Entwicklung des landwirtschaftlichen Pachtwesens, 69, 71, 75–77; Riemann: Preußens Domänenpolitik, 14–16, 22, 29; vgl . auch Oelrichs/Günther: Domänenverwaltung, 118, 146 . 38

183

184

Lange Reihen von nominalen Pachtzinsen

tungsmodalitäten und der Abnahme der vermuteten positiven externen Effekte der Domänenverwaltung auf die regionale Landwirtschaft erklären . Allenfalls am Ende dieser Wachstumsphase waren die oben erwähnten agrartechnischen Faktoren, d . h . die Verbreitung des Zuckerrübenanbaus und die Anfänge des Einsatzes von mineralischem Dünger von Bedeutung . Für die letzten zwei Jahrzehnte vor dem ersten Weltkrieg gewinnt man den Eindruck, dass wenigstens ein Teil der in Abbildung 5 .9 abgebildeten Reihen durch das Außenhandelsregime beeinflusst wurden . Letzteres stellte sich ein als eine Kombination der Zollpolitik mit der (politisch nicht gesteuerten) Entwicklung von Agrarpreisen . Die zeitgenössische Zollpolitik setzte spezifische Zölle (d . h . Geldbeträge pro Gewichtseinheit) fest . Die Zollbelastung einer Ware wurde deshalb sowohl von dem Zolltarif als auch durch ihren Preis bestimmt; stieg letzterer, so fiel die Zollbelastung, im gegenteiligen Fall stieg sie . Die Kombination von Zollpolitik und der Bewegung der Getreidepreise führte in den 1890er Jahren zu einer Verringerung der Protektion der Getreidewirtschaft, nach 1902 dann wieder zu einem steigenden Schutz vor Importkonkurrenz, besonders im Fall von Roggen . Vor allem Großbetriebe über 100 Hektar Betriebsfläche waren von dieser Fluktuation des Außenhandelsregimes betroffen; bäuerliche Betriebe profitierten von einer langsamen, aber stetigen Verstärkung der Protektion .41 In Abbildung 5 .9 schlägt sich die Fluktuation der Rahmenbedingungen, unter denen Großbetriebe operierten, darin nieder, dass die Pachtzinsen von staatlichen beziehungsweise fürstlichen Domänen im ostelbischen Preußen, in Mecklenburg-Schwerin sowie in Baden während der 1890er Jahre sanken, nach der Jahrhundertwende aber – wenigstens in Preußen, ansatzweise auch in Baden – wieder anstiegen . In der 1902 endenden Reihe zu den fünf in dieser Studie untersuchten Besitzkomplexen schlägt sich die Depression in den 1890er Jahren nicht nieder, was ähnlich wie weiter oben mit der parzellenweisen Verpachtung von Land an bäuerliche Betriebe erklärt werden kann . Insgesamt kann die in dieser Studie erarbeitete Reihe von nominalen Pachtzinsen zu fünf zwischen Rhein und Weser gelegenen Rittergütern wenigstens für die zweite Hälfte des 19 . Jahrhunderts als repräsentativ für einen größeren Raum und für Kontexte gelten, in denen bäuerliche Familienbetriebe dominierten, die primär, wenn auch nicht ausschließlich auf den Getreidebau ausgerichtet waren . Erstens entsprach ihr Niveau um 1900 demjenigen der preußischen Staatsdomänen in den Westprovinzen, deren Pachtzinsen von den Zeitgenossen als in etwa äquivalent zu den Pachtbedingungen auf privaten Ländereien eingeschätzt wurden . Die Relation zu den Niveaus von Pachtzinsen in anderen Teilen Deutschlands lässt sich primär mit Unterschieden hinsichtlich der Bevölkerungsdichte und der Bodenfruchtbarkeit erklären . Zweitens

41 Webb: Agricultural Protection, 314; zu den konkreten Maßnahmen der Zollpolitik s . Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik; Torp: Herausforderung der Globalisierung, Kap . IV–VII .

Vergleich mit Pachtzinsen in weiteren deutschen Regionen

dürfte das Ausmaß der Zunahme der Pachtzinsen von den 1850er zu den 1880er Jahren, das für die fünf Güter beobachtet wurde, relativ typisch sein . In den Oldenburgischen Marschen, die stark von der im Vergleich zum Getreidebau stärkeren Dynamik der Veredelungswirtschaft profitierten, war die Steigerung der Pachtzinsen nur wenig höher . Die enorme Zunahme der Pachterträge preußischer Staatsdomänen von den 1850er bis zu den 1880er Jahren ist vor allem durch institutionelle und geographische Faktoren, nur zum kleinen Teil durch regionalspezifische agrartechnische Veränderungen zu erklären . Drittens legen zwar die Informationen über staatliche beziehungsweise fürstliche Domänen am Ende des 19 . Jahrhunderts eine etwas pessimistischere Sicht auf die Entwicklung der Pachtzinsen nahe als unsere Reihe zu adeligen Besitztümern . Vor allem auf die Getreideproduktion ausgerichtete Großbetriebe – zu denen die Staatsdomänen zählten – waren aber stark von Fluktuationen des Außenhandelsregimes abhängig; die in Deutschland dominierenden bäuerlichen Betriebe profitierten von einer langsamen, aber stetigen Steigerung des Schutzes gegen Importkonkurrenz . Der Verlauf der Pachtzinsen auf den von uns untersuchten fünf Rittergütern ist konsistent mit diesem Sachverhalt .

185

Kapitel 6 Die Preisentwicklung von Agrarprodukten

Interessiert man sich für die Landpacht unter dem Blickwinkel der Entlohnung des Produktionsfaktors Boden, so muss der nominale Pachtzins um die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise deflationiert werden . In diesem Kapitel  entwickeln wir hierfür einen Preisindex für den Untersuchungsraum, der bis 1828 auf den Preisen der vier Hauptgetreide – Gerste, Hafer, Roggen und Weizen – basiert, danach auch die Preise der wichtigsten Blattfrüchte und von Fleisch einbezieht . Die Darstellung beginnt mit einer Beschreibung des Getreidepreisindexes (Kapitel 6 .1) . Danach prüfen wir dessen Robustheit bezüglich lokaler Preis- und Anbauverhältnisse im geographischen Umkreis der untersuchten Güter (Kapitel 6 .2) . Zuletzt untersuchen wir die Implikationen der im 19 .  Jahrhundert erfolgten Diversifizierung der Landwirtschaft bezüglich des Anbaus von Blattfrüchten beziehungsweise der Entwicklung der Veredelungswirtschaft für die Erzeugerpreise und konstruieren vor diesem Hintergrund für die Zeit ab 1828 einen Preisindex, der auch andere Produkte als Getreide berücksichtigt (Kapitel 6 .3) . 6.1

Der Preisindex für Getreide

Der Getreidepreisindex wird als gewichteter Preis der vier Hauptgetreide Gerste, Hafer, Roggen und Weizen konstruiert .1 Die Gewichte der Preise der einzelnen Getreide in diesem Korb richten sich nach dem Produktionsvolumen der jeweiligen Getreidesorte (Tabelle  6 .1) . Zum ersten Mal wurden gesamthafte Produktionsmengen im Zusammenhang mit der Katastralabschätzung von 1822/35 erfasst, deren Akten allerdings – mit einer Ausnahme2 – nur für die Regierungsbezirke Arnsberg und Müns-

1 2

Die Reihe ist online verfügbar; vgl . Zeitreihen Landpacht (Anhang A7 .1), Tabelle B .01 . Landesarchiv NRW, Ostwestfalen-Lippe, M 5 C 54 (Wertschätzungsprotokoll Mennighüffen) .

Der Preisindex für Getreide

ter erhalten sind . Die summarische Bezeichnung „Westfalen“ in Tabelle 6 .1 deckt den Regierungsbezirk Minden und somit ganz Ostwestfalen nicht ab .3 Die nächste Angabe entstammt dann erst wieder der ab 1878 aufgebauten reichsweiten Agrarstatistik; der Vergleichbarkeit wegen berücksichtigen wir nur die Angaben zu den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster . Für die Konstruktion des Warenkorbs, welcher dem Preisindex zugrunde liegt, dienen bis 1828 die Gewichte der einzelnen Getreidearten gemäß der Katastralabschätzung von 1822/35 . 1829–1879 werden sie linear auf der Basis der Angaben für 1822/35 und 1878/82 interpoliert; für 1880 gelten die mittleren Gewichte der Jahre 1878–1882 . Analog werden für 1900 die Gewichte aufgrund der mittleren Erzeugung in den Jahren 1898–1900 festgesetzt, und die Gewichte der Jahre 1881–1899 werden aufgrund der Angaben zu 1878/82 und 1898/1902 interpoliert . Da wir Preise in der Einheit von Gramm Silber pro Liter verwenden, haben wir Produktionsmengen ebenfalls auf Liter standardisiert . Für den Zeitraum 1785–1880 hat Kopsidis aus Informationen über eine Vielzahl von westfälischen Märkten jährliche Preisreihen für die vier betrachteten Getreidesorten entwickelt .4 Die preußische Statistik enthält ab 1859 Preisangaben für vierzehn Städte; Tabelle 6.1 Alternative Gewichte von Getreidepreisen in Preisindizes von Agrarprodukten (Basis: Produktionsmengen in Volumeneinheiten)

Westfalen 1822/35 (Arnsberg, Münster) Westfalen 1878/82 (Arnsberg, Münster) Westfalen 1898/1902 (Arnsberg, Münster) Umgebung von Gut Assen Gemarkung Beckum ca. 1822/35 Kreis Beckum 1878/82 Umgebung von Gut Benkhausen Amt Reineberg ca. 1790 Kreis Lübbecke 1878/82 Umgebung von Gut Nordkirchen Gemarkung Nordkirchen 1825 Kreis Lüdinghausen 1878/82

Gerste

Hafer

Roggen

Weizen

0,10 0,07 0,04

0,45 0,41 0,32

0,39 0,37 0,46

0,06 0,14 0,18

0,34 0,14

0,27 0,40

0,22 0,21

0,17 0,25

0,19 0,04

0,36 0,25

0,43 0,57

0,03 0,13

0,21 0,07

0,34 0,34

0,19 0,35

0,27 0,25

Quellen: Westfalen (Regierungsbezirke Arnsberg und Münster): 1822/35 und 1878/82 nach Kopsidis: Marktintegration, 178, Konversion in Volumeneinheiten nach S. 543; Produktionsmengen 1898/1902 aus Preußische Statistik 159 (1899), 161 (1900), 165 (1901), 170 (1902) und 180 (1903). Kirchspiel Beckum: LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterbücher 2154: Wertschätzungsprotokoll Kreis Beckum; Nordkirchen: LA NRW Münster, Regierung Münster, Katasterbücher 2148: Wertschätzungsprotokoll Lüdinghausen; Amt Reineberg: Nitsch/Gudermann: Agrarstatistik, 91; Kreise 1878/82: Durchschnitte der in Liter umgewandelten Produktionsmengen der Jahre 1878–1882 nach Preußische Statistik 52 (1879), 57 (1880), 62 (1881), 67 (1882) und 73 (1883).

3 Kopsidis: Marktintegration, 148–155, 497–499, 506–508; zum finanzpolitischen Kontext s . Siegert: Steuerpolitik, 119–134, 186–192 . 4 Kopsidis: Marktintegration, 527–537 .

187

188

Die Preisentwicklung von Agrarprodukten

das von uns erfasste Mittel für die Provinz Westfalen führt für den von uns betrachteten Warenkorb ab den 1860er Jahren zu praktisch denselben Werten wie die Reihen von Kopsidis (Abbildung 6 .1) . Die beiden Reihen wurden 1880 verkettet . Für die Zeit vor 1785 stützen wir uns auf Preisreihen für Münster, Paderborn und Xanten . Xanten liegt zwar außerhalb Westfalens, stellt aber den am nächsten bei Anholt gelegenen Marktort dar, für den wir über Preisangaben verfügen . Da die Quellen über die Pachten des Guts Benkhausen erst im späten 18 . Jahrhundert einsetzen, wurden Getreidepreise in den nahegelegenen Städten Minden und Osnabrück, für die ebenfalls bis ins 17 . Jahrhundert zurück Informationen vorliegen, nicht einbezogen . Im Unterschied zu den Reihen von Kopsidis beziehen sich die älteren Preisangaben vielfach nicht auf ganzjährige Marktpreise, sondern auf Fruchttaxen, die im Hinblick auf die Festsetzung von bäuerlichen Abgaben erstellt wurden . Diese Werte fanden besonders dann Anwendung, wenn Abgaben verspätet eingingen und deshalb in monetären Einheiten ausgedrückt werden mussten . Konkret sind die Paderborner Getreidepreise bis 1779 (Weizen bis 1802) nur in der Form von Winterpreisen bekannt . Beauftragte des Domkapitels erfassten zwischen Martini und Ostern jeweils mittwochs und samstags die am lokalen Markt erzielten Getreidepreise, und diese wurden dann der Berechnung des monetären Gegenwerts bäuerlicher Abgaben ans Domkapitel  zu Grunde gelegt . Dem analogen Zweck diente die hier bis 1815 verwendete sogenannte Kappentaxe in Münster, die auf der Grundlage der Getreidepreise auf dem Markt in Münster in den vier bis sechs Wochen um Martini festgesetzt wurde . Mindestens so sehr wie das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage reflektiert somit die verfügbare ältere Information das durch eine moralische Ökonomie aufgeladene Austauschverhältnis zwischen Bauern und zum Bezug von Leistungen berechtigten Grundherren .5 Da sie auf Angaben zu einzelnen Jahreszeiten basieren, geben die Angaben aus Münster und Paderborn die hier eigentlich interessierenden jahresdurchschnittlichen Preise nicht genau wieder . Albers und Koautoren zeigen aber, dass sich mit einem gewogenen Durchschnitt der Preise des Vorjahres und des gegenwärtigen Jahres der Preis des aktuellen Jahres ziemlich gut schätzen lässt . Die Reihen für die drei Städte Münster, Paderborn und Xanten werden deshalb aus dieser Studie übernommen .6 Abbildung 6 .1 zeigt zunächst den Preis für einen Liter des gewichteten Getreidekorbs in Gramm Silber für Westfalen nach den von Kopsidis erstellten Reihen und ab 1859 nach der preußischen Statistik . Weiter findet sich der Durchschnittswert der drei Städte Münster, Paderborn und Xanten im Zeitraum 1677–1860 .7 Zur Information sind schließlich die Werte der Getreidekörbe in Münster und Xanten im Zeitraum 1569– 1679 eingezeichnet; sie werden später für die Deflation der nominalen Pachtzinsen auf Gerhard/Kaufhold: Preise, 71 f ., 81; Scholten: Adelige Gutswirtschaft, 44–47 . Albers et al .: Great Moderation, Supplementary Appendices S2 und S3 . Ab 1801 (Gerste) beziehungsweise 1820 (übrige Getreidesorten) werden die Angaben für Xanten durch diejenigen aus dem nahegelegenen Goch ersetzt .

5 6 7

Der Preisindex für Getreide

0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 Münster (bis 1679) Xanten (bis 1679) Mittel 3 Städte

0,1 0,0 1550

1575

1600

1625

1650

Westfalen (Kopsidis) Mittel 14 Städte (Preußische Statistik)

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

Abbildung 6.1 Getreidepreis in Westfalen, 1570–1900 (Gramm Silber pro Liter) Quellen: Westfalen: Kopsidis: Marktintegration, 531; drei Städte (Münster, Paderborn, Xanten): Albers et al.: Great Moderation, Supplementary Appendices S2 und S3. Mittel 14 Städte: Aus der staatlichen Statistik wurden die Provinzmittel übernommen, die sich zunächst auf 14 Märkte beziehen. Die Preise von Getreide wurden auf Liter vereinheitlicht (spezifische Gewichte nach Kopsidis: Marktintegration, 543). Währungseinheiten wurden in Gramm Silber konvertiert. Quellen: 1859: Geheimes Staatsarchiv Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Rep. 120 A/V, Fach 5, Nr. 4; 1860–1865 Jahrbuch für die Amtliche Statistik 2; 1865–1900: Zeitschrift des königlich preußischen statistischen Bureaus, Jahrgänge 1865–1901; Weizen- und Haferpreise 1871–1875: Statistisches Handbuch 4.

den Gütern Nordkirchen und Anholt sowie Assen (ab 1653) in der Zeit vor 1677 verwendet . 1785–1789 liegt der Preis des Getreidekorbs in den drei Städten 12 % über demjenigen des Korbs, der sich auf die von Kopsidis für Westfalen konstruierten Reihen stützt . Der für die Deflation der nominalen Pachtzinsen verwendete Getreidepreisindex basiert deshalb für 1785–1880 auf den Reihen von Kopsidis und für 1677–1784 auf dem um 11 % (entspricht 1/1,12) verminderten Durchschnittswert der Körbe in den drei Städten Münster, Paderborn und Xanten . 1785–1860 können die Preise der Getreidekörbe für Westfalen beziehungsweise für die drei Städte miteinander verglichen werden . Zwei Unterschiede fallen ins Auge: Erstens war der mittlere Getreidepreis in den drei Städten weniger volatil als die Reihe für Westfalen insgesamt, die auch Preise in kleineren Marktorten berücksichtigt, insbesondere solchen, welche den Austausch zwischen der Hellweger Börde und dem Sauerland vermittelten . Während die drei Städte dank ihres agrarischen Umfelds nur

189

190

Die Preisentwicklung von Agrarprodukten

begrenzt unter Ernteausfällen litten, führten offenbar schlechte Ernten auf den Märkten, welche die durch strukturelle Getreidedefizite geprägten Gebirgszonen im Süden Westfalens versorgten, zu deutlich schärferen Anspannungen . Zweitens sanken die Getreidepreise in den drei Städten im Verhältnis zu denjenigen in Westfalen insgesamt über die Zeit hinweg etwas ab . Wie erwähnt betrug die Differenz 1785–89 12 %, 1850–59 belief sie sich auf -8 % . Der Aufstieg der frühindustriellen Industriezonen im niederen Sauerland und an der Ruhr verstärkte offensichtlich den Auftrieb der Getreidepreise nach den 1820er Jahren auf den diese Gebiete versorgenden Märkten, während die weiter entfernten alten Städte davon noch wenig berührt wurden .8 Trotz dieser Unterschiede zwischen den beiden Reihen ist zu betonen, dass sich die Preise der beiden Getreidekörbe zu Westfalen beziehungsweise den drei Städten im 19 . Jahrhundert weitgehend parallel bewegten: Über den gesamten Zeitraum 1785/6–1859/60 waren die jährlichen Wachstumsraten mit Pearson r = 0,80 korreliert; für die Jahre ab 1815/6 beträgt der Korrelationskoeffizient r = 0,88 . Nach den kriegsbedingten Wirren, die möglicherweise auch währungspolitische Turbulenzen nach sich zogen, bewirkten entweder die Symmetrie von klimatischen Schocks und/oder die durch den Chaussee- und später den Eisenbahnbau bewirkte Marktintegration eine parallele Entwicklung kurzfristiger Preisschwankungen in verschiedenen Teilen Westfalens .9 Ob die Symmetrie von klimatischen Schocks – überall in Westfalen ähnlich starke Ernteeinbußen bei ungünstigen Witterungsbedingungen – auch schon in der frühen Neuzeit für eine ausgeprägte Preissynchronisation zwischen verschiedenen Teilen Westfalens sorgte, lässt sich aufgrund der geringen Zahl verfügbarer Getreidepreisreihen bestenfalls beschränkt untersuchen .10 6.2

Robustheitstests des Getreidepreisindexes

Im Folgenden prüfen wir, ob der auf den Preisreihen von Kopsidis aufbauende Getreidepreisindex für Westfalen im späten 18 . und 19 . Jahrhundert im Hinblick auf regionale Unterschiede bezüglich des Anbauverhältnisses und der Preisentwicklung robust ist . Zur inhaltlichen Einschätzung der in Tabelle 6 .1 wiedergegebenen Anbauverhältnisse ist wichtig zu betonen, dass diese auf Volumen- und nicht Gewichteinheiten beru-

Kopsidis: Marktintegration, 260–395 . Ebenda, sowie Kopsidis: Regionale Entwicklung der Produktion, 161–167; ders .: Creation of a Westphalian Rye Market; Uebele/Gallardo Albarrán: Paving the Way to Modernity . 10 Abgesehen von den hier verwendeten Reihen zu Münster, Paderborn und Xanten existieren unterschiedlich weit ins 17 . Jahrhundert zurückreichende Informationen für Herdecke, Minden, Osnabrück, Ravensberg, Vreden und Witten; Terhalle: Getreidepreise; Gerhard/Kaufhold: Preise; Nitsch/Gudermann: Agrarstatistik, 345–353 . Sie decken vor allem Roggenpreise, nur begrenzt auch Preise anderer Getreide ab . 8 9

Robustheitstests des Getreidepreisindexes

hen und dass das spezifische Gewicht von Hafer mit etwa 0,45 deutlich geringer ist als dasjenige der übrigen Getreide (0,64–0,77) .11 Um den Unterschied auszugleichen, wiesen historische Maße für Hafer manchmal ein größeres Volumen auf als das Standardmaß für Getreide; diesbezügliche Unklarheiten stellen eine mögliche Fehlerquelle dar . Berücksichtigt man das geringere spezifische Gewicht von Hafer, so hielten sich in den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster 1822/35 die Erzeugung von Gerste und Hafer einerseits (zusammen 55 % des volumenmäßigen Ertrags) beziehungsweise Roggen und Weizen andererseits in etwa die Waage . Dies erscheint als typisch für ein vormodernes agrarisches Nutzungssystem: Roggen wurde weitgehend und Weizen ausschließlich als Winterfrucht angebaut, Hafer und Gerste sowie am Rand auch Roggen dagegen im Frühjahr als Sommerfrucht angesät . Ein Rotationssystem, das mit Blick auf Risikostreuung die Anbaufläche gleichmäßig auf Winter- und Sommerfrüchte aufteilte, musste somit zu einem Anbauverhältnis führen, das sich zu gut 50 % auf Roggen und Weizen und etwas weniger auf Gerste und Hafer verteilte . Entsprechend ist es nicht erstaunlich, dass Aufstellungen der Anbauverhältnisse in der Umgebung der Güter Benkhausen und Nordkirchen im späten 18 . und frühen 19 . Jahrhundert eine ähnliche Aufteilung zwischen Sommer- und Wintergetreide wie in den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster insgesamt nahelegen (Tabelle 6 .1) . Weitere Angaben in Tabelle 6 .1 sowie zusätzliche Belege zeigen jedoch, dass es von diesem Grundmuster deutliche regionale Abweichungen und Veränderungen über die Zeit hinweg geben konnte . Zudem variierten innerhalb der Sommer- beziehungsweise der Wintergetreide die Gewichte erheblich; Hafer dominierte Gerste unterschiedlich stark, und im Lauf des 19 . Jahrhunderts verbreitete sich der Anbau des höherwertigen Weizens .12 Vor diesem Hintergrund stellt sich erstens die Frage, inwiefern die Verwendung eines einheitlichen Gewichtungsschemas für den gesamten Untersuchungsraum dazu führt, dass die für die einzelnen Güter relevante Entwicklung der lokalen Erzeugerpreise der Getreidewirtschaft unpräzise abgebildet wird . Zweitens ist zu prüfen, wieweit ein aggregierter Preisindex lokale Preisentwicklungen angemessen genau wiedergibt . Zur Beantwortung dieser beiden Fragen werden im Folgenden für einige Güter Preisindizes konstruiert, die sich auf räumlich möglichst nahe Information sowohl bezüglich der Anbauverhältnisse der vier Hauptgetreide als auch der Getreidepreise stützen . Dies trägt auch einer in früherer Zeit noch begrenzten Marktintegration Rechnung . Allerdings ist diese Gegenüberstellung auf Perioden ab dem späten 18 . Jahrhundert begrenzt . Konkret werden die Angaben in Tabelle 6 .1 benutzt, um wenigstens für drei Güter auf deren räumliche Umgebung bezogene Gewichte der vier Hauptgetreide zu bilden; für die Jahre zwischen der früheren Erhebung und 1878/80 werden die Werte

Kopsidis: Marktintegration, 543 auf der Basis zeitgenössischer Umrechnungsfaktoren . Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 290–299; zur Verbreitung des Weizenanbaus im 19 . Jahrhundert Kopsidis: Marktintegration, 159–163, 175 .

11 12

191

192

Die Preisentwicklung von Agrarprodukten

linear interpoliert . Unter Verwendung von Preisangaben zu möglichst nahegelegenen Märkten werden unter Zugrundelegung dieser Gewichte güterspezifische Literpreise des gewogenen Getreidekorbs gebildet . Die Ergebnisse finden sich in Abbildung 6 .2 (dort auch Details zu den Quellen) und Tabelle 6 .2 .

1,0

0,8

Westfalen (Kopsidis), bis 1784 Mittel 3 Städte Assen Benkhausen Nordkirchen

0,6

0,4

0,2

0,0 1770

1780

1790

1800

1810

1820

1830

1840

1850

1860

1870

Abbildung 6.2 Getreidepreis in Westfalen sowie im Umkreis dreier untersuchter Güter, 1785–1867 (Gramm Silber pro Liter) Quellen: Amtsblätter der Regierungen Arnsberg, Münster und Minden beziehungsweise Zeitungsberichte der Regierungen Arnsberg, Münster und Minden in LA NRW Münster, Oberpräsidium. Die Getreidepreise zu Benkhausen (1785–1871) beziehen sich auf Minden; Daten bis 1850 von Albers et. al.: Great Moderation, 53 f.; danach staatliche Statistik wie Abbildung 6.1. Datengrundlage: Westfalen und drei Städte wie Abbildung 6.1, beide Reihen mit Mittel 1785–89 verkettet; vgl. Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabelle B.01. Gewichte der vier Hauptgetreide in der Umgebung der drei Güter wie Tabelle 1; Werte zwischen dem früheren Zeitpunkt und 1878/82 wurden linear interpoliert. Jährliche Getreidepreise (Mittelwert der Preise im Mai und Oktober) beziehen sich für Assen (1817–1867) auf die Mittelwerte der Preise in Beckum (Kreis), Hamm, Lippstadt und Soest (ab 1846 durchgehend Kreise), für Nordkirchen (1817–1867) auf den Kreis Lüdinghausen.

Diese Angaben zeigen, dass die güterspezifischen Preisindizes gut mit demjenigen zu Westfalen insgesamt übereinstimmen . Im Zeitraum 1817–1867 verliefen kurzfristige Schwankungen ziemlich parallel (Korrelationskoeffizient der Wachstumsraten r > 0,9), und das langfristige Trendwachstum belief sich in allen Fällen um 1,1–1,2 % jährlich . Einzig beim Niveau ergeben sich gewisse Abweichungen . Während der Literpreis des gewogenen Getreidekorbs in der Umgebung von Benkhausen ab 1817 im Mittel

Robustheitstests des Getreidepreisindexes

Tabelle 6.2 Getreidepreis in Westfalen und in der Umgebung dreier untersuchter Güter, 1817–1867 (Gramm Silber pro Liter)

Umgebung des Guts … Assen Benkhausen Nordkirchen Zum Vergleich: Westfalen (Kopsidis)

Mittelwert 0,50 0,49 0,51 0,49

exponentieller Trend p. a. 1,2 % 1,1 % 1,1 % 1,2 %

Pearson r Wachstumsrate 0,97 0,92 0,94

Bemerkungen: Definition der Reihen wie Abbildung 6.2. „Pearson r Wachstumsrate“ bezieht sich auf die Stärke der Korrelation zwischen den jährlichen Wachstumsraten der Reihe in der Umgebung eines Guts und der Reihe für Westfalen.

denselben Wert aufweist wie der – anders gewichtete – Korb für Westfalen insgesamt, lag er bis 1810 etwa 10 % höher (s . Abbildung 6 .2) . Dies ist ein Hinweis auf die möglicherweise geringere Marktintegration des Untersuchungsraums vor 1815 . Umgekehrt war der Preis um Nordkirchen im 19 . Jahrhundert etwas höher als in Westfalen insgesamt (0,51 Gramm Silber pro Liter) . Dies lässt sich als Folge des großen Gewichts von Weizen beziehungsweise der geringen Bedeutung des Haferanbaus schon zu Beginn des Beobachtungszeitraums interpretieren (vgl . Tabelle 6 .1) . Solange solche Niveauunterschiede einigermaßen stabil bleiben, haben sie allerdings auf die Darstellung der Entwicklung des realen Pachtzinses keinen Einfluss . Für die Zeit vor dem frühen 19 .  Jahrhundert können einzig aus der Entwicklung relativer Preise verschiedener Getreidepreise untereinander gewisse Rückschlüsse auf die Robustheit eines aggregierten Preisindexes bezogen auf lokale Anbauverhältnisse gezogen werden . Abbildung 6 .3 zeigt deshalb die Quotienten zwischen dem mittleren Preis von Gerste, Hafer sowie Weizen und dem mittleren Preis von Roggen in den drei Städten Münster, Paderborn und Xanten . Weder von Auge noch mittels der Anpassung von Polynomen (bis zum sechsten Grad) lassen sich langfristige Trends erkennen; allenfalls sank der relative Preis von Gerste (der am wenigsten bedeutenden Sorte) zwischen dem frühen 17 . und dem frühen 19 . Jahrhundert etwas . Die langfristige Stabilität relativer Preise zwischen verschiedenen Getreidesorten impliziert, dass der Verlauf des aggregierten Getreidepreises bereits in der frühen Neuzeit wenig von lokalen Unterschieden hinsichtlich von Anbaurelationen beeinflusst wurde, sofern diese einigermaßen stabil blieben . Als Zwischenfazit ergibt sich somit, dass der im Weiteren verwendete gesamtwestfälische Getreidepreisindex wenigstens bezogen auf das 19 . Jahrhundert, mit ziemlicher Sicherheit aber auch für die Zeit davor, robust hinsichtlich lokaler Preis- und Anbauverhältnisse ist .

193

194

Die Preisentwicklung von Agrarprodukten

2,0

Weizen/Roggen Gerste/Roggen Hafer/Roggen

1,8 1,6 1,4 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 1550

1575

1600

1625

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

Abbildung 6.3 Relativer Preis von Gerste, Hafer sowie Weizen im Verhältnis zum Roggenpreis, 1569–1860 (Mittelwerte der Preise in Münster, Paderborn ab 1677 und Xanten) Quelle: Albers et al.: Great Moderation, Supplementary Appendices S2 und S3.

6.3

Wandel der Agrarstruktur und Erzeugerpreise im 19. Jahrhundert

Der zweite Robustheitstest bezieht sich auf die Produkte, die in den Warenkorb eingehen, der dem Preisindex zugrunde liegt . Die westfälische Landwirtschaft erzeugte im 17 .–19 . Jahrhundert nicht nur Getreide, sondern in geringen Mengen auch Buchweizen, Erbsen und Ackerbohnen sowie andere Hülsenfrüchte . Im 19 .  Jahrhundert wurde die pflanzliche Produktion besonders durch die Kartoffel ergänzt . Obwohl der Anbau dieser Feldfrucht schon ab dem zweiten Viertel des 18 .  Jahrhunderts fassbar ist, nahm er 1822/35 in den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster erst 1,2 % der Ackerfläche ein; 1878/82 betrug der Anteil demgegenüber 8,6 % . Gleichzeitig entwickelte sich die Veredelungswirtschaft: Viehbestände, Schlachtgewichte und Milchleistung nahmen zu; die reale Wertschöpfung der tierischen Produktion wuchs 1828–1883 jährlich um 1,7 %, diejenige der pflanzlichen Erzeugung nur um 1,5 %; parallel stieg der Anteil der tierischen Produktion an der gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfung von etwa 47 auf 51 % .13

13 Kopsidis: Marktintegration, 171–197, 511; zur Struktur der landwirtschaftlichen Produktion vor 1800 s . Reininghaus: Vorindustrielle Wirtschaft, 290–299; vgl . auch die Übersichtsdarstellung oben in Kapitel 3 .4 .

Wandel der Agrarstruktur und Erzeugerpreise im 19. Jahrhundert

Die verfügbaren Informationen reichen nicht aus, um die Nutzung von Pachtland und die Verwendung seiner Erzeugnisse im Betrieb des Pachtnehmers im Detail zu beschreiben . Wir wissen somit nicht, wieweit im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Intensivierung auch auf Pachtland zusätzlich zu Getreide vermehrt Blattfrüchte  – neben Kartoffeln meint dies Futterkräuter, insbesondere den Klee  – angebaut wurden . Es ist somit denkbar, dass der bisher betrachtete Getreidepreisindex durchaus ein angemessener Deflator der Landpacht darstellt . Gleichzeitig ist es aber mindestens im Sinn eines Robustheitstests nützlich zu prüfen, wieweit sich relative Preise zwischen Getreide und anderen Agrarprodukten im 19 . Jahrhundert veränderten und welche Auswirkungen Verschiebungen relativer Preise und die Strukturveränderung der Wertschöpfung auf Produzentenpreise hatten . Im Folgenden werden deshalb die relativen Preise tierischer Nahrungsmittel beziehungsweise von Kartoffeln relativ zu Getreide betrachtet, danach wird ein Erzeugerpreisindex entwickelt . Zunächst zu den relativen Preisen: Falls die Preise für tierische Erzeugnisse relativ zu denjenigen für Getreide im Zeitverlauf fielen, dann kompensiert die Verschiebung des Preisgefüges den Effekt des Strukturwandels zu höherwertigen, veredelten Erzeugnissen auf das Preisniveau . Im gegenteiligen Fall unterschätzt ein ausschließlich auf Getreide bezogener Preisindex den langfristigen Anstieg der Erzeugerpreise, mit der Folge, dass umgekehrt das Wachstum der realen Pachtzinsen möglicherweise überschätzt wird . Abbildung 6 .4 zeigt deshalb den Koeffizienten der Preise für Fleisch, Butter – die Milchleistung überstieg wohl die Fleischerzeugung deutlich14 – und Kartoffeln mit dem in Abbildung 6 .1 gezeigten Preis des gewichteten Getreidekorbs, indiziert auf das Basisjahr 1850 . Bis in die 1840er Jahre lässt sich bei allen drei betrachteten Produkten kein Trend ausmachen . Ab der zweiten Hälfte der 1840er Jahre begann dann der relative Preis von Kartoffeln zu Getreide deutlich zu steigen . Bemerkenswerterweise blieb die Preisrelation auch nach der maßgeblich durch Kartoffelfäule verursachten Versorgungskrise von 1846/47 hoch; das erste lokale Maximum wurde erst 1851 erreicht, und nach einer zeitweisen Stagnation nahm der relative Preis von Kartoffeln in den 1870er Jahre wieder zu . Diese in Preußen insgesamt nicht zu findende Entwicklung legt nahe, dass im industriell geprägten Westfalen Kartoffeln gegen die Mitte des 19 . Jahrhunderts besonders ausgeprägt zu einem Hauptbestandteil der Esskultur der Unterschichten wurden, so dass die Zahlungsbereitschaft dafür gegenüber Getreide anstieg .15 Weiter begann nach der Versorgungskrise in der Mitte der 1850er Jahre der Preis von Fleisch relativ zu Getreide nachhaltig zu steigen . Auf der gesamtdeutschen Ebene setzte zeitlich parallel eine Zunahme der Reallöhne ein . Es steht somit zu vermuten, Kopsidis: Marktintegration, 196 . Preise wichtiger Grundnahrungsmittel in Preußen 1816–1870 in Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus 11 (1871), 243; allgemein zur Bedeutung von Kartoffeln im Ernährungssystem von Unterschichtshaushalten im 19 . Jahrhundert s . Teuteberg/Wiegelmann: Unsere tägliche Kost, 93–134 . 14 15

195

196

Die Preisentwicklung von Agrarprodukten

180 160 140 120 100 80 60 40 20

Rind- und Schweinefleisch/Getreide Butter/Getreide Kartoffeln/Getreide

0 1815 1820 1825 1830 1835 1840 1845 1850 1855 1860 1865 1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900

Abbildung 6.4 Relativer Preis von Fleisch, Butter und Kartoffeln im Verhältnis zu Getreide, 1816–1880 (1850 = 100) Datengrundlage und Quellen: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabelle B.01. Preis des Getreidekorbs wie Abbildung 6.1 (Westfalen-Kopsidis, ab 1881 preußische Statistik, mit der Reihe von Kopsidis 1880 verkettet); Preise von Rindfleisch, Schweinefleisch und Kartoffeln: Bis 1858 Kopsidis: Marktintegration, 532; Butter (Mittelwert der Preise in Dortmund, Minden, Münster und Paderborn): Geheimes Staatsarchiv Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Rep. 120 A/V, Fach 5, Nr. 4; ab 1859 alle Preise nach der staatlichen Statistik, wie Abbildung 6.1.

dass die rapide Industrialisierung Westfalens im dritten Viertel des 19 . Jahrhunderts zu einem Anwachsen der Einkommen führte, was wegen der höheren Einkommenselastizität der Nachfrage nach tierischen Nahrungsmitteln relativ zu pflanzlichen Grundnahrungsmitteln eine Verlagerung der Nachfrage zu tierischen Erzeugnissen sowie eine entsprechende Verschiebung des Preisgefüges bewirkte .16 Angesichts des vermutlich hohen Gewichts der Milchwirtschaft ist die Feststellung wichtig, dass die Butterpreise eine ähnliche Entwicklung erfuhren wie die Fleischpreise . Insgesamt verstärkten somit die Verschiebungen relativer Preise wenigstens ab etwa der Mitte des 19 . Jahrhunderts den aus dem Gewichtsverlust der Getreidewirtschaft folgenden Aufwärtsdruck auf die Agrarpreise . Aus diesem Grund lohnt es sich, einen einfachen Erzeugerpreisindex zu entwickeln, der die verschiedenen Sparten der landKopsidis: Marktintegration, 345–356; zur Reallohnentwicklung s . Pfister: Real Wages, 586 f .; zur Einkommenselastizität der Nachfrage nach unterschiedlichen Nahrungsmitteln in Volkswirtschaften mit niederem Einkommen s . Mellor: Economics of Agricultural Development, 57–80 .

16

Wandel der Agrarstruktur und Erzeugerpreise im 19. Jahrhundert

wirtschaftlichen Produktion gemäß ihrem Gewicht in der agrarischen Wertschöpfung berücksichtigt . Vereinfachend wird angenommen, dass der Strukturwandel zwischen 1822/35 und 1878/82 linear fortschritt; danach wird die Struktur bis 1900 konstant gesetzt .17 Sowohl die Feststellung der Struktur der Wertschöpfung als auch die Berechnung des Preisindexes bewerten die Milchleistung mit Fleischpreisen . Vor dem Hintergrund der ziemlich parallelen Entwicklung der Preise von Fleisch und Butter hält sich die daraus resultierende Unschärfe in Grenzen . Auf dieser Grundlage wird ein Erzeugerpreisindex als jährlich neu verketteter Fisher-Index konstruiert (Abbildung 6 .5) . 250

200

150

100

50

Preisindex (Fisher-Index) der landwirtschaftlichen Wertschöpfung Preis des gewogenen Getreidekorbs

0 1825 1830 1835 1840 1845 1850 1855 1860 1865 1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900

Abbildung 6.5 Preis des gewogenen Getreidekorbs (indiziert) und Preisindex der landwirtschaftlichen Wertschöpfung, 1828–1880 (1828 = 100) Datengrundlage: Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabelle B.01. Preise wie Abbildung 6.4; Struktur der landwirtschaftlichen Wertschöpfung nach Kopsidis: Marktintegration, 197, 199 (auf 1828 zentriert sowie 1878/82). Bemerkungen: Die Struktur der landwirtschaftlichen Wertschöpfung mit den Bestandteilen Getreide, Erbsen, Kartoffeln und tierische Produktion wird für die Zeitpunkte ca. 1828 und 1880 (Mittelwert der Jahre 1878/82) erfasst. Dazwischen wird sie jährlich durch lineare Interpolation bestimmt, nach 1880 konstant gesetzt. Der Preisindex der landwirtschaftlichen Wertschöpfung wird als jährlich neu verketteter Fisher-Index gebildet.

Eine Bestimmung der Struktur der Wertschöpfung um 1900 liegt jenseits der Möglichkeiten der gegenwärtigen Studie . Wahrscheinlich erfolgte eine weitere Verschiebung zur Fleischerzeugung; zu Deutschland s . Hoffmann et al .: Wachstum, 313 .

17

197

198

Die Preisentwicklung von Agrarprodukten

Bis zur ersten Hälfte der 1850er Jahre zeigen der Preis des gewichteten Getreidekorbs und der Preisindex der landwirtschaftlichen Wertschöpfung dieselbe Entwicklung, wobei die Getreidepreise stärker schwankten als die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise insgesamt . Danach bewegten sich die beiden Reihen deutlich auseinander . Die Getreidepreise fielen von ihrem Maximum in der Krise von 1854/55 bis in die zweite Hälfte der 1870er Jahre wieder um etwa ein Fünftel zurück . Demgegenüber war der Erzeugerpreisindex, welcher die gesamte landwirtschaftliche Wertschöpfung abdeckt, in den 1860er Jahren nur wenig rückläufig und stieg im Laufe der 1870er Jahre auf ein gegenüber der Mitte der 1850er Jahre um etwa ein Zehntel höheres Niveau . Strukturwandel und Verschiebung relativer Preise bewirkten offensichtlich, dass die Getreidepreise nicht mehr repräsentativ für die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise insgesamt waren . Als Gesamtergebnis der durchgeführten Tests zeigt sich erstens, dass der Preis eines gewogenen Getreidekorbs wenigstens im 19 . Jahrhundert ziemlich robust gegenüber spezifischen Anbauverhältnissen und Preisbedingungen in der räumlichen Umgebung der untersuchten Güter ist . Es ist somit ohne erheblichen Informationsverlust möglich, nominale Pachtzinsen mit einem über den gesamten Untersuchungsraum hinweg aggregierten Preisindex zu deflationieren . Angesichts der langfristigen Stabilität relativer Preise zwischen verschiedenen Getreidesorten gilt diese Aussage mit ziemlicher Gewissheit auch schon für die Frühe Neuzeit . Zweitens ist es bis zu den frühen 1850er Jahren möglich, landwirtschaftliche Erzeugerpreise durch Getreidepreise darzustellen . Vor allem Verschiebungen der relativen Preise, sekundär der Bedeutungsgewinn der Veredelungswirtschaft und des Kartoffelanbaus, bewirkten aber in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts ein Auseinanderbewegen von Getreidepreisen und landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen insgesamt . Die vorliegenden Ergebnisse lassen es deshalb als ratsam erscheinen, spätestens ab etwa 1855 neben dem Preis des gewogenen Getreidekorbs den Preisindex der landwirtschaftlichen Wertschöpfung insgesamt als alternativen Deflator der Pachtzinsen zu verwenden .

Kapitel 7 Was bestimmte die Pachtzinsen? Preisbildung auf der Ebene einzelner Landparzellen

In diesem Kapitel  betrachten wir die Höhe des Preises für die Pacht von Land aus verschiedenen Blickwinkeln . Zunächst wird die grundsätzliche Wirksamkeit von Mechanismen der Preisbildung ausgelotet . Schon eine oberflächliche Betrachtung der gesammelten Informationen zeigt, dass der nominale Mietpreis für die Nutzung eines Flurstücks oft über lange Zeit stabil blieb, Pachtzinsen somit außerordentlich träge waren (Kapitel 7 .1) . Es stellt sich somit die Frage, wie gut sie sich an Schocks anpassen konnten . Hierzu schätzt Kapitel 7 .2 ein Fehlerkorrekturmodell des Zusammenhangs zwischen nominalen Pachten und Preisen von Agrargütern . Es erweist sich, dass Pachtzinsen durchaus auf Veränderungen von Produktpreisen reagierten, allerdings vor allem langfristig und nur wenig auf kurze Sicht . Kapitel 7 .3 behandelt die Preisbildung von Pachtland aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive . Die ökonomischen Klassiker waren der Meinung, dass der Verpächter die gesamte Differenz zwischen dem Rohertrag des Landes und den Bewirtschaftungskosten erhält, also die sogenannte ricardianische Rente . Wir können diese Vermutung anhand eines Vergleichs von bezahlten Pachten mit dem zwischen 1822 und 1835 durch die preußische Verwaltung festgesetzten Grundsteuerreinertrag, der ebenfalls die ricardianische Rente zu erfassen suchte, prüfen . Zuletzt untersuchen wir, wie Eigenschaften von Parzellen, wie die Größe und die Nutzungsweise, den Pachtzins beeinflusst haben (Kapitel 7 .4) . 7.1

Das Ausmaß der Trägheit von Pachtzinsen

Verfolgt man einzelne Parzellen über die Zeit hinweg hinsichtlich ihrer Verpachtungsgeschichte, so fällt auf, dass die Pachtzinsen oftmals über Dekaden und gar Jahrhunderte hinweg gar nicht schwankten, sondern stets auf dem gleichen nominalen Preis verharrten . Abbildung 7 .1 zeigt einige typische Beispiele aus der Rentei Nordkirchen;

200

Was bestimmte die Pachtzinsen?

ähnliche Verhältnisse finden sich auf den anderen untersuchten Gütern . Alle ausgewählten Parzellen weisen Phasen auf, in denen sie über mehrere Jahrzehnte hinweg zum selben Preis verpachtet wurden . Hier fällt besonders der Assbrock ins Auge, dessen Pacht von 1576 bis 1825 durchwegs 8 Taler kostete, und dessen Reihe abbricht, weil er verkauft oder mit anderen Parzellen zusammengelegt wurde . Die Konstanz der nominalen Pachtzinsen ist umso erstaunlicher, als der Taler im 17 . und 18 . Jahrhundert stark abwertete und vom Reichstaler der Reichsmünzordnung von 1566 mit knapp 26 Gramm Silber bis zum preußischen Taler im Graumannschen Fuß mit 16,7 Gramm Silber, der sich nach dem Siebenjährigen Krieg verbreitet durchsetzte, rund 36 % seines Werts verlor (s . grauen Graph in Abbildung 7 .1) . Diese Abwertungen waren öffentlich bekannt, wenn nicht den Pächtern, so allemal doch den Rentmeistern, welche die Pachten verhandelten . Dass letztere keine der Verminderung des intrinsischen Werts der Währung entsprechende Preissteigerungen durchsetzen konnten, kann zweierlei bedeuten: Entweder sank bei vielen verpachteten Grundstücken langfristig die Nachfrage, oder die Wirtschaftssubjekte maßen den nominalen Werten große Bedeutung zu . Da auch die Löhne von ungelernten Bauarbeitern in deutschen Städten zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und dem frühen 19 . Jahrhundert ausgesprochen träge waren, kann die zweite Möglichkeit erhebliche Plausibilität beanspru40 35

Assbrock Kuhkamp Roggenkamp Intrinsischer Wert des Reichstalers (Gramm Silber)

Flaßkamp, Teil Plansekenkamp Volbertskempken

30 25 20 15 10 5 0 1550

1575

1600

1625

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

Abbildung 7.1 Nominale Pachtzinsen ausgewählter Parzellen der Rentei Nordkirchen (Reichstaler) Datengrundlage: Pachtzinsen aus Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1); intrinsischer Wert des Reichstalers aus Zeitreihen Landpacht (Anhang A7.1), Tabelle C.01; vgl. auch Anhang A5.

Trägheit von Pachtzinsen

chen .1 Vermutlich unterlagen die Wirtschaftssubjekte einer Geldillusion: Die Pächter unterschieden nicht zwischen dem nominalen Wert der Währung und dem intrinsischen Wert in Silber beziehungsweise der Kaufkraft im Sinn des relativen Preises zu anderen Gütern . Sie hätten eine Pachtanpassung an die Entwertung nicht als Akt der Konstanz, sondern als Pachterhöhung wahrgenommen . Und umgekehrt waren den Rentmeistern die Argumente, die für eine Preisanpassung nach oben sprachen, entweder nicht geläufig, oder sie konnten sie nicht konsequent vertreten . Ein möglicher Grund für die relativ ausgeprägte Trägheit von Pachtzinsen sowie ihre fehlende Sensitivität selbst gegenüber der Veränderung des intrinsischen Gehalts bestand in der begrenzten Fähigkeit der Zeitgenossen zum Umgang mit Zahlen (numeracy) .2 Hierauf weist der Sachverhalt hin, dass viele Pachtzinsen runde Beträge aufwiesen: Die Miete des Flaßkamps kostete vom späten 16 . zum frühen 18 . Jahrhundert 20 Taler, diejenige des Kuhkamps im ganzen 17 . Jahrhundert 30 Taler, diejenige des Roggenkamps bis über die Mitte des 18 . Jahrhunderts hinaus 5 Taler . Andere Parzellen kosteten ganze Talerbeträge, wie schon der erwähnte Assbrock (8 Taler) . Offensichtlich kalkulierten Zeitgenossen Preise nicht exakt als kontinuierliche Werte, sondern wählten diskrete Werte, die sich leicht erinnern ließen und mit denen man auch einfach rechnen konnte . Allerdings waren durchaus nicht alle Pachtzinsen über lange Zeit träge . Unter den Beispielen in Abbildung 7 .1 erfuhr etwa der Zins für das Volbertskempken wiederholte Erhöhungen, wobei aus den Rechnungen keine Befristungen der Pachtperioden dieser Parzelle ersichtlich sind . Denkbar ist eine Kombination aus unbefristeter Vergabe und explizit oder implizit arrangierter Möglichkeit der Veränderung des Pachtzinses; Trägheit und Volatilität von Pachten standen nicht im Zusammenhang mit der Vertragsgestaltung als befristeter oder unbefristeter Pacht (vgl . oben, Kapitel 4 .4) . Für diejenigen drei Güter, deren Quellen das 18 . und das 19 .  Jahrhundert in der Gänze abdecken – Anholt, Assen und Nordkirchen –, bestimmen wir im Folgenden das Ausmaß von Preisträgheit bei Pachten und seine Entwicklung über die Zeit hinweg . Dabei beschränken wir uns auf Pachtobjekte, die mindestens über fünfzehn Jahre hinweg dokumentiert sind . Diese Einschränkung wurde getroffen, weil förmlich vereinbarte Pachtverträge sich auf bis zu zwölf Jahre erstrecken konnten (s . oben, Kapitel 4 .4) . Eine Parzelle muss länger als eine Periode verpachtet worden sein, damit überhaupt die Chance einer Preisanpassung bestand . Mit einer Untergrenze von fünfzehn Jahren ist diese sichergestellt . Das Ausmaß der Preisvolatilität beziehungsweise Trägheit lässt sich bemessen als das Verhältnis der Anzahl an Jahren mit Änderungen des Pachtzinses zur Zahl aller mit Buchungen nachgewiesenen Pachtjahre . Grundgesamtheit sind alle jeweils über Pfister: Timing and Pattern, Anhang S2 .4 . In Bezug auf die Häufung von Altersangaben bei runden Zahlen s . A’Hearn et al .: Quantifying Quantitative Literacy; Baten et al .: Zahlenfähigkeit . 1 2

201

Was bestimmte die Pachtzinsen?

zwei zeitlich benachbarte Rechnungsbücher hinweg beobachteten Pachtstücke . Abbildung 7 .2 fasst diese Daten jahrzehnteweise zusammen und zeigt somit, wie sich die Volatilität beziehungsweise Trägheit von Pachtzinsen insgesamt über die Zeit hinweg entwickelt hat . Die Zehnjahresperioden sind jeweils auf runde Jahrzahlen zentriert (d . h . der Punkt zu 1740 bezieht sich auf das Jahrzehnt 1735–1744, etc .) . Abbildung 7 .3 bezieht demgegenüber die Veränderungshäufigkeit des Pachtzinses auf das einzelne Grundstück . Die Zahl an Veränderungen des Pachtzinses über die gesamte Dauer, über die eine Parzelle innerhalb einer Periode dokumentiert ist, wird dabei auf Dekaden normalisiert . Somit werden die einzelnen Flurstücke hinsichtlich der mittleren Häufigkeit, mit der sich ihr Preis pro Dekade gegenüber dem letzten bekannten vorhergehenden Preis verändert hat, miteinander verglichen . Auf diese Weise lässt sich prüfen, wieweit auf den einzelnen Gütern mehrere Marktsegmente bestanden, die durch ein unterschiedliches Ausmaß an Preisträgheit gekennzeichnet waren . In Nordkirchen, dem Besitzkomplex, für den die Informationen am weitesten zurückreichen, lassen sich über die Zeit hinweg deutliche Veränderungen in der Häufigkeit von Pachtanpassungen feststellen . Nach einer eher unruhigen Preisentwicklung am Ende des 16 . Jahrhunderts, die allerdings auf Informationen über nur wenige Parzellen beruht, ist das 17 . Jahrhundert, vor allem das dritte Viertel, von extrem seltenen Pachtveränderungen geprägt: Bis um 1690 kommen auf ein Pachtjahr mit Pachtveränderung mehr als zwanzig mit unveränderter Pacht . Auch bei den Nominallöhnen ungelernter städtischer Bauarbeiter nahm nach dem Dreißigjährigen Krieg die Trägheit stark zu .3 Es kann deshalb vermutet werden, dass sich vom 16 . zur zweiten Hälfte des 17 . Jahrhunderts 35%

8.000 Anholt

7.000 6.000

25%

5.000 20% 4.000 15% 3.000 10%

2.000

5%

a

3

0% 1600

1.000

1625

1650

1675

1700

1725

1750

S . nochmals Pfister: Timing and Pattern, Anhang S2 .4 .

1775

1800

1825

1850

1875

0 1900

Anzahl der einbezogenen Pachtreihen pro Dekade

30% Anteil der Pachtjahre mit Pachtänderungen

202

Trägheit von Pachtzinsen

Assen

1.400 1.200

25%

1.000 20% 800 15% 600 10%

400

5%

0% 1625

b

200

1650

1675

1700

1725

1750

1775

1800

1825

1850

1875

1900

35%

Anteil der Pachtjahre mit Pachtänderungen

30%

c

0

3.500 Nordkirchen

3.000

25%

2.500

20%

2.000

15%

1.500

10%

1.000

5%

500

0% 1550 1575 1600 1625 1650 1675 1700 1725 1750 1775 1800 1825 1850 1875 1900

0

Anzahl der einbezogenen Pachtreihen pro Dekade

Anteil der Pachtjahre mit Pachtänderungen

30%

Anzahl der einbezogenen Pachtbuchungen pro Dekade

1.600

35%

Abbildung 7.2 a–c Häufigkeit von Änderungen des Pachtzinses auf drei Gütern im Zeitverlauf: Verhältnis von Jahren mit Pachtänderung gegenüber der Anzahl aller Pachtjahre, Mittel pro Dekade (Rauten, linke Skala) Datengrundlage: Forschungsdaten Landpacht (Anhang A7.1). Bemerkungen: Basis sind nominale Pachten in Taler; die gestrichelten Graphen bezeichnen die Zahl der zugrunde liegenden Pachtreihen (rechte Skala). Die Werte beziehen sich auf zentrierte Dekaden (d. h. 1800 entspricht 1795–1804).

203

204

Was bestimmte die Pachtzinsen?

die zeitgenössische Wahrnehmung von Preisen dahingehend veränderte, dass letztere traditionell überkommene und damit gerechte Austauschbeziehungen widerspiegelten . Es sei wiederholt, dass diese Fixierung auf nominale Werte Geldillusion impliziert . Vom späten 17 . zum dritten Viertel des 18 . Jahrhunderts waren die Pachtzinsen der Rentei Nordkirchen bereits wieder variabler; zwischen 5 und 10 % aller Pachten erfuhren jeweils Veränderungen gegenüber dem zuletzt davor festgesetzten Wert . Im späten 18 . Jahrhundert nahm die Volatilität sprunghaft zu, um im frühen 19 . Jahrhundert einen Höhepunkt zu erreichen; 1815–1824 unterschieden sich 26 % aller Pachtzinsen vom zuletzt davor bekannten Wert . Danach wurden Pachten wieder ähnlich träge wie im 18 . Jahrhundert . Die vergleichsweise hohe Volatilität der Pachtzinsen zu Beginn des 19 . Jahrhunderts deckt sich mit der Beobachtung, dass in dieser Zeit die Rentei Nordkirchen den Ertrag aus der Verpachtung von Land durch die Einführung formaler Marktmechanismen zu steigern suchte . Möglichst für alle ablaufenden Verträge wurden die Zinsen neu ausgehandelt, und Pachtobjekte wurden vermehrt über Auktionen an den Meistbietenden vergeben, was nicht immer gelang (vgl . Kapitel 4 .5) . Es könnte also sein, dass in dieser Zeit die Höhe der Pachtzinsen eher Bedingungen von Angebot und Nachfrage widerspiegelte als davor . Abbildung 7 .3 unterscheidet wie erwähnt die einzelnen Parzellen danach, wie oft sich ihre Pachtzinsen im Mittel pro Dekade veränderten . Entsprechend der mittleren Zahl an Veränderungen pro Jahrzehnt wurden sie fünf Klassen zugeordnet . Die vertikale Achse zeigt den Anteil einer jeweiligen Veränderungsklasse an allen Pachtreihen an . Die Periodeneinteilung schließlich richtet sich nach den in Abbildung 7 .2 erkennbaren Phasen unterschiedlicher Volatilität . Auf Nordkirchen wiesen zwischen 1610 und 1779 nahezu 40 % der Parzellen konstante Pachtzinsen auf, aber immerhin knapp ein Drittel der Parzellen erfuhr immer wieder Veränderungen der Pachtzinsen (Klassen 1,00–1,99 und darüber) . Es gab somit in dieser Periode möglicherweise je nach Flurstück unterschiedliche Verfahrensweisen der Preisbildung; der Pachtmarkt war eventuell segmentiert . In der darauffolgenden Periode bis 1839, die durch vergleichsweise hohe Volatilität geprägt war, ist das Bild sehr gemischt . Auch in dieser Zeit ist für fast ein Viertel aller Reihen nicht eine einzige Veränderung des Pachtzinses belegt . Gleichzeitig erfuhren fast 40 % aller Parzellen im Mittel mindestens zwei Preisveränderungen innerhalb eines Jahrzehnts . Da die modale Pachtdauer in dieser Zeit sechs Jahre betrug (Tabelle 4 .5 in Kapitel 4 .4), bedeutet dies, dass verbreitet bei jedem Vertragsschluss ein neuer Preis vereinbart wurde . In der Periode von 1840 bis 1900 schließlich änderten sich die Pachtzinsen meistens ein oder zwei Mal innerhalb von 10 Jahren; der Anteil der Pachtparzellen ohne Preisveränderung sank auf 5 % . Da in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts die meisten Objekte für zwölf Jahre verpachtet wurden, ist der Rückgang der aggregierten Volatilität gegen Ende der Untersuchungsperiode (Abbildung 7 .2) vor allem auf die starke Ausdehnung der Vertragslaufzeiten zurück zu führen . Preisträgheit über mehrere Vertragsperioden war dagegen sehr selten geworden; dass bei einer Neuvermietung auch der Preis angepasst wurde, war nun üblich .

Trägheit von Pachtzinsen

60% Anholt 1610–1779 (374 Reihen, 13.086 Buchungen)

50%

1780–1839 (435 Reihen, 9.127 Buchungen) 1840–1900 (872 Reihen, 16.465 Buchungen) 40%

30%

20%

10%

a

0%

0

>0 und