Table of contents : Dank 1 Einleitung 1.1 Zielstellung 1.2 Stand der Forschung 1.2.1 Orthographietheoretische und sprachhistorische Grundlagenuntersuchungen 1.2.2 Zur Entwicklung der Kodifikation der Fremdwortschreibung 1.2.3 Zur Entwicklung des Usus der Fremdwortschreibung 2 Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung 2.1 Orthographische Fremdworttheorie 2.2 Aspekte der Orthographietheorie 2.2.1 Schreibung und Orthographie 2.2.2 Orthographische Regeln 2.2.3 Die Norm der Fremdwortschreibung 2.3 Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation 2.3.1 Die Einordnung der Fremdwortschreibung in das orthographische Prinzipienmodell 2.3.2 Graphematische Besonderheiten der Fremdwortschreibung 2.3.2.1 Graphemtheorie 2.3.2.2 Grapheminventare 2.3.2.2.1 Das heimische Grapheminventar 2.3.2.2.2 Das Inventar der Fremdgrapheme im Deutschen 2.3.3 Graphematische Bezeichnung der Vokalquantität bei Fremdwörtern 2.3.4 Möglichkeiten graphematischer Assimilation 2.3.4.1 Graphemische Assimilation 2.3.4.2 Phono-graphemische Assimilation 2.3.4.3 Grapho-phonemische Assimilation 2.3.5 Assimilationsfaktoren 2.3.5.1 Assimilationsfaktoren im Ãœberblick 2.3.5.2 Begriffsklärungen zur Analyse der Assimilationsfaktoren 2.3.5.2.1 Fachwort 2.3.5.2.2 Zitatwort und die Verwendung von Antiqua in Frakturtexten 3 Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Grammatiken, Orthographielehren und orthographischen Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts 3.1 Die orthographischen Richtungen des 19. Jahrhunderts und die Entwicklung zu einer einheitlichen graphischen Norm 3.2 Das Untersuchungsmaterial 3.2.1 Zeitliches Kriterium 3.2.2 Kriterium Entwicklungsstrang der Orthographie und orthographietheoretische Richtung 3.2.3 Kriterium Auflagenstärke 3.2.4 Kriterium Bewertung in der Literatur 3.2.5 Das Regelkorpus 3.3 Das Analyseraster zur Untersuchung der Regelwerke 3.4 Auswertung des Befundes 3.4.1 Graphemübergreifende Regelung der Fremdwortschreibung 3.4.1.1 Regelung in den Grammatiken und Orthographielehren 3.4.1.2 Regelung in den Schulorthographien und in den Regelwerken der orthographischen Konferenzen 3.4.1.3 Regelung in den Wörterbüchern 3.4.1.4 Regeln zur Schreibung der Zitatwörter, Verwendung von Fraktur und Antiqua 3.4.1.5 Zusammenfassung zur graphemübergreifenden Regelung 3.4.2 Graphemspezifische Regelung der Fremdwortschreibung 3.4.2.1 und 3.4.2.2 3.4.2.2.1 Das ieren-Suffix 3.4.2.2.2 Andere Längenkennzeichnungen mit 3.4.2.3 3.4.2.4 Doppelkonsonantenbuchstaben 3.4.2.5 Akzentgrapheme 3.4.2.5.1 Französische Cedille 3.4.2.5.2 Akut, Gravis und Zirkumflex 3.4.2.6 Assimilationsresistente Grapheme: , , , , , und 3.4.2.7 Regelung zur Schreibung weiterer Fremdgrapheme 3.4.3 Einzelwortregelungen im Vergleich 3.4.4 Zusammenfassung zur graphemspezifischen Regelung 4 Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts 4.1 Das Untersuchungsmaterial 4.1.1 Zeitliches Kriterium 4.1.2 Kriterium Textsorte 4.1.3 Kriterium der Fremdwortdichte 4.1.4 Das Textkorpus 4.2 Das Analyseraster zur Untersuchung der Gebrauchstexte 4.2.1 Problematisches Graphem und phonemische Assimilation 4.2.2 Flexivische Assimilation 4.2.3 Entlehnungszeitpunkt 4.2.4 Wortschatzzugehörigkeit 4.2.5 Spendersprache 4.2.6 Zitatwortstatus 4.3 Auswertung des Befundes 4.3.1 Das Fremdgrapheminventar der Gebrauchstexte 4.3.2 Graphemübergreifender Befund nach Assimilationsfaktoren 4.3.2.1 Allgemeine Auswertung 4.3.2.2 Einfluss formaler Veränderung des Wortes 4.3.2.3 Einfluss des Schrifttyps 4.3.2.4 Einfluss von Entlehnungszeitpunkt, Gebrauchshäufigkeit und Fachwortstatus 4.3.2.5 Einfluss der Spendersprache 4.3.2.6 Einfluss der Fremdgraphemanzahl 4.3.2.7 Einfluss des Zitatwortstatus 4.3.2.8 Hyperassimilationen 4.3.2.9 Zusammenfassung zum graphemübergreifenden Befund 4.3.3 Graphemspezifischer Befund 4.3.3.1 und 4.3.3.2 4.3.3.3 4.3.3.4 Doppelkonsonantenbuchstaben 4.3.3.5 Akzentgrapheme 4.3.3.6 Assimilationsresistente Grapheme , , , , bzw. 4.3.3.7 Selten geregelte Fremdgrapheme 4.3.3.7.1 Assimilierte Grapheme 4.3.3.7.2 Assimilationsresistente Grapheme 4.3.3.7.3 Teilweise assimilierte Grapheme 4.3.3.8 Zusammenfassung zum graphemspezifischen Befund 5 Zusammenfassung und Ausblick Anhang 6 Einzelwortregeln im Vergleich 6.1 Wortliste Vergleich Grammatiken 6.2 Wortliste Vergleich Schulorthographien 6.3 Wortliste Vergleich Wörterbücher 7 Graphemübergreifende Befunde der Ususanalyse 8 Graphemspezifische Befunde der Ususanalyse 9 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 9 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 10 Abkürzungsverzeichnis 11 Literaturverzeichnis 11.1 Primärliteratur 11.1.1 Regelwerke 11.1.2 Usustexte 11.2 Sekundärliteratur 11.3 Hilfsmittel 11.3.1 Hilfsmittel zur Fachwortbestimmung 11.3.2 Hilfsmittel zur Zitatwortbestimmung 11.3.3 Weitere Hilfsmittel (u. a. zur Herkunfts- und Aussprachebestimmung) 11.4 Verwendete Software
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Die Entwicklung der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert
Lingua Historica Germanica
Studien und Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Herausgegeben von Stephan Müller, Jörg Riecke, Claudia Wich-Reif und Arne Ziegler
Band 11
Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte e.V.
Anne Zastrow
Die Entwicklung der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert Kodifikation und Usus
Dank Mit dem Erscheinen des vorliegenden Bandes kommt ein Projekt zum Abschluss, dessen Ergebnis im Wintersemester 2011/12 an der Universität Rostock als Dissertation angenommen und im Wintersemester 2012/13 verteidigt wurde. Mein größter Dank gebührt meiner Doktormutter Prof. Dr. Petra Ewald, die mein Projekt mit viel Engagement betreut hat. Die zahlreichen fachlichen Diskussionen sowie die stets wohlwollende und hilfreiche Kritik haben die Arbeit wesentlich geprägt. Ebenso danke ich Prof. Dr. Ursula Götz für die Übernahme des Zweitgutachtens und nicht zuletzt meinem Drittgutachter Prof. Dr. Rolf Bergmann, der neben Petra Ewald wesentlicher Impulsgeber zur Bearbeitung des Themas war. Darüber hinaus bin ich Prof. Dr. Dieter Nerius sehr zu Dank verpflichtet, der mein Interesse an der deutschen Orthographie nachhaltig geprägt und die Entstehung dieser Arbeit in allen Phasen interessiert begleitet hat. Außerdem danke ich Prof. Dr. Thomas Becker, der mir in Gesprächen bei der Grundlegung der Arbeit im phonologischen Bereich sehr geholfen hat. Die unermüdliche Arbeit von unserer studentischen Hilfskraft Andrea Freudenfeld sorgte dafür, dass die Bearbeitung des Textkorpus zügig vonstatten gehen konnte. Die anschließende Auswertung der zahllosen Fremdwortbelege wäre ohne die eigens für dieses Projekt programmierte Software „Frewo“ nicht möglich gewesen. In dieser Software steckt die Arbeit von Thomas Rieger und Guido Lampe, denen ich ebenso herzlich danke. Die Finanzierung dieses Projekts wurde durch die Landesgraduiertenförderung Mecklenburg-Vorpommern möglich, die mich drei Jahre mit einem Stipendium unterstützt hat. Für die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe Lingua Historica Germanica und damit den endgültigen Abschluss des Projekts danke ich den Reihenherausgebern Stephan Müller, Jörg Riecke, Claudia Wich-Reif und Arne Ziegler sowie den Mitarbeitern des Verlags. Meinem Mann und meiner Familie danke ich für die kontinuierliche Motivation, das große Verständnis für meine Arbeit und natürlich auch für das kritische Lesen. Anne Zastrow, September 2014
V Einleitung 1 1 Zielstellung 3 Stand der Forschung Orthographietheoretische und sprachhistorische 3 Grundlagenuntersuchungen Zur Entwicklung der Kodifikation der Fremdwortschreibung 9 Zur Entwicklung des Usus der Fremdwortschreibung
3
Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung 11 11 Orthographische Fremdworttheorie 15 Aspekte der Orthographietheorie 15 Schreibung und Orthographie 18 Orthographische Regeln 21 Die Norm der Fremdwortschreibung Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der 24 Assimilation 2.3.1 Die Einordnung der Fremdwortschreibung in das orthographische 24 Prinzipienmodell 26 2.3.2 Graphematische Besonderheiten der Fremdwortschreibung 27 2.3.2.1 Graphemtheorie 31 2.3.2.2 Grapheminventare 31 2.3.2.2.1 Das heimische Grapheminventar 35 2.3.2.2.2 Das Inventar der Fremdgrapheme im Deutschen 2.3.3 Graphematische Bezeichnung der Vokalquantität bei 40 Fremdwörtern 48 2.3.4 Möglichkeiten graphematischer Assimilation 50 2.3.4.1 Graphemische Assimilation 52 2.3.4.2 Phono-graphemische Assimilation 63 2.3.4.3 Grapho-phonemische Assimilation 64 2.3.5 Assimilationsfaktoren 65 2.3.5.1 Assimilationsfaktoren im Überblick 74 2.3.5.2 Begriffsklärungen zur Analyse der Assimilationsfaktoren 74 2.3.5.2.1 Fachwort 77 2.3.5.2.2 Zitatwort und die Verwendung von Antiqua in Frakturtexten
VIII 3
Inhalt
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Grammatiken, Orthographielehren und orthographischen Wörterbüchern 79 des 19. Jahrhunderts 3.1 Die orthographischen Richtungen des 19. Jahrhunderts und die 79 Entwicklung zu einer einheitlichen graphischen Norm 88 3.2 Das Untersuchungsmaterial 93 3.2.1 Zeitliches Kriterium 3.2.2 Kriterium Entwicklungsstrang der Orthographie und 93 orthographietheoretische Richtung 94 3.2.3 Kriterium Auflagenstärke 94 3.2.4 Kriterium Bewertung in der Literatur 98 3.2.5 Das Regelkorpus 103 3.3 Das Analyseraster zur Untersuchung der Regelwerke 106 3.4 Auswertung des Befundes 107 3.4.1 Graphemübergreifende Regelung der Fremdwortschreibung 107 3.4.1.1 Regelung in den Grammatiken und Orthographielehren 3.4.1.2 Regelung in den Schulorthographien und in den Regelwerken 138 der orthographischen Konferenzen 151 3.4.1.3 Regelung in den Wörterbüchern 3.4.1.4 Regeln zur Schreibung der Zitatwörter, Verwendung von Fraktur und 154 Antiqua 157 3.4.1.5 Zusammenfassung zur graphemübergreifenden Regelung 165 3.4.2 Graphemspezifische Regelung der Fremdwortschreibung 165 3.4.2.1 und 191 3.4.2.2
191 3.4.2.2.1 Das ieren-Suffix 197 3.4.2.2.2 Andere Längenkennzeichnungen mit 202 3.4.2.3
207 3.4.2.4 Doppelkonsonantenbuchstaben 218 3.4.2.5 Akzentgrapheme 218 3.4.2.5.1 Französische Cedille 219 3.4.2.5.2 Akut, Gravis und Zirkumflex 3.4.2.6 Assimilationsresistente Grapheme: , , , , 223 , und 234 3.4.2.7 Regelung zur Schreibung weiterer Fremdgrapheme 254 3.4.3 Einzelwortregelungen im Vergleich 261 3.4.4 Zusammenfassung zur graphemspezifischen Regelung
Inhalt
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IX
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten 265 des 19. Jahrhunderts 265 4.1 Das Untersuchungsmaterial 266 4.1.1 Zeitliches Kriterium 266 4.1.2 Kriterium Textsorte 269 4.1.3 Kriterium der Fremdwortdichte 269 4.1.4 Das Textkorpus 273 4.2 Das Analyseraster zur Untersuchung der Gebrauchstexte 276 4.2.1 Problematisches Graphem und phonemische Assimilation 277 4.2.2 Flexivische Assimilation 278 4.2.3 Entlehnungszeitpunkt 279 4.2.4 Wortschatzzugehörigkeit 279 4.2.5 Spendersprache 281 4.2.6 Zitatwortstatus 283 4.3 Auswertung des Befundes 284 4.3.1 Das Fremdgrapheminventar der Gebrauchstexte 286 4.3.2 Graphemübergreifender Befund nach Assimilationsfaktoren 287 4.3.2.1 Allgemeine Auswertung 288 4.3.2.2 Einfluss formaler Veränderung des Wortes 301 4.3.2.3 Einfluss des Schrifttyps 4.3.2.4 Einfluss von Entlehnungszeitpunkt, Gebrauchshäufigkeit und 303 Fachwortstatus 321 4.3.2.5 Einfluss der Spendersprache 329 4.3.2.6 Einfluss der Fremdgraphemanzahl 330 4.3.2.7 Einfluss des Zitatwortstatus 331 4.3.2.8 Hyperassimilationen 332 4.3.2.9 Zusammenfassung zum graphemübergreifenden Befund 335 4.3.3 Graphemspezifischer Befund 335 4.3.3.1 und 351 4.3.3.2
Literaturverzeichnis 593 593 Primärliteratur 593 Regelwerke 596 Usustexte 599 Sekundärliteratur 611 Hilfsmittel 611 Hilfsmittel zur Fachwortbestimmung 612 Hilfsmittel zur Zitatwortbestimmung Weitere Hilfsmittel (u. a. zur Herkunfts- und Aussprache612 bestimmung) 612 Verwendete Software
11.4
405
437 495
590
1 Einleitung 1.1 Zielstellung Der Wortschatz des Deutschen umfasst neben indigenen Wörtern auch in großem Umfang Wörter und Wortbildungseinheiten, die aus anderen Sprachen entlehnt wurden. Mit dem Entlehnungsprozess, der etwa aus Gründen eines kulturellen, politischen, gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen ‚Defizits‘ gegenüber dem gebenden Land stattfindet und bei dem die nehmende Sprache mit ihren Sprechern den aktiven Part bildet (Havránek 1966, 92, vgl. auch Blanár 1968, 155; Daniels 1979, 147), beginnt gleichzeitig der Einbürgerungsprozess der übernommenen Einheiten, d. h. die formale und semantische Integration. Dabei hat die graphematische Assimilation einen entscheidenden Anteil. Das Lehngut weist dementsprechend entweder ganz oder teilweise bewahrte Schreibung auf (z. B. dt. Farce – frz. farce, dt. Revolution – lat. revolutio, dt. Physik – lat. physica) oder aber eine vollständige graphematische Assimilation (z. B. dt. Möbel – frz. meuble; dt. Zirkel – lat. circulus; dt. Jacke – frz. jaque). Über solche Assimilationsprozesse gibt es – abgesehen von der gut dokumentierten Reformdiskussion des 20. Jahrhunderts, deren Teil die Fremdwortschreibung war – nur bruchstückhafte und nicht aufgrund umfassender systematischer Untersuchungen gewonnene Ergebnisse zur Orthographiegeschichte vor 1901 (vgl. Forschungsstand: Kapitel 1.2). Das wurde auch schon im Zusammenhang mit der Reformdiskussion, die letztlich immer im Einklang mit den Schreibungstendenzen geführt werden muss, bemängelt. Die Mannheimer Kommission für Rechtschreibfragen sah sich mit Beginn ihrer Arbeit an der Reform der Fremdwortschreibung u. a. der folgenden Frage gegenüber: Wie weit ist die graphemische Integration von Entlehnungen im Deutschen fortgeschritten? In welchen Fallgruppen gibt es angebahnte Entwicklungen der Integration (z. B. armée zu dt. Armee), wo dagegen nicht? (Munske 1997b, 109)
Auch Klaus Heller und Brigitte Walz führen dieses Argument bei der Begründung ihres Untersuchungsthemas an: Im Laufe der langjährigen Arbeit am Projekt einer Reform der deutschen Orthographie hat sich für die Weiterentwicklung der Fremdwortschreibung der Gedanke als tragend herausgestellt, daß eine jede Veränderung der Fremdwortschreibung, die bewußt und geplant erfolgt, nur im Sinne einer Angleichung geschehen kann, da sie stets einen Eingriff in den ständig vor sich gehenden Prozeß, der sprachgeschichtliche Dimensionen besitzt, nicht entgegenstellen kann. Das hatte zur Folge, daß besonderes Augenmerk den angebahnten Entwicklungen geschenkt werden mußte. Dabei richtete sich die Aufmerksamkeit vor allem auf solche Graphemsubstitutionen, die sich anhand des heutigen Wortschatzmaterials nachweisen ließen. Immer deutlicher wurde aber ein Mangel an weiter zurückschauenden Untersuchungen empfunden. Mit der vorliegenden Arbeit, die sich ausschnitthaft mit der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert befaßt und ihre Aufgabe hauptsächlich in der empirischen Erfassung und Darbietung sieht, soll ein erster Beitrag dazu geleistet werden, diese Lücke zu schließen. (Heller/Walz 1992, 280)
2
Einleitung
Einen weiteren und deutlich umfangreicheren Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke will diese Arbeit liefern und nachweisen, ob und in welchem Umfang die angeblich „sprachgeschichtlich nachgewiesene allmähliche Integration von Fremdwörtern“ (Zabel 1997, 145) auch tatsächlich stattgefunden hat. So bleibt sie nicht allein eine historische Untersuchung, sondern will ebenso als Grundlage zur Bewertung aktuell vorgenommener und ausstehender Neuregelungen der Fremdwortschreibung dienen (vgl. Stock 1981, 13). Ziel der Arbeit ist die Darstellung dieser graphematischen Assimilationsprozesse (und auch eventueller Rücknahmeprozesse) im 19. Jahrhundert, die 1901 mit der Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung auf der II. Orthographischen Konferenz ihren Abschluss gefunden haben. Das Haupterkenntnisinteresse richtet sich auf die zeitlichen Verläufe der graphematischen Entwicklungsprozesse in Usus und Kodifikation, auf die Einflussfaktoren, die eine Assimilation begünstigen oder verhindern, und schließlich auf die orthographiegeschichtlich immer relevante Frage, ob und inwiefern sich die Norm aus dem Schreibusus entwickelt hat bzw. die Grammatiker normierend eingegriffen haben. Dazu wurden ein repräsentatives Textkorpus und parallel dazu einschlägige orthographische Regelwerke auf die Schreibung und die Schreibungsregelung von Fremd- und Lehnwörtern auf der graphematischen Ebene untersucht (zum Vorgehen im Einzelnen vgl. Kapitel 3.2, 3.3; 4.1 und 4.2). Die Arbeit will – im Rahmen der Fremdwortschreibung – Prozesse transparent machen, die zur heutigen deutschen Orthographie geführt haben. Sie versteht sich als ein erster Teil zur Geschichte der Fremdwortschreibung und damit als ein bislang noch nicht erforschter Teil der Orthographiegeschichtsschreibung. Wünschenswert wären weiterführende Untersuchungen zu den vorangegangenen Jahrhunderten. Gründe für die Wahl des 19. Jahrhunderts als Untersuchungszeitraum waren nicht nur die Nähe zur Reformdiskussion im 20. Jahrhundert, sondern auch die Annahme einer besonders hohen Fremdwortdichte, der mögliche Einfluss sprachpuristischer Tendenzen, die in diesem von einem erstarkten Nationalbewusstsein geprägten Jahrhundert möglicherweise in den Regelwerken deutlich werden, und schließlich und vor allem die Erwartung besonders ergiebiger Besprechungen dieses Schreibungsphänomens in den Regelwerken – nachdem in den vorangegangenen Jahrhunderten vermutlich eher die graphische Norm der indigenen Wörter thematisiert wurde. Daneben kann die Arbeit einen Beitrag zur Geschichte des deutschen Wortschatzes liefern, zumal sich die meisten existierenden Arbeiten zur Fremdwortproblematik kaum oder nur in kurzen Abrissen graphematischen Assimilationsprozessen (vgl. z. B. Sörensen 1995, Yang 1990 und Müller 1995) widmen.
Stand der Forschung
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1.2 Stand der Forschung 1.2.1 Orthographietheoretische und sprachhistorische Grundlagenuntersuchungen Im Fokus dieser Arbeit soll nur ein Teil der Fremdwortschreibung – die fremden Phonem-Graphem-Beziehungen – stehen, obwohl sich fremde graphische Merkmale auch in anderen orthographischen Regelbereichen zeigen, etwa in Besonderheiten bei der Groß- und Kleinschreibung, bei der Worttrennung am Zeilenende und der Getrennt- und Zusammenschreibung. All diese graphischen Abweichungen vom heimischen Wortschatz könnten zum Gegenstand einer historischen Arbeit zur Fremdwortorthographie werden. Diese Dissertation beschränkt sich allerdings auf die Beschreibung graphematischer Assimilationsprozesse. Grundlage für die vorliegende Arbeit müssen also Untersuchungen sowohl zum heimischen als auch zum fremden Phonographeminventar und der Distribution der Phonographeme sein, die zahlreich für die aktuelle deutsche Orthographie vorliegen (z. B. Augst 1987b und 1995, Eisenberg 2009 und 2006, Heller 1975, 1981c und 1986, Maas 1992, Munske 1997a–c, Nerius u. a. 2007). Diese Arbeiten wurden der Analyse der historischen Texte als theoretische und pragmatische Beschreibungsfolie zugrunde gelegt. Neben diesen Arbeiten zum Grapheminventar greift die vorliegende Untersuchung auch auf ganz grundlegende Forschungsliteratur zur Fremdworttheorie und zu den Einbürgerungsprozessen von Fremdwörtern – auch auf der graphischen Ebene – zurück (z. B. Betz 1974, Heller 1966, 1975, 1980, 1981a–c, 1986, von Polenz 1979, Schank 1978, Yang 1990, Blanár 1968, Heller 1981c, Munske 1983, 1997c, 1997e, Eisenberg 2012). Ebenfalls grundlegend sind zahlreiche Forschungsarbeiten zur Orthographiegeschichte, seien es Beiträge in sprach- und orthographiegeschichtlichen Überblicksdarstellungen (z. B. Bramann 1982, von Polenz 1999, Scheuringer 1996, Tschirch 1989, Kirkness 1975) oder auch detailliertere Abhandlungen über einzelne orthographische Regelbereiche oder ausgewählte Kodifikationen (u. a. Bergmann/Nerius 1998, Döring 1984, Ehrhard 1998, Eisenberg 1986, Ewald 1990, Hass-Zumkehr 1995a, Heller/Walz 1992, Hofrichter 1992, Möller 1985 und 1992, Nerius 2000a–d). Insgesamt ergibt sich so eine gut ausgebaute und tragfähige Grundlage zur Einordnung der in dieser Arbeit vorgelegten Ergebnisse zur Entwicklung der Fremdwortschreibung in den orthographiegeschichtlichen Zusammenhang.
1.2.2 Zur Entwicklung der Kodifikation der Fremdwortschreibung Die Regelung der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert mit ihren Grundsätzen und Entwicklungstendenzen (in Grammatiken, Orthographielehren und orthogra-
4
Einleitung
phischen Wörterbüchern) ist bislang nicht umfassend und vergleichend untersucht worden. Die einzige Ausnahme stellt der Regelbereich der Groß- und Kleinschreibung der (substantivischen) Fremdwörter dar, der mit der Arbeit von Petra Krohn (Krohn 2001) für den hier relevanten Zeitraum gut dokumentiert ist. Ich kann darüber hinaus allerdings auch auf einzelne Arbeiten zu Grammatikern bzw. Kodifikationen des 19. Jahrhunderts zurückgreifen, in denen zuweilen die Regeln der Fremdwortschreibung beschrieben werden, z. B. Arbeiten zu Johann Christoph Adelung [grundlegend für das 19. Jahrhundert] (Ewald 1990), Karl Ferdinand Becker (Hofrichter 1992), zu Regelungsvorschlägen im Umfeld der I. Orthographischen Konferenz (Zabel 1987b), zum preußischen Regelbuch und zum Duden (Böhme 2001 und Langner 1995) sowie zu den Kodifizierungen um die Jahrhundertwende (Güthert 2011). Mit der Arbeit von Heller/Walz (Heller/Walz 1992) existiert eine vergleichende Untersuchung von (nicht ausschließlich orthographischen) Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts zur Entwicklung der Fremdwortschreibung. Sie erfasst die Regelungen ausgewählter Werke der Autoren Joachim Heinrich Campe, Johann Christian August Heyse, Joseph Kehrein, Daniel Sanders und Konrad Duden. Diese Arbeit ist nicht nur in Bezug auf die Ergebnisse, sondern auch methodisch relevant für das Vorgehen in der vorliegenden Dissertation. Die Arbeiten, die sich jeweils punktuell mit der Kodifikation der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert befassen, lassen folgendes Bild von einer Entwicklung selbiger entstehen, das u. a. Auswertungsfolie für die in vorliegender Arbeit ermittelten Ergebnisse ist: Da sich die meisten Arbeiten auf die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konzentrieren, können für den Beginn kaum Aussagen gemacht werden. Peter von Polenz konstatiert mit einem Verweis auf die Untersuchung von Heller/Walz resümierend, dass im 19. Jahrhundert eine „unreflektierte[n] und unkontrollierte[n] Praxis der Eindeutschung“ (von Polenz 1999, 251) vorgeherrscht habe, ohne diese Behauptung mit einer Quellenangabe zu versehen.1 So pauschal urteilen Heller und Walz nicht. Dass es im 19. Jahrhundert auch graphemübergreifende und sehr systematisch hergeleitete Regelungsversuche gibt, vermag die Arbeit Petra Ewalds (1990) zu zeigen. Ewald beschreibt die Regelungssystematik Adelungs, die auf einer Unterscheidung von „Fremdlingen“, „Wörtern mit deutschem Bürgerrecht“ und einer dazwischen befindlichen Übergangszone basiert, sehr ausführlich (Ewald 1990, 171 f.). Mit dieser terminologischen Differenzierung wäre Adelung Vorreiter für die Regelung in anderen nachfolgenden Grammatiken und Orthographielehren.2 Letztlich aber stehe Adelung weiterführenden Assimilations-
1 Ähnliches findet man – wenngleich weniger wertend formuliert – bei Hermann Möcker, der „besonders seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine breite Strömung aufkommen [sieht], welche die rechtschreibliche ‚Eindeutschung‘ von Fremdwörtern fordert und fördert“ (Möcker 1975, 382). 2 Bramann 1982 und Scharnhorst 1993 zeigen, dass der Regelungsgrundsatz, eingebürgerte Wörter assimiliert zu schreiben und nicht eingebürgerte Wörter in der spendersprachlichen Schreibweise, offenbar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weit verbreitet war. Z. B. Bramann: „Im
Stand der Forschung
5
prozessen ablehnend gegenüber. In Zweifelsfällen stelle Adelung dem Schreiber die Entscheidung weitgehend frei, nicht ohne jedoch eigene Empfehlungen auszusprechen (Ewald 1990, 175). Abgesehen von der Arbeit von Heller und Walz, die Tendenzen der gesamten Entwicklung der Fremdwortschreibungskodifikation im 19. Jahrhundert aufzeigen möchte, finden sich in den konsultierten Arbeiten keine Hinweise für die Kodifikation zwischen Adelung und dem Aufkommen erster Schulorthographien.3 Das bedeutet, Gegenstand aller weiteren Ausführungen ist die Entwicklung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, woraus für diese Arbeit abzuleiten ist, dass das Hauptaugenmerk auch auf genau diesem Zeitraum nach 1855 liegen wird, ohne jedoch die Beseitigung des Forschungsdesiderats der ersten Jahrhunderthälfte zu vernachlässigen. Es empfiehlt sich für die folgende Darstellung der Forschungsergebnisse eine graphemorientierte Entwicklungspräsentation, da die Autoren kaum graphemübergreifende Ergebnisse liefern. Im Fokus der Autoren steht meistens die Behandlung des fremden Graphographems in den Regelwerken. Abhängig von der Aussprache kann es durch die indigenen Grapheme oder ersetzt werden. Schon zu Beginn des Jahrhunderts werden Assimilationsempfehlungen gegeben: Johann Christoph Adelung und auch Theodor Heinsius favorisieren zumindest in Zweifelsfällen oder statt (Ewald 1990, 176; Heller/Walz 1992, 292) und Becker halte das für eine unnötige Belastung der Orthographie (Becker 1839, 48, zit. n. Heller/Walz 1992, 292). Klaus-Wilhelm Bramann ermittelt eine starke Tendenz hin zu Assimilationsempfehlungen für dieses Graphem.4 Sie nehmen zu, je weiter man ins Jahrhundert schaue, wenngleich die Assimilation zu deutlich langsamer fortschreite und zum Zeitpunkt der II. Orthographischen Konferenz gegenüber der Assimilation von ein völlig anderes Stadium erreicht habe (Bramann 1982, 269 und 393).5 prinzip bestand in jedem der untersuchten regelbücher die vorschrift, daß diejenigen fremdwörter, die im deutschen keine Veränderung erfahren hatten, ihre ursprüngliche gestalt bewahren sollten. Nur die fremdwörter durften als ‚eingebürgert‘ betrachtet werden, die sich in laut und schreibung der deutschen sprache angepaßt hatten“ (Bramann 1982, 180 f.). Zu prüfen wäre, inwiefern dies auch in anderen Regelwerken der Fall ist. 3 Einzig Fritz Tschirch nennt den Einfluss der Historiker um Jacob Grimm, die er dafür verantwortlich macht, dass Assimilationen in größerem Umfang ausbleiben: „Deshalb hält man an der ursprünglichen Schreibweise der Fremdwörter fest, obwohl – und vielfach gerade: weil – dadurch jener raschen Eindeutschung, die auf früheren Sprachstufen fast regelmäßig eingetreten war, entgegengewirkt wird“ (Tschirch 1989, 181). 4 Auch Heller/Walz betonen, dass sich die Ersetzung von durch und am Ende des Jahrhunderts in der Kodifikation zumindest bei den Wörtern sehr überzeugend durchgesetzt habe, die keine weiteren Fremdgrapheme aufweisen, wobei die Substitution durch wesentlich langsamer vonstatten gegangen sei (Heller/Walz 1992, 293). 5 Einzig für die Entwicklung dem Ursprung nach griechischer, aber durch das Lateinische vermittelter Wörter zeige sich in den Regelbüchern des 19. Jahrhunderts keine Assimilation. Erst in der 7. Auflage des Dudens finden sich Formen mit und (Bramann 1982, 273).
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Einleitung
Diese Tendenz sei zunächst innerhalb der Entwicklung der Schulorthographien (einschließlich Konferenzvorschlag 1876) 6 zwischen 1855 und 1880 festzustellen (Bramann 1982, 249 ff.; Nerius 2000a, 404; Nerius/Möller 1983, 125; Bramann 1982, 127).7 Neu sei die Akzeptanz der Assimilation in den Präfixen ko-, kol-, kom-, kon-, kor- in den späten Schulorthographien, wobei selbige im bayerischen Regelbuch meist gleichberechtigt, im preußischen dagegen bevorzugt würden (Bramann 1982, 268 f.). Besonders Württemberg erweise sich bezüglich der Assimilation zu und als sehr progressiv. Das gelte auch für die Entwicklung der anderen Fremdgrapheme (Bramann 1982, 172; Böhme 2001, 101). Als Leistung eines Vertreters der traditionellen Richtung, von dem Reformvorschläge eigentlich nicht zu erwarten sind, wird die progressive Haltung Daniel Sanders’ bezüglich der Assimilation – nicht nur, aber hauptsächlich, von zu und – allenfalls erwähnt (Rahnenführer 1992, 233; Hass-Zumkehr 1995a, 224 und Nerius 2000a, 398). Dies wird in einer ausführlicheren Analyse ausgiebiger zu würdigen sein. Auch die Rolle des Duden-Wörterbuches für die Kodifikation der Fremdwortschreibung wird in vielen Untersuchungen betont, so auch bezüglich der Assimilation von zu und . Konrad Duden habe von Auflage zu Auflage viele Kodifikationsveränderungen bezüglich der Fremdwortschreibung vorgenommen (Gabler 1992, 381) und zahlreiche orthographische Varianten zu eingeführt. Besonders von der 6. zur 7. Auflage sei die Variantenanzahl maßgeblich gestiegen (Nörenberg 1983, 87; Sauer 1988, 105). Zur Stärkung der Assimilation kodifiziere Duden in vielen Fällen nicht nur eigenmächtig anders als in den Regelwerken (korrigiert z. B. Preußen in Einzelfällen durch Analogiebildung, vgl. Böhme 2001, 350), sondern weite die Assimilation der Fremdwortschreibung (nicht nur bei und ) auch auf Wörter aus, die vorher noch gar nicht durch die Schulorthographien geregelt waren (Nerius 1992, 261). Damit würde er also trotz häufigen Verweises darauf, er setze nur die Regeln Preußens um, regelnd in den Assimilationsprozess eingreifen (Böhme 2001, 358). Diese stark assimilationszugewandte Haltung Dudens betont auch Wolfgang Ullrich Wurzel (Wurzel 1998, 61). Als besonderer Fortschritt gilt die mit der Orthographischen Konferenz 1901 erstmalig zugelassene assimilierte Schreibung von → oder (Bramann 1982, 269; Böhme 2001, 362), denn „[a]lle vorherigen schriften hatten sich bis dato gegen eine solche regelung ausgesprochen“ (Bramann 1982, 269).
6 Die Forschung ist sich hier nicht ganz einig: Während von Polenz behauptet, dass die Konferenz nur den Ersatz durch , nicht aber durch empfehle (von Polenz 1999, 252), lässt Scheuringers Arbeit auf nichts weiter als ein Nebeneinander von fremder und deutscher Form schließen (Scheuringer 1998, 76). 7 Die Ergebnisse Bramanns sind besonders vorsichtig für diese Arbeit heranzuziehen, da das Ziel nicht die Darstellung von Assimilationsprozessen, sondern vom Abbau orthographischer Doppelformen ist. Deshalb besteht sein Textkorpus aus ausgewählten Wörtern, die zu einem Zeitpunkt im 19. Jahrhundert Schwankungsfälle waren.
Stand der Forschung
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Die Arbeiten zur Kodifikation der Fremdwortschreibung zeigen, dass neben der Schreibung von im 19. Jahrhundert vor allem die Kodifikation des ieren-Suffixes eine Rolle spielt (Grebe 1978, 168). Bramann stellt dar, dass es bis zu den Reformvorschlägen Jacob Grimms keinerlei Untersuchungen zur Regelung dieses Fremdsuffixes gegeben habe. Die Historiker um Grimm schreiben -ieren vor (Bramann 1982, 72), während in den nachfolgenden Schulorthographien keine Einheitlichkeit zur Regelung vorgelegen habe: Hannover, Österreich und Preußen erlauben ausschließlich , Württemberg 1861, Berlin und Bayern lassen nur bei Verben mit dazugehörigen Substantiven auf -ier die assimilierte Schreibweise gelten (Bramann 1982, 210), wenngleich Dieter Nerius verallgemeinernd zu diesem Phänomen in den Schulorthographien schreibt: „[…] Änderungen gegenüber der traditionellen Orthographie waren z. B. […] -iren zu -ieren (studieren, marschieren)“ (Nerius 2000a, 404). Erst auf der II. Orthographischen Konferenz konnte eine Einigung zugunsten der assimilierten Schreibweise erreicht werden, wie sie in der preußischen Schulorthographie schon kodifiziert war (Scheuringer 1998, 90, vgl. auch Heller/Walz 1992, 288). Das Assimilationsverhalten anderer Grapheme in den Regelwerken des 19. Jahrhunderts wurde nur sporadisch untersucht, so etwa die Vokalkürzenmarkierung bei Klaus-Wilhelm Bramann und (in Bezug auf Duden) Anne-Katrin Nörenberg (Bramann 1982, 223; Nörenberg 1983, 59). Während in den Schulorthographien im Auslaut vor allem französischer Wörter in den Regelbüchern nur eine leichte Tendenz hin zur Assimilation zu zeigen sei (Bramann 1982, 223), plädiere Konrad Duden ganz grundsätzlich für die Verdopplung des Konsonanten nach kurzem Vokal und auch für den gegenläufigen Prozess der Rücknahme des doppelten Konsonanten, falls keine kurze betonte Silbe vorliege (Nörenberg 1983, 59). In Bezug auf die Grapheme , , , und wird auf die Beibehaltung der fremden Schreibung in den Regelwerken verwiesen (Bramann 1982, 126 f.; Heller/Walz 1992, 296 u. 306 f.). Weiterhin wird erwähnt, dass Konrad Duden die konservative Haltung zugunsten einer Beibehaltung dieser Grapheme stark kritisiere (Zabel 1987b, 13). Ein Antrag auf der II. Orthographischen Konferenz, die Grapheme
, und in Fremdwörtern komplett zu ersetzen, wurde nicht angenommen (Lohff 1980, 323, vgl. auch Nerius/Möller 1983, 128; Scharnhorst 1993, 429; Stanze 1994, 134 und Scheuringer 1998, 89). Als einen selbstverständlichen Assimilationsprozess stufen Bramann und Heller/Walz die Tilgung des (vornehmlich französischen) Akzentzeichens ein, die in den Schulorthographien einheitlich vollzogen sei (Bramann 1982, 281; Heller/ Walz 1992, 285). Stark regelbuchabhängige Differenzen gebe es bei der Regelung der typisch französischen Fremdgrapheme (Bramann 1982, 275 f.). Heller/Walz stellen für das 19. Jahrhundert resümierend fest, dass und nur in bestimmten Suffixen wie z. B. -än, -är, -ös, hierin aber recht konsequent, ersetzt werden (Heller/ Walz 1992, 284 ff.). Eine eindeutigere Entwicklung hin zur Substitution sei für das
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Einleitung
französische Graphem zu belegen (Heller/Walz 1992, 290), ebenso – und vielleicht noch eindeutiger – für das Graphem , das auch bei den Beratungen der II. Orthographischen Konferenz eine Rolle gespielt habe (im Vergleich zu den Schulorthographien mehr Assimilationen erwirkt [vgl. Lohff 1980, 323]). Die Assimilation von sehen die Autoren stark abhängig von der Anzahl der anderen Fremdgrapheme im Wort, ebenso diejenige von (Heller/Walz 1992, 291). Bramann geht als Einziger auf die Assimilation englischer Wörter ein und bemerkt hierzu: „Im gegensatz zu frz. oder lat. fremdwörtern sind eingedeutschte engl. wörter in verschwindend geringem umfang anzutreffen. Auch hier gehen (größtenteils) mit der eindeutschung änderungen hinsichtlich der aussprache sowie der betonungsverhältnisse einher“ (Bramann 1982, 286). Die einzige Arbeit, die sich mit den Kodifikationsvorschlägen der Radikalreformer beschäftigt, ist der Aufsatz von Hermann Zabel. Darin stellt er fest, dass die Grundregel für die Schreibung der Fremdwörter bei Friedrich Wilhelm Fricke nicht wesentlich von der üblichen abweiche: „Die fremden werden nach ihrer Weise gesprochen und geschrieben […], die eingewanderten und die eingebürgerten dagegen auf die deutsche Weise […]“ (Fricke 1885, zit. n. Zabel 1987b, 19), und dennoch zähle Fricke viel mehr Beispiele für eingebürgerte Wörter auf, etwa: Toalette, Redaktör, Nazion, Komtor, Följeton, Kampanje, Kompani, Triko. Sowohl Friedrich Wilhelm Fricke als auch Richard Bax treten für eine konsequente Assimilation der Fremdwörter ein, es sei denn, die betreffenden Wörter werden zitiert (Zabel 1987b, 18). Bax gehe noch ein Stück weiter, indem er auch für die ganz fremden Wörter anbietet: „Wem jedoch die Schreibweise der Ursprache, welcher irgendein Fremdwort angehört, unbekannt ist, der schreibe dasselbe der Aussprache gemäß“ (Bax 1897, zit. n. Zabel 1987b, 20). Die bisherigen Forschungsergebnisse zur Kodifizierung lassen also eine insgesamt sehr stark graphemabhängige Tendenz in Richtung Assimilation erahnen, wobei systematische Analysen der Regelwerke unter Berücksichtigung nicht nur einzelner graphembezogener Regeln, sondern auch der graphemunabhängigen Regelung bislang nicht vorliegen. Die Darstellung des Forschungsstandes zeigt auf, dass es nur zu wenigen Fremdgraphemen umfassendere Untersuchungen der einzelnen Kodifikationsversuche gibt. Die meisten Ergebnisse beziehen sich dabei auf die Schulorthographien, die Konferenzergebnisse und die verschiedenen Auflagen des Duden-Wörterbuches. Außerdem erweist sich eine umfassende Analyse der expliziten Assimilationsfaktoren als Desiderat, dem in dieser Arbeit entsprochen wird.8
8 Nur vereinzelt werden die Regeldeterminanten untersucht und auch dargestellt, gelegentlich werden die „undeutschen Lautbezeichnungen“ als Assimilationshemmer genannt (z. B. Nörenberg 1983, 11; Zabel 1987b, 23), manchmal auch der Fachwortcharakter (z. B. Langner 1995, 43) bzw. der Fakt, dass weitere Fremdgrapheme im Wort die Assimilation verhindern (z. B. Heller/Walz 1992, 286).
Stand der Forschung
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1.2.3 Zur Entwicklung des Usus der Fremdwortschreibung Entlehnungsprozesse werden zwar in den meisten Sprachgeschichtsdarstellungen ausreichend gewürdigt, aber nur selten finden sich Darstellungen zum Umgang mit graphischen Fremdmerkmalen. Es ist außerdem bei den meisten dieser Darstellungen nicht auszumachen, ob es sich diesbezüglich um Befunde des Schreibgebrauchs oder der Kodifikation handelt (etwa von Polenz 1999, 252). Nur für einen Teilbereich der Fremdwortschreibung, die Besonderheiten des Majuskel- bzw. Minuskelgebrauchs, gibt es in Bezug auf den hier analysierten Zeitraum präzise Angaben zum Usus, die auf einer Textkorpusanalyse beruhen: Petra Krohn hat die Initialschreibung von Fremdwörtern vom 18. bis zum 20. Jahrhundert im substantivischen Bereich in ihrer Dissertation untersucht (Krohn 2001, 258 ff.). Ansonsten aber lassen sich für das 19. Jahrhundert nur bei wenigen Autoren Aussagen zum Schreibusus von Fremdwörtern – wenn sie als solche interpretiert werden wollen – finden. Mitunter sind vereinzelt Aussagen zu lesen, die sich der Verwendung bestimmter einzelner Grapheme in bestimmten Textsortenbereichen widmen und aufgrund der Formulierung vermuten lassen, dass es sich um Ergebnisse der Ususanalyse handeln könnte: Besonders früh beginnen die Belege für die Substitution von c durch k bzw. z, aber mit viel Schwanken bis Ende des 19. Jh. und Bevorzugung von c im Kanzleistil. (von Polenz 1999, 253)
Bei solchen Aussagen, wie etwa hier in Bezug auf das ieren-Suffix, bleibt es fraglich, ob sie sich auf Untersuchungen des Usus oder der Kodifikation beziehen: „Erst in der 2. Hälfte des 19. Jh. gewinnt -ieren statt -iren die Oberhand“ (von Polenz 1999, 252 f.). Bezüglich des ieren-Suffixes ist auch eine weitere neuere Arbeit von Belang, die eine Analyse des Schreibgebrauchs vornimmt, allerdings des Schreibgebrauchs der „unteren Schichten“. Stephan Elspaß widmet sich in seiner „Sprachgeschichte von unten. Untersuchungen zum geschriebenen Alltagsdeutsch im 19. Jahrhundert“ der Fremdwortschreibung zwar nicht umfassend, konstatiert aber zur Schreibung des ieren-Suffixes: „Die zeitliche Staffelung zeigt vielmehr, dass die Formen mit -iren wider Erwarten nicht ab-, sondern – bis zu einem Anteil von zwei Dritteln bei den ab 1840 Geborenen – zunahmen“ (Elspass 2005, 430). Nach Elspaß entwickelt sich die Schreibung des Suffixes in den handschriftlichen Texten also konträr zur Kodifikation, da Rudolf von Raumer, Konrad Duden und Wilhelm Wilmanns beispielsweise in diesen Fällen die Assimilation empfehlen bzw. vorschreiben. Der Befund Elspaß’ wird als Vergleichsbefund zur hier vorgenommenen Analyse gedruckter standardsprachlicher Usustexte herangezogen. Verallgemeinernde Aussagen zu graphemübergreifenden Assimilationsprozessen sind selten zu finden und sind vermutlich auch nicht aufgrund umfangreicher Korpusanalyse entstanden. Zumindest fehlen vielfach die Belege wie etwa bei dieser Behauptung von Polenz’, der zusammenfassend feststellt:
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Einleitung
Englische Entlehnungen wurden im 19. Jahrhundert und bis in die 1930er Jahre graphemisch stärker als heute integriert, z. B. cokes → Koks, strike → Streik, club → Klub/Klubb, cakes → Keks, frock → Frack [...]. (von Polenz 1999, 253)
Ebenfalls nur sehr selten – und nicht systematisch beschrieben – finden sich Aussagen zu assimilationsfördernden oder -behindernden Faktoren für den Schreibusus. Bei Fritz Tschirch wird lediglich skizziert, dass die graphematische Assimilation häufig mit einer phonematischen Assimilation einhergehe: Bei ihnen [den Fremdwörtern] behält man zunächst die fremdsprachige Schreibung bei: officier; cigarette; pension; boutique. Jedoch nur die des Frz. Kundigen bewahren ihre fremde Aussprache; im allgemeinen werden sie für gewöhnlich durch das Auge, nicht durch das Ohr vermittelt werden, gemäß den dt. Aussprachegewohnheiten artikuliert, wobei das dem Dt. fehlende c durch das naheliegende z ungezwungen-naiv substituiert wird; man sagt also offizīr statt offisjē, zigarétte statt sigarét [...]. (Tschirch 1986, 174)
Auf diese enge Verbindung von graphematischer und phonematischer Abhängigkeit verweist auch Wilhelm Wilmanns, der aber gleichzeitig auch andere Faktoren wie etwa die „Bekanntschaft mit der fremden Sprache“ (Wilmanns 1880, 190), die Position fremder Grapheme im Wort (vgl. Wilmanns 1880, 196 f.) sowie die Sprachregion (vgl. Wilmanns 1880, 197) annimmt. Eine Angabe zur Grundlage seiner Behauptungen macht er allerdings nicht. Bislang wurde immer stillschweigend angenommen, dass der Entwicklungsprozess der Fremdwortschreibung in Richtung Assimilation verläuft. Folgende Belege zeigen, dass auch der rückläufige Prozess nicht ausgeschlossen werden kann: Der verstärkte englische Spracheinfluß hat auf die Dauer die graphemische Integrationstendenz im Deutschen insgesamt zurückgehen lassen. Nach der Phase stärkerer orthographischer Integration in der 2. Hälfte des 19. Jh., teilweise bis in die 1920/30er Jahre, ist Schreibeindeutschung seit 1945 wesentlich geringer geworden. (von Polenz 1999, 253) [E]s ist in der Wirtschaftswerbung sogar bei älteren Lehnwörtern das engl. c für dt. k wiederhergestellt und auf andere Handelswörter übertragen worden, so daß offenbar die Marktregel gilt, daß sich gewisse Waren mit internationalisierendem c besser verkaufen lassen (Cigarette, Camera, Automatic, Elastic, exclusiv, copy, Computer). (von Polenz 1999, 403)
Diese Aussagen machen es notwendig, auch den Prozess der Rückkehr zur Herkunftsschreibung bei der Analyse der Regelwerke und der Usustexte mit im Blick zu haben und ggf. darzustellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass einschlägige Erkenntnisse zur Entwicklung der Fremdwortschreibung im Usus nur im Bereich der Groß- und Kleinschreibung existieren und ansonsten ein Mangel an umfassenden Korpusanalysen konstatiert werden muss. Diesem Mangel begegnet die vorliegende Arbeit im empirischen Teil durch die Erhebung von Sprachdaten auf der Basis eines umfangreichen Textkorpus, so dass Aussagen über die Veränderlichkeit der Fremdwortschreibung und die beeinflussenden Faktoren für das 19. Jahrhundert getroffen werden können.
2 Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung Um das Thema angemessen zu bearbeiten, erweist sich eine definitorische Bestimmung der relevanten Termini und damit des Gegenstandsbereichs der Arbeit als notwendig. Dies umfasst sowohl die Definition der Kerntermini der Themenformulierung als auch die Einordnung dieser Termini ins theoretische Umfeld anderer flankierender Bereiche.
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2.1 Orthographische Fremdworttheorie Die Analyseziele dieser Arbeit setzen eine Begriffsbestimmung des Fremdwortes voraus, die Aufschluss über die Kriterien der Ermittlung desselben in den Korpustexten gibt. Theoretische Konzeptionen für das lexikalische und das orthographische Fremdwortphänomen existieren seit dem 19. Jahrhundert. Der Begriff „Fremdwort“ taucht erstmals 1819 in Jean Pauls Hesperus auf (vgl. Augst 1977, 83). Zuvor wurde der allgemeinere Begriff „fremdes Wort“ bzw. „ausländisches Wort“ verwendet. Die ersten Begriffsbestimmungen gehen allerdings von einer rein etymologischen Sichtweise aus, die nur langsam erweitert wird. Die Unterscheidung in Fremd- und Lehnwort nimmt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang (Heller 1981b, 162), wird aber in ihrer Gegenüberstellung erst 1902 ins Regelwerk übernommen (Zabel 1987b, 33). Ein rein diachroner Beschreibungsansatz, wie er frühen Fremdwortbestimmungen mit sprachpflegerischem Hintergrund zugrunde liegt, ist für diese Arbeit nicht ausreichend, da auf diese Weise ein Fremdwort ausschließlich über die fremde Herkunft definiert und dementsprechend auch stark formal assimiliertes nicht indigenes Wortgut als Fremdwort gilt (z. B. Fenster, Glocke). Etymologen haben in Wörterbüchern ausführliche Darstellungen zur Herkunftsgeschichte einzelner Lexeme geliefert (vgl. Duden 2001, Kluge 2002, Pfeifer 2005). Für sie ist die etymologische Betrachtungsweise durchaus sinnvoll. Da die vorliegende Untersuchung allerdings sowohl Assimilationsprozesse als auch eventuell stattfindende Prozesse zur Rücknahme von Assimilation bei der Schreibung von Wörtern fremder Herkunft zeigen will, muss eine Abgrenzung getroffen werden, die einen formalen Angleichungsprozess an die Strukturbedingungen der Schreibung der entlehnenden
9 Der Begriff Orthographie versteht sich hier ausnahmsweise als Bezeichnung der sprachwissenschaftlichen Disziplin, die sich mit der formalen Seite der geschriebenen Sprache beschäftigt (Nerius u. a. 2007, 31). Im weiteren Verlauf der Arbeit bezeichnet er die graphische Norm der geschriebenen Sprache (vgl. Kapitel 2.2.1).
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Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung
Sprache – in diesem Fall des Deutschen – berücksichtigt. Der etymologische Ansatz ist „nicht in der Lage, den Eindeutschungsprozeß zu beschreiben, den fast jedes irgendwann aus einer fremden Sprache übernommene Lexem zu durchlaufen pflegt. Denn der vom etymologischen Ansatz gelieferte etymologische Befund bleibt ja für ein bestimmtes Wort immer der gleiche – trotz aller Integrationsschritte, die dieses Wort gegebenenfalls durchläuft“ (Schank 1978, 32). Bei Peter von Polenz (1967) ist ein weiterer Definitionsansatz für den Begriff des Fremdwortes zu finden. Von Polenz vertritt eine synchrone Sichtweise, die die Gegenüberstellung des Begriffspaares Fremdwort – Lehnwort quasi überflüssig macht. In seiner Definition beschränkt er sich auf den Lehnwortbegriff: ‚Lehnwörter‘ im synchronischen Sinne sind […] alle Wörter fremdsprachlicher Herkunft, die mindestens in einer größeren Gruppe von Sprachteilhabern zum üblichen Wortschatz gehören. Sie lassen sich synchronisch in verschiedene sprachsoziologische Kategorien des heutigen deutschen Wortschatzes einordnen. (von Polenz 1979, 23)
Fremdwörter werden in dieser Definition auf ein Minimum an zitatähnlichen Wörtern begrenzt, also auf Fälle, „in denen einzelne Sprachteilhaber ein Wort oder eine Wendung einer fremden Sprache nur gelegentlich und wie ein Zitat verwenden […]. Sie spielen in der deutschen Wortschatzstruktur kaum eine Rolle“ (von Polenz 1979, 23).10 Es handelt sich hier um einen „synchron-soziologischen“ (Bergmann/ Nerius 1998, 68) Ansatz. Auch diesem schließe ich mich nicht an, da er eine umfassende Analyse nicht nur des Textkorpusmaterials, sondern auch der Rahmenbedingungen der Publikationen und Häufigkeitsanalysen nach sich ziehen würde. Dies könnte im Rahmen der vorliegenden Untersuchung durch die elektronische Auswertung nur in Ansätzen umgesetzt werden. Die Arbeit ist ferner nicht als Häufigkeitsstatistik angelegt. Außerdem vernachlässigt diese Definition die bestehende „äußerliche“ Fremdheit bestimmter hochfrequenter Lexeme. Im Folgenden wird daher zur Erfassung des orthographischen Fremdwortes der Definitionsansatz von Klaus Heller verfolgt, den der Autor in allen seinen Publikationen zum Fremdwort (Heller 1966, 1975, 1980, 1981a, 1981b, 1981c, 1986) zugrunde legt. Heller behält eine Begriffsdifferenzierung von Fremd- und Lehnwort 11 bei und fügt synchronen und diachronen Aspekt zusammen. Er versteht das Fremdwort als „ein Wort fremder Herkunft, das – unter synchronischem Aspekt betrachtet – fremde Merkmale in seiner formalen Struktur aufweist“ (Heller 1975, 56). In dieser Definition wird die fremde Herkunft nur als eine Art Voraussetzung verstanden, die für das Fremdwort und das Lehnwort gleichermaßen gilt. Die weitere Bestimmung der Termini erfolgt über das Kriterium der Form. Die Merkmale,
10 Diese Fremdwörter werden in vorliegender Analyse als „Zitatwörter“ aufgenommen (vgl. Kapitel 2.3.5.2.2). 11 Weitere Begriffsdifferenzierungen wie etwa bei Peter Eisenberg und Jürgen Baurmann in „fremde Wörter“ und „Fremdwörter“ werden hier nicht vorgenommen (Eisenberg/Baurmann 1984, 16).
Orthographische Fremdworttheorie
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die laut Heller zur Bestimmung eines Lexems als Fremd- oder Lehnwort analysiert werden müssen, stellt er in einer Übersicht dar. Sie beziehen sich auf die phonologische, die graphische und die morphologische Ebene:12 Tab. 1: Merkmale zur Bestimmung des Fremdwortstatus (nach Klaus Heller 1975). Phonologische Ebene
Buchstabenbestand Buchstabenkombination Beziehung zwischen Buchstabe und Phonem (Graphembestand) Graphemposition
Morphembestand Flexion Derivation
Phonemposition
Um eine Einschätzung des Einbürgerungsprozesses hinsichtlich der formal-strukturellen Merkmale in ihrer Gesamtheit zu ermöglichen, müssten alle diese Kriterien untersucht werden. Da diese Arbeit allerdings nur die Assimilation der Schreibung thematisiert, ist für die Untersuchung in der Hauptsache der Blick auf die graphische Ebene (freilich mit Bezug zur phonologischen Ebene) von Relevanz. Eine Analyse auf der morphematischen Ebene und der phonologischen Ebene findet nur insofern statt, als bestimmte Assimilationsfaktoren, die diesen Ebenen zugeordnet werden können, in dieser Arbeit überprüft werden (vgl. 2.3.5.1). Heller definiert die fremde Schreibung über folgende Merkmale: fremdes Graphem (entspricht hier Phonographem), fremde Graphemposition und fremde Graphemkombination. Diese Bestimmung, die als Grundlage für die vorliegende Arbeit verstanden wird, macht die Definition des Begriffes Graphem notwendig, die im folgenden Kapitel gegeben wird. Für die Analysezwecke dieser Arbeit wird Hellers Übersicht zur Definition von Fremd- und Lehnwort auf Grundlage der vorangegangenen Argumentation durch eine Reduktion der Merkmale wie folgt modifiziert:
12 Andere Autoren, die den Fremdwortstatus auch anhand formaler Kriterien beurteilen, beziehen die Schreibung nicht mit ein, z. B. Rudolf Thiel (Thiel 1936, zit. n. Iluk 1974, 287) und Jan Iluk (Iluk 1974, 287). Iluk weist der fremden bzw. heimischen Schreibung nur einen sekundären Entscheidungswert zur Fremdwortbestimmung zu, „denn die deutsche Schreibung beweist nicht, daß ein Fremdwort den Eindeutschungsprozeß vollendet hat. Sie ist meist ein Sekundärvorgang der Eindeutschung, da sie der Aussprache der Fremdwörter angepaßt ist“ (Iluk 1974, 287). Dieser Ansicht schließe ich mich – gerade mit Blick auf das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit – nicht an.
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Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung
Tab. 2: Fremdwortbestimmung nach Heller (Heller 2002, 196). Ergebnis der diachronischen Analyse (Herkunft)
Ergebnis der synchronischen Bewertung der formal-strukturellen Merkmale in graphematischer Hinsicht
In der Literatur finden sich vielfach Bestimmungen zu Sonderformen von Fremdund Lehnwörtern, wozu etwa die Scheinentlehnungen, die Hybridbildungen (zuweilen auch „Mischkomposita“ genannt [Yang 1990, 10]) und die Bezeichnungsexotismen zählen. Unter Scheinentlehnungen werden solche Lexeme verstanden, die sich zwar fremdsprachlichen Materials bedienen, in der jeweiligen Spendersprache allerdings nicht als identisches Wort – also als im Deutschen spezifisches Form-Bedeutungs-Verhältnis – auftreten, z. B. Handy, Friseur (Yang 1990, 13 f.). Hierunter sind auch Lehnwortbildungen wie Philanthrop (gebildet aus griech. phílos und ánthropos) zu verstehen. Die Bezeichnung Hybridbildung bezieht sich auf Lexeme, die im Rahmen von Wortbildungsprozessen im Deutschen aus fremdsprachlichem und indigenem sprachlichen Material zusammengesetzt werden, z. B. stolzieren, hausieren, gastieren. Bezeichnungsexotismen führt Heller als „besondere Gruppe[n] des Fremdworts“ (Heller 1981c, 27) auf und bestimmt sie als Fremdwörter, die „Gegenstände, Einrichtungen, Erscheinungen, Personen oder Vorgänge bezeichnen, die innerhalb der deutschen Sprachgrenzen nicht vorkommen und deshalb die Bezeichnung behalten, die sie dort tragen, wo sie existieren“ (Heller 1981c, 27), z. B. Kolchos, Kreml, Rubel, Cowboy, Grand Jury. Grundlage für die Aufnahme bestimmter Wörter in das Analysekorpus ist lediglich die Frage nach dem Vorhandensein oder der Assimilation fremdsprachlichen Materials (vgl. Definition Heller, sog. äußeres Lehngut [vgl. Yang 1990, 10]), insofern finden die oben benannten sog. Sonderformen zwar Berücksichtigung, werden allerdings weder in der theoretischen Darstellung noch in der Analyse von den anderen Fremd- und Lehnwörtern unterschieden. Nicht von Interesse ist folglich sog. inneres Lehngut, also Morpheme und Lexeme, die zwar in Form und Bedeutung fremdsprachlich beeinflusst sind, aber das sprachliche Material des Deutschen benutzen (semantische bzw. morphosemantische Entlehnungen). Es werden demnach keine Lehnprägungen untersucht (vgl. Terminologie bei Werner Betz 1974, 128). Die soeben vorgenommene Festlegung der Kriterien zur Bestimmung des Kandidatenstatus eine Bemerkung notwendig. Es wurde deutlich, dass in Textkorpus und Regelwerken, um eine entsprechende Entwicklung der „Fremdwortschreibung“ zeigen zu können, sowohl Fremd- als auch Lehnwörter analysiert werden
Aspekte der Orthographietheorie
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müssen. Ausgenommen sind nur solche Wörter fremder Herkunft, die keinen Angleichungsprozess bei der Zuordnung von Phonem und Graphem zu vollziehen hatten bzw. haben werden, bei denen also spendersprachliche und heimische Phonem-Graphem-Beziehungen übereinstimmen (z. B. lat. fenestra – dt. Fenster). Sie sind für die Darstellung eines graphematischen Assimilationsprozesses folglich nicht relevant. Der Titel der Arbeit ist insofern etwas vereinfacht formuliert. Auch innerhalb der Arbeit wird zumeist der Begriff Fremdwort verwendet, was aus Gründen einfacherer Handhabbarkeit und Darstellbarkeit geschieht und natürlich auch die Betrachtung von Lehnwörtern einschließt.
2.2 Aspekte der Orthographietheorie Die Arbeit widmet sich der Schreibung der Fremdwörter sowohl im Usus als auch in der Kodifikation. Um die dabei zu analysierenden Bereiche abzugrenzen, sind die beiden Begriffe im Umfeld ihrer Nachbarbegriffe Orthographie, Schreibung, Norm und Regel zu klären.
2.2.1 Schreibung und Orthographie Eine undifferenzierte Verwendung der Begriffe Schreibung und Orthographie ist seit den ausführlichen theoretischen Darstellungen von Nerius/Scharnhorst 1980, Kohrt 1987 und Nerius u. a. 2007, um nur einige wesentliche zu nennen, nicht mehr zu rechtfertigen.13 Favorisiert werden hier die Positionen von Manfred Kohrt 1987 und Dieter Nerius 2007, die aufgrund ihrer Fundiertheit und Ausführlichkeit Grundlage der Arbeit sind (Kohrt 1987, Nerius u. a. 2007). Auf die häufig nur sehr geringen Unterschiede der Definitionen wird im Einzelnen nur eingegangen, falls es sich als notwendig erweist. In diesem Sinne wird der Begriff der Schreibung hier mit Nerius als „formale Seite der geschriebenen Sprache“ (Nerius/Scharnhorst 1980, 40; Nerius u. a. 2007, 27), also als Gesamtheit aller zur Verfügung stehenden graphischen Einheiten der geschriebenen Sprache definiert. Ein präskriptives Element gibt es nicht. Anders dagegen die Orthographie: Sie ist im Rahmen dieser Arbeit als Norm der Schreibung zu sehen (Nerius u. a. 2007, 31). Sprachliche Normen, zu denen die Orthographie gehört, werden anhand des Merkmalskataloges bei Nerius/Scharnhorst 1980 beschreib- und differenzierbar. Demnach ist die Orthographie – heutzutage – eine gesetzte Norm, die einen hohen Grad an Verbindlichkeit aufweist und nur minimal variabel bzw. veränderlich ist. Dass sich der Charakter sprachlicher
13 Alle hier genannten Arbeiten beziehen sich auf die grundlegenden Vorarbeiten der Prager Schule, vgl. hierzu zahlreiche Publikationen von Josef Vachek (z. B. Vachek 1939).
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Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung
Normen – auch der Orthographie – ändern kann, ist damit ebenfalls gesagt. Im 19. Jahrhundert ist die Orthographie anders beschaffen als gegenwärtig, da sich die Schreibung erst auf dem Weg zur Vereinheitlichung und zur Verbindlichkeit befindet. Zur weiteren Erläuterung muss der Begriff der Norm ausführlicher in den Fokus gerückt werden: Normen sollen „das sprachlich-kommunikative Handeln“ regeln (Nerius u. a. 2007, 32). Dafür werden aus der Menge an sprachlichen Realisierungsmöglichkeiten einige ausgewählt und als normgerecht festgelegt. Diese Festlegung kann gegeben oder gesetzt sein (Nerius u. a. 2007, 34) – oder um mit Kohrt zu formulieren: intern oder extern (Kohrt 1987, 330 ff.).14 Gegebene bzw. interne Normen sind „in einer Sprach- bzw. Kommunikationsgemeinschaft durch Konvention ohne bewußtes Eingreifen entstanden“ (Nerius u. a. 1989a, 28) und sind ihrer Ausprägung nach „mentale Repräsentationen fundamentaler sprachlicher Zusammenhänge […], die die Verfertigung einzelner Äußerungen des Individuums […] grundsätzlich determinieren“ (Kohrt 1987, 331). Es handelt sich also um Normen, die nicht von außen festgelegt wurden. Externe Normen hingegen sind „in Regelwerken oder Wörterverzeichnissen fixiert und damit als Norm gesetzt“ (Nerius u. a. 2007, 34). Dabei lassen Kohrt und Nerius auch explizit Prozesse zwischen internen und externen Normen zu: Eine externe Norm kann durch Befolgung „internalisiert“ werden. Im Gegenzug können interne Normen auch zu externen Normen werden, wenn sie in Regelwerken vergegenständlicht werden oder/und z. B. im Falle der Orthographie eine Rechtschreibreform bewirken (Nerius u. a. 2007, 34). Beiden Arten der Norm ist gemein, dass sie durch Auswahlcharakter und Verbindlichkeitsanspruch, die freilich Unterschiede im Ausprägungsgrad aufweisen können, gekennzeichnet sind. Heute entspricht die graphische Norm im Wesentlichen der Normkodifizierung, also den im amtlichen Regelwerk schriftlich festgelegten (explizit formulierten) orthographischen Regeln. Eine (grundlegende) Änderung der Kodifizierung ist nur
14 Als weiteres Begriffspaar in diesem terminologischen Feld hat Wolfdietrich Hartung die Unterscheidung von „impliziten“ und „expliziten“ Normen (Hartung 1977, 16 f.) angebracht. Vor allem im Zusammenhang mit der Orthographie als Norm werden eher die Begriffspaare von Kohrt und Nerius gebraucht, die allerdings nicht als absolute Synonyme zu verstehen sind. Kohrt diskutiert die Unterschiede ausführlich in seinem Werk „Theoretische Aspekte der deutschen Orthographie“ (Kohrt 1987, 360 ff.). Der Autor kritisiert an Nerius/Scharnhorst 1980 vor allem das Verhältnis der Begriffe „gegebene“ – „gesetzte“ Norm zum Kodifikations- und zum Veränderlichkeitsaspekt. Das „diffuse[n] Verhältnis zur Kodifikation“ ist in der aktuellen Auflage von Nerius u. a. 2007 allerdings beseitigt. Kohrt kritisiert an Nerius weiterhin die von ihm beschriebene Überführung von gegebenen in gesetzte Normen. Es könne zwar eine Verinnerlichung der gesetzten Norm geben, deshalb ändere sich aber nicht die Entstehungsweise derselben (auf die Nerius mit dem Begriffspaar referiert) (Kohrt 1987, 367). Kohrt sieht die Überführung der Normen durch das Begriffspaar „intern“ – „extern“ als präziser beschrieben an (Kohrt 1987, 368). So übernehmen denn Nerius u. a. 2007 die Begriffe der „externen“ und der „internen“ Norm und lassen die Merkmale „gegeben“ und“ gesetzt“ in den Hintergrund treten (z. B. Nerius u. a. 2007, 34).
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über einen staatlichen Eingriff in Form einer Orthographiereform möglich.15 Da die erste amtliche, für die deutschsprachigen Staaten verbindliche Normkodifizierung erst 1901 auf der II. Orthographischen Konferenz beschlossen wurde, haben orthographische Regelwerke (Grammatiken, Schulorthographien, orthographische Wörterbücher) vorher einen weitaus geringeren Geltungsbereich und Verbindlichkeitsgrad. Amtliche Schulorthographien gibt es auch schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, diese sind allerdings nur regional und an Schulen tatsächlich verbindlich. Die Orthographie als Norm der Schreibung im 19. Jahrhundert muss also vor diesem Hintergrundwissen anders betrachtet werden als heute. In dieser Arbeit wird die orthographische Norm in ihrer Ausprägung als kodifizierter Norm untersucht (vgl. Kapitel 3). Wenn in dieser Arbeit von solchen Normkodifizierungen die Rede ist, ist nicht der gegenwärtig vorhandene Verbindlichkeitsgrad an selbige anzulegen. Dennoch bleibt der Begriff der „Orthographie“ als Norm der Schreibung, deren Charakteristika unterschiedlich stark ausgeprägt sein dürfen, gerechtfertigt. Die Normkodifizierungen, die hier analysiert werden, sind in Grammatiken, Orthographielehren, (zum Teil amtlichen) Schulorthographien und orthographischen Wörterbüchern zu finden. Sie stellen in der Kodifikationsanalyse dieser Arbeit das Untersuchungsmaterial dar. Noch ein Wort zur Präskriptivität von Normen: Die Eigenschaft der Präskriptivität besitzen sowohl interne als auch externe Normen. Die vielfach bemühte Unterscheidung in präskriptive und deskriptive Normen (z. B. Mangold 1979, 145; Sandig 1974, 25) ist ein Widerspruch in sich und kann sich höchstens auf die Formulierung der Norm beziehen. Aber auch eine deskriptiv formulierte Norm ist präskriptiv (vgl. Kohrt 1987, Hertweck 1996, Nerius u. a. 2007). Der Usus bildet im Gegensatz zur kodifizierten Norm die Sprachwirklichkeit ab, die tatsächliche Auswahl aus den graphischen Realisierungsmöglichkeiten. Diese tatsächliche Auswahl ist nicht regellos, im Schreibgebrauch lassen sich durchaus Regularitäten erkennen. Berührungspunkte zwischen Usus und kodifizierter Norm der Schreibung entstehen dort, wo eine Übereinstimmung der tatsächlichen und der erwarteten Auswahl graphischer Zeichen besteht. Solche Übereinstimmungen von Usus und Normkodifizierung wurden in vorliegender Arbeit vor allem mit Blick auf die Grammatiker erwartet, die sich zum Ziel setzen, den Schreibgebrauch zu kodifizieren. Das Verhältnis von Usus und Kodifizierung steht in vorliegender Arbeit, wie der Titel bereits ankündigt, im Fokus des Erkenntnisinteresses und damit die Frage, ob sich für den Bereich der Fremdwortschreibung Prozesse beobachten lassen, die für die These sprechen, dass sich die Orthographie im 19. Jahrhundert
15 So verlangt es zumindest die Theorie. Dass der Dudenverlag in der Praxis auch eigenständige, nicht amtlich vorgesehene – auch durchaus tiefgreifende – Veränderungen vorgenommen hat, und zwar nicht nur an den singulären Regeln, ist ausführlich dokumentiert (z. B. Gabler 1992, Mentrup 2005).
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mehr und mehr von einer gegebenen (internen) zu einer gesetzten (externen) Norm entwickelt. Der Begriff der Schreibung im Titel dieser Arbeit ist nach dieser Begriffsbestimmung nicht im engen Sinn terminologisch zu verstehen, sondern referiert sowohl auf die kodifizierte Norm der Schreibung als auch auf den usus scribendi, der sich in den sog. Gebrauchstexten16 des 19. Jahrhunderts ermitteln lässt.
2.2.2 Orthographische Regeln Die kodifizierte Norm der Schreibung tritt in Form von orthographischen Regeln auf, die demnach Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind und hier zunächst näher bestimmt werden sollen: Orthographische Regeln sind Bestandteile der Schreibungsnorm, „die als Handlungsanweisungen zur Produktion normgerechter Schreibungen führen sollen“ (Nerius u. a. 2007, 43).17 Je nach Ausprägung der Regel muss außerdem zwischen verschiedenen Regeltypen unterschieden werden. Weil orthographische Regeln hier als Bestandteile der Schreibungsnorm verstanden werden, verbietet es sich, eine Unterscheidung in präskriptive und deskriptive Regeln vorzunehmen, wie sie beispielsweise bei Peter Gallmann und Horst Sitta zu finden ist (Gallmann/Sitta 1997, 93). Den Grammatiken, Orthographielehren und Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts, die mit einem konkreten Adressaten versehen sind (Schüler, Beamte, Setzer, Drucker) bzw. entsprechende Hinweise (z. B. im Vorwort) geben, wird in dieser Arbeit unterstellt, dass sie zu normkonformem Schreiben anleiten wollen und damit Normen in Form von Regeln kodifizieren. Diese Regeln „können sich aus der Beschreibung beobachteter sprachlicher Übereinstimmungen ergeben […] oder noch nicht realisierte, aber als erstrebenswert betrachtete Sprachhandlungen anweisen“ (Nerius u. a. 2007, 42). Alle vorliegenden Formulierungen werden – wenn nicht eindeutig anders gekennzeichnet – als Regeln, also präskriptiv aufgefasst.18 Dies geschieht auch im Fall
16 Unter dem Begriff „Gebrauchstext“ wird hier ein Text verstanden, der den Schreibusus der Zeit zeigt. 17 Eigentlich müsste mit Blick auf die soeben vorgenommene Unterscheidung zwischen Norm und Normkodifizierung auch weiterführend unterschieden werden zwischen Regel „als internalisierte Richtlinie[n] korrekten Schreibens“ (Ewald 2011, 6) und Regelformulierung. „Allerdings ist eine solche terminologische Differenzierung auch innerhalb der Schriftlinguistik nicht üblich“ (Ewald 2011, 6), so dass auch hier darauf verzichtet wird. 18 Dies geschieht auch, wenn die Regeln nicht als Imperativsätze oder mit den Modalverben „sollen“ und „müssen“ formuliert werden. Das ist auch heute selten der Fall (seltener als im 19. Jahrhundert). Imperativsätze und deontische Sätze sind nach Kohrt Satztypen, die sehr häufig als „zentrale Formen für metasprachliche Vergegenständlichungen externer Normen angesehen werden“ (Kohrt 1987, 339); wobei die Formulierungen tatsächlich erheblich variieren und nicht selten eine „deskriptive Kaschierung“ (Kohrt 1987, 339) des Normativen erfolgt.
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von ususorientierten Regelungen, die interne Normen in explizit formulierte Regeln überführen. Da hier die Präskriptivität aller orthographischen Regeln vorausgesetzt wird, fragt die Arbeit nicht so sehr nach dem deskriptiven bzw. präskriptiven Charakter dessen, was formuliert ist.19 Viel eher stellt sie die Frage, ob die Grammatiker die bestehenden Normen fixieren oder verändern, also neue Normen setzen wollen (Reformorthographien). Dieser Unterschied geht sehr häufig aus der Regelformulierung hervor und wird in vielen Sekundärarbeiten zu Grammatikern (vgl. Kreutzer 2006, Ewald 1986, Ewald 1990, Haß-Zumkehr 1995a) dann mit dem Begriffspaar „deskriptiv“ – „präskriptiv“ bezeichnet. Ferner wird in dieser Arbeit zu zeigen sein, ob die Kodifikation der Fremdwortschreibung tatsächlich den handlungsanweisenden Wert hat, den Regeln ihrer Funktion nach haben sollen. Hierfür werden die Begriffe von „echter“ und „unechter Regel“ von Gallmann/Sitta 1997 wichtig. Eine „echte“ Regel ist eine allgemeine und verbindliche Handlungsanweisung für korrektes Schreiben, die einen größeren Problemkreis abdeckt. […] Echte Regeln im strengen Sinn sind nicht auf einen konkreten Einzelfall ausgerichtet, sondern legen die Schreibung für alle in Frage kommenden Einzelfälle eines bestimmten Bereichs zum vornherein fest. […] Eine echte Rechtschreibregel ist eine Handlungsanweisung, die ohne Beizug weiterer Hilfsmittel (zum Beispiel eines Wörterbuchs) zur richtigen Schreibung führt. […] Unechte Regeln sind Regeln, die ohne Beizug weiterer Hilfsmittel nicht auf eine korrekte Schreibung führen. (Gallmann/Sitta 1997, 95)
Weil eine Regelung der Fremdwortschreibung – wie noch zu zeigen sein wird – nicht ohne „unechte“ Regeln im oben beschriebenen Sinn auskommt, können diese Arten von Regeln in dieser Untersuchung nicht ausgeklammert werden.20 Aufgrund der Spezifika einer Regelung der Fremdwortschreibung, die im weiteren Verlauf der Arbeit noch zu zeigen sein werden, ist es an dieser Stelle nötig, die von Kohrt eingeführten Begriffe von generellen und singulären orthographischen Regeln zu definieren, die zusammen eine „doppelte Kodifikation“ (Kohrt 1987, 467 ff.) ergeben. Generelle Regeln sind einzelwort- bzw. einzelfallübergreifende (generalisierende) Schreibanweisungen, die meist im Regelteil von orthographischen Regelbüchern bzw. Wörterbüchern zu finden sind.21 Den generellen Regeln untergeordnet sind die singulären Regeln: Kohrt sieht im orthographischen Wörterbuch bzw. im orthographischen Wörterverzeichnis keine Verdopplung der Regeln aus dem Regelteil (kein Register wie z. B. bei Hermann Zabel [Zabel 1991, 184])
19 In anderen Arbeiten wird darauf sehr viel Wert gelegt (vgl. Kreutzer 2006). 20 Gallmann/Sitta wollen unechte Regeln nicht als Regeln bezeichnen: „Als Regel wollen wir nur solche Konkretisierungen bezeichnen, die einen bestimmten Allgemeinheitsgrad aufweisen.“ (Gallmann/Sitta 1997, 95) 21 Generelle Regeln sind außerdem weiter untergliedert. Gallmann/Sitta unterteilen hierarchisch in Grund- und Unterregeln (Gallmann/Sitta 1997, 96).
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und auch keine einfache Anwendung der generellen Regeln, sondern er hält die Aufzählung der Wörter darin für singuläre Regeln, die zu den generellen Regeln komplementär sind.22 Das bedeutet, den Lemmata in den Wörterverzeichnissen kommt dieselbe normative Potenz zu wie den generellen Regeln. Kohrt kommt damit zu folgender terminologischer Unterscheidung: „Zu unterscheiden sind demzufolge einzelwortbezogene orthographische Regeln auf der einen Seite und einzelwortübergreifende Regeln auf der anderen“ (Kohrt 1987, 402). Demnach sind die singulären Regeln mit einem kleineren Applikationsbereich den generellen Regeln zwar untergeordnet, haben aber die gleichen Kennzeichen: Beide sind über ihren Auswahl- und Vorschriftcharakter bestimmt und liefern Handlungsanweisungen für normgerechtes Schreiben (Kohrt 1987, 402 f.). Da beide Regeltypen komplementär sein sollen, dürfen die Regeln einander nicht widersprechen. Natürlich gilt für generelle und genauso für singuläre Regeln des 19. Jahrhundert aufgrund des allgemeinen Entwicklungsstandes der Orthographie wieder ein eingeschränkter Verbindlichkeitsgrad, welcher den Regelstatus allerdings nicht infrage stellt. Wenn in dieser Arbeit orthographische Regeln untersucht werden, dann bezieht sich dieser Begriff folglich nicht nur auf die generellen Regeln (die im Allgemeinen mit orthographischen Regeln gemeint werden), sondern auch auf die singulären Regeln, die im Fall des Regelungsbereiches von Phonem-Graphem-Beziehungen besonders wichtig sind. Ein weiterer Typ orthographischer Regeln, der den generellen Regeln wiederum übergeordnet ist, findet sich häufig in der Sekundärliteratur, obwohl der Regelstatus hier strittig ist, weil Unterschiede bezüglich der Einschätzung ihrer Präskriptivität vorliegen. Es handelt sich um die orthographischen Prinzipien (vgl. z. B. Nerius u. a. 2007, 85 ff.), die in den Eigenschaften den Regeln terminologisch sehr nah sind, allerdings „durch ihren hohen Verallgemeinerungsgrad, nur in geringem Maße schreibungssteuernde Potenz“ (Nerius u. a. 2007, 43) haben. So ließe sich das phonematische Prinzip lediglich als die pauschale Anweisung deuten, die zwischen Phonemen und Graphemen bestehenden Beziehungen beim Schreiben zu beachten, ohne dass die normgemäße Ausprägung dieser Relation auf der obersten Hierarchieebene be-
22 Dieser Zusammenhang wird von Hermann Zabel heftig bezweifelt. Er sieht im Wörterverzeichnis des frühen Duden keine Regeln und führt hierfür Zitate von Duden u. a. an, die behaupten, sie würden im Wörterverzeichnis ein Verweissystem geschaffen haben bzw. lediglich die Anwendung der generellen Regeln bieten. Das mag intentional richtig sein, ändert aber nichts an der Interpretation dieser Wörterverzeichnisse. Hier kann mit Sabine Hertweck gesagt werden, „daß etwas was nicht wahrgenommen wird, aber existiert, deswegen trotzdem vorhanden ist“ (Hertweck 1996, 23). Zur ausführlichen Diskussion dieses Problems vgl. Hertweck 1996, 20 ff. Die heutige Lesart des Rechtschreibduden bestätigt dies (vgl. empirische Untersuchungen von Augst u. a. 1997, 244). Kaum ein Nutzer arbeitet sich durch die generellen Regeln, wenn ihn die Schreibweise eines einzigen Wortes interessiert, sondern nutzt das Wörterverzeichnis, obwohl dieses im Gegensatz zu den generellen Regeln keine amtliche Verbindlichkeit (mehr) hat.
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reits spezifiziert wäre. Die Funktion der orthographischen Prinzipien innerhalb des Regelgefüges erweist sich daher primär als eine systematisierende, indem sie Komplexe untergeordneter genereller Regeln konstituieren und die interne Struktur des Regelwerkes durchschaubar machen. (Nerius u. a. 2007, 43)
Solche „Hyperregeln“ tauchen in den Primärtexten des 19. Jahrhunderts häufig auf und werden dann – jeweils autorabhängig – zum Beispiel als „Grundgesetz“ (vgl. Adelung 1788, 17), „Grundsatz“ (vgl. Heinsius 1807, 22; Becker 1829, 397), „Gesetz“ (vgl. Becker 1829, 399; Heinsius 1807, 380), „Hauptregel“ (vgl. Heyse 1814, 90) bezeichnet. Die Formulierung derselben hat häufig präskriptiven Charakter, weshalb diese Regeln bzw. Prinzipien in Abhängigkeit von der Relevanz des Themas mituntersucht werden. In den Grammatiken des 19. Jahrhunderts wird allerdings auch anderes als „Regel“ bezeichnet, nämlich zuweilen – wie etwa bei Daniel Sanders – der Usus oder eine bestimmte Systemeigenschaft der Sprache (Hass-Zumkehr 1995a, 227). Diese ‚Termini’ sind innerhalb der Analyseabschnitte zu den einzelnen Regelungsversuchen autorabhängig zu klären und ändern nichts an dem, was heute unter den Termini zu verstehen ist, die den Bezugspunkt für die Untersuchung bilden.
2.2.3 Die Norm der Fremdwortschreibung Die Norm der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert lässt sich anhand der von Dieter Nerius und Jürgen Scharnhorst erarbeiteten Normenmerkmale genauer charakterisieren. Durch die Erfassung dieser Merkmale wird der besondere Status der Fremdwortschreibungsnorm gegenüber der Norm anderer orthographischer Teilbereiche deutlich, was als Voraussetzung für die Wahl der Analysemethode unerlässlich ist. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kann von einer im Vergleich zu vorangegangenen Jahrhunderten relativ einheitlichen Schreibweise gesprochen werden, die in zahlreichen Grammatiken und Orthographielehren kodifiziert wird (vgl. Nerius u. a. 2007, 332 und Scheuringer 1996, 55).23 Besonders hervorzuheben ist hier Adelungs „Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie“, die seit 1788 mehrere Male neu aufgelegt wurde und für die damit eine weite Verbreitung angenommen werden kann. Die Ususorientiertheit der meisten Grammatiker zu Beginn des Jahrhunderts, die in der Sekundärliteratur häufig betont wird (z. B. Ewald 1990, 117), schränkt die Präskriptivität der Grammatiken keinesfalls ein. Dennoch gehört
23 Diese Tatsache soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weiterhin zahlreiche Schwankungsfälle und im Detail große Unterschiede zwischen den Kodifikationen gibt, wie im Einzelnen für die Fremdwortschreibung noch zu zeigen sein wird. Die Einschätzung des Zustandes als „relativ einheitlich“ ist nur in Relation zu den vorangegangenen Jahrhunderten zu rechtfertigen (vgl. Tschirch 1989, 180).
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das 19. Jahrhundert in den Übergangszeitraum, in dem die graphische Norm zwar kodifiziert wird, jener Kodifikation allerdings ein anderer Status mit weniger Verbindlichkeit zuteil wird. Es kann vermutet werden, dass sich die Norm der Fremdwortschreibung auch im 19. Jahrhundert zum Teil noch relativ eigendynamisch – und somit außerhalb von Regelwerken – zunächst als gegebene Norm entwickelt und dann kodifiziert wird (vgl. Kreutzer 2006, 24). Diese Annahme ist möglich, weil Fremdwörter bei der Übernahme in die deutsche Sprache einen komplexen, nicht normativ gesteuerten Integrationsprozess durchlaufen, dessen die graphematische Assimilation nur ein Teil ist. Der Status eines Fremdwortes innerhalb des Integrationsprozesses, also auch innerhalb des Assimilationsprozesses auf graphischer Ebene, ändert sich ständig. Der Fakt, dass der Wortschatz des Deutschen ein offenes System ist (Schippan 2002, 228) und deshalb ständig neue Entlehnungen hinzukommen bzw. andere auch wieder verschwinden, unterstützt diese Vermutung. Auch im 20. Jahrhundert wurden im Rahmen der Orthographiereform Assimilationstendenzen innerhalb des Usus ausfindig gemacht, um die kodifizierte Norm anzupassen (Munske 1997b, 109). Ob dies auch für das 19. Jahrhundert zutrifft, wird im Rahmen dieser Arbeit zu zeigen sein. Die Variabilität als zweites Merkmal von Normen ist bei der kodifizierten Norm der Fremdwortschreibung ganz besonders charakteristisch ausgeprägt. Im Gegensatz zu allen anderen orthographischen Teilbereichen ist die Zahl orthographischer Varianten aktuell vergleichsweise hoch.24 80 % der Varianten, die Birgit Gabler 1983 nachgewiesen hat, beziehen sich auf Fremdwörter. Die Variantenführung will dem individuell verschiedenen Fortschreiten des Integrationsprozesses von Fremdwörtern Rechnung tragen. Sie ist auch mit der Rechtschreibreform 1996 weiter verfolgt worden. Ob sich dieses Verfahren auch schon im 19. Jahrhundert in den Regelwerken zeigen lässt, ob sich auch im Schreibusus solche Schwankungen finden lassen und ob sich damit die These bestätigt, dass „die Variantenschreibung der Fremdwörter eine lange Tradition hat“ (z. B. Kreutzer 2006, 24), sind Fragen, die diese Arbeit an die Untersuchungstexte stellt. Für die Analyse der Kodifikation können daher nicht nur Regeltexte in Grammatiken und Orthographielehren eine Rolle spielen, wie es zunächst für diese Arbeit geplant war. Auch orthographische Wörterbücher müssen herangezogen werden, um die Variantenführung, die in weiten Teilen Sache der singulären Regelung ist, zumindest exemplarisch nachzuweisen. In direktem Zusammenhang mit der Variabilität steht die Verbindlichkeit der Norm. Gegenwärtig ist das amtliche Regelwerk in höchstem Maß verbindlich. Das gilt prinzipiell auch für die Regelung der Fremdwortschreibung. Allerdings wirkt hier wieder die Spezifik des Gegenstandes „Fremdwort“ und seines Assimilations-
24 Es handelt sich dann um orthographische Varianten, wenn „unterschiedliche Schreibungen bei konstanter Bedeutung und konstanter Lautung“ (Nerius u. a. 2007, 37) auftreten.
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prozesses. Die Verbindlichkeit bezieht sich vornehmlich auf die singulären Regeln (Kreutzer 2006, 26). Wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch zu zeigen sein wird, sind die graphemübergreifenden Regeln der Fremdwortschreibung zumindest im 20. Jahrhundert keine echten Regeln (zuweilen handelt es sich lediglich um Orientierungshilfen), so dass ihr wenig handlungsanweisender Wert nach Kreutzer zu einer Verminderung der Verbindlichkeit führt (Kreutzer 2006, 26), mindestens aber zu einer Verminderung des normativen Charakters (Nerius u. a. 2007, 88). Diese Regeln bedürfen – aufgrund des ständig stattfindenden Assimilationsprozesses – der Präzisierung durch singuläre Regeln. Man ist – mit der Erfahrung des Duden-Monopols und dem (seit 1995 wieder aufgehobenen) amtlichen Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1955 (Augst/Strunk 1988, 329; Mentrup 2007, 472) 25 – geneigt, die singulären Regeln, die der Duden anbietet, als amtlich verbindlich anzusehen. Faktisch ist dies nicht der Fall. Über den generellen Verbindlichkeitsgrad der Normkodifizierung im 19. Jahrhundert wurde schon gesprochen. Die Fremdwortschreibung reiht sich hier in die anderen Teilbereiche der Schreibung ein: Eine überregionale Verbindlichkeit der kodifizierten Norm gibt es im 19. Jahrhundert nicht, sie bezieht sich ab Mitte des Jahrhunderts allenfalls auf einzelne Länder und deren Schulen. Die Veränderlichkeit (als viertes Merkmal der Orthographie) nimmt ab, je stärker die Geltung der Normkodifizierung ausgeprägt ist (Nerius u. a. 2007, 39). Deshalb kann im 19. Jahrhundert ein Prozess von einer relativ stark veränderlichen hin zu einer amtlich verbindlichen, immer geringer veränderlichen Orthographie angenommen werden. Von zahlreichen unterschiedlichen Grammatiken und Schulgrammatiken unterschiedlicher orthographietheoretischer Richtungen zu Beginn des Jahrhunderts über ab 1855 aufkommende amtliche Schulorthographien für die einzelnen Länder bis hin zur einheitlichen amtlichen, für Deutschland, Österreich und die Schweiz verbindlichen Regelung ist dieser Prozess dokumentierbar. Innerhalb dieses Prozesses nimmt die Fremdwortschreibung zusätzlich noch eine besondere Position ein. Die unterschiedlichen Stadien eines Fremdwortes im Integrationsprozess sind der Grund, warum die Norm der Fremdwortschreibung nicht die geringe Veränderlichkeit aufweist, die die anderen Teilbereiche der orthographischen Norm haben. Veränderungen der Orthographie sind nunmehr im Wesentlichen nur noch durch eine Umkodifizierung der Regelung im Regelwerk oder im Wörterverzeichnis orthographischer Wörterbücher möglich bzw. werden teilweise durch diese legitimiert. Eine solche Änderung einer relativ
25 Der Wortlaut des Beschlusses lautet: „Die in der Rechtschreibreform von 1901 und den späteren Verfügungen festgelegten Schreibweisen und Regeln für die Rechtschreibung sind auch heute noch verbindlich für die deutsche Rechtschreibung. Bis zu einer etwaigen Neuregelung sind diese Regeln die Grundlage für den Unterricht an allen Schulen. In Zweifelsfällen sind die im Duden gebrauchten Schreibweisen und Regeln verbindlich.“ (Duden-Beschluss der KMK vom 18./19. November 1955, zit. n. Augst/Strunk 1988, 329)
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genau kodifizierten, in einer Gemeinschaft allgemein befolgten und gegebenenfalls in bestimmten Bereichen sogar amtlich verbindlichen Orthographie nennen wir eine Orthographiereform. […] Vollständig verschwindet sie allerdings nicht und ein gewisser Spielraum der Veränderung im Usus bleibt in Grenzbereichen oder Kodifizierungslücken auch nach der Etablierung einer einheitlichen Orthographie erhalten. Er wird sichtbar in Varianten von Einzelfallschreibungen, beispielsweise in der Fremdwortschreibung [...], die dann auch in die Kodifikation Eingang finden können. (Nerius u. a. 2007, 39–40)
Die kodifizierte Norm ist also nur durch einen bewussten Eingriff von außen veränderlich. Die Entwicklung im 20. Jahrhundert hat gezeigt, dass die singuläre Regelung der Fremdwortschreibung diesem Dogma nicht unterliegt. Zum Beispiel Otto Nüssler, Birgit Gabler, Gunnar Böhme und Wolfgang Mentrup haben gezeigt, dass der Duden hier immer wieder – auch ohne Rechtfertigung (Mentrup 2007, 456) – in die Schreibungsnorm eingegriffen hat, indem scheinbar veraltete Schreibungen gestrichen und neue, meist assimilierte Schreibweisen – zunächst als Varianten, dann durchaus auch als alleingültige Formen – eingeführt wurden.26 Diese Veränderungsbestrebungen sind erneut durch den Integrationsprozess der Fremdwörter erklärlich: Es soll dem jeweils aktuellen Status innerhalb dieses Prozesses auch auf der graphischen Ebene entsprochen werden. Diese quasi stillschweigend stattfindende, „schleichende Reform“ (Kreutzer 2006, 27) ist besonders für den Fremdwortbereich charakteristisch. Abgesehen davon, dass die Schreibung im 19. Jahrhundert aufgrund des eingeschränkten Geltungs- und Verbindlichkeitsgrades der kodifizierten Norm natürlich auch stärker veränderlich war, bleibt zu zeigen, inwiefern die Fremdwortschreibungsnorm der Veränderung unterworfen war.
2.3 Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation Nach der Klärung der terminologischen Grundlagen soll nun der Gegenstandsbereich der Arbeit noch eingehender spezifiziert und die Frage beantwortet werden, inwiefern sich die Schreibung der Fremdwörter von der Schreibung heimischer Wörter abhebt, welche Schreibungsphänomene also in der nachfolgenden Untersuchung fokussiert werden.
2.3.1 Die Einordnung der Fremdwortschreibung in das orthographische Prinzipienmodell Die Besonderheiten der Fremdwortschreibung gegenüber der Schreibung heimischer Wörter zeigen sich in verschiedenen orthographischen Regelbereichen (Or26 Diese Prozesse sind weitaus vielschichtiger als hier darstellbar. Nicht immer führt der Weg hin zur Assimilation. Für ausführliche Darstellungen vgl. Gabler 1992, Böhme 2001, Mentrup 2007.
Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation
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thogrammen), die in dieser Übersicht schon den einzelnen orthographischen Prinzipien zugeordnet werden: – in der Abweichung von heimischen Phonem-Graphem-Beziehungen (phonematisches Prinzip) – in Spezifika der Groß- und Kleinschreibung (lexikalisches Prinzip) – durch Besonderheiten bei der Worttrennung am Zeilenende (syllabisches bzw. morphematisches Prinzip) – bei der Getrennt- und Zusammenschreibung (lexikalisches Prinzip) Für diese Zuordnung wurde das Prinzipiengefüge nach Nerius/Scharnhorst herangezogen (Nerius/Scharnhorst 1980, 34 f.).27 Demnach stellt der Begriff des orthographischen Prinzips in erster Linie „eine besondere Ausprägung des allgemeinen Relationsbegriffes dar“ (Nerius u. a. 2007, 87) und kennzeichnet damit die zwischen der graphischen Ebene und anderen Ebenen des Sprachsystems bestehenden systematischen Beziehungen. Auch die Fremdwortschreibung muss den beiden Hauptfunktionen der Schreibung dienen; ihre Kommunikationsfähigkeit zeigt sich in der Erfüllung von Aufzeichnungs- und Erfassungsfunktion (Nerius 2000c, 151), die sich in den Prinzipien ausdrücken. Da sich die Besonderheiten der Fremdwortschreibung vielfältig – und nicht nur an einem Orthogramm – zeigen, ordnet sich die Fremdwortschreibung sowohl dem phonologischen als auch dem semantischen Grundprinzip und hier den verschiedensten untergeordneten Prinzipien zu. In der Hauptsache aber sind es die fremden Phonem-Graphem-Beziehungen, die die graphische Fremdheit zeigen und auch die größte Schreibungsschwierigkeit bilden, weshalb das Erkenntnisinteresse in dieser Arbeit auf dem graphematischen Aspekt liegt – dem Kernbereich der Fremdwortschreibung. Die Bedeutungsfixierung erfolgt in der deutschen Sprache – wie in allen Sprachen mit Buchstabensystem – grundsätzlich (aber natürlich nicht ausschließlich) durch die Zuordnung von Graphemen zu Phonemen (zu Phonem-Graphem-Beziehungen vgl. Kapitel 2.3.2). Diese Beziehungen werden im phonematischen Prinzip zusammengefasst. Fremdwörter folgen nun zum Zeitpunkt der Übernahme in die deutsche Sprache aber noch fremden Phonem-Graphem-Regeln, so dass der deutsche Sprachnutzer – in diesem Fall der lesende, dem diese fremden Regeln nicht zwangsläufig
27 Das Prinzipienmodell der Forschungsgruppe um Dieter Nerius wird in dieser Arbeit als Grundlage favorisiert, weil es sich wie folgt von anderen Modellen entscheidend abhebt: 1) Es hat eine systematische Grundlage: das Ebenenmodell, das aus der Prager Schule entwickelt wurde. 2) Die schlichte Zweigliedrigkeit, die stringent aus dem Ebenenmodell entwickelt wurde, beendet den Streit um die Relevanz der Prinzipien. 3) Der funktionale Aspekt der Prinzipien wird betont. 4) Andere Einflussfaktoren auf die Schreibung, die keinen systemhaften Charakter haben, wie etwa die Ästhetik oder historische Gesichtspunkte, bekommen ihren eigenen Platz, werden aber nicht als Prinzipien der Orthographie bezeichnet (Nerius 2000c, 155).
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bekannt sind, diese Lexeme und damit ihre Bedeutung nur schwer erfassen kann. Umgekehrt gilt für den Schreibenden: Auch er kennt die fremde Schreibung des Wortes nicht zwangsläufig und steht vor dem Problem, wie die Bedeutung zu fixieren sei: Für den Sprachteilhaber liegt die Problematik der Fremdwortschreibung vor allem darin, daß er die Schreibung aus der Lautung (und umgekehrt auch die Lautung aus der Schreibung) nicht nach den Gesetzmäßigkeiten herleiten kann, die für heimische Wörter gelten. Als Kernfrage erweisen sich somit die fremden Phonem-Graphem-Beziehungen, d. h. das Vorhandensein spezifisch fremder, in heimischen Wörtern nicht vorkommender Grapheme im Sinne von Phonographemen (d. h. mit Phonembezug definierten Graphemen). (Heller 1981b, 154 f.)
Das lexikalische Prinzip zeigt sich in der Fremdwortschreibung v. a. bei entlehnten Substantiven. Es ist eine Sonderentwicklung des Deutschen, dass Substantive (ursprünglich als bedeutungsschwere Wörter angesehen) durch Majuskel gekennzeichnet werden (vgl. Bergmann/Nerius 1998 und Krohn 2002). Da in anderen Sprachen dieses Phänomen nicht auftritt, werden alle substantivischen Entlehnungen, so sie nicht direkt eine Assimilation durch Majuskelschreibung erfahren, vom Leser schwerer als Substantive wahrgenommen. Um eine rasche Bedeutungserfassung im Deutschen zu garantieren, müssten demnach die fremden Grapheme durch deutsche Grapheme ersetzt und Substantive durch Majuskel gekennzeichnet werden. Um diese beiden orthographischen Regelbereiche wird es im Folgenden gehen. Die nachfolgenden Abschnitte spezifizieren die Besonderheiten der Fremdwortschreibung in diesen Bereichen.
2.3.2 Graphematische Besonderheiten der Fremdwortschreibung (vorwiegend paradigmatische Aspekte) Wie Horst Haider Munske und Klaus Heller zeigen, gehören die fremden PhonemGraphem-Beziehungen neben den Auffälligkeiten auf der phonischen Ebene zu den Hauptcharakteristika von Fremdwörtern (Munske 1988, 57; Heller 1981c, 200).28 Hier liegen auch die Hauptschwierigkeiten bei der Fremdwortschreibung, wie viele
28 Neben den fremden Phonem-Graphem-Beziehungen sind in Fremdwörtern fremde Buchstaben, fremde Buchstabenpositionen und fremde Buchstabenkombinationen auffällig (Nerius u. a. 2007, 120). Im Rahmen der in 2.3.4 dargestellten Terminologie betreffen graphematische Assimilationsvorgänge nur die fremden Phonem-Graphem-Beziehungen, die fremden Buchstaben und ggf. fremde Buchstabenkombinationen (z. B. engl. ). Und da fremde Buchstaben und Buchstabenkombinationen auch als fremde Phonem-Graphem-Verbindungen dargestellt werden können (vgl. Munske 1997e, 93), werden zu den anderen graphischen Besonderheiten keine weiteren Ausführungen gemacht. Zu den Fremdmerkmalen mit grapho- bzw. phonotaktischen Bezügen und ihrer Assimilierbarkeit vgl. auch 2.3.3 und 2.3.4.
Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation
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Untersuchungen immer wieder gezeigt haben (vgl. Heller 1981b, 154 f.). Dies liegt nicht nur daran, dass aufgrund der Vielzahl an Spendersprachen so viele verschiedene Phonem-Graphem-Korrespondenzen gekannt werden müssen, sondern vor allem auch an der Struktur derselben. Fremde Grapheme sind im Durchschnitt 40 % länger als deutsche (Munske 1997c, 77). Doch bevor die Inventare der heimischen und der fremden Phonem-GraphemZuordnungen besprochen werden, ist zunächst eine Definition der Begriffe Graphem und Phonem notwendig.29
2.3.2.1 Graphemtheorie Fremde Phonem-Graphem-Zuordnungen lassen sich vor allem durch den Begriff des Phonographems gut beschreiben. Mit der Nennung des Terminus Phonographem wird bereits die Entscheidung für eine Graphemdefinition mit Phonembezug deutlich (vgl. Fleischer 1965, Heller 1980a). Dennoch soll eine kurze Besprechung verschiedener Graphemdefinitionen und ihrer Handhabbarkeit für diese Arbeit vorgenommen werden: In nahezu allen Publikationen zur Graphemtheorie werden Definitionen in Abhängigkeit vom Bezug zur phonologischen Ebene gegeben, wenn sie auch nur in der Leugnung eines Zusammenhangs besteht (Heller 1980a, 76). Es lassen sich nach Hans Peter Althaus und Ilpo Tapani Piirainen drei Definitionsrichtungen feststellen (Althaus 1980, 145 f. und Piirainen 1983, 251 f.):30 a) Definitionen, die der graphischen Ebene eine relative Autonomie zusprechen und das Graphem als kleinste Struktureinheit der graphischen Ebene mit bedeutungsunterscheidender Funktion bestimmen (z. B. Eisenberg 1985, Artymovyč 1932, Vachek 1976, McIntosh 1961, Piirainen 1968, zit. n. Piirainen 1983, 251). Diese Definition berücksichtigt den Bezug der Schreibung zur Lautung nicht, der als phonologisches Prinzip zu den grundlegenden Bezügen der Schreibung zählt und auf Grundlage dessen viele Veränderungen der Fremdwortschreibung in erster Linie vorgenommen werden. b) Definitionen, die von einer relativen Abhängigkeit der graphischen von der phonologischen Ebene ausgehen; die graphische Ebene nimmt hier einen sekundären Status ein (z. B. Pulgram 1951, Fleischer 1966, zit. n. Piirainen 1983, 252). Sie sind für diese Arbeit nicht tauglich, weil sie z. B. nicht die Großbuchstaben berücksichtigen, die ein paralleles Schriftzeicheninventar zu den Minuskeln bilden und in ihrer Form keine Korrespondenz zur lautlichen Seite eingehen.
29 Da im Folgenden die Definition des Graphems in Bezug zur phonematischen Ebene bevorzugt wird, kann die Phonemdefinition im Rahmen des Kapitels zur Graphemtheorie gegeben werden, weshalb kein eigenständiges Kapitel zur Phonemtheorie vorhanden ist. 30 Es gibt darüber hinaus viele weitere Übersichten zu den unterschiedlichen Graphemtheorien (vgl. Garbe 1985, 1), die hier aber nicht diskutiert werden können.
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Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung
c) Definitionen, die von einem Gleichgewicht der graphischen und der phonologischen Ebene ausgehen. Sie bestimmen das Graphem sowohl in seiner Eigenständigkeit (Graphem = kleinste distinktive Einheit der geschriebenen Sprache) als auch in seinen Beziehungen zur phonologischen Ebene (Graphem = Einheit der geschriebenen Sprache, dessen Bezeichnetes ein Phonem ist) – (McLaughlin 1963, Harweg 1966, Heller 1980, zit. n. Piirainen 1983, 252 f.). Die Definitionen der letzten Gruppe nehmen beide Aspekte auf, die für die Bestimmung von fremden graphischen Elementen in Lexemen wichtig sind. Ohne diese Betrachtungseinheit bliebe ein Aspekt des Graphems unberücksichtigt und die Analyse der Fremdmerkmale damit unvollständig. In einer tabellarischen Übersicht werden die für eine klare Gegenstandsbestimmung zu differenzierenden Begriffe der Graphematik nach Heller zusammengestellt: Tab. 3: Termini der Graphematik. Terminus
Definition
Graph Buchstabe Graphographem
konkret realisierter Buchstabe Abstraktion der Graphe kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit der graphischen Ebene Unterscheidung in Buchstaben-Graphographeme, NichtbuchstabenGraphographeme kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit des graphischen Systems, deren Bezeichnetes ein Phonem ist Unterscheidung in einfache und zusammengesetzte Grapheme
Phonographem
Demzufolge wird der Terminus Graphem hier nicht mit dem Begriff des Buchstabens gleichgesetzt. Grapheme können auch Kombinationen von Buchstaben oder aber Nichtbuchstaben wie Interpunktionszeichen, symbolische Zeichen u. Ä. sein. Da die Untersuchung nur Lexeme unabhängig von der syntaktischen Verwendung erfasst, wird einfachheitshalber der Begriff des Fremdgraphems in dieser Arbeit auf Buchstaben-Graphographeme und Phonographeme reduziert.31 Die Phonographeme sind, wie bereits erwähnt, für unsere Untersuchung am wesentlichsten. Es sind mit Blick auf die phonologische Ebene definierte Grapheme, die demnach die Beziehungen zwischen Phonem und Graphem zeigen. Mit ihnen lassen sich alle paradigmatischen Fremdheitsmerkmale darstellen: sowohl fremde Graphographeme als auch fremde Phonem-Graphem-Korrespondenzen. Dabei gibt es keine 1 : 1Entsprechung zwischen Phonem und Graphem, wie bei Nerius u. a. 2007 gezeigt
31 Wird im Untersuchungsteil dieser Arbeit der Begriff des Graphems gebraucht, so ist damit – der Handhabbarkeit halber – immer ein Phonographem gemeint. In anderen Fällen wird der genaue abweichende Terminus genannt.
Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation
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wird. Die Zuordnungen sind vielschichtig und ihr Vorkommen zum Teil stark distributionsabhängig (vgl. Kapitel 2.3.2.2). Diese Definition mit Bezug auf die phonematische Ebene führt zur Definition des Begriffes Phonem: Das Phonem ist die kleinste Einheit der phonischen Ebene ohne bedeutungstragende, aber mit distinktiver Funktion (Meinhold/Stock 1982, 32; Nerius u. a. 2007, 100). Letzteres unterscheidet das Phonem vom Laut (Phon). Ein Phonem ist gewissermaßen das Pendant zum (Grapho-) Graphem; beide sind jeweils die kleinsten distinktiven Einheiten innerhalb ihrer Ebene: der graphischen und der phonischen Ebene. Wenn also von Phonemen gesprochen wird, sind immer abstrakte Phänomene mit distinktiver Funktion gemeint. Es ist noch ein Aspekt zu beachten, der die Grapheme und ihre Distribution betrifft. Zuweilen werden bei der Analyse der fremden Phonographeme auch komplexe Phoneme bzw. komplexe Graphographeme zu finden sein, z. B. oder (Letzteres bei Munske: „komplexe Graphem-Phonem-Beziehungen“ [Munske 1997b, 147]32). Der Status solcher Einheiten als mono- bzw. biphonematisch/ graphematisch ist in der Sekundärliteratur umstritten (vgl. Nerius u. a. 2007, 111) und kann im Folgenden auch nicht abschließend diskutiert werden. Auch wenn besonders bei den Diphthongen oft eine distinktive Funktion der Konstituenten zu finden ist (Nerius u. a. 2007, 111), halte ich es mit Heller: Auf die Grapheme und hatten wir schon früher hingewiesen. Sie stellen insofern eine Ausnahme unter den deutschen Graphemen dar, als sie sich nicht auf ein Phonem, sondern auf eine Phonemkombination (/k/+/s/ bzw. /t/+/s/) beziehen. Ähnliches gilt auch für die Grapheme und sowie für die Diphthonggrapheme […]. Die Tatsache, daß sich diese Grapheme nicht nur auf eine Phonemkombination […] beziehen, sondern zugleich auch selbst aus jeweils zwei oder sogar drei Graphographemen bestehen […], würde es auch zulassen, jeweils mehrere Phonographeme anzunehmen, etwa und anstelle von oder und anstelle von . Da diese Grapheme aber nur in ihrer Kombination miteinander und nur in ihrem gemeinsamen Bezug auf eine bestimmte Phonemkombination vorkommen, halten wir es für angebracht, in diesen Fällen von nur einem Phonographem zu sprechen. Das gilt dann auch für oder , bei denen die einzelnen Grapheme im Diphthonggraphem ihren Phonembezug nicht ändern. (Heller 1981c, 140)
Diese Ansicht kommt in der Analyse zum Tragen, wenngleich das Vorgehen nicht ganz konsequent umgesetzt wird, weil auch andere Phonographeme an ihre Umgebungspartner geknüpft sind und trotzdem in der nachfolgenden Analyse nur ohne
32 Munske interpretiert dieses Graphem – wie auch viele andere derart komplexe Grapheme – in seiner Inventardarstellung anders als Heller. Beide Inventare liefern Bezugsgrößen für diese Arbeit, dennoch lehnt sich diese Arbeit in Zweifelsfällen eher an Munske denn an Heller an. Das Graphem (bei Munske als komplexe Phonem-Graphem-Beziehung nicht weiter problematisiert) wird bei Heller unter Bezug auf die „Strukturgesetze der Spendersprache“ (Heller 1986, 23) in zwei Phonographeme zergliedert: und . Bezugnehmend auf das oben genannte andere Zitat Hellers allerdings nehme ich (aufgrund seiner Begründung) hier ein einziges Graphem an (Heller 1981c, 140).
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Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung
diese Bedingungen als Phonographeme dargestellt werden. So wird es möglich, auch syntagmatische Phänomene in Phonographemen beschreibbar zu machen, was die Handhabbarkeit der Analyse und ihrer Auswertung erleichtert. So besteht beispielsweise die fremde Graphemzuordnung nur dann, wenn eine der Vokalverbindungen , , , folgt (Munske 1997a, 150), dennoch wird als Phonographem hier nicht o. Ä. angegeben. Es werden bei der Beschreibung einfache Phonographeme benutzt – allerdings mit dem Wissen darum, dass diese Grapheme nur in einer bestimmten Umgebung auftreten. Zum Beispiel werden die Assimilationsvorgänge bei frz. perruque und dt. Perücke folgendermaßen beschrieben: → , → , → . Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die wesentlichen Kriterien bei der Bestimmung der fremden Phonographeme die folgenden sind: Die Zusammenhänge zwischen Phonem und Graphem sollen sichtbar werden und außerdem soll die Übersichtlichkeit gewahrt bleiben. Ich beziehe mich bei der Analyse des jeweiligen Phonembezugs auf die fremden Phonographeminventare bei Heller 1986 und Munske 1997b. Einschränkend muss allerdings noch hinzugefügt werden, dass vorliegende Analyse im Gegensatz zum Phonographeminventar Hellers die Auslautverhärtung im Sinne einer allophonischen Erscheinung interpretiert und daher – wie auch im heimischen Grapheminventar – das morphematische Prinzip berücksichtigt.33 Abschließend eine kurze Bemerkung zu der Frage nach dem graphematischen Status von Majuskeln. Es gibt diesbezüglich sehr unterschiedliche Auffassungen, die z. B. bei Heller und Nerius dargestellt sind (Heller 1981c, 144 f.; Nerius u. a. 2007, 105 f.). Auch in dieser Frage wird sich der Ansicht Hellers angeschlossen, der konstatiert: Wir betrachten Majuskeln und Minuskeln […] als graphische Varianten eines einzigen Phonographems, ihre Unterscheidung ist unter dem Aspekt des Phonembezugs eines Graphems nicht relevant. Auf rein graphischer Ebene hingegen sind die Majuskeln so gut isolierbar wie jedes andere Schriftzeichen und unterscheiden sich auch deutlich von den Minuskeln. Sie stellen für uns demnach selbständige Graphographeme dar. (Heller 1981c, 145)
Die Analyse der Großschreibungsassimilation in Fremdwörtern wird in dieser Arbeit dennoch vorgenommen, wenngleich sie eher begleitende Funktion hat. Eine Publikation zur Entwicklung der Großschreibung im 19. Jahrhundert – auch in Fremdwörtern – gibt es bereits (Krohn 2001) 34, weshalb die Analyse der Groß33 Heller konstatiert Folgendes: „Für die assimilierte Aussprache haben wir uns auch dann entschieden, wenn sie die sogenannte Auslautverhärtung widerspiegelt, z. B. statt in Gigue“ (Heller 1986, 23). Zum Problembereich des morphematischen Prinzip und seiner eingeschränkten Gültigkeit bei Fremdwörtern vgl. 2.3.3. 34 Eine weitere Darstellung der Entwicklung von Majuskelschreibung im 19. Jahrhundert – allerdings ausschließlich der Kodifikationsentwicklung – gibt Karin Rädle 2003, deren Arbeit für die vorliegende aber diesbezüglich nicht von Relevanz ist, da sie die Gruppe der Fremdwörter nicht separat betrachtet (Rädle 2003).
Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation
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schreibung dazu dient, den Zusammenhang zwischen graphemischer Assimilation und der Assimilation in anderen Bereichen des Sprachsystems aufzuzeigen. Sie findet separat statt und wird natürlich nicht im Rahmen von Phonographemen beschrieben.
2.3.2.2 Grapheminventare Die Kennzeichnung bestimmter PGB als „fremd“ setzt die Kenntnis des indigenen Grapheminventars als Beschreibungsfolie voraus (Munske 1997c, 77). Deshalb geht der Erläuterung des fremden Grapheminventars eine Darstellung des deutschen Systems voraus.
2.3.2.2.1 Das heimische Grapheminventar Das heimische Graphographeminventar hat seit dem 19. Jahrhundert kaum Veränderungen erfahren, so dass hier der aktuelle Status quo des deutschen Alphabets (bei den einfachen Graphemen) zur Grundlage gemacht werden kann.35 Einzig problematisch bleiben – gerade in Bezug auf die Verwendung bei Fremdwörtern – die Grapheme , (vgl. z. B. Munske 1997a, 149) und auch (Eisenberg 2006, 353). Vor allem und sind zwar Bestandteile des deutschen Alphabets – sowohl heute als auch im zu untersuchenden Zeitraum, kommen heute jedoch nur in Fremdwörtern eigenständig vor. Der Buchstabe wird nur in Kombination mit den Buchstaben oder zu einem heimischen Graphem. Das ist auch für das 19. Jahrhundert zu erwarten. Das kann im 19. Jahrhundert auch als heimischer Buchstabe angesehen werden, da er als Variante zur Darstellung des Diphthongs /aɪ/ auftritt, die relativ häufig Anwendung findet (z. B. Beyspiel, frey, Künsteley, zwey, dabey, unpartheyisch, feyerlich), darauf aber auch im Wesentlichen beschränkt bleibt. Für das Graphem ist die Situation wiederum eine andere, denn es tritt in indigenen Wörtern selbständig mit dem Phonembezug /ks/ auf (z. B. Hexe, Axt, Faxen, Nixe): „ ist […] mit 37 % zum eine häufige Alternative“ (Naumann 1991, 116). Viele andere Wörter mit der Phonemkombination /ks/ allerdings haben ihre etymologische Schreibweise mit beibehalten, so dass als Korrespondent zu /ks/ eher in lateinischstämmigen Wörtern zu finden ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass z. B. Kreutzer in ihrer Untersuchung zur graphematischen Assimilation von Fremdwörtern das Graphographem als potenziellen Assimilationskandidaten anerkennt (z. B. Kreutzer 2006, 58).
35 Wird im Folgenden vom sog. „heimischen Graphographeminventar“ gesprochen, dann geschieht dies mit dem Wissen, dass natürlich (fast) kein Buchstabe der deutschen Graphie tatsächlich indigen ist. Das Alphabet wurde aus dem Lateinischen übernommen (Nerius u. a. 2007, 290). Die Etablierung des lateinischen Alphabets für deutsche Texte sorgte dafür, dass die größten Teile des Alphabets als „heimisch“ angesehen werden.
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Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung
Die vermeintlich problematischen Graphographeme , und können mithilfe der Theorie von Zentrum und Peripherie der Prager Schule allerdings gut eingeordnet werden.36 Die genannten Buchstaben gehören nicht zum Zentrum des deutschen Graphographeminventars, sondern in die Peripherie. Dabei befindet sich der Buchstabe dichter am Zentrum als das Graphem , da das selbständig in indigenen Wörtern auftritt, das heutzutage hingegen nicht. Zwischen ihnen liegt der Buchstabe , da er zwar in der Phonemkorrespondenz /ʏ/ nicht in heimischen Wörter auftritt, stattdessen aber – zumindest in der Literatur des 19. Jahrhunderts – als Teil der graphischen Realisierung des Phonems /aɪ/ in heimischen Wörtern zu finden ist (z. B. seyn, beyde). Da es für den Buchstaben in Fremdwörtern bis heute keinerlei Assimilationstendenzen gibt (Eisenberg 2012, 329) und da der Buchstabe recht dicht am Zentrum des deutschen Graphemsystems gelagert ist, wird in dieser Untersuchung ausdrücklich als heimischer Buchstabe angesehen und daher auch nicht Gegenstand der nachfolgenden Analyse.37 Anders verhält es sich mit den Kandidaten und : Diese Buchstaben erhalten in vorliegender Arbeit den Status des Fremden. Den Buchstaben aus der Untersuchung auszuklammern, verbietet außerdem seine Auftretenshäufigkeit sowie seine sehr ausführliche Besprechung in der Sekundärliteratur (z. B. Nüssler 1987, Munske 1988, Langner 1995, Volland 1986, Hofmeister 2000). Und für eine Einordnung des Buchstabens in das Fremdinventar spricht seine häufigste und nur in entlehnten Wörtern vorkommende Korrespondenz mit den Phonemen /y:/ und /ʏ/. Zur Ermittlung des heimischen Phonographeminventars greife ich auf die Untersuchungen von Heller (Heller 1975, 1981c) zurück, in der eine vollständige Auflistung der heimischen Phonographeme erfolgt (vgl. Tab. 4).38 Heller findet – ausgehend von den heimischen Phonemen – 72 bzw. 78 heimische Phonographeme (Heller 1975, 73; Heller 1981c, 137). Auch hier ergeben sich Schwierigkeiten bei der Zuordnung zu den Kategorien, die mithilfe der Theorie von Zentrum und Peripherie lösbar werden. Utz Maas stellt Bedingungen an die Konstruktion des heimischen Phonem-Graphem-Systems: Es darf nur produktive Zuordnungen beinhalten
36 vgl. Daneš 1982. 37 In jüngerer Zeit ist endlich eine umfassende Graphematik des Deutschen von Martin Neef erschienen (Neef 2005). Der Autor ordnet die Korrespondenz ganz eindeutig dem deutschen Graphemsystem zu (Neef 2005, 56). 38 Auch Neefs Arbeit könnte zur Grundlage für die Beschreibung des heimischen Grapheminventars werden. Allerdings ist Neefs Grenze zwischen heimischen und fremden Graphemen nicht immer überzeugend. Das Problem der Abgrenzung zwischen indigenen und fremden Korrespondenzen benennt er selbst auch mehrfach (vgl. Neef 2005, 55, 91, 97 usw.). So sind für ihn Korrespondenzen von , , nicht fremd, in vorliegender Arbeit mit Blick auf das Korpus schon. Hellers Darstellung entspricht eher dem hier zu beschreibenden orthographischen Phänomen und wurde gewählt, weil sie direkt für eine Beschreibung der Fremdwortschreibung konzipiert wurde.
33
Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation
Tab. 4: Graphemsystem der deutschen Gegenwartssprache (nach Heller 1981c, 137 f.) 39 Phonem
(Maas 1992, 354). Nimmt man mit František Daneš die Frequenz als Kriterium für die Einordnung in Zentrum und Peripherie (Daneš 1982, 141), dann würde das von Heller beschriebene heimische Phonographeminventar zumindest zwei für die Analyse der Fremdwörter wichtige Modifikation erfahren: Das Graphem wäre aufgrund seiner Auftretenshäufigkeit und aufgrund seiner Verteilung auf fremde und heimische Lexeme eher als fremd einzustufen (Nerius u. a. 2007, 128) und damit in die Peripherie des deutschen PGB-Systems einzuordnen. Es handelt sich bei der Vokallängenmarkierung durch die Buchstabenkombination um eine etablierte deutsche Sonderentwicklung, die auf die Monophthongierung von /iə/ zurückzuführen ist (Schlaefer 1980a, 282) und nun regelhaft vorkommt (Nerius u. a. 2007, 113).40 Daher wird dem Graphographem der Status eines Fremd-
39 Die Darstellung der Relationen von Phonem und Graphem erfolgt vom Phonem ausgehend. Auf die Vokalphoneme (links) folgen die Konsonantenphoneme (rechts). Markiert sind diejenigen Grapheme, die in besonderer Umgebung eher zum fremdsprachlichen Inventar gehören. 40 Carl Ludwig Naumann hat folgende Graphemverteilungen bei Langvokal /i:/ ermittelt: In 84,7 % aller Fälle wird die Markierung des Langvokals durch angezeigt. Nur in 2 % der Fälle wird auf eine Markierung verzichtet. Die Markierung durch liegt mit 7,8 % ebenfalls weit hinter der etablierten Variante (Naumann 1991, 114).
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Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung
graphems in allen den Fällen zugewiesen, wo es in nicht indigenen Wörtern in betonter Silbe mit dem Phonem /i:/ korreliert. Beim Phonographem entscheiden Distribution und Position, ob es als einheimisches oder als fremdes Phonographem zu deuten ist. Gefolgt vom Buchstaben , handelt es sich um ein heimisches, tritt es allerdings in Initialstellung auf, hat der Sprachnutzer es mit einem fremden Phonographem zu tun. Auch dieses Graphem gehört also in die Gruppe derer, die zwar selten in heimischen Wörtern zu finden sind, dafür umso häufiger in Fremdwörtern auftreten und daher nur an der Peripherie des deutschen Phonem-Graphem-Systems zu finden sind. In Abhängigkeit von der Position ist seine Fremdheit eindeutig nachzuweisen. Der Bezug zum heimischen Phoneminventar erfordert es, weitere strittige Fälle (besonders solche in Hinsicht der Fremdwortanalyse) wenigstens kurz zu besprechen. Es handelt sich um die nicht in Wörtern deutschen Ursprungs vorkommenden Phoneme /ʒ/ und /dʒ/ (z. B. in Journal und Jeans). Wie in 4.3.4 gezeigt wird, sind graphematische Assimilationen nur möglich, wenn heimische bzw. an das deutsche System angeglichene Phoneme die Grundlage bilden, weil es für fremde Phoneme im Deutschen keine Zeichen gibt (vgl. Munske 1997c, 80). Diese Grundlage bezweifelt Heidemarie C. Langner, die es für möglich hält, Jeans in Analogie zu Dschungel etwa zu *Dschiens zu assimilieren und als Gegenargument nur die Internationalität des Wortes nennt (Langner 1995, 66). Damit ginge sie davon aus, dass auch Grapheme mit fremdem Phonembezug assimilierbar sind oder aber der Status der Phoneme /ʒ/ und /dʒ/ sich geändert hat. So sagt auch Munske: „[I]n Genie, Genre, Gelee, Regie, Marge etc. wird mit dem peripheren Phonem /ʒ/ zugleich die GPK-Regeln → /ʒ/ ins Deutsche transferiert. Ich nenne dies graphemische Transferenz. Damit wird das deutsche Graphemsystem um eine zusätzliche Regel erweitert“ (Munske 1983, 585). Das Phonem /ʒ/ wäre demnach also Teil des deutschen Phonemsystems, wenngleich in der Peripherie (vgl. auch Meinhold/ Stock 1982, 138; Eisenberg 2001, 187). Das ist auch deshalb nicht abwegig, weil das Phonem eine Lücke des deutschen Phonemsystems auffüllen würde (als stimmhaftes Pendant zu /ʃ/) (Munske 1988, 56). Aus diesen Gründen würde das Phonem auch nicht assimiliert (Munske 1988, 52), was andererseits angesichts von folgenden zumindest umgangssprachlichen Tendenzen in der Aussprache zu bezweifeln ist: „Sieht man von der höchsten Aussprachenorm ab, so wird man feststellen, daß ein großer Teil der deutschen Sprecher diesen, ihnen unbekannten Laut integriert und zwar, indem sie ihn als /ʃ/ realisiert“ (Volland 1986, 62). Ich halte es dennoch mit dem traditionellen Phonemsystem (vgl. Heller 1975, 63) und schließe /ʒ/ als höchstens am Rand der Peripherie vorkommend von der Untersuchung aus. Das scheint auch deshalb gerechtfertigt, da dieses Phonem im 19. Jahrhundert als fremd gilt („[D]agegen muß franz. g überall bleiben, da es ebenso wie z. B. das l mouillé keinen deutschen Laut bezeichnet, also logiren, Bouillon“ [Duden 1872, 39].) und es hierfür bis heute keinen reihenbildenden, regelhaften graphematischen Assimilationsvorgang gibt. Auch die phonematische Assimilation
Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation
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beschränkt sich gegenwärtig auf die Umgangssprache.41 Somit sind bezogen auf das Phonem /ʒ/ für das 19. Jahrhundert keine einschlägigen Ergebnisse zu erwarten. Bislang wurde das heutige Phonographeminventar als Bezugsgröße für die historische Analyse dargestellt. Dass dieses Inventar auch als Bezugsfolie für die Analyse der Fremdwortassimilation im 19. Jahrhundert verwendet wird, ist nicht ganz unproblematisch. Allerdings existieren für das 19. Jahrhundert keine ausführlichen Untersuchungen bezüglich eines solchen Inventars. Da es sich um historisch gesehen vergleichsweise recht nahe Zeiträume handelt, die Normierung der deutschen Schreibung im 19. Jahrhundert auch schon relativ weit fortgeschritten ist und das heutige Phonographeminventar zeigt, in welche Richtung die Assimilation der Fremdwörter schlussendlich läuft, kann das heutige Inventar als Bezugssystem dienen (Glaser 1988, 173 f.). Es fehlen zwar, wie gerade ausgeführt, ausführliche Untersuchungen zu den Phonographemen im 19. Jahrhundert, belegt sind für den Untersuchungszeitraum dennoch einige phonographematische Varianten, die im weiteren Verlauf der Orthographiegeschichte getilgt wurden und demzufolge nicht mehr im heutigen Phonographeminventar berücksichtigt werden. Dies betrifft im Hinblick auf die Fremdwortschreibung die Graphemkombination
für das Phonem /t/, die heute in heimischen Wörtern nicht mehr existiert, im 19. Jahrhundert allerdings gegenüber einfachem Konsonantenbuchstaben für das Phonem /t/ in heimischen Lexemen deutlich dominiert. Dieser Zustand wird amtlicherseits erst nach der II. Orthographischen Konferenz verändert. Daraus folgt die Prognose für die Untersuchung, dass das Phonographem in Fremdwörtern im 19. Jahrhundert eventuell weniger stark als fremd eingestuft wird und daher möglicherweise auch weniger Assimilationstendenzen zeigt als andere nur auf Fremdwörter bezogene Grapheme.
2.3.2.2.2 Das Inventar der Fremdgrapheme im Deutschen Wie in 2.1 bereits ausgeführt, können sowohl fremde Graphographeme, fremde Buchstabenkombinationen als auch fremde Phonem-Graphem-Beziehungen mithilfe von Phonographemen dargestellt werden. Auch positions- und distributionsbedingt fremde Phonem-Graphem-Beziehungen werden so erfassbar, wenngleich schließlich immer ein zusätzlicher Hinweis auf ihre Bedingtheit notwendig ist. Der an Hellers Inventar kritisierte Aspekt der Vernachlässigung von syntagmatischen Zusammenhängen bei der Fremdwortassimilation (Munske 1997c, 78) kann daher durch einen einfachen Hinweis entkräftet werden. Im Folgenden wird zunächst primär Bezug genommen auf das Fremdgraphemgefüge, das sich aus der paradigmatischen Analyse ergibt.
41 Zumindest gibt es noch keinerlei Hinweise im zugrunde gelegten Aussprachewörterbuch (Duden) darauf, dass sich diese Aussprache mittlerweile auch für die Standardsprache durchgesetzt hätte.
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Theoretische Prämissen zur Fremdwortschreibung
Zum gegenwartssprachlichen Inventar der Fremdgrapheme (Phonographeme) liegen Untersuchungen von Heller (zuvor dargestellt in seiner Dissertation A) und Munske vor (Heller 1986, Munske 1997b), die natürlich keinen Vollständigkeitsanspruch haben, zumal der Wortschatz ein offenes System ist und der Sprachenkontakt eine starke Fluktuation bewirkt. Daher ist keine abgeschlossene Liste zu erwarten. Heller stellt in seiner ungedruckten Dissertation 1981 den Status quo der Fremdgrapheme dar. Er benennt 289 Fremdgrapheme, die aber in ihrer Vorkommenshäufigkeit erheblich differieren (Heller 1986, 24 ff.). In seiner Häufigkeitsuntersuchung hat Munske diese Fremdgrapheme auf 134 häufig vorkommende Grapheme reduziert (Munske 1997b, 142 ff.). Beide Listen wurden für die Analyse des Fremdgrapheminventars in den Primärtexten des 19. Jahrhunderts zur Klärung des Phonographemstatus herangezogen. Das beinhaltet auch die Akzeptanz des Phonembezugs der Grapheme, die Heller und Munske annehmen. Es war im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, eine Problematisierung der Phonem-Graphem-Systeme aller möglichen Spendersprachen bzw. eine Nachprüfung des Assimilationsverhaltens der Phoneme weder für den Status quo noch für das historische System vorzunehmen. Sowohl für die heimischen als auch für die fremden Phonem-GraphemBeziehungen werden die Inventare von Heller und Munske zur Grundlage der Analyse gemacht. Mir ist bewusst, dass diese Fremdgrapheme aus Sicht der Fremdsprachentheoretiker keinesfalls zur Beschreibung der fremden Sprachen geeignet sind, da sie oftmals einen phonetisch-phonemischen Assimilationsprozess bereits zu Beginn der Übernahme des Phonems in die deutsche Sprache annehmen. Die PhonemGraphem-Bezüge wären in der Spendersprache schlichtweg falsch. Deshalb muss betont werden, dass es sich um Fremdgrapheme aus deutscher Sicht handelt und nicht um spendersprachlich philologisch korrekte Phonographeme.42 Horst Haider Munske liefert neben einer Inventaraufstellung (hier ausdrücklich ohne Beachtung des lexikalischen Prinzips und der Phonotaktik, vgl. dazu Abschnitt 4.3.3) auch eine Systematisierung desselben beruhend auf der Theorie von Zentrum und Peripherie (Munske 1997c, 79). Er unterscheidet zunächst nach dem Vorkommen der Schriftzeichen (heimisches oder fremdes Alphabet) und nimmt somit auch fremde Graphographeme (Buchstaben) wie , , , , usw. mit auf (Munske 1997c, 79, vgl. auch Heller 1986: , , , , , , , , , , , , , , und andere in Heller 1975, 75).43 Die zweite Unterscheidung bezieht sich auf die Phonemkorrespondenz der Grapheme bzw. Graphemkombinationen (zentrale [heimische] oder periphere PGB-Regeln). Die aus deutschen Zeichen bestehenden Grapheme mit heimischen PGB-Regeln sind naturgemäß eher keine Assimilations-
42 Zur Assimilation der Phoneme: vgl. 2.3.4.2. 43 Hierzu zählt er auch und in monographer Verwendung. Problematisierung hierzu vgl. 2.3.2.2.1.
Ausprägungen der Fremdwortschreibung und Möglichkeiten der Assimilation
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kandidaten. Dass es allerdings auch hier phonotaktisch bedingt Möglichkeiten gibt, wird in Kapitel 2.3.3 dargestellt. Das dritte Unterscheidungskriterium für Munske ist der Bezug der Grapheme mit peripheren (fremden) PGB-Regeln auf zentrale (heimische) oder periphere (fremde) Phoneme. Dabei erwähnt der Autor, dass es „für Grapheme, die sich auf periphere Phoneme, wie z. B. die Nasalvokale, ʒ oder ɵ beziehen, […] keine unmittelbaren graphemischen Ersatzmöglichkeiten [gibt], da wir eben für fremde Phoneme keine eigenen Zeichen haben“ (Munske 1997c, 80). Für diese Fälle darf aber angenommen werden, dass es eine andere Art der graphematischen Assimilation gibt.44 Die Grapheme mit heimischem Phonembezug – und damit die theoretisch assimilationswürdigen – sind eindeutig überzählig vorhanden. Und hierbei ist noch nicht berücksichtigt, dass es auch durch grapho-phonemische Assimilation zu heimischen Phonembezügen kommt: Von den insgesamt 289 Fremdgraphemen, die Heller auflistet, beziehen sich nur 39, d. h. 13,4 % auf periphere Phoneme, davon über zwei Drittel auf die französischen Nasalvokale. Die Hauptmasse der Fremdgrapheme, 82,3 %, beziehen sich auf zentrale Phoneme. D. h. die Fremdheit liegt hier nicht im phonologischen Bezug, sondern allein auf graphemischer Ebene. (Munske 1997c, 81)
Die vierte Unterscheidung basiert auf der Anzahl an Buchstaben eines Graphems, die für ein bestimmtes Phonem stehen. Munske unterscheidet in Monographe und Polygraphe, um erneut unterschiedliche Häufigkeitsverteilungen und unterschiedliches Assimilationsverhalten deutlich zu machen. Wie für das heimische Grapheminventar gilt auch hier, dass das gegenwärtige Inventar zunächst auch als Bezugsfolie für die Analyse der Fremdwortassimilation im 19. Jahrhundert verwendet wurde, um dann schließlich – nach der Analyse der Primärtexte – ein Fremdgrapheminventar für das 19. Jahrhundert aufzustellen. Dass zunächst das gegenwartssprachliche System angelegt wurde, ist insbesondere in Bezug auf die Phonembezüge der fremden Grapheme wichtig. Ob z. B. in Wörtern wie Saison, Balkon – wie heute üblich – im 19. Jahrhundert eine phonemische Assimilation vorgelegen hat, darf bezweifelt werden. Da Gegenteiliges allerdings genauso wenig zu beweisen ist und der Untersuchungszeitraum recht nahe an dem heutigen liegt, kann das heutige Inventar als Bezugssystem dienen (Glaser 1988, 173 f.). Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass das unten stehende Fremdgrapheminventar, das auf Grundlage der Ususanalyse erstellt wurde, nur aus theoretisch assimilierbaren Graphemen besteht.45 Manche dieser Grapheme wurden auch
44 Vgl. Kapitel zu den Assimilationsmöglichkeiten. 45 Damit sind alle Grapheme gemeint, die theoretisch eine der in 4.3.4.1 und 4.3.4.2 dargestellten Assimilationsformen annehmen könnten, also z. B. nicht solche, die ein fremdes Phonem aufweisen, das in demselbem Wort auch am Ende des 20. Jahrhunderts noch keine Assimilation gezeigt hat.
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ausschließlich assimiliert vorgefunden, insofern handelt es sich eher um eine Liste der assimilierten bzw. potenziell assimilierbaren Fremdgrapheme des 19. Jahrhunderts. Es sind auch solche Grapheme aufgeführt, bei der sich die Fremdheit aus der lautlichen Umgebung bzw. der Position innerhalb des Wortes ergibt. Gemeint sind alle Einfach- bzw. Doppelkonsonantengrapheme mit eigentlich heimischem Phonembezug, die aber aufgrund ihrer Position nach Kurz- bzw. Langvokal dem fremden Inventar zuzurechnen sind.46 Positionsabhängig fremd ist auch die initiale Verwendung von . Die folgende Inventarliste ist jeweils mit Beispielwörtern aus den Usustexten versehen. Die spendersprachliche Schreibung ist angeführt, sofern mindestens eine graphematische Assimilation47 innerhalb des Wortes nachweisbar stattgefunden hat. Tab. 5: Assimilierte und potenziell assimilierbare Fremdgrapheme im 19. Jahrhundert. Graphem
2.3.3 Graphematische Bezeichnung der Vokalquantität bei Fremdwörtern (syntagmatische Aspekte) Wenn unsere Orthographie – in wie komplexer Weise auch immer – das deutsche Phonemsystem abbildet, so steht zu erwarten, daß sie nicht nur das paradigmatische System, d. h. das Inventar der Phoneme in ihren graphischen Zeichen repräsentiert, sondern daß sie dabei auch die syntagmatischen Vorkommensbeschränkungen, d. h. die Phonotaktik, berücksichtigt. (Munske 1985, 44)
Die Inventare der heimischen und der fremden Grapheme zu vergleichen, ist ein Vorgehen bei der Analyse der Fremdwortschreibung, das zunächst nur rein paradigmatische Aspekte derselben erfasst. Signifikante phono- und graphotaktische Bezüge der Grapheme in heimischen und fremden Wörtern, die zudem bei Anpassung an die deutschen Regeln zu graphematischen Assimilationen führen könnten, würden gänzlich verloren gehen (Munske 1997c, 78). Das ist kaum zu rechtfertigen, zumal der fremde distributionsabhängige Bereich einen besonderen Fehlerschwerpunkt beim Erlernen der Fremdwortschreibung umfasst: die graphische Markierung der Vokalkürze durch nachfolgende Verdopplung des Konsonan-
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tenbuchstaben (Heller 1981b, 180).48 Außerdem zeigen Untersuchungen, dass hier tatsächlich ein signifikanter Unterschied zwischen deutschem und fremden Markierungssystemen vorliegt und Assimilationen zu beobachten sind (vgl. Augst 1987a). Deshalb gilt (speziell für die Kurzvokalkennzeichnung): Zu den Graphem-Phonem-Beziehungen, die ich gleich näher bespreche, zähle ich auch graphotaktische Regeln, wie z. B. die Kurzvokalmarkierung durch graphische Geminaten (Rate vs. Ratte), die in der indigenen Orthographie weitestgehend durchgeführt ist, bei Fremdwörtern jedoch nur z. T.: Appell, Splitt und Trick – aber Hotel, Profit, Musik. (Munske 1997e, 93)
Bevor von diesem zentralen Punkt zu sprechen sein wird, seien noch kurz andere syntagmatische Erscheinungen erwähnt, die – solange sie für eine graphematische Assimilation zumindest theoretisch infrage kämen und solche Annahmen in der Literatur gefunden wurden – ebenfalls in dieser Arbeit analysiert und mittels Phonographemen dargestellt werden. Die entsprechenden graphischen Distributionen beruhen auf fremden phonobzw. graphotaktischen Regeln. Es handelt sich um Grapheme, die vor allem wegen ihrer Position Fremdheitscharakter haben (etwa oder phonotaktisch bedingt fremdes am Wortanfang, vgl. Heller 1975, 74 und Munske 1997c, 80), und um andere aufgrund ihrer phonemischen Umgebung fremden Grapheme wie z. B. , das sich nur vor i+Vokal dem Phonem /ts/ zuordnen lässt (vgl. auch Kapitel 2.3.2.1). Die Buchstabenkombination ist phonotaktisch bedingt am Wortanfang graphotaktisch fremd, obwohl hier paradigmatisch betrachtet zwei völlig reguläre PGB vorliegen ( und ). In manchen Fällen kann dies zu einer phonemischen Assimilation führen, die sich dann wiederum graphemisch in einer „syntagmatischen, d. h. phonotaktisch bedingten Integration“ (Munske 1997c, 80) auswirken würde. Beispielhaft ist hier die Assimilation von engl. smuggle zu dt. Schmuggel zu nennen: „[Z]unächst wurde das in dieser Position fremde Phonem /s/ phonemisch integriert zu /ʃ/, wodurch ein Phonographem entstand, das schließlich graphemisch integriert wurde zu “ (Munske 1997c, 80). Ähnliches wäre denkbar bei sämtlichen initialen Verbindungen von + Konsonant. Da diese phonemische Assimilation allerdings nicht reihenhaft bei allen Kandidaten stattfindet (und erst recht nicht die nachfolgende graphemische Assimilation), ist es schwierig, hier von einem Assimilationsprozess zu sprechen, weshalb diese Fälle in der Analyse der Texte des 19. Jahrhunderts keine Berücksichtigung finden.49
48 Insgesamt liegt die Fehlerquote im Bereich der Fremdwortschreibung je nach Statistik zwischen 2,5 und 8,7 %. Die Konsonantenverdopplung nach Kurzvokal ist dabei sogar der fehlerträchtigste Bereich, gefolgt von Fehlern bei der Verwendung von
in Fremdwörtern (Zur Neuregelung 1989, 151 f.). 49 Es sei dennoch bemerkt, dass die assimilierte Form von Smaragd bei Adelung als Schmaragd vorgefunden wurde (Adelung 1788). Dies ist allerdings ausdrücklich als Einzelfall zu werten.
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hingegen ist nur graphotaktisch fremd, eine graphematische Assimilation würde keine phonemische voraussetzen, weshalb dieses Graphem für eine solche Assimilation eher infrage käme und auch einer Analyse unterzogen wird. Ebenfalls syntagmatisch motiviert ist das im Lateinischen und im Italienischen sehr häufig auftretende Phonographem . (Im Französischen wäre es das Phonographem .) Es gilt vor , , , , . Dieser Phonembezug des Graphems wird durch die genannten Folgezeichen beschreibbar und ist historisch erklärbar: Bis zur hochdeutschen Lautverschiebung waren /t/ und /ts/ Allophone, erst dann erreichte /ts/ Phonemstatus (Munske 1997a, 150). Eine solche Distributionsregel gibt es im Deutschen nicht, wohl aber ein adäquates Graphem für die Phonemkombination /ts/, so dass eine Assimilation möglich ist. Bis hin zur aktuellen Rechtschreibung sind Assimilationen vielfach erfolgt: Nachdem sie zunächst nur auf den Auslaut beschränkt blieben (z. B. Substanz), wurden später auch Assimilationsschreibungen in den Ableitungen zugelassen (Munske 1997e, 150). Da es sich also um ein relativ häufig auftretendes fremdes phono-graphotaktisches Phänomen handelt, das Assimilationen zeigt, wird dieses auch in der sich anschließenden Analyse berücksichtigt. Insbesondere Untersuchungen zur graphemischen Bezeichnung der Vokalquantität bei Fremdwörtern haben gezeigt, dass Assimilationserscheinungen nicht auf die segmental zu betrachtenden Grapheme beschränkt bleiben (Augst 1987a, Munske 1997c). Insbesondere die Markierung der Kurzvokale, die im Deutschen systematisch durchgeführt wird, unterbleibt in vielen fremden Wörtern. Auch der komplementäre Prozess der Rücknahme von doppelten Konsonantenbuchstaben an für deutsche Verhältnisse nicht adäquaten Stellen bleibt oft aus. Die Markierung der Vokalquantität ist das am häufigsten auftretenden syntagmatische Phänomen, das den größten Fehlerbereich der Fremdwortschreibung ausmacht. Auch hier setzt eine angemessene Beschreibung der Fremdheitsmerkmale zunächst die Kenntnis des indigenen Systems voraus, deshalb wird zunächst – wie in den vorangegangenen Kapiteln – eine Beschreibung zu Theorie, Geltungsbereich und Wesen der Vokalkürzenmarkierung im Deutschen gegeben, bevor auf dieser Folie die Fremdheitsmerkmale herausgearbeitet werden können. Die theoretischen Ansätze zur Beschreibung der Vokalquantitätsmarkierung sind alles andere als einheitlich. Zwei bzw. drei solcher Ansätze finden sich in der Sekundärliteratur (vgl. z. B. Augst 2006, Ramers 1999).50 Je nachdem, welche
50 Die Erklärung von Doppelkonsonanz wird allerdings auch in weiteren Ansätzen versucht, deren ausführliche Darstellung hier den Rahmen sprengen würde. Sie sollen der Vollständigkeit halber jedoch nicht unerwähnt bleiben: Weitere Erklärungsversuche sind psycholinguistischer und wahrnehmungspsychologischer Natur, die davon ausgehen, dass die Graphemauswahl zur Darstellung von Phonemen geprägt ist von dem Optimierungsbedürfnis bei der Erfassung von geschriebenen Morphemen und Wörtern. Für die Doppelkonsonanz könnte dementsprechend die „optische Stärkung des Kerns“ (Augst/Stock 1997, 129; Nerius u. a. 2007, 115) eine Rolle gespielt haben. Beweise hierfür gibt es allerdings nicht.
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Theorie akzeptiert wird, hat die Verwendung von Doppelkonsonantenbuchstaben einen anderen Markierungsbereich. Die Deutungsmöglichkeiten dieses orthographischen Regelbereichs haben sich in unterschiedlichem Maße durchgesetzt und in den Grammatiken und Orthographielehren Eingang gefunden, wie im Analyseteil zur Kodifikation gezeigt wird (vgl. Kapitel 3.4.2.4). Traditionell wird der akzentbasierte Ansatz für die Beschreibung des Zusammenhangs benutzt, auf dem gleichzeitig auch die Regelformulierung im Rechtschreibduden beruht und der demzufolge aktuell auch an den Schulen vermittelt wird. So heißt es im Regelwerk: „Folgt im Wortstamm auf einen betonten kurzen Vokal nur ein einzelner Konsonant, so kennzeichnet man die Kürze des Vokals durch Verdopplung des Konsonantenbuchstabens“ (Amtliches Regelwerk, Duden 2006, 1163). Die einzigen Positionen, in denen eine Markierung von Lang- bzw. Kurzvokal nötig wäre, sind folgende (betonte Silbe vorausgesetzt): – vor Nasal und Liquida – vor stimmlosen Obstruenten (bei stimmhaften Obstruenten nur im Ausnahmefall, betrifft meist Wörter, die aus dem Niederländischen, dem Niederdeutschen oder Englischen stammen [Munske 1985, 55]) – vor einigen Konsonantenverbindungen (Munske 1997c, 83) Der zweite Ansatz bezieht sich auf den akzentbasierten, führt allerdings ein weiteres Kriterium zur Bestimmung des Kandidatenstatus ein: das Wortartenkriterium. Im Vorschlag zur Neuregelung der Vokalkürzenmarkierung verfasst die Internationale Expertengruppe folgende Regel: In den betonten Silben des Wortstammes flektierbarer Wörter folgen den kurzen Vokalen oft zwei oder mehr Konsonanten und kennzeichnen zusätzlich die Vokalkürze (z. B. brüst, Edikt, hart, lebendig, Schrift, Wörter). Ist nur ein Konsonant vorhanden, so wird diese Kennzeichnung durch die Doppelschreibung des betreffenden Konsonantenbuchstaben erreicht: foppen, Ebbe, Schatten, Paddel, Egge, Affe, hassen, Barren, Schall, Kamm, rennen. (Vorschlag Internationale Expertengruppe 1990, zit. n. Augst 1991, 342)
Die Bezeichnung der Vokalkürze bezieht sich daher nur auf freie, autosemantische Morpheme (Substantive, Adjektive, Verben, Adverbien). Der dritte Ansatz, der sog. silbenbasierte Ansatz nach Peter Eisenberg, geht von der sprachlichen Einheit der Silbe aus: „Steht in einer phonologischen Wortform zwischen einem betonten ungespannten und einem unbetonten Vokal ein einzelner Konsonant, so ist dieser Konsonant ein Silbengelenk. [...] In den meisten Fällen wird ein Silbengelenk durch Verdopplung des Konsonantengraphems dargestellt, das der phonographischen Schreibung entspricht“ (Eisenberg 2009, 76). Demnach dienen Doppelkonsonantengrapheme zur Kennzeichnung von Silbengrenzen. Die Beibehaltung der doppelten Konsonantenbuchstaben außerhalb des Silbengelenks bei abgeleiteten Formen dient unter Annahme dieses Ansatzes zur Realisierung des morphematischen Prinzips.
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Alle Ansätze erklären die Konsonantenverdopplung; allerdings gäbe es in der Gruppe der zu assimilierenden Kandidaten Unterschiede, so dass sich letztlich auch der Bereich der Ausnahmen je nach Ansatz verschiebt, was Eisenberg bei der ansatzvergleichenden Analyse von einsilbigen Anglizismen vorführt (Eisenberg 1991). Das führt zuweilen so weit, dass – Wortart- und Silbenansatz vergleichend – „[i]n den beiden Quadranten der gebundenen Morpheme und in dem Quadrant der freien synsemantischen Morpheme […] sich Regel- und Ausnahmebereich teilweise umgekehrt [verhalten]“ (Augst 1991, 327). Alle drei Ansätze sind – abgesehen von ihrer ausführlichen theoretischen Ausarbeitung – nicht neu, sondern lassen sich in früheren Regelwerken bereits finden.51 Insofern ist für die Analyse der Verteilung von doppelten Konsonantenbuchstaben in fremden Wörtern die Entscheidung zugunsten eines Ansatzes nötig, damit die Kandidaten eindeutig bestimmt werden können. Da traditionellerweise die Konsonantenverdopplung als Markierung von Vokalquantität beschrieben wird (Eisenberg 1997, 343) – sowohl in der Sekundärliteratur zur Beschreibung der Fremdwortassimilation als auch in den meisten Grammatiken und Orthographielehren des 19. Jahrhunderts (s. u.), liegt der folgenden Problematisierung und der Ermittlung der Kandidaten in den Usustexten auch der akzentbasierte Ansatz zugrunde. Unabhängig davon aber, für welchen Beschreibungsansatz im Regelwerk man sich auch entscheidet, fordern alle eine Interpretation dessen, was unter einer betonten Silbe, einem betonten Vokal zu verstehen ist.52 Unbetonte Vokale werden im Deutschen in der Regel nicht markiert. Horst Haider Munske geht noch weiter zu sagen, dass Vokalkürze „in nicht-haupttonigen Silben unmarkiert, in haupttonigen Silben dagegen in der Regel markiert wird“ (Munske 1997c, 83). Er schließt also die Markierung in nebentonigen Silben ebenfalls aus. Um etwa morphematisch bedingte Phänomene wie die Vokalquantitätsmarkierung in kontrollieren erklären zu können, wird ein weiterer Ansatz zur Bestimmung der Tonsilbe ergänzend hinzuzogen. Thomas Becker beispielsweise führt aus, dass es in unbetonten Silben keinen phonologischen Unterschied zwischen Lang- und Kurzvokal gibt, obwohl phone-
51 Rudolf von Raumer hatte 1876 bereits in der Vorlage zur I. Orthographischen Konferenz die Verdopplung von Konsonantenbuchstaben als Markierung von Vokalkürze gedeutet und sich dabei auf den Akzent (betonte und unbetonte Silben) bezogen (Vorlage 1876, 12). Wenn Adelung 1788 in seiner „Vollständigen Anweisung“ im Kapitel „Von der Verdoppelung der Consonanten“ schreibt, dass „die Verdoppelung des einfachen End= Consonanten nach geschärften Vocalen nur in den oben gedachten Hauptwörtern mit vollständigen Begriffen Statt [findet]“ (Adelung 1788, 223), dann lässt sich hierin der zweite Ansatz (Wortarten) erkennen. Und schließlich ist auch der silbenbasierte Ansatz nicht neu, sondern z. B. schon bei Heinsius zu finden, der Mann und Königinn als Beispiele der Umsetzung folgender Regel nennt: „Richtig aber ist sie [die Konsonantenverdopplung – Anm. A. Z.] in allen den Wörtern, wo sie bei der Beugung wahrgenommen wird“ (Heinsius 1807, 385). 52 Insofern kann man mit Karl Heinz Ramers tatsächlich sagen, dass der akzentbasierte Ansatz im Silbenansatz implizit enthalten ist (Ramers 1999, 62).
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tisch gesehen Unterschiede im Gespanntheitsgrad existieren (Becker 1996b, 5). Die Quantitätsopposition besteht nur in Tonsilben.53 Daher sind Längen bei unbetonten Vokalen auch nicht zu kennzeichnen. Die Ausnahmen, die Becker anführt, sind systematisch bzw. morphematisch begründbar und liefern auch zum Teil Begründungen für die regelhaften Ausnahmen in Fremdwörtern (vgl. kontrollieren), die dann auch nicht als fremd gegenüber dem heimischen System angesehen werden. Der Autor spricht von der Möglichkeit, dass morphematisch komplexe Lexeme durchaus mehrere Tonsilben haben können, wobei nur eine den Wortakzent trägt.54 Dogmatik z. B. trägt zwei Tonsilben: Den Wortakzent trägt die zweite Silbe, der „morphologische Nebenakzent“ (Becker 1996a, 270) liegt auf der ersten Silbe (von Dogma). Becker spricht davon, dass die Quantitätsopposition auch in diesen Silben erhalten bleibt. Daher sind unbetonte Silben bezüglich der Vokallängenmarkierung anders zu behandeln als morphematisch deakzentuierte (Becker 1996a, 278); Letztere könnten also – dem morphematischen Prinzip folgend – die Konsonantenverdopplung vor Kurzvokal völlig regelgemäß behalten, ohne Wortakzent zu haben. Becker gesteht allerdings auch zu, dass der Tonsilbencharakter einer Silbe, die nicht Wortakzent und nur morphologischen Nebenakzent trägt, verloren gehen kann. Ob der Sprecher in dem Wort platonisch noch den Namensgeber Platon sieht, ist fraglich. „Eine morphologisch deakzentuierte Silbe bleibt eine Tonsilbe genau dann, wenn der synchrone morphologische Bezug zu einem Wort mit Hauptton auf dieser Silbe besteht“ (Becker 2002, 95 f.). Der Nachsatz: „Dagegen, dass die Sprachgemeinschaften in der Hinsicht uneinheitlich sind, dass für manche Sprecher morphologische Beziehungen bestehen, die für andere nicht erkennbar sind, kann auch die beste Linguistik nichts ausrichten“ (Becker 2002, 96), macht deutlich, welches praktische Problem sich damit für die Textanalyse dieser Arbeit stellt: Es ist nicht nachprüfbar, in welchen Fällen die Hauptzahl der Sprecher eine morphematische Beziehung herstellt. Da auch Heller und Munske annehmen, dass der morphematische Aspekt der Fremdwortschreibung zugunsten der phonematischen Schreibung vernachlässigt werden kann (Heller 1981b, 179; Munske 1997e, 91),55 könnte mit zusätzlicher
53 Es sei der Vollständigkeit halber darauf verwiesen, dass Becker und Vennemann die Vokalquantität im Gegensatz zur traditionellen Lehrmeinung als Ergebnis des Silbenschnitts sehen. Beide sehen die Vokalquantität nicht als ein phonologisch relevantes Phänomen, sondern vielmehr als ein Ergebnis des Silbenschnitts. „Der scharfe Silbenschnitt ist ein artikulatorisches Verfahren zur Herstellung von Vokalkürze: Kürze wird durch die vorgezogene Koartikulation mit dem folgenden Konsonanten bewirkt“ (Becker 1996b, 17). Bestünde eine reine Quantitätsopposition, so könnten auch Langvokale vor Doppelkonsonant stehen, wie dies in reinen Quantitätssprachen (z. B. finnisch, lateinisch) der Fall ist. 54 Eine Tonsilbe ist eine Silbe, die potenziell den Satzakzent tragen kann (Becker 1996b, 15). 55 „Im Gegensatz zu heimischen Lexemen läßt sich in der Mehrzahl der Fälle – jedenfalls für den weitaus größten Teil aller Sprachbenutzer – die Bedeutung eines Fremdworts nicht aus der Bedeutung seiner Bestandteile erschließen. Auch lassen sich stammverwandte Wörter zur Erklärung nur
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Bezugnahme zum vorausgegangenen Zitat Beckers auf den morphematischen Gesichtspunkt bei der Bezeichnung der Vokalquantität bei Fremdwörtern vollkommen verzichtet werden. Andererseits erklärt er doch zum Teil ausgebliebene Assimilationsschreibungen wie z. B. kontrollieren mit morphematischem Bezug zu Kontrolle. In dieser Arbeit wird also bezüglich der Analyse von Vokalquantitätsmarkierungen in Fremdwörtern Doppelkonsonanz nicht allein in hauptbetonten Silben, die momentan Wortakzent tragen, als regelhaft angesehen, sondern auch in Tonsilben mit morphematischem Nebenakzent. Dass die morphematische Analysierbarkeit (synchrone Etymologie) von Fremdwörtern nicht objektiv bestimmbar ist, wird zugestanden. Die Einzelfallentscheidungen bleiben vager Natur. Auf die Aussage hin, dass der morphematische Nebenakzent eine Silbe wortakzentunabhängig zur Tonsilbe macht, darf die Frage folgen, ob dieser Vorgang bei rhythmischem Akzent ebenso abläuft. Hierin sind sich Becker und Vennemann uneinig. Becker schreibt: „[I]m Deutschen gibt es keine ambisyllabischen Konsonanten nach unbetontem Vokal. Manchmal entsteht der Eindruck von Ambisyllabizität unter Nebenakzent ‚Rèlligión’“ (Becker 1996b, 10). Er beschränkt sich auf den „Eindruck von Ambisyllabizität“ (Becker 1996b, 10), „Eindruck eines scharfen Silbenschnitts“ (Becker 1996a, 275) und spricht im Konjunktiv von der Erwartung der Kontrastaufrechterhaltung bei rhythmischem Nebenakzent. Becker behandelt das Problem unter „allophonischer Verteilung“ (Becker 1996a, 271) der Gespanntheit in unbetonten Silben: Die Qualität dieser Vokale ist in diesen Fällen wie bei p[ɔ]litisch reduziert. Die phonetisch kurzen und ungespannten Vokale der unbetonten Silben werden bei rhythmischer Verstärkung von den Sprechern als betonte Vokale unter scharfem Schnitt gesehen, ohne daß die Vokale oder die Silbenstrukturen selbst eine Veränderung erfahren. (Becker 1996a, 275 f.)
Demnach wären folgende Beispiele keine Assimilationskandidaten: Philosophie, Hypothese, literarisch, Spekulation, Solution, apodiktisch, Aphorismus, homogen. Das deckt sich wiederum mit Munskes Ansicht, dass nur Hauptbetonung einer Silbe Voraussetzung für die Bezeichnung der Vokalquantität ist.56 Schließlich stellt sich die Frage, welches die betonten Silben der Fremdwörter im 19. Jahrhundert sind. Auch hier wird mit der Nähe zum Untersuchungszeitraum argumentiert, die die Gegenwartssprache heute bietet: Demzufolge wurden sowohl
selten oder gar nicht heranziehen. Die meisten Fremdwörter müssen daher wie eine Vokabel gelernt werden. Diese weitgehende Unmotiviertheit des Fremdwortes – eine sonst in vielen Belangen negative Eigenschaft – eröffnet nun für eine Reform der Fremdwortschreibung die Möglichkeit, das morphematische Prinzip zugunsten des phonematischen zu vernachlässigen“ (Heller 1981b, 179). 56 Vor einem ähnlichen Problem der Vokallängenbestimmung stand Max Mangold bei seiner Darstellung deutscher Laut-Buchstaben-Beziehungen. Dabei hat er, „[w]as die Länge der unbetonten Vokale betrifft, […] eine möglichst einfache Lösung angestrebt. Alle vortonigen Vokale sind kurz; in ‚Präsident‘ […] sind [e̯] und [i] kurz“ (Mangold 1961, 10). Dieser Lösung schließe ich mich an (s. o.). Ähnlich auch bei Munske [Munske 1982, 251].
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Aussprache als auch Prosodie der Wörter anhand des Duden-Aussprachewörterbuchs ermittelt. Es bildet die Analysefolie auch für das 19. Jahrhundert. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass folgende Fremdheitsmerkmale57 im phonotaktischen Bereich der Konsonantenverdopplung (abgeleitet von den heimischen Gesetzmäßigkeiten und ausgedrückt in Phonographemen) angenommen werden: – Doppelkonsonanz in unbetonten Silben und nach Langvokal (; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; , ) – einfacher Konsonant vor betontem Kurzvokal (; ; ; ; ; ; ; ; ; ; ; , ) 58 Nicht in die Analyse mit einbezogen werden die Fremdgrapheme und . Grund dafür ist die mögliche doppelte Funktionalität der Konsonantenbuchstabenverdopplung : die Kennzeichnung der Vokalkürze oder auch die Kennzeichnung der Lautqualität (stimmloses /s/) (Munske 1985, 47; Augst 1989, 4). Letzteres wird z. B. an der assimilierten Schreibung von Karussell – frz. carousel sichtbar (Augst 1989, 4). Da mit dieser doppelten Funktionalität auch im 19. Jahrhundert zu rechnen ist und eine zusätzliche Komplizierung der Verhältnisse durch das Allograph /ſ/ zu erwarten ist, wird die Analyse der Kurzvokalbezeichnung auf die oben genannten Grapheme beschränkt. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Vokalquantitätsbezeichnung in der Fremdwortschreibung des Deutschen ebenso umgesetzt wird wie im zentralen hei-
57 Wenngleich es gegenwärtig in einigen fremden Sprachen distinktive Vokallängenunterschiede gibt (Englisch, Niederländisch), so sind sie allerdings nie regelmäßig durch Doppelkonsonanz markiert. In den am häufigsten im vorliegenden Textkorpus vorkommenden Spendersprachen Lateinisch, Französisch, Griechisch und Spanisch gibt es gar keinen phonologisch relevanten Quantitätsunterschied (vgl. Müller-Lancé 2006, 82; Meisenburg/Selig 1998, 86; Ruge 2001, 17; Blaser 2007, 22), im Italienischen nur zum Teil (Lichem 1970, 73), lediglich das Niederländische und das Englische weisen diesen Unterschied auf, wenngleich der distinktive Status nicht unumstritten ist (Gardner 1975, 46). Im Englischen ist die Verdopplung des Konsonanten eher eine Anzeige von Silbenschnitt, also eher mit Eisenbergs Silbenansatz interpretierbar (Augst 1995, 28 f.). Allerdings findet sich Doppelkonsonanz in einigen Fällen auch nach langem Vokal: z. B. Baseball. (Diese Arbeit steigt in eine ausführliche Diskussion zum oftmals umstrittenen Phonemstatus einiger lautlicher Erscheinungen [vgl. Volland 1986, 33] nur dann ein, wenn es sich als notwendig erweist. Im Rahmen dieser Arbeit ist anderes nicht möglich.) 58 All dies lässt sich auch in Phonographemen ausdrücken, weshalb ich hier mit Munske auch „graphotaktische Regeln, wie z. B. die Kurzvokalmarkierung durch graphische Geminaten (Rate vs. Ratte“ (Munske 1997e, 93) zu den Phonem-Graphem-Beziehungen zähle. Alle Fremdheitsmerkmale werden mit Phonographemen dargestellt. Ich verstehe unter Bezug auf Munske auch die zwischen betontem Kurzvokal und unbetontem Vokal vorkommenden stimmhaften Plosive als „heimisch“ (Munske 1983, 569), so dass auch dieser Bereich Analysekandidaten stellt.
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mischen Wortschatz, findet man einerseits sinngemäß folgende Regel in der 18. Duden-Auflage: „Fremdwörter verdoppeln nach kurzem, betontem Vokal einen ursprünglich einfachen Konsonanten (z. B. étape → Etappe). Fremdwörter vereinfachen häufig nach unbetontem Vokal einen ursprünglich doppelten Konsonanten (z. B. perruque → Perücke)“ (Duden 1985, zit. n. Augst 1987a, 94). Andererseits schlagen zahlreiche Verstöße gegen die heimische Regel zu Buche, die sich vorwiegend in der Kennzeichnung von unbetontem Vokal zeigen, u. a. folgende: Kolonnade, Kommode, Kavallerie, interpellieren (Munske 1997c, 84). Gewiss gibt es für diese Schreibungen diachron betrachtet eine morphematische Begründung. Kolonnade etwa stammt von frz. colonnade, welches wiederum eine Bildung zu frz. colonne mit Betonung auf der letzten Silbe ist. Eine solch genaue Kenntnis der Etymologie des Wortes und der Struktur der Spendersprache kann jedoch beim Sprecher nicht vorausgesetzt werden. Weitere nicht assimilierte aktuelle Schreibungen wären z. B. Kollege, Kommilitone, Konnexion, Korreferat, Immatrikulation, Innovation, irreparabel. Für sie gilt Munskes Feststellung, dass „die Mehrzahl überflüssiger Doppelkonsonanten […] ihre Ursache in lateinischer Präfixbildung“ (Munske 1997c, 83) hat. Der komplementäre Fall der Einfachkonsonanz bei Kurzvokal in betonten Silben ist auch nachweislich fremd, wird im Deutschen allerdings deutlich häufiger assimiliert als der umgekehrte Fall. Gleichzeitig schlägt Munske eine Reform der Fremdwortschreibung für die nicht assimilierten Fälle vor und nennt beispielhaft bereits assimilierte Wörter (Munske 1997c, 84) wie z. B. Perücke, Pomade, kartonieren und Etappe, Kontrolle, Skelett. Ob sich diese und ähnliche Assimilationen bereits im 19. Jahrhundert zeigen, soll diese Arbeit ermitteln.
2.3.4 Möglichkeiten graphematischer Assimilation Die Fremdwortschreibung ist im engen graphematischen Bereich nicht allein durch die Existenz fremder Buchstaben, Buchstabenkombinationen oder Phonem-Graphem-Beziehungen charakterisiert, sondern auch durch Assimilationsprozesse, die diese fremden Schreibungsmerkmale an das heimische System angeglichen haben. Bevor die Assimilationsvorgänge im Einzelnen charakterisiert werden, ist zu klären, was darunter zu verstehen ist. Der hier verwendete Terminus „graphematische Assimilation“ ist eine Abwandlung des Begriffs „graphematische Integration“ bei Munske (vgl. z. B. Munske 1983, 1997c, 1997e) und wird im Folgenden definiert. Häufig finden sich auch in sprachwissenschaftlichen Darstellungen, die sich mit dem Verhalten von Fremdwörtern im Deutschen beschäftigen, recht unpräzise Begriffe, die den Prozess beschreiben, den Fremdwörter bei ihrer Übernahme in das Deutsche erfahren. Nur einige dieser Begriffe seien hier kurz genannt; auf eine weiterführende Diskussion derselben wird verzichtet: „Anpassung“ (z. B. Telling 1988, 10), „Angleichung“ (z. B. Zabel 1986, 179), „Eindeutschung“ (z. B. Macken-
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sen 1972, 11). Auch die Begriffe „Assimilation“, „Integration“ und „Einbürgerung“, für die Definitionen existieren, werden häufig synonymisch benutzt. Munske entwickelt 1983 erstmals eine differenzierte Terminologie zur Beschreibung der graphematischen Assimilationsprozesse, die er mehrfach überarbeitet hat und die im Folgenden – auf leicht modifizierte Weise – grundlegend für die Analyse der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert ist. Munske bemüht für die Beschreibung solcher Assimilationsprozesse einen Begriff der Sprachkontaktforschung,59 und zwar den der „Integration“ (im Kontrast zur „Transferenz“).60 Hier wird Integration als Prozess verstanden, bei dem sich „die Empfängersprache gegenüber den transferierten Elementen, Merkmalen und Regeln durchsetzt und diese Elemente an ihr eigenes Bezugssystem anpaßt oder durch entsprechende Elemente ersetzt“ (Zabel 1987a, 118).61 Insofern ließe sich der Begriff problemlos auf die hier untersuchten Phänomene anwenden. Allerdings gibt es eine zweite Interpretation des Terminus in Abgrenzung zur Assimilation. Hierfür ist die für die Erforschung der Fremdwortschreibung bedeutsame Dissertation von Klaus Heller zu konsultieren: Hellers Terminologie beruht auf der Unterscheidung von formaler und semantischer Einbürgerung von fremden Lexemen. Für die formale Seite wählt er den Begriff der „Assimilation“, da es bei fremden Phonemen, Graphemen etc. tatsächlich darum geht, dass „eine Anpassung an die heimischen Strukturgesetze“ (Heller 1981c, 34) stattfindet. Eine semantische Einbürgerung jedoch beruht nicht auf einem Abbau fremder Merkmale, sondern hier trifft der Begriff der „Integration“ den Kern der Aussage: „Ziel der Eingliederung entlehnter Lexeme in den Wortschatz der Empfängersprache ist es […] keineswegs, diese Bedeutungsunterschiede abzubauen. […] [Es kommt] vielmehr darauf an, daß eine entlehnte Bezeichnungseinheit in der Empfängersprache eine semantisch-stilistische Funktion erhält“ (Heller 1981c, 35). Beide Prozesse, die formale Assimilation und die semantische Integration, sind nach Heller zusammengefasst im Oberbegriff der „Einbürgerung“ (Heller 1981c, 35). Das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis der Begriffe Einbürgerung, Integration und Assimilation lautet daher mit Heller wie folgt (vgl. auch Heller 2002):
59 Die Sprachkontaktforschung hat bezüglich der Erforschung der Fremdworteinbürgerung viel geleistet, vgl. Arbeiten von Michael Clyne 1967, Horst Haider Munske 1983, Brigitte Volland 1986, Heidemarie C. Langner 1995. 60 Vgl. hierzu auch Volland 1986 und Langner 1995. 61 Es scheint selbstverständlich, dass eine solche Integration auf formaler Seite nur mit den Merkmalen stattfinden kann, die dem heimischen System fremd sind. Die Elemente, die der aufnehmenden Sprache entsprechen, durchlaufen diesen Prozess nicht. Diese Tatsache explizit zu klären ist z. B. nötig angesichts der Interpretation Götz Wienolds, das Wort Match sei auf der graphischen Ebene „partiell nicht integriert“ (Wienold 1979, 106). In vorliegender Arbeit würde der Schreibung Match aber der Status „nicht assimiliert“ zuteil, da die fremden Merkmale nicht durch heimische ersetzt wurden.
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Wir sprechen also von formaler Angleichung oder Anpassung (Assimilation), aber von semantischer Eingliederung oder Einpassung (Integration). Als Oberbegriff für Assimilation und Integration gebrauchen wir die Bezeichnung Einbürgerung (oder Domestikation). (Heller 1981c, 35 f.) 62
Aus diesem Grund und da in dieser Arbeit nur der formale Teil des Einbürgerungsprozesses Gegenstand ist, wird die Terminologie Munskes leicht modifiziert und der Begriff Integration durch den Begriff der Assimilation ersetzt. Munskes Terminologie ist, wie bereits erwähnt, vom Autor selbst geändert worden. Die Neuerungen sind in folgender Übersicht dargestellt (vgl. Munske 1983, 583; 1997c, 79 und 1997e, 100): Tab. 6: Übersicht über die Entwicklung der Munske’schen Integrationsterminologie. Graphematische Integration 1983
Dabei ist der Begriff der graphematischen Integration als Oberbegriff für sämtliche Assimilationsvorgänge konstant geblieben. Als solcher soll er auch für diese Arbeit übernommen werden, ausgetauscht wird lediglich der Begriff der Integration. Die neuere Terminologie scheint insgesamt schlüssiger und findet deshalb in dieser Arbeit Verwendung: Die graphetische Integration beschreibt in Munskes Darstellungen nicht die Assimilation der Graphe, sondern der Grapheme (Munske 1997c, 79). Und der frühere Begriff der graphemischen Integration lässt keinen Bezug zu den Phonemen erkennen (es sei denn, der Graphembegriff wird phonographemisch verstanden). Alle Assimilationsmöglichkeiten führen letztendlich zu heimischen PhonemGraphem-Korrespondenzen. Im Folgenden werden die Assimilationsmöglichkeiten nach Munske (aber mit modifizierter Terminologie) dargestellt.
2.3.4.1 Graphemische Assimilation Unter der graphemischen Assimilation wird hier der Standardfall der graphematischen Assimilation verstanden: Ausgehend von einer fremden Phonem-Graphem62 Die Begriffe der Assimilation, der Integration und der Einbürgerung werden in dieser Arbeit streng definitorisch ohne Verwendung synonymischer Entsprechungen benutzt, um den jeweiligen Geltungsbereich genau zu bezeichnen. Das schränkt zwar die stilistische Vielfalt der Arbeit ein, ist aber aufgrund des Präzisionsbestrebens unerlässlich. Abweichungen gibt es nur bei der Beschreibung des Einbürgerungsverständnisses der Autoren von Grammatiken und Orthographielehren. 63 Vgl. auch Althaus 1980.
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Beziehung in einem Wort werden bei der Entlehnung unter Konstanthaltung der Phoneme lediglich die Graphographeme assimiliert, d. h., ein Graphographem aus dem fremden wird durch ein Graphographem aus dem heimischen Inventar ersetzt, z. B. frz. militaire → dt. Militär ( → , → ). Diese Möglichkeit gibt es nur, wenn das entsprechende Phonem der Spendersprache mit dem Phonem der aufnehmenden Sprache übereinstimmt (bzw. eine allophonische Entsprechung vorliegt). Es findet keine phonemische Assimilation statt, da die Merkmalbündel der Phoneme in beiden Sprachen gleich sind (Munske 1983, 583). Die graphemische Assimilation kann dabei – bezogen entweder auf ganze Wörter oder auf einzelne Grapheme – partiell (Teilassimilation) oder vollständig stattfinden. Beispielsweise hat bis heute in den französischen Auslautgraphemen und nur eine Teilassimilation stattgefunden: Debüt, Porträt.64 Die vollständige Assimilation eines Wortes oder eines Graphems verläuft oft über mehrere Stufen, die allerdings nur zum Teil im Einzelnen nachweisbar sind. Auch der Ersatz der Minuskeln durch Majuskeln bei der Substantivschreibung gehört in diesen Bereich und ist meist der erste graphemische Assimilationsschritt im Einbürgerungsprozess (Heller 1980b, 176), der allerdings nach Gerhard Augst häufig gar nicht als Assimilationsprozess wahrgenommen wird (Augst 1992, 47). Petra Krohn hat in ihrer Dissertation festgestellt, dass das „unangepasste substantivische Fremdwort“ weniger häufig großgeschrieben wird als das heimische Substantiv oder das weitestgehend an heimische Substantive angepasste substantivische Fremdwort.65 Die Übersicht verdeutlicht, dass zwar die Mehrzahl der nicht oder nur geringfügig angepassten Fremdsubstantive des gesamten Untersuchungszeitraumes [18. und 19. Jahrhundert] großgeschrieben wird (86,1 %), ihr Anteil aber im Gegensatz zu den heimischen Substantiven und weitgehend an die heimischen Substantive angepassten Fremdsubstantiven die Großschreibnorm nicht erreicht […]. Damit ist der Anteil der kleingeschriebenen nicht oder nur geringfügig angepassten Fremdsubstantive [entspricht weitestgehend den Fremdwörtern i. e. S. – Anm. A. Z., vgl. Krohn 2001, 66] im Vergleich zu den kleingeschriebenen heimischen Substantiven und weitgehend angepassten Fremdsubstantiven [entspricht weitestgehend den Lehnwör-
64 Mit Munske ist anzunehmen, dass hier bis heute keine vollständige Assimilation stattgefunden hat, da der Konsonant am Ende des Wortes die Fremdheit und damit vor allem die Fremdheit in der Betonung markiert, die offensichtlich erhalten bleiben soll (Munske 1997e, 107). Außerdem wird durch die Beibehaltung des „der Wortstamm immer auf dieselbe Weise geschrieben, eine Wirkung des morphologischen Prinzips“ (Eisenberg 2012, 335). 65 Andererseits konstatieren Moulin und Ewald in Bergmann/Nerius, dass das Fremdwort an sich ein „Großschreibauslöser“ (Bergmann/Nerius 1998, 68) sei. Dies ist allerdings nur ein scheinbarer Widerspruch, da der Blickwinkel der Autoren ein anderer ist. Moulin bezieht sich auf jedes Fremdwort – unabhängig von der Wortart – und aktiviert die allgemeine Signalwirkung der Majuskel („Eine […] bemerkenswerte Regularität in der Setzung der Majuskel ist die hohe Durchführung der Majuskelsetzung bei Fremdwörtern“ [Moulin 1990, 231, zit. n. Bergmann/Nerius 1998, 68].). Bei Krohn geht es nur um fremde Substantive, womit sie die wortartspezifische Majuskelfunktion der Substantivkennzeichnung (lexikalisches Prinzip) als Ausgangspunkt betrachtet.
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tern – Anm. A. Z., vgl. Krohn 2001, 66] relativ hoch. Er liegt für den gesamten Untersuchungszeitraum bei 13,9 %. (Krohn 2001, 260)
Die Erfassung des Majuskelgebrauchs bei Substantiven ist in der vorliegenden Analyse vorgenommen worden, da Großschreibung bei substantivischen Fremdwörtern als ein Zeichen graphemischer Assimilation möglicherweise mit anderen assimilierenden Schreibungen gemeinsam auftritt oder umgekehrt Minuskelschreibung mit anderen herkunftsbewahrenden Schreibungen.
2.3.4.2 Phono-graphemische Assimilation Phono-graphemische Integration66 ist der neuere Terminus Munskes für die 1983 als „graphemisch“ bezeichnete Möglichkeit graphematischer Assimilation. Hier geht der Anpassung auf der graphischen Ebene eine Anpassung auf der phonischen Ebene voraus: „Nach phonemischer Integration […] erfolgt Anpassung der Schreibung an diese integrierte Aussprache“ (Munske 1997e, 100). So führt auch dieser Prozess letztlich dazu, dass heimische Phonem-Graphem-Beziehungen hergestellt werden. Diese Möglichkeit der Assimilation findet sich im Deutschen nicht besonders häufig,67 wird aber in dieser Arbeit mit beobachtet, nicht zuletzt weil die phonemische Assimilation auch als Faktor für die graphemische Assimilation angesehen wird. Die Entscheidung, ob eine rein graphemische oder eine phono-graphemische Assimilation vorliegt, ist nur scheinbar leicht zu treffen. Sie setzt zum einen voraus, dass die Aussprache der Fremdwörter bekannt ist. Das ist nicht nur für das 19. Jahrhundert schwer zu ermitteln, auch für die Gegenwartssprache gibt es „wenig verlässliche und hinreichend umfangreiche Daten über das tatsächliche Ausspracheverhalten der Sprecher des Deutschen“ (Eisenberg 2012, 173). Erschwerend kommt die Tatsache hinzu, dass diese Entscheidung die genaue Kenntnis des spendersprachigen Phonemsystems und manchmal auch der Distributionsverhältnisse der Phoneme fordert.68 Die Schwierigkeiten beginnen eigentlich noch früher, da es in der Literatur keineswegs eine terminologische Einheitlichkeit bezüglich des ersten Assimilationsschrittes (des phonemischen) gibt. Vor allem die Begriffe „Laut“ und „Phonem“, auf deren Differenzierung es hier besonders ankommt, werden oft synonym verwendet. Bei Günther Scherer und Alfred Wollmann z. B. heißt es: „Die im Deut-
66 Ich verwende weiter den Terminus Assimilation (vgl. Kapitel 2.3.4). 67 Im Schwedischen z. B. findet diese Art der Assimilation deutlich häufiger statt, z. B. schwedisch följetong, bassäng, momang (Munske 1983, 583). 68 In einigen Sprachen existieren distinktive Quantitätsoppositionen, die aber in bestimmten Fällen durch komplementäre Verteilung aufgehoben werden (vgl. Niederländisch: Goossens 1974, 22 f.). Dazu ist die Distribution der Phoneme zu kennen.
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schen nicht vorhandenen Phoneme werden von deutschen Sprechern durch ähnliche Laute ersetzt“ (Scherer/Wollmann 1986, 110).69 Munske selbst wechselt zwischen den Termini „phonemische“ Assimilation (Munske 1983, 589) und „Lautsubstitution“ (Munske 1983, 577).70 An einschlägiger Stelle allerdings definiert er die phonemische Assimilation wie folgt: Substitution quellsprachiger Phoneme durch ein oder zwei empfängersprachige Phoneme, wobei entweder die Merkmale des quellsprachigen Phonems getilgt bzw. substituiert werden (monophonematische Substitution: /ʒ/ → /ʃ/) oder das Merkmalbündel des quellsprachigen Phonems aufgeschnürt wird, um gleichsam aufgeteilt zu werden auf zwei empfängersprachige Phoneme (/õ/ → /o/ + /ŋ/). (Munske 1983, 588)
Munske hebt diese Art der Assimilation auf phonischer Ebene zumindest an dieser Stelle auch ganz explizit von dem Vorgang der phonetischen Assimilation ab, die er definiert als „Substitution spezifischer quellsprachiger Allophone bei interlingual identischen Phonemen durch entsprechende empfängersprachige Allophone“ (Munske 1983, 588). Sie findet meist wie selbstverständlich statt (Volland 1986, 77) und ist kein für die graphematische Assimilation relevanter Prozess. Nach Munske’schem Verständnis sind im Rahmen der phono-graphemischen Assimilation allerdings nicht nur spezifisch quellsprachige Phoneme einer phonemischen Assimilation unterworfen, wie man aus seiner Definition in Munske 1983 und anderen seiner Publikationen (vgl. Munske 1997e, 99) ableiten könnte, sondern auch Phoneme, die sowohl in der Spender- als auch in der Empfängersprache vorzufinden sind (Munske 1983, 583; Volland 1986, 103). Damit erfasst Munske zwei höchst unterschiedliche Phänomene im gleichen Terminus, so dass man sagen muss: Unter phono-graphemischer Assimilation wird bei Munske die graphemische Assimilation verstanden, der eine phonemische Assimilation dergestalt vorausgeht, dass entweder spezifisch spendersprachige Phoneme durch heimische ersetzt werden oder aber interlingual existierende Phoneme beim Entlehnungsprozess durch andere (häufig sehr ähnliche) heimische Phoneme ersetzt werden.71 Gründe für den 69 Vgl. z. B. auch Heller: Generell gelte, dass die „fremden Phoneme gewöhnlich durch solche heimischen ersetzt [werden], die den fremden am nächsten kommen“ (Heller 86, 23). In Heller/ Walz fällt der Begriff der „phonetisch-phonologischen Angleichung (phonische Integration)“, die sich darin äußere, „daß fremde Phoneme oder Phonemverbindungen – oft schon von Anfang an – durch heimische Phoneme und Phonemverbindungen ersetzt werden“ (Heller/Walz 1992, 279). 70 Vgl. auch bei Munske 1983, 583. 71 Munskes Ausführungen sind auch in diesem Punkt nicht widerspruchsfrei. Im Rahmen der Erläuterung phono-graphemischer Assimilation bringt er folgendes Beispiel: „ […] in accent wird /s/ durch /ts/ substituiert; d. h. hier ist phonemische Integration erfolgt, die graphematische Integration richtet sich nach der integrierten Lautung. Dadurch wird diese integrierte, von der Quellsprache abweichende Lautung graphemisch abgesichert“ (Munske 1983, 583). Nur einen Absatz später formuliert er folgendes Fazit: „Die Fälle von graphemischer Integration [in unserer Terminologie phono-graphemische Assimilation] von Gallizismen im Deutschen sind relativ selten. […] Dagegen haben die Gallizismen im Deutschen, zuletzt durch die Orthographiereform v. J. 1901 […], eine weitgehende graphetische Integration erfahren. ([…] → : Akzent. […])“ (Munske 1983, 583 f.). D. h.
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zweiten Prozess sind in der Distribution der entsprechenden Phoneme zu sehen, die im Deutschen anders ist (z. B. /lə/ ist im Auslaut nicht üblich), und andererseits in der Tendenz, stark vom Deutschen abweichende phonische Wortformen besonders von Anglizismen und Gallizismen nach lateinischem Muster zu assimilieren, z. B. Nation: frz. → dt. (vgl. Langner 1995, 150). Phonemische Assimilationen, denen eine Assimilation auf graphischer Ebene folgt oder folgen könnte und die in der Analyse des Textkorpus vorkamen (assimiliert oder unassimiliert), sind in der folgenden Tabelle beispielhaft verzeichnet: Tab. 7: Phonemische Assimilationen in den Usustexten des 19. Jahrhunderts.72 Phonemsubstitutionen mit fremdem Ausgangsphonem /ɛɪ/ → /e:/ oder /ε/ /əʊ/ → /o:/ /w/ → /v/ im Englischen /ŏ/ im Französischen /ʎ/ → /l/ + /j/ /ɲ/ → /n/ + /j/ oder /n/ /õ/ → /ɔ/ + /ŋ/ oder /o:/ + /n/ /ẽ/ → /i:/ + /n/
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Der Blick auf die Tabelle zeigt, dass hier nur phonemische Assimilationen aufgeführt sind, die die Qualität der Phoneme betreffen. Als äußerst problematisch hingegen erweist sich die Munske’sche Definition beim Blick auf die Assimilation von Phonemen, die im Deutschen zu einem großen Teil über ihre Quantität definiert
dasselbe Wort wird in seiner Terminologie einmal als Produkt graphemischer Assimilation und einmal als Produkt phono-graphemischer Assimilation gewertet. Auch in anderen Publikationen wird der Prozess der phonemischen Assimilation auf den Ersatz explizit fremder Phoneme durch heimische reduziert: „In der Zielsprache nicht vorhandene Phoneme werden durch möglichst ähnliche, heimische Phoneme und ihre Grapheme ersetzt“ (Meisenburg 1992, 53). 72 Ausschlaggebend für die Ermittlung des Status phonemischer Assimilation war die Konsultation des Duden-Aussprachewörterbuches. 73 Im Französischen wird entweder [i:] oder [j] ausgesprochen, niemals [y:] (Börner 1977, 42 ff.).
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sind: also alle Vokalphoneme. Die Vokallänge wird für das Deutsche als ein distinktives Merkmal der Phoneme weitestgehend anerkannt.74 Diesen phonemischen Vokallängenunterschied gibt es jedoch in den meisten relevanten Spendersprachen nicht. Im Französischen, Lateinischen, Griechischen, Spanischen und Italienischen ist die Vokallänge nicht distinktiv, lediglich im Englischen und im Niederländischen sind Lang- und Kurzvokale (als Phoneme) zu finden.75 Daraus ergibt sich, dass die Vokalsysteme des Deutschen und der relevanten Spendersprachen phonemisch nur wenige Übereinstimmungen aufweisen. Folgte man nun Munskes Theorie konsequent, müsste man für fast alle Vokalphoneme bei Entlehnung eine phonemische Assimilation annehmen, z. B. etwa frz. /e/ → dt. /e:/ oder /ε/. Da es die Phoneme /e/, /o/, /i/, /u/ und /ɑ/ im Deutschen nicht gibt, nutzt Munske auch hier den Begriff der phonemischen Assimilation (Munske 1983, 578): Es erfolgt im Deutschen entweder eine Kürzung oder eine Längung entsprechend der deutschen Distributionsregeln. Demnach wären etwa alle graphemischen Längen- bzw. Kürzenmarkierungen, die bei Entlehnung ins Deutsche vorgenommen werden, Resultate phono-graphemischer Assimilation. Das betrifft ganz konkret: – alle graphemischen Längenmarkierungen bei , z. B. frz. négligé → dt. Negligee: wird durch phono-graphemische Assimilation zu ; – alle graphemischen Längenbezeichnungen bei in Sprachen, bei denen kein phonemisch relevanter Quantitätsunterschied vorliegt, z. B. frz. Suffix -ir → dt. -ieren: wird durch phono-graphemische Assimilation zu ; – alle graphemischen Markierungen der Vokalkürze durch Doppelkonsonanz, z. B. frz. troupe → dt. Truppe: wird durch phono-graphemische Assimilation von /u/ zu /ʊ/ zu (bei akzentbasiertem Ansatz zur Erklärung von Doppelkonsonanz). Das wäre das Ergebnis einer konsequent angewendeten Theorie. Nun ist allerdings festzustellen, dass diese Assimilationsformen weder in der Sekundärliteratur – abgesehen von Horst Haider Munske (Munske 1983, 579) und Brigitte Volland (Volland 1986, 26 ff. und 114 ff.) – noch in den Primärtexten des 19. Jahrhunderts als Arten phono-graphemischer Assimilation bzw. graphemischer Assimilation mit vorausgegangener Anpassung der phonischen Seite behandelt werden.76 74 Es gibt auch Autoren, die diese Distinktivität bezweifeln. Das Problem entsteht dadurch, dass abgesehen vom Phonem /ε/ und /ε:/ sowie bei /ə/ jeweils die Merkmale Gespanntheit/Dauer als Merkmalspaar auftreten, so dass die Funktion derselben nicht genau bestimmbar ist (z. B. Iluk 1977, 9). 75 Grundlage für diese Aussage ist der jeweils aktuellste bzw. letzte Sprachstand der betreffenden Spendersprachen (Griechisch: Neugriechisch; Lateinisch: Spätlatein), ermittelt aus folgenden phonologierelevanten Publikationen: Goossens 1974, Ruge 2001, Müller-Lancé 2006, Blaser 2007, Scherer/Wollmann 1986, Gardner 1975 und Lichem 1970. 76 Vgl. z. B. Heller: „Allgemein gilt nun, daß alle Phoneme, die nicht zum deutschen Phoneminventar gehören, fremd sind. Theoretisch ist ihre Zahl so groß wie die Zahl aller vom Deutschen abweichender Phoneme aller fremden Sprachen zusammengenommen. In praxi kommen aber nur
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Selbst Munske erachtet diese Konsequenz in einer späteren Publikation nicht als notwendig, wie in diesem Beispiel zu sehen: „Graphemische Integration: (z. B. frz. liqueur → dt. Likör, → ). Dies ist der Standardfall im Bereich der Reform der Fremdwortorthographie“ (Munske 1997e, 100). Likör wäre sonst eine phono-graphemische Assimilation, da es im Französischen keinen distinktiven Vokallängenunterschied gibt und daher nur die Phoneme /ø/ oder /œ/. Auch Volland folgt der Theorie nicht konsequent, indem sie z. B. die Assimilation der einfachen Konsonantengrapheme zu Doppelkonsonantengraphemen als „graphetische Integration“ (Volland 1986, 109) bezeichnet, obwohl hier ja eine phonemische Veränderung zum Kurzvokal stattgefunden hätte. Der Grund für diese Einordnungen mag darin zu suchen sein, dass auf phonetischer Ebene in den meisten Sprachen natürlich Lang- und Kurzvokale existieren; Länge und Kürze sind allerdings – wie schon gesagt – umgebungsspezifisch komplementär verteilt und deshalb keine Phonemmerkmale (für das Französische, vgl. Iluk 1977, 9). Die Längen- und Kürzenverteilung des Deutschen entspricht dabei in vielen Fällen der Verteilung in der Spendersprache (vgl. Volland 1986, 28 f.). Es darf daher behauptet werden, dass graphemische Assimilationsprozesse, die im Zusammenhang mit der phonemischen Assimilation der Vokalphoneme auf der Quantitätsebene nicht als phono-graphemische Assimilationen angesehen werden, weshalb zumindest die ersten beiden oben benannte Fallgruppen auch in der vorliegenden Arbeit als rein graphemische Assimilationen interpretiert werden.77 Einzig der Bereich der Markierung von Vokalkürze durch Doppelkonsonanz wird weiterhin als phono-graphemischer Prozess gedeutet, da hier im Französischen eine (zwar rein phonetische) Längung vorliegt, „die automatisch in betonter Silbe stattfindet: betonte Vokale sind generell länger als unbetonte“ (Meisenburg/Selig 1998, 103), im Deutschen aber genau der umgekehrte Fall: eine Kürzung. Bei den anderen beiden beschriebenen Gruppen stimmt die Prozessrichtung jeweils überein (Längung in der Gebersprache und im Deutschen).
sehr wenige von ihnen tatsächlich in unseren Fremdwörtern vor, etwa die französischen Nasalvokale […], das phonetisch als [ʒ] gekennzeichnete stimmhafte sch […] oder – weniger häufig – der zwischen oder an den Zähnen gebildete Engelaut th […] und der stimmhafte doppellippige Engelaut w /w/ […] in Wörtern aus dem Englischen. Andere Beispiele sind offenes langes ö [œ:] in französischen Fremdwörtern […] und in Wörtern aus dem Englischen […], wo es für den Mittelzungenvokal e [ə:] steht, sowie offenes langes o [ɔ:] in englischen Fremdwörtern […]“ (Heller 1975, 63). Heller zählt im vokalischen Bereich nur Phonemdifferenzen auf, bei denen es die Kombination aus Vokallänge und –qualität ist, die fremd ist. Wobei auch er hier nicht ganz sauber zwischen Phonem und Laut trennt. Er geht nicht auf die Fremdheit der Phoneme /i/, /e/, /ɑ/, /o/ und /u/ ein. 77 Offensichtlich gibt es hier einen signifikanten Unterschied in der Wahrnehmung von qualitativen und quantitativen Veränderungen bei den Vokalen. Quantität scheint eher graduell zu sein als Qualität. Es wäre zu eruieren, inwiefern nicht nur phonemische, sondern auch phonetische Assimilationen (Assimilationen auf der Oberfläche) bei der sog. phono-graphemischen Assimilation eine Rolle spielen.
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Hätte ich mich für den theoretisch konsequenteren Weg entschieden, all diese Fälle als phono-graphemische Assimilation zu deuten, wären außerdem folgende Schwierigkeiten entstanden: – Der Bereich phono-graphemischer Assimilationen hätte eine noch viel heterogenere Gruppe von Assimilationserscheinungen erfasst, weil die phonemische Assimilation bei Phonemen wie /ã/ → /a/ + /ŋ/ oder /s/ → /ts/> tatsächlich – auch in der Literatur – wahrgenommen werden, Veränderungen wie /e/ → /e:/ allerdings nicht bzw. kaum. – Es hätte eine ausführliche Differenzierung der Längen- und Kürzenunterschiede auf phonetischer bzw. im Englischen und Niederländischen auch auf phonemischer Ebene vorgenommen werden müssen. Eine entsprechende Diskussion hätte den Rahmen der Arbeit gesprengt. – Hinzu gekommen wäre ein nicht unbeträchtlicher Rekonstruktionsaufwand den vokalischen Phonemstatus jedes einzelnen Wortes betreffend (spendersprachlich exakte Phonemtranskription), besonders in den Sprachen, in denen ein distinktiver Vokallängenunterschied existiert. Es folgt eine kurze Besprechung der meisten oben aufgeführten phonemischen Assimilationen, die zu einer graphemischen Assimilation führen könnten bzw. schon geführt haben. Eine Diskussion des zuweilen umstrittenen phonemischen Status einzelner Phoneme kann im Rahmen der Arbeit nicht geleistet werden.78 Das Englische verfügt über fünf hier relevante Diphthonge,79 von denen zwei in der deutschen Sprache unbekannt sind. Diese „können deutsche Sprachteilhaber zwar problemlos hinreichend korrekt in der englischen Aussprache realisieren, in der Regel werden sie jedoch durch ähnlich klingende Monophthonge substituiert (/ɛɪ/ durch /e:/ (z. B. in Baby); /əʊ/ durch /o:/ (z. B. in Dover))“ (Langner 1995, 75).80
78 Vgl. z. B. Meisenburg/Selig 1998, 88. 79 Der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass es im Englischen noch drei weitere Diphthonge gibt, die in dieser Untersuchung allerdings mit Blick auf Langner 1995 vernachlässigt werden: „Die sogenannten ‚Zentralen Diphthonge’ (centring diphthongs: /ɪə/, /εə/, /ʊə/) treten ebenso wie die Verbindung von anderen Diphthongen mit /ə/ (/eɪə/ in player, /ɑɪə/ in fire, /ɑʊə/ in tower, / ɔɪə / in employer, /əʊ/ in slower) in der Regel vor einem [r] auf (aber auch enjoyable). M. E. können diese Erscheinungen vernachlässigt werden, da sie durch den folgenden Konsonanten bedingt sind und in ähnlicher Form auch im Deutschen bei nicht betont deutlicher Aussprache auftauchen (nach langen Vokalen: hier, dir, Bär, mehr, Kur, fuhr, Eier, Bauer, Feuer). Im Deutschen ersetzt der Reduktionsvokal [ʀ] als Allophon für /r/ das englische [ə]. Meinhold/Stock (1980, 86) bemerken, daß diese Verbindungen im Deutschen nicht zu den Diphthongen gezählt werden, weil es sich um Kombinationen von Vokalphonemen und Konsonantenphonemen handelt“ (Langner 1995, 76). 80 Eisenberg sieht bei den beiden genannten Diphthongen allerdings schon Unterschiede in der Realisierung: Nach seiner Ansicht werde [ɛɪ] „von vielen Sprechern weitgehend übernommen“ (Eisenberg 2012, 183), während die Arikulation von [əʊ] „viel unsicherer“ sei (Eisenberg 2012, 183).
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Der Halbvokal 81 /w/ existiert sowohl im Englischen als auch im Französischen und tritt nur vor Vokalen auf (Rothe 1978, 60). Das Assimilationsverhalten im Deutschen unterscheidet sich allerdings je nach Herkunft des Halbvokals. Das französische Phonem wird meistens assimiliert zu unsilbischem /ŏ/, so dass im Deutschen dann ein steigender kurz-lang Diphthong entstünde (Volland 1986, 51 f.; Eisenberg 2012, 188). Das assimilierte fremde Phonographem würde daher lauten: . Dieser Diphthong existiert zwar im Deutschen nicht, ist aber sowohl phonemisch-phonetisch möglich und wird im Duden-Aussprachewörterbuch als gängiges Assimilationsmuster dargestellt; zudem wäre auch eine graphemische Assimilation zu denkbar. Dieser phonemische Assimilationsprozess ist allerdings keineswegs zwingend erwartbar, da /w/ dem unsilbischen /ŭ / artikulatorisch näher steht als dem unsilbischen /ŏ/, so dass hier möglicherweise die Fremdschreibung Einfluss auf den Assimilationsprozess hat, denn in allen Fällen entspricht dem Phonem /w/ die Graphemkombination (Volland 1986, 52). Im Englischen wird /w/ in der Regel nicht vokalisch ersetzt, sondern durch das Konsonantenphonem /v/ (Langner 1995, 78 und 113). Auch Herbert L. Kufner schreibt in seiner kontrastiven Phonologie: „Der deutsche Schüler wird am ehesten /v/ als Ersatz für /w/ verwenden“ (Kufner 1971, 45). Hier handelt es sich in den meisten Fällen dann um grapho-phonemische Assimilationen (Terminus: vgl. Kapitel 2.3.4.3), aber es wäre auch möglich, dass eine Assimilation auf graphischer Ebene folgt, etwa bei dem phonemisch assimilierten Phonographem . Im Deutschen ebenfalls fremd ist der mouillierte l-Laut [ʎ], über den Jan Iluk Folgendes sagt: Obwohl es im Französischen keinen mouillierten l-Laut [ʎ] gibt, werden z. T. französische Fremdwörter mit mouillierten [sic!] Laut als [ʎ] gesprochen. Diese Aussprache wird durch die Schreibung beeinflußt. Die Realisation [lj] kommt daraus, daß es im Deutschen die simultane Merkmalverbindung ‚lateral’ und ‚palatal’ nicht gibt. Deshalb werden zunächst die Merkmale ‚lateral’ und ‚alveolar’ realisiert und dann das Merkmal ‚palatal’. (Iluk 1977, 6)
Iluk beschreibt hier die phonemische Assimilation des französischen /j/ zur deutschen Phonemkombination /lj/ (etwa bei Kanaille, Brillant, Billard) und führt für dieselbe einen synchronischen Grund an (Beeinflussung durch die Schreibung).82 Bei einem Blick in die Entwicklung des französischen Phonemsystems aber fällt zusätzlich etwas anderes auf: Das Phonem /ʎ/ gab es bis zur Periode des Neufranzösischen. Alle Wörter, die bis zu diesem Zeitpunkt in die deutsche Sprache entlehnt wurden, haben – so lässt sich annehmen – die französische Aussprache über-
81 Halbvokale „werden wie Vokale gebildet, sind aber funktionell Konsonanten, weil sie nicht als Silbenträger auftreten können“ (Langner 1995, 78). 82 /lj/ und später noch beschriebenes /nj/ sind natürlich keine indigen vorkommenden Lautverbindungen bzw. Phonemkombinationen. Sie werden nur dadurch zu akzeptierten deutschen Verbindungen, dass zwischen den beiden Lauten ein Silbenschnitt existiert (Volland 1986, 77).
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nommen, allerdings in assimilierter Form [lj], wie auch Iluk beschreibt. Belege für diese Lautentwicklung finden sich bei Wolfgang Rothe und Brigitte Volland (Rothe 1978, 141; Volland 1986, 68 f.).83 Dieser Prozess scheint dann Leitprozess auch für spätere Entlehnungen geworden zu sein, wie aus eigener Anschauung belegt werden kann: Die erst im 17. und 18. Jahrhundert – also bereits während der neufranzösischen Sprachperiode – entlehnten Lexeme Medaillon, brillant und Taille z. B. sind nach demselben phonemischen Assimilationsmuster angeglichen worden.84 Ob sich hier nun – wie oben postuliert – als Bezugssystem immer am jeweils aktuellen Sprachsystemstand orientiert wird oder ob die Sprachentwicklung zur Entscheidung über Stattfinden und Nichtstattfinden eines phonemischen Assimilationsprozesses mit einbezogen wird, wird hier dennoch nicht zur Frage, da in beiden Fällen – ob bei Bezug auf historisches /ʎ/ oder gegenwartssprachliches /j/ – im Deutschen eine Phonemsubstitution hin zu /lj/ stattfindet. Ein weiteres fremdes Phonem, das im Deutschen biphonemisch ersetzt wird, ist das französische /ɲ/. Folgender Assimilationsvorgang findet hier regelmäßig statt (Volland 1986, 63; Eisenberg 2012, 188): /ɲ/ → /n/ + /j/. Iluk führt dazu Folgendes aus: Im Deutschen gibt es die Verbindung der Merkmale „nasal“ und „palatal“ nicht, sondern „nasal“ und „dental“. Weiß der Sprechende, daß er die Merkmale „palatal“ und „nasal“ realisieren soll, spricht er sie nicht gleichzeitig aus, sondern nacheinander, d. h. zunächst „nasal“ und „dental“ und dann „palatal“. (Iluk 1977, 6)
Bliebe es bei dem fremden Phonem, gäbe es keine graphemische Assimilationsmöglichkeit, wie dies auch bei den französischen Nasalvokalen der Fall wäre bzw. ist, wenn sie nicht biphonemisch interpretiert würden. Im vorliegenden Fall allerdings könnte die Substitution des Graphems durch die deutsche graphemische Entsprechung zur phono-graphemischen Assimilation führen. Es gibt allerdings auch eine zweite phonemische Assimilationsart, die zuweilen auch zur graphemischen Assimilation führt, in der Sekundärliteratur allerdings wenig beachtet wird: die monophonemische Assimilation zu /n/, wie sie beispielsweise in frz. compagnie → dt. Kompanie zu beobachten ist, das im vorliegenden Textkorpus recht häufig auftritt. Damit liegt auch hier eine phono-graphemische Assimilation vor. Eine biphonemische Assimilation findet man auch bei Nasalvokalen, die aus dem Französischen in das Deutsche entlehnt werden: /ã/, /ẽ/, /õ/ und /œ̃ / (Eisen-
83 „Das /ʎ/ schließt sich erst zur neufranzösischen Zeit dieser Merkmal-Rephonematisierung an: fille afr. noch /f’iʎe/, nfr. /fij/. Nur das /ɲ/ bleibt als Palatalphonem erhalten“ (Rothe 1978, 141, vgl. auch Laborderie 1994, 14). 84 Volland bemerkt allerdings, dass die Aussprache von /j/ anstelle von /ʎ/ zwar im 17. Jahrhundert schon „volkssprachliche Tendenz[en]“ (Volland 1986, 69) aufweist, aber vom Durchsetzen derselben in der Standardsprache könne man erst im 19. Jahrhundert sprechen. D. h. zu fast allen Entlehnungszeitpunkten wäre mouillierter l-Laut als Bezugspunkt vorauszusetzen.
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berg 2012, 192). Der Grund liegt darin, dass es im Deutschen keine Kombination der Merkmale „velar“ oder „palatal“ und „nasal“ gibt: „Im Deutschen sind die Merkmale ‚velar’ oder ‚palatal’ immer ‚oral’. ‚Nasal’ sind nur die Konsonanten [m], [n], [ŋ]. […] Die nasale Realisation dieser Merkmale ergibt im Deutschen kein Vokalphonem sondern eine Verbindung von oralem Vokal mit nasalem Konsonanten“ (Iluk 1977, 4). Diese Assimilation findet allerdings laut Duden-Aussprachewörterbuch weit weniger regelhaft statt als die phonemische Assimilation von /ʎ/ zu /lj/ und /ɲ/ zu /nj/. Iluk hingegen sieht die phonemische Assimilation der Nasalvokale allerdings als genauso regelmäßig an wie die anderen beschriebenen Assimilationsfälle (Iluk 1977, 4). Er kommt sogar insgesamt bei der Betrachtung der französisch-deutschen phonemischen Assimilationsprozesse zu dem Schluss – und das lässt sich mit Blick auf die bisher dargestellten Fremdphoneme sicher auch auf andere Gebersprachen ausweiten, dass „die Eindeutschung im Bereich der kleinsten Einheiten der Sprache sehr regelmäßig ist und festen Regeln unterliegt“ (Iluk 1977, 12). Hält man sich an die Angaben im Aussprachewörterbuch des Dudens, dann ist dies nicht in allen Fällen so – insbesondere bei den Nasalvokalen liegt selten eine phonemische Assimilation vor. Gründe für die nicht stattfindende Assimilation sieht Volland vor allem im Exotismenstatus der betroffenen Wörter (z. B. Concierge, Cancan, Bonvivant) und in der hohen Anzahl weiterer Fremdmerkmale (z. B. Genre, Liaison, Nonchalance) (Volland 1986, 48). Iluk geht noch einen Schritt weiter und behauptet, der ebenfalls mögliche Assimilationsprozess zu Vokal + /n/ oder /m/ sei die Endphase der Assimilation französischer Nasalvokale. Dies scheint schlüssig, da in vielen Fällen des zweiten Prozesses keine Belege für eine „Übergangsphase“ (Iluk 1977, 4) mehr existieren. So gibt Iluk folgende Beispiele für die Assimilation von frz. /õ/: Tab. 8: Der phonemische Assimilationsprozess des Nasalvokals /õ/ nach Iluk (Iluk 1977, 4).
In betonter Silbe: Balkon Baron In unbetonter Silbe: Rondell Fontäne
Ausgangsphase [õ]
Übergangsphase [ɔŋ]
Endphase [o:n]
frz. [balkõ] frz. [barõ]
dt. [balkɔŋ]
dt. [balko:n] dt. [baro:n]
frz. [rõdεl] frz. [fõtεn(ə)]
dt. [rɔndεl] dt. [fɔntε:n(ə)]
Eine phono-graphemische Assimilation wäre also nur im Fall von Belegen aus der „Übergangsphase“ möglich. In den Belegen aus der „Endphase“ liegen schließlich grapho-phonemische Assimilationen vor. Dass sich für das 19. Jahrhundert 85 keine 85 Der gegenwartssprachliche Befund weicht davon nicht ab. So sagt z. B. auch Eisenberg: „Nasalierte Vokale gibt es im nativen Wortschatz des Deutschen nicht. Werden sie aus dem Französischen
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graphemischen Assimilationen von Nasalvokalen finden ließen, stützt den von Iluk angenommenen prozessualen Zusammenhang. Volland sieht für die Art der Assimilation eher strukturelle Gründe und stellt fest: Diese Integrationsart [gemeint ist: /õ/ → /ɔ/ + /ŋ/ – Anm. A. Z.] findet nur Anwendung, wenn es sich um einen Nasalvokal mit der Graphemverbindung V + (nicht V + ) handelt und wenn der dabei entstandene Engelaut im (Silben)-Auslaut steht. Letzteres ist bedingt durch die Kombinationsregeln der deutschen Konsonanten, wonach dem /ŋ/ kein weiterer Konsonant (Ausnahme: /k/) folgen kann. Wörter wie Karambolage […] oder blond […] sind somit von dieser Integrationsart ausgeschlossen. Hier wird entweder der Nasalvokal beibehalten oder eine weitere Integrationsart tritt in Erscheinung. (Volland 1986, 49)
In jedem Fall ist für diese Arbeit nur die erste Assimilationsart von Interesse (im zweiten Fall handelt es sich um die sog. Leseaussprache [grapho-phonemische Assimilation]). Ausschlaggebend für die Ermittlung des Status phonemischer Assimilation war die Konsultation des Duden-Aussprachewörterbuchs. Phonemsubstitutionen mit einem heimischen Ausgangsphonem bzw. mit einer heimischen Ausgangsphonemkombination werden nach Munske auch unter den Begriff der phonemischen Assimilation subsummiert (s. o.). Es kommt zumeist aus syntagmatischen Gründen zu diesen Substitutionen. Das betrifft etwa die Phoneme bzw. Phonemkombinationen /lə/ und /rə/, die in der Auslautposition nach Konsonant im Deutschen nicht vorkommen, /əl/ und /ər/ hingegen sind typische deutsche Auslautstrukturen (vgl. auch Langner 1995, 120; Volland 1986, 75). Die Assimilationen /ɪ/ → /y:/ oder /ʏ/, /ε/ → /εt/, /s/ → /ts/ und /ʃ/ → /ts/ würde man eigentlich eher bei den grapho-phonemischen Assimilationen vermuten, da es sich hier weitgehend um spezielle Fälle von Leseaussprache handelt: Das im Französischen wie /ɪ/ gesprochene Graphem wird sozusagen „relatinisiert“, so dass das aus anderen Sprachen bekannte Phonographem rekonstruiert wird. Ähnliches liegt vor, wenn die Phoneme /s/ und /ʃ/ in französischen bzw. englischen Entlehnungen, in denen sie im Zusammenhang mit den Graphemkombinationen bzw. , oder stehen, nach lateinischem Vorbild phonemisch assimiliert werden. Das liegt vornehmlich an den Distributionsbedingungen. Auch hier geht es oft um Auslautpositionen, in den meisten Fällen aber um die Beteiligung am Suffix -tion. Besonders in letztem Fall wirkt der Einfluss der im Deutschen üblichen übernommenen lateinischen Aussprache auch auf Entlehnungen aus anderen Sprachen. Es läßt sich vermuten, daß der Grad interlingualer phonemischer Identifizierbarkeit fremder Lexeme in Zusammenhang steht mit der Häufigkeit von Entlehnungen (größere oder geringere
übernommen, so wird auch ihre Schreibung übernommen […]. Hier setzt eine Angleichung an die Lautstruktur des Deutschen ein, um die nasalierten Vokale zu vermeiden“ (Eisenberg 2009, 91). Heller geht sogar so weit zu sagen, dass es für die Nasale „einen Ersatz durch ein heimisches Phonographem nicht geben kann“ (Heller 1981b, 182).
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interlinguale strukturelle Barriere): Die Identifizierbarkeit französischer Lexeme ist dabei aufgrund erheblicher struktureller Kontraste nicht sehr hoch. Sie wird jedoch wesentlich erhöht durch die sehr viel ähnlichere Identifikationsbasis, welche der umfangreiche lateinische Lehnwortschatz im Deutschen darstellt. Die gilt z. T. auch für die Entlehnungen aus dem Englischen, die in ihrer Mehrzahl Romanismen darstellen und im Deutschen als Latinismen integriert werden. (Munske 1983, 572)
Es ist in dieser zweiten Gruppe zu bezweifeln, dass diese phonemischen Assimilationen tatsächlich ein starkes graphemisches Assimilationsbedürfnis zeigen (ob hier also die phonemische Assimilation dafür sorgt, dass auch auf graphischer Ebene verstärkt Assimilationen stattfinden), da die lateinischen Aussprachemuster hier erst genutzt wurden, um vertraute PGB herzustellen.86 Es darf vermutet werden, dass der Faktor der phonemischen Assimilation daher nicht in jedem Falle seine Wirkung zeigt, sondern dass eher Substitutionen mit fremdem Ausgangsphonem auch auf der Ebene der Grapheme Assimilationen bewirken werden, da hier das Bedürfnis, die angeglichene Aussprache anzuzeigen, aufgrund der größeren Fremdheit der entstandenen PGB größer sein wird. Im Falle der Assimilation von /ε/ → /εt/ (auch /a/ → /at/, /o/ → /ɔt/) handelt es sich tatsächlich um einen echten Fall von Leseaussprache, da sich die assimilierte Lautung an den Graphemen orientiert. Es liegt dennoch eine phonemische Assimilation vor, die einer (möglichen) graphemischen Assimilation vorausgeht, da mit Blick auf die syntagmatischen Bedingungen noch keine vollständige heimische Phonem-Graphem-Zuordnung erreicht wurde: Die Kürze des betonten Vokals müsste durch Verdopplung des nachfolgenden Konsonanten angezeigt werden. Es ist bereits mehrfach gesagt worden, dass die Bezugssysteme zur Analyse in dieser Arbeit stets dem gegenwartssprachlichen Stand bzw. dem letzten ermittelbaren Stand der Sprache entsprechen.87 In manchen Fällen allerdings musste eine Orientierung an älteren Sprachzuständen erfolgen, und zwar in solchen, bei denen ganz offensichtlich ein Phonem des älteren Sprachzustands in das Deutsche übernommen wurde. Hier wäre dann mit Blick auf die jüngeren Sprachzustände eine phonemische Assimilation zu vermerken gewesen, obwohl dieselbe nur innerhalb der Entwicklung der Spendersprache selbst stattgefunden hat und nicht bei Übernahme in die deutsche Sprache. Demzufolge wurde bei der Analyse der Texte keine phonemische Assimilation vermerkt. Dies betrifft vorwiegend Phoneme aus den klassischen Sprachen Lateinisch und Griechisch:
86 Bewusst wird hier auf den Begriff der „heimischen“ Phonem-Graphem-Beziehungen verzichtet, da es sich bei , und tatsächlich nicht um indigene Phonographeme handelt, wohl aber um sehr häufig benutzte und daher als ‚vertraut‘ anzusehende fremde Phonographeme. 87 Vgl. auch den Regelkommentar bei Wilmanns: „Hinsichtlich der toten Sprachen ist nicht […] ihr ursprünglicher Laut maßgebend, sondern der, welchen wir jetzt im Gebrauch dieser Sprachen zu sprechen pflegen“ (Wilmanns 1880, 190).
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Tab. 9: Weitere fremde PGB (vgl. Ruge 2001).88 alt
neu
Die soeben beschriebenen phonemischen Assimilationsprozesse sind diejenigen, die in der Analyse der Arbeit eine größere Rolle spielen. Die Liste ist nicht als geschlossen zu betrachten. Weitere phonemische Assimilationsmöglichkeiten sind an Einzelfälle gebunden und werden hier deshalb nicht besprochen (z. B. Lieutenant – Leutnant). Wieder andere sind in die Analyse nicht mit aufgenommen worden, weil sie keine graphemische Assimilation nach sich ziehen würden, weil unterschiedliche phonemische Assimilationsvarianten existieren bzw. weil sie im Textkorpus nicht zu finden waren. Im Folgenden einige Beispiele: Tab. 10: Beispiele für weitere phonemische Assimilationen. engl. /ɵ/ → /t/ oder /s/
nicht im Korpus enthalten
frz. /ɥ/ → /ŭ/ oder /v/
Assimilationsrichtung ist stark variabel (vgl. Volland 1986, 52 f.)
Die bereits mehrfach problematisierte Tatsache dessen, dass jeweils gegenwartssprachliche Systeme zur Grundlage der Analyse gemacht werden, gilt auch hier. Das ist im Rahmen dieser Arbeit nicht anders möglich (zur Problematisierung: vgl. Kapitel 4.2.1).
2.3.4.3 Grapho-phonemische Assimilation Diese Assimilationsmöglichkeit wird in der Sekundärliteratur auch häufig als „Leseaussprache“ bezeichnet (vgl. z. B. Langner 1995, Munske 1997c, Heller 2002, Eisenberg 2006). Auch hier findet eine Assimilation der PGB statt, die allerdings
88 Die jeweils markierte Fassung wurde ins Deutsche übernommen.
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nicht durch die Anpassung der Schreibweise erreicht wird. Vor allem durch visuelle Rezeption bedingt, interpretiert der Rezipient das Wort nach den ihm vertrauten, heimischen Phonem-Graphem-Regeln, z. B. frz. élan und dt. Elan. In vorliegendem Beispiel wird bei der Entlehnung die fremde Phonem-Graphem-Korrespondenz assimiliert, indem das Graphem mit heimischem Phonembezug realisiert wird: + (Munske 1983, 582). Der Terminus grapho-phonemische Assimilation deutet an, „daß ausgehend von der quellsprachigen graphemischen Repräsentation eines Lexems auf phonemischer Ebene eine Integration erfolgt“ (Munske 1983, 582). Diese Assimilationsmöglichkeit ist für die Analyse der Fremdwortschreibung nicht relevant, da die heimische Phonem-Graphem-Korrespondenz nur durch phonemische Assimilation erreicht wird, nicht aber durch eine Veränderung der Schreibung.
2.3.5 Assimilationsfaktoren In der Sekundärliteratur zur Problematik der Fremdwortschreibung wird eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Faktoren genannt, die eine Assimilation bestimmter Wörter bzw. Grapheme befördern oder verhindern. Sie sind Gegenstand theoretischer Reflexionen und spendersprachlich orientierter Untersuchungen zur Assimilation (z. B. Heller 1981c, Volland 1987, Langner 1995, Heller 2002) oder aber konkreter Überlegungen zur Neuregelung der Fremdwortschreibung im Rahmen der Reformdiskussion (z. B. Drosdowski 1974, Heller 1981b, Augst 1987b, Zur Neuregelung 1989, Munske 1997c). Als solche werden sie nicht selten eher als Vermutungen denn als Tatsachen geäußert, gelegentlich belegt durch eine Auswahl an Beispielen. Von einem tatsächlichen Einfluss kann dann gesprochen werden, wenn die Faktoren zur Grundlage einer Reform der Fremdwortschreibung gemacht und eine entsprechende Regelung nach diesen Faktoren ausgearbeitet wird. In dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, die Abhängigkeit der Assimilation von den am häufigsten genannten – und auch tatsächlich nachprüfbaren – Faktoren für das 19. Jahrhundert zu prüfen und ggf. nachzuweisen. Dabei wurden die Assimilationsfaktoren sowohl in der Entwicklung des Usus als auch in der Kodifikation gesucht (vgl. Kapitel 3 und 4). Zunächst aber soll eine Darstellung der vermeintlichen Assimilationsfaktoren vorausgehen.89
89 Die folgende Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zumal auch die Sekundärliteratur keine abgeschlossene Liste an Assimilationsfaktoren liefern kann. Die Art und Wirkung der Faktoren ist vermutlich auch historisch veränderlich, was im Ergebnis der Arbeit ebenfalls zu zeigen sein wird. Die Reihenfolge der Faktorenbeschreibung stellt keine Rangfolge dar, sondern orientiert sich an der „Kategorie“ derselben: Zunächst werden Faktoren des Übernahmeprozesses dargestellt; es folgen sprachsystematisch-formale und schließlich Faktoren der Sprachverwendung und des Status im Wortschatzsystem.
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2.3.5.1 Assimilationsfaktoren im Überblick Die möglichen Assimilationsfaktoren sind der Art nach sehr heterogen: Einige dieser Faktoren beziehen sich auf die Vermittlungsart der Wörter, andere auf sprachsystematisch-formale Aspekte (z. B. Ähnlichkeiten auf der morphematischen, der phonischen und der graphischen Ebene) als auch auf die Verwendungsweise des Wortes, den Status im Wortschatz usw. Einen Zusammenhang zwischen der Vermittlungsart und der graphematischen Assimilationsfreudigkeit vermutet Rudolf Telling: Gelangt das Lexem über mündliche Vermittlung in die deutsche Sprache, so ist sicher, dass es sofort graphematisch assimiliert wird (Telling 1988, 9). So sind zunächst in der Regel nur die Lautverhältnisse des Wortes bekannt, nicht aber die Schreibweise, so dass die Verschriftlichung des Wortes anhand heimischer Phonem-Graphem-Zuordnungen erfolgen kann. Die (ausschließlich) mündliche Vermittlungsart allerdings geht in der Neuzeit immer stärker zurück, so dass der Faktor der Vermittlungsart einhergeht mit dem Entlehnungszeitpunkt. Vor allem im Mittelalter entlehnte Wörter weisen demnach häufig Assimilationen auf (Telling 1988, 9). Den Zusammenhang von Assimilationsstatus und Entlehnungszeitpunkt sehen auch Gerhard Augst, Heidemarie C. Langner, Reinhold Tippe, Trudel Meisenburg und Wernfried Hofmeister (Augst 1977, 76; Langner 1995, 47 und 175; Meisenburg 1992, 48; Tippe 1986, 69; Hofmeister 2000, 81), wobei Langner ihn sogar für die englischen Entlehnungen nachweist, deren Entlehnungswelle erst im 19. Jahrhundert einsetzt. Dass dieser Faktor nicht uneingeschränkt gilt, zeigt folgende Darstellung von Klaus Heller (die sich allerdings nicht nur auf die graphematische Assimilation bezieht), gestützt durch einige Beispiele: Die These, daß der Grad der Eindeutschung sich nach dem Alter der Entlehnung richte, wie sie von A. Iskos und A. Lenkowa vertreten wird, läßt sich – obwohl sie für viele Entlehnungen zutrifft – durch eine ganz Reihe Gegenbeispiele in Frage stellen. So treten die heute noch als fremd empfundenen Wörter Bilanz und Bibliothek schon 1479 bzw. 1531 zuerst im Deutschen auf, Luxus 1597, Musik sogar schon im Althochdeutschen. Andere sind noch gar nicht lange im Deutschen und werden kaum noch als fremd empfunden. Streik ist seit 1865 im Deutschen belegt, Tip seit 1894 […]. (Heller 1966, 23)
Allerdings betont Heller trotzdem einen Zusammenhang, den graphematische Assimilation und Entlehnungszeitpunkt haben, der sich daraus ergibt, dass der Schreibung in den früheren Epochen „noch keine kodifizierte Normen, weder in der gesprochenen noch in der geschriebenen Sprache, entgegenwirkten“ (Heller 1981c, 53). Neben dem Entlehnungszeitpunkt wird auch die Spendersprache als ein wesentlicher Parameter für bzw. gegen die graphematische Assimilation von Fremdwörtern angenommen. Dieser Faktor ist sehr facettenreich in seiner Wirkart, so dass er hier weder nur zu den sprachsystematisch-formalen noch nur zu den Faktoren der Sprachverwendung gehört. Dass die Spendersprache bei der Reform der Fremdwortorthographie in jedem Fall zu berücksichtigen sei (Unterscheidung zwi-
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schen „toten“ und „lebenden“ Sprachen), meint Günther Drosdowski in seiner Analyse vergangener Reformvorschläge (Drosdowski 1974, 13). Auch im späten Reformprozess der deutschen Orthographie gegen Ende des 20. Jahrhunderts wird als Argument für weniger Assimilation die zu vermeidende Problematik beim Erlernen einer Sprache angebracht (Deutsche Rechtschreibung 1995, 8).90 Im Falle einer graphematischen Assimilation entstünde eine andere Schreibweise, als der Sprecher sie aus seinem Fremdsprachenunterricht kenne. Das betrifft natürlich nur solche Sprachen, die häufig im Unterricht vermittelt werden: Im 19. Jahrhundert wären das Griechisch und Latein, ab Mitte des 19. Jahrhunderts dann auch mehr und mehr Französisch. Im Umkehrschluss bedeutet es auch, dass die orthographische Angleichung Vorteile für den hat, „der die fremde Herkunftssprache nicht kennt“ (Deutsche Rechtschreibung 1995, 8). Insofern gäbe es für die Assimilation von Wörtern bestimmter Herkunftssprachen für beide Richtungen der Schreibentwicklung Argumente. Eng hiermit korrespondiert der Faktor des Ansehens der betreffenden Fremdsprache. Genießt die Sprache ein „hohes Ansehen“ (Langner 1995, 43) bzw. gehört sie zu den Sprachen, die den „Bildungswortschatz“ (Augst 1987b, 165) ausmachen, dann wird die graphematische Assimilation der entlehnten Lexeme dieser Sprache kaum Akzeptanz finden.91 Dass „Fremdgrapheme wie y, rh, ph, th bisher überlebt [haben]“ (Eisenberg 2012, 74), ist nach Eisenberg auf das „verstärkte Streben nach dem griechischen Original“ (Eisenberg 2012, 74) zurückzuführen. Unter den Faktor Spendersprache fallen allerdings nicht nur außersprachliche Zusammenhänge wie das Ansehen und die Beherrschung der Sprache, die im Allgemeinen am häufigsten genannt werden. Für Klaus Heller ist es diesbezüglich vor allem die Ähnlichkeit „in formal-struktureller Hinsicht“ (Heller 1981c, 54) von Spendersprache und aufnehmender Sprache, die Tempo und Grad der graphematischen Assimilation bestimmt. Die Änderungen fallen dann weniger gravierend auf und erreichen vermutlich mehr Akzeptanz. Die Aspekte, die eine graphematische Assimilation formal-strukturell ähnlicher Wörter befördern, lassen sich weiter konkretisieren. Am häufigsten wird diesbezüglich in der Sekundärliteratur die lautliche Assimilation bzw. schon vorhandene lautliche Ähnlichkeit erwähnt (z. B. Telling 1988, Langner 1995, Tippe 1986, Drosdowski 1974). Die graphematische Assimilation „vollzieht sich naturgemäß dann am leichtesten, wenn die Aussprache dem deutschen Sprecher wenig Schwie-
90 Vgl. auch Langner 1995, 43. 91 Welche Sprachen zu den Bildungssprachen gehören, ist keineswegs so klar, wie es zuweilen scheint. Üblicherweise werden darunter die „klassischen Sprachen“ Latein und Griechisch verstanden. Augst hingegen nennt – für die Gegenwartssprache auch das Englische: „Fremdwörter im Bildungswortschatz sollen im Prinzip auch nach der Herkunftssprache geschrieben werden, denn wer diesen Wortschatz gebraucht, ist entweder gebildet, d. h. er kennt u. a. die englische Sprache oder gar Latein von der Schule, oder er will gebildet scheinen, dann soll er auch die fremde Schreibung lernen“ (Augst 1987b, 165).
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rigkeiten bereitet und infolgedessen […] leicht mit den im Deutschen üblichen Mitteln im Schriftbild ausgedrückt werden kann“ (Telling 1988, 10). Im Gegenzug gilt auch: „Die fremde Schreibung bleibt eher erhalten, wenn auch die fremde Aussprache keine Änderungen erfahren hat“ (Langner 1995, 179). Gemeint sind Lexeme ohne Abweichung vom Phoneminventar der aufnehmenden Sprache (vgl. auch Tippe 1986, 69), wobei Augst zusätzlich nicht nur auf die Existenz, sondern auch auf die Anzahl fremder Phoneme referiert: Fremdwörter gehören nicht in den assimilationsfreudigen Bereich, wenn sich gegenüber der aufnehmenden Sprache „in ihrer phonischen […] Struktur zuviel Abweichungen ergeben“ (Augst 1987b, 166, vgl. auch Augst 1989, 6). Auch Wörter, die bereits einen phonemischen Assimilationsprozess hinter sich haben, gehören in die Gruppe der Wörter, deren graphematische Assimilation weniger problematisch stattfinden kann. Zumindest bestätigt Langner das für die englischen Entlehnungen (Langner 1995, 179). Auch Drosdowski betont, dass bei einer Reform der Fremdwortorthographie „wie es seit Adelung im allgemeinen auch geschieht – zwischen Wörtern [unterschieden werden muss], die sich in der Aussprache (und in der Flexion) bereits angepaßt haben, und noch nicht angeglichenen Fremdwörtern“ (Drosdowski 1974, 13). Hier hat man es also laut Drosdowski mit einem historisch gewachsenen Assimilationsfaktor zu tun, der für das untersuchte Textkorpus nachzuweisen sein wird. Die Fremdheit der phonischen Struktur als Assimilationshemmer kann sich allerdings nicht nur auf die Phoneme beziehen, sondern auch auf die Prosodie. In solchen Fällen wurde im Rahmen von Reformvorschlägen auch ganz bewusst auf eine Assimilation verzichtet, um die besondere Fremdheit des Wortes, in diesem Fall Fremdheit in der Betonung zu signalisieren (Munske 1997e, 107). Reformversuche wie z. B. *Eta, *Espri, *Debü, *Ragu scheinen Munske „fragwürdig“ (Munske 1997e, 107). Bei Drosdowski war bereits die Rede davon, dass nicht nur die phonemische Ähnlichkeit bzw. Assimilation ein Faktor für graphematische Assimilation sein kann, sondern auch die grammatische Anpassung eines Wortes an deutsche Verhältnisse (Drosdowski 1974, 13). Das betrifft vor allem die formale Assimilation von Wortbildungs- und Flexionsmorphemen (z. B. Tilgung des Suffixes: lat. musica → dt. Musik; deutsche Flexion: frz. les meubles → dt. die Möbel). Diese Art der Assimilation wird in vorliegender Arbeit auf die Analyse der Flexionsparadigmata beschränkt, insofern ist die Bezeichnung flexivische Assimilation gerechtfertigt.92 Außerdem kann die „morphologische Binde- und Anpassungsfreudigkeit […] (vgl. am cleversten, Clownerie, coachen, Computertisch etc.)“ (Hofmeister 2000, 81) als ein Zeichen für zunehmende Integriertheit in die deutsche Sprache gewertet werden (vgl. auch Blanár 1968, 169) und damit die Assimilation auf graphischer Ebene befördern.
92 Die Tilgung von Wortbildungssuffixen wird nur begleitend untersucht.
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Angesichts dieser Vielzahl formaler Assimilationsfaktoren liegt die Vermutung nahe, dass der Prozess der graphematischen Assimilation nicht etwa den wesentlichen Teil des Einbürgerungsprozesses darstellt, sondern eher als eine Folge von Assimilationen auf anderen sprachlichen Ebenen – als eine Art letzte Stufe im (formalen) Einbürgerungsprozess93 – zu verstehen ist.94 Es handelt sich aber in jedem Fall mit um das wichtigste äußere Zeichen der Integration eines Lexems, wie auch Heller darstellt: Die enge Beziehung, die zwischen dem Problem der Einbürgerung fremder und Frage der Fremdwortschreibung besteht, geht nicht nur daraus hervor, daß ein Teil der zur Bestimmung des Fremdwortes wichtigen formal-strukturellen Merkmale der graphischen Ebene zuzuordnen sind. Bereits früher (vgl. Heller 1966, 20) hatten wir festgestellt, daß die Schreibung ein besonders augenfälliges Merkmal bei der Unterscheidung von Fremdwort und Nichtfremdwort darstellt. […] In der Tat charakterisiert die fremde Schreibung ein Lexem auch dann noch als ein Fremdwort, wenn andere fremde Merkmale fehlen und die semantisch-stilistische Integration weit fortgeschritten ist. (Heller 1981b, 165)
Ebenfalls häufig – besonders im Rahmen der Reformdiskussion – genannt wird die Bedeutung bereits vorhandener Assimilationsmuster bestimmter Grapheme und/oder Morpheme als „äußerst wichtiger Faktor“ (Langner 1995, 178) für eine Begünstigung graphematischer Assimilation (Langner 1995, 48). Sie war sogar eine Grundlage für den Neuregelungsvorschlag der Fremdwortschreibung 1989: Die Kommission ist […] der Meinung, daß in bestimmten Bereichen, in denen bereits in der Vergangenheit Integrationen erfolgt sind, weitergehende Vereinheitlichungen zu einer wünschenswerten Erleichterung im Umgang mit Fremdwörtern führen können. (Zur Neuregelung 1989, 154)
Solche „Übersetzungsgleichungen“ (Augst 1987b, 165) bzw. „Integrationsmuster“ (Zur Neuregelung 1989, 157) existieren vor allem für französische, griechische und lateinische, weniger allerdings für englische Entlehnungen, da „das Englische selbst sehr komplizierte Phonem-Graphem-Korrespondenzen hat mit einer Fülle von Idiosynkrasien“ (Augst 1987b, 165). Augst bezieht die sog. Übersetzungsgleichungen also auf Grapheme (z. B. frz. → ). Volland geht weiter und be-
93 Der Einbürgerungsprozess lässt sich nicht nur an formalen Kriterien festmachen, sondern bestimmt sich auch über ein semantisches Kriterium, etwa die Integriertheit in den Wortschatz der aufnehmenden Sprache durch Eigenständigkeit der Bedeutung (Blanár 1968, 164). Vollständige Synonyme verwehren sich dem Einbürgerungsprozess eher. 94 Diese Vermutung legen auch die vielen Regelformulierungen im 19. Jahrhundert nahe, in denen die graphemische Assimilation umso eher stattfindet, je stärker das Wort bereits eingebürgert ist, z. B. Adelung: „In eigentlich Deutschen Wörtern, und solchen, welche bereits das Bürgerrecht erhalten haben, ist das c schon längst mit dem k und z, nach dem es die Aussprache erfordert, vertauschet worden“ (Adelung 1782, zit. n. Hofmeister 2000, 75).
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schreibt die analogiehafte graphemische Assimilation des französischen Adjektivsuffixes z. B. -eux, -euse im Kontrast zur unterbliebenen Assimilation bei -eux und -euse als Substantivendung (Volland 1986, 106 f.). Gleiches belegen Heller/Walz beispielsweise für die Assimilation des Graphems : Die assimilierte Variante tritt nur in Endungen auf, nicht aber in den Basismorphemen (Heller/Walz 1992, 284). Insofern ist die analoge graphemische Assimilation hier tatsächlich morphematisch motiviert. Der umgekehrte Fall tritt ein, wenn die graphematische Assimilation eines Suffixes konsequent ausbleibt, etwa bei -tion: Hier wird auch in Zukunft keine Assimilation zu erwarten sein. Ein weiterer Assimilationsfaktor, der auf der Ähnlichkeit zwischen Spendersprache und aufnehmender Sprache basiert, ist die Anzahl der Fremdgrapheme im Wort (Tippe 1986, 69). Je höher die Anzahl der Fremdgrapheme ist, desto eher verweigert sich das Wort bzw. die Grapheme einer graphematischen Assimilation, „weil in der Regel alle fremden Grapheme durch die entsprechenden deutschen ersetzt werden müssen“ (Tippe 1986, 69). Findet dann aber doch die Assimilation eines Graphems statt, werden zumeist gleichzeitig alle anderen assimiliert. „So findet man etwa das nicht integrierte Wort Sauce neben einem integrierten Soße, aber Bildungen wie *Soce oder *Sauße sind nicht möglich“ (Volland 1986, 114). Diesen Zusammenhang belegen auch Heller/Walz in ihrer Wörterbuchanalyse zur Fremdwortschreibung (Heller/Walz 1992, 291). Ergänzend treten Faktoren der Sprachverwendung hinzu, von denen im Folgenden die am häufigsten in der Sekundärliteratur besprochenen kurz dargestellt werden. Sehr oft fällt bei der Ursachenforschung der graphematischen Assimilationsvorgänge das Argument der Häufigkeit des Gebrauchs (vgl. Langner 1995, 176; Tippe 1986, 68; Hofmeister 2000, 81), das sogar Eingang in die Regelformulierung zur Fremdwortschreibung des Dudens gefunden hat 95: Lexeme, die besonders häufig verwendet werden, würden eher assimiliert als weniger häufig gebrauchte. In diesem Zusammenhang wird, wenn zur Häufigkeit auch die Geläufigkeit eines Lexems gehört (Telling 1988, 10; Deutsche Rechtschreibung 1995, 8), oft auch das Gegensatzpaar Alltagswortschatz – Fachwortschatz gebraucht (vgl. Blanár 1968, 160) 96, wenngleich diese Zuordnung (alltagssprachliche Wörter = geläufige, häufig gebrauchte Wörter, Fachwörter = weniger geläufige, selten gebrauchte Wörter) na-
95 „Häufig gebrauchte Fremdwörter, vor allem solche, die keine dem Deutschen fremden Laute enthalten, gleichen sich nach und nach der deutschen Schreibweise an“ (Duden 1986, zit. n. Zur Neuregelung 1989, 148). 96 Vgl. auch Tippe: „Der Anpassung unterliegen vor allem solche Wörter, die häufig gebraucht werden und die nicht zu einem speziellen Fachwortschatz gehören“ (Tippe 1986, 66). Diese Behauptung, die auch in der zurückhaltenden Reform der Fremdwortschreibung 1996 ein Hauptargument war, unterlegt Tippe mit dem Beispiellexem Photo/Foto. In der Bedeutung Lichtbild darf es in der eingedeutschten Form Foto geschrieben werden, in der nur fachlich bezogenen Bedeutung Licht aber bleibt es von einer Assimilierung unberührt.
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türlich stark vereinfachend ist.97 Heller schränkt diese absolute Gegensätzlichkeit ein, indem er relativierend sagt: Im allgemeinen sind es besonders häufig gebrauchte und allgemein verständliche Fremdlexeme, die in ihrer Schreibung angepaßt werden, während sich im Allgemeinwortschatz selten gebrauchte, vor allem stilistisch markierte (gehoben, veraltete) oder dem speziellen Fachwortschatz zugehörige Fremdlexeme der Assimilation eher widersetzen. (Heller 1981c, 50)
Neben der Häufigkeit im Gebrauch ist die – mit der Geläufigkeit unmittelbar in Zusammenhang stehende – Verständlichkeit des Wortes ausschlaggebend. Diese Eigenschaften erfüllen nach Heller am ehesten Wörter aus dem Zentrum des Allgemeinwortschatzes, während Wörter aus der Peripherie des Allgemeinwortschatzes gemeinsam mit Wörtern des „speziellen Fachwortschatz[es]“ (Heller 1981c, 50) weder besonders häufig noch besonders allgemeinverständlich sind. Aus seiner Äußerung kann also gleichzeitig entnommen werden, dass sowohl die Peripherie des Allgemeinwortschatzes als auch die Peripherie des Fachwortschatzes Wörter allgemeinverständlicher Art enthalten. Beide Wortschatzbereiche enthalten also Elemente, die für eine graphematische Assimilation infrage kommen. Selbes findet sich auch in Hellers Untersuchungen zu einer Reform der Fremdwortorthographie, indem er darauf verweist, dass Fachlexeme sich zwar einer Assimilation entziehen, aber „Schreibungen wie Kalzium oder Zellulose außerhalb der Fachliteratur durchaus ihre Berechtigung haben, auch wenn der Fachmann Calcium und Cellulose schreibt“ (Heller 1981b, 173). Damit relativiert Heller die sehr häufig genannte Gegensätzlichkeit von Allgemeinwortschatz und Fachwortschatz als Faktoren für bzw. gegen die graphematische Assimilation. Fachsprachlichkeit gilt allgemein als hemmender Faktor (Langner 1995, 43; Augst 1989, 6), da „die Fachsprachen […] die fremde Schreibung [bevorzugen]“ (Tippe 1986, 69). In dem Neuregelungsvorschlag von 1989 heißt es zwar einerseits präziser, die Neuregelung (also neue Assimilationsvorschläge) gelte nicht für „Wörter im fachsprachlichen Gebrauch“ (Zur Neuregelung 1989, 69). Der Gebrauch des Fachwortes als solches ist offensichtlich ausschlaggebend, nicht das sprachliche Material allein. Andererseits wird im Kommentar zur Neuregelung wieder ein klarer Unterschied zwischen „Alltagswortschatz“ und „Fachwörtern“ gemacht (Zur Neuregelung 1989, 157). Diese hier nur angerissene Diskussion ist – auch angesichts der benötigten Handhabbarkeit dieses Faktors bei der Ususanalyse – Grund genug für eine Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit, die im Anschluss an dieses Kapitel vorgenommen wird. „Der Fachwortschatz sollte in der Regel […] nach der Orthographie der Herkunftssprache geschrieben werden […]; dafür spricht auch die Tendenz zum Internationalismus, z. B. in der Medizin und Technik“ (Augst 1987b, 164), empfiehlt
97 Dass es zwischen den Polen des Fach- und Allgemeinwortschatz einen höchst umfangreichen Übergangsbereich gibt, wird im nachfolgenden Kapitel ausgeführt.
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Gerhard Augst in seinem Reformvorschlag zur Fremdwortschreibung. Er sieht also einen Zusammenhang von Fachsprache und Internationalismen;98 beide Faktoren wirken gemeinsam häufig assimilationshemmend auf ein Fremdwort. Das Internationalismenargument hat im gesamten zurückliegenden Reformdiskurs eine nicht unwesentliche Rolle gespielt (vgl. Zur Neuregelung 1989, 69; Deutsche Rechtschreibung 1995, 8; Knobloch 1972, 44 f.). Alle international gebräuchlichen Wörter wurden in den Vorschlägen von vornherein von der Neuregelung – und damit auch von einer möglichen Assimilation – ausgeschlossen (Zur Neuregelung 1989, 69; Deutsche Rechtschreibung 1995, 16). Dass assimilierte Schreibweisen wie die Reformvorschläge *Asfalt und *rytmisch sich nicht durchsetzen konnten und auf Grundlage des Internationalismenarguments zurückgewiesen wurden [Munske 1997d, 156], zeigt das Bedürfnis der internationalen Kommunikation nicht nur in der Fachwelt, sondern auch im Bereich der Allgemeinsprache. Im 20. Jahrhundert ist nicht nur die Gemeinsprache, sondern vor allem die fachsprachliche Kommunikation enorm internationalisiert worden, d. h., „die Fachwortschätze der einzelnen Sprachen gleichen sich einander mehr und mehr an. Eine einheitliche Begrifflichkeit erleichtert die Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg“ (Langner 1995, 44). In den Fachsprachen existieren z. T. internationale Schreibvereinbarungen, die verbindlich sind, so dass eine graphematische Assimilation hier nicht infrage kommt. Es ist naheliegend, dass dieser Faktor im 19. Jahrhundert noch wenig bzw. keine Wirkung zeigt. Die Internationalisierung der Kommunikation ist zum Ende des Jahrhunderts in Deutschland gerade erst am Anfang ihrer Entwicklung, weshalb das Argument in den Grammatiken nicht zu erwarten ist.99 Wird in den Vorschlägen zur Reform der Fremdwortschreibung der Geltungsbereich der Regeln abgesteckt, so werden außer Fachwörtern auch die Eigennamen und die Zitatwörter ausgeschlossen (vgl. Zur Neuregelung 1989, 157; Augst 1987b, 164; Heller 1981b, 183). Hat ein Lexem fremder Herkunft Eigennamen- oder
98 Das Verständnis des Internationalismusbegriffs ist in der Literatur nicht eindeutig (vgl. z. B. Übersicht zu verschiedenen Internationalismusbegriffen bei Schaeder [Schaeder 1987]). 99 Die Kürze der Darstellung dieses Faktors ist der geringen Bedeutung desselben bezüglich der Fremdwortschreibung im hier analysierten Jahrhundert geschuldet und soll keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff des Internationalismus weder abschließend definitorisch geklärt ist, noch eine Übereinstimmung darüber besteht, „was denn eigentlich internationale Schreibungen von Internationalismen sind“ (Munske 1997d, 156). Internationalismen sind, grob bestimmt, „sprachliche Gemeinsamkeiten in den Wortschätzen verschiedener Sprachen“ (Braun 1979, 96). Fraglich ist allerdings, ob sich die „Internationalität“ nur auf die Bedeutung oder auch auf die Form des Zeichens bezieht. Sollte Letzteres der Fall sein, wäre es möglich, dass nur die Schreibung gemeint ist. Munske jedoch findet in seiner vergleichenden Studie heraus, dass es offenbar „die lexikalischen Morpheme und die Gesamtbedeutung des Zeichens“ sind; „[h]insichtlich Flexion, Aussprache und Schreibung bestehen weitgehende Divergenzen. Das Argument, die Bewahrung von Fremdgraphien sei eine Bewahrung der Internationalität der betreffenden Wörter, erweist sich damit als nicht tragfähig“ (Munske 1997d, 161).
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Zitatwortstatus, so wird in der Regel eine Assimilationsresistenz angenommen. Eine Eigennamenanalyse ist allerdings so komplex, dass sie aus dieser Untersuchung ausgegliedert wird – zumal nicht nur die Bestimmung von Eigenname und Appellativum schwierig ist, sondern in einigen Publikationen auch fremde „auf Eigennamen zurückführende Bezeichnungen (Ableitungen von Eigennamen und Eigennamen, die zu Appellativa geworden sind)“ (Heller 1981b, 183) als assimilationsresistent bezeichnet werden – und somit weitere Kategorien zur Analyse entworfen werden müssten. Das Zitatwort findet allerdings Berücksichtigung. Eine Bestimmung desselben findet sich im Anschluss an dieses Überblickskapitel. Im oben genannten Zitat von Klaus Heller wird ein weiterer Assimilationsfaktor genannt, der bislang noch keine Erwähnung fand. Er bezieht sich auf die semantische Eigenständigkeit der Fremdwörter und wird in der Sekundärliteratur zum Teil nicht einheitlich als assimilationshemmender Faktor angesehen. Gemeint ist die eigene Ausdrucks- und Bedeutungsspezifik, die bei Vincent Blanár als „Kommunikativwert“ (Blanár 1968, 160) des Fremdwortes beschrieben wird. Die semantische Unersetzbarkeit ist für Hofmeister ein Argument pro Assimilation, sie ist ein „Indikator für die Akzeptanz von Lehngut“ (Hofmeister 2000, 81), die dann wiederum auch zu einer graphematischen Assimilation des Wortes führt. Auch Heller bemerkt: „Diese semantische Verankerung ist aber – das muß immer wieder gesagt werden – die Voraussetzung für seine formal-strukturelle Anpassung“ (Heller 1981c, 54). Andererseits erwähnt Heller die stilistische Markiertheit (also semantische Eigenständigkeit auf der konnotativen Ebene) im Zusammenhang mit einer besonderen Assimilationsresistenz (Heller 1981c, 50). Sie betrifft „veraltete und veraltende Lexeme, vor allem dann, wenn sie – was oft der Fall ist – eine besondere stilistische Charakteristik besitzen“ (Heller 1981b, 183). Diese Markiertheit bezieht sich bei Augst außer auf Archaismen auch auf Regionalismen und Modewörter (Augst 1987b, 166). Eventuell ist dieser Unterschied zurückzuführen auf die mit Archaismen, Regionalismen und Modewörtern verbundene seltene bzw. stark eingeschränkte Verwendung, so dass der Faktor Häufigkeit des Gebrauchs hier den semantischen Eigenwert des Lexems als Assimilationsfaktor in der Rangfolge übertrifft. Eine besonders für das 19. Jahrhundert interessante mögliche Regelungsmotivation ist der Fremdwortpurismus, der hier als letzter Faktor genannt wird, da er in den gänzlich außersprachlichen Bereich gehört. Fremdwortpuristische Bestrebungen zielen zwar von jeher primär auf die gänzliche Beseitigung fremdsprachlichen Materials ab (vgl. Verdeutschungswörterbücher, z. B. im 19. Jahrhundert von Hermann Dunger), dennoch stellen z. B. Drosdowski 1974, Langner 1995 und Heller 1981b einen Einfluss auch auf die graphematische Assimilation fest. Die Regelung der Fremdwortschreibung könne „Ausdruck meist puristisch orientierter (sprach)politischer Bestrebungen“ (Meisenburg 1992, 50) sein. Dabei werden in der Literatur allerdings zweierlei Regelungsrichtungen beschrieben: Einerseits wäre eine konsequente Assimilation der Fremdwörter möglich, damit sie dem hei-
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mischen Wortschatz so sehr ähneln, dass ihre Fremdheit nicht mehr wahrgenommen wird (Meisenburg 1992, 50). Andererseits wäre es auch denkbar, die Fremdwörter in ihrer spendersprachlichen Schreibweise zu belassen, um sie als ‚fremd’ auszuweisen und zu stigmatisieren (vgl. auch Langner 1995, 50): Die Sprachgesellschaften, die im 17. Jahrhundert den Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Sprache aufnahmen, forderten die Beibehaltung der fremdsprachlichen Schreibung, um die „Fremdlinge“ zu kennzeichnen und von der deutschen Sprache fernzuhalten. Die Orthographie wurde damit in den Dienst des Purismus gestellt, sie entschied über die Gewährung des „Heimatrechts“. Die normativen Festlegungen der Schreibweisen seitens des Staates schließlich bewirkten einen Stau in dem Angleichungsprozeß und führten dazu, daß immer weniger Fremdwörter integriert wurden und nun als „Fremdlinge“ in der deutschen Sprache aufstarren. (Drosdowski 1974, 9)
Gerade für das 19. Jahrhundert scheint dieser Assimilationsfaktor besonders ergiebig zu sein, da die Sprachreinigungsbewegung in dieser Zeit einen besonderen Höhepunkt erreicht – bis hin zur Institutionalisierung der Sprachreinigungsbemühungen nach 1870 (Kirkness 1975, 361). Gemäßigte Ansätze (vgl. Adelung [Kirkness 1975, 59 f.]) werden von recht radikalen Bemühungen abgelöst, die im vollständigen Ersatz („Auslöschen“ [Kirkness 1975, 193]) von Fremd- und Lehnwörtern gipfeln (vgl. Joachim Heinrich Campe, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn [Kirkness 1975, 139 ff., 192 ff. und 196 ff.]). Fremdwortpuristische Publikationen der Zeit gibt es viele, Alan Kirkness hat sie in seinem umfassenden Werk zusammengetragen und kommentiert. Ob die fremdwortpuristischen Positionen auch in den Regelbüchern zu finden sind und deshalb ein ursächlicher Zusammenhang zur (unterbliebenen) Assimilation abzuleiten ist, soll in dieser Arbeit mit untersucht werden. Dieser Faktor ist natürlich in der Ususuntersuchung nicht ermittelbar, aber die Kodifikation mag in diesem Bereich aufschlussreich sein. Diese Darstellung vermag zu zeigen, dass weder über die Anzahl noch die Wirkungsweise der Faktoren eine vollständige Einheitlichkeit unter den Autoren herrscht. Außerdem wirken einige Faktoren bei manchen Wörtern, bei anderen wiederum seien sie nebensächlich bzw. werden durch andere Faktoren überlagert: Welche Faktoren letztlich die ausschlaggebenden sind, läßt sich nur bedingt vorhersagen. jedes Wort ist in eigene inner- und außersprachliche Gegebenheiten eingebunden, die eine Integration fördern oder ihr entgegenstehen. Auch wenn sich ein bestimmtes Integrationsmuster bei einem Wort erfolgreich durchgesetzt hat, kann es bei einem anderen völlig unangemessen sein. (Langner 1995, 180)
Diese Arbeit will überprüfen, inwiefern diese Faktoren im 19. Jahrhundert zur graphematischen Assimilation der Fremdwörter beigetragen haben. Um funktionale Zusammenhänge der (ausgebliebenen) Fremdwortassimilation zu zeigen, werden die Primärtexte der Untersuchung auf viele der hier genannten Assimilationsfaktoren hin geprüft. Im Einzelnen werden folgende weitestgehend nachprüfbare Fakto-
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ren in die Analyse mit einbezogen:100 Entlehnungszeitpunkt, Spendersprache, phonemische und flexivische Assimilation, analoge Assimilationsmuster, Anzahl der Fremdgrapheme, Auftretenshäufigkeit, Status im Wortschatz und Zitatwortcharakter.
2.3.5.2 Begriffsklärungen zur Analyse der Assimilationsfaktoren Besonders die Klassifizierung der Fremdwörter in fach- und allgemeinsprachliche Wörter sowie in Zitatwörter und Nicht-Zitatwörter unterliegt speziell mit Blick auf die praktische Analysierbarkeit in einem umfangreichen Textkorpus einigen Bestimmungsschwierigkeiten, weshalb im Folgenden eine kurze theoretische Auseinandersetzung mit den Begriffen vorgenommen wird.
2.3.5.2.1 Fachwort Das Vorhaben, den Fachwortstatus als Assimilationsfaktor zu überprüfen, erfordert eine Zuordnung der im Textkorpus bzw. in den Regelwerken vorhandenen Fremdwörter zu den unterschiedlichen Klassen. Diese Einordnungsfrage setzt wiederum die Betrachtung einiger Aspekte zur Wortschatztheorie und zur Begriffsbestimmung des Fachwortes voraus. Es ist dabei nicht möglich, eine umfassende Diskussion zu leisten, zumal auch die Fachsprachenlinguistik keineswegs Einheitlichkeit in der Bestimmung des Phänomens zeigt (Roelcke 2010, 50), weshalb sich in diesem Fall auf die Beschreibung bei Thea Schippan (Schippan 2002) und Klaus Heller (Heller 1970) gestützt wird. Die „Schichtung des Wortschatzes ergibt sich aus den Funktionen und Bedingungen sprachlichen Handelns“ (Schippan 2002, 228), so dass sich Fachwortschätze z. B. aus den kommunikativen Bedürfnissen der Arbeitsgruppen im Beruf, im jeweiligen Fach oder in der Wissenschaft entwickeln. Von diesen Fachwortschätzen sind die Gruppenwortschätze zu unterscheiden, die der Kommunikation in bestimmten sozialen Gruppen dienen (z. B. Familie, bestimmte Altersgruppen, bestimmte Interessengruppen) (Schippan 2002, 228) und nicht zwingend an die Fachsprachlichkeit (Kommunikation im Beruf, im Fach) gebunden sind. Das schließt nicht aus, dass es Überschneidungsbereiche gibt, wenn etwa Sportfans die Fachwörter des Sports benutzen. Bevor über Zuordnungsprobleme gesprochen werden kann, muss zunächst geklärt werden, was im Folgenden unter einem Fachwort verstanden werden soll. Der Fachwortschatz wird nach Wilhelm Schmidt (Schmidt 1969, zit. n. Schippan 2002, 229) unterteilt in Termini, Halbtermini und Fachjargonismen. Diese Unterteilung zeigt, dass unter Fachwortschatz nicht nur fest definierte Begriffe (Termini) zu verstehen sind, sondern dass z. B. auch fach- und berufspezifische Alltagsle-
100 Zur Problematisierung der Faktorenermittlung im Usus: vgl. Kapitel 4.2.
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xik dazuzählt, die zwar keine definitorische Genauigkeit bietet, aber dennoch im Fach verwendet wird (z. B. Schießbude für Schlagzeug). Den „Kern der Fachwortschätze“ bilden dennoch die Termini, die im Rahmen einer Theorie festgelegt und „durch Eindeutigkeit, Bestimmtheit, Genauigkeit [charakterisiert sind]“ (Schippan 2002, 230). Die Fachwortschätze stellen allerdings kein homogenes Gebilde dar, so dass sich je nach Fach auch Unterschiede in der Eindeutigkeit der Termini zeigen.101 So stellt Schippan etwa einen gravierenden Unterschied zwischen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Termini fest (Schippan 2002, 231). Dies ergibt sich aus der Unterschiedlichkeit im Wesen der jeweiligen Denotate (Abstraktheit der geisteswissenschaftlichen und Konkretheit der naturwissenschaftlichen Denotate). Schippan betont – in Abgrenzung zu den Geisteswissenschaften – auch die Offenheit der naturwissenschaftlichen Termini für Internationalisierungstendenzen (Schippan 2002, 232), was für unseren orthographischen Betrachtungszusammenhang von besonderer Relevanz sein dürfte. Möglicherweise resultiert daraus auch schon im 19. Jahrhundert eine stärkere Assimilationszugewandtheit der geisteswissenschaftlichen Termini. Abgesehen von der Unterschiedlichkeit des Terminologieverständnisses in Bezug auf das jeweilige Fach ergibt sich eine weitere Schwierigkeit, die besonders die Zuordnung zum Fachwortschatz in der konkreten Analyse erschwert: Der Wortschatz ist ein offenes System und so nimmt es nicht wunder, dass ein Teil des Fachwortschatzes dem allgemeinen Wortschatz zugewandt ist – viele Fachwörter sogar in den gemeinsprachlichen Wortschatz übergegangen sind (Augst 1987a, 165), so dass auch ein Teil des allgemeinen Wortschatzes mit Fachwortschatzelementen durchsetzt ist (Baldinger und Reinhardt, zit. n. Heller, 1970, 532).102 Klare Abgrenzungen sind im Einzelfall kaum möglich. Heller spricht in diesem Zusammenhang nicht von einer Zweipoligkeit (Fachwortschatz – gemeinsprachlicher Wortschatz), sondern von einer Vierpoligkeit: Welches sind die Kennzeichen des Allgemeinwortschatzes? Doch der allgemeine Gebrauch und mithin die generelle Verständlichkeit (Allgemeinverständlichkeit) der ihm zugehörigen Lexik. Und wodurch zeichnet sich der Fachwortschatz aus? Doch durch die Fachbezogenheit der ihm zugeordneten Wörter und Wortgruppen. Es liegt auf der Hand, daß es sowohl allgemeinverständliche als auch nicht allgemeinverständliche Fachausdrücke gibt und daß analog dazu
101 Abgesehen davon unterliegt die Wissenschaft dem Erkenntniswandel, weshalb sich die Bedeutung eines Terminus ändern kann, obwohl dies dem allgemeinen Bestimmungskriterium eines Terminus (Eindeutigkeit) widerspricht. 102 Eine besondere Nähe zum gemeinsprachlichen Wortschatz weisen juristischen Termini auf. Die Rechtssprache „gebraucht vielfach gemeinsprachliche Ausdrücke als Fachtermini, die im Vergleich zu der gemeinsprachlichen Bedeutung des Ausdrucks eingeschränkt oder abweichend definiert und klar umrissen sind“ (Sander 2004, 2), was nicht nur zu Verständigungsschwierigkeiten zwischen Laien und der Fachwelt führen kann, sondern möglicherweise auch Auswirkungen auf das graphematische Assimilationsverhalten dieser Fachwörter hat. Das wird im weiteren Verlauf der Arbeit geprüft.
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auch allgemeinverständliche und nicht allgemeinverständliche Wörter des nicht fachbezogenen Teils der Lexik existieren. Es handelt sich demnach nicht um eine Zweipoligkeit, sondern um Vierpoligkeit; die Gegensatzpaare sind allgemeinverständlich – nicht allgemeinverständlich in der einen und fachbezogen – nicht fachbezogen in der anderen Koordinate. (Heller 1970, 533)
In dieser Arbeit wird das Fachwortschatzverständnis auf den Kern – nämlich die Termini – reduziert. Es findet demnach nur eine Einteilung in Termini und gemeinsprachlichen Wortschatz statt, obwohl mir bewusst ist, dass es sich damit um eine stark vereinfachende Betrachtungsweise handelt. Die wesentliche Frage für die in dieser Arbeit vorgenommene Einordnung der Lexeme in die Wortschätze war jene: Werden die Fachbegriffe, die trotz ihrer Fachgebundenheit auch allgemeinverständlich sind, tatsächlich definitorisch verstanden oder kann nur ein vages, ungefähres Verständnis erwartet werden – findet also eine Entterminologisierung statt? Ein Musikwissenschaftler meint mit dem Begriff Lied eine ganz spezielle musikalische Gattung mit bestimmten formalen Kriterien – also etwas anderes als der Laie. Da der Wortschatz ein offenes System ist, gibt es einen Austausch in den Wortschatztypen. Der Blick in die Entstehung fachsprachlicher Lexik zeigt, dass ein großer Teil derselben aus gemeinsprachlicher Lexik stammt und per Definition terminologisiert wird (etwa physikalische Termini wie Feld, Kraft). Dabei werden metaphorische oder metonymische Übertragungen vorgenommen, so dass die Bedeutung im Kern mit der gemeinsprachlichen Basis übereinstimmt (Schippan 2002, 233). Andererseits gelangen umgekehrt auch fachsprachliche Termini in einen breiteren Nutzerkreis und damit in den gemeinsprachlichen Wortschatz. In dem Maße, in dem eine Wissenschaft oder eine Berufsrichtung aus ihrem Wirkungsbereich in die Öffentlichkeit tritt, gesellschaftlich bedeutsam ist oder als bedeutsam erkannt wird, in dem Maß wirkt auch die Fachlexik über ihren ursprünglichen Anwendungsbereich hinaus. (Schippan 2002, 235)
Die Folge ist die Entterminologisierung des Lexems (z. B. Lied) oder eine Übertragung der Bedeutung in andere Fachbereiche (z. B. Kettenreaktion, Störfall, Altlast von der Physik in die Politik). Die Bewegungsrichtung (von der Fachsprache in die Allgemeinsprache und umgekehrt) ist dabei nicht immer bekannt. Die Bestimmung eines Lexems als Fachwort oder als gemeinsprachliches Wort hängt also ganz von seiner kontextuellen Bedeutung ab; und dementsprechend wird in der Analyse in Kapitel 4 auch immer gefragt: Richtet sich der Text an einen Leser des Fachs oder ist der Adressat ein Laie? Erschiene beispielsweise das Lexem Kettenreaktion in einem physikalischen Text, wäre es als Fachwort; erschiene es in einem nicht fachspezifischen Artikel, wäre es als gemeinsprachliches Wort zu lesen.
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2.3.5.2.2 Zitatwort und die Verwendung von Antiqua in Frakturtexten Dass Zitatwörter sich orthographisch konservativ verhalten, wird in vielen Publikationen behauptet (vgl. Kapitel 2.3.5.1). Eine definitorische Begriffsbestimmung bleibt dabei allerdings grundsätzlich aus. Zitatwörter werden ggf. lediglich umschrieben als „zitierte fremdsprachige […] Wörter“ (Zur Neuregelung 1989, 69; Deutsche Rechtschreibung 1995, 16) oder „Lexeme, die Zitatcharakter tragen (der Duden spricht hier von ‚fremden Vokabeln‘)“ (Heller 1981b, 183) oder „ein Wort oder eine Wendung einer fremden Sprache“, das „nur gelegentlich und wie ein Zitat“ verwendet wird, „wobei sie beim Gesprächspartner oder Leser die Kenntnis dieser fremden Sprache voraussetzen, beispielsweise die von akademisch Gebildeten manchmal zu hörenden Adverbien pro forma und formaliter […]. [S]ie haben im deutschen Sprachgebrauch nur Zitatcharakter. Hierher gehören auch Wörter für Dinge, die es nur bei anderen Völkern gibt, z. B. College, Lord, Siesta, Geisha, Komsomolze, Kolchose“ (von Polenz 1979, 22–23). Dies ist gleichzeitig von Polenz’ Bestimmung des Begriffes Fremdwort. Es zählen also nur selten gebrauchte, quasi zitierte Fremdwörter und Bezeichnungsexotismen dazu. Eine brauchbare Definition lässt sich hieraus allerdings nicht ableiten. Da der Zitatwortstatus als Assimilationsfaktor so häufig erwähnt wird, muss er hier in den Regelwerken und Usustexten ebenfalls mit untersucht werden (und Zitatwörter ggf. bei der Ergebnisdarstellung ausgeschlossen werden, um repräsentativere Ergebnisse zu erlangen), was wiederum einen möglichst konkreten Zitatwortbegriff voraussetzt, dem sich im Folgenden angenähert werden soll, auch wenn sich wenig Material für eine solche Definition bietet. Aus Vincent Blanárs Studie geht hervor, dass Zitatwörter immer zu den am wenigsten eingebürgerten Lexemen gehören. Sie finden sich bei ihm in der ersten Adaptionsstufe bei der Einbürgerung fremder Wörter, die dadurch charakterisiert ist, dass die Wörter keinerlei formalen Assimilationsprozess durchlaufen haben. Er bestimmt Zitatwörter bei der Besprechung von phonematischer, morphologischer, wortbildender und semantischer Eingliederung der Lexeme als Wörter, die „die ursprüngliche Aussprache und auch die morphologische Gestalt“ bewahren z. B. deus ex machina, status quo, par excellence, fin de siècle, happy end (Blanár 1968, 164). Die Lexeme werden quasi wie Zitate – ohne Veränderung der sprachlichen Form – in den deutschen Text aufgenommen. Sie verhalten sich demnach formal wie im spendersprachlichen System. Die Beispielnennung Blanárs zeigt, dass es sich oft um Phraseologismen handelt. Weil diese Lexeme zumeist lexikalisiert sind, werden sie nicht als Zitate, sondern als Lexeme mit Zitatwortstatus gewertet und damit in die Analyse der Usustexte mit einbezogen (im Gegensatz zu Zitaten). Eine aus Blanárs Studie heraus entwickelte Definition kann für unsere Zwecke wie folgt lauten: Ein Zitatwort ist ein Fremdwort, das auf keiner sprachlichen Ebene nachprüfbar formal assimiliert ist. In Anlehnung an diese Definition wurde für die einzelnen Wörter der Zitatwortstatus bestimmt (zur Problematisierung bei der Analyse: vgl. Kapitel 4.2.6).
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Dass die ‚Fremdheit’ der Zitatwörter formal auch häufig durch Verwendung des Antiquaschrifttyps in Frakturtexten markiert wird, geht aus dieser Bestimmung nicht hervor, ist aber mit Blick auf das untersuchte Korpus tatsächlich nachweisbar. Diese Kennzeichnung des Fremden bezieht sich allerdings nicht nur auf die Zitatwortklasse, sondern generell auf viele weitere Fremdwörter (i. e. S.). Die Schrifttypen Fraktur und Antiqua konkurrieren seit dem 16. Jahrhundert (seit der Entwicklung der Frakturschrift aus der Schwabacher Schrift) miteinander und ihre Verwendung wird seither auch mit bestimmten Konnotationen verbunden: Runde Schriften (Antiqua, auch „lateinische Schrift“) wurden in sprachlich nichtdeutschen Texten verwendet, Fraktur (auch „deutsche Schrift“) war für deutschsprachige Publikationen reserviert (Hartmann 1998, 26). Es ist eine allgemeine Tendenz im Druckerwesen generell und für das 19. Jahrhundert im Speziellen, die Hervorhebung eines Fremdwortes durch Antiquaschrift gegenüber dem üblichen Fließtext, der meist in Fraktur gedruckt ist, vorzunehmen.103 Dies zeigt nicht nur ein erster Blick über die Primärtexte, sondern wird auch von Bergmann/Nerius 1998 und Heller/Walz (Heller/Walz 1992, 282) angenommen (vgl. auch Hartmann 1998 und Killius 1999). Diese Markierung des Fremdwortes – quasi als Zitat – wird allerdings nicht konsequent von allen Druckern durchgeführt. Außerdem ist nicht offensichtlich, nach welchen Kriterien die Drucker ein Fremdwort bestimmen. Anzunehmen ist aber für die vorliegende Untersuchung, dass die graphematische Fremdheit als ein ausschlaggebendes Kriterium gilt. Allerdings ist der Rückschluss, Fraktur weise auf indigenes Wortgut hin, unzulässig: In der ‚SprachenSchule 1619’ finden sich etwa die Belege Chorus (S. 46), Melodia (S. 50), Processio (S. 54) und Psalterium (S. 52) in Antiqua, die zugeordneten Wörter Chor, Melodey, Proceß und Psalter jedoch in Fraktur gedruckt, ohne daß letztere deshalb als heimische Lexeme zu betrachten wären. So kann Antiqua zwar als Indiz für Fremdheit, aber nicht als generelles und ausschließlich nutzbares Kriterium der Fremdwortbestimmung gelten. (Bergmann/Nerius 1998, 68)
Zulässig wäre aber die Vermutung, dass die Hervorhebung eines Fremdwortes durch Antiqua auf einen besonders wenig fortgeschrittenen Assimilationsstatus schließen lässt oder zumindest auf die synchron empfundene Fremdheit des Lexems. Ob das in jedem Fall so ist, soll die Analyse dieses Faktors in den Korpustexten zeigen.104
103 Eine Diskussion des Fraktur-Antiqua-Streits des 19. Jahrhunderts (Argumente: pro Antiqua → bessere Annahme der Texte im Ausland; pro Fraktur → emotional-nationale Gründe] muss hier leider ausbleiben, vgl. aber Sylvia Hartmann (Hartmann 1998). 104 Für Texte, die in Antiqua gedruckt wurden, was insbesondere bei wissenschaftlichen (speziell naturwissenschaftlichen) Texten – auch in diesem Korpus – nicht selten der Fall ist, ist dieser Analysepunkt selbstverständlich ohne Relevanz.
3 Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Grammatiken, Orthographielehren und orthographischen Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts Bevor das Untersuchungsmaterial – das Korpus mit den einschlägigen Grammatiken, Orthographielehren und Wörterbüchern, die eine Kodifikation der Fremdwortschreibung aufweisen – und das Analyseraster vorgestellt und schließlich die Befunde ausgewertet werden können, ist es zum Verständnis dieser Abschnitte notwendig, die allgemeine orthographische und orthographietheoretische Entwicklung zumindest kurz zu skizzieren. Diese allgemeine Darstellung ermöglicht die Einordnung der ausgewählten Primärtexte und ihrer Behandlung der Fremdwortfrage in den orthographischen Gesamtzusammenhang des 19. Jahrhunderts.
3.1 Die orthographischen Richtungen des 19. Jahrhunderts und die Entwicklung zu einer einheitlichen graphischen Norm Das 19. Jahrhundert ist das letzte und entscheidende Jahrhundert auf dem Weg zu einer ersten einheitlichen deutschen Schreibungsnorm, deren amtliche Bestätigung 1902 nach Beschluss auf der II. Orthographischen Konferenz 1901 den Schlusspunkt unter die lange Zeit der Normfindung setzt. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts kann man von der Existenz einer relativ einheitlichen gefestigten Schreibung sprechen (Lohff 1980, 306; Nerius/Scharnhorst 1981, 2; Nerius/Möller 1983, 117; Scheuringer 1996, 55; Nerius u. a. 2007, 332). Diese Einheitlichkeit bezieht sich nur auf die Standardsprache (Literatursprache) der Zeit; die Schreibweise in den ‚unteren Schichten‘, deren schriftliche Kommunikation sich weitgehend auf den privaten Bereich beschränkt (Briefe etc.), weicht davon erheblich ab (vgl. Elspass 2005). Ein großes Verdienst bezüglich der Einheitlichkeit der Schreibung kommt Johann Christoph Adelung zu, der am Ende des 18. Jahrhunderts mit seiner „Vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie“ ein Regelwerk vorlegt, das einen vorläufigen Höhepunkt und Abschluss der Vereinheitlichungsbestrebungen markiert (Besch 1988, 196; Müller 1990, 52). Die Grundlage für seine Regelung ist dabei – nach eigenen Aussagen (Adelung 1788, 89 ff.) – im Wesentlichen der Schreibgebrauch (vgl. auch Schmidt 1984, 136 und Schmidt 1986, 3). Damit erhebt Adelung bereits weit verbreitete Formen zur orthographischen Norm; „[s]o befolgten selbst seine entschiedenen Gegner […] wie etwa Ch. M. Wieland und J. W. von Goethe, durchaus seine orthographischen Angaben, eben weil sie darin offensichtlich eine gute Grundlage für die allgemeine Norm sahen“ (Nerius 1989b, 236). Adelungs Leistung ist dabei vor allem in seinem zusammenfassenden und systemati-
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sierenden Wirken zu sehen (Nerius 1984, 170). Seine Orthographie erfährt bis 1835 sechs Auflagen (vgl. Strohbach 1984, 25) und wird bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts von den meisten Schriftstellern, Schulen und Druckereien verwendet (Bramann 1982, 105; Elspass 2005, 418). Der große Einfluss lässt sich sicher auch damit begründen, dass Adelungs „Vollständige Anweisung“ neben dem Regelwerk auch einen gleichberechtigten Wörterbuchteil aufweist, der in der Sekundärliteratur auch als das „erste wirkliche Orthographiewörterbuch der deutschen Sprache“ (Nerius u. a. 2007, 360) bezeichnet wird und damit den praktischen Bedürfnissen der Nutzer in hohem Maße entgegenkommt. Die Verbreitung und der Einfluss können auch mit Blick auf die zahlreichen theoretischen Publikationen ab den zwanziger Jahren des Jahrhunderts belegt werden, die sich kritisch mit der Orthographie Adelungs auseinandersetzen. Zunächst seien allerdings kurz Adelungs theoretische Grundlagen der Orthographie skizziert. Adelung legt der deutschen Orthographie folgendes „Gesetz“ zugrunde: Schreib das Deutsche und was als Deutsch betrachtet wird, mit den eingeführten Schriftzeichen, so wie du sprichst, der allgemeinen besten Aussprache gemäß, mit Beobachtung der erweislich nächsten Abstammung und, wo diese aufhöret, des allgemeinen Gebrauches. (Adelung 1788, 17)
Diese Grundregel ließe sich in drei „allgemeine Grundsätze“ (Becker 1829, 395) bzw. „allgemeine Regeln“ (Heyse 1814, 84) aufspalten, die auch die direkten Nachfolger der Adelung’schen Linie – die sog. Schulgrammatiker, deren auflagenstarke Grammatiken zur weiteren Verbreitung seiner Orthographie beitragen105 – in ihren Regelwerken als schreibungsleitende Faktoren anführen: a) Schreibung nach der Aussprache b) Schreibung nach der Abstammung c) Schreibung nach dem Gebrauch Adelung, Heyse und Becker stimmen zwar grundsätzlich in ihren Positionen überein, zeigen aber dennoch kleinere Unterschiede, die zu Abweichungen in den Grammatikkonzepten führen. Gemein ist ihnen die Annahme eines Prinzips, phonische Einheiten mit der Schreibung abzubilden.106 Während Adelung und Heyse auch die Schreibung in Einzelfällen nutzen wollen, um eine verbesserte Aussprache zu schaffen – also ein wechselseitiges Verhältnis sehen, bleibt Becker bei dem
105 Die Heyse’sche Schulgrammatik erlangt z. B. mit insgesamt nicht weniger als 26 Auflagen zwischen 1814 und 1900 eine überaus weite Verbreitung und wird von Werner Heinrich Veith als „der Duden des 19. Jhs.“ (Veith 1985, 1486) bezeichnet. 106 Das ändert nichts daran, dass alle genannten Autoren den Schreibusus zur Grundlage der Normsetzung erheben. Daher wird diese Richtung in der Sekundärliteratur auch gemeinhin als „traditionelle Richtung“ angesehen, der meist auch der wesentlich später wirkende Sanders zugeordnet wird (vgl. z. B. Nerius 2000a, 398; Krohn 2001, 67). (Näheres zu den Unterschieden vgl. Nerius/ Möller 1983, 118 f.)
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Primat der Aussprache. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass Adelung und Heyse die Rechtschreibung neben der Lautlehre als einen Teilbereich der Grammatik verstehen, wohingegen Becker die Rechtschreibung ausgliedert und nur als Ergänzung zur Grammatik betrachtet (Nerius/Möller 1983, 119). Alle Autoren der Schulgrammatikerlinie gehen von einer allgemein anerkannten Hochlautung („reine und richtige Aussprache des Hochdeutschen“ – Heyse 1814, 84) als Bezugsgröße für dieses Schreibungsprinzip aus. Tendenziell ist diese Hyperregel jedoch „sehr eng gefaßt […] und [wird] auf die Erscheinungen beschränkt […], in denen eine unmittelbare Entsprechung von Phonemen und Graphemen besteht“ (Nerius/Möller 1983, 120). Im Kontrast zu den zahlreichen Äußerungen zur bestehenden Einheitlichkeit der Schreibung stehen in vielen Darstellungen zur Orthographie im 19. Jahrhundert Bemerkungen, die diese Einheitlichkeit einschränken (vgl. Nerius u. a. 2007, 333; Lohff 1980, 306 ff.). Zahlreiche Schwankungsfälle finden sich nicht nur im Schreibgebrauch, sondern auch in der Adelung’schen Orthographie. Das Autorenkollektiv um Dieter Nerius findet dafür folgende Ursachen: – –
–
– –
Es gab eine große Zahl von Varianten in der Schreibung, die Norm war noch nicht ausreichend entwickelt; die vorhandenen Regeln bezogen sich nicht im erforderlichen Maß auf die verschiedenen orthographischen Teilbereiche, viele Einzelfallschreibungen wurden nicht erfasst und blieben offen; entsprechend dem zeitgenössischen Stand der sprachwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Schreibung war die Orthographie theoretisch nicht ausreichend begründet, es gab Unzulänglichkeiten und Widersprüche in der Erläuterung und Begründung der Rechtschreibung; die vorliegenden Orthographiedarstellungen stimmten zwar grundsätzlich überein, unterschieden sich aber häufig in Einzelangaben; es gab keine Orthographie, die von allen Schreibenden anerkannt und weitgehend verbindlich war. (Nerius u. a. 2007, 332 f.)
Diese Schwankungen betreffen fast alle Regelungsbereiche der Orthographie: die graphische Worttrennung (z. B. Städ-te / Stä-dte, La-sten / Las-ten), die Groß- und Kleinschreibung (z. B. im Einzelnen – im einzelnen, Preis geben – preisgeben), die Getrennt- und Zusammenschreibung (z. B. wieder sehen – wiedersehen), vor allem aber die Phonem-Graphem-Beziehungen (z. B. flüstern – flistern, Har – Haar, Noth – Not, Brod – Brodt – Brot). Die Arbeit soll u. a. zeigen, ob solche Schwankungsfälle auch im Bereich der Fremdwortschreibung zu finden sind. Die Schwankungen im Usus werden in unterschiedlich großem Maße von den Grammatikern wahrgenommen107 und sind schließlich Grundlage dafür, dass zur Mitte des 19. Jahrhunderts hin eine rege wissenschaftliche Diskussion um Theorie
107 Sanders z. B. unterstellt der Raumer’schen Richtung, dass sie Wörter zu Schwankungsfällen machen würde, die gar keine sind (Sanders 1875, XIII).
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und Praxis der Schreibung beginnt, die einige Reformorthographien, aber auch amtliche Schulorthographien hervorbringt und schließlich in die amtlich verbindliche einheitliche deutsche Orthographie mündet. Es sind zunächst vor allem die Vertreter der historischen Richtung um Jacob Grimm (weitere Vertreter: Karl August Julius Hoffmann, Karl Gustav Andresen, Ludwig Ruprecht, Karl Weinhold u. a.), die das Vorgehen in den weit verbreiteten Schulgrammatiken und den aktuellen usus scribendi kritisieren. Erstmals im Vorwort zur zweiten Ausgabe der deutschen Grammatik 1822 nimmt Grimm Stellung zur Situation der Schreibung des Deutschen: „Unsere heutige schreibung liegt im argen, darüber wird niemand, der mein buch liest, lange zweifelhaft bleiben“ (Grimm 1822, XVII). Er kündigt an, in vielen Fällen vom Gebrauch (historisch begründbar) abzuweichen. Er warnt allerdings auch vor „freventlichem reformieren“ und ist „gewaltsamen neuerungen“ (Grimm 1822, XVII) gegenüber nicht offen. Letztlich will er in seiner Grammatik nicht entscheiden „wie mit ihr [der Schreibung – Anm. A. Z.] zu verfahren, ob sie noch für änderungen, nach so vielen widerwärtigen, mit recht gescheiterten versuchen, empfänglich sey“ (Grimm 1822, XVII), will aber zeigen, wie eine reformierte Schreibweise im Einzelfall möglich wäre: Die historische Grammatik will die „tugenden der vergangenheit offenbar“ machen, wodurch „wir den dünkel der gegenwart mäßigen können“ (Grimm 1822, XVII). Im selben Atemzug erklärt er die ihm wohl wichtigste orthographische Neuerung: die Abschaffung der Substantivgroßschreibung. Grimm denkt Reformen an, formuliert sie allerdings nicht als Regel, „da verjährte misgriffe nunmehr schon auf den reim der dichter und selbst die wirkliche aussprache übel eingefloßen haben“ (Grimm 1822, XVII). Als dann 1847 schon einige Jahre nach seinem Reformvorschlag ins Land gegangen sind, äußert er sich in seinem Artikel „Über das pedantische in der deutschen sprache“ enttäuscht über die mangelnde Reformbereitschaft: „[M]it wie zaghafter bedächtigkeit wird aber ausgewichen, nach wie unmächtigen gründen gehascht gegen eine neuerung, die nichts ist als wieder hergestellte naturgemäsze schreibweise“ (Grimm 1847, 352). Grimms Reformabsichten sind im Vorwort zu seinem Wörterbuch dann nicht mehr ganz so gemäßigt dargestellt. Seine Kritik an der deutschen Schreibung nimmt im Umfang zu. Das Wörterbuch soll quasi die Grundlage bilden für eine „gänzliche umwälzung, wobei freilich mit nothwendigen ausnahmen wieder der mhd. schreibweise zugelenkt werden müste“ (Grimm 1854, LV). Karl Weinhold formuliert es so: „Schreib wie es die geschichtliche Fortentwickelung des neuhochdeutschen verlangt“ (Weinhold 1852, 95). Damit wird dem Adelung’schen „Grundgesetz“ (und seinen Abwandlungen bei Heyse und Becker) eine neue Grundregel gegenübergestellt: Hauptkritikpunkt an der schulgrammatischen Richtung ist dabei, dass dem nach Zeit und Ort stark veränderlichen Kriterium der Aussprache schreibungsleitende Potenz zugesprochen wird: „Die einzige Möglichkeit zur Abhilfe ligt [sic!] in der Beobachtung der geschichtlichen Entwicke-
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lung unserer Sprache; Außsprache und Schreibart schwanken nach Ort und Zeit“ (Weinhold 1852, 94). Ziel der Richtung ist also eine Orthographie auf historischer Grundlage. Die verlangte Beachtung der Fortentwicklung des Neuhochdeutschen bezieht sich hierbei nicht auf eine tatsächlich stattgefundene, sondern eine idealisierte Entwicklung, die daher für den Sprachnutzer nicht oder nur schwer zu ermitteln ist. Die konkreten Reformforderungen der Historiker unterscheiden sich teilweise nicht wesentlich von den Vorschlägen der phonetischen Reformrichtung, die wenig später als Reaktion auf die Historiker um von Raumer, Duden und Wilmanns entsteht. Allerdings haben die Reformvorschläge andere theoretische Grundlagen: Sie ergeben sich bei den Historikern aus dem Studium des mittelalterlichen Sprachgebrauchs. Grimm kritisiert die im Usus vorhandene stark schwankende Kennzeichnung der Vokalquantität, die
-Schreibung in deutschen Wörtern, die Schreibung, die Verteilung von , und und die graphische Kennzeichnung der Bedeutungsdifferenzierung (Grimm 1854, LV ff.). Damit nennt er fast alle orthographischen Regelbereiche, die in der Diskussion im 19. Jahrhundert thematisiert werden (vgl. auch Möller 1985, 171). Schließlich plädiert er auch für die Abschaffung des Majuskelgebrauchs bei Substantiven. Nicht nur aufgrund der Uneinheitlichkeit der einzelnen historischen Reformvorschläge,108 sondern vor allem aus Gründen der schlechten Handhabbarkeit ih-
108 Die einzelnen Vertreter der historischen Orthographie legen in Art und Umfang recht unterschiedliche Reformkonzepte vor (Gegenüberstellung Grimm – Weinhold: vgl. Schlaefer 1980a, 286 f.) So gilt Ludwig Ruprecht z. B. als erster gemäßigter Vertreter der historischen Schule (Bramann 1982, 80). Seine Haltung wird schon im Vorwort seiner „deutschen Rechtschreibung“ deutlich: „Ich muß vor allem die Berechtigung der Wißenschaft in Zweifel ziehen, daß sie sich anmaßt in einem Gebiete ändern zu wollen, welches nicht ihr, sondern dem gesammten Volke und seinem Culturleben angehört. Sie mag die Schreibung regeln, wo sie schwankt, wo diese aber durch Herkommen und Gebrauch sich festgesetzt hat, da sollte sie dieselbe unangetastet lassen“ (Ruprecht 1854, 4). Im Gegensatz zu Karl Weinhold akzeptiert Ruprecht die Weiterentwicklung der Schreibung, er spricht sogar vom „Vorzug daß unsre Schrift der Entwicklung der lebendigen Sprache gefolgt ist und daher noch immer ein ziemlich getreues Bild derselben abgibt“ (Ruprecht 1854, 4 f.). Sollte eine Schreibweise die Etymologie eines Wortes unkenntlich machen, so genüge ein Hinweis in den Lehrbüchern. Der größere Schaden entstünde dadurch, dass eine bereits festgelegte und im Sprachgebrauch etablierte Schreibweise reformiert würde. Reformen akzeptiert er nur in Schwankungsfällen (Ruprecht 1854, 6). Die verschiedenen Vertreter der historischen Richtung liefern nicht nur unterschiedliche Reformvorschläge, sie scheuen auch nicht die Kritik aneinander (vgl. Andresen über Grimm in Andresen 1867). So ist z. B. Karl August Julius Hoffmann zwar der historischen Grammatik verpflichtet und bezieht sich auf die Grundlagen, die Grimm gelegt hat (Hoffmann 1839, XI und XIII), versäumt aber in der zweiten Auflage der Schulorthographie auch nicht zu erwähnen, dass „Meinungen zu bekämpfen, welche ich nicht als richtig anerkennen kann, selbst wenn sie von Grimm […] ausgesprochen sind“ (Hoffmann 1852, X) für ihn durchaus im Rahmen des Möglichen ist. Dass Hoffmann auch zuweilen von der historischen Orthographie zugunsten einer am Schreibusus orientierten Orthographie absieht, zeigt sich in seinem Verhalten während der Konferenz zur Verabschiedung der hannoverschen Schulorthographie: „Im Verlauf der Beratungen stimmt die Mehrheit der Konferenzteilnehmer für die Öffnung der Schulorthographie gegenüber der historischen Orthographietheorie,
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rer schreibungsleitenden Kriterien gelingt ihnen – abgesehen von der hannoverschen Schulorthographie – kein Einfluss auf die amtlichen Regelungsbemühungen, die ab 1855 mit der ersten amtlichen Schulorthographie Hannovers einsetzen (vgl. Nerius/Möller 1983, 123). 1855 reagiert Rudolf von Raumer auf das Postulat der historischen Richtung mit einem Antwortartikel auf Weinholds Schrift „Ueber deutsche Rechtschreibung“ von 1852. Er beginnt damit, ein Regelkonzept zu entwickeln, das schließlich zur Grundlage der sog. phonetischen Reformrichtung wurde, die letztlich die Diskussion um eine einheitliche deutsche Orthographie bestimmt. Die Grundlage seiner Orthographie ist das phonetische Prinzip, das sich in der Wiedergabe lautlicher Einheiten durch Grapheme ausdrückt (von Raumer 1855, 108 ff.). Dabei geht er von der gegenseitigen Bedingtheit von Schreibung und Lautung aus und formuliert folgende Grundregel: „Bring deine Schrift und deine Aussprache in Uebereinstimmung“ (von Raumer 1855, 113). Sein Prinzip ist im Hinblick auf die gegenwärtige Terminologie auch eher als phonologisches bzw. phonematisches Prinzip zu verstehen, da es von Raumer nicht um eine Wiedergabe des konkreten Lauts, sondern des Phonems geht.109 Mit diesem Prinzip grenzt er sich explizit von den Historikern ab, die er wie folgt kritisiert: Hr. Weinhold will also eine historische Schreibweise einführen, eine Schreibweise, die feststeht und sich nichts kümmert um die Aussprache […]. Er lobt die Engländer wegen ihres Festhaltens an ihrer ‚geschichtlichen Schreibung‘, und wir müssen also nothwendig annehmen, dass das, was Hr. Weinhold einführen will, etwas dem Aehnliches ist, was die Engländer schon haben. […] Die Schriftzeichen bleiben stehen, mag sich auch die als richtig anerkannte Aussprache noch so sehr ändern. Dadurch ist eine solche Kluft zwischen Schreibung und Aussprache entstanden, dass die Schriftzeichen in unzähligen Fällen schon längst aufgehört haben, der sichtbare Ausdruck der gesprochenen Sprache zu sein. […] Und ist denn diese historische, von der Aussprache sich unterscheidende Orthographie überhaupt jemals in England eingeführt worden? Nimmermehr. Sondern wo wir eine derartige historische Schreibweise finden, da ist dieselbe nicht eingeführt, sondern historisch geworden. […] Also gerade die Kenntnis der Geschichte spricht gegen eine Einführung einer solchen historischen Schreibweise. Wo man an der bestehenden Orthographie ändert, da kann der Zweck dieser Aenderungen nur der sein, die Schreibung der anerkannten Aussprache der Gegenwart anzunähern, nicht aber, sie davon zu entfernen. (von Raumer 1855, 126 f.)
teilweise gegen die Auffassungen K. A. J. Hoffmanns, der sich als Redakteur des Konferenzergebnisses dagegen zu wehren versucht“ (Schlaefer 1980a, 304). 109 „Jeder Laut hat eine unerschöpfliche Fülle von Spielarten. Aber alle diese Spielarten rechnet man zu einem und demselben Laut, so lange sie nicht eine gewisse Grenze überschreiten und dadurch in den Bereich des benachbarten Hauptlautes gerathen, in welchem Falle sie dann diesem zugezählt werden müssen“ (von Raumer 1855, 119). Außerdem erkennt die phonetische Richtung auch ein Prinzip der synchron verstandenen Abstammung an (vgl. Duden 1872, 38) und ein sog. „historisches Prinzip“, das im Fall des Versagens der ersten beiden Prinzipien zum Tragen kommt: „Wir schreiben den Laut, welchen die Wissenschaft als an die Stelle gehörig nachweist“ (Duden 1872, 38).
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Dieses theoretische Konzept dient von Raumer schließlich als Grundlage für eigene konkrete Verbesserungsvorschläge der zeitgenössischen Schreibweise. Sein Vorgehen ist dabei stets gemäßigt,110 was ihn deutlich von der später auftretenden, jedoch wenig erfolg- und einflussreichen radikal-phonetischen Reformrichtung um Richard Bax und Friedrich Fricke – um nur zwei Vertreter zu nennen – unterscheidet.111 Der Wegfall der Dehnungszeichen, die Tilgung der
-Schreibung in deutschen Wörtern und die Einführung der -Schreibung nach Heyse sind die wesentlichsten Reformvorschläge von Raumers (von Raumer 1855, 177 ff.). Hinzu kommt die Beseitigung einiger anderer Zweifelsfälle. Sein Konzept und die Vorschläge fanden schnell Anerkennung in der „wissenschaftlichen und schulischen Öffentlichkeit“ (Nerius u. a. 2007, 339). Sein gemäßigtes Vorgehen (Geltenlassen des Schreibgebrauchs), sein theoretisch ausgereiftes Fundament und das relativ klar zu bestimmende Kriterium für die Schreibungen – auch obwohl es keine kodifizierte Aussprachenorm gab – haben das sicherlich begünstigt. Rudolf von Raumer gelangt schließlich zu so viel Anerkennung, dass er mit dem Verfassen der Vorlage für die I. Orthographische Konferenz beauftragt wird. Zur phonetischen Richtung um von Raumer gehören auch Konrad Duden und Wilhelm Wilmanns. Duden, der mit seinem weit rezipierten Werk „Die deutsche Rechtschreibung“ nicht nur eine ausführliche theoretische Abhandlung anknüpfend an von Raumer bietet, sondern zugleich auch einen eigenen Vorschlag für ein künftiges Regelwerk, ist ein besonders wichtiger Vertreter. Duden hebt hervor, dass das phonetische Prinzip keine Alleinherrschaft habe, sondern dass die „Achtung vor dem historisch Gewordenen“ (Duden 1872, 36) unerlässlich sei und schließlich die Kennzeichnung zusammengehöriger Formen (heute sog. semantisches Prinzip) „so entschieden durchgeführt [ist], daß sie von allen Verbesserern der Rechtschreibung […] anerkannt werden muß“ (Duden 1872, 36). Es ist Konrad Duden wie auch von Raumer nicht an einer durchgreifenden sofortigen, sondern an einer allmählichen Reform gelegen, die den Gebrauch zunächst gelten lässt, „selbst wenn er von allen Gesichtspunkten aus als völlig sinnlos verurteilt werden muß“ (Duden 1872, 37). In schwankenden Fällen soll eine Form („das Richtige“) bevorzugt werden. Außerdem spricht er den Schulen eine große Rolle zu, denn hier sollen die Formen,
110 Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang folgende Aussage von Raumers: „Auch eine minder gute Orthographie, wofern nur ganz Deutschland darin übereinstimmt, ist einer vollkommeneren vorzuziehen, wenn diese vollkommenere auf einen Theil Deutschlands beschränkt bleibt und dadurch eine neue und keineswegs gleichgültige Spaltung hervorruft“ (von Raumer 1855, 138). Es kann diskutiert werden, ob von Raumers Vorschlag zur Tilgung der Dehnungszeichen noch als „gemäßigt“ einzustufen ist, aber da er selbst bereit war, selbigen zumindest z. T. wieder zurückzuziehen, wird sichtbar, dass von Raumer die Realitätsnähe nicht verloren geht (Nerius u. a. 2007, 344). 111 Die Radikalphonetiker streben eine grundsätzliche Veränderung der Orthographie auf der Grundlage des phonetischen Prinzips an mit einem 1 : 1-Verhältnis von Phonem und Graphem, wofür durchaus auch neue Zeichen geschaffen werden sollen (vgl. Bax 1897, 21; Fricke 1877, 65).
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die „obgleich noch allgemein üblich, doch nicht zu billigen“ (Duden 1872, 37) sind, getilgt werden, so dass die neuen Schreibweisen sich immer weiter verbreiten: So gewöhnt sich das Auge allmählich zunächst an einzelne noch ungewohnte Wortbilder, die inmitten von lauter bekannten von diesen ihr Licht empfangen und das Verständniß nicht beeinträchtigen; allmählich wird ein Wort nach dem andern in das [sic!] Bereich des Schwankenden hineingezogen und demnächst seine richtige Schreibung festgestellt, und je mehr sich dabei die Einsicht in das Richtige verbreitet, um so unangenehmer wird die von der Uebergangsperiode unzertrennliche Inkonsequenz empfunden und um so mehr die Durchführung der Verbesserung in allen gleichartigen Fällen beschleunigt werden. (Duden 1872, 37)
Werden also erst einige Fälle reformiert, so werde dies die Reformierung weiterer Schreibungen nach sich ziehen. Konrad Duden verfasst neben diesem Werk auch das sehr einflussreiche „Vollständige[s] orthographische[s] Wörterbuch der deutschen Sprache“, das entscheidend zur Einheitsorthographie beiträgt (von Polenz 1999, 240). Dabei wendet er die Regeln an, die zuvor in der von Wilhelm Wilmanns ausgearbeiteten, an von Raumers Regelwerk orientierten preußischen Schulorthographie festgelegt wurden. Wilhelm Wilmanns war auch schon an der Erarbeitung des weit verbreiteten Berliner Regelbuches von 1871 beteiligt. Der Einfluss der phonetischen Richtung wird ebenfalls dadurch gesteigert, dass zur I. Orthographischen Konferenz keine Vertreter der historischen und der radikal-phonetischen Richtung eingeladen sind. Mit der Reichsgründung 1871 scheinen also auch die äußeren Voraussetzungen für die Herbeiführung einer einheitlichen deutschen Orthographie, die mittlerweile ein großes kommunikatives Bedürfnis geworden ist (Nerius u. a. 2007, 342), geschaffen zu sein, so dass 1876 besagte Konferenz in Berlin zusammentritt. Die wichtigsten Teilnehmer sind von Raumer, Duden, Sanders, Wilmanns und Scherer. Der Raumer’sche Regelentwurf wird dabei weitestgehend angenommen – nicht ohne erhebliche Diskussionen v. a. bezüglich des Wegfalls der Dehnungskennzeichnung, die zumindest in diesem Bereich zur Modifizierung des Raumer’schen Vorschlags führen. Dennoch bleibt die Konferenz letztlich ohne Erfolg, da die neue Schreibweise aufgrund starker Kritik vonseiten der Öffentlichkeit und von politischer Seite – Bismarck lehnte die Veränderungen ab (Küppers 1984, 71 f.) – nicht im Schulunterricht eingeführt wurde. Erwähnt wurde bereits der Name Daniel Sanders. Er ist der prominenteste Vertreter der traditionellen Richtung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wenngleich er in der Sekundärliteratur bis zur Mitte der 1990er Jahre wenig beachtet wurde. Sanders selbst bezeichnet sich zwar als Historiker, allerdings wird bei der Lektüre seines „Katechismus der deutschen Orthographie“ schnell klar, dass er ein anderes Verständnis einer historischen Orientierung hat als Grimms und Weinholds Anhänger. Die folgende Äußerung klärt auch Sanders’ Standpunkt betreffs orthographischer Reformen: Meinen hieraus wohl erkennbaren Standpunkt in Behandlung der Orthographie und – wie ich hinzufügen darf – der Sprache überhaupt würde ich gern als den geschichtlichen bezeichnen,
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müsste ich nicht die Misdeutung befürchten, zu der so genannten oder doch wenigstens so sich nennenden historischen Schule gezählt zu werden, die doch die lebendige Fortentwicklung der Sprache verkennt, indem sie die heutige nach der frühern modeln zu können wähnt […]. Mir erscheint es vielmehr als wahrhaft geschichtliche Behandlung der Sprache, anzugeben, wie sie sich in der That entwickelt hat, nicht wie nach irgend einem ‚System‘ sie sich hätte entwickeln können […] In dem vorliegenden Katechismus habe ich den allgemeinen Gebrauch unbedingt als Richtschnur anerkannt; in den Fällen aber, wo noch Schwanken herrscht, mich, ohne die Berechtigung anderer Ansicht verkennen zu wollen, für die Schreibweise erklärt, die mir nach den Sprachgesetzen, wie sie sich in dem feststehenden Gebrauch kundgeben, als die folgerichtigste erschien. (Sanders 1856, VI f.)
Sanders erklärt damit ausdrücklich, den Sprachgebrauch in seinem Ist-Zustand zu akzeptieren und Reformvorschläge nur in den Fällen vorzunehmen, in denen es nachweislich Schwankungen gibt. Gemeinsam mit Scherer tritt er auf der Konferenz und auch in seinen Regelwerken für die Beibehaltung der traditionellen Orthographie ein (Sanders 1873, IV) und lehnt eine umfangreiche Reform – vor allem der Veränderung bei der Vokallängenmarkierung – ab (Sanders 1876, 358). Die Regelungskompetenz bleibt nach der Konferenz dort, wo sie vorher war: bei den Behörden der einzelnen Länder. Es entstehen weitere amtliche Schulorthographien – bis 1883 werden in 15 deutschen Staaten Schulorthographien eingeführt. „Die von den einzelnen deutschen Ländern zwischen 1879 und 1884 herausgegebenen Schulorthographien waren fortan der entscheidende Träger der orthographischen Entwicklung, mit ihnen und durch sie wurde die letzte Etappe im Entwicklungsprozess der Einheitsorthographie eingeläutet und zurückgelegt“ (Nerius u. a. 2007, 345). Dabei erlangt die preußische Schulorthographie (erste Auflage 1880) – und damit auch die phonetische Richtung – die größte Verbreitung (bis 1899 werden über eine Million Exemplare gedruckt [Schlaefer 1981, 414]) – auch über Preußen hinaus. Sie wird in vielen Ländern Vorbild und Grundlage für die eigene Schulorthographie (Sachsen, Baden, Württemberg). Aufgrund eines Verbots der Schulorthographie in den preußischen Ämtern und Behörden durch den Reichskanzler Bismarck und des Bestehens auf der traditionellen Schreibweise (in Anlehnung an Sanders) entsteht die paradoxe Situation, dass zwei verschiedene Orthographien kursieren und in eine Art Wettbewerb treten. Es ist neben vielen anderen Faktoren (vgl. Nerius u. a. 2007, 347 f.) sicher auch dem Wörterbuch von Konrad Duden und seiner weiten Verbreitung zu verdanken, dass sich schließlich die preußische Orthographie durchsetzen kann. So ist es denn auch folgerichtig, dass die überarbeitete preußische Schulorthographie Grundlage für die II. Orthographische Konferenz 1901 wird, auf der die Einigung über die deutsche Orthographie ohne viele Diskussionen, wie sie noch auf der I. Konferenz geführt wurden, erzielt werden kann. Es setzen sich dennoch folgende Neuerungen gegenüber der preußischen Schulorthographie durch: Wegfall von nach in deutschen Wörtern auch in Initialstellung, weitere Assimilation der Fremdwörter v. a. der Ersatz von durch und , die Trennbarkeit von und sowie die Nichttrennbarkeit von und einige andere Einzelfallschreibungen (Nerius u. a. 2007, 349).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Schließlich ist das 1901 beschlossene Regelwerk ab 1903 amtlich verbindlich und damit Grundlage für fast 100 Jahre deutsche Einheitsschreibung. Charakteristisch für die orthographische Entwicklung im 19. Jahrhundert gegenüber den vorangegangenen Jahrhunderten sind also vor allem zwei wesentliche Veränderungen: Erstens beginnt innerhalb der Sprachwissenschaft eine ausführliche theoretische Diskussion um Grundlagen und konkrete Veränderungsvorschläge der Orthographie und zweitens erlangen im 19. Jahrhundert erstmals Ämter und Behörden die Zuständigkeit für die schlussendliche Verordnung einer Orthographie.
3.2 Das Untersuchungsmaterial
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Die Auswahl des zu untersuchenden Materials wurde aufgrund geeignet erscheinender Kriterien wie Auflagenstärke, Abdeckung des gesamten Untersuchungszeitraums, Bewertung in der Primär- und Sekundärliteratur und Zugehörigkeit zu einer orthographietheoretischen Richtung vorgenommen. Bevor diese Kriterien im Einzelnen vorgestellt werden, muss der Tatsache entsprochen werden, dass die Kodifikation im 19. Jahrhundert in sehr unterschiedlichen Arten von Texten vorgenommen wird. Das setzt zunächst eine nähere Bestimmung der Regelwerkstypen voraus, die sich sowohl durch den dargestellten Inhalt als auch durch Struktur und Verbindlichkeitsgrad stark voneinander unterscheiden.113 Dabei lege ich im Wesentlichen die Unterscheidung zugrunde, die Burkhard Schaeder in seiner Darstellung der Geschichte von Rechtschreibwörterbüchern entwirft (Schaeder 1991, 150). So stellt Schaeder die Existenz folgender Typen von „Orthographiebüchern“ (Schaeder 1991, 148) im 19. Jahrhundert fest: 1) 2) 3) 4) 5)
6)
Grammatiken, die bisweilen eine Darstellung der Orthographie enthalten […]. Große allgemeine Wörterbücher […], die auch als Nachschlagewerke für orthographische Zweifelsfälle dienten. Orthographiebücher, die allein aus einem Regelteil bestehen […]. Orthographiebücher, die aus einem Regelteil nebst Wörterverzeichnis bestehen […]. Orthographiebücher, die sich im Titel als Rechtschreibwörterbücher zu erkennen geben und die neben einem umfänglichen Wörterverzeichnis keinen oder nur noch einen minimalen Regelteil enthalten […] Das Orthographiebuch für eine bestimmte Berufsgruppe […]. (Schaeder 1991, 150 f.)
Im Titel dieses Kapitels finden sich die drei Begriffe „Grammatiken“, „Orthographielehren“ und „Wörterbücher“. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird die Rege112 Bei der Auswahl der Kriterien habe ich mich an Krohn 2001 orientiert. Die dort zugrunde gelegten Kriterien wurden modifiziert übernommen. Das Ergebnis wird im Folgenden vorgestellt. 113 Diese Darstellung erhebt keinen textlinguistischen Anspruch einer Textsortenklassifikation o. Ä., sondern dient lediglich der Abgrenzung des ausgewählten Materials von anderen Texten, die sich mit Erscheinungen der Sprache beschäftigen.
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lung der Schreibung im Wesentlichen noch als Teil der Grammatik begriffen, was sich etwa anhand der Grammatiken von Johann Christian August Heyse oder Friedrich Bauer zeigen lässt: Die Orthographie erhält jeweils einen eigenen Abschnitt in ihrer „deutsche[n] Grammatik“.114 Deshalb finden sich orthographische Regeldarstellungen vor allem zu Beginn des Jahrhunderts häufig in komplexen Grammatiken, die neben der Orthographie auch – und nicht selten hauptsächlich – Morphologie und Syntax der Sprache beschreiben bzw. regeln. Im Bereich der Grammatiken fallen vor allem zwei besondere Adressatenkreise auf: Schulgrammatiken oder Grammatiken für den „Deutschen Sprachunterricht“ (Heinsius 1807) bzw. Grammatiken für „den Schul- und Hausgebrauch“ richten sich an Schüler und den privaten Gebrauch zu Hause. Andere Grammatiken wenden sich (wenngleich nicht immer explizit) an (Sprach-)Gelehrte, z. B. Heinsius’ „[T]heoretisch=praktisches Lehrbuch der gesammten Deutschen Sprachwissenschaft“ (Heinsius 1825). Sie zeichnen sich durch eine unterschiedliche Komplexität in der Darstellung aus, sollten aber – sofern vorhanden – beide mit untersucht werden, da die Entwicklung der Kodifikation sowohl von Schulgrammatiken als auch von der wissenschaftlichen Diskussion bestimmt ist. Von Beginn des Untersuchungszeitraums an gibt es allerdings auch eigenständige Orthographielehren, die erste und bekannteste des relevanten Zeitraums liefert Adelung mit seiner „Vollständigen Anweisung zur Deutschen Orthographie“. Hier widmet sich ein ganzes Werk der Schreibungsregelung. Diese Orthographielehren liegen in speziellen Ausprägungen vor, die sich strukturell voneinander unterscheiden, wie auch schon Schaeder bemerkt hat (Schaeder 1991, 150 f.): Zunächst lassen sich Orthographielehren ausmachen, die nur aus einem Regelteil bestehen. Selbiger kann allerdings sehr unterschiedlich aufgebaut sein, vgl. z. B. die ungewöhnliche Frage-Antwort-Struktur von Sanders’ „Katechismus der deutschen Orthographie“ von 1856. Besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehen allerdings auch vermehrt Orthographielehren mit systematischem Regelteil und einem sich anschließenden Wörterverzeichnis.115 Wenn sich bei diesen Büchern auch immer eine erkennbare, häufig ähnliche Reihenfolge der Abhandlung verschiedener orthographischer Teilbereiche zeigt, dann verwendet Britta Stanze den Terminus „orthographische Regelbücher“ (Stanze 1994, 16 ff.). Ein besonderer, für die Entwicklung der Orthographie im 19. Jahrhundert ausschlaggebender Fall dieser orthographischen Regelbücher sind die meist amtlichen Schulorthographien. Sie tragen großen Anteil an der Herausbildung der orthographischen Einheit
114 Dass dieser Zusammenhang nicht immer gesehen wird, kann auch festgestellt werden, denn Karl Ferdinand Becker z. B. erkennt der Orthographie nur einen sehr geringen Anteil an seiner „Schulgrammatik“ zu (vgl. Becker 1932). 115 Es gibt hierfür allerdings auch schon frühere Belege: Zum Beispiel hat Adelungs „Anweisung“ ein äußerst umfangreiches, dem Umfang nach gleichberechtigtes Wörterverzeichnis, das von Adelung sogar als „kleine[s] Wörterbuch[e]“ (Adelung 1788) bezeichnet wird.
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(vgl. Nerius u. a. 2007, 345), so dass sie auch in dieser Untersuchung eine wesentliche Rolle spielen müssen. Schließlich bleiben die orthographischen Wörterbücher auf die Regelung der Fremdwortschreibung hin zu untersuchen. Wörterbücher sollten zunächst – angelehnt an die Analysemethode in Krohn 2001 (vgl. Krohn 2001, 67 f.) – im Rahmen der Analyse in vorliegender Arbeit nur flankierend hinzugezogen werden, sofern sie einen Regelteil aufweisen. Im Entstehungsprozess der Arbeit zeigte es sich jedoch, dass ein umfassenderer Blick in diese Wörterbücher unerlässlich ist, da sich die Entwicklung der Fremdwortschreibung einzelwortübergreifend nicht vollständig beschreiben lässt – wie später noch zu zeigen sein wird. Außerdem findet im 19. Jahrhundert ein regelrechter „Wörterbuchboom“ (Hertweck 1996, 91) statt, so dass ein Einfluss auf die geltende Regelung zu erwarten ist. Zunächst aber zur näheren Bestimmung: Orthographische Wörterbücher sind eine Weiterentwicklung der Orthographielehren mit Regelteil und Wörterverzeichnis – dahingehend, dass sich die Gewichtung der einzelnen Teile stark zugunsten des Wörterteils verschiebt. Dieser Prozess kann so weit führen, dass der Regelteil vollständig verschwindet, wie es besonders häufig in Wörterbüchern zwischen der I. und der II. Orthographischen Konferenz der Fall ist (Hertweck 1996, 92). Hauptauswahlkriterium für die Analyse in dieser Arbeit war eine in Titel oder Vorwort bereits erkennbare orthographieregelnde Funktion, wobei auch explizit multifunktionale Wörterbücher akzeptiert wurden (vgl. z. B. Friedrich Schmitthenners „Kurzes Deutsches Wörterbuch für Etymologie, Synonymik und Orthographie“, 1834), sofern die Regelung der Orthographie eine dieser Funktionen ist.116 Es fehlen in der Darstellung die „große[n] allgemein[n] Wörterbücher […], die auch als Nachschlagewerke für orthographische Zweifelsfälle dienten“ (Schaeder 1991, 150). Auch die Fremdwörterbücher des 19. Jahrhunderts zeigen zum Teil Züge einer (vor allem konservatorisch angelegten) orthographischen Regelung der Fremdwortschreibung, wie Anke Heier bei Campe und Heyse nachweist (Heier 2012, 104 und 149 f.), obwohl dies nicht der eigentlichen Funktionalität dieses Wörterbuchtyps entspricht.117 Die Rolle dieser Wörterbücher im Kodifikationsgefüge
116 In der Literatur wird häufig die Entwicklung des Rechtschreibwörterbuches vom „fast reinen Rechtschreibwörterbuch“ zum „Mehrzweckwörterbuch“ beschrieben (Augst/Schaeder 1991, 35, vgl. auch Nerius 2000d, 214 f. und 1990, 1301), wobei Augst und Schaeder hier auf den Zeitraum von 1880 bis 1986 referieren. Mehrzweckwörterbücher, die die Regelung der Orthographie als eine Funktion unter vielen ansehen, gab es auch schon früher (z. B. Schmitthenner 1834). Anneliese Möller geht davon aus, „daß sich [bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – Anm. A. Z.] für das Deutsche noch keine spezielle Funktionsklasse orthographischer Wörterbücher ausgebildet hat (Möller 1992b, 331). Der Unterschied zwischen den frühen Mehrzweckwörterbüchern und dem späteren Duden besteht allerdings darin, dass bei ersteren der Mehrzweckcharakter explizit benannt wird, wohingegen der Duden dem Titel nach eigentlich nur ein Rechtschreibwörterbuch sein will. 117 Auch wenn Grimms Wörterbuch zunächst keine orthographieregelnde Funktion hat und auch explizit wenig Fremdwörter aufnimmt, so macht Grimm doch in der Einleitung zum Buchstaben C einige Bemerkungen zum graphematischen Verhalten bei Fremdwörtern (Kirkness 1980, 18). Kirk-
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des 19. Jahrhunderts und den Einfluss auf den Schreibusus zu untersuchen, wäre eine eingehende Untersuchung wert, kann aber im Rahmen dieser Arbeit nicht realisiert werden. Wörterbücher ohne explizit nachweisbare schreibungsregelnde Funktion bleiben in der vorliegenden Untersuchung unberücksichtigt. Orthographiebücher, die sich an eine bestimmte Berufsgruppe wenden, betrachte ich nicht als separate Gruppe, da sie sich inhaltlich und strukturell in die anderen Gruppen einordnen lassen, lediglich der Adressatenkreis ist ein anderer.118 Insofern reduziere ich die Regelwerksarten, die Schaeder benennt, für die vorliegende Untersuchung wie folgt:
Tab. 11: Arten von orthographischen Regelwerken (angelehnt an Schaeder). Orthographiebücher, 119 Regelwerke
Grammatiken
Orthographielehren i) nur Regelteil ii) Regelteil + Wörterverzeichnis (amtliche Schulorthographien)
Wörterbücher i) Regelteil untergeordnet ii) Regelteil nicht existent
Diese Arten von Regelwerken sind folglich Gegenstand der Untersuchung, und die Zugehörigkeit der Texte zu diesen Regelwerksarten ist – neben dem Hauptkriterium einer vorhandenen Fremdwortregelung120 – ein grundlegendes Kriterium für die Auswahl der Texte. Zur Bezeichnung der Regelwerke im folgenden Teil der Arbeit sei Folgendes bemerkt: Aus Gründen der Handhabbarkeit wird in der Darstellung meist der unspezifische übergeordnete Begriff des „Regelwerks“ benutzt. Die zeitweilige Verwendung des Begriffs „Grammatiker“ zur Bezeichnung aller Regelwerkautoren ist eine Konzession an die übliche Literatur und bezieht sich daher auch auf Autoren wie Rudolf von Raumer und Konrad Duden, die keine Grammatiken i. e. S. geschrie-
ness nennt die Reform der Rechschreibung sogar ein „Hauptanliegen des Deutschen Wörterbuchs“ (Kirkness 1980, 29). 118 Natürlich können hierdurch auch andere orthographische Regeln relevant werden. Allerdings kommt diesen Wörterbüchern in der Sekundärliteratur zur Rechtschreibentwicklung im 19. Jahrhundert keine explizit benannte Rolle zu, weshalb diese Bücher hier weitgehend vernachlässigt werden können. 119 Oberbegriff der Kodifikationspublikationen bei Schaeder (z. B. Schaeder 1991, 148). 120 Dieses Kriterium ist zwingend und wird daher auch nicht weiter erläutert.
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ben haben.121 Ebenfalls aus Gründen einer einfacheren Handhabung werden im folgenden Teil der Arbeit die Schulorthographien der einzelnen Länder häufig nur mit der Länderbezeichnung benannt: So steht z. B. Kurhessen für die kurhessische Schulorthographie. Neben diesen normativen Werken scheint es für eine Entwicklungsdarstellung angemessen, auch Literatur orthographietheoretischer Art, Kommentare der Autoren zu den einzelnen Regelwerken sowie Material zu den Orthographiekonferenzen hinzuzuziehen. Denn auch wenn diese Art Literatur nicht zur Kodifikation selbst gehört, so ist sie doch eng verflochten mit den Darstellungen in den Regelwerken und vermag Regelungszusammenhänge und -gründe zu zeigen, die das Bild einer Entwicklung der Fremdwortschreibung vervollständigen.122 Natürlich kann diese Untersuchung nur eine Auswahl von Regelwerken berücksichtigen. Die Menge an Grammatiken, Orthographielehren und Wörterbüchern ist im 19. Jahrhundert so groß, dass diese Arbeit keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.123 Die weitere Auswahl erfolgt aufgrund zusätzlicher Kriterien, die im Folgenden erläutert werden. Gleichzeitig muss aber auch gesagt werden, dass es nicht möglich war, ein Korpus zu erstellen, bei dem jedes einzelne Werk allen nachfolgend angeführten Kriterien vollständig genügt (im Gegensatz zum Korpus der Gebrauchstexte). Die Gewichtung der Kriterien fällt im Einzelfall je nach werksimmanenten Besonderheiten unterschiedlich aus. Beispielsweise kann für ein derart umfangreiches Werk wie Jacob Grimms Wörterbuch nicht die Auflagenstärke ausschlaggebend für die Aufnahme in das Korpus sein, wohl aber die Relevanz des berühmten Vorwortes, das maßgebliche Grundsätze der historischen orthographietheoretischen Richtung benennt und ferner häufig in der Sekundärliteratur Erwähnung findet. Auch andere richtungsweisende Regelwerke wie etwa die Raumer’sche Konferenzvorlage von 1876 erscheinen nur einmal und dürfen deshalb trotzdem nicht vernachlässigt werden. Ein anderes Beispiel vermag zu zeigen, dass auch das Kriterium der Bewertung in der Sekundärliteratur kein Garant für eine sinnvolle Regelwerksauswahl ist: Daniel Sanders wurde in der Beschreibung der orthographischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts lange vernach-
121 Die Bezeichnung beruht auf folgender Definition von Bergmann nach Max Hermann Jellinek: „Als Grammatiker bezeichnet man in diesem Sinne die Verfasser verschiedenartiger normativer Darstellungen der Grammatik und der Orthographie der deutschen Sprache vom 16. bis ins 18. Jahrhundert“ (Bergmann 1982, 267). Ich erweitere den Geltungsbereich um das 19. Jahrhundert. 122 Dieses Vorgehen findet sich z. B. auch bei Krohn 2001, 68. 123 Auf diesen Anspruch hat auch Max Jellinek verzichtet, obwohl er die „bis heute unentbehrliche[n] einzige[n] Gesamtdarstellung der deutschen Orthographietheoretiker und Grammatiker“ (Bergmann 1984, 226) geliefert hat. So nehme auch ich Jellineks Aussage in Anspruch: „Lange Beschäftigung mit dem Gegenstand hat mich zu der Überzeugung geführt, daß die Benutzung etlicher anderer Theoretiker sechsten Ranges meiner Zeichnung keine wesentlichen Züge hinzugefügt, sie eher verschwommen gemacht hätte“ (Jellinek 1913 II, S. VI).
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lässigt;124 häufig wurde und wird seine Orthographie – in Übernahme der Bewertung durch seine Zeitgenossen – zuweilen undifferenziert als „konservativ“ (Böhme 2001, 90; Grebe 1978, 170; Schlaefer 1980b, 231; Lohff 1980, 316) beschrieben. Und dennoch spielt er eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Fremdwortschreibung, wie noch zu zeigen sein wird.
3.2.1 Zeitliches Kriterium Das Ziel der Darstellung einer Kodifikationsentwicklung setzt voraus, dass die ausgewählten Regelwerke den gesamten Untersuchungszeitraum abdecken. Es ist dabei natürlich aufgrund der Begrenztheit des zur Verfügung stehenden Materials nicht möglich, eine absolut gleichmäßige Verteilung zu erreichen, wie sie von den Gebrauchstexten verlangt werden kann. Das wäre allerdings auch nicht sinnvoll, da es gerade im 19. Jahrhundert zeitliche Abschnitte gibt, in denen sich die Kodifikation schneller entwickelt als in anderen. Mehr als die Hälfte der Texte stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da zu dieser Zeit der Höhepunkt der theoretischen Diskussion erreicht wird, die so einflussreichen amtlichen Schulorthographien vorliegen und der Weg zur Vereinheitlichung der Rechtschreibung durch Konferenzen, Schulorthographien und die Kodifikation im Duden-Wörterbuch deutlich stärker vorangetrieben wird, als dies in der ersten Hälfte des Jahrhunderts der Fall ist.
3.2.2 Kriterium Entwicklungsstrang der Orthographie und orthographietheoretische Richtung Da sich die Kodifikation der Orthographie – wie bereits gesagt – in vielen unterschiedlichen Regelwerksarten darstellt, die unterschiedlichen Entwicklungssträngen der Orthographie angehören (Schulgrammatiken, theoretische Diskussion, staatliche Festlegungen [vgl. Scheuringer 1998, 58]), ist es nötig, all diese Bereiche in die Untersuchung mit einzubeziehen. Dabei ist es ebenso sinnvoll, Vertreter aller orthographietheoretischen Richtungen des 19. Jahrhunderts in angemessener Bewertung zu berücksichtigen, auch wenn sie letztlich nicht alle gleichermaßen Einfluss auf die Vereinheitlichung und Festsetzung der deutschen Orthographie haben (Krohn 2001, 67). Es gibt gewichtige Gründe dafür: Ihre Regelwerke und Diskussionsbeiträge sind unter Umständen Katalysatoren einer Vereinheitlichung der Orthographie (vgl. Weinholds Reformvorschläge 1852 mit direkter Reaktion von Raumers 1855, die schließlich zur Ausprägung der in der Reformdiskussion
124 Das hat sich freilich mit den Publikationen von Ulrike Hass-Zumkehr 1995a und 1995b geändert. Vgl. auch Ilse Rahnenführer 1991.
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dominierenden phonetischen Richtung führte). Andererseits steht die Überprüfung des Einflusses „unterlegener“ Richtungen auf den Schreibgebrauch immer noch aus: Ein Daniel Sanders gehört zwar nicht zur dominierenden Richtung der gemäßigten Phonetiker, die die Diskussion um eine einheitliche Rechtschreibung anführen, aber dennoch mag sein Einfluss auf den Schreibgebrauch im Bereich der Fremdwortschreibung größer sein als zunächst angenommen. Das wird im Einzelnen hier zu zeigen sein. So fanden also wesentliche Autoren der traditionellen Richtung (z. B. Adelung, Becker, Heyse, Sanders125), der historischen Richtung (z. B. Grimm, Weinhold, Andresen), der gemäßigt phonetischen Richtung (z. B. von Raumer, Duden, Wilmanns) und sogar der radikal-phonetischen Richtung (Richard Bax und Friedrich Fricke) Berücksichtigung in dieser Arbeit.
3.2.3 Kriterium Auflagenstärke Dieses Kriterium kann natürlich – wie oben bemerkt – nicht für alle auszuwählenden Regelwerke gleichermaßen gelten. Dennoch spielt die Auflagenstärke besonders bei der Auswahl der Schulgrammatiken und Schulorthographien eine Rolle. Sie spiegelt die Signifikanz der Regelwerke für den Gebrauch und ihren Verbreitungsgrad wider. Friedrich Bauer z. B. spielt in der Sekundärliteratur keine (bedeutende) Rolle, legt aber eine Schulgrammatik vor, die – wenngleich sicher befördert durch Konrad Dudens Weiterbearbeitung – insgesamt 27 Auflagen erlebt. Diese große Verbreitung lässt auf regen Nutzen derselben schließen und auf entsprechenden Einfluss auf den Gebrauch, was in der nachfolgenden Untersuchung zu überprüfen ist.
3.2.4 Kriterium Bewertung in der Literatur Die Bedeutung der Regelwerke kann im Allgemeinen auch durch die Einschätzung derselben in Primär- und Sekundärliteratur ermittelt werden. Allerdings kann auch dieses Kriterium nur eingeschränkt Anwendung finden, wie im Falle Sanders’ oben bereits skizziert und auch bei Krohn beschrieben: Hierbei [bei der Anwendung des Kriteriums „Bewertung in der Literatur“ – Anm. A. Z.] lassen sich Grammatiker und Orthographen, deren Verdienste auf verschiedenen grammatischen und/oder orthographischen Gebieten bereits vielfach hervorgehoben wurden (z. B. Gottsched,
125 Auch wenn die Zuordnung Sanders’ zur traditionellen Richtung zuweilen kritisiert wird, da – abgesehen von der zeitlichen Differenz zu Heyse und Becker – „Sanders sich nicht wie Becker direkt an die Adelungschen Grundsätze anschließt, sondern eigene Prinzipien entwickelt“ (vgl. Rahnenführer 1992, 234), ist sie doch in der Literatur üblich und wird zunächst vorausgesetzt.
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Adelung, Raumer, Duden) von Sprachgelehrten unterscheiden, welche die Entwicklung dieses orthographischen Teilgebietes mit beeinflussten, mit ihren Regelwerken aber bisher etwas weniger im Mittelpunkt der Forschung standen (z. B. Aichinger und Heynatz [...]). (Krohn 2001, 67)
Die im Allgemeinen weniger beachteten Grammatiker können durchaus für einen bestimmten Regelbereich von besonderer Bedeutung sein und auch hier weise ich besonders auf Daniel Sanders hin. Das ändert nichts an der Tatsache, dass es nötig ist, die viel zitierten Grammatiker auch in diese Untersuchung mit einzubeziehen. Dass Regelwerke und theoretische Abhandlungen so bekannter Autoren wie Adelung, Becker, Heyse, Grimm, Weinhold, von Raumer, mittlerweile auch Sanders, Duden und Wilmanns analysiert wurden, muss mit Blick auf die existierende Sekundärliteratur zu diesen Autoren nicht weiter gerechtfertigt werden (vgl. z. B. Jellinek 1913, Naumann 1986, Nerius 1984, Nerius 1989b, Strohbach 1984, Döring 1984, Ewald 1986, Ewald 1990, Hofrichter 1992, Ehrhard 1998, Eisenberg 1986, Höppner 1986, Möller 1985 und 1992a, Piirainen 1986a und 1986b, Scharnhorst 1992, Nerius 2000b, Schmidt-Regener 1988, Wurzel 1975 und 1998, Heller/Walz 1992, Nerius 1992, Debus 2005, Hass-Zumkehr 1995a und 1995b, Rahnenführer 1991 und 1992). Es muss ferner nicht ausführlicher begründet werden, weshalb viele meist amtliche Schulorthographien herangezogen wurden. Ihre Rolle im 19. Jahrhundert ist eine wegweisende, weshalb auch die große Anzahl derselben gerechtfertigt ist. Die Regelwerke anderer Autoren jedoch scheinen zunächst weniger bedeutend, sollen aber u. a. aus folgenden Gründen mit einbezogen werden: Eine bedeutende Rolle bezüglich der Kodifikation bzw. Ususbeschreibung im Bereich der Fremdwortschreibung wird Theodor Heinsius zugewiesen (Hofmeister 2000, 78). So zitiert Hofmeister nicht nur die äußerst prägnante Problematisierung des Bürgerrechtskriteriums bei Heinsius, sondern macht auch auf seine „Progressivität“ (Hofmeister 2000, 79) bei der Assimilation von zu und aufmerksam. Dieselbe wird auch von Heller/Walz ausdrücklich hervorgehoben (Heller/ Walz 1992, 292). Das ist Grund genug, auch seine theoretisch-praktischen Lehrbücher, die in zahlreichen Auflagen erscheinen (Kirkness 1975, 237), und eines seiner Wörterbücher zur Analyse heranzuziehen.126 Die Erwähnung der Schulgrammatik Friedrich Bauers findet sich bei Burkhard Schaeder, Hermann Scheuringer und Dieter Nerius in einem Atemzug mit denen von Heyse und Becker (Schaeder 1991, 150; Scheuringer 1996, 60; Nerius 1992, 242). Zwar behauptet Bernd Naumann, ohne Dudens orthographische Reformtätigkeit hätte Bauers Grammatik „nie die kanonische Geltung erlangt, die sie heute hat“ (Naumann 1986, 93). Es fragt sich jedoch, weshalb es vor der erstmaligen
126 Dass Heinsius am Ende des 19. Jahrhunderts scheinbar eine größere Bedeutung erlangt, zeigt August Engelien in seiner Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik. Heinsius erzielt „einen Erfolg, wie er bis dahin unerhört war“ (Engelien 1899, 347).
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Bearbeitung durch Konrad Duden bereits 14 Auflagen der Schulorthographie127 gegeben hat. Man könnte mit Naumann entgegnen, dass es sich um eine Schulgrammatik wie viele im 19. Jahrhundert handele (die allesamt hohe Auflagenzahlen erreicht haben).128 Der spezifische Charakter der Bauer’schen Grammatik aber liegt in einer Besonderheit, die Naumann sogar selbst nennt, aber nur der Bearbeitung Dudens zuschreibt, obwohl sie sich nachweislich bereits in den frühen Auflagen von Bauer selbst finden lässt. Ein Ziel Bauers war es nämlich, Teile der historischen Sprachwissenschaft im Unterricht zugänglich zu machen: Sie hat sich zur Aufgabe gestellt, die so bedeutsamen Resultate der neueren Sprachforschung, namentlich der historischen Schule, deren Begründer der große deutsche Grammatiker Jac. Grimm ist, in einer dem Bedürfniß und der Fassungskraft der Jugend angemeßenen Form der Schule zugänglich zu machen und damit einen kleinen Beitrag zu liefern, daß das Studium unserer Muttersprache mit größerer Lust, mit mehr Eifer und Nutzen, als bisher vielfach geschehen ist, möchte betrieben werden. (Bauer 1954, III)
Man kann vermuten, dass dies Auswirkungen auf die Regeldarstellung haben könnte, weshalb die Grammatik hier zum Analysekorpus hinzugefügt wird. Die „Neuhochdeutsche Schulgrammatik“ von Karl August Julius Hoffmann ist ebenfalls Gegenstand der Kodifikationsanalyse. Hauptsächlicher Grund dafür ist die in ihr vorgefundene Regelung zur Fremdwortschreibung (Schlaefer 1981, 120), die ansonsten in den Grammatiken der Historiker äußerst kurz kommt oder gar keine Erwähnung findet. Außerdem war Hoffmann ebenso wie Ludwig Ruprecht, dessen historische Grammatik hier ebenfalls untersucht wird, Mitglied der Kommission, die an der Entstehung des ersten amtlichen Regelbuches (Hannover 1855) mitwirkt (vgl. Schlaefer 1980a, 304 und Bramann 1982, 81). Auch das ist ein Grund, weshalb ihnen innerhalb der historischen Orthographierichtung eine besondere Position zukommt, sie in der Sekundärliteratur immer wieder erwähnt werden und weshalb auch die Analyse ihrer Grammatiken im Rahmen dieser Untersuchung gerechtfertigt ist. Ruprecht, der eben schon genannt wurde, und Karl Gustav Andresen werden beide von Bramann als wichtige Vertreter der historischen Richtung eingestuft (Bramann 1982, 91). Ruprecht ist der erste gemäßigt auftretende Historiker und zeigt daher eine wichtige Seite dieser Reformrichtung. Andresen schuf mit seinem Werk „Ueber deutsche Orthographie“ die „letzte großangelegte arbeit historischer rechtschreibreformer“ (Bramann 1982, 81), wodurch eventuell das Ende einer Entwicklung innerhalb der historischen Richtung sichtbar wird.
127 Nach Bernd Naumann ist die 15. Auflage, nach Michael Schlaefer die 18. Auflage die erste, die von Konrad Duden bearbeitet wird (Naumann 1986, 93; Schlaefer 1981, 45). Die Richtigkeit der Angaben konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend geprüft werden. 128 Naumann bezweifelt generell den spezifischen Eigenwert der Schulgrammatiken, da sie sich „im Grunde nur in Anordnung und Ausführlichkeit ihres ansonsten immer gleichen Stoffes“ (Naumann 1986, 92) unterscheiden.
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Hoffmann, Andresen und Ruprecht werden auch in der zeitgenössischen Literatur oft mit ihren „ausgezeichneten und höchst verdienstvollen Werken“ (Linnig 1869, 15) zitiert, was ihre Relevanz auch für diese Arbeit weiterhin zu begründen vermag (Linnig 1869, 15; von Raumer 1855, 107 u. 154 f.; von Raumer 1857, 239; Duden 1872, 38; Duden 1876, 73). Julius Lattmann ist Anhänger der phonetischen Reformrichtung, plädiert aber in seiner nicht selten erwähnten Abhandlung „Stückweise oder endgültige Reform der Rechtschreibung?“ (Zabel 1987a, 121; Zabel 1987b, 1; Engelien 1899, 409; Wilmanns 1880, 55) bezüglich der Fremdwortschreibung für die durchgängige Zulassung von Doppelschreibungen: Ein jeder schreibe sie [die Fremdwörter – Anm. A. Z.] so, wie er es versteht; ist ihm aus seiner Kenntnis fremder Sprachen ihr Ursprung bekannt, so möge er sie danach schreiben und in Zweifelsfällen ein Fremdwörterbuch benutzen, wo nicht, so schreibe er, wie er es mit deutschen Wörtern gewont [sic!] ist, so gut oder schlecht es geht nach seinem Gehör oder seiner Aussprache. (Lattmann 1895, 8)
Damit führt er Dudens Verfahren der Variantenschreibung fort und wird wichtig für diese Untersuchung. Franz Linnig gehört zu den Wissenschaftlern, die in der Zeit zwischen Jahrhundertmitte und I. Orthographischer Konferenz eigene Reformvorschläge zur Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung in die Diskussion einbringen und für die Schule aufbereiten. Damit steht er neben anderen eher unbekannten Autoren wie Kratz,129 Michelsen und Vernaleken, aber auch Sanders und Duden (deren Werke jedoch nicht explizit an Schüler adressiert waren) (Bramann 1982, 118). Da die Einzelwerke dieser Zeit nur einen geringen Anteil des Gesamtuntersuchungsmaterial ausmachen, schien es sinnvoll, Linnigs Orthographielehre hinzuzuziehen.130 Bei Friedrich Fricke handelt es sich um den wohl bekanntesten Vertreter der radikal-phonetischen Richtung, der nicht nur durch seine theoretisch und praktisch orientierten Publikationen zu einer radikal-phonetischen Reform, sondern auch durch die Gründung des „Allgemeinen Vereins für vereinfachte Rechtschreibung“ in der Literatur viel Beachtung findet.131 Seine „exponierte Stellung“ (Bramann 1982, 133) innerhalb des Vereins – Fricke ist in der Zeit Vorsitzender und erster Schriftführer – trägt wesentlich zu seiner Rezeption bei. Er befasst sich umfassend mit der Reform der Fremdwortorthographie (vgl. Fricke 1874) und ist daher wesentlich für die Entwicklung der Kodifikation. Seine Arbeit wird erwähnt
129 Gymnasialprofessor Kratz wird im Rahmen dieser Arbeit auch berücksichtigt, wenn auch indirekt als Verfasser der württembergischen Schulorthographie von 1861. 130 Linnig wird im Vergleich zu den fast nie genannten Kratz, Michelsen und Vernaleken häufig zitiert (vgl. Schlaefer 1980b, 148; Engelien 1899, 410) und scheint deshalb der am besten geeignete Kandidat für die Untersuchung. 131 Der Verein konnte 1884 über 2000 Mitglieder zählen. Die Zeitschrift des Vereins ‚Reform‘ ist auch noch weit ins 20. Jahrhundert hinein herausgegeben worden (Bramann 1982, 133).
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und z. T. auch ausgiebig besprochen in z. B. Lohff 1980, Bramann 1982, Zabel 1987b, Debus 2005, Nerius u. a. 2007. Da auch die radikal-phonetische Richtung verschiedenartige Ausprägungen hat, ist es angemessen, einen zweiten gelegentlich zitierten Vertreter der Richtung hinzuzuziehen und die Vorschläge miteinander zu vergleichen. Hierfür eignet sich das umfassende Werk zur „Volksorthographie auf phonetischer Grundlage“ von Richard Bax (Schlaefer 1980b, 47 f.; Zabel 1987a, 121; Zabel 1987b, 20). Die Anzahl leicht zugänglicher, ausdrücklich orthographischer Wörterbücher des 19. Jahrhunderts ist relativ gering. Da die Entscheidung, auch Wörterbücher ausführlicher zu berücksichtigen, nicht gleich zu Beginn des Bearbeitungszeitraums getroffen wurde, waren keine umfangreichen bibliographischen Beschaffungsmaßnahmen möglich. Das ist auch der Grund dafür, warum neben sehr wesentlichen Autoren wie Adelung, Heinsius, Heyse, Sanders und Duden auch unbekanntere Werke von Michael Kunitsch, Friedrich Schmitthenner 132 und Friedrich Mann ausgewählt wurden.
3.2.5 Das Regelkorpus Nachfolgende Liste enthält alle für diese Arbeit zur Analyse herangezogenen orthographischen Regelwerke bzw. Kommentare zu selbigen. Sie sind, soweit dies möglich war, zur groben Orientierung für den Leser nach den unterschiedlichen Entwicklungssträngen der Orthographie im 19. Jahrhundert sowie nach den theoretischen Richtungen und innerhalb dieser Gruppen nach dem Erscheinungsdatum sortiert. Es sei bemerkt, dass die jeweils erste Auflage der vielfach verlegten Grammatiken konsultiert wurde, sofern sie zugänglich war. Ein Auflagenvergleich, wie er sich z. B. teilweise bei Krohn findet (Krohn 2001, 67), hätte den Rahmen der Arbeit gesprengt und wurde daher nicht vorgenommen.
Traditionelle Richtung (Schulgrammatiker) – Adelung, Johann Christoph (1788): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Frankfurt/Leipzig.
132 Schmitthenners „Kurzes Deutsches Wörterbuch für Etymologie, Synonymik und Orthographie“ wird sogar in Schlaefers Bibliographie erwähnt (Schlaefer 1980b, 240). Er gehört zur traditionellen Richtung um Heyse und Becker (Naumann 1986, 94) und hatte Ende des 19. Jahrhunderts noch einige heute weitgehend versiegte Bekanntheit. Engelien zählt den Autor zu den „berühmte[n] Grammatiker[n]“ (Engelien 1899, 349).
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Heinsius, Theodor (1807): Teut, oder theoretisch=praktisches Lehrbuch des gesammten Deutschen Sprachunterrichts. 1. Theil: Sprachlehre der Deutschen. Berlin. Heyse, Johann Christian August (1814): Theoretisch-praktische deutsche Grammatik oder Lehrbuch zum reinen und richtigen Sprechen, Lesen und Schreiben der deutschen Sprache. Für den Schul- und Hausgebrauch bearbeitet. Hannover. Heinsius, Theodor (1825): Teut, oder theoretisch=praktisches Lehrbuch der gesammten Deutschen Sprachwissenschaft. 1. Theil: Deutsche Sprachlehre. 4. Aufl. Berlin. Heyse, Johann Christian August (1826): Theoretisch-praktische deutsche Schulgrammatik oder kurzgefaßtes Lehrbuch der deutschen Sprache mit Beispielen und Aufgaben zur Anwendung der Regeln. 6. Aufl. Hannover. Becker, Karl Ferdinand (1829): Deutsche Grammatik. Frankfurt a. M. (Deutsche Sprachlehre II). Becker, Karl Ferdinand (1832): Schulgrammatik der deutschen Sprache. 2. Aufl. Frankfurt a. M. Bauer, Friedrich (1854): Grundzüge der neuhochdeutschen Grammatik für Höhere Bildungsanstalten. 3. Aufl. Nördlingen. Sanders, Daniel (1856): Katechismus der deutschen Orthographie. Leipzig. Sanders, Daniel (1873): Vorschläge zur Feststellung einer einheitlichen Rechtschreibung für Alldeutschland. Berlin. Sanders, Daniel (1876): Über die deutsche Rechtschreibung und meinen Standpunkt zu ihrer Regelung und Feststellung. In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 23, 357–359.
Historische Richtung – Grimm, Jacob (1819): Deutsche Grammatik. Theil 1. Göttingen. – Grimm, Jacob (1822): Deutsche Grammatik. Theil 1. 2. Ausgabe, neuer vermehrter Abdruck besorgt durch Wilhelm Scherer 1870. Nachdruck hg. v. Elisabeth Feldbusch u. Ludwig E. Schmitt. (Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Werke. Abt. 1: Die Werke Jacob Grimms 10). Hildesheim [u. a.] 1989. – Hoffmann, Karl August Julius (1839): Neuhochdeutsche Schulgrammatik für Gymnasien und Progymnasien. Mit Rücksicht auf Sprachvergleichung bearbeitet. Clausthal. – Grimm, Jacob (1847): Über das Pedantische in der deutschen Sprache. In: Otfrid Ehrismann (Hrsg.): Reden und Abhandlungen. Nach der Ausgabe von Karl Müllenhoff und Eduard Ippel. Nachdruck der 2. Aufl. 1879. (Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Werke. Abt. 1: Die Werke Jacob Grimms 1). Hildesheim [u. a.] 1991, 328–374. – Weinhold, Karl (1852): Über deutsche Rechtschreibung. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 3 / 2, 93–128.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Ruprecht, Ludwig (1854): Die deutsche Rechtschreibung vom Standpunkte der historischen Grammatik beleuchtet. Göttingen. Grimm, Jacob und Wilhelm (1854): Deutsches Wörterbuch. Bd. 1. A–Biermolke. Leipzig. Andresen, Karl Gustav (1855): Ueber deutsche Orthographie. Mainz. Andresen, Karl Gustav (1867): Ueber Jacob Grimms Orthographie. Göttingen.
Gemäßigt phonetische Richtung – von Raumer, Rudolf (1855): Ueber deutsche Rechtschreibung. In: Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften von Rudolf von Raumer. Frankfurt a. M. [u. a.] 1863, 105–212. – von Raumer, Rudolf (1857): Weitere Beiträge zur deutschen Rechtschreibung. In: Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften von Rudolf von Raumer. Frankfurt a. M. [u. a.] 1863, 239–279. – Linnig, Franz (1869): Die Rechtschreibung im Deutschen. Ein Leitfaden für den orthographischen Unterricht an höheren Lehranstalten. Trier. – Duden, Konrad (1872): Die deutsche Rechtschreibung. Abhandlungen, Regeln und Wörterverzeichnis mit etymologischen Angaben für die oberen Klassen höherer Lehranstalten und zur Selbstbelehrung für Gebildete. Leipzig. – Duden, Konrad (1876): Die Zukunftsorthographie nach den Vorschlägen der zu Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung berufenen Konferenz. Leipzig. – Wilmanns, Wilhelm (1880): Kommentar zur Preußischen Schulorthographie. Berlin. – Duden, Konrad [Hrsg.] (1881): Die neue Schulorthographie. Nach den Verordnungen der Ministerien von Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Oldenburg, Braunschweig, Meiningen, Koburg-Gotha, Reuss etc. mit einer kurzgefaßten Interpunktionslehre u. e. ausführlichen Wörterverzeichnis. Separatabdruck aus der 18. Aufl. der Neuhochdeutschen Grammatik von Friedrich Bauer. – Duden, Konrad (1886): Die Verschiedenheiten der amtlichen Regelbücher über Orthographie nebst Vorschlägen zur Vereinbarung über die streitigen Punkte. Nördlingen. – Wilmanns, Wilhelm (1887): Die Orthographie in den Schulen Deutschlands. 2. umgearb. Ausg. d. Kommentars zur preußischen Schulorthographie. Berlin. – Lattmann, Julius (1895): Stückweise oder endgültige Reform der Rechtschreibung? In: Zeitschrift für das Gymnasialwesen 49 / 29, 1–55. – Wilmanns, Wilhelm (1900): Was soll geschehen, um die deutsche Rechtschreibung zu größerer Einheit zu führen? (Gutachten des Prof. Dr. W. Wilmanns in Bonn vom 16. Juli 1900). In: Dieter Nerius (Hrsg.): Die orthographischen Konferenzen von 1876 und 1901. (Documenta Orthographica 5). Hildesheim [u. a.] 2002, 215–223.
Das Untersuchungsmaterial
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Radikal-phonetische Richtung – Fricke, Friedrich Wilhelm (1874): Über die Orthographie der Fremdwörter. In: Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung 6 u. 7, 41–45 u. 49–52. – Fricke, Friedrich Wilhelm (1877): Die Orthographie nach den im Bau der deutschen Sprache liegenden Gesetzen in wissenschaftlicher, pädagogischer und praktischer Beziehung. Bremen. – Bax, Richard (1897): Volksorthographie auf phonetischer Grundlage. Frankfurt.
Schulorthographien, Konferenzdokumente – Hannover (1855): Regeln und Wörterverzeichnis für deutsche Rechtschreibung. Gedruckt auf Veranstaltung des Königlichen Ober=Schulcollegiums zu Hannover. Clausthal. – Kurhessen (1859): Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst einem Wörterverzeichnisse. Ein Vorschlag zur Einigung zunächst für die kurhessische Volksschule von Dr. H. E. Bezzenberger. Kassel. – Württemberg (1861): Regeln und Wörterverzeichniß für die deutsche Rechtschreibung, zum Gebrauch in den württembergischen Schulanstalten amtlich festgestellt. Stuttgart. – Berlin (1871): Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Orthographie zum Schulgebrauch hrsg. v. d. Verein der Berliner Gymnasial- und Realschullehrer. Berlin. – Erörterungen (1871): Erörterungen über deutsche Orthographie zur Begründung und Erläuterung der Schrift. Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Orthographie zum Schulgebrauch. Hrsg. v. Verein der Berliner Gymnasialund Realschullehrer. Berlin. – Vorlage (1876): von Raumer, Rudolf: Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Orthographie. In: Verhandlungen der zur Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung berufenen Konferenz. 2. Abdruck. Halle, 9–46. – Begründung (1876): von Raumer, Rudolf: Zur Begründung der Schrift: Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Orthographie. In: Verhandlungen der zur Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung berufenen Konferenz. 2. Abdruck. Halle, 47–78. – Protokoll (1876): Protokoll der Verhandlungen. In: Verhandlungen der zur Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung berufenen Konferenz. 2. Abdruck. Halle, 79–130. – Regeln (1876): Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Orthographie. (Auf Grundlage der von R. v. Raumer verfaßten Vorlage.) In: Verhandlungen der zur Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung berufenen Konferenz. 2. Abdruck. Halle, 131–192.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Bayern (1879): Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zum Gebrauch an den bayerischen Schulen. München. Preussen (1880): Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zum Gebrauch in den preußischen Schulen. Berlin. Sachsen (1880): Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zum Gebrauch in den sächsischen Schulen. Hg. i. Auftrage d. Königl. Ministeriums d. Kultus und öffentlichen Unterrichts. Dresden. Württemberg (1884): Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zum Gebrauch in den württembergischen Schulen. Im Dezember 1884 amtl. festgestellt. Stuttgart. Protokoll (1900): Protokoll über die Sitzung im preußischen Unterrichtsministerium zur deutschen Rechtschreibung (30. Juni 1900). In: Dieter Nerius (Hrsg.): Die orthographischen Konferenzen von 1876 und 1901. (Documenta Orthographica 5). Hildesheim [u. a.] 2002, 211–214. Vorlage (1901): Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zum Gebrauch in den preußischen Schulen. (Vorlage der II. Orthographischen Konferenz 1901). In: Dieter Nerius (Hrsg.): Die orthographischen Konferenzen von 1876 und 1901. (Documenta Orthographica 5). Hildesheim [u. a.] 2002, 224–280. Protokoll (1901): Beratungen über die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung (Protokoll der II. Orthographischen Konferenz 1901). In: Dieter Nerius (Hrsg.): Die orthographischen Konferenzen von 1876 und 1901. (Documenta Orthographica 5). Hildesheim [u. a.] 2002, S. 281–301. Regeln (1902): Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis (Ergebnis der II. Orthographischen Konferenz 1902). In: Dieter Nerius (Hrsg.): Die orthographischen Konferenzen von 1876 und 1901. (Documenta Orthographica 5). Hildesheim [u. a.] 2002, 302–331. Regeln (1903): Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis. Amtl. Ausg. Bremen.
Wörterbücher – Adelung, Johann Christoph (1788): Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Frankfurt/Leipzig. – Kunitsch, Michael (1803): Grammatisch=orthographisches Wörterbuch der Homonyme der Deutschen Sprache. Ein Handbuch für Kanzelleyen und Schulen nach Adelungs Grundsätzen. Grätz. – Adelung, Johann Christoph (1808): Wörterbuch der Ortographie [sic!] und der deutschen Sprache zum Gebrauche für Beamte, Geschäftsmänner und Schulen in den kaiserlich-königlichen Staaten. 2. Aufl. Wien. – Heinsius, Theodor (1818–1822): Volksthümliches (Vollständiges) Wörterbuch der deutschen Sprache. Hannover.
Das Analyseraster zur Untersuchung der Regelwerke
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Heinsius, Theodor (1828): Der Deutsche Rathgeber, oder alphabetisches Nothund Hülfs-Wörterbuch zur grammatischen Rechtschreibung und Wortfügung in allen zweifelhaften Fällen, für diejenigen, welche Briefe und Aufsätze aller Art möglichst fehlerfrei zu schreiben wünschen. 6. Aufl. Berlin. Heyse, Johann Christian August (1833–1849): Handwörterbuch der deutschen Sprache mit Hinsicht auf Rechtschreibung, Abstammung und Bildung, Biegung und Fügung der Wörter, so wie auf deren Sinnverwandtschaft. Angelegt von J. Ch. A. Heyse, fortgeführt von K. W. L. Heyse. 3 Bde. Magdeburg. Schmitthenner, Friedrich (1834): Kurzes Deutsches Wörterbuch für Etymologie, Synonymik und Orthographie. Darmstadt. Sanders, Daniel (1875a): Orthographisches Wörterbuch oder alphabetisches Verzeichnis aller deutschen oder im Deutschen eingebürgerten Wörter mit schwieriger oder fraglicher Schreibweise in endgültiger Feststellung. Leipzig. Sanders, Daniel (1875b): Orthographisches Schul-Wörterbuch. Leipzig. Duden, Konrad (1880, 1900, 1902): Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache nach den neuen preußischen und bayerischen Regeln. 1., 6. u. 7. Aufl. Leipzig. Mann, Friedrich (1883): Kurzes Wörterbuch der Deutschen Sprache. Unter Beiziehung der gebräuchlichsten Fremdwörter, mit Angabe der Abstammung und Abwandlung, sowie mit Anwendung der neuen Orthographie. 2. Aufl. Langensalza.
3.3 Das Analyseraster zur Untersuchung der Regelwerke Ziel der folgenden Analyse ist es, eine Entwicklung der Fremdwortschreibung in der Kodifikation und ihre dabei entscheidenden Leitlinien und Assimilationsfaktoren aufzuzeigen. Diesem Haupterkenntnisinteresse der Arbeit angepasst, ist es die wesentlichste Aufgabe der Kodifikationsanalyse, den Kernbereich der Regeln zur Fremdwortschreibung zu untersuchen. Es stellen sich an diese Regeln ganz verschiedenartige Fragen – v. a. inhaltlicher und nachrangig auch formaler Art. Die hauptsächliche Frage bezieht sich auf die Art der Behandlung graphischer Fremdheitsmerkmale. Wird eine Assimilation vorgeschrieben oder nicht? Wird Variantenschreibung akzeptiert? Hierher gehört auch die Schrifttypenfrage, wenngleich damit eigentlich nicht-orthographische Fremdheitsmerkmale in den Fokus rücken. Die Schrifttypenfrage war für die Kodifikationsuntersuchung der Fremdwörter im 18. Jahrhundert allerdings sehr wichtig (vgl. Kreutzer 2006). Die Annahme, dass sie im 19. Jahrhundert weit weniger Relevanz hat, soll durch die nachfolgende Analyse überprüft werden.133 133 Kreutzer hat für das 18. Jahrhundert bei den Grammatikern eine große Zurückhaltung bezüglich der Regelung der Fremdwortschreibung beobachtet (Kreutzer 2006, 82 f.). Sie führt folgenden Grund ins Feld: „Das 18. Jahrhundert war gekennzeichnet durch die Entwicklung einer einheitli-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Es fragt sich ferner, ob die Regeln begründet werden und ob es Regelungsparameter (Assimilationsfaktoren) 134 gibt. Diese Faktoren, die die Regelung der Fremdwortschreibung bestimmen, sind mit Blick auf die Ususuntersuchung besonders relevant. In der Kodifikationsuntersuchung können – abgesehen von den u. a. sprachstrukturellen Faktoren der Ususanalyse – gegenstandsbedingt noch weitere Regelungshintergründe ermittelt werden, die sich so explizit aus einer Ususanalyse nicht ergeben, z. B. Verständlichkeit, Ästhetik, etwaige fremdwortpuristische Einflüsse oder die graphische Einheitlichkeit.135 Neben der Analyse der Fremdwortregelung im engen Sinn ist eine weitere inhaltliche Frage von Belang, deren Antwort zwar häufig aus den Fremdwortregeln selbst herauslesbar ist und daher zur Regelanalyse gehört, aber eigentlich eher theoretischer Natur ist: Wird eine Art Differenzierung von Fremd- und Lehnwörtern vorgenommen? Dabei geht es weniger um die Termini, die ja erstmalig in der amtlichen Regelung von 1901 in direkten Zusammenhang gestellt werden, als um das sprachgeschichtliche Phänomen, dass Fremdwörter durch Assimilation und Integration langsam zu Lehnwörtern werden und dass sich die meisten Wörter zwischen diesen beiden Polen befinden. Inwiefern eine solche Problematisierung stattfindet und wie sie sich auf die Regelung auswirkt, wird bei der Analyse der Grammatiken zu eruieren sein. Fragen, die sich auf die Form der Regel beziehen, werden nur begleitend gestellt und in der Darstellung auch nur dann aufgegriffen, wenn sich Besonderheiten herausarbeiten lassen und diese für den ein oder anderen Regelungsbereich bemerkenswert erscheinen. Neben einer allgemeinen Regelung der Fremdwortschreibung gibt es auch fremdgraphem-, einzelwort- bzw. wortteilspezifische Regeln, die möglicherweise an verschiedenen Stellen im Regelwerk aufzufinden sind, so dass auch die Strukturierung des Regelwerks ein Hinweis auf den Status bestimmter Graphem o. Ä. sein könnte. Die Frage nach dem Regelungsaufbau lässt die Frage nach der inneren Struktur der einzelnen Regeln folgen, etwa nach der Rolle von Beispiellisten. Nach der Analyse der inhaltlichen und formalen Aspekte der Regeln zur Fremdwortschreibung stellt sich die finale Frage nach der Wirkung der Regeln:
chen deutschen Literatursprache und die Bemühungen um eine einheitliche graphische Norm des Deutschen, die sich vorrangig um die Schreibungsregelung heimischer Lexeme bemühte. Der Fokus der Regelungsbemühungen lag daher auf der Festschreibung bzw. Optimierung der heimischen Phonem-Graphem-Beziehungen für indigenes Wortgut“ (Kreutzer 2006, 82). Vielfach ist es im 18. Jahrhundert so, dass bestimmte Textteile häufig als Regeln zur Fremdwortschreibung deklariert sind, „doch beziehen sich diese letztlich auf die Bestimmung der zu verwendenden Schrifttypen bei Fremdwörtern“ (Kreutzer 2006, 82). 134 Vgl. Ausführungen in Kapitel 2.3.5.1. 135 Die Verständlichkeit ist z. B. der Hauptgrund für die spezifische Regelung der Fremdwortschreibung bei Johann Christoph Adelung und wird vor allem durch die verschiedenartige Behandlung der Entlehnungssprachgruppen erreicht (Adelung 1788, 115).
Das Analyseraster zur Untersuchung der Regelwerke
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Lässt sich aus den Regeln die konkrete Schreibweise ableiten? Haben sie schreibungsleitenden Charakter? Besonderes Interesse liegt hier auf der Frage nach singulären oder generellen Regeln: Sind die generellen Regeln schreibungsleitend oder sind sie auf die Ergänzung durch singuläre Regeln angewiesen? Durch welche Assimilationsfaktoren wird der handlungsanweisende Charakter gestärkt, durch welche geschwächt? Um die Kodifikationen angemessen einordnen zu können, werden die Regelwerke auch auf ihre orthographietheoretischen Grundlagen hin analysiert. Man kann annehmen, dass sie nicht unwesentlich dazu beitragen, der Fremdwortregelung eine besondere Prägung zu geben. So lässt sich beispielsweise vermuten, dass – um die gegensätzlichsten Pole der Reformdiskussion im 19. Jahrhundert heranzuziehen – Vertreter der historischen Richtung eher eine spendersprachlich orientierte Fremdwortschreibung bevorzugen, die radikalen Phonetiker hingegen eine lautgetreue, assimilierte Schreibweise: Auf dem Gebiet der Fremdwörter sei – so Fricke – die böse Saat, die Jacob Grimm ausgestreut habe, noch nicht ausgerottet. Er fordert daher, daß auf diesem Gebiet jedes Wort und jeder Name, den der Deutsche lesen und aussprechen soll, auch mit deutschen Lautzeichen geschrieben werden müsse. Sein Ziel ist eine gründliche, unhistorische Läuterung der deutschen Orthographie. (Zabel 1987b, 4)
Inwiefern dieser Zusammenhang zutrifft, wird mit der Analyse der orthographietheoretischen Grundlagen, die sich v. a. in den angenommenen orthographischen Prinzipien und ihrer Hierarchie zeigen, geklärt.
Tab. 12: Parameter der Kodifikationsanalyse (mit Bezug auf Kreutzer [Kreutzer 2006, 41 f.]). Regelung der Fremdwortschreibung Schreibanweisung
assimiliert nicht assimiliert teilassimiliert Variantenschreibung
Regelungsfaktoren
Regeltyp
generell singulär generell + singulär
Geltungsbereich
Fremdgraphem Einzelwort Wortteile, Gruppen von Graphemen
orthographietheoretische Grundlagen (Prinzipien) schreibungsleitender Charakter
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Zusammenfassend liefert die obige Darstellung eine Übersicht über die zu analysierenden Regelungselemente. Unter entsprechender Berücksichtigung der einzelnen Parameter ergibt sich schließlich das komplexe Bild einer Kodifikationsentwicklung der Fremdwortschreibung. Bei der Darstellung der Analyseergebnisse dann werden nur im Hinblick auf die Gesamtentwicklung wesentliche Analysegesichtspunkte besprochen.
3.4 Auswertung des Befundes Die Textanalyse der Grammatiken wurde im Vorfeld zwar nach Autoren chronologisch geordnet durchgeführt – und eine chronologische Darstellung wird zumeist auch in den einzelnen Abschnitten gegeben136 – allerdings berechtigen die Ergebnisse zu einer Entwicklungsdarstellung, bei der der Chronologie ein anderes Kriterium vorgeschaltet wird. Es hat sich erwiesen, dass nicht nur in gegenwartssprachlichen Arbeiten zur Fremdwortschreibung graphem- bzw. wortteilbezogene Regeln, Regelungsvorschläge oder Kommentare zur Regelung zu finden sind, sondern auch in den hier untersuchten Regelwerken des 19. Jahrhunderts. Insofern werden sich an die ausgiebige Darstellung der Entwicklung einer übergeordneten Fremdwortschreibungsregel (allgemeine Regelung) Darstellungen graphembezogener Entwicklungen anschließen, die zuweilen – sofern die Systematik es verlangt – morphembezogen besprochen werden. Dabei werden nur die Grapheme erörtert, die auch in den Regelwerken auftreten. Da die Darstellung der graphemunabhängigen Fremdwortschreibungsregeln aufgrund der besonderen Ergiebigkeit der Regelwerke in dieser Hinsicht einen besonders großen Umfang einnimmt, ist eine weitere Unterteilung des Kapitels (3.4.1) nach den Regelwerksarten für den besseren Überblick gewählt worden. Der separate Abschnitt „Regeln zur Schreibung der Zitatwörter, Verwendung von Fraktur und Antiqua“ durchbricht zwar die Systematik in der Darstellung, ist aber aufgrund des besonderen Status auch innerhalb der Regelwerke und zum Zweck der besseren Übersichtlichkeit der Ergebnispräsentation sinnvoll. Ebenfalls aus Gründen besserer Übersichtlichkeit erscheinen jeweils am Ende der graphemspezifischen Kapitel kurze Teilzusammenfassungen. In den besonders umfangreichen Kapiteln 3.4.1.1 bis 3.4.1.3 sowie in den Kapiteln 3.4.2.1; 3.4.2.2.1 und 3.4.2.4 sind außerdem zur besseren Auffindbarkeit die einzelnen Autoren bzw.
136 Innerhalb der einzelnen Kapitel zur Kodifizierung erfolgt im Wesentlichen zwar eine chronologische Darstellung, die zuweilen aber auch durchbrochen wird, sofern es sich für die Präsentation der Ergebnisse als sinnvoll erweist. Die Autoren gleicher orthographietheoretischer Richtungen sollen möglichst zusammenhängend besprochen werden. So werden z. B. die Kodifizierungen der frühen Schulgrammatiker direkt aufeinanderfolgend und die Werke der historischen Richtung erst im Anschluss dargestellt, auch wenn die erste relevante Schrift der Historiker schon 1819 erscheint.
Auswertung des Befundes
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Regelwerke bei erstmaliger Nennung, auf die deren Regeldarstellung folgt, markiert worden. Die Regelung in den orthographischen Wörterbüchern zu betrachten, erwies sich im Verlauf der Bearbeitung des Themas als unumgänglich. Diese Analyse ist dennoch nur begleitend vorgenommen worden. Eine systematische Beschreibung der Entwicklung singulärer Regeln zur Fremdwortschreibung steht daher noch aus. Bei der Art der Darstellung ist zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse der vollständigen, alle oben genannten Parameter berücksichtigenden Regelwerksanalyse nur im nötigen vom Erkenntnisgewinn abhängigen Umfang dargelegt werden. Sofern bestimmte Kodifizierungen in den einzelnen Kapiteln nicht aufgegriffen werden, signalisiert dies, dass sie in Bezug auf den entsprechenden Regelbereich nicht ergiebig sind. Generell ist der Umfang der Besprechung einzelner Regelwerke an die Relevanz für die gesamte Entwicklung der Fremdwortschreibung gebunden.
3.4.1 Graphemübergreifende
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Regelung der Fremdwortschreibung
3.4.1.1 Regelung in den Grammatiken und Orthographielehren Johann Christoph Adelung markiert den Entwicklungsbeginn der Fremdwortschreibungskodifikation, die hier zu untersuchen ist. Sein übergeordnetes Ziel der Schreibung ist die Verständlichkeit. In diesem Dienst steht auch die Schreibung der Fremdwörter (vgl. Adelung 1788, 115 ff.). Adelung gibt in seinem Regelwerk – verglichen mit allen vorangegangenen (Ewald 1990, 172) und auch vielen ihm folgenden Autoren – überdurchschnittlich differenzierte Bestimmungskriterien für Fremdwörter an und erleichtert den Benutzern des Regelwerks damit die Entscheidung für oder gegen eine assimilierte Schreibweise. Auch wenn hier natürlich noch nicht die Begriffe Fremd- und Lehnwort fallen, so problematisiert er in seinem Kapitel „Von der Orthographie fremder Nahmen und Wörter“ die grundlegende Schwierigkeit bei der Schreibung fremder Wörter außerordentlich ausführlich: Die fremden Wörter und Nahmen, welche ein Deutscher zuweilen zu schreiben genöthigt ist, sind von doppelter Art; entweder haben sie schon das Deutsche Bürgerrecht erhalten, und sind Deutschen Wörtern in der Bildung, Gestalt und Aussprache gleich gemacht worden […] oder sie sind Fremdlinge, und können nicht anders als Fremdlinge aufgeführet werden. […] Die erstern machen keine weitere Schwierigkeit, weil sie einmahl als Deutsche Wörter aufgenommen sind, und daher auch nach der Sitte aller übrigen Deutschen Wörter geschrieben werden müssen. Was das Deutsche Bürgerrecht erhalten hat, läßt sich nicht in allen Fällen
137 Angeregt durch die Terminologie Wilhelm Wilmanns, wird der Begriff „graphemübergreifende Regel“ in dieser Arbeit zuweilen synonymisch ersetzt durch „allgemeine Regel“ (Wilmanns 1880, 193).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
auf das genaueste bestimmen, indem die Grenzen hier eben so sehr in einander laufen, als in andern Theilen der Sprache, und die Aufnahme eines Wortes nur nach und nach geschiehet, daher zu allen Zeiten Wörter vorhanden sind, welche zwischen beyden in der Mitte stehen. Ueberhaupt hat ein Wort das Deutsche Bürgerrecht erhalten, wenn es allgemein gangbar ist, und andern Deutschen Wörtern dem Baue und Tone nach völlig ähnlich siehet, welches denn freylich nicht anders als auf Kosten seines eigenthümlichen Baues geschehen kann. (Adelung 1788, 112 f.)
Adelung unterscheidet also zwischen eingebürgerten und nicht eingebürgerten Wörtern und betont bei der Bestimmung derselben die Übergangszone von einer Kategorie zur anderen (Adelung 1788, 113), der eine Menge von Wörtern angehört und die die Entscheidung zur richtigen Schreibweise erschwert. Er gibt den Lesern allerdings im Folgenden konkrete Entscheidungshilfen an die Hand (Kriterien zur Bestimmung des Einbürgerungsstatus). Die Charakteristika, die ein nach der Herkunft fremdes Wort zu einem Wort mit „Bürgerrecht“ (Adelung 1788, 112) machen, sind mit folgenden Stichwörtern skizziert: assimilierte „Bildung“, „Gestalt“, „Aussprache“ (Adelung 1788, 112) bzw. „Bau“ und „Ton“ und eine Zuordenbarkeit zum zentralen Wortschatz („wenn es allgemein gangbar ist“ [Adelung 1788, 113]). Eine nähere Bestimmung dieser Begriffe erweist sich allerdings als schwierig.138 Es ist anzunehmen, dass unter assimilierter „Bildung“ bzw. „Bau“ mit Bezug auf die genannten Beispiele die Tilgung fremder Wortbildungssuffixe und Ersatz durch heimische zu verstehen ist (z. B. status – Staat, Zepter – sceptrum). Da dieser Prozess auch häufig die Assimilation der Flexion nach sich zieht, könnte dies auch impliziert sein. Ob mit der angeglichenen „Gestalt“ bereits die graphemische Assimilation gemeint ist oder ob der Begriff nur synonymisch zur „Bildung“ verwendet wurde, ist unklar. Träfe Ersteres zu, so würde Adelung das Problem mit dem Problem lösen, es sei denn, er verstünde jenen oben zitierten Satz als Beschreibung des allgemei-
138 Dasselbe gilt auch für die Kriterien, die spätere Grammatiker ihren Kategorien zuweisen. Ihre Bestimmung ist meist lediglich aus dem Kontext nachfolgender Beispiele zu entwickeln bzw. aus dem Gebrauch der Termini in anderen Werken der Autoren. Wörter, die „in der Bildung, Gestalt und Aussprache“ assimiliert wurden, sind für Adelung beispielsweise Fieber, Fiebel, Kanzel, Priester, Pöbel, Pulver, Linie, Artikel, Pallast (Adelung 1788, 112). In vorliegender Untersuchung jedoch wurden Grapheme wie in Pulver, in Linie, in Artikel und in Pallast als Fremdgrapheme interpretiert (zu Letzterem vgl. Kapitel 4.3.2.8). Diese Aufzählung Adelungs spricht also für ein anderes Problemverständnis bezüglich fremder Phonographeme. Ein nicht markiertes /i:/ in betonter Stellung ist anscheinend kein assimilationswürdiges Graphem. Diese Vermutung über das „Fremdheitsbewusstsein“ bei den Grammatikern und vielleicht auch bei den Sprachnutzern bestätigen ähnliche Beispiellisten in weiteren Grammatiken und Orthographielehren und die Assimilationsresistenz dieser Grapheme, wie noch zu zeigen sein wird. Das nicht assimilierte Graphem ist wahrscheinlich der Aussprachevariante von Palast geschuldet (erste Silbe als Tonsilbe), die es nachweislich gegeben hat (vgl. Sanders 1856, 39).
Auswertung des Befundes
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nen Einbürgerungsprozesses und nicht als Teil der (nachfolgenden) Regel zur Schreibung dieser Wörter. Die Assimilation der „Aussprache“ könnte sich sowohl auf den Akzent als auch auf phonemische Assimilation oder komplexere Lautwandelprozesse beziehen. Genaueres geben die Beispiele (vgl. oben) nicht her. Der fremde bzw. assimilierte „Ton“ ist scheinbar recht konkret zu bestimmen, denn Adelung präzisiert: „Viele andere haben in der Stellung des Tones noch etwas ausländisches behalten, wie Anies, Altar, Altan, Alaun […]“ (Adelung 1788, 113). Dieses Kriterium bezieht sich in diesem Fall auf den Akzent des Wortes. Fremde Phonie oder Phonemik dürfte allein schon deshalb nicht gemeint sein, da in den Beispielwörtern nur Fremdbetonung, nicht aber Fremdlautung vorliegt.139 Wörter fremder Herkunft, die noch einen fremden Akzent besitzen,140 gehören bei Adelung in die Übergangsschicht: zu solchen Wörtern, die „zwischen den völligen Bürgern und den völligen Fremdlingen in der Mitte stehen […] und daher auch häufig nach Deutscher Sitte geschrieben werden“ (Adelung 1788, 113). Das Kriterium des Tones ist daher als sekundär zu betrachten, da bei Nicht-Anpassung des Akzents „häufig“ eine assimilierte Schreibung festgestellt wird. An anderer Stelle bemerkt er allerdings gleichzeitig, dass ein betreffendes Wort „auf seine eigene Art geschrieben“ wird, „ruhet der Ton, wider die Art ächter Deutscher Wörter, nicht auf der vermuthlichen Stammsylbe“ (Adelung 1788, 114). Ein fremder oder assimilierter Akzent ist demnach kein eindeutiges Kriterium pro oder kontra eine graphemische Assimilation. Adelung mutet den Lesern außerdem noch ein Kriterium zu, das sich weniger aus der Kenntnis über die Sprachstruktur ableiten lässt: Es ist das Kriterium der Gangbarkeit bzw. die Frage, ob sich das Wort im Zentrum oder in der Peripherie des Wortschatzes befindet – was mit einem Wissen über seine Verwendungshäufigkeit einhergeht.141 Hier ist auch ein weiteres Kriterium Adelungs zuzuordnen, das einem Wort seinen Bürgerstatus entziehen kann: die Fachbezogenheit eines Wortes: 139 Allerdings wurde der Begriff „Ton“ in der Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert auch übergreifend und sehr allgemein für „Klang“ verwendet, wie ein Teil der Definition in der zeitgenössischen „Oekonomischen Encyklopädie“ von Krünitz zeigt: „Ton, Töne, in der Sprachkunst, nach Adelung. 1. Im eigentlichen Verstande. Hier scheint dieses Wort 1) nur ursprünglich eine Art eines Klanges bedeutet zu haben, und einer solchen Art, welche durch dieses Wort und das Zeitwort tönen genau nachgeahmt wird“ (Krünitz 1773–1858, 185, 642, vgl. auch z. B. Adelung 1788, 29). Der Begriff vereinigt deshalb an anderer Stelle in Adelungs Regelwerk möglicherweise Akzent und Lautung. Den Begriff der „Aussprache“ verwendet Adelung meistens im Zusammenhang mit der korrekten graphemischen Darstellung der Laute (vgl. z. B. Adelung 1788, 36 f.). 140 Ein nicht deutscher Akzent wird hier verstanden als Tonsilbe, die nicht die erste Stammsilbe ist. Das trifft auf fast alle Beispiele zu, die Adelung in diesem Zusammenhang nennt. In einigen dieser Fälle hat es im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts Assimilationen gegeben, die mindestens eine Variante zur Fremdbetonung darstellen: Anies, Altar, Altan, Alaun, Barbier, Canal, Fasan, Fasele, Figur, Kapitel, Kamehl, Klystier, Metall, Person, Prophet, Regent, Register, Tyrann. 141 In der „Oekonomischen Encyklopädie“ von Krünitz lautet die Definition für „gangbar“ wie folgt: „Gangbar. 1. Was im Gange ist, häufig angetroffen wird, doch nur in einigen Fällen. Eine gangbare Münze, welche im Handel und Wandel ohne Weigerung angenommen wird; im mittlern
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Ist aber ein Wort nicht von allgemeinem Gebrauche, sondern nur in einer oder der andern Wissenschaft, Kunst oder Lebensart gangbar, hat es kein Deutsches Ansehen, und ruhet der Ton, wider die Art ächter Deutscher Wörter, nicht auf der vermuthlichen Stammsylbe, sondern auf einer der Ableitungssylben, w. z. B. Cloak, Musik, Mechanik, musicalisch, Cabale, so hat es auch noch nicht das Bürgerrecht erhalten, und wird daher den folgenden Gründen gemäß auf seine eigene Art geschrieben, so weit nehmlich die Deutschen Schriftzeichen, und die Aussprache, besonders in den Endsylben, es verstatten. Militär, Secretär, und nicht Militair, Secretair, weil solches wider die Deutsche Aussprache seyn würde. (Adelung 1788, 114)
Hiervon kann abgeleitet werden, dass Adelung nur solche Wörter zum Fachwortschatz zählt, die ausschließlich in fachlicher Verwendung vorkommen („nur in einer oder der andern Wissenschaft […] gangbar“ [Adelung 1788, 114]). Interessant ist die Einschränkung, die diese Regel gleichzeitig enthält. Das Kriterium der Fachbezogenheit vermag durch das Aussprachekriterium entkräftet zu werden, so soll das Phonem /ε:/ in Militär und Secretär nicht mit dem französischen Graphem realisiert werden, weil „solches wider die Deutsche Aussprache seyn würde“ (Adelung 1788, 114).142 Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass es mehrere Kriterien sind, die erfüllt sein müssen, soll das betreffende Wort als eingebürgert gelten. Unter Berücksichtigung aller bisher dargelegten Begriffsaspekte der Adelung’schen Terminologie kann Adelungs ‚Definition‘ als Zusammenfassung gelten: „Ueberhaupt hat ein Wort das Deutsche Bürgerrecht erhalten, wenn es allgemein gangbar ist, und andern Deutschen Wörtern dem Baue und Tone nach völlig ähnlich siehet“ (Adelung 1788, 113). Bei den hier nachfolgenden Beispielwörtern kann davon ausgegangen werden, dass Adelung unter Ton nicht (durchgehend) nur den Akzent versteht, sondern dass dieser Begriff verschiedene Phänomene, auch den Laut, mitbezeichnet: „Aberraute, (abrotanum,) Abt, (abbas,) Allmosen, (eleemosyna,) Bertram, eine Pflanze, (Pyretrum,) Bischof, (episcopus,) Engel, (angelus,) Kammer, (camera,) […]“ (Adelung 1788, 113). Adelungs Differenzierung bei der Schreibung der Wörter in seinen beiden großen Kategorien „eingebürgerte Wörter“ – „nicht eingebürgerte Wörter“ erhält noch ein zusätzliches Kriterium, das erst nach der eigentlichen Definition angeführt wird und das ausschließlich für die sog. „Fremdlinge“ (= nicht eingebürgerte Wörter)
Lat. cursabilis monera, Fr. Argent, qui a cours, qui est de mise, argent metable. Türkische Münzen sind hier nicht gangbar. Die Blattern sind jetzt gangbar, grassiren. Eine gangbare Waare; siehe → Gang I. 2. → Gänge und → Ganghaft“ (Krünitz 1773–1858 – 16, 17). 142 Nicht „wider die Deutsche Aussprache“ hingegen scheint das Graphem für das Phonem /k/ zu sein, wie an den Beispielen deutlich wird. Dies erklärt sich wiederum aus dem Sonderstatus des im deutschen Graphemsystem: Es tritt in deutschen Wörtern nur in der Verbindung und auf und kann daher in Fremdwörtern einen gesonderten Phonembezug bekommen, der keine Konkurrenz zu einem deutschen Phonembezug wäre, in diesem Fall . Dies könnte als Hinweis gegen eine vermehrte Assimilation von zu bzw. gedeutet werden (vgl. Kapitel 3.4.2.1).
Auswertung des Befundes
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gilt: das Kriterium der Spendersprache. Der Autor unterteilt die Spendersprachen in „fremde Sprachen“ und „bekannte Sprachen“: Fremde Sprachen nenne ich, wie schon gedacht, hier solche, deren Bau und Analogien dem größten Theile der Schreibenden unbekannt sind; wohin besonders alle aus morgenländischen Sprachen entlehnte Wörter gehören. […] Beyspiele sind: Muselmann, Amurath, Mahomed, Vezier, Karawane […]. Soll man diese Wörter nach ihrer gangbaren Aussprache schreiben, oder soll man ihnen ihre ursprüngliche Gestalt wieder geben […]? Das letzte gewiß nicht. […] Bekannte Sprachen sind hier solche, welche dem größten Theile der Schreibenden entweder ihrem Baue nach bekannt sind, oder ihnen noch mehrmahls in ihrer eigenthümlichen Sprache zu Gesichte kommen. Dahin gehören denn alle Wörter nicht allein aus den neuern Europäischen, sondern auch aus den ältern gelehrten Sprachen. Hier erfordert die möglichst leichte Verständlichkeit für das Auge, alle diese Wörter ohne Rücksicht auf die wahre oder gangbare Aussprache nach ihrer eigenen Analogie zu schreiben. (Adelung 1788, 118)
Die Verständlichkeit der Wörter wird nach Adelung sowohl durch die Bewahrung fremder Merkmale bei Wörtern aus den europäischen Sprachen als auch durch die Tilgung fremder Merkmale bei Wörtern aus nichteuropäischen Sprachen erreicht. Die europäischen Sprachen – die „ältern gelehrten Sprachen“ (Adelung 1788, 118) 143 eingeschlossen – werden als bekannt vorausgesetzt. Hierbei orientiert sich Adelung wie auch bei der Beschreibung des usus scribendi an den „höheren Classen“ (Adelung 1788, 115), die zu jener Zeit die Schriftsprache beherrschen. Um die Verständlichkeit zu erleichtern, indem die Abstammung gekennzeichnet wird, sollen „alle diese Wörter ohne Rücksicht auf die wahre oder gangbare Aussprache nach ihrer eigenen Analogie“ (Adelung 1788, 118) – also nach den Phonem-Graphem-Beziehungen der Gebersprache geschrieben werden.144 Adelung fordert also eine bewusste Abgrenzung vom „Bürger“, eine bewusste Kennzeichnung als Fremdling (Adelung 1788, 121). Eine zusätzliche assimilierte Variante wäre hier verwirrend, schreibt Adelung unter Verwendung des folgenden Beispieles: Capaccio – Kapadschio (Adelung 1788, 119) (vgl. auch Ewald 1990, 173). Daran ändere auch eine möglicherweise z. T. schon assimilierte Aussprache nichts, die betreffenden Wörter bleiben von der graphematischen Assimilation ausgeschlossen: Vermuthlich waren diese Wörter einmahl auf dem Wege, mit dem Bürgerrechte begabet zu werden, welches aber nachmahls, da sich die Sprache mit mehr Feinheit in der heutigen Hochdeutschen Mundart auszubilden anfing, unterblieb. Aber um deswillen ist es auch unbillig,
143 Adelung hätte hier besser den Singular gewählt, da er in seinen weiteren Ausführungen die griechische Sprache als bekannte Sprache ausschließt – im Gegensatz zu der lateinischen (Adelung 1788, 124 f.). 144 Es ist zu beachten, dass Adelung hier von seiner übergeordneten Regel des „Schreib, wie du sprichst“ abweicht. Damit wird „der orthographische Entscheidungsalgorithmus […] mit Blick auf die Forderung des übergeordneten Verständlichkeitsanspruchs außer Kraft gesetzt“ (Ewald 1990, 175).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
sie in der Schrift Deutschen Wörtern gleich zu machen, die Endsylbe allenfalls ausgenommen. (Adelung 1788, 121)
Die Wörter aus „fremden Sprachen“ hingegen seien „im Deutschen gangbar gemacht, und dabey nicht selten auf eine oder die andere Art verändert worden“ (Adelung 1788, 116), so dass sie zu „Bürgern“ wurden. Sie seien vor allem phonisch an das Deutsche angepasst worden, weshalb Adelung eine Schreibung nach „ihrer gangbaren Aussprache“ fordert (Adelung 1788, 116). Den Bürgerstatus befördert der Fakt, „daß diese Wörter in den gangbaren Formen auf Deutsche Art decliniret werden können“ (Adelung 1788, 118).145 Da eine Schreibweise nach der Art der Gebersprache auch nicht mehr Verständlichkeit der Wörter zur Folge hätte, weil Form und Struktur für den deutschen Sprachteilhaber gänzlich unbekannt sind, solle sie wenigstens nicht durch separat zu lernende PGB behindert werden: Der Wortverstand gewinnet eben so wenig, man mag Wessir oder Vezier schreiben und sprechen, denn beyde gelten als Nahmen, wobey man sich die Sache anschauend denkt. Die Verständlichkeit wird vielmehr durch die neuen Formen gestöret, weil unter hundert Lesern leicht neun und neunzig Morad und Amurath, Moschee und Mesched u. s. f. für sehr verschiedene Wörter halten, wenigstens die neuen Formen sehr unverständlich finden werden. […] Die wahre Form des Wortes kann hier zur Verständlichkeit nichts beytragen, wohl aber selbige hindern, weil diese Wörter einmahl als Bürger angesehen werden, so gut als Kanzel, Priester, Pflaster, Fieber u. a. m. welche umzumodeln noch niemanden eingefallen ist. (Adelung 1788, 117 f.)
Adelung liefert also einen Entscheidungsalgorithmus, der dem Leser durchaus schreibungsleitend zur Seite steht, da die Kriterien relativ ausführlich bestimmt sind, wenngleich die exakte Begriffsbestimmung nicht immer erschöpfend ermittelbar ist. Eine derart differenzierte Schreibungsleitung bei der graphemübergreifenden Regel zur Fremdwortschreibung ist in anderen zeitgenössischen Kodifikationen nicht zu finden.146 Dabei geht der Autor, wie er selbst bekundet, immer vom Schreibgebrauch der „höheren Classen“ aus, kritisiert den Schreibgebrauch aber auch an angemessenen Stellen, vor allem dort, wo es scheint, als habe man den „niederen Classen“ Zugeständnisse gemacht oder wenn der Einfluss der gelehrten Teile der „höheren Classen“ zu groß wird. Schließlich bleibt trotz aller Klarheit, die der Entscheidungsalgorithmus liefert, hinzuweisen auf eine wichtige einschränkende Bemerkung, die Adelung zu seiner Regelung selbst macht, nämlich, dass sich das deutsche Bürger-
145 Hier findet sich also die erste Bemerkung zu dem in der Literatur häufig angeführten Bezug zwischen flexivischer und graphemischer Assimilation. 146 Dieses Ergebnis fügt sich in das Bild, das Petra Ewald von Adelungs Leistung zeichnet, wenn sie seine „neue Darstellungsqualität“, sein „Bemühen […], das Verhältnis der Grundregeln zueinander durch präzise Angaben zum jeweiligen Geltungsbereich exakt abzustecken“ (Ewald 1992, 65), in Bezug auf das „Grundgesetz der Orthographie“ (Adelung 1788, 17) beschreibt.
Auswertung des Befundes
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Abb. 1: Adelungs Entscheidungsalgorithmus zur Fremdwortschreibung.
recht „nicht in allen Fällen auf das genaueste bestimmen“ (Adelung 1788, 113) lässt und daher gegenstandsbedingt keine umfassende allgemeingültige Regelung der Fremdwortschreibung möglich ist (Adelung 1788, 112 f.). Theodor Heinsius steht in der direkten Nachfolge Adelungs. Auch er legt der deutschen Rechtschreibung in seinem Grammatikregelwerk für den „deutschen Sprachunterricht“ und der Variante für die „deutsche Sprachwissenschaft“ drei übergeordnete Regeln („Grundsätze“, an anderer Stelle „Gesetze“ [Heinsius 1807, 382]) zugrunde.147 Es nimmt daher nicht wunder, dass auch die Regelung der Fremdwortschreibung nach denselben Grundsätzen wie bei Adelung vorgenommen wird. Sie erlangt allerdings einen besonderen Stellenwert, indem Heinsius sie als vierten und fünften Grundsatz zu seinen ersten drei hinzufügt:
147 Er gewichtet sie allerdings anders als Adelung: Die Regelung nach der hochdeutschen Aussprache ist vorrangig, die Abstammung des Wortes soll nur dann herzugezogen werden, wenn weder Aussprache noch Gebrauch weiterhelfen (Heinsius 1807, 380 f.) Die Abstammung wird auch hier synchron betrachtet.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
4) Fremde Wörter und Namen, wenn sie das Deutsche Bürgerrecht erlangt haben, schreibe man, so wie alles was Deutsch ist, mit Deutschen Buchstaben, folglich: Harmonie, Interesse, Evangelium, Apostel, marschiren, Paulus, Augustus. 5) Wörter, welche aus fremden Sprachen entlehnt sind, müssen, wenn man sie Deutsch ausspricht und beugt, auch nach Deutscher Aussprache und Sitte geschrieben werden. […] Bei solchen aber, die nicht nationalisirt sind, behält man die Buchstaben, die ihnen in der Sprache, aus der sie stammen, eigen sind; z. B. Festin, Journal, Cavalier. (Heinsius 1807, 382 f.)
Punkt 4 der eben zitierten Regelung bezieht sich, wie aus dem Kontext mit der nachfolgenden Regel 5 hervorgeht, nicht auf die Rechtschreibung, sondern – wie vor allem im 18. Jahrhundert vielfach üblich – auf den Schrifttyp: Gemeint ist, dass alle Fremdwörter mit „Bürgerrecht“ (Heinsius 1807, 382) in Fraktur gedruckt werden sollen. Erst Regel 5 ist im Grunde genommen eine orthographische. Diese Regel ist noch präziser und eindeutiger formuliert und mit weiteren Anmerkungen versehen in „Teut für die deutsche Sprachwissenschaft“. 5) Fremde Wörter und Namen, sie mögen ausgesprochen werden wie sie wollen, schreibe man mit Deutschen Buchstaben, und so, wie sie in der Sprache, aus der sie entlehnt sind, buchstabirt und geschrieben werden, folglich: Harmonie, Interesse, Evangelium, Apostel, marschiren, Bouteille, Billard, Gensd’armes, Portefeuille, Monsieur, Charakter, Engagement, Paulus, Augustus, Voltaire, Rousseau. […] 6) Wenn aber Wörter, aus fremden Sprachen entlehnt, Deutsch ausgesprochen und gebeugt werden sollen, so schreibe man sie auch nach Deutscher Art und Sitte, folglich Pallast, Engel, Zepter, Pöbel […]. Bei folgenden Wörtern dagegen, denen man das Fremdartige im Ton noch zu sehr anmerkt, behält man die Buchstaben, die ihnen in der Sprache, aus der sie stammen, eigen sind, z. B. Festin, Journal, Cavalier. (Heinsius 1825, 440 f.)
Die zusätzlichen Anmerkungen sind auf den anderen Adressatenkreis zurückzuführen: So ergänzt Heinsius, dass die Hervorhebung der Fremdheit durch Antiquaschrift von vielen Grammatikern gewollt werde, aber nicht der Erfassungsfunktion der Schrift entspreche, da die „Mischung verschiedener Schriftzeichen“ lästig sei, „wodurch der gute Geschmack beleidigt wird“ (Heinsius 1825, 440).148 Es fällt auch auf, dass der Begriff des Bürgerrechts zumindest in der graphemübergreifenden Regel des Sprachwissenschafts-Teuts nicht mehr fällt. Außerdem wird nicht die Regel der assimilierten Schreibweise vorangestellt, wie dies 1807 in der Variante für den Sprachunterricht der Fall war, sondern zunächst will Heinsius klarmachen, dass Fremdwörter prinzipiell auf spendersprachliche Weise geschrieben werden.
148 Es ist auffällig, dass Heinsius den sog. Zitatwörtern im Regelwerk keine besondere Stellung zukommen lässt. Er weist nur darauf hin, dass sowohl fremde Gattungsbezeichnungen als auch fremde Eigennamen grundsätzlich in Fraktur und bezüglich der Phonem-Graphem-Beziehungen auf fremde Art zu schreiben sind (Heinsius 1825, 440). Die Verwendung von Antiqua, die gemeinhin mit der Schreibung von Zitatwörtern verbunden ist, will Heinsius in jedem Fall ausschließen.
Auswertung des Befundes
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Der Erwartung entspricht es nicht, dass die Regel aus dem Jahr 1825 doch deutlich handlungsanweisender ausfällt als die Variante von 1807, die doch an eine wesentlich ,bedürftigere‘ Rezipientengruppe adressiert war: Der schwammige Begriff des „Bürgerrechts“ fällt weg. Außerdem werden die Wörter, „die nicht nationalisiert sind“ (Heinsius 1807, 383) und folglich die spendersprachliche Schreibweise beibehalten sollen, zu Wörtern, „denen man das Fremdartige im Ton noch zu sehr anmerkt“ (Heinsius 1825, 441). Die Formulierung verändert sich, die Assimilationskriterien bleiben allerdings dieselben: deutsche Aussprache und Flexion ziehen eine deutsche Schreibweise nach sich („Nationalisierung“ nach Heinsius 1807, 383). Das Kriterium der Flexion scheint nicht zwingend zu sein, jedenfalls wird es bei der Regel zur Beibehaltung der Fremdschreibung nicht aufgezählt, dort ist es nur das „Fremdartige im Ton“ (Heinsius 1825, 441), das gegen eine Assimilationsempfehlung spricht. Unklar ist bei Heinsius allerdings auch die Bedeutung der verwendeten Termini „Aussprache“ und „Ton“. Sie scheinen fast synonymisch gebraucht zu werden, denn in der oben genannten Regel 6 sind die Beispiele trotz unterschiedlicher Termini jeweils in Lautung bzw. Lautposition und Betonung heimisch (erster Regelteil) bzw. fremd (zweiter Regelteil) (Heinsius 1825, 440 f.). Im Unterschied zu Adelung führt Heinsius nur formale Kriterien zur Bestimmung der Schreibweise an. Gangbarkeit, Fachsprachengebrauch oder ähnliche Kriterien werden nicht erwähnt. Das erleichtert den Gebrauch der Regeln, da formale Kriterien für den Sprachnutzer in den meisten Fällen leichter ermittelbar sind. Andererseits fehlt der Regelung dann eine bezüglich des Integrationsverhaltens der Fremdwörter relevante Dimension. Die Ausführlichkeit Adelungs erreicht Heinsius nicht, Problematisierungsabschnitte fallen deutlich kürzer aus oder fehlen ganz. Beispielsweise problematisiert Heinsius nicht, dass es möglicherweise eine Übergangsgruppe zwischen den Fremd- und Lehnwörtern gibt.149 Dass die Regelung zur Fremdwortschreibung auch Anfang des 19. Jahrhunderts noch oft mit einer Regel zur Schrifttypenverwendung bei Fremdwörtern eingeleitet wird, bestätigt auch die übergeordnete Fremdwortregel bei einem weiteren unmittelbarer Nachfolger der Adelung’schen Linie, Johann Christian August Heyse. Ebenso wie bei Heinsius schließt sie sich als vierte Regel an die „[a]llgemeine[n] Regeln für die deutsche Rechtschreibung“ an:
149 Wird im Folgenden das Begriffspaar Fremd- und Lehnwort einfachheitshalber benutzt, dann ist es nicht streng definitorisch zu sehen. Es ist mir bewusst, dass diese begriffliche Unterscheidung erst ganz am Ende des Untersuchungszeitraums eingeführt wurde (vgl. Kapitel 2.1).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Tab. 13: Gegenüberstellung der Regelung in Heyses Regelwerken 1814 und 1826150 – 1. Regel. Regel 1814: „Fremde Wörter und Eigennamen schreibe in deutscher Schrift eben so, wie Alles, was Deutsch ist, mit deutschen Buchstaben und zwar nicht bloß dem Klange nach, wie man sie ausspricht, sondern ihrer Herstammung nach oder so, wie man sie in der Sprache buchstabirt und schreibt, aus welcher sie entlehnt sind.“ (Heyse 1814, 90 f.)
Regel 1826: „Fremde Wörter und Eigennamen schreibe in deutscher Schrift eben so, wie Alles, was deutsch ist, mit deutschen Buchstaben und zwar nicht bloß dem Klange nach, wie man sie ausspricht, sondern so, wie man sie in der Sprache buchstabirt und schreibt, aus welcher sie entlehnt sind.“ (Heyse 1826, 45)
Grundregel ist hier folglich, dass Fremdwörter nach den Phonem-Graphem-Beziehungen der Gebersprache geschrieben werden sollen.151 Sie spricht davon, dass die Orientierung an der Aussprache für eine korrekte Schreibweise nicht ausreicht, sondern dass sich an der Schreibweise der Gebersprache zu orientieren sei. Diese wenig handlungsanweisende Regel wird erst nach knapp zwei Seiten zum Gebrauch von Fremdwörtern und zur Verwendung der Schrifttypen in einer orthographischen Regel präzisiert. Dabei folgt der Übergang von der Schrifttypenfrage zur Orthographiefrage in der ersten Auflage der deutschen Grammatik sehr unscheinbar. Das ist in der Schulgrammatik von 1826 anders, hier erfolgt ein direkter Bruch, damit wird mehr Transparenz geschaffen. Hier die wörtliche Gegenüberstellung der Regeln:
150 Die Abweichung ist markiert. 151 Eigentlich ist es ein Abschnitt zum Gebrauch der Fremdwörter, in dem Heyse überflüssige von etablierten Fremdwörtern unterscheidet, der sich quasi als Fußnote direkt an die eben zitierte Regelformulierung anfügt. Auf den ersten Blick in denselben scheint es auch eine orthographische Regel zu sein, die besagt, Bezeichnungsexotismen auf fremde Art zu schreiben: „Endlich mögen auch alle diejenigen Fremdlinge immer unter uns ihr fremdes Ansehen behalten, welche gewisse besondere Eigenthümlichkeiten nicht=deutscher Völker in Denkungsart und Lebensweise, in Sitten rc. bezeichnen, und die eben deswegen, weil die Sache uns abgeht, mit keinem einheimischen Zeichen ganz vollkommen vertauscht werden können“ (Heyse 1814, 91). Mit diesen „einheimischen Zeichen“ meint er allerdings einheimische Wörter. Es liegt demnach doch keine orthographische Regel vor, sondern der Ersatz von Fremdwörtern durch deutsche Äquivalente wird thematisiert. Die Terminologie ist irreführend, aber durch den Kontext erklärbar, denn direkt im Anschluss an den zitierten Satz folgt dies: „Wir maßen uns daher nicht an, das Brillante, das Saillante und Pikante durch einheimische Ausdrücke mit allen, auch den kleinsten Nebenbeziehungen, erschöpfend bezeichnen zu wollen […]“ (Heyse 1814, 91). Dennoch zeigt dieses Beispiel, wie wenig eindeutig zuweilen die Terminologie ist. Sie zwingt den Anwender zu umfassender Kontextschau.
Auswertung des Befundes
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Tab. 14: Gegenüberstellung der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung in Heyses Regelwerken 1814 und 1826 – 2. Regel. Regel 1814: Wenn aber fremde Wörter im Deutschen einheimisch und so allgemein bekannt worden sind, daß sie jeder auszusprechen versteht: so werden sie auch mit deutschen Buchstaben geschrieben, sie mögen nun wirklich schon, ihrer Aussprache gemäß, ganz auf deutsche Art buchstabirt werden […] oder noch nicht völlig deutsches Ansehen und deutschen Ton, folglich auch noch nicht das Bürgerrecht in der deutschen Orthographie erlangt haben […]. (Heyse 1814, 92)
Regel 1826: Manche fremden aber einheimisch gewordenen Wörter werden ihrer deutschen Aussprache gemäß geschrieben […], Andere behalten ganz, oder zum Theil ihre ursprüngliche Orthographie […]. (Heyse 1826, 46)
Die 1826 geschaffene Transparenz wird allerdings dadurch in ihrer Wirkung behindert, dass die Assimilationskriterien, die 1814 noch genannt werden, völlig fehlen, so dass dem Schreiber keine Anhaltspunkte zur Regelanwendung zur Verfügung stehen. Die Regel ist demnach eigentlich keine. Es fällt hier auf, dass in der explizit so bezeichneten „Schulgrammatik“ Heyses mehr Prägnanz und Kürze angestrebt wird. Wie gerade gesehen, ist dies nicht immer von Vorteil: Manchmal führt sie zur Unverständlichkeit oder Nichtanwendbarkeit der Regeln. Die nachgelieferten Assimilationskriterien (1814) sind auch hier „völlig deutsches Ansehen“ 152 und „deutsche[r] Ton“, die zusammen – eventuell noch mit weiteren Eigenschaften, die hier allerdings nicht genannt werden – das „Bürgerrecht in der deutschen Orthographie“ bilden (Heyse 1814, 92). Der Einbürgerungsbegriff fällt ebenfalls. Er entscheidet darüber, ob das betreffende Wort graphematisch assimiliert wird oder nicht. Allerdings erweist sich auch hier die Bestimmung der Begriffe „Ansehen“ und „Ton“ als schwierig, zumal die gegebenen Beispiele153 für und gegen eine Assimilation keine eindeutige Zuordnung zulassen. 152 „Ansehen“ ist mit „Aussehen“ gleichzusetzen, wobei Heyse die genaue Bestimmung des Aussehens schuldig bleibt: Mit deutschem Aussehen könnte die Suffixassimilation bzw. die flexivische Assimilation gemeint sein, allerdings auch das Vorhandensein deutscher PGB, womit wieder der Versuch, das Problem mit sich selbst zu klären, unternommen würde. Zieht man die Beispiele heran, wird die Bestimmung nicht eindeutiger. Deutsches Aussehen hat demnach z. B. das Wort Capitel, aber nicht das Wort Physik. In beiden hat eine Assimilation des Suffixes stattgefunden, beide sind flexivisch assimiliert, in beiden gibt es fremde PGB. Ähnlich sieht es aus, wenn das Kriterium des „deutschen Tones“ herangezogen wird. Sowohl Capitel als auch Physik sind fremd betont, beide haben allerdings keine fremden Laute bzw. Phoneme, obwohl Heyse sie in ihrem Einbürgerungsstatus voneinander scheidet. 153 Interessant sind bei dieser Regel die mitgelieferten Beispiele für „ganz auf deutsche Art buchstabirt[e]“ (Heyse 1814, 92) Wörter: Maschine, Scepter, studiren, Capitel, Termin. Nach der in dieser Arbeit vorgenommenen Analyse des Schreibusus würden alle diese Schreibweisen als nicht oder nur teilassimiliert aufgenommen werden, da sie die Nichtkennzeichnung des /i:/ und auch das für /k/ bzw. /ts/ als fremd annimmt. Heyses Beispielauswahl, die eine deutsche Schreibweise exemplifizieren soll, zeigt allerdings, dass es für die Assimilation von zu zumindest
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Ein weiteres untergeordnetes Assimilationskriterium ist die Spendersprache, denn Heyse bemerkt: „Alle diese [Wörter aus der Beispielaufzählung – Anm. A. Z.] und ähnliche Wörter“ aus der französischen und der italienischen Sprache, „dürfen nicht, so wie man sie ausspricht, geschrieben werden“ (Heyse 1814, 93). Dieses Kriterium hat allerdings nur beschränkt Gültigkeit, wie aus dem Attribut „diese und ähnliche“ geschlossen werden kann. Dass das Kriterium der Spendersprache erst hier erscheint und nicht in der ersten graphemübergreifenden Regel, hat vermutlich damit zu tun, dass es sich aus der ersten Regel ergibt, denn sehr häufig sind in französischen und italienischen Wörtern fremde Laute, Lautpositionen oder Akzente zu finden, seltener ist dies in Wörtern aus dem Lateinischen der Fall. Heyse schließt seinen allgemeinen Fremdwortregelteil mit einer Bemerkung ab, die darauf schließen lässt, dass der Autor kein Freund ausufernder Assimilationen ist. Dabei wird Heyse auch durchaus unsachlich und argumentiert widersprüchlich: Wenn der gemeine Mann sich mit fremden Wörtern im Sprechen und Schreiben auf eine sehr fehlerhafte Art herumschlägt, und z. B. Perspectiv in Speckpectiv, Director in Thierreckter […] verwandelt […]: dann lachen wir. – Ist es aber wohl weniger lächerlich, wenn wir gegen eine richtige Aussprache und noch mehr gegen die anerkannt richtige Abstammung und den darauf sich gründenden richtigern Schreibgebrauch Krist und Kristenthum, […] Kohr und Koral […] von Schriftstellern geschrieben finden? (Heyse 1814, 94)
Assimilierte Schreibweisen wie Krist und Koral entsprechen zwar nicht der Abstammung und auch nicht dem zeitgenössischen Schreibgebrauch, aber sehr wohl der richtigen Aussprache. Man kann zusammenfassend sagen, dass in seinem Regelwerk eine Zurückhaltung gegenüber Assimilationsversuchen deutlich wird. Problematisierungen zum Status von Wörtern, die sich zwischen den Polen befinden, unterbleiben. Die Schreibung der Fremdwörter wird bei Karl Ferdinand Becker nicht im Rahmen der Grundregeln der Orthographie besprochen, sondern in einem eigenen Regelteil zur Fremdwortschreibung. Auch Becker gehört mit seiner Schulgrammatik in die unmittelbare Nachfolge Adelungs. Becker beginnt seine Fremdwortschreibungsregelung sehr gebrauchsfreundlich mit einer Herleitung derselben aus den übergeordneten „Grundsätzen“ der Orthographie: Das Gesetz: Schreibe, wie du sprichst, ist im Allgemeinen auch der oberste Grundsatz für die Orthographie der fremden Wörter: wir schreiben daher nach deutscher Weise z. B. Pöbel, Zep-
in Silben, die nicht Wortstamm sind, offensichtlich noch kein Bewusstsein gab und auch die Verwendung des in deutschen Wörtern nicht in dem Maß als fremd angesehen wurde, wie es heute getan wird. Andererseits werden die folgenden Beispiele als Belege für nicht assimilierte Schreibweise angeführt: Exception, Concept, Consistorium, Decret, Republicaner. Die Eingruppierung des scheint folglich noch diffus zu sein. Vgl. dazu v. a. Kapitel 3.4.2.1.
Auswertung des Befundes
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ter und nicht nach der Weise der fremden Sprachen, aus denen diese Wörter herstammen: Peuple und Scepter. (Becker 1829, 408) 154
Er geht also – im Gegensatz zu Heyse – davon aus, dass auch die Fremdwörter graphisch zunächst wie heimische Wörter behandelt werden. Die Grundregel „Schreibe, wie du sprichst“ wird allerdings auch bei Becker eingeschränkt unter Berücksichtigung der Erfassungsfunktion der Orthographie. Die folgende Regel erinnert in ihrer Herleitung und Erklärung sowie im Appell an die Verständlichkeit sehr an Adelung: Bei einer unbedingten Anwendung dieses Grundsatzes würde aber sehr oft das Lautverhältnis des Wortes verfälscht, und sehr oft auch bei nicht verfälschtem Lautverhältnisse das Wort selbst unkenntlich gemacht werden. Das Lautverhältnis wird durch die deutsche Schreibweise verfälscht, wenn die nach dieser Weise bezeichneten Laute den Lauten des fremden Wortes zwar nahe kommen, aber doch von ihnen unterschieden sind z. B. in Schenie, Schurnal statt: Genie, Journal. Ein fremdes Wort wird durch die deutsche Schreibweise unkenntlich gemacht, wenn die Abkunft aus einer fremden Sprache, an welcher man das Wort und seine Bedeutung erkennt, durch die deutsche Schreibweise nicht mehr unterschieden wird z. B. in: Kor, For statt: Korps, Fort. (Becker 1829, 408)
Hierbei handelt es sich weniger um eine Regel denn um eine Zielformulierung zur Behandlung der Fremdwörter (Verständlichkeit und Lautidentifikation). Dennoch verbindet sich hiermit bereits die äußerst verständliche Darstellung eines nachfolgend genannten Assimilationskriteriums, so dass die folgende Regel weniger wie eine willkürliche Satzung anmutet. Beckers Regelung zur Fremdwortschreibung kann kurz wie folgt zusammengefasst werden: 1) Eingebürgerte Wörter, die heimische Laute aufweisen, werden assimiliert geschrieben. 2) Eingebürgerte Wörter, die fremde Laute aufweisen, behalten die spendersprachliche Schreibweise. 3) (Noch) nicht eingebürgerte Wörter, die heimische Laute aufweisen, werden assimiliert geschrieben, es sei denn, sie würden dadurch unkenntlich (unverständlich) gemacht. 4) (Noch) nicht eingebürgerte Wörter, die fremde Laute aufweisen, behalten die spendersprachliche Schreibweise. 5) Wörter griechischer und lateinischer Herkunft werden assimiliert geschrieben, abgesehen von den Graphemen , , und , die fast immer in der Weise der Spendersprachen geschrieben werden. (vgl. Becker 1829, 410 f.) 155
154 Es ist zu beachten, dass Becker Zepter schon assimiliert schreibt, wohingegen Heyse noch Scepter vorschreibt (vgl. oben). 155 Der Vergleich mit Beckers Schulgrammatik 1832 zeigt: Die Regeln sind dieselben (Becker 1832, 228 ff.), doch auch hier wird Kürze angestrebt, die zuweilen Antworten auf Fragen unterschlägt, die dem Schüler nützlich sein könnten, z. B. was unter der Verfälschung der Lautverhältnisse zu verstehen sei (Becker 1829, 408). Möglicherweise erklärt sich dies damit, dass dem Schüler für Auslegungen des gängigen Regelwerks jederzeit der Lehrer im Unterricht zur Verfügung steht (vgl. z. B. Koliwer 1992, 340).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Vor die Nennung dieser Regeln stellt Becker in seiner Grammatik Erklärungen und terminolgische Unterscheidungen, die die Grundlage für die Regeln bilden. Erstens können nur dann heimische Phonographeme entstehen, wenn auch die Phoneme heimisch sind. Es ist besonders hervorzuheben, dass Becker hier nicht allgemein vom „Ton“ spricht, wie dies in den vorangegangenen Grammatiken der Fall war, sondern von „Lauten“ und „Lautverhältnissen“. Das Assimilationskriterium ist also eindeutig bestimmt: Fremde Laute156 können mit heimischen Graphographemen nicht dargestellt werden. Zweitens wird die Rezeption vieler Fremdwörter nach Becker dadurch erleichtert, dass sie als fremd wiedererkannt werden, so dass die Bedeutung leichter zugeordnet werden kann (Becker 1829, 408 f.). Dieses Verständlichkeitsargument findet man so ähnlich bei Adelung (vgl. oben). Diese Hauptkriterien führt Becker zwei Abschnitte danach in einer Anmerkung noch ausführlicher aus, z. B. erklärt er, dass die deutsche Sprache nicht die Möglichkeit nutzt, „die aufgenommenen fremden Wörter […] unbedingt in Aussprache und Betonung den Eigenthümlichkeiten der Sprache“ anzupassen (Becker 1829, 409), weshalb sehr oft fremde Laute durch deutsche Grapheme bezeichnet werden müssen, welche sie „vermöge ihrer Bedeutung in der deutschen Sprache eigentlich nicht bezeichnen können“ (Becker 1829, 409 f.), z. B. in Page und Journal. Außer der Fremdheit der Laute und der Unkenntlichkeit eines Wortes „ist aber kein Grund vorhanden, ein fremdes Wort nach fremder Weise zu schreiben“ (Becker 1829, 410). Im folgenden Abschnitt seiner Grammatik erläutert er eine weitere Unterscheidung, die aus den vorangegangenen Grammatiken bereits bekannt ist: eine Unterscheidung in eingebürgerte und nicht eingebürgerte Fremdwörter (Becker 1829, 409). Er verknüpft diese Unterscheidung mit seinen Kriterien der Lautung und der Verständlichkeit. Die Einbürgerung als Assimilationsfaktor steht hier also nicht an übergeordneter Stelle, sondern rangiert nach der Lautung, die sich letztlich als der entscheidende Faktor präsentiert. Eingebürgerte Wörter werden ex negativo bestimmt dadurch, dass Becker nicht eingebürgerte Wörter als solche definiert, die „nur in der Sprache des künstlich gebildeten Lebens oder in der Sprache besonderer Wissenschaften, Künste u.s.f. Eingang gefunden haben“ (Becker 1829, 409). Dies entspricht also dem Fachwortschatzkriterium, das auch schon bei Adelung zu finden war. Und zwar geht es auch Becker hier nur um diejenigen Wörter, die ausschließlich fachsprachlich gebraucht werden. Becker verbindet mit dem fachsprachlichen Gebrauch gleichzeitig eine weitgehende Unbekanntheit im allgemei-
Ein Vergleich mit Heyse zeigt, dass es sich hier um eine andere Qualität der Verkürzung handelt: Die Assimilationskriterien werden in Beckers Schulgrammatik nur kürzer erklärt. Bei Heyse fehlen sie letztlich vollkommen. 156 Mit fremden Lauten meint Becker hier vor allem französische Laute: Nasalvokale, /ʒ/, fremde Phonemkombinationen, die – phonemisch assimiliert – folgendermaßen darstellbar sind /iɛ/ und /nj/ (Becker 1829, 411).
Auswertung des Befundes
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nen Sprachgebrauch (Becker 1829, 410), so dass die Häufigkeit des Gebrauchs auch zum Assimilationskriterium wird.157 Der Einbürgerungsstatus bestimmt sich hier ausschließlich über das Fachwortschatz- bzw. Bekanntheitskriterium, denn auch Wörter, deren Lautverhältnisse nicht den deutschen Lautverhältnissen entsprechen, können eingebürgert sein (Becker 1829, 409). Eine weitere für die Regelung der Fremdwortschreibung relevante, aber untergeordnete Unterscheidung betrifft die Spendersprache: „Man muß endlich bei den fremden Wörtern unterscheiden, ob sie aus den ältern – der lateinischen und griechischen – oder aus den neuern Sprachen zu uns gekommen sind“ (Becker 1829, 409). Sie ist Grundlage für die oben von mir mit der Zahl 5 bezeichneten Regel. Dies ist eine spezielle Zusatzregel, die nicht ganz in den Entscheidungsalgorithmus zu passen scheint, wird hier doch die Spendersprache zum Assimilationskriterium. Allerdings referiert Becker damit auf das schon genannte lautliche Kriterium: Da wir den griechischen und lateinischen Buchstaben im Allgemeinen dieselben Laute beilegen, welche entsprechende Buchstaben in der deutschen Sprache bezeichnen […]; so ist kein Grund vorhanden, Wörter griechischer und lateinischer Abkunft nicht unbedingt nach deutscher Weise zu schreiben. (Becker 1829, 410)
Es handelt sich also eher um eine spezifizierte Unterregel, bei der das Assimilationskriterium der Spendersprache sich als ein indirektes darstellt. Da die fremden Laute weniger aus der griechischen und der lateinischen Sprachen kommen, sondern eher aus den neuen europäischen Sprachen und auch bei ersteren die PGB weitestgehend übereinstimmen, werden griechische und lateinische Wörter eher assimiliert als Wörter aus anderen Sprachen.
157 Becker hat schon in der Einleitung seiner Grammatik den Begriff „Bürgerrecht“ eingeführt, allerdings nicht im Zusammenhang mit orthographischen Überlegungen zu den Fremdwörtern. Der Begriff „Bürgerrecht“ bezieht sich im Vergleich zum Begriff „Einbürgerung“ auf das Existenzrecht der Lexeme im Deutschen. Wörter aus fremden Sprachen, „welche zugleich mit einem fremden Begriffe in die Sprache übergegangen sind, wie […] z. B. F a s a n , K a n i n c h e n , S a l p e t e r , M i k r o s k o p , B a r o m e t e r , K a n o n e […]“ (Becker 1829, 38), haben einen festen Status im deutschen Wortschatz und sind daher als Wörter mit Bürgerrecht zu betrachten. Ähnlich verfährt er mit Wörtern, die zunächst scheinbar grundlos aufgenommen, da lediglich als Synonyme zu bereits vorhandenen Wörtern verwendet wurden, die dann allerdings eine eigenständige Bedeutungsentwicklung aufweisen können, z. B. Pöbel, Offizier, Pulver, marschiren. Auch ihnen ist das Bürgerrecht nicht abzusprechen. Anders wertet Becker „eine dritte Art von fremden Wörtern, für deren Aufnahme kein Grund vorhanden ist, indem für die Begriffe, welche sie ausdrücken, auch völlig gleichbedeutende und gut gebildete deutsche Wörter vorhanden sind, z. B. T a n t e , O n k e l , R e v u e , V i s i t e , P a r a s o l , T a b a t i e r e , R e z i d i v, K a p i t ä n , P o r t i e r , A k t e u r , A m b i t i o n u. m. A. Wörter dieser Art sind als eingedrungene Fremdlinge und der Gebrauch derselben als eine Verunreinigung der Sprache anzusehen“ (Becker 1829, 38). Bereits an dem nicht wesentlich differierenden Assimilationsstatus der Beispiele in den verschiedenen Gruppen lässt sich nachweisen, dass dieser Begriff des Bürgerrechts keinerlei Relevanz bei der Regelung der Fremdwortschreibung hat.
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Letztlich ist es also nicht der Einbürgerungsstatus, der über eine Assimilation entscheidet, sondern Beckers bereits zu Anfang genanntes Hauptkriterium der heimischen oder fremden Lautung, welches absoluten Vorrang genießt. So entsteht bei Becker ein theoretisch gut fundierter Entscheidungsalgorithmus – ähnlich wie bei Adelung – der allerdings auch hier im Einzelfall Fragen aufwirft. Beispielsweise ist unklar, wie Becker den Unkenntlichkeitsfaktor letztlich bestimmt, der ausschlaggebend ist in Regel 4. Becker verweist allerdings auch darauf, dass es keine einheitliche, in sich völlig stimmige Fremdwortschreibungsregelung geben kann:158 Da es nun nicht möglich ist, für jeden besondern Fall zu bestimmen, ob ein Wort jetzt noch dieser Auszeichnung [der Fremdheit – Anm. A. Z.] bedürfe oder nicht ; so ist es unvermeidlich, daß die Orthographie der fremden Wörter im Besondern vielfältig unbestimmt bleibe. (Becker 1829, 410)
Es muss ebenfalls hinzugefügt werden, dass jede Regel mit vielen Beispielen versehen sind, die der Regel ganz offensichtlich gehorchen, was keine Selbstverständlichkeit ist (vgl. Heyse, s. o.). Das erleichtert dem Nutzer den Umgang mit selbigen. Besonders herausragend ist die vorgenommene Zuordnungsproblematisierung, die erstmals seit Adelung wieder so direkt zu finden ist. Aufgrund seines Wissenschaftsverständnisses ist es nicht verwunderlich, dass Jacob Grimm in seiner deutschen Grammatik gar keine Regeln im Sinne von Handlungsanweisungen geben will. Er versteht sein Werk als ein wissenschaftliches (Grimm 1819, XI). Ein größeres orthographisches Werk hat Grimm nie verfasst, dennoch gibt es in seiner Grammatik Abschnitte zur Schreibung. Das entscheidende Kapitel ist allerdings erst in der zweiten Auflage Bestandteil derselben. „Von den Buchstaben“ lautet das Kapitel, das eigentlich keine Buchstaben-, sondern eine Lautlehre darstellt.159 Dass Grimm die Fremdwortschreibung in seiner Grammatik mit keiner Silbe erwähnt, scheint zunächst erstaunlich, da erwartbar wäre, dass sich die Historiker im Sinne einer historisch ausgerichteten Orthographie ausdrücklich gegen die Assimilation der Fremdwörter wenden. Die Erforschung der Geschichte der deutschen Laute und ihrer graphischen Darstellung in heimischen Wörtern, die ja noch am Beginn steht, lässt aber offensichtlich keinen Platz für die Thematisierung der
158 Becker hatte bereits zu Beginn des Orthographiekapitels darauf verwiesen, dass das „Gesetz des Schriftgebrauches“ (Becker 1829, 399) besonders bei fremden Wörtern greift. 159 In diesem Abschnitt werden die einzelnen Laute und ihre historische Entwicklung dargelegt, meist schließen sich – allerdings unreflektiert – Abschnitte zur graphischen Realisierung der Laute an oder sie mischen sich ein, so dass häufig keine saubere terminologische Differenzierung von Laut und Buchstabe erkennbar ist (z. B. Grimm 1822, 446). „Wenn J. Grimm im Rahmen der Lautlehre Lautung und Schreibung vorerst undifferenziert behandelt, so entspricht dies durchaus seinen Idealvorstellungen, daß nämlich die beiden alternativen Formseiten der Sprache ‚völlig auszugleichen‘ […] seien“ (Nerius/Möller 1983, 121).
Auswertung des Befundes
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Lautrealisierungen in Fremdwörtern, lediglich graphembezogene äußerst kurze Abschnitte finden sich bei Grimm, die allerdings nicht den Charakter von Regeln haben. Auch 1854 noch ist Grimm so mit der Reform der Schreibung deutscher Wörter beschäftigt, dass im Vorwort zu seinem Wörterbuch, das Grimms Reformvorschläge enthält, keine übergreifende Regel oder Bemerkung zur Fremdwortschreibung bzw. etwa zu einer Reform derselben stehen. Ein weiterer wichtiger Vertreter der historischen Richtung ist Karl August Julius Hoffmann. Er ist als Verfasser einer Schulgrammatik in Erscheinung getreten, die zumindest in zweiter Auflage wichtig wird für die Regelung der Fremdwortschreibung. In der ersten Auflage spielt sie keine nennenswerte Rolle, wie auch der Orthographie im Allgemeinen nur fünf Seiten des 252 Seiten starken Werkes gewidmet sind. Hoffmann führt lediglich einige graphembezogene Regeln an, eine übergreifende Fremdwortregel ist nicht zu finden. Unter den untersuchten historisch geprägten Grammatiken ist Hoffmanns zweite Auflage der Schulgrammatik die erste, die eine allgemeine übergeordnete Regel zur Fremdwortschreibung aufstellt. Sie korrespondiert mit dem historischen Prinzip: Die Wörter, welche aus fremden Sprachen stammen, werden auch im Deutschen am besten so geschrieben, wie sie in den fremden Sprachen geschrieben werden. So z. B. Philosophie, nicht aber Filosofie; Declination, nicht aber Deklinazion; Accent, nicht aber Akzent. (Hoffmann 1853, 20)
Abgesehen davon, dass es sich bei dieser Regelformulierung eher um eine Empfehlung handelt („am besten so geschrieben“), mangelt es ihr ebenfalls an einer Differenzierung verschiedener Fremdworterscheinungen: Eine Differenzierung etwa zwischen Fremd- und Lehnwort gibt es nicht. Für alle Wörter, die aus fremden Sprachen stammen, wird eine Gleichbehandlung vorgeschlagen: alle sind nach der Weise der Gebersprache zu schreiben.160 Gemeinsam mit Hoffmann befindet sich Ludwig Ruprecht in der Kommission zur Erarbeitung der hannoverschen Schulorthographie. Er gehört ebenfalls der historischen Schule an, hat aber auch einen schulpraktischen Hintergrund, weshalb Ruprecht sich in Bezug auf die Orthographie nur in einzelnen Schwankungsfällen an das historische Prinzip hält (Schlaefer 1980a, 289) und sonst im Allgemeinen – speziell bei der Schaffung des hannoverschen Regelwerks – dem Schreibusus folgt (Bramann 1982, 112). Ruprecht gliedert die allgemeine Regelung der Fremdwortschreibung aus dem Hauptteil des Werkes aus und bespricht sie im „Anhang“. Die Fremdwortschreibung gehört damit zu den Regelungsbereichen, „die zum Theil nur Äußerlichkeiten
160 Er befolgt die Regel jedoch selbst in seinem Sprachgebrauch nicht konsequent, wie an Beispielen wie Kapitel (Hoffmann 1852, 12) sichtbar wird.
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betreffen zum Theil von wißenschaftlichem Standpunkte aus sich nicht entscheiden laßen“ (Ruprecht 1854, 47). Die Grundannahme Ruprechts bezüglich der Fremdwortschreibung weicht scheinbar nicht von der Hoffmann’schen Regel ab, Fremdwörter stets spendersprachlich zu schreiben. Der letzte Teilsatz allerdings bringt eine zweite Komponente ins Spiel: Ueber die Schreibung der Fremdwörter ist jetzt nur wenig Meinungsverschiedenheit; mögen auch Sonderlinge sich darauf steifen sie wie deutsche Wörter möglichst nach der Aussprache zu schreiben, mögen einige nach dem Vorgange des Italienischen die Buchstaben y, ph, th aus den griechischen Wörtern bannen, so dürfen wir doch als allgemein anerkannten Grundsatz annehmen daß sie so geschrieben werden, wie sie in der fremden Sprache geschrieben wurden oder wie sie sich in der unsrigen entwickelt haben. (Ruprecht 1854, 48)
Zunächst könnte man annehmen, auch Ruprecht lasse ausschließlich die fremdsprachliche Schreibweise zu. So verhält es sich allerdings nicht. Seine Kritik bezüglich assimilierter Schreibung richtet sich an radikalere phonetische Reformversuche von „Sonderlinge[n]“ (Ruprecht 1854, 48). Auch Ruprecht nimmt – wie die Vertreter der traditionellen Richtung – eine Unterscheidung in Bürger und NichtBürger vor. Er definiert sie allerdings nicht genauer. So bleibt es unklar, ob mit Bürgern nur Wörter gemeint sind, die „schon im Mittelhochdeutschen eingedrungen sind“ (Ruprecht 1854, 48) oder auch später entlehnte Lexeme, die „je länger sie da sind und je mehr sie im Volksleben gebraucht werden, sich mehr und mehr den Klang, die Betonung und selbst die Bildung deutscher Wörter angeeignet haben“ (Ruprecht 1854, 48). Gangbarkeit, deutscher Klang, deutsche Betonungsverhältnisse und deutsche „Bildung“ 161 sind also Gründe dafür, dass Fremdwörter auch assimiliert geschrieben werden. Ruprecht problematisiert den schwer einzuschätzenden Kandidatenstatus der Fremdwörter, indem er vier Fremdwortstufen entwirft. Diese Stufen liefern allerdings keine für den Schreiber anwendbare Regel zur Entscheidung, ob assimiliert geschrieben werden soll oder nicht. Vielmehr zeigen sie die Assimilationsstufen der Fremdwörter anhand der Faktoren Aussprache und Schreibung auf:
161 Leider liefert Ruprecht weder für „Klang“ noch für „Bildung“ eine Definition. Da die „Betonung“ als Faktor allerdings schon genannt wird, kann sich „Klang“ eigentlich nur auf die Laute bzw. Lautpositionen oder Lautkombinationen beziehen. „Bildung“ wird sich als Wortbildung verstehen lassen.
Auswertung des Befundes
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Tab. 15: Assimilationsstufen der Fremdwörter bei Ruprecht (nach Ruprecht 1854, 49).
1. Stufe z. B. Kissen, Kutsche 2. Stufe z. B. imaginär, Manchette 3. Stufe z. B. moquant, Officier 4. Stufe z. B. nonchalant, Pardon
heimische Aussprache
assimilierte Schreibung
+
+
–
+
+
–
–
–
Die vierte Gruppe bilden die Fremdwörter, die noch keinerlei Assimilationsprozess hinter sich haben: „das unveränderte Fremdwort […], welches sogar, wenn es von dem Schreibenden ganz neu eingeführt ist, zuweilen mit lateinischen Lettern geschrieben wird“ (Ruprecht 1854, 49). Er führt also an, dass der Antiquaschrifttyp bei neu übernommenen, gegenüber der Spendersprache völlig unveränderten Fremdwörtern benutzt wird; von einem Bezug zum Zitatwortcharakter dieser Wörter ist nicht die Rede. Ruprecht nennt zwar Assimilationsfaktoren, resümiert allerdings schließlich, dass die Fremdwortschreibung jeglicher Konsequenz entbehrt, weshalb sie auch mit der Wissenschaft allein nicht zu regeln sei (Ruprecht 1854, 48). Hier weicht Ruprecht tatsächlich von der historischen Grundlage zugunsten des Gebrauchs ab. Er findet jede Regelung der Fremdwortschreibung unnötig. Das vermag vielleicht auch die Positionen der anderen Historiker erklären, die z. T. gar keine übergreifende Regel aufstellen und sich mit Bemerkungen zu einzelnen Wörtern bzw. Graphemen begnügen. So zieht Ruprecht folgendes Fazit: Für uns geht hieraus hervor daß wir in der Schreibung der Fremdwörter keine Consequenz zu suchen brauchen sondern sie unbedenklich so nehmen können, wie sie sich ein jedes nach seinem Alter und seinen besondern Schicksalen in unserer Sprache ausgeprägt haben, kurz daß wir hier am Richtigsten ganz dem herkömmlichen Gebrauch folgen. (Ruprecht 1854, 49)
Es bedarf in jedem Fall der Erwähnung des Grundsatzartikels von Karl Weinhold, der für die historische Orthographiereform programmatisch geworden ist, auch wenn er sich in Hinblick auf die Fremdwortschreibung nicht als besonders ergiebig erweist. Weinhold prüft in seiner Schrift orthographische Problembereiche auf Übereinstimmung mit dem historischen Prinzip: „Schreib wie es die geschichtliche Fortentwickelung des neuhochdeutschen verlangt“ (Weinhold 1852, 95). Der Bereich der Fremdwortschreibung scheint dem Historiker allerdings keine Probleme zu bereiten, da er keine Reformvorschläge liefert, sondern die „gewönliche Regel“ (Weinhold 1852, 127) nach Becker wiedergibt. Die gewönliche [sic!] Regel gebietet dieselben, sobald sie in der deutschen Sprache eingebürgert sind, nach deutscher Laut- und Tonregel zu sprechen und zu schreiben. […] In Worten
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
dagegen welche noch nicht eingebürgert und deren Lautverhältnisse den deutschen nicht anbequemt sind, ist die fremde Schreibweise treu widerzugeben. (Weinhold 1852, 127 f.)
Einbürgerungsstatus und Lautqualität entscheiden auch hier über das Stattfinden oder das Ausbleiben einer graphematischen Assimilation. Weitere Problematisierungen von Zwischenkandidaten und eine Definition der eingebürgerten Wörter fehlen. Ableitbar ist, dass die formalstrukturellen Aspekte nicht als Merkmale der Einbürgerung verstanden werden, da assimilierte Aussprache, Betonung und Schreibung als Konsequenz von Einbürgerung dargestellt werden (Weinhold 1852, 127). Insofern bezieht sich der Begriff vermutlich auf andere Integrationsaspekte wie Gebrauchshäufigkeit, Wortschatzzugehörigkeit etc. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass der Begriff von Weinhold einfach recht unreflektiert benutzt wurde. Das historische Prinzip scheint mit Blick in die Schriften der historischen Schule nicht auf die Fremdwortschreibung anwendbar zu sein, wie sich auch mit einem Blick in die „letzte[n] groß angelegte[n] Arbeit historischer Rechtschreibreformer“ (Bramann 1982, 81) feststellen lässt. Karl Gustav Andresens „Ueber deutsche Orthographie“ ist streng genommen auch kein Regelwerk, ebenso wenig wie Weinholds Grundsatzartikel mit Orthographiereformvorschlägen. Andresens Werk ist eher ein Kommentar, eine Reflexion des Zustandes der deutschen Schreibungsnorm. Es ist das erste und einzige Werk aus der historischen Schule der hier betrachteten, das ein eigenes umfassendes Kapitel zur Fremdwortschreibung aufweist. Andresen reflektiert – mit Verweis auf die Regel bei Weinhold – sehr ausführlich das übliche Kriterium zur Fremdwortassimilation: den Einbürgerungsstatus: Die bekannte eintheilung aller fremdwörter in eingebürgerte und nichteingebürgerte scheint für die orthographie das einfache gesetz zu ergeben jene nach deutschen lautregeln zu bezeichnen, für diese die fremde schreibung zu behalten. Wer aber vermag bei jedem einzelnen worte mit bestimmtheit zu entscheiden, ob es eingebürgert ist oder nicht? (Andresen 1855, 147)
Damit hat er das Kernproblem der Fremdwortschreibung erfasst, das sich bereits in der Regelung der traditionellen Grammatiker herauskristallisiert hat. Zur Definition der Einbürgerung zieht Andresen eine Bestimmung Beckers heran, anhand derer er das Zuordnungsproblem weiter ausführt: Wenn also die Fremdwörter durch häufigen Gebrauch geläufig geworden sind und auch deutsche formalstrukturelle Merkmale aufweisen, dann seien die Wörter eingebürgert. Nach einer ausführlichen Beispielauflistung geht Andresen auf die Problemfälle ein, nämlich auf Wörter, die nicht alle sondern nur einige dieser Einbürgerungskriterien erfüllen: Es gibt indessen eine große menge von wörtern vorzüglich aus den neueren sprachen, welche auch der volkssprache geläufig sind und weder in dieser noch in der sprache der gebildeten durch eigentlich deutsche ersetzt zu werden pflegen, ohne daß ihre schreibung, wozu doch das bedürfnis hätte treiben können, bis jetzt deutscher weise gefolgt wäre […]; und wieder andere, denen obwol sie theils der volkssprache als mehr oder minder unbekannt gelten theils
Auswertung des Befundes
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sehr leicht durch deutsche entbehrlich gemacht werden können, deutsche schreibung widerfahren ist. […] Beide arten von fremdwörtern stehen sich gewissermaßen gegenüber und erfüllen je eine der beiden genannten bedingungen des bürgerrechts, während die andere zurückbleibt. Wie soll nun über sie geurtheilt werden? (Andresen 1855, 149)
Für gewöhnlich würde man der ersteren Gruppe (bekannte, formal aber nicht assimilierte Wörter) den Einbürgerungsstatus absprechen, der zweiteren Gruppe eher nicht, weil „hier unterordnung unter deutsche lautverhältnisse zu erkennen ist“ (Andresen 1855, 149). Gegen diese Zuordnungen, die die Kriterien zur Bestimmung des Einbürgerungsstatus infrage stellen würden, wehrt sich Andresen und plädiert für mehr graphematische Assimilation bei Wörtern, die auch sonst schon sehr bekannt und gebräuchlich sind. Der assimilierten Form sei gegenüber der spendersprachlichen Form „ein so entschiedenes übergewicht zu verschaffen, daß sie die andere verdrängt“ (Andresen 1855, 151). So empfiehlt er sogar – unter Verweis auf die bereits im Mittelhochdeutschen existenten Formen – die Schreibungen karakter, krist und kronik (Andresen 1855, 152). Der Gebrauch könne hier außerdem nicht entscheidend sein, da er sich selbst ständig weiterentwickle (Andresen 1855, 149). Es sei äußerst bedauerlich, dass es im Deutschen versäumt wurde, „bei zeiten“ „fremde wörter eigenen lautgesetzen möglichst zu unterwerfen“ (Andresen 1855, 151), wie dies in anderen Sprachen geschehen sei. Dann wäre das Zuordnungsdilemma nicht existent (Andresen 1855, 151). Auch hier überrascht die assimilationszugewandte Einstellung, die von den Historikern – ihrem übergeordneten historischen Prinzip entsprechend – nicht erwartet wurde. Andresen spricht sich deutlich gegen die „richtung in der deutsche sprachwißenschaft“ aus, „welche gerade der entgegengesetzten ansicht ist und es liebt die fremdlinge sogleich herauszukennen und zu unterscheiden“ (Andresen 1855, 150). Allerdings wendet sich seine Kritik wohl eher an Puristen, die versuchen, Fremdwörter durch die Beibehaltung ihres fremden Aussehens als verwerflich zu stigmatisieren. In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen weitere theoretische Schriften und Regelwerke einzelner Autoren, die z. T. wegweisend für die Entwicklung in den Schulorthographien bzw. allgemein auf dem Weg zur amtlichen Orthographie werden. Die Grammatik Bauers und der „Katechismus der deutschen Orthographie“ von Daniel Sanders gehören dabei genauso wie die frühen Schriften des Reformers Rudolf von Raumer in die Untersuchung der Regelung zur Fremdwortschreibung.162 Friedrich Bauer erwähnt die Fremdwortschreibung in seiner Grammatik nur vereinzelt in den Kapiteln zur Schreibung der Vokale und Konsonanten im Deutschen. Ein eigenes Fremdwortkapitel bzw. eine eigenständige Regel zur Fremd-
162 Die ersten Schriften von Raumers sind eher theoretischer Natur, werden aber trotzdem mit einbezogen, sofern sie etwas zur Fremdwortschreibung sagen, wenngleich dies in den meisten Fällen keine Regeln sind.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
wortschreibung gibt es nicht. Das ist eine Besonderheit gegenüber allen bislang untersuchten Grammatiken. Allerdings hat Bauer auch insofern eine Sonderstellung inne, als er eine Schulgrammatik im traditionellen Sinn produziert, aber selbige nutzen will, die Ergebnisse der historischen Schule „in einer dem Bedürfniß und der Fassungskraft der Jugend angemeßenen Form der Schule zugänglich zu machen und damit einen kleinen Beitrag zu liefern, daß das Studium unserer Muttersprache mit größerer Lust, mit mehr Eifer und Nutzen als bisher vielfach geschehen ist, möchte betrieben werden“ (Bauer 1854, III). Vielleicht ist es seiner Orientierung an der historischen Schule geschuldet, dass er eine Regelung der Fremdwortschreibung nicht als notwendig erachtet. Wie gerade gesehen, ist sie in vielen Publikationen der Historiker kein bzw. nur ein sehr unterbelichtetes Thema. Dass Daniel Sanders von sich selbst auch als Historiker spricht, wurde bereits erwähnt. Sein von Grimm und Weinhold abweichendes Verständnis einer Fortentwicklung der Sprache führt allerdings dazu, dass er „den allgemeinen Gebrauch unbedingt als Richtschnur“ (Sanders 1856, VII) anerkennt. Sanders erklärt ausdrücklich, Reformvorschläge nur in den Fällen vorzunehmen, in denen es nachweislich Schwankungen im Usus gibt. Ein Kapitel, in dem die Fremdwortschreibung explizit graphem- bzw. einzelwortübergreifend geregelt werden soll, findet man in Sanders’ Katechismus nicht. Das ergibt sich aus dem Aufbau dieses orthographischen Regelwerks: Sanders geht nach einem einführenden Kapitel in seiner Gliederung von den Lauten aus,163 deren graphemische Realisierung er in den einzelnen Kapiteln darlegt. Der Abschnitt „Von c in seinem Verhältniss zu k und z“ enthält allerdings eine allgemeingültige Fremdwortregel, die auch die Zitatwortproblematik berührt: Aus den Beispielen ersieht man schon, dass Fremdwörter außer dem Uebergang des c in k nach der Weise der Ursprache geschrieben werden müssen (z. B. die franz. Kanaille, Kognak, Korps, Koeur, Kousin rc.); es versteht sich ferner wohl von selbst, dass, wenn nicht ein einzelnes Fremdwort, sondern eine ganze Redensart oder ein ganzer Satz in der fremden Sprache angeführt wird, c nicht in k umgewandelt werden darf, wie man dann auch statt der deutschen Lettern die fremden (lateinischen) anzuwenden hat, also z. B. Kondition, konditionieren rc., aber: Das ist die conditio sine qua non u. ä. m. (Sanders 1856, 82)
Sanders geht offenbar von der Fremdschreibung als Norm aus und verweist nur für das Fremdgraphem auf die Möglichkeit der Assimilation. Darüber hinaus stellt er dar, dass Mehrgliedrigkeit offenbar ein Kriterium ist, fremde Wörter, Wortgruppen und Redewendungen als spezifisch fremd anzusehen, nach fremden Pho-
163 Die Gliederung nach Lauten wird nicht ganz konsequent durchgeführt, was sichtbar wird an Überschriften wie z. B. „Von ie. […] Fr. Wo wird ie angewendet“ (Sanders 1856, 44). Manchmal sind es auch Buchstaben oder Buchstabenkombinationen, die die Gliederung bestimmen. Dieser terminologisch wenig differenzierte Umgang mit Lauten und Buchstaben ist auch schon früher nachweisbar (s. o.).
Auswertung des Befundes
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nem-Graphem-Beziehungen darzustellen und in Antiquaschrift zu drucken („ganze Redensart oder ein ganzer Satz“ [Sanders 1856, 82, vgl. auch Sanders 1873, 5]). Um ein Bild von Sanders’ Regelung zur Fremdwortschreibung zu entwerfen, müssen also die Abschnitte zu den einzelnen Fremdgraphemen analysiert werden. Ähnliches gilt auch in Bezug auf seinen wesentlich später erschienenen Regelungsvorschlag „Vorschläge zur Feststellung einer einheitlichen Rechtschreibung für Alldeutschland“ (Sanders 1873): Unterschiede zeigen sich erst in der Analyse der Regeln und Bemerkungen zur Schreibung der einzelnen Fremdgrapheme. Auch in den frühen Schriften Rudolf von Raumers164 sind keine Äußerungen zu einer allgemeinen Fremdwortregelung zu finden. Das ist insofern verständlich, als von Raumer in seinen Artikeln zunächst vor allem reagiert – und zwar auf das historische Reformkonzept. Von Raumer entwickelt daraufhin ein Orthographiereformkonzept auf Grundlage des phonetischen Prinzips.165 Da auch hier zunächst die Schreibung deutscher Wörter im Vordergrund steht, ist es erklärlich, dass nur zu wenigen Fremdgraphemen einige kurze Bemerkungen gemacht werden (von Raumer 1863, 182).166 In die Gruppe der nichtstaatlichen Regelungsversuche in der „amtlichen Phase“ (1855–1902) gehört auch die Orthographielehre des gemäßigten Reformers Franz Linnig. Seine Regelung der Fremdwortschreibung geht, wie viele andere vor ihm auch, von einer Unterscheidung in eingebürgerte und nicht eingebürgerte Fremdwörter aus. „[G]anz eingebürgerte“ Fremdwörter sind solche, die sich formal nicht mehr von deutschen Wörtern unterscheiden (Linnig 1869, 89) und demnach auch assimiliert zu schreiben sind. Welche Aspekte der formalen Anpassung Linnig hier genau meint, bleibt offen. Anhand der beigegebenen Beispiele lässt sich erahnen, dass zumindest mehr als nur heimische Betonung und Laute gemeint sind. Doch nicht nur die formal vollständig assimilierten Fremdwörter unterliegen den heimischen PGB, sondern auch jene, die „sich nur noch durch den Ton von deutschen Wörtern unterscheiden“ (Linnig 1869, 90). Der Terminus des „Tons“ ist hier durch die nachfolgenden Beispiele Offizier, Regiment, General, Admiral, Armee, Klavier, Schaffot, Rezept, Respekt eindeutig als Akzent, als Betonung zu verstehen. Sollte neben dem fremden Akzent noch eine weitere formale Fremdheit – explizit nennt er die des fremden Lauts – hinzutreten, dann ist nicht die assimilier-
164 Die größte Bedeutung kommt dabei seiner Schrift „Ueber deutsche Rechtschreibung“ zu, die den gleichen Titel trägt wie die Abhandlung von Weinhold und auch als eine explizite Reaktion darauf gemeint ist. 165 Richtiger müsste es eigentlich phonologisches bzw. phonematisches Prinzip lauten, da im heutigen Verständnis nicht die Laute, sondern die Phoneme zur Grundlage der Schreibung gemacht werden (Raumer 1863, 119). 166 Die weiteren Schriften von Raumers umfassen v. a. die Dokumente zur I. Orthographischen Konferenz und werden dementsprechend im nachfolgenden Kapitel behandelt.
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te Schreibweise zu wählen. So jedenfalls könnte die Interpretation des dritten Regelsatzes lauten, wären nicht die nachfolgenden Beispiele dazu aufgeführt: Collegium, College, Examen, Exempel, Person, Subject, Doctor, Appetit, Plebs (Linnig 1869, 90). In vielen dieser Beispiele sind sowohl die Laute als auch die Wortbildungsstruktur an das Deutsche angepasst. Einzig der Akzent liegt in den meisten Beispielen nicht auf der Stammsilbe, demzufolge müssten diese Wörter eigentlich der zweiten Regel zuzuordnen sein: Die heimischen PGB sollen auch bei den Wörtern Anwendung finden „die sich nur noch durch den Ton von deutschen Wörtern unterscheiden“ (Linnig 1869, 90). Linnig führt seine Regeln demnach selber nicht konsequent durch. Von der Inkonsequenz abgesehen, geht aus der Regelung hervor, dass das Hauptassimilationskriterium letztlich wieder ein lautliches ist. Damit liegt der Fremdwortschreibung Linnigs bei allen gemachten Einschränkungen eine durchaus tragfähige Unterscheidung zugrunde, definiert über rein formale Merkmale auf der lautlichen Ebene: Die Fremdheit des Lauts und des „Tones“ wird zum Assimilationskriterium und entscheidet über den Bürgerstatus des betreffenden Wortes. Ein besonders wichtiger Vertreter der phonetischen Richtung, der einem allmählichen Reformprozess zugeneigt ist, ist Konrad Duden. Auch die Reform der Fremdwortschreibung ist ein Anliegen Dudens, und er verweist im theoretischen Teil seines weit rezipierten Werk „Die deutsche Rechtschreibung“ 167 auf den fortschrittlichen Vorschlag des Historikers Andresen (vgl. oben), der zu mehr graphematischer Assimilation bei Fremdwörtern rät: „Wir beklagen es mit ihm, daß die neuhochdeutsche Schriftsprache so zaghaft ist in der Assimilirung der Fremdwörter und an der fremden Schreibung noch festhält, wo die fremde Aussprache längst der deutschen hat weichen müssen“ (Duden 1872, 39). Beispielgebend nennt Duden Lieutenant und Compagnie, so dass davon ausgegangen werden kann, dass Duden die lautliche Veränderung meint und sich mit der „fremden Aussprache“ nicht – bzw. nicht ausschließlich – auf den Akzent bezieht. Liest man weiter, wird dies konkretisiert, denn Dudens Vorschlag zu mehr Assimilation – wohlbemerkt nur bei Schwankungsfällen (Duden 1872, 39) – lautet wenig später: Diesem Standpunkte entspricht es, wenn wir allen Wörtern, die nicht durch fremde Laute oder fremde Betonung sich als uneingebürgerte Fremdlinge kundgeben, den deutschen Buchstaben den Vorzug vor den fremden einräumen, also namentlich k vor c, z vor c […]. (Duden 1872, 39)
Demnach genügt schon die fremde Betonung zum Ausschluss der Kandidaten von der Assimilation. Außerdem fügt Duden hinzu, „daß mit wenigen Ausnahmen jedes Wort, dessen Laute man nicht ganz mit deutschen Buchstaben wiederzugeben vermag oder wagt, auch ganz in dem fremden Gewand erscheinen muß“ (Duden
167 Dudens „Zukunftsorthographie“ umfasst die Darstellung der Ergebnisse der I. Orthographischen Konferenz 1876 und wird daher auch in dem entsprechenden Kapitel, das sich mit der amtlichen Phase beschäftigt, untersucht.
Auswertung des Befundes
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1872, 39). Somit sind teilassimilierte Wortformen möglichst zu vermeiden. Im selben Atemzug bekennt Duden sich zur Variantenführung, so dass die Schreibungen, die seiner Ansicht widersprechen, dennoch als orthographische Varianten zulässig bleiben (Duden 1872, 40).168 Hauptentscheidungsfaktor pro Assimilation scheint demnach auch bei Duden ein lautlicher zu sein. Ein Blick in das angefügte Regelwerk Dudens bestätigt dies (Duden 1872, 66). Das Duden’sche Regelwerk weicht in Umfang, Geltungsbereich und dadurch auch im Aufbau allerdings von den bisher besprochenen Regelwerken deutlich ab. Bevor die eigentlichen allgemeinen Regeln zur Fremdwortschreibung aufgeführt werden, erfolgt eine Art theoretische Reflexion über die Bestimmung des Fremdwortes und die Schwierigkeiten bei seiner Regelung sowie eine Diskussion der Reformvorschläge, die schließlich zusammengenommen als Herleitung der nachfolgend dargestellten Regeln bezeichnet werden kann. Regel 1. Die Fremdwörter, in denen undeutsche Laute vorkommen, schreibt man ganz wie sie in der fremden Sprache geschrieben werden, z. B. Genie, Compagnon. Regel 2. Von den übrigen Fremdwörtern schreibt man eine Anzahl, besonders solcher, welche die fremdartige Betonung auf der letzten Silbe beibehalten, ebenfalls ganz in der Weise der fremden Sprache, z. B. Bureau, Chaussee, obwol die Schreibung nach deutscher Weise – Büro, Schossee – die Laute richtig bezeichnen würde. Bei einer großen Anzahl schwankt der Gebrauch zwischen deutscher und fremder Schreibung. Für diese merke man, daß beide Schreibungen zulässig sind, daß aber die deutsche den Vorzug verdient und zwar ganz besonders in solchen Wörtern, welche, wie Rezept, Punkt, der Sprache des täglichen Lebens angehören. In Wörtern der Gelehrten=Sprache haftet die fremde Schreibung noch fester. […] Regel 3. Man vermeide die Vermischung fremder und deutscher Schreibung innerhalb desselben Worts, schreibe also z. B. nicht Cirkular, sondern Circular oder Zirkular, nicht Secretär, sondern Sekretär. (Duden 1872, 66)
Wenn nichts Fremdartiges mehr an einem Wort fremder Herkunft äußerlich zu erkennen ist durch fremde Form oder fremde Betonung, dann gilt dieses Wort nicht mehr als Fremdwort (Duden 1872, 64). Von oben stehender Regel sind also Lehnwörter wie Zins und Siegel ausgenommen, da sich ihre assimilierte Schreibweise aus ihrem Status ergibt, daher ist Regel 2 eben keine Regel zur Assimilation, sondern eigentlich eine zweite Regel zur Fremdschreibung, in der auch zuweilen (in Schwankungsfällen) zur Assimilation geraten wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Duden Wörter mit nicht deutschen Lauten/Phonemen von der Assimilation vollkommen ausschließt. In Fremdwörtern, die keine fremden Laute aufweisen, gilt grundsätzlich auch die spendersprachliche Schreibung – besonders wenn noch Fremdbetonung vorliegt. Im zweiten Fall allerdings sind zahlreiche Schwankungsfälle vorzufinden, und so ist hier meist Variantenschreibung zulässig. Der assimilierten Schreibweise ist in den Fällen der Vorzug zu geben, in denen das Wort zum gemeinsprachlichen Wortschatz
168 Dies bezieht sich vorwiegend auf die Assimilation von zu und .
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gehört. Man kann den Wortschatz also als untergeordnetes Assimilationskriterium ansehen. Außerdem sind teilassimilierte Formen zu vermeiden. Duden ist mit seiner Regelung der erste, der die Betonungsverhältnisse explizit mit als Assimilationskriterium heranzieht und Variantenführung in dieser Deutlichkeit akzeptiert: Dudens Bekenntnis zu den Varianten geht über die Akzeptanz eines doppelten Sprachgebrauchs hinaus (vgl. unten: Württemberg 1861); er empfiehlt sie in Regel 2. In seinem Regelwerk wird auch erstmalig die Nichtakzeptanz von Mischformen (teilassimilierten Formen) als Regel dargestellt. Ebenfalls ein Novum ist – wie oben bereits angedeutet – die Diskussion weiterer Reformvorschläge innerhalb eines Regelwerks: Bevor Duden die Regeln aufstellt, konstatiert er, dass es „naturgemäß“ wäre, Fremdwörtern mit ausschließlich deutschen Lauten „den Gesetzen deutscher Rechtschreibung zu unterwerfen“ (Duden 1872, 64). Hierfür gäbe es aber bislang keine vollständige Übereinstimmung. Die Argumente der Gegner seien Loyalitätsaspekte gegenüber den Bildungssprachen und Bildungsdünkel.169 Dagegen argumentiert Duden dergestalt, dass die Rechtschreibung für jene Sprachnutzer gemacht sei, die ausschließlich die deutsche Sprache beherrschen. In den 1870er Jahren entstehen auch die ersten Schriften der Vertreter einer radikal-phonetischen Reformrichtung. Auch sie haben ein Interesse an der Reformierung der Fremdwortschreibung. Eine Klassifikation der Fremdwörter – etwa in eingebürgerte und nicht eingebürgerte – vermutet man bei dieser Richtung zwar nicht, sie ist aber durchaus zu finden. So darf die Bezeichnung „radikal“ zumindest in Bezug auf diesen Regelbereich infrage gestellt werden, wie sich im Folgenden zeigt. Die Reform der Fremdwortschreibung ist Friedrich Wilhelm Fricke einen eigenständigen Beitrag in der „Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung“ wert, der kein Regelwerk, sondern die Herleitung und Einführung eines Reformvorschlags darstellt. Fricke kritisiert an der gegenwärtigen Regelung der Fremdwortschreibung, dass in diesem orthographischen Bereich die „böse Saat“ der Historiker „noch nicht ausgerottet“ (Fricke 1874, 41) sei. Für Fricke hat die Buchstabenschrift „keinen andern Zweck und Werth, als das Wort (den Laut) darzustellen“ (Fricke 1874, 45). Die Zusammengehörigkeit der Wörter spielt nur in den Fällen eine Rolle und kann entscheidend sein, wenn der Laut so unbestimmt ist, „dass er eine verschiedene Schreibung zulässt“ (Fricke 1877, 54). Die vermeintlichen Missstände und Schwierigkeiten bei der Fremdwortschreibung stellt er wie folgt dar: Um ein deutsches Buch korrekt zu lesen, muß der Deutsche gegenwärtig soviel Sprachen lernen, wie es Völker giebt und gab, die in Geschichte, Geographie und Literatur Erwähnung
169 „Viele mit der Kenntniß fremder Sprachen reichlich Ausgestattete halten es für barbarisch, dem Fremdling ein deutsches Gewand anzuziehen, und viele, denen jene Kenntniß abgeht, greifen erst recht gern zu der fremden Schreibweise, nicht selten, weil sie glauben, daß diese, ich möchte sagen, vornehmer sei und den Schein jener Kenntniß verleihe“ (Duden 1872, 64).
Auswertung des Befundes
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finden, und hat er sie sämmtlich gelernt, so steht er dennoch vor unübersteiglichen Schwierigkeiten. Zunächst muß er jedes einzelne mit deutschen Buchstaben gedruckte Fremdwort als ein solches erkennen, die Nationalität desselben feststellen und dann erforschen, wie es thatsächlich lautet. (Fricke 1874, 42)
Fricke schlägt eine konsequent phonetische Schreibweise für alle Fremdwörter vor (Fricke 1874, 42 und 45), nicht ohne sich gleichzeitig mit den Argumenten der Gegner seines Vorschlags auseinanderzusetzen, wobei er allerdings das wichtigste Argument, das des gegenwärtigen Gebrauchs, vergisst.170 Übergangsweise akzeptiert Fricke auch die zusätzliche Angabe der fremden Schreibweise, „jedoch so, daß die deutsche vorangeht und die fremde eingeklammert nachfolgt – nicht umgekehrt“ (Fricke 1874, 45). Als richtige Aussprache des betreffenden Wortes, die ja in jedem Fall vorher zu ermitteln ist, gilt die allgemein von den Gebildeten und Gelehrten anerkannte Aussprache, „in zweifelhaften Fällen entscheidet die Majorität“ (Fricke 1874, 49). An anderer Stelle hingegen schränkt Fricke den Geltungsbereich der assimilierten Schreibweise dahingehend ein, dass nur „eingebürgerte (germanisirte) Fremdwörter unseren Sprachgesetzen unterthan sein müssen […]. Als germanisirt aber sind alle Namen zu betrachten, welche deutsche Form und deutschen Accent, oder auch nur eins von beiden angenommen haben“ (Fricke 1874, 49). Die Vermutung liegt nahe, dass also die Assimilation – wie in den anderen Grammatiken – nur bei eingebürgerten Fremdwörtern zum Tragen kommen soll. Unklar sind jedoch auch hier wieder die Termini: Was genau ist mit „Form“ gemeint? Und dass der Akzent sich nicht nur auf die Betonung bezieht, sondern auch auf die Realisierung der Laute, vermag das mitgegebene Beispiel Paris zu zeigen: Die Betonung hat sich hier im Vergleich zur Betonung in der Gebersprache nicht verändert, wohl aber die lautliche Struktur des Wortes. Frickes späteres Werk – eine vollständige, sehr theoretisch angelegte und wenig Regeln enthaltende Orthographielehre – bringt die Lösung zu der Frage, die seine Abhandlung zur Fremdwortschreibung aufgeworfen hatte: Fricke differenziert seine Unterscheidung in eingebürgerte („germanisirte“) und nicht eingebür-
170 Das Argument der Unwissenschaftlichkeit entkräftet er, indem er darauf verweist, dass die Wissenschaftlichkeit dann erreicht sei, wenn in der jeweiligen Sprache, innerhalb derer das Wort verwendet wird, durch die Schriftzeichen auf die Aussprache des jeweiligen Wortes zu schließen ist. Gegen das Argument, die Fremdwörter – besser gesagt die fremden Laute – ließen sich durch deutsche Schriftzeichen nicht exakt darstellen, führt er die lautliche Assimilation an: „Die fremden Namen müssen sich unsern Organen fügen – nicht unsere Organe jenen und wenn dies geschehen ist, dann können wir jedes Fremdwort völlig exakt mit unsern Buchstaben darstellen“ (Fricke 1874, 43 f.). Schließlich greift er die vielseits angeführte Leseaussprache auf, die er nicht zu billigen vermag, da „wir uns bei unsern Nachbarvölkern lächerlich machen“ (Fricke 1874, 44). In diesem Punkt sei auf die Inkonsequenz Frickes verwiesen, der an anderer Stelle die Leseaussprache als berechtigt ansieht und zu mehr Verbreitung derselben rät (Fricke 1874, 51).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
gerte Fremdwörter weiter und besteht auch auf der graphematischen Assimilation einiger nicht eingebürgerter Wörter. Drei Arten von Fremdwörtern unterscheidet Fricke: 1. Angeführte (zitirte) d. h. solche, die als fremde Elemente in der Rede auftreten, die nicht vom Volke, sondern nur von dem Sprachkundigen verstanden werden, und die man in Anführungszeichen setzen könnte; z. B. er ist mein alter ego. Oder – ‚time is money‘. Oder – Die ‚virtus‘ der Römer ist etwas Anderes als unsere christliche Tugend. 2. Eingewanderte, die als integrirende Theile der Rede auftreten, und von denen man voraussetzt, dass sie von der deutschen Nation verstanden werden, obgleich sie noch fremden Laut und fremde Schreibung oder Eins von Beidem beibehalten haben; Tournure, complaisant, ipCapitain, Secretaire. 3. Eingebürgerte (germanisirte), d. h. solche, welche deutschen Laut und deutsche Schreibung besitzen oder angenommen haben, so dass ihre Abstammung dem Volke nicht mehr auffällt, und mit denen der Deutsche den üblichen Begriff zu verknüpfen weiss, z. B. ein Regiment Husaren. Der Doktor verschreibt ein Rezept. Das Militärexamen machen. Der Mönch predigte von der Kanzel herab etc. (Fricke 1877, 113)
Die erste Gruppe beschreibt das Phänomen „Zitatwort“ und ist daher als Gruppe von Wörtern zu verstehen, die nicht in die deutsche Rede integriert sind.171 Die eingewanderten Wörter werden bei Fricke zwar bestimmt über den fremden Laut und die fremde Schreibung, aber sein Ziel ist es, diese Wörter zu germanisieren, da sie aufgrund ihrer Integriertheit in die deutsche Rede ‚naturgemäß‘ den deutschen Sprachgesetzen unterliegen. Dies soll durch die „Germanisierung“ des Lauts und in der Folge davon durch die „Germanisierung“ der Schrift geschehen. Gemeint ist mit erstem, dass alle fremden Laute durch heimische ersetzt werden sollen („Umlautung“ [Fricke 1877, 114]) bzw. durch Übersetzung des Wortes heimische Lautverhältnisse geschaffen werden sollen. Mit eingeschlossen ist die Anpassung des Akzents. Fricke akzeptiert auch die Einbürgerung (in diesem Fall als Übernahme zu verstehen) von bis dato fremden Lauten, indem er für selbige neue Schriftzeichen vorschlägt, etwa für /ʒ/ oder für /ŋ/ (Fricke 1874, 50 f. und Fricke 1877, 59 f.). Die Germanisierung der Schrift ist laut Fricke ein selbstverständlicher Prozess, da alle Buchstaben, die auf „falsche Laute“ oder gar keinen Laut hinweisen, „Nichtbuchstaben“ seien (Fricke 1877, 121): Sollen fremde Wörter in deutschen Büchern deutsch oder fremdländisch geschrieben werden? heißt nichts Anderes als: Sollen wir die Fremdwörter mit Buchstaben oder mit Nichtbuchstaben schreiben? Da aber schreiben „Laute durch Buchstaben sichtbar machen“ bedeutet, so liegt schon in der Frage ein fundamentaler Widerspruch, welcher zu der allein möglichen Antwort treibt: Wir schreiben die Fremdwörter mit Buchstaben. (Fricke 1877, 121)
Die Forderung Frickes lautet: Eingewanderte Wörter (also die Wörter der zweiten Gruppe) sollen entweder vermieden oder ganz germanisiert werden (Fricke 1877, 171 Mehr dazu im entsprechenden Kapitel 3.4.1.4.
Auswertung des Befundes
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115).172 Wobei Fricke dies nicht als „Forderung“ ansieht, sondern als „Gesetz“, indem er auf die Natürlichkeit des Prozesses hinweist. Wie bereits 1874 ordnet Fricke auch hier an, die fremde Schreibweise neben der assimilierten erscheinen zu lassen, allerdings ändert sich für einige der betreffenden Wörter – erstaunlicherweise für die eingebürgerten und nicht für die eingewanderten Fremdwörter – die Kennzeichnung: Die deutsche Schreibweise soll der fremden in Parenthesen nachgestellt werden. Die Vertauschung der Reihenfolge ist als ein kleines Zugeständnis des Autors an den Sprachgebrauch zu sehen, wie er nachfolgend selber bemerkt, den er jedoch nur übergangsweise akzeptiert. Letztlich stellt Fricke die folgenden vier Regeln auf: 1. In deutschen Büchern werden alle Fremdwörter deutschnational gedruckt. 2. Hinter der deutschnationalen Schreibung eingewanderter Namen steht, wenn nöthig, die fremdnationale Schreibung in Klammern: Gällowē (Galloway). 3. Bei eingebürgerten Wörtern steht die fremdnationale Schreibung voran, und, wenn nöthig, die deutschnationale in Klammern dahinter: Howard (Hauert). Bei Bulwer, Scott etc. ist es nicht nöthig. 4. Regel 3 gilt nur so lange, bis sich die lautrichtige Schreibung eingebürgert hat. (Fricke 1877, 132)
Durch diese Übergangslösung verliert Fricke etwas von der ihm nachgesagten Radikalität bezüglich der Schreibungsregelung. In seiner „Volksorthographie auf phonetischer Grundlage“, die sich die strenge Durchführung der Hauptregel „Schreibe, wie du richtig hochdeutsch sprichst“ (Bax 1897, Titel) zum Ziel gesetzt hat, geht Richard Bax ebenfalls in einem eigenständigen Fremdwortkapitel auf die Schreibung der Fremdwörter ein. Seine Fremdwortklassifizierung weicht von der Klassifizierung Frickes ab: Zitatwörter greift er nicht auf, sie sind vielmehr nur Teil einer Klasse von Fremdwörtern, ansonsten entsteht auch bei Bax eine Einteilung der fremdsprachlichen Wörter in drei Gruppen, die gleich mit Schreibungsanweisungen versehen sind. Erstaunlich ist, dass hier bereits der Begriff des Lehnworts fällt: Die erste Art, die Lehnwörter, sind in alt- oder nhd. Zeit zu uns gekommen und haben das Gepräge ihrer ursprünglichen Fremdart durch Umformung verloren und so vollständig deutsche Art und Weise angenommen, daß nur die geschichtliche Sprachwissenschaft ein Bewußtsein von der Herkunft solcher Wörter hat. […] Die phonetische Schreibweise dieser Lehnwörter versteht sich von selbst. Die zweite Gruppe bilden die eingewanderten Wörter, welche nicht mehr wie die vorigen durch umdeutschende Lautveränderungen eingebürgert wurden, sondern ihre antike Gestalt
172 Fricke stellt durchgeführte Germanisierungen auch in solchen Fällen fest, in denen aus heutiger Perspektive wahrscheinlich keine Anpassung stattgefunden hat: „Wir können sehr wohl z. B. Voltaire auf der letzten Silbe akzentuiren: Woltär (Gefährt); aber der Namen ist so unzählige Mal in deutscher Rede vorgekommen, dass wir, da alle Laute vollkommen deutsch waren, auch den Akzent auf die deutsche Normalstelle rückten: Wóltär […]“ (Fricke 1877, 115).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
meist beibehielten. […] Bei der Schreibweise solcher Wörter kommen wir am besten ‚über den Graben‘, wenn wir es wie die Italiener und Spanier machen: jedes eingewanderte Fremdwort so schreiben, wie die richtige Aussprache erheischt […]. Zur dritten Gruppe gehören die eingeführten Fremdwörter, welche in ihrer eigentümlichen Weise gesprochen und geschrieben werden […]. Wem jedoch die Schreibweise der Ursprache, welcher irgend ein Fremdwort angehört, unbekannt ist, der schreibe dasselbe der Aussprache gemäß. (Bax 1897, 35 f.)
Dass die Lehnwörter, die sich durch völlig angepasste Form auszeichnen, in Bezug auf die Phonem-Graphem-Beziehungen assimiliert sind, ist für Bax eine Selbstverständlichkeit und keine Diskussion wert. Für die Schreibung der eingewanderten, aber formal noch nicht assimilierten Wörter schlägt Bax – verglichen mit Fricke wesentlich liberaler formuliert – die Assimilation vor. Das in vielen anderen Grammatiken und Orthographielehren ausschlaggebende Kriterium zur Assimilation – nämlich das der Anpassung auf der lautlichen Ebene – ist hier demnach hinfällig. Das erklärt sich aus der streng phonetischen Ausrichtung der Reformer. Für die Gruppe der sog. „eingeführten Fremdwörter“ gibt Bax leider keine genauen Bestimmungskriterien mit. Aus den Beispielen roi, knight, homme lässt sich nicht zwingend schließen, dass ausschließlich zitatwortähnliche Phänomene gemeint sind. Interessant ist der Nachsatz: Die „eingeführten Fremdwörter“ sollen zwar eigentlich in der Schreibweise der Gebersprache stehen, aber sollte dieselbe unbekannt sein, stellt Bax es dem Schreiber durchaus frei, gemäß der Aussprache zu schreiben. Diese Entscheidungsfreiheit wurde in Texten von Radikalphonetikern nicht erwartet; es verwundert eher, dass die favorisierte Schreibung in dieser dritten Gruppe die fremde ist. Sie geht vermutlich damit einher, dass Bax andere Gebiete der Schreibung als regelungsrelevanter ansieht: „Die Fremdwörter sind es nicht wert, daß wir ihretwegen lange verhandeln. So lange sie überhaupt noch in unserer Sprache geduldet werden, möge sie jeder nach seiner Aussprache schreiben“ (Bax 1897, 66). Auch bei Bax käme bei der reformierten Fremdwortschreibung ein reformiertes Alphabet zum Einsatz, das dem Grundsatz gehorcht: „Für jeden Laut nur ein Zeichen“ (Bax 1897, 69). Einen Ansatz, der mit Blick auf die bisher diskutierten Regelungen zur Fremdwortschreibung Ausnahmencharakter hat, liefert Julius Lattmann. Sein Artikel „Stückweise oder endgültige Reform der Rechtschreibung“ ist kein Regelwerk, wenngleich er für die Fremdwortschreibung tatsächlich eine Regel aufstellt. Zunächst scheint es, er bevorzuge die nicht assimilierte Schreibweise bzw. wende sich gegen eine übermäßige Assimilation, „[i]n manchen Fällen, vernichtet man damit sogar das richtige Sprachgefühl“ (Lattmann 1895, 8). Neben dem phonetischen Prinzip lässt Lattmann auch das Prinzip der Abstammung gelten: Diesem Satze ist es zu danken, dass in unserm Volke trotz des so ausgedenten [sic!] Eindringens von Fremdwörtern dennoch das Bewusstsein, was echt deutsches (oder alteingebürger-
Auswertung des Befundes
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tes) Wort und das Fremdwort ist, im wesentlichen ser fest sich erhalten hat, und daß uns notwendig erscheint, das Fremdwort seiner Abstammung nach kenntlich zu machen und es nicht in deutsche Umschrift zu setzen. (Lattmann 1895, 7)
Die hier benannte und positiv wertend dargestellte Markierung der Abstammung eines Wortes ist durchaus im Umfeld des Fremdwortpurismus zu interpretieren. Deutlicher noch wird die fremdwortpuristische Haltung Lattmanns, mit der er die Beibehaltung fremder Schreibweise erklärt und favorisiert, in folgendem Zitat. Hier weist er explizit darauf hin, dass Assimilationen unterbleiben müssen, sofern die Fremdwörter wieder aus der deutschen Sprache verschwinden sollen: So berechtigt diese [die assimilierte Schreibweise – Anm. A. Z.] in wirklich eingebürgerten Wörtern ist, wie Kanzel, Zirkel, auch wol [sic!] Kontrakt, Konzert, so entschieden sollte sie bei allen zurückgewiesen werden, von denen wir noch einmal loszukommen hoffen dürfen, auch bei solchen, die der Sprache des Lebens, der Poesie und populären Litteratur in der Regel fern bleiben und nur in der technischen Sprache der Wissenschaften und Künste verwandt werden. Wenn die Schulen dahin wirken sollen, dass entberliche Fremdwörter ausgestoßen werden, dann dürfen sie ihnen nicht ein deutsches Kleid umhängen. (Lattmann 1895, 8)
Fremdwortpurismus als Assimilationsfaktor ist über Lattmann und Duden (vgl. oben) hinaus allerdings kein explizit benanntes Thema in den Regelwerken (vgl. Kapitel 3.4.1.5), was natürlich nicht bedeuten muss, dass er nicht doch hier oder da Regelungsgrundlage war. Die scheinbare Favorisierung der Fremdschreibung bei Lattmann wird an anderer Stelle aufgehoben. Es zeigt sich, dass Lattmann für mehr Entscheidungsfreiheit bezüglich der Fremdwortschreibung plädiert. „Die Verlegenheiten und die Tüfteleien, in die man geriet, um Unterschiede der Schreibung zu bestimmen“ (Lattmann 1895, 8), also die ausführlichen, auf verschiedenen Entscheidungsparametern beruhenden Regelungsversuche heißt Lattmann nicht gut und verweist auf die zahlreichen Inkonsequenzen, die es trotz der vermeintlich konkreten Regeln immer noch gibt. Mehr Freiheiten in der Regelung, mehr Zulassung von Doppelschreibungen sind seine Vorschläge. Dabei beruft er sich auf Duden, wenngleich er an dieser Stelle übersieht, dass Duden Doppelschreibungen nur übergangsweise zulässt. Sie sind letztlich für Duden ein Schritt auf dem Weg hin zu mehr graphematischer Assimilation. Schließlich empfiehlt Lattmann folgende Regel, die in Bezug auf die Wahlfreiheit im genannten Untersuchungszeitraum sicher einmalig ist: Die Regel für Fremdwörter soll also heißen: Ein jeder schreibe sie so, wie er es versteht; ist ihm aus seiner Kenntnis fremder Sprachen ihr Ursprung bekannt, so möge er sie danach schreiben und in Zweifelsfällen ein Fremdwörterbuch benutzen, wo nicht, so schreibe er, wie er es mit deutschen Wörtern gewont ist, so gut oder schlecht es geht nach seinem Gehör oder seiner Aussprache. (Lattmann 1895, 8)
Gleichzeitig ruft Lattmann dazu auf, auf scheinbar mangelhafte Bildung zurückzuführende assimilierte Schreibweisen wie Schossee, Awanxemang, Battaljon zu tole-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
rieren (Lattmann 1895, 8). Er überlässt die Entscheidung für oder gegen eine graphematische Assimilation keinen formalstrukturellen oder anderen Kriterien, sondern dem jeweiligen Sprachnutzer, der je nach vorhandenem Wissen entscheiden kann, ob das Fremdwort in der Schreibweise der Geber- oder der Nehmersprache folgt. Damit ist seine „Regelung“ einzigartig.
3.4.1.2 Regelung in den Schulorthographien und in den Regelwerken der orthographischen Konferenzen Die Schulorthographien ähneln sich in Bezug auf die übergeordnete Regelung zur Fremdwortschreibung sehr stark, wenngleich Umfang und Formulierung dieser Regeln voneinander abweichen, wobei es auch hier seit dem Erscheinen des Berliner Regelbuchs eine Tendenz zur Vereinheitlichung gibt. Mit Ausnahme der hannoverschen (1855) und der hurhessischen (1859) sind in allen nachfolgenden Schulorthographien die Fremdwortregelungen ähnlich aufgebaut: eigenes Kapitel, zwei bis drei Grundregeln, graphembezogene Regeln und viele Beispiele.173 In den meisten Fällen ist zunächst eine Zweiteilung der Regelung feststellbar. Sie ist zurückzuführen auf die – bereits im Kapitel 3.4.1.1 häufig beschriebene – Unterscheidung in eingebürgerte und nicht eingebürgerte Fremdwörter. Die zuerst genannte Regel ist in fast allen Regelbüchern174 die der Schreibung noch nicht eingebürgerter Fremdwörter, der „eigentlichen“ Fremdwörter. 173 In der ersten amtlichen Schulorthographie von 1855 (Hannover) heißt es noch lapidar (ohne jegliche Klärung des Einbürgerungsbegriffes, ohne graphembezogene Regeln, ohne Beispiellisten): 1. Der Regel nach behalten die Fremdwörter im Deutschen ihre ursprünglichen Buchstaben. 2. Manche Fremdwörter sind aber schon so eingebürgert, daß unsere Aussprache sich bei der Schreibung geltend gemacht hat. So schreibt man einzelne Fremdwörter nur zum Theil der fremden Schreibung gemäß; z. B. Secretär (statt Secretair), Capitän. Andere werden zuweilen schon ganz als deutsche Wörter geschrieben, z. B. Schikane (statt Chicane). (Hannover 1855, 21) Hier wird allerdings erstmals in einer Regel explizit auf die Möglichkeit der Teilassimilation eingegangen: Für manche Wörter gilt die graphematische Assimilation nur bei einigen Graphemen, wohingegen andere Fremdgrapheme erhalten bleiben (z. B. Secretär). Die Regelung in der kurhessischen Schulorthographie 1859 fällt schon umfangreicher aus. Die Ausführlichkeit entsteht vor allem daraus, dass hier auch die Schreibung einzelner Fremdgrapheme im eigenen Fremdwortteil geregelt wird und andererseits eine Vielzahl an Beispielen die Regeln untermauert. 174 Die einzige Schulorthographie, die davon abweicht, ist die kurhessische von 1859. In ihr wird der eigentlichen Regel ein problematisierender Teil vorangeschickt, in dem kurz bemerkt wird, dass „ihre Schreibung [der Fremdwörter – Anm. A. Z.] sich zunächst nach ihrer ursprünglichen Form und dann darnach richtet, in wiefern sie als eingebürgerte betrachtet werden können“ (Kurhessen 1859, 30). Aus diesem Kommentarteil geht hervor, dass es nicht für nötig erachtet wird, die – anscheinend selbstverständliche – Fremdschreibung auch noch in eine Regel zu fassen; so beginnt der eigentliche Regelteil mit der Formulierung: „1) Vollständig eingebürgerte Fremdwörter werden nach deutschen Lautregeln geschrieben, z. B. Kalender, Zettel, Gruppe, Pöbel“ (Kurhessen 1859,
Auswertung des Befundes
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Es ist im Folgenden zu klären, welche Kriterien den Einbürgerungsstatus ausmachen. Zunächst muss man feststellen, dass der diffuse Begriff der „Einbürgerung“ mit dem Erscheinen des Berliner Regelbuches 1871 nicht mehr bzw. nur in einer dritten (Ausnahme-) Regel verwendet wird. Schon im vorangegangenen Kapitel dieser Arbeit wurde offensichtlich, dass es kein allgemeingültiges Verständnis des Einbürgerungsbegriffs gibt, dass dem Begriff also unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen zugrunde liegen (vgl. Kapitel 3.4.1.1). Kurhessen problematisiert umfassend, dass sich die Schreibung nach dem Einbürgerungsgrad des Fremdwortes richte, weshalb sich allerdings die Schreibung im Laufe der Zeit auch ändern könne (Kurhessen 1859, 30): „Und so wird es für jeden, welcher die Sprache, der das Fremdwort entlehnt ist, nicht kennt, schwierig sein, sich hier zurechtzufinden“ (Kurhessen 1859, 30). Der Einbürgerungsbegriff wird allerdings auch hier in der graphemübergreifenden Fremdwortregel nicht weiter spezifiziert. Das ändert sich in der 1861 erschienenen württembergischen Schulorthographie: Auch hier gibt es die Grundregel, Fremdwörter in der Regel so zu schreiben wie in der Gebersprache, eingebürgerte Fremdwörter aber nach deutschen PGB. Im Anschluss an diese Regel findet sich eine Anmerkung zur näheren Bestimmung des bislang im Vagen gebliebenen Begriffes. Es schließt sich eine Problematisierung der Kandidatenzuordnung mit einer gleichzeitigen Empfehlung von mehr Variantentoleranz und einem Verweis auf das Wörterverzeichnis an: Ein Fremdwort gilt als eingebürgert, wenn es a) durch langen Gebrauch auch der Volkssprache mehr oder weniger geläufig geworden ist, und b) eine deutsche Form oder Betonung angenommen oder sich dem deutschen Sprachstand (z. B. durch Abfall der fremden Endung) genähert hat. Da es übrigens in vielen Fällen schwer oder unmöglich, häufig auch gleichgiltig ist zu entscheiden, ob ein Fremdwort als eingebürgert zu betrachten sei, so scheint es gerathen, in dieser Beziehung einen doppelten Schreibgebrauch anzuerkennen. Demgemäß sind auch in das Wörterverzeichnis nur diejenigen Wörter aufgenommen, welche allgemein oder überwiegend als eingebürgert gelten. (Württemberg 1861, 14)
Württemberg nimmt sowohl formalstrukturelle Faktoren als auch den Gebrauchsfaktor als Einbürgerungskriterien an: Wenn ein Fremdwort im Gebrauch geläufig ist (etwa mit früherem „gangbar“ zu vergleichen), in Form, Akzent und Wortbildung deutsche Struktur angenommen hat, so ist es nach deutschen PGB zu realisieren. Diese Anmerkung führt zu einer besseren Handhabbarkeit der Regel, allerdings ist auch hier nicht bis ins Detail die Begrifflichkeit der Faktoren geklärt, z. B. bleibt der Begriff der „deutschen Form“ uneindeutig. Die Empfehlung aber, dass
30 f.). Die Nummerierung der Regel lässt erwarten, dass mindestens eine zweite folgt. Diese Erwartung wird allerdings enttäuscht.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
ein „doppelte[r] Schreibgebrauch“ (Württemberg 1861, 14) anzuerkennen sei, weil eine eindeutige Kandidatenzuordnung nicht möglich ist, vermag dieses Problem soweit zu lösen, dass dem Sprachnutzer mehr Freiheiten bei der Fremdwortschreibung zugestanden werden. Statt dieses unklaren Begriffs der Einbürgerung175 werden dem Leser und Sprachnutzer in den folgenden Orthographielehren relativ klar bestimmbare Kriterien an die Hand gegeben, die zur Grundlage für oder gegen Assimilationsempfehlungen werden. Über die Auswahl der Assimilationskriterien besteht allerdings bis zur preußischen Schulorthographie noch keine Einigkeit. Im Berliner Regelbuch hängt die graphematische Assimilation an der lautlichen Assimilation und am Entlehnungszeitpunkt: Die Regel besagt, „Fremdwörter, welche in ihrem Lautbestande sich der deutschen Sprache anbequemt haben, folgen, je früher sie aufgenommen sind, um so mehr der deutschen Orthographie“ (Berlin 1871, 16). Der Entlehnungszeitpunkt ist demnach nur ein untergeordneter Assimilationsfaktor, der nur dann relevant wird, wenn es sich um ein Fremdwort mit lautlicher Assimilation handelt. Aus einer dritten Regel geht die Einschränkung der vorangegangenen hervor: „Oft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung“ (Berlin 1871, 17). Gleichzeitig wird dadurch deutlich, dass die Kriterien der lautlichen Assimilation und des Entlehnungszeitpunktes (untergeordnet) zusammen die „Einbürgerung“ ausmachen. Daraus lässt sich wiederum ableiten, dass jetzt nicht etwa eine andere Unterscheidung als Bürger – Nicht-Bürger der Schreibregelung zugrunde gelegt wird, sondern dass lediglich ein terminologisch unklarer Begriff durch bestimmte Kriterien ersetzt wird. Diese Feststellung gilt auch für die nachfolgenden Schulorthographien. Das Berliner Regelbuch ist allerdings die erste Schulorthographie, die eine dritte Regel für die Schreibung der Fremdwörter einführt: Bislang war das Problem der Abweichungen von der Regel bzw. der Kandidatenzuordnung nur in Anmerkungen (Kurhessen 1859 und Württemberg 1861) oder gar nicht (Hannover 1855) genannt worden. Das Kriterium der fremden bzw. assimilierten Aussprache kristallisiert sich seit dem Berliner Regelbuch als Hauptkriterium für die Kandidatenermittlung heraus, wie bei der Betrachtung der nachfolgenden Regelwerke zu sehen sein wird.
175 Der Begriff der Einbürgerung fällt nur noch in der Ausnahmeregelung (vgl. z. B. Berlin 1871, 16). Dass die gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts sehr häufig bediente, aber selten einheitlich bestimmte Unterscheidung in eingebürgerte und nicht eingebürgerte Fremdwörter auf Dauer kein sehr hilfreiches Kriterium zur Ermittlung der richtigen Schreibweise ist, bemerkt auch Wilmanns in seinem Kommentar zur preußischen Schulorthographie: „Die Unterscheidung von eingebürgerten und nicht eingebürgerten Fremdwörtern ist oft wiederholt; daß aber ein so schwankender Begriff keine feste Grundlage für orthographische Regeln abgeben kann, leuchtet ein auch ohne weitere Erörterung; ein Blick in ein Verzeichnis von Fremdwörtern genügt“ (Wilmanns 1880, 188).
Auswertung des Befundes
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Am Berliner Regelbuch orientiert sich auch Rudolf von Raumer (Begründung 1876, 57), der beauftragt wurde, eine Regelvorlage für die später so genannte I. Orthographische Konferenz zu verfassen. Mitten in der Zeit der „amtlichen Phase“ liegt 1876 diese Konferenz, die auf der Grundlage von Rudolf von Raumers Vorlage ein Regelwerk beschließt, das letztlich allerdings keine amtliche Geltung erlangt. Dennoch sind Konferenzvorlage und -ergebnis für die Vereinheitlichungsbestrebungen so wichtig, dass sie auch in Hinblick auf eine übergeordnete Regelung der Fremdwortschreibung untersucht werden sollen. Es handelt sich auch bei von Raumers Konferenzvorlage dem Aufbau nach um ein klassisches orthographisches Regelbuch. Auch hier werden drei Regeln aufgestellt: § 34 regelt die Fremdwortschreibung nach der spendersprachlichen Schreibweise, § 35 enthält die Regel für die graphemische Assimilation und § 38 regelt die Ausnahmen von § 35, denn „[o]ft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung“ (Vorlage 1876, 25). Zu den Assimilationskriterien des Berliner Regelwerks kommt noch der Gebrauch als zusätzlicher Faktor hinzu, allerdings ordnet sich auch dieser Faktor dem Hauptkriterium der Lautung unter. Neu ist, dass auf die Ausnahmen der ersten Regel in einer Anmerkung eingegangen wird: § 34. A) Fremdwörter, welche in der deutschen Sprache keine Änderung erfahren haben, behalten im allgemeinen die fremde Schreibung […]. Anm. Die obige Regel erleidet jedoch mannigfache Ausnahmen bei solchen unverändert aufgenommenen Fremdwörtern, von denen das deutsche in deutscher Weise gebildete Flexionen entwickelt, z. B. das Konsistorium, die Konsistorien. Werden aber von solchen Wörtern Formen gebildet, die nach Art der fremden Sprache flektiert sind, so wird die ursprüngliche Schreibung des Wortes beibehalten, z. B. des Consistorii, die Consistoria. (Vorlage 1876, 23)
Demnach könnte man als ein zusätzliches Assimilationskriterium die assimilierte Flexion ansehen, die in dieser Form explizit das erste Mal in einem orthographischen Regelbuch auftritt. Offensichtlich bezieht sich also die Formulierung „Fremdwörter, welche in der deutschen Sprache keine Änderung erfahren haben“ (Vorlage 1876, 23), die so auch schon im Berliner Regelbuch vorzufinden war (Berlin 1871, 16) und später auch im Konferenzergebnis nachzulesen ist (Regeln 1876, 147), nicht auf flexivische Änderungen. Duden klärt diese Formulierung im Nachhinein auf: „Der Satz sieht auf den ersten Blick wie eine Tautologie aus; doch ist wol [sic!] klar, was gemeint ist. Vielleicht wäre das Verständnis zu erleichtern, wenn man sagte: Fremdwörter, welche im Deutschen keine Veränderung hinsichtlich ihrer Aussprache erfaren [sic!] haben u. s. w.“ (Duden 1876, 71). Ein weiteres Novum in den orthographischen Regelbüchern ist die Regel zur Schreibung von gemeinhin als Zitatwörtern bezeichneten Fremdwörtern.176
176 Mehr dazu vgl. Kapitel 3.4.1.4.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Von Raumer gesteht reflektierend im Kommentar zu seinem Regelwerk: „Die Schreibung der Fremdwörter ist eins der schwierigsten und zwiespältigsten Kapitel der deutschen Orthographie. […] Es wird freilich öfters schwer zu entscheiden sein, welche Fremdwörter wir für wirklich eingebürgert halten sollen“ (Begründung 1876, 75). Darauf folgend beschreibt er die Beibehaltung fremder PGB als ein „äußeres Kriterium, daß ein Wort den Charakter des Fremdworts noch nicht völlig abgelegt habe“ (Begründung 1876, 75), was im Zusammenhang eines Differenzierungsversuches für eine eindeutige Fremdwortschreibung wenig dienlich ist. Der Kommentar offenbart auch, dass es anscheinend nicht nur die Assimilation in der Aussprache, die frühe Entlehnung und der allgemeine Gebrauch sind, die ein Fremdwort einbürgern, sondern auch die „Form“, die allerdings im Regelwerk von Raumers keinerlei Erwähnung findet. Unter der deutschen Form wird hier deutsche Wortbildungsstruktur verstanden, z. B. Suffixwegfall bzw. Suffixassimilation in Wörtern wie z. B. Klassiker – classicus, Kapitel – capitulum. Es fragt sich, warum dieses Bestimmungskriterium im Regelwerk keine Aufnahme findet. Dies ist allerdings nicht der einzige Fall, in dem das Regelwerk vom Kommentar dazu abweicht (vgl. Lohff 1980, 313). Gibt es zur Regelung einiger Fremdgrapheme auf der Konferenz tatsächlich ausgiebigere Diskussionen, so wird doch die vorangestellte übergeordnete Fremdwortregel ohne größere Debatte anerkannt und in das Konferenzergebnis-Regelwerk übernommen. Oben wurde bereits auf Dudens Schrift „Die Zukunftsorthographie […]“ hingewiesen, die sich zur Aufgabe setzt, die Vorschläge der I. Orthographischen Konferenz zu erläutern, allerdings auch eigene Verbesserungen einzubringen. Duden hebt das Bemühen der Konferenz hervor, vermehrt assimilierte Schreibweisen zuzulassen (Duden 1876, 71 f.), betont aber gleichzeitig, dass er gern „den Grundsatz, der uns zum Leutnant verholfen hat, noch in größerem Umfang angewendet gesehn“ (Duden 1876, 72) hätte. Er kritisiert die Willkür, mit der die Entscheidung zur Schreibweise der einzelnen Wörter gefällt wurde (Duden 1876, 73). Die befürchtete Abneigung der Gelehrten gegenüber assimilierten Schreibungen würde in kurzer Zeit durch die sich einstellende Gewöhnung irrelevant (Duden 1876, 73). Gemäß den aufgestellten Regeln plädiert Duden für mehr Assimilation und verweist auch hier auf namhafte Vertreter der historischen Schule (Andresen). Bemerkenswert ist die in diesem Werk erstmalig festzustellende Beobachtung, dass Duden für die Beibehaltung der Fremdschreibung in ausgewählten Fällen eine puristisch geprägte Argumentation führt: Wenn umgekehrt ein Wort als unberufener Eindringling erschien, dessen Gesicht uns nicht gefiel, und dem wir daher das Bürgerrecht erschweren wollten, so wurde ihm des zum Zeugnis, auch wenn sichs recht gut mit deutschen Buchstaben schreiben ließ, in der fremden Schreibung ein Hic niger est, hunc tu, Germane, caveto! angeheftet. Darum wurde z. B. ‚choquiren‘ (und ‚Choc‘) angenommen, in der Tat ein recht ‚choquantes‘ Wort. Und wenn auch ‚schokant‘ noch ‚choquanter‘ wäre und diese Gestalt des Wortes vielleicht noch eindringlicher vor dem
Auswertung des Befundes
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Gebrauch desselben warnen würde, so ist doch die Entscheidung und der Grundsatz, nach welchem sie erfolgte, gewiß nur zu billigen. Gern hätte ich den Grundsatz, der uns zum Leutnant verholfen hat, noch in größerem Umfang angewendet gesehn. […] Unter diesen gibt es noch manche, die wir als wertvollen Besitz und jedenfalls als unveräußerliches nicht mehr zu entbehrendes Gut betrachten. So ist es z. B. nicht sehr warscheinlich, dass unsere Frauen und Töchter jemals aufhören werden Turen zu stricken und zu häkeln, und wir, seis mit ihnen oder one sie, Turen zu machen, Bolen zu brauen und Toste zu reden. Auch das alles ist ‚unser‘ – aber wir wagten noch nicht, ihm den deutschen Stempel aufzuprägen. (Duden 1876, 72)
Duden rechtfertigt ausgebliebene Assimilationen mit einer bewusst bezweckten Stigmatisierung der Fremdwörter durch Hervorhebung des „Fremden“, ja er unterstellt, dass die Entscheidung, diese Wörter von der graphematischen Assimilation auszunehmen, aus puristischen Gründen erfolgt. Gleichsam schlägt er weitere Assimilationen für Fremdwörter vor, die er als üblich im deutschen Sprachgebrauch und damit als heimisch gewordene Wörter auch in „deutscher“ Form sehen will. Der Purismus als Faktor für bzw. gegen eine Assimilation unterwirft sich bei Duden zwar den auf der Konferenz beschlossenen übergeordneten Regeln, erlangt aber durch seine umfangreiche Erörterung einen besonderen Status. Die puristische Betrachtungsweise wird allerdings in den nachfolgend erschienenen Regelwerken zumindest nicht explizit berücksichtigt. Inwiefern diese puristischen Überlegungen auch in anderen Kodifikationen Grund für ausgebliebene Assimilationen waren, kann mangels explizit darauf hinweisender Formulierungen nicht weiter eruiert werden. Die orthographischen Regelbücher nach der I. Orthographischen Konferenz ähneln sich immer stärker, sie gehen alle mehr oder weniger stark von Raumers Konferenzvorlage aus. In der bayerischen Regelung tritt das Hauptassimilationskriterium „Aussprache“ auch schon in der ersten Regel, der Fremdschreibungsregel, zutage und zwar derart, dass hierdurch auch nur teilweise fremd ausgesprochene Wörter von einer graphematischen Assimilation ausgeschlossen werden: § 29 Fremdwörter, welche im Deutschen die fremde Aussprache ganz oder teilweise bewahrt haben, behalten im allgemeinen auch die fremde Schreibung […]. § 30 Fremdwörter, welche in ihrem Lautbestande sich der deutschen Sprache anbequemt haben, folgen, je früher sie aufgenommen und je gangbarer sie sind, um so mehr der deutschen Orthographie. […] § 33 Oft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung. (Bayern 1879, 14 f.)
Zu den genannten Kriterien in Berlin 1871 kommt also die Geläufigkeit („gangbar“) hinzu, wie dies auch schon bei der Konferenzvorlage der Fall war. Es ist allerdings neben dem Entlehnungszeitpunkt ein der Aussprache untergeordnetes Kriterium. Auch hier wird eine – wenngleich wenig handhabbare – Ausnahmenregelung, die in Berlin 1871 erstmalig zu finden war, aufgestellt (§ 33). Die bayerische Regelung
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
zeichnet sich außerdem durch einen wesentlich ausführlicheren Regelteil aus, der mit vielen Beispielen arbeitet und damit zeigt, worauf die Regelung der Fremdwortschreibung hinausläuft: auf Einzelwortregelungen. Der Regelungsumfang nimmt mit der preußischen Schulorthographie nochmals zu. Ausschlaggebender und hier erstmals einziger Faktor zur Assimilation der Fremdwörter ist die Aussprache. Die Regel ist etwas anders formuliert: Sie bezieht sich demnach nicht auf die gesamten phonetischen Erscheinungen des Wortes, sondern nur auf die fremden Phoneme. Außerdem ist auffällig, dass Preußen nach der Regelung der Fremdschreibung zunächst die nach den bisher bekannten Regeln als „Ausnahmen“ zu bezeichnenden Phänomene regelt (vgl. § 24). Man könnte also sagen, Ausnahmen- und Regelbereich werden ausgetauscht: Auch heimische Laute sollen grundsätzlich nach fremden PGB realisiert, aber in manchen Fällen können auch deutsche Grapheme geschrieben werden: § 23. In vielen Fremdwörtern haben wir Laute und Lautverbindungen aufgenommen, welche der deutschen Sprache fremd sind. Dieselben werden durch die in den fremden Sprachen üblichen Buchstaben bezeichnet. […] § 24. In vielen Wörtern behalten wir auch für solche Laute, welche der deutschen Sprache nicht fremd sind, die fremde Bezeichnung bei. […] Andererseits aber wenden wir auch für solche Laute die in der deutschen Schrift üblichen Zeichen an. Dadurch entsteht vielfach Schwanken und Unsicherheit im Schreibgebrauch. Durchgehende einfache Regeln lassen sich nicht aufstellen. (Preussen 1880, 16)
Diese Besonderheiten finden sich nur in der preußischen Schulorthographie. Ein Blick in Wilmanns Kommentar zur preußischen Schulorthographie schafft Klarheit im Verständnis der Regel. § 23 bezieht sich auf die explizit fremden Laute, § 24 dagegen auf heimische Laute in Fremdwörtern, die im Entlehnungsprozess nicht verändert wurden. Assimilation gilt nur dann, wenn sich ‚irgendetwas‘ an der Lautung des Wortes bei der Übernahme ins Deutsche ändert. Es ist offensichtlich mehr gemeint, als direkt in der Regel abzulesen ist. Wilmanns konstatiert, dass nicht nur lautliche Assimilationen, sondern auch komplexere Änderungsvorgänge ausschlaggebend für die heimische Bezeichnung der Laute sind. Die Änderungen beziehen sich demnach auch auf umfangreichere Prozesse auf der lautlichen Ebene, die nicht nur auf die Assimilation, die Angleichung fremder Laute an ähnliche Laute des Deutschen bezogen sind. Es geht also nicht nur um lautliche/phonemische Assimilationen wie in Leutnant oder Kompanie, sondern auch um umfangreiche qualitative Lautveränderungen: „Wir schreiben Lafette trotz des frz. l’affût, weil wir die Laute ût nicht sprechen“ (Wilmanns 1880, 189). Wilmanns nennt noch weitere Beispiele: Bandelier – frz. bandoulière, Vagabund – frz. vagabond, blümerant – frz. bleu mourant, Rhabarber – griech.-lat. rhabarbaron, Lazarett – ital. lazzeretto, Kloster – lat. claustrum, Fieber – lat. febris etc. Ändern sich die Laute nicht, ist spendersprachlich zu schreiben, „weil diese Wörter im Deutschen dieselben Laute behalten haben“ (Wilmanns 1880, 190). Wilmanns fügt unter Berufung auf Adelung noch ein weiteres Assimilationskriterium hinzu, nämlich das des Bekanntheitsgrades der
Auswertung des Befundes
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Spendersprache. Für Wörter aus unbekannten Sprache gilt demnach die Regel der Beibehaltung der fremden Schreibung bei fremder Lautung nicht: „Je weniger bekannt eine Sprache unter uns ist, um so selbständiger können sich die aus ihr entlehnten Wörter entwickeln“ (Wilmanns 1880, 190). Dies findet in der Regelformulierung in Preußen 1880 keine Beachtung. Es würde die Handhabbarkeit der Regel in Preußen 1880 erheblich erleichtern, wenn diese genauere Bestimmung der Laute und Lautverbindungen, „welche der deutschen Sprache fremd sind“ (Preussen 1880, 16), und das zusätzliche übergeordnete Assimilationskriterium dort aufgenommen würden. Liest man also ergänzend den Kommentar zur preußischen Schulorthographie entsteht ein anderes Regelverständnis als bei alleiniger Rezeption des Regelwerks. Mehr Verwirrung entsteht bei einem Blick in Wilmanns „Orthographie in den Schulen Deutschlands“, die nicht von ungefähr nur im Untertitel die Bezeichnung „zweite umgearbeitete Ausgabe des Kommentars zur preußischen Schulorthographie“ trägt. Friedhelm Debus’ Behauptung, es handele sich dabei im Vergleich zum ersten Kommentar um „ein neues Werk, gleichsam ein ‚Lehrgebäude‘ im Sinne Adelungs“ (Debus 2005, 31), das besonders im Fremdwortteil stark erweitert wurde, kann bestätigt werden. Die Abhandlung zur Fremdwortschreibung ist nicht nur im Umfang erweitert, sondern auch im Inhalt nicht unwesentlich verändert. Die übergeordnete Regel ist zwar sinngemäß erhalten geblieben, dennoch spricht Wilmanns vermehrt davon, dass die Schreibung der Fremdwörter in erster Linie nach dem „historischen“ Prinzip geregelt werde. Er verweist so oft auf die Berechtigung der fremden Schreibweise bei unveränderter Lautung (Wilmanns 1887, 207 ff.), dass man ihm fast das Ziel einer gemäßigt phonetischen Reform absprechen möchte. Wilmanns erklärt dies so: Daß die Fremdwörter nach historischem, die deutschen nach phonetischem Prinzip behandelt werden sollen, mag dem oberflächlichen Blick ungereimt erscheinen, ist aber doch aus der Natur der Sache zu rechtfertigen und zu begreifen. In den deutschen Wörtern ist die Schrift im großen und ganzen der Sprache gefolgt, weil der Gebrauch längst abgestorbener Geschlechter nicht mächtig genug war, diese naturgemäße Entwickelung zu hemmen. In den Fremdwörtern hält sich eine den Regeln der deutschen Orthographie widersprechende Schreibung, weil die Pflege der fremden Sprache uns immer wieder das fremde Wortbild vor das Auge führt und sichert. So lange einerseits Form und Bedeutung eines Wortes, andererseits die Bekanntschaft mit der fremden Sprache es gestatten, ein Fremdwort leicht auf seinen Ursprung zurückzuführen, ist es von seinem mütterlichen Boden nicht gelöst und behauptet den heimatlichen Charakter. […] (Wilmanns 1887, 207) Phonetische Schreibung der Fremdwörter würde nicht nur zahllose neue Wortbilder, sondern sogar neue Buchstaben verlangen, weil für manche Laute der fremden Sprachen in unserem Schriftsystem die Zeichen fehlen. Wenn man also nicht auf jede Ordnung Verzicht leisten will, so bleibt nichts übrig, als eine Regelung auf historischer Grundlage zu versuchen; und noch ist diese fest genug, um ein brauchbares Fundament abzugeben. (Wilmanns 1887, 208)
Die von Wilmanns hier aufgestellte Regel entspricht inhaltlich dem, was in der preußischen Schulorthographie gemeint ist, bringt die Bedeutung des Entschei-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
dungskriteriums allerdings wesentlich eindeutiger auf den Punkt: „Fremdwörter behalten in der Regel ihre fremde Schreibung. Nur wenn die Aussprache des Wortes sich im deutschen Munde so abweichend entwickelt hat, daß die fremde Schreibweise dieser Aussprache widerstreitet, tritt eine Änderung ein“ (Wilmanns 1887, 208). Dass an dieser Regel auch die flexivische Assimilation oder assimilierte Wortbildungsstruktur eines Wortes nichts ändert, zeigt Wilmanns kurz danach (Wilmanns 1887, 209f). Die sächsische Schulorthographie übernimmt – ähnlich auch wie Württemberg 1884177 – das Hauptkriterium des fremden Lautbestandes, führt aber wie Bayern noch die Kriterien des Entlehnungszeitpunktes und des Gebrauchs an. Sachsen problematisiert ähnlich wie Kurhessen, bevor die eigentlichen Regeln formuliert werden: „Über die Schreibung der Fremdwörter lassen sich bei den bestehenden Schwankungen des Schreibgebrauchs durchschlagende einfache Regeln nicht geben“ (Sachsen 1880, 19). Hieran schließt sich die Regel zur spendersprachlichen Schreibweise an, die den Wörtern zuteil wird, „welche ihren Lautbestand in der deutschen Sprache bewahrt haben“ (Sachsen 1880, 19), bevor die Regel zur Assimilation fremder Wörter aufgestellt wird (Sachsen 1880, 19, vgl. auch Bayern 1879, 14 f.). Dass es zur letzteren Regel auch Ausnahmen gibt und wie diese konkret aussehen sollen, klärt § 25 mit vielen Beispielen. Der handlungsanweisende Charakter solcher Regeln wie: „Oft aber bewahren auch die § 23,2 gedachten Wörter fremde Lautbezeichnung“ (Sachsen 1880, 21), ist zwar dürftig; der Versuch der Kompensation dieser Unzulänglichkeit wird allerdings durch die Vielzahl an nachfolgenden Beispielen unternommen. „Die neue Schulorthographie“ 1881 von Konrad Duden fasst die gültigen Regeln aus „Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Weimar, Braunschweig &c.“ zusammen. Mit einem Umfang von fast fünf Seiten liegt mit diesem Regelwerk die umfangreichste Kodifikation der Fremdwortschreibung vor, wobei der Regelung im engen Sinn auch hier (wie für Duden üblich) eine sehr ausführliche Problematisierung vorausgeht. Duden bespricht zunächst die Schwierigkeiten, die sich bei der Kodifikation der Fremdwortschreibung ergeben und verweist auf den schwankenden Gebrauch sowie die daraus resultierenden Unterschiede in den einzelnen Schulorthographien. Durchschlagende, einfache Regeln können nicht gegeben werden und auch das Einbürgerungskriterium „versagte seinen Dienst“ (Duden 1881, 30): Welches Fremdwort wäre wohl verbreiteter als Chaussee, und doch erscheint die deutsche Schreibung hier unmöglich; andere Wörter hinwiederum, die nur engeren Kreisen angehören, haben sich längst der deutschen Schreibung gefügt, wie Schaluppe.
177 Das bedeutet in diesem Fall, dass auch der württembergischen Regelung das Hauptkriterium der Aussprache zugrunde liegt. Hinzu kommt das Kriterium der Form, das außer in der frühen württembergischen Schulorthographie in den anderen Schulorthographien so nicht vorgefunden wurde. Nachgeordnet bleiben die Kriterien des Entlehnungszeitpunktes und des Gebrauchs, die dann entscheidend sind, wenn formale Assimilation vorliegt.
Auswertung des Befundes
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Es blieb also auch auf dem Gebiete der Fremdwörter nichts weiter übrig, als das durch allgemeinen, feststehenden Brauch Geheiligte unangetastet zu lassen und nur da, wo die Schreibung schwankt, nach bestimmten Gesichtspunkten sich für eine der in Betracht kommenden Schreibungen zu entscheiden. (Duden 1881, 30)
Da Dudens Ziel die Zusammenfassung der Regeln der Schulorthographien ist, nimmt der Leser nicht an, dass weitere eventuell davon abweichende Regeln aufgestellt werden. So ist es zunächst auch: Die assimilierte Lautung wird als Hauptassimilationskriterium angeführt. Die zweite Regel geht auch gleich auf die Ausnahmen ein, die es durchaus häufig gibt. Insofern ähnelt die Darstellung bei Duden sehr stark der Regelstruktur der preußischen Schulorthographie (an die sich Duden nach eigenen Aussagen bei seinem Wörterbuch auch in erster Linie gehalten haben will), auch in Bezug auf den Regelungsbereich: Geregelt wird hier nicht die Schreibung der Fremdwörter, sondern der Laute in den Fremdwörtern. Duden liefert allerdings wesentlich mehr Beispiele als die preußische Schulorthographie. Liest man dann in Dudens Schulorthographie weiter, finden sich weitere Regeln zur Fremdwortschreibung, die nicht nur in der Struktur eine Ähnlichkeit zu Bayern und Sachsen aufweisen: Es kommen andere Assimilationskriterien wie die „deutsche Endung und Flexion“ und auch der Entlehnungszeitpunkt und der Gebrauch hinzu (Duden 1881, 31). Außerdem bezieht sich die Regelung hier wieder auf ganze Wörter. Sie sollen eine zusammenfassende Merksatzfunktion haben („Man merke im einzelnen folgendes“ [Duden 1881, 31]). § 19. 1. Laute und Lautverbindungen, welche der deutschen Sprache fremd sind, werden durch die in den fremden Sprachen üblichen Buchstaben bezeichnet. […] 2. Solche Laute der Fremdwörter, welche in der deutschen Sprache ebenfalls vorkommen, aber anders geschrieben werden als in der bezüglichen fremden Sprache, behalten bald die fremde Schreibung bei, bald werden sie in deutscher Weise geschrieben […]. (Duden 1881, 30 f.)
In Gegenüberstellung dazu eine Seite später die folgende Regelung: a)
b)
Fremdwörter, welche sich in ihrem Lautbestand der deutschen Sprache anbequemt, deutsche Endung und Flexion angenommen haben, folgen, je früher sie aufgenommen und je gangbarer sie sind, um so mehr der deutschen Schreibung […]. In Fremdwörtern, welche der deutschen Sprache fremde Laute oder Lautverbindungen enthalten […], schreibt man auch die übrigen Laute meistens wie sie in der fremden Sprache geschrieben werden […]. (Duden 1881, 31)
Abweichend von seinem Zusammenfassungsbestreben fügt Duden allerdings wie schon 1876 in seiner Zukunftsorthographie neue puristische Anklänge hinzu, die in keiner der vorangegangenen Schulorthographien zu lesen sind und die bei der Entscheidungsfindung zur richtigen Schreibweise behilflich sein sollen: 1)
Es ist dahin zu streben, daß der Gebrauch völlig entbehrlicher Fremdwörter beschränkt werde; daher darf der Einbürgerung derselben durch deutsche Lautbezeichnung kein Vorschub geleistet werden.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
2)
Es ist dahin zu streben, daß die unentbehrlich gewordenen Fremdwörter zu völliger Einbürgerung gelangen, indem sie das fremdartige Gepräge verlieren; daher ist die deutsche Lautbezeichnung in denselben zu begünstigen. Indessen behalten völlig eingebürgerte Fremdwörter, welche bisher allgemein mit fremder Lautbezeichnung geschrieben wurden, dieselbe bei. (Duden 1881, 31)
Insofern ist auch hier ein nicht nur zusammenfassendes, sondern auch ergänzendes bzw. erweiterndes Wirken Dudens zu beobachten, das auch schon bei der Betrachtung seiner „Zukunftsorthographie“ festzustellen war. Über die allgemeine Regelung der Fremdwortschreibung in den Schulorthographien lässt sich mit Konrad Duden bemerken, dass „auch auf diesem Gebiet die leitenden Grundsätze bei allen Staaten durchaus dieselben“ (Duden 1886, 27) sind, allerdings muss einschränkend hinzugefügt werden, dass es neben der hauptsächlich nach dem lautlichen Assimilationskriterium entstandenen Regel-Zweiteilung (bzw. Dreiteilung) auch je nach Schulorthographie weitere untergeordnete Assimilationsfaktoren gibt, die eine unterschiedliche Zuordnung der einzelnen Kandidaten bewirken können. Deshalb findet Duden auch ca. 100 Fremdwörter, die in den Wörterverzeichnissen unterschiedlich behandelt werden (Duden 1886, 28). In der Vorlage zur II. Orthographischen Konferenz und auch in der schließlich amtlich beschlossene Regelung ist abweichend von Preußen ein völlig neuer Regelteil entstanden, der die Bezeichnung eigentlich gar nicht verdient, denn „[f]ür die Schreibung der Fremdwörter lassen sich allgemein gültige Regeln nicht aufstellen“ (Vorlage 1901, 243). Bevor es zur Formulierung von lediglich als „Richtlinien“ bezeichneten Anweisungen kommt, geben sowohl die Vorlage als auch die amtliche Regelung eine – gemessen an den Möglichkeiten eines kurzen Regelwerks – ausführliche Problemdarstellung der Fremdwortschreibung, in der erstmalig die definitorische Unterscheidung in Fremd- und Lehnwörter vorgenommen wird (Vorlage 1901, 242 f. und Regeln 1903, 17). Lehnwörter werden dabei bestimmt über die lautliche Assimilation, die Assimilation der Betonungsverhältnisse und die graphematische Assimilation – in der amtlichen Regelung auch über die formale Assimilation im Allgemeinen.178 In Fremdwörtern dagegen stehen diese Assimilationsvorgänge noch aus; es handele sich bei ihnen meist um „in späterer Zeit“ (Vorlage 1901, 243) entlehnte Wörter. Letzteres dürfte allerdings kein Bestimmungskriterium sein, sondern vielmehr ein Grund für die ausgebliebene Assimilation. Gleichzeitig wird auch die schwankende Schreibweise thematisiert. Im Folgenden werden diese wichtigen Vorbemerkungen in den Regelwerken vor und nach der II. Orthographischen Konferenz in vergleichender Weise zitiert:179
178 Vermutlich ist mit „deutscher Form“ die deutsche Wortbildungsstruktur gemeint. Eine nähere Bestimmung der „Form“ gibt es allerdings nicht. 179 Hinweise zur Markierung: Schwarz und mit Fettdruck markierte Teile sind der Vorlage entnommen, die grau gedruckten der amtlichen Regelung 1903.
Auswertung des Befundes
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Zahlreiche, namentlich schon in älterer Zeit aus fremden Sprachen in das Deutsche aufgenommene Wörter haben allmählich ganz deutsche Laute und deutsche Betonung [Form, Aussprache und Betonung – Regeln 1903 – Anm. A. Z.] angenommen und werden daher ganz so geschrieben, wie es den Regeln für die deutsche Rechtschreibung entspricht. Solche völlig eingebürgerte, nicht mehr als Fremdlinge angesehene Wörter nennt man Lehnwörter […]. Dagegen haben viele andere, namentlich in späterer Zeit aus fremden Sprachen in das Deutsche aufgenommene Wörter fremde Laute oder fremde Betonung oder beides [Form, Aussprache oder Betonung – Regeln 1903 – Anm. A. Z.] beibehalten, so daß man ihren fremden Ursprung leicht erkennen kann. Solche Wörter nennt man Fremdwörter. Für die Schreibung der Fremdwörter lassen sich allgemein gültige Regeln nicht aufstellen. Die einen behalten ganz die Schreibung der fremden Sprache bei, z. B. Beefsteak, Chaussee, Feuilleton; andere verraten nur durch die Betonung den fremden Ursprung, z. B. Hospiz, Offizier, Provinz, Prozeß; andere wieder werden halb nach deutscher, halb nach fremder Art geschrieben, z. B. Korps, Redakteur [andere werden halb nach deutscher, halb nach fremder Art geschrieben, z. B. Korps, Redakteur – Regeln 1903 – Anm. A. Z.]; bei manchen endlich schwankt die Schreibung, z. B. Buffet und Büfett. [Im einzelnen wird auf das Wörterverzeichnis verwiesen. – Regeln 1903 – Anm. A. Z.] (Vorlage 1901, 242 f.)
In den Vorbemerkungen sind sich Konferenzvorlage und Konferenzergebnis recht einig. In der Formulierung der „Richtlinien für den Gebrauch“ (Vorlage 1901, 243) 180 allerdings unterscheiden sich beide nicht unerheblich, wenngleich bei beiden die fremde bzw. heimische/assimilierte Lautung das Entscheidungskriterium darstellt. Hier zunächst die wörtliche Gegenüberstellung der Regelformulierung:
Tab. 16: Gegenüberstellung der Fremdwortschreibungsregel der Konferenzvorlage und des amtlichen Regelwerks. Vorlage 1901, 243 Regeln 1903, 17 1. Laute, die in rein deutschen Wörtern nicht 1. Insoweit die fremde Aussprache keine Ändevorkommen, schreibe man, wie sie in der rung erfahren hat, wird in der Regel auch die fremden Sprache geschrieben werden, z. B. fremde Schreibweise beibehalten; z. B. Chef, Gendarm, Logis, rangieren; Jalousie, JourChaise; Tour, Route (Reiseroute); Logis, rannal; Ballon, Refrain; Adagio, Violoncello. gieren; Jalousie, Journal; Ballon, Refrain; Ada2. Laute, die sich durch deutsche Schreibung gio; Violoncello. – Doch werden Fremdwörter, genau wiedergeben lassen, schreibe man in die keine dem Deutschen fremde Laute entWörtern, die sonst keine dem deutschen halten, vielfach ganz nach deutscher Weise fremden Laute enthalten, nach deutscher geschrieben, z. B. Gips, Kristall; Bluse, DubWeise, z. B. Gips, Kristall; Bluse, Dublette, lette, Sekretär; Rasse, Fassade; Schokolade. Sekretär; Rasse, Fassade; Schokolade.
Die Vorlage bestimmt in diesen Regeln die Schreibweise einzelner Grapheme, während in den amtlichen Regeln die Schreibung ganzer Wörter geregelt wird. Das
180 Der Einfachheit halber wird auch hierbei im Folgenden von „Regeln“ gesprochen, auch wenn sie explizit nicht die Geltung von Regeln haben.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Entscheidungskriterium ist beide Male auf der lautlichen Ebene zu suchen. Laut Konferenzvorlage sollen heimische Laute durch heimische PGB realisiert werden – Letzteres allerdings nur unter der Bedingung, dass keine weiteren fremden Laute in demselben Wort enthalten sind (Vorlage 1901, 243). Diese Bedingung war bis zu diesem Zeitpunkt zwar sinngemäß in den Schulorthographien zu finden, aber nicht explizit zu lesen, da die Regeln sich zumeist auf ganze Wörter bezogen. Die Vorlage spricht von „Lauten“, die Regeln von 1903 zumindest im ersten Teil von der „Aussprache“. Es ist daher zu erwarten, dass es einen definitorischen Unterschied des Kriteriums zwischen der Regel von 1901 und der Regel von 1903 gibt. Einen Lösungsansatz findet man bei der Betrachtung der herangezogenen Beispiele. 1901 werden nur Wörter aufgeführt, die tatsächlich fremde Laute bzw. fremde Phoneme aufweisen, z. B. Gendarm, Logis, rangieren, Jalousie. In der Regel von 1903 hingegen sind auch die Beispiele Chef, Chaise, Tour und Route aufgeführt, die nur aus heimischen Phonemen bestehen. Es kann aber gemutmaßt werden, dass hier – da weder fremde Lautpositionen noch fremde Lautkombinationen noch fremde Betonungsverhältnisse vorliegen – im Allgemeinen nicht die Fremdheit der Laute an sich ausschlaggebend ist, sondern ein vorausgegangener lautlicher Änderungsvorgang (s. o. Wilmanns), in dem also nicht nur im Deutschen fremde Laute eine Veränderung erfahren. Dieser ist nicht mit dem lautlichen bzw. phonemischen Assimilationsvorgang gleichzusetzen: Ersterer erfasst auch umfangreichere Änderungen auf der lautlichen Ebene, die nicht nur auf die Assimilation, die Angleichung fremder Laute/Phoneme an ähnliche Phoneme des deutschen Phonemsystem bezogen sind. Die Regeln von 1903 fassen im Grunde die Schwierigkeiten bei der Fremdwortschreibungsregelung zusammen, die sich während des gesamten 19. Jahrhunderts in Grammatiken, Orthographielehren und anderen Regelwerken gezeigt haben und reduzieren die Bestimmungskriterien auf ein einziges, vorher auch immer präsentes und (scheinbar) leicht zu handhabendes Kriterium: die Aussprache. Die große Leistung ist die Problematisierung der Zuordnung der Kandidaten zu den einzelnen Regeln, die durch die erstmalige terminologische Differenzierung von Fremd- und Lehnwörtern eine solide theoretische Grundlage bekommt. Obwohl die Schwankungen und der Verweis auf die einzelwortbezogene Regelung im Wörterbuchteil im Vordergrund stehen, versäumen es die Regelwerksautoren nicht, Anweisungen als Richtlinien mitzugeben. Nicht zu vergessen ist die wegweisende Stellung des Berliner Regelbuchs im gesamten Entwicklungsprozess der Schulorthographien: Es ist das erste Regelwerk, in dem der Begriff der Einbürgerung in der eigentlichen Fremdwortschreibungsregel verschwindet, in dem eine dritte Regel quasi als Ausnahmeregel hinzukommt und in dem die Veränderungen auf der lautlichen Ebene zum Hauptassimilationskriterium werden.
Auswertung des Befundes
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3.4.1.3 Regelung in den Wörterbüchern Die Wörterbücher sind in erster Linie herangezogen worden, um den Assimilationsprozess anhand singulärer Regeln zu dokumentieren. Dennoch ist in den meisten untersuchten Wörterbüchern ein sog. Regelteil zu finden, der die Grundlage für die folgende Darstellung bietet. Das Adelung’sche Wörterbuch von 1788 nimmt im Umfang etwa die Hälfte seiner „Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie“ ein, deshalb genießt es innerhalb der hier analysierten Wörterbücher eine gewisse Sonderstellung: Es ist das einzige, in dem der „Regelteil“ so umfassend ist wie das „Wörterbuch“. In allen anderen Wörterbüchern stehen die singulären Regeln als Anwendungen der generellen Regeln im Fokus und heben sich auch im Umfang deutlich von ihnen ab. Adelungs Wörterbuch muss hier nicht mehr besprochen werden, da bereits in Kapitel 3.4.1.1 die grundlegenden generellen Regeln ausführlich zur Sprache kamen. Auch das später erscheinende Wörterbuch Adelungs, das in diesem Fall keinerlei generelle Regeln aufweist, wird erst in der Besprechung der einzelnen Grapheme relevant. Kunitsch greift bei seinen generellen Regeln zur Fremdwortschreibung auf einen umfassenden Fundus an Unterscheidungskriterien zurück: auf formalstrukturelle und außersprachliche Kriterien. Die Assimilationsempfehlung hängt bei ihm von der zu Beginn des 19. Jahrhunderts üblichen Unterteilung in Bürger und NichtBürger ab. Das Bürgerrecht haben dabei jene Wörter, die schon früh in die deutsche Sprache aufgenommen, dann üblich wurden und „in ihrer ganzen äußern Gestalt das Ansehen Deutscher Wörter“ (Kunitsch 1803, XXX) erworben haben. Eine definitorische Bestimmung der „äußern Gestalt“ fehlt auch hier. Die Assimilation hingegen soll ausbleiben, wenn die Fremdwörter verhältnismäßig spät in die deutsche Sprache übernommen wurden und wenn sich nur geringfügige formale Änderungen an ihnen nachweisen lassen: Nur flexivische Assimilation z. B. genüge nicht. Seine Regeln verdeutlicht er mit Beispielen aus den Graphembereichen und . Obwohl Kunitsch also Kriterien benennen kann, wenngleich sie auch nicht exakt definiert sind, stellt er die Frage, die eigentlich durch die Kriteriennennung beantwortet wäre: „Es ist nur die Frage, welches wirklich eingebürgerte Wörter sind?“ (Kunitsch 1803, XXXI). In zweifelhaften Fällen überlässt er dem Sprachnutzer die Entscheidung selbst – eine für die Verhältnisse der Zeit recht unübliche Variantentoleranz. Dem „Deutschen Rathgeber“ von Theodor Heinsius liegen dieselben Regeln zugrunde, die schon in seiner Grammatik zu finden waren. Sie sind allerdings wesentlich verkürzt worden, es fehlt die in der Grammatik von 1825 zuerst genannte Anweisung zur Fremdschreibung. Offensichtlich gebietet es der geringe Umfang, der in solchen Werken für Vorbemerkungen bzw. generelle Regeln reserviert ist, nur das Wesentlichste zu regeln. Da scheint es dann so, als sei die fremdsprachliche Schreibweise für Fremdwörter völlig selbstverständlich und daher nicht rege-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
lungsbedürftig. Wie schon in der Auflage von 1825 meidet Heinsius das Wort des „Bürgerrechts“ und gibt dem Sprachnutzer stattdessen genauere Kriterien an die Hand, die – wie schon in seinen Grammatiken – nur formalstruktureller Art sind: 3)
Fremde, aber auf Deutsche Art ausgesprochene und gebogene Wörter, werden auch nach Deutscher Aussprache und Sitte geschrieben, also Zepter, Pallast, Engel, nicht Scepter, Palast, Aengel. (Heinsius 1828, 194)
Dennoch bleibt in der Kürze der Formulierung unklar, ob sich die Aussprache auf Laut und/oder Betonung bezieht und ob die Biegung tatsächlich nur die Flexion oder auch die Wortbildung meint.181 Nach oben zitierter Regel folgen nur noch in aller Kürze Regeln zur „Rechtschreibung einzelner Buchstaben und Wörter“, in denen die graphemabhängige Fremdwortschreibung geregelt ist. In seinem „Volksthümlichen Wörterbuch der Deutschen Sprache“ 1818–1822, das nur sekundär ein Rechtschreibwörterbuch sein will, führt er kein orthographisches Regelwerk an – erklärbar aus der Multifunktionalität des Wörterbuches –, betont aber die Anerkennung des Schreibgebrauchs und seine Offenheit gegenüber Assimilationen: „Bei der Schreibung der Fremdwörter habe ich überall, wo es thunlich war, die deutsche Form wie die deutsche Schrift vorgezogen“ (Heinsius 1818, XXI). Ein solches Bekenntnis ist in den vorangegangenen Regelwerken von ihm nicht zu lesen. Auch bei allen anderen untersuchten multifunktional angelegten Wörterbüchern (Heyses „Handwörterbuch der deutschen Sprache mit Hinsicht auf Rechtschreibung, Abstammung und Bildung, Biegung und Fügung der Wörter, so wie auf deren Sinnverwandtschaft“, Schmitthenners „Kurzes Deutsches Wörterbuch für Etymologie, Synonymik und Orthographie“ und Friedrich Manns „Kurzes Wörterbuch der deutschen Sprache. […]“) fehlen generelle Regeln zur Fremdwortschreibung. Dass neben den multifunktional angelegten Wörterbüchern auch orthographische nicht zwingend eine solche Regelung aufweisen müssen, zeigen Sanders’ „Orthographisches Wörterbuch“ und das „Orthographische Schul-Wörterbuch“: Einen wenn auch kurzen Regelteil zur Orthographie – nicht nur zur Fremdwortschreibung – sucht man vergebens. In Konrad Dudens „Vollständigem orthographischen Wörterbuch“, das erstmalig 1880 erscheint, ist die Situation eine andere. Duden verweist bereits im Titel explizit auf die Regeln, die Grundlage für sein Wörterbuch sind: „nach den neuen preußischen und bayerischen Regeln“ (Duden 1880, Titel). Er führt dieselben nicht in aller Ausführlichkeit, aber doch zusammenfassend – zum Teil aber auch wörtlich (Duden 1880, XV) – in seinen Vorbemerkungen auf, so dass man tatsächlich von einem Wörterbuch mit Regelwerksteil sprechen kann. Wesentlich für die
181 Zumeist ist mit der Biegung tatsächlich nur die Flexion gemeint, gelegentlich wird dem Begriff auch die Wortbildung zugerechnet.
Auswertung des Befundes
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Schreibung der Fremdwörter ist der erste Abschnitt „Orthographische Regeln“, in dem er seine Vorgehensweise bei der Ermittlung der richtigen Schreibung derselben rechtfertigt. Dabei geht er nur indirekt auf die Fremdwortregeln Preußens ein und vermerkt als Assimilationskriterium nicht etwa das tatsächlich in Preußen 1880 zu findende lautliche Kriterium, sondern ein nicht formalstrukturelles: Es ist die Entscheidung zu treffen, „ob ein Fremdwort in den allgemeinen Gebrauch des Volkes übergegangen ist“ (Duden 1880, XI). Diese Unterscheidung mag auch der preußischen Regel zugrunde gelegen haben, ist aber nicht als solche explizit erwähnt. Eine zweite Abweichung von Preußen ist bemerkenswert: Duden verkündet an einer Stelle, sich in allen orthographischen Teilbereichen an die preußischen Regeln zu halten, an anderer Stelle aber kritisiert er die einzelwortbezogene Regelung derselben und erlaubt sich explizit, in Einzelfällen stärker zugunsten der Assimilation vorzugehen. Vgl. folgende nicht ganz widerspruchsfreie Äußerungen, zur allgemeinen Vorgehensweise bei der Ermittlung der richtigen Schreibung (Zitat 1) und bei der Ermittlung der richtigen Fremdwortschreibung (Zitat 2): Was die Ermittelung der denselben [den aufgenommenen Wörtern – Anm. A. Z.] zukommenden Schreibung betrifft, so galt es lediglich, die in dem amtlichen Buche enthaltenen Regeln richtig anzuwenden und zu den als typisch anzusehenden Beispielen des amtlichen Wörterverzeichnisses die richtigen Analogieen [sic!] zu finden. Es mußte jedes subjektive Belieben des Verfassers ausgeschlossen und seine ganze Aufmerksamkeit nur darauf gerichtet sein, für alle nicht in das amtliche Wörterverzeichnis aufgenommenen Wörter die Schreibung so festzustellen, wie sie nach seinem Urteile die amtliche höchste Instanz festgestellt haben würde. […] Die Selbstentsagung, welche der Verfasser sich demnach aufzuerlegen hatte, wurde ihm wesentlich dadurch erleichtert, daß er trotz abweichender Ansicht in Bezug auf wenige Einzelheiten im großen und ganzen die amtliche Regelung der Rechtschreibung als dem gegenwärtigen Stande der orthographischen Frage entsprechend anerkennt. (Duden 1880, X f.) Das Urteil darüber, ob ein Fremdwort in den allgemeinen Gebrauch des Volkes übergegangen ist und demnach einen Anspruch darauf hat, der deutschen Schreibung teilhaftig zu werden, wird oft schwankend sein, und es können daher auch die auf diesem Gebiete von seiten des preußischen Ministeriums getroffenen Entscheidungen am wenigsten auf allgemeine Zustimmung rechnen. […] Wir haben uns in dieser weitereichenden Frage der Ersetzung des fremden c durch k und z gemäß dem Zweck unseres Buches, die amtliche preußische Schreibung zu geben, zunächst die in dem amtlichen Regelbuch und Wörterverzeichnis angegebene Schreibung zu bieten, und zwar, wo eine doppelte Schreibung zugelassen war, stets mit deutlicher Angabe, welche in erster Linie empfohlen sei, demnächst für alle übrigen Fälle, soweit möglich, die Entscheidung im Sinne des preußischen Buches zu treffen. Erst wo dieselbe nach dem vorliegenden Material mit Sicherheit nicht getroffen werden konnte, da hat der Verfasser seiner eigenen Ansicht Einfluß gestattet. (Duden 1880, XI f.)
Duden bezieht sich zwar explizit auf Preußen 1880, lässt es sich aber nicht nehmen, in Zweifelsfällen regelnd einzugreifen. Damit läge erneut ein Beleg dafür vor, dass Duden nicht nur Regeln anwendet, sondern mit seinem Wörterbuch eigene Regeln, eigene singuläre Regeln hin zu mehr Assimilation aufstellt (Duden 1880,
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
XII). Wie das im Einzelnen aussieht, wird in dieser Arbeit im Kapitel zur Kodifikation von bzw. dargestellt. In der Duden-Ausgabe von 1902 (7. Auflage) verfährt Duden im Sinne der Beschlüsse der II. Orthographischen Konferenz und der aktuellen Ausgabe des preußischen Regelbuchs. Da das amtliche Regelwerk statt konkreter Regeln nur Richtlinien zur Fremdwortschreibung mitgegeben hat, bleibt „der persönlichen Auffassung ein gewisser Spielraum“ (Duden 1902, VII), mehr noch als 1880. „In solchen zweifelhaften Fällen habe ich mich, besonders wo es sich um geläufige Fremdwörter und um bekannte Namen handelt, in der Regel für die deutsche Lautbezeichnung entschieden“ (Duden 1902, VII). Damit handelt Duden im Sinne des Konferenzbeschlusses, der mehr Assimilationen besonders bei der Schreibung von und gefordert hatte (s. u. Kapitel 3.4.2.1). Duden übernimmt jetzt größtenteils wörtlich die Regeln von 1902/03 und setzt keine eigenen Kommentare dazu. Letztere hat er bereits im Vorwort zur 7. Auflage dargelegt. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass es sich bei dem „Orthographischen Wörterbuch“ von 1902 um ein echtes orthographisches Wörterbuch handelt, das neben einem sehr umfassenden und immer noch im Fokus stehenden Wörterverzeichnis auch einen echten Regelteil enthält, der die amtliche Regelung wiedergibt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass bei expliziter Multifunktionalität der Wörterbücher der Regelanteil deutlich absinkt bzw. kein solcher existiert. Am ausführlichsten gehen Adelung und Duden vor, deren Wörterbücher explizit ausschließlich orthographische Funktion haben. In Bezug auf die Fremdwortschreibungsregelung erweisen sich die Wörterbücher demnach nur im Teil der singulären Regeldarstellung als ergiebig.
3.4.1.4 Regeln zur Schreibung der Zitatwörter, Verwendung von Fraktur und Antiqua In einigen Grammatiken finden sich, wie bereits angedeutet, weitere Fremdwortschreibungsregeln, die allgemeinen Charakter haben (sich also nicht auf spezielle Grapheme oder Wörter beziehen) und sich von der üblichen Zwei- bzw. Dreiteilung der Regelung abheben. Sie regeln die Schreibung von zitatwortähnlichen Phänomenen und werden hier separat betrachtet, da sie auch häufig in den Regelwerken in Bezug auf die Platzierung von den anderen graphemübergreifenden Regeln abgehoben werden. Der Einfachheit halber wird in der folgenden Darstellung immer der Begriff Zitatwort verwendet, wenn in der Regelungsdarstellung ein ähnlicher Begriff fällt bzw. durch die Formulierung auf ein ähnliches Verständnis zu schließen ist, auch wenn dieses Zitatwortverständnis im Einzelnen leicht von dem hier vorliegenden (vgl. Kapitel 2.3.5.2.2) abweichen mag. Erstaunlich ist zunächst die Beobachtung, dass das Zitatwortphänomen nur selten ausführlicher problematisiert wird. Allen Regeldarstellungen gemein ist al-
Auswertung des Befundes
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lerdings – wenig verwunderlich – die Bewahrung der Herkunftsschreibung, wobei sich folgende Entwicklung zeigt: Die zu Beginn des Jahrhunderts in der Regelung dominierende Beschränkung der ‚Schreibungsregelung‘ auf die Zuweisung des Antiquaschrifttyps zur Kennzeichnung des Zitatworts wird im Lauf des Jahrhunderts verdrängt von einer expliziten Regelung, diese Wörter nicht assimiliert zu schreiben, bevor schließlich am Ende des Jahrhunderts das Zitatwort überhaupt keine explizite Regelung mehr erfährt. Die Bewahrung der Herkunftsschreibung ist allerdings in den Kodifizierungen – trotz mangelnder Schreibungsregelung – auch zu Beginn des Jahrhunderts selbstverständlich, wie die Beispiele der Regeln zeigen. Diese Selbstverständlichkeit dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Zitatwortschreibung in den wenigsten Fällen weiter thematisiert wird und die Regelung am Ende des Jahrhunderts gar nicht mehr zu finden ist. Doch zunächst einige Beispiele für die Regelung zu Jahrhundertbeginn. So schreibt Adelung: Wird hingegen ein ausländisches Gattungswort ausdrücklich als ein ausländisches Wort angeführet, oder findet man nöthig, ganze ausländische Stellen und Redensarten zu gebrauchen, so ist es so wohl billig, als schicklich, ihnen ihre eigentümlichen Schriftzeichen zu lassen. (Adelung 1788, 110)
Von Heinsius und Heyse wird der Antiquagebrauch generell zur Kennzeichnung von Fremdheit abgelehnt (Heinsius 1825, 440; Heyse 1814, 92), wobei Heyse ganz explizit die Zitatwörter davon ausnimmt: Etwas anderes ist es, wenn man fremde Wörter oder auch ganze Sätze und Stellen aus Büchern, Sprichwörter rc. absichtlich in ihrer fremden, eigenthümlichen Gestalt anführt; alsdann schreibt man sie allerdings mit den ihrer Sprache eignen Schriftzeichen. (Heyse 1814, 92)
Sowohl Adelung als auch Heyse meinen mit dem Begriff „Schriftzeichen“ den Schrifttyp, der für diese Wörter verwendet werden soll – die Antiqua. Das zeigen sowohl der Kontext als auch die nachfolgenden Beispiele – jeweils in Antiqua gedruckt (mon coeur, mon esprit, festina lente, restitutionem in integrum [Heyse 1814, 92]; non plus ultra, nemine contradicente [Adelung 1788, 110]). Durch sie wird die Fremdheit des betreffenden Wortes und/oder die Tatsache, dass es sich um eine zitatähnliche Erscheinung aus einer fremden Sprache handelt, gewollt markiert. Damit einher geht auch die Bewahrung der fremden PGB, die aber bei all diesen Autoren nicht weiter thematisiert wird. In der Mitte des Jahrhunderts verändert sich dann die Regelung. Andresens Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Fremdwortschreibung problematisiert die Schrifttypenfrage von Zitatwörtern nicht mehr, sondern beschränkt sich in der Darstellung auf die fremden Phonem-Graphem-Beziehungen am Beispiel von , die erhalten bleiben: „Es wird jedoch keinem einfallen, wenn er in deutscher rede von ‚corpus juris, casus absolutus, consecutio temporum, captatio bene-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
volentiae, futurum exactum‘ spricht, statt des lat. c deutsches k zu setzen“ (Andresen 1855, 155). Seine Beispiele beziehen sich auf den Strukturtyp Substantiv + Attribut in fremdflektierter Form. Ob auch andere Strukturen als zitatwortähnliche Phänomene gemeint sind, ist aus der Formulierung nicht ersichtlich. Ähnlich formuliert auch Daniel Sanders in seinem Katechismus, und auch bei ihm ist Mehrgliedrigkeit ein Merkmal der Wörter, auf die diese Regelung zutrifft, z. B. conditio sine qua non (Sanders 1856, 82). Dass Mehrgliedrigkeit zum Verständnis des Zitatworts im Allgemeinen dazugehört, was in der vorliegenden Arbeitsdefinition nicht zwingend der Fall ist, zeigt sich auch in den nachfolgenden Orthographielehren. Die Regelung des Radikal-Phonetikers Fricke verdient in diesem Zusammenhang besondere Erwähnung, da er als einer der wenigen die Abgrenzung der Zitatwörter von den anderen Fremdwörtern mit fremden Phonem-Graphem-Beziehungen ausführlicher problematisiert: Freilich sind dabei drei Arten der Fremdwörter zu unterschieden. 1. Angeführte (zitirte) d. h. solche, die als fremde Elemente in der Rede auftreten, die nicht vom Volke, sondern nur von dem Sprachkundigen verstanden werden, und die man in Anführungszeichen setzen könnte; z. B. er ist mein alter ego. Oder – ‚time is money‘. […] 2. Eingewanderte, die als integrirende Theile der Rede auftreten, und von denen man voraussetzt, dass sie von der deutschen Nation verstanden werden, obgleich sie noch fremden Laut und fremde Schreibung oder Eins von Beidem beibehalten haben; Tournure, complaisant, Capitain, Secretaire. […] (Fricke 1876, 113)
Der Hauptunterschied ist also – aus dem Zitatcharakter hervorgehend – die nicht stattfindende Integration in den Redezusammenhang und eine soziale Markiertheit in Bezug auf die kommunikativen Rahmenbedingungen (vgl. Kapitel 2.3.5.2.2 von Polenz’ Verständnis von Zitatwörtern). Für diese Zitatwörter gilt: „Wer sie gebraucht, soll sie auch fremdnational aussprechen und schreiben können; das Gegentheil davon wäre barbarisch“ (Fricke 1877, 113). In der amtlichen Phase am Ende des Jahrhunderts ist die Regelung der Zitatwortschreibung dann kein Thema mehr. Einzig in der Regelvorlage von 1876 wird das Phänomen separat erfasst, davor und danach aber in keiner einzigen Schulorthographie: § 40. Wenn mehrere unter sich verbundene Worte der fremden Sprache gebraucht werden, so schreibt man sie so, wie sie in der fremden Sprache geschrieben werden, aus welcher sie genommen sind. Z. B.: Er ist Doktor der Medizin. Aber: Er ist Doctor medicinae [Fraktur – Anm. A. Z.], oder: Er ist doctor medicinae [Antiqua – Anm. A. Z.]. (Vorlage 1876, 26)
Beim Zitatwort gibt es nach dieser Regeldarstellung zwei Realisierungsmöglichkeiten: die Großschreibung des Zitatwortes (erster Bestandteil) im Falle der Anwendung von Frakturschrift und die Kleinschreibung bei Antiquadruck. Dies zeigt, dass die Schrifttypenfrage in der Kodifikation einhergeht mit dem graphematischen Assimilationsstatus: Werden auf der graphischen Ebene Assimilationen vor-
Auswertung des Befundes
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geschrieben, so wird nicht mehr die Antiqua zur Kennzeichnung des besonders fremden Charakters des Wortes verwendet. Die Tatsache, dass Antiqua im Laufe des Jahrhunderts die Frakturschrift in den Drucktexten verdrängt, erklärt die ausbleibende Regelung zur Zitatwortmarkierung durch Antiqua am Ende des Jahrhunderts. Da es diese Regelungsnotwendigkeit nicht mehr gibt, kann auch generell das Zitatwort eingegliedert werden in die allgemeine Regelung der Fremdwortschreibung. In der Ususanalyse soll überprüft werden, ob der Zitatwortstatus wirklich eine deutlich höhere Nichtassimilationsquote hervorbringt.
3.4.1.5 Zusammenfassung zur graphemübergreifenden Regelung In nahezu allen Grammatiken (erstaunlicherweise sogar bei den Vertretern der historischen Reformbewegung) findet sich – jeweils in unterschiedlicher Formulierung – eine ähnliche Regel zur Schreibung der Fremdwörter, die etwa wie folgt zusammengefasst werden kann: Eingebürgerte Fremdwörter schreibe nach deutschen Laut-Buchstaben-Regeln, nicht eingebürgerte Fremdwörter schreibe in der Weise der Gebersprache.
Ein ausführlicherer Blick in die Regelung zeigt fast immer, dass diese scheinbar einfach umzusetzende Regel aufgrund des Gegenstandsbereichs mit zahlreichen Problemen behaftet ist, denn es steht – wie z. B. Andresen bemerkt – die Frage im Raum: „Wer aber vermag bei jedem einzelnen worte mit bestimmtheit zu entscheiden, ob es eingebürgert ist oder nicht?“ (Andresen 1855, 147). Die Unzulänglichkeiten bei der Zuordnung werden in den Grammatiken immer wieder betont (z. B. Duden 1886, 32) und führen letztlich dazu, dass ab den 70er Jahren eine dritte graphemübergreifende Regel in den Schulorthographien zu finden ist: „Oft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung“ (Berlin 1871, 17). Es gibt bei der Kandidatenbestimmung im Wesentlichen die folgenden Schwierigkeiten: Nicht jeder Grammatiker gibt eine Charakterisierung seines Kriteriums „Bürgerstatus“ an. Bei Theodor Heinsius z. B. muss der Regelwerksbenutzer zwischen den Zeilen lesen, um einige verstreute Hinweise zu finden. Und Friedrich Bauer schreibt lapidar: „Nur ganz eingebürgerte Wörter der Art schreibt man mit k als: Afrika, Amerika, Artikel, Kanone, Kanzel, Kerker, Kloster, Onkel“ (Bauer 1854, 131). Falls nähere Bestimmungen gegeben sind, differieren sie unter den Grammatikern so stark, dass keineswegs von einer einheitlichen Regelung im 19. Jahrhundert gesprochen werden kann. Die Spanne der Faktoren reicht von formalstrukturellen bis hin zu außersprachlichen Merkmalen. Erschwerend kommt hinzu, dass die verwendeten Begriffe zur Darstellung der Assimilationsfaktoren „Bau“ bzw. „Ansehen“ und „Ton“ oft vage und ungenau im Verständnis bleiben. Falls mehr als rein
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
formale Definitionskriterien angelegt werden, ist deren Bestimmung schwierig, wie sich aus der Sache selbst erklärt: Sie erfordert die Einschätzung des Sprachteilnehmers, ob das Wort im allgemeinen Gebrauch ist, ob es zu einer Fachsprache gehört, zu einer bestimmten Fremdsprache etc. Und schließlich bleibt – selbst bei genauester Bestimmung der Kriterien – immer noch ein unscharfer Übergangsbereich zwischen den beiden Klassen „Bürger“ – „Nicht-Bürger“, „welche denn als solche anzusehen sind, welche zwischen den völligen Bürgern und den völligen Fremdlingen in der Mitte stehen“, wie Adelung reflektiert (Adelung 1788, 113). Die nachfolgende Übersicht der Assimilationskriterien für die graphemübergreifende Fremdwortregelung zeigt deutlich, dass die terminologische Unterteilung in „eingebürgerte“ und „nicht eingebürgerte“ Fremdwörter am Ende des 19. Jahrhunderts aus den Regelwerken verschwindet.182 Möglicherweise ist dies auch ein Ausdruck für die Erkenntnis über die Zuordnungsschwierigkeiten. Mit dem Verschwinden der Begrifflichkeiten verschwindet allerdings nicht die Idee hinter dem Begriff: dass die Fremdwörter in zwei große Klassen einzuteilen sind, denen jeweils eine eigene Regel zukommt. Letztlich sagt die graphemübergreifende Regel also nicht allzu viel darüber aus, wie sich das Assimilationsverhalten der Fremdwörter im Einzelnen verändert hat, da es fast immer die oben genannte Regelzweiteilung bzw. -dreiteilung gibt. Um zu einem normgerechten Schreibungsprodukt zu kommen, ist die Konsultation der graphemspezifischen Regeln und der singulären Regeln unumgänglich. Im Folgenden wird ein zusammenfassender Überblick zu den Assimilationsfaktoren der graphemübergreifenden Regel gegeben. Die Begriffe sind v. a. in den Fällen direkt aus der Primärliteratur entnommen, in denen eine exakte Terminibestimmung erschwert war. Die explizit sprachsystematisch-formalen Assimilationsfaktoren werden den entsprechenden sprachlichen Bereichen zugeordnet. Wo eine Hierarchisierung der Faktoren bzw. die indirekte Wirkung derselben erkannt werden konnte, wird sie vermerkt. Dabei sind die dominanten Assimilationsfaktoren mit „I. Grad“ bezeichnet, die nachgeordneten dann jeweils graduell abgestuft. Grau unterlegt sind diejenigen Faktoren, die laut entsprechendem Regelwerk den „Einbürgerungsstatus“ ausmachen. Mit Blick auf die Assimilationsfaktoren kristallisiert sich die Dominanz der lautlichen Ebene heraus. Auf dieser sprachlichen Ebene liegt in nahezu allen Primärtexten das höchste Entscheidungskriterium bezüglich der graphematischen Assimilation. Zugrunde liegt die Überlegung: Was heimisch gesprochen wird, kann auch heimisch geschrieben werden. Weitere Kriterien sind im Bereich Morphologie und Wortbildung zu suchen (Flexion, Wortbildungssuffixe), aber auch außerhalb des sprachlichen, zumindest außerhalb des formalstrukturellen Bereichs (Spendersprache, Fachsprachenzuordnung, Fremdgraphemanzahl, Gangbarkeit, Verbreitung,
182 Sie tritt in den späten Regelwerken nur noch bei Fricke auf. In den Schulorthographien fällt der Begriff der Einbürgerung nur noch in der Ausnahmeregel.
Auswertung des Befundes
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Tab. 17: Assimilationsfaktoren in den einzelnen Regelwerken des 19. Jahrhunderts. Grammatik
– Phonologie/Phonetik „Laute und Lautverbindungen“ + „Lautbestand“ (Morphologie/Wortbildung: „Flexion“,„Endung“)
– Entlehnungszeitpunkt – „gangbar“
Vorlage 1901
– Phonologie/Phonetik: „Laute“
– Fremdgraphemanzahl
Regeln 1903
– Phonologie/Phonetik: „Aussprache“, „Laute“
– Purismus
Entlehnungszeitpunkt). Sie sind allerdings meist sekundär oder indirekt (ergeben sich aus der Erfüllung übergeordneter Kriterien), was sich besonders deutlich in den späteren Schulorthographien und allgemein in den Publikationen der amtlichen Phase zeigen lässt. Zu Anfang des Jahrhunderts werden diese Differenzierungen noch nicht besonders deutlich artikuliert, auch terminologische Probleme überwiegen zunächst. Mit Blick auf die späteren Publikationen kann man mit Recht behaupten, dass das Hauptassimilationskriterium im gesamten Jahrhundert zwar auf der lautlichen Ebene zu suchen ist, aber keineswegs Einheitlichkeit bezüglich der sprachlichen Einheit auf dieser Ebene besteht, was nicht zuletzt auch an terminologischen Schwierigkeiten liegt. Da die lautliche Ebene offensichtlich im Assimilationsprozess eine besondere Rolle spielt, sollen die verschiedenen Ansichten der Grammatiker hierzu noch ein-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
mal zusammenfassend reflektiert werden. Auf welche sprachliche Einheit bezieht sich also das Assimilationskriterium auf der lautlichen Ebene? Nicht immer kommt man zu befriedigenden Ergebnissen. Die größte Vielfalt in der Terminologie findet sich diesbezüglich bei Adelung. Im Zusammenhang mit der Fremdwortschreibung fallen die Begriffe „Aussprache“, „Laut“ und „Ton“. „Aussprache“ bezieht sich bei Adelung auf das Ausspracheprinzip (Adelung 1788, 17). Der Aussprache gemäß zu schreiben, bedeutet, Laute so zu realisieren, wie sie gehört werden („mit dem ihm zukommenden Zeichen“); der Begriff wird also über einen weiteren konkretisiert („Laut“), so dass man sich fragen muss, ob „Aussprache“ nicht etwa einheitenübergreifend gemeint ist. Uneindeutig ist weiterhin die Verwendung des Begriffs „Ton“. Er könnte sich einerseits – und das ist wohl die am häufigsten anzutreffende Verwendung – als Terminus auf die Betonung bzw. den Akzent beziehen. Diese Verwendung ist relativ eindeutig nachweisbar in Textstellen wie „Stellung des Tones“ (Adelung 1788, 159) oder „Sitz des Tones“ (Adelung 1788, 172 und 179). Allerdings kennt und benutzt Adelung auch den Begriff des „Accentes“ (Adelung 1788, 97). So bliebe zu fragen, ob Adelung den Begriff möglicherweise auch allgemeiner versteht. Es finden sich tatsächlich Textstellen, in denen der Begriff des Tones relativ unspezifisch bleibt: „eine Sammlung von Lauten und Tönen“ (Adelung 1788, 29), „dem Baue und Tone nach völlig ähnlich“ (Adelung 1788, 113). Da Adelung in direkter Folge des letztgenannten Zitates die Beispiele Aberraute (abrotanum), Allmosen (eleemosyna) anbringt, in denen sehr umfangreiche Wortwandelprozesse u. a. auch Lautwandel nachweisbar sind, kann zumindest vermutet werden, dass „Ton“ sich nicht nur auf die Betonung, sondern auch auf Laute und Lautkombinationen beziehen könnte. Der Begriff des „Tones“ bleibt auch bei Heinsius unklar, vermutlich aber bezieht sich „das Fremdartige im Ton“ (Heinsius 1825, 441) mit Blick auf die Beispiele Festin, Journal auf fremde Laute und fremden Akzent. Ein weiteres Beispiel für „fremdartigen Ton“ ist das ebenfalls beigegebene Cavalier (Heinsius 1825, 441). Hier liegt zwar nach heutigen Gesichtspunkten kein fremder Laut mehr vor (aber fremder Akzent), möglicherweise wurde das Wort zu Beginn des 19. Jahrhunderts allerdings noch französisch artikuliert, was dann wiederum auf eine fremde Lautkombination (am Ende des Wortes) als zusätzliches Merkmal der ‚Fremdartigkeit im Ton‘ schließen lassen könnte. Nicht klar definiert ist auch das Kriterium in Heinsius’ Wörterbuch: Assimiliert wird, was „auf Deutsche Art ausgesprochen“ wird. Einen weiteren Hinweis auf eine Merkmalsbestimmung gibt es nicht. Auch Heyses „deutscher Ton“ ist unklar in der Definition. Capital als Beleg für ein diesbezüglich eingebürgertes Fremdwort und Physik als Beleg für ein nicht eingebürgertes zeigen das Problem: Beide Wörter sind fremdbetont, beide haben keine fremden Laute und müssten daher in die gleiche Klasse gehören, was Heyse allerdings durch seine Zuordnung ausschließt. Franz Linnig ist der letzte Autor in den untersuchten Regelwerken, der noch den Begriff des „Tones“ verwendet, und bei ihm ist er eindeutig bestimmt als Betonung; die angeführten Beispiele und die
Auswertung des Befundes
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terminologische Differenzierung in „Ton“ und „Laut“ zeigen es. Eindeutigere Begriffe wie etwa der der „Betonung“ (Württemberg 1861, 14) oder des „Accents“ (Fricke 1874, 49) fallen bei Fricke. Dass ein eindeutigerer Begriff nicht automatisch eine eindeutigere Zuordnung bedeutet, beweist Fricke selbst, der Paris als ein eingebürgertes Wort bezeichnet. Becker bezieht sich mit seinem Assimilationskriterium recht eindeutig auf „Laute und Lautverhältnisse“. Die fremden „Lautverhältnisse“ sind zwar nicht exakter bestimmbar, allerdings die fremden Laute. Als Beispiele bringt er die „klassischen“ fremden Laute /ʒ/, /nj/ und /lj/, die „nicht ohne Verfälschung nach deutscher Weise bezeichnet werden können“ (Becker 1829, 411). Bei Ruprecht fallen die Begriffe „Klang“ und „Betonung“ (Ruprecht 1854, 48). Die Bedeutung der „Betonung“ ist eindeutig bestimmbar, eine Bedeutung von „Klang“ kann nur vermutet werden. Wahrscheinlich bezieht sie sich übergreifend auf mehrere sprachliche Einheiten: auf Laute, Lautkombinationen, Lautpositionen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass ein Fremdwort mit fremden Lauten nicht assimiliert werden kann. Sind nur heimische Laute vorhanden, kann graphematisch assimiliert werden; allerdings wird das nicht immer durchgeführt. Darüber hinaus kann es auch weiterhin Schwankungsfälle geben. Über die Fremdheit der Laute als Hauptkriterium regeln Fricke 1877, Bayern 1879, Bax 1897, Berlin 1871, Vorlage 1876, Sachsen 1880 sowie Vorlage 1901 die Fremdwortschreibung. In vielen anderen späten Werken des 19. Jahrhunderts kommen allerdings noch andere Aspekte hinzu, die sich aber alle auf die sprachliche Einheit des Lauts beziehen: Im preußischen Regelbuch geht es nicht nur darum, ob heimische oder fremde Laute und Lautverbindungen vorliegen, sondern auch darum, ob sich die Laute eines Fremdwortes überhaupt in irgendeiner Form verändert haben. Dass von vornherein heimische Laute im Fremdwort zu finden sind, genügt als Assimilationsgrund nicht zwangsläufig, es sollte entweder eine lautliche Assimilation oder komplexere lautliche Veränderungen vorgenommen worden sein, aufgrund derer dann auch eine graphematische Assimilation (entweder durch Leseaussprache oder) durch Austausch der Grapheme folgt.183 Hatte Duden im Theorieteil seiner „Deutschen Orthographie“ noch von der fremden „Aussprache“ gesprochen und mit seinen Beispielen sowohl Fremdbetonung als auch fremde Laute gemeint, die eine Assimilation verhindern, so lautet die Bestimmung im Regelteil, dass die „undeutschen Laute“ das Hauptkriterium sind, die Betonung allerdings nur sekundär wichtig wird bei der Entscheidung. Ähnlich scheint es auch in Dudens Zusammenfassung der Regelung in den Schul-
183 Preußen vermerkt zusätzlich, dass es bei unveränderten heimischen Lauten allerdings auch manchmal Assimilationen geben kann, nicht ohne auf das starke Schwanken in diesem Bereich zu verweisen. Sicher ist nur: Fremde Laute und Lautverbindungen (also sogar fremde Lautkombinationen) werden nicht assimiliert.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
orthographien zu sein. „Laute und Lautverbindungen, welche der deutschen Sprache fremd sind“ (Duden 1881, 30), unterliegen keiner Assimilation. Allerdings könnte man in einer danach formulierten Regel (wie bei Preußen) vermuten, dass jegliche lautliche Veränderung im Entlehnungsprozess gemeint ist, nicht nur die Assimilation eines fremden Lauts. In der nachfolgenden Zusatzregel ist es jedoch wieder explizit die Fremdheit der Laute und Lautverbindungen, die eine graphematische Assimilation verhindert. Auch in der württembergischen Regel von 1884 ist dies anzunehmen. Der ‚Terminus‘ lautet zwar hier sehr uneindeutig formuliert „fremde Aussprache“, aber unter den mitgelieferten Beispielen kontra Assimilation befinden sich auch Wörter ohne fremde Laute. Die Regel („Richtlinie“) 1903 lautet schließlich: „Insoweit die fremde Aussprache keine Änderung erfahren hat, wird in der Regel auch die fremde Schreibweise beibehalten“ (Regeln 1903, 17). Anders gesagt: Ausspracheänderungen beim Übernahmeprozess führen zur graphematischen Assimilation. Die Regel legt sich daher auch nicht auf die Fremdheit der Laute fest, sondern erlaubt auch anderen Aspekten auf der lautlichen Ebene einen Einfluss (etwa Betonung, Lautposition oder Lautkombination). Gleichzeitig bestimmt sie aber auch das Kriterium des übernommenen „fremden Lautes“ als entscheidend: „Doch werden Fremdwörter, die keine dem Deutschen fremden Laute enthalten, vielfach ganz nach deutscher Weise geschrieben“ (Regeln 1903, 17). Abschließend soll noch einmal zusammenfassend auf die fremdwortpuristische Motivation bei der Schreibungsregelung geblickt werden. Wie in der ausführlichen Darstellung gezeigt, lässt sich im Wesentlichen – entgegen der Vermutung – kein durchgreifender puristischer Einfluss, der die Abschaffung oder die Negierung von fremdsprachlichen Elementen zum Ziel hat, in der Regelung des 19. Jahrhunderts erkennen. Zwar wird die gewollte Markierung von Fremdheit z. B. durch Antiqua bei Zitatwörtern oder auch durch die Beibehaltung der fremden Phonographeme manchmal aufgegriffen (vgl. Adelung 1788, 121 und 179; Becker 1829, 408), allerdings findet sich in diesen Zusammenhängen meist keine negative Darstellung des fremdsprachlichen Einflusses, weshalb die Äußerungen nicht als fremdwortpuristisch gewertet wurden. Hier geht es nur darum, die fremde Herkunft deutlich zu machen. Einzig Duden und Lattmann äußern sich in dieser Hinsicht puristisch. Lattmann spricht vom „ausgedenten [sic!] Eindringen[s] von Fremdwörtern“ und davon, dass Fremdwörter, „deren Aufname nicht wol [sic!] zu umgehn ist, zu assimilieren, einzubürgern“ sind (Lattmann 1895, 7). In Abgrenzung zu diesen – im Lattmann’schen Duktus eher widerwillig akzeptierten – unentbehrlichen Fremdwörtern soll die Fremdheit der entbehrlichen durch die fremde Schreibweise deutlich gemacht werden – mit dem Ziel, sie letztlich abzuschaffen: Wenn die Schulen dahin wirken sollen, dass entberliche [sic!] Fremdwörter ausgestoßen werden, dann dürfen sie ihnen nicht ein deutsches Kleid umhängen wie Zivil, Zirkular, Zigarre,
Und auch Konrad Duden spricht sich dafür aus, dass „unberufene[n] Eindringling[en]“ ein Bürgerrecht verwehrt, d. h. die fremde Schreibung erhalten bleiben soll (Duden 1876, 72), damit die Fremdheit erkannt und der Gebrauch eingedämmt bzw. eingestellt werden kann. Duden betont diese Regelung aber v. a. in Abgrenzung zum Umgang mit unentbehrlichen Fremdwörtern, die es – seiner Ansicht nach – zuhauf gibt: Sie sollen möglichst völlig assimiliert werden (Duden 1876, 72; Duden 1881, 31). Die Beseitigung sämtlichen fremden Wortguts ist also nicht sein Ziel, auch er differenziert nach „entbehrlich“ und „unentbehrlich“. Hier kann also allenfalls von gemäßigtem Purismus gesprochen werden. Daneben ist eine zweite Richtung nachweisbar, die die Kennzeichnung der Fremdheit ausdrücklich kritisiert (z. B. Heinsius 1825, 440; Heyse 1814, 92; Andresen 1855, 150) und annimmt, dass die Fremdwörter eher im Sprachgebrauch akzeptiert würden, je stärker sie assimiliert werden. Behalten sie das „Gepräge der Fremdsprachen“, sei das häufig ein Grund, „weshalb man sie nicht mag“ (Andresen 1855, 150). Auch bei diesen Bestrebungen ist keine grundsätzlich feindliche Gesinnung zu erkennen, sondern im Gegenteil das Bemühen, den Fremdwörtern zu mehr Akzeptanz zu verhelfen. Grundsätzlich also sind fremdwortpuristische Äußerungen in Bezug auf die Schreibung der Fremdwörter im 19. Jahrhundert eher selten; in keinem Fall aber bestimmt die puristische Motivation die Entwicklung der Fremdwortschreibung.
3.4.2 Graphemspezifische Regelung der Fremdwortschreibung Abgesehen von einer übergeordneten graphemübergreifenden Regel für alle Fremdwörter finden sich in der Kodifikation weitere Regeln für die einzelnen Grapheme bzw. Graphemgruppen, die die Hauptregel präzisieren. Hierbei ergeben sich signifikante Unterschiede, die sich wie folgt zeigen.
3.4.2.1 und Dass die Schreibung der Fremdgrapheme und das stärkste Regelungsbedürfnis hat, offenbart nicht nur die Vorkommenshäufigkeit dieser Grapheme im Usus – zusammen umfassen sie ein Drittel aller Fremdgraphembelege, sondern auch die Regelung in den Grammatiken. Es handelt sich bei um das Graphographem, das am ausgiebigsten und differenziertesten besprochen wird. Schon bei Johann Christoph Adelung nehmen Beschreibung und Regelung des Gebrauchs dieser Fremdgrapheme und ihrer Assimilation einen zentralen Platz in den Ausführungen über die Fremdwortschreibung ein. Hier findet sich der Großteil der generellen Regel zur Schreibung von bereits im graphemübergreifenden
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Fremdwortregelteil und nicht erst im Abschnitt „Von den einzelnen Buchstaben“. Im Sinne der Verständlichkeit, die die fremden Wörter im deutschen Sprachgebrauch haben sollen, legt Adelung das spendersprachenabhängige Assimilationsverhalten der Fremdwörter dar. Im Abschnitt zu den europäischen Sprachen fallen erstmals Bemerkungen zur Regelung der Schreibung von , die darauf hinweisen, dass eine vermehrte Assimilation dieses Graphems in Wörtern aus europäischen Sprachen, die nach Adelungs Terminologie „Fremdlinge“ (= nicht eingebürgerte Wörter, vgl. Kapitel 3.4.1.1) sind, zu vermeiden ist: Die möglichst leichte Verständlichkeit erfordert, daß der Fremdling auch in der Schrift als ein Fremdling erscheine, folglich seine eigenthümliche Schreibart behalte, damit man ihn nicht mit dem Bürger verwechsele. Aber, wenn ihm nicht allein sein einheimisches Kleid genommen, sondern er gar in eine barbarische Tracht gekleidet wird, denn weiß man nicht, was man von einem solchen Schriftsteller denken soll. Akkord, Akzie, Akzise, Akzidenz, Akzent, akkurat, Lekzion u. s. f. sind solche barbarische Schreibarten, weil weder kk noch kz Deutsche Verbindungen sind. (Adelung 1788, 121) 184
Auch weiteren Assimilationen steht Adelung nicht gerade positiv gegenüber: Er kritisiert den Gebrauch, den man „seit einiger Zeit hin und wieder“ (Adelung 1788, 121) findet, lateinische Wörter mit heimischen PGB zu realisieren, wobei er sich fast ausschließlich auf die Grapheme und bezieht. Argumente hierfür sind letztlich wieder die Verständlichkeit (Latein als bekannte, verständliche Sprache) und die Loyalität gegenüber der Bildungssprache Latein. Es wäre eine „Unschicklichkeit“ und würde „wohl den geringsten Römischen Geschmack“ beweisen, „Römische Wörter in eine so barbarische Tracht zu kleiden“ (Adelung 1788, 122). Adelung macht seinem Unmut über derartige Assimilationstendenzen sehr ausführlich Luft, nicht ohne polemische Ausfälle gegen diejenigen, die die Assimilation durchführen wollen, namentlich die „niedern Classen“: Hingegen hat man für die Neuerung nichts aufzuweisen, als das Neue, und allenfalls die gewiß nicht rühmliche Bequemlichkeit, über die wahre Schreibart des fremden Wortes lange nachsinnen zu dürfen. Man lasse die niedern Classen dergleichen Wörter verunstalten, wie sie wollen; Personen von feinerm Geschmacke und bessern Kenntnissen sollten sich billig auch hierin von dem großen Haufen unterscheiden. (Adelung 1788, 122)
Ausgenommen von der Vorschrift, bei lateinischen Fremdwörtern nicht zu assimilieren, sind die Grapheme und 185 dann, wenn sie im Auslaut vorkommen, was vornehmlich dadurch geschieht, dass das fremde Suffix wegfällt. Um hier die „Aussprache nicht zu verdunkeln“ (Adelung 1788, 123), also um keine sowohl für das Deutsche als auch für die Gebersprache fremden PGB herzustellen
184 Die Assimilation der Graphemkombination wird tatsächlich erst ganz am Ende des Untersuchungszeitraumes zugelassen, deshalb verwundert es nicht, hier – am Ende des 18. Jahrhunderts – noch eine völlig konträre Einstellung vorzufinden (vgl. auch Heyse 1814, 156). 185 Ebenso das Graphem (vgl. Kapitel 3.4.2.3).
Auswertung des Befundes
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bzw. um die Aussprache im Deutschen zu verdeutlichen (Fabrik statt Fabric), soll hier assimiliert werden. Dasselbe gilt auch für diejenigen Wörter, bei denen sich die Aussprache des durch Wegfall des fremden Suffixes und gleichzeitigen Ersatz durch ein heimisches Wortbildungssuffix verändert, z. B. articulus → Artikel (Adelung 1788, 123). Es handelt sich hierbei also um positionsbedingte Assimilationen. Adelung ist auch in solchen Fällen gegen die Assimilation von , in denen aus griechischem durch die Vermittlung über das Lateinische ein gesetzt wurde und sich damit auch die Aussprache oft von [k] zu [ts] verändert hat. Die in diesen Fällen von Adelung herangezogene Regel „Schreib wie du sprichst“ (Adelung 1788, 124 f.) bezieht sich hier allerdings auf die lateinische Aussprache, die er als bekannt voraussetzt. Das spendersprachliche Argument bemüht Adelung ebenso bei der Frage, ob über das Lateinische vermittelte griechische Wörter, deren Aussprache sich nicht geändert hat, mit oder mit geschrieben werden sollen. Zunächst äußert Adelung zumindest die Möglichkeit einer Assimilation („können“ mit geschrieben werden), allerdings zieht er zur Bewertung dieser Empfehlung danach den Sprachusus heran, der sich als äußerst uneins darstellt: Die erste Schreibart [die assimilierte] ist seit einiger Zeit unter dem gelehrten Theile der Schreibenden sehr gangbar geworden, dagegen der ungelehrtere, obgleich übrigens gesittetere und feinere Theil, der ältern Schreibart folgt und folgen muß, weil die Griechische Sprache für ihn unter die unbekanten [sic!] gehöret. (Adelung 1788, 125)
Adelung empfiehlt, den Gelehrten nicht zu folgen (Adelung 1788, 125). Auch hier ist sein höchstes Ziel die Verständlichkeit der Sprache, da das Griechische im Gegensatz zum Lateinischen nicht als bekannt vorausgesetzt wird. Es bleibt zu bemerken, dass alle diese assimilationsabgewandten Äußerungen von Adelung im Kapitel zu den „Fremdlingen“, also den nicht eingebürgerten Fremdwörtern, stehen. Es ist fraglich, ob diese Abgrenzung von Adelung – gerade angesichts der z. T. sehr stark verallgemeinernden Formulierungen – auch immer so gemeint ist. Darüber hinaus ist es natürlich für den Sprachnutzer immer noch schwierig, die Unterscheidung zwischen eingebürgertem Wort und Fremdling zu treffen (vgl. Kapitel 3.4.1.1) und insofern die Regeln anzuwenden. Die Gebrauchsorientiertheit Adelungs wird deutlich mit Blick auf die Kapitel zur Schreibweise der einzelnen Laute bzw. zur Verwendung der einzelnen Buchstaben. Jedes Kapitel ist überschrieben mit dem Wort „Gebrauch“. So auch das Kapitel zum Gebrauch von .186 Hier ändert sich dann das bislang skizzierte Adelung186 Diesem Kapitel steht allerdings ein weiteres voran (zur Geschichte des Buchstabens ), das die bislang recht assimilationsabgewandte Haltung Adelungs gegenüber diesem Graphem vielleicht ein wenig zu begründen vermag. Er legt darin dar, dass es sich bei dem Buchstaben nicht um einen fremden Buchstaben handelt: „Eigentliche Deutsche Buchstaben gibt es gar nicht, sondern sie sind alle Römisch, und das c wurde ehedem von den Deutschen und Angelsachsen eben so
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Bild. Er bezieht nun auch die eingebürgerten Wörter mit ein. Und so wird deutlich, dass bei Adelung die Assimilation des den Kriterien der graphemübergreifenden Regelung („Deutsches Bürgerrecht“) unterliegt; daher wird sie von Adelung in vielen Fällen akzeptiert und sogar vorgeschrieben. Selbst für die Wörter, „von welchen es streitig ist, ob sie als Bürger betrachtet werden können“ (Adelung 1788, 159), gibt er beide Varianten frei, bevorzugt und empfiehlt allerdings die assimilierte Schreibweise. „In völlig fremden Wörtern“ (Adelung 1788, 160) ohne Bürgerrecht schreibt er allerdings die fremde Schreibweise vor. Adelung erweitert also im Vergleich zur graphemübergreifenden Regel seine Assimilationsfaktoren um neue Aspekte der Spendersprache (nicht nur Verständlichkeit, sondern auch Bildungswert, Ansehen, Ursprache) und um die Graphemposition. Der Assimilationsfaktor der Spendersprache gewinnt wesentlich mehr Raum als noch in der graphemübergreifenden Darstellung. Dass das Phonem /k/ in Wörtern aus dem Griechischen mit dem Graphem wiederzugeben ist, scheint klar, weil es der heimischen PGB entspricht. Offensichtlich gibt es hier dennoch ein Regelungsbedürfnis, denn Theodor Heinsius schreibt für die unmittelbar aus dem Griechischen entlehnten Wörter die Verwendung des Graphems vor (Heinsius 1807, 382). Dass diese Regel trotz ihrer scheinbaren Redundanz hier zu finden ist, erklärt sich aus dem nachfolgenden Abschnitt 187: Griechische Wörter, die über das Lateinische entlehnt wurden, haben dort entsprechend den lateinischen PGB ein erhalten, das dann nicht wieder getilgt werden dürfe (Heinsius 1807, 382). Eine solche Regelung liegt bereits bei Adelung vor und tritt noch in einigen anderen Regelwerken auf. Sie hat bei Heinsius so viel Gewicht, dass sie innerhalb der graphemübergreifenden Fremdwortschreibungsregel dargestellt wird, innerhalb derer die Fremdschreibung von in über das Lateinische entlehnten griechischen Wörtern als Ausnahme zur Regel der Assimilationsschreibung auftritt. In der graphemspezifischen Regelung folgt Heinsius wie Adelung dem Bürgerrechtskriterium (Heinsius 1807, 389). Darüber hinaus können Wörter assimiliert geschrieben werden, die „durch den Gebrauch schon zu Deutschen Wörtern gestempelt worden sind“ (Heinsius 1807, 390). Wörter, die diesen Kriterien nicht ganz genügen und noch „eine zu fremde Gestalt haben, werden von Einigen noch mit einem c geschrieben“ (Heinsius 1807, 390). Allerdings empfiehlt Heinsius für solche Wörter unter bestimmten Bedingungen auch eine Assimilation: Doch kann man sich bei solchen fremden Wörtern, welche im Deutschen sehr gangbar sind, mehr Freiheit nehmen, sie nach Deutscher Art zu schreiben, besonders wenn Ursprung und
häufig gebraucht, als von den Römern“ (Adelung 1788, 158). Diese Auffassung scheint noch in einigen anderen Regelwerken durch. Die hier vorausgesetzte Wahrnehmung des als fremd ist daher zumindest für viele Autoren des 19. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit. Das vermag durchaus einen Erklärungsansatz für die so lange ausgebliebene Assimilation des Buchstabens zu liefern. 187 Vgl. zum Problem von und in griechischen Wörtern auch Adelung oben.
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Aussprache nicht darunter leiden. Folglich kann man immerhin schreiben: abstrakt, Objekt, Subjekt, Interjektion, Adjektivum. (Heinsius 1807, 390) 188
Heinsius lässt hier also Varianten zu für den Fall, dass es sich um „gangbare“, also gebrauchsübliche Wörter handelt. Die Formulierung der ususorientierten ersten Regel allerdings „von Einigen noch“ (vgl. oben: Heinsius 1807, 390) deutet an, dass Heinsius’ Regel weg von der fremden hin zur assimilierten Schreibung weist – vorausgesetzt das Wort ist „gangbar“ (Heinsius 1807, 390) und Ursprung und Aussprache leiden nicht unter der Assimilation. Wie der spendersprachliche Ursprung allerdings erhalten bleiben soll (und in seinen Beispielwörtern erhalten geblieben ist), beschreibt er nicht. Die Starke Anlehnung an den Gebrauch189 – wahrscheinlich in Bezug auf die Häufigkeit der Verwendung zu sehen – war in Heinsius’ übergreifender Regel nicht zu finden. Auch dies ist also ein Beispiel dafür, dass die Kritierien der graphemübergreifenden Regelung zwar auch an die Regelung zu den einzelnen Graphemen angelegt werden, der Kriterienkatalog aber ebenso abgeändert wird. Ebenfalls stark ususorientiert ist die folgende Regel, die 1825 im Kapitel zur Verwendung von und zu finden ist: „Das t und c der Fremdlinge, geht häufig bei uns in z über, z. B. in Ranzion, Notiz, Justiz, Terz, Prozeß, Duodez, Commerz, Offizier, Benefiz rc.“ (Heinsius 1825, 460). Diese ‚Regel‘ entbehrt jeglicher Entscheidungskriterien und ‚funktioniert‘ nur, weil einige Kapitel zuvor ausführlicher auf die Assimilation von und eingegangen wurde. Sie vervollständigt hier eher die vorher aufgezählten Regeln zur Verwendung von und . Das bisher häufig gefundene Spendersprachenkriterium ist auch der Ausgangspunkt für die Regeldarstellung zum Graphem in Heyses Grammatik. Adelung ähnlich erklärt Heyse – ebenfalls im Rahmen der graphemübergreifenden Regelung – ausführlich, dass Assimilationen von zu in ursprünglich griechischen Wörtern, die über das Lateinische vermittelt wurden, zum Teil in der Sprachgemeinschaft stattgefunden haben und zum Teil ausgeblieben sind (Heyse 1814, 93). Beides hat nach Heyse seine Berechtigung: Argument für die Assimilation ist die Schreibung in der Ursprungssprache, die „die besten Schriftsteller und Sprachlehrer“ (Heyse 1814, 93) meist anwenden, denn das komme „ihnen mit Recht“ (Heyse 1814, 93) zu, solange sich die Aussprache nicht gewandelt habe (von /k/ zu /ts/). Das Gegenargument entspricht in etwa dem Adelung’schen Verständlichkeitsargument. Heyse bezieht hier keine Stellung und überlässt damit
188 Mit seinem assimilierten Beispiel Adjektivum beweist Heinsius seine Fortschrittlichkeit: Wörter mit fremdem Wortbildungssuffix bzw. fremder Flexion sind noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hin Kandidaten für das Ausbleiben der Assimilation (vgl. z. B. Preussen 1880, 18). 189 Die Ususorientiertheit von Heinsius wird auch 1825 deutlich. Hier heißt es etwas konkreter: „Andere fremde Wörter, welche aus der Lateinischen, Französischen oder Italienischen Sprache, die kein k haben, entlehnt sind, werden, besonders von Geschäftsmännern, noch häufig mit einem c geschrieben“ (Heinsius 1825, 451).
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dem Leser die Entscheidung. Damit ist er der erste Autor des hier betrachteten Untersuchungszeitraumes, der eine Assimilation zumindest als Variante zulässt. In jedem Fall zu assimilieren ist allerdings – vgl. auch Adelung und Heinsius – im Auslaut und bei assimiliertem Wortbildungssuffix, dessen Aussprachegegebenheiten die Assimilation verlangen, z. B. Bibliothek, Critik, Musik, Republik (Heyse 1814, 93).190 Sollte ein Wort direkt aus dem Griechischen entlehnt sein, so stellt sich die Frage nach der Assimilation nicht: Hier soll geschrieben werden, was Heyse noch einmal eine separate Regel wert ist (ebenso wie Heinsius), obwohl sie eigentlich redundant ist (Heyse 1814, 140). Widersprüchlich ist allerdings ein späterer Abschnitt, der eindeutig auf Wörter referiert, die zwar ursprünglich, aber nicht direkt aus dem Griechischen entlehnt wurden. Für sie schreibt Heyse an dieser Stelle – im Rahmen des separaten Kapitels zur Schreibung von – die assimilierte Schreibweise vor, obwohl er im graphemübergreifenden Kapitel beide zugelassen hatte (vgl. oben): Mit k werden dagegen folgende ursprünglich griechische oder aus andern morgenländischen Sprachen entlehnte Wörter geschrieben, als: Alkoven, Akademie, akademisch, Ekliptik, Herkules, herkulisch, Katalogus oder Katalog, Katechismus, katechisiren, Katheder, katholisch, Klima, Koloß, Komet, komisch, Komödie, Komma, Kritik, kritisch […]. (Heyse 1814, 141)
Der Widerspruch könnte deutlicher nicht sein im Vergleich der beiden singulären Regeln: Critik (Heyse 1814, 93) und Kritik (Heyse 1814, 141). In der späteren Version seines Regelwerks allerdings ist der Abschnitt zum verschiedenen Schreibgebrauch bezüglich - oder -Wahl in ursprünglich griechischen Wörtern stark verkürzt und zwar dergestalt, dass der Abschnitt zu den Schreibungen mit wegfällt. Obwohl er also bemerkt, dass der Usus nicht einig ist, verweist er nur auf die „besten Schriftsteller und Sprachlehrer“, die diesen Wörtern „mit Recht“ das lassen (Heyse 1826, 46). Heyses Ausführungen zur Schreibung von und im Abschnitt zur graphemübergreifenden Regelung werden noch ausführlicher. Deutlich ist, dass Heyse im Allgemeinen kein Freund von Assimilationen dieser Grapheme – zumindest bei Fremdwörtern im engen Sinn – ist: Noch Andere verwerfen dagegen das c in allen fremden Wörtern, ohne doch diese Fremdlinge selbst zu verwerfen, und schreiben statt des c […] immer k, so wie vor e und i ein z; z. B. Zensur, Zirkular, Zertifikat, Karakter, Krist, Kollege, Kurier, Instinkt, Direktor oder gar Direcktor, Perspecktiv rc. Ein Verfahren, das durchaus nicht zu billigen ist. – Mich dünkt, es heiße
190 Heyse führt dies weiter aus im graphemspezifischen Kapitel und gibt genaue Anweisungen, in welchen Fällen aus welchem Grund ein bzw. stehen soll: „Wir schreiben demnach, Artikel, (nicht Articel, weil man sonst Artizel lesen würde); eben so Commerz=Collegium, Duodez (nicht: Commerc=Collegium, Duodec, weil man sonst Commerk rc. und Duodek lesen könnte)“ (Heyse 1814, 140).
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auch hier: Laß und gieb Jedem das Seinige, also auch jeder Nation und Sprache das, was ihr gehört! (Heyse 1814, 93 f.)
Es ist auch hier schließlich das spendersprachliche Argument, das – zunächst scheinbar untergeordnet – den Ausschlag für oder gegen eine Assimilation geben soll. Der Respekt vor dem Lateinischen und das vorauszusetzende Sprachwissen des Lateinischen und Französischen sind die Argumente auch für Heyses Regel gegen die Assimilation von und in dem graphemspezifischen Kapitel (vgl. Heyse 1814, 140). Bei einer Assimilation wäre „nichts gewonnen“, man würde lediglich eine „Neuerungssucht“ bekennen (Heyse 1814, 140).191 Nur dem Deutschen „völlig gleich gebildete“ fremde Wörter, die „obgleich lateinischen Ursprungs, doch schon längst auch in Hinsicht ihrer Stammsylben eine Veränderung erlitten und ein völlig deutsches Gepräge angenommen haben“ (Heyse 1814, 140), dürfen auch graphematisch assimiliert werden. Hier kommt zu den Assimilationskriterien der allgemeinen Regelung noch mindestens das Kriterium der deutschen Morphemstruktur. Heyse operiert auch im Umfeld dieser Regel mit den schwammigen Begriffen des „Klanges“ und der „Gestalt“ (Heyse 1814, 140), die sich nicht aus der Darstellung erschöpfend erklären lassen. Es scheint allerdings klar, dass neben den in der übergreifenden Regeldarstellung genannten Kriterien des „Tones“ und des „Ansehens“ weitere hinzukommen bzw. durch diese Darstellung präzisiert werden (Silbenstruktur). Bei Karl Ferdinand Becker finden sich – abgesehen von einer kurzen Bemerkung zur Schreibung assimilationsresistenter Grapheme aus dem Griechischen und Lateinischen – keine graphemspezifischen Regeln zur Fremdwortschreibung. Dementsprechend lässt sich bezüglich der Assimilation von zu und nur auf die bereits beschriebenen allgemeinen Regeln verweisen. Da besonders Beckers Regel 4 (vgl. Kapitel 3.4.1.1) viele assimilierte Beispiele zu den hier besprochenen Graphemen gibt (z. B. Kuratel, Kasus, komplizirt, Kreditor, Zölibat, Zeremonie, Rezeptur, Rezeß) und hierin generell die Assimilation fremder Lexeme aus dem Griechischen und Lateinischen vorschreibt (abgesehen von einigen wenigen resistenten Graphemen), lässt sich schlussfolgern, dass Becker auch für eine stärkere Assimilation der Grapheme und eintritt, da hier „Lautverhältnisse ohne Verfälschung nach deutscher Schreibweise bezeichnet werden können“ (Becker 1829, 410). Dieser Ersatz ist bei problemlos möglich. Deshalb folgen in der graphemübergreifenden Regel an dieser Stelle auch viele Beispiele zur Assimilation des Graphems: Körper, Mirakel, Kapitel, Zepter, Kerker, Offizier, Zitrone, Prozeß, Rezept, Maske, Kulisse, Kusine, Lektüre, Kreme usw. Wendet man sich den Regeldarstellungen der Historiker zu, bestätigt sich das bereits in der Analyse der generellen Regeln ermittelte Bild von der Nebensächlich-
191 Die graphembezogene Regel in Heyse 1826 ist weniger wertend formuliert. Die stark negativ wertenden Passagen zur Assimilation („nicht zu billigen“, „Neuerungssucht“) unterbleiben unter Beibehaltung aller anderen Regeln (vgl. Heyse 1826, 46 und 82).
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keit der Fremdwortschreibung192 bzw. auch der überraschenden Assimilationszugewandtheit. Der einzige Historiker, der ausführlicher auf dieses Graphem eingeht, ist Andresen in seiner Arbeit „Ueber deutsche Orthographie“. In der Einleitung des Abschnitts zur Reflexion der Schreibung von , und in Fremdwörtern heißt es: Die grösten, bisher noch nicht durch bestimmte gesetze wesentlich erleichterten schwierigkeiten bereitet der mehrzahl aller schreibenden, gebildete und wißenschaftlich unterrichtete kaum ausgenommen, wie aus der inkonsequenz, mit welcher alltäglich verfahren wird, zu erkennen ist, die wahl desjenigen buchstaben, der lateinischem c, das auch griechisches k vertritt zu entsprechen hat. (Andresen 1855, 153)
Die Analyse seiner Darstellung ergibt als Fazit einen Appell, mehr assimilierte Schreibungen – unabhängig von der Spendersprache – zuzulassen (Andresen 1855, 155). Grund für diese Empfehlung sind die zahlreichen Ausnahmen, die es trotz einer im Allgemeinen relativ eindeutigen Einordnung in eingebürgerte und nicht eingebürgerte Fremdwörter gebe. Er führt an, dass zahlreiche fachsprachliche Wörter („viele technische und wißenschaftliche namen und ausdrücke“ [Andresen 1855, 154]) zwar dem Geläufigkeitsanspruch, der an eingebürgerte Fremdwörter gestellt wird, nicht gerecht werden, aber dennoch im Schreibgebrauch einheitlich assimiliert wiedergegeben werden, z. B. partikel, was mit Blick auf die morphematischen Veränderungen im Entlehnungsprozess seine Berechtigung finde: „[Sie] haben sich durch den abfall der fremden endung deutschem sprachstande genähert, einbürgerung bleibt nebensache“ (Andresen 1855, 154). Andresen beschreibt auch den Grund für die Assimilation im Auslaut anders als die meisten Grammatiker: Er sieht den ursprünglichen Assimilationsgrund nicht in der möglichst eindeutigen Lautwiedergabe, sondern in der „formverkürzung“, wodurch das Wort der deutschen Morphemstruktur angeglichen wird, worauf wiederum die Schreibung nachfolgen müsse. Das betreffe vor allem Entlehnungen aus den altklassischen Sprachen, die generell selten ohne Morphemveränderung ins Deutsche
192 Es wurde bereits bemerkt, dass Grimms wenige Darstellungen zur Realisierung der Laute nicht den Status von Schreibungsregeln haben (vgl. Kapitel 3.4.1.1). So handelt es sich auch bei Grimms Bemerkung „c nur in fremden wörtern und ck im gebrauch“ (Grimm 1819, 449) nur um einen Teil des Status quo der graphischen Realisierung von /k/. Ebenfalls im Rahmen einer Lautlehre erwähnt Hoffmann den Gebrauch des in Fremdwörtern. Darüber hinaus findet sich in Bezug auf eine einzige Regel, die die Schreibung positionsabhängig festlegt: „Im Auslaute abgekürzter Wörter wird das c in z verwandelt: Horaz, Duodez aus Horatius, duodecimus. In vielen Wörtern wird aber auch z geschrieben, wenn auf das c ein i oder e folgt: Zirkel […]“ (Hoffmann 1839, 6). Bei Karl Weinhold ordnet sich die Schreibung der Laute [k] und [ts] in Fremdwörtern der allgemeinen Fremdwortschreibungsregel unter. Zum Einbürgerungskriterium und den möglichst getreu wiederzugebenden Lautverhältnissen gesellt sich kein weiteres Entscheidungskriterium dazu (Weinhold 1852, 127). Bei der Assimilation zu und referiert er – wie schon bei der allgemeinen Regel – auf Becker.
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übernommen werden. „Aus solchem gesichtspunkte ist die ausdehnung, welche praktisch von vielen seiten der verwendung von k und z für lat. c zu theil wird, der nachahmung werth, und folgende beispiele mögen zur veranschaulichung dienen: abstrakt, adjektiv, akt, aktiv […]“ (Andresen 1855, 155). An dieser Stelle erscheinen 66 Beispiele für Assimilationsschreibungen von und . Seine Empfehlung dehnt er darüber hinaus auch auf Wörter aus, „bei denen keine veränderung des auslautes stattgefunden hat“ (Andresen 1855, 155). Er stützt den Assimilationsvorgang also stärker als alle bislang untersuchten Grammatiker im 19. Jahrhundert, so dass auch seine im allgemeinen Regelkommentarteil formulierten Assimilationskriterien der Form und des Verbreitungsgrades zum Teil ihre Relevanz verlieren. Darüber hinaus thematisiert mit Andresen – etwa zeitgleich mit Sanders – erstmalig ein Autor die Verwendung des für Phonem /k/ und die Phonemkombination /kts/. Dem Argument, dass die assimilierte Schreibweise der korrekten Lautwiedergabe entspricht, setzt er entgegen: „Die verbindungen kk und kz sind in deutscher sprache außer in der zusammensetzung (denkkunst, denkzettel) nicht üblich […]“ (Andresen 1855, 156), so dass er diese Assimilation ausdrücklich nicht empfiehlt, wenngleich er die letzte Entscheidung hier dem Sprachgebrauch überlässt. Sanders führt ein Jahr später in Bezug auf diese Graphemkombination ein anderes (für ihn programmatisches) Kriterium an: das Kriterium des Gebrauchs. Es führt zu derselben Empfehlung, die auch Andresen gegeben hat (Sanders 1856, 81). Vom aktuellen Schreibgebrauch geht Sanders auch in seinem Kapitel „Von c in seinem Verhältnis zu k und z“ aus. Wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt wurde, ist die Spendersprache in den Regelungen häufig ein entscheidendes Assimilationskriterium.193 Daniel Sanders reagiert hierauf mit Blick auf die Anwendbarkeit solcher Regeln für die schreibende Allgemeinheit, die nur zu einem geringen Teil aus Sprachgelehrten besteht, wie folgt: [D]ie Vorschrift, k in Wörtern aus dem Griechischen, c dagegen in den Wörtern aus dem Lateinischen, Französischen rc. anzuwenden gehört zu den Missgriffen, wonach man bei der einfa-
193 Dieses Kriterium wird auch bei Friedrich Bauer bei der Assimilation von zu benannt: „k bleibt bei Wörtern aus dem Griechischen, Orientalischen, Slavischen als: Akademie, Charakter, Katalog, Kolon, komisch; Alkoven, Ukase, Ukraine etc. Lateinische und romanische Wörter behalten ihr c als: Act, Capitel, Concil, Concurs, franco etc. Nur ganz eingebürgerte Wörter der Art schreibt man mit k als: Afrika, Amerika, Artikel, Kanone, Kanzel, Kerker, Kloster, Onkel etc.“ (Bauer 1854, 131). Die ausführliche Beispielreihung zeigt, dass unter griechischen Wörtern auch solche zu verstehen sind, die vermittelst des Lateinischen ins Deutsche gelangt sind. Bei jenen wurde eine Assimilation zu Beginn des Jahrhunderts (vgl. Adelung und Heinsius) noch abgelehnt. Unklar bleibt nach diesen Ausführungen Bauers allerdings nach wie vor das Verständnis von „eingebürgerten Wörtern“, so dass auch diese Regel – abgesehen von den Beispielen – keine klare Handlungsanweisung darstellt. Bauer bleibt ansonsten bei der Beschreibung des Gebrauchs: Für die Assimilation von zu werden keinerlei Assimilationskriterien angeführt: „Fremde Wörter, die ihr […] c in z verwandeln, sind: […] Zelle (cella), Zenith, Zirkel (circulus), […] Prinz, Provinz […]“ (Bauer 1854, 130).
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chen Rechtschreibung nicht an das Publikum im Allgemeinen, sondern an lauter Sprachgelehrte von Fach denkt. (Sanders 1856, 81)
Vom Schreibusus ausgehend plädiert Sanders für eine weitgehende Assimilation von zu . In welchen Fällen eine Schreibung mit gerechtfertigt wäre, lässt Sanders offen. Generell lässt sich auch mit Blick auf die singulären Regeln im Wörterverzeichnis darauf schließen, dass die Assimilation von zu nahezu flächendeckend empfohlen wird. Diese Empfehlung bedeutet zugleich, dass die nicht assimilierte Variante weiterhin zulässig bleibt. Schon 1856 „verlangt“ (Wilmanns 1900, 220) Sanders die Assimilation, „selbst in solchen Wörtern, die noch ganz fremde Schreibung haben: K a n a i l l e , K l i c h é , K o e u r , K o u p , K o t i l l o n “ (Wilmanns 1900, 220), so die Einschätzung Wilmanns. Wesentlich eindeutiger wird Sanders in seinen 17 Jahre später erscheinenden „Vorschlägen zur Feststellung einer einheitlichen Rechtschreibung“, in der er seine Formulierung von 1856 zugunsten uneingeschränkter Assimilationsempfehlung bereits im ersten Kapitel zu den Schriftzeichen korrigiert: Und wenn ich nun im ‚Katechismus‘ rc. für die Fremdwörter […] diese von dem allgemeinen Gebrauch verstattete Anwendung des k statt des c als eine sehr empfehlenswerthe bezeichnet habe, so muß ich hier, wo es sich um bestimmte Vorschläge zur endgültigen Feststellung des Schwankenden handelt, den unsere Orthographie ungemein vereinfachenden Vorschlag machen, in diesen Fällen ausschließlich k zu verwenden und das c zu tilgen. (Sanders 1873, 3 f.)
Auslöser für die Empfehlung zur konsequenten Durchführung der Assimilation ist – wie beschrieben – nicht zuletzt die Tatsache, dass 1873 bereits erste Überlegungen zu einer Vereinheitlichung (und nach Sanders auch zur Vereinfachung) der Orthographie stattgefunden hatten und Sanders sich im Auftrag sieht, eine „endgültige“ Rechtschreibung zu entwerfen. Wie Sanders in den nachstehenden Regeln formuliert, darf der Laut [k] daher nur noch durch bezeichnet werden, ansonsten ist der assimilierten Schreibweise zu folgen (Sanders 1873, 4). Dabei betont er nochmals, wie nichtig dabei der Aspekt der Spendersprache ist – nicht nur aufgrund dessen, dass hiermit nur die Sprachgelehrten etwas anfangen können, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass morphematisch ähnliche Wörter aus unterschiedlichen Sprachen entlehnt sein können und dann mit der spendersprachenbezogenen Regel u. U. das morphematische Prinzip missachtet würde.194 In Heft 2
194 Sanders über die Anwendung des Spendersprachenkriteriums: „Die Vorschrift aber des in seinen orthographischen Bestimmungen sonst so maßvollen und bedächtigen Heyse, k in Wörtern aus der griechischen und den morgenländischen Sprachen, c dagegen in den Wörtern aus der lateinischen und den romanischen Sprachen anzuwenden, wonach man also z. B. im Heyse’schen Fremdwörterbuch Kalfakter, als aus dem Lateinischen stammend, unter C zu suchen hat, aber kalfatern unter K, als arabischer Herkunft, dagegen wieder Kalfatage unter C als französisch, − diese Vorschrift gehört zu den Mißgriffen, wonach man bei der einfachen Rechtschreibung nicht an das Publikum im Allgemeinen, sondern an lauter Sprachgelehrte vom Fach denkt, und sie verstößt gegen den in unserm Vorwort aufgestellten zweiten Grundsatz“ (Sanders 1873, 4).
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seiner Vorschläge, das den Status eines mit generellen Regeln unterfütterten Wörterbuches hat, untermauert er seine Regeln mit zahlreichen Beispielen (Sanders 1873, 76 ff.). Wilmanns, eigentlich eher ein Gegner der Assimilation von zu , greift in seinem „Kommentar zur Preußischen Schulorthographie“ die Sanders’sche Regel neu auf und kommentiert sie wie folgt: Nun, wie schlecht aber auch die Gründe sein mögen [pro Assimilation – Anm. A. Z.], der Gebrauch neigte sich auf die Seite des k, und die vielgebrauchten orthographischen und grammatischen Schriften von Sanders haben jedenfalls dazu beigetragen, ihn zu festigen“ (Wilmanns 1880, 195).
Im Gegensatz dazu schreibt Sanders – ebenfalls in Anerkennung des Sprachgebrauchs – zur Assimilation von zu : „Das wie z lautende c auch überall durch z zu ersetzen, widerstrebt dem allgemeinen Gebrauch und so ist es denn auch das Einfachste, hier überall das c festzuhalten mit Ausnahme natürlich der ganz ins Deutsche übergegangenen Wörter, wie: Z e d e r , Z e l l e , Z e n t n e r , Z i f f e r , […]“ (Sanders 1856, 82). Hier stellt sich unweigerlich die bekannte Frage nach der Definition „ins Deutsche übergegangener Wörter“, auf die Sanders eine Antwort schuldig bleibt. Sie wird auch in seinen „Vorschlägen zur Feststellung einer einheitlichen Rechtschreibung für Alldeutschland“ nicht geklärt, aber die Regel von 1856 wird 1873 in drei Regeln aufgespalten, die um ein Kriterium und v. a. das umfangreiche Wortmaterial ergänzt werden. So bringt Sanders das bereits häufig angebrachte Positionsargument (in Zusammenhang mit morphematischen Veränderungen des Wortes) in der ersten Teilregel: „Ersatz des fremden c durch z ist nothwendig, wo dieser Laut durch Verkürzung als Wortschluß auftritt, da ein c als solche die Aussprache des k hätte“ (Sanders 1873, 79). In aller Konsequenz führt er weiter aus, auch die von den betreffenden Wörtern abgeleiteten Formen einer Assimilation zu unterwerfen. Die zweite Teilregel enthält die Vorschrift, „alteingebürgerte Fremdwörter“ assimiliert zu schreiben – hier kann also kein Gewinn gegenüber der Ausgabe von 1856 festgestellt werden, vielleicht lediglich durch die Beigabe von Beispielen. Die dritte Teilregel regelt schließlich – vor allem über eine mehr als 200 Wörter umfassende Beispielliste – alle „nicht unter b aufgeführten Fremdwörter[n]“ (Sanders 1873, 80), also alle übriggebliebenen, die zwingend ihr fremdes behalten sollen. Die bisher erkennbare Tendenz also, dass eher zur Assimilation zugelassen wird als , setzt sich hier fort. Sie wird mit dem bestehenden Gebrauch begründet. Herauszustellen ist Sanders’ wegweisende Aberkennung des Faktors Spendersprache, den der Sprachnutzer im Regelfall ähnlich wenig anzuwenden
Daraus folgt die Regel d: „Sonst ist […] in allen übrigen Fremdwörtern (gleichviel, aus welcher Sprache sie auch in die deutsche herübergenommen sein mögen) der Laut k richtig durch den Buchstaben k auszudrücken“ (Sanders 1873, 4). Zitatwörter bleiben von dieser Regel ausgenommen.
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vermag wie etwa ein Gebrauchskriterium, und seine Empfehlung zur konsequenten Realisation von durch . Eindeutig assimilationszugewandt ist auch die Kodifikation bei Linnig. Er führt in seinen allgemeinen Regeln zur Fremdwortschreibung eine Anmerkung zur Umsetzung des fremden c an: „In beiden Klassen [bei eingebürgerten und nur im Ton von deutschen Wörtern unterschiedenen Wörtern – Anm. A. Z.] braucht man am besten z und k für c“ (Linnig 1869, 90). Dies müsste nicht zusätzlich erwähnt werden, hätte Linnig nicht vorher in „Capitel VIII Ueber die einzelnen Consonanten gleicher Organe“ und hier unter „Gutturales“ folgende – von den später genannten Assimilationsfaktoren verschiedene – Regeln nach Position des Lauts aufgestellt: „Das wie k lautende c wird im Anlaut am besten durch k ersetzt […]. Im Inlaute wird in allen nicht völlig eingebürgerten Wörtern c besser beibehalten […]. Im Auslaute vor den Endsilben e, el, en, er verwandelt man c in k oder z“ (Linnig 1869, 74 f.). Letzteres lässt sich mit der Verdeutlichung der Aussprache erklären, die Inlautregel greift auf das später genannte Kriterium zurück; allerdings ist die Anlautregel keinesfalls so konsequent zu verstehen, wie mit Blick auf die Anmerkung in den allgemeinen Regeln deutlich wird. Assimilation durch Variantenschreibung ist Konrad Dudens Vorschlag zur Vorgehensweise bei den Fremdgraphemen und . Er lässt in der graphembezogenen Darstellung beide Schreibweisen – die assimilierte als auch die nicht assimilierte – nahezu uneingeschränkt für alle Wörter zu. Grund dafür ist zum einen der Gebrauch, der dies zulasse und zum anderen, dass die beiden darzustellenden Phoneme deutsche Laute und ohne Schwierigkeiten mit den im Deutschen vorgesehenen Konsonanten wiederzugeben seien (Duden 1872, 65). Zulässig bleiben dennoch beide Varianten, wobei Duden sich bei „Wörtern, die bereits in die Sprache des Volks übergegangen sind“ (Duden 1872, 65) für bzw. ausspricht. Damit bricht er vor allem der assimilierten Schreibweise in großem Umfang Bahn und gibt eine Richtung vor, ohne dabei dogmatisch zu wirken. In der Erläuterung seiner Regeln schreibt Duden in „Die deutsche Rechtschreibung“: Diesem Standpunkte [bei Schwanken die assimilierte Schreibeweise vorzuziehen – Anm. A. Z.] entspricht es, wenn wir in allen Wörtern, die nicht durch fremde Laute oder fremde Betonung sich als uneingebürgerte Fremdlinge kundgeben, den deutschen Buchstaben den Vorzug vor den fremden einräumen, also namentlich k vor c, z vor c – doch lassen wir die Endung = tion mit Andresen noch unangetastet, während wir, über ihn hinausgehend gegen kk z. B. in A k k u s a t i v, und kz z. B. in A k z e n t um so weniger ein Bedenken haben, als diese Schreibungen sich bereits in weitverbreiteten Schulbüchern wie Kühners und Curtius’ Grammatiken finden. (Duden 1872, 39)
Die bislang nur von Andresen und Sanders thematisierte Verwendung des bzw. und in Wörtern fremder Herkunft wird also auch von Duden aufgegriffen. In dieser Orthographie wird die assimilierte Schreibung nun erstmals im 19. Jahrhundert – wenn auch zunächst nur als Variante – vorgeschlagen (Duden 1872, 39 und 65). Auch hier bedient sich Duden bei dem Argument des Gebrauchs,
Auswertung des Befundes
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wenngleich das übergeordnete Kriterium der deutschen Lautqualität und der Wiedergabe durch heimische Buchstaben eigentlich Grund genug für die Assimilationsschreibung wäre. Es wird deutlich, dass Duden zwar ein Vertreter der phonetischen Richtung ist, aber nicht ohne Konsultation des Sprachgebrauchs entscheidet. Unabhängig davon, für welche Schreibweise sich der Sprachnutzer aber entscheidet, darf es nach Duden keine Mischschreibungen geben, wie er an dem Beispiel der -Schreibung verdeutlicht: „Man vermeide die Vermischung fremder und deutscher Schreibung innerhalb desselben Worts, schreibe also z. B. nicht Cirkular, sondern Circular oder Zirkular, nicht Secretär, sondern Sekretär“ (Duden 1872, 66). Insofern erfährt die freie Variantenwahl eine Einschränkung mit Blick auf den Assimilationsstatus der anderen im Wort enthaltenen Grapheme, weshalb besonders bei französischen Wörtern seltener assimiliert werden soll: Sie enthalten wesentlich häufiger „undeutsche Laute“ (Duden 1872, 66) als Wörter aus dem Lateinischen und Griechischen.195 Durch die konsequente Zulassung von Variantenschreibung dieses Graphems in den Fällen, in denen alle Phoneme des betreffenden Wortes auch mit deutschen Graphementsprechungen zu realisieren sind, und durch die häufige Bezugnahme auf den gegenwärtigen Gebrauch und seine Empfehlung zur Assimilation bahnt Duden dem Ersatz des Fremdgraphems den Weg, ohne radikal vorzugehen. Die Zulassung von Variantenschreibung bei diesen Graphemen ist auch in den Schulorthographien (auch schon in den frühen) ein Thema. Sie werden im Folgenden ausführlich besprochen. Die erste Schulorthographie, in der die Regelung von und eine Rolle spielt, ist die kurhessische. Mit Referenz auf den Gebrauch, der viel Schwanken anzeige, begründen die Autoren, dass eine einfache Regel nicht zu geben sei. Bei der aus diesem Grund wenig konkreten Regel gilt: Bei eingebürgerten Fremdwörtern soll die Schreibung assimiliert werden, alle anderen behalten ihr c, „um so mehr, je leichter ihr fremder Ursprung gefühlt wird“ (Kurhessen 1859, 21). Problematisch bleibt – genau wie bei der allgemeinen Regelung Kurhessens –, dass auch in dieser fremdgraphemspezifischen Regelung keine Klärung des Begriffs „eingebürgertes Fremdwort“ erfolgt. Die gegebenen Beispiele sorgen ebenfalls nicht für Klärung: So sind Kamerad, Kalender, Kristall, Zirkel, Prinzip, Offizier etwa
195 Im Regelteil zur Fremdwortschreibung nimmt Duden Bezug auf die in früheren Grammatiken übliche Unterscheidung der Schreibung nach der Spendersprache (vgl. oben), insbesondere nach ursprünglich griechischen und lateinischen Wörtern. Er stellt allerdings keine unterschiedlichen Regeln auf, sondern empfiehlt: „Die urspr. griechischen Wörter behandelt man auch hinsichtlich des K=Lauts am besten wie die lateinischen, da sie uns in der Regel in der latinisirten Form zugekommen sind. […] Wo man also nicht ganz nach deutscher Weise schreiben will, da gebe man auch in griechischen Wörtern den K=Laut durch c wieder“ (Duden 1872, 65). Dass er diese Unterteilung aufnimmt, obwohl sie keine praktische Relevanz hat, zeigt, wie verbreitet sie war. Duden geht damit auf eine Erwartungshaltung des Lesers ein.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
eingebürgerte Wörter, Candidat, College, Consonant, Contract, Doctor gehören zur Gruppe der nicht (vollständig) eingebürgerten Wörter (Kurhessen 1859, 21 f.). Warum der fremde Ursprung bei den letzteren Beispielen stärker „gefühlt“ werden soll, bleibt im Dunkeln. Es sind keine signifikanten formalen Unterschiede (abgesehen von der Assimilation des ) feststellbar. Im Folgenden wird eine weitere grundlegende Regel zur Assimilation von genannt, die hier allerdings explizit nur als „Anmerkung“ bezeichnet wird, obwohl sie auf die weitere Entwicklung der -Schreibung vorausweist: Kurhessen führt für „zweifelhafte Fälle“ Variantenschreibung ein. Eine Bevorzugung der assimilierten Schreibweise ist in der Formulierung allerdings nicht zu erkennen: In zweifelhaften Fällen wird man sich der Aussprache gemäß für die deutsche Schreibung (k – z) entscheiden dürfen; jedoch hat der Schreiber dann so viel als möglich mit Consequenz zu verfahren, und gilt als Regel, daß c im allgemeinen lieber in k als in z übergeht auch nicht in ein und demselben Worte den einen fremden Laut in den deutschen zu verwandeln, aber den andern zu belaßen, also nicht: A u k t i o n , A k t i e n , C a r z e r , C o n z e r t , sondern A u c t i o n , A c t i e n , K a r z e r oder C a r c e r , K o n z e r t oder C o n c e r t rc. (Kurhessen 1859, 22)
In zwei Fällen ist die Assimilation hingegen vorgeschrieben: in ursprünglich griechischen Wörtern (hier aber nur für ) und in Wörtern, in denen das durch Wegfall von Suffixen in den Auslaut gelangt. Letzteres ist keine Besonderheit, sondern gilt im ganzen Jahrhundert, wie bereits oben gezeigt wurde. Die Regel bezüglich in (ursprünglich) griechischen Wörtern wird auch in der württembergischen Schulorthographie von 1861 – wie im Übrigen auch im Berliner Regelwerk 1871 (Berlin 1871, 16), bei von Raumer 1876 (Vorlage 1876, 25), in Bayern (Bayern 1879, 15), in Preußen (Preussen 1880, 18) und in Sachsen (Sachsen 1880, 20) – aufgenommen. Ansonsten gilt auch hier der Einbürgerungsstatus in der graphembezogenen Regel als Kriterium für die Assimilation (Württemberg 1861, 14). Erstmalig in der Raumer’schen Konferenzvorlage kommt der graphembezogenen Regelung von und im Kapitel zur Regelung der Fremdwortschreibung ein eigener, im Vergleich zu den bisher dargestellten Schulorthographien recht umfangreicher Abschnitt zu. Diese graphemspezifische Regel orientiert sich – wie auch in den früheren Regelwerken – an der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung und so hängt denn auch die Assimilation von davon ob, ob das Fremdwort eingebürgert ist oder nicht.196 Die relativ eindeutige Regel wird durch zahlreiche Beispiele veranschaulicht. Getrennt davon wird die Assimilation von behandelt, da sich graphemspezifische Abweichungen ergeben. Hier lautet die erste Regel kontra Assimilation:
196 Der Einbürgerungsstatus ist hier nicht mehr diffus, da er nur in einer graphembezogenen Regel Anwendung findet. Im vorangegangenen Abschnitt der allgemeinen Regeln wurden wie auch in allen nachfolgenden Schulorthographien eindeutige Kriterien angegeben.
Auswertung des Befundes
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„Wenn das c dem Laute des deutschen z entspricht, so wird es in vielen Wörtern beibehalten“ (Vorlage 1876, 25). Und erst in der nächsten Regel heißt es: „Bei anderen Wörtern ist z statt des ursprünglichen c durchgedrungen“ (Vorlage 1876, 25). Die Formulierungen zeigen eine starke Gebrauchsorientiertheit, die im nächsten Satz explizit gemacht wird: „Bei vielen Wörtern schwankt der Gebrauch“ (Vorlage 1876, 25).197 Für diese Fälle bietet von Raumer keine Lösung an, so dass Schwankungen als Bestandteil der Regel gelesen werden können. Neu gegenüber anderen bisher betrachteten Regelwerken ist, dass von Raumer nicht nur in Bezug auf , sondern auch für in griechischen Wörtern einige Assimilationsschreibungen feststellt (Vorlage 1876, 25). Die Konferenzvorlage von Raumers wurde in Bezug auf die hier behandelten Grapheme in den Verhandlungen in Berlin nahezu vollständig akzeptiert. Obwohl aus dem Protokoll der Konferenz hervorgeht, dass Duden und von Raumer sich in Forderungen und Beschlüssen prinzipiell ähnlich verhalten, so geht doch aus Dudens Schrift „Die Zukunftsorthographie“ hervor, dass ihm von Raumers Vorschlag und damit auch der Konferenzbeschluss besonders in der Frage der Assimilation von zu nicht weit genug ging (Duden 1876, 74). Er führt an, dass Belege auch für schwankenden Gebrauch der Wörter der „ersten Klasse“ (derer, die ihr beibehalten sollen) ermittelbar seien (Duden 1876, 74). Da auch Duden darum weiß, dass eine durchgängige Einführung von statt nicht tragbar ist und auch nicht dem Gebrauch entspricht, schlägt er in seiner Zukunftsorthographie, die ja eigentlich nur die Konferenzbeschlüsse erläutern soll, eigene Regeln vor – dergestalt, dass im Sinne einer leichten Handhabbarkeit für dieses Graphem prinzipiell überall und zulässig sei, es sei denn, es handele sich um die folgenden Wörter (abgeschlossene Liste): Zelle, Zins, Zirkel, Bezirk, Offizier, Offizin, Prinzipal, Parzelle, Polizei, Lanzette, Spezerei, Kreuz, Prinz, Provinz (Duden 1876, 75). Dieses Variantenverfahren, das er auch hier auf ausdehnt, wurde schon in seiner Schrift von 1872 deutlich. Wir zweifeln nicht, dass bei Annahme dieser Regeln, welche der Bewegung freien Lauf lassen, das z allmälig alle Stellen in den gangbaren Wörtern erobern wird. Und dieses Ziel erscheint
197 In der „Begründung der Schrift“ stellt von Raumer das Gebrauchsargument besonders heraus und erläutert, dass Regeln gegen den Sprachgebrauch nicht gesetzt werden können. Seine Formulierung dessen zeigt aber auch, dass er eine andere Lösung favorisiert hätte: „Andererseits aber werden die meisten sich gegen Zentrum, Zentimeter, Zitat sträuben. Es bleibt also für jetzt nichts anderes übrig, als die Schreibung mit c für einen Theil der hierher gehörigen Wörter beizubehalten, während in anderen c mit z vertauscht wird“ (Begründung 1876, 76). Andererseits offenbart die Begründungsschrift auch, dass von Raumer sich mit dem entgegengesetzten Verfahren (möglichst wenig Wörter mit und assimiliert zu schreiben) beschäftigt hat und dafür durchaus auch Argumente findet. Man folge damit vielen anderen europäischen Sprachen, die gemeinsames Lehngut auch in graphisch gleicher Form bewahren (vgl. heutiges Internationalismenargument). Und ursprünglich griechische Wörter mit c zu schreiben wäre aus dem Grund nicht abwegig, da auf diese Weise die vermittelnde Sprache deutlich gemacht würde (Begründung 1876, 77).
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uns von dem Gesichtspunkte der Leichtigkeit und Volkstümlichkeit der Orthographie das wünschenswerte. In der Gelehrtensprache mag das c sein Leben ungestört weiter fristen, das hindert die Leichtigkeit der Schrift für das Volk gar nicht. (Duden 1876, 75)
Die Schreibungsregelung dieses Graphems bleibt erwartungsgemäß auch Thema in den späteren Schulorthographien. Das Regelungsdesign, das bereits bei der Analyse der Berliner Schulorthographie ermittelt wurde, übernimmt Bayern 1879: Im Fremdwortregelteil sind Schreibungen mit bzw. und zunächst nicht extra geregelt, sondern lediglich als Beispiellisten zu den graphemübergreifenden Regeln aufgeführt (Bayern 1879, 15). Hinzu kommt – erneut in einer „Anmerkung“ – der Hinweis auf zahlreiche Schwankungsfälle bei und auch bei . Ersteren geben die Autoren die Regel bei, dass „der Schreibweise mit z der Vorzug [gebührt]“ (Bayern 1879, 15). Eine solche Einschätzung fehlt bei der Anmerkung 2: „In vielen Fremdwörtern mit ursprünglichem c schwankt die Schreibweise zwischen k und c“ (Bayern 1879, 15). Letztlich muss der Nutzer die allgemeinen Regeln hier zur Anwendung bringen und in den Schwankungsfällen, in denen diese nicht weiterhelfen, bleiben beide Schreibweisen zumindest zulässig. Im bayerischen Regelwerk wird erstmals in den späteren Schulorthographien in der Darstellung der Regelung auf Konsequenz bei der bzw. -Auswahl innerhalb eines Wortes wert gelegt – übernommen dann von den folgenden Schulorthographien: Treten mehrere -Fälle innerhalb eines Wortes auf, so sind beide assimiliert oder nicht assimiliert zu schreiben. Mischschreibungen sind nicht erwünscht (Bayern 1879, 15, vgl. auch Preussen 1880, 18; Sachsen 1880, 20). Ebenfalls erstmalig wird eine spezielle Regel zur Suffixstruktur -zieren formuliert, die in den nachfolgenden Schulorthographien ebenfalls aufgenommen wird: Hier schwanke der Gebrauch, der Variante mit wird allerdings der Vorzug gegeben (Bayern 1879, 15, vgl. auch Sachsen 1880, 21).198 In den Schulorthographien Preußens und Württembergs wird dann nur noch die assimilierte Schreibung akzeptiert (Preussen 1880, 19; Württemberg 1884, 31). Deutlich ausführlicher als die vorangegangenen Schulorthographien werden die Autoren der preußischen Schulorthographie bei den Graphemen und 199, indem sie für jedes Graphem mehrere Regeln aufstellen. Im Abschnitt zum Graphem wird weitestgehend nicht die -Schreibung geregelt, sondern die -Schreibung. Zugrunde liegt hier die Frage nach der Einbürgerung: Zu assimilieren ist in solchen Wörtern, „welche völlig eingebürgert sind und ganz das Aussehen deutscher Wörter gewonnen haben (Preussen 1880, 18). Problematisch ist, dass die Einbürgerung nirgends konkreter erläutert wird. Eine Erklärung können auch die allgemeinen Regeln nicht liefern, da sie mit diesem Begriff nicht operieren. In Regel 3 ergänzen die Autoren, obgleich es in Anbe-
198 Hinzuweisen ist darauf, dass die Deutung von -zieren als Suffix zwar in der Regelung vorkommt, aber im Hinblick auf die Wortbildungsprozesse nicht korrekt ist (vgl. Wilmanns 1887, 230). 199 Hier zu finden unter den Abschnittsüberschriften „Der Laut k“ und „Der Laut z“.
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tracht der vorangegangenen Regel nicht nötig wäre, dass „in vielen andern häufig gebrauchten, ursprünglich lateinischen oder französischen Wörtern“ (Preussen 1880, 18) ebenfalls eine Assimilation erfolgt. Vermutlich ist diese Art spendersprachlich orientierter Regel, der man den Vorwurf der Redundanz machen könnte, auf die Tatsache zurückzuführen, dass die vorangegangene, in allen Publikationen auftauchende Regel zur Schreibung griechischer Wörter nach einem Pendant zum Vorgehen bei anderen Spendersprachen fordert. Es wird deutlich, dass Preußen hier bei der graphemspezifischen Regelung über die allgemeine Regel hinausgehende Assimilationsfaktoren annimmt wie den Einbürgerungsstatus, den häufigen Gebrauch und die deutsche „Form“. Die Realisierung des Lauts [k] durch wird hingegen nicht in einer Regel dargestellt, sondern nur in einer „Anmerkung“ dazu. Hier greift ein neuer Assimilationsfaktor: die Anzahl fremder Grapheme im Lexem. Sobald weitere „undeutsche Lautbezeichnung[en]“ auftreten, „ist nicht k, sondern c zu schreiben“ (Preussen 1880, 18). „Ebenso in fremden Wortformen, z. B. Adjectiva“ (Preussen 1880, 18). Dieser Zusatz zeigt, dass die fremde Morphemstruktur (insbesondere bezüglich der grammatischen Morpheme) ebenfalls ein wesentlicher Faktor ist. Hinzu kommt – ebenfalls im Rahmen einer „Anmerkung“ – der Faktor der Position des Lauts bzw. der Kombination mit anderen Lauten: So sind die Präfixe Ko-, Kol-, Kom-, Kon-, Kor- und auch die Kombination [kt] in assimilierter Schreibweise „vorzuziehen“. Diese Regel, die gleichzeitig in kleinem Stil Variantenführung einführt, ist völlig neu in den Grammatiken und Orthographielehren. Fraglich ist allerdings, ob sie anderen Regeln untergeordnet ist (was aufgrund des Status von Anmerkungen anzunehmen ist) oder ob sie gegenüber den anderen Regeln Autonomie genießt. In Anbetracht der singulären Regeln lässt sich diese Autonomie allerdings zumindest nicht in ihrer konsequenten Ausführung bestätigen (Preussen 1880, 26). Dass Preußen „die Fremdwörter, die auch sonst undeutsche Lautbezeichnung haben (z. B. Coeur) dem c zu retten gesucht“ (Wilmanns 1880, 195), befürwortet der Autor des Werks Wilhelm Wilmanns. An einschlägiger Stelle ist bereits gesagt worden, dass er stark assimilative Tendenzen, wie sie etwa bei Sanders vorliegen, ablehnt. So ist es angesichts der folgenden Äußerung Wilmanns nicht weiter verwunderlich, dass die preußische Regelung bei und auch im nachfolgend dargestellten Regelteil zu eher zurückhaltend mit der Empfehlung assimilierter Schreibungen vorgeht: Nur an zwei von den Punkten, die wir bis jetzt betrachtet haben, sind etymologisch begründete Zeichen stärker bedrängt: ü und sch sind ziemlich weit in die Scharen französischer Wörter eingedrungen. Aber verheerender als sie haben zwei andere, noch unerwähnte Buchstaben unseres Alphabets gehaust; k und z, zwei der häßlichsten, haben namentlich in neuerer Zeit gewaltige Breschen in unser Schriftgebäude gelegt, und andere Zeichen aus ihrem etymologischen Reiche verdrängt, namentlich das c aber auch qu und t. (Wilmanns 1880, 193) 200 200 Hinzuweisen ist auf den Wandel von Wilmanns, der das im ersten Kommentar noch als genauso deutschen Buchstaben angesehen, im Kommentar von 1887 dann nicht mehr (Wilmanns 1880, 195 und 1887, 221).
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Auch im preußischen Regelbuch kommen bei der Regelung der -Schreibung andere Faktoren zur Geltung als bei der Regelung von . Zwei Regeln finden sich im Abschnitt „Der Laut z“ zur Fremdwortschreibung: 1. z steht regelmäßig im Auslaut der Wörter, welche im Französischen auf ce, im Lateinischen auf […] cius, cium ausgehen z. B. […] Differenz, Sentenz, Vakanz; Finanzen, Novize, Allianz, Distanz (aber mit fremder Aussprache Alliance, Distance). […] Ebenso ist z durchgedrungen in Zelle, Zinnober, Zins, Zirkel, Bezirk; Lanze, Lanzette, Parzelle; Polizei, Polizist, Terzerol, Terzett. 2. In anderen Fällen schwankt der Gebrauch. Man schreibe dem überwiegenden Gebrauche gemäß z in Dezember, Domizil, Karzer, Konzil, Konzert, Kruzifix, Medizin, Offizier, Offizin, offiziös, offiziell, Porzellan, Prozent, Prozeß, Prozession, Rezept, Spezerei. […] Man schreibe c in Cäsur, Ceder, Censur, censieren, Centrum, central, excentrisch, Ceremonie, Cigarre, Cirkular, Citrone, Citadelle, Civil, ciselieren, Cölibat, Concept, concipieren, Docent, Deficit, Disciplin, Emancipation, Hyacinthe, municipal, Narcisse, Pharmaceut, Particip, präcis, Präcision, Rekonvalencent, Recensent, social, specifisch. (Preussen 1880, 19)
Die erste Regel schreibt Assimilation – mit Blick auf eine korrekte Aussprache für den Leser – für die Auslautposition vor.201 Das war, wenn auch nicht immer deutlich in eine Regel gefasst, auch in den vorangegangenen Schulorthographien so. Weitere Faktoren sind – abgesehen vom überwiegenden Gebrauch – nicht zu finden. Die Beispiellisten spiegeln die singulären Regeln aus dem Wörterverzeichnis und liefern keine Erklärungen für die stattgefundenen Assimilationen. Diese finden sich – zumindest in Teilen – nur im Kommentar zur preußischen Schulorthographie (und dies auch nur in der 2. Auflage 1887): Bei einigen aus dem Lateinischen entlehnten Wörtern greift die Tatsache, dass sie „ganz das Aussehen deutscher Wörter haben“ (Wilmanns 1887, 228) oder entsprechende Formveränderungen durchlebt haben. Bei denen, die aus dem Romanischen entlehnt wurden, führt die phonemische Assimilation /s/ – /ts/ zur graphemischen. In oben zitierter Regel wurde die vollständige Auflistung aus dem Regelwerk übernommen, weil sie zum einen zeigt, dass die Wortliste zur -Schreibung wesentlich länger ist als die zur -Schreibung, was eine gewisse Zurückhaltung in Bezug auf die Assimilation offenbart.202 Zum anderen zeigt sie, dass die Frage nach der Abgeschlossenheit der 201 Im „Kommentar zur Preußischen Schulorthographie“ gibt Wilmanns einen entscheidenden Hinweis zum Umgang mit französischen Wörtern, deren im Deutschen phonemisch assimiliert wurde, der allerdings im Regelwerk selbst nicht zu lesen ist. In all den Fällen nämlich, in denen eine phonemische Assimilation stattgefunden hat von /s/ zu /ts/, da soll – gemäß der graphemübergreifenden Regel – immer die deutsche Schreibweise gelten (Wilmanns 1880, 199). Im Gegenzug ist auch immer da, wo dies nicht stattgefunden hat, zu schreiben. Das erklärt, warum es in vielen Orthographielehren die Varianten Allianz / Alliance, Distanz / Distance und Finanz / Finance gibt. Die fremde Schreibweise macht hier die nicht assimilierte Aussprache deutlich (vgl. Wilmanns 1887, 219). 202 Wilmanns bestätigt dies ganz konkret in seinem Kommentar zur Preußischen Schulorthographie: „Die Vorschrift z überall zu schreiben, würde einen erheblichen Unterschied zwischen der Orthographie der Schule und des Lebens herbeiführen. […] [S]o bleibt nichts übrig, als dem Wu-
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Listen erneut aufgeworfen werden muss. Die einschränkende Bemerkung „z. B.“ in der ersten Regel schließt die Abgeschlossenheit aus. Wie aber sind die anderen Regeln zu verstehen, in denen eine äußerst umfangreiche Aufzählung stattfindet, ohne die Beispielhaftigkeit der Schreibweisen sprachlich festzuhalten? Erst der Blick in die singulären Regeln offenbart, dass es sich im Regelteil nur um Beispiellisten handelt (z. B. weiterführende assimilierte Schreibungen: Ziffer, Zither, Zentner [Letzteres vgl. Wilmanns 1887, 226]). Außerdem bleibt festzuhalten, dass hier – trotz festgestellten Schwankens – eine Schreibung nach dem überwiegenden Gebrauch vorgeschrieben wird, ohne explizit die assimilierte Variantenschreibung zuzulassen, wie es aber doch in den singulären Regeln des Wörterverzeichnisses geschieht. Ein zusätzliches Beispiel dafür, wie wenig diese Regeln den Sprachnutzer zum korrekten Schreiben anleiten. Auch der Aufbau des sächsischen Regelwerks folgt im Wesentlichen den vorangegangenen amtlichen Kodifizierungen. Die bekannten Regeln zur Assimilation bestimmter Strukturen (-z, ‑k, -ik, -kel, -kt, Ko-, Kol-, Kom-, Kon-, Kor- [bei den fünf letzten Anlautstrukturen gilt als gegenüber bevorzugte Variante]) wiederholen sich auch hier. Neu ist folgende Regel: Anmerkung 1. Die Bestimmung § 23,1 [Wörter mit fremdem Lautbestand werden nicht assimiliert – Anm. A. Z.] schließt die g l e i c h m ä ß i g e Bezeichnung des K=Lauts in s t a m m v e r w a n d t e n Wörtern nicht aus, z. B. die Schreibung: Kollekteur neben Kollekte, Kommandeur neben kommandieren, Redakteur neben Redaktion u. s. w. (Sachsen 1880, 20).
Hier wird also die (in Preußen vermisste) Regelhierarchie erstmals explizit deutlich gemacht. Wenn also die oben genannten Kombinationen auftreten, ist aufgrund des morphematischen Prinzips assimiliert zu schreiben, obwohl u. U. weitere fremde Laute in dem betreffenden Lexem vorkommen. Schwankungen im Gebrauch werden auch in Sachsen erst dem Graphem attestiert. Hier reiht sich in die Beispielkette von positionsbedingten Assimilationsschreibungen (Auslaut) eine Regel, die die Schwankungen benennt und mit geführter Variantenschreibung bevorzugte Schreibweisen in nicht abgeschlossenen Beispiellisten liefert:
chern des z entgegenzutreten und auch hier die historisch=etymologische Grundlage, auf der die Schreibung der Fremdwörter im allgemeinen beruht, anzuerkennen. Die amtlichen Regelbücher entfernen sich von dieser Grundlage nicht so weit, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. […] Im Anlaut ist z für gr. lat. c auf eine kleine Gruppe von Wörtern beschränkt. […] Diesen Wörtern steht eine sehr große Anzahl von andern gegenüber, die fast alle durch ihre Bildungsweise als Fremdwörter kenntlich sind“ (Wilmanns 1887, 227). Auch im Vergleich „seiner“ mit der Orthographie Bayerns resümiert Wilmanns mit Blick auf das Graphem und den regional vermeintlich unterschiedlichen Gebrauch: „Das bayerische Regelbuch leistet, der heimischen Sitte folgend, dem Gebrauch des z ziemlich stark Vorschub; zögernd folgt die preußische Orthographie. Dem in Norddeutschland geltenden Brauche gemäß bevorzugt sie in einer Reihe von Wörtern das c, wo die Bayern z bevorzugen oder allein gelten lassen. […] In andern wird schwankender Gebrauch anerkannt, aber z empfohlen“ (Wilmanns 1880, 198).
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In vielen Fällen schwankt die Schreibweise zwischen z und c. Bei geläufigen Wörtern gewinnt die erstere mehr und mehr den Vorzug, z. B. in Dezember, Domizil, Karzer, Konzert, Konzil, […] – dagegen gewöhnlich: Censur, Citrone, Civil […]. (Sachsen 1880, 21)
In Konrad Dudens Zusammenfassung der bisher erschienenen Schulorthographien, in die er an aus seiner Sicht verbesserungswürdigen Stellen auch Veränderungen einfügt, ist für der folgende pauschalisierende, lapidare Satz zu lesen: Zu kennzeichnen ist „das lateinische und französ. c (spr. k) durch k fast ausnahmslos. Insbesondere ist zu merken, daß k immer steht […]“ (Duden 1881, 33). Da also die Regel, die Ausnahme bei der Kennzeichnung des Lauts [k] ist, wären eigentlich die Ausnahmen genauer zu bezeichnen. Hingegen folgt die Aufzählung von assimilierten Fallgruppen: Wörter, „welche völlig eingebürgert sind und ganz das Aussehen deutscher Wörter gewonnen haben“, „häufig gebrauchte[n] Fremdwörter[n], die fremde Form oder Betonung beibehalten haben“, oben genannte Präfixe und die Kombination [kt], außerdem in Wörtern griechischer Herkunft (Duden 1881, 33). wird einzig für eine Gruppe französischer und lateinischer Wörter vorgeschrieben, wobei hier nicht – wie auf den ersten Blick zu vermuten – das spendersprachliche Kriterium greift, sondern die äußerliche Fremdheit, also die Existenz weiterer besonders fremder Grapheme und weiterer fremder sprachlicher Strukturen: Dagegen bleibt c in manchen ursprünglich französischen Wörtern, die auch sonst in auffallender Weise fremdes Gepräge behalten haben oder die gar nicht als eingebürgert gelten können, z. B. das C a f é , C a f é c h a n t a n t , C a f e t i e r , C a n c a n , C o i f f e u r , C o i f f u r e . – Auch in lateinischen Flexionsformen wie: (vor) A d j e c t i v i s , i n c o n c r e t o , i n a b s t r a c t o . (Duden 1881, 33)
Letzteres betrifft – wie durch die Beispiele deutlich wird – in erster Linie Zitatwörter. So gab es die Regel in den vorangegangenen Schulorthographien noch nicht. Hier wird deutlich mehr Konsequenz in der Assimilation sichtbar. Abweichend von den Schulorthographien erklärt Duden kein Schwanken bei der Schreibung von bzw. , sondern gibt vermeintlich klar an, in welchen Fällen welche Schreibweise anzuwenden ist. Die Regeln zur assimilierten Schreibweise weichen insofern vom Bekannten ab, als Einbürgerungs- und Häufigkeitskriterium erscheinen (Duden 1881, 34), wo z. B. in Preußen (ähnlich in Bayern und Sachsen) jegliche Kriterien fehlten (Preussen 1880, 19). Die Regelung in Württemberg weicht von der bislang gezeigten Form allerdings ab. Hier kommt der Regelung der -Schreibung ein eigener Paragraph zu (§ 40), sie ist nicht Teil der graphembezogenen Beispiellisten. Der besondere Status der Grapheme und wird in den einleitenden Worten des § 40 deutlich: „Besonders zu beachten ist die Schreibung der Fremdwörter mit K= und Z= Laut“ (Württemberg 1884, 29).
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Grundlage für die nachfolgende Regelung ist der Gebrauch: „Der Gebrauch entscheidet sich bei diesen Wörtern, soweit sie nicht unter § 38203 fallen, mehr und mehr für die deutsche Schreibung, welche in Zweifelsfällen ohne Anstand gewählt werden kann“ (Württemberg 1884, 29). Damit erklärt sich Württemberg für Variantenschreibung und lässt generell die Assimilation der Grapheme gelten. Fremdwörter mit fremdem Lautbestand bleiben aber ausgeschlossen (abgesehen von solchen mit stammverwandten Wörtern ohne fremde Laute). Auf dieser Grundlage formulieren die Autoren die folgenden ‚Regeln‘: „Demnach erhält […] der K=Laut in den nicht unter § 38 fallenden Fremdwörtern das Zeichen k: Kabinett, Kalender […]“ (Württemberg 1884, 30).204 Der abschließende Charakter der 47 Wörter zählenden Liste ist nicht deutlich, aufgrund der vorangegangenen Vorbemerkung aber kann man davon ausgehen, dass noch viele andere Schreibungen mit statt erlaubt sind. Württemberg folgt Sachsen, indem es ebenso das morphematische Prinzip bemüht: Assimilierte Schreibung ist in solchen morphematisch motivierten Fällen auch erlaubt, wenn ein fremder Laut im Wort bewahrt worden ist. Interessant auch hier, dass diese Regel, die im Grunde genommen eine allgemeine Regel außer Kraft setzt oder zumindest einschränkt, wieder nur den Status einer „Anmerkung“ hat (Württemberg 1884, 30). Etwas komplexer sieht hier die Regelung von aus, wenngleich es aufgrund der generellen Akzeptanz von assimilierten -Schreibungen nur wenige Einschränkungen gibt. Auch hier stehen zunächst einige Assimilationsempfehlungen, die aufgrund ihres Einbürgerungsstatus205 und der Geläufigkeit in diese Gruppe gehören, bevor positionsbedingte Regelungen pro Assimilation genannt werden: vor der Endung -ieren, im Auslaut. soll nur bestehen bleiben in Eigennamen, im Anlaut einiger ursprünglich griechischer Wörter und schließlich „in einer Anzahl anderer Wörter, welche der überwiegende Schreibgebrauch den 1. a) aufgeführten noch nicht gleichstellt und worüber das Wörterverzeichnis Auskunft giebt, z. B. C e n t i m e t e r , C i t a d e l l e [ … ] (Württemberg 1884, 31). Die Variantenschreibung von ist daher doch eingeschränkter gültig als die von , da der Schreibgebrauch hier noch nicht so weit sei. Insgesamt zeigt sich die württembergische Schulorthographie der Assimilation dieser Grapheme am stärksten zugewandt. Den progressiven Charakter Württembergs stellt auch Duden in seiner Regelwerksanalyse zu den Verschiedenheiten der Schulorthographien heraus.
203 „Fremdwörter, welche im Deutschen die fremde Aussprache bewahren, behalten gewöhnlich auch die fremde Schreibung“ (Württemberg 1884, 29). 204 Diese erste Beispielliste pro Assimilation kann nicht den Status einer Regel zugewiesen bekommen, da hier keine Kriterien für den Geltungsbereich mitgegeben werden. 205 Auch hier ist wiederum nicht klar, was unter „eingebürgerten“ Wörtern zu verstehen ist, da der Terminus in den allgemeinen Regeln nicht geklärt wird.
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Mehr als alles andere aber spricht dafür (für die Zunahme assimilierter -Schreibungen im Usus) der Umstand, daß Württemberg, welches mit seinem Orthographiebüchlein am spätesten gekommen ist, am entschiedensten der Neigung zu dieser volkstümlichen Schreibung Rechnung getragen und durch die oben citierte – warum nicht zitierte? – Erlaubnis, in allen Zweifelsfällen ohne Anstand z zu gebrauchen, den letzten Damm eingerissen hat, der dem Eindringen des z noch hätte Halt gebieten können. Angesichts dieses Vorgehens der württembergischen Regierung darf ich es wohl für überflüssig erklären, durch Anführung zahlloser Beispiele aus der Tagespresse Feststehendes stützen zu wollen. (Duden 1886, 34 f.)
Er unterstützt also das Vorgehen Württembergs und wünscht sich die Durchsetzung assimilierter Schreibungen in Zweifelsfällen auch in der preußischen Schulorthographie, denn er erkennt die Kernschwierigkeit bei der Regelformulierung, nämlich „daß jeder andere Versuch, zu einer befriedigenden Regelung dieser Frage zu gelangen, immer wieder an derselben Schwierigkeit scheitert, nämlich an der Schwierigkeit, für jedes einzelne Wort in allgemein überzeugender und einleuchtender Weise den Grad seiner Einbürgerung in der deutschen Sprache oder seine Unentbehrlichkeit festzustellen“ (Duden 1886, 32). Bevor abschließend das amtliche Regelwerk von 1903 betrachtet wird, sei noch ein kurzer Blick auf die Radikalphonetiker Fricke und Bax geworfen. Es nimmt nicht wunder, dass Fricke im Rahmen seiner konsequent geforderten „Lautschrift“ auch für die Assimilation von zu und Konsequenz fordert, wenngleich die nicht assimilierte Variante den allgemeinen Regeln folgend in der Übergangszeit noch gestattet wird. Fricke würdigt die „umfassenden Fortschritte“, die „in neuester Zeit die Schreibung des k-Lautes gemacht“ (Fricke 1877, 133) hat. Auch die fortschreitende Assimilation von hebt er lobend hervor. Eigenständige graphembezogene Regeln findet man indes bei ihm nicht. Denselben Befund ergibt die Analyse der Volksorthographie von Richard Bax. Auch ihm genügt es, eine graphemübergreifende Regelung zur Fremdwortschreibung zu geben, auch hier ist der Zweck der Publikation ja ein anderer: nämlich eine Reformorthographie auf radikal-phonetischer Grundlage einzuführen. Zur Assimilation von und bemerkt Bax lediglich im Rahmen seiner Vorschläge zur Umgestaltung des Alphabets: Zu entbehren ist zunächst das c, bald wie k, bald wie z klingend. Durch k und z kann es immer ersetzt werden: Konto, Zirkus. In vielen Wörtern hat man es bereits gethan. Warum nicht in allen? Weshalb gestattet man Doppelschreibungen wie Casus – Kasus, Concept – Konzept, Centner – Zentner, Cigarre – Zigarre? (Bax 1897, 21)
Das vorläufige Ende der Vereinheitlichungsbestrebungen ist 1901 mit der II. Orthographischen Konferenz erreicht. Im „Protokoll über die Sitzung im preußischen Unterrichtsministerium zur deutschen Rechtschreibung (30. Juni 1900)“ heißt es unter Beschluss 2.f: „Für § 24 (Schreibung der Fremdwörter) wurde beschlossen, daß die Bezeichnung des fremden c durch k oder z je nach der Aussprache […] überall als gleichberechtigt angesehen werden soll“ (Protokoll 1900, 212). Dieser Beschluss nimmt Bezug auf die bisherige Regelung im preußischen Regel-
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buch, die – wie oben gezeigt – diese Gleichberechtigung noch nicht vorsah. Die Annahme, dass dieser Beschluss auch in der amtlichen Neuregelung seinen vollständigen Niederschlag findet, wird jedoch enttäuscht. Er wird bereits in der Vorlage nicht ausreichend berücksichtigt. Dennoch wird der Assimilation der Grapheme und deutlich mehr Gewicht gegeben. Die Regeln zur Schreibung der betreffenden Wörter werden hier – ihrem Status gemäß – nur mit „Richtschnur“ bezeichnet, da vorher im Regelwerk bereits anerkannt wird: „Für die Schreibung der Fremdwörter lassen sich allgemein gültige Regeln nicht aufstellen“ (Vorlage 1901, 243). Die Richtlinien stehen in der Abfolge direkt nach dieser eben zitierten allgemeinen Regelung bzw. Bemerkung. Für kein anderes Graphem werden nachfolgend so ausführliche Hinweise zur Schreibung gegeben. Zwischen der Vorlage und der letztlich verabschiedeten Regelung bestehen nur marginale Unterschiede, die kaum den Regelinhalt, sondern lediglich einige Formulierungsdetails betreffen. Für ein möglichst vollständiges Bild auch im Vergleich zu den vorangegangenen Schulorthographien wird hier ein Auszug der Regeln wiedergegeben. Sie werden nach der Vorlage zitiert. Ein Satz, der erst in der amtlichen Regelung hinzugefügt wurde, ist hier schon (markiert) eingefügt worden: Für c mit dem K=Laut schreibe man in geläufigen Fremdwörtern k, auch in solchen Wörtern, welche die lateinische Endung =um (Mehrzahl =a) oder die französische Endung =eur haben […]. Insbesondere ist immer k zu schreiben in den zahlreichen Wörtern mit der Vorsilbe Ko= […] und in der Verbindung mit t […]. Beizubehalten ist dagegen c in der Regel in solchen Fremdwörtern, die auch sonst undeutsche Lautbezeichnung bewahrt haben […]. Indessen ist hier der Gebrauch vielfach schwankend. Nur in einigen ganz eingebürgerten Fremdwörtern dieser Art schreibt man k […]. Für c mit dem Z=Laut schreibe man in allen geläufigen Fremdwörtern z, auch in solchen Wörtern, welche die lateinische Endung =um (Mehrzahl =a) haben […]; und in der Endung =zieren […]. Insbesondere muß der Z=Laut mit z geschrieben werden in Wörtern, in denen ein ursprüngliches c mit dem K=Laut durch k zu bezeichnen ist, z. B. Konzert, Konzil, Kruzifix. […] In einigen griechischen Wörtern, die uns aus dem Lateinischen mit der Bezeichnung des ursprünglichen K=Lautes durch c überkommen sind, wird jetzt das c wie z gesprochen; es darf daher statt c auch z geschrieben werden […] Statt cc mit dem K=Laut darf man überall kk, statt cc mit dem Laut von kz überall kz schreiben, z. B. Akkord, Akkusativ; Akzent, Akzise. (Vorlage 1901, 243 f.)
Zunächst fällt auf, dass – erstmalig in der Geschichte der Schreibungsregelung von und – identische Hauptregeln für beide Grapheme zu finden sind, die beide eine assimilierte Schreibweise fordern. Nachfolgend werden einige in der Geschichte der Regelung häufig genannte spezielle Regelbereiche wieder aufgegriffen, in denen die assimilierte Schreibung unumstößlich feststehe (bestimmte Positionen und Kombinationen [Ko-; -kt-; ‑zieren] bzw. Konsequenz in der Schreibungsentscheidung). Bemerkenswert ist auch, dass die fremde Flexion hier nicht mehr zum Ausschluss von der Assimilation führen soll (vgl. hierzu noch § 24, Ziffer 3, Anmerkung 2 in Preussen 1880, 18).
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Erstaunlich ist nun, vor allem mit Blick auf die bisher sehr unterschiedlich verlaufende Entwicklung im Assimilationsverhalten der beiden Grapheme und auf die oben zitierte Forderung der Sitzung im preußischen Unterrichtsministerium 1900, dass ausgerechnet bei dem Graphem für „Fremdwörter, die auch sonst undeutsche Lautbezeichnung bewahrt haben“ (Vorlage 1901, 243), eine Regel zum Verzicht auf die Assimilation zu finden ist, die es nicht für das Graphem gibt. Durch die in der amtlichen Regelung hinzugefügte Bemerkung „Indessen ist hier der Gebrauch vielfach schwankend“ (Regeln 1903, 18), wird die Regel allerdings relativiert und damit Variantenschreibung zumindest toleriert. Insofern ist schließlich tatsächlich nahezu überall die Assimilation möglich,206 die Richtlinien geben aber insbesondere an dieser Stelle klare Variantenführungen an. Es bleibt noch zu erwähnen, dass und hier tatsächlich erstmalig gleichwertig neben stehen, eine Neuerung, die sich zuvor nur in Dudens Vorschlägen fand (1876) und in allen Schulorthographien noch ausdrücklich abgelehnt wurde (vgl. z. B. Württemberg 1861, 14). Die Regel zur Assimilation von in ursprünglich griechischen Wörtern ist ebenfalls neu. Die Kandidaten, auf die diese Regel zutrifft, wären zwar schon mit der Hauptregel erfasst, aber mit Rücksicht auf die bisher existierende Regel zur Nichtakzeptanz von Assimilation in solchen Fällen (vgl. z. B. Bayern 1879, 15) wird sie nötig. Insgesamt kann mit dem Erscheinen der amtlichen Regelung von einer deutlichen Stärkung und Ausweitung der Assimilation von gesprochen werden. Zumindest wird in nahezu allen geläufigen Wörtern die assimilierte Schreibung akzeptiert. Das Kriterium der deutschen bzw. undeutschen Lautbezeichnung gibt es nur noch im Teilbereich . Ob dies auch das Wörterverzeichnis widerspiegelt, wird in Kapitel 3.4.3 dargestellt. Zusammenfassung: Die Grapheme und weisen das stärkste Regelungsbedürfnis auf und werden dementsprechend häufig und differenziert in den Regelwerken besprochen. Es zeigt sich, dass in den meisten Fällen die allgemeine Fremdwortschreibungsregel auch der Regelung dieser beiden Grapheme zugrunde gelegt wird (vgl. Adelung, Heinsius, Heyse, Weinhold, Linnig, fast alle Schulorthographien) – häufig unter Hinzuziehung weiterer Bestimmungskriterien. Damit überträgt sich auch das Problem, das bereits aus der Darstellung zur allgemeinen Regel bekannt ist: Die Kandidatenzuordnung erweist sich im Einzelfall als schwierig, so dass die jeweilige Regel nie ohne zusätzliche – oft singuläre – Regeln auskommt. Tatsächlich haben die wenigsten der aufgestellten Regeln einen schreibungsleitenden Wert, so dass sie fast alle als unechte Regeln zu bezeichnen sind. Darüber hinaus wird häufig der (schwankende) Gebrauch benannt, der zur Recht-
206 Diese Einschränkung muss gemacht werden, da die Richtlinien die weniger geläufigen Wörter gar nicht thematisieren.
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fertigung der Regelungsschwierigkeiten und später auch zur Grundlage vermehrter Variantenführung angebracht wird. Trotzdem lässt sich im Verlaufe des 19. Jahrhunderts eine deutliche Entwicklung zugunsten der Assimilation dieser Grapheme in der Kodifikation beobachten. Zu Beginn des Jahrhunderts zeigen sich die Regelwerksautoren wenig assimilationszugewandt (vgl. Adelung, Heyse). Wie Adelung konstatiert, mag dies aber auch an der mangelnden Fremdheitswahrnehmung des liegen (Adelung 1788, 158). Dennoch schreitet die Assimilation der Grapheme fort. Der wesentliche Assimilationsschub setzt mit dem Katechismus der deutschen Orthographie von Daniel Sanders 1856 ein. Sanders plädiert erstmalig für eine weitgehende Assimilation von zu – zunächst unter Zulassung von Varianten. Eingeschlossen sind auch Wörter, die sonst noch gar nicht in den engeren Kreis der Kandidaten gelangt waren, weil sie weitere Fremdgrapheme aufweisen, z. B. Kanaille, Kliché, Koup. Dieses fortschrittliche Vorgehen Sanders’ ist allerdings nicht in Bezug auf das Graphem zu finden. Hier hält er fast durchgehend an der gebersprachlichen Schreibung fest. Beide ‚Regeln‘ sind für Sanders Folgen aus seiner Beobachtung des Gebrauchs. Die bei Sanders zu findende separate Behandlung der beiden Grapheme und die Hinzuziehung des Gebrauchskriteriums zur Regelung ist beispielgebend für viele andere Grammatiken und Orthographielehren des Jahrhunderts. Der Gebrauch ist eines der Kriterien und Argumente, die in Bezug auf diese Grapheme der grundlegenden Regel beigegeben werden. Es ist u. a. zu finden bei Heinsius, Sanders, Duden, von Raumer und in der preußischen Schulorthographie.207 Problematisch ist natürlich, dass dieses Kriterium zur Schreibungsregelung aufgrund mangelnder Nachvollziehbarkeit wenig anwendbar ist. Neben dem Gebrauchsargument treten im Verlauf des 19. Jahrhunderts noch weitere zusätzliche Entscheidungskriterien hinzu: a) Strukturkriterien (z. B. Assimilation im Auslaut und bei Wörtern, bei denen sich durch Wegfall und Ersatz des Suffixes neue Aussprachegegebenheiten ergeben, z. B. Artikel, Assimilation im Anlaut [Linnig], Assimilation von bestimmten Präfixen ko-, kol-, kom-, kon-, kor- [Preußen], Assimilation von vor -ieren [Württemberg])
207 Vgl. von Raumer: „Besondere Mühe verursacht dem deutschen Orthographen der Buchstabe C. Dieser Buchstabe findet bekanntlich in deutschen Wörtern keine Stelle, da seine phonetischen Funktionen durch K und Z vertreten sind. Wir können ihn deshalb, phonetisch angesehen, entbehren, und wo ein Fremdwort sich seit längerer Zeit im Deutschen eingebürgert hat, da vertauschen wir das c in seiner einen Funktion mit k, in der anderen mit z. Denn wer schreibt jetzt noch Closter (claustrum), Cancel (cancelli), Becirc (zu circus), Crone (corona), Cörper (corpus)? Diese Umwandlung wird von den verschiedensten Seiten grundsatzmäßig als das Richtige anerkannt, und auch wir sind ihr gefolgt, so weit es die eingewurzelte Schreibgewohnheit irgend gestattete“ (Begründung 1876, 76).
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b) Spendersprachenkriterium (z. B. sehr häufig die Frage nach der Assimilation von in ursprünglich griechischen, aber über das Lateinische vermittelten Wörtern [z. B. Adelung, Heyse, Bauer, Kurhessen, Berlin 1871]) Darüber hinaus gibt es noch ein weiteres, viel relevanteres Kriterium zur Kandidatenbestimmung, das auch vornehmlich in der zweiten Jahrhunderthälfte genannt wird: Das betreffende Lexem darf keine weiteren Fremdgrapheme enthalten (vgl. Duden, Preußen, amtliche Regelung). Ausgenommen davon sind – zumindest in den Werken, die nach der preußischen Schulorthographie erschienen sind – Wörter, die eine stammverwandte Form ohne Fremdgrapheme aufweisen. Die Assimilationsempfehlung von ist am Ende des Jahrhunderts so stark fortgeschritten, dass schließlich die Ausnahme wird (vgl. Duden 1881), die nur noch dort gilt, wo eben weitere Fremdgrapheme oder fremde Laute vorliegen (morphematische Schreibungen ausgenommen).208 Der Weg dorthin führt nicht nur (aber wegweisend) über Daniel Sanders, sondern auch über Konrad Duden, der durch die Zulassung von vielen Varianten (bei Bevorzugung der assimilierten Variante bei sehr häufig gebrauchten Wörtern) in den 70er Jahren die Zahl der Assimilationen deutlich erhöht. Die Möglichkeit, über Varianten mehr Assimilation zu erreichen, wird auf die Schulorthographien übertragen, bis schließlich zur Ausnahme wird.209 Wurde das zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Kodifikation fast nur am Wortende durchgreifend durch ersetzt, so nimmt die Assimilation von im Laufe des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu (z. B. Offizier, Prinzip, speziell, Vize, Zement, Zentrum). Hier ist der Sprung allerdings erst deutlich nach Daniel Sanders zu verzeichnen. Ab den späten Schulorthographien (vgl. Sachsen) wird die verstärkte Assimilation des Graphems zum Thema. Vor allem Württemberg zeigt sich fortschrittlich:210 In allen Zweifelsfällen darf gebraucht werden. Schließlich wird im Beratungsbeschluss der II. Orthographischen Konferenz der Ersatz von und
208 Diese Regelkonkurrenz führt z. T. zu Schwanken in den Wörterverzeichnissen. Der in Bezug auf die Assimilation von reformkritische Wilmanns resigniert: „Eine irgend wie genau gezogene Grenze ist also nicht mehr vorhanden und es scheint nichts anderes übrig zu bleiben, als das k in allen Fremdwörtern, welche Form sie auch haben mögen, zuzulassen“ (Wilmanns 1887, 223). Schließlich konstatiert er: „Daß es sich dann noch lohnt, die Verbindungen cc und cqu auszunehmen, wird wohl niemand behaupten“ (Wilmanns 1887, 223). Erstaunlicherweise ändert sich also Wilmanns Sicht der Dinge – wenn auch dem Ausdruck nach viel Widerwillen dabei war – von der ersten Auflage des Kommentars zur zweiten, wovon der Regeltext allerdings unberührt bleibt. 209 Auch noch im späten 20. Jahrhundert ist die Schreibung von bzw. das Gebiet der Fremdwortschreibung, bei dem die größte Zahl der Varianten existiert. So ermittelt Gustav Muthmann in seinem Korpus standardsprachlicher Texte insgesamt 650 Fremdwörter mit Variantenschreibung, von denen insgesamt 245 Fälle auf die Varianz von und fallen (Muthmann 1987, 148 f.). 210 Dass Württemberg 1884 eine stärker assimilationszugewandte Haltung hat, ist außerdem nachzulesen in Kapitel 3.4.2.5.2 und 3.4.2.6.
Auswertung des Befundes
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überall zumindest als gleichwertig angesehen. Eine Ausnahme bilden auch in der amtlichen Regelung noch Wörter mit weiteren Fremdgraphemen. Diese einheitliche Tendenz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier die generellen Regeln der Grammatiker bezüglich dieser beiden fremden Phonographeme wenig schreibungsleitenden Wert haben, so dass sie vielfach lange Wortlisten anführen, anhand derer die Sprachnutzer Orientierung finden sollen.211 So zeigt sich die Relevanz der Betrachtung singulärer Regeln, die im Abschnitt 3.4.3 vorgenommen wird.
3.4.2.2 Die Kennzeichnung des Phonems /i:/ durch das Graphem ist ein spezifisch deutsches orthographisches Merkmal. Dieses Verfahren wird allerdings nicht generell auf die ins Deutsche übernommenen Fremdwörter übertragen – zumindest findet sich eine solche Regelung nicht in den Grammatiken des 19. Jahrhunderts. Das unter französischem Einfluss im Deutschen gebildete und – laut Emil Öhmann – seit dem 12. Jahrhundert äußerst produktive Suffix -iren/-ieren212 (Öhmann 1970, 265) ist dabei ein Sonderfall, dessen Regelung eine separate Besprechung in einem eigenständigen Kapitel verlangt (wie es auch in den meisten Grammatiken geschieht), die hier der Darstellung aller anderen Fälle des fremden vorangestellt wird.
3.4.2.2.1 Das ieren-Suffix Die häufig separate Darstellung zur Regelung des ieren-Suffixes in den Grammatiken und Orthographielehren des 19. Jahrhunderts zeigt sich bereits bei Adelung, der eine eigenständige Abhandlung hierzu in einem Unterkapitel zur Dehnungskennzeichnung verfasst. Seine argumentative Auseinandersetzung mit der Frage nach der Assimilation von -iren zu -ieren kommt in ihrer Ausführlichkeit ein Sonderstatus in der Regelungsgeschichte im 19. Jahrhundert zu und soll daher einmal vollständig wiedergegeben werden: Ein wenig wichtiger [als die Frage nach der Dehnungskennzeichnung allgemein] ist die Frage, ob die Endung mancher Verborum -iren ein ie bekommen müsse oder nicht. Sie ist
211 Das führt nicht selten dazu, dass bei der singulären Fremdwortregelung einige Abweichungen zwischen Regel- und Wörterteil zu finden sind, wie auch schon Gunnar Böhme z. B. im preußischen Regelbuch ermittelt hat (Böhme 2001, 357): Censur (RT) – Censur und Zensur (WT); Centrum (RT) – Centrum und Zentrum (WT) u. a. 212 „Die Erklärung der deutschen Lautform -ieren anstatt des zu erwartenden -eren bzw. -eiren ist darin zu suchen, dass die altfranzösische Verbalendung -er im Deutschen mit dem ebenfalls aus dem Altfranzösischen stammenden und sehr beliebten Nominalsuffix -ier (< afrz. -ier) für Nomina agentis kontaminiert wurde“ (Öhmann 1953, 160).
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freylich halb ausländisch, und nach dem Muster der Lateinischen Wörter auf are, ere, ire, und der Französischen auf ir gebildet, so daß ir fremd und nur die Sylbe des Infinitives en Deutsch ist. Es kommt dazu, daß es eine Ableitungssylbe ist, welche in den gewöhnlichen Fällen an den Verlängerungszeichen nicht Theil nehmen. Allein auf der andern Seite hat das ie doch auch wieder vieles für sich; denn I. ist es schon als eine eingebürgerte Endung anzusehen, indem man sie häufig in völlig Deutschen Wörtern gebraucht; 2. hat sie den Ton, und kann in so fern Anspruch an den Verlängerungszeichen machen; und 3. müssen wir die ähnliche Endsylbe ier an fremden Substantiven ohnehin mit einem e schreiben, wenn der Sitz des Tones hinlänglich gesichert werden soll: P a p i e r , S a p p h i e r , F ü s e l i e r , M u s k e t i e r , R a p p i e r . (Adelung 1788, 254)
Nach der Abwägung dieser Argumente für bzw. gegen eine Assimilation des Suffixes findet er eine Regel, die er selbst als „Mittelweg“ (Adelung 1788, 254) bezeichnet und die den Charakter einer Empfehlung hat: Um hier einen Mittelweg zu gehen, ist wohl das schicklichste, man schreibe ieren, I. so oft sich die Endung an völlig Deutschen Wörtern oder solchen befindet, welche bereits das völlige Bürgerrecht erhalten haben […] und 2. wenn das Verbum von einem Substantivo auf ier abstammet […]. Ist aber das ganze Wort ein Fremdling, so lasse man ihm die fremde Gestalt auch in der Endsylbe. (Adelung 1788, 254 f.)
Auch hier folgt also der übergeordneten Frage nach dem Bürgerstatus ein relativ eindeutig formulierter Kriterienkatalog, der – abgesehen von der Frage nach der Herkunft der Wörter – gut handhabbar und nachvollziehbar ist: Deutsches Basismorphem (bzw. Morphemkonstruktion) oder Vorhandensein eines Stammes auf -ier sind Auslöser für die assimilierte Schreibweise.213 Der Autor gibt auch hier zur Regelillustration umfassende Beispiellisten. Die assimilierte Schreibweise gilt folglich bei Lexemen wie halbieren, haselieren, gastieren, stolzieren, possierlich, hausieren, hofieren, schattieren, hanthieren, inhaftieren, buchstabieren, pitschieren, spazieren, regieren und tritt nicht ein bei colligiren, formiren, rebelliren, barbiren, marschiren, protestiren.
213 Es gibt allerdings durchaus Zweifel an der Eindeutigkeit des Abstammungs- bzw. Ableitungskriteriums, geäußert z. B. (deutlich später) von Wilmanns: Neben der Frage, ob eine etymologische oder eine synchrone, rein semantische Abstammung zugrunde gelegt werden soll, besteht weiterhin Zweifel daran, dass in jedem Einzelfall die Kenntnis eines entsprechenden Substantivs von der Sprachgemeinschaft erwartet werden kann: „Es fragt sich, welche Verba auf -ieren man als Ableitungen von Substantiven ansehen soll; e i n q u a r t i e r e n kommt sicher von Q u a r t i e r her, aber wie ist es mit b a r b i e r e n , b o m b a r d i e r e n , f ü s i l i e r e n , v i s i e r e n ? Sind sie von B a r b i e r , B o m b a r d i e r rc. abgeleitet, oder sind Verba und Substantiva selbständig aus demselben Stamme gebildet und demnach verschieden zu schreiben? […] Und selbst wenn man erklärte, daß alle Verba, neben denen Substantiva auf -ier bestehen, als von diesen abgeleitet anzusehen seien, wäre man noch nicht allen Zweifeln entronnen. Wie wäre t a p e z i e r e n zu schreiben? Wer das Substantivum T a p e z i e r anerkennt, würde das Verbum als Ableitung ansehen und =ieren schreiben müssen; wer die Form der T a p e z i e r e r für besser hält, würde beide Wörter ohne e zu schreiben haben, denn T a p e z i e r e r ist jedenfalls von t a p e z i e r e n abgeleitet“ (Wilmanns 1900, 219).
Auswertung des Befundes
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Schwierig bleibt auch hier im Einzelfall die Entscheidung, ob ein heimisches, ein eingebürgertes fremdes oder ein nicht eingebürgertes fremdes Wort vorliegt. Warum haselieren assimiliert und formiren nicht assimiliert zu schreiben ist (ist doch die Basis wenn schon kein heimisches Wort, so doch wenigstens der Form nach den deutschen Wörtern völlig gleich und daher nach Adelungs Verständnis ein „eingebürgertes“ Wort; vgl. Kapitel 3.4.1.1), wird der Nutzer kaum nachvollziehen können. Auch Heyse legt die allgemeine Fremdwortregelung zugrunde und verlangt die nicht assimilierte Schreibweise „in den meisten ganz= oder halb=fremden Zeitwörtern […]; außer barbieren, einquartieren, regieren, spatzieren und tapezieren“ (Heyse 1814, 118). Die vage Formulierung („meisten“ und „halb=fremden“) und das Nichtvorhandensein von konkret bestimmbaren Fallgruppen sowie die Frage, ob der Katalog von Ausnahmen abgeschlossen ist, erschweren die Umsetzung der Schreibanweisung. In den anderen untersuchten Regeldarstellungen der schulgrammatischen Richtung spielt die Schreibung des Suffixes keine Rolle. Die Autoren der historischen Richtung allerdings thematisieren sie recht ausführlich. Der Grund liegt darin, dass sie die nicht organische – also nicht ursprüngliche – Verwendung von Dehnungsgraphemen für nicht sachgemäß und daher bekämpfenswert halten. Die historische Korrektheit der Schreibung wird ihre Regelungsgrundlage. So ordnet Grimm an den Stellen die Schreibung an, an denen sie schon im Mittelalter vorhanden war. Daher gehört für ihn auch die Schreibung -ieren zur „organischen“ und damit erlaubten Verwendung des Digraphems (Grimm 1819, 444). Auch Hoffmann fordert die konsequente Schreibung mit in allen Fremdwörtern auf -ieren: „Die fremden Zeitwörter mit der Endung ieren, z. B. passieren, intervenieren, regieren müßen stets mit ie geschrieben werden“ (Hoffmann 1839, 11), denn in diesen Wörtern ist das „[s]prachhistorisch richtig“ (Hoffmann 1852, 14). Was im Fall von Verben mit heimischem Grundmorphem passiert, thematisiert Hoffmann nicht. Darauf geht aber Ruprecht ein, der sich auch generell am ausführlichsten zum Suffix -ieren äußert. Er stellt zunächst einen umfangreichen Abschnitt zur Genesis des Suffixes der Regelung voran, um damit eine Erklärung für die geforderte Schreibweise zu geben. Neben der Regelung stellt er auch den Usus dar, der in vielen Fällen „mit Unrecht“ (Ruprecht 1854, 22) das ursprüngliche tilgt: [D]ie Endung - i e r e n findet so ihre Erklärung, denn im 13. Jh. als zuerst Wörter der französischen ersten Conjugation in die deutsche Sprache übergiengen, war es dort üblich auch der Endung - e r ein i vorzuschlagen, besonders hinter r, l und den zischenden Consonanten, woraus das deutsche - i e r e n entstand, z. B. turnieren, parieren. Im Französischen verschwand zwar jenes i wieder, das deutsche -ieren blieb aber und ward fortan zur Bildungssilbe bei allen aus der Fremde entlehnten oder von Fremdwörtern gebildeten Verben. Erst in neuerer Zeit hat man angefangen bei vielen Wörtern hier das e auszustoßen und schreibt a d d i r e n , r e d u c i r e n neben r e g i e r e n , s p a z i e r e n ; ohne Zweifel mit Unrecht, da die Form ieren einmal als die feste Bildungssilbe aller fremden Zeitwörter ohne Ausnahme sprachlich überliefert ist und jede Schreibung zwischen i e r e n und i r e n auf Willkür hinauslaufen muß. Selbst Wörter deut-
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schen Stammes wie h a n t i e r e n , j u b e l i e r e n , h a u s i e r e n , s t o l z i e r e n , mag man ihre Bildung tadeln oder nicht, unterliegen derselben Regel, weil sie nur nach Analogie der Fremdwörter gebildet sind. (Ruprecht 1854, 22) 214
Ruprecht regelt damit auch als einziger Historiker explizit, was mit der Schreibung des Suffixes passieren soll, sofern es sich an einen heimischen Stamm anfügt: Die Analogiebildung ist die Grundlage dafür, dass auch hier zur Norm wird. Mit der Regelung der historischen Schule wird demnach erstmalig eine konsequente -Schreibung gefordert, die sich nicht dem Einbürgerungskriterium unterwirft, sondern in allen Fällen – aus historischen Gründen bzw. darauf folgenden Gründen der Analogiebildung – die Assimilation vorschreibt. Die Regelung hat damit nun den höchstmöglichen schreibungsanleitenden Wert. Die folgenden Grammatiken nehmen diese durchgreifende Regelung auf: Bauer (Bauer 1854, 125), Linnig (Linnig 1869, 60, 65) und Sanders 1856, der sich wünscht, dass „der schon von Adelung empfohlene und jetzt ziemlich allgemein angenommene Gebrauch des ie in den undeutsch betonten Zeitwörtern auf ieren“ „hoffentlich Billigung finden“ (Sanders 1856, VII) wird. Damit behauptet Sanders einerseits, dass sich im Usus bereits die assimilierte Schreibweise etabliert habe – wenngleich es in einigen Fällen durchaus noch „gewöhnlich“ sei, zu schreiben (Sanders 1856, 45); in der Regelung andererseits noch der Durchsetzung bedarf. Die ersten Schulorthographien übernehmen die durchgreifende Regelung ebenfalls und lassen keine Ausnahmen zu. Das erleichtert natürlich die Anwendung der Regel, da „es eben so unnöthig [ist], einen Unterschied unter den mit dieser Endung gebildeten eingebürgerten fremden und den deutschen Wörtern anzunehmen, als schwierig einen solchen consequent durchzuführen“ (Kurhessen 1859, 13). Die erste Schulorthographie, die aus der Regelungskonsequenz ausbricht, ist Württemberg: [I]n den Wörtern regieren, spazieren, barbieren, einquartieren, deren Schreibung mit e fest steht [steht der Doppellaut ie]. Die übrigen Zeitwörter mit der Endung iren sind ohne Rücksicht darauf, ob sie fremden oder deutschen Ursprungs sind, ohne e zu schreiben. (Württemberg 1861, 7)
Der präskriptive Duktus dieser Regel ist auffällig, vergleicht man sie beispielsweise mit der Regel im Regelbuch Berlins 1871. Berlin hat die konsequente Regelung zugunsten von auch nicht unverändert übernommen, aber – abgesehen von einer abgeschlossenen Liste singulärer Regeln mit assimilierter Schreibung – nur schwankenden Gebrauch konstatiert (Berlin 1871, 11). Vielleicht hat sich im Usus doch noch nicht die durchgehende ieren-Schreibung durchgesetzt, wie Sanders behauptet?
214 Diesen Abschnitt übernimmt Linnig später fast wörtlich (Linnig 1869, 60).
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Zum Gebrauch äußert sich auch Rudolph von Raumer in seiner Begründung zur Regelvorlage für die I. Orthographische Konferenz, in der er konsequent -ieren vorschreibt: Es sei noch nicht so, dass in allen Fällen die assimilierte Schreibweise vorherrsche, sie werde sogar weitestgehend von der iren-Variante verdrängt, aber wenn es eine Einheitlichkeit in der Schreibung geben solle, müsse die assimilierte Variante durchgesetzt werden, da es Fälle der ieren-Schreibung gebe, die aufgrund ihrer Abstammung von Substantiven auf -ier nicht aufgegeben werden können (Begründung 1876, 58). Der Vereinheitlichungsgedanke, der den Bestrebungen der Konferenzen zugrunde liegt, und das Vorhandensein von Analogien sind hier von Raumers Regelungshintergründe. Schien sich zunächst die eindeutige Regelung um die Mitte des Jahrhunderts durchzusetzen, so wird sie in den Schulorthographien doch wieder infrage gestellt. Die Uneinheitlichkeit und die Brisanz des Themas zeigen sich dann auf der I. Orthographischen Konferenz, in der die durchgreifende Regelung von Raumers zur Diskussion steht – und letztlich drei verschiedene Ansichten zur Sprache kommen: [1. Ansicht:] Einerseits wurde durchgängige Schreibung mit -ie als eine große Erleichterung bezeichnet, weil in einigen Substantiven und den davon abgeleiteten Verben das -ie sich schwerlich würde abschaffen lassen, auch der Betonung der Endsilbe wegen das Längezeichen für wohlbegründet gelten könne. In diesem Sinne äußerten sich die Hrn. W i l m a n n s , S t a u d e r , der Vo r s i t z e n d e und unter Hinweis auf die Verbreitung dieser Schreibung in Baiern (Nürnberg) Hr. F r o m m a n n . [2. Ansicht:] Dagegen trat für -iren besonders Hr. S c h e r e r ein, welcher ie als Schreibung der historischen Schule bezeichnete. [3. Ansicht:] Die Hrn. D u d e n und H ö p f n e r endlich wünschten in den als Fremdwörter gefühlten Verben die überall verbreitete Schreibung -iren bewahrt zu sehen. (Protokoll 1876, 94)
Die konsequente Assimilierung, die konsequente Beibehaltung des und die einbürgerungsabhängige Regelung stehen in der Diskussion also nebeneinander. Darüber hinaus ist die Bemerkung auffällig, dass die iren-Schreibung der verbreitete Usus sei – mithin das Gegenteil von Sanders’ Behauptung. Schließlich setzt sich von Raumers Vorschlag nicht durch und die nicht assimilierte Schreibung wird zur Regel, abgesehen von einigen Ausnahmen, die sich den früheren Fallgruppen zuschlagen lassen (z. B. wenn Substantive auf -ie oder -ier vorliegen). (Regeln 1876, 137). Eine durchgreifende Assimilationsempfehlung gilt als zu radikal, was allerdings angesichts der vorangegangenen Regelwerke der historischen Schule und auch einiger Schulorthographien als erstaunlich konservativ bewertet werden muss. Bayern behält dennoch die durchgreifende Assimilation als Regel bei, wenngleich in einer „Anmerkung“ auf den schwankenden Gebrauch hingewiesen wird (Bayern 1879, 5). Hier will die Regel über den (vermeintlichen) Gebrauch hinaus die Schreibung leiten. Ohne den Verweis auf den Gebrauch, aber genauso konsequent regelt Preußen die Schreibung: Nur ist zugelassen in sämtlichen betreffenden Wörtern. Gleiches findet sich auch in den zeitgleich bzw. wenig später erscheinenden Schulorthographien Sachsens und Württembergs (Sachsen 1880,
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11; Württemberg 1884, 25). Wilmanns äußert sich im Kommentar zum preußischen Regelwerk sehr ausführlich zu dieser Entscheidung, nicht ohne die „einstimmige Verurteilung“ (Wilmanns 1880, 126) der Regel in der öffentlichen Wahrnehmung (u. a. Presse) zu benennen. Unter anderem konstatiert er, dass der derzeitige Gebrauch immer noch die nicht assimilierte Schreibweise sei (abgesehen von den Ableitungen von Substantiven auf -ier und zwei singulären Ausnahmen), „obwohl die historische Schule nicht ohne Erfolg sich für die Anerkennung des etymologisch richtigen ie bemüht hat“ (Wilmanns 1880, 126). Darüber hinaus nimmt er die drei Hauptargumente der Assimilationsgegner auf und entkräftet sie. Schließlich aber lenkt Wilmanns ein und kommt zu dem Schluss: Der einzige Grund, der sich aufrecht erhalten lässt, ist der, dass überwiegender Gebrauch in den meisten Wörtern einfaches i anerkennt, und daß es ungerechtfertigt ist, nach Maßgabe weniger Wörter viele zu ändern. Es ist möglich, daß der Widerspruch das Feld behauptet; dann wünschen und hoffen wir, daß doch der Streit nicht fruchtlos ende, daß man wenigstens nicht wieder die willkürliche Grenze errichte, die weder die Aussprache noch die Etymologie anerkennt. Will man sich nicht entschließen, überall ein allerdings sehr entbehrliches e zu schreiben, so lasse man es überall fort, wo es nicht gesprochen wird; man schreibe also Rentier, Portiere aber Barbir, Offizir. Das wäre ein dem Wesen der Sache entsprechender Fortschritt. (Wilmanns 1880, 127)
Dieses Schlusswort zeigt, dass Wilmanns letztlich, falls sich die Gegner nicht überzeugen lassen sollten, die Einigung auf eine einheitliche Orthographie wichtiger ist als die Durchsetzung seiner Regeln (gemäßigte Reform). Das ist auch das Interesse Konrad Dudens, der es allerdings im Gegensatz zu Wilmanns nicht versucht, eine einheitliche Schreibung zugunsten der Assimilierung zu etablieren. Duden besteht auf einer einheitlichen Lösung und sieht keine Gründe, warum in einigen Fällen ‑iren, in anderen -ieren zugelassen werden sollte (also auch nicht das am Anfang des Jahrhunderts benannte Einbürgerungskriterium). Er gibt dem Gebrauch nach, der „entscheidet aber für - i r e n , in Übereinstimmung mit der Regel […], welche verlangt, daß in Fremdwörtern die Länge des i unbezeichnet bleibe“ (Duden 1872, 47), und verlangt in allen Fällen ‑iren (vgl. auch Duden 1876, 37, aber in der Zusammenfassung der schulorthographischen Regeln ‑ieren [Duden 1881, 22]). Ausnahmen bilden diejenigen Wörter, die im Gebrauch schon lange mit geschrieben werden: regieren, spazieren, barbieren, einquartieren, tapezieren. Es nimmt wunder, dass die in allen späten Schulorthographien durchgängig vorgeschriebene assimilierte Schreibung trotz der häufig zitierten öffentlichen Proteste gegen selbige (vgl. z. B. Wilmanns 1900, 219; Lattmann 1895215) sowohl in 215 Lattmann sieht sich zwar ebenfalls als Anhänger der phonetischen Richtung, zeigt allerdings in seiner äußerst emotionalen Darstellung der Kritik an den schulorthographischen Regeln andere Prioritäten. Ein bei den Sprachnutzern vermutetes Sprachgefühl, das puristisches Gedankengut zur Grundlage hat, bildet die Forderung Lattmanns, die Regel der konsequenten ieren-Schreibung abzuschaffen und im höchsten Fall Variantenschreibung zuzulassen: „Zu den ungebürlichen Befelen
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der Konferenzvorlage als auch schließlich – wenn auch nicht ohne eine weitere Debatte – im Konferenzergebnis vereinbart wird (Protokoll 1901, 289). An dieser Stelle bleibt auf die Untersuchung des Usus zu verweisen, die klärt, ob eine Assimilation im Gebrauch bereits durchgängig vorzufinden war oder ob sich hier die Regelbücher tatsächlich als innovativ zeigen. Zusammenfassung: Bei der Schreibungsregelung des ieren-Suffixes ist tatsächlich eine Entwicklung im Laufe des Jahrhunderts nachweisbar. Zu Beginn werden noch verschiedene Kriterien als Bedingung für eine Assimilation genannt (etwa die Einbürgerung des Wortes, das deutsche Grundmorphem bzw. Morphemkonstruktion oder/und das Vorhandensein eines Ableitungssubstantivs auf -ier), d. h., es gibt sowohl für die heimische als auch für die fremde graphische Realisierung Kandidaten. Im Einzelfall ist die Entscheidung aufgrund der Vagheit der Kriterien allerdings schwer zu treffen. Mit dem Auftreten der historischen Richtung ändert sich die Situation: Sie argumentieren mit der Etymologie für die konsequente ierenSchreibung. Wenn der historischen Schule ein Verdienst bei der Reform bzw. Vereinheitlichung der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert zukommt, dann ist es bei der Regelung zur Schreibung des ieren-Suffixes zu suchen. Ihre konsequente Regelung zugunsten der assimilierten Schreibweise findet Eingang in viele Grammatiken und Orthographielehren (vgl. Bauer 1854, Linnig 1869, Sanders 1856) und nahezu alle Schulorthographien. Obwohl in den 60er/70er Jahren ein ‚Rückfall‘ zu registrieren ist, bei dem u. a. mit dem Gebrauchsargument versucht wird, die entgegensetzte Schreibweise – abgesehen von einigen Ausnahmefällen – zu etablieren, hat sich die assimilierte Schreibung auch gegen den vermeintlichen Gebrauch (vgl. Begründung 1876, Wilmanns 1880) letzten Endes bei der Begründung der ersten deutschen Einheitsorthographie durchgesetzt. Kapitel 4.3.3.2 zeigt, welche der verschiedenen Behauptungen zum Schreibungsusus dieses Suffixes tatsächlich die korrekte Sachlage wiedergeben und ob die Regelungen schließlich schreibungsleitend auf den Usus eingewirkt haben.
3.4.2.2.2 Andere Längenkennzeichnungen mit Johann Christoph Adelung beschreibt den Gebrauch der Dehnungskennzeichnung durch im dritten Abschnitt seiner „Vollständigen Anweisung“ im Kapitel „Von
[sic!] des Deutschmachens gehört auch, daß die Verbalendung i e r e n ‚durchzufüren‘ sei. Sie ist ja allerdings schon in alten Zeiten mit Wörtern eingedrungen, die eingebürgert wurden, hat sich aber bis auf die neuesten Zeiten auf solche beschränkt (regieren, spazieren), dagegen hat wieder ein echt deutsches Sprachgefül bei allen noch eigentlichen Fremdwörtern die Schreibung i r e n angewandt, gleichsam um damit die Eindringlinge, gegen die wir kämpfen sollen, zu kennzeichnen. Ein solches Sprachgefül [sic!] sollte man respectiren und nicht niedertreten! Zum mindesten sollte auch hier anerkannt werden, dass es eine ganz gleichgültige Sache ist, ob einer iren oder ieren schreibt“ (Lattmann 1895, 8 f.).
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den Dehnungszeichen“. Die Darstellung der Langvokalkennzeichnung in Fremdwörtern wird dabei unabhängig von der Kennzeichnung in heimischen Wörtern vorgenommen, weil der Gebrauch hier erhebliche Unterscheide macht, die sich vor allem in der „Abwesenheit derselben [der Dehnungskennzeichnung – Anm. A. Z.] in fremden Wörtern“ (Adelung 1788, 255) zeigen. Auch diesem Regelungsbereich legt Adelung dasselbe Entscheidungskriterium zugrunde, das er auch schon in der graphemübergreifenden Regelung der Fremdwortschreibung angelegt hatte: den Bürgerstatus. Adelung wendet so konsequent die übergeordnete Regelung an und präzisiert daher ihren Wirkungsbereich. Die Dehnungskennzeichnung benennt er zunächst – wie auch alle anderen Dehnungskennzeichen – als eine „Eigenheit der Deutschen Orthographie“ (Adelung 1788, 261), „so folget daraus, daß sie [die Dehnungskennzeichnungen – Anm. A. Z.] in fremden Wörtern nicht Statt finden, so lange sie Fremdlinge sind, und nicht das Bürgerrecht erhalten haben“ (Adelung 1788, 261). Hat hingegen ein Wort das völlige Bürgerrecht erhalten, und dessen gedehnte Wurzelsylbe hat eine ärmliche Gestalt, so sollte es billig Deutschen Wörtern gleich gemacht werden, d i e M i e n e , der Gesichtszug, d a s F i e b e r , d i e F i e b e l , F i e d e l , S p i e k , eine Pflanze. (Adelung 1788, 262)
Auffällig ist, dass Adelung für die letzte Teilregel eine zusätzliche Bedingung an das zu assimilierende Wort stellt, die nur vage bestimmt ist: Das Wort muss eine „ärmliche Gestalt“ (Adelung 1788, 262) haben, damit das „optische Gewicht“ (Nerius u. a. 2007, 115) durch die Hinzufügung des gestärkt werden kann. Die „ärmliche Gestalt“ wird allerdings nicht weiter definiert, was der Schreibungsanleitung hinderlich ist. Dieses Gestaltkriterium ist in der Regelungsgeschichte der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert einzigartig und verdient daher Erwähnung. Darüber hinaus erhält Adelungs Regel, „Fremdlinge“ nicht zu assimilieren, eine Einschränkung: Er benennt Abweichungen im Gebrauch als systematische Ausnahmen: Freylich gibt es auch außer dem noch manche Ausnahmen, wenn theils die Endsylbe eine Deutsche Aussprache angenommen hat, theils die fremde Stellung des Tones ein Dehnungszeichen erfordert: P a p i e r , M u s k e t i e r , P a r a d i e s , A n i e ß , N i e s c h e , damit man N i s c h e nicht N i s c h s c h e lese. (Adelung 1788, 261 f.) 216
Die einzigen Assimilationen im Bereich der „Fremdlinge“ sind also als Aussprachehilfen für den Sprachnutzer zu verstehen, die sich auf Endsilben beschränken, de-
216 Mit den singulären Regeln Anieß und Niesche steht Adelung im 19. Jahrhundert allein da. Bei allen anderen Autoren greift hier die Regel, dass in Fremdwörtern die Dehnung nicht graphisch gekennzeichnet wird.
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ren Akzentuierung dem deutschen Sprecher fremd ist.217 Es handelt sich demnach um eine Regel zur positionsabhängigen Assimilation – der Entscheidungsfrage Bürger/Nichtbürger nachgeordnet. Adelung zeichnet sich auch hier durch eine systematische und präzise Darstellung aus, die tatsächlich als Schreibanweisung dienen kann. Damit grenzt er sich von den direkt nachfolgenden Grammatikern deutlich ab: Für Heinsius und Heyse ist die Dehnungskennzeichnung in Fremdwörtern keine eigene Besprechung wert (vgl. z. B. Heyse 1814, 118). Ihre Bemerkungen zur Verwendung von in Fremdwörtern gehen nicht über eine exemplarische Bestandsaufnahme einiger assimilierter und (in folgendem Beispiel) nicht assimilierter Fälle hinaus: „Diejenigen Wörter, in welchen die Dehnungszeichen nicht gebräuchlich sind, müssen durch Uebung erlernt werden. […] Das ie wird nicht gesetzt in […] B i b e l , B i b e r , F i b e r (Faser), K a m i n , M i n e (im Festungsbau), R u b i n , T i g e r , T i t e l […]“ (Heinsius 1807, 386). Auch die Historiker haben andere Regelungsschwerpunkte. Relativ kurz fällt Hoffmanns Regel aus: „Fremde Wörter behalten , auch wenn es lang zu sprechen ist, z. B. Caroline, Bibel“ (Hoffmann 1839, 11). Ausnahmen werden nicht thematisiert. Ähnlich lapidar äußert sich Ruprecht: habe sich flächendeckend im Deutschen durchgesetzt, abgesehen von einigen Fremdwörtern, z. B. Kamin, Kaninchen, Magazin, Maschine (Ruprecht 1854, 23). Die Reformer der historische Schule behandeln im Wesentlichen nicht als Fremdgraphem. Die Tilgung des an Stellen, in denen es nicht „organisch“, also ursprünglich, vorkommt, ist ihr Thema (vgl. Weinhold 1852, 101 f.). Das Bestehen auf der organischen Verwendung von führt allerdings dazu, dass im Suffix -ieren tatsächlich zu einem Fremdgraphem wird. Daher äußern sich die Autoren auch nur dazu (vgl. Kapitel zum ieren-Suffix). In Bauers Regelwerk erscheint erstmalig eine dreigeteilte Gruppierung von -Schreibungen in Fremdwörtern, die in den nachfolgenden Grammatiken und Schulorthographien häufig wieder aufgenommen wird: Dass sich in den romanischen Endungen -ie, ‑ier und -ieren findet (Bauer 1854, 125), ist bei Bauer dennoch nichts weiter als eine Bestandsaufnahme. Die Dreiteilung wird u. a. von Sanders wieder aufgenommen und gleichzeitig in Form mehrerer Regeln präsentiert: Die betonten Endungen -ie, -ier und -ieren in Fremdwörtern sollen markiert werden (wobei nur -ie und -ieren graphemische Assimilationen sind bzw. sein können). In allen anderen Fällen sei nur erlaubt (Sanders 1856, 44 f.). Die Regelung bei Sanders wird ergänzt durch eine weitere „Regel“, gewissermaßen den Ausnahmenkatalog, der erneut das Einbürgerungskriterium bemüht: „Doch werden mit ie geschrieben einige vollständig deutsch gewordne fremde, darunter vielleicht auch ein oder das andre ursprünglich deutsche
217 Eine ähnliche Regelung findet sich auch bei allen anderen Dehnungskennzeichnungen bei Endsilben.
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Wort: B i e r , B r i e f , F i e b e r […], F i e d e l , M i e n e […], P a r a d i e s , P r i e s t e r , S i e g e l , S p i e g e l , S t i e f e l , T i e g e l , Z i e g e l […]“ (Sanders 1856, 46). Deutlich ausführlicher behandelt Franz Linnig das Fremdgraphem. Den Regeln geht eine Abhandlung über Entstehung und Verwendung des Graphems in deutschen und Fremdwörtern voraus, die Linnig ein ganzes Kapitel seiner Rechtschreiblehre wert ist (Kapitel VI). Auch bei Linnig erfolgt die Regelung unterteilt in verschiedene Gruppen, die schon von Bauer und Sanders bekannt sind: Langes /i:/ bleibt unbezeichnet „in ganzen und halben Fremdwörtern“. Es wird hingegen beibehalten in „den Fremdwörtern, welche schon früh in die Sprache eingedrungen sind und schon mhd. ie haben“ (Linnig 1869, 61). Darüber hinaus findet sich eine ähnliche Regel wie bei Sanders: die positionsabhängige graphische Kennzeichnung des /i:/ in betonten Suffixen. Linnig legt der Regelung folglich zunächst die Unterscheidung in eingebürgerte und nicht eingebürgerte Fremdwörter zugrunde, was vom Leser die Lektüre der allgemeinen Fremdwortschreibungsregel erfordert. Die Anwendung dieser allgemeinen Regel findet dann allerdings eine Einschränkung (Ausnahme): Sie wird entkräftet, wenn bestimmte Positionsvoraussetzungen gegeben sind („ie schreibe in den betonten Endungen der Fremdwörter auf ie und ier“ [Linnig 1869, 62]). Die Schulorthographien des 19. Jahrhunderts zeigen weitestgehend Regeleinheitlichkeit, weshalb sich die Regeln aus Hannover hier exemplarisch für die Regelung in den anderen Schulorthographien – und im Übrigen auch für die amtliche Kodifizierung 1903 – zitieren lassen:218 In Fremdwörtern steht regelmäßig i, nicht ie: Maschine, Bibel, Fiber, Titel, Tiger, Satire, Stil. […] Davon gelten jedoch folgende Ausnahmen: a. die Endungen ier und ieren, welche mit ihren Ableitungen in Fremdwörtern, wie in deutschen Wörtern, allgemein mit ie zu schreiben sind. So Barbier, Tapezier, Offizier, regieren, Regierung, spazieren, Spaziergang, probieren, studieren. b. die Endung ie in Colonie, Artillerie, Phantasie rc. c. die Wörter Brief, Grieche, Priester, Spiegel, Siegel und Ziegel; auch Miene im Unterschied von Mine, Fieber von Fiber (Faser). (Hannover 1855, 10) 219
218 Abweichungen in den Schulorthographien zeigen sich höchstens formal, der inhaltliche Kern ist in allen Regelwerken identisch. 219 Auffällig ist die Positionierung dieses Regelkatalogs: Die Regeln finden sich stets im allgemeinen Regelteil zu den Laut-Buchstaben-Beziehungen und nicht im (in allen Fällen existierenden) Fremdwortregelbereich. (Im Fremdwortregelbereich wird höchstens ein sehr allgemeiner und wenig schreibungsleitender Regelsatz wie etwa der folgende formuliert: „Die Länge und Kürze des Vokals wird in Fremdwörtern im allgemeinen nicht bezeichnet“ [Bayern 1879, 16].) Es ist damit das einzige Graphem, das in allen Schulorthographien unabhängig von den weiteren Fremdwortregeln besprochen wird. Diese Auffälligkeit lässt sich eventuell darauf zurückführen, dass es sich bei um ein wenig problematisches Graphem handelt, weil es auch (wenngleich selten) in deutschen Wörtern üblich ist, sich die Regelung in wenigen Fallgruppen präzise beschreiben lässt und es daher kaum uneindeutige Fälle gibt.
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Es zeigt sich auch hier, dass die Nichtkennzeichnung der Vokaldehnung die Regel ist. Sie erfährt u. a. positionsabhängige Einschränkungen (Ausnahmen): So ist Kennzeichnung in betonten Endsilben vorgeschrieben (auf den Sonderfall -ieren wurde bereits eingegangen) – wobei es sich bei der Kennzeichnung von -ier nicht um graphematische Assimilation, sondern in der Regel um grapho-phonemische Assimilation handelt (s. o. Sanders 1856) – sowie in einem abgeschlossen wirkenden Katalog von singulären Regeln, der auch zwei Fälle von Kennzeichnung zur Homonymdifferenzierung beinhaltet (Miene – Mine,220 Fieber – Fiber). Der Blick ins Wörterverzeichnis offenbart allerdings, dass keine Abgeschlossenheit vorliegt – übrigens in keiner Schulorthographie –, denn es kommen Wörter wie Tiegel und Stiefel hinzu (die wiederum z. B. in der kurhessischen Schulorthographie schon im Regelwerk genannt werden [Kurhessen 1859, 12]), z. B. auch Paradies (Hannover 1855, 38; Württemberg 1861, 7), Fiedel und Radieschen (Preussen 1880, 11) und Fries (Sachsen 1880, 12). In einigen Schulorthographien wird zu dem Katalog die Bemerkung ergänzt, dass es sich bei den zu markierenden Wörtern um sehr stark eingebürgerte Wörter handelt, deren Fremdheit nicht mehr zu erkennen ist („in den [ursprünglich] Fremdwörtern“ [Kurhessen 1859, 12], „völlig eingebürgerte Fremdwörter“ [Preussen 1880, 11], „in alteingebürgerten fremden Wörtern“ [Württemberg 1884, 25]). Zusammenfassung: Die Regelung zur Schreibung des Fremdgraphems bekommt wie gezeigt von den jeweiligen Autoren der Regelwerke ein unterschiedlich starkes Gewicht verbunden mit einer unterschiedlich ausführlichen Systematik. Die Regelungen von Adelung, Sanders, Linnig und den Schulorthographien stechen diesbezüglich besonders heraus. Abgesehen von der formalen Darstellungsart zeigt sich allerdings keine inhaltliche Entwicklung in der Schreibungsregelung. Im Wesentlichen liegt allen Regeln das Einbürgerungskriterium zugrunde. Die Nichtkennzeichnung des Dehnungsvokals ist dabei die Regel, nur bei besonders eingebürgerten Fremdwörtern und in bestimmten Positionen des Vokals wird die Kennzeichnung zugelassen (= Ausnahmen). Es zeigt sich dabei, dass die Assimilationen vor allem als Aussprachehilfen dienen, die die unübliche Endsilbenbetonung der betreffenden Wörter durch Längenkennzeichnung zeigen sollen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es daher die Nennung dreier Fallgruppen in den Regelwerken, auf die die Ausnahmeregelung zutrifft: die Endungen -ie, -ier und -ieren. Ungenau bleibt weiterhin in allen Regeldarstellungen der Ausnahmenkatalog weiterer assimilierter Fälle, der „völlig eingebürgerten Fremdwörter“. Er liest sich in den meisten Fällen als abgeschlossener Katalog singulärer Regeln. Allerdings offenbart sich beim Blick in das Wörterverzeichnis etwas anderes. Da jedoch weder in den
220 Die Differenzierung Mine – Miene wird nur in der Endfassung des Konferenzregelwerks von 1876 aufgegeben. Danach aber wird sie in allen anderen Schulorthographien wieder aufgenommen (vgl. Protokoll 1876, 94 und z. B. Bayern 1879, 25).
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Kommentaren zu den Regelwerken noch in den Konferenzdiskussionen das Augenmerk auf dieses Graphem gelenkt wird (Ausnahme: Suffix -ieren, vgl. folgendes Kapitel), scheint die Liste auch nicht weiter problematisch zu sein. Eine Entwicklung in der Regelungsgeschichte kann somit insgesamt nicht nachgewiesen werden.
3.4.2.3 Es nimmt nicht wunder, dass dieses positionsbedingte (kombinatorische) Graphem in den Grammatiken und Orthographielehren auch vornehmlich positionsabhängig geregelt wird. Im Kapitel zur Fremdwortschreibung geht Adelung auf dieses Graphem in Auslautposition ein, in der assimiliert zu schreiben sei, um aufgrund des vorausgegangenen Suffixwegfalls die „Aussprache nicht zu verdunkeln“ (Adelung 1788, 123), also um keine sowohl für das Deutsche als auch für die Gebersprache fremde PGB herzustellen (z. B. in Propert statt Properz). Im Kapitel zu den einzelnen Lauten bzw. Buchstaben tritt das Verständlichkeitsargument hinzu, das laut Adelung in allen anderen Positionen von vor gegen eine Assimilation spreche: Der Sprachnutzer kenne im Wesentlichen die Aussprachegegebenheiten von vor im Lateinischen und Französischen, insofern leide die Verständlichkeit nicht, wenn hier weiter die fremde PGB vorherrsche (Adelung 1788, 193). Eine Assimilation wäre geradezu überflüssig (Adelung 1788, 193). Auch Heinsius greift das Graphem in seinen „besonderen Regeln“ auf. Seine Formulierung lässt die Vermutung zu, dass die assimilierten und nicht assimilierten Schreibungen durch das Bürgerrechtskriterium begründet und dadurch beide Gruppen doch relativ ausgewogen bestückt sind: In fremden Wörtern, die bei uns noch nicht das Bürgerrecht erlangt haben, hat man das […] t i noch beibehalten, als […] P r o p o r t i o n , A m b i t i o n , L e k t i o n ; in andern hat man es schon allgemein mit […] z i vertauscht, wie in […] G r a z i e . (Heinsius 1807, 397)
Dass das mitnichten so ist, zeigt sich daran, dass der Autor nur einen einzigen Beleg für die assimilierte Schreibweise nennt. In seinem Regelbuch von 1825 wird diese Regel dann ersetzt durch eine – ebenfalls wenig hilfreiche – Bemerkung zum Gebrauch, die gleichfalls nicht in der Lage ist, die Positionsabhängigkeit der Assimilation zu zeigen: „Das t […] der Fremdlinge, geht häufig bei uns in z über, z. B. in […] Notiz, Justiz, Terz […]“ (Heinsius 1825, 460). Der Adelung’schen Regel folgen auch die anderen Schulgrammatiker Heyse und Becker, wenngleich die Darlegung des Aussprachekriteriums fehlt. Heyse schreibt Assimilation vor, „wenn ein solches Wort verkürzt und mit dem t geschlossen wird“ (Heyse 1814, 156). Warum die Assimilation in den Suffixen -tion und -tient ausbleibt (Becker 1829, 411), wird nicht geklärt. Ausschlaggebend ist bei den Regelformulierungen der schulgrammatischen Richtung der Gebrauch („man gebraucht“ [Becker 1832, 229]).
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Bei den Historikern ist das Graphem kein Thema, lediglich in Andresens Kommentar „Ueber deutsche Orthographie“ findet sich eine kurze Darstellung des Gebrauchs und eine Empfehlung zur Schreibung des Graphems. Andresen erfasst den Gebrauch, wie er sich auch in den anderen Grammatiken darstellt, allerdings ohne die Gründe für eine Assimilation explizit zu nennen. Der Suffixwegfall bei der Entlehnung bzw. die Auslautposition wird nur indirekt thematisiert: „Das lat. t vor der endung -ia und -ium ist im franz. in c, im deutschen in z übergegangen z. b. justiz, miliz, hospiz […]. Dagegen ist t vor -io im frz. (ebenso engl.) unverändert geblieben, und auch unsere orthographie scheint wenig geneigt zu sein dasselbe gegen z zu vertauschen“ (Andresen 1855, 156). Andresen erwähnt darüber hinaus, dass „um der konsequenz willen von einigen nicht nation, auktion, portion, konjunktion, interpunktion sondern nazion u. s. w. geschrieben“ (Andresen 1855, 156) wird, rät aber – mit dem Verweis auf die vermeintliche Analogie zum Graphem 221 – von einer derart weitgreifenden Assimilation ab. Er nennt hierfür keine über die Analogie hinausgehende Gründe. Konrad Duden bezieht sich in seiner theoretischen Abhandlung von 1872 in dieser Frage direkt auf Andresen und nimmt mit ihm die Schreibung der Endung -tion von der Assimilation und damit von der allgemeinen Regel aus (Duden 1872, 39). Unabhängig davon, ob das jeweilige Wort laut graphemübergreifender Regel zur Assimilation genügen würde, sei in jedem Fall nicht assimiliert zu schreiben. In der Regelformulierung referiert er überhaupt nicht auf die assimilierten Auslautfälle, wie es bei fast allen bislang betrachteten Regelwerken der Fall war, sondern lediglich auf die assimilierte Schreibung „vor unbetontem e“ (Duden 1872, 65) und auf alle anderen Fallgruppen, bei denen auf die Assimilation verzichtet wird. Damit fehlt zwar ein entscheidender Regelteil, vielleicht demonstriert dieser Mangel aber auch die Selbstverständlichkeit, mit der dieses Graphem im Auslaut assimiliert wird, weil sonst eine grobe Verletzung des phonematischen Prinzips vorläge. Dem Regelinhalt nach ändert sich auch in der amtlichen Phase nicht allzu viel. In allen Schulorthographien findet das Graphem im Fremdwortregelteil Erwähnung. Kurhessen schreibt in direktem Anschluss an die Regelformulierung Andresens, aber mit konkreterer Begründung mit dem Suffixwegfall: „[D]as latein. t (franz. c) vor den Endungen ia, ium, die abgeworfen sind, wird z, z. B. J u s t i z , N o t i z ; dagegen bleibt es vor der fremden Endung ion, z. B. N a t i o n , A u c t i o n , D i r e c t i o n […]“ (Kurhessen 1859, 31). In Württemberg 1861 unterbleibt zwar die Begründung für die assimilierte Auslautposition, aber inhaltlich liegen keine Änderungen vor (Württemberg 1861, 14). Ab der Berliner Schulorthographie von 1871 kommt es durch die strukturellen Veränderungen gegenüber den bisherigen amtlichen Regelwerken zur Einordnung
221 „Kommt doch auch keiner auf den gedanken lat. v in deutsches w zu verwandeln, obwol es den laut desselben hat, nicht einmal bei dem eingebürgerten worte ‚pulver‘ […]“ (Andresen 1855, 156).
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des Graphems in die Gruppe der „längst eingebürgerten Fremdwörter“, die ihre ursprüngliche Schreibung beibehalten, und damit zur Einordnung der Schreibung von in die allgemeine Regelung der Fremdwortschreibung: „t in Verbindung tia, tie, tio z. B. martialisch, Patient, Nation“ (Berlin 1871, 17, vgl. auch Bayern 1879, 16; Sachsen 1880, 20). Auch hier wird auf eine Darstellung der assimilierten Fälle im Auslaut verzichtet (vgl. auch die früheren Regelungen). Ähnlich geht auch von Raumer in seiner Regelvorlage zur I. Orthographischen Konferenz vor. Hinzu kommt die als Anmerkung ‚getarnte‘ Regel – wie schon bei Konrad Duden –, dass das vor unbetontem /ə/ wie in Grazie zum wird (Vorlage 1876, 26). Die auslautbedingten Fälle von Assimilationen erscheinen in der Beispielliste der entsprechenden graphemübergreifenden Regel – aber versteckt im Abschnitt zum Umgang mit (vgl. auch Bayern 1879, 15). Die Entscheidung, warum und welche Fälle des lateinischen -tia und -tium222 assimiliert werden, muss der Rezipient ohne explizit genannte Faktoren erkennen, was in der Regel aufgrund der klaren Lage im Usus allerdings wenig problematisch sein dürfte. Die Konferenz übernimmt diese Regeln weitgehend unverändert. Die Regel zur positionsbedingt geforderten Assimilation vor unbetontem /ə/ verliert auch nach der Konferenz zunächst nichts von ihrem Anmerkungsstatus. In Bayern fehlt sie ganz, in Sachsen werden nur Beispiele als Ausnahme zu den nicht assimilierten Fällen gelistet (Sachsen 1880, 22).223 Das ändert sich geringfügig im preußischen Regelwerk. Die Strukturierung der graphembezogenen Regeldarstellung nach Lauten hat in Preußen zur Folge, dass auch hier das Graphem im direkten Zusammenhang mit behandelt wird, nämlich im Abschnitt „Der Laut z“. Die Auslautposition wird hier explizit als Assimilationsgrund genannt. Die unterbliebene Assimilation wird konsequent mit der Inlautposition in Verbindung gebracht: „t behält man im I n l a u t in Verbindungen, welche auf lat. tia, tie, tio zurückgehen; z. B. martialisch, Nation, Patient, Tradition, Motion. Doch vor unbetontem e wird ti öfters zu zi, z. B. Grazie, Ingredienzen“ (Preussen 1880, 19). Es ist zu sehen, dass der Regel eine ebenfalls positionsbedingte Ausnahme folgt (vor unbetontem e). Im preußischen Regelbuch sind daher die Assimilationsfaktoren benannt, wenngleich der eigentliche Auslöser für
222 Im Konferenzbeschluss wird hier zusätzlich noch das Suffix -tius genannt (Regeln 1876, 148). 223 Die sächsische Schulorthographie wird mit Blick auf dieses Graphem nicht weiter besprochen, weil die Regelung eine wenig andere Struktur, aber sonst grundsätzlich den gleichen Regelinhalt wie Berlin und Bayern aufweist. Die Regeldarstellung in Sachsen 1880 erschwert die Zuordnung der Beispiele zu den einzelnen Graphemen , und , die hier in einer einzigen ‚Regel‘ vermischt werden, so dass die Handhabbarkeit angesichts ohnehin fehlender Nennungen von Assimilationsfaktoren weiterhin geschwächt wird: „z für c mit dem Z=Laut, bez. für ce und t (vor i) in: Zelle, Zinnober, Zins, Zirkel, Bezirk; Lanze Lanzette, Parzelle, Polizei, Polizist; Kreuz, Prinz, Provinz, sowie in den Endungen =anz, =enz, =ez, =iz u. s. w., z. B. Distanz, Finanzen; Differenz, Sentenz […]; Duodez, Sedez; Justiz, Novize; Bonifaz, Horaz; Kapuze, Kapuziner rc.“ (Sachsen 1880, 21).
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die Assimilation, nämlich schlicht die Realisierung des phonematischen Prinzips, nicht angeführt werden. In der zweiten Auflage des Kommentars zum preußischen Regelwerk wird eine wichtige Regelergänzung gegeben, die eigentlich nicht in den Kommentar, sondern ins Regelwerk gehörte und die die Umsetzung des morphematischen Prinzips fordert: Die Assimilation von soll in den Fällen nicht auf den Auslaut beschränkt bleiben, in denen Flexionsformen bzw. ableitbare Wortbildungskonstrukte des betreffenden Wortes vorliegen, bei denen das Graphem Inlautposition erlangt, z. B. Potenzen, Notizen, potenzieren, differenzieren. Damit geht Wilmanns schon weiter als in der ersten Auflage des Kommentars, in der er noch forderte, dass die Assimilation zwar vor Flexionsmorphemen, nicht aber bei Ableitungen erhalten bleiben soll (Wilmanns 1880, 197). In der 1887er Ausgabe schränkt Wilmanns zwei Absätze später allerdings die Geltung des morphematische Prinzip erneut ein mit der Bemerkung: Die allgemeine Regel findet auch Anwendung auf solche Wörter, denen Substantiva auf z zur Seite stehen: Differential, Potential, potentiell, konfidentiell, essentiell, providentiell, substantiell, Substantialität, sententiös, prätentiös; und so sollte auch tendentiös und malitiös geschrieben sein. (Wilmanns 1887, 219)
Diese Einschränkung wurde schließlich erst mit der Reform 1996 durch die Einführung von assimilierten Varianten aufgehoben. Es sei nachdrücklich auf eine Gruppe von diskutierten Fällen verwiesen, die als Einzelwortbeispiele erstmals bei von Raumer in der Vorlage für die I. Orthographische Konferenz, dann auch im Konferenzergebnis und schließlich in den Schulorthographien von Sachsen und Preußen aufgeführt sind und der Gruppe der assimilierten Fälle vor unbetontem /ə/ zuzuordnen sind. Das signifikante Beispiel lautet Ingredienzien (weitere: Accidenzien, Reagenzien, Antecedenzien).224 Dass die Assimilation dieser Wörter umstritten ist, zeigt erstmalig die Diskussion auf der I. Orthographischen Konferenz. Das Argument der Assimilationsgegner (z. B. Sanders, Bonitz) ist die Ableitung der betreffenden Wörter nicht von einer Form mit im Rahmen eines lateinischen Suffixes -tius, -tia, -tium etc., sondern von einer Partizip-Präsens-Form, die auf ausgeht. Aufgrund dieses Befundes sei keine Notwendigkeit zur Assimilation gegeben. Duden bemerkt dazu, dass es sich um dieselbe Form wie bei Grazie handele, also die Position vor unbetontem /ə/ eindeutig zur Schreibung mit berechtige (Protokoll 1876, 105). Letztlich stimmen die Konferenzteilnehmer mit 10 : 4 Stimmen für die Assimilation der betreffenden Wörter. Dass der Sprachnutzer die exakte grammatische Herkunft der Wörter nicht kennen kann und damit eher in Analogie zu Grazie entschieden werden müsste, ist allerdings kein (genanntes) Argument in der Zeit.
224 Beispiele aus Protokoll 1876, 105.
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Obwohl auch Preußen die Regelung akzeptiert und die Beispiele entsprechend assimiliert aufnimmt, äußert sich Wilhelm Wilmanns im Kommentar entgegengesetzt und bemüht das Herkunftsargument: § 183. Besonders zu beachten sind die Plurale der substantivierten Participia auf =ens: das Accidens, Ingrediens, Präcedens, Präsens, Reagens. In der Aussprache sind sie von den Femininis auf =enz kaum zu unterscheiden, aber sie haben andere Herkunft, anderes Geschlecht und, abgesehen von dem letzten, auch andere Betonung. In dem Plural der Feminina bleibt das i verloren: Differenzen, Vakanzen; diese Participia behaupten es und demgemäß sind sie zu schreiben: Accidentien, Antecedentien, Ingredientien, Präcedentien, Reagentien. Der weit verbreiteten Schreibung mit =zien sollte man nicht nachgeben; sie beruht auf einer Nachlässigkeit, die eine umfassende und klare Regel unnütz mit Ausnahmen belastet. (Wilmanns 1887, 220)
Auch wenn die betreffenden Kandidaten tatsächlich eine Herkunftsform im Partizip Präsens haben, so gibt es doch zu allen auch lateinische Formen mit auslautendem -tia, was die Assimilation in Auslautposition auf Grundlage des phonematischen Prinzips rechtfertigen würde. Es setzt sich die assimilierte Variante durch, wie auch Württemberg 1884 zeigt. In dieser Schulorthographie wird die Regelung übernommen und mit den gängigen Kriterien versehen, so dass darauf hier nicht weiter eingegangen werden muss (Württemberg 1884, 31). In der Vorlage zur II. Orthographischen Konferenz und auch in der beschlossenen Version lautet die Regel doch schließlich anders; die Assimilationen sind besonders in den diskutierten Fällen nicht vollständig übernommen, sondern lediglich als Varianten hinzugefügt worden. Ferner fällt die Inlaut- bzw. Auslautposition als Assimilationsargument weg, stattdessen wird die Betonung Hauptfaktor: Das fremde ti bleibt vor betontem Selbstlaut, z. B. Patient, Quotient; Auktion, Nation. Vor unbetontem e schreibt man meist zi, z. B. Grazie, Ingredienzien, Reagenzien neben der dem Lateinischen entsprechenden Schreibung Ingredientien, Reagentien; doch hinter k schreibt man t, z. B. Aktien. (Vorlage 1901, 244)
Selbst die radikalen Reformer der phonetischen Richtung orientieren sich übrigens am Gebrauch, so dass auch hier nicht die konsequente Assimilation im Fokus steht. So schreibt Fricke: „[F]ür den durch ti ausgedrückten z-Laut hat nur die klassische Periode und einige neuere Zeitschriften, z. B. die Blätter für die Litteratur des Auslandes, versucht, wirklich z zu setzen. Damals schrieb man schon Nazion, Porzion, Interpunkzion, Deklamazion; [sic!] jetzt überwiegt Nation etc. wieder vollständig“ (Fricke 1877, 133). Zusammenfassung: Die positionsabhängige Regelung dieses Graphems verändert sich im Laufe des Jahrhunderts nicht wesentlich. Allen Regelwerken ist gemeinsam, dass sie die Assimilation im Auslaut und die ausbleibende Assimilation im Inlaut vorschreiben. Die Regelung zur Auslautposition wird allerdings nicht in allen Fällen explizit gemacht, sondern beschränkt sich zuweilen auf die Listung von Beispielen. Grund dafür ist vermutlich die Selbstverständlichkeit dieser Assimilati-
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on, weil sonst – selbst mit Blick auf die Spendersprachen – ‚falsche‘ PGB entstehen. Das macht auch die in vielen Grammatiken vermisste Begründung der Assimilation an dieser Position (mit der Herstellung heimischer Phonem-Graphem-Beziehungen nach Suffixtilgung) unnötig. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird in vielen Fällen hingewiesen auf weitere Assimilationsschreibungen, die ebenfalls positionsabhängig sind und sich auf vor unbetontem /ə/ beziehen. Die Positionsabhängigkeit ist auch der Grund dafür, dass das Argument des Einbürgerungsstatus aus der allgemeine Regel zur Fremdwortschreibung in den Grammatiken hier oft nicht gilt, denn das Graphem wird zumeist aufgeführt unter den „längst eingebürgerten Fremdwörter[n]“ (Berlin 1871, 17), die ihre ursprüngliche Schreibung beibehalten. Insgesamt handelt es sich um ein relativ unproblematisches Graphem, so dass auch die theoretische Diskussion innerhalb des Jahrhunderts hierauf kaum eingeht. Weitere Assimilationsbeobachtungen im Usus werden nur von Andresen und Fricke benannt, aber ohne sie in die Regelung aufzunehmen.
3.4.2.4 Doppelkonsonantenbuchstaben Bevor auf die Regelung in Fremdwörtern eingegangen wird, sei kurz umrissen, wie die Autoren der Regelwerke die Schreibung in heimischen Wörtern regeln. Von den drei oben genannten Ansätzen zur Beschreibung und Regelung der Doppelkonsonantenschreibung (vgl. Kapitel 2.3.3) findet sich in den untersuchten Grammatiken und Orthographielehren des 19. Jahrhunderts hauptsächlich der akzentbasierte Ansatz (vgl. Heyse 1814, 109; Grimm 1819, 12; Hoffmann 1839, 9; von Raumer 1855, 140; Duden 1872, 42 und alle Schulorthographien, z. B. Hannover 1855, 12), häufig ergänzt durch das Wortartenkriterium (vgl. z. B. Adelung, Becker, Weinhold, Sanders, Linnig), „dem zu Folge findet die Verdoppelung des einfachen End=Consonanten nach geschärften Vocalen nur in […] Hauptwörtern mit vollständigen Begriffen Statt“ (Adelung 1788, 223). Eher als silbenbasiert zu verstehende Regelungsansätze bleiben die Ausnahme (vgl. z. B. Heinsius 1807, 385; Bax 1895, 28; Fricke 1877, 85). Auch andere z. B. wahrnehmungspsychologische Aspekte tauchen – wenn auch lediglich singulär – in der Regelung auf, so sollen laut Adelung die Synsemantika von der Verdopplung der Konsonanten ausgeschlossen werden, damit den Hauptwörtern mehr Umfang zukomme und sie besser ins Auge stechen (Adelung 1788, 223). Es gilt im Wesentlichen die Regel: „[N]ach kurzem betontem Vocale wird häufig der folgende Consonant verdoppelt“ (Hoffmann 1839, 9). In (den meist tonlosen) Ableitungssilben unterbleibt die Verdopplung, außer in flektierter Form. Selten gibt es hier Ausnahmen, etwa bei Adelung und Heinsius, die auch die Verdopplung des Konsonanten im Suffix -inn als Regel vorschreiben. Abgesehen von der Nennung der Grundregel, wird hauptsächlich die Gemination im Auslaut nach vorangegangenem kurzem betontem Vokal thematisiert. Diese Fälle sind besonders regelbedürftig, denn „im Inlaut wird die Doppelkonsonanz
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gehört“ (Preussen 1880, 10), so dass die Verdopplung im Verständnis der Autoren hier nur eine korrekte Bezeichnung der einzelnen Laute darstellt. Problemschwerpunkte bei der Regelung der Gemination in Fremdwörtern im 19. Jahrhundert sind – wie eben auch bei der Regelung der heimischen Wörter – Wörter, „welche sich auf einen geschärften Vocal mit einem einfachen End=Consonanten endigen“ (Adelung 1788, 236). Sie werden in nahezu allen Grammatiken aufgegriffen. In heimischen Wörtern wird in den oben genannten Fällen immer die Verdopplung auch in der unflektierten Form vorgeschrieben (vgl. oben). Inwiefern diese Regel auch auf Wörter fremder Herkunft übertragbar ist, soll sich im Folgenden zeigen. Adelung beschränkt den zu regelnden Problembereich auf französische Wörter und ordnet hier in der Regeldarstellung zur „Verdoppelung des Consonanten in fremden Wörtern“ (eigenes Unterkapitel im Kapitel „Von der Verdoppelung der Consonanten“) Folgendes an: Da wir diese Wörter in der Endsylbe ganz nach Deutscher Art aussprechen, und sie auch auf Deutsche Art biegen, des C a b i n e t t e s , die C a b i n e t t e , des C e r e m o n i e l l e s , so sollte man sie billig auch im Nominative mit doppelten End=Consonanten schreiben, der C a d e t t , das C a b i n e t t , der G a l l o p p . (Adelung 1788, 236 f.)
Die Gemination ist demnach nicht nur im Fall einer flektierten, sondern auch in der unflektierten Form zu verwenden. Bei dieser Regelung ist vom Einbürgerungskriterium nur ein Teil schreibungsleitend, nämlich deutsche Aussprache und Flexion. Dass die Fremdheit der Kandidaten immer noch deutlich sichtbar ist, z. B. durch fremden Akzent und weitere Fremdgrapheme, sorgt zwar dafür, dass die betreffenden Lexeme nach Adelungs Raster keine (vollständig) eingebürgerten Wörter sind, ist aber für Adelung nicht ausschlaggebend, so dass die betreffenden Grapheme vollständig assimiliert werden sollen. Adelungs Beschränkung auf französische Fremdwörter ergibt sich wahrscheinlich daraus, dass die meisten infrage kommenden Assimilationskandidaten tatsächlich eine französische Herkunft aufweisen. Die Lektüre der nachfolgenden Grammatiken offenbart die Fortschrittlichkeit Adelungs bezüglich dieses Regelbereichs: Die Verdopplung der Endkonsonanten nach betontem kurzem Vokal in nicht flektierten Formen ist in dieser Zeit einzig bei Adelung zu finden. In den Kapiteln „Über d und t, dt und tt, th und ht“ und „ Ü b e r l , m , n , r “ der „Lehre von der Rechtschreibung“ in Heyse 1814 finden sich regelartige Bemerkungen zur Verwendung von Doppelkonsonanz in Fremdwörtern. Damit zergliedert er den Regelungsbereich der Doppelkonsonantenschreibung und ordnet ihn der Regelung der PGB unter. Recht versteckt erscheint die Regel zu den Kandidaten (t – tt), die auch Adelung schon als regelungsrelevant erachtete: In den flektierten Formen dieser Wör-
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ter 225 fordert Heyse die Verdopplung der Konsonanten, sie unterbleibt – um Unterschied zu Adelungs Regel – im Nominativ. Auf welche Kandidaten genau sich diese Regel bezieht, ist nur anhand der Beispiele (Cabinette, Complotte, Skelette) herauszulesen: Es sind ebenso wie bei Adelung Wörter mit einem Endkonsonanten nach kurzem betontem Vokal (Heyse 1814, 132) – allerdings nicht auf die französische Herkunft beschränkt (vgl. Adelung), wie sich aus der Beispielliste erkennen lässt: Skelett – griech. skeleton.226 Wie inkonsequent Heyse vorgeht und wie wenig schreibungsleitend seine ‚Regeln‘ wirklich sind, zeigt sich darüber hinaus im Kapitel „Über l, m, n, r“: Er schreibt hier, dass „einige fremde Wörter, als Ball, Duell, Fontanell, Krystall=Linse, Gallerie, Libell, Metall, Modell, null, Pasquill, Protokoll, Rebell, reell, Vasall“ (Heyse 1814, 144) zwei Konsonantenbuchstaben erhalten, andere fremde Wörter erhalten nur , z. B. April, Ceremoniel, Controle, Controleur, Hotel. Heyse nennt weder Assimilationskriterien, noch spricht er über eine Regelung in Flexionsformen. Die Gruppe der angesprochenen Wörter ist darüber hinaus strukturell äußerst heterogen (hier geht es nicht nur um Endkonsonanten nach kurzem betontem Vokal). Insofern kann aus dieser Aufzählung für den Sprachnutzer keine relevante Regel abgeleitet werden. Die Adelung’sche Regel ist in Bezug auf die schreibungsleitende Potenz klar vorzuziehen. Für die Historiker sind die Geminaten in Fremdwörtern kein Thema, ihnen liegt zunächst einmal die Regelung der Vokallängen- bzw. Vokalkürzenbezeichnung in deutschen Wörtern am Herzen. Einzig Andresen äußert sich zur Verteilung von Geminaten in Fremdwörtern: In hinsicht auf konsonantverdoppelung wird man im allgemeinen am passendsten der fremden form folgen, daher mit einfachem konsonant im inlaut schreiben: adresse, damast […]; im auslaut: april […], bischof, […], fagot, kabinet, kabriolet, kadet, komplot, krokodil […], schaffot. Doppelten kons. im inlaut verlangen appetit, bajonnet, kannel […], kommode […], perrüke […]. (Andresen 1855, 159 f.)
Die Beispiele zeigen, dass Andresen hier nicht nur Assimilationskandidaten bespricht, sondern sich generell zur Verteilung von Einfach- bzw. Doppelkonsonanz in Fremdwörtern äußert. Er passt mit dieser ‚Regel‘ in das Bild der historischen Richtung, das Zabel in Bezug auf die Fremdwortschreibung skizziert (Zabel 1987b, 4), nämlich dass sich die Autoren nach der Ursprungsschreibung richten. Es folgt ein überschaubarer Katalog singulärer Ausnahmeregeln, die Andresen zu begründen versucht. So sei etwa die Verdopplung in „gruppe, luppe, schaluppe, suppe, truppe“ (Andresen 1855, 160) „wegen kürzung des ou in u“ und auch in
225 Es geht um Fremdwörter, in denen oder vorkommt. Weitere Strukturbeschreibungen unterbleiben allerdings. 226 Wobei in einigen Grammatiken des 19. Jahrhunderts für das Wort Skelett auch eine französische Herkunft squelette angenommen wird (vgl. Andresen 1855, 160).
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„krepp […], treff“ „wegen der verkürzung“ (Andresen 1855, 160) korrekt. Mit Blick auf die Form und Formveränderung dieser Wörter ließe sich etwa verallgemeinern, dass die Assimilation zu Doppelkonsonanz nach Andresen in solchen Fällen zulässig wäre, in denen dem Vokal vor betreffendem Konsonanten eine Kürzung beim Entlehnungsprozess, also eine phonische Assimilation vorausgeht. Neben phonischer Assimilation als Bedingung für die graphemische Assimilation akzeptiert Andresen auch die Analogie, so sei es „richtiger“, kokett, nett, violett zu schreiben wegen fett, matt, platt (Andresen 1855, 160). Für einige weitere singuläre Assimilationsfälle nennt Andresen allerdings keine Bedingung bzw. verweist auf das Grimm’sche Wörterbuch, z. B. bei ball, schaffot, staffette.227 Die Rücknahme von spendersprachlichen Doppelkonsonantenbuchstaben wird nur beiläufig durch die Nennung dreier Beispiele thematisiert: partisane aus frz. pertuisanne, trompete aus frz. trompette, flanell aus engl. flannel (Andresen 1855, 160 f.). Gemeinsam ist diesen Assimilationen eine vorangegangene phonische Assimilation. Inwiefern hier verallgemeinernd auf alle anderen ähnlichen Fälle übertragen werden kann, bleibt unklar. Zumindest aber handelt es sich um die erste Erwähnung des umgekehrten Assimilationsprozesses – der Rücknahme der Doppelkonsonanz aufgrund deutscher Positions- und Ausspracheverhältnisse – innerhalb der analysierten Grammatiken und Orthographielehren und verdient insofern Erwähnung. Sanders formuliert ein Jahr später die folgende Regel zur Fremdwortschreibung im Kapitel „Von der Schärfung der Vokale und Umlaute“: „Konsonantenverdoppelung tritt hier im Allgemeinen nur in geschärften hochtonigen Silben ein, welche den Stammsilben im Deutschen entsprechen“ (Sanders 1856, 39). Damit führt er eine Beschränkung ein: Verdopplung ist in Affixen nicht erlaubt. Ansonsten aber nimmt die Regel das auf, was Adelung bereits gefordert hatte: Die Assimilation zu Doppelkonsonanz erfolgt bei den betreffenden Kandidaten nicht nur in der flektierten Form, vgl. Sanders’ Beispiele: adrett, Bajonett, Bankerott, Duell, Duett, Fagott, Flanell, Galopp, Kabinett, Kabriolett, Kadett, kokett, Komplott, nett, Null, Rabatt, Schafott, Skelett, violett etc. (Sanders 1856, 39, vgl. auch Sanders 1873, 212).228 In seinen „Vorschlägen zur Feststellung einer einheitlichen Rechtschreibung für Alldeutschland“ gibt er eine Erklärung für oben genannte Regel – zumindest für einen Teil der Kandidaten (französische Lexeme auf -et): Er legitimiert die Assimilation dadurch, dass sich die Aussprache des Wortes bei Übernahme in das
227 Andresen äußert sich darüber hinaus noch kurz zu zwei Zweifelsfällen, in denen er allerdings die Schreibung mit einfachem Konsonanten bevorzugt: „Zweifeln mag man bei bajonnet, skelet, welche aus bayonnette, squelette entstanden sind; weil eine silbe abgefallen ist, scheint die doppelung überflüßig zu sein“ (Andresen 1855, 160). 228 Nicht alle dieser Beispiele wären auch nach unserer Analyse Assimilationskandidaten. Dies hängt mit den unterschiedlichen Spendersprachen zusammen.
Auswertung des Befundes
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Deutsche gravierend verändere und diese veränderte Aussprache auch markiert werden müsse: Sollen diese Wörter im Deutschen nach französischer Weise ausgesprochen werden, so schreibt man sie füglich mit lateinischen Lettern [gemeint ist der Schrifttyp Antiqua – Anm. A. Z.] und ganz wie im Französischen […]. Aber auch, wenn man deutsche Lettern dafür wählt, so verändert man die Orthographie nicht weiter […]. Zumeist aber geht mit der Aussprache der zuerst genannten Wörter im Deutschen eine Umformung vor, der gemäß die deutsch abzuwandelnden Wörter auch sämmtlich mit der Endung ett […] zu schreiben sind. (Sanders 1873, 211)
Die oben genannte Regel aus Sanders’ Katechismus hat zunächst den Anschein, als sei sie – abgesehen vom Strukturkriterium – für alle Kandidaten gültig. Die weitere Lektüre allerdings offenbart, dass es sich um eine unechte Regel handelt, zu der eine weitere Regel zum vollständigen Verständnis hinzugezogen werden muss: Bei der Schreibentscheidung gilt bei Sanders das Assimilationskriterium der formalen Ähnlichkeit zu heimischen Wörtern: „Fremdwörter, die das Deutsche sich nicht angeähnlicht hat, behalten natürlich, wo sie angewendet werden, die Schreibweise der Ursprache bei“ (Sanders 1856, 40). Das Problem, das also bereits bei der allgemeinen Regelung der Fremdwortschreibung bestand, wird hier auf ein spezielles Orthogramm übertragen. Bei Sanders findet sich nun auch erstmals eine Regel zum umgekehrten Prozess der Rücknahme von Doppelkonsonanten, die keine Assimilation vorsieht. Allerdings schränkt Sanders den Geltungsbereich stark auf einen Strukturtyp ein: „Doch bleibt die Verdopplung in fremden Vorsilben, deren Endkonsonant zugleich der Anfangsbuchstabe der folgenden Sylbe ist, z. B. bei ad nicht bloß in addieren, sondern auch in: accommodieren, Affekt, Aggregat, Alliteration …“ (Sanders 1856, 39). Die Doppelkonsonanz der Spendersprache diene hier der Morphemidentifizierung und könne dadurch nicht aufgegeben werden. Inwiefern diese Strukturen allerdings tatsächlich vom Sprachnutzer erkannt werden können, bleibt fraglich. Auch die amtlichen Schulorthographien legen den Fokus ihrer Regelung auf die Kandidaten mit einfachem Endkonsonanten nach betontem Kurzvokal. Alle Regeln hierzu finden sich im Kapitel zu den Fremdwörtern. Eine Ausnahme bildet das Regelwerk Württembergs (1861), das auch schon in das Kapitel zur Regelung heimischer Konsonantenverdopplung eine Regel zur Anwendung bei Fremdwörtern einschiebt. Kurhessen229 beginnt allerdings zunächst mit der ganz allgemeinen Regel (für Fremdwörter), mit der sie aus dem Regelungsumfeld anderer – in dieser Frage eher konservativer – Grammatiken heraussticht: „Consonantenverdoppelung laßen wir füglich da eintreten, wo der Consonant verschärft ausgesprochen wird und noch eine Endung darauf folgt“ (Kurhessen 1859, 31). Dieser Passus regelt sowohl die
229 Im hannoverschen Regelbuch von 1855 findet sich keine Regel zur Assimilation der Kürzenbezeichnung, so dass hier in der Darstellung bei Kurhessen 1859 begonnen wird.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
– in vielen Grammatiken uninteressanten – Lexeme, in denen im Inlaut des Wortstammes auf einen betonten kurzen Vokal ein einfacher Konsonant folgt (z. B. Suppe, Gruppe, Schaluppe, Truppe), als auch die oben bereits benannten Problemfälle mit einfachem Konsonanten im Auslaut, die zumindest in den flektierten Formen mit Flexionssuffix eine Konsonantenverdopplung erfahren (z. B. Bajonette, Cabinette, Cadetten). Die nicht flektierten Formen der zuletzt genannten Gruppe sind nicht zu assimilieren (Kurhessen 1859, 31). Der Geltungsbereich dieser Regel wird im nachfolgenden Abschnitt erweitert um Kandidaten eines speziellen Strukturtyps, nämlich „Adjektiva auf el, in welchen der Ton nicht nothwendig auf der letzten Silbe ruhen muß“, Adjektive auf -el mit Betonungsschwankungen also, z. B. officiel, reel, speciel, universel. Die konstatierten Betonungsschwankungen sind heute nicht mehr nachvollziehbar.230 Diese Wörter sind bevorzugt nach der Hauptregel zu schreiben (Kurhessen 1859, 31 f.), hier wird also die teilassimilierte Variante neben der nicht assimilierten akzeptiert und sogar bevorzugt. Ausnahmen zu dieser Regel, in denen die Assimilationen zu unterlassen sind, werden anschließend in Form eines nicht abgeschlossenen Ausnahmenkataloges präsentiert, z. B. Damast, Palast, Pomeranze, April, Galopp, Palisade, Schafot.231 Es stellt sich also – z. B. mit Blick auf die eben genannten Beispiele – die Frage nach den Betonungsverhältnissen im 19. Jahrhundert: Wurden die Wörter tatsächlich anders betont oder gilt das Haupttonkriterium nur für die Regelung heimischer Wörter (oder auch für die Fremdwörter)? Der Hauptregel in Kurhessen folgend, liest man auch in Württemberg: „Eine Ausnahme [zur Regel für heimische Wörter – Anm. A. Z.] bilden die Fremdwörter auf et und ot, deren t nur im Inlaute verdoppelt wird: Cabinet Cabinette, Hugenot Hugenotten“ (Württemberg 1861, 8). Wie oben bereits bemerkt, hat die Position dieser Regel innerhalb der Regelwerksstruktur Sonderstatus bei den Schulorthographien: Diese Regel zur Fremdwortschreibung wird als Ausnahme zur Regelung heimischer Wörter in eben demselben Abschnitt präsentiert. Diese Regel verlangt allerdings eine Vervollständigung, denn sie umfasst nur einen bestimmten Strukturtyp von Fremdwörtern. Und so liest man denn in den Fremdwortregeln, dass grundsätzlich keine Assimilation durchzuführen sei (Württemberg 1861, 15). Insofern hebt sich die Regel dann doch von der kurhessischen Schulorthographie ab und lehnt sich eher an die konservative Fassung der historischen Schule (vgl. Andresen) an:
230 Fragen zur Betonung der Zeit werfen auch die Beispiele der eben genannten Regel zur Konsonantenverdopplung Commode und Perrücke auf. Die Regel zur Verdopplung gilt bei kurzem Vokal im Inlaut. Konsultiert man die nachfolgende Bemerkung zur Regel und die Regel zur Konsonantenverdopplung in heimischen Wörtern, so muss ergänzt werden: Die Verdopplung gilt nur bei betontem kurzem Vokal. Den Akzent der Beispielwörter trägt heute jedoch jeweils die zweite Silbe. Insofern würden die Kandidaten beim heutigen Blick auf die Regel ihren Kandidatenstatus verlieren. 231 Die Markierungen zeigen die regelungsrelevanten Grapheme.
Auswertung des Befundes
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Hat ein Wort in der fremden Sprache Mitlautverdoppelung, so wird diese beibehalten: Appetit, Bajonnett, Perrüke; im entgegensetzten Fall wird der Mitlaut auch im Deutschen einfach geschrieben: Adresse, April, Controle, Damast, Galop, Palast. Ausgenommen sind folgende Wörter, deren Aussprache sich geändert hat, oder die schon in der fremden Sprache bei verlängerten Formen die Verdoppelung annehmen: Gruppe, Schaluppe, Suppe, Truppe, Krepp, nett, violett, Schaffot, Staffette; Flanell. (Württemberg 1861, 15)
Sowohl die Regelungsstruktur mit übergeordneter Regel und den Ausnahmen als auch die Kriterien zur Bestimmung der Ausnahmen (vorangegangene phonemische Assimilation und Vorhandensein einer Form mit Doppelkonsonant in der Spendersprache) und die genannten Beispiele stimmen exakt mit Andresen überein (vgl. oben). Dass die Regeln der Historiker nicht ganz unbeachtet bleiben, zeigt sich also auch hier. Auch in Berlin 1871 ist die Nichtbezeichnung der Kürze des Vokals in Fremdwörtern die Regel. Es schließt sich folgende Ausnahmeregel an: Jedoch pflegt vor e nach kurzem betonten Vokal Verdoppelung des Consonanten einzutreten; z. B. Schaluppe, Schatulle, Kabinette, Asse, und vielfach auch ohne ein solches z. B. Bankerott, nett, violett – namentlich in der Endung =ell, z. B. Appell, nominell, reell. (Berlin 1871, 17)
Dieser Regelkomplex entspricht inhaltlich ungefähr dem in Kurhessen, zeigt aber ein genau umgekehrtes Verhältnis von Regel und Ausnahme: War in Kurhessen die Kennzeichnung des Kurzvokals (unter bestimmten Bedingungen, vgl. oben) die Regel, so ist es hier die Nichtkennzeichnung. Dementsprechend verändert sich auch die Gruppe der Ausnahmen. Allerdings sind die Kriterien pro bzw. kontra Assimilation im kurhessischen Regelwerk deutlich präziser und ausführlicher dargestellt, was der Anwendbarkeit der Regeln zugutekommt. Welche und wie viele Wörter der Ausnahme zur Verwendung von Doppelkonsonanz zuzurechnen sind („vielfach auch ohne ein solches [e nach kurzem betonten Vokal]“ Berlin 1871, 17), bleibt im Berliner Regelwerk unklar. Nur mit Blick auf das Wörterverzeichnis und den Kommentar (Erörterungen 1871, 31) lässt sich erschließen, dass z. B. auch Galopp, Barett, Kadett, Kontrolle, Skelett dazugehören. Und mit der Assimilation dieser Fälle z. B. hebt sich das Berliner Regelwerk in puncto Assimilationsfreudigkeit deutlich von den Vorgängern ab, auch wenn die Lektüre der Hauptregel zunächst anderes vermuten lässt. Das Fortschreiten der Assimilation in diesem Graphembereich wird deutlich bei der Lektüre der Konferenzdokumente 1876 (Vorlage, Protokoll, Beschluss-Regelwerk). Von Raumers Vorlage wird in dieser Sache von der Kommission nahezu vollständig akzeptiert. Die Grundregel der Nichtkennzeichnung von Vokallänge und -kürze bleibt zwar auch hier erhalten, allerdings führt er eine Ausnahmeregelung an, die in ihrer Konsequenz bis zu diesem Zeitpunkt ihresgleichen sucht. So gilt als Ausnahme, dass „in betonter Endsilbe mit kurzem Vokal der auslautende Konsonant in der Regel verdoppelt“ wird (Regeln 1876, 150). Hier gibt es keine
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weiteren Bedingungen – etwa bestimmte Auslautstrukturen, Herkunftssprache, Analogien oder in der Spendersprache vorhandene Flexionsformen mit Doppelkonsonanz wie in vorangegangenen Grammatiken.232 Auch in Inlautstrukturen des Wortstammes wird die Assimilation zur regelhaften Ausnahme: „[E]benso nach kurzem betontem Vokal [wird] der Konsonant vor nachfolgendem e in den meisten Wörtern verdoppelt, z. B. Schaluppe, Schatulle […]“ (Regeln 1876, 150). Dass beide Ausnahmen eine gewisse Vagheit in der Formulierung nicht ablegen („in der Regel“, „in den meisten Wörtern“), ist wahrscheinlich als Konzession an den Sprachgebrauch zu bewerten, um einen möglichen Vorwurf der Radikalität im Vorfeld zu entkräften. Die Konferenzdokumente sind die ersten der hier analysierten, die eine systematische Kennzeichnung des betonten Kurzvokals auch in Nicht-Flexionsformen der Fremdwörter anordnen – und zwar unabhängig von weiteren Bedingungen. Auch wenn die Konferenzorthographie nie amtlich geworden ist, so ist doch die Regelung zur Schreibung von Doppelkonsonanz in Fremdwörtern vollständig in die nachfolgenden Schulorthographien aufgenommen worden (vgl. Sachsen 1880, 22; Württemberg 1884, 32). In Bayern geschieht dies nahezu wörtlich mit gleicher Struktur des Regelungskomplexes (Bayern 1879, 16). Ab Preußen 1880 entfällt sogar die übergeordnete Regel der grundsätzlichen Nichtkennzeichnung der Kürze in Fremdwörtern. Stattdessen wird die Kennzeichnung der Kürze in Analogie zu den deutschen Wörtern zur Regel: Die Gewohnheit, in deutschen Wörtern nach kurzem betonten Vokal den Konsonanten zu verdoppeln, hat auch in vielen Fremdwörtern zur Verdoppelung des Konsonanten geführt, z. B. Ballett, Bankett, Kadett, komplett, Stilett, violett; Appell, individuell, reell; Cigarre, Guitarre, Kontrolle, Gruppe, Truppe, Galopp. (Preussen 1880, 19)
Auch hier werden keine weiteren Bedingungen für die Assimilation als die Kürze eines betonten Vokales genannt. Ebenso bleibt die Formulierungsvagheit, indem eingeräumt wird, dass diese Regel für einige Fremdwörter nicht gilt. So werden denn gleich zwei Einzelfallausnahmen nachfolgend genannt: „Anm. In B o u q u e t und auch in B i l l e t unterbleibt die Verdoppelung, weil sie auch sonst fremde Lautbezeichnung bewahren“ (Preussen 1880, 19). Die Existenz weiterer fremder Phonographeme wird zum Grund für das Ausbleiben der Assimilation. Dass dieses Kriterium jedoch nicht weiterführend anwendbar ist, zeigt der Blick auf die Assimilati-
232 Vgl. etwa auch Duden: Nichtkennzeichnung ist auch hier die Regel. Es schließen sich einige Gruppen von Ausnahmefällen an, so wird die Kürzenmarkierung z. B. durchgeführt in „den Endungen auf t und l“ (Duden 1872, 67). Dies impliziert, dass es noch andere Endkonsonanten gibt, in denen die Assimilation nicht stattfindet. Damit sind auch bei Duden weitere Bedingungen als die Position des Konsonanten und die vorangehende Kürze des Vokals gefordert. Darüber hinaus fügt sich bei Duden eine weitere Ausnahme (quasi die Ausnahme der Ausnahme) an: „Bei weniger gebräuchlichen Fremdwörtern und wenn man sich der fremden Schreibung bedient, schreibt man nur t und l, z. B. C a b r i o l e t , P a r q u e t , B o u q u e t , C a r r o u s e l “ (Duden 1872, 67).
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onsbeispiele in der oben genannten Regel: Auch hier findet der Leser Lexeme, die „auch sonst fremde Lautbezeichnung bewahren“, sich ansonsten aber der Assimilation unterwerfen. Der Wert der Ausnahmen-„Anmerkung“ liegt also lediglich in der Nennung zweier singulärer Regeln, die vom Nutzer zu memorieren sind. Darüber hinaus findet sich in Preußen allerdings eine weitere Regel, die erstmalig in den Schulorthographien den umgekehrten Assimilationsprozess – die Rücknahme der Konsonantenverdopplung – thematisiert: Umgekehrt hat der deutsche Gebrauch, den Konsonanten nur nach betontem Vokal zu verdoppeln, bisweilen den Ausfall eines Konsonanten veranlaßt, z. B. Bajonett, Barett, Fourage, honett, Karbonade, Perücke, Pionier, Pomade. (Preussen 1880, 19)
Über die Rücknahme der Doppelkonsonanz wird in der ersten Hälfte des Jahrhunderts nichts gesagt, danach wird sie nur kurz bei Sanders und Andresen thematisiert (Andresen 1855, 160 f.) und dann schließlich erst in den Schulorthographien nach 1876 als Regel – hier erstmalig in Preußen 1880 – aufgenommen. Im Kommentar zur preußischen Schulorthographie zeigt sich allerdings, dass diese Regel einen weit geringeren Geltungsbereich hat als die Regel zur Verdopplung der Konsonanten. Grund dafür ist die konstatierte mangelnde Durchführung dieser Assimilation im Usus: „Jedoch hält sich diese Einwirkung [Tilgung eines Konsonantenbuchstabens – Anm. A. Z.] in engeren Grenzen, und es dürfte nur zur Verwirrung führen, wenn man sich bemühte, ihr weitere Ausdehnung zu geben“ (Wilmanns 1880, 201). Die Vagheit in der Formulierung zur Ermittlung des Kandidatenstatus findet man in beiden Regeln zur Assimilation bis zur letzten Schulorthographie (vgl. Sachsen 1880, 22; Württemberg 1884, 32). Württemberg versucht dem zu begegnen, indem ein kurzer Ausnahmenkatalog aufgestellt wird (Hotel, Krokodil, Appetit, Billet, Bouquet, Paket), dessen durch die Formulierung vermutbare Abgeschlossenheit angesichts des Wörterverzeichnisses aber nicht bestätigt werden kann (vgl. z. B. April [Württemberg 1884, 47]). Zu bemerken bleibt darüber hinaus, dass die sächsische Schulorthographie die einzige ist, die auf die Beibehaltung der durch Assimilation entstandenen Doppelkonsonanz im Fall von morphologischem Nebenakzent – also in Derivaten und Flexionsformen – hinweist (Sachsen 1880, 22) und folgende Beispiele nennt: parkettieren, galoppieren, kontrollieren. In Preußens Regelwerk findet sich dies nicht, obwohl Wilmanns in seinem Kommentar ausführlich darauf eingeht und die Doppelkonsonanz in allen Ableitungen auf -ieren zunächst zulässt (Wilmanns 1880, 200),233 um diese Empfehlung in der überarbeiteten Auflage des Kommentars rück233 „In den Ableitungen fehlt es an festem Gebrauch, da derselbe Stamm in verschiedenen Wörtern einfachen oder doppelten Konsonanten haben kann, z. B. Cigarre, Cirgarette frz. cigare, cigarette; Kavalier, Kavallerie; Klub, Klubbist engl. club, clubbist. Doch scheint es zweckmäßig, den Wörtern auf =ieren durchgängig die Doppelkonsonanz zu gewähren, wenn die Stammform mit doppeltem Konsonanten geschrieben wird“ (Wilmanns 1880, 200). Es ist vermutlich der zitierte fehlende
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gängig zu machen mit der Bemerkung, dass „unsere Aussprache in den oft ganz unbetonten Silben die Verdopplung keineswegs verlangt“ (Wilmanns 1887, 240).234 Die Regelung dieser Fremdgraphemgruppe erhält bis zur Festlegung einer einheitlichen Orthographie keine wesentlichen inhaltlichen, nur wenige formale Änderungen, so dass am Ende des Vereinheitlichungsprozesses folgender Regelkomplex235 steht: 3. Die Gewohnheit, in deutschen Wörtern nach einem betonten kurzen Selbstlaut, und nur nach einem solchen, einen einfachen folgenden Mitlaut doppelt zu schreiben, hat auch in Fremdwörtern Änderungen der Schreibung veranlaßt. a) Der Mitlaut zwischen einem kurzen Selbstlaut mit dem Hauptton und einem unbetonten Selbstlaut wird regelmäßig doppelt geschrieben, z. B. Baracke, Etappe, Gitarre, Kontrolle; dementsprechend tritt auch im Auslaut oft die Verdoppelung ein, z. B. Appell, Kadett; bigott, brünett und die zahlreichen Eigenschaftswörter auf -ell, wie generell. b) Umgekehrt wird nach einem unbetonten Selbstlaut eine in der fremden Sprache übliche Verdoppelung oft aufgegeben, namentlich in den Ableitungen von französischen Wörtern auf -on, z. B. Barett, Perücke (beide Wörter werden im Französischen mit rr geschrieben), Pomade; Missionär, pensionieren, rationell. (Regeln 1902, 22 bzw. 313)
Um die Ausnahmen einzuordnen, scheint der vorangegangene so wichtige Satz über die Unmöglichkeit der Formulierung ausnahmsloser Regeln für die Schreibung der Fremdwörter auszureichen. So gehört der eben zitierte Regelkomplex im Grunde auch nur zu den „Richtlinien“ für die Fremdwortschreibung. Zusammenfassung: Die Regelung der Doppelkonsonantenschreibung in Fremdwörtern betrifft – wie auch bei den heimischen – vor allem die Autosemantika, und von diesen hauptsächlich die Gruppe der Substantive und Adjektive. Dabei wird zunächst eine Uneinheitlichkeit sichtbar in Bezug auf den Inhalt der Regelung bis zur einheitlichen Festlegung der Verwendung von Doppelkonsonanz in den Do-
einheitliche Usus, der Wilmanns daran hindert, der Grundregel einen weiteren Geltungsbereich zu geben und alle synchron erkennbaren Ableitungen einzubeziehen (morphematisches Prinzip). 234 Zuvor fand dieser Problembereich nur bei Sanders 1873 Erwähnung, allerdings nur mit einer sehr wenig präzisen und wenig anwendbaren Regel, weshalb sie hier auch nicht ausführlicher dargestellt wurde. Er schreibt: „In verlängerten Formen und Bildungen bleibt das Doppel=t – bei unveränderter Betonung immer und auch meist beim Hinzutritt einer hochtonigen fremden Endung, außer wo in diesem Fall die Aussprache nur ein t hören lässt, nämlich wenn die entsprechenden Wörter im Französischen ein einfaches t haben“ (Sanders 1873, 212). Beispielsweise sei Skelett – skeletieren, aber Rabatt – rabattieren korrekt (beide Verben haben französische Formen mit ). 235 Keinerlei Einfluss darauf hatten die Vorschläge der radikal-phonetischen Reformer, die ihre Regel zur Anwendung des Doppelkonsonanten in heimischen Wörtern auch auf die Fremdwörter übertragen: Da Doppelkonsonantenbuchstaben bei Fricke etwa nur in Fällen doppelter Lautung zulässig sind, sind sie auch in Fremdwörtern nur an äquivalenten Stellen zu setzen – in keinem Fall also im Auslaut und generell nie zur Kennzeichnung von Kürze, sondern von doppelten Konsonantenphonemen (Fricke 1877, 134). Die Kürzenkennzeichnung erfolgt bei Fricke durch spezielle Längenzeichen, die aus der Metrik übernommen wurden.
Auswertung des Befundes
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kumenten der II. Orthographischen Konferenz. Adelung zeigt sich am Anfang des Jahrhunderts fortschrittlich, indem er die Verdopplung nach Kurzvokal – auch in nicht flektierten Formen; das gibt es dann erst wieder bei Daniel Sanders – zur Regel macht, sofern sie sein reduziertes Einbürgerungskriterium erfüllen. Bei Heyse gibt es keine solch eindeutige Regel und die nachfolgenden Historiker zeigen kein besonderes Interesse an der Regelung der Doppelkonsonantenverwendung in Fremdwörtern, weil sie zunächst mit der Regelung in den heimischen Wörtern beschäftigt sind. Einzig Andresen äußert sich ausführlicher, favorisiert allerdings die Schreibung nach der Gebersprache. In den Schulorthographien scheint es zunächst auch konservativ weiterzugehen, indem – abgesehen von der kurhessischen Schulorthographie – die Nichtkennzeichnung des Kurzvokals zur Regel gemacht wird. Der Unterschied zwischen den Schulorthographien liegt allerdings in der Darstellung der Ausnahmenregelung. Erstmals in den Konferenzdokumenten findet sich eine konsequente Ausnahmenregelung, die vorsieht, dass in betonter Endsilbe mit kurzem Vokal der auslautende Konsonant verdoppelt wird; dasselbe gilt in Inlautstrukturen. Diese Regelung betrifft also auch alle nicht flektierten Formen der Fremdwörter und wird inhaltlich in die nachfolgenden Schulorthographien übernommen. Es ist zu bemerken, dass die Nichtkennzeichnung als Regel angesichts des großen Ausnahmenkataloges nicht besonders sinnvoll erscheint, so dass es nur folgerichtig ist, ab der preußischen Schulorthographie die Kürzenkennzeichnung zur Regel zu machen. Das kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es trotzdem eine Formulierungsvagheit in der Regelung gibt und manche Einzelfallabweichungen einen Blick in die singulären Regeln verlangen. Dennoch zeigt sich insgesamt in der Kodifikation eine Entwicklung hin zur Assimilation, die sich v. a. auf die unflektierten Formen der Substantive und Adjektive (Auslautstrukturen) bezieht. Abschließend soll die Auffälligkeit bemerkt werden, dass sich in fast allen Grammatiken und Orthographielehren die Regel zur Schreibung von Doppelkonsonanz (im Gegensatz zu vielen anderen Fremdgraphemen) nicht zwingend der jeweils zugrunde gelegten allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung unterwirft. Für diesen Regelungsbereich gelten meistens eigene Kriterien, die nicht unbedingt das gesamte Einbürgerungskriterium umfassen, etwa die Analogie (Andresen), die Existenz von entsprechenden Flexionsformen in der Spendersprache (Württemberg), die deutsche Aussprache und Flexion (Adelung), die vorausgegangene phonische Assimilation und andere lautliche Veränderungen (Andresen, Sanders), das Nichtvorhandensein von weiteren Fremdgraphemen (Preußen). Der umgekehrte Prozess der Rücknahme von Doppelkonsonantenbuchstaben in nicht betonten Silben wird deutlich seltener in den Regelwerken thematisiert. Andresen ist der erste, der mit einigen wenigen Beispielen diesen Assimilationsprozess bespricht. Erstmalig von einer Regelung sprechen kann man bei der preußischen Schulorthographie 1880: Hier wird die Tilgung des zweiten Konsonanten zur Regel (mit Ausnahmen) erhoben, die jedoch nur einen sehr geringen Geltungsbereich hat. Grund hierfür ist die genannte mangelnde Durchführung im Usus.
218
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
3.4.2.5 Akzentgrapheme 236 Akzentgrapheme werden von den meisten Grammatikern des 19. Jahrhunderts nicht problematisiert. Tonsilbenzeichen sind – außer bei Sanders – nie Gegenstand der Besprechungen, höchstens die Zeichen der Vokalqualität. Hiervon steht besonders der Akut im Regelungsinteresse – vornehmlich im Auslaut französischer Wörter – wie im Folgenden gezeigt wird.
3.4.2.5.1 Französische Cedille Zunächst seien die wenigen Bemerkungen in den Grammatiken zur französischen Cedille dargestellt. Die Frage nach der Verwendung derselben ist nicht immer nur eine orthographische, sondern zugleich eine typographische, da der Buchstabe nicht zum deutschen Alphabet zählt. Die Besprechung des Ersatzes dieses Zeichens fällt daher bei den Grammatikern auch nicht immer in den orthographischen Regelbereich. So auch bei Adelung, dessen Anmerkung zur Verwendung des französischen den orthographischen Regeln in einem Kapitel „Mit was für Schriftzeichen fremde Wörter zu schreiben“ vorangestellt ist: Es sei stets zu ersetzen durch die aussprachekompatiblen deutschen Zeichen oder . Die Beibehaltung des französischen Graphems „beleidigt Auge und Geschmack eben so sehr, als wenn man einen Hebräischen oder Griechischen Buchstaben mit unter die Deutschen mengen wollte“ (Adelung 1788, 111). Heyse hingegen bespricht dieses Graphem in seinem Kapitel „Besondere Regeln und Bemerkungen über die Rechtschreibung“, gibt zur Verwendung allerdings keine Regeln an. Vielmehr findet das Graphem lediglich dergestalt Erwähnung, als er bemerkt, dass in fremden Wörtern nicht sehr gebräuchlich und stattdessen häufig oder zu finden sei (Heyse 1814, 151). Auch in den nachfolgenden Regelwerken finden sich keine Regeln bezüglich dieses Graphems. In der Schulorthographie Preußens ist die Aufnahme des Graphems in den Regeltext nur eingebettet in die Übersicht über mögliche Buchstaben zur Darstellung entsprechender Laute in Fremdwörtern (Preussen 1880, 17). Wilmanns kommentiert den Text, indem er einige singuläre Regeln und ihre Anwendung in den anderen Schulorthographien thematisiert: „In Fassade frz. façade und selbst in Fasson frz. façon verlangt es [gemeint ist – Anm. A. Z.] nur W. [Württemberg 1884 – Anm. A. Z.] In Fassade lassen es auch die übrigen neben ç gelten, nicht in Façon“ (Wilmanns 1887, 234). Diese Erkenntnis ergibt sich überwiegend aus der Lektüre der singulären Regeln im Wörterverzeichnis, da die genannten Beispiele nicht in (allen) generellen Regelteilen auftauchen.
236 Zu den Akzentbezeichnungen werden hier nicht nur die tatsächlichen Sprachakzentzeichen im Sinne von Tonsilbenzeichen (wie etwa im Griechischen, Spanischen und Italienischen) gezählt, sondern auch die Vokalqualität bezeichnenden Graphien des Französischen und die Cedille.
Auswertung des Befundes
219
Tab. 18: Beispiele für die uneinheitliche Regelung bezüglich .
Preußen Sachsen Württemberg
Façon
Fasson
Façade
Fassade
RT + WT WT –
– – RT + WT
WT WT –
RT + WT WT RT + WT
Auf diese wenigen Bemerkungen, die allenfalls die Aussage zulassen, dass in einigen Fällen assimiliert zu schreiben ist, beschränkt sich die orthographische Regelung dieses Graphems. Der geringe Problematisierungsdrang der Regelwerksautoren lässt sich sicher auch mit der geringen Auftretenshäufigkeit dieses Fremdgraphems im Wortschatz erklären.
3.4.2.5.2 Akut, Gravis und Zirkumflex Auch die Assimilation dieser Akzentgrapheme liegt nicht im Hauptfokus der Autoren, wird aber doch immer wieder aufgegriffen. Adelung thematisiert nicht die Assimilation im Sinne der Tilgung des diakritischen Zeichens, sondern vielmehr darüber hinausgehende Assimilationen der PGB, wenn er schreibt: „Eben so [wie bei in heimischen Wörtern – Anm. A. Z.] könnte man mit fremden halb eingebürgerten Wörtern verfahren, wo das ee bloß dazu dienet, den Sitz des Tones zu bezeichnen, Kamehl, der Kaffeh, des Kaffehes, der Rappeh“ (Adelung 1788, 172). Mit dieser explizit nur als Vorschlag zu verstehenden Regelung hin zu einer signifikant deutschen Schreibweise sticht Adelung aus den Besprechungen besonders hervor. Dies wird nur derart von anderen Autoren wieder aufgegriffen, als sie eine solch durchgreifende Assimilation untersagen;237 sein Vorschlag spielt bei der Normfindung also keine Rolle. Heyse bemerkt lediglich, dass es zur Darstellung des Lauts /ε/ oder /e:/ in Fremdwörtern mehrere Realisierungsmöglichkeiten gibt, u. a. solche mit Akzentbuchstaben (die er denn auch als Frakturakzentbuchstaben wiedergibt): Barrière, Carrière, Saucière, Fête, Abbé, Charité, Quarré (Heyse 1814, 115). Dies zeigt, dass die vermutete sofortige Assimilation bei Übernahme des Wortes zumindest in den Grammatiken nicht als selbstverständlich angesehen wird. Eine Regelformulierung gibt es jedoch nicht. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts werden die Akzentgrapheme wieder in die Regelung aufgenommen. Sanders thematisiert die Setzung von Akzentzeichen in seiner Schrift von 1873 gleich im ersten Kapitel seines zweiten Heftes
237 Vgl. Heyse: „Eben so verschieden wird der Ton e in fremden Wörtern bezeichnet, zwar niemals durch eh, aber durch ee, z. B. in Allee, Armee, Caffee, Cameel, […]“ (Heyse 1826, 62).
220
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
(das dem Wörterbuch zur Schrift entspricht). Generell käme die deutsche Rechtschreibung ohne sie aus, abgesehen von einigen Sonderfällen, zu denen er die Verwendung des in französischen Wörtern zählt.238 Hier findet sich folgende echte Regel: Nicht zu verwechseln mit dem ˊ auf deutschem e [gemeint ist Fraktur – Anm. A. Z.] ist das gleiche Zeichen auf lateinischem e in französischen Wörtern und Namen, in denen man das é, wie überhaupt die accentuierten französischen Buchstaben beizubehalten hat, wenn auch im Übrigen sich Theile des Wortes der Aussprache nach deutscher Weise entziehen, während man sonst statt der accentuierten französischen Lettern deutsche ohne Accent setzen kann, vgl. z. B.: Allee; Armee; Frikassee; Idee rc., aber: Livrée (füglicher als Livree, wegen des wie w lautenden v); Chaussée […]. (Sanders 1873, 5)
Sanders bindet die Assimilationsempfehlung (also die Tilgung des diakritischen Zeichens) folglich an die Aussprache des Wortes, die der Aussprache deutscher Wörter gleich sein müsse. Gemeint ist allerdings nicht tatsächlich die Aussprache, sondern die Existenz weiterer fremder PGB, wie sich aus den mitgegebenen Beispielen (vgl. oben) ermitteln lässt. Dass keine weiteren fremden PGB im betreffenden Wort enthalten sind, ist also Bedingung für die Assimilation des Graphems. Auch Konrad Duden nimmt die Akzentgrapheme im Vorwort zu seinem orthographischen Wörterbuch auf. Er stellt die Akzentgraphemsetzung in Abhängigkeit zur Position derselben innerhalb eines Fremd- bzw. Lehnwortes dar. Im Inlaut ordnet Duden die Tilgung des Zeichens an, nicht ohne in bestimmten Fällen, „wo die Schreibung eines französischen Ausdrucks mit deutschen Lettern etwas Befremdliches haben kann“ (Duden 1880, XIII), auch die fremde Schreibweise zumindest zuzulassen. Im Auslaut hingegen müsse „nach Vorgang des a m t l i c h e n W ö r t e r v e r z e i c h n i s s e s “ (Duden 1880, XIV) das diakritische Zeichen beibehalten werden.239 Sein Wunsch wäre allerdings die zunehmende Durchsetzung der Zeichentilgung auch im Auslaut, zumal es schon viele analoge assimilierte Fälle gebe, etwa Kaffee, Defilee, Resümee (Duden 1880, XIV). Diese Entwicklung sieht er bereits angebahnt. In den Schulorthographien zeigt sich, dass die Akzentgrapheme nicht zu den Regelungsschwerpunkten gehören. Einige Länder nennen im Kapitel zur Vokalverdopplung auch Fremdwörter, z. B. Allee, Armee, Idee, Kaffee (vgl. Hannover
238 Als einziger thematisiert Sanders die Verwendung von diakritischen Zeichen zur Tonsilbenmarkierung. Er schlägt vor, in uneindeutigen Fällen „zur Sicherung einer bestimmten Aussprache“ Akzentzeichen zu setzen, etwa Àltan oder Altān, Āraber oder Arāber. Da es sich hier aber nicht um Assimilationen von Fremdwörtern handelt, sondern einen Neuvorschlag für fremde und heimische Zweifelsfälle, findet dies in der vorliegenden Arbeit keine weitere Beachtung. 239 Darüber hinaus thematisiert Duden die Schrifttypenfrage: Er empfiehlt die Setzung eines Akzentzeichens in Frakturschrift (Duden 1880, XIV), während Wilmanns in dieser Frage Gleichgültigkeit zeigt (Wilmanns 1880, 202) und Sanders noch auf der Verwendung des Zeichens in Antiqua besteht (Sanders 1873, 5).
Auswertung des Befundes
221
1855, 9; Kurhessen 1859, 12; Württemberg 1861, 6), denen in den Spendersprachen Formen mit Akzentgraphem im Auslaut gegenüberstehen. Für den Leser ist allerdings nicht erkennbar, dass es sich um Assimilationsfälle handelt, da nicht problematisiert wird, welches Graphem eigentlich an der genannten Stelle stehen könnte. Darüber hinaus handelt es sich nicht um geschlossene Listen. Dieser Form der Besprechung steht nach der I. Orthographischen Konferenz eine neue gegenüber. Jetzt wird die Regelung dieser Grapheme Teil des Kapitels zur Fremdwortschreibung (am Ende eines jeden Regelwerks). Beispielgebend sei folgende Regel aus der bayerischen Schulorthographie von 1879: Die Länge und Kürze des Vokals wird in Fremdwörtern im allgemeinen nicht bezeichnet, […]. Jedoch […] wird in betonter Endsilbe mit langem auslautenden e und i die Länge durch die Schreibung ee und ie ausgedrückt, z. B. A l l e e , A r m e e , I d e e , K a f f e e , K a n a p e e , M o s c h e e , T h e e […]. (Bayern 1879, 16)
Preußen formuliert identisch, ergänzt aber und benennt abweichende Fälle: „Zuweilen behält man auch é, um für auslautendes e die Betonung kenntlich zu machen, z. B. Exposé, Negligé, Café“ (Preussen 1880, 19, vgl. auch Sachsen 1880, 22). In welchen Fällen nun genau welche Schreibweise gilt, ist nicht aus den Regeln zu entnehmen.240 Zieht man den Kommentar zur preußischen Schulorthographie von Wilmanns zur Deutung hinzu, lässt sich schlussfolgern, dass in keinen anderen Fällen die Anwendung eines Akzentzeichens zulässig ist und es demzufolge auch keinen weiteren Regelungsbedarf gibt (Wilmanns 1880, 202, noch eindeutiger in Wilmanns 1887, 210).241 Das im Auslaut französischer Wörter ist in der württembergischen Orthographie überhaupt nicht zulässig. Es gibt zwei Assimilationsmöglichkeiten: zu oder zu . Damit weicht die Orthographie von den bisher benannten ab und zeichnet sich auch in diesem Bereich durch stärkere Assimilationstendenzen aus. Allerdings dürfte zugleich die Lesbarkeit der entsprechenden Wörter leiden, da bei der Tilgung des Akuts bei gleichzeitiger Unterlassung der Verdopplung die Betonungs- bzw. Längenkennzeichnung abhandenkommt. Württemberg bemüht sich um eine Formulierung von Regelungsbedingungen, indem die Stärke der Betonung als Kriterium benannt wird, wobei diese natürlich der Relativität unterliegt: „1. in stark betonten Endsilben mit auslautendem langem e […] wird ee […] geschrieben: A l l e e , A r m e e , F e e , I d e e , L i v r e e , K a f f e e , M o s c h e e , T h e e , aber mit minder betonter letzter Silbe das C a f e , K o m i t e […]“ (Württemberg 1884, 32).
240 Gleiches gilt für Sachsen 1880. 241 Wilmanns geht mit Sanders, der Détail, Porteépée, Réglement, Légèreté, Dépôt, Défilé aber defilieren, Allee aber Livrée, Idee aber Chaussée fordert, in die Kritik. Es sei „merkwürdig“, „solche Dinge von einem Manne gefordert zu sehen, der die Unterscheidung von griechischem k und lateinischem c als einen Mißgriff verwarf, weil man ihn von dem Ungelehrten nicht verlangen könne“ (Wilmanns 1880, 202). Dabei würdigt er nicht, dass Sanders zumindest bemüht ist, eindeutige Regelungskriterien zu benennen.
222
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
In seiner Zusammenfassung der Schulorthographien versucht Konrad Duden 1881 eine eindeutigere Regelformulierung, die dennoch nicht alle Fälle abschließend zu regeln vermag. Erstmals werden bei der Formulierung die beiden möglichen Ausgangsgrapheme benannt: Die französischen Wörter, welche auf betontes ée ausgehen, haben im Deutschen ee, z. B. A l l e e , L i v r e e , I d e e ; dieselbe Schreibung nehmen auch einige an, die auf betontes é ausgehen, z. B. K a f f e e , T h e e , K o m i t e e ; die übrigen auf betontes é ausgehenden behalten diese Schreibung im Deutschen z. B. das C a f é , A s s o c i é , C o u p é , N e g l i g é . (Duden 1881, 35)
Eindeutigkeit gibt es hier also für das Graphem im Auslaut: Hier ist in jedem Fall assimiliert zu schreiben. In den anderen Auslautfällen gibt es keine Eindeutigkeit: Die singulären Regeln sind hinzuzuziehen.242 Zusammenfassung: Entgegen der Vermutung, dass die Assimilation auch in den Regelwerken eine Selbstverständlichkeit ist, kann festgestellt werden, dass vor allem im Verlauf der zweiten Jahrhunderthälfte eine Problematisierung dieses Bereiches vorgenommen wird. Vor allem der Akut in französischen Wörtern wird positionsabhängig zum Thema. Trotz des wenigen Materials zur Regelung dieser Grapheme wurde deutlich, dass es besonders im späten 19. Jahrhundert immer mehr Bemühungen gibt, diesen Bereich zunehmend eindeutiger zu regeln, was letztlich allerdings nicht vollständig gelingt. So ist auch hier eine singuläre Regelung unverzichtbar. Generell zeigt sich aber – auch anhand der generellen Regeln –, dass mehr und mehr Assimilationen zugelassen werden (vgl. v. a. Württemberg). Beschränkt sich die Assimilation zunächst auf den Inlaut , so kommen am Ende des 19. Jahrhunderts auch Assimilationen im Auslaut v. a. bei hinzu (s. o. Duden 1881). Obwohl eine solche Entwicklung in der Regelung gezeigt werden konn-
242 In die Regelung zur Schreibung des Akutgraphems mischt sich am Ende des Jahrhunderts auch die Schrifttypenfrage. Wilmanns schreibt 1880: „Ob man in dem Fall, daß man Accente braucht, Fraktur- oder Antiqua=Schrift nehmen will, Exposé [Antiqua – Anm. A. Z.] schreiben oder Exposé [Fraktur – Anm. A. Z.], scheint uns sehr gleichgültig. Heyse […] schreibt é [Fraktur – Anm. A. Z.], ebenso Sanders; é [Antiqua – Anm. A. Z.] ist im allgemeinen üblicher, wenigstens im Druck; fremdartig ist beides“ (Wilmanns 1880, 202). Die Beobachtung, dass die Antiquavariante (im Frakturtext) die häufigere ist, lässt sich durch die vorgenommene Ususanalyse bestätigen. Wie genau die Regelwerke zu lesen sind, damit nicht Schrifttypenfragen mit orthographischen Fragen verwechselt werden, zeigt folgendes Zitat zur Kennzeichnung des Akuts aus Wilmanns späterer Publikation: „Die fremden Accente pflegen wir nicht beizubehalten, es sei denn, daß ein auslautendes e als betont bezeichnet werden soll; z. B. Abbé [mit in Fraktur – Anm. A. Z.] oder Abbé [mit in Antiqua – Anm. A. Z.]. Der Grund für diese Abweichung von der fremden Schreibweise liegt darin, daß in der Frakturschrift accentuierte Buchstaben fehlen. Accentuierte deutsche Buchstaben befremden das Auge ebenso wie der Gebrauch eines einzelnen lateinischen Zeichens neben den deutschen“ (Wilmanns 1887, 210). Der Bezug auf die Frakturschrift als die „deutsche Schrift“ sagt demnach nur, dass Akzentgraphien im deutschen Alphabet (und demnach auch in der deutschen Schrift) nicht ursprünglich vorkommen.
Auswertung des Befundes
223
te, muss betont werden, dass es sich um einen Regelungsbereich handelt, der nicht im Fokus der Autoren steht. Der Einbürgerungsstatus der Wörter spielt zusammenfassend betrachtet nur eine untergeordnete Rolle, d. h., die hier vorgenommene Regelung lässt sich nicht eindeutig der oben dargestellten allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung zuordnen. Völlig ohne Beachtung sind die Tonsilbenzeichen des Griechischen, Spanischen und Italienischen. Sie werden wie selbstverständlich getilgt und sind den Autoren daher keine Regelung wert.
3.4.2.6 Assimilationsresistente Grapheme: , , , , , und In diese Gruppe sind all jene Grapheme aufgenommen worden, für die es im Laufe des 19. Jahrhunderts kaum durchgreifende Assimilationsvorschläge in der Kodifikation gibt.243 Aus diesem Grund wird in dieser Darstellung der Fokus auf die Begründung für die Beibehaltung der Fremdschreibung, die Präsentation der Regeln im Regelwerk und (vereinzelt vorhandene) abweichende Regelungsvorschläge gelegt. Nun existieren freilich mehr Grapheme, die sich vollkommen einer graphemischen Assimilation entziehen, als die oben genannten. Es handelt sich bei den hier besprochenen nur um diejenigen, die auch in den Grammatiken und Orthographielehren relativ häufig thematisiert werden und insgesamt ein hohes Vorkommen aufweisen (vgl. Ususbefund). Die Darstellung ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird die Kodifikation der Grapheme , , , und möglichst chronologisch besprochen. Es schließt sich die Darstellung der Regelung zu und an, die aufgrund ihrer Komplexität separat erfolgt. Zuletzt wird auf Einzelfallassimilationen eingegangen.
, , , , Allen genannten Graphemen wird in den Regelwerken zwar eine häufige, aber keine besonders ausführliche Regeldarstellung zuteil, was ein geringes Regelungsbedürfnis offenbart. Oft erfolgt eine Nennung der Grapheme in einem Atemzug – zumindest in den späteren Regelwerken – mit anschließender Beschreibung des geltenden Gebrauchs, meistens unter Anführung einiger Beispiele.
243 Ausnahme: Reformvorschläge der Orthographischen Konferenzen (s. u.). Und natürlich bietet hier die radikal-phonetische Richtung auf der Grundlage ihrer generellen Regelung Assimilationsmöglichkeiten an. Da diese Publikationen wenig Einfluss auf die Kodifikation haben, darf dieser Fakt hier vernachlässigt werden.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Diese Beobachtung macht man schon bei Adelung: Für das Graphem findet er im graphem- bzw. phonembezogenen Teil seiner Arbeit nur wenige Worte. Er behandelt das Graphographem entgegen der Teilüberschrift „Wo es anstatt des k stehet“ (Adelung 1788, 261) mit seinen jeweils unterschiedlichen Phonembezügen in einem gemeinsamen Unterabschnitt, indem er konstatiert: Es stehet nehmlich anstatt des k […] [i]n fremden Wörtern, wo es zwar der Regel nach seinen eigenthümlichen Laut behält, Chaos, Chymie, China, und daher auch in den Französischen wie sch lauten muß, Chagrin, Charlotte, aber doch zu Anfange einiger weniger wie ein k gesprochen wird, Charte, […] Charakter, Chor, besonders wenn ein r folget: Christ, Christus, christlich, Christian, Christoph, Chronik, Chronologie. (Adelung 1788, 162 f.)
Dies ist vielmehr eine Feststellung des Gebrauchs denn eine Regel. Weiteren Regelungsbedarf sieht er offenbar nicht. Auch Heinsius und Heyse begnügen sich mit der Bemerkung, dass in allen betreffenden Wörtern besser sei als , und lassen ihr eine Liste von nicht assimilierten Beispielwörtern folgen (Heinsius 1807, 390; Heyse 1814, 141). In Bezug auf das Graphem muss als Erklärung der beibehaltenen fremden Schreibweise bei Adelung die folgende Erklärung genügen: Die Schreibweise „muß daher auch in allen den Fällen beybehalten werden, wo es nothwendig ist, einen Fremdling auch als einen solchen darzustellen“ (Adelung 1788, 179). Die Kennzeichnung der Fremdheit, zumindest der nicht indigenen Herkunft, wird auch im weiteren Verlauf des Jahrhunderts als Grund für die ausbleibende Assimilation angeführt.244 Heyses Erklärung für die Empfehlung zur Beibehaltung der fremden Schreibweise – in Bezug auf dargelegt – ist die bislang „wenig veränderte[n] griechische[n] Form“ (Heyse 1814, 135) der Wörter. Auf welche formalen Veränderungen er genau abzielt, ist anhand der Beispiele nicht eindeutig zu klären. Der Grad der äußerlichen Fremdheit spielt also auch hier eine Rolle. Es wird demnach ein umfassender Assimilationsvorgang angestrebt, der nicht auf die graphische Ebene bzw. hier nicht auf ein einzelnes Graphem beschränkt bleiben soll. Die nicht aus dem Griechischen stammenden Wörter beachtet Heyse nicht weiter. Es zeigt sich auch in den künftigen Orthographielehren, dass die meisten der oben genannten Grapheme als originär griechische Grapheme interpretiert werden und in dieser Tatsache auch die Gründe für das Ausbleiben von Assimilationsempfehlungen zu suchen ist (vgl. z. B. Heyse 1814, 118; Duden 1872, 66).
244 Vgl. Konrad Dudens Darstellung in seiner deutschen Rechtschreibung: „In griechischen Wörtern bleibt y, ch, ph, th und rh unangetastet, z. B. P h y s i k , C h o r , T h r o n . Die Neigung der neuhochdeutschen Sprache, die Fremdwörter als solche kenntlich zu machen, hat selbst die fremde Form wiederhergestellt, wo das Mittelhochdeutsche bereits deutsche Bezeichnung der Laute eingeführt hatte […]. In einigen Fällen hat sich die mittelhochdeutsche Schreibung in das Neuhochdeutsche gerettet, z. B. in F a s a n und E l f e n b e i n .“ (Duden 1872, 65)
Auswertung des Befundes
225
Beckers Grammatik ist das erste Beispiel dafür, dass die Grapheme und (und , Regelung s. u.) häufig in direktem Zusammenhang geregelt werden (Becker 1829, 411). Grund hierfür ist die Tatsache, dass diese Grapheme der griechischen Sprache zugeordnet werden. In Bezug auf den Ursprung ist das eindeutig, aber in Anbetracht der zahlreichen Mittlersprachen muss diese Beschränkung eigentlich aufgehoben werden. Auch in den aus dem Italienischen und Französischen entlehnten Wörtern soll keine Assimilation erfolgen, worauf allerdings nicht weiter eingegangen wird. Eine Assimilation wird bei Becker in keinem Fall in Erwägung gezogen. Der einzige Historiker, der sich zu den Graphemen ausführlicher äußert, ist Andresen. Der geltende Schreibgebrauch wird wie folgt beschrieben: Die vier aspiraten der griech. sprache, im lat. ch, ph, th und rh, von denen das nhd. lautsystem nur die erste kennt, werden in der regel beibehalten. Durchgehends, ohne rücksicht auf einbürgerung bleiben th und rh z. b. apotheke, theater, thron; rhabarber, rhetorisch, rhythmus. Bei ch und ph ist die nhd. schreibung berechtigt sich einzelne ausnahmen zu gestatten. (Andresen 1855, 152)
Auch er betont die griechische Herkunft und das Ausbleiben der Assimilationen bis auf wenige Fälle von und . Eine Assimilation von schließt er (wie alle seine Vorgänger und Nachfolger auch) vollständig aus und stellt sie als völlig abwegig dar: „Kommt doch keiner auf den gedanken lat. v in deutsches w zu verwandeln, obwol es den laut desselben hat, nicht einmal bei dem eingebürgerten worte ‚pulver‘“ (Andresen 1855, 156).245 Die gebrauchsorientierte Vorschrift zur Beibehaltung der fremden Schreibung findet sich unter Nennung von Beispielen für alle oben benannten Grapheme u. a. in den folgenden Regelwerken der Jahrhundertmitte: Bauer 1854, 131; Linnig 1869, 73; Kurhessen 1859, 31;246 Württemberg 1861, 14. Ab der Berliner Schulorthographie 1871 konzentriert sich die Regelung der Schreibung besagter Grapheme auf das Kapitel im Anhang „Fremdwörter“. So ist die Regelung der Grapheme ,
, , , (und auch ) jetzt immer Teil der Darstellung folgender Ausnahmeregel: „Oft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung“ (Berlin 1871, 17, vgl. auch Vorlage 1876, 25 f.; Bayern 1879, 15 f.; Sachsen 1880, 21; Württemberg 1884, 31,
245 Bis auf äußerst selten benannte singuläre Regeln (vgl. unten) finden sich für nur Beschreibungen des Vorkommens in Fremdwörtern (ausschließlich als ) – in einigen Fällen mit der Regel, dass dieses erhalten bleibt (z. B. Adelung 1788, 167; Heinsius 1807, 393; Heyse 1814, 136; Bauer 1854, 127; Sanders 1856, 6f; Linnig 1869, 73). Einzig Duden thematisiert auch die slawischen Wörter mit und stellt für selbige fest: „In slawischen Wörtern schwankt der Gebrauch; überwiegend steht noch v, doch ist w ebenso richtig“ (Duden 1872, 56). 246 „[D]ie den fremden Sprachen eigenthümlichen ph, th, rh, v, ch werden beibehalten“ (Kurhessen 1859, 31).
226
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
ähnlich auch Preussen 1880, 16247). Die üblichen graphemübergreifenden Regeln gelten hier nicht, wenngleich auch einige singuläre Assimilationen zumindest im Wörterverzeichnis vorzufinden sind. Im Kommentar zum preußischen Regelwerk setzt Wilmanns sich mit der Frage auseinander, ob in diesen Fällen nicht doch zu assimilieren sei, weil in den meisten betroffenen Phonographemen lautliche Veränderungen vorliegen (vgl. Kapitel 2.3.4.2) – vgl. graphemübergreifende Regel Preußens. Wilmanns erklärt allerdings, dass in Bezug auf die sog. „toten“ Sprachen nicht die ursprünglichen, sondern die aktuell artikulierten Lautverhältnisse entscheidend seien: Hinsichtlich der toten Sprachen ist nicht – wie schon durch den Wortlaut der Regel angedeutet ist – ihr ursprünglicher Laut maßgebend, sondern der, welchen wir jetzt im Gebrauch dieser Sprachen zu sprechen pflegen. Ein Wort wie Rhabarber behält sein rh, denn wir sprechen, wenn wir griechisch lesen, obschon die Griechen anders gesprochen haben mögen. Wir behalten aus demselben Grunde in Philanthrop ph und th, obschon sie im Munde des Griechen anders klangen. Es thut dabei auch gar nichts zur Sache, daß weder Rhabarber noch Philanthrop so in der griechischen Sprache vorkommen […], es kommt nur auf die einzelnen Laute an. (Wilmanns 1880, 190)
Generell bleibt zu bemerken, dass Wilmanns der Assimilation im Allgemeinen und der dem Ursprung nach griechischen Grapheme äußerst distanziert gegenübersteht, was er mit dem bestehenden Gebrauch begründet: Also Ausnahmen sind da, aber im Verhältnis zur Gesamtsumme der Fremdwörter so wenige, daß sie die Brauchbarkeit der allgemeinen Regel nicht aufheben. Wie mächtig diese über unserm Schreibgebrauch waltet, zeigen namentlich die griechischen Fremdwörter. Obwohl diese Sprache doch nur von einem kleinen Teil der Schreibenden gelernt wird, bestehen ihre ph, th, rh in Kraft und die Angriffe die [sic!] man gegen sie gerichtet hat, sind bis jetzt gescheitert. (Wilmanns 1880, 193)
Obwohl in den Regelwerken des gesamten Jahrhunderts keine durchgreifenden Assimilationsvorschläge gemacht werden, sind zumindest die Grapheme
, und Diskussionsthema auf den Orthographischen Konferenzen. Der Antrag auf der I. Konferenz, die Fremdgrapheme und mit Blick auf das Vorgehen in Italien durch deutsche zu ersetzen, wird allerdings abgelehnt, „weil eine so weit gehende phonetische Unbefangenheit der deutschen Natur zu widerstreben und auch nicht mit der bei deutschen Wörtern grundsätzlichen Berücksichtigung ihres Zusammenhanges und ihrer Herkunft in Einklang zu stehen schien“ (Protokoll 1876, 104). Das Bestreben der Herkunfts- bzw. Fremdheitskennzeich-
247 „In vielen Wörtern behalten wir auch für solche Laute, welche der deutschen Sprache nicht fremd sind, die fremde Bezeichnung bei“ (Preussen 1880, 16).
Auswertung des Befundes
227
nung (Kennzeichnung der fremden Aussprache) und der stark abweichende Gebrauch haben die Assimilation dieser Grapheme verhindert.248 Duden kritisiert daraufhin in seiner Zukunftsorthographie das stark konservative Vorgehen der Kommission in diesen Fällen, gesteht trotzdem die Gültigkeit der Argumente gegen die Assimilation zu. Außerdem argumentiert er mit der geringen Verbreitung der meisten betroffenen Wörter: In der Tat ist hier auch eine Umkleidung der Fremdlinge in deutsches Gewand noch fast gar nicht vorbereitet und würde um so mehr den Charakter des Willkürlichen oder gar Barbarischen an sich tragen, als die hierher gehörigen Wörter zum größten Teil im Volke wenig üblich sind oder doch entschieden als Fremde betrachtet werden. (Duden 1876, 76)
Auf der II. Orthographischen Konferenz sind die Grapheme , und wieder ein Thema. Der Antrag zum durchgängigen Ersatz von (zunächst nur) kommt aus Württemberg249 und Schwarzburg-Rudolstadt (Protokoll 1901, 287). Daraufhin entspinnt sich eine Diskussion auch über die anderen beiden Fremdgrapheme. Der durchgängige Ersatz250 der Grapheme durch deutsche PGB wird damit begründet, dass die Schreibungen von , und sehr üblich geworden seien (vgl. Ususbefund). Darüber hinaus werden die Italiener als Nachkommen der Römer, von denen die Grapheme übernommen seien, als Beispiel für gelingende Assimilation herangezogen und schließlich darauf verwiesen, dass die Entscheidung, künftig durch zu ersetzen, der neuen Regelung für
in deutschen Wörtern entspreche (Protokoll 1901, 294). Das bisherige Festhalten der fremden Schreibweise sei lediglich eine Konzession an die Gebildeten. Nach einer ausführlichen Diskussion wird der Antrag in der Abstimmung schließlich abgelehnt. Reformvorschläge des durchgängigen Ersatzes dieser drei Grapheme – zumindest als orthographische Variante (und nur bei üblichen Wörtern) – hat es auch im 20. Jahrhundert immer wieder gegeben (vgl. Übersicht Piirainen 1980, 123 f.), z. B.: „Bei den allgemein gebräuchlichen Fremdwörtern griechischen Ursprungs soll ph, th, rh durch f, t, r ersetzt werden. Die bisherige Schreibweise soll jedoch weiterhin zulässig sein“ (Wiesbadener Empfehlungen 1958, zit. n. Augst 1974, 53, vgl. auch Vorschlag zur Teilreform von Otto Back [Back 2006b, 72] oder Munske [Munske 2001, 24 f.]). Mangels angebahnter Entwicklungen in diesem Bereich haben sie sich allerdings bis heute nicht durchsetzen können.
248 Die meisten Sprachen – abgesehen vom Deutschen, Englischen und Französischen – ersetzen die Grapheme ,
, und (Back 2006a, 51), insofern gibt es zwar keine Analogien im Deutschen, aber viele andere ‚Vorbildsprachen‘. 249 Diese Tatsache stützt einmal mehr die bereits häufig dargestellte These der besonders assimilativen Haltung Württembergs. 250 Da das Einbürgerungskriterium schwer zu handhaben sei, müsse man die Assimilation bei allen entsprechenden Fremdwörtern anwenden (Protokoll 1901, 294).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Schließlich gibt es für diese Grapheme im amtlichen Regelwerk 1903 gar keine graphembezogenen Beispiellisten mehr. Es gilt der allgemeine Hinweis, dass feste Regeln nicht zu geben sind, ansonsten der Blick ins Wörterbuch Klärung schaffen möge (Vorlage 1901, 243; Regeln 1902, 312).
und Auch für und gilt im Wesentlichen das eben Gesagte. Das Augenmerk soll auf diese Grapheme allerdings noch einmal separat gelegt werden, da sich durch den unterschiedlichen Phonembezug von eine komplexere Regelung ergibt. Für das „lateinische y“ 251 mit dem Phonembezug /y:/ bzw. /ʏ/, auf das es im Rahmen dieser Untersuchung ankommt, sieht Adelung keinen Regelungsbedarf. Er beschreibt lediglich das Vorkommen des Graphems außerhalb des indigenen Wortschatzes und vereinheitlicht bei der Darstellung die – nach heutiger Analysefolie – unterschiedlichen phonemischen Entsprechungen: „Anders lautet daher das y in Griechischen und Lateinischen aus dem Griechischen herstammenden Wörtern, wo es fast wie ein ü gesprochen wird: Sylbe, System, Cyrus, und hier ist es das wahre y der Lateinischen Schrift“ (Adelung 1788, 145 f.). Auch Heinsius handelt die beiden verschiedenen phonetischen Entsprechungen des in einem Paragraphen ab252 (im Rahmen der graphembezogenen Regeldarstellung), indem er nichts weiter als die Verwendung des in griechischen Wörtern darstellt (Heinsius 1807, 389). In seiner Grammatik für die Sprachwissenschaft hingegen diskutiert Heinsius zumindest in einer Anmerkung den Vorschlag einiger Schriftsteller, „in allen Wörtern Griechischen Ursprungs, worin das y zwischen Konsonanten steht, statt desselben ein ü zu setzen, wie schon G o t t s c h e d vorschlägt“ (Heinsius 1825, 449), was etwa zu Schreibungen wie Aigüpten, Stül, Sülbe führe. Grundlage dafür sei die Analogie zu anderen vermeintlich aus dem Griechischen entlehnten Wörtern mit . Da dieser Zusammenhang aber nicht erwiesen sei, schließt sich Heinsius den Assimilationsvorschlägen nicht an (Heinsius 1825, 449). Die Phonembezüge entsprechen in den genannten Beispielen aus heutiger Sicht auch nur /i:/ bzw. /ɪ/ und nicht den eigentlichen Problemgraphemen mit Phonemkorrespondenz /y:/ bzw. /ʏ/.
251 Adelung unterscheidet im Unterkapitel „Von dem y“ (Adelung 1788, 245) zweierlei Herkunft des Graphographems. Dabei habe das „Deutsche[s] y“ mit dem „Lateinischen y nichts als die zufällige Figur gemein“ (Adelung 1788, 245). Der Autor erklärt das „deutsche y“ als eine Zusammenziehung von und . 252 Auch bei Friedrich Bauer ist eine Vermischung beider Phonembezüge zu erkennen, wie an den Beispielen Asyl, Styl und Tyrann festzustellen ist. Eine Assimilation empfiehlt auch Bauer nicht, lediglich das Lexem Silbe sei „alt und eingebürgert“ (Bauer 1854, 126) und demnach mit heimischer PGB zu realisieren.
Auswertung des Befundes
229
Dass eine Assimilation in der Kodifikation nur für die heutigen Entsprechungen von /i:/ infrage kommt, zeigt sich auch bei den Historikern Weinhold und Andresen: Weinhold formuliert hierzu eher eine Art Anmerkung denn eine Regel: „In fremden Worten mag es je nach dem Gebrauche entweder geschrieben oder mit i vertauscht werden“ (Weinhold 1852, 105). Bei Andresen gilt die Assimilation für diejenigen Wörter, „die in früherer zeit aufgenommen und als assimiliert zu betrachten sind“ (Andresen 1855, 152). Konkrete Beschreibungen des Gebrauchs oder Entscheidungshilfen für Zweifelsfälle, die die ‚Regeln‘ handhabbar machen würden, fehlen allerdings.253 Eine deutliche Trennung zwischen den beiden unterschiedlichen Phonembezügen in den Regeln zeigt erstmals Sanders in seinem Katechismus der deutschen Orthographie: Aber auch in Wörtern, die ursprünglich aus dem Griechischen stammen, wo sie y haben, schreibt man jetzt gewöhnlich i, wenn sie dem deutschen Sprachschatz vollständig einverleibt sind, so nicht bloß in Brille […], in Quitte […], sondern auch in Gips […], gipsen, Silbe […], Stil […], Satire […], so auch Zimbel neben Cymbel, Cymbal […]. Dagegen schreibt man y in den Fremdwörtern, die dem allgemeinen Sprachbewusstsein als solche gelten, wo es in der Ursprache steht, so in den griechischen Wörtern, wie Krystall, Myrrhe, Myrte, Tyrann rc. (Sanders 1856, 16 f.)
Es folgen weitere Beispielwörter mit dem Fremdgraphem bzw. . Neben dem Faktor der Einbürgerung wird hier ein weiterer Faktor – ungenannt – zugrunde gelegt: der Phonembezug. Ähnlich verhält es sich auch bei Linnig254 und in den Schulorthographien: Beispielgebend sei auf Kurhessens Orthographie verwiesen, die im Kapitel zu den „Schwankungen in den Vokalen“, das hier nicht zum Regelbereich der Fremdwörter gehört, zwar von der kategorischen Einschränkung auf die griechische Herkunft ablässt, ansonsten aber dasselbe Kriterium zur Assimilation angibt: die Einbürgerung. Der Assimilation unterliegen auch hier nur die Schreibungen mit dem Phonembezug /i:/ bzw. /ɪ/ wie z. B. Silbe, Gips und Stil (Kurhessen 1859, 21, vgl. auch Württemberg 1861, 10 und Berlin 1871, 117). Die Problematik des Phonembezugs von nimmt Konrad Duden in besonderer Weise in die Beschreibung der „Zukunftsorthographie“ auf. Er sieht es als Bedingung an, dass einer graphemischen Assimilation in jedem Fall eine phonemische Veränderung von /y:/ bzw. /ʏ/ zu /i:/ bzw. /ɪ/ vorausgehen müsse, so dass
253 Allerdings bleibt auch hier anzumerken, dass es sich bei beiden Schriften nicht um Regelwerke, sondern um eine Reformschrift zur deutschen Orthographie bzw. einen Kommentar handelt. Regelstatus streben diese Formulierung sicher nicht an. 254 werde laut Linnig nur noch in griechischstämmigen Wörtern verwendet. Auf diese Regel folgen Beispiele mit dem Phonembezug /y:/ bzw. /ʏ/>. Falls vollständige Einbürgerung vorliege, sei zu schreiben. Auf diese Regeln folgen ausschließlich Schreibungen mit dem Phonembezug /i:/ bzw. /ɪ/>: Gips, gipsen, Silbe, Satire, Kristall (Linnig 1869, 71).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
also generell keine Assimilationen für bzw. zu erwarten sind. Er verknüpft diesen Prozess der phonemischen Assimilation mit dem Einbürgerungsstatus von Fremdwörtern: Nur in den bereits ganz und gar in die Volkssprache aufgenommenen Wörtern K r y s t a l l und C y l i n d e r ist die Wandlung schon vollzogen und es würde den als leitend angenommenen Grundsätzen nicht widersprechen, wenn man gestattete, sie zu schreiben, wie man spricht: K r i s t a l l , Z i l i n d e r , wie man ja auch G i p s und S i l b e schreibt. (Duden 1876, 77) 255
Dass insgesamt für diese Grapheme keine Assimilationstendenzen bestehen, erklärt sich also nach Blick auf die Regelung vornehmlich mit dem Bedürfnis, die fremde Herkunft auch graphisch deutlich zu machen, darüber hinaus mit der griechischen Herkunft und letztlich – in Bezug auf – natürlich mit dem unterschiedlichen Phonembezug (und entsprechender vorangegangener oder ausgebliebener phonemischer Assimilation). Schließlich spielen sicher auch fehlende Analogien eine Rolle. Die zunächst angenommene mögliche Erklärung für ausgebliebene Assimilation bei , nämlich dass das durchaus noch als deutscher Buchstabe empfunden werde, scheint nicht der Grund zu sein, da auch im 20. Jahrhundert noch keine assimilative Tendenz in Bezug auf dieses Graphem zu erkennen ist.
Einzelfallassimilationen Die Assimilationsvorschläge beziehen sich zunächst einzig auf das Lexem Karte, „welches man immer als ein eingebürgertes Wort betrachten und daher in allen Fällen Karte schreiben könnte“ (Adelung 1788, 163). „Charte, aber auch häufig Karte“ (Heinsius 1807, 390) bemerkt auch Heinsius in seiner Schulgrammatik – allerdings ohne mögliche Gründe für diese Variantenschreibung zu nennen, wobei auch er seiner Beschreibung den Gebrauch zugrunde legt. Eine Begründung findet sich schließlich bei Heyse, indem auf die homonymdifferenzierende Funktion verwiesen wird: Karte in der Bedeutung von „Spielkarte“ wird gegenüber der „Landkarte“ mit realisiert (Heyse 1814, 141). In seiner sechsten Auflage von 1826 jedoch verändert sich die Regel, so dass hier sowohl Spielkarte als auch Landkarte in assimilierter Form vorzufinden sind (Heyse 1826, 82). Diese Regel wird auch bei Andresen wieder aufgenommen. Es sei das einzige Wort, für das der geltende Gebrauch des Graphems eine Assimilation zulasse: Karte, obwohl es durchaus angängig sei, „daß diejenigen wörter, welche mit diesem zeichen ursprünglich versehen, früh aufgenommen und eingebürgerte sind, dasselbe gegen deutsches k vertauschen, wenn zugleich die aussprache dafür stimmt“ (Andresen 1855, 152). So empfiehlt Andresen als (fast) einziger Grammatiker des 19. Jahrhunderts folgende Schreibungen: karakter, krist, kristlich und kro-
255 Die Vorschläge Kristall und Zilinder sind neu.
Auswertung des Befundes
231
nik.256 Die Kriterien des Einbürgerungsstatus und eines möglichst frühen Entlehnungszeitpunktes sind bekannt, wenngleich schwer für den Sprachnutzer zu ermitteln. Das viel zitierte Beispiel der bedeutungsunterscheidenden Variantenführung bei Charte und Karte wird auch von Sanders aufgenommen, allerdings wird im Unterschied zu Heyse eine andere Zuordnung von Bedeutung und Schreibweise vorgenommen: Charte ist zu schreiben, wenn die „Verfassung“ gemeint ist; die anderen Bedeutungen „Landkarte“ und „Spielkarte“ sind beide gleichermaßen assimiliert zu schreiben. Der stark am Gebrauch orientierte Sanders führt noch neue Beispiele ein, für die er eine Assimilation im Usus beobachtet hat: „[I]n K a m ä l e o n und K a m i l l e wird häufig schon k geschrieben“ (Sanders 1856, 73). Da der häufige Gebrauch bei Sanders zur Legitimierung einer Schreibweise führt, können beide als zulässige Varianten interpretiert werden. Die Diskussion um neue Varianten bzw. mehr assimilierte Schreibungen weitet sich mit dem Erscheinen der kurhessischen Schulorthographie aus, denn hier finden sich im Kapitel zur Schreibung der Konsonanten die folgenden Assimilationsvorschläge: Karakter, Kronik (vgl. Andresen), darüber hinaus auch die bereits bekannten Lexeme Karte (in bedeutungsunterscheidender Variante zu Charte) und Kamäleon (Kurhessen 1859, 22). Zutreffend sei diese Tendenz zur stärkeren Assimilation allerdings nur „je mehr das Wort als eingebürgert betrachtet werden kann“ (Kurhessen 1859, 22). Weitere Beispiele sind nicht vermerkt.257 Ab den Schulorthographien der 70er Jahre wird dann auf die besondere Nennung der Regel zur Schreibung von Karte verzichtet. Dass die „schon hie und da versuchten Neuerung[en]“ (Duden 1876, 77) – nämlich Karakter und Kronik – auf der Konferenz nicht berücksichtigt werden, bedauert Konrad Duden sehr. Er gesteht den Wörtern denselben Einbürgerungsstatus wie dem Wort Karte zu: „Für sie möchten wir gern auf ‚Zulässigkeit‘ plädieren“ (Duden 1876, 77). Auch bei beschränken sich die Einzelwortregelungen auf wenige Lexeme. Mit Fasan, Fantast, fantastisch, fantasiren, Fasele (Adelung 1788, 179) nennt Adelung bereits die wesentlichen Kandidaten, die er aufgrund des Gebrauchs und des Einbürgerungsfaktors ermittelt. Dasselbe Kriterium führt bei Heinsius zu folgender Liste singulärer Regeln: Fasan, Fantasie,258 Fantast, Sinfonie (Heinsius 256 Im Hintergrund für die Vorschläge Andresens steht die Tatsache, dass diese assimilierten Schreibweisen bereits im Mittelalter üblich waren, wie Andresen in der Fußnote zu den betreffenden Schreibungen bemerkt. Es ist üblich, dass sich die Historiker auf die Schreibungen aus dem Mittelhochdeutschen beziehen, da die Periode von vielen als Vorbild für die aktuelle Schreibweise gesehen wird (vgl. auch Roelcke 2009, 31). 257 Karte und Kronik auch bei Württemberg 1861 im Kapitel zur Schreibung der „Mitlaute“ (Württemberg 1861, 11). 258 In seiner Grammatik für die Sprachwissenschaft führt Heinsius die bedeutungsunterscheidende Funktion dieser assimilierten Schreibung an: Nur die Bedeutung „Musikstück“ darf die assimilierte Schreibweise erhalten. In allen anderen Fällen ist Phantasie zu wählen (Heinsius 1825, 456).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
1807, 395). Seine Gebrauchsorientiertheit bei der Beschreibung der Anwendungsfelder wird außerdem in der Darstellung folgender Beobachtung deutlich: „Einige Schriftsteller schreiben auch: F i l o s o f i e und J o s e f , allein die Mehrheit der Stimmen hat nicht dafür entschieden, weil man die Abstammung aus dem Griechischen zu erhalten wünscht“ (Heinsius 1807, 395). Die oben bereits diskutierte und in manchen Publikationen als Tatsache beschriebene Vermutung, die Historiker würden die fremde Schreibung möglichst unverändert übernehmen, da sie sich an älteren Sprachzuständen orientieren (z. B. Zabel 1987b, 4), ist auch hier nicht haltbar. Sichtbar wird das an der Kritik Andresens an manchen Schreibern, welche „um dem ursprunge möglichst nahe zu bleiben, beharrlich elephant schreiben“ (Andresen 1855, 158). Er betont ebenfalls, dass in einigen Schriften die Schreibungen filosof und fosfor zu finden seien, man aber wieder zu philosoph und phosphor zurückgekehrt sei. Darüber hinaus finden sich alle bekannten Assimilationsbeispiele auch in seiner Liste: fantasie, fasan, elefant, elfenbein. Diese assimilative Tendenz zeigt sich weiterhin in der Beschreibung der bislang noch nicht diskutierten Lexeme Kampfer und Triumpf. Dies seien Lexeme, bei denen Andresen eine Schwankung im Gebrauch beobachte, wobei sich in jedem Fall für die assimilierte Schreibweise zu entscheiden sei, denn „Verwandlung von mph in mpf liegt im mhd. häufig vor“ (Andresen 1855, 153). Und schließlich sei Kampfer „eingebürgert, wie insbesondere an dem auslautenden -er wahrzunehmen steht“ (Andresen 1855, 153). Auch Triumpf habe ein vollkommen deutsches „ansehen“ erhalten (Andresen 1855, 153). Andresens Schrift endet also nicht bei der Beschreibung des zeitgenössischen Usus, sondern gibt auch eigene Assimilationsvorschläge, die allerdings in anderen Regelwerken nur eingeschränkt Niederschlag finden. Sanders beschränkt sich bei der Assimilation dieses Graphems auf die Einzelfälle Fasan, Elefant (neben Elephant) und Sofa,259 wobei die letzteren beiden Beispiele nur als Varianten zu den nicht assimilierten Pendants zu sehen sind (Sanders 1856, 62). „Dagegen verdient P h a n t a s i e , p h a n t a s i e r e n den Vorzug vor der Schreibweise mit f“ (Sanders 1856, 62). Abgesehen von der mit dem morphematischen Prinzip begründeten Assimilationsschreibung von Elefant, sind keine weiteren Assimilationsfaktoren genannt. Die bisherige Darstellung zeigt zuweilen auch die Uneinigkeit der Grammatiker, die sich fortführt, wenn man Linnigs zugelassene ausschließlich spendersprachliche Schreibweisen Elephant und Phantasie betrachtet (Linnig 1869,73). Auch Wilmanns empfiehlt die Trennung von Fantasie und Phantasie nicht, ebenso wenig die von Sinfonie und Symphonie (obwohl es triftige Gründe gäbe: morphematisches Prinzip) (Wilmanns 1887, 212).
259 „S o p h a (ursprünglich arabisch, daher auch richtig mit f)“ (Sanders 1856, 62), lautet es in Sanders’ Beschreibung des Vorkommens von . Beide Schreibweisen sind daher zulässig.
Auswertung des Befundes
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Ansonsten herrscht aber Einigkeit über Fasan (z. B. Kurhessen 1859, 24; Württemberg 1861, 14; Berlin 1871, 17; Duden 1872, 65; Sachsen 1880, 21 f.; Preussen 1880, 17), Elfenbein (z. B. Berlin 1871, 17; Duden 1872, 65; Sachsen 1880, 21 f.; Preussen 1880, 17) und Elefant (z. B. Vorlage 1876, 25; Regeln 1876, 149).260 Zuweilen treten auch Kampfer (Kurhessen 1859, 24; Württemberg 1861, 14; Wilmanns 1880, 192) und Sofa (Württemberg 1861, 14; Wilmanns 1880, 193) hinzu.261 Für die Phonographeme und ist eine einzige Assimilation in den Regelwerken zu finden: Zilinder (Duden 1876, 77). Alle anderen Assimilationen beziehen sich auf die Phoneme /i:/ bzw. /ɪ/: Gips und Silbe (in Sachsen an anderer Stelle als in den bisherigen Schulorthographien: als Ausnahmen zu der Resistenz von , ohne dabei den unterschiedlichen Phonembezug zu berücksichtigen) (Sachsen 1880, 22). Bei Konrad Duden, in Preußen und Württemberg tritt Kristall dazu (Duden 1876, 77; Preussen 1880, 17; Württemberg 1884, 29). In seltenen Fällen finden auch Langvokalentsprechungen wie Stil und Sirup Eingang in die Regelung (Württemberg 1884, 29). Die sehr wenigen Einzelfallassimilationen von beschränken sich in den Regelwerken auf Karawane, Krawall, Krawatte, Lawine (Sachsen 1880, 21 f.; Preussen 1880, 17 [außer Krawatte]). Bei Sanders kam unter Berücksichtigung der slawischen Vorkommen von (vgl. oben) das Lexem Slawe dazu (Sanders 1856, 6 f.). Zusammenfassung: Die hohe Auftretenshäufigkeit dieser assimilationsresistenten Grapheme ist als Grund für die vielfache Regelung derselben in den Grammatiken anzusehen. Eigentlichen Regelungsbedarf gibt es nicht, da die vom Gebrauch hergeleitete Assimilationsresistenz auch in allen Regelungen deutlich gemacht wird und nur in Einzelfällen bei , und Assimilationen vorgeschrieben sind. Der Grund dafür, dass diese Grapheme zur Ausnahmeregel der graphemübergreifenden Fremdwortschreibungsregel („Oft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung.“ [z. B. Berlin 1871, 17]) gehören, ist nach diesem Befund darin zu suchen, dass einerseits der Gebrauch bislang konsequent auf eine Assimilation verzichtet und dass es demzufolge das Bedürfnis gibt, die Fremdheit bzw. die immer wieder betonte griechische Herkunft der betroffenen Lexeme (die laut Heyse an der gesamten eher fremden Form erkennbar sei [s. o.]) zu kennzeichnen. Auch die Reformversuche auf den Orthographischen Konferenzen können diese Sachlage nicht verändern.
260 Einzelfallregelungen zur Assimilation finden sich in den Schulorthographien immer als Ausnahmen zu der (Ausnahmen-)Regel: „Oft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung“ (z. B. Berlin 1871, 17), z. B. Fasan, Elfenbein (Berlin 1871, 17). 261 Sopha sei unberechtigt, da das Wort aus dem arabischen Wort suffa stamme, weshalb die fremde Schreibung in Preußen beseitigt sei (Wilmanns 1880, 193).
234
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
3.4.2.7 Regelung zur Schreibung weiterer Fremdgrapheme Es sind tatsächlich die am häufigsten auftretenden Fremdgrapheme (vgl. Ususbefund), die auch in den Grammatiken und Orthographielehren am ausführlichsten diskutiert und geregelt werden. Dennoch gibt es eine große Zahl weiterer Grapheme, die zumindest in einigen – manche nur in einem – der untersuchten Regelwerke in unterschiedlicher Intensität besprochen werden. Diese Grapheme seien im Folgenden (alphabetisch nach Graphographem) aufgelistet, bevor ihre Regelung im Einzelnen dargestellt wird. Verzeichnet sind alle Fremdgrapheme, die zumindest einmal erwähnt, allerdings nicht zwingend einmal geregelt werden. Tab. 19: Seltener auftretende Grapheme.
frz. Nasalvokale262
vor Kons.
Der Darstellung sei die Bemerkung vorangestellt, dass von den oben genannten 43 Fremdgraphemen 9 deutlich ausführlicher geregelt werden als die anderen (vgl. Markierung in der Tabelle). Was die Herkunft dieser neun Grapheme angeht, lässt sich eine Gemeinsamkeit feststellen: Sie sind alle signifikant französisch. (Es gibt noch weitere französische Fremdgrapheme unter den oben genannten, sie werden aber weniger häufig verwendet und weisen deshalb auch keinen besonders hohen Regelungsbedarf auf.) Diese Tatsache spiegelt das häufige Vorkommen französischer Lexeme im Deutschen, was – nach der Entlehnungswelle im 17. und 18. Jahrhundert – für das 19. Jahrhundert natürlich nichts Ungewöhnliches darstellt. Hier gibt es offenbar einen erhöhten Regelungsbedarf, dem die Orthographielehren ge-
262 Die französischen Nasalvokalgrapheme werden hier aufgrund der großen Anzahl nicht weiter aufgelistet. Verglichen mit der äußerst zurückhaltenden Darstellung und Regelung derselben in den Regelwerken wäre die Auflistung aller dieser Grapheme unverhältnismäßig.
Auswertung des Befundes
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recht zu werden versuchen. Für einige dieser Fremdgrapheme hat Kerstin Güthert hinsichtlich der Zulassung von Assimilationsschreibungen einige um die Jahrhundertwende entstandene Regelwerke untersucht und schreibt, dass für die Grapheme , , und sogar „Belege für integrierte Schreibungen sowie für Variantenschreibungen zur Zeit der Kodifikation um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bereits gegeben [sind]. Es zeigen sich aber deutliche Unterschiede im Integrationsstand […]“ (Güthert 2011, 27). Ob und inwiefern dies aus den Texten der generellen Regelungen hervorgeht, soll die folgende Darstellung zeigen. In Bezug auf die anderen Grapheme finden sich nur wenige regelartige Bemerkungen, die nur selten tatsächlich eine Entwicklung innerhalb des Jahrhunderts zeigen. Die Ausführlichkeit der weiteren Darstellung ergibt sich aus der Ergiebigkeit der Regelwerke. Im Folgenden werden die Analyseergebnisse zusammengetragen. Dabei werden allerdings nur die Grapheme aufgegriffen, für die tatsächlich Regeldarstellungen in den analysierten Texten zu finden waren. Es bleiben sieben Grapheme, von denen in einzelnen Regelwerken lediglich die Existenz derselben konstatiert wurde: – in französischen Wörtern, z. B. Crayon (Heyse 1814, 142) – in englischen und spanischen Wörtern, z. B. Church, Chinchilla (Sanders 1873, 89) – und in französischen Wörtern, z. B. Banquier, Filet (Heyse 1814, 115) – in spanischen Wörtern, z. B. Llanos (Sanders 1856, 93) – in englischen Wörtern, z. B. Whig, Whist (Sanders 1856, 62) – in französischen Wörtern, z. B. Renette (statt frz. reinette) (Wilmannns 1887, 232).263
bzw. , Es ist üblich, dass die Umlaute als Großbuchstaben im 19. Jahrhundert mit , und bezeichnet werden, wie Adelung konstatiert (Adelung 1788, 40). Das ist also ganz offensichtlich keine Frage der Assimilation, da diese Darstellung des Umlauts auch in heimischen Wörtern gängig ist, wie leicht anhand der Analysetexte festzustellen war. Eine etwaige Verwendung von , oder in Wörtern fremder Herkunft ist also kein Zeichen der Assimilation. In den Schulorthographien etwa wird , und gefordert (in deutschen Wörtern) und die andere
263 Auch heute noch, fast 125 Jahre später, sind beide Varianten Renette und Reinette zugelassen (vgl. Duden 2006, 847). Dass sich die assimilierte Schreibweise noch nicht eindeutig durchgesetzt hat, ist eventuell mit der geringen Verwendungshäufigkeit dieses Lexems zu begründen. Dazu müsste aber zunächst der Usus untersucht werden.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Bezeichnung , und für „verwerflich“ erklärt (z. B. Kurhessen 1859, 6, vgl. auch Erörterungen 1871, 17). Auch schon Adelung fordert Striche und Punkte zur Darstellung der Umlaute.264 Anders ist es bei Minuskeln zur Umlautdarstellung: Hier besteht schon lange vor dem Entstehungszeitraum der Analysetexte Konsens über die Darstellung in heimischen Wörtern (Moskalskaja 1985, 252). Sie wird durch ein über den jeweiligen Ausgangsbuchstaben gestelltes oder durch die Trema-Variante erreicht (Beck/Beck 2007, 39 und 66; Reichmann/Wegera 1993, 35). Demnach wären die Grapheme , oder tatsächlich als fremd zu werten. Hiervon ist das Graphem ein signifikant lateinisches, das denn auch in einigen Regelwerken aufgegriffen wird, wenngleich die Assimilation als so selbstverständlich angesehen wird, dass sie den meisten Grammatikern kein Wort wert ist. Heyse ordnet in seinem orthographischen Kapitel zur Darstellung der einzelnen Laute eine ausnahmslose Assimilation des Graphems an, die Graphemkombination sei der Kennzeichnung separater Phoneme (also /a/ + /ε/) vorbehalten: Man darf so wenig das große Ä und Ae, als das kleine ä und ae im Sprechen und Schreiben mit einander verwechseln. Beyde sind ganz verschiedene Laute, die selbst schon in bessern Buchdruckereyen von einander unterschieden werden. […] Man schreibt daher ganz richtig: Aerostatik […], so auch Israel, Michaelis […]; aber nicht Phaenomen, sondern Phänomen. Eben so. Ä.thetik und ästhetisch. (Heyse 1814, 113 f.)
Diese Zuweisung findet sich in vielen anderen Grammatiken wieder, so z. B. auch bei Daniel Sanders (Sanders 1856, 27). Darüber hinaus beschreibt Sanders hier die Assimilationsvorgänge genauer. Er benennt neben der relativ unkonkreten Bemerkung, dass „sich ä in vielen Fremdwörtern [findet]“ (Sanders 1856, 28), einen Strukturtypen, bei dem in jedem Fall eine Assimilation zu erfolgen hat: beim lateinischen Präfix prä-. In der folgenden amtlichen Phase ist von Raumers Konferenzvorschlag und -ergebnis das einzige Regelwerk, das im Bereich der Fremdwortschreibung eine Regel zur Assimilation dieses Graphems gibt: Ebenso wird griechisches ai, lateinisches ae im Deutschen durch ä widergegeben: Äquator, Ästhetik, Dämon, Hyäne, Pädagogik und die mit dem lat. prae zusammengesetzten Wörter wie Prälat, Präceptor, präpariren. (Regeln 1876, 147)
Diese Regel ist damit der allgemeinen Fremdwortregel pro Assimilation untergeordnet. Auch wenn das Fehlen des Graphems bei der Komplementärregel (kontra Assimilation) noch kein Beweis dafür ist, dass es ausschließlich zu assimilieren ist, so lässt sich aufgrund der Tatsache, dass das Graphem in anderen Schulorthogra-
264 „Es wäre daher zu wünschen, daß die Druckereyen der Current=Schrift folgten, und sich wieder an die mit Strichen oder Puncten bezeichneten a, o und u gewöhnten, wie die hiesige Breitkopfische Buchdruckerey, wenigstens in einigen Schriftarten, bereits gethan hat“ (Adelung 1788, 131).
Auswertung des Befundes
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phien (und auch in den anderen Regelwerken) überhaupt nicht besprochen wird und Duden in seiner Zusammenfassung der Schulorthographien schreibt, dass „das lateinische […] ae regelmäßig ä [wird]“ (Duden 1881, 32), Gleiches trotzdem schlussfolgern. Für dieses Graphem lässt sich also keine Entwicklung in der Kodifikation zeigen. Die wenig ausführlichen Besprechungen offenbaren außerdem, dass es sich um ein Graphem mit geringem Regelungsbedarf handelt.
bzw. Bei diesem signifikant französischen Graphem handelt sich um ein in der zweiten Jahrhunderthälfte relativ häufig besprochenes. Es wird erstmals in den Schriften der historischen Richtung aufgegriffen. Bei Weinhold findet es dergestalt eine kurze Erwähnung, als er das Einbürgerungskriterium und das Kriterium der lautlichen Assimilation von der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung auf dieses Graphem überträgt (Weinhold 1852, 128). Neben Weinhold äußert sich mit Andresen ein weiterer Vertreter der historischen Richtung zur Schreibung von . Wie bei den Graphemen , , und gehört das hier bezeichnete Phonem zu den „laute[n] der franz. sprache, welche im deutschen ohne schwierigkeit dargestellt werden können und in sehr vielen (lange nicht allen) fällen dargestellt werden“ (Andresen 1855, 158). Andresen benennt einige Beispiele der vielen Assimilationsschreibungen, z. B. kapitän, sekretär, domäne, ordinär, populär. Eine Regel mit einem explizit benannten Kriterium zur Kandidatenermittlung findet sich nicht, aber im Text lässt sich das Einbürgerungskriterium als Grundlage erkennen (Andresen 1855, 158). Sanders ist der erste Autor, der die assimilierte Schreibweise für einen bestimmten Strukturtypen verlangt und damit seine Regel tatsächlich handhabbar macht. So findet sich immer im Suffix -är, z. B. populär, vulgär, Kommissionär, Sekretär, Militär (Sanders 1856, 28, vgl. auch Sanders 1873, 7). Darüber hinaus benennt Sanders weitere assimilierte Schreibungen, die er allerdings nicht in eine konkrete Regel übernimmt (Sanders 1856, 28). In seinen „Vorschlägen zur Feststellung einer einheitlichen Rechtschreibung für Alldeutschland“ wird Sanders präziser und lässt Assimilationen regelhaft nur im Suffix -är und sonst nur bei vollkommen eingebürgerten Wörtern zu. Die Beibehaltung der fremden Schreibweise bleibt also die Regel: Außerdem schreibt man für das französische ai in der Regel auch im Deutschen ai. Statthaft ist ein Ersatz desselben durch ä niemals in Eigennamen […] und in andern Wörtern auch nur dann, wenn sie vollkommen eingebürgert sind und auch im Übrigen die Schreibweise vollkommen mit der Aussprache im Deutschen übereinstimmt. Doch auch in solchen Fällen ist das ai vorzuziehen schon aus Rücksicht auf den Zusammenhang mit andern Wörtern, in denen es nach dem Obigen stehen bleiben muß. (Sanders 1873, 7)
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Das Einbürgerungskriterium muss vollständig erfüllt sein, es dürfen außerdem keine weiteren Fremdgrapheme vorkommen. Darüber hinaus muss der Schreiber in der Lage sein, weitere Ableitungen des Wortes zu kennen: Sobald eine nicht assimilierte Form vorliegt, muss auch die entsprechende Ableitung mit geschrieben werden. Sanders nennt die Beispiele Maîtresse statt Mätresse wegen Maître; raisonnieren statt räsonnieren wegen Raison, Raisonneur (Sanders 1873, 8). Das ist zwar ein vergleichsweise konkreter Kriterienkatalog, er ist dennoch im Einzelfall nicht leicht zu handhaben. Das Graphem wird auch in den Schulorthographien aufgegriffen. In Kurhessen und allen nachfolgenden Schulorthographien findet es Erwähnung bei der Illustration der Regel zur Assimilation vollständig eingebürgerter Fremdwörter (Kurhessen 1859, 31). Als Beispiele finden sich hier: Militär (Kurhessen 1859, 31), Domäne, Kapitän, populär (Württemberg 1861, 14), zusätzlich Souverän, Sekretär, Migräne (Berlin 1871, 16), familiär, Fontäne (Vorlage 1876, 24). Es bleiben mehr oder weniger gleiche bzw. ähnliche Beispiele. In Preußen 1880 dann erscheint das Graphem erstmals in der Beispiellistung für beide Regeln zur Fremdwortschreibung, also auch bei der Regel zur nicht stattfindenden Assimilation (Preussen 1880, 16 f., vgl. auch Duden 1881, 32). In der Berliner Schulorthographie werden dann erstmalig zwei Strukturtypen benannt, auf die die Regel pro Assimilation besonders zutrifft: Suffixe bzw. Wortausgänge auf -än und -är. Dies übernimmt von Raumer in den Konferenzvorschlag, schließlich auch ins Konferenzergebnis (Vorlage 1876, 24; Regeln 1876, 147) und danach auch in die späteren Schulorthographien (Bayern 1879, 14; Preussen 1880, 17), wobei in der zweiten Auflage des Kommentars zur preußischen Schulorthographie betont wird, dass mit -än keine Bildungen mit ausgehendem französischem Nasalvokal gemeint sind (z. B. Refrain, Souterrain, Terrain) (Wilmanns 1887, 214). In seltenen Fällen wird das vorliegende Graphem auch als originär griechisches separat geregelt: Für diese Fälle stellt Sanders fest: „Dem αι griechischer Wörter und Namen entspricht im Lateinischen gewöhnlich æ und so werden sie bei ihrer Übernahme ins Deutsche in der Regel mit ä geschrieben […] Ästhetik […], Äther, […] Dämon“ (Sanders 1873, 6). Der Nutzer dieser Regel muss also in der Lage sein, die Herkunft des Wortes zu klären, bevor er zum orthographisch korrekten Schreibungsprodukt kommt. Es folgt eine weitere Regel (Ausnahme), die die fremde Schreibweise bei einer bestimmten Wirkungsabsicht legitimiert: „Nur wo man aus einem bestimmten Grunde die griechische Form hervorheben will oder muß, kann die Schreibweise mit ai Platz greifen“ (Sanders 1873, 6). Dies wäre etwa bei der Verwendung von Zitatwörtern der Fall. Dieses griechische Graphem wird danach auch in Rudolf von Raumers Konferenzvorschlag bzw. -ergebnis übernommen und (als einzige Orthographie der amtlichen Phase) mit einer konsequenten Regel zur Assimilation bedacht (vgl. auch oben ):
Auswertung des Befundes
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Ebenso wird griechisches ai, lateinisches ae im Deutschen durch ä widergegeben: Äquator, Ästhetik, Dämon, Hyäne, Pädagogik und die mit dem lat. prae zusammengesetzten Wörter wie Prälat, Präceptor, präpariren. (Regeln 1876, 147)
Sie ist damit der Regel der zu assimilierenden Wörter untergeordnet. In den späten Schulorthographien findet sich das griechische Graphem ebenfalls in der Beispielliste für die Regel pro Assimilation (vorher wurde es nicht aufgenommen) (Preussen 1880, 17; Sachsen 1880, 20). Die Besprechung des Graphems bei der Fremdwortschreibungsregelung endet – wie bei fast allen im Folgenden besprochenen Graphemen – in der Konferenzvorlage 1901, in der die Beispielliste auf wenige wesentliche Grapheme reduziert wird und generell nur noch Richtlinien statt Regeln bezüglich der Verwendung fremder bzw. heimischer Grapheme bei Wörtern fremder Herkunft gegeben werden (Vorlage 1901, 243). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zunächst ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Regelung des griechischen und des französischen Graphems vorzunehmen ist. Keine wesentliche Entwicklung ist für das griechische Graphem zu zeigen. Die Assimilation scheint unstrittig, daher auch der geringe Regelungsbedarf. Das französische Graphem wird deutlich häufiger geregelt. Es wird vor allem in den Regelwerken der zweiten Jahrhunderthälfte wichtig. Dort untersteht es im Wesentlichen der allgemeinen Regelung zur Fremdwortschreibung (vgl. Weinhold, Andresen, Sanders, Schulorthographien), d. h., Wörter mit Bürgerrecht sind eher zu assimilieren als die übrigen. In Bezug auf die Ausführlichkeit und Handhabbarkeit der Regeln sticht Daniel Sanders einmal mehr heraus, denn er ist der einzige Autor, der dem Leser zur Kandidatenermittlung mehrere Kriterien mit an die Hand gibt (Einbürgerungsstatus, Anzahl weiterer Fremdgrapheme, Fremdgrapheme in Ableitungen). Das Erkennen des Einbürgerungsstatus und die Zuweisung von weiteren Ableitungen des Lexems bleiben aber schwierig und so leidet auch hier die Handhabbarkeit der Regel. Die Bildung von Strukturtypen findet auch erstmalig bei Sanders 1856 statt und wird dann in weitere Orthographielehren übernommen, sie schafft Konkretes: eine anwendbare Regel. Außerdem macht Sanders als einziger explizit deutlich, dass Nichtassimilation die Regel ist. Die Regelung wird im Laufe des Jahrhunderts konkreter, insofern als ab 1856 zumindest in einigen Strukturtypen mit Sicherheit für eine Assimilation zu entscheiden ist. Ansonsten bleibt die Nichtassimilation die Regel und das Graphem unterwirft sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der allgemeinen Grundregel zur Fremdwortschreibung. Inwiefern diese Regel zur konkreten Zunahme von assimilierten Schreibungen führt, kann mit alleinigem Blick auf die Regelteile der Grammatiken und Orthographielehren nicht gesagt werden.
bzw. und Auch dieses Graphem wird erst in der zweiten Jahrhunderthälfte in den Regelwerken aufgegriffen, nämlich in den Schulorthographien – ab Berlin 1871 – und auch
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
in den Konferenzdokumenten, allerdings nur in der Liste der Beispielgrapheme, die die allgemeine Regel zur Assimilation untermauern (Berlin 1871, 16; Vorlage 1876, 24; Regeln 1876, 148; Bayern 1879, 14; Sachsen 1880, 20; Württemberg 1884, 29). Folgende Beispiele werden gegeben: Schaffot (Berlin 1871, 16 und alle anderen Schulorthographien), alle Ableitungen von marode (Wilmanns 1880, 191) und Karo (Wilmanns 1887, 233). In Preußen erscheinen dann – wie schon bei – auch nicht assimilierte Beispiele wie Epaulett, Fauteuil, Plateau, Niveau (Preussen 1880, 17). Die Beispielaufzählung in den vorangegangenen Schulorthographien deutet nicht etwa auf eine konsequente Assimilation hin, sondern vielmehr auf die Unterordnung der Lexeme mit diesem Graphem unter die allgemeine Regel zur Fremdwortschreibung. In den Konferenzdokumenten um 1901 spielt das Graphem wie keine Rolle mehr in der Regeldarstellung.
vor Konsonant (im Slawischen) Das nicht an nachfolgendes oder , sondern an Konsonant gebundene Fremdgraphem des Slawischen wird in den Grammatiken und Orthographielehren im Allgemeinen nicht beschrieben. Es findet nur in Sanders’ (äußerst ausführlichem) Regelvorschlag 1873 Erwähnung, indem die ausschließliche Assimilation angeordnet wird. Nur im Fall von Eigennamen könne die fremde Schreibweise „nothwendig werden“ (Sanders 1856, 85), z. B. Chodowiecki, Wisocki.
Dieses Graphem erweist sich beim Blick in die Kodifikation als wenig regelungsbedürftig: Die Assimilationsresistenz wird nicht infrage gestellt. So konstatiert Sanders, dass das Graphem bei der Aufnahme ins Deutsche unverändert bleibt (Sanders 1873, 84). Gleiches findet sich in Dudens Zusammenfassung der Schulorthographien. Hier zeigt sich auch ein möglicher Grund: Die Phonemkombination /tʃ/ gehöre laut Duden zu den fremden Lautverbindungen („Lautverbindungen, welche der deutschen Sprache fremd sind“ [Duden 1881, 30]), so dass die Regel zur graphischen Darstellung aus der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung ableitbar sei: Hier ist in jedem Fall eine Assimilation unzulässig.
bzw. Diese slawischen Fremdgrapheme werden nur bei Daniel Sanders kurz aufgegriffen und hier vollständig der Assimilation unterworfen, so z. B. Tschaike (= Ruderboot), Tschapka, Tschardas, Tscheche (Sanders 1873, 84). Nur im Fall von Eigennamen soll die Angleichung unterbleiben. Ähnliches war schon bei dem slawischen Gra-
Auswertung des Befundes
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phem zu lesen. Die Fremdheit der Gebersprache ist hier ein denkbares Argument für die sofortige Assimilation.
Hierbei handelt es sich um ein relativ häufig beschriebenes Graphem. Schon Adelung regelt dessen Schreibung und legt dafür die allgemeine Regel der Fremdwortschreibung zugrunde. Das Einbürgerungskriterium ist hier ausschlaggebend für die Assimilation, wobei es genügt, wenn das Wort „nur auf dem Wege [ist], selbiges zu erhalten“ (Adelung 1788, 192). So sei es „leicht zu beurtheilen“ (Adelung 1788, 192), wo statt französisch stehen müsse. Diese vermeintlich leicht zu treffende Entscheidung erweist sich beim Blick auf die genannten Beispiele mit bzw. ohne Assimilation als außerordentlich schwierig: Marsch, Faschine, Maschine, Schalotte, Schaluppe, Tusche, kuschen, Marschall und Niesche [sic!] stehen neben Chimäre, Chicane, Chevalier, Charletan, Chaise. Stellt man etwa Faschine und Chimäre mit Blick auf den Einbürgerungsgrad einander gegenüber, so lässt sich feststellen, dass beide Lexeme einen ähnlichen Status haben müssten: Die Betonung liegt auf derselben Silbe und bei Chimäre könnte sogar die bereits stattgefundene Assimilation eines Fremdgraphems Grund genug sein für eine weitere. Die Zuordnung der Kandidaten erfolgt hier doch eher nach anderen Gesichtspunkten (stark gemäßigter Purismus): Die letztgenannten Wörter wären noch nicht eingebürgert, „zumahl da man die meisten derselben vermeiden kann, und sie nur ohne Noth in die Deutsche Sprache mengt“ (Adelung 1788, 193). Ähnliche Beispiele und eine vergleichbare Regel, die als Assimilationsbedingung den Bürgerstatus nennt, finden sich bei Heinsius (Heinsius 1807, 397) und Becker (Becker 1832, 229). Bei ihrem Zeitgenossen Heyse liest man hingegen nur die Bemerkung, dass beide Schreibweisen möglich seien (Heyse 1814, 151). Ähnlich geht es auch bei den Historikern weiter: Karl Weinhold überträgt das Einbürgerungskriterium und das Kriterium der lautlichen Assimilation von der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung auf dieses Graphem (Weinhold 1852, 128), bei Andresen ist es nur das Bürgerrechtskriterium (Andresen 1855, 158), vgl. . In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts konstatiert Sanders hier Assimilationen vor allem in „einigen, zum Theil wesentlich umgeformten Wörtern: S c h a f o t t , Schalmei, Schalotte, Schaluppe, Schanze […], – Bresche, Depesche, Faschine […], Marsch, marschieren, Maschine, Nische“ (Sanders 1856, 73). Was genau Sanders unter „wesentlich umgeformt“ versteht, kann nur erahnt werden: Wahrscheinlich betrifft seine Regel vor allem die Wörter, deren Fremdheit man am graphischen Bild nicht mehr erkennt. Darüber hinaus führt Sanders einen (unabgeschlossenen) Katalog an Beispielen für weitere „häufig“ zu lesende assimilierte Wörter an: Broschüre, Schikane, Schimäre, Schokolade, Scharade (Sanders 1856, 73). Was diese Wörter im Einzelnen von der Gruppe der „wesentlich umgeformten“ Wörter abgrenzt, bleibt unklar.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Sanders wird 1873 konkreter und benennt die Kriterien genauer: Statt des französischen ch steht aber sch in einigen Wörtern, von denen einige deutschen Stammes sind, die meisten aber, dem Deutschen ähnelnd oder angeähnlicht, auch in ihren andern Theilen der deutschen Schreibweise nicht widerstreben, nämlich in: Artischocke; Bresche; Brosche, broschieren, Broschüre; Depesche, depeschieren; Dusche; Galosche; Gamasche; kuschen; Manschette; Marsch, marschieren; Marschall; Maschine […]. (Sanders 1873, 89)
Die Ungenauigkeit des Einbürgerungskriteriums ist nicht zu beseitigen, hinzu kommt aber noch ein zweites Kriterium: das Fehlen weiterer Fremdgrapheme.265 Die relativ häufige Erwähnung und Regelung dieses Graphems in der ersten Jahrhunderthälfte lässt erwarten, dass das Graphem auch in den Schulorthographien aufgegriffen wird. So findet es sich denn auch ab 1859 in allen Schulorthographien, meistens in der Graphembeispielliste zur Anwendung der Regel zur Assimilation vollständig eingebürgerter Fremdwörter (Kurhessen 1859, 31). Beispiele: Broschüre, Schärpe (Kurhessen 1859, 31), Schikane, Bresche, Depesche, Gamasche, Schaluppe, Maschine (Berlin 1871, 16), Manschette (Sachsen 1880, 20). Die württembergische Schulorthographie leistet sich sogar eine eigenständige Regel für dieses Graphem: „Für das französische ch ist in eingebürgerten Wörtern sch, für qu k zu schreiben: Marsch, Maschine, Schaluppe; Barke, Fabrik, Maske, Paket, Pike“ (Württemberg 1861, 15). Bei Preußen gilt wieder das für oben bereits Gesagte, dass hier also die Erwähnung von Beispielen für beide Regeln (für und gegen Assimilation) zu finden ist (Preussen 1880, 16 f.). Dasselbe gilt (in Preußen) auch für die unten besprochenen Grapheme bzw. , bzw. , bzw. und wird in den betreffenden Abschnitten nicht mehr erwähnt. Dass es weiterhin Wörter gibt, bei denen die Assimilation dieser Grapheme unterbleiben soll, leugnen auch die anderen Schulorthographien nicht, wie spätestens der Blick ins Wörterverzeichnis offenbart – sie nennen den Fakt nur nicht explizit. Im Kommentar zur Schulorthographie bemerkt Wilmanns, dass die Assimilation dieses Graphems im Vergleich zu anderen relativ weit fortgeschritten ist: Hier seien „etymologisch begründete Zeichen stärker bedrängt“ (Wilmanns 1880, 193) als anderswo (vgl. auch bei [s. u.]). In der überarbeiteten Auflage des Kommentars konstatiert Wilmanns nicht nur, dass „sch […] von allen Konsonanten sich am breitesten ausgedehnt [hat]“ (Wilmanns 1887, 234), sondern benennt auch die zunehmende Verbreitung von orthographischen Varianten, z. B. Chicane – Schikane, Chimäre – Schimäre, Charade – Scharade, Chokolade – Schokolade (Wilmanns 1887, 235, vgl. auch Duden 1881, 32 und 40). Auch Duden sieht die Assimilation dieses Graphems als „unbedenklich“ an, weil es in Bezug auf die korrekte Wiedergabe des Lauts unproblematisch sei (Duden 1872, 39).
265 Ungekennzeichnetes /i:/ scheint hier nicht als fremd wahrgenommen zu werden (Maschine).
Auswertung des Befundes
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Hier zeigt sich insgesamt also eine größere Assimilationsbereitschaft (über den Weg der Zulassung von Varianten), die mit dem zugrunde liegenden Gebrauch begründet wird.
bzw. Auch hier gibt es wie bei den Graphemen bzw. und sowie bzw. erst in der zweiten Jahrhunderthälfte einen Regelungsbedarf. Ähnlich wie oben genannte andere prominente Fremdgrapheme findet sich auch dieses Graphem in den Schulorthographien vorwiegend in der Beispielliste zur Ausdeutung der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung pro Assimilation bei eingebürgerten Fremdwörtern (z. B. in Kurhessen 1859, 31; Württemberg 1861, 14; Sachsen 1880, 20; Württemberg 1884, 29). Die Beispiele beschränken sich aber auf einige wenige Wörter, so dass Assimilation hier nicht als Regelfall anzunehmen ist: Möbel (Kurhessen 1859, 31), Pöbel, religiös (Württemberg 1861, 14), ominös (Berlin 1871, 16), Manöver (Regeln 1876, 147) – religiös und ominös als Vertreter des Strukturtyps -ös. Mit dem Erscheinen der Berliner Orthographie 1871 wird eine strukturtypenbedingte Assimilation hervorgehoben, nämlich „besonders in der Endung =ös“ bei Adjektiven (Berlin 1871, 16). Wilhelm Wilmanns begründet die durchgreifende Assimilation des Adjektivsuffixes -ös (und -tät) damit, dass sie „den entsprechenden fremden Endungen gegenüber als selbständige Gebilde [erscheinen], die daher der Regel gemäß nach deutscher Weise bezeichnet werden. Nicht so selbstverständlich ist das ä in den Endungen =är, =än, =äne“ (Wilmanns 1887, 214). Gemeint ist, dass beide Suffixe (-ös und -tät) stärker als -är oder -än zur Wortbildung im Deutschen genutzt werden und damit einen besonders hohen Einbürgerungsgrad aufweisen. Deshalb sei die graphemische Assimilation ausnahmslos erforderlich. Nicht so beim Substantivsuffix -eur, das „überall unverändert [bleibt]“ (Wilmanns 1887, 216), so z. B. bei Friseur, Gouverneur, Jongleur, Kondukteur, Monteur, Redakteur, Regisseur, Spediteur. Konrad Duden hatte 1872 noch ein anderes Argument gegen die Assimilation von -eur in seiner „deutschen Rechtschreibung“ angebracht: „[I]n M ö b e l , n e r v ö s u. a. hat ö ganz deutsche Aussprache, anders in der Endung =eur z. B. R e d a c t e u r , A u d i t e u r u. a., wo die Aussprache der Endung und die Betonung derselben dem Worte noch ausländisches Gepräge lassen“ (Duden 1872, 39). Das offene lange [œ:] kann als fremder Laut bzw. fremdes Phonem verstanden werden, wonach sich das Suffix dann der Hauptregel unterordnen würde, dass bei der Kennzeichnung von nicht indigenen Lauten die fremde Bezeichnung beibehalten werden soll. Sanders positioniert sich 1873 ebenso zu den zwei speziellen Suffixen, in denen das Phonem vorkommt: -eur und -euse (Sanders 1873, 130 f. und 139 f.). „Französi-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
sche auf -eur ausgehende Wörter bleiben, auch wo sie mit deutschen Lettern […] geschrieben werden, in der Regel in ihrer Schreibweise unverändert […]. Auch in den entsprechenden weiblichen Wörtern auf -euse […] bleibt die fremde Orthographie unverändert“ (Sanders 1873, 130). Diese Regel findet sich in seinem Kapitel „eur im Ausgang französischer Wörter“ und macht nur einen scheinbar vollständigen Eindruck. Soll die Regel vollkommen erfasst werden, ist eine Konsultation des Kapitels „os, ös als Endung von Fremdwörtern“ nötig. Hier erfährt der Leser, dass dasselbe Suffix von Adjektiven immer assimiliert zu schreiben ist (Sanders 1873, 139). Gründe dafür werden nicht angegeben. Dieses Graphem spielt – wie – dann in der Regelung der Fremdwortschreibung in den Konferenzdokumenten um 1901 ebenfalls keine Rolle mehr.
Die graphische Realisierung dieses Diphthongs wird nur bei Wilmanns im Kommentar zur preußischen Schulorthographie aufgegriffen: Bei der Besprechung der singulären Regeln bemerkt er zum Lexem Jockey: „ei für engl. ey gestattet W. [Württemberg 1884 – Anm. A. Z.] in Jockey; die übrigen verlangen oder empfehlen die englische Form“ (Wilmanns 1887, 234). Eine systematische Regelung des Graphems gibt es nicht.
bzw. Diese Grapheme wurden von mir in der Ususanalyse nicht als Assimilationskandidaten gewertet, weil es sich um die graphische Realisierung eines fremden Phonems handelt, so dass es folglich keine indigene Darstellungsmöglichkeit gibt. Weil die Grapheme aber in einigen Grammatiken und Orthographielehren eine – wenn auch stark untergeordnete – Rolle spielen, finden sie Aufnahme in der Regeldarstellung. Allen gemeinsam ist, dass die ausbleibende Assimilation aufgrund der Fremdheit des Phonems nicht infrage gestellt wird. Heyse und Sanders erwähnen zunächst lediglich die Existenz dieser Fremdgrapheme in aufgenommenen Wörtern (Heyse 1814, 151 f.; Sanders 1856, 74), wobei Sanders in einem nachfolgenden Kapitel „Von den Buchstabenverbindungen mit s und vom z“ erklärt, warum hier keinerlei Assimilation möglich ist: „[D]er eigenthümliche Laut des franz. j oder g läßt sich nicht durch sch ausdrücken und die Schreibweise: Serschant st. Sergeant, loschieren st. logieren ist tadelhaft“ (Sanders 1856, 91). Auch in Preußen 1880 fügen sich die Grapheme ganz der Hauptregel, dass fremde Laute und Lautverbindungen nicht mit spezifisch deutschen Buchstaben darstellbar sind und deshalb eine Assimilation unterbleiben muss (Preussen 1880, 16). Preußen ist das einzige Regelwerk, das solche fremden Lautverbindungen explizit auflistet, hierzu gehören auch , , und die französischen Nasalvokale.
Auswertung des Befundes
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Dieses Fremdgraphem, das im Wesentlichen nur italienische Wörter betrifft, soll grundsätzlich nicht assimiliert werden, weil das sonst entstehende Graphem die Aussprache des betreffenden Wortes verschleiern bzw. verändern würde: Ghetto – *Getto (ʒ), so die Darstellung bei Sanders (Sanders 1873, 132 f.). Besprechungsbedarf gibt es in den anderen Grammatiken nicht.
Auch hier zeigen sich im 19. Jahrhundert keinerlei Assimilationstendenzen in der Kodifikation und demzufolge auch kein Diskussionsbedarf. Heyse benennt nur das Vorkommen dieses Fremdgraphems in französischen Wörtern (Heyse 1814, 142), stellt aber keine Regeln zur Verwendung auf. Darüber hinaus wird dieses Graphem nur noch einmal von der preußischen Schulorthographie im Regelwerk aufgegriffen und der Hauptregel zugeordnet, dass Grapheme zur Realisierung fremder Lautverbindungen nicht zu assimilieren seien (Preussen 1880, 16). Als eine solche fremde Lautverbindung wird /nj/ hier verstanden. Demnach wird hier die fremde Schreibweise vorgegeben (z. B. Campagne, Champagner, Lorgnette).
Wie viele der oben genannten Grapheme wird auch dieses erst in der zweiten Jahrhunderthälfte in den Regelwerken aufgegriffen: Finden sich in den Schulorthographien die meisten bisher behandelten Grapheme der Regel zur Assimilation von Fremdwörtern untergeordnet, so gehört das Graphem zur entgegengesetzten Regel: „Oft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung“ (Berlin 1871, 17). Das Graphem wird erstmalig im Berliner Regelbuch aufgegriffen. Beispiele für die ausbleibende Assimilation: Intrigue, Guirlande, Guitarre (Berlin 1871, 17; Vorlage 1876, 26; Bayern 1879, 16; Sachsen 1880, 22), Drogue, Guillotine (Preussen 1880, 18). Der alleinige Blick ins Regelwerk bietet allerdings auch hier kein umfassendes Bild von der Regelung, wenn in allen Wörterverzeichnissen der Regelwerke um 1880 z. B. intrigieren (frz. intriguer) zu lesen ist.266 Die Konsultation der singulären Regeln erweist sich also auch in diesem Fall als unumgänglich für den konkreten Einzelfall. Mitten in der amtlichen Phase erscheint 1873 Sanders’ Regelvorschlag und auch hier wird das Graphem thematisiert. Im Wesentlichen will auch Sanders die fremde Bezeichnung beibehalten in Wörtern, „die wir offenbar zunächst aus dem Französischen in solcher Form ohne wesentliche Änderung der Aussprache übernommen haben“ (Sanders 1873, 135). Nicht veränderte Lautung des Lexems gegen-
266 Einzig in Konrad Dudens Zusammenfassung der Schulorthographien findet sich dieser assimilierte Sonderfall bereits im Text des Regelwerks (Duden 1881, 32).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
über der Existenz in der Spendersprache ist also in jedem Fall ein Grund für die Bewahrung der Fremdschreibung. Einer Assimilation stimmt Sanders im Einzelfall beim Lexem Intrige und all seinen Ableitungen zu, weil hier einerseits keine französische Aussprache mehr vorliegt und außerdem eine entsprechende lateinische Form intrigare vorliegt (Sanders 1873, 133). Sanders weicht im Einzelfall also von den Schulorthographien ab. Ebenfalls entgegen der Regelung in den Schulorthographien plädiert Duden in seiner „Zukunftsorthographie“ für mehr Assimilation und hält die Beibehaltung der Ursprungsschreibung in manchen Einzelfällen (auch etymologisch gesehen) für falsch: Wir halten das u hier für mangelhaft legitimiert: beide Wörter [Guirlande, Guitarre – Anm. A. Z.] sind nicht französischen Ursprungs und haben das u im Französischen nur erhalten, weil one dieses das g ganz anders ausgesprochen werden müsste; wir bedürfen seiner nicht, der Anlaut ist derselbe wie in girren. Überdies ist „Girlande“ gar deutscher Herkunft […] und wurde im Mhd., wo es zuerst aus dem Franz. entlehnt wurde, „Girlande“ geschrieben. Es dürfte daher die deutsche Schreibung, also Girlande, Gitarre, für beide zu gestatten sein. (Duden 1876, 77)
Er hält eine problemlose graphische Realisierung des Lauts für möglich und sieht daher die Beibehaltung der fremden Graphie als unnütz an. Dudens Vorschlag hat jedoch – zumindest in den Regelwerken – keinen Widerhall gefunden. Inwiefern die beiden abweichenden Vorschläge Sanders’ und Dudens (in den Regeltexten) auch in den singulären Regeln der Wörterverzeichnisse ihren Niederschlag finden, wird in Kapitel 3.4.3 zu zeigen sein. Für das hier besprochene Graphem gibt es zumindest in wenigen Einzelfällen eine Entwicklungstendenz ab den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts – hin zu mehr Assimilation.
Das Graphem wird nur einmal in die Kodifikation aufgenommen: In der preußischen Schulorthographie wird es der Hauptregel zugeordnet, dass Grapheme zur Realisierung fremder Lautverbindungen nicht zu assimilieren seien (Preussen 1880, 16). Als eine solche fremde Lautverbindung wird /lj/ hier verstanden. Demnach wird hier die fremde Schreibweise vorgeschrieben (z.B: Billard, Postillon, Bataillon). Assimilationstendenzen gibt es nicht.
und Eine systematische Behandlung oder Regelung dieser strukturell sehr ähnlichen Fremdgrapheme gibt es nicht in der Orthographiediskussion des 19. Jahrhunderts. Der einzige Autor, der sich zur (Nicht-)Assimilation äußert, ist Wilhelm Wilmanns in seinem Kommentar zur preußischen Schulorthographie. Es handelt sich in bei-
Auswertung des Befundes
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den Fällen um Wortausgänge bzw. Suffixe. Sie werden laut Wilmanns dann assimiliert, wenn eine Rückführung auf lateinische oder griechische Wörter möglich ist, z. B. Register (frz. régistre, lat. registrum), Meter (frz. mètre, lat. metrum), Liter (frz. litre, lat. litra). Ist allerdings die Entlehnung aus einer modernen (meistens der französischen) Sprache eindeutig und haben die Wörter darüber hinaus noch „undeutsche Laute“ (Wilmanns 1887, 215), wird die Assimilation nicht vorgenommen, z. B. Chiffre, Genre, Timbre, raisonnable. Es kommt eine letzte Regel hinzu: „Nur wo in dem Stamm des Wortes die fremde Bezeichnungsweise aufgegeben ist, darf auch nicht =le, =re geschrieben werden: Pöbel frz. peuple, Trubel frz. trouble, Puder frz. poudre“ (Wilmanns 1887, 215). Diese Regel findet sich allerdings, wie noch einmal betont werden muss, in einem Kommentar zu einem Regelwerk, in dem diese Grapheme überhaupt nicht erwähnt sind. Abgesehen davon ist die schreibungsleitende Potenz der Regel anzuzweifeln, weil davon auszugehen ist, dass die Entscheidung über mögliche lateinische Entsprechungen für den Sprachnutzer unzumutbar ist. Andererseits sind die „fremden Laute“ des Französischen natürlich gut zu erkennen, ebenso die fremden Phonographeme.
Nasalvokalgrapheme (z. B. an/ã/>, , , , Als erster Autor gibt Sanders eine Regel zur Schreibung dieser Grapheme an: In jedem Fall sei die Assimilation zu unterlassen, da Sanders immer fremde nasale Aussprache unterstellt (Sanders 1873, 137). Die einzigen Fälle von zugelassener graphematischer Assimilation sind graphophonemische Assimilationen (Leseaussprache), nämlich in jenen Wörtern, in denen eine biphonemische Assimilation zu Vokal + /n/ vorausgeht (Sanders 1873, 137). Auch die französischen Nasalvokale gehören zu den fremden Lauten und Lautverbindungen, die in der preußischen Schulorthographie zur Illustration der Regel kontra Assimilation genannt werden (Preussen 1880, 16). Einen neuen Regelvorschlag, der allerdings keinerlei Aufnahme in andere Regelbücher gefunden hat, liefern die radikal-phonetischen Reformer: Wir transskribiren [sic!] z. B. in durch eng, aber man würde jedes französische Ohr beleidigen, wollte man z. B. informer wie engflammer aussprechen. Wir haben eben kein Zeichen für den französischen Laut, und sind, da wir vorzüglich viele Namen mit Nasenlauten in die deutsche Rede aufgenommen haben, genöthigt, einen Buchstaben, am Besten ein ñ, unserm Alphabete hinzuzufügen. Das ng in Fremdwörtern, auch wenn wir den Laut germanisirt haben [biphonematische Assimilation – Anm. A. Z.], ist dennoch zu verwerfen, weil es die Schreibung schwerfällig macht, und mehr Zeit in Anspruch nimt; Dangtong wird auch für uns unkenntlicher sein als Dañtoñ. Dies vorausgesetzt können wir die Regel aufstellen: Das nasale n wird in Fremdwörtern ñ geschrieben – in deutschen nicht; also – Napoleoñ, Lioñ, Schampinjoñ, Schinjoñ, Garsoñ, Prisoñ […]. (Fricke 1877, 63)
Damit entspricht diese Regel den Bestrebungen der radikal-phonetischen Schule, für jeden Laut ein eigenes Zeichen bereitzustellen (hier ). So setzt sich auch der
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
fremde Nasallaut vom deutschen Nasal, der nach wie vor durch bezeichnet werden soll, ab. Hätte dieser Vorschlag Eingang in die Schulorthographien bzw. das amtliche Regelwerk gefunden, könnte man tatsächlich von einer Entwicklung in der Kodifikation sprechen. Aber der Vorschlag wurde aufgrund seiner Radikalität nicht angenommen.
Dieses Graphem wird nur in einem Regelwerk aufgegriffen: Die preußische Schulorthographie ordnet das Graphem der Grundregel zu, dass graphische Realisierungen fremder Lautverbindungen nicht zu assimilieren seien (Preussen 1880, 16). Als eine solche fremde Lautverbindung wird /oa/ hier verstanden. Demnach wird die fremde Schreibweise vorgeschrieben (z. B. Toilette, Memoiren).
bzw. Diphthongzeichen aus dem Griechischen sollen nach Wilmanns selbstverständlich getilgt werden, z. B. Ökonom, „weil andere Laute an ihre Stelle getreten sind“ (Wilmanns 1880, 191). Nur dieser Kommentar zu Preußen äußert sich zur Verwendung dieses Graphems; eine weitere Regelung gibt es nicht.
bzw. Heyse bemerkt 1814, dass es in Bezug auf dieses französische Fremdgraphem bereits einige Assimilationen gebe, verknüpft diese Bemerkung allerdings nicht mit einer Regel (Heyse 1814, 122). Eine solche Regel findet sich dann erstmals bei Andresen, der die Schreibung der Grapheme an das Einbürgerungskriterium knüpft (Andresen 1855, 158), vgl. Regelung zu . Sanders konstatiert nur, dass es im Wesentlichen die fremde Bezeichnung in ursprünglich französischen Fremdwörtern gibt. In einigen Fällen allerdings – „als dem Deutschen mehr oder minder ganz angeähnlicht“ (Sanders 1873, 207) – bezeichne man /u:/ auch mit , wobei Sanders hier den Gebrauch beschreibt, der ihm nicht in allen Fällen „allgemein empfehlenswerth erscheint“ (Sanders 1873, 207), z. B. Bluse, Butike, Luise. Auch dies ist ein Fremdgraphem, das sich – ähnlich wie andere oben genannte – in den Schulorthographien und Konferenzregelwerken vorwiegend in der Beispielliste zur Ausdeutung der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung pro Assimilation findet (z. B. in Kurhessen 1859, 31; Württemberg 1861, 14; Berlin 1871, 16; Vorlage 1876, 24; Regeln 1876, 147; Bayern 1879, 14; Sachsen 1880, 20; Württemberg 1884, 29), z. B. Luise (Kurhessen 1859, 31; Württemberg 1861, 14), Muskete, Diskurs, Konkurs, Truppe, Gruppe (Berlin 1871, 16; Vorlage 1876, 24), Bluse, Dublette (Preussen 1880, 17).
Auswertung des Befundes
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Doch natürlich zeigt auch hier der Blick ins Wörterverzeichnis, dass dieses Graphem keineswegs ausschließlich zur Assimilation vorgeschlagen wird, im Gegenteil: „Das frz. ou wird gewöhnlich durch ou wiedergegeben“ (Wilmanns 1887, 233). Dass sich die Schreibung auch hier der Hauptregel zur Fremdwortschreibung unterordnet, macht Wilmanns deutlich, wenn er schreibt: „Wir finden dieses [assimilierte – Anm. A. Z.] u zunächst in einer Reihe von Wörtern, die ganz deutsches Aussehen haben und meist mit kurzem Vokal gesprochen werden“ (Wilmanns 1887, 233), darüber hinaus aber auch noch in einigen anderen. Er versucht demnach, der Regel etwas mehr Handhabbarkeit zu verleihen, indem er auf bestimmte Strukturtypen aufmerksam macht, für die die Assimilation hauptsächlich gilt, nämlich eingebürgerte Wörter mit „deutschem Aussehen“ und Kurzvokal (Wilmanns 1887, 233). Umgekehrt gilt auch: „In Wörtern, die deutlich als fremde kenntlich sind, ist betontes ou selten aufgegeben“ (Wilmanns 1887, 233). Darüber hinaus stellt Wilmanns für die Schulorthographien Unterschiede in der Zulassung von Varianten fest (Wilmanns 1887, 233), welche sich wieder nur bei Lektüre der Wörterverzeichnisse offenbaren, z. B. bevorzugt Butike (Preußen, Sachsen), Boutique und Butike nebeneinander (Baden), ausschließlich Boutique (Württemberg). Dieses Graphem spielt – wie z. B. auch – in der Regelung der Fremdwortschreibung in den Konferenzdokumenten um 1901 keine Rolle mehr.
Sanders stellt dieses Graphem als ein Fremdgraphem in englischen (Bowle) und ursprünglich slawischen Lexemen (Eigennamen, z. B. Bülow) dar (Sanders 1856, 62), ohne Weiteres über eventuelle Assimilationstendenzen zu sagen. Die Tilgung des stummen in diesem Graphem gehört aber zu den Reformvorschlägen der Radikalphonetiker (Fricke 1877, 62). Dieser Vorschlag bezieht sich allerdings nur auf das slawische Graphem und hat letztendlich keinerlei Beachtung gefunden.
Dieses Graphem erweist sich – neben und – als ein relativ häufig beschriebenes. Bei Adelung gilt hier zunächst die allgemeine Regel zur Schreibung von Fremdwörtern. Das Bürgerrechtskriterium entscheidet darüber, ob assimiliert zu schreiben ist oder nicht. Die Wörter müssen mindestens „im Deutschen häufig gebraucht werden, und schon als halbe Bürger betrachtet werden können“ (Adelung 1788, 174). So empfiehlt Adelung – mit Verweis auf die darüber hinaus geltende Regel zur Verdopplung der Konsonanten in Fremdwörtern – die Schreibungen Baracke, Barke, Maske, Pike, Perrucke, oder Perrücke, blockiren, lackiren, Packet. Besonders im Auslaut von Fremdwörtern sei bzw. zu schreiben, wie auch Heinsius in einer Anmerkung zum Gebrauch von vermerkt: „Die Endung que in Französischen Wörtern verändert der Deutsche in ke, als F l a n k e , P e r ü c k e “
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
(Heinsius 1807, 395).267 Dem Wortlaut der Regel nach müsste die Assimilation im Auslaut folglich ausnahmslos umzusetzen sein. Eine Forderung, die zumindest im Usus nicht vollständig umgesetzt wird, und von Heinsius in ihrer Ausschließlichkeit sicher nicht gemeint war, vgl. z. B. Boutique (Heinsius 1818–1822). Später in seiner Sprachlehre für die Sprachwissenschaft korrigiert Heinsius seine absolute Formulierung, indem er der Regel das kleine Wörtchen „oft“ hinzufügt (Heinsius 1825, 457). Ein anderes Kriterium zur Assimilation des Graphems findet sich bei Heyse: Sofern weitere Fremdgrapheme in dem betreffenden Lexem vorliegen, unterbleibt die assimilierte Schreibung: „[E]s [das Fremdgraphem – Anm. A. Z.] bleibt in Wörtern, die auch in andern Buchstaben auf eine vom Deutschen abweichende Art geschrieben werden, z. B. in Boutique, Breloque, Bouqet [sic!], Coquette, Equipage […]. In andern dagegen wird gemeiniglich das q u e in k e oder c k e verändert z. B. Barke, Flanke, Marke […]“ (Heyse 1814, 141). Das bei Adelung schon vorgefundene Einbürgerungskriterium gilt auch bei Weinhold, der das betreffende Graphem zumindest kurz erwähnt. Daneben überträgt er auch das Kriterium der lautlichen Assimilation von der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung auf dieses Graphem (Weinhold 1852, 128). Das Einbürgerungskriterium liest man darüber hinaus auch bei Becker (Becker 1832, 229) und Andresen (Andresen 1855, 158). In den Schulorthographien und Konferenzregelwerken gilt in Bezug auf das Fremdgraphem Gleiches wie oben mehrfach für andere Grapheme bemerkt, dass es sich vorwiegend in der Beispielliste zur Ausdeutung der graphemübergreifenden Regel zur Fremdwortschreibung pro Assimilation findet (z. B. in Kurhessen 1859, 31; Württemberg 1861, 15; Berlin 1871, 17; Vorlage 1876, 25; Regeln 1876, 149; Bayern 1879, 15; Sachsen 1880, 20; Württemberg 1884, 29), z. B.: antik, Paket, Etikette (Kurhessen 1859, 31), Maske, Marke, Pike, Fabrik, Mosaik (Berlin 1871, 17), Lakai (Regeln 1876, 149). Wie für alle anderen vorher beschriebenen Grapheme bedeutet die Zuordnung zur Regel pro Assimilation nicht, dass konsequent alle betreffenden Wörter assimiliert werden sollen. Wilmanns versucht in seinem Kommentar zur preußischen Schulorthographie die Kandidaten nach Strukturen zu gruppieren: So tritt im Auslaut vorwiegend bei Adjektiven auf, bei den Substantiven sind es nur die, „welche das folgende e eingebüßt haben: Replik réplique, Picknick frz. piquenique […]. Die anderen werden verschieden behandelt“ (Wilmanns 1887, 216). „Ebenso wechselt die Bezeichnungsweise, wenn auf das qu noch eine andere Endung folgt. Im ganzen behauptet sich qu in den Wörtern, die auch sonst die Spuren der fremden Sprache zeigen: Liquer, Marqueur, Claqueur, Remorqueur […]“ (Wilmanns 1887, 217). Im Rückschluss lässt sich also sagen, dass assimiliert werden soll, wenn keine
267 Vgl. auch Franz Linnig: „In Fremdwörtern wird qu in= und auslautend meist wie k gesprochen, daher auch als Auslaut oft durch k ersetzt“ (Linnig 1869, 79).
Auswertung des Befundes
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weiteren Fremdgrapheme im Wort enthalten sind, z. B. Bankett, Etikette, Parkett. Dass es dennoch im Einzelfall im Wörterverzeichnis geforderte Schreibungen gibt, die gegen diese Regel verstoßen, stellt Wilmanns im selben Atemzug fest (z. B. Pikeur). Daniel Sanders beschäftigt sich in seiner Orthographie, die mitten in der amtlichen Phase erscheint, sehr ausführlich mit diesem Fremdgraphem und bündelt die bislang erwähnten Assimilationskriterien in seinen Regeln. So haben die Faktoren Einbürgerungsstatus, Position (Struktur) und weitere Fremdgrapheme Einfluss auf die Assimilation: Das im Französischen wie k lautende qu […] bleibt freilich im Anlaut von Wörtern unverändert; aber in der Mitte und auslautend (que) wird es bei deutschen oder im Deutschen eingebürgerten Wörtern gewöhnlich durch k [….], und unmittelbar nach geschärftem betontem Vokal […] durch ck ersetzt […]. Auch in der Mitte und auslautend aber wird q beibehalten in französischen Wörtern, wenn sie nicht eingebürgert sind oder sich in andern Theilen der Umformung nach deutscher Schreibweise entziehen, wie auch […] namentlich in Wortverbindungen. (Sanders 1873, 78 f.)
Allerdings gelten auch Sanders’ Regeln nicht uneingeschränkt. Das zeigt die Vagheit der Formulierungen, z. B. „gewöhnlich“ (Sanders 1873, 78). Dieses Graphem spielt – wie z. B. auch – in der Regelung der Fremdwortschreibung in den Konferenzdokumenten um 1901 keine Rolle mehr.
Für dieses Graphem gibt es im 19. Jahrhundert nur einen belegbaren Einzelfall, für den unterschiedliche Schreibweisen nachzuweisen sind. Nur ein Autor der Kodifikation – Daniel Sanders – erwähnt diesen Fall und gibt der fremden Schreibweise eine orthographische Variante: So gilt Zepter neben Scepter (Sanders 1873, 84). Eine grundlegende Regel findet sich nicht.
bzw. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird das Graphem nicht in die Regeldarstellung aufgenommen. Erst in der zweiten Hälfte beginnt die Thematisierung. Eine erste kurze Erwähnung findet dieses Graphem bei Weinhold, der – wie auch im Falle von – das Einbürgerungskriterium und das Kriterium der lautlichen Assimilation von der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung auf dieses Graphem überträgt (Weinhold 1852, 128). Das Einbürgerungskriterium liest man auch bei Andresen (Andresen 1855, 158) und Konrad Duden, wenn er (Duden) die Schreibung dieses Graphems seiner Grundregel zur Fremdwortschreibung unterordnet (Duden 1872, 39). Bei Daniel Sanders hingegen hängt die Schreibung dieses Graphems davon ab, ob es Ausspracheschwierigkeiten geben könnte aufgrund der Tatsache, dass mehrere Spendersprachen (französisch und lateinisch) infrage kommen:
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
Bei manchen Fremdwörtern nun könnte der Leser, wenn man das französische u überall durch u (nicht ü) wiedergeben wollte, in Betreff der Aussprache in Zweifel sein, ob er das fragliche Wort als unmittelbar aus dem Lateinischen oder erst als aus dem Französischen herübergenommen anzusehen und auszusprechen habe. In solchen Fällen und überhaupt, wo ein mit deutschen Buchstaben geschriebenes Wort sich nicht doch sonst als ein französisches bemerklich macht, wird man füglich das französische u mit ü bezeichnen müssen. […] Französische Wörter freilich, welche als solche auch ohnehin hervortreten, – indem darin auch außer dem u noch andre Buchstaben oder Buchstabenverbindungen in anderer Weise gesprochen werden als sie regelmäßig im Deutschen lauten würden, – lässt man füglich auch in Bezug auf das u bei der Umsetzung in deutsche Buchstaben ganz unverändert. (Sanders 1873, 202 ff.)
Generell sei also bei unklarer Herkunft der Laut nach den deutschen Regeln zu bezeichnen, also durch , z. B. Kalkul/Kalkül: Je nachdem, ob der Schreiber dieses Wort als ursprünglich französisches (frz. calcul) oder als lateinisches (lat. calculus) verstanden wissen will, sei für Ersteres die Schreibung Kalkül, für Zweites hingegen Kalkul angebracht. Beim Auftreten anderer französischer Fremdgrapheme soll die Assimilation unterbleiben. Dieses Graphem ist das letzte, das in den Regelteilen der Schulorthographien relativ häufig Erwähnung findet. Dabei gilt auch hier wieder einmal Gleiches wie oben mehrfach für andere Grapheme bemerkt, dass es sich in den Schulorthographien und Konferenzregelwerken vorwiegend in der Beispielliste zur Ausdeutung der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung pro Assimilation findet (z. B. in Kurhessen 1859, 31; Württemberg 1861, 14; Berlin 1871, 16; Vorlage 1876, 24; Regeln 1876, 148; Bayern 1879, 14; Sachsen 1880, 20; Württemberg 1884, 29), z. B. Broschüre, Lektüre (Württemberg 1861, 14), Kostüm, Tribüne (Regeln 1876, 148). Wilmanns bemerkt in seinem Kommentar zur preußischen Schulorthographie, dass das „ziemlich weit in die Scharen französischer Wörter eingedrungen [ist]“ (Wilmanns 1880, 193). Kurz darauf bewertet er die Assimilationsquote mit „verheerend“ (Wilmanns 1880, 193). Das sei nur noch in solchen Wörtern zu finden, die auch sonst fremde PGB aufweisen. In allen andern „pflegt ü einzutreten“ (Wilmanns 1887, 231). Trotz negativer Bewertung dieser „Regel“ und im Folgenden festgestelltem systematischem Defizit strebt Wilmanns keine Regeländerung an – wohl auch im Sinne einer einheitlichen Orthographie: Allgemein anerkannt ist die Regel freilich nicht, und wo sie verwandte Wörter verschieden zu schreiben zwingt, wird sie unbequem; z. B. amüsieren, amüsant: Amusement; debütieren, Debütant: Debut; Parfum: parfümieren. Aber ich wüsste sie nicht durch eine bessere zu ersetzen; in Dudens Wörterbuch ist sie, so viel ich sehe, durchgeführt. (Wilmanns 1887, 232)
Dieses Graphem spielt – wie z. B. auch – in der Regelung der Fremdwortschreibung in den Konferenzdokumenten um 1901 keine Rolle mehr.
Dieses äußerst seltene Fremdgraphem findet keine Beachtung in den analysierten Regelwerken. Lediglich im Kommentar zur preußischen Schulorthographie wird es
Auswertung des Befundes
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kurz von Wilmanns erwähnt, allerdings nur dergestalt, dass ein einziger assimilierter Fall genannt wird: Kürass. (Wilmanns 1880, 191).
Dieses äußerst seltene Fremdgraphem greift nur Konrad Duden (in der ersten Auflage seines Wörterbuchs) auf. Auslöser dafür ist eine Einzelfallschreibung, die Duden nicht ausschließlich in der Schreibweise der amtlichen Regelbücher übernimmt. Es handelt sich um das Wort Hasard, für das er die „unseres Wissens auch […] im Deutschen verbreitetere“ (Duden 1880, XIII) assimilierte Schreibweise aufnimmt und als gleichberechtigte Variante neben die fremde Schreibweise Hazard stellt. Er rechtfertigt sie allerdings nicht nur mit dem Gebrauch, sondern auch mit der völlig problemlosen Darstellung der Lautung. Zusammenfassung: In Bezug auf die deutlich seltener besprochenen Fremdgrapheme lässt sich kaum eine Entwicklung in der Kodifikation zeigen. Im Wesentlichen offenbaren sich drei Gruppen von Graphemen: a) Grapheme, die immer assimiliert werden (z. B. , vor Kons., , , , ) b) Grapheme, die nie assimiliert werden (z. B. , , , , und Grapheme mit sog. fremden Lauten: , , frz. Nasalvokale, ) c) Grapheme, für die zumindest eine (differenziertere) Regelung zu finden ist und bei denen, wenn auch häufig einzelfallbezogen, eine Entwicklung pro Assimilation zu sehen ist (z. B. , , , , ) Solche Gruppen konnten bereits bei den häufig besprochenen Graphemen festgemacht werden. Für die Gruppe c) ist festzustellen, dass im Wesentlichen die allgemeine Regel zur Fremdwortschreibung auf all diese Grapheme übertragen wird, d. h., dass etwa der Einbürgerungsstatus oder auch die lautliche Assimilation als Bedingungen für die graphematische Assimilation angegeben werden (vgl. z. B. Weinhold und Andresen bei , Adelung, Heinsius, Becker u. a. bei , Wilmanns bei und Adelung bei ). Vor allem in den Schulorthographien werden häufig Grapheme aus dieser Gruppe zur Illustration der allgemeinen Regel zur Fremdwortschreibung verwendet. Neben den üblichen Einbürgerungsfaktoren spielt auch das Vorhandensein von weiteren Fremdgraphemen eine Rolle in der Regelung dieser Gruppe: Weitere Fremdgrapheme sind häufig ein Ausschlussargument für die Assimilationsempfehlung (vgl. Sanders bei , Wilmanns bei und , Heyse bei und Sanders bei ), was natürlich in der Anwendung Konfliktpotenzial in Fällen mit gleichem Stammmorphem bietet. Abgesehen von diesen Regelungsdeterminanten fallen noch zwei weitere Assimilationsbedingungen auf: die Festlegung von Strukturtypen (Suffixe oder Aus-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Regelwerken
lautstrukturen), für die eine Schreibungsassimilation gelten soll (z. B. -är bei Sanders; -än und -är in den Schulorthographien; -ös als Suffix von Adjektiven in Berlin 1871 und bei Sanders; -k [statt ] im Auslaut bei Heinsius) und die Argumentation vom Usus her. So soll etwa in vielen Fällen von , und die assimilierte Schreibweise gelten, weil der Gebrauch diese Assimilationen bereits vorgebe (vgl. Andresen , Wilmanns , Sanders ). Interessant ist auch, dass viele seltene Fremdgrapheme erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Regelwerken besprochen werden. Das seltene Vorkommen dürfte hier der Grund sein, da zunächst die häufig frequentierten Grapheme einer Regelung bedürfen.268 Letztlich bleibt zu sagen, dass der insgesamt geringere Regelungsbedarf zu relativ wenig Besprechung in den Grammatiken und Orthographielehren führt und dass es im Wesentlichen einen Konsens von vollständiger oder ausbleibender Assimilation in den Regelwerken gibt. Dort, wo differenzierter besprochen wird, wird häufig die allgemeine Regel zur Fremdwortschreibung angewendet. In der Konsequenz bedeutet das auch hier, dass ein Blick in die singulären Regeln unerlässlich ist (vgl. , , lat. catastropha > griech. katastrophé, so dass im Einzelnen die Entscheidung über die tatsächliche Spendersprache nur mit Hilfsmitteln getroffen werden konnte. Folgende etymologische Lexika wurden benutzt: Duden 2001, Kluge 2002, Pfeifer 2005. Grundlegend waren die Angaben des Duden-Herkunftswörterbuches. Die anderen Autoren wurden lediglich in Zweifelsfällen (etwa bei der Nennung zweier Spendersprachen im Duden Herkunftswörterbuch) oder in Fällen hinzugezogen, in denen das betreffende Wort im Duden Herkunftswörterbuch nicht als Lemma aufgeführt wurde. Es wurde außerdem im Vorfeld die Festlegung getroffen, dass nur diejenige Sprache als Spendersprache akzeptiert wird, von der aus das Lexem in die deutsche Sprache aufgenommen wurde. Das heißt, es zählt nicht die ursprüngliche Herkunft, sondern die Vermittlersprache,284 auf deren Folie von Phonem-GraphemBeziehungen dann auch die graphematische Analyse stattgefunden hat. In den Fällen allerdings, in denen in den etymologischen Lexika explizit die Sprachangabe „griech.-lat.“ vermerkt wurde (über das Lateinische vermittelte Wörter griechischen Ursprungs), wurde dies auch so in die Analyse aufgenommen. In manchen Fällen war die Ermittlung der Spendersprache nicht möglich, da das betreffende Lexem in keinem der benutzten Herkunftswörterbücher aufgeführt war. In diesen Fällen erfolgte die Angabe „Spendersprache ng“ (nicht geklärt). Über diese Setzung habe ich mich nur in den Fällen hinweggesetzt, in denen die Herkunftssprache auch ohne Zuhilfenahme eines Wörterbuches vollkommen eindeutig bestimmbar war, z. B. bei naturwissenschaftlichen, vorrangig medizinischen Termini wie Colon transversum (Teil des Dickdarms), cauda equina (Ansammlung bestimmter Nerven) (beides Marx 1833) oder den folgenden französischen Termini aus der Mathematik: Combinaisons manifestes (kombinatorische Verfahren), dérivées successives (beides Hindenburg 1803).
284 In seltenen Fällen tritt das Niederdeutsche als Mittlersprache des Niederländischen auf (z. B. dt. Pack, vermittelt über das Niederdeutsche, Ursprung: ndl. pac [Duden 2001, 579]). Da der Sprachenstatus des Niederdeutschen in der Literatur umstritten ist (von Polenz 1999, 458), wird diese Sprache nicht als Spendersprache verstanden, sondern in diesen Fällen wird tatsächlich die Ursprungssprache Niederländisch angegeben.
Das Analyseraster zur Untersuchung der Gebrauchstexte
281
Die ungeklärte Spendersprache sorgt allerdings gleichzeitig auch dafür, dass das Inventar der Fremdgrapheme nicht eindeutig bestimmt werden kann. In diesen Fällen wurden nur eindeutig als Fremdgrapheme zu bestimmende Grapheme (z. B. Dysenterie , Grandjury ) aufgenommen. In wenigen Fällen war in allen Wörterbüchern die Angabe zweier möglicher Spendersprachen zu finden, meist einer Herkunftssprache und einer weiteren Sprache, die möglicherweise Einfluss hatte, z. B. philosophieren „16. Jh.; nach frz. philosopher und lat. philosophari“ (Duden 2001, 606); „(16. Jh.) aus lat. philosophari […]; Einfluß von mfrz. frz. philosopher ist möglich“ (Pfeifer 2005, 1004). In diesen Fällen konkurrieren nur Französisch und Latein miteinander, und so ergab sich die Klasse der Wörter mit „LF“ als Herkunftssprache (lateinisch oder/und französisch). Bei wenigen anderen Wörtern gibt das Herkunftswörterbuch eine Spendersprache an, die sich nicht bzw. in Konkurrenz zu anderen Spendersprachen im Formativ wiederfand. Porzellan etwa sei entlehnt aus it. porcellana (Duden 2001, 620). Die vorliegende Form Porzellain aber zeigt eher einen französischen Einfluss. In diesem Fall wurde zwar die Angabe aus dem Herkunftswörterbuch übernommen, die nicht zu dieser Spendersprache gehörenden vorgefundenen Fremdgrapheme allerdings trotzdem aufgenommen, hier also und .
4.2.6 Zitatwortstatus Dass Beschreibungen des Zitatwortes rar sind und sich aus dem Wenigen nur eine relativ bescheide Definition entwickeln lässt, wurde bereits in 2.3.5.2.2 dargestellt. Umso wichtiger wurde die Aufstellung möglichst handhabbarer und eindeutiger Zuordnungskriterien, die im Folgenden dargelegt werden sollen. Auf der Grundlage des unter 2.3.5.2.2 aufgestellten Definitionsversuchs wurden in der Ususanalyse prinzipiell folgende Wörter als Zitatwörter gewertet: Einwortund Wortgruppenlexeme, bei denen keinerlei formale Assimilationen (weder flexivische noch phonemische285 noch graphematische Assimilation [Großschreibung]) noch morphematische [Wegfall von Wortbildungssuffixen]) nachweisbar waren und die Verwendung des Antiquaschrifttyps in Frakturtexten zusätzlich die Fremdheit markierte. Aus dieser Bestimmung erwächst ein weiteres Problem: Die Erkennbarkeit von flexivischer Assimilation hängt zuweilen davon ab, wie sich das betreffende Lexem im Deutschen verhält: Findet z. B. ein Wortartwechsel statt, dann kann die gebersprachliche Flexion nicht mehr als fremdsprachliche Folie verwendet werden, z. B. in infinitum – unendlich; in corpore – insgesamt. Bei diesen „entlehnten Präpositionalgruppen, die mit fremder Präposition entlehnt werden, im allgemeinen adverbi-
285 Die phonemische Assimilation konnte nur bei den für die graphematische Assimilation relevanten Graphemen analysiert werden.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
al gebraucht werden und offenbar im Deutschen nicht analysiert werden wie de facto, a cappella, coram publico“ (Fuhrhop 2009, 37), wird das ursprünglich fremdsprachliche Substantiv (in vorliegenden Beispielen infinitum und corpus) nicht mehr als Substantiv verstanden. Daher ist die fremdsprachliche Deklination nicht mehr relevant und das Wort gehört auch nicht mehr zu den Kandidaten der Großschreibung (vgl. auch Eisenberg 2012, 317). Die Grenze aber zwischen Mehrwortlexemen mit erkennbarer und nicht erkennbarer Motivation ist fließend. Eine lexikologische Analyse größeren Umfangs war im Rahmen der Arbeit nicht möglich, weshalb für die Bestimmung der Zitatwörter folgende Wörterbücher zu Rate gezogen und mit den entsprechenden ‚Übersetzungen‘ aufgenommen wurden: Heyse 1922, Bruss 1999, Lieberwirth 1986, Morwood 1998, Wolf/Wittstock 1990, Sellner 1997.286 Ein Beispiel: Ad protocollum entspricht nach Heyse der Bedeutung zu Protokoll nehmen oder protokollieren. Hier kann sich also in der Übersetzung die Wortart verändern, weshalb dieses Lexem nicht als Substantiv im Rahmen einer präpositionalen Wortgruppe angesehen wird und demnach auch kein Deklinationsparadigma des Lateinischen angelegt wird. Nur wo dieser Wortartwechsel nicht erfolgen kann, wird das fremdsprachige Flexionsparadigma zugrunde gelegt. Insofern ist ein Unterschied anzunehmen zwischen Wörtern mit dem Strukturtyp Präposition + Substantiv (in infinitum, in corpore), die oft nicht Wort für Wort übersetzt werden (d. h. meistens ihre Wortart ändern) und den Strukturtypen Substantiv + Substantiv oder Substantiv + Adjektiv, bei denen in der Regel die Bestandteile erhalten bleiben. Als Zitatwort aufgenommen wurden die Belege, für die folgende Angaben zutrafen:
Tab. 22: Bestimmungskriterien zur Ermittlung der Zitatwörter. Flex. Ass.
Folgende Grundzüge der Bestimmung lassen sich daraus ableiten: Mindestens zwei der drei formalen Fremdmerkmale mussten nachweisbar sein, das dritte Merkmal
286 In diesen Wörterbüchern sind natürlich nicht alle Zitatwörter erfasst. Für die übrigen wurden die fachsprachlichen Wörterbücher herangezogen. 287 Pectoralis hier als Substantiv verstanden, Kurzform von musculus pectoralis.
Auswertung des Befundes
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durfte aber in keinem Fall assimiliert, sondern nur „ne“ (nicht erkennbar) oder „nr“ (nicht relevant) sein. Sobald also z. B. Großschreibung eines Substantivs vorhanden war, wurde der Beleg nicht als Zitatwort gewertet, da dies schon eine Form der graphematischen Assimilation ist. Lexeme, bei denen die flexivische (Nicht-)Assimilation nicht zu beweisen war (aufgrund von Flexionsformen ohne Flexionsmorpheme), der Schrifttyp nicht von Relevanz war, aber immerhin Kleinschreibung (bei Substantiven) beobachtet werden konnte, wurden als Ausnahmen zu den oben genannten ebenfalls als Zitatwörter gekennzeichnet. Das wurde möglich, weil sich diese Fälle auf diese vier Vorkommen reduzieren ließen: pectoralis, biceps, dérivée, musculus. Eine weitere Einzelfallausnahme ist in Antiqua gedrucktes à, bei dem weder die Kategorie der Groß- und Kleinschreibung noch der Flexion relevant war. Wurden Zitatwörter nur als Übersetzungen von vorangestellten Lexemen in Parenthesen gesetzt, so wurden sie nicht als Zitatwörter aufgenommen, sondern erhielten in der Analyse gewissermaßen Zitatstatus und wurden nicht in die Auswertung mit einbezogen, z. B. „Das erste Glied […], von welchem man alle übrige derivirt, heisst der A n f a n g o d e r U r s p r u n g (origine) (Unterstreichung – A. Z.) der Derivationen“ (Hindenburg 1803, 191).
4.3 Auswertung des Befundes In der folgenden Auswertung wird – im Anschluss an eine Darstellung der ermittelten Fremdgrapheme nach Vorkommenshäufigkeit – sowohl graphemübergreifend als auch graphemspezifisch die graphematische Assimilation in den Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts dargestellt. Dabei soll auch jeweils der tatsächliche Einfluss bzw. die Rolle der unter 2.3.5.1 dargestellten vermeintlichen Assimilationsfaktoren – zuweilen in Kombination – soweit objektiv nachprüfbar 288 ermittelt werden. Die Darstellung der Ergebnisse dieser Ususanalyse erfolgt immer auch mit Blick auf das Zusammenwirken von Usus und Kodifikation, so dass ein eigenständiges zusammenfassendes Kapitel entfallen kann. Die Auswertung kann jeweils in Bezug auf Types oder Tokens der Einträge vorgenommen werden. Es erfolgt grundsätzlich aus Raum- und Redundanzgründen nicht beides, sondern in der Regel die Auswertung nach Types, da auf diese Weise eine höhere Repräsentativität erreicht wird (trotz insgesamt natürlich weniger absoluter Zahlen).289 Die Ergebnisbeeinflussung durch stark gehäuftes Auftre-
288 Zu den nicht nachprüfbaren Faktoren gehören z. B. der Einfluss des Fremdwortpurismus, der Kommunikativwert oder die Verständlichkeit eines Wortes (vgl. Kapitel 2.3.5.1). 289 In manchen Fällen, in denen zwischen Types- und Tokensbefund kein signifikanter Unterschied besteht und eine Darstellung der vorgefundenen Vorkommenszahlen sich als sinnvoll erweist, werden abweichend vom oben Gesagten die Tokensbefunde dargestellt.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
ten bestimmter in allen Parametern identischer Wörter entfällt dadurch. Bei besonders großen Ergebnisunterschieden zwischen Types- und Tokens-Auswertung werden diese in der Auswertungsdarstellung besprochen.
4.3.1 Das Fremdgrapheminventar der Gebrauchstexte Der Auswertung liegt die Analyse eines Textkorpus zugrunde, bestehend aus 60 Gebrauchstexten (jeweils 8000 Wörter). Insgesamt wurden 3550 verschiedene Fremd- bzw. Lehnwörter gefunden (Types). Das zum Teil sehr gehäufte Auftreten dieser Wörter führte zu insgesamt 22782 einzelnen Fremdwortbelegen290 (Tokens). Innerhalb dieser Fremdwörter fanden sich 196 verschiedene Fremdgrapheme (Types). Aufgrund unterschiedlicher Auftretenshäufigkeit derselben gibt es insgesamt 38033 assimilierte oder nicht assimilierte Fremdgraphembelege (Tokens). Zum Vergleich: Heller kommt bei der Ermittlung des Fremdgrapheminventars des 20. Jahrhunderts auf Grundlage einer Wörterbuchanalyse auf insgesamt 293 Fremdgrapheme (Heller 1981c, 153 f.), von denen Munske allerdings nur 134 als häufig auftretend einschätzt (Munske 1997b, 110). „Eine definitive Angabe zur Anzahl der fremden Phonographeme im Deutschen verbietet sich“ (Heller 1981c, 153), da sie abhängt von dem zugrunde gelegten Untersuchungskorpus und auch vom Wesen des Gegenstandes: Aufgrund des ständigen Sprachenkontakts ist auch der Fremdwortschatz in ständiger Veränderung (vgl. auch Heller 1981c, 149). Bei der Ermittlung der Fremdgrapheme habe ich mich im Wesentlichen an das Inventar von Klaus Heller und Horst Haider Munske gehalten und bin nur im Einzelfall davon abgewichen, z. B. als ein Phonographem gewertet, weil die Lautverbindung in den Regelwerken des 19. Jahrhunderts als Einheit gesehen wird. Um den bereits bei der Regelanalyse vermuteten Zusammenhang zwischen Regelausführlichkeit und Auftretenshäufigkeit des Graphems zu zeigen, sei folgende Übersicht der Grapheme geordnet nach Vorkommenshäufigkeit in den hier analysierten Primärtexten vorangestellt:
290 Zugunsten einer einfachen Handhabbarkeit wird im Folgenden immer vereinfachend der Begriff Fremdwort benutzt, obwohl auch Lehnwörter gemeint sein können.
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Auswertung des Befundes
Tab. 23: Vorkommenshäufigkeit der einzelnen Fremdgrapheme.
291 Pro Graphem beträgt die anteilige Quote weniger als 0,1 %. Abweichungen von einer Gesamtquote von 100 % ergeben sich aus Rundungsdifferenzen. Das gilt auch für die Darstellung aller folgenden Ergebnisse.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Tab. 24: Vorkommenshäufigkeit der Doppelkonsonantengrapheme. Graphem
Die Doppelkonsonantengrapheme sind in oben stehender Übersicht einzeln aufgeführt worden. Um die Vorkommenshäufigkeit der Doppelkonsonanten- bzw. Einfachkonsonantengrapheme als Fremdgrapheme besser einschätzen zu können, seien sie in nachfolgender Übersicht als Gruppen dargestellt. So wird sichtbar, dass sie zusammen betrachtet einen relativ großen Anteil am Fremdgrapheminventar haben, was auch ihre häufige Darstellung in den Regelwerken des 19. Jahrhunderts erklärt.
4.3.2 Graphemübergreifender Befund nach Assimilationsfaktoren Ob sich die Darstellung der folgenden Ergebnisse auf Types oder Tokens, auf den Assimilationsstatus von Wörtern oder von Graphemen bezieht, wird im Folgenden immer mit angegeben und ist bei der Gesamtdarstellung eingehend zu berücksichtigen.
Auswertung des Befundes
287
Darüber hinaus muss vorangestellt werden, dass Faktoren wie Analogiebildungen und Positionsabhängigkeit an bestimmte Grapheme gebunden sind und daher in den graphemspezifischen Kapiteln dargestellt werden.
4.3.2.1 Allgemeine Auswertung Die allgemeine Auswertung soll die generelle Frage nach der Assimilationsquote von Fremdwörtern im 19. Jahrhundert und ihrer Entwicklung klären – ohne besondere Berücksichtigung spezifischer Grapheme und ohne den Einbezug von Assimilationsfaktoren. Es ist zu zeigen, ob und inwiefern sich die Tendenz in der Kodifikation, dass Assimilationsbestrebungen in der amtlichen Phase zunehmen, in den Usustexten spätestens um 1890 niederschlägt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kodifikation vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur – wenngleich vielfach beteuert – den Usus beschreibt, sondern dass sie (vor allem die Regelwerke der amtlichen Phase) die Assimilation im Usus über die Zulassung weiterer Assimilationsschreibungen vorantreibt. Die Assimilationsbestrebungen nehmen v. a. ab der I. Orthographischen Konferenz merklich zu (besonders in Bezug auf das fremde Graphographem ). Die Auswirkungen dieser Entwicklung in der Kodifikation zeigen sich im Vergleich der Ususwerte von 1860 und 1890, wie die folgende Darstellung erkennen lässt. Die durchschnittliche Vollassimilationsquote des gesamten Jahrhunderts (alle Grapheme einbezogen) beträgt 42,92 % 292 in Bezug auf die Grapheme und 33,18 % in Bezug auf den Assimilationsstatus ganzer Wörter (Tab. 32 und 33). Auch in Bezug auf die gesamte Entwicklung lässt sich in der Assimilationsquote dieser Unterschied von ca. 10 % zwischen Graphemen und Wörtern zeigen (Tab. 34 und 35, Abb. 3). Die Differenz erklärt sich v. a. daraus, dass viele der assimilierten Grapheme sich in teilassimilierten Wörtern befinden. In der Entwicklung der Assimilationsquote ist zunächst ein leichter Anstieg bereits von 1830 zu 1860 zu beobachten (um etwa 4 Prozentpunkte), dann aber noch einmal eine größere Entwicklung um 10 Prozentpunkte von 1860 zu 1890. Dies ist als Auswirkung der seit der Mitte des Jahrhunderts vermehrt vorzufindenden Regeln zur Assimilation zu deuten, die v. a. in den späten Schulorthographien besonders häufig auftreten. Der graphemübergreifend dargestellte Assimilationsschub zwischen 1860 und 1890 lässt sich allerdings keineswegs für alle Grapheme konstatieren, wie es zunächst den Anschein haben könnte. Schließt man die Grapheme und aus der Auswertung aus, so ergibt sich ein wesentlich weniger dynamisches Bild (Tab. 36): Liegt die Differenz der Assimilationsquoten zwischen 1800 und 1890 bei Einbezug aller Grapheme bei 14,44 Prozentpunkten (Quote der Grapheme), so
292 Hier besteht kaum eine Differenz bei separater Betrachtung von Tokens und Types. Sie liegt im Toleranzbereich von 1–3 %. Für die Darstellung wurden die Ergebnisse der Tokens favorisiert.
288
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 3: Entwicklung der Assimilationsquote (Grapheme, Tokens).
beträgt die Differenz bei Auslassen der -Grapheme 6,41 Prozentpunkte. Folglich spielen die beiden Grapheme im Assimilationsprozess des 19. Jahrhunderts (nicht nur in der Regelung) eine wesentliche Rolle. Dazu mehr im Abschnitt 4.3.3.1. Bemerkenswert ist ebenso die relativ konstant bleibende Quote teilassimilierter Schreibungen (in Bezug auf ganze Wörter), die sich jedoch zum Ende des Jahrhunderts leicht erhöht. So lässt sich schlussfolgern, dass am Ende des Jahrhunderts sogar dort Assimilationen – bevorzugt von und – stattfinden, wo weitere Fremdgrapheme vorliegen (also eigentlich gegen die häufig vorzufindende Regel, Mischschreibungen zu vermeiden, die die Autoren allerdings selbst oft verletzen). Diese durchschnittlichen Assimilationsquoten werden als Referenzwerte bei den folgenden Auswertungen nach Assimilationsfaktoren und nach Graphemen besonders wichtig und finden daher noch häufig Erwähnung.
4.3.2.2 Einfluss formaler Veränderung des Wortes In diesem Kapitel soll überprüft werden, inwiefern die in der Regelung und in der Sekundärliteratur häufig genannten formalen Assimilationsfaktoren in der Quote auch tatsächlich zu Buche schlagen. Bei der Ergebnispräsentation wird keine weitere Kapitelunterteilung in die Arten formaler Assimilation vorgenommen, weil auch die Kombination der Faktoren betrachtet werden soll. Die jeweils betrachtete Art der formalen Assimilation wird dabei am Anfang eines Abschnitts markiert, so dass auch ohne weitere Kapitelunterteilung die Übersichtlichkeit gewahrt bleibt.
Auswertung des Befundes
289
Phonische Ebene: In der Regelung zeigt sich die phonische Ebene besonders relevant bei der Zuweisung des Kandidatenstatus für bzw. gegen die graphematische Assimilation: Wörter, die fremde Laute enthalten, sollen nicht assimiliert werden. Als fremde Laute gelten dabei mindestens /ʒ/, /nj/, /lj/, /oa/, alle Nasalvokale und langes offenes /œ:/. Unklar bleibt allerdings, ob noch weitere hinzutreten, denn in manchen Beispiellisten dieser Regelung tauchen auch Lexeme auf, die m. E. gar keine fremden Laute enthalten (vgl. z. B. Preussen 1880, 16). Die nach der Grammatikerlektüre als „fremde Laute“ bzw. „fremde Lautverbindungen“ klassifizierten /ʒ/, /nj/, /lj/, /oa/, Nasale und langes offenes /œ:/ werden tatsächlich auch im Usus nahezu nie assimiliert (Tab. 37, Abb. 4). Die Assimilationen von /ʒ/ und Nasalvokalen sind in der Ususanalyse zwar nicht erfasst worden, das war allerdings auch nicht nötig, da es für diese fremden Phoneme keine etablierten heimischen Darstellungsmöglichkeiten gibt.293 Belege, die die aus dem Rahmen fallenden Zahlen zu begründen, sind allesamt Vorkommen des Wortes Postillion, bei dem von einer Teilassimilation gesprochen werden kann, weil zumindest der zweite Teil der Lautverbindung durch Einfügung von sichtbar gemacht wurde. Die Assimilationsschreibungen sind allerdings vorwiegend am Anfang des Jahrhunderts zu finden, als die eindeutige Zuordnung von zu den fremden Lautverbindungen in der Regelung noch nicht
293 Gleiches ist für die phonemisch assimilierten Nasalvokale (mit biphonemischer Assimilation) zu sagen: Auch hier findet allenfalls eine grapho-phonemische Assimilation (Leseaussprache) statt.
290
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
vorhanden war. Die Assimilationen des Graphems sind durch die Vorkommen zu erklären, in denen es sich tatsächlich um ein langes geschlossenes [ø:] handelt. In allen Fällen des auslautenden -eur (/œ:/) findet keine Assimilation statt, einzige Ausnahme bildet ein Beleg von Kulör (1800). Alle anderen Assimilationen beziehen sich in der Hauptsache auf das Suffix -ös (vgl. Kapitel 4.3.3.7.3). Aus der Darstellung der durchschnittlichen Assimilationsquote ergibt sich, dass auch keine Entwicklung innerhalb des Jahrhunderts zu zeigen ist. Eine weitere Frage, die sich mit Blick auf die phonische Ebene stellt, ist die nach dem Einfluss vorangegangener phonemischer Assimilation auf die Assimilationsquote der Lexeme, die im Folgenden beantwortet werden soll. Untersucht wurde – auf der Grundlage der gegenwartssprachlichen Aussprachefolie294 – bei welchen Fremdgraphemen eine phonemische Assimilation vorausgegangen ist bzw. vorausgehen müsste, bevor eine graphemische Assimilation folgt bzw. folgen könnte. Tab. 38295 zeigt zunächst zwar eine höhere Assimilationsquote für Lexeme mit vorangegangener phonemischer Assimilation (41,99 % gegenüber 30,64 %). Die Differenz von insgesamt etwa nur 11 Prozentpunkten entspricht allerdings nicht den Erwartungen, zumal das lautliche Kriterium in der Regelung der Fremdwortschreibung speziell in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts besondere Geltung erreicht. Zieht man die Zahlen der teilassimilierten Wörter allerdings hinzu, dann kann man eine deutliche Differenz der Quote nicht assimilierter Wörter der beiden Kategorien feststellen: Hier gibt es einen Unterschied von knapp 20 Prozentpunkten bezogen auf den Durchschnittswert des gesamten Jahrhunderts (ohne phonemische Assimilation: 52,11 % nicht assimilierte Wörter, mit phonemischer Assimilation: 30,79 % nicht assimilierte Wörter). Doch nicht nur der Vergleich der beiden Gruppen miteinander, sondern auch der Vergleich mit der Durchschnittsassimilationsquote des Jahrhunderts zeigt ebenfalls eine deutliche Differenz von 16,70 Prozentpunkten (Durchschnitt: 47,49 % nicht assimilierte Wörter, Wörter mit phonemischer Assimilation: 30,79 % nicht assimilierte Wörter), während diejenigen Wörter ohne phonemische Assimilation diese Differenz nicht aufweisen: Die Werte entsprechen im Wesentlichen der Durchschnittsquote des Jahrhunderts. Das zeigt im Besonderen den enormen Wert des phonemischen Kriteriums bei der Assimilation von Fremdwörtern. In Bezug auf die Grapheme ist zu sagen, dass auch hier diejenigen mit phonemischer Assimilation eher eine Assimilation erfahren als diejenigen, bei denen keine Veränderung der lautlichen Seite festzustellen ist. Der Unterschied liegt bei ca. 15 Prozentpunkten (Tab. 39).
294 Dass die heutige Aussprache nicht immer als Beschreibungsfolie des 19. Jahrhunderts dienen kann, wurde schon besprochen (vgl. Ruprecht 1854, 49), dennoch bot sich im Rahmen dieser Arbeit keine andere Analysemöglichkeit. 295 Alle in diesem Abschnitt folgenden Zahlen beziehen sich auf Types.
Auswertung des Befundes
291
Abb. 5: Assimilationsentwicklung bei vorangegangener phonemischer Assimilation (Wörter, Types).
Bemerkenswert ist zwischen den beiden Kategorien phonemisch assimilierter und phonemisch nicht assimilierter Wörter der – auch gegenüber den Durchschnittswerten des Jahrhunderts – deutliche Unterschied in der Anzahl teilassimilierter Formen (10 Prozentpunkte). Offensichtlich führt der Weg zur Assimilation bei den phonemisch assimilierten Wörtern deutlich stärker über diese teilassimilierten Formen (bei vornehmlicher Assimilation des phonemisch assimilierten Graphems), so dass der vielfach beschriebene Regelungsgrundsatz, möglichst keine Mischformen zuzulassen, nur eingeschränkt im Usus zu beobachten ist. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen phonemischer und graphemischer Assimilation in der Entwicklung des 19. Jahrhunderts, so ist besonders auffällig, dass sich die für das gesamte Jahrhundert konstatierte Entwicklung hin zu mehr Assimilation v. a. zwischen 1860 und 1890 (vgl. Kapitel 4.3.2.1) hier – zumindest statistisch – nur bei den Wörtern ohne vorausgegangene phonemische Assimilation widerspiegelt (Abb. 5, Tab. 40). Die Assimilationsquote bei Wörtern mit phonemischer Assimilation bleibt weitgehend konstant (gleichmäßig hoch um die 40 %), während die Wörter der anderen Kategorie – als Ganzes ebenso wie die einzelnen Grapheme – einen ähnlichen Assimilationsquotensprung von etwa 10 Prozentpunkten zeigen, der in der allgemeinen Entwicklung festgestellt wurde (Wörter: 29,47 % [1860] und 39,07 % [1890]; Grapheme: 38,48 % [1860] und 49,59 % [1890]). Bei der Assimilationsquote der Grapheme mit vorausgegangener phonemischer Assimilation ist in der Entwicklung sogar zunächst ein Rückgang festzustellen (Tab. 41, Abb. 6): von ca. 60 % in der ersten Hälfte des Jahrhunderts auf ca. 50 %
292
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 6: Assimilationsentwicklung bei vorangegangener phonemischer Assimilation (Grapheme, Types).
in der zweiten Jahrhunderthälfte. Ursache für diesen Rückgang ist das gehäufte Auftreten des Graphems (mit vorangegangener phonemischer Assimilation von französisch , z. B. Resolution, Situation, Zivilisation) im Analysekorpus der zweiten Jahrhunderthälfte (1. Hälfte: 41 Belege, 2. Hälfte: 108 Belege). Es handelt sich hierbei um ein in jeder Hinsicht assimilationsresistentes Graphem, bei dem keine weiteren Faktoren, die eventuell eine Assimilation begünstigen würden, wirken. Die Graphiken und Tabellen (Abb. 7, Tab. 42 und 43) lassen dieses Graphem unberücksichtigt. Darüber hinaus wurde in dieses Diagramm auch das Graphem nicht aufgenommen, da es in zwei naturwissenschaftlichen Texten der zweiten Jahrhunderthälfte oft nicht assimiliert in Gips und seinen Ableitungen auftritt. Ohne diese beiden Grapheme kommt es zu keinem Assimilationsrückgang der phonemisch assimilierten Grapheme, so dass diese Abbildung ein repräsentativeres Ergebnis abgeben dürfte. Darüber hinaus bleibt bei Vernachlässigung der eben besprochenen Grapheme der Abstand der Assimilationsquoten beider hier untersuchten Kategorien erhalten, auch am Ende des Jahrhunderts. Das ist – sofern und berücksichtigt werden – nicht der Fall: Hier hat es den Anschein, als würden sich die Assimilationsquoten beider Kategorien am Ende des Jahrhunderts annähern. Eine Repräsentativität ist allerdings erst durch Abb. 7 gewährleistet: Der Abstand verringert sich zwar zum Ende des Jahrhunderts hin (weil generell mehr assimilierte Formen am Ende des Jahrhunderts im Usus zu finden sind), dennoch bleibt er signifikant. Was sich allerdings auch unter Berücksichtigung des Sonderstatus von und nicht ändert, ist die Tatsache, dass sich für die Wörter mit vorangegangener
Auswertung des Befundes
293
Abb. 7: Assimilationsentwicklung bei vorangegangener phonemischer Assimilation ohne und (Grapheme, Types).
phonemischer Assimilation keine Entwicklung der Assimilationsquote zeigen lässt: Die Quote bezogen auf Grapheme schwankt um die – verglichen mit der allgemeinen Assimilationsquote deutlich höheren Zahl von – 60 %. Offensichtlich ist das, was die Grammatiker erst im Laufe des Jahrhunderts (und vermehrt in der amtlichen Phase) als Regel entwickeln, bereits vorher üblicher Usus, so dass die Regel hier eher als Ususbeschreibung zu verstehen ist. Im Folgenden soll kurz auf zwei (vorwiegend aus dem Französischen stammende) ausgewählte Grapheme bzw. Graphemgruppen eingegangen werden: Besonders die Verdopplung der Konsonantenbuchstaben nach vorausgegangener phonemischer Assimilation (Kürzung des Vokals, Entstehung zweisilbiger Formen aus einsilbigen, z. B. frz. groupe – dt. Gruppe) und der Ersatz von durch nach phonemischer Assimilation von zu (z. B. frz. situation – dt. Situation) ist Gegenstand der Sekundärliteratur (vgl. Wells 1990, 293, Tschirch 1986, 174). Tab. 44 zeigt, dass die graphemische Assimilation von nach vorangegangener phonemischer Assimilation tatsächlich bei einer – für das gesamte Jahrhundert gesehen – überdurchschnittlichen Quote liegt (63,66 %: z. B. v. a. in Auslautposition: Allianz, Bilanz, Finanz, Kommerz, Platz, Prinz, Tanz; aber auch anund inlautend, Ziffer, Zigarre, Zitrone, Zement, graziös, konzentrieren, Offizier). Mit diesem Ergebnis entspricht der Usus der Forderung von Wilmanns, das Graphem nach vorangegangener phonemischer Assimilation auch graphemisch zu assimilieren (Wilmanns 1880, 199). Noch deutlicher ist dies für die Konsonantenverdopplung nach gekürztem Vokal zu sagen (durchschnittlich 87,08 % assimiliert: z. B. Pantoffel, Rolle, Kontrolle, doppelt, Gruppe, Truppe, Schaluppe).
294
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Ebenfalls eine besonders hohe Assimilationsquote weisen die hochfrequenten Fremdgrapheme und auf. Die Analyse hat gezeigt, dass sie sowohl in der Regelung im 19. Jahrhundert als auch in der aktuellen Sekundärliteratur keine Rolle spielen. Dies hat seinen Grund, werden doch die Grapheme abgesehen von Wörtern mit zitatwortähnlichem Charakter und Eigennamen (indispensable, reasonable, responsable, Eskadre, illustre, Théâtre) nahezu ausschließlich und scheinbar selbstverständlich assimiliert, so dass es keiner Regelung bedarf. Weitere fremde formale Merkmale: Wenn Linnig 1869 (wie vor und nach ihm viele andere Grammatiker auch) sagt, dass die formale Ähnlichkeit von Fremdwörtern mit deutschen Wörtern vermehrt zu graphematischen Assimilationen führt, dann bezieht sich diese Ähnlichkeit nicht nur auf die eben untersuchte lautliche Ebene, sondern auch auf die Flexion bzw. die Wortstruktur (Linnig 1869, 80, vgl. auch Drosdowski 1974, 13; Adelung 1788, 112; Heinsius 1825, 440 f.; Heyse 1814, 92). Im Folgenden wird der Einfluss weiterer formaler Faktoren auf die Assimilationsquote der Grapheme bzw. Wörter überprüft. Flexivische Assimilation: Wie Tab. 45 und 46 zeigen, liegt die durchschnittliche Assimilationsquote bei gesichertem Vorliegen von flexivischer Assimilation zunächst nicht höher als die durchschnittliche Assimilationsquote des gesamten Jahrhunderts (ohne Einbezug weiterer Kriterien).296 Sie beträgt in Bezug auf die Tokens der Wörter 35,50 % (Types weichen nicht stark ab: 34,08 %). Eindeutig aber ist, dass das Ausbleiben von flexivischer Assimilation eine folgende graphemische Assimilation ausschließt: Nur 3,63 % (Types: 4,87 %) der flexivisch nicht assimilierten Wörter weisen eine graphemische Assimilation auf (die Fakta [T 11], alle Vorkommen von Jus – juris, Jure, juribus, Jura [T 15, 18, 30, 36], die Kapitäns [T 34], die Konklusa [T 5], die Trupps neben die Truppen [T 19] = abgeschlossene Liste).297 Mit Blick auf die Entwicklung im 19. Jahrhundert lässt sich sagen (Tab. 47, Abb. 8), dass es bei den Wörtern mit flexivischer Assimilation und bei den Wörtern, die eine flexivische Assimilation nicht eindeutig erkennen ließen, einen ähnlichen Quotensprung um 10 Prozentpunkte zwischen 1860 und 1890 gibt (bei stattgefundener flexivischer Assimilation: 34,90 % [1860] und 43,75 % [1890]; bei nicht er-
296 Die Abweichungen um 1–2 % liegen im Toleranzbereich und sind korpusbedingte, nicht aussagekräftige Schwankungen. 297 Alexandra Zürn behauptet, fremdes Lehngut müsse „gleich zu Beginn der Entlehnung grammatisch inkorporiert werden, damit es regelgerecht Verwendung findet […]. Im Gegensatz dazu kann ein Anglizismus in der ursprünglichen Schreibung in die deutsche Sprache übernommen werden“ (Zürn 2001, 170). Diese These ist nur insofern zu bestätigen, als dass graphematische Assimilationen nicht stattfinden, wenn die flexivische Assimilation ausbleibt. Ein Lexem muss aber nicht zwingend bei Übernahme auch gleich grammatisch angepasst werden, wie die Belege im Korpus zeigen.
Auswertung des Befundes
295
Abb. 8: Assimilationsentwicklung bei vorangegangener flexivischer Assimilation (Wörter, Tokens).
kennbarer flexivischer Assimilation: 25,93 % [1860] und 36,04 % [1890]298) wie bei der allgemeinen Entwicklungsauswertung (Gesamtkorpus). Die Entwicklung ist also in beiden Gruppen zu sehen, wobei die Prozentzahlen für die Wörter mit flexivischer Assimilation geringfügig über, die Prozentzahlen der Wörter mit nicht sicher erkennbarer flexivischer Assimilation leicht unter den Werten der allgemeinen Entwicklung liegen.299 Für die Entwicklung von Wörtern ohne flexivische Assimilation bestätigt sich das, was schon für den Jahrhundertdurchschnitt konstatiert wurde: Wörter ohne flexivische Assimilation bleiben von jeglichen Assimilationsentwicklungen ausgeschlossen, so dass hier auch keine Entwicklung zu zeigen ist. Die Assimilationsquote schwankt zwischen 0 und 5,56 %. Flexivische + phonemische Assimilation: Kombiniert man nun beide bislang genannten formalen Assimilationsparameter (vgl. Tab. 48), so zeigt sich in der Tat die höchste Assimilationsquote bei Wörtern, denen beide Assimilationsarten vorausgehen – und zwar eine mit Blick auf den Gesamtdurchschnitt des Jahrhunderts 18,32 Prozentpunkte höhere Quote (51,50 %). Bei nicht vorhandener flexivischer
298 Dass die Assimilationsquote für die Lexeme, deren Status für die Flexionsassimilation nicht eindeutig zu bestimmen war (z. B. bei Nominativen), niedriger ist, ist leicht zu erklären: Die nicht eindeutige Bestimmbarkeit schließt mögliche fremde Flexionsparadigmen nicht aus, so dass sich hier eine gemischte Gruppe ergibt, wenngleich auch anzunehmen ist, dass die deutliche Mehrzahl der heimischen Flexion folgt. 299 Das erklärt sich aus dem Fakt, dass es sich bei der „nicht erkennbar“-Gruppe streng genommen um eine Mischgruppe handelt, die womöglich auch vereinzelt Wörter fremder Flexionsparadigmen enthält.
296
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 9: Assimilationsentwicklung bei vorangegangener flexivischer und phonemischer Assimilation (Wörter, Types).
Abb. 10: Assimilationsentwicklung bei vorangegangener flexivischer Assimilation und ausgebliebener phonemischer Assimilation (Wörter, Types).
Assimilation hingegen ist es nicht von Belang, ob eine phonemische Assimilation vorliegt (was ohnehin selten vorkommt: nur in 13,60 % aller Fälle [60 von 441 Belegen]) oder nicht: Die Assimilationsquote bleibt bei unter 5 %. Das Kriterium der
Auswertung des Befundes
297
Abb. 11: Assimilationsentwicklung bei nicht vorhandener flexivischer Assimilation und stattgefundener/ausgebliebener phonemischer Assimilation (Wörter, Types).
ausbleibenden flexivischen Assimilation dominiert also das lautliche Kriterium. Durch das Beibehalten der flexivischen Assimilation rücken die Wörter stark in die Nähe der Zitatwörter, da der Zitatwortstatus sich in großen Teilen über die Flexion bestimmt. In Bezug auf diese jahresschnittübergreifenden Daten stimmen die Werte der Types und Tokens überein. Um eine Entwicklung zu skizzieren, ist es nun aber erforderlich, die Types zu betrachten, weil v. a. einige Wörter mit phonemischer Assimilation in fremder Schreibweise übermäßig häufig auftreten (z. B. Contingent, Officier, Pro Cent). Augenfällig sind v. a. folgende Beobachtungen: Abb. 9 bis 11 und Tab. 49 zeigen, dass nicht die Wörter eine besondere Entwicklung zeigen, die schon flexivisch und phonemisch assimiliert sind (hier ist die Quote gleichbleibend hoch bei durchschnittlich ca. 50 %, vgl. Abb. 9). Davon war auszugehen, da schon bei der separaten Betrachtung des phonemischen Kriteriums keine Entwicklung zu zeigen war. Eine Entwicklung kann ausschließlich bei den Wörtern verzeichnet werden, die zwar flexivisch assimiliert sind, aber keine phonemische Assimilation aufweisen (vgl. Abb. 10). Hier findet man wieder die bekannten Werte und den bekannten Entwicklungssprung (30,17 % [1860] und 40,95 % [1890]). Diese Betrachtung zeigt also, dass die Annahme des heimischen Flexionsparadigmas als Voraussetzung für den Erwerb des Kandidatenstatus für eine graphemische Assimilation zu werten ist. Außerdem wird an Abb. 11 und Tab. 49 auch deutlich, dass das flexivische Kriterium das phonemische dominiert: Sobald die Flexion nachweisbar einem fremden
298
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Paradigma folgt, ist es unerheblich, ob eine phonemische Assimilation innerhalb des Wortes vorliegt oder nicht: Die graphemische Assimilation unterbleibt in der Regel.300 Substantivgroßschreibung: Für den substantivischen Bereich kann die Auswertung nach formalen Merkmalen noch um ein zusätzliches Merkmal erweitert werden: Die Assimilation der Initialschreibung der Substantive (Großschreibung) wurde begleitend zur phonographematischen Assimilation untersucht. Nach Heller ist die Großschreibung der erste graphematische Assimilationsschritt, auf den weitere folgen (Heller 1980b, 176). Zunächst lässt sich mit Blick auf den Usus – analog zum Einbezug der flexivischen Assimilation – sagen, dass die Kleinschreibung von Substantiven eine graphemische Assimilation praktisch ausschließt (Tab. 50). Eine Assimilation ist nur bei 10 von 149 Einträgen (= 6,71 %) zu verzeichnen: alkali, viele Vorkommen von jus und die Substantivierung etwas undelikates. Die Wörter rücken dadurch – abgesehen vom letzten Beispiel – stark in die Nähe der Zitatwörter, vor allem, wenn gleichzeitig auch fremde Flexion vorliegt (s. u.). Die durchschnittliche jahresschnittübergreifende Assimilationsquote von großgeschriebenen Substantiven liegt bei 33,83 % und entspricht damit dem Durchschnitt der allgemeinen Auswertung (33,18 %). Demnach lässt sich auch die Großschreibung von Substantiven nicht als Kriterium für die Assimilation verstehen, sondern nur als Grundlage: Durch die Großschreibung gelangen die Substantive in die Gruppe mit Kandidatenstatus für eine Assimilation. Mit Blick auf den Einbezug dieses formalen Merkmals auf die Entwicklung der Assimilationsquote (Abb. 12, Tab. 51) zeigt sich eine auffällige Ähnlichkeit zu den Werten mit Einbezug der flexivischen Assimilation. Der charakteristische Entwicklungsschub (Anstieg um jeweils etwa 10 Prozentpunkte zwischen 1860 und 1890) ist nur bei den großgeschriebenen Substantiven und bei den anderen Wörtern ohne Großschreibrelevanz (andere Wortartklassen) zu finden. Bei kleingeschriebenen Substantiven ist eine Assimilation nahezu ausgeschlossen. Der Anstieg von 2,78 % auf 13,33 % dürfte eher zufällig sein: Die oben genannten Einträge alkali und jus sind ausgerechnet in den Texten um 1860 zu finden. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass eine Repräsentativität der 1860er Zahlen nicht gegeben ist: Insgesamt nur 15 Einträge um 1860 (und 13 Einträge um 1890) stehen 85 Einträgen um 1830 (und 36 Einträgen um 1800) gegenüber. Gene-
300 Die zwei relativ hohen Prozentzahlen der Assimilation [16,67 %] und Teilassimilation [37,50 %] bei vorausgegangener phonemischer Assimilation beziehen sich insgesamt nur auf vier Wörter: Contoir, Offizier, Postillion und Trupp, für die jeweils in einem Eintrag [Ausnahme Contoir: zwei Einträge] eine graphemische Assimilationsschreibung bei nachweisbarer fremder Flexion konstatiert wurde. Diese Assimilationen lassen sich durch die Tatsache erklären, dass für alle vier Wörter im Korpus bereits – zum Teil etablierte – heimische Flexionsformen nachweisbar sind, es hier also ein Nebeneinander von heimischer und fremder Flexion gibt.
Auswertung des Befundes
299
Abb. 12: Assimilationsentwicklung bei Substantivgroßschreibung (Wörter, Types).
rell lässt sich dadurch auch konstatieren, dass die Zahl der kleingeschriebenen Substantive im Laufe des Jahrhunderts stark zurückgeht. Flexivische Assimilation + Substantivgroßschreibung: Die Kombination dieser beiden Kriterien zeigt noch einmal den Voraussetzungscharakter derselben für die Zuordnung der Wörter zu potenziellen Assimilationskandidaten (Tab. 52): Substantive, die sowohl flexivisch assimiliert als auch großgeschrieben werden, weisen mit Blick auf die allgemeine Auswertung eine durchschnittliche Assimilationsquote auf (36,66 %, verglichen mit 33,18 % ohne Berücksichtigung weiterer Kriterien). Findet beides nicht statt, liegt die Quote bei 7,23 %. Die Zahlen bei nicht erkennbarer Flexion sind – im Verhältnis gesehen – ähnlich, wenngleich eine insgesamt etwas geringere Prozentzahl zugrunde liegt (29,38 % bei Großschreibung, 4,17 % bei Kleinschreibung), was aus dem „Mischstatus“ der Gruppe resultiert. Flexivische Assimilation + phonemische Assimilation + Substantivgroßschreibung: Aus den vielen Zahlen dieses Befundes (Tab. 53) werden im Folgenden nur besonders bemerkenswerte, auffällige besprochen. Die höchste graphematische Assimilationsquote zeigt sich – erwartungsgemäß – in der Gruppe, die in allen Parametern zusätzliche Assimilationen aufweist: Substantive also, die großgeschrieben, flexivisch und phonemisch assimiliert sind, sind in 53,89 % aller Fälle auch graphemisch assimiliert. Damit liegt die Assimilationsquote um 20,71 Prozentpunkte höher als der Durchschnitt ohne Einbezug weite-
300
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
rer Parameter. Ebenfalls überdurchschnittlich hoch ist die Assimilationsquote in den Fällen, in denen eine Assimilation durch Großschreibung nicht möglich ist – bei anderen Wortarten also, denen aber genauso eine flexivische und phonemische Assimilation vorausgeht: Die Quote liegt bei 42,47 % und ist damit um 9,29 Prozentpunkte höher als der Referenzwert von 33,18 % (ohne weitere Kriterien). Findet nur die flexivische Assimilation statt, so ist es nicht von Belang, ob die anderen Assimilationen erfolgt sind: Es tritt im Wesentlichen keine graphemische Assimilation ein (Quote jeweils deutlich unter 10 %). Ausgehend von der ausgebliebenen Assimilation der Initialschreibung der Substantive, ist dasselbe zu sagen (Assimilationsquote bis 11 %, wobei diese Zahl sich auf lediglich zwei Einträge bezieht). Findet allerdings nur die phonemische Assimilation nicht statt und liegen gleichzeitig in den anderen Bereichen Assimilationen vor, so findet sich in etwa die Durchschnittsassimilationsquote (ohne Einbezug weiterer Merkmale): 35,34 % bei großgeschriebenen Substantiven, 28,54 % bei allen anderen Wortarten (vgl. auch Befund zur Kombination der beiden Merkmale Flexion + Großschreibung). Das bedeutet, dass der phonemischen Assimilation ein anderer Status als den beiden anderen formalen Assimilationen zukommt: Angepasste Flexion und Großschreibung von Substantiven sind als Voraussetzungen dafür zu betrachten, dass eine graphemische Assimilation überhaupt infrage kommen kann (Voraussetzung für Kandidatenstatus). Die phonemische Assimilation hingegen ist keine solche Voraussetzung. Wenn also eine phonemische Assimilation nicht stattfindet, heißt das noch nicht, dass ein Wort nicht graphemisch assimiliert wird/werden kann (abgesehen davon, dass es in vielen Wörtern keine Notwendigkeit für phonemische Assimilationen gibt). Vielmehr wirkt sich das Vorhandensein dieser Assimilationsart als begünstigender Faktor in Bezug auf die graphemische Assimilation aus, denn in jedem Fall ist bei der direkten Gegenüberstellung des Assimilationswertes in allen Kategorienzusammenstellungen zu beobachten, dass die Quote bei Vorhandensein einer phonemischen Assimilation höher ist als bei deren Ausbleiben.301 Auch bei Betrachtung der phonemischen Assimilation als alleinigem Faktor zeigte sich bereits, dass hier ein tatsächlicher Assimilationsfaktor vorliegt. Dass die Assimilationsquote der Wörter mit vorangegangener phonemischer Assimilation keine Entwicklung hin zu vermehrter Assimilation zeigt (Tab. 54), wurde bereits bei alleiniger Betrachtung dieses Faktors deutlich. Er bestätigt sich auch bei der gleichzeitigen Betrachtung der anderen Faktoren: In jeder Kategorienzusammenstellung zeigt sich, dass beim Vorhandensein phonemischer Assimilation keine Entwicklung hin zu mehr Assimilation vorliegt, sondern vielmehr ein Schwanken bzw. Konstanz. (Die z. T. recht großen Schwankungen der Assimilationsquoten erklären sich durch die weniger große Menge absoluter Zahlen.)
301 Dem Ausnahmefall der Faktorenkombination „flexivische Assimilation nicht erkennbar“ + „Kleinschreibung“ liegt keine repräsentative Beleganzahl zugrunde. Die Assimilationsquote von 4,35 % bezieht sich auf zwei Einträge.
Auswertung des Befundes
301
Wortstruktur: Ob sich die Anpassung der Wortstruktur als Assimilationsfaktor zeigt (vgl. z. B. Drosdowski 1974, 13; Adelung 1788, 112), kann durch die vorliegende Untersuchung und ihre Ergebnisse allenfalls exemplarisch gezeigt werden. Die Anpassung an heimische Wortbildungsstrukturen z. B. durch Wegfall v. a. lateinischer Suffixe, Anfügung des deutschen Infinitivsuffixes -en etc. – anhand derer sich die Anpassung an die heimische Wortstruktur am ehesten zeigt – wurde nicht als eigene Kategorie in die Ususuntersuchung aufgenommen (v. a. aufgrund des in der Literatur eher als selten anzutreffenden Faktors302). Grundsätzlich lässt sich sagen, dass fast alle Lexeme aus dem Lateinischen eine Anpassung an heimische Verhältnisse durchlaufen – meist, indem das Suffix entfällt. Dieser Vorgang ist bei lateinischen Wörtern jedenfalls deutlich ausgeprägter als etwa bei französischen und englischen Entlehnungen. Insofern kann dieser Faktor bei der Auswertung des Assimilationsfaktors Spendersprache berücksichtigt werden (vgl. Kapitel 4.3.2.5).
4.3.2.3 Einfluss des Schrifttyps In der Kodifikation zeigt sich am Anfang des Jahrhunderts noch häufig die Verbindung von Schreibung und Schrifttyp, indem folgender Konsens oft in der Regelung enthalten ist: Wörter mit Bürgerrecht werden (in Frakturtexten) in Fraktur geschrieben (vgl. Heinsius 1807, 382; Heyse 1814, 90 f.), bei synchron als sehr fremd empfundenen Wörtern (oft Nähe zu Zitatwörtern, vgl. Adelung 1788, 110) wird die Fremdheit zusätzlich durch Antiquaschrift hervorgehoben. Grundsätzlich gilt die Schreibung eines Wortes in Antiquaschrift also als ein Kennzeichnungsmerkmal für besonders assimilationsresistente Wörter mit sehr vielen spendersprachlichen Merkmalen (vgl. auch Ruprecht 1854, 49) – also als ein Kennzeichen für Fremdheit. Dass Frakturschrift einen fortgeschrittenen Einbürgerungsprozess anzeigt, der nicht zwingend über die graphemische Assimilation sichtbar wird, darf angenommen werden. Die Werte der Ususanalyse (Tab. 55, Abb. 13) zeigen: Wörter, die innerhalb eines Frakturtextes in Antiqua erscheinen, sind in aller Regel auch nicht assimiliert (94,59 % aller Belege). Die Ausnahmen lassen sich aufzählen: alkali (in alkali caustico), Ball (Ball en Masque), conjuges (Coniux), den Judiciis, die Judicia (Judex), juramentum (Jurament), viele Formen von Jus (Jura, Jus, jus, juris, juribus, jure, z. B. jus privatum civile, Jura specialia, dem jure succedendi), Commerz (auf einer Titelseite), Curende (in der Bedeutung Umlaufschreiben), Majestät (auf einer Titelseite – ganzes Wort in Antiqua-Majuskeln), Präjudicat, Präjudicia (Präjudiz). Es ist in der Regel also nur das Graphem betroffen, das im Gesamtkorpus eine auf-
302 Er verschwindet im Laufe des Jahrhunderts aus der Regelung – zumindest aus der expliziten Nennung.
302
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 13: Assimilation unter Berücksichtigung des Schrifttyps (Wörter, Types).
fällig hohe Assimilationsquote von fast 100 % (genau: 96,74 %) aufweist. In die Gruppe der in Antiqua gedruckten Wörter gehören auch alle Zitatwörter, die in Frakturtexten stehen – also alle die Wörter, die auf keiner sprachlichen Formebene Assimilationen aufweisen. Umgekehrt gilt allerdings nicht automatisch: Wörter, die innerhalb eines Frakturtextes in Fraktur erscheinen, sind assimiliert. Es ist hingegen so, dass diese Wörter in etwa die durchschnittliche Assimilationsquote aufweisen bzw. geringfügig darüber hinausgehen (34,50 % assimilierte und 19,08 % teilassimilierte Wörter [Types]). Wie Abb. 14 und Tab. 56 zeigen, ist dieses Verhalten auch in der Entwicklung sichtbar. Während mit Antiqua im Laufe des gesamten Jahrhunderts fast ausschließlich assimilationsresistente Wörter gekennzeichnet werden,303 findet sich bei den Wörtern in Fraktur ein ähnlicher Sprung hin zu mehr Assimilation zwischen 1860 und 1890, wie er in der allgemeinen Entwicklungsauswertung gezeigt wurde (Assimilationsquote der Wörter steigt um 12,22 Prozentpunkte). Es lässt sich also tatsächlich sagen, dass der Schrifttyp kein Assimilationsfaktor ist (also keinen Einfluss auf das graphematische Assimilationsverhalten hat), sondern dass die Markierung eines Wortes durch Antiquaschrift die besondere Fremdheit signalisiert. Das wird besonders deutlich an der Gruppe der Zitatwörter, die zu 100 % in Antiqua stehen. Allerdings finden sich auch Nicht-Zitatwörter unter den in Antiqua gedruckten, also Wörter, die in irgendeiner Form eine Assimilation an deutsche Verhältnisse hinter sich haben – entweder durch Großschreibung (bei Substantiven), durch flexivische oder phonemische Assimilation oder durch Wort-
303 Die Assimilationsquote geht gegen 0 % – das ist trotz mangelnder Repräsentativität generell zu sagen.
Auswertung des Befundes
303
Abb. 14: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtung des Schrifttyps (Wörter, Types).
bildungsproduktivität.304 Die Großschreibung der Substantive ist hierbei oft die erste – und oft auch einzige – Form der Assimilation: 57,63 % aller Substantive in Antiquaschrift sind in Bezug auf die Initialschreibung assimiliert (170 von insgesamt 295 Einträgen [130 Nichtsubstantive]). Und immerhin 39 der insgesamt 425 Einträge beinhalten ein flexivisch assimiliertes Wort. Das sind zwar nur 9,18 % der Einträge, dennoch: Pauschalisierend zu behaupten, alle in Antiqua gedruckten Wörter seien noch nicht in den Integrationsprozess eingebunden, entspricht nicht den hier erhobenen Befunden. Substantive als solche durch Großschreibung zu markieren, scheint mit zu den ersten Integrationsmaßnahmen zu gehören – noch bevor weitere graphematische Assimilationen folgen, was die These Hellers bestätigt (Heller 1980b, 176).
4.3.2.4 Einfluss von Entlehnungszeitpunkt, Gebrauchshäufigkeit und Fachwortstatus Diese Faktoren sind in der Literatur – zumindest einheitlich am Ende des Jahrhunderts – immer dem Faktor der angepassten, heimischen Lautung untergeordnet. Vor diesem Hintergrund ist die nachfolgende Auswertung zu verstehen. Entlehnungszeitpunkt, Gebrauchshäufigkeit und Fachsprachenstatus hängen – zumindest zuweilen – miteinander zusammen, weshalb sie hier auch zusammen bzw. in unmittelbarer Folge betrachtet werden. In Sekundärliteratur und Regelung wird ein Zusammenhang zwischen Entlehnungs- bzw. Bildungszeitpunkt und Assimilationsgrad vermutet bzw. gesehen, wobei zu erwarten ist, dass besonders
304 Z. B. abstrahiren, Administration (mit flexivischer Assimilation), Actuum, Decretum, Inventur (mit flexivischer Assimilation), Consistorium (mit flexivischer Assimilation).
304
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
früh entlehnte Wörter bereits besonders lange im Sprachgebrauch sind und infolgedessen auch besonders häufig verwendet werden. Die These, dass häufig gebrauchte Wörter eher assimiliert werden als seltener gebrauchte, wurde in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt und wird hier zu überprüfen sein. U. a. bei Karl Ferdinand Becker zeigt sich darüber hinaus, dass Verwendungshäufigkeit und Fachwortschatz zusammengehören (können), da Fachwörter in der Regel weniger geläufig sind und aufgrund der eingeschränkten Sprechergruppe auch weniger häufig benutzt werden (Becker 1829, 410). Im Folgenden ist zu zeigen, ob und wie diese Faktoren auf die Assimilation einwirken bzw. im Assimilationsverhalten wiederzufinden sind. Entlehnungszeitpunkt: Wenn im Folgenden davon gesprochen wird, dass in den Texten Wörter gefunden wurden, die im 19. Jahrhundert entlehnt wurden (das ist auch – in sehr seltenen Fällen – in Texten um 1800 der Fall), dann ist für die dabei besprochenen Assimilationsquoten nur eine sehr eingeschränkte Repräsentativität zu verzeichnen, denn gerade einmal 746 Einträge von 24108 Einträgen insgesamt erfassen Wörter, die im 19. Jahrhundert entlehnt wurden, das entspricht lediglich 3,09 %. Vor allem bei der Darstellung der Entwicklung ist das zu berücksichtigen – um 1800 enthalten lediglich 1,68 % aller verzeichneten Einträge Wörter aus dem 19. Jahrhundert. Die höchste (Voll-)Assimilationsquote weisen zwar die Entlehnungen des Mittelalters auf, und die – zumindest bei Betrachtung der Tokens (Tab. 57) – niedrigste Quote ist bei den Wörtern aus dem 19. Jahrhundert zu finden, aber diese Tatsache erlaubt noch keine pauschale Bestätigung der Vermutung: Je früher das Lexem entlehnt ist, desto eher ist es auch graphematisch assimiliert. Erstens sind die Unterschiede der Assimilationsquoten der anderen Jahrhunderte (16. bis 18. Jahrhundert) so marginal (zwischen 27,34 % und 31,41 %) – und zweitens entsprechen sie nicht der Vermutung: Je später das Wort entlehnt ist, desto geringer ist auch die Quote. Insgesamt lässt sich also kein einschlägiger Zusammenhang darstellen: Alle Quoten entsprechen etwa der durchschnittlichen allgemeinen Assimilationsquote. Zweitens ist die zahlenmäßige Differenz der niedrigsten Assimilationsquote (19. Jahrhundert) zur zweitniedrigsten (16. Jahrhundert) so gering (ca. 2 %), dass auch hier keine eindeutige Aussage getroffen werden kann. Das zeigt besonders die Tabelle der Types (Tab. 58). Hier sind die Ergebnisse umgekehrt: Die Wörter des 16. Jahrhunderts verbuchen die niedrigste Quote (25,68 %), erst danach folgt das 19. Jahrhundert (27,54 %). In Bezug auf die Quote der Vollassimilationen lässt sich bislang also lediglich konstatieren, dass Wörter, die bereits im Mittelalter entlehnt wurden, eine besonders hohe Assimilationsquote aufweisen. Es ist gesagt worden, dass die Wörter der anderen Jahrhunderte sich in Bezug auf die Gesamtassimilationsquote sehr ähnlich verhalten – nämlich „durchschnittlich“. Nun gebietet allerdings der z. T. sehr hohe Anteil an Teilassimilationen (z. B. 30,32 % im 18. Jahrhundert [Tokens]), eher die Nichtassimilations- als die Assimila-
Auswertung des Befundes
305
tionsquoten zu vergleichen. Auch hier zeigt sich aber v. a. dies: Die Wörter des Mittelalters stechen in ihrem Assimilationsverhalten heraus und weisen eindeutig die höchste Assimilationsquote auf. Die Nichtassimilationsquote liegt mit 33,30 % (Tokens) bzw. 34,09 % (Types) sehr deutlich unter der Gesamtquote von 47,49 % (Wörter). Über dem Durchschnitt liegen die Wörter des 16. und des 19. Jahrhunderts. Die Lexeme der „mittleren Jahrhunderte“ (17. und 18. Jahrhundert) verhalten sich relativ unauffällig: Durch die relativ hohen Teilassimilationsquoten des 17. und 18. Jahrhunderts fallen die Nichtassimilationsquoten 4 bis 10 % geringer als der Durchschnitt aus. Vor allem für die Wörter des 16. Jahrhunderts wurden in der gesamten Untersuchung vollkommen andere Werte erwartet: Die Assimilationsquote liegt immerhin etwa 6 Prozentpunkte unter dem Durchschnittswert. Hier wäre mindestens der Durchschnitt oder sogar ein höherer Wert aufgrund der zeitlichen Nähe zum Mittelalter erwartbar. Ganz offensichtlich ist es aber so, dass mit der Abnahme der primär mündlichen Vermittlung von Lehngut auch ein deutlicher Abfall der Assimilationsquote einhergeht. Diesen Schluss lassen auch die Fehlerbetrachtungen zu: Aufgrund des „Ausreißerstatus“ wurde das besonders gehäufte Vorkommen von spezifisch assimilationsresistenten Graphemen oder Wörtern des 16. Jahrhunderts untersucht. Wie Tab. 59 zeigt, treten folgende – meistens assimilationsresistente – Fremdgrapheme in den Wörtern des 16. Jahrhunderts gehäuft auf: , , und . Verglichen mit den Wörtern der anderen Jahrhunderte fällt v. a. die sehr niedrige Assimilationsquote des Graphems auf. Erklärbar wird dies durch einen Blick auf die dazugehörigen Lexeme: ist in Wörtern des 16. Jahrhunderts viel häufiger inlautend zu finden – daher hier eine niedrigere Assimilationsquote – als beispielsweise in den analysierten Wörtern des Mittelalters (hier häufiger Auslautposition und daher eine höhere Assimilationsquote). In der Fehlerbetrachtung nun wurden die genannten Grapheme von der Auswertung ausgeschlossen (Tab. 60). Es bleibt allerdings eine deutlich geringere Assimilationsquote als erwartet, und die Wörter des 16. Jahrhunderts behalten ihren „Ausreißerstatus“. In Bezug auf die Entwicklung der Assimilationsquote bestätigt sich das Bild (Abb. 15, Tab. 61): Die früh entlehnten Wörter (Mittelalter) bleiben in ihrer Assimilationsquote in deutlichem Abstand über den Wörtern der anderen Jahrhunderte (durchschnittlich etwa 25 Prozentpunkte). Auch diese Abbildungen zeigen den Ausreißer 16. Jahrhundert, wobei die anderen Jahrhunderte in der Assimilationsquote relativ nah beieinander liegen. Blendet man das 16. Jahrhundert aus, so bietet sich in Bezug auf das 19. Jahrhundert das erwartete Bild: Die Assimilationsquote ist deutlich geringer als die der anderen Jahrhunderte (mindestens 15,94 Prozentpunkte um 1800 und mindestens 6,73 Prozentpunkte um 1860), allerdings gibt es mit dem Assimilationsquotensprung von 1860 zu 1890 eine eindeutige Annäherung der Werte. Im Übrigen zeigt sich für alle Kurven (abgesehen von der Kurve der Wörter, deren
306
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 15: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung des Entlehnungsszeitpunkts (Wörter, Types).
Assimilationszeitpunkt nicht genau bestimmt werden kann) der in der allgemeinen Auswertung konstatierte Anstieg der assimilierten Formen (um 7,01 Prozentpunkte [18. Jahrhundert] bis 13,76 Prozentpunkte [19. Jahrhundert], durchschnittlich 8,83 Prozentpunkte). Vergleicht man die Entwicklung der Nichtassimilationsquoten (Abb. 16), so zeigt sich, dass der überragende Assimilationsstatus der im Mittelalter entlehnten Lexeme dadurch relativiert wird, dass für die anderen Jahrhunderte der Weg zur Assimilation häufiger über die Teilassimilation führt. Was die vollassimilierten Wörter betrifft, behalten die früh entlehnten Lexeme ihren Sonderstatus, aber durch die hohe Zahl an Teilassimilationen in den anderen Jahrhunderten nähern sich die prozentualen Anteile nicht assimilierter Wörter an. Immer noch relativ eindeutig abgrenzbar bleiben die Nichtassimilationsquoten des 16. und 19. Jahrhunderts, wenngleich auch hier der größere Assimilationsquotensprung zwischen 1860 und 1890 dazu führt, dass sich die Nichtassimilationsquoten am Ende des Jahrhunderts annähern. Insgesamt zeigt sich der Ausreißerstatus der Wörter des 16. Jahrhunderts auch in der Entwicklung und kann auch durch die Fehlerbetrachtung (Auswertung Entwicklung ohne die genannten resistenten Grapheme) nicht erklärt werden: Die Assimilationsquote der Wörter des 16. Jahrhunderts liegt sogar 1830 und 1860 deutlich unter den Assimilationsquoten der anderen Wörter. Eine Erklärung dafür steht aus.
Auswertung des Befundes
307
Abb. 16: Entwicklung der Nichtassimilationsquote unter Berücksichtigung des Entlehnungszeitpunkts (Wörter, Types).
Dass die Assimilation der im Mittelalter entlehnten Wörter nicht über Teilassimilationen führt, ist ein Ergebnis, mit dem zu rechnen war. Grundlage für diese Annahme ist die mündliche Vermittlung (vgl. 2.3.5.1, z. B. Telling 1988, 9), die natürlich bei der Verschriftlichung des Lehnguts dafür sorgt, dass alle Laute sofort mit heimischen Graphemen wiedergegeben werden. Die Ergebnisse zeigen, dass der Faktor Entlehnungszeitpunkt nur bei ganz früh entlehnten Wörtern deutlich sichtbar wird. Man kann also nicht – wie in der Regelung oft beschrieben – pauschal sagen: Je früher das Wort aufgenommen wird, desto eher ist es assimiliert zu schreiben. Nun ist der Faktor Entlehnungszeitpunkt in den Regelbüchern meist ein (der phonemischen Assimilation) untergeordnetes Kriterium zur graphemischen Assimilation. Bliebe also zu fragen, ob das auch im Usus zu finden ist, ob also der Einfluss des Entlehnungszeitpunktes bei den Wörtern mit vorangegangener phonemischer Assimilation deutlich wird. Bereits oben wurde bemerkt, dass die graphemische Assimilation bei phonemisch assimilierten Wörtern vornehmlich über Teilassimilationen erreicht wird und insgesamt dadurch eine deutlich höhere Assimilationsquote – bzw. deutlich niedrigere Nichtassimilationsquote – die Folge ist. Beides ist auch unter Berücksichtigung des Entlehnungszeitpunktes zu konstatieren: Im Vergleich der Tab. 58 und 62 zeigt sich eine im Durchschnitt 19,23 Prozentpunkte niedrigere Nichtassimilationsquote bei Wörtern mit vorangegangener phonemischer Assimilation gegenüber der Gesamtquote. Zum Einfluss des Entlehnungszeitpunktes ist auch hier nur das zu wiederholen, was oben bereits im Ergebnis sichtbar war: Er ist nur bei den Wörter des Mittelalters eindeutig erkennbar. Und auch diese Abbildung zeigt den Sonderstatus der Entlehnungen aus dem 16. Jahrhundert: Fast die Hälfte dieser Wörter sind trotz vorausgegangener phone-
308
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
mischer Assimilation nicht graphemisch assimiliert. Damit liegt die Quote fast 20 Prozentpunkte über dem Durchschnittswert für nicht stattfindende Assimilationen. Gebrauchshäufigkeit und Entlehnungszeitpunkt: Für die Untersuchung wurden die Wörter aufgrund ihrer Auftretenshäufigkeit im 19. Jahrhundert in verschiedene Gruppen eingeteilt, auf die sich die folgenden Werte beziehen: Unter „100+“ werden Wörter verstanden, die insgesamt 100 Mal und häufiger in den Texten vorkommen. Die Lexeme der Gruppe „50+“ treten 50 Mal und häufiger, aber weniger als 100 Mal auf. Analog dazu sind die Gruppen „25+“, „10+“, „5+“ und „1+“ zu verstehen. Vorbemerkt werden muss, dass in Bezug auf die Verteilung der Wörter auf die einzelnen Gruppen starke Unterschiede in der zugrunde liegenden Anzahl unterschiedlicher Wörter bestehen. Natürlich ist die Anzahl häufig auftretender Wörter deutlich geringer als die Anzahl der Wörter, die nur einmal im gesamten Untersuchungskorpus auftreten. Dementsprechend differiert auch die Zahl der verschiedenen Fremdgrapheme pro Gruppe. Dies ist mit Blick auf die Repräsentativität der Befunde zu beachten. Abb. 17 macht deutlich, dass die Assimilationsquote sehr stark mit der Auftretenshäufigkeit der Wörter zusammenhängt. Die Assimilationsquote der häufigsten Wörter (z. B. Artikel, Charakter, Funktion, Kammer, Kanone, Körper, Melodie, Militär, Musik, Philosophie, Platz, Polizei, Punkt, Substanz, System, Theater) ist bemerkenswert hoch: Sie liegt mit 57,70 % 24,32 Prozentpunkte über dem Referenzwert, der allgemeinen Assimilationsquote. Dem steht bei den Wörtern, die das geringste Vorkommen in den Texten aufwiesen (1+),305 eine Assimilationsquote von 19,67 % gegenüber – ein Wert 13,51 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt. Einen durchschnittlichen Assimilationswert haben die Wörter mit einer mittleren Häufigkeit von 10 bis 49 (10+ und 25+) Vorkommen im gesamten Korpus. Der Zusammenhang
Tab. 25: Anteil der Wörter mit unterschiedlichen Häufigkeiten am Gesamtkorpus. Häufigkeit
305 Z. B. abonniren, Adjacent, Amaryllis, Anthropologie, Flageolet, Gonorrhoe, Gratification, immanent, indispensabel, Insertion, Junta, Kanalisation, Kantor, comfortabel, Crucifix, Lavalette, Lazaret, Manschette, Narcisse, Oscillation, Panzer, pittoresk, Satisfaction, Servilismus, Sculptur, Terpentin, Tribunal, universell, Vampyr, verificiren, Whisky, circulär, zynisch, um nur einige zu nennen.
Auswertung des Befundes
309
Abb. 17: Assimilation unter Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit der Wörter (Wörter, Tokens).
Tab. 26: Zusammenhang von Vorkommenshäufigkeit und Entlehnungszeitpunkt der Wörter. Häufigkeit
MA
16. Jh.
17. Jh.
18. Jh.
19. Jh.
100+ 50+ 25+ 10+ 5+ 1+
82,82 % 37,90 % 28,95 % 24,98 % 22,17 % 12,93 %
3,27 % 22,59 % 21,49 % 22,30 % 19,73 % 14,04 %
6,48 % 17,35 % 22,55 % 15,86 % 17,76 % 11,35 %
7,43 % 16,20 % 21,84 % 21,40 % 18,10 % 16,76 %
– – 0,60 % 5,57 % 5,40 % 6,17 %
von Assimilationsquote und Vorkommenshäufigkeit ist also, wie Abb. 17 zeigt, im gesamten Analysematerial erkennbar, so dass sich tatsächlich sagen lässt: Je häufiger ein Wort gebraucht wird, desto eher wird es graphemisch assimiliert. Es bestätigt sich ebenfalls die Annahme, dass die häufig gebrauchten Wörter tatsächlich meist die sind, die sehr lange im Sprachgebrauch existieren, also früh entlehnt wurden: Nicht eines der Wörter 100+ entstammt dem 19. Jahrhundert, aber 82,82 % aller Belege dieser Häufigkeitsgruppe sind mittelalterliche Entlehnungen, wie Tab. 26 (s. o.) zeigt. Immerhin noch 37,90 % der Wörter 50+ sind frühe Entlehnungen des Mittelalters. Eine relativ ausgewogene Durchmischung ist dann bereits bei den Wörtern 25+ und 10+ vorzufinden, obwohl die sehr frühen Entlehnungen noch immer den größten Anteil haben. Die größte Durchmischung ist bei den selten gebrauchten Wörtern (1+ und 5+) erreicht, wobei in der letzten Gruppe (1+) der Anteil von Entlehnungen aus dem Mittelalter erstmals nicht der größte ist. Am
310
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 18: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit der Wörter (Wörter, Tokens).
deutlichsten aber grenzt sich die Gruppe 100+ ab, was sich auch in der stark überdurchschnittlichen Assimilationsquote ausdrückt. Insgesamt kann Folgendes ausgesagt werden: Häufig gebrauchte Wörter sind oft schon lange Zeit im Sprachgebrauch und dementsprechend früh – vorzugsweise im Mittelalter – entlehnt worden. Beides, die Häufigkeit des Gebrauchs und die frühe Entlehnung, sind – wie die Werte zeigen – Faktoren, die die graphemische Assimilation begünstigen. Diese Tatsache ergibt sich auch daraus, dass frühe Entlehnung und Gebrauchshäufigkeit miteinander zusammenhängen. Die Entwicklungskurven zeichnen folgendes Bild: Die Assimilationsquote steigt im Laufe des Jahrhunderts für alle Häufigkeitsgruppen (Abb. 18, Tab. 63 sowie Abb. 19 und 20). Der Zeitpunkt des Anstiegs ist dabei allerdings unterschiedlich: Während die Wörter in den Gruppen 50+, 10+ und 5+ ihren Assimilationsquotensprung – wie in der allgemeinen Auswertung auch – zwischen 1860 und 1890 verzeichnen (jeweils um 7 bis 17 Prozentpunkte), scheint bei den Wörtern der Gruppen 1+ und 25+ ein kontinuierlicher Anstieg zwischen 1830 und 1890 vorzuliegen. Letzteres ergibt sich allerdings vor allem aus der Tatsache, dass der Wert zwischen 1800 und 1830 zunächst leicht sinkt (um 4,02 % bzw. 2,85 %), bevor er 1860 wieder auf einen ähnlichen Wert von 1800 ansteigt. Lässt man den als Schwankung zu interpretierenden Abfall in der ersten Jahrhunderthälfte außer Acht, so ist auch hier der Anstieg der Assimilationsquote erst zwischen 1860 und 1890 zu beobachten. Der Anschein eines kontinuierlichen Anstiegs wird im Übrigen verstärkt durch
Auswertung des Befundes
311
Abb. 19: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit der Wörter – Vollassimilationsquote (Wörter, Tokens).
Abb. 20: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit der Wörter – Nichtassimilationsquote (Wörter, Tokens).
die Tatsache, dass der Gesamtanstieg der Assimilationsquoten der Wörter 1+ und 25+ generell etwas geringere Werte als der der anderen Gruppen zeigt: Zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Wert liegen lediglich 8,82 bzw. 10,79 Prozentpunkte.
312
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
In besonderer Weise tritt der Assimilationsquotenanstieg bei den häufigsten Wörtern 100+ hervor: Hier ist ein „verfrühter“ plötzlicher Anstieg sichtbar (von 49,93 % um 1830 auf 63,42 % um 1860). Dies unterstreicht einmal mehr, dass es sich bei dem in Kapitel 4.3.2.1 konstatierten Anstieg um Durchschnittswerte handelt, die nicht zwingend auf alle Grapheme bzw. Wörter/Gruppen zutreffen. Assimilationen bei häufig gebrauchten Wörtern sind offensichtlich früher zu verzeichnen als Assimilationen bei selteneren Wörtern. Die Entwicklungskurve der Assimilationsquote (Abb. 19) zeigt insgesamt auch die schon in der Gesamtbetrachtung beschriebene Abhängigkeit der Quote von der Verwendungshäufigkeit der Wörter. Je seltener die Wörter gebraucht werden, desto niedriger setzt die Quote am Anfang des Jahrhunderts an, ab 1830 bzw. 1860 steigen die Quoten dann parallel. Die einzige Kurve, die etwas ausschert und durch die vorliegenden Schwankungen die anderen Kurven kreuzt, ist die Kurve 10+. Da es sich aber um Schwankungen im 5 %-Bereich handelt, müssen die Abweichungen nicht eingehender besprochen werden. Auffällig ist, dass sich die Assimilationsquotenkurve der Wörter 100+ klar von den anderen abgrenzen lässt. Die deutliche Differenz von durchschnittlich 18,73 Prozentpunkten zur „dichtesten“ Gruppe der Wörter 50+ zeigt den Sonderstatus der am häufigsten gebrauchten Wörter. Nicht nur, dass die Zunahme von Assimilationsschreibungen hier früher erfolgt, die Quote liegt auch insgesamt wesentlich höher. Die bisherige Darstellung bezieht nur die vollständigen Assimilationen ein. Um die teilassimilierten Schreibungen hinzuzuziehen und ein noch repräsentativeres Bild der Entwicklung darzustellen, werden in Abb. 21 die Grapheme der jeweiligen Häufigkeitsgruppen zur Grundlage gemacht (und nicht die Wörter). Hier gibt es in der Regel nur die Optionen „assimiliert“ oder „nicht assimiliert“. Die Assimilationsquoten der Grapheme sind natürlich – wie auch schon bei den vorangegangenen Ergebnissen gezeigt – deutlich höher als die Assimilationsquoten der Wörter. Im Wesentlichen bestätigen sich alle Analyseergebnisse der Gesamtbetrachtung. Abweichend davon kann aber gezeigt werden, dass es – auch Teilassimilationen mitberücksichtigt – nicht nur bei den häufigsten Wörtern, sondern auch schon bei den Gruppen 50+ und 25+ einen deutlich früheren Anstieg der Assimilationsschreibungen gibt (beginnend schon 1830). In den drei Gruppen mit den selteneren Wörtern zeigt sich der Sprung erst zwischen 1860 und 1890. Der in der Gesamtbetrachtung ermittelte Durchschnittsanstieg um 1860 ergibt sich also vorwiegend aus der großen Anzahl der selteneren Fremdwörter 1+ bis 10+. Sie haben aufgrund der großen Anzahl natürlich einen größeren Anteil am Gesamtbild der allgemeinen Auswertung. Gezeigt werden kann durch diese Graphik, dass Assimilationen bei häufig gebrauchten Wörtern (25+) nicht nur insgesamt öfter, sondern auch deutlich früher im Usus auftreten als bei den seltenen Wörtern. Dieses Ergebnis entspricht dem Kodifikationsergebnis. Bereits bei Adelung ist die „Gangbarkeit“ eines Wortes Bestandteil der Regelung zur Fremdwortschreibung. Auch bei Becker und Andresen
Auswertung des Befundes
313
Abb. 21: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit der Wörter – Vollassimilationsquote (Grapheme, Tokens).
finden sich Verweise auf den Verbreitungsgrad und die damit einhergehende Gebrauchshäufigkeit des Wortes (vgl. Kap. 3.4.1.1). Die Grammatiker scheinen hier das zu kodifizieren, was sie im Sprachgebrauch vorfinden. Gebrauchshäufigkeit, Fachwortstatus und Textsorte: Zunächst soll unabhängig vom Zusammenhang mit der Gebrauchshäufigkeit der Faktor Fachwortstatus in Bezug auf die Assimilation besprochen werden. Da Fachwörter im Sinne von Termini sich über die Definiertheit im Rahmen einer Fachtheorie bestimmen (vgl. 2.3.5.2.1), ist anzunehmen, dass sie sich in geistes- (einschließlich juristischen) oder naturwissenschaftlichen Texten eher wiederfinden als in Belletristik- oder in Publizistiktexten306 und dass dementsprechende Texte ein unterschiedliches graphematisches Assimilationsverhalten aufweisen. Tab. 64 bestätigt diese Vermutung. Relativ gesehen sind die meisten Termini in naturwissenschaftlichen Texten ermittelt worden, hier ist der Anteil der Fachwörter (52,99 %) höher als der Anteil gemeinsprachlicher Wörter. Der Anteil Termini in den anderen Textsortenklassen sieht wie folgt aus: Rechts- und Verwaltungstexte: 35,79 %; geisteswissenschaftliche Texte: 28,77 %; Publizistiktexte: 9,25 % und Belletristiktexte: 0,00 %. Für Letztere wurden überhaupt keine fachsprachlichen Begriffe angenommen, da zu dem Begriff des Terminus nicht nur der definitorische
306 Bei der Textauswahl wurde darauf geachtet, bei Publizistiktexten eine Durchmischung von Fachliteratur (z. B. Zeitschrift für Handel und Gewerbe) und allgemein rezipierter Literatur (z. B. Die Gartenlaube) zu erreichen.
314
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 22: Assimilation unter Berücksichtigung von Textsorte und Fachwortschatz (Wörter, Types).
fachtheoretische Bezug, sondern auch die fachsprachenspezifische Verwendung gehört, die in Belletristiktexten mit Blick auf die Rezipientengruppe (Laien) nicht anzunehmen ist. Der Faktor Textsorte stünde insofern im Zusammenhang mit dem Assimilationsverhalten, als die Textsorten durch den Anteil der Fachwörter bestimmt sind. Die eben besprochene Reihenfolge wird auch bei der Assimilations- bzw. Nichtassimilationsquote beibehalten. Wie erwartet ist die Nichtassimilationsquote der naturwissenschaftlichen Texte mit 59,47 % (Wörter) am höchsten. Ihr schließen sich in absteigender Reihenfolge die Quote der Rechts- und Verwaltungstexte307 (58,15 %), die geisteswissenschaftlichen Texte (44,57 %), die Zeitungs- und Zeitschriftentexte (43,20 %) und schließlich die Belletristiktexte (36,47 %) an. Die Assimilationsquote ist in Belletristiktexten am höchsten, die Nichtassimilationsquote entsprechend am niedrigsten. Der große Abstand zwischen den Publizistik- und den Belletristiktexten lässt sich durch das Nichtvorhandensein von Fachwörtern in Belletristiktexten erklären. Der ca. 14 Prozentpunkte betragende Unterschied zwischen Naturwissenschafts- bzw. Rechtstexten und den geisteswissenschaftlichen Texten wird durch den wesentlich geringeren Anteil Fachtermini begründet. Denn wie in Abb. 22 deutlich wird, ist es der Fachwortanteil, der die oben besprochene Reihenfolge der Assimilationsquoten bestimmt. Abb. 22 zeigt ebenso, dass innerhalb aller Textsorten die Fachwörter eine wesentlich geringere Assimilationsquote aufweisen als die gemeinsprachlichen Wör-
307 Diese Texte sind i. d. R. Fachtexte. Ferner ist anzunehmen, dass sich hier die z. B. bei von Polenz konstatierte Assimilationsresistenz des Kanzleistils niederschlägt (vgl. von Polenz 1999, 253).
Auswertung des Befundes
315
Abb. 23: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Wortschatzzugehörigkeit (Wörter, Types).
ter: Die Differenz liegt zwischen 10 (Publizistik) und 20 (Naturwissenschaften) Prozentpunkten. Diese Differenz wäre vermutlich noch größer, hätte ich bei der Analyse die Fachwortbestimmung von Becker oder Adelung zur Grundlage genommen: Aus der Regelung beider geht hervor, dass ein Wort nur dann als Fachwort verstanden wird, wenn es ausschließlich fachsprachliche Verwendung findet (Adelung 1788, 114; Becker 1829, 409). Das würde eine ganze Menge der hier als Fachwörter bestimmten Lexeme auf den Status von gemeinsprachlichen Wörtern zurücksetzen, z. B. Musik in einem Fachartikel. Auch die textsortenunabhängige Darstellung der Assimilationsquoten in Tab. 65 zeigt, dass Fachwörter wesentlich seltener assimiliert sind als Lexeme des gemeinsprachlichen Wortschatzes: Die Assimilationsquote der gemeinsprachlichen Wörter entspricht in etwa der allgemeinen Assimilationsquote, sie liegt geringfügig darüber. Deutlich darunter allerdings ist die Quote der Fachwörter zu verorten: Der Abstand der (Voll- bzw.) Nichtassimilationsquote beträgt jeweils gut 20 Prozentpunkte, so dass hier eindeutig von einem Zusammenhang – vom Einfluss der Fachsprachlichkeit – gesprochen werden kann. Dieser Faktor wird auch innerhalb der Entwicklungsdarstellung sichtbar (Tab. 66, Abb. 23): Sowohl die Entwicklung der Fachwörter als auch die Entwicklung der gemeinsprachlichen Wörter verläuft zwar hin zu mehr Assimilation. Der Vergleich der jeweiligen Jahresschnittwerte zeigt allerdings eine große Differenz zwischen den beiden Klassen. Der vielfach beschriebene Assimilationsquotensprung von 10 Prozentpunkten zwischen 1860 und 1890 wird zunächst bei den gemeinsprachlichen Wörtern deutlicher als in der anderen Gruppe.
316
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 24: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Wortschatzzugehörigkeit – ohne Texte 23 und 24 (Wörter, Types).
Die Fachwörter erreichen zwar nie die Assimilationsquote der gemeinsprachlichen Lexeme, zeigen aber dennoch einen Anstieg der Quote – wenn auch einen eher kontinuierlichen Anstieg ab 1830. Dieser lässt sich zumindest zum Teil erklären: Grund für den niedrigen Assimilationswert der Fachwörter von 1830 ist v. a. ein geisteswissenschaftlicher Text von Franz Bopp mit vermehrt auftretenden grammatischen Termini auf -iv (Substantiv, Nominativ, Genitiv, Dativ, Accusativ, Ablativ, Locativ, Comparativ, Vocativ, Interrogativ, demonstrativ, attributiv, positiv, Derivativum, Demonstrativum etc.). -iv zeigt sich im gesamten Jahrhundert – und bis heute – als assimilationsresistent. Der hohe Wert von 1860 ergibt sich durch die Termini in den Publizistik-Texten von 1860 – hier ist ein plötzlicher Anstieg der Assimilationsquote zu verzeichnen. Dieser Anstieg ist nicht repräsentativ, da insgesamt wenig publizistische Fachwörter (Zahlen um die 50 Types pro Jahresschnitt) vorliegen und sich alle assimilierten Fachwörter von 1860 auf den militärischen Bereich beziehen (Beispiele aus der Militär-Zeitung: Major, Truppe, Pistole, Armee, Fregatte, Kaserne, Kanone, militärisch, Militär, Kapitän). Diese Fachwörter haben gleichzeitig alle eine gemeinsprachliche Verwendung und wurden darüber hinaus – von Kapitän und militärisch/Militär abgesehen – seit dem Anfang des Jahrhunderts im Usus ausschließlich assimiliert vorgefunden, weshalb die Quote hier eine Entwicklung darstellt, die faktisch nicht vorliegt. Abb. 24 und Tab. 67 zeigen die Entwicklung der Assimilationsquoten ohne die besagten Texte. Hier kann die Nichtassimilationsquote der Fachwörter von 1830, die 6,68 Prozentpunkte niedriger liegt als die Quote des vorherigen Jahresschnitts, als Schwankung interpretiert werden, zumal die Quote von 1860 wieder in etwa das Level von 1800 erreicht. Der
Auswertung des Befundes
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Abb. 25: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Fachsprachen (Wörter, Types).
Anstieg von 1860 zu 1890 beträgt nun auch bei den Fachwörtern die viel belegten 10 Prozentpunkte, wenngleich dieser Anstieg vorwiegend über die erhöhte Zahl von teilassimilierten Formen erreicht wird. Insofern lässt sich zwar sagen, dass die Fachwörter insgesamt seltener assimiliert werden als gemeinsprachliche Wörter, dass diese Tatsache aber nicht zugleich bedeutet, die Fachwörter seien von Assimilationsentwicklungen insgesamt ausgeschlossen. Es stellt sich mit Blick auf dieses Ergebnis die Frage, ob in Bezug auf den Fachbereich Unterschiede in der Entwicklung zu erkennen sind. Und tatsächlich zeigt sich in Abb. 25, dass die naturwissenschaftlichen und auch die geisteswissenschaftlichen Fachwörter an dem Entwicklungsprozess hin zu mehr Assimilation nicht bzw. nur in geringem Umfang beteiligt sind.308 Bei beiden fachsprachlichen Bereichen ist keine signifikante Entwicklung darstellbar, die – relativ gleichbleibenden – Assimilationsquoten der beiden Fachbereiche weisen allerdings eine deutliche Differenz von durchschnittlich 21,96 Prozentpunkten auf. Erklärbar wird dies durch die Vielzahl philosophischer Texte, denen nicht wenige Begriffe zugrunde liegen, die ebenfalls gemeinsprachliche Verwendung finden: Existenz, Objekt, Subjekt, Realität, Spekulation, Substanz, Konstruktion. Dem gegenüber steht eine Vielzahl nahezu ausschließlich fachsprachlich gebrauchter Termini (vor allem lateinischer und griechischer Bezeichnungen für Flora und Fauna sowie
308 Die deutlich nach unten abweichende Assimilationsquote der geisteswissenschaftlichen Termini von 1830 wurde oben bereits gedeutet.
318
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
medizinischer Fachbegriffe) wie z. B. Ascaris (Spulwurm), Asphyxie (Pulslosigkeit), Cardiaco (Herz), Cerambyx (Bockkäfer), Cercaria (Schwanzlarve), Conchiologie (Muschellehre), Oesophagus (Speiseröhre), Oxygen (Sauerstoff), Turgescenz (Blutreichtum), Vorticella (Glockentierchen). Den größten Anstieg verzeichnen die publizistischen und die Rechts- und Verwaltungstexte. Der Grund dafür, dass ausgerechnet die Fachwörter des rechtssprachlichen Bereichs den eindeutigsten Assimilationsquotensprung aufweisen – und sich damit ähnlich wie der Gesamtdurchschnitt des Materials verhalten –, ist sicher im Alltagssprachenbezug dieser Fachsprache zu finden. Da die Rechtssprache sich nicht nur an Juristen wendet, sondern auch für die Kommunikation mit rechtsfernen, aber „rechtsunterworfenen“ Menschen (Wimmer 1998, 15 f.) gedacht ist, werden hier in erster Linie gemeinsprachliche Begriffe terminologisiert (vgl. Wimmer 1998, 15 f. und Sander 2004, 2). Ähnlich ist es mit den Publizistiktexten, deren Termini aufgrund der Korpusauswahl zu einem großen Teil dem Wirtschaftswortschatz entnommen sind (1800: Neue Zeitung für Kaufleute, Fabrikanten und Manufakturisten; 1830: Mecklenburgische Handels= Zeitung; 1890 Zeitschrift für Handel und Gewerbe; Deutsche Postzeitung). Auch hier gibt es eine große Schnittmenge zwischen fachsprachlich und gemeinsprachlich verwendeten Lexemen: Auction, Bank, Bilanz, Fabrik, Finanz, Kapital, Kasse, Commerz, Konto, Kredit, Kurs, Prozent etc. Häufigkeit und Fachwortstatus: Insgesamt ist im Textkorpus die Anzahl gemeinsprachlicher Wörter erwartungsgemäß deutlich höher als die Anzahl fachsprachlicher Wörter: 9117 der 24108 Einträge sind mit fachsprachlichen Wörtern besetzt. Das entspricht durchschnittlich 37,81 %. Allerdings ändert sich der Anteil fachsprachlicher Wörter in den jeweiligen Häufigkeitsgruppen nicht gravierend (Abb. 26): Der Anteil fachbezogener Termini beträgt bei den häufigsten Wörtern (100+) 31,54 % (929 von 2945 Belegen) und bei den selten gebrauchten Wörtern (1+) 34,40 % (1503 von 4358 Belegen). Dieses Ergebnis beruht auf der Tatsache, dass viele der hier als fachsprachlich bezeichneten Lexeme zugleich eine gemeinsprachliche Bedeutung bzw. Verwendungsweise haben. Bei Karl Ferdinand Becker z. B. trifft der Zusammenhang von Verwendungshäufigkeit und Fachsprachlichkeit viel eher zu, weil sein Verständnis von Fachsprachlichkeit auf der Alleinverwendung im Fach beruht (Becker 1829, 409). Was sich allerdings zeigt, ist die unterschiedliche Assimilationsquote der Fachwörter in den verschiedenen Häufigkeitsgruppen (Tab. 68, Abb. 27): Häufig vorgefundene Fachwörter werden viel eher assimiliert als selten vorkommende. Der Unterschied ist hierbei besonders zwischen den beiden Extremen darstellbar: Hier werden die Werte von Assimilations- und Nichtassimilationsquote nahezu ausgetauscht. So sind nur 7,86 % der häufigsten Fachwörter (100+) nicht assimiliert (56,40 % sind vollassimiliert), hingegen 78,31 % der seltensten Fachwörter (1+) (9,91 % sind vollassimiliert). Zu den häufigsten Fachwörtern gehören Artikel (Philologie), Charakter (Philosophie), Funktion (Mathematik), Kammer (Jura – Organ der
Auswertung des Befundes
319
Abb. 26: Anteil der Termini im Verhältnis zur Auftretenshäufigkeit der Wörter (Wörter, Tokens).
Abb. 27: Assimilation bei Fachwörtern unter Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit (Wörter, Tokens).
Rechtsprechung), Kanone (Militär), Körper (Physik), Melodie (Musik), Punkt (Geometrie), Substanz (Philosophie), System (Physik, Geologie) – in Gegenüberstellung dazu einige der (innerhalb dieses Korpus) seltensten Fachwörter: Amaryllis (Biologie), Bacillus (Medizin, Biologie), Cartesianismus (Philosophie), Chamaerops (Biologie), Chlorid (Chemie), Difformität (Medizin), Diphthong (Philologie), Dracontium, Flageolet (Musik), Hypostase (Philosophie), Calcination (Chemie), Combinatorik (Mathematik). Bei den anderen Häufigkeitsgruppen liegen untereinander ähnliche
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 28: Assimilationsentwicklung bei Fachwörtern unter Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit (Wörter, Tokens).
Verteilungen der Werte vor, so dass sich der Zusammenhang von Assimiliertheit und Häufigkeit bei Fachwörtern nur bei den extremen Gruppen besonders zeigt. Der besondere Status der häufigsten Wörter wurde bereits oben bei der Betrachtung ohne den Faktor Fachwortschatz hervorgehoben. Dieser besondere Status wird auch deutlich, wenn die Entwicklung der Nichtassimilationsquoten bei Fachwörtern betrachtet wird (Abb. 28). Alle Häufigkeitsgruppen zeigen auch hier eine Entwicklung hin zu mehr Assimilation, wobei ebenso ein früherer Quotenabfall bei den drei Gruppen der häufigsten Wörter (100+ bis 25+) vorzufinden ist. Überschneiden sich die Kurven der mittleren Häufigkeitsgruppen (5+ bis 50+) hin und wieder, so sind die Kurven der seltensten und – vor allem – der häufigsten Fachwörter deutlich abgrenzbar. In Bezug auf die Repräsentativität des Befundes muss gesagt werden, dass die dargestellte Entwicklung der häufigsten Fachwörter (100+) keine Entwicklung ist. Sowohl die 29,03 % um 1800 als auch die 7,14 % um 1830 und die 0,79 % 1890 (Tokens) beziehen sich auf ein und dasselbe Lexem, das sich in der fachsprachlichen Verwendung als besonders assimilationsresistent erweist: Function. Ließe man dies außer Acht, ergäbe sich eine Nullkurve, so dass man sagen kann: Die Fachwörter, die in den Texten hundertmal und häufiger zu finden sind, sind alle graphematisch mindestens teilassimiliert (Ausnahme Function). Generell lässt sich nach dieser umfassenden Analyse sagen, dass sehr häufige Wörter – egal ob fachsprachlich oder nicht – auch in den meisten Fällen assimiliert
Auswertung des Befundes
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(zumindest aber teilassimiliert) werden und dass die Assimilation durchschnittlich früher beginnt als bei selteneren Wörtern.
4.3.2.5 Einfluss der Spendersprache Die Spendersprache ist in der Regelungsdarstellung ein häufig genannter Faktor. Grundsätzlich kann sich der Spendersprachenfaktor aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise zeigen, z. B.: Nimmt man mehr Assimilationen bei Wörtern unbekannterer Sprachen an, spricht dies gegen die Assimilation griechischer und lateinischer Wörter. Nimmt man hingegen an, dass die Ähnlichkeit der Spendersprache (zumindest in Bezug auf die lautliche und graphische Seite) im Verhältnis zum Deutschen ausschlaggebend für vermehrte Assimilation ist, so müssten zumindest lateinische Wörter stärker assimiliert werden. Eine Auswertung, in die alle Spendersprachen mit einbezogen sind, ist aufgrund der sehr stark differierenden Auftretenshäufigkeit nicht sinnvoll, da sie kein repräsentatives Ergebnis liefert.
Tab. 27: Spendersprachen mit Anzahl der belegten Einträge (Types). Spendersprache
Die Häufigkeitsverteilung entspricht den Erwartungen an einen Text aus dem 19. Jahrhundert: Die überwiegende Mehrzahl der entlehnten Wörter stammt aus dem Lateinischen (48,46 %) und Französischen (27,46 %) 309 – zusammen gut drei Viertel aller Einträge. Die starke Dominanz des Lateinischen erklärt sich durch die lange Entlehnungsgeschichte dieser Sprache: Übernahmen aus dem Lateinischen sind im Verlauf der gesamten Sprachgeschichte zu finden, es besteht die „älteste direkte Verbindung“ (Eisenberg 2012, 77): Der ersten Entlehnungswelle im frühen Mittelalter folgen weitere Entlehnungen in der Zeit des Humanismus; und als Gelehrtensprache bleibt das Lateinische bis ins 18. Jahrhundert präsent – und damit
309 Zugrunde liegen die Angaben der drei etymologischen Lexika (vgl. Literaturverzeichnis).
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
auch lateinische Entlehnungen bzw. Nachbildungen (Tschirch 1989, 266). Auch die meisten griechischen Wörter gelangen über das Lateinische ins Deutsche. Für das Französische sind ebenso mehrere Entlehnungswellen belegt: Die erste führt zurück ins Mittelalter, die zweite hat ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert. Die französische Gesellschaft, Kultur und der militärische Erfolg des Nachbarlandes bilden die Grundlage für Entlehnungen. Der Blick nach Frankreich gilt v. a. dem Hof, so dass Lexeme aus den Bereichen Mode, Wohnen, Esskultur, Landschaftsarchitektur, Musik und Gesellschaft übernommen wurden. Infolge der Revolution werden im 19. Jahrhundert auch Begriffe aus dem Bereich der Politik z. B. Bourgeoisie, Royalist, Emigrant, Etat, Budget, Barrikade oder Guillotine entlehnt (Tschirch 1989, 268 ff.). Das Italienische prägt die deutsche Sprache v. a. im 17. und 18. Jahrhundert aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutsamkeit Italiens durch Begriffe der Kaufmannssprache und der Musik (Tschirch 1989, 267). Die Entlehnung von Anglizismen (Politik, Industrie, aber auch Mode und Gesellschaft) beginnt zwar schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts (Eisenberg 2012, 47), wird aber erst zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts relevant (Tschirch 1989, 273), so dass die geringe Zahl dieser Entlehnungen im Korpus nicht verwundert. Für alle anderen im Korpus gefundenen Sprachen sind keine größeren Entlehnungswellen belegt, so dass die geringe Zahl erklärbar ist. Sie können zu der in den Regelwerken häufig genannten Kategorie der „unbekannten Sprachen“ gezählt werden. Das Assimilationsverhalten der Wörter dieser „unbekannten Sprachen“ 310 soll zunächst im Vordergrund stehen. Der Vielzahl von Entlehnungen aus dem Französischen, Lateinischen, Griechischen, Italienischen und Englischen steht eine äußerst geringe Zahl Entlehnungen aus den „unbekannten Sprachen“ gegenüber, so dass die Auswertung separat erfolgt, um nichtrepräsentative Befunde zu vermeiden. Die Tabellen 69 und 70 zeigen für diese Wörter eine überdurchschnittlich hohe Assimilationsquote: 82,29 % der Grapheme und 79,02 % der Wörter sind vollassimiliert. Die Quote liegt damit 40 bis 47 Prozentpunkte höher als der Durchschnitt. Diese Werte lassen trotz mangelnder Repräsentativität den Rückschluss zu, dass Lexeme unbekannter Sprachen – also solche, die nicht an den Schulen gelehrt werden und wenige Entlehnungen beisteuern, so dass die Strukturmerkmale der Sprache als unbekannt vorausgesetzt werden dürfen – im Allgemeinen deutlich schneller graphematisch assimiliert werden als Wörter der bekannten Sprachen. Der von Adelung und Wilmanns in der Regel benannte Zusammenhang ist also
Abb. 29: Assimilationsentwicklung bei Wörtern „unbekannter“ Sprachen (Grapheme, Types).
auch im Usus nachweisbar. Die Autoren beschreiben damit den Gebrauch, wie die Entwicklung zeigt: Eigentlich verbietet sich die Darstellung der Entwicklung von Lexemen unbekannter Sprachen aufgrund der geringen Auftretenshäufigkeit. Der Vollständigkeit halber sei allerdings Abb. 29 mitgeliefert, die die unbekannten Sprachen nicht mehr getrennt betrachtet (ebenfalls aus Repräsentativitätsgründen). Sichtbar wird eine etwa gleichbleibend hohe Assimilationsquote über das gesamte Jahrhundert. Offensichtlich ist diese Assimilation also eine, die in der Regel sofort mit der Übernahme des Wortes erfolgt, so dass man hier einen Einfluss der Grammatiker nicht nachweisen kann. Diese Sprachen werden im Einzelnen auch gar nicht in den Grammatiken thematisiert; sie werden einzig unter „unbekannte Sprachen“ verbucht (vgl. Adelung: morgenländische Sprachen wie türk. und arab. [Adelung 1788, 115 ff.]). Zu den verbleibenden Spendersprachen Latein, Griechisch, Französisch, Italienisch und Englisch, von denen zumindest die ,großen Vier’ (Englisch ausgenommen) in den Regelwerken manchmal separat besprochen werden, treffen Tab. 71 und 72 (mit Abb. 30 und 31) Aussagen. Zum Vergleich ist die häufigste der „unbekannten“ Sprachen (Niederländisch) hinzugezogen worden. Die Abbildungen zeigen die Spendersprachen sortiert nach der Quote der (Voll-) Assimilationen. Unbeachtet bleiben zunächst die Wörter, deren Spendersprache bzw. Einfluss nicht eindeutig ist bzw. diejenigen Wörter, für die in den Herkunftswörterbüchern Latein nur als Mittlersprache angegeben ist. So ergibt sich folgendes Bild: In besonderem Maße assimilationszugewandt zeigen sich die Wörter des Niederländischen – also einer unbekannten Sprache, deren generell hohe Assimilationsquote bereits dargestellt wurde. Der Abstand zum Französischen,
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 30: Assimilation bei Wörtern „bekannter“ Sprachen (Wörter, Types).
Abb. 31: Assimilation bei Wörtern „bekannter“ Sprachen (Grapheme, Types).
dessen Wörter immerhin auch noch eine Assimilationsquote über dem Durchschnittwert zeigen, ist beträchtlich: Er beträgt 40 (in Bezug auf die Grapheme) bis 50 Prozentpunkte (in Bezug auf die Wörter). Es folgen die Wörter der „modernen“ Sprachen, des Französischen und des Italienischen – ebenfalls noch mit einer Assimilationsquote über dem Durch-
Auswertung des Befundes
325
schnitt:311 41,10 % der französischen Wörter und 38,79 % der italienischen Wörter sind assimiliert. Die Quoten der darauf folgenden altklassischen Sprachen entsprechen in etwa der allgemeinen Assimilationsquote.312 Relativ weit abgeschlagen präsentiert sich das Englische mit nur 18,09 % (Wörter) bzw. 18,18 % (Grapheme) Assimilationsschreibungen. Es ist – abgesehen von den sehr jungen englischen Entlehnungen – also tatsächlich der sog. „Bildungswortschatz“, der die geringste graphematische Assimilationsquote aufweist, wobei der Abstand zu den modernen Sprachen insgesamt zwar geringer ist als erwartet, aber doch ein besonders deutlicher Unterschied zwischen den französischen und den lateinischen Entlehnungen herausgearbeitet werden kann. Die Wörter der modernen Sprachen werden – statisch gesehen – insgesamt eher graphematisch assimiliert als die Wörter der klassischen Sprachen. Das widerspricht zunächst der Heyseschen Argumentation, dass französische und italienische Wörter aufgrund der vielen fremden Laute bzw. fremden PGB zunächst weniger stark assimiliert werden (Heyse 1814, 319) – und auch der damit zusammenhängenden Argumentation Hellers und Tellings, dass eine graphematische Assimilation eher akzeptiert (und dementsprechend auch vollzogen) wird, je mehr formal-strukturelle Ähnlichkeit [v. a. in der lautlichen Realisierung der Grapheme] die Sprachen mit der Nehmersprache haben (z. B. Heller 1981c, 54). Das dürfte bei lateinischen und griechischen Wörtern eher der Fall sein als bei französischen und italienischen. Oben wurde aber bereits gesagt, dass im Usus formal-strukturelle Ähnlichkeit (hier belegt durch heimische Flexion und Großschreibung) zunächst „nur“ dazu führt, dass Lexeme überhaupt Kandidatenstatus für die Assimilation erhalten. Einzig die Assimilation auf phonemischer Ebene wirkt sich tatsächlich assimilationssteigernd aus. Dass nun ausgerechnet die französischen Wörter, die tatsächlich das gesamte Inventar an im 19. Jahrhundert als „fremd“ bezeichneten Lauten und Lautkombinationen liefern, die höchste Assimilationsquote der häufigen Spendersprachen aufweisen, ist dadurch erklärbar, dass sie neben der höchsten Rate an Fremdphonemen auch die höchste Rate assimilierter Phoneme bzw. Phonemkombinationen zeigen, denen dann wiederum eine graphemische Assimilation folgt (z. B. → , , ). Insofern wird die hohe Zahl graphisch nicht assimilierbarer Phonographeme (mit fremden Phonemen) durch die vielen phonemischen Assimilationen mehr als kompensiert. Auch bei Becker ist es die ähnliche lautliche Struktur der griechischen und lateinischen Wörter, die dazu führen soll, dass hier fast immer assimiliert wird (Becker 1829, 409 ff.). Damit beschreibt Becker nicht den Usus, tritt aber für eine
311 Die Durchschnittsquote ohne Einbezug weiterer Faktoren beträgt 31,80 %. 312 Der Platzierungstausch der beiden klassischen Sprachen Griechisch (Wörter: 5. Platz, Grapheme: 4. Platz) und Latein (Wörter: 4. Platz, Grapheme: 5. Platz) in den Tabellen ergibt sich aus der Tatsache, dass die griechischen Entlehnungen eher über Teilassimilationen angeglichen werden als lateinische Lexeme. Teilassimilationen werden nicht in der (Voll-)Assimilationsquote der Wörter berücksichtigt, sondern nur bei den Graphemen.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
stärkere Assimilation lateinischer Wörter ein, womit er den Assimilationsschub derselben bereits vorwegnimmt (s. u.). Laut Augst ist es u. a. die Vielzahl komplizierter PGB, die dazu führt, dass englische Wörter sehr selten graphematisch assimiliert werden (s. o. Augst 1987b, 165). Für das 19. Jahrhundert kommt sicher auch noch die Tatsache hinzu, dass die Wörter relativ „jung“ in der deutschen Sprache sind. Allerdings konstatiert von Polenz, dass englische Wörter im 19. Jahrhundert stärker graphematisch assimiliert wurden als heute (von Polenz 1999, 253). Die stärkere Assimilationsresistenz im 20. Jahrhundert hat allerdings noch weitere Ursachen, etwa die Tatsache, dass es sich um die Welt-/Wirtschaftssprache handelt, die außerdem in der Schule zur ersten Fremdsprache wird – beides ist im 19. Jahrhundert nicht der Fall.313 Das Englische zählt also zu den modernen Fremdsprachen, verhält sich aber aufgrund der gerade erst einsetzenden Entlehnungswelle doch erheblich assimilationsresistenter. Spendersprache und Entlehnungszeitpunkt: Kombiniert man nun die Faktoren Spendersprache und Entlehnungszeitpunkt (Tab. 73, Abb. 32), so ergibt sich für das Französische und das Lateinische folgendes repräsentative Bild: Es zeigt sich eine enorme Differenz der Assimilationsquoten zwischen den Sprachen und außerdem wird deutlich, dass die Durchschnittsassimilationsquoten
Abb. 32: Assimilation französischer und lateinischer Wörter unter Berücksichtigung des Entlehnungszeitpunkts (Wörter, Types).
313 Auf diese Ursachen ausführlicher einzugehen, ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, vgl. dazu aber z. B. von Polenz 1999.
Auswertung des Befundes
327
Abb. 33: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Spendersprache (Wörter, Types).
der Sprachen sich nicht auf alle Wörter beziehen, sondern dass der Faktor des Entlehnungszeitpunktes insofern außerordentlich wichtig wird, als besonders die frühen Entlehnungen des Mittelalters die mit Abstand höchste Assimilationsquote bzw. niedrigste Nichtassimilationsquote (Französisch: 8,25 % der ältesten gegenüber z. B. 32,35 % der jüngsten Entlehnungen; Latein: 41,13 % der ältesten gegenüber 67,89 % der jüngsten Entlehnungen) aufweisen. Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die Entwicklungsdarstellung in Tab. 74 und Abb. 33: Eine Entwicklung der englischen Entlehnungen ist aufgrund der wenigen absoluten Zahlen nicht skizzierbar. Anders verhält es sich bei den häufigsten Fremdsprachen: Französisch und Latein. Dies sind die Sprachen, die – neben dem Italienischen – am deutlichsten von dem Assimilationsquotensprung zwischen 1860 und 1890 betroffen sind: Die Nichtassimilationsquote der Wörter sinkt um 9,18 Prozentpunkte bei den französischen und sogar um 15,6 Prozentpunkte bei den lateinischen Wörtern. Der beeindruckende Quotenabfall der italienischen Wörter von 1860 (52,13 % nicht assimiliert) zu 1890 (21,98 % nicht assimiliert) ist zurückzuführen auf die im Belegmaterial vorhandenen Grapheme: Es handelt sich vorwiegend um den Ersatz von durch und : Costüm → Kostüm, Concert → Konzert, Comödiant → Komödiant, Casse → Kasse, Capital → Kapital, Procent → Prozent, Canal → Kanal, Ducat → Dukat.314 Offensichtlich spielen sich bei diesen Graphemen die eindeutigsten Entwicklungsprozesse ab, wie auch schon die Grammatikeranalyse vermuten ließ.
314 Beachtet werden muss auch die eingeschränkte Repräsentativität des Befundes: Die Anzahl der Belege ist deutlich geringer als die der lateinischen und französischen Entlehnungen.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Dass für das Griechische keine eindeutige Entwicklung darstellbar ist, ist zunächst auch hier mangelnder Repräsentativität geschuldet und außerdem vermutlich auf die Vielzahl assimilationsresistenter Grapheme zurückzuführen bzw. auf die Tatsache, dass hier die Grapheme fehlen, die im 19. Jahrhundert für die Entwicklung hin zu mehr Assimilation sorgen: und (vgl. Kapitel 4.3.3.1). Die Bezeichnung „Lateinisch/Französisch“ als Herkunftssprachenvermerk ist verschiedenartig zu deuten: Einerseits werden hier alle Wörter subsumiert, deren Herkunft tatsächlich nicht genau bestimmt ist (die aber entweder der lateinischen oder der französischen Sprache zuzuordnen ist) – z. B. complicirt/kompliziert 315 –, andererseits aber auch die Wörter, die zwar ihre Wurzel im Lateinischen haben, aber mit Blick auf bestimmte Grapheme den französischen Einfluss bei der Übernahme oder bei der graphemischen Assimilation nicht leugnen können (z. B. Idee316). Die vergleichsweise hohe Assimilationsquote dieser Wörter (vgl. Tab. 75) ist im Grunde zurückzuführen auf zwei Wörter mit ihren Ableitungen, die – trotz insgesamt ungesicherter Herkunft – eindeutig französisches Graphemgut aufweisen, im gesamten Korpus sehr häufig auftreten und daher auch bei der Auswertung der Types immer noch große Präsenz zeigen: Idee und regieren/Regierung. Die französischen Grapheme und in -ieren werden hier immer graphemisch assimiliert, so dass sich die hohe Quote erklären lässt. Der benannte französische Einfluss ist Grund für die Vielzahl eher französischer Grapheme in dieser Gruppe, was wiederum die Quotennähe zu den französischen Wörtern begründet. Die Assimilationsquote griechisch-lateinischer Wörter liegt leicht unterhalb der Quoten für die griechischen und die lateinischen Wörter, aber noch höher als die Quote der englischen Wörter (Tab. 76). Die Nichtassimilationsquote (36,36 %) ist dabei sehr nah an der Quote der griechischen Wörter (40,69 %). Die Nähe zu der Quote der klassischen Sprachen verwundert natürlich nicht. Diese Spendersprachengruppe wird im Folgenden vornehmlich bei der Auswertung der -Grapheme eine Rolle spielen. Wortstruktur: Nimmt man die Annahme, dass lateinischen Wörtern in (fast) jedem Fall eine Anpassung der Wortstruktur bei der Übernahme ins Deutsche widerfährt (was bei Lexemen z. B. des Englischen und Französischen nicht so ausgeprägt der Fall ist), zur Grundlage, kann man mit Blick auf die eben dargestellten Assimilationsquoten nicht behaupten, dass eine angepasste Wortstruktur quasi automa-
315 Nach Duden Herkunftswörterbuch ist der Einfluss unklar: Französisch oder Latein (Duden 2001, 433). 316 Nach Kluge Herkunftswörterbuch: „Entlehnt aus l. idea und frz. idée, die zurückgehen auf gr. idéa“ (Kluge 2002, 431). Nach Duden Herkunftswörterbuch: „Die modernen Bedeutungen […] entwickelten sich – zum Teil unter dem Einfluss von frz. idée – im 17. und 18. Jh. Ausgangspunkt ist der aus griech.-lat. idéa ableitbare Begriff des nur ‚geistig Vorgestellten, Gedanklichen‘“ (Duden 2001, 357).
Auswertung des Befundes
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tisch zu vermehrter graphematischer Assimilation führt: Lateinische Wörter haben eine knapp unterdurchschnittliche Assimilationsquote, die französischen eine deutlich höhere, so dass dieser Zusammenhang zumindest anhand dieser Untersuchung nicht gezeigt werden kann. Abschließende Ergebnisse können in dieser Hinsicht jedoch nicht präsentiert werden. Sowohl die Ergebnisse der Analyse unter Kapitel 4.3.2.2 als auch der Analyse mit Einbezug des Spendersprachenkriteriums zeigen, dass die formal-strukturelle Ähnlichkeit nicht generell als Assimilationsfaktor zu betrachten ist. Einzig die Assimilation auf der phonischen Ebene wirkt sich assimilationsfördernd aus. Andere Faktoren sind hier doch deutlich relevanter.
4.3.2.6 Einfluss der Fremdgraphemanzahl Dieser Abschnitt soll zeigen, inwiefern die folgende Vermutung zutrifft: Je höher die Anzahl an Fremdgraphemen, desto weniger kann eine graphematische Assimilation erwartet werden. Damit im Zusammenhang steht die Frage, ob innerhalb eines Wortes entweder alle oder kein Fremdgraphem assimiliert werden. Die Regel, Teilassimilationen möglichst zu vermeiden, wird insbesondere in der amtlichen Phase relevant (vgl. Kapitel 3.4). Wenn viele Fremdgrapheme vorhanden sind, sollen entweder alle oder kein Graphem assimiliert werden. Dies gilt in den Regelwerken allerdings vorwiegend für die Verwendung von und , so dass hier zunächst überprüft wird, ob dieser Faktor auch graphemübergreifend anschlägt. Mit Blick auf die Durchschnittswerte der Assimilationsarten (Tab. 77) lässt sich zunächst sagen, dass die Teilassimilation nicht die üblichste Art des Umgangs mit Fremdwörtern darstellt, sondern die seltenste (18,28 % → geringster Anteil). Anders gedeutet lässt sich aber sagen, dass immerhin knapp ein Fünftel aller Fremdwörter (Fremdworteinträge) im 19. Jahrhundert teilassimiliert sind. Die Entwicklung innerhalb des 19. Jahrhunderts zeigt dabei auch keinen Rückgang (Tab. 78). Insgesamt bleibt der Anteil Teilassimilationen bei ca. 20 % relativ konstant, steigt sogar geringfügig am Ende des Jahrhunderts (von 17,77 % [1860] auf 21,64 % [1890]). Dass sich der Anteil assimilierter Grapheme reduziert, je mehr Fremdgrapheme ein Wort aufweist, lässt sich – zumindest bei der Betrachtung aller Grapheme in ihrer Gesamtheit – ebenfalls nicht nachweisen (Tab. 79). Die Assimilationsquoten sind in etwa gleichbleibend hoch: Sie beträgt 41,51 % (Grapheme Types), wenn ein Fremdgraphem innerhalb eines Wortes auftritt (z. B. Major: ), und sie liegt bei 44,17 % beim Vorhandensein von insgesamt fünf Fremdgraphemen (z. B. conventionell: nass. , , , ass. , ). Es hängt vielmehr von der Art der Grapheme ab, ob sie assimiliert werden oder nicht. Die leicht erhöhte Assimilationsquote von Wörtern mit sechs Fremdgraphemen ist nicht repräsentativ, da sich der Wert auf zwei Wörter mit allen Ableitungen bezieht: revolutionär/ Revolutionär (ass. , , , , nass. , ) und Cu-
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 34: Assimilationsentwicklung unter Berücksichtigung der Fremdgraphemanzahl [1–4] (Grapheme, Types).
bikcentimeter (nass. , , , ass. , , ) 317. Die Assimilationsresistenz von Graphemen wie und ändert sich auch durch die Anzahl der Fremdgrapheme im Wort nicht, ebenso wenig wird die Assimilation von durch das Vorhandensein von oder durchgehend verhindert. Die Graphemspezifik der Assimilationsquoten wird im nächstfolgenden Abschnitt untersucht. Die Entwicklungsdarstellung bestätigt diese Tatsache ebenfalls (Tab. 80, Abb. 34): Der Assimilationsquotensprung zwischen 1860 und 1890 ist bei Wörtern jeder Fremdgraphemanzahl in ähnlicher Weise festzustellen:318 Die Quote pendelt in der Regel zwischen 35 % und 40 %, um dann um etwa 10 Prozentpunkte anzusteigen.
4.3.2.7 Einfluss des Zitatwortstatus Zitatwörter, die nach oben stehenden Regeln aufgenommen wurden, haben einen äußerst geringen Anteil am Gesamtkorpus: Insgesamt nur 275 der 38033 Graphembelege, also 0,7 % gehören zu Zitatwörtern. Die meisten Zitatwörter finden sich – erwartungsgemäß – in Rechts- und Verwaltungstexten sowie in naturwissenschaftlichen Texten. Wesentlichste Spendersprache ist das Lateinische (80,10 % aller Zitatwörter). Für kein einziges ist eine graphematische Assimilation belegt (Tab. 81), was auch mit dem engen Verständnis des Zitatwortphänomens, das hier zugrunde
317 Ihr Auftreten ist auch trotz Berücksichtigung von Types noch sehr stark gehäuft. 318 Bei fünf und sechs Fremdgraphemen innerhalb eines Wortes hat der Befund keine Repräsentativität mehr.
Auswertung des Befundes
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gelegt wurde, begründbar ist. Damit entspricht das Ususergebnis den Regeln in der Kodifikation: Keiner der Autoren lässt die Assimilation von Zitatwörtern zu – auch die radikal-phonetischen Reformer nicht. Dieser „Faktor“ ist also in jeder Hinsicht unumstritten, was auch die Entwicklungsanalyse hinfällig macht. Beispiele: Chevaliers d’honneur (Ehrenritter), Acta camerae, ex promulgatione, Vespa crabro, musculus gastrocnemius, ipso facto, fibra stricta, status nervosus.
4.3.2.8 Hyperassimilationen Das Phänomen, das im Folgenden mit Überassimilation oder auch Hyperassimilation bezeichnet wird, meint die graphematische Veränderung einer spendersprachlichen graphischen Form, obwohl sie (unter synchronem Blickwinkel) keinen Kandidatenstatus aufweist und obwohl mit dieser Veränderung keine heimischen, sondern im Grunde fremde Phonem-Graphem-Beziehungen das Resultat sind. Der Begriff Hyperassimilation unterstellt, dass es sich dabei nicht um Fehler handelt, sondern dass die Anpassung an heimische Verhältnisse Absicht war. Über dieses Phänomen, das ausschließlich in den Usustexten zu finden war, wird weder in der Primärliteratur der Regelwerke noch in der aktuellen Sekundärliteratur gesprochen. Auch diese Arbeit kann dazu keine umfassende Darstellung liefern, das Phänomen jedoch zumindest ansatzweise zu beschreiben versuchen. Da diese vermeintlichen Assimilationen nicht aufgrund der gegenwartssprachlichen Analysefolie zu erklären sind, aber auch nicht völlig unbeachtet bleiben sollten, werden sie separat ausgewertet. In den Usustexten wurden insgesamt 130 Einzelbelege von Graphemen gefunden (Tokens), die sich auf 63 Types (Einträge) verteilen. Die Hyperassimilation umfasst ausschließlich Grapheme zur Kennzeichnung von Lang- bzw. Kurzvokal, wie Tab. 82 zeigt: Einfacher Konsonantenbuchstabe ersetzt Doppelkonsonanz, obwohl die Doppelkonsonanz – zumindest auf den ersten Blick – gar kein Kandidat für eine graphematische Assimilation wäre. Im umgekehrten Fall ersetzt ein doppelter Konsonantenbuchstabe einen einfachen, ebenfalls obwohl dafür zunächst kein äußerer Anlass besteht. Resultate sind Lexembelege wie die folgenden: Rackete (ital. rocchetta), Addresse (frz. adresse), Ammoniack (lat. ammoniacum), Packet (frz. paquet), Pallast (frz. palais), Pastel (ital. pastello), gallopiren (ital. galoppare). Folgende Erklärungsmöglichkeiten sind denkbar: 1. Möglicherweise entsprechen die Betonungsverhältnisse dieser Wörter im 19. Jahrhundert nicht unseren heutigen, so dass eine Vielzahl dieser Schreibungen erklärbar und „regelgemäß“ wäre (Doppelkonsonanz nach betontem Kurzvokal). Diese Anpassung der Betonungsverhältnisse wäre zumindest bei Wörtern mit Fremdbetonung denkbar (z. B. Ráckete, Pállast [bei einigen Grammatikern wie z. B. Adelung und Sanders gibt es Hinweise darauf, dass Pallast – zumindest als Variante – angepasste Tonsilbenverhältnisse bekommen hat],319 319 „Konsonantenverdopplung tritt hier im Allgemeinen nur in geschärften hochtonigen Silben ein, welche den Stammsilben im Deutschen entsprechen, also z. B. P a l a s t mit dem Ton auf der
332
2. 3.
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Kánnibale, Zínnober, Pástel, Bállet, Lótterie, Bánkerot, Fálset, Tabáck, Ammoniáck320). Möglicherweise sind die lautlichen Verhältnisse verändert worden: Kurzvokal ersetzt Langvokal (z. B. Rubrick /ɪ/, grotesk /ɔ/, Kaputze /ʊ/). Möglicherweise dominiert das semantische Prinzip (morphematisches Subprinzip), nachdem in einigen der vorliegenden Wörter aufgrund von synchroner etymologischer Kompetenz Morphemidentifikationen angenommen werden – zuweilen trotz fehlender semantischer Verbindung: z. B. Million (lat. mille, aber entlehnt aus ital. milione), Ad-dresse (lat. ad-direcitiare, aber entlehnt aus frz. adresse) und Kom-mittee (in Analogie zu weiteren lateinischen Präfixbildungen: ad-diren, Ad-dendum, Ad-duktion, Kom-mission), Packet (zu packen), Plattitüde (zu platt) – eventuell auch, wenn man so weit gehen möchte, spatziren (zu Spatz).
4.3.2.9 Zusammenfassung zum graphemübergreifenden Befund Ziel der graphemübergreifenden Ususuntersuchung war festzustellen, inwiefern und vor allem in welchem Zeitraum des 19. Jahrhunderts ganz allgemein eine Entwicklung der graphematischen Fremdwortassimilation im Usus stattfindet und mit welchen Faktoren diese Entwicklung zusammenhängt. Darüber hinaus stellte sich die Frage, in welcher Art Usus und Kodifikation aufeinander einwirken. Die hauptsächliche Entwicklung der Fremdwortschreibung im Usus des 19. Jahrhunderts findet zwischen 1860 und 1890 statt: Es ist in diesem Zeitraum ein Assimilationsquotensprung von ca. 10 Prozentpunkten nachweisbar. Mit Blick auf die vorangegangene Regeldarstellung lässt sich allerdings vermuten, dass sich diese Entwicklung nicht auf alle Grapheme bezieht, sondern dass sie graphemspezifisch ist und v. a. bei den besonders häufigen -Graphemen eine Rolle spielt (vgl. Kapitel 4.3.3). Dass sich die Entwicklung hin zu vermehrter graphematischer Assimilation von Fremdwörtern ausgerechnet im letzten Drittel des Jahrhunderts zeigt, hat seinen Grund in dem Erscheinen zunehmend einheitlicher Regelwerke: den Schulorthographien seit den 50er Jahren321 und dem – zumindest in wesentlichen Teilen – darauf abgestimmten orthographischen Wörterbuch von Konrad Duden.
letzten, P a l l a s t auf der ersten Silbe (vgl. B a l l a s t ), ebenso D a m a s t und D a m m a s t […]“ (Sanders 1856, 39). 320 Laut Duden gibt es zumindest eine Aussprachevariante [v. a. regional Österreich] mit Betonung auf der zweiten Silbe: Tabáck, Ammoniáck (Duden 2006, 178 und 991). 321 Die Einheitlichkeit der Schulorthographien nimmt aber vornehmlich nach der I. Orthographischen Konferenz zu, da sich die Regelwerksautoren dann an Vorlage und Beschlussfassung von Rudolf von Raumer orientieren.
Auswertung des Befundes
333
Die meisten dieser Publikationen erscheinen erstmals um 1880 (vgl. Kapitel 3.4.1), so dass der usus scribendi um 1890 bereits auf diese Regelwerke mit einer angepassten Schreibweise reagiert. Dass die verschiedenen oben besprochenen Assimilationsfaktoren bereits in der Regelung alles andere als einheitlich vorzufinden sind, zeigt schon die Kodifikationsanalyse. Auch in der Ususanalyse wird die unterschiedlich ausgeprägte Wirkung der Faktoren sichtbar. Die Dominanz der lautlichen Ebene in der Regelung findet sich aber auch im Usus wieder. Seit der preußischen Schulorthographie etabliert sich die Regel, dass bei fremden Lauten nicht zu assimilieren sei, im Falle einer phonemischen Assimilation allerdings auch eine graphemische Assimilation folgen müsse. Die Ususuntersuchung zeigt, dass dieser primäre Assimilationsfaktor auch im Schreibgebrauch wirkt: Fremde Laute werden grundsätzlich nicht graphemisch assimiliert und Wörter mit vorangegangener phonemischer Assimilation weisen eine im Durchschnitt etwa 11 Prozentpunkte höhere (bei Beachtung von Teilassimilationen noch deutlich höhere) Assimilationsquote auf. Allerdings bleibt zu sagen, dass sich hier im Verlauf des 19. Jahrhunderts keine Ergebnisänderungen zeigen, insofern kodifizieren die Autoren hier das, was der Usus bereits vorgibt. Die phonemische Assimilation dominiert auch eindeutig andere formale Faktoren wie z. B. die flexivische Assimilation. Letztere ist nur eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Lexeme überhaupt Kandidatenstatus für eine graphemische Assimilation erhalten, wohingegen die phonemische Assimilation tatsächlich einen assimilationsbegünstigenden Faktor darstellt. Insgesamt lässt sich sagen, dass die höchste graphemische Assimilationsquote die Wörter aufweisen, die auf beiden formalen Ebenen Assimilationen verzeichnen. Bezieht man weiterhin den Schrifttyp ein, so ist erkennbar, dass Wörter in Antiqua tatsächlich besondere Fremdheit signalisieren und daher von der graphematischen Assimilation praktisch ausgeschlossen sind. Die meisten dieser Wörter sind dem Zitatwortbereich zuzuordnen. Eine mögliche umgekehrte Behauptung, Fraktur sei ein Zeichen der Einbürgerung, der bevorzugt auch eine graphematische Assimilation folge, ist hingegen nicht zu bestätigen: Wörter in Fraktur weisen in etwa die durchschnittliche Assimilationsquote auf – auch in der Entwicklung. Wendet man sich den anderen – in der Kodifikation auch meist eher sekundären – Assimilationsfaktoren zu, zeigt sich, dass nicht alle besprochenen Faktoren auch tatsächlich – statistisch gesehen – wirken und für manche nur ein eingeschränkter Wirkungsbereich gilt. Als besonders assimilationsresistent erweisen sich erwartungsgemäß Zitatwörter. Besondere Assimilationszugewandtheit ist bei sehr früh entlehnten, sehr häufig auftretenden Fremdwörtern nachzuweisen. Mit „sehr früh“ sind in diesem Fall mittelalterliche Entlehnungen gemeint, die in der Regel durch mündliche Vermittlung in die deutsche Sprache gelangt sind und dementsprechend gleich mit heimischen PGB graphisch realisiert wurden. Ansonsten lässt sich nicht durchgehend behaupten, dass der Entlehnungszeitpunkt einflussreich ist (s. o.). Dazu erweisen
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
sich die Unterschiede der Assimilationsquoten im 16., 17. und 18. Jahrhundert entlehnter Lexeme als zu gering. Eindeutigen Einfluss hat allerdings die Verwendungshäufigkeit der Wörter, die sich durchgehend in der Ususuntersuchung zeigt: Je häufiger das Wort im Sprachgebrauch benutzt wird, desto eher wird es auch graphematisch assimiliert. Auch die Wortschatzzugehörigkeit und die Spendersprache sind – statistisch gesehen – Assimilationsfaktoren. Aber auch hier gilt, dass sie sich nicht auf jedes Lexem bzw. Graphem anwenden lassen. Fachwörter haben grundsätzlich eine deutlich geringere Assimilationsquote als gemeinsprachliche Wörer (10 bis 20 Prozentpunkte), was allerdings nicht bedeutet, dass sie von jeglichen Assimilationsentwicklungen vollständig ausgeschlossen sind. Ein Unterschied wird hier v. a. zwischen geistes- und naturwissenschaftlichen Termini auf der einen und Termini aus Publizistik- sowie Rechts- und Verwaltungstexten auf der anderen Seite deutlich. Bei Letzteren findet sich ein eindeutiger Assimilationsquotensprung zwischen 1860 und 1890, der möglicherweise mit dem Alltagssprachenbezug v. a. der Verwaltungs- und juristischen Termini zu begründen ist. Was den Einfluss der Spendersprache betrifft, muss auch hier in der Ergebnisdarstellung differenziert vorgegangen werden. Die schon bei Adelung vorzufindende Regel, „unbekannte“ Sprachen eher graphematisch zu assimilieren als bekannte, ist anhand der überdurchschnittlich hohen Assimilationsquote im Usus zu bestätigen, wenngleich hier auch auf eine stark eingeschränkte Repräsentativität des Befundes hinzuweisen ist. In Bezug auf die übrigen Sprachen ist ein Unterschied zwischen den häufiger assimilierten „modernen“ Sprachen (Französisch und Italienisch) und den seltener assimilierten „klassischen“ Sprachen (Griechisch und Latein) innerhalb des Usus darstellbar, wobei Letztere die geringere Quote aufweisen (Assimilationsquoten jeweils in Bezug auf die Grapheme: Französisch: 53,82 %, Italienisch: 48,86 %, Griechisch: 46,86 %, Latein: 36,80 %). Dennoch ist die Differenz nicht in Bezug auf jedes Sprachenverhältnis besonders überzeugend. Signifikant ist allerdings der Quotenunterschied zwischen der französischen und der lateinischen Sprache. Die vielfach besprochene Ähnlichkeit zwischen Spendersprache und der deutschen Sprache, die – gemäß Literatur – eher bei den klassischen Sprachen vorzufinden sei, ist demnach nicht ausschlaggebend. Wesentlich ist also nicht die grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen den Sprachen, sondern die bereits besprochene Assimilation an die deutsche Sprache auf der phonischen Ebene. Diese Assimilationen betreffen in der Regel die französischen Wörter, was die erhöhte Quote des Französischen erklärt. Den deutlichsten Assimilationsquotensprung im Laufe des Jahrhunderts zeigen v. a. die französischen und lateinischen Entlehnungen (zwischen 1860 und 1890). Das hängt vermutlich mit dem häufigen Vorkommen von und -ieren innerhalb dieser Wörter zusammen, für die in Anbetracht der Regelungsdarstellung auch im Usus ein deutlicher Quotensprung erwartet wird. Überraschenderweise ohne Einfluss bleibt zunächst die Fremdgraphemanzahl innerhalb eines Wortes. Das ist auch in der Entwicklung der Fremdwortschreibung
Auswertung des Befundes
335
im Usus so. Damit einher geht auch die Frage nach der Akzeptanz von teilassimilierten Schreibungen, die es im letzten Drittel des Jahrhunderts zumindest laut Kodifikation – bei Duden graphemunabhängig (Duden 1872, 66), in den Schulorthographien dann nur in Bezug auf mehrfaches Auftreten von innerhalb eines Wortes (z. B. Kurhessen 1859, Bayern 1879) – zu vermeiden gilt. Dass Mischformen nicht auftreten, lässt sich im Usus zumindest nicht grundsätzlich feststellen. Möglicherweise zeigt sich dieser Faktor aber bei der graphemspezifischen Analyse. Die Kodifikation einigt sich im Laufe des Jahrhunderts auf die Dominanz des lautlichen Kriteriums, das auch im Usus unbestritten wesentlicher Faktor ist. Alle anderen sind sekundär, z. T. nur stark differenziert wirksam bzw. ohne besondere Entwicklungstendenzen in Bezug auf die Assimilationsquoten. D. h., hier nehmen die Regelwerksautoren mögliche Faktoren aus der Ususbetrachtung auf, ohne den Usus in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Der tatsächliche Einfluss zeigt sich daher weniger auf der Seite der assimilationsbegünstigenden Faktoren als bei der Setzung konkreter graphem- bzw. strukturbezogener Regeln sowie singulärer Regeln und der dabei teilweise stattfindenden Anwendung der Faktoren, wie im Folgenden darzustellen sein wird.
4.3.3 Graphemspezifischer Befund 4.3.3.1 und Der in der Regelung und auch in der Sekundärliteratur häufig benannte Unterschied im Assimilationsgrad der beiden Grapheme (vgl. Bramann 1982, 269) zeigt sich auch bei der Betrachtung des Usus (Tab. 83). Assimilations- und Nichtassimilationsquoten sind – hier zunächst unter Einbeziehung aller Jahresschnitte als Durchschnittswerte – jeweils vertauscht: Die Assimilationsquote der Vorkommen von liegt bei 57,58 %, was gleichzeitig nahezu der Nichtassimilationsquote von entspricht (57,65 %). Umgekehrt ist die Assimilationsquote von mit 42,16 % anzugeben. Dieser Wert ist fast identisch mit der Nichtassimilationsquote von (42,42 %). Somit wird deutlich, dass das Graphem sich als wesentlich assimilationsfreudiger erweist. Der Unterschied beträgt durchschnittlich 15,42 Prozentpunkte. Dabei ist die Quote für ganz und gar im Durchschnitt der allgemeinen Assimilationsquote des Jahrhunderts zu verorten (40,97 %). Das bedeutet wiederum, dass die Assimilationsquote von nicht nur höher liegt als die Quote von , sondern dass sie darüber hinaus auch weit über der allgemeinen Durchschnittsquote des Jahrhunderts liegt. Anknüpfend an die eben dargestellten generellen Unterschiede in der Assimilationsfreudigkeit der beiden Grapheme, zeigt auch die Entwicklungsgraphik Entsprechendes (Abb. 35, Tab. 84): Die Werte von liegen jeweils deutlich unter denen von , aber für beide Grapheme kann eine sehr ähnliche Entwicklung konstatiert werden: Sowohl bei als auch bei erfolgt der Assimilati-
336
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 35: Assimilationsentwicklung bei und (Grapheme, Types).
onsquotensprung – erwartungsgemäß nach einer relativ konstanten Quote in den ersten zwei Dritteln des Jahrhunderts – zwischen 1860 und 1890. Die Quoten steigen um 22 Prozentpunkte (bei von 52,60 % auf 74,60 %) bzw. 18,69 Prozentpunkte (bei von 39,00 % auf 57,68 %). Damit ist der Sprung deutlich stärker als der Durchschnittswert unter Einbezug aller Grapheme von etwa 10 %. Sichtbar wird durch diese Ergebnisse, dass die Grapheme von einen bedeutenden – und zwar den hauptsächlichen Anteil – an der Entwicklung der Fremdwortschreibung hin zu mehr Assimilation haben. Gemeinsam mit dem ieren-Suffix sind hier die beeindruckendsten Entwicklungen skizzierbar (vgl. Kapitel 4.3.3.2). Anhand dieser Ergebnisse lässt sich zeigen, dass zwar ein grundsätzlicher Quotenunterschied zwischen den Graphemen besteht, die Ausweitung der Assimilation von allerdings nicht früher erfolgt als die Assimilation von . Bramann hatte diesen Unterschied in der Reihenfolge anhand der Kodifikation herausgearbeitet (Bramann 1982, 269). Und auch die vorliegende Untersuchung bestätigt das (vgl. Kapitel 3.4.2.1). Aber obwohl Sanders 1856 in seinem Katechismus zu mehr Assimilation von rät, die Ausweitung der Assimilation von allerdings nicht empfiehlt (auf Grundlage von Gebrauchsbeobachtungen), sind davon um 1860 natürlich noch keine Auswirkungen zu spüren.322 Der Ersatz durch die heimischen Grapheme bzw. findet im Usus etwa zeitgleich und in selbem Umfang
322 Es muss erwähnt werden, dass Sanders z. T. Assimilationen von in seinen Wörterbüchern vorschreibt, die bei Duden nicht oder nur als neben- bzw. untergeordnete Varianten zugelassen sind. Das betrifft z. B. franko, Kanaille, Karriere, kaschieren, Kasus, Klischee, Kognak, Komitee, Kommandeur, Kommune, Kontrolleur, Kordon, Kredit, Kreme, Kulisse, Kulör, Kurant, Kuvert, Redakteur, Schikane. In Bezug auf allerdings ist Duden deutlich fortschrittlicher als Sanders, der für den Gebrauch hier wenig Assimilationstendenzen annimmt.
Auswertung des Befundes
337
statt, und zwar zwischen 1860 und 1890. Möglicherweise tritt die vermehrte Assimilation von etwas früher ein, ist aber aufgrund der hier gewählten Zeitfenster der Ususanalyse nicht nachweisbar. In der Sekundärliteratur wird dieser Anstieg oft als Verdienst von Konrad Duden gewertet (vgl. Kapitel 1.2.2), da er in seinem Wörterbuch die generelle Regel der preußischen Schulorthographie323 anwendet – und zwar auf ein entsprechend großes Inventar von Wörtern. Diese Möglichkeiten gab es in den mit – natürlich weniger umfangreichen – Wörterverzeichnissen ausgestatteten Schulorthographien nicht. Wäre ihm durch die assimilationszugewandte Regelung in den Schulorthographien – auch bereits der früheren, vgl. Wortlisten – und nicht zuletzt auch durch Daniel Sanders nicht der Weg gebahnt worden, hätten seine assimilierten Schreibweisen vermutlich weniger durchschlagenden Erfolg gehabt. Er führt vielmehr etwas fort, was in den Publikationen der 50er bis 70er Jahre seinen Anfang nahm (wie auch der Vergleich der Wortlisten zeigt). Im Folgenden werden die im oberen Abschnitt der Arbeit dargestellten wesentlichen Thesen zur Assimilation von und (vgl. v. a. 2.3.5.1 und 3.4.2.1) aufgegriffen und anhand der Ususanalyse überprüft. Die These von Polenz’, dass zumindest im Kanzleistil im 19. Jahrhundert vor bzw. favorisiert wird (von Polenz 1999, 253), kann bestätigt werden. Wie Tab. 85 zeigt, liegen die Assimilationsquoten der Rechts- und Verwaltungstexte im Schnitt 12 Prozentpunkte niedriger als die Durchschnittsquoten ohne Berücksichtigung dieses Faktors. Die Zurückhaltung gegenüber Assimilationen beschränkt sich jedoch nicht auf die Rechts- und Verwaltungstexte (und demnach auf Kanzleistil), sondern – wie ebenfalls in Tab. 85 sichtbar – ist auch für naturwissenschaftliche Texte belegt. Bei Belletristik- und Publizistiktexten hingegen liegt eine deutlich erhöhte Assimilationsquote vor. Hier wird also der oben bereits beschriebene Einflussfaktor der Textsorte (und Fachsprachlichkeit) erneut deutlich.
Positionsbedingte Regelung Auslaut: Die Assimilationsquote von und bei Wörtern, in denen die Grapheme Auslautposition haben, ist mit 86,10 % zwar hoch (Tab. 86), entspricht aber nicht den Erwartungen einer Quote von nahezu 100 %. Dabei unterscheiden sich die Quoten der einzelnen Grapheme ausnahmsweise nicht gravierend ( 85,07 %, 88,03 %). Würde in Auslautposition nicht assimiliert, bestünden Ausspracheschwierigkeiten, so dass hier durch graphematische Assimilation phonematische Eindeutigkeit geschaffen wird (vgl. auch Regelungsdarstellung). Ähnliches wird auch bei der Assimilation von beobachtet (vgl. Kapitel 3.4.2.3 und
323 Da Konrad Duden auch von den anderen Schulorthographien Kenntnis hat (vgl. Duden 1886) und seine Publikationen eine stark assimilationszugewandte Haltung offenbaren, lässt sich sagen, dass er sich – zumindest in den späteren Auflagen seines Wörterbuches – eher an Württemberg als an Preußen orientiert hat.
338
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 36: Assimilationsentwicklung bei im Auslaut (Grapheme, Types).
4.3.3.4). Die trotzdem vergleichsweise niedrige Assimilationsquote ist erklärbar, denn bei der Auswertung mit „Frewo“ können zwar Wörter einer bestimmten Struktur (z. B. bzw. oder in Auslautposition) und bestimmte Grapheme darin separat betrachtet werden, allerdings werden dann alle Graphemvorkommen von innerhalb des Wortes ausgewertet, so dass z. B. in Konferenz auch die Schreibung des initialen /k/ mitgewertet wird, obwohl die Assimilation der Auslautposition im Erkenntnisinteresse steht. Insofern darf die tatsächliche Assimilationsquote deutlich höher angesetzt werden, da sich die nicht assimilierten Fälle auf folgende An- und Inlautstrukturen beziehen: Accidenz, Assecuranz, Catholik, Combinatorik, Commerz, Competenz, Conferenz, Concurrenz, Consequenz, Contumaz, Convenienz, Correspondenz, Critik, Recurrenz, Vacanz, Descendenz, Excellenz, Consistenz, Munificenz, Phosphorescenz, Reminiscenz, Turgescenz. Die einzigen Belege für nicht assimilierte Auslautposition sind Duc, hac, hoc, Cognac, Portulac, Ravaillac, sic, Bilance, Distance (fast alle in Antiquaschrift), wobei zumindest die letzten zwei Beispiele auf eine nicht assimilierte Aussprachevariante zurückzuführen sein dürften. Es lässt sich also sagen, dass diese Grapheme im Auslaut der Wörter – sofern sie keinen zitatwortähnlichen Status haben – immer assimiliert geschrieben werden. Es versteht sich insofern, dass in Bezug auf die Entwicklung dieses Strukturtyps kein Sprung von 10 % zu erwarten ist. Die Assimilationsquote wäre aufgrund der wenigen nicht assimilierten Beispiele gleichbleibend hoch. Die Darstellungen Tab. 87 und Abb. 36 zeigen zwar ein Ansteigen der Quote vor allem zwischen 1860 und 1890 (von 81,54 % auf 90,14 % bei und von 89,74 % auf 94,29 % bei ). Dieser Anstieg ist allerdings den oben genannten nicht aus der Analyse entfernbaren Belegen geschuldet.
Auswertung des Befundes
339
Abb. 37: Assimilationsentwicklung bei vor -e(l) (Grapheme, Types).
Dass vor und häufig assimiliert zu schreiben sei, ist eine Regel, die v. a. am Anfang des Jahrhunderts in den Regelwerken zu lesen ist (vgl. Adelung 1788, 123; Hoffmann 1839, 6; Andresen 1855, 154) und sich in erster Linie auf Grapheme vor den deutschen Suffixen -ke, -kel, -zel, -ze bezieht. Als Beispiele werden Artikel, Matrikel, Partikel, Zirkel und Apotheke genannt. Diese Regel gibt – den Ergebnissen in Tab. 88, 89 und Abb. 37 zufolge – den Usus wieder. Vermutlich ist auch das der Grund, weshalb sie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aus den meisten Regelbüchern verschwindet. Die Assimilationsquote dieser Graphempositionen ist gleichbleibend hoch, bei mit durchschnittlich 92,22 % deutlich höher als bei mit 68,00 %. Dieser Unterschied – wesentlich größer als mit Blick auf die allgemeine Durchschnittsquote beider Grapheme – bestätigt in diesem Fall nicht nur den generellen Unterschied der Assimilationsfreudigkeit beider Grapheme, sondern spiegelt die Tatsache wider, dass eine Assimilation von vor bzw. deutlich mehr Notwendigkeit aufweist, da die nichtklassische Aussprache des Lateinischen bzw. der anderen romanischen Sprachen zugrunde gelegt werden kann, bei der das vor oder als /ts/ ausgesprochen wird. Hier ist also keine besondere Kennzeichnung der Aussprache nötig. In Bezug auf die Entwicklung (Tab. 89, Abb. 37) ist zu sagen, dass der Sprung von 1830 zu 1860 bei nicht als solcher zu verstehen ist. Er ergibt sich, da am Anfang des Jahrhunderts vier Belege des Zitatworts specifice (je zweimal ) auftreten, die zur Absenkung der Assimilationsquote beitragen. Generell ist keine Entwicklung zu zeigen. Präfigierungen mit ko-, kol-, kom-, kon-, kor- (Tab. 90, Abb. 38): Diese Kandidaten sind eine Gruppe von Lexemen, bei denen der für die Gesamtentwicklung von besprochene Entwicklungssprung besonders deutlich wird. Die Assimilationsquote steigt von ca. einem Drittel (1860) auf ca. zwei Drittel (1890) an, bei
340
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 38: Assimilationsentwicklung bei im Strukturtyp ko- (Grapheme, Types).
einer durchschnittlichen Assimilationsquote von 40,35 %. Es ist bezeichnend, dass erstmals mit den Schulorthographien nach der I. Orthographischen Konferenz die – im Verhältnis zu anderen Fremdwortschreibungsregeln sehr konkrete – Regel aufgenommen wird, die assimilierte Schreibweise dieser Strukturtypen den nicht assimilierten vorzuziehen (Preussen 1880, 18). Dies und die Aufnahme vieler solcher assimilierter Formen in das Duden-Wörterbuch führen offensichtlich zu einer starken Ausweitung der assimilierten Formen im Usus. Zuvor galt diesem Strukturtypen keine eigene Regel. Es gab allerdings zuvor – und auch nach der Regelsetzung – im Usus schon hin und wieder Assimilationen, die dann zum Teil wieder zurückgenommen wurden und schließlich erneut auftraten (oder in umgekehrter Weise). Die unterschiedlich hohen Assimilationsquoten zwischen 1800 (44,79 %), 1830 (26,50 %) und 1860 (33,61 %) sind auf nichts anderes als diese Schwankungen zurückzuführen. Beispiele für Schwankungsfälle: Correspondent (T4 nass., T19 ass., T36 nass.), Kollegium (T5 ass., T6 nass., T9ass., T20 nass., T59 ass.), Kolonie (T5 ass., T23 nass., T35 ass., T49 nass., T50 ass.), Kommandeur (T5 ass., T30 nass., T34 ass., T43 nass.), Kommando (T5 ass., T14 nass., T19 ass., T29 nass., T34 ass., T36 nass., T48 ass.), Kommissar (T5 ass., T6 nass., T28 ass., T34 nass., T35 ass., T43 nass., T58ass.), weitere Beispiele ohne genaue Darstellung: Kommission, Kompagnie, Kompliment, Komponist, Komposition, Konferenz, Kongress, Konstitution, Konstruktion, Konsul, Korrektion, kombinieren.324 Um 1890 ist die Anzahl der Schwankungsfälle im Usus zwar reduziert, es sind aber immer noch einige vorhanden, z. B. Kollege, Kompetenz, Konkurrenz, Konstruktion. In seltenen Fällen sind auch
324 Weitere Schwankungen von Einzelwortschreibungen dargestellt in Tab. 65. Hier sind alle Wörter dieses Strukturtyps in ihrer Entwicklung verzeichnet, die für alle Jahresschnitte belegt sind.
Auswertung des Befundes
341
Rücknahmen von Assimilationen möglich, z. B. Compass, Compendium, Condensation, Consens, Consistorium, Consonant, Corporation. Gleichzeitig gibt es aber auch viele neue Assimilationen, darunter Kombination, Kommode, Komplex, Komplikation. Außerdem finden sich Schreibungen in den Usustexten, die weiterhin trotz Regel (ohne Variante) unassimiliert bleiben. Es sind in aller Regel Fachwörter, z. B. Coefficient, Cognition, Commerz, Commissur, Concurs. So empfiehlt sich eine Analyse dieses Strukturtyps im Hinblick auf den Fachwortstatus. Und tatsächlich zeigt sich hier (Tab. 91) eine – verglichen mit dem allgemeinen Differenzwert zwischen Fach- und gemeinsprachlichen Wörtern (vgl. oben) – große Differenz der Assimilationsquote beider Klassen. Nur 26,57 % der fachsprachlichen Verwendungen sind assimiliert, demgegenüber 48,48 % der gemeinsprachlichen (Differenz von 21,91 Prozentpunkten). Außerdem zeigt sich hier ein Faktor, für den – unter Berücksichtigung aller Fremdgrapheme – keine Relevanz darstellbar war (Tab. 92): Von der Anzahl an Fremdgraphemen hängt maßgeblich die Assimilation bei diesem Strukturtyp ab. Ist das das einzige Fremdgraphem, so wird die Assimilation in fast zwei Dritteln aller Fälle im Usus vollzogen. Gesellen sich ein bis zwei weitere Grapheme hinzu, ist ein deutlicher Quotenabfall von 24,65 Prozentpunkten zu registrieren. Einen ebenso beeindruckenden Anstieg des Assimilationsanteils hat der Strukturtyp -kt vorzuweisen und beteiligt sich damit ebenfalls am allgemeinen Quotensprung dieses Graphems (Tab. 94, Abb. 39):
Abb. 39: Assimilationsentwicklung bei im Strukturtyp -kt (Grapheme, Types).
Die Durchschnittsquote dieses Strukturtyps liegt auf dem gleichen Level wie die allgemeine Durchschnittsquote des Graphems bei 56,28 % (also deutlich höher als beim Strukturtyp ko-). Die Quote vor 1860 weist dabei keine Schwankungen auf, bevor sie dann zwischen 1860 und 1890 von 51,10 % auf 71,58 % (also um etwa 20
342
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Prozentpunkte) ansteigt. Auch das dürfte als Auswirkung der Schulorthographien ab 1880 zu werten sein, die diesem Strukturtyp eine eigene Regel verschaffen, die besagt, dass „in der Verbindung kt […] das k vorzuziehen [ist], z. B. Edikt, abstrakt“ (Preussen 1880, 18). Schwankungen im Usus existieren hier zwar auch, aber längst nicht in so großer Zahl wie im vorher besprochenen Strukturtyp. Tab. 95 zeigt die wenigen Schwankungsfälle.325 Der Konstatierung eines schwankenden Gebrauchs von -cieren/-zieren (bzw. -ciren/-ziren) in einigen Schulorthographien um 1880 (Bayern 1879, 15; Preussen 1880, 19; Sachsen 1880, 21) folgt die Benennung einer bevorzugten Schreibweise, und zwar der assimilierten, bevor Württemberg schließlich nur noch die Schreibung mit „erlaubt“ (Württemberg 1884, 31). Tatsächlich zeigt hier die Ususuntersuchung zunächst keine (von den Schulorthographien vermutete) Dominanz der assimilierten Schreibweise (Tab. 96): Die Assimilationsquote pendelt zwischen 1800 und 1860 zunächst um die 20 %, bevor dann schließlich die Aufnahme einer Regel in die Schulorthographien dafür sorgt, dass ein rascher Assimilationsquotenanstieg im Usus erfolgt (um ca. 40 Prozentpunkte); so z. B. erstmalig 1890 mit : exerzieren, klassifizieren, kompliziert, produzieren, ratifizieren. Erwähnt werden muss aber auch, dass keine vollständige Repräsentativität des Befundes gewährleistet ist, da sich das Vorkommen auf 102 Types beschränkt, so dass die eben getroffenen Aussagen einer umfassenderen Überprüfung zugrunde gelegt werden müssten. Eine strukturabhängige Regel gibt auch Franz Linnig 1869, indem er empfiehlt, im Anlaut möglichst oft durch zu ersetzen, im Inlaut aber an festzuhalten. Diese Regel klingt umfassend konsequent, wird aber – wie in der Regeldarstellung gezeigt – von Linnig nicht in aller Konsequenz verstanden. Im Usus scheint die Regel wenig Umsetzung zu erfahren, sieht man sich die folgenden Befunde an (Tab. 97 und 98): Die Assimilationsquote der Inlautvariante von ist mit 63,84 % sogar insgesamt um 10 % höher als die Assimilationsquote der Anlautstrukturen. Beide Positionen sind offenbar Träger der Entwicklung von zu mehr : Bei beiden ist ein Assimilationsquotensprung von ca. 25 Prozentpunkten zwischen 1860 und 1890 feststellbar. Die pauschale Regelung von Linnig aber findet sich in Bezug auf den Status quo 1869 hier nicht wieder. Positionsabhängigkeit besteht nur in der oben dargestellten Weise. Die These, dass geläufigere Wörter eher assimiliert werden als weniger geläufige und vor allem fachsprachenspezifisch gebrauchte Wörter, ist für die Gesamtbetrachtung der Fremdwörter bereits nachgewiesen worden. In der Regelung von und wird dieser Faktor auch häufig genannt – im Verlauf des ganzen Jahrhunderts (vgl. z. B. Heinsius 1807, 389; Duden 1876, 73; Preussen 1880, 18).
325 Es sind nur diejenigen dargestellt, für die eine Entwicklung für das ganze Jahrhundert zu zeigen ist.
Auswertung des Befundes
343
Abb. 40: Assimilation bei und unter Berücksichtigung der Auftretenshäufigkeit (Grapheme, Tokens).
Wie Tab. 99 und Abb. 40 zeigen, bestätigt sich dieser Zusammenhang auch im Usus des ganzen Jahrhunderts. Generell lässt sich sagen, dass das in einem Wort umso eher assimiliert wird, je häufiger das Wort gebraucht wird (hier gleichzusetzen mit Geläufigkeit). Dabei sind – erwartungsgemäß – die Quoten von immer deutlich höher als die Quoten von . Der deutlichste Abfall der Quote ist jeweils zwischen den häufigsten Wörtern (100+) und den Wörtern 50+ festzustellen. Ein einziger Wert durchbricht die Kontinuität des Absteigens der Quote: Nur 32,45 % aller Vorkommen von in den Wörtern 50+ sind assimiliert. Der Grund ist darin zu suchen, dass in dieser Gruppe alle Vorkommen von Prozess, Prinzip und Offizier erfasst sind. Das sind sehr häufige Wörter, für die allerdings im gesamten Korpus ein sehr starkes Schwanken mit Tendenz zur Nichtassimilation zu konstatieren ist (vgl. Tab. 100). Da die Autoren der Regelwerke meist als Spendersprachen nur das Lateinische, das Griechische und das Französische besprechen (selten Italienisch) und die anderen – vorwiegend die morgenländischen Sprachen – als „unbekannte Sprachen“ zusammengefasst werden, werden im Folgenden auch nur diese überwiegenden Spendersprachen des Deutschen betrachtet.326
326 In Bezug auf die morgenländischen Sprachen kann es hier auch kein Ergebnis geben, da diese Sprachen nicht die Fremdgrapheme oder liefern.
344
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
In Bezug auf die griechischen Wörter, die vermittelst des Lateinischen ins Deutsche gekommen sind,327 lässt sich gegenüber dem Durchschnitt eine um ungefähr 10 Prozentpunkte erhöhte Assimilationsquote von 66,67 % feststellen (Tab. 101). Allerdings liegen diesem Befund lediglich 27 Types zugrunde, insofern mangelt es an Repräsentativität. Unter den unter „Latein“ verbuchten Wörtern befinden sich jedoch sicher noch weitere Kandidaten. Die Quote ist keineswegs auf beide Grapheme beziehbar, wie die Darstellung unter Tab. 101 zeigt. Es sind zumeist nur Belege von , für die Assimilationen feststellbar sind. verhält sich zurückhaltender. Das entspricht den Regeln, die v. a. in den Schulorthographien zu lesen sind. Zu Beginn des Jahrhunderts noch plädieren Adelung und Heinsius für die Nichtassimilation beider Grapheme, da man die Kenntnis des Griechischen nicht, die Kenntnis des Lateinischen aber sehr wohl voraussetzen könne. Aber bereits Heyse überlässt die Entscheidung den Lesern und in den Schulorthographien dann setzt sich die Regel durch, zwar assimiliert zu schreiben, jedoch beizubehalten (aus Aussprachegründen) – Letzteres wird erst ganz zum Schluss aufgegeben. Eine Entwicklungsdarstellung verbietet sich aufgrund der geringen Anzahl absoluter Zahlen. Es wurden aber bereits frühe Belege von Assimilationen gefunden (kristallen/krystallinisch, Ketzer, Physiker, Theoretiker). Der anfänglichen Distanz der Regelwerksautoren zur Assimilation von in lateinischen Wörtern (vgl. Adelung und Heyse) weicht im Laufe des Jahrhunderts die zunehmende Anwendung der allgemeinen Regel auf lateinische Wörter (vgl. v. a. Schulorthographien). Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb (im Usus) für lateinische Wörter in der Gesamtbetrachtung des Jahrhunderts etwa die durchschnittliche Assimilationsquote festzustellen ist (Tab. 102). Die Entwicklungsdarstellung zeigt darüber hinaus den üblichen Assimilationsquotensprung zwischen 1860 und 1890 (von 55,31 % auf 77,37 % bei und von 34,11 % auf 56,35 % bei ) – und auch hier wieder die Differenz zwischen den beiden Graphemen. Der Einfluss der Schulorthographien wird also auch an dieser Stelle deutlich. Dass die Assimilationen des im Französischen aufgrund vieler weiterer fremder PGB eher nicht stattfinden (vgl. Duden 1872, 66), kann im Usus nicht nachgewiesen werden (Tab. 103). Hier liegt die Gesamtassimilationsquote sogar über dem Durchschnittswert, nämlich bei 61,30 %. Die Entwicklung stellt sich ebenso in den üblichen Verhältnissen dar: Es zeigt sich ein Sprung von 59,6 % hin zu 73,08 %. Das sind sehr hohe Quoten, die das Gesamtbild bestätigen, dass französische Wörter durchschnittlich stärker assimilationszugewandt sind als lateinische. Der oft beschriebene Respekt vor der Bildungssprache Latein, der zur Distanzierung von Assimilationsversuchen führe, lässt sich jedoch für diese Grapheme nicht in beeindruckendem Maß zeigen: Auch hier ist eine sehr eindeutige Entwicklung hin zu mehr Assimilation zu beobachten.
327 Zugrunde liegen die Herkunftsangaben aus den entsprechenden etymologischen Wörterbüchern.
Auswertung des Befundes
345
Möglicherweise hängt die hohe Assimilationsquote französischer Wörter – wie oben schon vermutet – auch mit den vielen Fällen von vorangegangener phonemischer Assimilation zusammen. Generell verliert das Spendersprachenargument im Laufe des Jahrhunderts nicht nur in der Regelung, sondern auch im Usus seine Bedeutung. Da im Wesentlichen – besonders in den Schulorthographien – die allgemeine Schreibungsregel auf die Regel zur Schreibung von und übertragen wird (vgl. z. B. Württemberg 1884, 30), darf geschlussfolgert werden, dass in Wörtern mit fremden Lauten eher keine graphemischen Assimilationen, dafür aber in phonemisch assimilierten Wörtern der Ersatz durch und stattfindet. Dass die graphematische Assimilation bei der Darstellung fremder Laute nicht vorgenommen wird, konnte oben bereits nachgewiesen werden. In Bezug auf die bzw. -Vorkommen innerhalb dieser Wörter mit fremden Lauten kann zwar aufgrund der wenigen aufgetretenen Belege kaum ein repräsentatives Bild gezeichnet werden (Tab. 104), folgende Tendenzen können trotzdem abgeleitet werden: Zumindest in Bezug auf die Wörter mit /nj/ und /oa/ kann eine nahezu vollständige Assimilationsresistenz konstatiert werden. Der einzige Beleg für eine Assimilation ist Komtoir (Assimilation des trotz Vorhandensein von /oa/) um 1800.328 In Bezug auf /œ:/ liegt ein anderes Ergebnis vor: Hier halten sich assimilierte (14 Types) und nicht assimilierte Formen (12 Types) die Waage. Gründe dafür sind in den meisten Fällen die übergeordnete „Konkurrenzregel“ der zweiten Jahrhunderthälfte (Strukturtyp ko- sei vermehrt zu assimilieren) und darüber hinaus auch die Anwendung des morphematischen Prinzips auf diesen konkreten Fall, z. B. in Sachsen 1880.329 So lassen sich die Belege Kommandeur (3 Types), Kontroleur (2 Types) und Redakteur (6 Types) erklären. Hinzu kommen Ausnahmen wie Akteur (2 Types) und Kulör (1 Types). Ihnen gegenüber stehen insgesamt 12 Types von Directeur, Commandeur, Constructeur,330 Controlleur, Redacteur. Die Belege hierfür zeigen erneut, dass die Kennzeichnung von durch im Usus doch noch zahlreichen Schwankungen unterworfen ist. Alle anderen Belege der Wörter mit fremden Lauten weisen die relevanten Grapheme und nicht auf, so dass dieses dürftige Ergebnis leider wenig repräsentativ ist. In Bezug auf die Regel zu mehr Assimilation in Wörtern mit vorangegangener phonemischer Assimilation lässt sich das Ergebnis der allgemeinen Auswertung
328 Beispiele für nicht stattgefundene Assimilation: Cognac, Comptoir, Octroi. 329 Als Anmerkung getarnte Regel z. B. in Sachsen: „Anmerkung 1. Die Bestimmung § 23, 1 [Wörter mit fremdem Lautbestand werden nicht assimiliert – Anm. A. Z.] schließt die g l e i c h m ä ß i g e Bezeichnung des K=Lauts in s t a m m v e r w a n d t e n ppen aufstellbWörtern nicht aus, z. B. die Schreibung: Kollekteur neben Kollekte, Kommandeur neben kommandieren, Redakteur neben Redaktion u. s. w.“ (Sachsen 1880, 20). 330 Hierfür gibt es im Usus keinen assimilierten Beleg. Grund ist hier möglicherweise auch der nicht zwingend gegebene Zusammenhang zu Konstrukt – Problem der synchronen etymologischen Kompetenz.
346
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 41: Assimilationsentwicklung bei und in Wörtern mit phonemischer Assimilation (Grapheme, Types).
dieses Faktors auch in Bezug auf das Graphem wiederfinden. Leider können sich die Ergebnisse dieser Auswertung aus technischen Gründen nur auf die vorangegangene phonemische Assimilation dieser Grapheme beziehen, nicht auf andere phonemische Assimilationen innerhalb des Wortes. Das wäre nur möglich, wenn keine graphemspezifische Auswertung vorgenommen würde. Aus diesem Grund existieren auch nur so wenig Belege für bei phonemischer Assimilation (Akzise frz. accise, Flanke frz. flanc, funktionieren frz. fonctionner). Das ist bei der Auswertung des Befundes zu berücksichtigen. Die Assimilationsquote von in Wörtern ohne phonemische Assimilation (53,64 %) entspricht der allgemeinen Durchschnittsquote dieses Graphems (54,33 %), wohingegen der Anteil Assimilationen bei vorangegangener phonemischer Assimilation etwa 10 Prozentpunkte höher liegt (63,32 %) (Tab. 105). Erneut findet sich der gravierende Unterschied zwischen den Graphemen und . Auch in der Entwicklung zeigt sich das gewohnte Bild: Ein Assimilationsquotensprung zwischen 1860 und 1890 findet bei beiden Graphemen bei ausbleibender phonemischer Assimilation statt (vgl. Abb. 41, Tab. 106). Bei vorangegangener phonemischer Assimilation ist dieser Sprung nicht bzw. nicht in dem hohen Maß vorzufinden, wobei für das Graphem in dieser Hinsicht aufgrund des wenig repräsentativen Befundes (5 Belege) keine Entwicklung skizziert werden kann (s. o.). Das Vorhandensein weiterer formaler Merkmale als Assimilationsfaktoren wird außerdem in den Regelungen von Preußen und Duden explizit angenommen – und auch in vielen anderen Regelungen durch die Tatsache der Übertragung der allgemeinen Fremdwortschreibungsregel. So führt die fremde Flexion hier zum Ausschluss des Graphems von der Assimilation. Erwartungsgemäß – auch durch
Auswertung des Befundes
347
die Ableitung von den Ergebnissen der graphemübergreifenden Analyse – zeigt sich dieser Faktor auch im Usus (Tab. 107): Die Assimilation von der nicht flexivisch assimilierten Wörter unterbleibt – wie auch schon im Gesamtbefund – fast vollständig. Die Assimilationsquoten betragen 7,50 % () und 2,56 % (), wohingegen die Quoten bei stattgefundener Flexionsanpassung leicht über dem Durchschnitt (5,88 Prozentpunkte) und die restlichen Lexeme, bei denen eine Flexionsanpassung nicht feststellbar war, unter dem Durchschnitt (12,39 Prozentpunkte) liegen. Eine graphemische Assimilation ist nur bei folgenden flexivisch nicht assimilierten Lexemen gefunden worden: die Akteurs, die Fakta, die Kapitäns, Konklusa, die Redakteurs, den Syndikum, Vikarius, die Offiziers. Erwartungsgemäß zeigt sich auch keine Entwicklung in Bezug auf die Veränderung dieser Quote bei nicht vorausgegangener flexivischer Assimilation (Tab. 108), wohingegen – ebenfalls erwartungsgemäß – der übliche Quotensprung bei den anderen beiden Gruppen (flex. ass., ne) zwischen 1860 und 1890 vorzufinden ist. Vor allem in den späteren Schulorthographien und bei Konrad Duden gibt es in Bezug auf die Grapheme und die Regel, dass teilassimilierte Schreibungen – also Schreibungen mit einem heimischen und einem fremden Graphem – möglichst nicht auftreten sollen (Duden 1872, 66). Das kann sich wie z. B. in Bayern, Preußen, Sachsen und Württemberg auf das zweifache Auftreten von innerhalb eines Wortes beziehen – z. B. Konklusion oder Conclusion, aber nicht Konclusion – (Bayern 1879, 15; Preussen 1880, 18; Sachsen 1880, 20; Württemberg 1884, 30) oder aber auf und innerhalb eines Wortes (vgl. Vorlage 1901, 244) oder auch viel weiter gefasst auf das Auftreten von bzw. und eines weiteren Fremdgraphems innerhalb eines Wortes (Kurhessen 1859, 22; Preussen 1880, 18; Vorlage 1901, 243). Andere Kodifikationen setzen sich darüber allerdings auch hinweg, z. B. Konrad Duden, indem er auch dort und zulässt, wo weitere fremde PGB vorhanden sind (Nerius u. a. 2007, 369; Böhme 2001, 350). Und auch in Sachsen z. B. ist die Anwendung des morphematischen Prinzips trotz dieser Regel gestattet, so dass z. B. die Schreibung Kollekteur neben Kollekte existiert (vgl. oben). zweimal innerhalb eines Wortes: Die durchschnittliche Assimilationsquote der Wörter mit zweimaligem Auftreten von beträgt 21,69 % (Tab. 109). Diese Quote bezieht sich auf die vollständige Assimilation des Wortes. In 48,19 % aller Fälle werden beide Vorkommen nicht assimiliert. Auffällig ist zunächst, dass die Assimilationsquote deutlich geringer ist als die jahresschnittübergreifende allgemeine Assimilationsquote von 31,80 % und gleichzeitig die Teilassimilationsquote mit 30,12 % deutlich höher liegt als die allgemeine Teilassimilationsquote von 18,28 %. Möglicherweise sorgt die Tatsache, dass mit zwei Assimilationen innerhalb eines Wortes ein relativ großer Eingriff in das Formativ vorgenommen wird, dafür, dass die Assimilationen hier nicht so gehäuft auftreten. Die hohe Teilassimilationsquote wurde in diesem Bereich gerade nicht erwartet, verwundert allerdings
348
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 42: Assimilationsentwicklung bei Wörtern mit zweifachem -Vorkommen (Wörter, Types).
nur auf den ersten Blick, denn fast alle Belege für Teilassimilation haben zusätzlich zu den zwei -Vorkommen noch mindestens ein weiteres Fremdgraphem und dieses sorgt schließlich für den Teilassimilationsstatus. Die beiden Vorkommen von werden jeweils konsequent assimiliert bzw. die Assimilation bleibt in beiden Fällen aus, z. B. correct, kalkuliren, Rekonstruktion, Kubikfuß, Complication, Kritiker, Conjunctur, Korrektur, Korrektion, Konkurrenz, Konstruktion, Komplikation, Katholik, Kontraktion, Cacao. Einzige Ausnahmen: mikroscopisch, Cubikcentimeter, Practiker, Carfunkel, Contrakt, Classiker, Confiskation, Conventikel, Construktion, Catholik, Contraktion. Und auch diese Ausnahmen sind fast vollständig erklärbar, da es sich um Vertreter der folgenden Strukturtypen handelt: -k- vor unbetontem [ə], -k im Auslaut, Zugrundeliegen einer Form mit -kt. Für diese oben bereits besprochenen Strukturen wurden vermehrt Assimilationen festgestellt, die diese alleinige Assimilation begründen. Hier wird erneut das Problem der Regelkonkurrenz deutlich. In Bezug auf die Entwicklung kann gesagt werden, dass die Assimilationsquote zu- und die Nichtassimilationsquote abnimmt, wenngleich nicht im gewohnten Maß (Tab. 109; Abb. 42). Das ist vermutlich wie oben mit dem Erscheinungsbild eines stark veränderten Formativs erklärbar. Abgesehen davon ist der Entwicklungsbefund auch wenig repräsentativ aufgrund des geringen Vorkommens. und innerhalb eines Wortes: In Bezug auf diese Kombination von Fremdgraphemen zeigt sich erwartungsgemäß ein anderes Bild (Tab. 110). Zunächst lässt sich eine gegenüber der eben beschriebenen Gruppe höhere Assimila-
Auswertung des Befundes
349
Abb. 43: Assimilationsentwicklung bei Wörtern mit und (Wörter, Types).
tionsquote von 28,29 % feststellen. Das entspricht fast dem Durchschnittswert der allgemeinen Auswertung. Die Teilassimilationsquote ist aber auch hier mit 27,63 % relativ hoch. Allerdings lässt sich dies nur zu einem geringen Teil mit dem Vorkommen weiterer Fremdgrapheme (abgesehen von und ) in den betreffenden Wörtern erklären. Diese Begründung gilt ausschließlich bei den folgenden Wörtern: circuliren, Circulation, cöliacisch, commerciell, Electricität, kompliziert, konzentriren, Konzentrirung, konzessioniren, Zykel. Alle anderen Lexeme weisen entweder keine weiteren Fremdgrapheme als und auf oder aber das weitere Fremdgraphem ist nicht Auslöser für den Teilassimilationsstatus. Die folgenden Belege zeigen – verteilt über das gesamte Jahrhundert –, dass diese oben benannte und erst am Ende des Jahrhunderts eingeführte Regel tatsächlich nicht den Status quo beschreibt, sondern eine Neuregelung zur Durchsetzung vermehrter Assimilationsschreibungen darstellt: Canzel (1830), Canzlei (1860), Carzer (1830), Certifikat (1890), Cirkel (1800), Cirkular (1890), Cirkulation (1800), Commerz (1800– 1860), commerzial (1800), commerziell (1890), cyklisch (1890), Elektricität (1800– 1830), Encyklopädie (1830–1890), komplicirt (1890), konfisciren (1830), Koncession (1890), rektificiren (1830), Specifikation (1830). Erwartungsgemäß wird bei diesen Mischschreibungen zunächst das -Graphem assimiliert. Abweichend davon ist es im Einzelfall auch möglich, dass erst das -Graphem angepasst wird – allerdings ausschließlich bei Vorliegen einer Auslautposition (bzw. einer Ableitung mit identischem Morphem mit in Auslautposition). Canzel, Canzlei und Carzer gehen alle auf lateinische Lexeme zurück, bei denen das vor steht, was die Assimilation vor zu begründen vermag. In Bezug auf die Entwicklung ist insgesamt ein enormer Assimilationssprung zwischen 1860 und 1890 zu verzeichnen, wobei der Anteil der Mischschreibungen
350
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
in etwa konstant bleibt (Tab. 110, Abb. 43).331 Durch die 1901 beschlossene Regel dürfte sich dieser Anteil im 20. Jahrhundert allerdings weiter reduzieren. oder und ein weiteres Fremdgraphem innerhalb eines Wortes: Hier zeigt sich bei den Wörtern mit tatsächlich der Faktor der Fremdgraphemanzahl (Tab. 111).332 Allerdings lässt sich trotzdem nicht sagen: Je weniger weitere Fremdgrapheme vorhanden sind, desto eher finden Assimilationen statt. Es ist vielmehr von Relevanz, dass das einzige Fremdgraphem des Wortes ist. Die Assimilationsquote jener Wörter, liegt mit 65,24 % etwa 7 Prozentpunkte über dem Durchschnittswert der Assimilationen von und sogar etwa 11 Prozentpunkte über dem Gesamtdurchschnitt beider Grapheme. Sobald weitere Fremdgrapheme auftauchen, sinkt die Assimilationsquote. Dabei ist es nicht von Relevanz, wie viele weitere Fremdgrapheme zu finden sind.333 Dieser Einfluss zeigte sich wie oben beschrieben schon beim Strukturtyp ko-. Bei der Betrachtung von allerdings rückt dieser Faktor wieder in den Hintergrund. Hier weisen die Wörter, bei denen ausschließlich Fremdgraphem ist, eine geringere Assimilationsquote auf als jene Wörter, bei denen ein weiteres oder ein drittes Fremdgraphem hinzukommt. Diese Tatsache ist generell auf die stärker ausgeprägte Assimilationsresistenz von zurückzuführen und insofern ist ableitbar, dass hier das Vorhandensein weiterer – in vielen Fällen assimilierter – Fremdgrapheme sogar dazu beiträgt, die Assimilation von zu eher zu vollführen (vgl. oben beschriebenes Verhalten von Wörtern mit und ). Darüber hinaus ist das Ergebnis mit dem Einfluss Preußens begründbar: Hier bezieht sich die Regel, anzugleichen, falls weitere fremde PGB vorliegen, nur auf das Graphem . In Bezug auf die Entwicklung wird bei jeder Fremdgraphemanzahl, bei der eine repräsentative Anzahl absoluter Zahlen vorliegt, der Assimilationsquotensprung zwischen 1860 und 1890 deutlich (Tab. 112).334 Bei der Beschreibung des Assimilationsverhaltens von und ist schon vielfach von Schwankungen die Rede gewesen. Diese Schwankungen waren auch im Textkorpus häufig zu finden. Tab. 113 und 114 zeigen die wesentlichsten Schwankungsfälle des Usus, vorgefunden im vorliegenden Textkorpus. Voraus-
331 Es sei auf die mangelhafte Repräsentativität des Befundes verwiesen (insgesamt 152 Types). Tendenzen lassen sich trotzdem erkennen. 332 Nicht dargestellt werden kann leider aus technischen Gründen, ob die weiteren Fremdgrapheme des Wortes einer Assimilation unterworfen sind oder nicht. Insofern gibt der Befund zwar die Abhängigkeit von der Fremdgraphemanzahl wieder, allerdings nicht die Abhängigkeit von weiteren nicht assimilierten Graphemen innerhalb eines Wortes. 333 Dass die Assimilationsquote der Wörter mit sechs Fremdgraphemen hier stark nach unten abweicht, hat die Ursache darin, dass hier mit insgesamt 7 Types keine Repräsentativität vorliegt. 334 Wörter mit 6 Fremdgraphemen wurden mangels Repräsentativität nicht in die Ergebnisdarstellung einbezogen.
Auswertung des Befundes
351
setzung für die Aufnahme in die Liste war das Vorhandensein von Belegen für alle Jahresschnitte.335 Die Tabelle macht deutlich: Schwankungen liegen zwar vor – auch noch z. T. am Ende des Jahrhunderts – (damit hängt auch die Zulassung von Variantenschreibungen zusammen), allerdings ist das Ziel ein eindeutiges: Angestrebt wird sowohl in der Kodifikation als auch im Usus die vermehrte Assimilation von . Das wird v. a. daran deutlich, dass die höchste Assimilationsquote (bzw. Teilassimilationsquote beim Vorhandensein mehrerer Fremdgrapheme) des jeweiligen Wortes zumeist um 1890 zu finden ist. Eine Rücknahme von assimilierten Schreibungen, wie sie etwa von Polenz für englische Entlehnungen im 20. Jahrhundert andeutet (vgl. Kapitel 1.2.3), ist weder in der Kodifikation noch im Usus festund darstellbar.336
, Die bei Konrad Duden erstmalig genannte Variantenschreibung dieser Grapheme (Duden 1872, 39) hat sich zunächst im Usus – aber auch in den anderen hier analysierten Regelwerken337 – nicht durchgesetzt, wie Tab. 115 zeigt. Zu 100 % sind diese Grapheme bzw. die Graphemkombination im Usus des 19. Jahrhunderts nicht assimiliert. Insofern greift die amtliche Regelung von 1901, in der die Schreibung mit bzw. zur Norm wird, tatsächlich regelnd in den Sprachgebrauch ein. Das Ergebnis der Ususuntersuchung bezieht sich auf folgende Wörter und ihre Vorkommen: Accent, accentuiren, Accept, acceptiren, accidentell, Accidenz, Accise, succedendi, successive, Succession, Successor, Vaccine, Accord, accordiren, accurat, Accuratesse, Accusativ, accusativisch, Maccaroni, occasionell, Succurs.
4.3.3.2 Die durchschnittliche Assimilationsquote dieses Graphems (18,23 %) entspricht in etwa der Quote für (s. u.), allerdings wird hier eine Entwicklung sichtbar
335 Das ist auch der Grund dafür, dass die Liste des Graphems deutlich kürzer ist. 336 Zwar gibt es im Usus vereinzelt Belege für vermeintliche Rückentwicklungen, bei denen für ein Lexem zunächst nur assimilierte und im weiteren Verlauf des Jahrhunderts nur nicht assimilierte Belege gefunden wurden, z. B. Konsistorium (1800 ass., 1830 und 1860 nass.), Kompass (1830 ass., 1830–1860 nass.), Konvenienz (1800 ass., 1800–1860 nass.), Konvent (1830 ass., 1860 nass.), Sektion (1860 ass., 1860–1890 nass.). Sowohl der Blick ins amtliche Wörterverzeichnis von 1903 (Regeln 1903, 34 f., 48) als auch auf die weitere Entwicklung im 20. Jahrhundert zeigen aber, dass diese Belege nicht den Rückschluss zulassen, es handele sich um Rücknahmen von Assimilationsschreibungen. 337 Wenngleich Duden etwas anderes behauptet, nämlich dass „diese Schreibungen sich bereits in weitverbreiteten Schulbüchern wie Kühners und Curtius’ Grammatiken finden“ (Duden 1872, 39). Mit dem Zitieren dieser Grammatiken legitimiert Duden seinen Assimilationsvorschlag. Im Usus lässt er sich allerdings nicht stützen.
352
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
(Tab. 116 – Befund für alle Vorkommen von ). Mit Blick auf den allgemeinen Assimilationswert des Jahrhunderts liegt dieses Graphem also insgesamt unter dem Durchschnitt (22,74 Prozentpunkte). Eine Entwicklung zeichnet sich zwischen 1860 und 1890 ab, wie im Quotensprung um 14,28 Prozentpunkte (also mehr als die durchschnittlichen ca. 10 Prozentpunkte) deutlich wird. Dieser Anstieg zeigt sich allerdings nicht, wenn der Tokens-Befund zugrunde gelegt wird (Tab. 117): Hier steigt die Assimilationsquote um 1860 auf 27,65 %, um danach wieder abzusinken. Grund dafür ist das häufige Auftreten des Strukturtyps -ie,338 der sich grundsätzlich assimilativ verhält, wie unten noch gezeigt wird, z. B. Melodie (84),339 Philosophie (39), Mythologie (32), Kolonie (22), Galerie (22) u. a. Die Darstellung der Types sorgt hier für ein deutlich repräsentativeres Bild. Die Gegenüberstellung beider Befunde signalisiert zudem eine stark strukturtypenspezifische Regelung und Entwicklung, die im Folgenden dargestellt wird. Die Regelung der graphischen Realisierung von /i:/ greift v. a. bestimmte Suffixstrukturen auf, die auch im Usus jeweils ein spezifisches Assimilationsverhalten zeigen. Das Suffix -ie weist dabei eine Assimilationsquote von 100 % auf, die im ganzen Jahrhundert konstant bleibt (Tab. 118). Häufig wird in der Regelung auch das Suffix -ier und seine ausschließlich assimilierte Schreibweise thematisiert, allerdings handelt es sich bei den Vorkommen von -ier in aller Regel nicht um graphemische Assimilationen, sondern um Schreibweisen, die bereits in der Spendersprache existieren, wenngleich auch häufig in einem anderen Phonem-GraphemVerhältnis (Ausnahme Papier, aber zu 100 % assimiliert): Cavalier, Klavier, Clystier, Courier, Manier, Officier, Pionnier, Revier, Scharnier. Das einzige nicht assimilierte Lexem dieser Auslautstruktur ist Visir, so dass hier für den Usus des gesamten Jahrhunderts Einheitlichkeit in der Schreibung gezeigt werden kann. Ganz anders verhält sich das Suffix -ieren. Mit Blick auf die Regelung empfiehlt sich zunächst die separate Betrachtung der Wörter mit deutschem Stamm, der Wörter mit -ier im Stamm und ein paar völlig eingebürgerter Wörter (regieren und spazieren), denn schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts sind diese – laut Regelung – assimiliert zu schreiben (vgl. Adelung 1788, 254). Hier dürften sich im Usus demnach keine Veränderungen zeigen. Zunächst ist zu sagen, dass ein repräsentatives Ergebnis aufgrund der wenigen Belege nicht zu liefern ist. Allerdings zeigen sich doch folgende Schreibweisen: Wörter mit deutschem Stamm im Korpus sind gastieren (1),340 hausiren (2), stolziren (1), wovon allerdings nur gastieren assimiliert vorgefunden wurde. Wörter mit Substantivstamm -ier liegen im Korpus nicht vor.
338 Der Tokens-Befund zeigt auch in der Gesamtauswertung eine um 5,51 Prozentpunkte höhere Assimilationsquote. Das ist mit dem gehäuften Vorkommen des Strukturtyps -ie zu erklären. 339 Die Anzahl bezieht sich jeweils auf Tokens. 340 Die Anzahl bezieht sich jeweils auf Types.
Auswertung des Befundes
353
Abb. 44: Assimilationsentwicklung bei im Suffix -ieren ohne Berücksichtigung „völlig eingebürgerter Wörter“ (Grapheme, Types).
Etwas mehr Deutungsmöglichkeit lässt der Befund der völlig eingebürgerten Wörter zu, der sich zwar auch nur auf zwei Lexeme spazieren und regieren bezieht, aber für beide eine Assimilationsquote von fast 100 % liefert: regieren (14 ass.), spazieren (10 ass., 1 nass.). Den Befund dieser separat betrachten Wörter gibt Tab. 119 wieder, wobei die insgesamt überdurchschnittliche Assimilationsquote von 86,21 % zwar eine wenig repräsentative Datenbasis hat, aber auch angesichts der heutigen Schreibung der entsprechenden Lexeme ein korrektes Bild wiedergeben müsste. Alle anderen Lexeme, die der eben besprochenen Gruppe nicht angehören, werden separat in Tab. 120 und Abb. 44 ausgewertet. Hier schwankt die Assimilationsquote zunächst zwischen 0,88 % und 2,56 %, bevor 1890 ein gewaltiger Assimilationsquotensprung um 32,45 Prozentpunkte zu registrieren ist. Dieser Sprung darf eindeutig als Wirkung der Regelbücher gedeutet werden. Wurde zu Beginn des Jahrhunderts in einigen Fällen die Schreibweise -iren gar nicht als fremdsprachlich wahrgenommen (vgl. Kapitel 3.4.2.2), schreibt die Mehrzahl der Grammatiker seit der zweiten Jahrhunderthälfte – allen voran die historische Schule – die assimilierte Form durchgreifend vor, wenngleich auch immer wieder der schwankende Usus bzw. die noch nicht stattgefundene Umsetzung im Usus in den Kommentaren besprochen wird. Sanders behauptet zwar, die ierenSchreibung sei im Gebrauch schon verfestigt (Sanders 1856, VII), von Raumer konstatiert allerdings Gegenteiliges (Begründung 1876, 58). Die Sachlage scheint also alles andere als klar. Die hier durchgeführte Ususuntersuchung gibt von Rau-
354
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
mer Recht: Die Assimilationsquote beträgt um 1860 (etwa zur Entstehungszeit seines Katechismus) im Usus nur 0,88 %. Die vorliegende Beobachtung stimmt also eher mit den kritischen Stimmen überein, die u. a. auf der I. Orthographischen Konferenz laut wurden und behaupteten, -iren sei die verbreitete Schreibweise (vgl. auch noch Wilmanns 1880). In den Schulorthographien ist allerdings – abgesehen von Württemberg – durchweg -ieren zu lesen (vor und nach der Konferenz). Zwar wird diese assimilierte Version dann auch 1901 einheitlich beschlossen, obwohl sich um 1890 noch längst kein einheitliches Bild im Usus ergibt, denn obwohl die Quote rasant von nahezu 0 auf 33,33 % steigt, kann man nicht davon reden, dass -ieren die weiter verbreitete Schreibweise wäre. Dies spricht tatsächlich dafür, dass die Beschlüsse von 1901 nicht nur eine Bestätigung des Usus sind, sondern tatsächlich in Teilen die Züge einer Rechtschreibreform aufweisen. Um zu überprüfen, ob die assimilierte Schreibweise sich eventuell zwischen 1890 und 1900 im Usus so rasch verbreitet und durchsetzt (eine Annahme, die aufgrund vielfach aufgelegter Schulorthographien möglich ist), habe ich zusätzlich 15 Texte aller Textsortenklassen zwischen 1898 und 1901 untersucht (Tab. 121). Es zeigt sich, dass tatsächlich ein weiterer sprunghafter Anstieg der Assimilationsquote zu beobachten ist (auf 63,74 % [Types]). Waren um 1890 ein Drittel aller Belege assimiliert, so sind es um 1900 bereits zwei Drittel. Dieses Ergebnis zeigt einmal mehr den enormen Einfluss der Regelung in den Schulorthographien, deren Einwirken auf den Usus mit diesen Ergebnissen eindrucksvoll dokumentiert werden kann. Dennoch muss die Behauptung von Peter von Polenz, dass -ieren in der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die Oberhand über -iren gewinne, relativiert werden: Die Oberhand gewinnt die assimilierte Schreibweise zunächst nur in der Kodifikation. Im Usus allerdings bleibt die dominante Schreibweise auch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch lange die nicht assimilierte – bis 1890. Erst kurz vor der Jahrhundertwende kehrt sich das Zahlenverhältnis um und die assimilierte Schreibweise dominiert die nicht assimilierte. Die durchgreifende Veränderung im Usus erstreckt sich also auf einen relativ kurzen Zeitraum. Dennoch bleibt zu sagen, dass 1901 eine Schreibweise amtlich beschlossen und verbindlich kodifiziert wird, die zwar eine relativ umfassende Etablierung erreicht hat, aber dennoch über eine Assimilationsquote von 63,74 % (etwa zwei Drittel aller Vorkommen) nicht hinausgeht. Insgesamt zeigt dieser Befund auch, dass ein Großteil des Gesamtanstiegs der Assimilationsquote zwischen 1860 und 1890 sich der vermehrten ieren-Schreibung verdankt, die als Resultat der relativ einheitlichen schulorthographischen Regeln zu verstehen ist. Ein völlig anderes Usus-Bild zum ieren-Suffix zeichnet Stephan Elspaß, der in seiner Habilitationsschrift den Usus des geschriebenen Alltagsdeutsch untersucht. Schon vor 1860 liegen hier Assimilationsquoten von etwa 50 % vor. Im Laufe des Jahrhunderts zeigt sich dann anhand der unten stehenden Daten eine Abnahme der Assimilationsschreibungen, wobei die Werte allerdings nie in die Nähe einer 0 %-Quote rücken, wie es in der vorliegenden Untersuchung der Fall ist. Die Zunah-
Auswertung des Befundes
355
Tab. 28: -iren/-ieren-Schreibungen (Alltagsdeutsch des 19. Jahrhunderts) nach Elspaß (Elspass 2005, 429). Geburtsjahrgänge
-iren
-ieren
Jahrgänge vor/bis 1825 Jahrgänge 1826–1839 Jahrgänge ab 1840 Gesamt
46,0 % 56,6 % 65,9 % 55,4 %
54,0 % 43,4 % 34,1 % 44,6 %
me nicht assimilierter Schreibungen bei Elspaß steht den Empfehlungen der Regelwerke in der zweiten Jahrhunderthälfte diametral entgegen. Wenn die Grammatiker also auf den jeweils geltenden Gebrauch referieren, ist zu fragen, auf welchen Gebrauch sie sich beziehen, denn ganz offensichtlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen der „Alltagssprache“ und der „Hochsprache“ (Termini: Elspass 2005, 27 ff.). Die Befunde in dieser Arbeit beziehen sich einzig auf hochsprachliche Texte. Man könnte vorsichtig schlussfolgern, dass die Autoren hochsprachlicher Texte eher den Regeln und Empfehlungen der Grammatiker folgen, als dies bei Autoren der Alltagssprache der Fall ist. Das zeigt nicht nur die Rückentwicklung der Assimilationsschreibungen, sondern auch die hohe Einstiegsquote in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, in der die Regelwerksautoren die Assimilation noch nicht zur Regel erheben. Es bleibt die Besprechung weiterer Inlautpositionen des Graphems und ihrer sehr niedrigen Assimilationsquote von 5,94 %, die in Tab. 122 (und Abb. 45) dargestellt ist.
Abb. 45: Assimilationsentwicklung bei im Inlaut (Grapheme, Types).
356
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Sie bezieht sich auf alle – z. T. sehr häufigen – Vorkommen von Siegel (und Ableitungen wie z. B. siegeln, besiegeln, versiegeln), Miene, Paradies, paradiesisch, Stiefel, Stiel und damit auf Lexeme, die bereits – abgesehen von Miene – im Mittelalter entlehnt wurden (vgl. Befund zum Faktor Entlehnungszeitpunkt). In Bezug auf die Entwicklungsdarstellung könnte man eventuell auch eine Rückentwicklung der Assimilationsquote von 1800 zu 1890 annehmen (von 10,05 % zu 6,37 %). Diese ist aber auf das unterschiedlich häufige Auftreten aller Formen mit Siegel und Miene zurückzuführen. Tab. 123 zeigt die Entwicklung dieser Position von ohne diese beiden Lexeme: Das Ergebnis offenbart eine insgesamt noch niedrigere Quote von 2,24 % und ebenfalls keine Entwicklung.
4.3.3.3 Die durchschnittliche Assimilationsquote dieses Graphems liegt bei 19,75 % – etwa ein Fünftel der Vorkommen ist graphemisch assimiliert (Tab. 124). Dieser Wert bestätigt sich zumindest in Bezug auf den Durchschnittswert auch bei der Auswertung unter Berücksichtigung aller Tokens. Mit Blick auf den durchschnittlichen allgemeinen Assimilationswert des Jahrhunderts liegt dieses Graphem also deutlich unter dem Durchschnitt (21,22 Prozentpunkte). Wie die Kodifikationsanalyse vermuten lässt, hängt das Assimilationsverhalten dieses Graphems auch im Usus stark von der Position desselben ab. Insofern müssen die einzelnen Positionen separat betrachtet werden.
Abb. 46: Assimilationsentwicklung bei (Grapheme, Types).
Auswertung des Befundes
357
Abb. 47: Assimilationsentwicklung bei (Grapheme, Tokens).
Eine Entwicklung kann zumindest mit Blick auf die Types nicht gezeigt werden (Tab. 125, Abb. 46). Bei den Tokens hingegen liegt der klassische Assimilationsquotensprung um 10 % von 1860 zu 1890 (Tab. 126, Abb. 47) vor, der aber ausschließlich auf das gehäufte Auftreten von zwei Lexemen mit im Auslaut zurückzuführen ist: Substanz (1890: 52) und Differenz (1890: 20). Die Assimilationsquote des Suffix -tion liegt erwartet niedrig bei 1,79 % (Tab. 124) und bezieht sich auf insgesamt 13 Einträge von Deklamazion (Text 3), Dissertazion (Text 18), Koalizion (Text 34), Komposizion (Text 3), Libazion (Text 2), Prätenzion (Text 4, 9, 54), Präzipitazion (Text 2), Promozion (Text 18), Relegazion (Text 18). Dementsprechend ist auch keine Entwicklung von -tion zu zeigen (Tab. 127 und Abb. 48): Die Zahl der wenigen assimilierten Wörter wird im Laufe des Jahrhunderts noch geringer (von 4,42 % um 1800 hin zu 0,56 % um 1890). Von einem Wettstreit der Schreibformen, wie Nüssler ihn bemerkt,341 kann dennoch im Schreibusus nicht die Rede sein. Innerhalb dieses Suffixes beteiligt sich das Graphem also nicht an der Entwicklung hin zu mehr Assimilation.
341 „Nebenbei bemerkt hat sich eine Vereinheitlichung bei der Substantivendung -tion schon im vorigen Jahrhundert lautlos vollzogen. Bei Wieland – ich erwähnte ihn schon – fand ich in den Anmerkungen zu den Satiren des Horaz (3. Aufl. 1819) neben Affectation, Ambition, Condition, Disputation, Divination, Faction, Imagination, Induction, Modification, Nation, Partion, Tradition, Versification die z-Schreibungen Argumentazion, Capitulazion, Citazion, Composizion, Conversazion, Declamazion, Disposizion, Imaginazion, Modificazion, Ostentazion, Proporzion, Revoluzion – eine orthographische Sorglosigkeit, die besonders bei den Doppelformen Imagination/-zion und Modifikation/-zion zutage tritt. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte die t-Schreibung gesiegt“ (Nüssler 1987, 123).
358
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 48: Assimilationsentwicklung bei im Strukturtyp -tion (Grapheme, Types).
Abb. 49: Assimilationsentwicklung bei im Auslaut (Grapheme, Types).
Ein im Vergleich zu -tion nahezu umgekehrtes Zahlenverhältnis von assimilierten und nicht assimilierten Formen lässt sich für die Auslautposition -z nachweisen. Tab. 128 und Abb. 49 zeigen eine Assimilationsquote von 98,87 %, einzig bei zwei Einträgen ist keine graphematische Assimilation feststellbar: instantiam und consequentiam. Grund für diese ausgebliebenen Assimilationen ist der Zitatwortstatus und die daraus resultierende Verschiebung der Position in den Inlaut. In beiden Fällen handelt es sich um Belege aus Rechtstexten.
Auswertung des Befundes
359
Durch die unterschiedliche Auftretenshäufigkeit der beiden Strukturtypen (-tion insgesamt vierfaches Auftreten von -z) ergibt sich zusammen eine Assimilationsquote von etwa 20 %. Allerdings findet bei diesen beiden Typen keine Entwicklung statt. In Bezug auf die übrigen -Inlautpositionen (Tab. 129) sind keine repräsentativen Befunde darstellbar aufgrund mangelnder Belege. Die in der Regelung häufig besprochene Struktur von vor unbetontem /ə/ reduziert sich auf wenige singuläre Fälle, die sich auf Korpusbelege von Grazien (6), Ingredienzien (1) und Reagentien (1) beschränken, so dass aufgrund der geringen Auftretenshäufigkeit keine repräsentativen Aussagen (auch zur Entwicklung) möglich sind. Rutscht das Graphem durch Derivation in den Inlaut, so ergibt sich ein durchmischtes Ergebnis im Korpus: Zu finden sind Differenzial und provinzial, aber auch Differential, differentiell, Laurentius und Substantialität. Hier herrscht offenbar Uneinigkeit, sofern das anhand dieser wenigen Befunde zu sagen ist. Ebensolche Uneinigkeit besteht bei den übrigen Inlautvorkommen mit vorsichtig formulierter Tendenz zur Nichtassimilation: Nuntius und Patient treten sowohl assimiliert als auch nicht assimiliert auf, Pretiosen und venetianisch ausschließlich nicht assimiliert. Dass angesichts dieser wenigen Daten keine Entwicklung skizziert werden kann, versteht sich, zumal die meisten Belege aus der ersten Jahrhunderthälfte stammen.
4.3.3.4 Doppelkonsonantenbuchstaben Die Ususanalyse fördert ein Ergebnis zutage, das angesichts der Regelung in den Grammatiken und Orthographielehren zunächst völlig anders erwartet wurde (Tab. 130). Bis zum preußischen Regelbuch gilt grundsätzlich, dass die Nichtbezeichnung der Vokalkürze die Regel ist. Erst danach ist es umgekehrt und Ausnahmen (Nichtassimilationen) gelten nur beim Vorhandensein weiterer Fremdgrapheme. Angesichts der hohen Assimilationsquote von durchschnittlich 82,02 %, die doppelt so hoch ist wie die Durchschnittsquote der allgemeinen Auswertung (40,97 % – Differenz von 41,05 Prozentpunkten), könnte man annehmen, die Grammatiker kodifizieren am Usus vorbei und verordnen eine längst abgeschaffte nicht assimilierte Schreibweise. Zum Teil aber lässt sich diese hohe Assimilationsquote auflösen, denn sie erfasst auch viele Lehnwörter, die aufgrund ihrer frühzeitigen Assimilation nicht mehr regelungsbedürftig sind und darum in der Regelung der Grammatiken keine Rolle spielen, z. B. buckelig, Jacke, Kammer, Mütze, verrotten und folgende Lexeme mit all ihren Ableitungen: pack- (Gepäck, einpacken, bepacken, Päckchen, Packerei etc.), roll- (Rolle, rollen, abrollen etc.), Kummer (kümmern, bekümmern, verkümmern etc), Kette (Verkettung), Zettel (verzetteln), Platz (Plätzchen), doppel (doppelt, doppeln etc.) und Ziffer (beziffern) etwa. Ohne diese Lehnwörter ist die Assimilationsquote immerhin gut 10 Prozentpunkte geringer, aller-
360
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
dings mit 70,50 % auch immer noch vergleichsweise hoch (Tab. 131). Zur Erklärung zunächst die folgenden Überlegungen: In den Grammatiken wird, wie in Kapitel 3.4.2.4 beschrieben, ein Unterschied zwischen Inlaut- und Auslautstrukturen der betreffenden Grapheme gemacht. Während die Assimilation im Inlaut schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts völlig unproblematisch zumindest nach Kürzung des vorangegangenen Vokals und in Position vor vorgeschrieben wird (Andresen 1855, 160; Kurhessen 1859, 31; Württemberg 1861, 15), beschränkt sich die Assimilation im Auslaut – abgesehen von einigen frühen fortschrittlichen Regelungen bei Adelung und Sanders (Sanders 1856, 39) – bis in die 70er Jahres des Jahrhunderts (Berlin 1871, 17) auf flektierte Formen und einige Ausnahmen wie Krepp, kokett, nett, violett. Nach der Konferenz wird in allen Schulorthographien relativ konsequent zumindest die assimilierte Schreibweise zugelassen. Es verwundert daher, dass die Assimilationsquoten der Inlaut- und Auslautstrukturen relativ gleich sind: Auslaut 70,36 % (Tab. 133), Inlaut 69,72 % (Tab. 132). Die Assimilationsquote der Inlautstrukturen ist allerdings deutlich höher anzusiedeln, bedenkt man die mangelnde Repräsentativität des Ergebnisses: Von den 43 nicht assimilierten Inlautvorkommen sind allein jeweils 14 auf Kapitel und Kontrole (auch noch gehäuft 1890) mit Ableitungen und 7 auf alle Ableitungen von Grammatik verteilt. Insofern beschränkt sich das Ausbleiben der Assimilation auf drei (sehr häufige) Wörter und es bleiben nur wenige weitere Ausnahmen, die fast immer auch noch eine assimilierte Variante im Korpus haben: Oker neben Ocker, Kasserole, Numer neben Nummer, Ananas, Wapen neben Wappen, Quitung, Titulus. Die geringe Anzahl dieser Belege lässt allerdings keine Rückschlüsse auf den gesamten Status quo zu. Es ist davon auszugehen, dass im Inlaut relativ stark reihenbildend assimiliert wird. Beispiele: Pantoffel, Perücke, Koralle, Nummer, Gruppe, Koppel, Schaluppe, Truppe, Wappen, Debatte, Fregatte. Eine Entwicklung ist aufgrund mangelnder Repräsentativität für Inlautstrukturen nicht zu zeigen. Einzig für Kontrole bleibt zu bemerken, dass die Grammatiker hier eindeutig nicht den Usus kodifizieren, sondern eine weiterführende Assimilation vorschreiben. Müsste man die Quote der Assimilation bei Doppelkonsonanz im Inlaut höher ansetzen, so ist die ermittelte Quote der Auslautstrukturen eigentlich zu verringern. Der Grund dafür ist in der Analysemethode zu suchen: Da die Flexionsformen nicht mitnotiert wurden, kann keine Auswertung nach flektierten und nicht flektierten Formen vorgenommen werden (und bliebe weiterhin zu untersuchen), was aber notwendig wäre, um ein differenziertes Ergebnis zu erhalten (vgl. oben). Die hohe Assimilationsquote speziell von im Auslaut bezieht sich auf die gehäuften Vorkommen von flektierten Formen, die bereits zu Beginn des Jahrhunderts in den Grammatiken assimiliert vorzufinden waren. Zu fragen wäre, inwiefern auch in nicht flektierten Formen diese Assimilationen im Usus sichtbar werden. Als völlig assimilationsresistent erweisen sich – bis heute – nur April und Hotel. Vereinzelt treten weitere nicht assimilierte Formen auf: Appel, capituel, eventuel, Prairial, Ce-
Auswertung des Befundes
361
Abb. 50: Assimilationsentwicklung bei und (Grapheme, Types).
remoniel. Insofern lässt sich – unter Berücksichtigung des oben Gesagten (keine Differenzierung in flektierte und unflektierte Formen) – fast von einer durchgehenden Assimilation dieses Graphems sprechen. Es handelt sich bei diesem Graphem auch um das einzige aus der Reihe der Konsonantenverdopplungen, für das eine relativ repräsentative Entwicklung skizzierbar ist (Tab. 134 und Abb. 50). Auch hier steigt die Assimilationsquote zwischen 1860 und 1890 um ungefähr 10 Prozentpunkte (von 80,00 % auf 91,07 %), so dass bei diesem Graphem tatsächlich eine Auswirkung der Assimilationsausweitung bei Auslautstrukturen zu sehen ist. Nicht ganz so eindeutig ist das assimilative Verhalten von im Auslaut, hier ist die Quote mit 57,53 % deutlich geringer. Grund dürfte sein, dass bei durch den hohen Anteil des Suffixes -ell (92,91 % aller Vorkommen von ) das Analogieargument eher greift als bei , für das größere Strukturunterschiede feststellbar sind, z. B. platt, bigott, Amulett, Komplott, nett. Die meisten nicht assimilierten Fälle beziehen sich auf Kabinet bzw. Cabinet. Für dieses Wort wird auch in den Wörterverzeichnissen der Schulorthographien noch häufig Variantenschreibung zugelassen. Darüber hinaus waren nicht assimiliert zu finden Amulet, Bigoterie (neben Bigotterie), Billet, Flageolet, Floret, Kollet, complet, Lazaret, Skelet (neben Skelett) und Taburet. Nur bei einigen dieser nicht assimilierten Schreibungen lässt sich die Regeleinschränkung der weiteren Fremdgrapheme anbringen (Preussen 1880, 19). Möglicherweise ist nicht in allen der oben genannten Lexeme tatsächlich auch schon eine phonemische Assimilation vorausgegangen, die letztlich die graphemische Assimilation bewirken würde. Insofern wird die Zurückhaltung im Assimilationsverhalten erklärbar.
362
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Es stünde zu erwarten, dass die Assimilationsquote für den umgekehrten Prozess – der Rücknahme von Doppelkonsonanz bei nicht betontem kurzem Vokal – deutlich geringer ausfällt, da dieser Fall äußerst selten in den Grammatiken und Orthographielehren behandelt und meist mit einer relativ lapidaren Bemerkung mit Verweis auf den Gebrauch abgetan wird, die ganz und gar nicht einer Regel entspricht, z. B.: „Umgekehrt hat der deutsche Gebrauch, den Konsonanten nur nach betontem Vokal zu verdoppeln, bisweilen den Ausfall eines Konsonanten veranlaßt“ (Preussen 1880, 19). Genauso zeigt es auch der Usus (Tab. 135): Die Assimilationsquote liegt bei durchschnittlich 22,46 % (Types), also 18,51 % unter dem Durchschnittsniveau der allgemeinen Auswertung. Die meisten ausbleibenden Assimilationen beziehen sich auf Lexeme mit Doppelkonsonanz an den Morphemgrenzen. Zur Morphemidentifikation, die allerdings kaum mehr nötig ist mangels Morphemstrukturkenntnis bei Fremdwörtern, unterbleibt die Assimilation an diesen Stellen bis heute, z. B. addiren, Affect, Officium, Accord, Allegation, Appellation, Collegium. Einer Assimilation zugewandt sind demnach fast ausschließlich andere Strukturen. Es sei kurz eingegangen auf die höchsten Assimilationsquoten. Sie finden sich bei , , und , wobei die höchste Quote bei von 66,67 % aufgrund der niedrigen absoluten Zahlen nicht repräsentativ ist: Sie bezieht sich hier lediglich auf verschiedene Vorkommen des Lexems Magazin (it. magazzino). Auch die hohen Quoten von und sind wenig repräsentativ, da sie sich fast ausschließlich aus je einem Wort und den dazugehörigen abgeleiteten Formen ergeben: Siegel (lat. sigillum) und Literatur (lat. litteratura). Tatsächlich stark assimilationszugewandt ist das Graphem – allerdings nur
Auswertung des Befundes
363
in einem bestimmten Strukturtyp: Das Graphem darf nicht zwei Morphemen (z. B. Innervation, Connexion) angehören. Die Assimilation findet meist bei Derivaten statt, bei denen die Doppelkonsonanz vor dem Wortbildungssuffix steht, also z. B. in Action-air, Bajon-ett, function-iren, (ir)ration-ell, confession-ell, constitution-ell, convention-ell, Marion-ette, Pension-är, pension-iren, profession-ell, revolution-är, sanktion-iren, sensation-ell, tradition-ell.342 Eine Entwicklung in Richtung vermehrter Assimilation ist im Usus nicht zu erkennen (Tab. 136, Abb. 51). Die Assimilationsquote schwankt um die 20 %. Hier hätte möglicherweise eine durchgreifende Regelung in den Grammatiken etwas bewirkt, aber da sich die Autoren selber bedeckt halten und die Assimilationen nur „bisweilen“ registrieren, also keine Regel formulieren, findet sich auch im Usus keine weiterführende Veränderung.
4.3.3.5 Akzentgrapheme Wie Tab. 137 zeigt, kann bei den Akzentgraphemen von einer Gesamtassimilationsquote von fast 100 % gesprochen werden. Nicht assimilierte Wörter (außer frz. Akut) beschränken sich auf ein sehr überschaubares Inventar: à (Zitatwortstatus, Antiqua), voilà (Zitatwortstatus, Antiqua), Français (quasi Zitatwortstatus, Antiqua), Aloë, Carrière (2 von 4 Vorkommen; 1800 Antiqua). Es handelt sich demnach um Wörter, die auch insgesamt weitere fremde PGB aufweisen. In Bezug auf die einzelnen Grapheme ergeben sich aufgrund zu geringer Auftretenshäufigkeit keine repräsentativen Ergebnisse, z. B. 50 % Assimilation der französischen Cedille. Eine Entwicklung ist zwar bei Assimilationsquoten zwischen 93,82 und 97,97 % (Tab. 138) nicht besonders eindrucksvoll darstellbar, aber insgesamt ist doch eine geringfügige Zunahme von Assimilationsschreibungen zu beobachten. In Bezug auf die einzelnen Arten von Akzenten lässt sich Folgendes sagen: Tonsilbenzeichen , , , und des Griechischen, Italienischen und Spanischen werden tatsächlich überall ersetzt. Thema in der Sekundärliteratur ist vor allem der französische Akut, für den der Assimilationsstatus – wie oben gezeigt – gar nicht in allen Fällen eindeutig ist. Insofern sollen sich weitere Darstellungen darauf beziehen (Tab. 139, 140). Auch bei diesem Graphem ist die Positionsabhängigkeit ausschlaggebend: Im Inlaut soll das Graphem meist getilgt werden, im Auslaut sind die Regelungen oft schwankend (vgl. Kapitel 3.4.2.5), wobei Duden bei im Auslaut immer eine Assimilation verlangt (Duden 1881, 35). Die Nichtassimilationsquote im Usus von 10,61 % bei bezieht sich fast ausschließlich auf fachsprachliche Lexeme eines naturwissenschaftlichen Textes (Nr. 12): Derivée, divisée, permutée. Bemerkenswert ist
342 Hier wirkt natürlich auch das morphematische Prinzip, insofern als in den meisten Fällen eine Stammform mit einfachem Konsonantenbuchstaben vorliegt: Konfession, Constitution, Convention.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
hier allerdings, dass – wie in der Regelung beschrieben – zwar der Inlaut-Akut assimiliert, aber der Auslaut-Akut nicht assimiliert wird. Hinzu kommt ein einziger Beleg von Entrée. Zu 100 % assimilativ verhalten sich und . Auch die wenigen Belege für nicht assimiliertes müssen nicht weiter kommentiert werden. Da sich diese Grapheme im Wesentlichen nicht im Auslaut wiederfinden (zumindest nicht in unserem Korpus), lässt sich die durchgehende Assimilation erklären – legt man die oben genannte Regel zugrunde. Abweichend von diesen Ergebnissen, verhält sich das Graphem weniger eindeutig. Und hier sind es tatsächlich meist die Auslautpositionen, in denen auf eine Assimilation verzichtet wird: Abbé, Baumé, Gaieté, Comité, moiré, Resümé, Société. In den anderen Fällen handelt es sich um Inlautpositionen und/oder Wörter, die auch ansonsten schon Assimilationen an das deutsche Sprachsystem hinter sich haben: esoterisch, fetisch, frenetisch, linneisch, Theedansant (Tanztee, Tanznachmittag), Ausnahmen sind die (durchgängig zu findenden) Assimilationen Kaffee und Negligee. Dennoch bleibt zu bemerken, dass repräsentative Aussagen sich eigentlich aufgrund der wenigen Belege verbieten. Die größte Uneinheitlichkeit, findet sich beim Graphem , ansonsten liegt insgesamt fast überall Assimilation vor.
4.3.3.6 Assimilationsresistente Grapheme , , , , bzw. Überträgt man die oben bestätigte These, dass häufige Wörter eher assimiliert werden als weniger häufige, auch auf die Grapheme, so könnte man vermuten, dass bei diesen Graphemen, die – mit Ausnahme von – zu den häufigsten Fremdgraphemen im Korpus gehören, Assimilationen zumindest angebahnt werden. Das ist allerdings in der Kodifikation nur vereinzelt der Fall. Im Wesentlichen erweisen sich diese Grapheme – zumindest in der Regelung – als assimilationsresistent. Die Ergebnisse der Ususuntersuchung bestätigen dies. Betrachtet man alle Grapheme zusammenhängend (Tab. 141), beträgt die durchschnittliche Assimilationsquote 2,05 % (Grapheme Types) – und liegt damit 38,92 Prozentpunkte unter dem Durchschnittswert, so dass ganz generell von ausbleibender Assimilation gesprochen werden kann. Aufgrund dieses Wertes kann ebenfalls konstatiert werden, dass die oben benannten Einflussfaktoren und die allgemeinen Regeln der Kodifikation hier nicht gelten. Der durchschnittliche Wert von 2,05 % setzt sich aus unterschiedlichen Quoten der einzelnen Grapheme zusammen, die von 12,80 % bei bis 0,00 % bei variieren, wobei es sich bei den 12,80 % von um einen Ausreißerwert handelt aufgrund der gehäuften Einträge der Wörter Zucker, Ocker und Skizze. Zucker und Ocker sind bereits im Mittelalter aus dem Italienischen (ital. zucchero) bzw. Lateinischen (lat. ochra) entlehnte Wörter, deren Assimilationen schon lange
Auswertung des Befundes
365
vor dem Untersuchungszeitraum stattgefunden haben (vgl. Auswertung zum Entlehnungszeitpunkt). Auch Skizze ist kein Wort, das erst im Laufe des 19. Jahrhunderts die assimilierte Schreibweise von angenommen hat. Lässt man die 4 Einträge von Ocker (9 Tokens), 6 Einträge von Skizze (12 Tokens) und 11 Einträge von Zucker (36 Tokens) weg, bleibt eine Assimilationsquote von 3,16 %, die wiederum dicht an der Durchschnittsquote dieser resistenten Grapheme von 2,05 % liegt, ähnlich den anderen Quoten. Da die Kodifikation in Einzelwortregelungen Assimilationsvorschläge macht, seien auch die wenigen assimilierten Fälle des Usus besprochen. : Außer den erwähnten assimilierten Wörtern finden sich im Korpus die folgenden Belege: Karakter (2 Types, 36 Tokens), karakteristisch (1),343 Rakete (2). Die Belege Karakter und karakteristisch entstammen allerdings nur einem einzigen Text um 1800 (Geisteswissenschaften).344 Daneben existieren wesentlich mehr nicht assimilierte Schreibweisen. Die Assimilation von Charakter zu Karakter ist, wie oben dargestellt, vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in der Kodifikation vorgeschlagen worden (vgl. Heyse, Bauer, Sanders, Andresen und Kurhessen 1859) – wahrscheinlich aufgrund von einzelnen Texten, die dieses Wort durchgehend assimilieren (assimilierte Belege vor 1855 gibt es, wie dieser Befund zeigt) –, hat sich aber nicht durchgesetzt. Die Einzelwortregelungen Krist, kristlich und Kronik, die – von Adelung abgesehen – in den hier untersuchten Regelwerken erstmalig in den 50er Jahren vorgeschlagen und von Duden auf der I. Orthographischen Konferenz verteidigt wurden, sind im vorliegenden Korpus nicht belegt, es finden sich nur nicht assimilierte Varianten. Das verwundert insofern, als es bereits im Mittelalter assimilierte Schreibbelege von krist (neben vielen anderen Realisierungen) gibt (Roelcke 2009, 31). Es ist in Bezug auf dieses Graphem eher so, dass zuweilen vorgenommene Assimilationsvorschläge in der Kodifikation im Usus eher nicht umgesetzt werden, vermutlich weil es keine bzw. wenig angebahnte Assimilationen gibt. Für sind im Usus ausschließlich Assimilationsschreibungen von Fasan (2), Fasanerie (1), Josef (1) und Sofist (1) belegt. Lediglich für Fasan ist auch eine singuläre Regel in der Kodifikation zu finden. Elephant ist tatsächlich zweimal 1830 belegt, aber nicht in assimilierter Schreibweise, die auch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Regelwerken häufiger zu finden ist. Auch phantastisch, Phantasie (beide belegbar in allen Jahrhundertschnitten), Phantast, Triumph sind – trotz Vorhandensein von Regeln zur Assimilation – nur nichtassimiliert im Korpus zu finden. Da aber auch die Kodifikation in dieser Hinsicht keine stringente Linie erkennen lässt (Phantasie und phantasieren bei Sanders Vorzug vor assimilierter Schreibweise, Elephant und Phantasie bei Linnig, vgl. auch Wortlisten im Anhang),
343 Alleinstehende Zahlen in Parenthesen, die in diesem Kapitel zu finden sind, drücken Auftretenshäufigkeiten aus. 344 Majer, Friedrich: Zur Kulturgeschichte der Völker. Leipzig: Hartknoch 1798.
366
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
kann hier nicht von einer erkennbaren Entwicklung gesprochen werden. Bei Josef und Sofist handelt es sich um einzelne, für die Gesamtentwicklung des Graphems nicht repräsentative assimilierte Schreibungen. In Bezug auf die Grapheme und gibt es in den Regelwerken keine singulären Regeln für assimilierte Schreibungen. Im Usus hingegen sind einige wenige belegt: Katharr (1) 1830 und für katolisch (1) 1860, Philantrop (1) 1830, Xantippe (1) 1800 und Zitter (1) 1830. Es sei allerdings betont, dass diese assimilierten Belege jeweils nur ein einziges Mal im Gesamtkorpus auftreten und – abgesehen von Xantippe und Zitter, die insgesamt nur je einmal belegt sind – ansonsten ausschließlich in nicht assimilierter Schreibung vorkommen. Für die in der Kodifikation zu findenden Assimilationen Karawane, Krawall, Krawatte und Lawine ist im Usus kein einziger Beleg zu erbringen, wobei die Lexeme Krawall, Krawatte und Lawine in den Texten überhaupt nicht vorkommen (auch nicht in spendersprachlicher Schreibweise). In assimilierter Schreibweise treten die Entlehnungen des Mittelalters Wanne (lat. vannus) und Weiher (lat. vivarium) auf, sowie die französische Weste (frz. veste) und der türkische Diwan (türk. divan). Der frühe Entlehnungszeitpunkt spielt bei den erstgenannten Lexemen sicher eine Rolle. Darüber hinaus finden sich lediglich zwei weitere Assimilationen: Diwan (2) aus dem Türkischen und Weste (7) aus dem Französischen. Das einzige Graphem in dieser Gruppe, für das es weder im Usus noch in der Kodifikation des 19. Jahrhunderts Assimilationen bzw. Assimilationsvorschläge gibt, ist bzw. . Der laut Tab. 141 einzige Beleg für eine assimilierte Schreibung bezieht sich auf Zypresse und ist leider ein versehentlich unterlaufener Analysefehler.
Auswertung des Befundes
367
Natürlich zeigt auch die Entwicklung dieser Grapheme keine nennenswerte Veränderung (Tab. 142, Abb. 52). Die Assimilationsquoten von , , , und pendeln zu jedem Jahresschnitt um die 0–2 %-Quote. Der 10 %-Ausreißer bei um 1830 bezieht sich auf einen einzigen Eintrag (mangelnde Repräsentativität bei diesem Graphem), nämlich Katharr. Und die schwankenden etwas höheren Assimilationsquoten des Graphems beziehen sich auf die unterschiedliche Häufigkeit in der Verwendung der Wörter Zucker, Ocker und Skizze und stellen insofern keine Entwicklung des Graphems dar. Damit wird deutlich: Diese Grapheme sind es nicht, die sich an der Schreibungsentwicklung des Jahrhunderts beteiligen. Insgesamt sind also für die hier genannten Grapheme sowohl im Usus als auch in der Kodifikation nur sehr vereinzelt assimilierte Schreibweisen nachweisbar. Die mit einem Antrag auf der II. Orthographischen Konferenz einhergehende Argumentation, , und seien in Entlehnungen mittlerweile üblich geworden (Protokoll 1901, 294), erweist sich angesichts des hier erhobenen Befundes als haltlos. Der Antrag sollte zum durchgängigen Ersatz von ,
und durch heimische Grapheme führen. Eine durchgehende Assimilation wäre in diesem Fall ein äußerst radikaler Eingriff gewesen, da nahezu keine Analogien vorliegen. Es gibt am Ende des 19. Jahrhunderts noch keine angebahnte Entwicklung.
4.3.3.7 Selten geregelte Fremdgrapheme 345 Die bei der Regelungsdarstellung entworfene Dreiteilung der Graphemgruppen wird auch in dieser Darstellung beibehalten.
4.3.3.7.1 Assimilierte Grapheme Die folgende Darstellung bezieht sich auf die Grapheme , , , und . Die Assimilationsquote dieser Graphemgruppe beträgt durchschnittlich 85,84 % (Tab. 143). Sie liegt damit zwar etwa 45 Prozentpunkte über dem Durchschnittswert der allgemeinen Auswertung, allerdings entspricht sie nicht den – laut Regelung – erahnten und erwarteten 100 %. Repräsentative Ergebnisse lassen sich außerdem nur für die Umlautgrapheme ermitteln, da den Ergebnissen der anderen Grapheme nur folgende Vorkommen zugrunde liegen: Ödem/Oedem
345 Nicht im Korpus vorhanden sind die folgenden der oben beschriebenen seltenen Fremdgrapheme: , vor Konsonant, , , , , , . Die frz. Nasalvokalgrapheme und sowie wurden nicht untersucht, da es hier bis heute keine einschlägigen Bestrebungen zur Assimilation gibt. Alle anderen in der Ususauswertung nicht besprochenen Grapheme weisen ein so geringes Vorkommen auf, dass keine repräsentativen Ergebnisse darstellbar sind.
368
Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
() und Peitsche (). Die Belege nicht vollzogener Assimilation bei den Umlautgraphemen sind einer eindeutigen Klasse zuzuordnen: Es sind allesamt Termini (abgesehen von praenumerando) – zumindest aus dem natur- und rechtswissenschaftlichen Bereich346 –, die darüber hinaus in den jeweiligen Frakturtexten in Antiqua gedruckt wurden und deshalb in den meisten Fällen auch Zitatwortcharakter haben: Aquaeductus (N), caesal (N), Chamaerops (N), Laesion (RV), Praeside (RV Antiqua), praestabilita (G Antiqua), Praejudicat (RV Antiqua), Praejudicia (RV Antiqua), praenumerando (Antiqua), Praeposition (G), Praescription (RV), praestieren (RV), Lernaeen (N), Taenia (N). Hier zeigt sich also erneut die Abhängigkeit der Assimilation vom Fachsprachenstatus der betreffenden Lexeme. Eine Entwicklung kann nicht skizziert werden, da das Assimilationsverhalten in diesem Fall ausschließlich mit den genannten Faktoren zusammenhängt. Abgesehen von den eben besprochenen Graphemen, gibt es eine weitere Graphemgruppe, die zu den wenig – in diesem Fall sogar gar nicht – geregelten assimilierten Graphemen gehört, für die in dieser Ususanalyse allerdings äußerst repräsentative Ergebnisse ermittelt wurden, weshalb sich zumindest eine kurze Darstellung anschließt. Es handelt sich um die Assimilation des sog. „stummen “ im Auslaut vornehmlich französischer – zuweilen auch englischer – Wörter (Tab. 144). Für diese Grapheme gibt es in keiner Grammatik irgendeine Regel. Grund dafür ist vermutlich die fast selbstverständliche Assimilation dieses Graphems entweder durch Tilgung des (z. B. Marsch, Camerad, analog, Dom, Capitain, Lyrik, Militär, Banquett) oder durch Anpassung der Aussprache (z. B. Maske, Perücke). Die Assimilationsquote liegt insgesamt bei 85,43 %. In einzelnen Fällen gibt es Abweichungen davon, die v. a. in englischen Entlehnungen (Trade Unions, Strike, Gentleman, Reasonableness, Spectacle) und vermehrt in Zitatwörtern und zitatwortähnlichen Strukturen sowie Fachwörtern vorzufinden sind (z. B. école polytechnique, moiré metallique, laisser faire, Involution Lexicographique, Sélénite cunéiforme, Involution literale directe, dérivées successives). Nur in wenigen anderen Wörtern des zentralen Wortschatzes unterbleibt die Assimilation ebenfalls: Memoire, parterre, Repertoire, Madame, Lieutenant, Portefeuille.
4.3.3.7.2 Assimilationsresistente Grapheme Die Regelung ist zwar in diesen Bereichen äußerst dürftig, lässt aber erahnen, dass es für die folgenden Grapheme keine Assimilationen im Usus gibt: (z. B. Cello), (z. B. Quechua), (z. B. Atelier), (z. B. Budget), (z. B. Larghetto), (z. B. Champagner), (z. B. Bataille), (z. B. Medaille), (z. B. Toilette), (z. B. Whisky). Diese Vermu-
346 Wenn sie aus dem naturwissenschaftlichen Bereich stammen, sind es zumeist lateinische Termini, die jeweils ein deutsches Pendant haben: Lernaea cyprinacea/Ankerwurm, Chamaerops/ Zwergpalme.
Auswertung des Befundes
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tung lässt sich in Tab. 145 mit einer Teilassimilationsquote von 3,70 % bestätigen (96,30 % nicht assimiliert). Diese Quote bezieht sich lediglich auf das Lexem Postillion, für das 4 Belege Postillon und 4 Belege Postillion/Postilion (Types) vorliegen. Letzteres wird als Teilassimilation des Graphems angesehen. Alle anderen Graphemvorkommen sind keinen Assimilationsprozessen unterworfen.
4.3.3.7.3 Teilweise assimilierte Grapheme , , , , , , , , , , , , , , , Betrachtet man diese Grapheme gemeinsam, so ergibt sich eine Gesamtassimilationsquote von 57,83 % (Tab. 146). Das Verhalten der einzelnen Grapheme differiert allerdings deutlich von diesem Durchschnittswert, so dass man nicht von einer homogenen Gruppe sprechen kann. Erwartungsgemäß weisen die Grapheme (92,31 %) und (86,87 %) die höchsten Assimilationsquoten auf. Sie sind – auch ohne theoretische Reflexion derselben in den Regelwerken – zu verstehen als Auswirkung der in allen Fällen vorangegangenen phonemischen Assimilation (z. B. passable – passabel). Die Assimilationen unterbleiben vorwiegend in Fällen scheinbar ungeklärten phonemischen Status (Ordre und Meuble [Letzteres nur in wenigen Fällen]) bzw. bei bewusster Kennzeichnung der Fremdheit v. a. in Rechtstexten, die – wie oben bereits festgestellt – allgemein Zurückhaltung in Bezug auf die graphemische Assimilation üben: indispensable (Antiqua – RV), responsable (z. T. Antiqua – RV), Hectolitre (RV), Contrebande (RV), Manoeuvre (RV). Die Regel Wilmanns, dass nur dann eine Assimilation der Grapheme ausbleibt, wenn die Lexeme nicht auf lateinische oder griechische Wörter zurückzuführen sind bzw. wenn fremde Laute innerhalb des Wortes vorhanden sind, kann im Usus zwar nur zum Teil überprüft,347 in diesen Fällen aber nicht in dieser Eindeutigkeit wiedergefunden werden. Neben den oben benannten sind noch folgende Lexeme in nicht assimilierten Varianten zu finden: reasonable. Eskadre, illustre, Théâtre. Nur in vieren der benannten Lexeme liegen sicher – dem Verständnis der Zeit entsprechende – Fremdphoneme vor: Meuble, Contrebande, Manoeuvre, responsable – und in diesen Fällen auch nur, sofern die Nichtassimilation der Phoneme vorausgesetzt wird. Das Analyseergebnis ist hier natürlich durch die gegenwartssprachliche Folie geprägt, insofern ließe sich sagen, dass die Assimilationen nur dort unterbleiben, wo möglicherweise noch keine heutige Aussprache erreicht wurde. In Bezug auf die Assimilationsquote zweit- bzw. drittplatziert sind (77,33 %) und (70,71 %), deren Quoten jeweils deutlich über dem Durch-
347 Es kann ausschließlich auf fremde Lautung überprüft werden. Die Ermittlung der Rückführbarkeit auf lateinische oder griechische Wörter hätte ein anderes Analyseraster der Ususuntersuchung erfordert.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Abb. 53: Assimilationsentwicklung seltener Fremdgrapheme – teilweise assimiliert (Grapheme, Types).
schnitt liegen. Neben den Graphemen und sind dies auch die einzigen, für die sich – anscheinend – eine Entwicklung in Richtung Assimilation im Usus nachweisen lässt (Tab. 147, Abb. 53).348 Dabei ergibt sich die hohe Assimilationsquote von vornehmlich aus der Assimilation im Auslaut -que,349 die zu fast 100 % durchgeführt wird (Tab. 148, Quote: 91,26 %). Die einzigen Fälle nicht vollzogener Assimilation in dieser Position sind Claque, Lexicographique (Involution Lexicographique – als mathematischer Terminus), Masque (Masquen-Ball, Ball en masque), metallique (moiré metallique – Antiqua, Fachwort). Die Nichtassimilation betrifft daher erneut v. a. Fachwörter bzw. dient zur Kennzeichnung und Betonung der fremden Herkunft (Claque, Masque). Die restlichen ca. 75 % nicht assimilierter Schreibweisen sind vornehmlich Anund Inlautpositionen zuzuordnen: Banquett, Banquier, Coquetterie, Equipage, Etiquette, Harlequin, Laquai, Marquise, Paquet, Quarantäne, Quechua, für die nur im Einzelfall auch assimilierte Schreibweisen vorliegen (Bankett, Koketterie, Lakai, Paket). Aufgrund dieser eindeutigen Ergebnislage muss auch die oben schon benannte Entwicklung des Graphems (Tab. 147) als nicht tatsächlich eingestuft werden, denn die vermehrten Assimilationen 1890 sind allein auf die Tatsache zurückzuführen, dass in den späteren Texten ein deutlich höherer Anteil Auslautstrukturen gefunden wurde.
348 Es bleibt aber zu berücksichtigen, dass die Repräsentativität der Zahlen eingeschränkt ist. 349 94 von 116 assimilierten Schreibungen beziehen sich auf die Auslautposition.
Auswertung des Befundes
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Insofern entspricht der Usus dem Bild, das sich bei der Betrachtung der Kodifikation bietet: Die im gesamten Jahrhundert bestehende Einigkeit über die Assimilation im Auslaut (vgl. Kapitel 3.4.2.7) lässt sich bestätigen. Die von Wilmanns beschriebene nicht einheitliche Bezeichnungsweise in den anderen Positionen – mit Ausschluss der Assimilation beim Vorhandensein weiterer Fremdgrapheme – findet sich hier ebenfalls wieder, wobei zumindest mit diesem Korpus keine Entwicklung gezeigt werden kann. Eine Positionsabhängigkeit der Assimilation des Graphems – wie eben für dargestellt – lässt sich für auf andere Art überzeugend nachweisen, auch wenn die Darstellung der Regelungsentwicklung zunächst keine Positionsabhängigkeit vermuten lässt (vgl. Kapitel 3.4.2.7). Die Autoren übertragen im Wesentlichen die allgemeine Fremdwortschreibungsregel auf dieses Graphem. Und mit Sanders, Wilmanns und Duden bilden die Befürworter dieser Assimilation die Grundlage für vermehrte Assimilationen (v. a. Varianten) besonders in den Schulorthographien. Es ist im Usus festzustellen, dass in 27 von insgesamt 29 nicht assimilierten Wörtern die Anlautposition betroffen ist (z. B. Chaiselongue, Champagner, charmant, Chaussee, Chef, Chevalier, chimärisch). Hier ist das Vorhandensein einer Vielzahl analoger assimilierter Fälle (Schaluppe, Scharlatan, Scharnier, Schick) anscheinend nicht Grund genug für eine Assimilation. Es ist möglicherweise das Vorhandensein weiterer Fremdgrapheme, das in einigen Fällen einer Assimilation entgegensteht. Die eben kurz skizzierte Entwicklung in der Regelung zeigt ihr Resultat im Usus im Assimilationsquotensprung von 74,19 % auf 83,33 %, allerdings lässt sich für keines der aufgenommenen Wörter eine konkrete Entwicklung zeigen, da alle Vorkommen der betreffenden Lexeme nur in einer Schreibweise zu finden sind: ausschließlich assimiliert Faschine, Manschette, Schaluppe, Scharnier, Marsch, Plüsch; ausschließlich nicht assimiliert Detachement, chimärisch, Charade. Zu berücksichtigen ist auch die geringe Menge absoluter Zahlen. Die vergleichsweise hohe Assimilationsquote (52,38 %) von ist bezogen auf 11 Types nicht repräsentativ. Sanders 1873, Duden 1881, Wilmanns 1887 hatten zwar vereinzelt assimilierte Schreibweise für Intrige, Gitarre, Girlande zugelassen (vgl. Wortlisten im Anhang). Eingang in die Schulorthographien haben sie aber nicht gefunden und so verwundert auch das Ergebnis der Ususuntersuchung nicht, das für die besagten Lexeme keine assimilierten Schreibweisen zeigt. Assimilationen finden sich ausschließlich in Auslaut-, nie in Anlautpositionen (analog, Dialog, Nekrolog). : Die äußerst geringe Beleganzahl für dieses Graphem lässt keine Darstellung repräsentativer Ergebnisse zu. Die insgesamt 6 Types beziehen sich auf die Schreibungen Hazard, Quacksalber/-ei und Wezir. Auch die Regelwerke sagen – abgesehen von Dudens Einzelfall Hasard – nichts Weiteres über die Behandlung dieses Graphems aus. Die Grapheme und zeigen eine – verglichen mit der allgemeinen Assimilationsquote des Jahrhunderts – überdurchschnittliche Quote von
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
52,10 % und darüber hinaus auch eine Entwicklung derselben mit einem besonders großen Sprung zwischen 1860 und 1890 von 39,57 % auf 78,57 %. Auch hier lässt sich die Quote mitsamt ihrer Entwicklung besonders auf zwei konkrete Strukturtypen zurückführen (70 von 81 assimilierten Belegen von ): -är, -än: Die Quote liegt mit 63,06 % insgesamt 22,09 Prozentpunkte über der Durchschnittsquote der allgemeinen Auswertung (Tab. 149). Hier zeigt sich ganz deutlich der Einfluss der Schulorthographien durch die Aufnahme dieser sehr konkreten und gut handhabbaren Regel (vgl. z. B. Sanders 1856, 28; Preussen 1880, 17). Die singulären Regeln der Wortlisten (vgl. Anhang) lassen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt assimilierte Schreibweisen erkennen und das schlägt sich im Usus nieder. Beispiele für Wörter, die Anfang des Jahrhunderts noch nicht assimiliert bzw. mit Schwankungen versehen waren, im späteren Verlauf des Jahrhunderts dann vornehmlich assimiliert vorzufinden waren, sind Kapitän, conträr, ordinär, Revolutionär, Souverän/souverän. Ein besonders bemerkenswertes Einzelfallergebnis sei noch herausgegriffen: Das Lexem Militär ist bis zum Ende des Jahrhunderts in der Schreibung ziemlich starken Schwankungen unterworfen: Militär (1800: 2, 1830: 3, 1860: 2, 1890: 5) – Militair (1800: 1, 1830: 6, 1860: 3, 1890: 2).350 Das verwundert besonders, da in allen untersuchten Regelwerken – abgesehen von Heinsius – ausschließlich die assimilierte Schreibweise vorgeschrieben ist. Dieser Einzelfall weicht vom bislang oft betonten Einfluss der Grammatiker im 19. Jahrhundert ab. Von der Assimilation ausgeschlossen bleiben Vorkommen des Graphems mit dem Bezug zum kurzen /ε/. Dieses Graphem erscheint immer in Inlautposition und außerdem ist das Vorkommen oft gepaart mit der Existenz weiterer Fremdgrapheme im Wort, was ebenso eine Assimilation verhindern dürfte (abgesehen von fehlenden Analogien): z. B. Chaiselongue, drainiren, Gaieté, Laisser, Liaison, Plaisir, räsonniren, Retraite. Der immense Einfluss von Analogiebildungen in Suffixstrukturen – auch schon beschrieben bei Heller/Walz und Volland (Heller/Walz 1992, 284 ff.; Volland 1986, 106 f.) – zeigt sich auch in den Schreibungen des Graphems . Hier liegt die Assimilationsquote (35,78 %) insgesamt deutlich unter dem Durchschnitt dieser Gruppierung (57,83 %). Sie ist zurückzuführen auf die große Anzahl von Vorkommen ausgehend auf -eur, die grundsätzlich nicht zu assimilieren sind: 59 der 70 assimilationsresistenten Schreibungen (Types) sind auf dieses Suffix zurückzuführen (einzige assimilierte Ausnahme: einmaliges Auftreten von Kulör). Im Gegensatz dazu steht die Assimilationsquote von 90,91 % für alle Vorkommen von ‑ös (Ausnahmen dangereuse, spiritueus). Beispiele für Assimilationen: fibrös, graziös, ingeniös, melodiös, nervös, ominös, serös, skrophulös, tendenziös, venös, voluminös. Eine Entwicklung lässt sich bei diesem Graphem nicht zeigen, da die unterschiedlich hohen Prozentzahlen auf die Frequenzunterschiede im Auftrete von -eur und
350 Die Angaben beziehen sich jeweils auf die Anzahl Types.
Auswertung des Befundes
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-ös zurückzuführen sind. Das wird in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch genauso von den Grammatikern beschrieben. Unter den verbleibenden drei Fremdgraphemgruppen erweist sich die Gruppe mit als die assimilationsfreudigste. Dieses Bild ergibt sich nicht nur aus der Regelung, sondern zeigt sich auch an der Assimilationsquote des Usus (47,54 %). Wilmanns nennt die Assimilationszahlen „verheerend“ (Wilmanns 1880, 193) und konstatiert, dass in nahezu allen Fremdwörtern ohne weitere Fremdgrapheme eine Assimilation eintrete. Damit bezieht er sich anscheinend vornehmlich auf die Langvokalvariante, denn diese weist ein wesentlich stärker ausgeprägtes Assimilationsverhalten auf: Broschüre, Etüde, Kalkül, Lektüre, Molekül, Plattitüde [sic!], Plüsch, Rüsche. In Bezug auf die Kurzvokalrealisierung kann dieser Zusammenhang nicht in der Eindeutigkeit festgestellt werden. Hier finden sich auch einige Assimilationen mit weiteren Fremdgraphemen innerhalb des Wortes (amüsiren, Büreau, Sanscülotte, Lectüre, Ouvertüre), aber auch ohne weitere Fremdgrapheme (Kürassier, Lünett, Perücke, Türkis). Konkurrierende Schreibweisen sind im vorliegenden Korpus allerdings nur für Bureau/Büreau, Perücke/Perucke, Sansculotte/ Sanscülotte, Calcul/Kalkül und Ouverture/Ouvertüre belegt. Sanders bemüht zur Begründung der Assimilation französischer Wörter das Argument, dass durch vermehrte Assimilation die genaue Kennzeichnung der Aussprache bei Konkurrenz mit einer möglichen lateinischen Form erreicht würde (Sanders 1873, 202 ff.). Nun sind allerdings die meisten betroffenen im Usus ermittelten Wörter ihrer Form nach spezifisch französisch und weisen keine Konkurrenzformen auf (abgesehen von Calcul). Eine Entwicklung, wie Heller/Walz sie etwa feststellen (Heller/Walz 1992, 290), kann aufgrund der wenigen Belege nicht gezeigt werden. Die immer noch relativ hohe Assimilationsquote von und scheint nun zunächst nicht mit dem Ergebnis der Analyse von Heller/Walz übereinzustimmen (Heller/Walz 1992, 291), die diesem Graphem insgesamt eine Assimilationsresistenz attestieren, mindestens aber die Abhängigkeit der Assimilation von der Fremdgraphemanzahl. Wilmanns dürfte mit seiner Bemerkung zum Assimilationsverhalten auch nur die klassischen eingebürgerten Beispiele Gruppe, Truppe und Schaluppe vor Augen gehabt haben (Wilmanns 1887, 233; vgl. Kapitel 3.4.2.7), denn darauf beziehen sich auch im Usus 36 von 47 Assimilationen. Insofern bleibt dieses Graphem doch relativ stark assimilationsresistent. Zu beobachten ist diese Resistenz v. a. bei Wörtern mit weiteren Fremdgraphemen (Beispiele: Journal, Souvenir, Couvert, Gouverneur, Cour, Souverän, Bijouterie, Coulisse). Im Ganzen wurden auch in der Kodifikation nur Einzelfallassimilationen konstatiert, die sich v. a. in folgenden Belegen im Usus zeigen: Cuvert (neben häufiger Couvert), Kurier (neben häufiger Courier), Kautschuk. Diese Assimilationsresistenz scheint die vermeintlich zu beobachtende Entwicklung (Tab. 147, Abb. 54) nicht widerzuspiegeln. Dieser Widerspruch lässt sich allerdings auflösen, da sich die Assimilationsquote fast ausschließlich auf die oben genannten eingebürgerten Lexeme Gruppe, Truppe und Schaluppe und ihr unterschiedlich häufiges Vorkommen in den einzelnen Jahresschnitten bezieht.
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Die wenigen singulären Regeln für und reflektiert der assimilationsresistente Usus. Die Assimilationsquote beträgt 5,41 % und bezieht sich lediglich auf die Vorkommen von Marodeur und marode. Nicht assimiliert sind: Chaussee, Restaurant, Saucieren, Vaudeville, Bureau, Niveau, Tableau. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass diese Gruppe der selten geregelten Grapheme im Usus alles andere als homogen ist. Für viele Grapheme lassen sich auch aufgrund der wenigen absoluten Zahlen keine repräsentativen Ergebnisse darstellen. Insgesamt zeigt sich aber, dass das Assimilationsverhalten dieser Grapheme – wie dies auch schon für die Kodifikation gezeigt wurde – stark von der Position innerhalb der Wörter abhängig ist (vgl. Usus bei , , , ). Das ist auch der Grund, weshalb viele vermeintliche Entwicklungen keine sind, da ein unterschiedlich häufiges Auftreten der ein oder anderen Struktur für diese Ergebnisse verantwortlich ist. Am stärksten einer Assimilation zugewandt sind die Grapheme , und , wobei die Grapheme und sich einer Assimilation in den meisten Fällen verweigern.
4.3.3.8 Zusammenfassung zum graphemspezifischen Befund Dass die Entwicklung der Fremdwortschreibung hin zu mehr Assimilationen im letzten Drittel des Jahrhunderts sich nicht auf alle Fremdgrapheme gleichermaßen bezieht, war schon nach der Darstellung der Kodifikationsentwicklung absehbar. Die graphemübergreifende Analyse des Usus zeigte außerdem, dass die (mittels Software analysierbaren) Assimilationsfaktoren nur eingeschränkt Gültigkeit haben, was ebenfalls zu der Vermutung führt, dass die Assimilation von Fremdwörtern doch stark graphem-, struktur- bzw. analogieabhängig sein muss. Diese Vermutung lässt sich mit Blick auf den graphemspezifischen Befund bestätigen. Der größte Teil des Entwicklungssprungs zwischen 1860 und 1890 ist auf die Grapheme und zurückzuführen. Beide Grapheme zeigen eine sehr ähnliche Entwicklung zwischen 1860 und 1890, wenngleich die Ausgangsquoten doch deutlich voneinander differieren: startet mit der höheren Assimilationsquote. Sie liegt mit 57,58 % deutlich über dem Durchschnitt, während die Quote von dem Durchschnittswert des Jahrhunderts entspricht. Die Entwicklung dieser Grapheme im Usus ist klar als eine Auswirkung der assimilationszugewandten Kodifikation von Sanders, den Schulorthographien und dem Wörterbuch von Konrad Duden zu deuten (vgl. Kapitel 3.4.2.1). Abgesehen von dem grundsätzlichen Unterschied in der Assimilationsquote der beiden Grapheme ist allerdings noch eine weitere Differenzierung vorzunehmen: Die Assimilationen beziehen sich v. a. auf bestimmte Strukturen. Sie sind vermehrt vorzufinden in Auslautpositionen und vor und (zur Aussprachesicherung), in Anlautpositionen bei den Präfixen ko-, kol-, kom-, kon-, kor-, bei -kt und im Suffix -cieren. In den genannten Fällen der Aussprachesicherung handelt es sich um konstante Werte ohne Entwicklungstendenz, weshalb hier mit Sicherheit gesagt werden kann, dass
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die Regelung den Usus wiedergibt. Anders ist dies in den letztgenannten Fällen: Hier zeigt sich jeweils durch einen beeindruckenden Quotenanstieg zwischen 1860 und 1890 der Einfluss v. a. der Schulorthographien und Konrad Dudens. Bei den Präfixen ko-, kol-, kom-, kon-, kor- sind vor dem Anstieg vermehrt Schwankungen vorzufinden. Diese werden von der Regelung – wie oft von den Autoren selbst betont (vgl. Duden und späte Schulorthographien) – registriert, aufgenommen und zugunsten graphematischer Assimilation – oft über den Weg der Variantenzulassung – vereinheitlicht. Der beeindruckende Anstieg bei -kt ist ebenfalls auf eine eigene Regel zurückzuführen, die seit Preußen 1880 in den Regelwerken zu finden ist. Und auch bei -cieren sorgt die schulorthographische strukturbezogene Regel für einen raschen Anstieg der Assimilationsquote um 40 Prozentpunkte. Ansonsten zeigt sich bei diesen Graphemen der Einfluss der Assimilationsfaktoren (z. B. Wortschatzzugehörigkeit, Verwendungshäufigkeit, Spendersprache, formale Faktoren) in der oben graphemübergreifend dargestellten Weise. Ein Faktor, der graphemübergreifend keinen Einfluss zeigte, offenbart sein Wirken aber bei mehrfachem Vorhandensein von innerhalb eines Wortes: die Fremdgraphemanzahl und damit zusammenhängend die Akzeptanz von Teilassimilationen. Findet sich zweimal innerhalb eines Wortes, wird in der Regel vollständig assimiliert oder die Assimilation bleibt in beiden Fällen aus. Das entspricht den Regeln, die Ende des Jahrhunderts aufgestellt werden und Mischschreibungen bei mehrmaligem Auftreten von einschränken. Außerdem sinkt die Assimilationsquote von , sobald weitere Fremdgrapheme hinzutreten, wobei die Anzahl der weiteren Grapheme selbst ohne Relevanz ist. Ganz so lässt sich das für – vor allem mit weiterem Auftreten von innerhalb desselben Wortes – nicht behaupten, was allerdings vornehmlich an der generell größeren Assimilationsresistenz von liegt. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Regelwerksautoren in der amtlichen Phase – beginnend aber schon bei Daniel Sanders – bei der Assimilation von und vom Gebrauch ausgehen und dessen Tendenzen durch die Aufnahme assimilierter Formen ins Regelwerk verstärken, sei es durch strukturspezifische oder singuläre Regeln, was sich wiederum auf den Gebrauch mit einer erhöhten Assimilationsquote auswirkt. Die späte Kodifikation zeigt allerdings auch Züge einer orthographischen Reform, wie sich mit Blick auf den Usus bestätigen lässt: Assimilationsschreibungen von und wurden im Usus nie gefunden und doch werden und 1901 zur Norm. Ein weiteres Graphem, bei dem die Kodifizierung am Ende des 19. Jahrhunderts reformerische Züge trägt, ist . Auch hier ist der zu assimilierende Bereich an einen bestimmten Strukturtypen gebunden: an das Vorkommen im Suffix -ieren. Im Gebrauch zeigt sich ein rasanter Anstieg der Assimilationsquote von 1860 (nahezu 0 %) zu 1890 (ca. 33 %), wobei allerdings immer noch nicht von einer Dominanz der assimilierten Schreibung zu sprechen ist. Hier sind die Grammatiker tatsächlich sanfte Reformer, indem sie die ieren-Schreibung zur
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Die Fremdwortschreibung in ausgewählten Gebrauchstexten des 19. Jahrhunderts
Norm erheben. Schon die Entwicklung zwischen 1860 und 1890 ist eindeutig auf den Einfluss der Schulorthographien zurückzuführen. Es zeigte sich schon, dass das Assimilationsverhalten nicht nur stark strukturspezifisch, sondern überhaupt graphemspezifisch ist. Es gibt eine Reihe von Graphemen, die sich sowohl in Usus als auch in der Kodifikation im 19. Jahrhundert nahezu immer assimiliert zeigen, z. B. Akzentgrapheme und die Vorkommen von , , . Im Gegenzug finden sich auch Grapheme, die sich in jedem Fall absolut assimilationsresistent verhalten, was auch damit zusammenhängt, dass sich in diesen Fällen keinerlei Assimilationstendenzen angebahnt haben. Dazu gehören z. B. , , , , , , und , wobei die Assimilation des letztgenannten Graphems wiederum positionsabhängig ist und im Auslaut durchgehend (zur Aussprachesicherung) stattfindet. Die Strukturabhängigkeit ist auch bei den Doppelkonsonantengraphemen zu erwarten (Abhängigkeit von In- und Auslautposition und von flektierten/nicht flektierten Formen), ist aber aufgrund der Analysemethode und wenig repräsentativen Daten kaum nachweisbar (s. o.). Für die in Kapitel 4.3.3.7.3 besprochenen seltenen Grapheme sind leider auch kaum statistisch repräsentative Ergebnisse zu liefern, doch tendenziell ist erkennbar, dass die Assimilation zum Großteil durch Strukturabhängigkeiten und Analogien erklärbar wird, z. B. die im Auslaut fast durchgehend stattfindende Assimilation von und die seit einer Regelung in den Schulorthographien rasante Assimilationsentwicklung bei -än und -är. Insgesamt zeigt sich also im Usus, dass das Assimilationsverhalten stark graphem- und strukturabhängig ist und eindeutig mit bereits angebahnten Entwicklungen zu tun hat.
5 Zusammenfassung und Ausblick Im Fokus dieser Arbeit stand die Entwicklung der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert, die sowohl anhand von Untersuchungen der Kodifikation als auch des Schreibusus dargestellt wurde. Das Erkenntnisinteresse richtete sich v. a. auf die graphematischen Assimilationsprozesse und die Faktoren, die zu diesen Prozessen geführt haben. Insgesamt kann – in beiden Entwicklungssträngen – eine eindeutige Entwicklung hin zu vermehrter Assimilationsschreibung festgestellt werden, die v. a. in der zweiten Hälfte und besonders stark im letzten Drittel des Jahrhunderts stattfindet. Das belegen die Assimilationsquoten der Ususuntersuchung: Zwischen 1860 und 1890 ist insgesamt ein Quotensprung von ca. 10 Prozentpunkten festzustellen (von 42,37 % auf 52,76 % in Bezug auf die Grapheme; von 32,61 % auf 41,91 % in Bezug auf die Wörter), nachdem zuvor die Quote relativ gleichbleibend bzw. zwischen 1830 und 1860 nur leicht angestiegen war. Diese Entwicklung ist Resultat der vermehrt assimilationszugewandten Regelung in den Grammatiken, Orthographielehren und Wörterbüchern. Betrachtet man allerdings zunächst die graphemübergreifende Regelung zur Fremdwortschreibung in der Kodifikation, werden auf den ersten Blick keine wesentlichen Änderungen der Norm sichtbar: Fast alle Autoren geben eine zweigeteilte, am Ende des Jahrhunderts auch dreigeteilte generelle graphemübergreifende Regel zur Fremdwortschreibung an, die in etwa dem folgenden Inhalt entspricht: Eingebürgerte Fremdwörter schreibe nach deutschen Laut-Buchstaben-Regeln, nicht eingebürgerte Fremdwörter schreibe in der Weise der Gebersprache.
Diese vermeintliche Einheitlichkeit ist allerdings durch die Tatsache zu relativieren, dass die Autoren den Begriff der Einbürgerung unterschiedlich definieren. Die im Laufe des Jahrhunderts immer deutlicher zutage tretende Erkenntnis, dass die Bestimmbarkeit von eingebürgerten und nicht eingebürgerten Fremdwörtern aufgrund von unterschiedlichen und zum Teil nicht klar definierten (nicht klar definierbaren) Faktoren stark eingeschränkt ist,351 führt – neben der Tatsache, dass die oben genannte Regel nicht in jedem Einzelfall Anwendung findet – in der amtlichen Phase zur Aufstellung einer dritten Regel: „Oft behalten aber auch längst eingebürgerte Fremdwörter ihre ursprüngliche Schreibung“ (Berlin 1871, 17). Insgesamt konnte gezeigt werden, dass Einbürgerungsfaktoren/Assimilationsfaktoren zwar in jeder generellen Regelung der Fremdwortschreibung vorkommen, letztlich aber nur einen Versuch darstellen, dieses schwer zu zähmende orthographische Problem zu lösen. Statistisch konnten Einflüsse der verschiedenen Fakto-
351 Die Abgrenzungsschwierigkeiten führen manchmal dazu, dass selbst die Autoren ihre Regeln nicht konsequent anwenden (vgl. Linnig 1869).
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Zusammenfassung und Ausblick
ren auch im Usus gezeigt werden, aber im konkreten Einzelfall sind die graphemund strukturspezifischen bzw. die singulären Regeln einzig tatsächlich schreibungsleitend. Entscheidend ist letztlich die Frage, um welches Fremdgraphem und welches Wort es sich im konkreten Fall handelt und ob (ggf. bei einem bestimmten Strukturtypen, z. B. ko-, -kt, ‑zieren) bereits Assimilationen angebahnt sind oder nicht (vgl. -ieren, Schwankungen bei und ). Das Vorhandensein von Assimilationsmustern wurde von Langner schon als „äußerst wichtiger Faktor“ (Langner 1995, 178) nachgewiesen und kann für die Entwicklung der Fremdwortschreibung im 19. Jahrhundert ebenfalls in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden. Deshalb bleibt es nicht bei der Erkenntnis, dass sich die generelle Regelung innerhalb des 19. Jahrhunderts im Grundsatz kaum verändert – das gilt nur für die graphemübergreifende Regelung. Die eigentliche Entwicklung spielt sich graphem-, struktur- und einzelwortbezogen ab und findet v. a. da statt, wo bereits Assimilationsbeispiele vorliegen (Analogien). So kommt es auch häufig vor, dass die graphemübergreifende Regel außer Kraft gesetzt wird bzw. die oben als „dritte Regel“ bezeichnete Ausnahme zur Geltung kommt. Bevor diese Entwicklungen zusammengefasst werden, sei noch ein Blick auf die Assimilationsfaktoren der generellen Regeln und ihre Relevanz im Usus geworfen. In der Regelung kristallisiert sich innerhalb des 19. Jahrhunderts die Dominanz der lautlichen Ebene bei der Benennung der Einbürgerungs- bzw. Assimilationsfaktoren heraus. Hier liegt das höchste Entscheidungskriterium für bzw. gegen eine graphematische Assimilation: Fremde Laute und Wörter mit fremden Lauten sollen in der Regel graphematisch nicht assimiliert werden. Das Gegenteil gilt für Wörter, denen eine phonemische Assimilation vorausgegangen ist: Hier ist in jedem Fall zu assimilieren. Nicht in jedem Regelwerk allerdings ist die Bestimmung der sprachlichen Einheit der phonischen Ebene, die zur Assimilation bei Fremdwörtern führt, eindeutig – die Regelwerke differieren hier teilweise doch sehr stark. Dennoch ist auch im Usus nachweisbar: Fremde Laute werden auch im Usus grundsätzlich nicht graphematisch assimiliert und Wörter mit vorangegangener phonemischer Assimilation weisen eine im Durchschnitt 11 Prozentpunkte höhere Assimilationsquote auf (unter zusätzlicher Berücksichtigung der Teilassimilationen läge die Quote noch deutlich höher). Da sich in Bezug auf den Faktor der lautlichen Ebene im Usus allerdings keine Entwicklungen innerhalb des Jahrhunderts zeigen, lässt sich sagen, dass die Kodifikation hier nur das in die Regel aufnimmt, was im Usus zuvor beobachtet wurde. Weitere Assimilationsfaktoren sind zwar meist von sekundärer Relevanz, werden aber dennoch in den Regelwerken genannt: v. a. die flexivische Assimilation, die Spendersprache, die Verwendungshäufigkeit („Gangbarkeit“), die Wortschatzzugehörigkeit und der Entlehnungszeitpunkt des betreffenden Wortes. Auch im Usus haben sie zumeist nur eine untergeordnete Funktion: Eine vorausgegangene flexivische Assimilation etwa ist – für sich betrachtet – kein assimilationsfördern-
Zusammenfassung und Ausblick
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der Faktor, sondern eher eine Art Grundvoraussetzung dafür, dass ein entsprechendes Lexem überhaupt Kandidatenstatus für die graphematische Assimilation erwirbt. Kommt allerdings zur flexivischen Assimilation die phonemische dazu, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer graphematischen Assimilation erhöht. Insofern lässt sich trotzdem sagen, dass Assimilationen auf anderen formalen sprachlichen Ebenen – v. a. in Kombination – Einfluss auf die graphematische Assimilation ausüben. Zwei weitere Faktoren, die auch in der Regelung ab den 70er Jahren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts – wenn auch als sekundäre Faktoren – häufig benannt werden, weisen auch im Usus ihren Einfluss nach. Besonders früh entlehnte Wörter und Wortbildungseinheiten, die zudem besonders häufig Verwendung finden, werden deutlich stärker assimiliert als andere Einheiten. Damit ist v. a. Lehngut gemeint, das bereits im Mittelalter ins Deutsche übernommen wurde und damit vorrangig durch mündliche Vermittlung in den deutschen Sprachgebrauch gelangt ist, so dass es sofort durch heimische PGB realisiert werden konnte. Lexeme allerdings, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert ins Deutsche entlehnt wurden, weisen keine besonders signifikanten Unterschiede im Assimilationsstatus auf. Der Entlehnungszeitpunkt wirkt daher nicht immer, sondern ist nur dann ein relevanter Faktor, wenn er sich auf besonders frühe (d. h. mittelalterliche) Entlehnungen bezieht. Durchgehende Relevanz zeigt allerdings der Faktor der Verwendungshäufigkeit von entlehnten Wörtern und Wortbildungseinheiten. Die Ususuntersuchung zeigt: Je häufiger ein Wort benutzt wird, desto eher unterliegt es auch der graphematischen Assimilation. Die Wortschatzzugehörigkeit und die Spendersprache sind als Assimilationsfaktoren im Usus – zumindest statistisch – auch sichtbar, lassen sich allerdings nicht pauschal auf alle Lexeme bzw. Grapheme anwenden. Fachwörter z. B. weisen zwar eine im Vergleich zum Durchschnitt deutlich niedrigere Assimilationsquote auf, was allerdings nicht bedeutet, dass sie von jeglichen Assimilationsentwicklungen vollständig ausgeschlossen sind. Ein besonders deutlicher Assimilationsquotensprung zeigt sich zwischen 1860 und 1890 sogar bei den Fachwörtern aus den Publizistik- sowie Rechts- und Verwaltungstexten, der möglicherweise auf den Alltagssprachenbezug vorwiegend juristischer Termini zurückzuführen ist. „Unbekannte“ Sprachen eher graphematisch zu assimilieren als bekannte, ist bereits bei Adelung eine Regel, die sich durch die Ususuntersuchung (wenn auch nicht statistisch repräsentativ) bestätigen lässt. Darüber hinaus ist ein Unterschied in den Assimilationsquoten zwischen „modernen“ und „klassischen“ Sprachen festzustellen, wobei letztere die geringere Quote aufweisen (Ergebnisse jeweils in Bezug auf die Grapheme: Französisch: 53,82 %, Italienisch: 48,86 %, Griechisch: 46,86 %, Latein: 36,80 %). Die Differenz zwischen den Entlehnungen aus dem Französischen und dem Lateinischen ist dabei besonders bedeutsam. Die vielfach betonte Ähnlichkeit zwischen der deutschen und der jeweiligen Spendersprache, die – laut Literatur – eher bei den klassischen Sprachen vorzufinden sei, scheint
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demnach nicht ausschlaggebend zu sein. Viel wesentlicher als die grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen den Sprachen ist eine vorangegangene Assimilation an die deutsche Sprache v. a. auf der phonischen Ebene. Diese betreffen wiederum vorwiegend französische Fremdwörter, was denn auch die erhöhte Assimilationsquote des Französischen erklärt. Mit Blick auf die zu Beginn geäußerte Vermutung, dass v. a. im 19. Jahrhundert fremdwortpuristische Einflüsse in der Kodifikation vorzufinden sein würden, überrascht die Erkenntnis, dass ein solcher Einfluss im Grunde kaum ermittelbar ist. Abgesehen von wenigen gemäßigten fremdwortpuristischen Äußerungen von Lattmann und Duden, die zwischen entbehrlichen (= zu tilgenden) und unentbehrlichen (= zu assimilierenden) Fremdwörtern unterscheiden, können keine weiteren Nachweise dieses vermeintlichen Assimilationsfaktors erbracht werden. Gerade was die Benennung von Assimilationsfaktoren betrifft, konnte nachgewiesen werden, dass die Grammatiker im Wesentlichen den Schreibgebrauch untersucht haben, um diese Faktoren zu ermitteln. In Bezug auf die graphemübergreifende Regel kann also nicht vom Einfluss der Grammatiker auf den Usus gesprochen werden. Das ist auch mit der Tatsache zu begründen, dass es dem Sprachnutzer schwerfallen dürfte, in jedem einzelnen Fall Kenntnis über Spendersprache, Gebrauchshäufigkeit und Entlehnungszeitpunkt zu erlangen (oder zu besitzen). Insofern ist die Nennung der Faktoren ohnehin wenig funktional. Die Darstellung zeigt, dass die Regelung der Fremdwortschreibung allein mit graphemübergreifenden Regeln nicht auskommt, da sie aufgrund der dargestellten Probleme selten zu einem normgerechten Schreibungsprodukt führen. Umso wesentlicher sind graphem-, struktur- und einzelwortbezogene Regeln, anhand derer sich dann auch die Entwicklung der Fremdwortschreibung besonders eindrücklich zeigen lässt. Hier verdient v. a. die Entwicklung der Schreibung von und und die „Assimilationsexplosion“ des ieren-Suffixes am Ende des Jahrhunderts Erwähnung (vgl. Ususbefund). In beiden Fällen ist es so, dass die Regelwerksautoren die Schwankungen im Usus realisieren und dann – z. T. auch gegen die Mehrheit im usus scribendi (vgl. ieren-Suffix) – für mehr bzw. im ieren-Fall für ausschließliche Assimilation entscheiden und entsprechende Regeln verfassen. Das Graphem wird daher nicht grundlos so oft in der Sekundärliteratur besprochen, es ist tatsächlich auch ein Graphem mit einem besonders hohen Regelungsbedarf und daher das in den Grammatiken am häufigsten thematisierte Graphem. Hier sind bereits vielfältige Assimilationen angebahnt, weshalb ein Ausbau der Assimilationsschreibungen infrage kommt. Daneben ist es auch das generell am häufigsten vorkommende Graphem (vgl. Ususbefund), weshalb auch die Ususuntersuchung hier besonders repräsentative Ergebnisse liefert. Hervorzuheben sind mit Blick auf die -Grapheme die Regelwerke von Sanders, die Schulorthographien (besonders Württemberg 1884 [vgl. Bramann 1982, 172]) und das Duden-Wörterbuch. All diese Kodifizierungen sind besonders assimilationszugewandt und führen mehr und mehr Assimilationsschreibungen, oftmals
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über den Weg der Zulassung von Variantenschreibungen (v. a. Konrad Duden), ein. Der allgemein als konservativ dargestellte Sanders verdient dabei besondere Aufmerksamkeit, als er der erste Autor ist, der sich – bezugnehmend auf den Gebrauch – auf vermehrte Assimilationen von zu einem besonders frühen Zeitpunkt des 19. Jahrhunderts (1855) einlässt (vgl. auch Wortlisten) und damit den Beginn fortschreitender Assimilation des Graphems einläutet. Deutlich zögerlicher folgen die Assimilationen des Graphems (erst mit dem Erscheinen der Schulorthographien). Der Weg führt allerdings in beiden Fällen häufig über Variantenschreibungen zu vermehrter Assimilation, so dass die -Schreibung mit dem Beschluss der amtlichen Kodifikation sozusagen Ausnahmenstatus erreicht hat. Zugrunde liegt den graphembezogenen Regeln dieser Grapheme zwar meist die übergreifende Regel, sie wird allerdings oft ergänzt durch weitere Faktoren wie z. B. den Gebrauch, bestimmte Strukturen (wie etwa -kt, -zieren und bestimmte Präfixbildungen mit ko-, kol-, kom-, kon-, kor-), die Spendersprache oder die Anzahl weiterer Fremdgrapheme. Besonders häufig wird das Gebrauchsargument angebracht, was wiederum zeigt, wie wichtig die Tatsache des Vorhandenseins bereits angebahnter Entwicklungen ist. Auch beim viel besprochenen Suffix -ieren findet die graphemübergreifende Regel meistens keine Anwendung. Es handelt sich hier um eine positionsabhängige Regel zur Schreibung des Graphems , die ebenso in der zweiten Jahrhunderthälfte besondere Bedeutung erlangt. Die historische Schule verlangt als erste die konsequente Assimilation dieses Suffixes – ohne dabei den Einbürgerungsstatus des jeweiligen Lexems zu überprüfen. Diese Regel findet dann Eingang in die Regelwerke der zweiten Jahrhunderthälfte – von einer kurzen Rückkehr zur irenSchreibung in den 70er Jahren abgesehen – und wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Norm in das amtliche Regelwerk aufgenommen. Neben diesen besonders eindrücklichen graphemspezifischen Regelentwicklungen zeigen auch andere, weniger präsente Grapheme eine Assimilationsentwicklung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, z. B. Doppelkonsonantengrapheme, im Auslaut und . Es existieren aber auch solche Grapheme, die sich – sowohl in der Kodifikation als auch im Usus – jeglichen Assimilationsprozessen entziehen. Grund ist hier im Regelfall das Nichtvorhandensein von bereits angebahnten Entwicklungen, so z. B. bei , , , , , , und im Inlaut. An Reformvorschlägen mangelt es nicht, aber auch ein (wiederholter) Antrag zur durchgängigen Assimilation von , und auf der II. Orthographischen Konferenz scheitert daran, dass „zur Zeit der bestehende Brauch aus praktischen Gründen nicht geändert werden [könne]“ (Protokoll 1901, 287). Andersherum gibt es auch Grapheme, deren Assimilation wie selbstverständlich vorgenommen wird. Sie wird daher entweder in den Regelwerken kaum thematisiert oder mit (fast) ausschließlicher Forderung von Assimilationsschreibungen ins Regelwerk aufgenommen, z. B. die meisten Akzentgrapheme und . Dieses Ergebnis findet sich auch im Usus wieder.
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Die Untersuchung der Kodifikation zeigt insgesamt, dass der Assimilationsschub in der sog. amtlichen Phase – ab etwa 1855 – und darin vermehrt in den Schulorthographien nach der I. Orthographischen Konferenz stattfindet. Die Regelwerke vereinheitlichen sich zu diesem Zeitpunkt auch immer stärker. Die eben dargestellte Entwicklung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bzw. vor allem im letzten Drittel spiegelt sich in den Daten zur Fremdwortschreibung im Usus wider (s. o.). Es deckt sich ebenfalls mit dem Ergebnis der Kodifikationsanalyse die Erkenntnis aus dem Usus, dass sich diese Entwicklung keinesfalls auf alle Grapheme gleichermaßen bezieht. Auch hier ist der größte Entwicklungsprozess zwischen 1860 und 1890 auf zwei bzw. drei Fremdgrapheme zurückzuführen. Eine herausragende Rolle spielen dabei die Grapheme und . Beide zeigen eine sehr ähnliche Entwicklung, wenngleich die Assimilationsquoten deutlich voneinander abweichen: Das Graphem hat von Beginn an eine deutlich höhere Assimilationsquote aufzuweisen als (