Landfrieden, Strafe, Recht: Zwölf Studien zum Mittelalter [1 ed.] 9783428499120, 9783428099122

Die Gottes- und Landfrieden gehören zu jenen Erscheinungen des Mittelalters, denen die rechtshistorische Forschung schon

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German Pages 305 Year 2001

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Landfrieden, Strafe, Recht: Zwölf Studien zum Mittelalter [1 ed.]
 9783428499120, 9783428099122

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ELMAR WADLE

Landfrieden, Strafe, Recht

Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungs geschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Regensburg

Band 37

Landfrieden, Strafe, Recht Zwölf Studien zum Mittelalter

Von

ElmarWadle

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wadle, Elmar: Landfrieden, Strafe, Recht: zwölf Studien zum Mittelalter I von Elmar Wadle. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zur europäischen Rechtsund Verfassungsgeschichte ; Bd. 37) ISBN 3-428-09912-5

Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 2001

ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-09912-5 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Vorwort Die in diesen Band aufgenommenen Aufsätze mögen Zeugnis geben von einer langjährigen, wenngleich öfter unterbrochenen Beschäftigung mit einem Themenkreis, der auf Rechtshistoriker immer einen starken Anreiz ausgeübt hat: die mittelalterlichen Gottes- und Landfrieden und ihre vielfältige Verwobenheit mit Grundfragen der Geschichte von Verfassung und Recht. Wer sich mit Herrschaftsordnung und Rechtsverfolgung, Gerichtsbarkeit und Rechtsverständnis, Strafrecht und Frührezeption im hohen Mittelalter auseinandersetzen will, kommt um die Landfriedenstexte nicht herum. Brennspiegeln vergleichbar geben sie uns Hinweise zu jedem der genannten Stichworte. Diese Informationen richtig zu deuten bleibt angesichts der Bedingtheit historischer Erkenntnis immer eine Herausforderung. Nachdem die Begriffiichkeit der klassischen Darstellungen der Deutschen Rechtsgeschichte viel von ihrer Überzeugungskraft eingebüßt hat, stellen uns die Landfriedensinstrumente vor die Aufgabe, ihre Signale in einem neu zu formulierenden Kontext zu verstehen. Dabei fallen neuere Einsichten zu Grundkategorien wie "Recht", "Gesetz", "Rechtsanwendung", "Eigenmacht" und "hoheitliche Gewalt" besonders ins Gewicht. Da diese Forschungen fortschreiten, ist auch der notwendige Rückbezug der Interpretation der Landfrieden ständigen Wandlungen unterworfen: Wer die intensive Beschäftigung mit konkreten Quellen in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, bleibt doch stets abhängig vom Rüstzeug allgemeiner Begriffiichkeit, von der Annahme und Deutung weiterreichender Zusammenhänge. Solche Einsichten drängen sich dem Autor auf, wenn er Arbeiten zusammenstellt, die innerhalb eines Zeitraumes von rund drei Jahrzehnten entstanden sind. Manche Passage und manche Wendung älterer Beiträge würde er aus heutiger Sicht modifizieren oder gar nicht mehr schreiben. Die Kemaussagen indes wären auch heute noch dieselben. So bleibt es doch sinnvoll, eine gemeinsame Herausgabe der Aufsätze zu wagen. Einige der bereits 1968 auf einer Tagung des Konstanzer Arbeitskreises fllr mittelalterliche Geschichte vorgetragenen Thesen (Studie 2) sind später wieder aufgegriffen, zum Teil auch neu gewichtet oder ergänzt worden, insbesondere durch die Arbeiten über die Geltungsproblematik (Studie 3), über die Bedeutung der Landfrieden fllr das hochmittelalterliche Strafrecht (Studien 9 und 10) und über das Verhältnis der Landfrieden zur eigenmächtigen Rechtsdurchsetzung (Studie 4). Andere Beiträge stellen einzelne Friedenstexte in den Mittelpunkt, so den Konstanzer Frieden von 1105 (Studie 5), den Heeresfrieden Friedrich Barbarossas von 1158 (Studie 6) und den Friedebrief desselben Kai-

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Vorwort

sers, den sogenannten "Brandstifterbrief' von 1186/87, wobei die Bezüge zur Frührezeption des römisch-kanonischen Rechts eigens betont werden (Studie 7). Umrahmt werden diese Aufsätze von Beiträgen, die Überblicke bieten wollen. Das Jubiläum der Reichsrefonn von 1495 gab Anlaß, den Ewigen Landfrieden als Schlußakkord der mittelalterlichen Friedensbewegung zu schildern (Studie 8). Den Auftakt des Sammelbandes bildet ein Bericht über den Gang der Gottes- und Landfriedensforschung seit 1950 (Studie I); er mag dem Leser den Einstieg in die weitverzweigte Thematik erleichtern. Zwei weitere Beiträge wurden aufgenommen, weil ihre Thematik sich im Sinne des eingangs Gesagten mit Problemfeldern der Landfrieden berührt: die Friedenstexte sind zentrale Beispiele filr "nonnative Aufzeichnungen" (Studie 11); die Vorstellung vom überkommenen Recht ("Rechtsgewohnheit") und die bei der Neubewertung der consuetudo faßbaren Einflüsse gelehrten Rechtsgutes kommen gleichennaßen filr die Landfrieden in Betracht (Studie 12). Die zwölf Aufsätze sind im wesentlic,hen unverändert abgedruckt. Der Text ist nur, soweit es unumgänglich erschien, bereinigt. Druckfehler wurden korrigiert und das eine oder andere sprachliche Defizit beseitigt. Die Fonn des Anmerkungsapparates ist weitgehend vereinheitlicht; die filr die ursprünglichen Publikations orte geltenden Vorgaben waren zu unterschiedlich, um sie in einen Sammelband übernehmen zu können. Im übrigen wurde von Eingriffen abgesehen; auch auf zusätzliche Querverweise und Literatumachträge wurde verzichtet. Soweit einige der späteren Aufsätze Themen älterer Beiträge aufgreifen, bietet der an den Anfang gestellte Forschungsbericht eine gewisse Aushilfe, da er die späteren Titel des Autors mit Ausnahme der Studien 4 und 6 ausweist. Für die neuere Literatur darf verwiesen werden auf einen von Amo Buschmann und dem Autor herausgegebenen Aufsatzband, der unter dem Titel "Landfrieden - Anspruch und Wirklichkeit" demnächst erscheinen wird; er geht auf ein Kolloquium zurück, das im Frühjahr 1999 Historiker und Rechtshistoriker bei der Kester-Haeusler-Stiftung in Fürstenfeldbruck versammelt hat, um aktuelle Aspekte der Forschung zu diskutieren. Die darin entstandenen Beiträge werden auch über den Stand der wissenschaftlichen Publikationen zu den hier angesprochenen Themen Auskunft geben. Den Herausgebern und namentlich den Verlagen, die filr die Erstpublikation verantwortlich waren, ist zu danken, dass sie den Wiederabdruck ennöglicht haben. Besonderen Dank schuldet der Verfasser dem Verleger dieser Reihe, Herrn Professor Dr. Norbert Simon, Berlin, der sich großzügig bereit erklärt hat, den Band in seinem Hause herauszubringen. Schließlich seien die Mitarbeiter am Saarbrücker Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht, Frau Anneliese Austgen und Herr Referendar Sven Korzilius hervorgehoben; sie haben bei der praktischen Umsetzung maßgeblich mitgewirkt und verdienen dafilr herzlichen Dank.

Vorwort

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Widmen möchte ich die Sammlung meinen Saarbrücker Freunden und Kollegen Wilfried Fiedler, Heike Jung und Georg Ress, die meine Arbeit in zahllosen Gesprächen kritisch begleitet und gefördert haben. So durfte ich dankbar erleben, wie wertvoll und bereichernd der freundschaftlich-fachliche Diskurs in einer Fakultät auch heute noch sein kann. Saarbrücken, Ostern 2000

Elmar Wadle

Inhaltsverzeichnis

1.

Gottesfrieden und Landfrieden als Gegenstand der Forschung nach 1950 .... 11

2.

Heinrich IV. und die deutsche Friedensbewegung ........................................ 41

3.

Frühe deutsche Landfrieden .......................................................................... 75

4.

Die Delegitimierung der Fehde durch die mittelalterliche Friedensbewegung .................................................................................................... 103

5.

Die Konstanzer Pax und Bischof Gebhard III ............................................. 123

6.

Zum Recht der Heerfahrt jenseits der Grenze: Friedrich Barbarossas Heerfrieden von 1158 als Teil der hochmittelalterlichen Friedensbewegung ..... 137

7.

Der Nürnberger FriedebriefFriedrich Barbarossas und das gelehrte Recht ........................................................................................................... 153

8.

Der Ewige Landfriede von 1495 und das Ende der mittelalterlichen Friedensbewegung ................. ...... ... ............................................................. 183

9.

Die peinliche Strafe als Instrument des Friedens ......................................... 197

10.

Die Entstehung der öffentlichen Strafe ........................................................ 219

10 11.

Inhaltsverzeichnis Über Entstehung, Funktion und Geltungsgrund normativer Rechtsaufzeichnungen im Mittelalter .................................................................................. 243

12.

Gewohnheitsrecht und Privileg ................................................................... 261

Verzeichnis der Friedenstexte ......................................... ............................................ 295 Nachweis der Erstdrucke ............................................................................................ 303

Gottesfrieden und Landfrieden als Gegenstand der Forschung nach 1950 I. Zum Stand der Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg In seinem "Studienbuch" zur Deutschen Rechtsgeschichte, das 1949 in erster Auflage erschienen ist, geht Heinrich Mitteis an verschiedenen Stellen auf die Gottes- und Landfrieden des hohen und späten Mittelaltersein 1• Dabei zeichnen sich deutlich zwei Schwerpunkte ab. Auf der einen Seite betont Mitteis die "revolutionären Neuerungen" (S. 132), die Gottes- und Landfrieden im Bereich des Strafrechts und der Strafgerichtsbarkeit gebracht haben, vor allem das breite Vordringen der peinlichen Strafe, die dadurch bewirkte Rekriminalisierung des Strafrechts und die Umbildung der Hochgerichtsbarkeit zur Blutgerichtsbarkeit. Auf der anderen Seite würdigt Mitteis im Kapitel über "Die Rechtsquellen" die Landfrieden in besonderer Weise als Reichsgesetze; er bezeichnet sie als "die das hohe Mittelalter kennzeichnendste Quellengruppe" (S. 104) und skizziert ihre Geschichte von den Gottesfrieden des 10. Jahrhunderts bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235. Seinen Überblick beschließt Mitteis mit der These, "die praktische Wirkung der Reichslandfrieden" dürfe ,,nicht überschätzt werden", da dem Reich die "nötige Vollzugsgewalt" gefehlt habe; es hätte sich damit begnügen müssen, "Rahmengesetze und Richtlinien" aufzustellen; die zur Wahrung des Landfriedens gebildeten Gerichte seien ,,nicht Einrichtungen des Reiches, sondern der Herzöge und Landgrafen" gewesen. Damit wird ein dritter Bereich neben "Straf- und Strafprozeßrecht" und "Rechtsquellen" angesprochen, die verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Landfriedensbewegung; allerdings wird diese eher angedeutet als ausformuliert. Das Bild, das uns in Mitteis' Studien entgegentritt, entspricht in allen wesentlichen Punkten dem Stand der Wissenschaft jener Zeit. Es steht zugleich in einer längeren Tradition. Ähnliche Konzepte weisen schon die älteren Grundrisse von Heinrich Brunner und Claudius von Schwerin auf 2. Gleiches gilt fiir die 1 Heinrich Mitteis, Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Studienbuch, München 1949.Die im Text enthaltenen Seitenangaben beziehen sich auf das in den jeweils vorangehenden Fußnoten genannte Werk des behandelten Autors. 2 Heinrich Brunner, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, 5. Aufl., Leipzig 1912, bes. S. 106, 171 ff.; Claudius Freiherr von Schwerin, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, BerlinlMünchen 1934, bes. S. 196.

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breiter angelegten älteren Handbücher, namentlich das "Lehrbuch der Deutschen Rechtsgeschichte" von Richard Schröder und Eberhard Freiherr von Künßberg3 ; auch sie sehen die Friedensbewegung als Teil der Strafrechtsgeschichte und als Ausgangspunkt der Gesetzgebung. Daß man die Gottes- und Landfrieden in dieser Weise eingeordnet hat, erscheint erst verständlich, wenn man bedenkt, welche zentrale Bedeutung die ältere Forschung dem Friedensbegriffund seinen Varianten (Volksfriede, Königsfriede, Sippenfriede u. a.) zugemessen hat. Zum einen rechnete man die Sorge fi1r den Frieden zu den wesentlichen Aufgaben eines königlichen Herrschers, zum anderen schien im Bruch des Friedens und in der daraus resultierenden Friedlosigkeit der Schlüssel zum Verständnis der mittelalterlichen Rechtswelt zu liegen. So geriet der Friedensbegriff zu einer Art Fluchtpunkt, durch den Königtum und frühe Staatlichkeit einerseits, Recht und Gericht andererseits in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden konnten. Die Gottesund Landfrieden des hohen Mittelalters wurden angesichts dieses Hintergrundes eher als eine Etappe im Rahmen einer längeren Entwicklung verstanden, denn als Ausdruck einer neuen, vielleicht sogar "revolutionären" Entwicklung des 11. und 12. Jahrhunderts. Die zusammenfassenden Darstellungen bis hin zu Mitteis' Studienbuch stützen sich vor allem auf drei Monographien, die durch zahlreiche Aufsätze und Dissertationen vorbereitet und vertieft worden sind: Das bereits 1891 erschienene und in vielerlei Hinsicht bis heute noch nicht voll ersetzte Buch von Ludwig Huberti über "Die Friedensordnungen in Frankreich"\ Eugen Wohlhaupters Werk "Studien zur Rechtsgeschichte der Gottes- und Landfrieden in Spanien"s und die 1932 publizierte Monographie von Wolfgang Schnelbögl über "Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts,,6. Obgleich die drei Titel auf die Verhältnisse anderer (Frankreich, Spanien) oder engerer (Bayern) Regionen hinweisen, so enthalten sie doch wesentliche Aussagen auch über die Verhältnisse im mittelalterlichen Reich: Huberti bestätigt die gängigen von der Wissenschaft geprägten Begriffe der "Pax" (Frieden fi1r bestimmte Personengruppen und Sachen) und "Treuga" (Frieden fi1r bestimmte Tage und Zeiträume) und akzentuiert das Ziel der Friedensbewegung, Fehde und Selbsthilfe einzudämmen. Wohlhaupter will die spezifischen Unter3 Richard Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschicht>!, 7. verbesserte Aufl., fortgeführt von Eberhard Freiherr von Künßberg, BerlinlLeipzig 1932, S. 830 ff. 4 Ludwig Huberti, Studien zur Rechtsgeschichte der Gottesfrieden und Landfrieden, I: Die Friedensordnungen in Frankreich, Ansbach 1892. 5 Eugen Wohlhaupter, Studien zur Rechtsgeschichte der Gottes- und Landfrieden in Spanien (Deutschrechtliche Beiträge XIV, 2), Heidelberg 1933. 6 Wolfgang Schnelbögl, Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (Deutschrechtliche Beiträge XIII, 2), Heidelberg 1932.

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schiede der spanischen Entwicklung zur deutschen herausarbeiten und skizziert zu diesem Zweck auch das deutsche Geschehen. Schnelbögl schließlich behandelt die Gottes- und Landfrieden vom 11. Jahrhundert an, um sodann die Spezifika der sich daran anschließenden bayerischen Friedensbewegung und ihre Bedeutung fiir die Ausbildung des spätmittelalterlichen Straf- und Strafverfahrensrechts herausstellen zu können; dabei greift Schnelbögl immer wieder auf Quellen der Salier- und Stauferzeit zurück und schlägt so eine Brücke von der frühen Friedensbewegung zum spätmittelalterlichen Strafrecht. Schnelbögls Arbeit, eine bei Konrad Beyerle entstandene Münchner Dissertation, führt damit weiter, was RudolfHis bereits 1920 im ersten Band seiner Geschichte des Strafrechts des Mittelalters grundgelegt hatte 7: His hatte seine Darstellung des mittelalterlichen Strafrechts mit einem Abschnitt über Gottes- und Landfrieden, Dorf- und Stadtfrieden eingeleitet und damit noch eine gewisse Trennlinie zu all jenen Arbeiten gezogen, die eine - wie auch immer zu verstehende - Kontinuität des Strafrechts von der Germanenzeit bis ins Hochmittelalter postulieren wollten. Der von His gewählte Ansatz hatte kurz darauf eine bedeutsame Bestätigung gefunden: Hans Hirschs Arbeit über "Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter"S hatte die Umbildung der Hochgerichtsbarkeit zur Blutgerichtsbarkeit beschrieben und damit die gerichtsverfassungsrechtliche Ergänzung zu His' neuem Bild des mittelalterlichen Strafrechts geliefert. Die meinungsbildende Literatur der Rechtshistoriker hat diese Umorientierung nur zum Teil aufgegriffen. Schnelbögl war eher bestrebt, die Beobachtung von Hirsch und His mit den traditionellen Linien der Rechtsgeschichtsschreibung zu verknüpfen. Am deutlichsten bekannte sich dann Eberhard Schmidt zur Idee des Kontinuitätsbruchs, wenn er in seiner 1947 erstmals erschienen "Einruhrung in die Geschichte der Deutschen Strafrechtspflege,,9 die durch die Landfriedensbewegung ausgelösten Veränderungen eine "große Revolution" nennt. Mitteis schließlich greift in seinem eingangs vorgestellten Studienbuch diese Bewertung rur den Bereich des Strafrechts auf, der zentralen Frage nach Elementen der Kontinuität oder Diskontinuität scheint Mitteis noch auszuweichen. Die Zeit war allerdings reif rur neue umfassende Untersuchungen. Sie wurden in den Jahren und Jahrzehnten danach in Angriff genommen.

7 Rudolf His, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, 2 Teile, Weimar 1920/1935 (Neudruck Aalen 1964). 8 Hans Hirsch, Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter, Prag 1922, 2. unveränderte Auflage, Köln 1958. 9 Eberhard Schmidt, Einfiihrung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Göttingen 1947 (3. Aufl. Göttingen 1965), bes. S. 46.

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n. Grundlegende Arbeiten der beiden ersten Jahrzehnte 1. Gernbuber Die Diskussion der beiden Jahrzehnte nach 1950 wurde durch Joachim Gemhuber eröffhet 10 ; mit seiner Bonner Habilitationsschrift, die 1952 publiziert wurde, lieferte er - wie Wolfgang Schnelbögl schreibt 11 - "eine vorbildliche Darstellung der Anfänge der Landfriedensbewegung in Deutschland, ihrer geistigen Grundlagen und Triebkräfte und ihrer weiteren Entwicklung bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235". Gemhuber bietet in der Tat eine breit angelegte Auseinandersetzung mit älteren und neueren Thesen und Meinungen. Im Ergebnis betont er die nahe Verwandtschaft von Gottes- und Landfrieden; sie hätten beide das Ziel verfolgt, Ritterfehde und Gewaltverbrechen zu bekämpfen und dabei die nämlichen Mittel eingesetzt: die ,,Aktivierung der Masse", den Übergang zur obrigkeitlichen Strafe durch Gesetzgebung. Im Schlagwort von der ,,Aktivierung der Masse" faßt Gemhuber die Beobachtung zusammen, daß alle Friedenstexte darauf abzielen, die Bevölkerung möglichst umfassend zur Verfolgung des Friedbrechers einzusetzen, mithin die Friedensziele durch eine quantitative Intensivierung der "GeTÜfts- und Gerichtsfolge" (Schnelbögl) durchzusetzen. Bei der Sanktionierung des Friedbruchs konstatiert Gemhuber zwar Differenzen zwischen Gottesund Landfrieden, da in den Gottesfrieden vorwiegend geistliche Strafen eingesetzt würden, während weltliche Strafen, die vor allem in den deutschen Gottesfrieden begegnen, eher akzessorischen Charakter gehabt hätten. Gemhuber stellt beide Sanktionsarten jedoch letztlich auf eine Stufe, da ihnen beiden ein obrigkeitlicher Charakter eigen sei: die geistliche Sanktion sei eine Reaktion auf die Verletzung des von Gott ausgehenden Friedensgebots, das die kirchliche Gewalt anordne; die typische weltliche Sanktion, die peinliche Strafe, folge auf die Verletzung eines durch den weltlichen Gewalthaber angeordneten Gebots, beruhe ebenso wie die Aktivierung der Masse also auf einem Akt der Gesetzgebung. Gemhuber reduziert damit den Unterschied zwischen Gottes- und Landfrieden auf einen formellen Gesichtspunkt: der einzige durchgreifende Gesichtspunkt sei die Macht, von der das Friedensgebot ausgehe; die Gottesfrieden gelten Gemhuber als Erlasse der kirchlichen Gewalten, die Landfrieden als Gesetze der weltlichen Gewalten, wobei der von Heinrich IV. im Jahre 1103 erlasse10 Joaehim Gernhuber, Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235 (Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 44), Bonn 1952. 11 Wolfgang Sehnelhögl, Besprechung von Gemhuber (Fn. 10), in: ZRG GA 70 (1953), S. 344-349.

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ne Friede als "Beginn der Reichsgesetzgebung" (S. 81) bezeichnet wird. Gernhuber muß, um seine Gesetzgebungsthese zu erhärten, vor allem die Bedeutung des allenthalben nachweisbaren Friedenseides relativieren. Nachdem er aufgezeigt hat, daß der Eid beim Gottesfrieden Gott und nicht einem Schwurbruder geleistet wurde, soll auch der Landfriedenseid einen besonderen Charakter haben: er sei eine Schöpfung der Friedensbewegung und "bedeute, dem Rittereid vergleichbar, nicht die Übernahme, sondern die Anerkennung einer Verpflichtung"; dementsprechend könne es sich bei den Landfrieden nicht um beschworene Einungen, sondern nur um Gesetze handeln. Bei alledem verkennt Gernhuber nicht, daß mit der Aktivierung der Masse und dem Übergang zur peinlichen Strafe die Landfrieden neues Recht an die Stelle überkommener Vorstellungen treten lassen. Obgleich er die Neuerungen der Gesetzgebung zuschreiben will, diskutiert er den Meinungsstreit über Gründe und Vorbilder des Wandels. Die verschiedenen "Theorien" erscheinen, da Gernhuber sie vor dem Hintergrund seiner Gesetzgebungsthese behandelt, als eine Art Anknüpfungspunkt mit lediglich rechtspolitischem Charakter. Gleichwohl meint er belegen zu können, daß die Kriminalisierung des Strafrechts durch die Fortbildung des Handhaftverfahrens und dessen Sonderstellung vor Gericht die beste Erklärung liefere; eine These, die sich mit der Lehre von der Aktivierung der Masse gut in Einklang bringen läßt. Auf diese Weise werden trotz aller Betonung des Gesetzgebungscharakters die Landfrieden auch wieder in einen Kontinuitätszusammenhang zu älteren Formen von Recht und Gericht gestellt. Gernhubers Erkenntnisse werden nicht unerheblich dadurch beeinträchtigt, daß er auf einen Gesetzesbegriff abstellt, der nicht hinreichend reflektiert ist; mehr oder weniger deutlich werden modeme Vorstellungen von Rechtsgeltung, hoheitlicher Befehlsgewalt und staatsähnlicher Verfaßtheit herangezogen, wenn es darum geht, die Funktionsweisen des Gesetzesbegriffes zu beschreiben - ein Verfahren, das, wie noch zu zeigen ist - in besonderer Weise die Kritik auf sich gezogen hat.

2. Achter Wenige Jahre nach Gernhubers Buch erschien Viktor Achters knappe Abhandlung "Über den Ursprung der Gottesfrieden,d2. Obgleich Achter nur die Entstehung der Gottesfrieden in den Blick nimmt, gerät sein Beitrag doch zu ei12 Vik!or Achter, Über den Ursprung der Gottesfrieden, Krefeld o. J. [1955]. Eine inhaltlich voll entsprechende Zusammenfassung davon bietet: ders., Artikel "Gottesfriede", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte I (HRG) (1971), Sp. 17621765.

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ner grundsätzlichen Bewertung des gesamten Phänomens. Zwei Gesichtspunkte werden herausgearbeitet: zum einen wendet sich Achter - insoweit mit Gernhuber übereinstimmend - gegen die überkommene "Kardinalthese", die Gottesfrieden seien im Zuge der Reformbewegung des ausgehenden 10. Jahrhunderts "von der Kirche zur Eindämmung der Auswüchse der Fehde errichtet worden" (S. 5). Dem stellt Achter den Hinweis entgegen, daß schon die frühesten Gottesfriedenstexte Bestimmungen enthalten, die gegen Tatbesbestände gerichtet sind, die bereits nach altem Recht verboten waren, nun aber zusätzlichen kirchlichen Sanktionen unterworfen würden: "Die Fehde als Basis und Zweck der Gottesfrieden erschöpft das Problem nicht" (S. 17). Die Ursachen liegen nach Achter vor allem in der "Funktionsunfllhigkeit des weltlichen Rechts" (S. 12); hierbei sei allerdings eine doppelte Kausalität zu konstatieren: "Die rein äußerliche Kausalkette: Zersplitterung der Staatsgewalt - Unfllhigkeit der weltlichen Herren, dem Recht Geltung zu verschaffen - Überhandnahme von Fehde und anderen Missetaten - und der daraus resultierende Gedanke, daß nur noch die kirchliche Macht in der Lage gewesen sei, dem Unheil Einhalt zu gebieten, muß also einer tieferen Kausalität weichen. Sie würde lauten: Entheiligung des Rechts im heidnisch-religiösen Sinne - dadurch Zerfall dieses Rechts - darauf folgend eine neue Sakralisierung im christlichen Sinne" (S. 16). Die beiden "Kausalitäten" sind nach Achter filr die Entwicklung in Frankreich charakteristisch, während die Besonderheiten des Inhalts der deutschen Gottesfrieden gegen Ende des 11. Jahrhunderts daraus zu erklären seien, daß die ältere "weltlich-überweltliche, germanisch-christliche Einheit" (S. 25) noch existiert habe; die Gottesfrieden hätten mithin das "gute alte Recht" (S. 27) nur von kirchlicher Seite zusätzlich unterstützen wollen. Damit stellt sich Achter auch die Frage nach dem Ursprung der Landfrieden neu: "Denn unbestreitbar sind sie nicht auf eine gleiche oder auch nur ähnliche Basis zu beziehen wie die ersten Gottesfrieden in Südfrankreich. Doch gehört diese Frage mit ihrer umfangreichen Problematik in eine gesonderte Darstellung" (S. 29). Die "gesonderte Darstellung", die Achter fordert, hat er nicht mehr geschrieben. Man kann nur vermuten, wie Achter sie konzipiert haben würde. Er spricht einerseits vom "Vorabend einer neuen Gesetzgebungswelle durch die Kaiser und Könige - so darf man wohl angesichts der kurze Zeit später auftretenden Landfrieden sagen -" (S. 27), andererseits von "Möglichkeiten des rationalen säkularen Rechts", von der Möglichkeit, ein "neues, weltliches rationales Recht, das nicht mehr von einer religiösen Glaubensbasis abhängig war", von den "Möglichkeiten des rationalen säkularen Rechts", die "erst dem 12. und 13. Jahrhundert zum Problem" geworden seien. Hier scheint sich anzudeuten, daß Achter seine auf ganz anderes Material fundierten Thesen zur "Geburt der Strafe,,13 rur die Landfriedensforschung 13

Viktor Achter, Geburt der Strafe, Frankfurt a. M. 1951.

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nutzbar machen wollte. Diese 1951 publizierten Überlegungen laufen im Kern auf die These hinaus, daß erst ein neues von der Theorie des 12. Jahrhunderts geformtes Verständnis der Schuld den modernen Strafbegriff möglich gemacht habe. Für Achter bedeutet diese Entwicklung einen "Umbruch": an die Stelle der überkommenen, in Mythos und Magie wurzelnden Rechtswelt tritt eine rationale Sicht des Rechts und der Strafe; es geht nicht mehr um die Wiederherstellung der durch Missetat gestörten Ordnung, sondern um Reaktion auf zurechenbare Schuld. Achter hat den - nur erschließbaren - Ansatz nicht mehr entfalten können. In unserem Zusammenhang erscheint wichtig, daß Achters Sicht der Friedensbewegung tiefer zu greifen sucht als jene Gernhubers, der sich auf einen modern geprägten Gesetzesbegriff zurückzieht und im übrigen an einem juristisch immanenten Erklärungsmodell der peinlichen Strafe festhält. Achter dachte - oder muß man sagen: spekulierte - weit radikaler. Bemerkenswerterweise stimmen seine Thesen besser in den Rahmen, der durch die Arbeiten von Hirsch und His gezogen worden ist. 3. Hattenhauer Achters nur rudimentär faßbare Thesen sind kurz darauf von Hans Hattenhauer in seiner Marburger Dissertation über "Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden fiir die Gesetzgebung in Deutschland" aufgegriffen worden 14. Die Konzentration der Arbeit auf den zentralen Begriff der Gesetzgebung will im engen Anschluß an Achters Vorarbeit das Verhältnis der Gottes- und Landfrieden zum mittelalterlichen Rechtsverständnis klären. Auch Hattenhauer ist der Ansicht, daß die politische Schwäche des Königtums oder lokaler politischer Kräfte, die zunehmende Unordnung und Rechtlosigkeit oder das gesteigerte Friedensbedürfuis der Anlaß der Friedensbewegung gewesen sei, nicht aber ihr eigentlicher Grund: "Die letztlichen Ursachen dieses besonderen Anlasses" (S. 87) sieht Hattenhauer im Zerfall traditioneller Weltbilder und im Entstehen einer neuen Weltanschauung. Der Glaube an das alte Recht sei verloren gegangen; dieser Verlust habe entweder durch eine neue von der Kirche getragene Sakralisierung des Rechts oder eine Stabilisierung des Rechts mit rationalen Mitteln aufgefangen werden müssen, namentlich durch den Zwang der Rechtsgenossen und den Einsatz peinlicher Strafe. Hattenhauer ist sich bewußt, daß die moderne Alternative "Vertrag oder Gesetz" fiir eine angemessene Beurteilung des Geltungsgrundes unangebracht ist; es komme nur eine Gewichtung der Momente der Zustimmung einerseits und 14 Hans Hattenhauer, Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden für die Gesetzgebung in Deutschland, iur. Diss. Marburg 1958/60.

2 Wadi.

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des hoheitlichen Denkens andererseits in Betracht. Bei den Gottesfrieden handle es sich um "ein Bekenntnis zum Recht" (S. 121), bei dessen Abgabe der ,,hoheitliche Charakter" dominiere; insoweit könne man vom kirchlichen "Gesetz" sprechen, das - jedenfalls in Deutschland - das überkommene Recht nicht ablösen, sondern verstärken wollte. Bei den Landfrieden hingegen überwiegt nach Hattenhauer das hoheitliche Handeln der Friedensinitiatoren noch stärker: "Der Gesetzescharakter der Landfrieden herrscht eindeutig vor" (S. 139). Bei der Beurteilung der Bedeutung von Gottes- und Landfrieden filr die Stabilisierung des Rechts setzt sich Hattenhauer deutlicher von Achter ab: Während Achter in den Gottesfrieden die Aufgabe der (Re-)Sakralisierung des alten Rechts und in den Landfrieden die Schaffung eines neuen rationalen Rechts erkennen will, lehnt Hattenhauer diese Differenzierung ab (S. 161): "So bleibt das Ergebnis, daß eine zeitliche Aufeinanderfolge der Versuche der Sakralisierung und der Rationalisierung des Rechtes nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Eine Unterscheidung zwischen Gottes- und Landfrieden unter diesem Gesichtspunkt ist nicht möglich. Andere Gesichtspunkte, nach denen ein wesensmäßiger Unterschied der Frieden festgestellt werden könnte, lassen sich nicht finden. Alle bisher aufgezeigten Unterschiede waren auf den Unterschied in der Person der Gesetzgeber zurückzuführen und erweisen sich nicht als geeignet, eine im wesentlichen verschiedene GrundeinsteIlung der Frieden nachzuweisen". Gottes- und Landfrieden sind filr Hattenhauer nur Phasen einer längeren Bewegung; die unterschiedliche Bezeichnung drücke "nur ein frühes und ein späteres Stadium in der Entwicklung der Bewegung aus" (S. 165). Bei den Landfrieden werde hoheitliches Denken, der Befehl des Gesetzgebers eingesetzt, um an die Stelle des alten ein neues Recht zu setzen, dessen Legitimität in unterschiedlicher Weise begründet werde, durch Bezugnahme etwa auf altes Recht, durch kirchlich vermittelte Sakralisierung, durch Hinweise auf Nützlichkeit und Notwendigkeit und auch durch den Friedenseid. Der Inhalt des neuen Rechts wird von Hattenhauer näher charakterisiert; hier müssen die Schlagworte Territorialisierung, Subjektivierung und Ethisierung genügen, die sich in peinlicher Strafe und der dadurch ausgelösten Präzisierung der Tatbestände und der Bildung neuer Verfahrensformen niedergeschlagen haben. Soweit es um den Gesetzescharakter der Landfrieden geht, sieht Hattenhauer im Mainzer Reichslandfrieden von 1235 einen Abschluß älterer Tendenzen und zugleich einen "Auftakt und Beginn einer neuen Entwicklung", in deren Verlauf neue Gedanken und Gesichtspunkte durch Gesetzgebung realisiert worden seien. Hattenhauer faßt gegen Ende seiner Arbeit das Ergebnis folgendermaßen zusammen: "Der Gottesfriede von Lüttich ist Voraussetzung des Mainzer Reichslandfriedens - der Mainzer Reichslandfrieden ist ein Durchbrechen aller bisher vorhandenen Grenzen der Gesetzgebung, die sicher gewordenen Schritte eines sich stark filhlenden Gesetzgebers" (S. 251 0.

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Das Bild, das Achter und ihm weithin folgend Hattenhauer von der mittelalterlichen Friedensbewegung zeichnen, greift Gernhubers Gesetzgebungsthese auf; stärker als dies bei Gernhuber der Fall ist, wird die Neuartigkeit des in Gottes- und Landfriedenstexten niedergelegten Rechts betont und dieser Neuansatz ebenso wie die ihn tragende Gesetzgebung mit der allgemeinen geistesgeschichtlichen Zeitenwende des Hochmittelalters in Verbindung gebracht, die man vielfach als "Renaissance" oder "Revolution" des 12. Jahrhunderts bezeichnet hat. Insoweit haben Achter und Hattenhauer, die Anregungen eines Friedrich Heer l5 oder earl Erdmann 16 aufgreifend, den Horizont der rechtshistorischen Diskussion um die Friedensbewegung erweitert; bisweilen freilich gewinnt man den Eindruck, daß der große Bogen allzu pauschal geschlagen wird. Nähere Detailstudien blieben unerläßlich. Dieser Aufgabe haben sich schon früh Bernhard Töpfer und Hartmut Hoffinann gewidmet. 4. Töpfer

Bernhard Töpfer behandelte in seiner bereits 1954 in Berlin (Ost) vorgelegten Dissertation, die erst 1957 erscheinen konnte 17, lediglich die Anfiinge der französischen Gottesfriedensbewegung als "Auftakt und Anbeginn einer neuen Entwicklungsphase der innerstaatlichen Verhältnisse im Mittelalter" (S. 5). Ebenfalls angeregt durch Erdmanns Buch geht er den Einflüssen des cluniazensischen Mönchtums nach, aus welchem die "Impulse, die sich eine von kirchlichen Prinzipien geleitete Umformung der Welt zum Ziel setzten" (S. 86), stammen; in enger Verbindung mit dem Episkopat sei es gelungen, die Friedensidee über den Bereich der Theorie hinaus zu einer breiten, die Volksmassen bewegenden Realität werden zu lassen. Das Neue an dieser BewegUng ist nach Töpfer nicht der Schutz von kirchlichen Besitzungen und geistlichen und anderen Personengruppen, sondern "einzig und allein eine erneute und systematische Einschärfung aller Schutzbestimmungen zugunsten der Kirche" (S. 84). Nicht der Inhalt der Friedensbestimmungen sei das entscheidend Neue, sondern die "in den zur Durchsetzung der kirchlichen Forderungen angewandten Methoden" (S. 89), die "vor allem bezweckten, die Volksmassen zu einer aktiven Anteilnahme an der Friedensbewegung heranzuziehen. So ist die GottesfriedensbeweIS Friedrich Heer, Aufgang Europas. Eine Studie zu den Zusammenhängen zwischen politischer Religiosität, Frömmigkeitsstil und dem Werden Europas im 12. Jahrhundert, Wien/Zürich 1949. 16 earl Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzuggedankens, Stuttgart 1935 (Neudruck 1955). 17 Bernhard Töpfer, Volk und Kirche zur Zeit der beginnenden Gottesfriedensbewegung in Frankreich (Neue Beiträge zur Geschichtswissenschaft I), Berlin (Ost) 1957.



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gung eine wirkliche Massenbewegung geworden" (S. 105). Töpfer sieht in Heiligenverehrung, Reliquienkult und Pilgerbewegung die entscheidenden Mittel zur Aktivierung des Volkes. Seit etwa der Mitte des 11. Jahrhunderts ist nach Töpfer ein anderes, an Bedeutung zunehmendes Moment zu verzeichnen, der "Aufstieg der fiirstlichen Gewalten, die in der kirchlichen Friedensbewegung ein wirksames Hilfsmittel fiir ihre Ziele erkannten, sie deshalb entschieden förderten und damit letztlich die Fortdauer dieser Bewegung - zum Teil in der neuen Form der Landfrieden - gewährleisteten" (S. 105). Die Gottesfriedensbewegung legt nach Töpfer den Weg frei, "auf dem das Königtum oder auch Territorialgewalten sehr bald zu neuen entwickelteren Formen der staatlichen Organisation fortschreiten konnten" (S. 106).

5. Hoffmann Beschränkt sich Töpfer auf die Zeit der frühen Gottesfrieden, so greift Hartmut Hoffinann in seinem materialreichen Buch über "Gottesfriede und Treuga Dei,,18, einer Bonner Habilitationsschrift, weiter. Er stellt die Entwicklung in ihrer Gänze dar, beschränkt sich allerdings nahezu vollständig auf Frankreich; das Geschehen in England wird in einem Anhang skizziert, die deutschen Gottesund Landfrieden werden nur gelegentlich und nur vergleichsweise erwähnt. Für die Forschung der deutschen Verhältnisse ist Hoffinanns Werk gleichwohl aus mehreren Gründen von Gewicht: Zum einen, weil es den Übergang der Gottesfrieden in einen "weltlichen", von Fürsten getragenen Frieden an mehreren Beispielen verfolgt, so fiir Flandern und die Normandie und schließlich fiir den französischen König (1155)19. Zum anderen, weil Hoffinann ausfiihrlich auf die Rezeption der Gottesfriedensidee durch "Päpste und Kanonisten" (S. 217 ff.) im 12. Jahrhundert eingeht und damit die Möglichkeiten der Befruchtung und Einflußnahme aufzeigt, die in der deutschen Forschung nahezu unbeachtet geblieben war. Zum dritten, weil Hoffinanns Buch bestrebt ist, die einzelnen Gottesfrieden aus ihrer "formaljuristischen Isolierung" zu lösen und sie in die politisch-Iandesgeschichtlichen Zusammenhänge zu stellen. Im übrigen bleibt festzuhalten, daß Hoffinann eine "saubere Unterscheidung von Gottes- und Landfrieden" fiir "nicht immer möglich" ansieht; allenthalben ließen sich Überschneidungen feststellen (S. 5). Hoffinann hält die Gottes- und Landfrieden rur Spielarten desselben Phänomens, deren Differenzierung "weitgehend eine Frage des Ermessens" sei. Der Text fahrt dann fort (S. 5): "Während des 12. Jahrhunderts traten die geistlichen Züge zunehmend in den Hinter18 Hartmut Hoffmann, Gottesfriede und Treuga Dei (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 20), Stuttgart 1964 (Neudruck 1986). 19 Vgl. die Kap. IX, X und XIII.

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grund; je nachdrücklicher die Fürsten ihre Lande befrieden und je weniger sie dabei auf die Hilfe der Kirche angewiesen sind, desto eher ist der Tenninus ,Landfrieden' angebracht. Grenzfälle gibt es genug; doch da Präzisierung hier ein müßiges Unterfangen ist, sind eventuelle Grenzüberschreitungen unvermeidlich" .

6. Angermeier Das weite Feld der Landfrieden in nachstaufischer Zeit war Gegenstand der 1966 erschienenen Monographie von Heinz Angenneier über "Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter,,20. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, am konkreten Beispiel der Friedenspolitik die Potenz des Königtums "in der Vielfalt der verfassungsgeschichtlichen Kräfte" an der Spitze des spätmittelalterlichen Reiches zu ennitteln; es ging mithin weniger um das Rechtsinstitut, als vielmehr um dessen politische Funktion, die Situation des Königtums als des "wichtigsten Faktors der Reichsverfassung" sollte zur Darstellung kommen, nicht so sehr Struktur und Inhalt der Landfrieden als solche. Am deutlichsten wird diese Zielsetzung in den drei auf bestimmte Zeiträume bezogenen Gliederungsüberschriften, mit Hilfe derer Angenneier die Art und Weise der königlichen Teilhabe an der Landfriedenspolitik beschreiben will: Er nennt sie "Der Landfriede als Werk des Königs (1235-1308)", "Der Landfriede als Einung (1300-1400)", "Der Landfriede als Gebot (1400-1488)" und "Der Landfriede als Reichsordnung". Der Eindruck einer rein politischen Gewichtung verstärkt sich, wenn man die einleitenden Passagen näher betrachtet, die dazu dienen sollen, den verfassungsrechtlichen Rahmen zu beschreiben, innerhalb dessen sich die politische Entwicklung vollzogen hat. Hier findet sich ein Nebeneinander nicht recht vereinbarer Begriffe wie "ausschließliche Friedenshoheit des Königs im Reich" (S. 11) und "ausschließliche Friedensgewalt im Reich", die der König aber nicht gehabt habe (S. 6); außerdem spricht Angermeier davon, die "verbliebene höchste Gerichtsbarkeit im Reich" sei das Fundament einer vom König "im späten Mittelalter praktizierten Friedensgewalt" gewesen. Soweit damit gemeint ist, daß dem König (wie allen Herrschaftsträgern) die Sorge fi1r Friede und Recht aufgetragen ist, steht eine Kompetenz in Rede, die auf einen tatsächlichen Zustand, den Frieden im Reich, gerichtet ist; soweit jedoch das dazu eingesetzte Rechtsinstrument, der "Friede" als Rechtsinstitut, gemeint ist, bliebe wiederum die Kompetenz zur Einsetzung mit Geltungsanspruch und Organisation einerseits von dem tatsächlichen Vollzug des Rechtsinstituts andererseits zu unterscheiden. Auch wenn es im Verlauf des 20 Heinz Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966.

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Spätmittelalters zu Veränderungen auf allen drei Ebenen gekommen ist, die sich überdies wechselseitig beeinflussen konnten, so muß man doch die Ebenen genauer unterscheiden. Schließlich bleibt das Verhältnis von König und Landfrieden, das Angermeier dem Beispiel Gemhubers folgend mit dem Begriff "Reichsgesetzgebung" belegt, im Ungewissen, wenn später vom "Werk des Königs", "Einung", "Gebot" und "Reichsordnung" die Rede ist. Wer im Reich "Gesetzgeber" sein soll und in welcher Weise dies sein konnte, bleibt unerörtert. Götz Landwehi l hat solche Mängel eingehend kritisiert. Trotz solcher Unschärfen hat Angermeiers Studie das Verdienst, neuerlich auf die Komplexität des Landfriedensphänomens im Spätmittelalter hingewiesen zu haben, das sich nicht auf strafrechtliches Gebiet beschränkt, das vielmehr auch verfassungsrechtlich von grundlegender Bedeutung war. Überdies wurde durch sein Buch deutlich, wie unzulänglich unsere Kenntnisse der Quellen zu den spätmittelalterlichen Landfrieden sind.

111. Vorbereitung, Verarbeitung und Kritik durch Detailstudien 1. Landfrieden im Spätmittelalter

Die Forschung hat die vielfiiltige Thematik, die mit den spätmittelalterlichen Landfrieden angesprochen ist, schon vor Angermeiers Buch aufgegriffen. Dies dürfte in erster Linie auf den Aufschwung der landesgeschichtlichen Forschung seit den 20er Jahren ZUTÜckzufilhren sein, namentlich auf Otto Brunners epochemachendes Werk über "Land und Herrschaft',22. Das hierdurch gestiftete Wissen um den Zusammenhang von Fehde und Friede, Recht und Gericht und ihre fundamentale Bedeutung filr die spätmittelalterliche Landesherrschaft hat die Aufmerksamkeit auf die "staatsbildende" Funktion der Landfrieden gelenkt. In seinem Beitrag aus dem Jahre 1961 hat Gemhube~3 die Thematik genauer angesprochen als in seinem oben vorgestellten Buch. Hatte Gemhuber vor allem die Bedeutung von Königtum und Reich im Auge, so war es doch konsequent, wenn neben der Beteiligung des Königs an Landfriedensaufrichtungen im Reich und von Reichs wegen auch die territorialen Landfrieden unterschiedlichen Zuschnitts Gegenstand eingehender Studien wurden. So richteten die einen Autoren ihre Aufmerksamkeit weiterhin auf die Rolle des Königtums, andere wand21 Götz Landwehr, Königtum und Landfrieden. Gedanken zum Problem der Rechtsbildung im Mittelalter, in: Der Staat VII (1968), S. 84-97. 22 Olto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Wien 1939. 23 Joachim Gernhuber, Staat und Landfrieden im Deutschen Reich des Mittelalters, in: La Paix, Recueil de la Socit~te Jean Bodin XV, 2, Brüssel 1961, S. 27-77.

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ten sich den Territorialherren zu, wieder andere orientierten sich am Kräftespiel von Königtum, Landesherren, Städten und Städtebünden einer ganzen Region. Zur ersten Gruppe zählen die Beiträge von Ingeborg Mosr4 und Alois Gerlich2s , die schon vor Angenneiers breit angelegtem Werk erschienen sind. In die Zeit danach fallen Aufsätze wie jene von Gerhard Pfeiffe~6 und Heinz Angermeie~7. In diesen Beiträgen zeichnet sich die Tendenz ab, die Landfriedensbewegung stärker in das politische Geschehen einzubeziehen; so meint etwa Angermeier, man müsse "die Frage nach Funktion und Bedeutung der Landfrieden in der Staatspolitik der letzten Staufer" stellen, eine Frage, die um so näher liege, "als, gerade im Hinblick auf die Landfriedensgesetzgebung von 1221-1235, ein Überhang rechtsgeschichtlicher Betrachtungsweise" vorliege (S. 168). Zur zweiten Gruppe kann man die Arbeiten von Pankraz Fried28 und Winfried Leisr 9, Gerhard Stein30 und Marlene Nikolay-Panter31 rechnen. Während Frieds Studie den Rückblick auf die ältere Forschung in einer eher grundsätzlich angelegten Betrachtung über die Bedeutung der Friedensbewegung filr die Landesgeschichte verknüpft, verfolgen die anderen Autoren in konkreterer Weise die Rolle der Friedenspolitik bestimmter Landesherren und ihrer Territorien. Eine dritte Gruppe von Beiträgen - sie dürfte die umfangreichste sein - widmet sich am Beispiel einer umfassenderen Region den beteiligten politisch rele-

24 lngeborg Most, Der Reichslandfriede vom 20. August 1467. Zur Geschichte des Crimen laesae maiestatis und der Reichsreform unter Kaiser Friedrich 111., in: Syntagma Friburgense, Historische Studien Hermann Aubin dargebracht zum 70. Geburtstag, Lindau/Konstanz 1956, S. 191-233. 2S Alois GerUch, Studien zur Landfriedenspolitik Rudolfs von Habsburg, Mainz 1963. 26 Gerhard Pfoiffer, Die königlichen Landfriedenseinungen in Franken, in: Hans Patze (Hg.), Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert II (Vorträge und Forschungen 14), Sigmaringen 1971, S. 229-253. 27 Heinz Angermeier, Herrschaft und Friede in Deutschland unter Kaiser Karl IV., in: Hans Patze (Hg.), Kaiser Karl IV., NeustadtiAisch 1978, S. 833-845; ders., König und Staat im deutschen Mittelalter, in: Blätter rur deutsche Landesgeschichte 117 (1981), S. 167-182, bes. S. 172 ff. 28 Pankraz Fried, Zur staatsbildenden Funktion der Landfrieden im frühen bayerisehen Territorialstaat, in: Dieter Albrecht/Andreas Kraus/Kurt Reindei (Hg.), Festschrift rur Max Spindler zum 75. Geburtstag, München 1969, S. 283-306. 29 Winfried Leist, Landesherr und Landfrieden in Thüringen im Spätmittelalter 12471349 (Mitteldeutsche Forschungen 77), KölnlWien 1975. 30 Gerhard Stein, Die Einungs- und Landfriedenspolitik der Mainzer Erzbischöfe zur Zeit Karls IV., Mainz 1960. 31 Marlene Nikolay-Panter, Landfriedensschutz unter Balduin von Trier, in: FranzJose! Heyen (Hg.), Balduin von Luxemburg, Erzbischof von Trier - Kurftlrst des Reiches 1285-1354, Festschrift Mainz 1985, S. 341-355.

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vanten Kräften insgesamt, so etwa Arbeiten von Angermeier32 und Gerhard Pfeiffer33 , so dann die Untersuchungen von Jörg Füchtner34 und Siegfried Epperlein35 , Wolf-Dieter Mohrmann 36 und Fred Schwind37, Dirk Bostelmann38 und Claudia Rotthoff 9 , Ludger Tewes 40 , Arno Buschmann41 , Martina Stercken42 und Reiner Nolden43 •

32 Heinz Angermeier, Städtebünde und Landfriede im 14. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 75 (1957), S. 34-46. 33 Gerhard PfeijJer, Die Bündnisse und Landfriedenspolitik der Territorien zwischen Weser und Rhein im späten Mittelalter, in: Der Raum Westfalen Bd. 11, I, Münster 1955, S. 79-137; ders., Quellen zur Geschichte der fränkisch-bayerischen Landfriedensorganisation, München 1975. 34 Jörg Füchtner, Die Bündnisse der Bodenseestädte bis zum Jahre 1390. Ein Beitrag zur Geschichte des Einungswesens, der Landfriedenswahrung und der Rechtsstellung der Reichsstädte, Göttingen 1970. 35 Siegfried Epperlein, Städtebünde und FeudalgewaIten im 13. Jahrhundert. Die Beziehungen der in Bünden und Landfrieden vereinten Städte zu fürstlichen Gewalten und zum deutschen Königtum, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 20 (1972), S. 695718. 36 Wolf-Dieter Mohrmann, Der Landfriede im Ostseeraum während des späten Mittelalters (Regensburger Historische Forschungen 2), Kallmünz 1972. 37 Fred Schwind, Die Landvogtei in der Wetterau. Studien zur Herrschaft und Politik der staufischen und spätmittelalterlichen Köpige (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 35), Marburg 1972, S. 181-266. 38 Dirk Bostelmann, Städtische Friedenswahrung in Norddeutschland im 13. und 14. Jahrhundert. Forschungsansätze und Möglichkeiten, in: Studien zur Sozialgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Hamburg 1977, S. 274-282. 39 Claudia Rottho.fJ, Die politische Rolle der Landfrieden zwischen Maas und Rhein von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Auslaufen des Bacheracher Landfriedens Ludwigs des Bayern, in: Rheinische Vierteljahresblätter 45 (1981), S. 75-111; dies., Die politische Rolle der Landfriedenseinung zwischen Maas und Rhein in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Beiheft zur Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 3), Aachen 1990. 40 Ludger Tewes, Frühe Landfriedens- und Städtepolitik im Gebiet des späteren Vestes Recklinghausen zu Beginn des 14. Jahrhunderts, in: Vestische Zeitschrift 81 (1982), S. 5 ff.; ders., Westfälische Landfrieden im 14. Jahrhundert. Textfunde der Friedensbündnisse von 1358 Oktober 31 und 1392 September 20, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 121 (1985), S. 169-176; ders., Der westfälische Landfriede vom 7. Oktober 1387, in: Westfälische Zeitschrift 136 (1986), S. 9-18. 41 Arno Buschmann, Der Rheinische Bund von 1254-1257. Landfriede, Städte, Fürsten und Reichsverfassung im 13. Jahrhundert, in: Helmut Maurer (Hg.), Kommunale Bündnisse Oberitaliens und Oberdeutschlands im Vergleich (Vorträge und Forschungen 33), Sigmaringen 1987, S. 167-212. 42 Martina Stercken, Königtum und Territorialgewalten in den rhein-maasländischen Landfrieden des 14. Jahrhunderts (Rheinisches Archiv 124), Köln 1989. 43 Reiner Nolden, umb des Rychs ere und noit. Eine unbekannte Überlieferung zum Prümer Landfrieden von 1348, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 19 (1993), S. 235-240.

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Ergänzend zu dieser ohnehin unvollständigen Zusammenstellung seien noch jene Arbeiten genannt, die sich mit dem spätmittelalterlichen Fehdewesen, mithin dem Gegenstück zur Landfriedensbewegung, befassen; als Beispiel sei das Buch von Elsbeth Orth44 über "Die Fehden der Reichsstadt Frankfurt" erwähnt.

2. Arbeiten zum Mainzer Reichslandfrieden und dessen Umfeld Die Funktion einer Wendemarke, die Autoren wie Gernhuber, Hattenhauer und Angermeier dem Mainzer Reichslandfrieden beigemessen haben, hat das zuvor schon lebendige wissenschaftliche Bemühen um diesen Text und seine rechts- und verfassungs geschichtliche Bedeutung verstärkt. Nachdem Erich Schrader45 und Erich Klingelhöfer46 die namentlich von Heinrich Mitteis 47 angeregte Diskussion aufgegriffen hatten, erschienen zahlreiche Beiträge, in denen neben den übrigen "Reichsgesetzen" Friedrichs H. auch der Mainzer Reichslandfriede behandelt wurde; hier sei hervorgehoben der Aufsatz von Heinrich Koller48 • In der Folgezeit wurde deutlich, daß eine genauere Erforschung der urkundlichen Überlieferung unentbehrlich war. Dieser Aufgabe unterzogen sich Paul Zinsmaier49 , Peter Csentes50 und Brigitte Janz51 • Auch Arno Buschmann beschäftigte sich eingehend mit Problemen der Überlieferung, wandte sich in sei44 Elsbet Orth, Die Fehden der Reichsstadt Frankfurt arn Main im Spätmittelalter (Frankfurter Historische Abhandlungen 6), Wiesbaden 1973. Im übrigen vg!. die Artikel Ekkehard Kaufmann, Fehde, in: HRG I (1971), Sp. 1083-1093, Hartmut Boockmann, Fehde, in: Lexikon des Mittelalters IV (1989), Sp. 331-334. 45 Erich Schrader, Ursprünge und Wirkungen der Reichsgesetze Friedrichs 11. von 1220, 1231132 und 1235, in: ZRG GA 68 (1951), S. 354-396. 46 Erich Klingelhäfer, Die Reichsgesetze von 1220, 1231132 und 1235. Ihr Werden und ihre Wirkung im deutschen Staat Friedrichs 11. (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 8,2), Weimar 1955. 47 Heinrich Mitteis, Zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, in: ZRG GA 62 (1942), S. 13-56. 48 Heinrich Koller, Zur Diskussion über die Reichsgesetze Friedrichs 11., in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 65 (1957), S. 29-51.- Im übrigen vg!. die einseh!. Beiträge im Sammelband Gunther Wolf (Hg.), Stupor Mundi. Zur Geschichte Friedrichs 11. von Hohenstaufen (Wege der Forschung 101), Darmstadt 1966. 49 Paul Zinsmaier, Zur Diplomatik der Reichsgesetze Friedrichs 11. (1216, 1220, 1231132,1235), in: ZRG GA 80 (1963), S. 113-117. 50 Peter Csentes, Studien zum Urkundenwesen Kaiser Friedrichs 11., in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichte 88 (1980), S. 113-130. 51 Brigitte Janz, Wir sezzen unde gebiten ... Der "Mainzer Reichslandfriede" in den Bilerhandschriften des "Sachsenspiegels", in: Beiträge zur Geschichte des deutschen Sprache und Literatur 112 (1990), S. 424-466.

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nen Arbeiten über den Mainzer Reichslandfrieden aber zugleich und vor allem den verfassungsgeschichtlichen Aspekten dieses "Reichsgrundgesetzes" ZUS2. Buschmann betont die Sonderstellung des Mainzer Reichslandfriedens in besonderer Weise; einen seinen Beiträge beschließt er mit folgendem SatzS3 : "Nimmt man all dies zusammen, betrachtet man den Mainzer Reichslandfrieden nach Art, Umfang, Gegenstand und Zielsetzung, dann kann in der Tat kein Zweifel sein, daß der Mainzer Reichslandfrieden mehr ist als eines der zahlreichen Landfriedensgesetze, die vor ihm erlassen wurden, daß er auch mehr ist als ein bloßes Friedensgesetz, ja sogar mehr als eine ,allgemeine Friedensordnung' , sondern ein Verfassungsgesetz, das die Grundlagen der Verfassung des Hl. Römischen Reiches zum Gegenstand hat, auf deren Ordnung und Reform abzielt und damit eine Rechtsnatur aufzeigt, die der eines Reichsgrundgesetzes späterer Art gleichkommt - ein Ergebnis, das auch zur Erklärung der Tatsache beiträgt, daß die gesamte spätere Entwicklung der Reichslandfrieden und überhaupt der Landfrieden im Spätmittelalter an den Mainzer Reichslandfrieden anknüpft". Diese Sicht des Mainzer Reichslandfriedens steht in einem nicht geringen Spannungsverhältnis zu den Ergebnissen anderer Autoren, die, wie etwa Angermeiers4, der spätstaufischen Landfriedenspolitik eine "herrschaftlich, persönlich und occasionell gebundene Form" (S. 182), einen "occasionellen Charakter" (S. 183) zuschreiben wollen, eine Gestalt, die sich trotz der Gesetzesform ganz im Sinne der Tradition auf eine "beliebige Aktualisierung der königlichen Friedensgewalt" beschränkt, aber "gerade nicht auf der behördlichen Ordnung" beruht habe, mithin "nicht modern-institutionell organisiert" gewesen sei: " ... sie beruht allein auf der Handhabung von Königsrecht und auf der Idee

52 Arno Buschmann, Zum Textproblern des Mainzer Reichslandfriedens vom 1235, in: Hans-Wolf Thümmel (Hg.), Arbeiten zur Rechtsgeschichte. Festschrift fiir Gustaf Klemens Schmelzeisen, Stuttgart 1980, S. 25-46; ders., Landfriede und Verfassung. Zur Bedeutung des Mainzer Reichslandfriedens von 1235 als Verfassungsgesetz, in: Aus Österreichs Rechtsleben in Geschichte und Gegenwart, Festschrift fiir Ernst C. Hellbling, Berlin 1981, S. 449-472; ders., Mainzer Reichslandfriede und Konstitutionen von Melfi, in: Arno BuschmanniFranz-Ludwig KnemayerlGerhard OttelWerner Schubert (Hg.), Festschrift fiir Rudolf Gmür zum 70. Geburtstag, Bielefeld 1983, S.379-381; ders., Herrscher und Landfriede im 13. Jahrhundert. Friedrich 11. von Hohenstaufen, Rudolf von Habsburg und der Mainzer Reichslandfriede, in: David McLintockiAdrian StevenslFred Wagner (Hg.), Geistliche und weltliche Epik des Mittelalters in Österreich (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 446), Göppingen 1987, S.75-98; ders., Der Mainzer Reichslandfriede von 1235 und die Reichslandfrieden Rudolfs von Habsburg, in: Helfried Valentinitsch (Hg.), Recht und Geschichte, Festschrift filr Hermann Baltl, Graz 1988, S. 105-129. 53 Buschmann, Landfrieden und Verfassung (Fn. 52), S. 471 f. 54 Heinz Angermeier, Landfriedenspolitik und Landfriedensgesetzgebung unter den Staufern, in: Josej Fleckenstein (Hg.), Probleme um Friedrich 11. (Vorträge und Forschungen XVI), Sigmaringen 1974, S. 167-186.

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der Königsherrschaft, sie ist und bleibt gebunden an die Person des Herrschers und darin zutiefst mittelalterlich-gennanischen Traditionen verbunden" (S. 183).

3. Die Frühzeit der Friedensbewegung Einen weiteren Schwerpunkt der stärker am Detail orientierten Forschung bilden die Gottesfrieden und die Anfänge der Landfriedensbewegung in Deutschland. Die Entwicklung der Gottesfrieden in Frankreich kommt in zahlreichen Einzelstudien zur Sprache. Für die umfängliche ausländische Forschung der letzten Jahrzehnte seien hier lediglich genannt die Beiträge von Georges Dubys, Aryeh GraboYss6, H. E. J. Cowdrey7, Barbara H. RosenweinS 8, Thomas N. Bissons9, Thomas Renna60 und Stephen D. White61 . Auch in der deutschen Forschung entstanden eine Reihe eingehender Arbeiten zur französischen Gottesfriedensbewegung. Reinhold Kaiser beschrieb sie 1981 als Element bischöflicher Stadtherrschaft62 . Hans-Wemer Goetz63 konzentrierte sich in seinem Beitrag von 1984 auf die frühe französische Gottesfriedensbewegung und faßte seine Ergebnisse in dem Satz zusammen: "Die frühe Gottesfriedensbewegung war in ihren Zielen und in ihrem Wesen ganz in den gesellschaftlichen, politischen und

55 Georges Duby, Les larcs et la paix de Dieu, in: I laici nella "Societas christiana" dei secoli XI eXIl, Atti della terza Settimana internationale di studio Mendola, 21-27 agosto 1965 (Miscellanea dei Centro di studi medioevali 5), Mailand 1968, S. 454 ff. 56 Aryeh Graboi's, De la trl!ve de Dieu a la paix du roi. Etude sur les transformations du mouvement de la paix au XIIe siecIe, in: Pierre GallaislYves-Jean Riou (ed.), Melanges offerts aRene Crozet, Tome I, Poitiers 1966, S. 585-596. 57 H E. J Cowdrey, The peace and the truce of God in the eleventh century, in: Past & Present 46 (1970), S. 42-67. 58 Barbara H Rosenwein, Feudal war and monastic peace, Cluniac Iiturgy as ritual aggression, in: Viator 2 (1971), S. 129-157. 59 Thomas N. Bisson, The organized Peace in Southern France and Catalonia, ca. 1140 - ca. 1233, in: The American Historical Review 82 (1977), S. 290-311. 60 Thomas Renna, The idea ofpeace in the West, 500-1150, in: Journal ofmedieval history 6 (1980), S. 143-167. 61 Stephen D. White, Feuding and Peace-Making in the Touraine around the Year 1110, in: Traditio 42 (1986), S. 202-263. 62 Reinhold Kaiser, Bischofsherrschaft zwischen Königtum und Fürstenmacht. Studien zur bischöflichen Stadtherrschaft im westfränkisch-französischen Reich im frühen und hohen Mittelalter (Pariser Historische Studien 17), Bonn 1981, passim. 63 Hans-Werner Goetz, Kirchenschutz, Rechtswahrung und Reform. Zu den Zielen und zum Wesen der frühen Gottesfriedensbewegung in Frankreich, in: Francia II (1983), S. 193-239.

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religiösen Gegebenheiten ihrer Zeit gefangen, um zugleich deren Mißstände abzuschaffen" (S. 238 f.). Auch die deutschen Verhältnisse waren vielfach Gegenstand detailreicher Studien. Sie widmeten sich zum einen der Frage nach den Vorläufern der Friedensbewegung im Reich64 , zum anderen den Anfangen selbst. Den ersten Gottesfrieden, den Frieden im Bistum Lüttich (1082), behandelte Andre Joris 65 bereits 1961. Das Übergreifen der Gottesfrieden auf das römischdeutsehe Reich und ihre Umformung in der Zeit der früheren Land- und Reichsfrieden steht im Mittelpunkt des 1973 erschienenen Beitrages von Elmar Wadle 66 • Er will aufzeigen, daß Gottes- wie Landfrieden das vorher unbekannte Rechtsinstitut eines abstrakten, auf die Zukunft gerichteten Friedens etablieren, einen "Rechtsfrieden" also, dessen friedenssicherndes Programm nicht nur neues Recht (peinliche Strafe) und Verfahren (Einsatz der Schwurgemeinschaft) enthält, sondern auch auf eine neue Art und Weise, nämlich durch herrscherliches Initiativgebot und coniuratio in Kraft gesetzt wird. Der Bedeutung des Friedenseides, der bereits im Anschluß an Götz Landwehr67 ins Blickfeld gerückt war, widmete Theodor Körner68 1977 seine eindringliche, um einen präzisen Quellenbezug bemühte Studie über "Iuramentum und frühe Friedensbewegung". Sie analysiert sowohl die ostfränkisch-deutsche Friedensbewegung bis zum Konstanzer Frieden 1105 wie die westfränkischfranzösische Entwicklung bis in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts, um sie im Anschluß daran mit der Stellung der Kirche zu konfrontieren, die anband der Beschlüsse des Konzils von Clermont (1095), des Dekrets Gratians und der Schriften Ivos von Chartres ermittelt wird. Wenngleich auf Körners Ergebnisse im letzten Teil dieser Übersicht noch einmal zurückgekommen werden soll, so sei doch bereits hier festgehalten, daß seine Analyse an Quellennähe und Detailreichtum ältere Arbeiten weit übertrifft.

64 So z. B. Karl Schnith, Die Friedensidee vor dem Investiturstreit, in: Historisches Jahrbuch 81 (1962), S. 22-57; weitere Literatur bei Wadle, Heinrich IV. (Fn. 66). 6S Andre Joris, Observations sur la proclamation de la Treve de Dieu cl Liege cl la fin du XIe, in: La Paix (Recueil de la Societe Jean Bodin XIV, 1), Bruxelles 1961, S. 503545. 66 Elmar Wadle, Heinrich IV. und die deutsche Friedensbewegung, in: JosefFleckenstein (Hg.), Investiturstreit und Reichsverfassung (Vorträge und Forschungen XVII), Sigmaringen 1973, S. 141-173. 67 Vgl. Fn. 21. 68 Theodor Körner, Iuramentum und frühe Friedensbewegung (10.-12. Jahrhundert) (Münchener Universitätsschriften, Abhandlungen zur Rechtswissenschaft. Grundlagenforschung 26), Berlin 1977.

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In den folgenden Jahren entstanden eine Reihe weiterer Studien über die Gottesfrieden. Am Beispiel des Kölner Gottesfriedens von 1083 stellte HansWerner Goetz Betrachtungen an über "Anfänge, Tradition und Eigenart der deutschen Gottesfriedensbewegung"69. Dietrnar Willoweieo konzentrierte sich auf strafrechtsgeschichtliche Aspekte des Kölner Friedens. Auf den Konstanzer Frieden, seine Besonderheiten und namentlich seine Einordnung im Meinungskampf der Zeit, ging Wadle näher ein 71.

4. Landfrieden im 12. Jahrhundert Sieht man von den bereits erwähnten Studien Wadles und Körners, die auch Landfrieden des früheren 12. Jahrhunderts behandeln, einmal ab, finden sich nur wenige Untersuchungen zur Friedensbewegung in der Zeit der älteren Staufer. Von besonderem Gewicht ist die Entdeckung des Walliser Friedens (ca. 1179-1189), über den Gottfried Partsch72 1958 berichtet hat. Landfrieden der früheren Stauferzeit werden im übrigen in zwei Studien von Wadle näher beleuchtet: Zum einen in dem umfassenderen Versuch, die genauere Kenntnis der Überlieferung fiir die Geltungsproblematik fruchtbar zu machen 73 ; zum anderen in der Teil-Analyse des sogenannten Brandstifterbriefes von 1186, um inhaltliche Einflüsse der kirchlichen Tradition nachzuweisen 74 •

69 Hans-Werner Goetz, Der Kölner Gottesfriede von 1083. Beobachtungen über Anfange, Tradition und Eigenart der deutschen Gottesfriedensbewegung, in: Jahrbuch des Kölner Geschichtsvereins 55 (1984), S. 39-76. 70 Dietmar Willoweit, Die Sanktion rur Friedensbruch im Kölner Gottesfrieden von 1083. Ein Beitrag zum Sinn der Strafe in der Frühzeit der deutschen Friedensbewegung, in: Ellen SchlüchterlKlaus Laubenthai (Hg.), Recht und Kriminalität. Festschrift rur Friedrich-Wilhelm Krause zum 70. Geburtstag, KölnlBerlinIBonn/München 1990, S.37-52. 71 Elmar Wadle, Die Konstanzer Pax und Bischof Gebhard III., in: Helmut Maurer (Hg.), Die Konstanzer Münsterweihe von 1089 in ihrem historischen Umfeld, FreiburglBr. 1989, S. 141-153. 72 Gottfried Partseh, Ein unbekannter Walliser Landfrieden aus dem 12. Jahrhundert, in: ZRG GA 75 (1958), S. 93-107. 73 Elmar Wadle, Frühe deutsche Landfrieden, in: Hubert Mordek (Hg.), Überlieferung und Geltung nonnativer Texte des frühen und hohen Mittelalters (Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter 4), Sigmaringen 1986, S. 71-92. 74 Elmar Wadle, Der Nürnberger Friedebrief Kaiser Friedrich Barbarossas und das gelehrte Recht, in: Gerhard Köbler (Hg.), Wege europäischer Rechtsgeschichte, Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag (Rechtshistorische Reihe 60), Frankfurt a. M./BernlNew York/Paris 1987, S. 472-548.

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IV. Zwischen bilanzen Immer boten Sach- und Handwörterbücher Gelegenheit, den Stand der Forschung in komprimierter Form festzuhalten. So hat schon Karl Bosl in den 50er Jahren einen Artikel dieser Art beigesteuert75 • Achter hat seine These zum Thema Gottesfrieden im Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte wiederhole6 • In den zwei Artikeln zum Stichwort "Landfrieden" haben Ekkehard Kaufmann und Heinz Holzhauer77 nicht nur den Diskussionsstand skizziert, sondern auch ihre eigene Sicht in knapper Form dargelegt. Im Lexikon des Mittelalters schließlich faßte Reinhold Kaiser den Stand der Forschungen zum Thema Gottesfrieden mustergültig zusammen7S , während sich die Darlegungen von Hans-Jürgen Becker, Philippe Contamine und Harald Ehrhardt auf das Wichtigste zum Stichwort "Landfrieden" in Deutschland, Frankreich und Skandinavien beschränkten 79. Der Charakter einer Zwischenbilanz ist auch manch anderem, bereits erwähntem Beitrag nicht abzusprechen. Auf die einschlägigen Passagen in lehrbuchartigen Darstellungen darf hier pauschal verwiesen werdenso. Außerordentlich nützlich ist das mit Quellenauszügen versehene Kapitel in Wolfgang Sellerts "Studien- und Quellenbuch"sl, das freilich nicht immer den neuesten Stand der Diskussion widerspiegelt. Bei zwei Aufsätzen, die noch nicht zur Sprache gekommen sind, überwiegt der Charakter einer "Summe" so deutlich, daß sie an dieser Stelle vermerkt werden müssen. Odilo Engels griff 1978 unter besonderer Betonung der Gottesfriedensbewegung das Stichwort der "staatsbildenden Kräfte" auf und schlug einen großen 75 Karl Bosl, Artikel "Landfriede", in: Hellmuth Räßler/Günther Franz (Hg.), Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, München 1958, S. 604-606. 76 Vgl. Fn. 12. 77 Ekkehard Kaufmann, Artikel "Landfrieden I (Landfriedensgesetzgebung)", in: HRG 11 (1978), Sp. 1451-1465; Heinz Holzhauer, Artikel "Landfrieden 11 (Landfrieden und Landfriedensbruch)" ebenda Sp. 1465-1485. 78 Reinhold Kaiser, Artikel "Gottesfrieden", in: Lexikon des Mittelalters IV (1989), Sp.1587-1592. 79 Hans-Jürgen Becker/Philippe Contamine/Harald Ehrhardt, Artikel "Landfrieden", in: Lexikon des Mittelalters V (1991), Sp. 1657-1660. 80 Z. B. Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Teilung Deutschlands, 2. Aufl., München 1992, bes. S. 92. 81 Wolfgang Sellert/Hinrich Rüping, Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Bd. 1: Wolfgang Sellert, Von den Anflingen bis zur Aufklärung, Aalen 1989, S. 91-190.

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Bogen von der Karolingerzeit bis ins 12. Jahrhundert82 • Am Beispiel zahlreicher Regionen (Burgund, Oberlothringen, unteres Rheingebiet, Flandern und Normandie) gelangt Engels zu der Erkenntnis, daß die Gottesfrieden nur solange existiert haben "als es im betreffenden Raum noch nicht gelungen war, eine Vormacht zu entwickeln, die eine innere Ordnung garantierte. Die neue Ordnung beruhte dann allerdings nicht mehr wie in der karolingischen Verfassung auf einem von oben nach unten gehenden Auftrag, sondern in einer eigenen, auch von den Kräften der Basis mitgetragenen Vollmacht. Am Rhein konnte sich im ausgehenden 11. Jahrhundert die Gottesfriedensbewegung bekanntlich nicht entfalten. Sie machte sich nur bemerkbar, solange das Kaisertum Heinrichs IV. durch das Gegenkönigtum Herrmanns von Salm geflihrdet schien, und ging 1092/93 schon in die Form des Landfriedens über" (S. 85). Hatte sich Engels noch auf die Gottesfriedensbewegung beschränkt, so ging Reinhold Kaiser einige Jahre darauf einen Schritt weiters3 • Unter den Stichworten "Selbsthilfe und Gewaltmonopol" stellte er - wie schon viele andere Autoren vor ihm - die königliche Friedenswahrung als "Staatszweck" in den Mittelpunkt und verfolgte ihre Geschichte "unter dem gezielten Blickwinkel der Friedenswahrung". Im Vergleich der Entwicklungen in Deutschland und Frankreich gelingen Kaiser bemerkenswerte Formulierungen, so heißt es etwa (S. 68): "Verglichen mit den französischen Königen hatten die deutschen die in der Gottesfriedensbewegung liegenden neuen Elemente der Friedenswahrung - Einschränkung des Fehdewesens, System der peinlichen Strafen, Schwureinungsprinzip früher in den Dienst der königlichen Friedensordnung nehmen können. Auf lange Zeit blieben die Reichsfrieden die einzigen oder fast die einzigen Ergebnisse der königlichen Gesetzgebung .... Die Reichsfrieden spiegeln seit dem Ende des 12. Jahrhunderts getreulich die politischen und verfassungsrechtlichen Verhältnisse und den Aufgang und Niedergang der Reichsgewalt wider". Zu Frankreich stellt Kaiser an anderer Stelle (S. 71 f.) vergleichend fest: "Durchgreifende Erfolge im Kampf gegen die Fehde brachte weniger die königliche Gesetzgebung als die königliche Rechtsprechung. Während im deutschen Reich Friedrichs 11. Reform des Königsgerichtes gescheitert war, bildete sich das französische Königsgericht allmählich zu einem ständigen Gerichtshof um. ... Es vereinheitlichte allmählich die französische Rechtsentwicklung und förderte die allgemeine Friedenswahrung durch den König und durch seine omnipräsenten Beamten. Hier lagen die Ansätze einer modemen Staatlichkeit".

82 Odilo Engels, Vorstufen der Staatswerdung im Hochmittelalter. Zum Kontext der Gottesfriedensbewegung, in: Historisches Jahrbuch 97/98 (1978), S. 71-86. 83 Reinhold Kaiser, Selbsthilfe und Gewaltmonopol. Königliche Friedenswahrung in Deutschland und Frankreich im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 17 (1983), S.55-72.

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V. Schwerpunkte und Aufgaben 1. Friedensbewegung und Friedensidee Daß die Sorge rur Friede und Recht eine zentrale Aufgabe königlicher Herrschaft gewesen sei, kann man - wie schon mehrfach hervorgehoben - als allgemein anerkannten Kernsatz zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte bezeichnen. Bekräftigt wird diese Aussage vor allem in den Wörterbuchartikeln von Ekkehard Kaufmann84 , Hans-JUrgen Becker85 , Wilhelm Janssen 86, Hans Maier87 und Arno Buschmann88 , sowie in jenen Beiträgen, die, dem Beispiel Hans Thiemes 89 folgend, die Friedensidee durch die Jahrhunderte verfolgen; so etwa in den Beiträgen von Hermann Conrad90, Hans Hattenhauer91 und Wolfgang Sellert92 • Ihnen ist jetzt eine Studie von Gerhard Dilcher93 hinzuzurugen. Es versteht sich nahezu von selbst, daß in allen diesen Darstellungen auch auf die Gottes- und Landfrieden eingegangen wird, freilich in einer recht unterschiedlichen Intensität. Als Einstieg in die Problematik sind sie allenthalben geeignet, zumindest der zum Teil recht ausruhrlichen Literaturangaben wegen. Darüber hinaus schärfen diese übergreifenden Darstellungen die Aufmerksamkeit fiir die größere, den Gesamtzusammenhang der mittelalterlichen Rechtswelt verdeutlichenden Entwicklungslinien.

Ekkehard Kaufmann, Artikel "Friede", in: HRG I (1971), Sp. 1275-1292. Hans-Jürgen Becker, Artikel "Friede", in: Lexikon des Mittelalters IV (1989), Sp.919-920. 86 Wilhelm Janssen, Artikel "Friede", in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, Stuttgart 1979, S. 543-591, bes. S. 545 ff. 87 Hans Maier, Artikel "Frieden I. Politisch-historisch", in: Staatslexikon Bd. 11, 7. Aufl., FreiburgIBasellWien 1986, Sp. 745-748 (755-756 Lit.). 88 Arno Buschmann, Artikel "Friede", in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, Neuwied 1993 (Teil 1/500). 89 Hans Thieme, Friede und Recht im mittelalterlichen Reich (Leipziger Universitätsreden 12), Leipzig 1945. 90 Hermann Conrad, Rechtsordnung und Friedensidee im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Alexander HollerbachiHans Maier (Hg.), Christlicher Friede und Weltfriede. Geschichtliche Entwicklung und Gegenwartsprobleme, Paderborn 1971, S.9-34. 91 Hans Hattenhauer, Pax et iustitia (Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaft e.V. Hamburg, Jg. 1, H. 3), Göttingen 1983 (2. unveränderte Aufl. 1987). 92 Wolfgang Sellert, Friedensprogramme und Friedenswahrung im Mittelalter, in: Köbler (Hg.), Wege (Fn. 74), S. 453-467. 93 Gerhard Dilcher, Friede durch Recht, in: Johannes Fried (Hg.), Träger und Instrumentarien des Friedens im hohen und späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen XLIII), Sigmaringen 1995, S. 203-227. 84

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2. Gesetzescharakter Gemhubers94 Satz, die Reichsfrieden bezeichneten "den Beginn der Reichsgesetzgebung" ist vielfach aufgegriffen und bekräftigt, aber auch kritisiert worden. Kritiklos kann ihm nur noch zustimmen, wer sich nicht der Mühe unterzieht, die Brauchbarkeit derartiger Begriffe fiir mittelalterliche Verhältnisse zu hinterfragen. Die Forschung der Jahrzehnte nach 1952 hat sich verstärkt dieser Problematik zugewandt und die Vielschichtigkeit der Begriffe "Gesetz" und "Gesetzgebung" nicht nur fiir die Moderne95 , sondern auch und gerade rur das Mittelalter aufgezeigt, dessen Doppelsprachigkeit (Lateht!Volkssprache) die Erkenntnis der Dinge zusätzlich erschwert. Im Verlauf der Diskussion, die hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden kann96 , sind vor allem zwei Ansätze aufgegriffen worden, um einer Antwort auf die Frage nach dem Gesetzescharakter der Landfrieden näherzukommen. Der erste Ansatz basiert auf Wilhelm Ebels grundlegender Schrift über die "Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland" aus dem Jahre 1958 97 • Ebels These, die Gesetzgebungsgeschichte sei durch "drei Grundformen des Gesetzes", drei "begriffliche Bauelemente", nämlich "Weistum", "Satzung" und "Rechtsgebot", gekennzeichnet, bot ein durch "Mischformen" und "Tarnformen" angereichertes Modell an, um die historischen Erscheinungen besser begreifen zu können. Die drei "Grundformen" lieferten vor allem eine Handreichung fiir ein besseres Verständnis des Verhältnisses von "Gesetz" und "Recht" im Mittelalter. Ebels Thesen, die vor allem aus der langen Beschäftigung mit dem Recht der mittelalterlichen Stadt erwachsen sein dürften, sind gewiß kri-

Gernhuber, Landfriedensbewegung (Fn. 10), S. 81. Hier sei nur verwiesen auf Ernst-Wolfgang Böckenforde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt. Von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus (Schriften zum Öffentlichen Recht I), Berlin 1957 (2. Aufl. 1981 ). 96 Vgl. außer den im nachfolgenden Text Genannten noch: Max J. Odenheimer, Der christlich-kirchliche Anteil an der Verdrängung der mittelalterlichen Rechtsstruktur und an der Entstehung der Vorherrschaft des staatlich gesetzten Rechts im deutschen und französischen Rechtsgebiet (Baseler Studien zur Rechtswissenschaft 46), Basel 1958; Sten Gagner, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung (Acta Universitatis Upsaliensis. Studia iuridica Upsaliensia I), StockholmlUppsalalGöteborg 1960; Gerhard Köbier, Das Recht im frühen Mittelalter (Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte 7), Köln/Wien 1971; Jürgen Weitzel, Dinggenossenschaft und Recht. Die Untersuchungen zum Rechtsverständnis im fränkisch-deutschen Mittelalter (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 15), KölnlWien 1985. 97 Wilhelm Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland (Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien 24), Göttingen 1958, 2. Aufl. mit Ergänzung, hg. von Friedrich Ebel,1988. 94

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tikwürdig98 , aber zugleich hilfreich, da es sich um quellennah erarbeitete Typisierungen handelt, die jeder, der sich mit dem mittelalterlichen Recht befaßt, in seinem Material wiedererkennen kann. Faßt man Ebels "Grundformen" nicht als starres Schema, sondern als variables Raster, so helfen sie die zeitgebundene Sicht von Recht und Gesetz zu erschließen. Ebels "Trias" ist auch auf die Landfrieden angewendet worden. Landwehr vor allem hat die Terminologien in Angermeiers Buch kritisiert und den Satzungscharakter der Landfrieden betont99 • Auch Wadle hat die Kategorien Ebels verwendet, um die Problematik der Geltung des in den Friedenstexten niedergelegten Rechts zu beschreiben 100. Daß dieser Zugriff nicht alle anstehenden Fragen beantworten kann, versteht sich wohl von selbst; er dürfte aber zumindest geeignet sein, diese Fragen präziser zu formulieren. Dies gilt nicht zuletzt insoweit, als es notwendig ist, den oder die Träger der "Gesetzgebung" deutlicher zu bezeichnen, als dies Gernhuber mit seinen Hinweisen auf "König", "Königtum" oder "Reich" getan hat. Besonders in der Frühzeit der Landfrieden sind derartige "transpersonale" Verankerungen mit größerer Behutsamkeit zu verwenden, als sie Gernhuber an den Tag gelegt hat. Der zweite Ansatz ist durch eine eher formale Betrachtung bestimmt, die vor allem auf die Struktur der Rechtssätze abstellt. Hermann Krause hat in einem Maßstäbe setzenden Aufsatz über "Königtum und Rechtsordnung in der Zeit der sächsischen und salischen Herrscher,,101 die Besonderheiten (Einzelaktcharakter, Personenbezogenheit, Offenheit) des älteren Rechts betont und das Privileg als charakteristischen Ausdruck des Verhältnisses von König und Recht beschrieben; er stellt ihnen jene Texte als "Gesetze" gegenüber, denen "die Personenbezogenheit und der Einzelakt-Charakter durchgängig fehlt" (S. 32), die durch "die ,moderneren', dem abstrakten Gesetzesstil zugeordneten Faktoren" geprägt sind (S. 33), mithin die Gestalt allgemeiner Normen aufwei98 Nicht sonderlich hilfreich ist die Kritik von Marie Theres Fögen, Morsche Wurzeln und späte Früchte. Notizen zum Gesetzesbegriff der deutschen Rechtsgeschichte, in: Rechtshistorisches Journal 6 (1987), S. 349-360; dazu Bernhard Diestelkamp, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 427-434. WeiterfUhrend Hasso Hofmann, Gebot, Vertrag, Sitte. Die Urformen der Begründung von Rechtsverbindlichkeit (Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie 17), BadenBaden 1993. Hofmann zeigt auf, daß es sich bei Ebels "Grundformen" um die Ausprägung einer grundsätzlicheren Fragestellung handelt. 99 Vgl. Fn. 21. 100 Vgl. Fn. 66 u. 73. 101 Hermann Krause, Königtum und Rechtsordnung in der Zeit der sächsischen und salischen Herrscher, in: ZRG GA 82 (1965), S. 1-98.- Vgl. noch ders., Dauer und Vergänglichkeit im mittelalterlichen Recht, in: ZRG GA 75 (1958), S. 206-251; ders., Artikel "Aufzeichnung des Rechts", in: HRG 1 (1971), Sp. 256-259; ders., Artikel "Gesetzgebung", ebenda Sp. 1606-1619; ders., Artikel "Recht", in: HRG IV (1990), Sp.223232.

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sen. In die Linie dieser "Gesetze" ordnet Krause auch die "Landfriedensbeschwörungen" ein (S. 30, 32). Krauses Gesetzesbegriff ist gekennzeichnet als königliche Rechtsaussage in generell-normativer Gestalt. Die Frage nach dem Geltungsgrund des so gefaßten Rechtstextes wird ausdrücklich ausgeklammert. Urkundenform und Normcharakter werden auch später als wesentliche Momente eines Gesetzes betrachtet, so namentlich von Armin Wolro2, der Gesetz als "allgemeine Rechtsnorm mit Urkundenform" versteht. Diese Definition ist zwar, wie Wolf zutreffend bemerkt, eine brauchbare "Arbeitshilfe" , rur das Rechtsverständnis ist sie freilich nicht weiter hilfreich, da sie so zentrale Fragen wie das Zustandekommen und den Geltungsanspruch vermeidet. Um eine Stellungnahme dazu ist gerade bei den Landfrieden nicht herumzukommen, hängt die Frage nach dem "revolutionären" Charakter 103 des Rechts, das die Gottes- und Landfrieden gebracht haben, doch wesentlich von der Frage ab, wie sich diese "Gesetze" zum überkommenen Recht verhalten. Da der von Gernhuber gewählte Ausweg, Landfrieden als modernere, dem Rechtsgebot im Sinne Ebels entsprechende Gesetze zu verstehen, versperrt ist, bleibt nur die Möglichkeit konkreter Betrachtung einzelner Texte, ihrer Überlieferung und aller Umstände ihres Zusammenkommens und Wirkens. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß auf diese Weise die Einflußnahme der anwachsenden theoretischen Diskussion um Recht, Gewohnheit und Gesetz besser zu erfassen ist. Daß dabei die Geschichte von Recht, Gewohnheit und Rechtsbegriff im hohen Mittelalter, namentlich im 12. und 13. Jahrhundert eine zentrale Bedeutung erlangt, liegt auf der Hand lO4 • 102 Armin Wolf, Die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 1. Bd.: Mittelalter (1100-1500). Die gelehrten Rechte und die Gesetzgebung, München 1973, S. 517-803. \03 Vgl. Text nach Fn. I. 104 Vgl. etwa Karl Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff im 12. Jahrhundert, in: Probleme des 12. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen XII), Sigmaringen 1968, S. 309335 ders., Der Rechtsbegriff. Das Beispiel des Mittelalters, in: ZRG GA 111 (1994), S. 310-329; ders., Artikel "Recht. A. Allgemeine Darstellung; westlicher Bereich", in: Lexikon des Mittelalters VII (1995), Sp. 510-513. Im übrigen sei verwiesen auf die Aufsatzbände von Peter Classen (Hg.), Recht und Schrift im Mittelalter (Vorträge und Forschungen XXIII), Sigmaringen 1977; Mordek (Hg.), Überlieferung (Fn. 73); Gerhard DilcherlHeiner Lück/Reiner SchulzelElmar WadlelJürgen WeitzellUdo Wolter, Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 6), Berlin 1992; Okko BehrendslChristoph Link (Hg.), Zum römischen und neuzeitlichen Gesetzesbegriff (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften, Göttingen, phil.-hist. Klasse 3. Folge Nr. 157), Göttingen 1987; Wolfgang Sellert (Hg.), Das Gesetz in Spätantike und frühem Mittelalter (Abhandlungen ... Göttingen ... Nr. 196), Göttingen 1992.



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3. Friedenseid

Bei allen Überlegungen um den Gesetzescharakter rückt immer wieder das Problem des Landfriedenseides ins Blickfeld. Wäre mit dem willkürlichen Charakter einer Satzung immer ein Eid verbunden, so spräche beim Fehlen des Schwures einiges dafür, daß es sich bei einem Landfrieden um ein "Rechtsgebot", und nicht um eine "Willkür" oder "Satzung" handelt. Zwingend ist dieser Schluß aber wohl nicht I05 • Allerdings hat schon Gernhuber aus diesem Zusammenhang gefolgert, beim Landfriedenseid handle es sich nicht um das entscheidende Moment des Geltungsgrundes, deshalb könne die Geltung auch nicht auf einem" Vertrag" beruhen. Hattenhauer 106 hat die Absolutheit solcher Aussagen bereits bezweifelt, aber erst danach wurde die Frage gestellt, ob Willkür auch ohne Eid bestehen kann; Wadle I07 hat diese Frage angeschnitten, Körner 108 hat sie in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt. Im Ergebnis wendet sich Körner gegen die zuvor weithin übliche Annahme, es habe eine einheitliche Beeidung aller Landfrieden gegeben; es gehe vielmehr um "vielfliltige Verpflichtungsformen", um ein "Konglomerat von Formen der Errichtungen, die zusammenspielen und erst so den besonderen Verpflichtungscharakter ergeben" (S. 122). Nach Körner stehen autoritatives Gebot der Bischöfe, der consensus weltlicher Mächtiger, päpstliche oder kaiserliche Bestätigung, Zustimmungsformen wie astipulatio und collaudatio, einfaches Versprechen (promissio) und Eid in unterschiedlicher Kombination nebeneinander. Auch der Friedenseid selbst weist nach Körner keinen einheitlichen Charakter auf: In Westfranken sei der Eid christlich motiviert, trage christlichen Charakter; in Ostfranken gebe es Indizien für den heidnischgermanischen Ursprung des Eides, er lehne sich an den germanischen Treueid an. Körner erkennt einerseits im Eid nur ein "Verpflichtungs element" neben anderen, indem er aber andererseits den deutschen Friedenseid in die Tradition des germanischen Treueids stellt, rückt er den Verpflichtungsgrund des Friedensrechts letztlich doch in die Nähe zum "Rechtsgebot", denn in der Leistung des Treueides dürfte ein Über-Unterordnungsverhältnis dokumentiert sein, das vielleicht ein Rechtsgebot tragen könnte. 105 Insoweit müßten die eindringlichen, aber zugleich knappen Studien Ebels fortgesetzt und erweitert werden. Vgl. außer dem in Fn. 97 genannten Werk noch: Wilhelm Ebel, Die Willkür. Eine Studie zu den Denkformen des älteren deutschen Rechts (Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien 6), Göttingen 1953; ders., Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958. 106 Wie Fn. 14. 107 Vgl. Fn. 66. 108 Vgl. Fn. 68.

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Spätere Untersuchungen geben zur Rolle des Friedenseides im Rahmen des Geltungsgrundes wenig her. Hierzu bedarf es noch weiterer Forschungen, die insbesondere den zeitlichen Rahmen etwas weiter stecken. Es bleibt zu hoffen, daß die neuerlich angelaufene Diskussion über den Eid und seine rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung 109 sich auch auf die Erforschung der Gottes- und Landfrieden auswirken wird. Ob sich daraus tatsächlich eine bessere Sicht der Dinge ergibt, kann erst die künftige Arbeit erweisen.

4. Landfrieden und materielles Strafrecht Blickt man auf die Bedeutung der Landfrieden filr die Strafrechtsgeschichte, so stößt man auf einen Bereich, in dem die meisten Thesen als gesichert gelten. Daß die Friedensbewegung wesentlich dazu beigetragen hat, der peinlichen Strafe zum Durchbruch zu verhelfen und sie zur vorherrschenden Sanktion zu machen, ist wohl unbestritten 110. Gleichwohl bleiben noch viele Fragen offen. Ungeklärt ist immer noch, inwieweit sich das Strafrecht der Landfriedenszeit von dem der vorausgehenden Jahrhunderte unterscheidet. Öffentliche Strafe gab es sicher schon vor der Salierzeit; nicht zuverlässig geklärt ist, seit wann es sie gibt und wie sie sich zu anderen Modellen und Konfliktlösungen verhalten hat, die auf Sanktionen der Selbsthilfe oder der Sühne und Buße hinauslaufen lll . Auch in der Zeit der Landfrieden gibt es Rechtsstreitigkeiten, die nicht durch Strafe, sondern durch Kompromiß und/oder Buße beendet werden. Neben diesen Problemen, die an der Variabilität der Sanktionen, also der Rechtsfolgen, ansetzen, gibt es eine Fülle zusätzlicher Fragen, die sich speziell mit den Bedingungen der peinlichen Strafe selbst befassen. Schon Gemhuber und Hattenhauer haben Stichworte wie "Subjektivierung" und "Ethisierung" einerseits und Tatbestandsbildung andererseits geliefert. Diese Fingerzeige müß109 Vgl. etwa Lothar Kölmer, Promissorische Eide im Mittelalter (Regensburger Historische Forschungen 13), Kallmünz 1989, bes. S. 178 ff.; Paolo Prodi, II sacramento deI podere. II giuramento politico nella storia costituzionale dell'Occidente, Bologna 1992; ders. (Hg.), Glaube und Eid (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 28), München 1994; Andre Holenstein, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung 800-1800, StuttgartlNew York 1991; Peler Blickle (Hg.), Der Fluch und der Eid. Die metaphysische Begründung gesellschaftlichen Zusammenlebens und politischer Ordnung in der ständischen Gesellschaft (Zeitschrift rur Historische Forschungen, Beiheft 15), Berlin 1993. 110 Zum Ganzen Elmar Wadle, Die peinliche Strafe als Instrument des Friedens, in: Fried (Hg.), Träger (Fn. 93) S. 229-247. 111 V gl. etwa Jürgen Weitzel, Strafe und Strafverfahren in der Merowingerzeit, in: ZRG GA 111 (1994), S. 66-147; Elmar Wadle, Die Entstehung der öffentlichen Strafe, in: Heilre Jung/Heinz Müller-DietziU/fried Neumann (Hg.), Perspektiven der Strafrechtsentwicklung, Baden-Baden 1996, S. 9-30.

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ten durch eine präzisere Einbeziehung der zeitgenössischen Theorie im Bereich der Theologie und der aufkeimenden Rechtswissenschaft für die Landfriedensforschung nützlich gemacht werden. Eine genauere Kenntnis der kanonistischen Schuldlehre ll2 und ihrer Konsequenzen für die juristische Bewältigung durch die Ausbildung von Unrechts elementen und Tatbeständen könnte weitere Anregung geben. Die alte Frage nach den Vorbildern der peinlichen Strafe und dem Anknüpfen an Erscheinungen des älteren Rechts, hat Gernhuber in seiner Diskussion der rechtshistorischen "Theorien" eingehend gewürdigt. Sie ließe sich möglicherweise anreichern durch eine bessere Kenntnis der auf das Landfriedensrecht gegründeten Praxis. Ob diese allerdings für die Frühzeit besser zu erfassen ist als im Augenblick, bliebe noch zu untersuchen; die Rechtshistoriker unter den Autoren haben sich allzu schnell auf die Behandlung der "Rechtstexte" beschränkt. Gernhubers Vorschläge im Streit der Theorien leiten zum nächsten Themenschwerpunkt, dem Verfahrensrecht, über.

5. Landfrieden und Verfahrensrecht Gernhubers Buch legt bereits die These nahe, daß die Bedeutung der Landfrieden für die Strafrechtsgeschichte am ehesten auf dem Weg über eine genauere Kenntnis des Verfahrensrechts zu finden sei. Die Stichworte "Aktivierung der Masse" und "Handhaftverfahren ... als Ausgangspunkt" hängen innerlich zusammen; um so unverständlicher bleibt, daß Gernhuber den als notwendig erkannten Zusammenhang für den eigenen Untersuchungszeitraum nicht nutzt, vielmehr die Darstellung des Strafverfahrensrechts der Landfrieden ausklammert, "weil in unserem zeitlich beschränkten Abriß kein auch nur halbwegs vollständiges Bild der Vorgänge zu vermitteln ist" (S. 224). Dieser Verzicht ist keineswegs plausibel, kommt es doch gerade aus der Sicht Gernhubers darauf an, alles zusammenzutragen, was über das Verfahren überliefert ist, handle es sich auch nur um Fragmente. Vielleicht gelingt es, fehlende Elemente vor dem Hintergrund der im 12. Jahrhundert anschwellenden Diskussion um den Prozeß auszumachen. Daß die Suche nicht ganz vergebens sein dürfte, zeigen erste Detailstudien, wie jene von Kaiser ll3 und Wadle 1l4 . 112 V gl. etwa Stephan Kuttner, Kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX. (Studi e testi 64), Citta dei Vaticano 1935. Weitere Hinweise bei Wadle, Strafe (Fn. 110); ders., Entstehung (Fn. 111). 113 Reinhold Kaiser, Verbrechen und Strafe in Nordfrankreich um 1100. Zwei Wundererzählungen des Abtes Gisbert von Nogent (gest. um 1125) und Hermann von Tour-

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6. Bezeichnung der Friedenstexte Die Bezeichnungen "Gottesfrieden" und "Landfrieden" sind allgemein gebräuchlich, obgleich über ihre Berechtigung immer wieder nachgedacht wird. Schon die älteren Untersuchungen zur Gottesfriedensbewegung haben herausgearbeitet, daß "pax dei" und "treuga" zu differenzieren sind; es wird weithin angenommen, daß sie in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen: "pax dei" (Gottesfriede) gilt als allgemeinere Bezeichnung, die auch die Fälle der "treuga dei" als spezielle Ausbildung umfaßt lJ5 . Den Gebrauch der Bezeichnung "Landfrieden" für die frühen weltlichen Friedensaufrichtungen hat vor allem Kroeschell l16 kritisiert. Sie werden für eine "provincia", eine "patria" oder ein "regnum" errichtet ll7 , weshalb man von "Provinzialfrieden" oder "Reichsfrieden" sprechen sollte, nicht aber von "Landfrieden" und schon gar nicht von "Reichslandfrieden". Der Terminus "Land" begegnet in der Verbindung mit Frieden frühestens in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts 118. Kroeschells Vorschlag zur Korrektur des Sprachgebrauchs ist deshalb beherzigenswert. Übrigens spricht auch Gernhuber immer wieder von "Reichsfrieden", wenn er einen für das ganze Reich errichteten Frieden meint. Man wird indes nicht umhin können, die bislang in der wissenschaftlichen Diskussion übliche Bezeichnungsweise weiterhin zu verwenden. Sie hat ihren Grund in der Tatsache, daß "Landfrieden" nicht nur das Rechtsinstitut, das in einem "Gesetz" enthaltene, mit Geltung versehene Friedensprogramm meint, sondern eben auch den - durch weiche Maßnahmen auch immer - bewirkten Frieden selbst, mithin den tatsächlichen Zustand. Die Empfehlung quellennaher Begriffsbildung in der Rechtsgeschichte wird sich gegen eingeschliffene Gewohnheiten wie die Formel "Mainzer Reichslandfrieden" kaum durchsetzen lassen. Eine Kapitulation in der Bezeichnungsweise darf allerdings nie zur Kapitulation in der Sache geraten.

nai (gest. 1147/48), in: Dieter Berg/Hans-Werner Goetz (Hg.), Ecclesia et regnum. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter, Festschrift für Franz10sefSchmaie zu seinem 65. Geburtstag, Bochum 1989, S. 98-109. 114 Wadle, Friedebrief(Fn. 74). 115 So etwa Hartmann, Gottesfriede (Fn. 18). 116 Kroeschell, Rechtsbegriff (Fn. 105), S. 310; ders., Deutsche Rechtsgeschichte 1 (bis 1250), 10. Aufl. Opladen 1992, S. 186. 117 Vgl. Wadle, Heinrich IV. (Fn. 66), S. 150 f. 118 His, Strafrecht I (Fn. 7), S. 7.

Heinrich IV. und die deutsche Friedensbewegung Die Reichsfrieden bezeichnen den Beginn der Reichsgesetzgebung. Ihre Geburtsstunde flillt in das Jahr 1103. Ihr Schöpfer ist Heinrich IV. auf den Schultern des deutschen Episkopates. Diese Sätze Joachim Gernhubers l scheinen in ihrer zupackenden Fonnulierung das Ergebnis unserer Untersuchung vorwegzunehmen. Bei näherem Zusehen ergibt sich jedoch, daß diese Aussagen nicht weniger geeignet sind, in das Thema einzufiihren; denn sie drängen eine Fülle von Fragen geradezu auf: Inwiefern ist der "Reichsfriede" von 1103 ein "Reichsgesetz"? Wieso kann Heinrich IV. als sein "Schöpfer" gelten? Welche Rolle spielt der "Episkopat"? Welche Gestalt hatte die Friedensbewegung vor 1103? Wie hat sich Heinrich IV. dazu verhalten? Wie hat sich sein Werk auf die Friedensbewegung danach ausgewirkt? Die Fragen ließen sich unschwer vennehren. Sie stellen sich in ähnlich großer Zahl bei jedem Thema ein, das die mittelalterliche Friedensbewegung beIiiluf. Eine Beschränkung der Aspekte ist die unausweichliche Konsequenz. Deshalb soll hier die Rede sein nicht so sehr von der Bedeutung der Friedensbewegung fiir Heinrich IV. und seine Herrschaft als vielmehr vom Beitrag Heinrichs zur Friedensbewegung3 . Da beide Bereiche eng ineinander verwoben sind, kann

I Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, Bonn 1952, S. 81. - Bei Gernhuber ist auch die ältere Literatur zur deutschen Friedensbewegung verzeichnet. Nachzutragen sind vor allem: H Hattenhauer, Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden rur die Gesetzgebung in Deutschland, Diss. Marburg 1958/60; V Achter, Über den Ursprung der Gottesfrieden, Krefeld 1955; J. Gernhuber, Staat und Landfrieden im deutschen Reich, in: La Paix, Recueils de la Societe Jean Bodin, XV, 2 (1961), S. 27-77; HAngermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966; G. Landwehr, Königtum und Landfrieden, in: Gedanken zum Problem der Rechtsbildung im Mittelalter, Bd. 7 (1968), S.84-97; G. Aquist, Frieden und Eidschwur, Studien zum mittelalterlichen germanischen Recht, (Rättshistoriskt Bibliotek, Bd. 14), Stockholm 1968, bes. S. 14 ff., 120 ff.; P. Fried, Zur "staatsbildenden" Funktion der Landfrieden im frühen bayerischen Territorialstaat, in: Festschrift rur Max Spindler, München 1969, S. 283-306. 2 Vgl. etwa Angermeier S. 6 ff., bes. S. 14 ff. 3 Das Thema wird insoweit enger verstanden als bei K. Nitzsch, Heinrich IV. und der Gottes- und Landfrieden, in: Forschungen zur deutschen Geschichte 21 (1881), S. 271297. Entsprechendes gilt rur den Begriff "Friedensbewegung"; die städtische Friedensbewegung ist grundsätzlich ausgeklammert; vgl. dazu Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 41 Fn. 2 und S. 58 Fn. 68 mit Hinweisen auf die ältere Literatur; W Ebel, Der Bürgereid, Weimar 1958, S. 2 ff., 10; G. Pfeiffer, Die Bedeutung der Einung im Stadt-

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es sich bei dieser Begrenzung des Themas natürlich nicht um eine säuberliche Trennung, sondern nur um eine besondere Akzentuierung handeln.

I. Ein Versuch, den Beitrag Heinrichs IV. zur Friedensbewegung zu ermitteln, hat zunächst den Rahmen abzustecken, in dem sich diese Anteilnahme realisieren konnte. Die Anfänge der deutschen Friedensbewegung fallen bekanntlich in die letzten Jahrzehnte des 11. Jahrhunderts4 • Seit dem Ende des 10. Jahrhunderts hatten sich die Gottesfrieden, deren Ziel in erster Linie die Bekämpfung der Ritterfehde war, im westlichen Europa ausgebreitetS . Sie hatten auf das Königreich Burgund6, auf lothringisches Gebiee und möglicherweise auch auf das EIsaßs übergegriffen. Zu einer selbständigen, ausschließlich deutsches Reichsgebiet erfassenden Friedensordnung kam es indes erstmals 1082 im Bistum Lüttich. Die weiteren Stationen bis zum Tode Heinrichs IV. sind schnell umrissen. Es folgen 1083 der Kölner Gottesfriede, 1084 der Friede von Goslar, 1085 der Mainzer Gottesfriede, 1093/94 die oberdeutschen Landfrieden in Schwaben, Bayern, Franken und im Elsaß, 1103 der Reichsfriede von Mainz, 1104 der

und Landfrieden, in: Zeitschrift rur bayerische Landesgeschichte Bd. 32 (1969), S. 815831. 4 Die folgende Darstellung des äußeren Ablaufs der Friedensbewegung stützt sich im wesentlichen auf die Ergebnisse Gemhubers. Für die Beurteilung der deutschen Gottesfrieden, die von Gemhuber etwas kurz behandelt werden, sind vor allem heranzuziehen: A. Kluekhohn, Geschichte des Gottesfriedens, Leipzig 1857, S. 56 ff.; S. HerzbergFränkel, Die ältesten Land und Gottesfrieden in Deutschland, in: Forschungen zur deutschen Geschichte 23 (1882), S. 117-163; G. C. W. Görris, De denkbeelden over oorlag en de bemoeiingen voor vrede in de elfde eeuw, Nijmegen 1912; W. Sehnelbögl, Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts (Deutschrechtliche Beiträge XIII, 2), Heidelberg 1932, S. 27 tT.; B. Meyer, Die Sorge rur den Landfrieden im Gebiet der werdenden Eidgenossenschaft 1250-1350, Phil. Diss. Zürich, AtToltem a. A. 1935, S. 14 tT. 5 L. Huberti, Studien zur Rechtsgeschichte der Gottesfrieden und Landfrieden I: Die Friedensordnungen in Frankreich, Ansbach 1892; dazu die Besprechung durch L. Weiland, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung rur Rechtsgeschichte (ZRG) Germanistische Abteilung (GA) 14 (1893), S. 152-156; H Hoffmann, Gottesfriede und Treuga Dei (Schriften der MGH XX), Stuttgart 1964. 6 Huberti S. 156ff.; Hoffmann S. 79 tT.; H-D. Kahl, Die Angliederung Burgunds an das mittelalterliche Imperium, in: Schweizerische Numismatische Rundschau, Bd. XLVIII (1969), S. 13-105, hier S. 56 f, 97. 7 Hoffmann S. 7, 59 tT., 88. 8 Hoffmann S. 88 f, 218.

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Schwäbische Friede, 1105 die Bestätigung des Mainzer Gottesfriedens in Nordhausen und im gleichen Jahr schließlich noch der Gottesfriede von Konstanz. Über die meisten von ihnen sind wir genauer unterrichtet9 • Der Lütticher Friede und der Schwäbische Friede von 1093 sind durch die Geschichtsschreibung verhältnismäßig ausfiihrlieh überliefert. Auch die übrigen Friedensstatute haben in der Historiographie regelmäßig einen Niederschlag gefunden; allerdings handelt es sich dabei zumeist nur um kurze Notizen. Daneben besitzen wir jedoch durchweg eine Urkunde oder urkundenähnliche Quelle. Ludwig Weiland hat sie im Appendix des Constitutiones-Bandes der Monumenta Germaniae Historica zusammengestellt - mit einer Ausnahme allerdings: der Pax Moguntina von 1103. Sie ist unter die Constitutiones Heinrichs IV. aufgenommen lO • Daß diese Ausnahmestellung berechtigt ist, zeigt schon ein kurzer Blick auf die Überlieferungen der übrigen Friedensstatute. Heinrich war an keinem anderen Frieden so stark beteiligt wie an dem Reichsfrieden von 1103. Dies ist Grund genug, sich mit ihm näher zu befassen. Um seine Bedeutung abschätzen und vor allem den Beitrag des Kaisers bewerten zu können, ist es indes notwendig, den Verlauf der Friedensbewegung vor 1103 näher zu verfolgen und ihre Beziehungen zu Heinrich IV. zu untersuchen.

11. Der Lütticher Friede von 1082 steht - wie schon erwähnt - am Beginn der deutschen Friedensbewegung. Näheres über ihn erfahren wir indes erst durch eine Quelle des 13. Jahrhunderts, nämlich die Schriften des Gilles d'Orval ll . Seine Angaben zum Inhalt des Friedens dürften im wesentlichen zutreffen. Danach sollte, dem Vorbild der französischen Treuga Dei folgend, in der Weihnachts- und Osterzeit und an bestimmten Wochen- und Festtagen innerhalb des Bistums Friede herrschen. Das Waffentragen sollte in diesen Zeiten und Tagen

Näheres in den Fußnoten zu 11. MGH. MGH. Const. I Nr. 74 S. 125, Nr. 424 ff. S. 602 ff. 11 Aegidii Aureaevallensis gesta episcoporum Leodiensium c. 13, MGH. SS. XXV, 89 f.; MGH. Const. I, 603 Fn. I; Gesta abbreviata SS. XXV, 131. - Hierzu, zur Überlieferung im übrigen und insbesondere über die Zusammenhänge mit dem Friedensgericht des Bischofs von Lüttich, vgl. Kluckhohn S. 64 ff.; Herzberg-Fränkel S. 131 ff.; Görris S. 194 ff.; H Vanderlinden, Le tribunal de la Paix de Henri de Verdun (1082) et la formation de la principaute de Liege, in: Melanges H. Pirenne 11, Bruxelles 1926, S. 589-596; Schnelbögl S. 27 ff.; zuletzt: A. Joris, Observation sur la procIamation de la Treve de Dieu a Liege a la fin du XI· siecIe, in: La Paix, Recueils de la societe Jean Bodin XIV, I (Bruxelles 1961/62), S. 503-545; dazu HofJmann S. 220 Fn. 20: "vielleicht überkritische Ausfiihrungen". 9

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unterbleiben und niemand sollte einen anderen verwunden oder töten oder mit Brand oder Beutemachen schädigen. Ein Verstoß sollte unabhängig von der Art des Vergehens bestraft werden. Ein Freier sollte mit dem Verlust von Erbe und Lehen und der Ausweisung aus dem Bistum belegt werden, ein Unfreier mit dem Verlust des Gutes und der rechten Hand. Überdies wurde jeder Friedensbruch mit der Exkommunikation geahndet. - Von der Errichtung des Friedens hat Gilles d'Orval zwei Versionen überliefert 12 • Nach beiden Darstellungen kam der Friede unter Zustimmung des Adels zustande. Eine Fassung erwähnt darüber hinaus auch die Zustimmung des ganzen Volkes. Der Anteil Bischof Heinrichs von Lüttich wird in der einen Fassung stark in den Mittelpunkt gerückt, während die andere dem Grafen von Namur eine fast ebenbürtige Stellung einräumt. Diese Divergenzen haben neben anderen Unstimmigkeiten zu einem Streit um die Glaubwürdigkeit beider Berichte gefiihrt\3. Wir brauchten auf diese Auseinandersetzung nicht besonders hinzuweisen, wäre Gilles d'Orval nicht der älteste Zeuge fiir die Anteilnahme Heinrichs IV. am Lütticher Frieden. Nach beiden Darstellungen hat der König seine Zustimmung erteilt, im einen Falle gemeinsam mit einem namentlich nicht genannten Papst, im anderen gemeinsam mit den Fürsten. Gilles d'Orval erwähnt die Beteiligung Heinrichs dann noch einmal im Zusammenhang mit einer Bestätigung des Friedens durch Heinrich V. 14 Der Streit um die Glaubwürdigkeit der ganzen Überlieferung hat naturgemäß auch diesen Bericht über die Bestätigung erfaßt. Ich möchte hier die Frage nicht weiter verfolgen, ob Heinrich, eventuell von Italien aus 15 , wo er sich von März 1081 bis zum Sommer 1084 aufhielt 16 , tatsächlich eine Bestätigung ausgesprochen hat oder nicht. Denn selbst wenn man eine Bestätigung durch den König bejaht, so ist damit noch nicht sehr viel mehr gewonnen als die Feststellung, daß Heinrich dem Unternehmen wohl gesonnen war. Notwendiger Bestandteil der Errichtung eines Gottesfriedens war die königliche Bestätigung wohl kaum 17 •

Gesta MGH. SS. XXV, 90; Gesta abbrev. MGH. SS. XXV, 131. Einzelheiten bei Joris, bes. S. 513 ff. 14 Gesta MGH. SS. XXV, 94, - Zu den anderen Überlieferungen (insb. Gisleberti Chronicon Hanoniense MGH. SS. XXI, 494; Rudolfi gesta abbaturn Trudonensium MGH. SS. X, 248; StumpfNr. 3725 z. J. 1155), vgl. Kluckhohn S. 65 f., Joris S. 514 ff. 15 So das Magnum Chronicon Belgicum (Pistorius, Rer. Germ. Veto Script., tom. III, Regensburg 1731, S. 136) aus dem 15. Jahrhundert; vgl. Joris S. 515. 16 G. Meyer von Knonau, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich IV. und Heinrich V., Bde. 1-7, Berlin 1890 bis 1909, hier Bd. 3, S. 353, 568 ff. 17 Gernhuber (Landfriedensbewegung S. 55) folgert die rechtliche Notwendigkeit einer königlichen Bestätigung des Lütticher Friedens aus der allgemeinen Androhung der Verbannung; da es sich um ein "königsrechtliches Mittel" handle, sei eine Privilegierung der Kirche durch den König erforderlich gewesen. Die Annahme einer solchen Delegation königlicher Befugnisse ist eine Hilfskonstruktion, die gegenstandslos wird, wenn man die weltlichen Sanktionen der deutschen Gottesfrieden nicht als "akzessori12 13

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In die Zeit des erwähnten Italienaufenthaltes fällt auch der zweite deutsche Gottesfriede. Er wurde 1083 im Kölner Erzbistum errichtet. Über ihn erfahren wir Genaueres durch ein Schreiben Erzbischof Sigewins an Bischof Friedrich von Münster l8 . Das Programm dieses Friedensstatuts weist große Ähnlichkeiten mit dem Lütticher Frieden auf, insbesondere die Treuga (c. 2) gleicht derjenigen von Lüttich mit geringen Abweichungen l9 . Wichtigste Neuerung ist die Abstufung der Strafe filr Unfreie und Kleriker nach der Art des Friedbruches (cc. 7, 17). Die Verantwortung aller filr die Durchfiihrung des Friedens wird besonders betont und durch die Androhung der Exkommunikation abgesichert (cc. 6, 7, 15); dieselbe Sanktion soll nicht nur jeden treffen, der dem Frieden zuwiderhandelt, sondern auch jeden, der den Friedensschwur verweigert (cc. 13, 14). Die Errichtung des Friedens wird von Sigewin ausfiihrIich geschildert (cc. 1,2). Danach hatte er eigens zu diesem Zweck eine Synode nach Köln einberufen; auf ihr war es nach langem Hin und Her durch Gottes Mittlerschaft endlich zu einer Übereinkunft gekommen, und zwar unter gleichförmiger Zustimmung von Klerus und Volk (tam clero tam populo pari voto consentientibus). Wer im einzelnen daran beteiligt war, wird nicht gesagt. Von einer Bestätigung durch Heinrich IV. erfahren wir nichts. Schon im folgenden Jahr wurde in Sachsen, vermutlich in Goslaro, ein weiterer Friede errichtet. Durch Bernold21 wissen wir, daß maximae treuvae inter fideles domni papae factae sunt. Mit dieser Notiz ist aller Wahrscheinlichkeit nach der von Weiland als Pax dei incerta bezeichnete Text in Verbindung zu setzen22 • Auch bei diesem Dokument bildet den Kern der Bestimmungen eine Treuga (c. 1), die in ihrem Umfange derjenigen des Kölner Friedens im wesentlichen entspricht. Die Sanktionen im Falle des Friedbruches sind, wie zum Teil schon im Kölner Statut, nach der jeweiligen Tat differenziert; die unterschiedlische Strafen" und "Bestandteil des seit je bestehenden Rechts" (Gernhuber S. 55), also als "gewiesenes" Recht, betrachtet, sondern als verwillkürte Rechtsfolgen. Näheres zum Geltungsgrund unten IX. 18 MGH. MGH. Const. I NT. 424, S. 603 ff. - Zur Diskussion über Charakter und Ergänzungen des Schreibens vgl. etwa: Herzberg-Fränkel S. 134 ff.; Görris S. 209; Meyer von Knonau 3, S. 508 Fn. 59; Weiland, Vorbemerkung zu MGH. Const. I Nr. 424. - Auf den Kölner Gottesfrieden werden allgemein bezogen: Annales Path. (ed. ScheffirBoichorst), S.99 (Annales Yburg. MGH. SS. XVI, 437; Annalista Saxo SS. VI, 721): Pax Dei orta est. 19 Infolge der Unsicherheit der Lütticher Überlieferung ist ein derartiger Vergleich nur unter Vorbehalten möglich (Görris S. 208 Fn. 2); zu weit geht deshalb HerzbergFränkel S. 136: "Fortschritt ... liegt in den genauen Bestimmungen". 20 Meyer von Knonau 3, S. 583; auch Pertz in MGH. SS. V, 440 Fn. 68; Görris S. 210 f.; Schnelbögl S. 33. 21 MGH. SS. V, 440. 22 MGH. Const. I Nr. 426 S. 608 f - Dazu vgl. Görris S. 210 f; Herzberg-Fränkel S. 136 ff.; Schnelbögl S. 210 f; Gernhuber, Landfriedensbewegung S.42, 98 mit Fn. 117.

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che Behandlung von Freien und Unfreien ist allerdings grundsätzlich gefallen (cc. 2, 3, 6, 10). Der Friede von Haus und Hof wird durch die Bestrafung bestimmter Verletzungshandlungen besonders betont (cc. 3, 4). Durch Strafe wird schließlich auch die Gerüftfolge und die Verfolgung flüchtiger Missetäter sichergestellt (cc. 6, 7, 9). - Dieses Friedensprogramm wurde, wie die Überschrift Iuramentum pacis dei und der Text selbst (c. 11) zu erkennen geben, unter Eid und Gelöbnis errichtet, und zwar nach Bernold inter fideles domni papae. Wer diese fideles waren, ist nur zum Teil bekannt. Durch Bernold ist die Anwesenheit des Gegenkönigs Hennann bezeugt; über seine Rolle bei der Errichtung erfahren wir jedoch nichts 23 • Im Friedenstext werden hingegen die Bischöfe als Empfllnger des Friedensversprechens erwähnt (c. 11). Um wen es sich dabei handelt, können wir nur vennuten. Wahrscheinlich gehören sie zum Kreis jener Bischöfe, die im April des folgenden Jahres in Quedlinburg zur Gegensynode gegen den kaisertreuen Episkopat versammelt sind24 • Vor allem sächsische Bischöfe werden demnach bei der Errichtung des Friedens in Goslar zugegen gewesen sein. Die hier geschworene pax Dei mag vorwiegend in den sächsischen Bistümern gegolten haben; von einer Beschränkung ihres Geltungsbereiches auf das sächsische Stammesgebiet hören wir indes nichts 25 • Die Friedensbewegung, die im Lütticher und Kölner Bistum von den Anhängern Heinrichs IV. gefördert worden war 6, wurde in Sachsen von der gegnerischen

23 Anders Gernhuber S. 98: "aufgerichtet vom Gegenkönig Hermann von Salm in Sachsen". Die Unterwerfung der "principes terrae" unter eine Strafe (c. 6) berechtigt noch nicht zu der Aussage, der "königliche Ursprung zeichne sich noch im Gesetz ab" (so Gernhuber im Anschluß an Herzberg-Fränkel S. 157). Hinter einer solchen Behauptung steht offensichtlich die Vorstellung vom König als "Gesetzgeber". Bernold sagt über die Art der Beteiligung des Gegenkönigs überhaupt nichts aus; er spricht nur von der Anwesenheit des Königs "in Saxonia". Selbst Gernhuber (S. 99) muß zugeben, daß die "Notiz Bernolds den König jedenfalls nicht in den Vordergrund rückt". 24 So GÖrris. 25 Der Vermerk Bernolds (... in Saxonia, ubi ... treuvae ... factae sunt) erweist sich durch das nachfolgende quae in toto pene Teutonicorum regno non multo post confirmatae sunt als eine Bezeichnung der tatsächlichen Herkunft, nicht aber des rechtlichen Geltungsbereiches. Entsprechendes gilt fiir die Erwähnung der lites (cc. 5, 6) im Iuramentum. Aus den Ausdrücken bellum patriae und clamor more patriae (c. 6) ergibt sich ebenfalls nicht, daß der Geltungsbereich Sachsen war; patria wird hier nicht zur Umschreibung des Geltungsbereiches, sondern lediglich zur näheren Kennzeichnung überlieferter rechtlicher Erscheinungen (Landfolge, Gerüft) verwendet, an die das Friedensgebot anknüpft (anders patria in c. 6 des Elsässischen Friedens). - Wenn die Pax Dei von 1083 im Folgenden "Goslarer Friede" genannt wird und nicht "Sächsischer Friede" (vgl. Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 42, 98: "sächsischer Landfriede") so geschieht dies, um den Anschein zu vermeiden, der Geltungsbereich sei Sachsen und der Friede sei ein Landfrieden im Sinne der späteren Entwicklung gewesen; die Grenze zwischen Gottesfrieden und Landfrieden ist allerdings fließend (vgl. Fn. 45). 26 Über Heinrich von Lüttich und die übrigen Beteiligten vgl. Vanderlinden S. 590; Joris S. 508 ff.; zu Sigewin von Köln vgl. etwa Meyer von Knonau 3, S. 508.

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Seite aufgegriffen und wahrscheinlich erstmals im Reich über eine Reihe von Bistümern erstreckf7. Vor diesem Hintergrund erscheint der Mainzer Gottesfriede von 1085 als eine Reaktion der kaisertreuen Reichskirche. - Heinrich nahm selbst an der Synode teil, die er unter Mitwirkung Clemens' II1., des kaiserlichen Gegenpapstes, nach Mainz einberufen hatte 28 • Die Versammlung, die kurz nach Ostern zusammengetreten war, befaßte sich vor allem mit den Gegnern in Kirche und Reich. Über das Vorgehen gegen die abtrünnigen Bischöfe und den Gegenkönig Hermann sind wir durch mehrere Quellen ziemlich genau unterrichtet. Daß auf dieser Synode auch ein Gottesfriede errichtet wurde, erfahren wir indes allein durch Frutolf9 • Er überliefert die Anwesenheit des Kaisers und schildert anschließend die Maßnahmen gegen die rebellischen Bischöfe. Ibi, so flihrt er dann fort, etiam communi consensu et consilio constituta est pax dei. Wir dürfen annehmen, daß auch der Kaiser selbst zum Kreis der Zustimmenden gehört hat. Wäre er außerdem bei der Errichtung besonders hervorgetreten, so hätte Frutolf sicherlich nicht nur die Anwesenheit Heinrichs vermerkt. Auf Grund dieser Überlieferung darf man wohl schließen, daß der Mainzer Friede zwar unter Teilnahme, nicht aber unter der Autorität des Kaisers zustande kam30 • Zu keinem anderen Ergebnis gelangen wir, wenn wir den umstrittenen Bamberger Texe l rur die Mainzer Pax Dei heranziehen. Dieser Text folgt dem Kölner Gottesfrieden fast wörtlich und ergänzt ihn nur in einigen Punkten. Die bedeutendste Erweiterung betrifft das Friedensprogramm. Zum ersten Mal begegnet in der deutschen Friedensbewegung eine sogenannte "Pax" im Sinne der völligen Befriedung bestimmter Personen und Sachen32 • Der Friede soll nämlich ohne eine zeitliche Beschränkung, wie sie filr die "Treuga" charakteristisch ist, rur Kaufleute und Bauern, rur Frauen und alle Angehörigen des geistlichen Standes

27 Das wird man c. 11 des Textes und der Notiz Bemolds (vgl. Fn. 21,25) entnehmen dürfen. Auch auf die Nachricht über das Unterbleiben der Heerfahrten Hermanns und Heinrichs IV. (Frühjahr 1085) infolge des rur die Fastenzeit geschworenen Friedens (propter iuratam usque in octavam pentecostes Dei pacem) ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen; Annalista Saxo MGH. SS. VI, 723; Annales Magdeburgenses MGH. SS. XVI, 177; dazu Meyer von Knonau 3, S. 508. 28 Meyer von Knonau 4, S. 13 f., 21 ff., 547 ff. 29 MGH. SS. VI, 205. - Ob auch der letzte Satz (quae ... conjirmatae) der (Fn. 21, 25) zitierten Bemold-Stelle auf den Mainzer Frieden zu beziehen ist (so etwa Meyer von Knonau 4, S. 24 Fn. 42) inuß m. E. offen bleiben. 30 G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte 6, 2. Aufl., bearb. v. G. Seeliger, Kiel u. a. 1896, S. 540; ähnlich auch Kluckhohn S. 75 ff.; R. Goecke, Die Anfllnge der Landfriedensaufrichtungen in Deutschland, Düsseldorf 1875, S. 57. 31 MGH. Const. I Nr. 425 S. 695 ff. Dazu bes. Herzberg-Fränkel S. 138; Gernhuber S. 43 mit Fn. 12, dort weitere Hinweise auf die ältere Literatur. 32 R. His, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, 2 Bde., Leipzig 1920 u. 1935, hier I, S. 3 f.

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gelten (c. 16). Die Aussagen über die Errichtung des Friedens (ce. 1, 2) sind wesentlich spärlicher als in der Kölner Satzung. Auch im Bamberger Text heißt es jedoch (c. 2), daß es unter der Mittlerschaft Gottes durch gleichmäßige Zustimmung von Klerus und Volk zu einer Festsetzung gekommen sei (Deo mediante tam clero quam populo pari consentientibus voto constitutum est). Dies entspricht inhaltlich der erwähnten Noti?: Frutolfs. Weder der Bamberger Text noch Frutolf erwähnen indes eine Erstreckung der Pax Dei über das ganze Reich. Frutolf spricht vom Geltungsbereich überhaupt nicht. Der Bamberger Text erwähnt ihn nur in allgemeinen Wendungen, ganz im Unterschied zum Kölner und Lütticher Frieden, die sich beide ausdrücklich auf das Bistum beziehen 33 • Die Abwandlung des Bamberger Textes mag auf eine (möglicherweise nur geplante) Ausdehnung der Pax Dei auf alle Bistümer des Reiches zurückgehen. Vom regnum oder imperium ist aber ebensowenig die Rede wie von der Beteiligung des rex oder imperator34 • Ohne das besondere Gewicht der kaiserlichen Anwesenheit zu unterschätzen, dürfte im Ergebnis auch filr den Mainzer Gottesfrieden gelten, daß er ein Werk der Kirche war, genauer: des kaisertreuen Reichsepiskopates. Aus der Tatsache der Anwesenheit Heinrichs und der allgemeinen Zustimmung zum Frieden darf man schließen, daß der Kaiser das Werk der Kirche förderte und stützte, nicht zuletzt im eigenen Interesse. Daß der Kaiser die Friedensbewegung aufgegriffen und filr das ganze Reich verkündet habe 3s - diese Aussage geht wohl zu weit. Es sollte fast 18 Jahre dauern, bis sich Heinrich abermals in Mainz an der Errichtung eines Friedens beteiligte. In der Zwischenzeit war die Friedensbewegung nicht stehengeblieben. Sie wurde jedoch, soweit sie fiir uns in Friedensordnungen faßbar isf 6 , nicht von Heinrich oder seinen Anhängern, sondern von seinen Gegnern getragen.

33 Köln, c. 4: exire de nostro episcopatu in alium quo ista pax non tenetur; auch c. 13: nullus presbiterorum in nostro episcopatu. Lüttich, MGH. SS. XXV, 90 Z. 5: in suo episcopatu; S. 90 Z. 11112, 28/29: infra episcopatum Leodiensem; S. 131 Z. 35: Pacem ... in dictu episcopatu (über die Exemtionen vgl. Joris S. 520 ff.). Mainz, c. 4: ire ... in alium locum quo pax ista non observetur; c. 13: nullus presbiterorum. 34 In der Literatur (statt aller: Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 43) wird allgemein von einem "Reichsgottesfrieden" gesprochen; vorsichtiger jedoch Hattenhauer S. 140: "rur das ganze Gebiet der kaiserlich gesinnten Kirche, nicht rur ein einzelnes Bistum". 35 So etwa K. Jordan, Investiturstreit und frühe Stauferzeit (1056-1197), in: GebhardtlGrundmann, Handbuch zur deutschen Geschichte I, Frühzeit und Mittelalter, 9. Aufl. Leipzig u. a. 1970, S. 348; etwas abschwächend S. 351: "Friedensbewegung ... , die er durch den Mainzer Landfrieden (!) des Jahres 1085 gefOrdert hatte". - Vorsichtiger Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 44; Herzberg-Fränkel S. 143 f.

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Im Spätjahr 1093 wurde in Ulm ein Friede geschworen. Hier hatten sich nach dem Bericht Bernolds37 die Herzoge Welf und Bertold mit den schwäbischen Großen versammelt. Beide hatten schon zuvor Gebhard, dem päpstlichen Legaten und antikaiserlichen Bischof von Konstanz, Gehorsam und Unterstützung gelobt; in Ulm wurde dies auch von allen anderen versprochen. Außerdem verpflichteten sich tam duces quam comites, tarn maiores quam minores unter Eid zur Einhaltung eines Friedens bis Ostern, und von dann auf zwei Jahre. Der Friede sollte allen Mönchen, Konversen und Klerikern gelten, die dem katholischen Bischof, also Gebhard, unterstellt waren, allen Kirchen mit ihren Friedhöfen und ihrem Besitz, allen Kaufleuten und allen, die durch den gleichen Eid sich verpflichtet hätten. Der kaiserliche Bischof Amold von Konstanz und alle, die ihm günstig gesinnt waren, wurden ausdrücklich vom Frieden ausgenommen. Jeder der anwesenden schwäbischen Fürsten ließ diesen Frieden in seiner Herrschaft (per potestatem suami 8 schwören. Welf sorgte filr die Ausdehnung des Friedens nach Bayern. In Franken und im Elsaß wurde nach Bernold die Beobachtung des Friedens ebenfalls geschworen39 • Die bayerische Schwurformel ist uns erhalten40 . Sie ergänzt den Bericht Bernolds um eine Reihe weiterer Angaben zum Friedensprogramm. Die Verletzung der Pax (c. 1), der große Diebstahl41 und das virginem rapere, also Frauenraub und Notzucht42, werden ohne Berücksichtigung der Standesunterschiede mit einer peinlichen Strafe bedroht, und zwar gleichmäßig mit Blendung, Hand- oder 36 Zu den spärlichen sonstigen Überlieferungen vor 1103 vgl. Herzberg-Fränkel S. 145 f., 154. - Besondere Beachtung verdient das Bamberger Friedensgebot Heinrichs IV. von 1099 (MGH. SS. VI, 210 f.; dazu Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 99 Fn. 119). Näheres über ein Friedensprogramm erfahren wir aus der kurzen Notiz Frutolfs nicht, insbesondere nicht, mit welchen Strafen und in welchem Umfang die latrocinantes furtisque studentes (hierzu Gernhuber S. 34 f.) bekämpft werden sollten. Ob es sich um eine selbständige Friedensordnung handelt, muß infolgedessen offen bleiben. Vermutlich handelt es sich lediglich um einen Beitrag Heinrichs IV. zur Durchsetzung des Mainzer Gottesfriedens. 37 MGH. SS. V, 457 f. In den Annales Augustani a. 1094, MGH. SS. III, 134, heißt es nur: Alemannia aliaeque provintiae pacificantur. - Zum Ulmer Frieden und den übrigen oberdeutschen Statuten vgl. bes. Herzberg-Fränkel S. 145 ff.; Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 73 ff.; Meyer (Fn. 4), S. 18 f.; K. S. Bader, Probleme des Landfriedensschutzes im mittelalterlichen Schwaben, in: Zeitschrift rur Württemberg. Landesgeschichte NF 3 (1939), S. I-50, bes. S. 12 f., 36. 38 So auch Herzberg-Fränkel S. 145; anders Gernhuber (S. 68, 74), der diese Stelle auf den Eidzwang bezieht. 39 Möglicherweise haben die oberdeutschen Landfrieden von 1093/94 den in der Mark Istrien geleisteten Schwur (MGH. Const. I Nr. 428, S. 610) mit hervorgerufen (vgl. Vorbemerkung ebenda); ihrem Inhalt nach ist dieforma sacramenti mit den deutschen Landfrieden aber nur zum Teil zu verg!eichen, so etwa c. 3. 40 MGH. Const. I Nr. 427, S. 609 f. 41 Der kleine Diebstahl wird milder behandelt (c. 2). 42 His. Strafrecht 2, S. 150 ff., 157 ff., bes. 151.

4 Wadi.

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Fußverlust (c. 3). Die Pflicht aller coni7.1ratores zur Verfolgung des Friedbrechers wird hervorgehoben (c. 5). Burgen, die einem Friedbrecher Schutz gewähren, sollten zerstört werden. Der Flüchtige sollte sein Vermögen verlieren (c.4t 3 •

Im Elsaß wurde der Friede stärker abgewandelt44 • Anders als im Ulmer und im bayerischen Frieden erfaßte hier die Pax (cc. 1, 9) die Schwurgenossen nicht; dafiir war sie in anderer Hinsicht erheblich erweitert. Neben die Pax tritt eine dem Mainzer Gottesfrieden entsprechende Treuga, die alle coniuratores mit Haus und Hof schützt (cc. 2, 3). Der Friedbruch sollte an Freien mit dem Tode, an Knechten mit dem Handverlust bestraft werden (c. 3). Eine Differenzierung nach den Verletzungshandlungen ist grundsätzlich (Ausnahme: c. 7) unbekannt. Die Verantwortung aller bei der Handhabung des Friedens wird betont durch die Hervorhebung der Gerüftfolge (cc. 5, 8) und die Bestrafung der Begünstigung (c. 4).

In. Die Friedenssatzungen von 1093/94 markieren eine Wende; mit ihnen wuchs die deutsche Friedensbewegung aus dem kirchlichen Bereich heraus45 . Die Frieden von Lüttich und Köln sind auf die Initiative von kirchlichen Amtsträgern hin zustande gekommen; fiir den Goslarer und den Mainzer Frieden ist ei-

43 Zur umstrittenen Bedeutung des perfuga diffinitum patiatur vgl. Herzberg-Fränke/ S. 146 mit Fn. 2.; Schne/bög/ S.40 Fn. 2; Gernhuber, Landfriedensbewegung S.257 Fn.107. 44 MGH. Const. I Nr. 429, S. 611 ff. - Zur umfangreichen Diskussion um diesen Text Gernhuber. Landfriedensbewegung S. 42 Fn. 6; auch L. Silt/er, Papst Leo und der Gottesfriede im Elsaß, in: L. SittlerlP. Stintzi, Saint Leon IX, le pape Alsacien, Colmar 1950, S. 117-122, hier: S. 119 f.; Hoffmann (Fn. 8), S. 88 f. 4S Eine strenge Trennung von Gottes- und Landfrieden, wie sie etwa von Gernhuber (Landfriedensbewegung S. 44 ff.) bellirwortet wird, ist sicherlich nicht angebracht; zur Unterscheidung zuletzt ausfiihrIich Hattenhauer S. 140 ff.; auch Bader, Probleme S. 11; HojJmann S. 4 f. - Der Friede von Goslar und der Elsässische Friede nehmen eine gewisse Zwischenstellung ein (Hattenhauer S. 163 0; gleichwohl dürfte es gerechtfertigt sein, beide Statute - ohne ihnen Gewalt anzutun - nach Initiativperson und Geltungsbereich einzuordnen, und zwar den Goslarer Frieden als Gottesfrieden und den Elsässischen Frieden als Landfrieden; ebenso hinsichtlich des Goslarer Friedens: Schnelbögl, Besprechung von Joachim Gemhuber "Die Landfriedensbewegung .... ", in: ZRG GA 70 (1953), S. 344-349, hier S. 347. - Zur Unterscheidung innerhalb der französischen Friedensbewegung vgl. Hoffmann S. 155, 171, 183.

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ne solche Initiative zu vermuten46 • Bei den oberdeutschen Friedensordnungen hingegen liegt die Initiative zur Errichtung und Verbreitung bei den weltlichen Fürsten. Die Geltung der Gottesfrieden orientiert sich an kirchlichen Amtssprengeln; in Mainz und wohl auch in Goslar wird diese Orientierung zwar verallgemeinert, aber nicht grundsätzlich aufgegeben47 • Bei den Frieden von 1093/94 wird der Geltungsbereich nicht mehr durch die kirchlichen Sprengel bestimmt. Der Ulmer Friede gilt, wie Bemold48 sagt, in Alamannia. Er wird ausgedehnt nach Baioaria, Francia und Alsatia. Bemold nennt sie alle provinciae. Die bayerische Schwurformel (c. 1) spricht vom regnum, das elsässische Statut in der Einleitung von dem Schwur der Alsatienses ... iuxta comprovincialium suorum decretum und später (c. 6) von der patria. Es sind die Stammesgebiete, auf die hier Bezug genommen wird49 • Aus dem Bistumsfrieden ist ein Stammes-, ein Landfriede so, geworden 51 . Die Zielsetzung bleibt freilich die gleiche: die Strafe richtet sich gegen bestimmte Verletzungshandlungen, gleichgültig, ob sie mit einer Fehde in Zu46 Lüttich: vgl. Anm. 33; Köln: cc. 1,2,4,13,14,17; Mainz: c. 1 (Sancta ecclesiatractavimus) c. 14 (a nobis) c. 15 (sanximus) c. 18 (banno nostro interdicimus); Goslar: Pax dei (Überschrift) und die cc. 7 u. 11 deuten auf eine Initiative der Kirche hin; vgl. Schnelbögl in: ZRG GA 70 (1953), S. 347. 47 Vgl. Fn. 25, 27, 33. 48 MGH. SS. V, 458. 49 Vgl. etwa 0. Brunner, Land und Herrschaft, 5. Aufl. Darmstadt 1965, S. 180 ff., bes. S. 186 f.; W. Schlesinger, Herrschaft und Gefolgschaft in der germanisch-deutschen Verfassungsgeschichte, in: Beiträge zur Deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Bd. 1 (1963), S. 9-52, hier S. 44 tf.; G. Köhler, Land und Landrecht im Frühmittelalter, in: ZRG GA 86 (1969), S. 1-40. 50 Die üblichen Bezeichnungen "Landfriede" und "Reichsfriede" werden auch im Folgenden für die nach Initiativperson und Geltungsbereich weltlichen Friedensordnungen beibehalten, obgleich die Statuten der Frühzeit diese Begriffe oder ihre lateinischen Entsprechungen nicht kennen. Die eingebürgerte Bezeichnung "Reichslandfriede" ist in sich widersprüchlich und sollte deshalb vermieden werden; so jetzt auch K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff im 12. Jahrhundert, in: Probleme des 12. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen XII), Sigmaringen 1968, S. 309-335, hier S. 310. - Landfriede als "ein das ganze Land umspannender Friede" (so His, Strafrecht 1, S. 7 f.) kann rechtlich zweierlei bedeuten; einmal: das ganze Land trägt den Frieden (schützt), zum anderen: das ganze Land genießt den Frieden (wird geschützt). Im letzten Sinn wird der Begriff oft verwendet, obwohl damit ausschließlich die territoriale Komponente betont und so eine bestimmte, nämlich die rein territoriale Geltungsweise des Friedensrechts impliziert wird. Um eine solche Einseitigkeit zu vermeiden, sollten Land (Reichs)-frieden als Rechtsbegriffe lediglich kennzeichnen die Verpflichtung derjenigen, die das "Land" ("Reich") darstellen, auf bestimmte, einen (zumeist nur beschränkten) tatsächlichen Friedenszustand anstrebende Normen. 51 In diesem Zusammenhang verdient Erwähnung, daß Ph. Heck, Der Ursprung der gemeinfriesischen Rechtsquellen (Küren, Landrechte und Überküren) und der friesische Gottesfrieden, in: Neues Archiv (NA) 17 (1892), S. 567-598, hier S. 570, Teile der friesischen Küren und Landrechte mit den deutschen Gottesfrieden nach 1085 in Verbindung bringt.



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sammenhang stehen oder nicht. Soweit die Strafe reicht, ist auch jede rechte Gewalt ausgeschlossen52 • Auch die Wege, auf denen die frühen Gottes- und Landfrieden dieses Ziel zu erreichen suchen, sind im Grunde dieselben. Die Verbindung der Strafe mit dem Sonderfrieden in der Gestalt von "Pax" und "Treuga" einerseits, das Ansetzen der Strafe an bestimmten näher umschriebenen Handlungen andererseits ist in beiden Ausformungen der Friedensbewegung zu fmden. Eine gewisse Verlagerung bedeutet die Aufgabe der Treuga im Ulmer und im bayerischen Frieden. Trotzdem ist durch die zeitliche Befristung des ganzen Friedensprogrammes aber die charakteristische Wirkungsweise der Treuga, ihre intermittierende Funktion, erhalten geblieben. Wesentliche Unterschiede weisen auch die verwendeten Sanktionen nicht auf, da die deutsche Friedensbewegung von Anfang an weltliche Strafen kennt, und zwar peinliche Strafen neben anderen Sanktionen53 • Wenn in den Gottesfrieden zusätzlich kirchliche Strafen, insbesondere die Exkommunikation, verhängt werden, so ist dies nur ein Ausfluß ihres kirchlichen Ursprungs. Der Zusammenhang mit dem kirchlichen Bereich geht auch in den frühen Landfrieden nicht ganz verloren. Der Elsässische Friede etwa kennt nicht nur den auf kirchlichen Vorstellungen beruhenden Gedanken der Treuga (c. 2), sondern auch eine Exkommunikationsandrohung (c. 14), wenngleich gerade hier unklar bleibt, ob sie nicht auf ältere Friedensbemühungen ZUTÜckgeht54 • Der Ulmer Friede verdankt seine Entstehung letztlich dem beherrschenden Einfluß Gebhards von Konstanz auf die süddeutschen Herzöge, insbesondere auf seinen Bruder Bertold von Zähringen. Nimmt man hinzu, daß Gebhard Mönch in Hirsau war und auch als Bischof engen Kontakt zu diesem Kloster unterhielt, so werden die Zusammenhänge mit der kirchlichen Reformbewegung noch deutlicher55 • Alle diese Gemeinsamkeiten von Gottesfrieden und Landfrieden können jedoch den grundsätzlichen Wandel nicht überspielen. Der entscheidende Schritt rur die weitere Entwicklung der Friedensbewegung war getan: sie war in den weltlichen Bereich übergetreten. Die Bestätigung des Mainzer Gottesfriedens in Nordhausen und der Konstanzer Friede von 1105 sind nur noch Nachklänge einer älteren Gestalt der

Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 46 u. ö.; Hattenhauer S. 86 ff., bes. S. 110. Dies hebt Schnelbögl (Fn. 4), S. 27 ff. zu Recht hervor. Auch die französische Friedensbewegung kennt schon vor der Mitte des 12. Jahrhunderts weltliche Strafen; HofJmann S. 55, 84 u. ö. 54 Daß das elsässische Statut als ganzes in die Zeit Heinrichs III. (so Goecke, Anfänge S. 34 ff.) oder Leos IX. (so Sittler S. 119 ff.) gehöre, ist unwahrscheinlich; vgl. HofJmann S. 218; auch die Vorbemerkung zu MGH. Const. I Nr. 429 S. 611. 55 Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 60, 73 f.; Bader, Probleme S. 36; Meyer von Knonau 3, S. 606 ff.; 4, S. 116 f. u. a. m. 52

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Friedensbewegung56 • Ähnliches gilt auch fiir den von 1103 im Bistum Würzburg geschworenen Frieden; er war vennutlich eine Fortfilhrung und Konkretisierung des Mainzer Friedens von 1085 57 • Der Reichsfriede von 1103 hingegen setzt die Linie der süddeutschen Landfrieden fort. Bereits zum Weihnachtsfest des Jahres 1102 war der Kaiser nach Mainz gekommen, wohin er die Großen des Reiches geladen hatte 58 • Den Höhepunkt erreichte die Versammlung erst am Fest der Erscheinung des Herrn. Während des Hochamtes gab der Kaiser den Plan einer Pilgerfahrt ins Heilige Land bekannt. Das Vorhaben stieß beim Volk (vulgus) ebenso wie bei Fürsten, Klerikern und dem ganzen Reich auf lebhafte Resonanz. Viele verpflichteten sich, den Kaiser auf seiner Fahrt zu begleiten. Am gleichen Tage vennutlich wurde auch der Reichsfriede errichtet. Hierüber erfahren wir vor allem durch den bereits erwähnten, von Weiland Pax Moguntina betitelten Text. Bei ihm handelt es sich nicht um eine Friedensurkunde, wie sie uns etwa aus der Stauferzeit bekannt sind, sondern um den Bericht eines anonymen Autors59 . Danach hat der Kaiser in Mainz den Frieden mit eigener Hand gefestigt und aufgestellt (sua manu firmavit et instituit). Die Erzbischöfe und Bischöfe, so flihrt der Bericht fort, hätten den Frieden ebenfalls mit eigenen Händen bekräftigt, der Sohn des Königs habe geschworen und ebenso die Großen des ganzen Reiches, Herzöge, Markgrafen, Grafen und viele andere. Herzog Welf, Herzog Bertold und Herzog Friedrich hätten den gleichen Frieden geschworen bis Pfmgsten und von dann rur vier Jahre. - Die übrigen Quellen bestätigen diese Angaben und ergänzen sie zugleich. Die Annales Augustani60 erwähnen im Zusammenhang mit der Errichtung des Friedens, Heinrich habe die rebellischen Sachsen mit sich ausgesöhnt und allen, die seine Gnade entbehrten, Verzeihung gewährt: Heinricus imperator Mogontiae commoratus in epiphania, regnum per quadriennium cum iuramento pacificari constituit, Saxones rebelIes sibi reconciliavit cunctisque gratia sua carentibus commissa dimisit. Ähnliches teilt uns Sigebert von Gembloux61 mit: Heinricus imperator sedatis Saxonum motibus pacem in quadrien-

56 In beiden Fällen (Nordhausen: MGH. SS. VI, 227: et pax Dei confirmatur; Konstanz: MGH. Const. I Nr. 431 S. 615 f.) handelt es sich um Frieden, die von Gegnern der kaiserlichen Partei errichtet wurden; von besonderem Interesse ist der Einfluß, den Gebhard von Konstanz nicht nur im eigenen Bistum, sondern auch auf der Nordhäuser Synode ausgeübt hat; vgl. Meyer von Knonau 5, S. 233 ff., 272, bes. 225 Fn. 24; Bader, Probleme S.37; Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 43 f. Zur besonderen Stellung des Konstanzer Friedensprograrnmes zuletzt Hattenhauer (Fn. 1), S. 118, 129. 57 Mon. Boica 37 Nr. 72 S. 31 ff.; dazu Herzberg-Fränkel S. 155. 58 Zu den Vorgängen in Mainz ausfiihrlich Meyer von Knonau 5, S. 174 ff. 59 Zur Charakterisierung des Textes vgl. etwa Herzberg-Fränkel S. 157 ff.; Schnelbögl S. 42 ff.; Weiland, Vorbemerkung zu MGH. Const. I Nr. 74 S. 125. 60 MGH. SS. III, 135. 61 MGH.SS. VI, 368.

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nium constituit. Der Biograph Heinrichs62 schließlich berichtet, der Kaiser habe, damit überall Friede und Ruhe einkehrten, die Fürsten zu einem Hoftag zusammengerufen und den Frieden per totum regnum schwören lassen (sub iuramenta jirmari Jecit); um den Gewalttaten zu steuern, habe er schwere Strafe für die Friedbrecher festgesetzt (gravem poenam in transgressores decrevit). Das Schwörenlassen des Friedens einerseits und das Festsetzen der Strafe andererseits werden dann in der Bezeichnungpacis decretum zusammengefaßt. Die Ereignisse des Mainzer Reichstages lassen bereits erkennen, worin sich der politische Hintergrund der Friedenserrichtung von dem der oberdeutschen Landfrieden unterscheidet. 1093 ging es den Herzogen Süddeutschlands nicht zuletzt darum, die eigenen Kräfte für den Kampf gegen Heinrich und seine Anhänger zu sammeln; die ausdrückliche Herausnahme des kaiserlichen Bischofs Arnold und seiner Jautores aus dem Schutz der Pax läßt dies deutlich erkennen. 1103 hingegen waren die inneren Gegensätze weitgehend abgebaut. Welf, Bertold und Friedrich, deren Friedensschwur ausdrücklich genannt wird, hatten sich bereits 1098 untereinander und - zum Teil schon früher - mit dem Kaiser ausgesöhnt63 . In Mainz folgte nun die endgültige Versöhnung mit den Sachsen nach64 . Der Reichsepiskopat stand zu dieser Zeit als "Verteidiger des Königsrechts" auf der Seite Heinrichs IV. 65 • Ansehen und Macht des Kaiser8 hatten einen Höhepunkt erreicht. Die Beziehungen zur Kurie waren indes schon im Vorjahr in eine neue Krise geraten66 • Paschalis 11. war dem Kaiser nicht entgegengekommen, sondern hatte durch seinen Bannspruch den Konflikt wieder verschärft. Die Bereitschaft Heinrichs, nach Jerusalem zu pilgern, war wohl Bestandteil eines Versuches, das Verhältnis zur Kurie zu entspannen. Die gleichzeitige Errichtung eines Reichsfriedens diente zwar auch der "innenpolitischen" Absicherung des geplanten Kreuzzuges67 , letztlich dürfte sie aber weitergehenden Überlegungen entsprungen sein. Denn es fällt auf, daß man in der Verbindung der bewaffneten 62 Vita Heinrici IV. imperatoris, hg. von F.-J. Schmale, in: Ausgewählte Quellen XII, Darmstadt 1963, hier: c. 8, S. 438, 440. Die Angaben des Biographen sind zwar zeitlich und örtlich nicht näher fixiert, sie werden jedoch ziemlich allgemein auf den Mainzer Frieden von 1103 bezogen, so etwa von Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 82; Schmale S. 439 Fn. 1. Vorsichtiger noch Herzberg-Fränkel S. 143 f.; Nitzsch (Fn. 3), S. 271 ff. bezog den Bericht auf den Gottesfrieden von 1085; dazu die Kritik HerzbergFränkels a. a. O. 63 Meyer von Knonau 5, S. 172 ff. 64 Über die Anwesenheit sächsischer Fürsten am Hofe Heinrichs IV. in Mainz 1103 und danach in Speyer und am Niederrhein vgl. Meyer von Knonau 5, S. 178 ff. 65 J. Fleckenstein, Heinrich IV. und der deutsche Episkopat in den Anfangen des Investiturstreites, in: Adel und Kirche, Festschrift für G. TeIlenbach, FreiburglBasel/Wien 1968, S. 221-236, hier S. 235 f. 66 Meyer von Knonau 5, S. 80 ff., 146 ff., 170 ff. 67 So - wohl etwas einseitig - Jordan, in: GebhardiGrundmann, Handbuch I, S. 351.

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Wallfahrt mit der Sorge fiir den Frieden im Innern das Programm aufgriff, das Urban 11. 1095 in Clermont aufgestellt hatte 68 • Möglicherweise versprachen sich Heinrich und seine Ratgeber von einer Realisierung gerade dieser päpstlichen Forderungen politische Vorteile im Verhältnis zur Kurie. Faßt man den Inhalt des Mainzer Friedens näher ins Auge, so ist zunächst festzuhalten, daß der Biograph nicht nur die schweren Strafdrohungen erwähnt, er schildert auch eingehend die Auswirkungen des Friedens; diese lassen einen groben Rückschluß auf das Friedensprogramm zu. Die Kaufleute, Schiffer, Bauern und alle kleinen Leute insgesamt haben danach den größten Nutzen aus dem Frieden gezogen. Die Herren hingegen und ihr ritterliches Gefolge seien die in erster Linie Betroffenen gewesen, weil ihnen die Möglichkeit der Fehde, die - wie der Biograph abschätzig sagt - licentia rapinorum, entrissen worden sei. Genaueres über den Inhalt erfahren wir aus dem anonymen Bericht. Der Friede, so heißt es im ersten Teil des Textes, sei den Kirchen, Klerikern, Mönchen, Kaufleuten, Frauen und Juden geschworen worden69 • Neben dieser Pax enthält der Bericht in seinem zweiten, mit dem Satz iuramentum tale est eingeleiteten Teil eine Reihe weiterer Bestimmungen. Danach soll mit Blendung oder Handverlust bestraft werden, wer in das Haus eines anderen gewaltsam eindringt oder es brandschatzt; wer einen anderen propter pecuniam, also wegen einer Geldschuld, gefangennimmt, verletzt, schlägt oder tötet; wer einen großen Diebstahl oder Raub begeht; und schließlich, wer einen Friedbrecher verteidigt. Die Burg, in der ein Friedbrecher Schutz sucht, soll von den coniuratores belagert und zerstört werden. Wer das Urteil flieht, soll Lehen und Eigen verlieren. In seinem letzten Satz gewährt das iuramentum dem verfolgten inimicus Asylrecht in Haus und Hof eines anderen.

68 Zur Synode von Clennont und zum Wirken Urbans II. und Paschalis II. rur den Frieden vgl.: C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935, Nachdruck Dannstadt 1955, S. 304 ff.; Hoffmann (Fn. 5), S. 201 Fn. 21, 221 ff., 225. 69 laicis ist früher offenbar aufgrund der Pertzschen Edition (MGH. LL. II S. 60 f.: Iuraverunt, dico, pacem aeclesiis, c1ericis, monachis, laicis, mercatoribus, mulieribus ne vi rapiantur, Judeis) mit "Laienbrüder" (Göcke S. 75; Herzberg-Fränckel S. 158) und "Laien (Laienpriester)" (Kluckhohn S. 82) wiedergegeben worden; nach der Ausgabe Weilands (MGH. Const. I Nr. 74) ist laicis auf die danach genannte Gruppe von Laien zu beziehen. Daß alle Laien (so offenbar Meyer von Knonau 4, 175 - im Ergebnis liefe dies auf einen Pax-Umfang hinaus, der demjenigen des bayerischen Friedens c. 1 sehr ähnlich wäre) geschützt sein sollten, ist unwahrscheinlich, wenn man c. 1 des elsässischen Friedens zum Vergleich heranzieht (dazu Text zu Fn. 48 f). - Zur Deutung des Zusatzes ne vi rapiantur vgl. Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 202 f.

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Ob diese Bestimmungen das Mainzer Friedensprogramm vollständig wiedergeben, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich war es etwas umfangreicher70 • Zur Ergänzung hat man immer wieder auf den Schwäbischen Landfrieden von 1104 zurückgegriffen, der in derselben Münchener Handschrift enthalten und von derselben Hand geschrieben ist71 . Er stimmt mit der Pax Moguntina im wesentlichen überein72 und ergänzt sie im Grunde nur um eine Reihe von Verfahrensbestimmungen. Diese Sätze entsprechen der Verpflichtung aller auf den Frieden und betonten besonders die GeTÜftfolge und die Rolle von Herzog, Graf und maiores bei der Erzwingung der Strafe. - Man wird in diesem Frieden, den Herzog Friedrich und viele Grafen schwuren und dem die Bischöfe von Eichstätt und Augsburg zustimmten (pax iurata est a duce Friderico et a multis comitibus, episcopo Augustensi et Eistetensi episcopo et utriusque prioribus consentientibus), eine Konkretisierung der Pax Moguntina sehen dürfen. In ähnlicher Weise wie der UImer Friede von 1093 in denpotestates der einzelnen Fürsten verbreitet wurde, mußte auch der in Mainz verkündete Friede durch weitere Akte ausgedehnt werden, um möglichst alle zu erfassen, die als Friedensstörer in Betracht kommen konnten. Bei einer solchen "stufenweisen" Errichtung des Friedens war eine Abänderung des Friedensprogrammes und seine Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten nicht ausgeschlossen 73 • Deshalb bleibt auch ungewiß, wie weit der Schwäbische zur Vervollständigung des Mainzer Friedens herangezogen werden darf. Sicher ist wohl nur, daß man das Fehlen einer Sanktion filr den Friedbruch nach der vollständigeren Bestimmung des schwäbischen Textes ergänzen kann.

70 So vor allem Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 68 Fn. 25 (Bestrafung der Eidverweigerer), S. 208 f. (Furagierrecht und Bauernpax), S. 235 Fn. 27 (Paxbruchstrafe); Sehnelbögl S. 44 (vgl. auch Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 218 Anm. 146) möchte die Bestimmung über die Diebstahlsstrafe entsprechend der Abstufung des elsässischen Friedens ergänzen. 71 MGH. Const. I Nr. 430 S. 613 ff.; hierzu etwa Herzberg-Fränkel S. 159 ff.; Waitz. Seeliger 62, S. 544 n. 2; Gernhuber bes. S. 74, 94 f. 72 Näheres bei Herzberg-Fränkel S. 160 f. 73 Über den Zusammenhang von Reichsfrieden und schwäbischem Landfrieden vgl. außer Herzberg-Fränkel noch Meyer von Knonau 5, S. 175 f. Grundsätzliches zum Verhältnis ReichsfriedelProvinzialfriede unter Einbeziehung der Frage nach Geltungsgrund und -weise der Friedensordnungen bei Landwehr (Fn. 1), S. 92 ff. Der Mainzer Friedensschwur Herzog Friedrichs hindert eine "Besserung" des Friedens in Schwaben nicht; in der Person des Verpflichteten können sich verschiedene Friedensprogramme überschneiden, da eine rechtliche Bindung nur gegenüber den eoniuratores besteht.

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IV. Der Reichsfriede von 1103 greift Strukturelemente seiner Vorgänger auf. Die inhaltlichen Unterschiede liegen weniger im Grundsätzlichen als in der näheren Ausgestaltung der verwendeten Elemente. Die Pax ist zum Teil enger, zum Teil weiter als die der Vorgänger74 • Neu ist lediglich die Aufnahme der Juden; sie ist eine Folge der durch den ersten Kreuzzug (1096) ausgelösten Judenpogrome in den lothringischen und rheinischen Städten75 • Für die übrigen Bestimmungen fmden wir in den älteren Friedensordnungen regelmäßig Vorbilder, von denen die Sätze des Reichsfriedens mehr oder minder stark abweichen76 • Im ganzen gesehen kommt das Mainzer Friedensprogramm dem bayerischen am nächsten77 • Beide kennen nur eine einheitliche Friedbruchstrafe, die auf den Stand des Friedbrechers oder auf die Art des Friedbruches keine Rücksicht nimmt. Trotz dieser einheitlichen Strafdrohung entfernen sich beide Friedensordnungen weiter als die anderen von der Idee des Sonderfriedens, indem sie die Strafe in stärkerem Maße an bestimmten tatbestandsähnlich umschriebenen Verletzungshandlungen ansetzen. Ein wichtiger Unterschied ist aber nicht zu übersehen. Das bayerische Friedensstatut erzielt durch die Ausdehnung der Pax auf alle Schwörenden praktisch ein absolutes Fehdeverbot, während der Mainzer Friede seine Ziele nicht so weit steckt. Im Gegenteil, die Fehde wird im Zusammenhang mit der Erwähnung des Asylschutzes sogar ausdrücklich gestattet: Si in via occurrerit tibi inimicus tuus, si possis illi nocere, noceas. Alle diese Abwandlungen und Ergänzungen des Programmes der älteren Friedensstatute machen indes nicht die eigentliche Bedeutung des Friedens von 1103 aus. Sie liegt in der Tatsache, daß die Friedensbewegung zum ersten Mal vom Kaiser aufgegriffen und auf das ganze Reich ausgedehnt wurde. Inwieweit die inhaltliche Gestaltung des Friedensprogrammes auf Heinrich IV. und seine Umgebung zurückgeht, muß letztlich offenbleiben. Allenfalls die Aufnahme der Juden in den Friedensschutz mag durch den Kaiser veraniaßt worden sein. Heinrich hatte schon vor den Verfolgungen des Jahres 1096 großes Interesse am Judenschutz bekundet, und im Konflikt mit Erzbischof Ruothard von Mainz,

74 Vgl. Mainzer Gottesfriede c. 16; Ulmer Friede MGH. SS. V, 457; Bayerischer Friede c. 1; Elsässischer Friede c. 1. 75 Meyer von Knonau 4, S. 491 ff. 76 Schutz des Hauses: Goslarer Friede cc. 3, 4; Elsässischer Friede c. 3. - DiebstahllRaub: Bayerischer Friede cc. 2, 3; Elsässischer Friede cc. 3, 7. - Begünstigung: EIsässischer Friede c. 4. - Einschränkung der Fehde propter pecüniam: ähnlich Bayerischer Friede c. 7; Elsässischer Friede c. 10; vgl. auch Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 183 f. - Verstümmelungsstrafe: Lütticher Friede MGH. SS. XXV, 90 Z. 14 ff.; Kölner (Mainzer) Friede c. 7; Goslarer Friede cc. 2, 4; Bayerischer Friede c. 3. 77 Anders Schnelbögl (Fn. 4), S. 43, der die Anklänge an den Elsässischen Frieden stärker betont.

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der an der Errichtung des Reichsfriedens nicht teilnahm, haben die Pogrome und ihre rechtlichen Konsequenzen eine größere Rolle gespielt78 • Die Unmöglichkeit, einzelne Punkte des Programms einer kaiserlichen Initiative zuzuschreiben, ändert indes nichts an der Tatsache, daß die Pax Moguntina der erste Reichsfriede ist und zugleich das erste von der Autorität des Kaisers getragene Friedensstatut überhaupt.

v. Das ganze Gewicht dieser Feststellung wird deutlich, wenn wir einen kurzen Blick auf den Fortgang der Friedensbewegung nach dem Tode Heinrichs IV. werfen79 • Das Weiterwirken des Friedensprogrammes von 1103 ist kaum zu erfassen. Der Mainzer Friede ist seinem Inhalt nach zu stark mit den übrigen Statuten der Frühzeit verwoben, als daß die eine oder andere Bestimmung der späteren Landfrieden auf ihn zurückgefiihrt werden könnte. Eine gewisse Ausnahme bildet wiederum allein die Pax der Juden, die bis 1224 regelmäßig in den Friedensordnungen wiederkehrt80 • Anderes gilt von der Beteiligung des Kaisers und der Ausdehnung der Friedensbewegung auf das ganze Reich. Über das Geschehen bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts sind wir zwar nur dürftig unterrichtet; unter den sieben überlieferten Landfrieden findet sich aber nur einer, der nicht vom König veraniaßt war und sich nicht über das ganze Reich erstreckt hat, nämlich der bayerische Landfriede von 1127. Auch danach überwiegen bis zum Reichsfrieden von 1235 die vom Kaiser oder König initiierten Friedensordnungen, wenngleich sie nicht alle fiir das ganze Reich gegolten haben.

VI. Der Landfriede war nach 1103 eine der wichtigsten Ausdrucksformen der königlichen Sorge fiir Recht und Frieden. Die Vorstellung, daß die Friedenswahrung eine der vornehmsten Aufgaben des Königs sei, durchzieht indes -

78 Meyer von Knonau 4, S. 276 f., 5, 78 ff.; G. Kisch, Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters, Stuttgart 1955, S. 56 ff. 79 Dazu vgl. Sehnelbögl S. 45 ff.; Gernhuber, Landfriedensbewegung S. 76 ff., 84 ff., 95 ff. 80 Gernhuber S. 203. - Bader, Probleme (wie Fn. 37), S. 37 spricht von "einem fast formelhaften Anklang" späterer Landfrieden an die Pax Moguntina, ohne hierzu nähere Hinweise zu geben.

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wenn auch nicht mit gleichbleibender Intensität - das ganze Mittelalter81 • Die Frage liegt nahe, wie die Realisierung dieser Aufgabe vor dem Einsetzen der Friedensbewegung ausgesehen hat. Daß es hier nur darum gehen kann, die Verhältnisse der unmittelbar vorausgehenden Jahrzehnte zu beleuchten, dürfte auf der Hand liegen82 • In der Zeit Heinrichs IV. wird viel vom Frieden gesprochen; dies ist verständlich angesichts der anhaltenden Kämpfe und Unruhen. Immer wieder ist von Friedensschlüssen, von foedera pacis und vom pactum pacis, vom pacem facere und von der pax et gratia des Königs die Rede 83 • Besondere Aufinerksamkeit haben - sieht man von dem Eid der italienischen Großen im Jahre 1077 einmal ab84 - in der Literatur aber zwei Überlieferungen gefunden, die beide die Tätigkeit Heinrichs in Sachsen betreffen. In Goslar soll - vermutlich an Weihnachten 1068 - durch königlichen Befehl eine pax et reconciliatio im Volk unter Eid gefestigt worden sein85 • Wenige Jahre später, nach dem Frieden von Gerstungen (1074), hat Heinrich - wie das Carmen de bello saxonico berichtet86 - ebenfalls in Goslar angeordnet, daß im ganzen Lande Ruhe und Friede herrschen solle (per totam patriam pacis iubet esse quietem); die Streitfiille habe er durch gerechtes und billiges Urteil beige81 Einen ersten Höhepunkt erlebte sie in karolingischer Zeit; vgl. etwa die admonitio ad omnes regni ordines von 823/825 (MGH. Cap. I Nr. 150,303 ff.), dazu: Th. Mayer, Staatsauffassung in der Karolingerzeit, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen (Vorträge und Forschungen III), Sigmaringen 1963, S. 169-183, hier S. 174 ("Staatsgrundgesetz des fränkischen Reiches"). Im übrigen vgl. E. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter, in: Das Königtum, S.7-73, hier bes. S. 23, 33, 34, 38, 42, 63, 68; E. Kaufmann, Artikel "Friede", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, I (1971), Sp. 1275-1292 mit weiteren Hinweisen auf ältere Literatur. 82 Zu den Friedensbemühungen des 11. Jahrhunderts: Kluckhohn S. 58 ff., 78 ff.; Goeeke, passim; Herzberg-Fränkel S. 126, 128 f.; Görris S. 203 ff.; insb. Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 35 ff., und Hattenhauer, S. 78 ff., deren Darstellung insoweit gefolgt wird, als sie die in der älteren Literatur besprochenen Maßnahmen der deutschen Herrscher vor 1082 von den späteren Gottes- und Landfrieden grundsätzlich abheben. 83 Vgl. etwa Brunonis Saxonicum bellum, in: Ausgewählte Quellen XII (Fn. 62) cc. 31, 42, 50, 53, 54, 95, 113, 118, 128; Carmen de bello Saxonico, in: Ausgewählte Quellen XII, I 176-178, 187, 190; 11 14; III 6, 7, 31; Ann. Saxo MGH. SS. VI, 301, 310, 321 f. 84 MGH. Const. I, Nr. 68 S. 117. - Obwohl man diesen Schwur als eine "spezifisch italienische Einrichtung" (Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 38 ff.; ähnlich Herzberg-Fränkel, S. 144 f.) sehen kann, fällt die teilweise inhaltliche Ähnlichkeit (bes. c. 2) mit den deutschen Landfrieden auf, insbesondere mit dem Reichsfrieden von 1103. Eine Anlehnung der deutschen Bewegung an das italienische "Vorbild" ist zwar nicht zu beweisen, m. E. aber auch nicht völlig auszuschließen. 85 Bemoldi Chronicon MGH. SS. V, 429; auch Bertholdi Annales SS. V, 274. Hielf1 Meyer von Knonau I, S. 599. Carmen de bello Saxonico 11, 210-213; vgl. auch Meyer von Knonau 2, S. 327. Vgl. auch: Carmen 11 225, 226: Sie ibi depositis rebus pacemque fideli mente gerens factisque probans se transtulit inde.

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legt (iusto iudicio causas componit et aequo). Mit diesen Friedensangeboten knüpfte Heinrich IV. an die Bemühungen seines Vaters an87 , auf die deshalb etwas näher einzugehen ist. Für die Jahre 1043/44 sind mehrere Friedensaktionen Heinrichs III. überliefert 88 • Eine erste ereignete sich 1043 nach dem Friedensschluß mit den Ungarn auf der Synode von Konstanz; eine weitere fand an Weihnachten desselben Jahres in Trier statt, die dritte 1044 nach dem erneuten Sieg über die Ungarn bei Menfö. Andere Vorgänge, die oft übergangen werden, gehören ebenfalls in diesen Zusammenhang: die Mitwirkung der Gesandten Heinrichs bei der Beilegung des Mailänder Bürgerkriegs im Jahre 1043 einerseits und ein Ereignis während des Romaufenthaltes von 1047 andererseits. Am deutlichsten wird das Friedenswerk Heinrichs III. auf der Konstanzer Synode von 1043. Der König89 ermahnte hier das Volk zum Frieden und beschloß seine Rede, indem er allen seinen Gegnern Verzeihung gewährte und alle Anwesenden mit Bitten, Ermahnungen und Befehlen (precibus et adhortationibus - tum precibus tum pro potestate) eindringlich zur Nachfolge aufforderte. Das so begonnene Werk der Vergebung ist auf das Gebot des Königs hin über das ganze Reich verbreitet worden. Alle Streitfalle hat man den Annalen von St. Gallen zufolge in Frieden beigelegt (omnibus rebus in pace compositis). Auf diese Weise hat Heinrich - wie es bei Hermann von Reichenau heißt - einen seit vielen Jahrhunderten unbekannten Frieden herbeigefiihrt und durch sein Gebot befestigt (pacem '" multis seculis inauditam efficiens per edictum confirmavit). Dem entsprechen ganz die Vorgänge in Trier und auf dem Schlachtfeld bei Menfö 90, aber auch das - nur durch eine knappe Überlieferung gesicherte - Ge87 Dies ist einhellige Ansicht der Literatur; Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 37 mitAnm37. 88E. SteindorfJ, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich III., Leipzig 1874, Nachdruck 1963, Bd. I, S. 136 ff., 185 ff., 195 f., 209 f., 241 f., 448 ff.; im übrigen vgl. außer den in Fn. 87 Genannten: G. Ladner, Theologie und Politik vor dem Investiturstreit, BrünnlLeipzig/Prag 1936, S. 70 ff.; K. Schnith, Recht und Friede. Zum Königsgsgedanken im Umkreis Heinrichs III., in: Historisches Jahrbuch 81 (1962), S. 2257; Hoffmann (Fn. 5), S. 88 f.; H. Thomas, Zur Neudatierung der Ecbasis cuiusdam captivi, in: Deutsches Archiv (DA) 23 (1967), S. 312-357, hier S. 373 ff.; Hoffmann, Gottesfriede und Ecbasis captivi, in: DA 25 (1969), S. 230-233. 89 Die im Text folgenden Zitate nach Annales Sangallenses maiores, MGH. SS. I, 85 und Herimanni Augiensis Chronicon MGH. SS. V, 124. 90 Zu Trier: Lamperti monachi Hersfeldensis annales a. 1044, MGH. SS. rer. Germ. (1894), S. 58 f.: Rex nativitatem Domini celebravit Treveris. Ibique omnes qui in regiam maiestatem deliquerant crimine absolvit, eandemque legem per totum regnum promulgavit ut omnes sibi invicem delieta condonarent. Zu Menfö: Annales Altahenses maiores a. 1044, MGH. SS. rer. Germ. (1891), S. 37: ... pro divino munere omnes omnibus dimiserunt qui quippiam in se committentes eis debitares fuerunt.

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schehen in Rom91 • Etwas anderes scheint sich in Mailand zugetragen zu haben; Arnulf2 berichtet, der Bürgerkrieg sei dadurch beigelegt worden, daß die Abgesandten des Königs einen unverletzlichen Frieden geboten hätten: Veniunt ab augusto legati, treguam inviolabilem indicentes; quam totius virtute et consciUo iureiurando confirmant. Das Mailänder Geschehen fUgt sich indes in das Bild ein, das die Ereignisse von Konstanz, Trier und MeniO vermitteln, wenn man auch die Darstellung Landulfs 93 heranzieht; danach gelang es Lanzo, der zuvor den Hof Heinrichs aufgesucht hatte, den Adel zur friedlichen Rückkehr in die Stadt zu bewegen, nachdem es zu einer gegenseitigem Vergeltung der streitenden Parteien gekommen war: homicidiis et opprobriis paulo antea invicem cum populo condonatis. Das Wirken Heinrichs III. fUr den Frieden, das in diesen Ereignissen zutage tritt, weist recht einheitliche Grundzüge auf. Der König will Streitende zum Friedensschluß veranlassen; die Rechtsverfolgung mit den Waffen soll ein Ende haben. Um dies zu erreichen, geht er mit seinem Beispiel voran, wendet er sich mit Bitten und Ermahnungen an die entzweiten Parteien, setzt dazu aber auch sein königliches Gebot ein. Diese sogenannten Indulgenzen und die auf sie abzielenden Friedensangebote wurzeln im königlichen Amtsgedanken, der im Umkreis Heinrichs III. durch seinen heilsgeschichtlichen Bezug eine besondere Ausprägung erfahren hatte 94 • Die tief im Religiösen verankerte Idee des Friedens als einer Verschmelzung von Recht und Gnade bediente sich zu ihrer Realisierung der Möglichkeit, die das herkömmliche Recht bot, nämlich des Abschlusses von Sühneverträgen. Die Kenntnis der Friedensbewegung im französisch-burgundischen Raum mag das Bewußtsein der Größe der Friedensaufgabe zwar intensiviert oder gar erst hervorgerufen haben 95 • Daß indes das edictum und die lex HeinAbt Bem von Reichenau schreibt an Heinrich III.: ac mira et ineffabili clementia non solum his, qui in vobis aliquid deliquerunt, tam praesentibus quam absentibus indulgentiam solito more praestitistis, verum etiam omnes in unanimitatem pacis et concordiae identidem revocastis; vgl. Die Briefe des Abtes Bem "Ion Reichenau, hg. von F.-J. Schmale (1961), Nr. 27, S. 60. 91 Annales Altahenses a. 1045: ante limina sancti Petri relaxatis caeteris debitoribus. 92 Amulfi gesta archiepiscoporum Mediolanensium 11 c. 19, MGH. SS. VIII, 17. 93 Landulfi historia Mediolanensis 11 C. 26, MGH. SS. VIII, 64 f. Dazu vgl. Steindorf!, I, S. 242 Fn. 2: "eine Amnestie nach deutschem Muster". - Die Schilderung, die Landulf von der Einführung der Treuga Dei in Mailand gibt, weicht deutlich von der erwähnten Darstellung des Friedensschlusses ab; vgl. Landulf 11 c. 30, MGH. SS. VIII, 67. 94 Schnith (Fn. 88), bes. S. 45, 51; Ladner (Fn. 88), passim. 95 Daß die westeuropäische Friedensbewegung am königlichen Hof bekannt war, darf als sicher gelten. Für einen Einfluß auf das Werk Heinrichs III. sprechen nicht zuletzt die engen Beziehungen zu Burgund: Heinrich war 1038 in Solothum zum König erhoben worden; 1042 weilte er in Burgund; nach der Synode von Konstanz, dessen räumli-

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richs III. dem typischen Programm der Gottesfrieden entsprochen haben, ist unwahrscheinlich; eine allgemeine Übernahme der Treuga Dei in Deutschland hätte in der Überlieferung sicherlich einen deutlicheren Niederschlag gefunden96 • Aus der Erwähnung einer treuga inviolabilis auf eine Übernahme der französischen Friedensformen durch Heinrich III. zu schließen, erscheint unzulässig, wenn man bedenkt, daß auch Amulf nicht die charakteristische Bezeichnung treuga Dei gebraucht und überdies keine Einzelheiten des gebotenen Friedens mitteilt. Doch selbst wenn man diese Bedenken nicht teilen sollte, so stünde damit noch keineswegs fest, daß ein Gleiches für das Friedenswirken in Deutschland gilt. Wir dürfen demnach davon ausgehen, daß Heinrich III. zwar über die Praxis seiner unmittelbaren Vorgänger hinausging, indem er die Beilegung jeden Streites verlangte und den Frieden auf diese Weise über das ganze Reich zu erstrecken suchte. Im Prinzip unterscheid~t sich diese Friedenswahrung von regional begrenzten Aktionen jedoch nicht; auch ihr geht es letztlich um eine Beilegung der Konflikte von Einzelfall zu Einzelfall. Nur im tatsächlichen Ergebnis umfaßte der von Heinrich III. initiierte Friede das ganze Reich; rechtlich stellt sich der Vorgang jedoch so dar, daß das königliche Gebot überall im Reich zur Beilegung der einzelnen Fehden, zu einzelnen Sühneverträgen, gefUhrt hat97 • Es sind dies die concordiae foedera und foedera pacis, von denen Abt Bern von Reichenau spricht98 •

che Nähe zu Burgund hervorzuheben ist, reiste Heinrich III. nach Besan~on, wo die Verlobung mit Agnes von Poitou erfolgte. Das Trierer Friedensgebot erging wenige Wochen nach der Vermählung mit Agnes; vgl. SteindorjJ 1, S.44, 133 ff., 187, 193, 195. - Über die burgundischen Gottesfrieden vgl. die in Fn. 6 genannte Literatur. 96 Die Möglichkeit eines Übergreifens der typischen Formen der Friedensbewegung auf die westliche Randzone des Reiches wird dadurch nicht ausgeschlossen (vgl. Text zu Fn. 129). 97 Diese Interpretation entspricht derjenigen Gernhubers, (Landfriedensbewegung, S. 32 f.); ähnlich auch C. Erdmann, Konrad 11. und Heinrich III. in der Ecbasis captivi, in: DA 4 (1941), S. 382-393, hier S. 392; Thomas, Neudatierung (Fn. 88), S. 325, und insoweit übereinstimmend: HojJmann, Gottesfrieden und Ecbasis (Fn. 88), S. 230. - Den Verzicht auf die Rechtsverfolgung mit den Waffen könnte man an sich auch als Streitbeilegung im Rechtsweg deuten. Gleichwohl besteht ein wesentlicher Unterschied zur Fehdesühne nicht, wenn man mit K. Beyerle, Das Entwicklungsproblem im germanischen Rechtsgang I (Deutschrechtliche Beiträge X, 2), Heidelberg 1915, S. 69 ff., das Bußverfahren seinem Ursprunge und Wesen nach als Fehdesühneverfahren betrachtet. Das Friedenswerk Heinrichs III. ist keineswegs so einseitig auf die Vergangenheit ausgerichtet, wie dies vielfach (vgl. etwa SteindorjJ 1, S. 450; Gärris S. 203; Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 38; Hattenhauer S. 80) betont wird. Jede Beilegung einer Fehde wirkt auch in die Zukunft; vgl. His, Strafrecht 1, §§ 13, 16; Beyerle S. 307 ff., 345 ff. 98 Bem von Reichenau (Fn. 89), Nr. 27, S. 57. Anders hingegen wohl die moderamina pacis und die foedera pacis der Ecbasis cuiusdam captivi, K. StrE cker (Hg.), MGH. SS. rer. Germ. (1935) V. 130 ff. u. V. 490 ff.; sie beziehen sich, wie der Zusammenhang

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Dem Niedergange der königlichen Macht nach dem Tode Heinrichs III. dürfte es zuzuschreiben sein, wenn in der Folgezeit von einem vergleichbaren Friedewirken des Königs anfangs nichts verlautet und die frühen Friedensgebote Heinrichs IV. in Sachsen nur einen regional begrenzten Bezug haben. Vergleicht man sie mit den Vorgängen nach 1082, so wird nicht nur der grundlegende Wandel des politischen Kräfteverhältnisses deutlich; der Einbruch der Friedensbewegung in das Kemgebiet des Reiches beeinflußte auch die rechtliche Struktur des königlichen Friedenswerkes.

VII. Sühne (pax) und Urfehde erfassen ebenso wie die vorläufige Fehdeeinstellung (Handfriede, Treuga) nur die beteiligten Parteien99 • Der Friede, den Sühne und Handfriede hervorbringen, umschreibt, wie sein Gegensatz, die Fehde lOo, ein Verhältnis zwischen einzelnen Menschen oder Gruppen von Menschen. Wie die Fehde ist auch dieser Friede keine Beziehung, die immer vorhanden ist. Die Fehde, der Kampf ums Recht, um die Wiedergutmachung erlittenen Unrechts, wird aktualisiert durch den Rechtsbruch des einen gegen einen anderen. Wie die Fehde durch ein konkretes Unrecht ausgelöst wird, so der Friede durch eine konkrete Feindschaft. Der Friede ist eine Negation der Feindschaft des einen gegen den anderen. Handfriede und Sühnfriede beseitigen diese Feindschaft, indem sie sie unterbrechen oder aufheben. Man möchte den Frieden, der so zustande kommt, als konkreten Frieden bezeichnen, um ihn von jenem Frieden abzuheben, den die Gottes- und Landfrieden intendieren. Der Friede, den sie anstreben, hat ein doppeltes Gesicht. Einerseits ist er ein Friede, der nicht immer und überall gilt und nicht jedermann umfaßt. Von seiner Schutzfunktion her gesehen ist er beschränkt auf bestimmte Zeiten, bestimmte Personen oder Gegenstände oder auf bestimmte Handlungen. Andererseits ist, wie das häufige si quis und ähnliche Wendungen zeigen, jedermann unter Strafdrohung auf das Friedensprogramm verpflichtet. Von der Strafe wird jeder betroffen, der den Frieden bricht, der die Herbeifiihrung der Strafe verergibt, auf einen zeitlich beschränkten, mit Strafdrohungen abgesicherten und von Gott gebotenen Frieden, vgl. Thomas (Fn. 88), S. 323. Auf die Kontroverse um die Datierung der Ecbasis braucht hier nicht eingegangen zu werden; dazu vgl. die in Fn. 88 genannten Beiträge von Thomas und Hoffmann, die weitere Hinweise geben. 99 Vgl. insbesondere zur Terminologie: His, Strafrecht 1, S. 245 t1, 297 f., 325 f.; ders., Gelobter und gebotener Friede im deutschen Mittelalter, in: ZRG GA 33 (1912), S. 139-223, hier S. 146 f.; Beyerle, Entwicklungsproblem, S. 307 ff.; Huberti. Studien, S. 250 ff. 100 His, Strafrecht 1, S. 266: "Feindschaft der verletzten Partei gegenüber der Täterseite". Zur Fehde zuletzt: E. Kaufmann. Art. "Fehde" in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte I (1971), Sp. \083-1093.

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hindert oder nicht unterstützt. Von der Pflichtseite her gesehen ist der Friede ein unbeschränkter, ein allgemeiner Friede. Dem begrenzten Schutz steht eine allgemeine Pflicht gegenüber. Der Friede ist Sonderfriede, da er nicht allgemein schützt; er ist zugleich allgemeiner Friede, da er alle zum Schutz verpflichtet. Träger des Schutzes und damit Garant des Friedens ist die Gemeinschaft der Verpflichteten, der coniuratores. Sie variiert, wie wir gesehen haben, von Friedensordnung zu Friedensordnung. Bei den Gottesfrieden sind es die zu einem bestimmten Bistum gehörenden Personen; bei den Landfrieden alle, die zu einem bestimmten Stammes land, einer provincia, zählen; beim Reichsfrieden schließlich alle, die zum Reich gehören. - Der Friede, der uns hier entgegentritt, ist die Friedensordnung eines bestimmten, noch überwiegend personal begriffenen Geltungsbereiches, man könnte auch sagen: eines territorial, also an bestimmten (Bistums- oder Stammes-)Grenzen orientierten Personenverbandes. Der Friede ist rechtlich gesehen vom konkreten Fehdefall gelöst. Er erfaßt alle schon entstandenen und möglicherweise noch entstehenden Streitfiille. Er ist, anders als der durch die Sühne bewirkte Friede, ein abstrakter Friede. Er beruht auf einem generell geltenden Recht, das die Fehde grundsätzlich, wenn auch nicht vollständig ausschließt. Das Friedensrecht schränkt den Spielraum, den das alte Herkommen der Fehde gewährt, ein, indem es den Friedbruch ohne Rücksicht auf die Unterscheidung von rechter und unrechter Gewalt mit Strafe belegt, und zwar durchweg mit peinlicher Strafe. Als strafbares Unrecht wird der Friedbruch zur Angelegenheit aller. Zwar ist der Einsatz der Gemeinschaft noch vom Entschluß des Verletzten zur Klageerhebung abhängig, im Falle der Klage tritt die Bezogenheit von Friedbruch und Strafe auf den Friedensverband aber deutlich zutage. In dreifacher Weise weicht das Recht der Gottes- und Landfrieden vom Recht der Vorfriedenszeit ab: durch die Einschränkung der Fehde, durch die generelle Verwendung der peinlichen Strafe und schließlich durch die GarantensteIlung der Friedensgemeinschaft 101 • Das Friedensrecht widerspricht insoweit dem alten Herkommen, es ist also neues Recht. 101 Aus der zahlreichen Literatur sei hier nur verwiesen auf: H. Hirsch, Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter, 2. Aufl. Dannstadt 1958, S. 150 ff.; Gernhuber, Landfriedensbewegung, S.27, 119 ff., 137 ff., 166 ff.; V. Achter, Geburt der Strafe, FrankfurtlMain 1951. - Neu ist nicht nur die Art der Sanktion (peinliche Strafe statt Buße), sondern auch deren generelle Androhung ohne Rücksicht auf die Prozeßsituation und den Stand des Täters. Neu ist zum Teil auch der Anknüpfungspunkt der Strafe, so etwa an Treuga und Pax; insoweit enthalten auch die Gottesfrieden "neues" Recht; besonders deutlich kommt dies etwa in c. 17 des Kölner Gottesfriedens zum Ausdruck: ... statuta traditio est, sed non ut post expletam pacem rapere et predari per villas et per domos audeant, quia quae in illos, antequam ista pax statueretur, lex et sententia dictata est, legitime tenebitur ... - Anders Gernhuber, S. 50 ff.; ähnlich V. Achter, Ursprung S. 23, der zu sehr auf die inhaltlichen Anklänge der weltlichen Strafen der Gottesfrieden an das Recht der Vorfriedenszeit abstellt; seine Deutung der weltlichen Strafen als ak-

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VIII. Mit dieser Feststellung ist die umstrittene Frage nach dem Geltungsgrund der Gottes und Landfrieden angeschnitten 102. Die Alternative "Gesetz" oder "Vertrag", die man, um das Risiko eines Mißverständnisses zu vermeiden, durch die von Wilhelm Ebel 103 herausgearbeiteten begrifflichen "Grundformen" von "Rechtsgebot" und "Satzung, Willkür" ersetzen sollte, braucht fiir die Friedensstatute der Zeit Heinrichs IV. nicht breiter erörtert zu werden 104. Diese Friedensordnungen beruhen mit Sicherheit nicht auf dem Gebot eines Gesetzgebers, sondern auf der eidlichen Selbstbindung aller, die zur Einhaltung des Friedensprogrammes verpflichtet sein sollen. Dies gilt auch fiir die Gottesfrieden, wenngleich vom Eid ausdrücklich nur im Frieden von Goslar die Rede ist (Überschrift und c. 11). Man wird indes auch das pacem cum aliis Deo promittere des Kölner (c. 13; auch cc. 14, 15) und des Mainzer Friedens von 1085 (c. 13) als Friedenseid oder diesem gleich-

zessorische Strafen vermag nicht zu überzeugen, da sie die Sanktion von deren Anknüpfungspunkt isoliert. Letztlich hätte die Kirche durch die Aufrichtung und Umgrenzung von Pax und Treuga doch einen von weltlicher Strafe bisher nicht erfaßten Bereich dieser unterstellt; zu einem solchen generellen Eingriff in den bislang straffreien Raum war selbst der König, die höchste weltliche Macht, nicht berechtigt; vgl. H. Krause. Königtum und Rechtsordnung in der Zeit der sächsischen und salischen Herrscher, in: ZRG GA 82 (1965), S. 1-98, hier S. 62 ff., 95 f. Nicht die weltliche, sondern die geistliche Strafe hat, soweit sie den Eidbruch ahndet, akzessorischen Charakter; ähnlich auch Hattenhauer (Fn. I), S. 155 f.: "Hinzutreten von Kirchenstrafen". Der Ausdruck "Garantenstellung des Friedensverbandes" soll jenen Aspekt der Friedensbewegung umschreiben, den Gernhuber S. 27, 119 ff. mit "Aktivierung der Masse" bezeichnet. Dieser Ausdruck wird m. E. den insbesondere in den Gottesfrieden erkennbaren Ansätzen zur Institutionalisierung der Anteilnahme des Friedensverbandes an der Durchsetzung des Friedensprogrammes (vgl. KölnerlMainzer Gottesfriede c. 15; Lütticher Friedensgericht, s. Fn. 11) nicht voll gerecht. 102 Dazu vgl. vor allem Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 27 f., 64 ff., 149 f.; Hattenhauer (Fn. 1), S. 118 ff., bes. S. 122 ff.; B.Töpjer, Die Anfiinge der Treuga Dei in Nordfrankreich, in: Zeitschrift rur Geschichtswissenschaft 9 (1961), S.876-893, hier S. 889 f.; Landwehr, Königtum und Landfrieden (Fn. 1), passim; Aquist (Fn. 1), S. 24 ff. 103 Die Willkür, Eine Studie zu den Denkformen des älteren deutschen Rechts, Göttingen 1953; ders., Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 2. Aufl. Göttingen 1958, S. 20 ff., 46 ff. 104 Das einseitige Abstellen auf das Gebotselement (so vor allem Gernhuber, Landfriedensbewegung, passim) wird der quellenmäßig belegten Bedeutung des Friedenseides (vgl. ebenda S. 64) kaum gerecht. Der Eid als Einsatz von Hab und Gut fUr den Fall eines Abweichens vom versprochenen Verhalten (Ebel: "bedingtes Selbsturteil") ist mehr als ein deklaratorischer Akt; er ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Sanktion und damit des Friedensrechts. Dies muß nicht dazu fUhren, das Gebotselement völlig zu ignorieren, das seinerseits keine konstante Größe ist (vgl. Fn. 121). Zur Bedeutung des Eides vgl. auch Aquist (Fn. 1), S. 27 ff., der dem Eid der Großen eine andere rechtliche Qualität beimißt als dem Eid der "Bevölkerung". 5 Wadle

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wertiges Friedensgelöbnis verstehen dürfen 105. Auf eine allgemeine Unterwerfung bezieht sich die Erwähnung des consensus; so heißt es im Kölner Statut106, der Friede sei tam c/ero tam populo pari voto consentientibus (c. 2) zustande gekommen, und die weltlichen Friedbruchstrafen (c. 6) werden eingeleitet mit dem Satz: Et ne haec pacis statuta traditio aquavi persona temere et impune violetur, huiusmodi violatoribus in commune ab omnibus est dictata sententia. Der Lütticher Friede wurde errichtet horum omnium petitione consilio et voluntate ... omnium consensu et collaudante omni POpUIO I07 • Die Notwendigkeit einer Selbstunterwerfung ist indes auf die weltlichen Sanktionen beschränkt lO8 • Dies geht schon aus der Textgestaltung des KölnerlMainzer Friedens hervor; während weltliche Strafen in commune ab omnibus (c. 6) festgesetzt sind, werden die kirchlichen Strafen a nobis, banno nostro (cc. 14, 17 - ähnlich cc. 13, 15) angedroht. Kirchenstrafen kann die geistliche Gewalt eben ohne eine Selbstunterwerfung der Betroffenen verhängen. Die Schaffung neuen weltlichen Rechts kann sie nur auf dem Umwege über die Selbstunterwerfung erreichen. Sie kann aber durch geistliche Sanktionen diese Unterwerfung erzwingen und die verwillkürte Strafe in ihrer Durchschlagskraft erhalten: wer den Frieden nicht versprechen oder halten will, wird exkommuniziert (c. 13); mit derselben Strafe wird die Geldannahme pro redimendis qui in culpa deprehensi fuerint (c. 15) geahndet, um die Verfilgbarkeit der weltlichen Sanktionen (vindictas superius dictatas) und damit die Ausübung von "Gnade" 109 auszuschließen. Auf einer Selbstbindung beruhen auch die truhen Landfrieden, die alle geschworen worden sind" o. Der Reichsfriede von 1103 scheint allerdings eine Ausnahme zu machen. Nach dem anonymen Bericht schwört Heinrich IV. den 105 Wenn es im Kölner Frieden (c. 15) ausdrücklich heißt, der Friede sei non homini sed soli Deo versprochen (ähnlich auch cc. 13, 14), so folgt daraus keineswegs, daß das Gelöbnis rur die weltlichen Sanktionen nicht konstitutiv sein kann; die durch Verwillkürung geschaffene Rechtslage beruht nicht auf dem Konsens von Vertragspartnern, sondern auf der Unterwerfung unter die selbstgesetzte Rechtsfolge. Diese wesentlich einseitige Unterwerfung findet in dem Deo promittere einen geradezu plastischen Ausdruck. Dem widerspricht nicht, daß der Bezug des Gelöbnisses auf Gott nur in solchen Bestimmungen enthalten ist, die kirchliche Strafen androhen; hier wird vielmehr das Bemühen deutlich, die Verbindung des Gelöbnisses mit dem sakralen Bereich zu verstärken und letztlich die harten Kirchenstrafen zu rechtfertigen. 106 Entsprechendes gilt rur den Mainzer Frieden; vgl. Text nach Anm. 31. 107 MGH. SS. XXV, 90. 108 Insoweit bedarf die ältere Meinung, gegen die sich Gernhuber (Landfriedensbewegung, S. 44 ff.) zum Teil mit Recht wendet, einer Korrektur. Festzuhalten ist noch, daß sich rur die Auffassung, die Gottesfrieden seien "unmittelbare Gebote Gottes", in den deutschen Quellen kein Beleg findet (Gernhuber S. 26, Fn. 4). Zu den theoretischen Erwägungen Ivos von Chartres über die Rechtsnatur der Treuga vgl. Hoffmann S. 199 f.; Töpfer, Anfänge, S. 890, Fn. 72. 109 Vgl. Ebel, Bürgereid (Fn. 3), S. 165 ff. 110 V gl. oben 11.

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Frieden nicht, sondern festigt ihn durch seinen Handschlag. Das sua manu jirmavit wird außerdem durch ein et instituit ergänzt. Man ist deshalb geneigt, dem kaiserlichen Beitrag zur Errichtung des Friedens ein besonderes Gewicht beizumessen und die rechtliche Bedeutung des Friedenseides in den Hintergrund treten zu lassen. Der Schwur der Großen scheint einen lediglich akzessorischen Charakter zu tragen. Die übrigen Quellen zum Mainzer Reichsfrieden bestätigen auf den ersten Blick diesen Eindruck; insbesondere der Biograph legt den Akzent nicht auf den Schwur, sondern auf das jirmari facere und das pacis decretum des Kaisers. Man darf indes die Tatsache, daß die Vita den Anteil Heinrichs IV. besonders betont, nicht überbewerten lll . Die Heraushebung der Mainzer Ereignisse, die schon in der Gliederung der Vita eine wichtige Rolle erfüllen, entspricht der Absicht des Autors, die Taten des Kaisers zu verherrlichen und sie in starken Kontrast zu setzen zur Unruhe der folgenden Jahre, die nicht zuletzt dem Thronfolger angelastet wird ll2 . Die übrigen historiographischen Notizen geben das Mainzer Geschehen nur andeutungsweise wieder. Letztlich kann der Errichtungsakt selbst allein an Hand des anonymen Berichts näher erfaßt und gedeutet werden. Ein Versuch, den rechtlichen Gehalt des sua manu jirmare des Kaisers zu bestimmen, darf nicht übersehen, daß auch die Erzbischöfe und Bischöfe den Frieden nicht schwören, sondern ebenfalls durch Handschlag geloben. Dieser Vorgang scheint sich 1104 bei der Errichtung des Schwäbischen Landfriedens wiederholt zu haben. Zunächst dürfte es außer Frage stehen, daß die geistlichen Fürsten wie die weltlichen auf das Frieäensprogramrn verpflichtet sein sollten. Sie hatten an den Fehden und Kriegen keinen geringeren Anteil als die übrigen Großen des Reiches 113. Wenn sie gleichwohl nicht schwören, ihr Eid vielmehr durch den Handschlag ersetzt wird, so dürfte dies auf kirchliche Rechtsvorstellungen zurückgehen. Mit der Aufwertung der alten Canones im 11. Jahrhundert waren auch jene Bestimmungen neu belebt worden, die den Eid eines Klerikers ablehnten. Sie fanden Eingang in die frühen Kanonessamrnlungen, so in diejenigen Burchards von Worms und Ivos von Chartres, und schließlich in das De-

111 Gernhuber, Landfriedensbewegung, S.82, stützt sich insbesondere auf die Vita Heinrici IV., um den Reichsfrieden von 1103 als "Gesetz" zu erweisen. 112 Zur Gliederung der Vita und zur politischen Tendenz ihres Autors vgl. S. Hel/mann, Die Vita Heinrici IV. und die Kaiserliche Kanzlei, in: Historische Vierteljahrsschrift 28 (1934), S. 273-334; jetzt auch in: ders., Ausgewählte Abhandlungen zur Historiographie und Geistesgeschichte des Mittelalters, hg. von H. Beumann, Darmstadt 1961, S. 231-292, bes. S. 274 ff.; Th. Beumann, Zur Handschrift der Vita Heinrici IV. (ein 14095), in: Speculum historiale, Festschrift rur J. Spörl, Freiburg/München 1965, S.204-223. 113 Noch im Jahr zuvor hatte der Erzbischof von Köln mit dem Grafen von Amsberg in Fehde gelegen; Meyer von Knonau 5, S. 161.



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kret Gratians ll4 . Zwei dieser Bestimmungen sind in unserem Zusammenhang besonders beachtenswert. Die eine lls untersagt den Eid eines Klerikers zwar grundsätzlich, gestattet ihn aber in Ausnahmefällen, unter anderem auch ad Jedera pacis eonfirmanda. Die andere l16 verbietet den Eid eines Klerikers gegenüber einem Laien. Vor dem Hintergrund dieser beiden Vorschriften wird man den bischöflichen Handschlag von 1103 sehen müssen. Berücksichtigt man den Gegensatz zwischen der grundsätzlichen Erlaubtheit des Versprechenseides im Falle des Friedensschlusses einerseits und dem generellen Verbot des Klerikereides vor einem weltlichen Richter andererseits, so erscheint das durch Handschlag bekräftigte Gelöbnis wie eine Kompromißformel: die Verpflichtung der geistlichen Fürsten auf das Friedensprogramm wurde gesichert, ohne ihre besondere, auf dem Klerikerstand beruhende Würde zu mindern. Ähnliche Vorstellungen dürften 1103 auch dazu gefiihrt haben, daß der Kaiser den Frieden ebenfalls nicht schwur, sondern durch Handschlag festigte. Der Sachsenspiegel kennt den Satz (III 54 S. 2), daß der König nach seiner Wahl keinen Eid mehr leisten solle, es sei denn, er würde vom Papst der Ketzerei beschuldigt; das königliche Wort bi des rikes hulden sollte grundsätzlich genügen; wenn man den Frieden schwöre, solle der König sein Gelöbnis dazutun statt des Eides (unde sin gelovede seal he dun vor den ed, dar men den vrede sweret). Bei dieser Bestimmung handelt es sich vermutlich um eine Übertragung kirchlicher Rechtssätze auf den König ll7 . Die Übernahme dürfte ebenso sehr auf dem sakralen Charakter des Königtums beruhen wie auf der religiös-kirchlichen Funktion des Kaisertums. Ziel der Ersetzung des Eides durch das bloße Wort oder das Gelöbnis des Königs war es auch hier, der besonderen Würde des Versprechenden gerecht zu werden 118. Daß dieser Betonung des sakralen Charak114 Vgl. C. 11 q. 5; C. XXII q. I. - Heinrich III. hat schon 1047 eine Norm Kaiser Marcians übernommen, die das kirchliche Eidverbot für Kleriker anerkennt (MGH. D. H. III, Nr. 191, S. 239 ff.); diese Bestimmung dürfte indes nur in Italien Geltung erlangt haben. - Aus der reichen Literatur zur kirchlichen Eideslehre sei hier genannt: Ph. Hofmeister, Die christlichen Eidesformen, eine Iiturgie- und rechtsgeschichtliche Untersuchung, München 1957, bes. S. 83 ff. (eidesstattliche Erklärungen). 115 C. XXII q. I, Dict. Grat. und c. 1. 116 C. 22 C. XXII q. 5. - Man wird hier an einen Zusammenhang mit dem Privilegium fori zu denken haben; vgl. auch Kölner Friede c. 17, Mainzer Friede c. 18. 117 Die Glosse begründet die Sachsenspiegel-Stelle mit einem Hinweis auf das kirchliche Recht (c. 12 C. XXII q. 5); Nachweis bei H. Siegel, Der Handschlag und Eid nebst verwandten Sicherheiten für ein Versprechen im deutschen Rechtsleben (SB. Akademie der Wissenschaften Wien 130), Wien 1884, S. 49. Insbesondere die Erlaubtheit des königlichen Eides im Falle der Ketzereibeschuldigung durch den Papst (Ssp. III 54 § 2) dürfte am kirchlichen Vorbild orientiert sein; vgl. C. 11 q. 5. Über die Beziehungen des Sachsenspiegels zur Kanonistik allgemein vgl. jetzt: G. Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 6), Köln 1968, bes. S. 98 ff. 118 Siegel S. 47 ff., bes. 51 f.; Waitz-Seeliger 6, S. 474 ff., bes. 476 f.

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ters des Königtums gerade in der Zeit des Investiturstreites eine besondere Bedeutung zukommt, sei nur am Rande vermerkt. Die Stellung Heinrichs IV. bei der Errichtung des Friedens überragt nicht nur diejenige der anderen Fürsten; auch die Würde des königlichen Sohnes, dessen Herrschaftsrecht beschränkt war, mußte zurücktreten l19 . Der Verzicht auf den Eid, der den Beitrag des Kaisers von der Verpflichtung der weltlichen Großen abhob, genügte indes nicht, um ihn auch von dem Versprechen der Erzbischöfe und Bischöfe zu unterscheiden. Um auch hier eine der kaiserlichen Würde entsprechende formale Abstufung zu erzielen, bedurfte es eines weiteren Kennzeichens. Man wird in dem et instituit eine solche Heraushebung erblicken dürfen. Damit ist jedoch der rechtliche Gehalt des pacem instituere noch nicht erschöpft. Sicher ist zunächst, daß es sich nicht um ein Rechtsgebot handelt. Die Vorstellung, daß der Kaiser über dem Recht stehe und sein Wille Recht schaffe, wurzelt im römischen Rechtsdenken und ist vor der Mitte des 12. Jahrhunderts im Umkreis der deutschen Herrscher nicht zu belegen 12O • Man wird das pacem instituere deshalb nur als "Eidgebot", als "Initiativgebot,,121 aufzufassen haben. Der Kaiser verpflichtet sich durch sein Gelöbnis selbst und· verlangt auch von allen anderen, die zum Reich gehören, die Selbstverpflichtung durch Eid oder ein Gelöbnis an Eides Statt. Insoweit ist es sicherlich möglich, den Mainzer

119 F. Becker, Das Königtum der Thronfolger im Deutschen Reich des Mittelalters, Weimar 1913, S. 29 ff. 120 Ebel, Gesetzgebung S. 42 ff.; H Coing, Römisches Recht in Deutschland (IRMAE V, 6), Mediolani 1964, S. 30 ff. \2\ Insoweit wird man die Tenninologie Ebels (Gesetzgebung S.25 ff: Exekutivgebot-Rechtsgebot) erweitern müssen: ein "Exekutivgebot" setzt ein "vollziehbares" Recht voraus. Bei der Errichtung der Landfrieden wird nichts vollzogen, sondern Recht geschaffen, das dem alten Herkommen zuwider läuft. Gleichwohl dürfte es zu weit gehen, das königliche Friedensgebot als reines "Machtgebot" außerhalb des Rechts anzusiedeln, denn die Grenzen des herkömmlichen Rechts sind fließend. Unabgeschlossenheit und Offenheit (vgl. H. Krause, Fn. 101, bes. S. 39 ff.) sind wesentliche Kennzeichen des älteren Rechts. Die Gründe Gernhubers, (Landfriedensbewegung S. 87), gegen eine solche Interpretation des königlichen Gebotes zur Eidesleistung beruhen auf einem allzu statischen Verständnis des königlichen Banngebotes, das die Möglichkeit einer Fortentwicklung nicht ausreichend beachtet. Das Verhältnis von Friedensgebot und eidlicher Selbstbindung dürfte bei den Landfrieden in ähnlicher Weise grundsätzlich rur Entwicklungstendenzen offen gewesen sein, wie sie His rur das mittelalterliche Verhältnis von Gelöbnis und Gebot beim Handfrieden festgestellt hat (Gelobter und Gebotener Friede S. 157 ff. - Friedensge1öbnis, gebotenes Friedensgelöbnis, reines Friedensgebot); vgl. auch Beyerle S. 315 f. mit Fn. 19. Zu einer völligen Verdrängung des Friedenseides ist es bei der Landfriedenserrichtung freilich nicht gekommen. Unter dieser Einschränkung wird man H Lieberich, Die Anfänge der Polizeigesetzgebung des Herzogtums Baiern, in: Festschrift rur Max Spindler, München 1969, S.307-378, hier S. 307, zustimmen können, der eine "Verquickung von Freiheit und Zwang" kennzeichnend rur die Landfrieden hält, "bei denen die das Prinzip der Freiheit verkörpernde Einung fusioniert mit einer Zwang bedeutenden Folgepflicht".

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Frieden als ein Werk Heinrichs IV. zu bezeichnen. Die konstitutive Bedeutung des Friedenseides oder -gelöbnisses darf indes nicht übersehen werden. In der Selbstverpflichtung des Kaisers, in seinem Friedensgebot und in der allen seinen Schuldnern gewährten Verzeihung - in diesen Momenten scheint etwas von der Welt Heinrichs III. nachzuleben. Diese Anklänge werden durch die Unterschiede aber weit überwogen: Der Gegenstand des Gebotes ist ein grundsätzlich anderer. Der königliche Befehl richtet sich 1103 nicht mehr auf den Abschluß einer Vielzahl vonfoedera pacis, sondern auf die Beeidung eines Friedensprogrammes, das durch die Gottes- und Landfrieden vorgeformt war.

IX. Die Veränderung, die im Vergleich zum Wirken Heinrichs III. erkennbar wird, deutet auf einen Wandel im Verhältnis von Königtum und Recht l22 hin. Die Pax Moguntina enthält, wie schon gesagt, allgemein geltendes Recht. Zwar ist dieses Friedensrecht infolge seines Satzungscharakters noch personal gebunden; der Bezug auf die konkrete Situation, den konkreten Unfrieden, ist aber verloren. Ähnliche allgemeine Rechtssätze, also Gesetze im materiellen Sinn, begegnen im Deutschland des 10. und 11. Jahrhunderts nur selten 123 • Die alles beherrschende Form königlicher Rt"chtsbildung ist das Privileg. Das Recht wird vorwiegend in Einzelakten gestaltet, die persönliche Bezogenheit steht im Vordergrund. Man gewinnt - um mit Hermann Krause 124 zu sprechen - "den Eindruck, nicht das Recht soll auf irgendeine abstrakte Weise in Ordnung gebracht werden, sondern die Menschen sollen in Ordnung gehalten werden. Das Recht ist immer da. Aus ihm und mit ihm geschieht alles. Aber Menschen geraten in Unordnung und mit denjenigen, bei denen eine solche Unordnung gerade hervortritt, muß man sich beschäftigen". Ähnliches gilt auch rur die Wahrung des Friedens. Auch sie erfolgt zunächst von Einzelfall zu Einzelfall. Der im konkreten Verhältnis sichtbar gewordene Unfriede soll beseitigt werden. Der Friede, der auf diese Weise geschaffen wird, wird ebensowenig wie das im Einzelakt gestaltete Rechtsverhältnis als Teil einer geschlossenen Ordnung verstanden 125 • Die Friedenswahrung löst sich allerdings früher als die übrige Rechtsbildung l26 von der Bindung an das Konkrete, Hierzu vor allem: Krause, Königtum (Fn. 101), passim. Ebenda S. 28 ff. 124 Ebenda S. 13 f. 125 Ebenda S. 10 ff., 39 ff. 126 Zur Wandlung des Rechts im 11.112. Jahrhundert vgl. außer der in Fn. 101 genannten Untersuchung von Krause noch: ders., Dauer und Vergänglichkeit im mittelalterlichen Recht, in: ZRG GA 75 (1958), S. 206-251, hier bes. S. 231 ff., Kroeschell, 122 123

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das Einmalige. Der Ursprung dieser Entwicklung ist wohl in jenem Gärungsprozeß zu suchen, der in Deutschland seit dem zweiten Drittel des 11. Jahrhunderts den kirchlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Raum zu erfassen beginnt 127 • Die religiöse und geistige Erneuerung, die ihn begleitet, setzt in der Idee von der militia Christi, die den Kampf gegen Unglauben und Ungerechtigkeit mit dem Schutz der Kirche, dem Eintreten für die Schwachen und Wehrlosen verbindet, nicht nur dem Krieg, sondern auch dem Frieden neue Ziele. Sie fUhrt vor allem zu einer grundsätzlichen Neubewertung der Fehde. Dem alten Herkommen werden Maß und Grenze gesetzt, an denen es sich zu bewähren hat. Die consuetudo der Fehde wird an diesem Maßstab gemessen zur mala consuetudo, so etwa beim Autor der Vita Heinrici l28 • Die neue Idee des an religiösen Zielen orientierten Friedens wird zum Schrittmacher eines neuen Rechts. Im Reich vollzieht sich diese Entwicklung langsamer als im westlichen Europa. Das Ideengut der Friedensbewegung mag zwar schon früh nach Deutschland eingeströmt sein, auch wurden die typischen Rechtsformen des Gottesfriedens in den westlichen Randgebieten des Reiches übernommen, so etwa im Bistum Cambrai und im Königreich Burgund 129 • Zu einem weiteren Vordringen in die Kernländer des Reiches kam es um die Mitte des 11. Jahrhunderts jedoch nicht. Hier dürften der neuen Form der Friedenswahrung ähnliche Überlegungen widerstrebt haben, wie sie Bischof Gerhard I. von Cambrai (1021-1051) der Einfiihrung von Friedenseinungen anfiinglich entgegengehalten hatte: es sei incongruum ... si quod regalis iuris est, sibi vendicari presumerent13 o. Die königliche Friedenssorge erhielt durch die neuen Ideen zwar kräftige Impulse: die Gebote Heinrichs III. intendierten deutlicher als die seiner Vorgänger einen allgemeinen, das ganze Reich erfassenden Friedenszustand. Die Umsetzung dieses Zieles in die rechtliche Wirklichkeit geschah aber nicht in den charakteristiRecht und Rechtsbegriff (Fn. 50), bes. S. 315 f., 326 ff.; G. Köbler, Land und Landrecht (Fn. 49), bes. S. 40; ders., Das Recht im frühen Mittelalter (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 7), Köln 1971, bes. S. 273 ff.; E.-w. Böckenforde. Der Rechtsbegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, in: Archiv tUr Begriffsgeschichte 12 (1968), S. 145-165, bes. 149 f., 154. 127 Hierzu vgl. etwa: Erdmann, Kreuzzugsgedanke, bes. S. 51 ff.; Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 20 ff.; Hattenhauer (Fn. 1), S. 30 ff., 88 ff.; K. Rosl, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter, in: GebhardtlGrundmann. Handbuch 1, S. 773 ff.; ders., Das Hochmittelalter in der deutschen und europäischen Geschichte, in: HZ 194 (1962), S. 529-567, bes. S. 543 f., 553. 128 Vita c. 8, hg. von Schmale (Fn. 62), S. 440 Z. 20. - Zur Bedeutung von consuetudo vgl. Krause, Königtum, S. 10 f., 54 ff.; (Fn. 50), S. 323 f., 332; G. Köbler, Zur Frührezeption der consuetudo in Deutschland, in: Historisches Jahrbuch 89 (1969), S. 337371. 129 V gl. Fn. 6-8. 130 Gesta episcoporum Cameracensium, MGH. SS. VII, 474; dazu Th. Schieffir. Ein deutscher Bischof des 11. Jahrhunderts. Gerhard I. von Cambrai (1012-1051), in: DA I (1937), S. 323-360; Ladner (Fn. 88), S. 72 f.; HojJmann (Fn. 4), S. 57 ff.

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schen Formen der Treuga Dei, sondern verharrte im Einzelaktdenken der älteren Zeit. Nur im tatsächlichen Ergebnis konnte der vom König gebotene Friede ein "Reichsfriede" sein; rechtlich gesehen ist er eine Summe von Einzelfrieden. Der Friede erscheint eher als eine Tugend oder Aufgabe des Herrschers, der das Recht von Fehde und Sühne nicht ändert, sondern in seinen Dienst nimmt und durch sein Wirken vollendet. Der allgemeine Friede ist nicht das Produkt einer Erneuerung und Vervollkommnung des Rechts, sondern ein Produkt des vollkommenen Herrschers 131. Auch unter Heinrich IV. hält sich der vom König gewirkte Friede zunächst im Rahmen des Herkömmlichen 132 • Erst durch die Aufnahme der Friedensbewegung wird dieser Rahmen gesprengt. Der Sorge rur den Frieden steht damit ein neues Instrument zur Verrugung. Der Friede, den die Gottes- und Landfrieden hervorbringen, ist ein Rechtsfriede im eigentlichen Sinne. Er beruht auf einem neuen, einen bestimmten Personenverband mit gleichen Friedenspflichten belastenden Recht.

x. Der Zusammenhang von königlicher Friedenswahrung und Rechtsbildung, der hier zutage tritt, rührt an eines der zentralen Themen rechtsgeschichtlicher Forschung, nämlich den Zusammenhang von Recht und Friede überhaupt. Der Friede gilt allgemein als einer der wichtigsten Begriffe des germanischen und mittelalterlichen Rechts 133 . Man spricht vom "Volksfrieden" und "Stammesfrieden", von "Sippenfrieden" und "Hausfrieden", um nur einige der Begriffe zu nennen, in denen die Verbindung von Recht und Frieden zum Ausdruck kommt. Auf die Problematik dieses Sprachgebrauchs ist in den letzten Jahrzehnten wiederholt hingewiesen worden. So hat etwa Klaus von See den ursprünglichen Zusammenhang von Recht und Frieden rur den nordgermanischen Raum verneint\34. Das nordische "fridr" habe wie das gemeingermanische Stammwort

131 Wipo, Gesta Chuonradi c. 3, MGH. SS. rer. Germ. (1915), S. 23, läßt in diesem Sinne den Erzbischof von Mainz bei der Krönung Konrads 11. sagen: ut facias iudicium et iustitiam ac pacem patriae, quae semper respicit ad te ... 132 Dies gilt nicht nur für die Tätigkeit Heinrichs IV. selbst, sondern auch für die zum Jahre 1079 erwähnte Friedenswahrung durch Rudolfvon Rheinfelden; Bertholdi chronicon MGH. SS. V, 319; dazu Herzberg-Fränkel S. 137. m Nachweise bei Gernhuber, Landfriedensbewegung, S. 5 ff.; zuletzt: Aquist (Fn. I), bes. S. 70 ff.; E. Kaufmann, Artikel "Friede" in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte I (1971), Sp. 1275-1202; K. S. Bader, Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Teil I, Weimar 1967, S. 216 ff. 134 K. von See, Altnordische Rechtswörter (Hermaea NF. Bd. 16), Tübingen 1964, bes. S. 152 f., 156 ff.; vgl. auch Aquist, S. 42 ff.; ähnlich schon L. Huberti, Friede und

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zunächst etwas Außerrechtliches bezeichnet, nämlich das Verhältnis der Liebe und Freundschaft, der Schonung, des Schutzes und der Sicherheit, in dem sich der Einzelne zum Anderen oder zu Anderen befinde. Erst allmählich sei der Begriff in den Rechtsbereich hinein gewachsen, aber auch hier sei er zunächst als ein natürliches Recht auf Schonung und Unverletzlichkeit verstanden worden, als ein persönliches Haben, nicht als ein Teilhaben an einem allgemeinen Volksfrieden. Der Bezug zu den Vorstellungen "Friedensverband" und "Friedensordnung" habe sich später, und zwar unter dem Einfluß der kontinentalen Landfriedensbewegung herausgebildet. Hat sich die Entwicklung im Bereich des westgermanischen Rechts - unter Berücksichtigung der allgemeinen Phasenverschiebung - vielleicht ähnlich vollzogen? Die Ergänzung des konkreten Friedens von Sühne und Handfrieden durch den abstrakten Frieden der Gottes- und Landfrieden scheint auf die letzte Entwicklungsstufe hinzuweisen, nämlich die Ersetzung des persönlichen Friedenhabens gegenüber bestimmten anderen durch ein Teilhaben an einem umfassenderen Frieden: der allgemeine Friede wird Gegenstand des Rechts und verleiht damit dem Recht selbst eine neue Dimension 135 • Mit dieser Andeutung muß es hier sein Bewenden haben. Der Versuch einer genaueren Antwort müßte insbesondere die Begriffe "Königsfriede", "Friedensgeld" und "Friedlosigkeit" und damit die ganze Problematik der Acht in die Untersuchung mit einbeziehen. Die inhaltlichen und zeitlichen Grenzen unseres Themas würden damit weit überschritten.

XI. Wenden wir uns wieder Heinrich IV. zu. Die Friedensidee in der besonderen Ausprägung der deutschen Friedensbewegung war außerhalb der Sphäre von Königtum und Reich gewachsen. Die Idee des Landfriedens im Sinne eines vom alten Herkommen abweichenden Friedensrechts, das von einem territorial bestimmten Personenverband getragen wurde, war kein spezifisch königliches Instrument. Heinrich IV. hat es durch den Mainzer Frieden von 1103 in den Dienst des Reiches gestellt. Die Landfriedensidee wurde gewissermaßen zur

Recht, in: Deutsche Zeitschrift rur Geschichtswissenschaft V (1891), S. 1-20, hier bes. S. 9 f., 12 ff. l35 Diese Beurteilung klingt schon an bei Huberti, Friede und Recht (Fn. 134), S. 15, ebenso ders., Studien (Fn. 5), S. 12, wenn er meint: "Charakteristisches Merkmal der ganzen Friedensbewegung ist das Aufgehen der Friedensbrüche in den Rechtsbrüchen". Allgemein, zum Verhältnis von Friedensbewegung und Recht auch Meyer, Sorge (Fn. 4), S. 13 f., 23 ff.; H. Thieme, Friede und Recht im mittelalterlichen Reich (Leipziger Universitätsreden H. 12), Leipzig 1945, S. 15 ff.

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"Staatsidee", zum "Staatszweck" 136. Damit waten die Grundlagen zur Gestaltung einer das ganze Reich umfassenden Rechtsordnung gelegt. Die mit der Friedensbewegung beginnende Mobilisierung und Territorialisierung des Rechts bot die Chance einer Intensivierung und Veränderung der herrschaftlichen Ordnung; sie kam, wie schon der elsässische Friede von 1104 ahnen läßt, nicht nur dem Königtum zugute. Die Idee des Landfriedens diente ,jedem, der sich ihrer annahm,,137. Ihrer rechtlichen Struktur entsprechend waren die Landfrieden von Anfang an in das Spannungsfeld von König und Adel hineingestellt. Wenn die Friedensordnungen des 12. Jahrhunderts gleichwohl in erster Linie von König und Reich getragen wurden, so darf man dies nicht zuletzt Heinrich IV. und seinem Mainzer Friedenswerk zuschreiben.

136 Bosl, Hochmittelalter (Fn. 127), S. 544; ders., Art. "Landfriede", in: H. Rösslerl G. Franz" Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, München 1958, S. 604. \31 Gernhuber, Staat und Landfrieden (Fn. 1), S. 38.

Frühe deutsche Landfrieden· I. Die Zeit von 1050 bis 1250 ist reich an berühmten Rechtstexten, an denen eine Abfolge von Beiträgen, die "nonnative Quellen"] des Mittelalters unter den Gesichtspunkten von Überlieferung und Geltung betrachten wollen, nicht vorbeigehen darf. Die "Reichsgesetze" Friedrichs 11. und die Ronkalische Gesetzgebung Friedrich Barbarossas stehen beispielhaft für viele andere bedeutsame Dokumente, die einer eingehenden Untersuchung wert wären. Gleichwohl erscheint es angebracht, die Überlegungen auf die Landfriedenstexte zu beschränken; dies geschieht nicht nur deshalb, weil sie eine größere und relativ einheitliche Gruppe bilden, sondern auch, weil sie im Bereich des deutschen Königtums zu den frühesten Zeugnissen nonnativer Quellen gehören. Schon vor Jahren konnte geschrieben werden, "längst" sei "die Erkenntnis, daß sich die mittelalterliche Reichsgesetzgebung in erster Linie aus den Bemühungen um den Landfrieden entwickelt hat, zum Gemeingut der rechtsgeschichtlichen Literatur geworden,,2. Auf der Suche nach den Anfiingen der Gesetzgebung sind deshalb • Das auf dem Berliner Historikertag 1984 gehaltene Referat wurde in ergänzter Form noch einmal bei einem rechtshistorischen Abendgespräch in Frankfurt a. M. vorgetragen. Der zweimaligen Diskussion verdankt Verf. zahlreiche Anregungen, die in die ausgearbeitete Fassung eingeflossen sind. Die einschlägige Literatur ist so umfangreich, daß sie in den Anmerkungen nur als Auswahl erscheinen kann. 1 Der Begriff "normative Quellen" ist als Komplementärbegriff zu "Privileg" zu verstehen; er will jene Rechtstexte kennzeichnen, denen - ganz i. S. von H. Krause, Königtum und Rechtsordnung in der Zeit der sächsisch-salischen Herrscher, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung tUr Rechtsgeschichte (ZRG) Germanistische Abteilung (GA) 82 (1965), S. 1-92, bes. 28 ff. - "die Personenbezogenheit und der Einzelaktcharakter durchgängig fehlt" (S.32). Er vermeidet Mißverständnisse, die durch den (u. a. von Krause) verwendeten Begriff "Gesetz" ausgelöst werden können; denn in "Gesetz" und "Gesetzgebung" schwingen immer zugleich Bedeutungselemente mit, die sich i. S. von "Rechtssetzung" auf die "Geltung" beziehen. Im übrigen vgl. Fn. 5 u. 6. 2 So MOdenheimer, Der christlich-kirchliche Anteil an der Verdrängung der mittelalterlichen Rechtsstruktur und an der Entstehung der Vorherrschaft des staatlich gesetzten Rechts im deutschen und französischen Rechtsgebiet, Basel 1957, S. 50. Unter Berufung auf R. Schröder/E. Freiherr von Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 6. Aufl. Berlin 1919, S. 712. - Ähnlich bereits J. Lukas, Über die GesetzesPublikation in Österreich und dem Deutschen Reiche, Graz 1903, S. 30. Im übrigen sei verwiesen auf H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, 2. Aufl. Karlsruhe 1962,

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immer wieder einzelne Landfriedenstexte in Anspruch genommen worden 3 • Auch in einer jüngeren zusammenfassenden Darstellung wird ein Landfriede, nämlich jener des Jahres 1152, als älteste Rechtssetzung "in Gesetzesform" bezeichnet und im übrigen festgestellt: "Von den Landfrieden abgesehen war die königliche Gesetzgebung im mittelalterlichen Reich nördlich der Alpen wenig ausgebildet,,4. Solche Äußerungen legen es nahe, die Frage nach dem Zusammenhang von Überlieferung und Geltung an den Landfriedenstexten zu erproben. Allerdings birgt diese Quellengruppe eine Reihe besonderer Probleme in sich. Sie resultieren zum Teil aus der Überlieferungslage selbst, zum Teil haben sie aber auch mit der Fragestellung zu tun, insbesondere mit dem Problem der Geltung. Daß diese Fragen allenthalben in den allgemeineren Zusammenhang von Landfrieden und Gesetzgebung hineinreichen, liegt angesichts der Literaturzitate auf der Hand. Gleichwohl soll dieser Aspekt in den Hintergrund treten; denn die viel erörtertenS Begriffe "Gesetz" und "Gesetzgebung" werfen allzu viele zusätzliche Probleme auf, die hier nicht abgehandelt werden können6 •

S. 347 ff. und H MitteislH Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 17. Aufl. München 1985, S. 218 f. 3 E. Rosenslock-Huessy, Königshaus und Stimme in Deutschland zwischen 911 und 1250, Leipzig 1914 (ND Aalen 1965), S. 212, sieht im Brandstifterbrief von 1186 das "erste echte deutsche Reichsgesetz"; W Schnelbögl, Die innere Entwicklung der bayerischen Landfrieden des 13. Jahrhunderts, Heidelberg 1932, S. 234, betrachtet den Landfrieden von 1125 als erstes "Friedensgesetz" im eigentlichen Sinne; ähnlich schon MitteislLieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 219: "Zumindest seit 1152 sind die Landfrieden echte Gesetze". J. Gernhuber, Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, Bonn 1952, S. 81, sieht im Reichsfrieden von 1103 den "Beginn der Reichsgesetzgebung" . 4 A. Wolf, Die Gesetzgebung der entstehenden Territorialstaaten, in: H COing, (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur in der neuen europäischen Privatrechtsgeschichte (1100-1500), München 1973, S. 515-800, hier bes. S. 528, 540, 588 u. 589 (Zitat). Bereits H Simonsfeld, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedrich 1., I. Bd., 1908 (Nachdruck Berlin 1967), S. 69, spricht von einem "Ansatz zu einer neuen Epoche der Reichsgesetzgebung" . V gl. noch H Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, 7. Aufl. Weimar 1962, S. 253: Der Landfrieden von 1152 "eröffnete geradezu eine neue Periode der Reichsgesetzgebung"; ähnlich auch Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 349: "Entscheidende Wandlung der Landfriedensgesetzgebung ... unter Friedrich I. Barbarossa"; H. Appell, Friedrich Barbarossa und die Rechtsentwicklung des 12. Jahrhunderts, in: W HöjlechnerlH J. Mezler-AndelbergIO. Pickels (Hg.), Domus Austriae, H. Wiesflecker zum 70. Geburtstag, Graz 1983, S. 36-44, hier S. 40: "Die Landfriedensgesetzgebung Friedrichs I. ... bringt ... die bisher nur in bescheidenen Ansätzen wirksame königliche GesetzgebungsgewaIt zum Durchbruch". 5 Auf vollständige Literaturhinweise muß hier verzichtet werden. Gute Einblicke in die jüngere Diskussion mit weiterführenden Angaben bieten außer der in der vorigen Fußnote genannten Arbeit von Wolf folgende Beiträge: H Krause, Artikel "Aufzeichnung des Rechts" und "Gesetz, Gesetzgebung", in: Handwörterbuch zur Deutschen

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11. Mit der Bezeichnung "frühe deutsche Landfrieden" sind im wesentlichen jene Traditionen angesprochen, denen Joachim Gernhuber bereits vor Jahrzehnten eine breite Untersuchung gewidmet hae. Seine Liste reicht vom Lütticher Got-

Rechtsgeschichte (HRG) I (1971), Sp.256-259, 1606-1619; R. Grawert, Artikel "Gesetz", in: Geschichtliche Grundbegriffe II (1975), S. 863-922; A. Wolf, Forschungsaufgaben einer europäischen Gesetzgebungsgeschichte, in: Ius Commune V (1975), S. 178191; ders., Gesetzgebung und Kodifikation, in: P. Weimar (Hg.), Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, Zürich 1981, S. 143-171; G. Köhler, Die Begründung von Rechtssätzen im Hoch- und Spätmittelalter, in: Archivalische Zeitschrift 75 (1979), S. 86-101; P. Johanek, Methodisches zur Verbreitung und Bekanntmachung von Gesetzen im Spätmittelalter, in: W. Paravicini/K. F. Werner (Hg.), Histoire compare de I'administration (Beihefte der Francia 9), Zürich 1980, S.87-101; R. Schulze, Geschichte der neueren vorkonstitutionellen Gesetzgebung, in: ZRG GA 98 (1981), S. 157235; H. Schlosser, Rechtsgewalt und Rechtsbildung im ausgehenden Mittelalter, in: ZRG GA 100 (1983), S.9-92; B. Diestelkamp, Einige Beobachtungen zur Geschichte des Gesetzes in vorkonstitutioneller Zeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung (ZFH) 10 (1983), S. 385-420; W. Janssen, " ... na gesetze unser lande ... ", Zur territorialen Gesetzgebung im späten Mittelalter, in: Gesetzgebung als Faktor der Staatsentwicklung (Der Staat, Beihefte 7 (1984), S. 7-40. Aus der großen Anzahl älterer Studien seien hier besonders hervorgehoben: H. Krause, Kaiserrecht und Rezeption (Abhandlung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Phil.-Hist. Klasse 1952); W. Ehel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, Göttingen 1958; S. Gagner, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, StockholmlUppsala/Göteborg 1960; H. Quaritsch, Staat und Souveränität I: Die Grundlagen, Frankfurt a. M. 1970; D. Wyduckel. Princeps legibus solutus, Berlin 1979. 6 In jüngerer Zeit ist mehrfach vorgeschlagen worden, den Begriff "Gesetz" rein formal zu definieren; so etwa von A. Wolf, Gesetzgebung und Kodifikation (Fn. 5), S. 145 f.: "Eine allgemeine Rechtsnorm mit urkundlicher (oder wenigstens urkundenartiger) Form", "allgemeine Rechtsnormen in schriftlicher, durch eine Autorität sanktionierter, d. h. urkundlicher Form"; ähnlich schon ders., Gesetzgebung (Fn. 4), S.519. Ähnlich auch: G. Immel, Typologie der Gesetzgebung des Privatrechts und des Prozeßrechts, in: Coing, Handbuch (Fn. 4) II, 2 (1976), S. 3-96, hier S. 3: Gesetzgebung als "Breviloquenz für die ... Rechtsdarstellung und Rechtssetzung durch eine übergeordnete Autorität"; im Anschluß daran Schulze, Geschichte (Fn. 5), S. 165: "Gesetzgebung als Rechtssetzung oder Rechtsdarstellung durch eine übergeordnete Autorität", "Gesetze ... sind Ergebnis autoritativer Setzung oder Darstellung von Recht"; ähnlich dann auch Schlosser, Rechtsgewalt (Fn. 5), S. 30: "Jede zumindest für eine größere Allgemeinheit bestimmte Rechtsnorm in urkundlicher oder urkundenähnlicher Form, die durch eine hierzu befugte Autorität erlassen und entsprechend sanktioniert wurde". - Gegenüber solchen Definitionen schlägt Diestelkamp, Beobachtungen (Fn. 5), bes. S. 389 ff. einen "kombinierten und variablen Gesetzesbegrift" vor, der (wie der Stadtbegrift) einen "festen Begriffskern" und "variable Kriterienkombinationen in verschiedenen Epochen" kennt; den Kern sieht Diestelkamp in Anlehnung an Schulze im "Ergebnis autoritativer Setzung oder Darstellung von Recht", S. 390. - Diese Bemühungen um eine Begriffsbestimmung zeigen an, daß eine allgemeine begriffliche Orientierung unentbehrlich ist. Obgleich hier eine nähere Stellungnahme nicht möglich ist, so sei doch festgehalten, daß man "Gesetz" bestimmen kann als das Ergebnis einer über den Einzelfall hinausreichenden, in eine bestimmte Form gekleideten, mit Geltungsanspruch verschiedenen Rechts-

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tesfrieden im Jahre 1083 bis zum Mainzer "Reichs landfrieden" von 1235. Es erscheint zweckmäßig, diese Liste etwas zu verkürzen, nämlich um die Gottesfrieden am Anfang und um den Mainzer Reichsfrieden am Ende. Die Gottesfrieden, die auf Reichsboden verkündet worden sind, stehen als Ausläufer der westeuropäischen Friedensbewegung letztlich in einem besonderen Zusammenhangs. Und die herausragende Stellung des Mainzer Reichsfriedens dürfte so evident sein, daß sie keiner näheren Begründung bedarf. Die Geschichte seiner Überlieferung und Wirkung ist sehr kompliziert und noch nicht hinreichend geklärt9 ; auch aus diesem Grund empfiehlt es sich, ihn nicht in die Betrachtung einzubeziehen.

aussage. Eine solche Umschreibung, die sich am Gegensatz zu Personenbezogenheit und Einzelcharakter des Privilegs orientiert und schon bei älteren Autoren (vgl. etwa 0. Stobbe, Geschichte der deutschen RechtsqueJlen I, 1860, Neudruck Aalen 1965, S. 462) verwendet wird, hat folgende Vorteile: sie ist offen hinsichtlich der möglichen Geltungsgründe des ausgesagten Rechts (anerkannte Gewohnheit - Selbstunterwerfung der Beteiligten - Unterwerfung unter den Willen einer Autorität) und der ihnen entsprechenden "Grundformen" oder "Denkformen" (Weistum - Satzung - Rechtsgebot). Sie beschränkt die Erscheinungsform nicht auf Schrift und Urkunde, sondern bezieht auch nicht schriftliche Förmlichkeiten ein; der mit der Rechtsaussage verbundene Geltungsanspruch erlaubt die Abgrenzung von "privaten" RechtsdarsteJlungen und Lehrbüchern, ohne die Aussage über den Geltungsgrund zu präjudizieren. 7 Gernhuber, Landfriedensbewegung (Fn. 3), bes. S. 12. Aus der reichen Literatur zur Geschichte der Gottes-, Land- und Reichsfrieden sei hier noch besonders hingewiesen auf: L. Huberti, Studien zur Rechtsgeschichte der Gottesfrieden und Landfrieden, Ansbach 1892; H Hoffmann, Gottesfriede und Treuga Dei, Stuttgart 1964; E. Wadle, Heinrich IV. und die deutsche Friedensbewegung, in: J. Fleckenstein (Hg.), Investiturstreit und Reichsverfassung (Vorträge und Forschungen XVII), Sigmaringen 1973, S.141-173; T. Körner, luramentum und frühe Friedensbewegung (10.-12. Jh.), Berlin 1977; H KaufmanniH. Holzhauer, Artikel "Landfrieden 1111", in: HRG 11 (1978), Sp. 1451-1485; R. Kaiser, Selbsthilfe und Gewaltmonopol, Königliche Friedenswahrung in Deutschland und Frankreich im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 17 (1983), S. 55-72. 8 Hier sei insbesondere festgehalten, daß sich die Kirche in ihrem Einsatz rur die Friedensidee anderer Mittel bedienen konnte als eine weltliche Macht; Auswirkungen auf die rechtliche Struktur der Gottesfrieden sind nicht zu übersehen; vgl. etwa Körner, luramentum, bes. S. 123 ff. 9 Die Forschung zur Geschichte des Mainzer Reichsfriedens - der Ausdruck "Reichslandfrieden" wurde schon 1968 von K. Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff im 12. Jahrhundert, in: Probleme des 12. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen XII), Sigmaringen 1968, S. 310-335, hier S. 310, bekämpft - ist durch neuere Beiträge belebt worden. Vgl. etwa: HAngermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966, S. 29 ff.; ders., Landfriedenspolitik und Landfriedensgesetzge-

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Auch wenn man die Liste so zurecht ~chneidet, ist eine weitere Reduzierung unumgänglich, denn als "normative" Quellen können nur jene Landfrieden behandelt werden, von denen mehr bekannt ist als die bloße Tatsache ihres Erlasses. Es kann hier also nur um jene Landfrieden gehen, von denen ausfilhrlicher berichtet wird; sei es, daß ihre Errichtung näher beschrieben wird, sei es, daß ihr Inhalt, ihr Programm, ganz oder doch in den wesentlichen Zügen erhalten ist. Legt man diese Maßstäbe an, dann verringert sich die Zahl der fiir unser Thema bedeutsamen Texte von etwa dreißig auf ganze zwölf bis dreizehn. Diese Zahl ist immer noch stattlich und weist überdies die unterschiedlichsten Überlieferungssituationen auf. Angesichts dieser Vielfalt ist es schwer, den Überblick nicht zu verlieren. Es erscheint deshalb angemessen, nur einige Beispiele näher zu betrachten: Allerdings sollten diese Beispiele alle charakteristischen Merkmale und Probleme auf sich vereinigen. Bevor wir auf diese Weise den Blick aufs Detail richten, sind - unter Einbeziehung der gesamten Quellengruppe - noch einige allgemeinere Überlegungen anzustellen zum zweiten Stichwort des Rahmenthemas, nämlich zum Begriff der "Geltung".

111. Juristen pflegen von Rechts- "Geltung" in einem sehr unterschiedlichen Sinne zu sprechen. Im Anschluß an Gustav Radbruch werden üblicherweise drei Begriffe unterschieden lO • Man kann "Geltung" in einem soziologischen, in einem ethischen und in einem juristischen Sinne verstehen. Der soziologische Geltungsbegriff zielt auf eine soziale Wirklichkeit, auf die Anerkennung einer Rechtsnorm, auf ihre Wirksamkeit, auf ihre Anwendung. Der ethische Gel-

bung unter den Staufern, in: J. Fleckenstein (Hg.), Probleme um Friedrich 11. (Vorträge und Forschungen XVI), Sigmaringen 1974, S.167-186; A. Buschmann, Zum Textproblem des Mainzer Reichslandfriedens von 1235, in: H-W Thümmel (Hg.), Arbeiten zur Rechtsgeschichte, Festschrift rur Gustav Klemens Schmelzeisen, Stuttgart 1980, S. 2564; ders., Landfriede und Verfassung, Zur Bedeutung des Mainzer Reichslandfriedens von 1235 als Verfassungsgesetz, in: Aus Österreichs Rechtsleben in Geschichte und Gegenwart, Festschrift rur E. C. Hellbling, Berlin 1981, S.449-472; ders., Mainzer Reichslandfriede und Konstitutionen von Melfi, in: A. BuschmannlF.- L. Knemeyer/G. OtteIW Schubert (Hg.), Festschrift rur RudolfGmür, Bie1efeld 1983, S. 379-381. 10 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 5. Aufl., hg. v. E. Wolf, Stuttgart 1956, S. 174 ff. Dazu jetzt G. Otte, Kritik des juristischen Geltungsbegriffs, in: Festschrift Gmür (Fn. 9), S. 359-368; auch ders., Recht und Moral, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft XII, Freiburg i. Br. 1981, S. 6-36, hier bes. S. 15 ff.; N. Luhmann, Die juristische Rechtsquellenlehre aus soziologischer Sicht, in: Soziologie, Festschrift rur R. König, Opladen 1973, S. 387-399.

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tungsbegriff stellt ab auf die Frage, ob ein Rechtssatz ethisch verbindlich ist, ob seine Befolgung moralisch gerechtfertigt und geboten ist. Der juristische Geltungsbegriff schließlich fragt danach, "ob eine Rechtsnorm von einem zuständigen Organ in vorgeschriebener Weise erlassen und nicht auf entsprechende Weise wieder aufgehoben worden ist und nicht gegen etwaiges ranghöheres Recht verstößt"lI. Die Frage, ob es überhaupt notwendig und sinnvoll ist, einen solchen dreifachen Begriff der Geltung zu verwenden, scheint sich zunächst nur an den Rechtsphilosophen und den Rechtshistoriker zu richten. Doch der Schein trügt: Auch der Historiker muß sich damit auseinandersetzell. Keine großen Grundsatzprobleme dürfte der soziologische Geltungsbegriff aufwerfen. Die Rechtsgeschichte hat schon immer nach der Anwendung von Normen, nach der Rechtspraxis gefragt, ebenso nach der Rechtsüberzeugung; sie hat solche Fakten und Daten oft geradezu benutzt, ja benutzen müssen, um sagen zu können, hinter einem bestimmten Verhalten stehe eine bestimmte Rechtsnorm. Allzu oft ist man darauf angewiesen, in dieser Weise aus der Praxis, also einem Sein, auf die Existenz einer Norm, also eines So liens, zu schließen. Für den ethischen Geltungsbegriff gilt ähnliches. Die moralische Verbindlichkeit einer Rechtsnorm, ihre ethische Legitimation, ihre grundsätzliche Rechtfertigung ist auch ein Thema filr den Historiker - gleichgültig, welcher Disziplin man solche Fragestellungen zuweist, ob man von Geistesgeschichte, von Theoriegeschichte oder gar Ideologiegeschichte spricht. Größeren Schwierigkeiten sieht man sich gegenüber, wenn man von Geltung im juristischen Sinne spricht. Bei diesem Geltungsbegriff handelt es sich um einen Begriff, der vor allem von der neuzeitlichen Staatslehre und Jurisprudenz geprägt ist und eine bestimmte Funktion zu errullen hat. Er hat nämlich die Aufgabe, die Existenz einer Norm mit Hilfe eines rechtlichen Metasystems zu erläutern, eines Systems also, das die rechtlichen Voraussetzungen rur die Anerkennung einer Rechtsnorm umschreibt. Die Verbindlichkeit einer Norm, ihre Geltung im Rechtssinne, wird von Voraussetzungen ~bhängig gemacht, die ihrerseits rechtlicher Natur sind, deren eigene Geltung letztlich aber nur außerrechtlich, also mit Hilfe eines nicht juristischen Geltungsbegriffes begründet werden kann. Juristische Geltung erweist sich letztlich als ein Hilfsbegriff, der in einem fortgeschrittenen Stadium des Rechtsdenkens zur Se lbstverständlichkeit wird, aber nicht ohne weiteres in eine Zeit transferiert werden darf, die entsprechende Metaregeln oder gar ein ganzes System solcher Regeln noch nicht oder allenfalls in Ansätzen kennt.

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Olte, Kritik, S. 359.

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Bezieht man den dreifachen Geltungsbegriff auf die früheren deutschen Landfrieden, so ergeben sich Untersuchungsfelder, die allerdings nicht alle in gleicher Weise klar und deutlich abzugrenzen sind. Die Suche nach der faktischen Anerkennung und Anwendung stellt vor allem auf die Landfriedenspraxis ab. Jeder, der versucht hat, Genaueres zur Praxis zu ermitteln, weiß allerdings, wie schwer es ist, die Applikation eines bestimmten Landfriedens auszumachen. Zwar gibt es eine Fülle von chronikalischen und anderen Nachrichten über Taten filr den Frieden. In den allermeisten Fällen ist es jedoch unmöglich, einen konkreten Bezug zu einem bestimmten, dann und dort aufgerichteten Landfrieden und seinem Inhalt zu erkennen. Hier gibt letztlich immer nur das ausdrückliche Zitat Sicherheit, und solche Fälle kommen in der Zeit vor 1250 nur ausnahmsweise vor. Nur ein einziges Mal wird ein Reichsfrieden ausftlhrlicher zitiert: eine Urkunde des Salzburger Erzbischofs Eberhard aus dem Jahre 1160 übernimmt eine Bestimmung des 1158 in Roncaglia verkündeten Friedens 12. Zwei weitere urkundliche Belege nehmen auf einen förmlich errichteten Frieden Bezug: zum einen eine Urkunde des Bischofs Emicho von Würzburg von 1103, die sich vermutlich auf einen Gottesfrieden beziehe 3 ; zum anderen eine Urkunde des Jahres 1241, in der König Konrad IV. den Reichsstädten einschärft, nach dem Pfahlbürgerverbot des Mainzer Reichsfriedens zu verfahren und die Hörigen des Klosters Salem herauszugeben l4 • Bei den zahlreichen anderen Fällen, in denen ein Handeln als Tat fiir den Frieden herausgestellt wird, fehlt der Bezug auf eine konkrete Friedenserrichtung ls . Da es demnach an Nachweisen fiir die Anwendung bestimmter Friedensprogramme weithin fehlt, könnte an sich die Überlieferungsgeschichte eines Landfriedenstextes weiterhelfen. Wenn sich filr eine bestimmte Periode oder filr einen bestimmten Raum eine gewisse Überlieferungsdichte nachweisen ließe, so könnte man zu der Annahme gelangen, hier oder in dieser Zeit habe das im 12 Urkunde vom 19. August 1160, Salzburger Urkundenbuch 2 Nr. 349; vgl. Vorbemerkung zu MGH. D F I. Nr. 241. 13 Abdruck der Urkunde bei K. Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte I, Reinbek bei Hamburg 1972, S. 193 f. 14 J L. A. Huillard-Breholles, Historia diplomatica Friderici Secundi VI, 2, Paris 1861, S. 818 f. 15 Dies gilt auch filr den immer wieder hervorgehobenen Reichsfrieden von 1152, dazu unten S. 85. - Die Frage nach der Effektivität, der Wirkungsgeschichte von Gesetzen und anderen Rechtsdokumenten ist in jüngerer Zeit immer wieder gestellt worden. V gl. etwa P. Classen (Hg.), Recht und Schrift im Mittelalter (Vorträge und Forschungen XVIII), Sigmaringen 1977 (besonders die Beiträge v. H. Mordek, H. Nehlsen, K. Kroeschell, K. Feig/); P. Johanek, Die "Karolina de ecclesiastica libertate", Zur Wirkungsgeschichte eines spätmittelalterlichen Gesetzes, in: Blätter filr deutsche Landesgeschichte 114 (1978), S. 797-831; ders., Verbreitung (Fn. 5), passim mit zahlreichen weiteren Hinweisen.

6 Wadi.

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Friedenstext niedergelegte Rechtsprogramm Anerkennung gefunden. Ein solches Verfahren setzt jedoch immer voraus, daß es eine nennenswerte Überlieferung gibt. Nun ist es um diese Voraussetzung gerade bei den frühen Landfrieden nicht sehr gut bestellt. Doch soll dies anband meiner Beispiele gleich noch näher erläutert werden. . Bei alledem ist zu bedenken, daß die Frage nach der tatsächlichen Anerkennung letztlich nicht auf den Bereich des rein Faktischen beschränkt bleibt. Wenn - wie noch genauer zu zeigen ist - die Geltung im Rechtssinn nicht durch eindeutige Kriterien bestimmt werden kann, so kann der tatsächlichen Anerkennung eine weiterreichende Bedeutung zukommen: sie könnte zugleich ein Element eines die Rechtsgeltung tragenden Metasystems sein. Wenn der in der Anerkennung sich bewährende Konsens zu den Voraussetzungen einer Geltung im Rechtssinne zu zählen ist, berührt sich die Frage nach der tatsächlichen mit jener nach der rechtlichen Geltung. Es spricht nun vieles dafiir, daß Zustimmung und Anerkennung in diesem Sinne zu verstehen sind, deshalb ist später noch einmal daraufZUTÜckzukommen l6 • Wendet man den theologisch-ethischen Geltungsbegriff auf das Recht der Landfriedenstexte an, so ist ein ähnlicher Zusammenhang festzustellen. Die mittelalterliche Friedensbewegung hat, wie andere Strömungen der Umbruchszeit, die im späteren 11. Jahrhundert von Westeuropa ausgehend Deutschland erfaßt haben, ihre Wurzeln im Gedankengut der kirchlich-theologischen Reform, die gemeinhin mit dem Namen Cluny verbunden wird 17 • Die Forderung nach einem allgemeinen Frieden bedingt eine grundsätzliche Neubewertung von Rechtsgang und Fehde l8 • Der letztlich an religiösen Zielen orientierte Neubau der kirchlichen und weltlichen Dinge wertet überlieferte Rechtsgewohnheiten um; vieles, was bislang unangefochten als consuetudo galt, wird nun an diesen Maßstäben gemessen und erscheint als mala consuetudo. Wenn an die Stelle von Selbsthilfe und Fehde Friede treten sollte, so mußte man mit dem Recht der Vergangenheit brechen und neues Recht schaffen. Bischöfe und Äbte beschritVgl. unten Text nach Fn. 22. Vgl. etwa Gernhuber, Landfriedensbewegung (Fn. 3), S. 20 ff.; V. Achter, Über den Ursprung der Gottesfrieden, Krefeld 1955; E. Wadle, Heinrich IV. und die deutsche Friedensbewegung (Fn. 7), S. 170 ff. Allgemein zu den "Bewegungen" des 11. Jahrhundertsjetzt H. Jacobs, Kirchenreform und Hochmittelalter 1046-1215 (Grundriß der Geschichte 7), München 1984, S. 5 ff., 100 ff. 18 Dazu besonders: W Trusen, Gutes altes Recht und consuetudo - Aus den Anfangen der Rechtsquellenlehre im Mittelalter, in: Recht und Staat, Festschrift fUr G. Küchenhoff I, Berlin 1972, S. 189-204, bes. S. 194 ff., 20 I ff.; H. Krause, Artikel "Gewohnheitsrecht", in: HRG I (1971), Sp. 1675-1684. Im übrigen vgl. F. Olivier-Martin, Le roi de France et les mauvaises coutumes au moyen äge, in: ZRG GA 58 (1938), S. 108-137, bes. 112 ff.; G. Köbler, Zur Frührezeption der consuetudo in Deutschland, in: Historisches Jahrbuch 89 (1969),S. 337-371; 0. Guillot, Consuetudines, Consuetudo, in: Memoires de la Societe pour I'Histoire du Droit 40 (1983), S. 21-47. 16 17

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ten in der Gottesfriedensbewegung diesen Weg. Die weltlichen Herren folgten ihrem Beispiel. Sie übernahmen die Ziele und ihre theologisch-ethische Fundierung. Allerdings mußten sich Adel und Königtum, je mehr die Friedensbewegung in den weltlichen Bereich hinübertrat, anderer Mittel bedienen, als sie der Kirche zu Gebote standen. Insbesondere mußte die Möglichkeit der Exkommunikation durch andere Instrumente ersetzt werden. Die Frage, welche Mittel die~ waren, filhrt uns nun abermals in den Bereich des rechtlichen Geltungsbegriff