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German Pages 296 [298] Year 2015
Peter Rehberg lachen lesen
2007-02-07 15-33-43 --- Projekt: T577.rehberg.lachen / Dokument: FAX ID 0154138842796586|(S.
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Für Inspiration und Unterstützung meiner Arbeit danke ich vor allem: Marianne Schuller, Eva Geulen, Avital Ronell, Werner Hamacher, Carol Jacobs, Leslie Adelson und Anette Schwarz.
Peter Rehberg (Ph.D.) lebt als Autor und Journalist in Berlin und New York. Neben zwei Romanen hat er zu den Themen Queer Studies und Popkultur veröffentlicht. Er lehrte German Studies und Queer Studies in den USA (NYU, Cornell, Northwestern, Brown) und zuletzt in Bonn.
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Peter Rehberg lachen lesen. Zur Komik der Moderne bei Kafka
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Heribert C. Ottersbach, Kafka lacht, 2005, Original: Radierung in drei Farben im Format 48 x 64 cm auf Zerkall Bütten 66 x 80 cm, Auflage 50 Exemplare, nummeriert und signiert. Edition der manus presse, Stuttgart Herstellung: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-577-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Einleitung 9 Exkurs: Zu einer Historiographie des Lachens 21 Lachende Schrift I: Eintragungen 51 1.1. Um zu deuten 51 1.2. Von der Komik zur Rhetorik 67 1.3. Allegorie und Ironie 78 1.4. Lieber nicht über Kafka schreiben 87 Auf der Schwelle 115 2.1. Erster Besuch in der Strafkolonie 115 2.2. Abbruch der Allegorien 140 2.3. Fallgeschichten 154 2.4. Abfall – Letzter Besuch in der Strafkolonie 177
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka 198 3.1. Wie witzig 199 3.2. Obdachlosigkeit der Schrift 213 3.3. Gabe des Lachens 234 Literaturverzeichnis 279
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Meinem Vater Ernst Rehberg (1928-1984)
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Einleitung
Einleitung »Ich kann auch lachen Felice, zweifle nicht daran, ich bin sogar als großer Lacher bekannt. […] Zuerst lachte ich nur zu den kleinen hier und da eingestreuten Späßchen des Präsidenten; während es aber Gesetz ist, daß man zu solchen Späßchen gerade mal in Respekt das Gesicht verzieht, lachte ich schon aus vollem Halse, ich sah, wie meine Kollegen aus Furcht vor Ansteckung erschraken, ich hatte mit ihnen mehr Mitleid als mit mir, aber ich konnte mir nicht helfen, dabei suchte ich mich nicht etwa abzuwenden oder die Hand vorzuhalten, sondern starrte immerzu dem Präsidenten in meiner Hilflosigkeit ins Gesicht, unfähig das Gesicht weg zuwenden, wahrscheinlich in einer gefühlsmäßigen Annahme, daß nichts besser, alles nur schlechter werden könne und daß es daher am besten sei, jede Veränderung zu vermeiden. Natürlich lachte ich dann, da ich nun schon einmal im Gange war, nicht mehr bloß über die gegenwärtigen Späßchen, sondern auch über die vergangenen und zukünftigen und über alle zusammen, und kein Mensch wußte mehr, worüber ich eigentlich lachte […]«1
001 Nichtig Als unbestimmte Negativität ist Lachen anfänglich unlesbar. Immer im sprachlichen Kontext ist ihm eine linguistische Nichtigkeit und Insubstantialität eigen. Als ein Laut, der nicht zur Artikulation wird, als abgebrochene oder zerbrochene Artikulation. Lachen betrifft den Signifikationsprozess als Unterbrechung in der Weise, dass es nicht sicher Bedeutung setzt, sondern über den plötzlichen und vorüber gehenden Wissensverlust Bedeutung ins Aus setzt. Lachen unterhält einen Bezug zur Sprache, ohne selber sprachlich zu sein, und konfrontiert Sprache darin mit einem Außen. Seine semantische Leere betrifft seine ›Begrifflichkeit‹ ›selbst‹. Ist ›Lachen‹ ein Begriff, ein Name, eine Metapher, eine Figur, ein Wort? Muss die Bestimmbarkeit des Lachens im Entzug semantischer Stabilität gesucht werden, ist die Frage nach dem Lachen zu stellen, nicht ungefährlich. Liegt die Spezifik des Lachens im Moment seiner Negativität, verschont diese die Position der Fragenden nicht. Vom dichten aber wider-
1. Kafka, Briefe an Felice, S. 237f.
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lachen lesen
streitenden Bezug von Sprache und Lachen ausgehend gilt: Entweder ist Sprache dem Lachen ausgesetzt und von ihm bedroht, oder Sprache erhebt sich über das Lachen und verpasst es darin. Bachtin sagt es so: »Man kann das Lachen nicht in Ernst verwandeln, ohne den Inhalt der sich im Lachen eröffnenden Wahrheit zu vernichten oder zu entstellen.«2
002 Sattlachen Am Anfang dieser Arbeit gehe ich zunächst von einer Unmöglichkeit aus: Lachen lachend zu denken ist unmöglich, eine Unmöglichkeit, die das Schreiben über Lachen immerzu verzögert – aber auch hervorbringt.3 Wie wäre dieser anfänglichen Aporie zu begegnen? Gäbe es eine passende Antwort auf das Lachen? Führte eine solche Antwort nicht aber zur Verletzung des Denkens ›selbst‹, als ›Selbstverzehr‹? Muss Verstehen sein Objekt verzehren, will es seinerseits nicht verzehrt werden, muss es sich im Zentrum glauben, im Besitz und in der sadistischen Geste der Einverleibung vorgehen?4 Lachen hieße dann: Alles wieder ausspucken.5 Wie wären demnach Gestalt und Funktionsweise eines Textes zu bestimmen, der sich den Konvulsionen von Auffressen und Ausspucken (und sich dabei) übergibt? In Kafkas bulimischer Ästhetik kommt es zum Sattlachen, nicht zum Sattessen.
2. Bachtin, Literatur und Karneval, S. 38 3. Das gleiche Problem beschreibt Rita Bischof für den Begriff der Souveränität bei Bataille. Erkenntnis steht still, sobald Souveränität zu ihrem Gegenstand wird. Umgekehrt muss, um die Gegenwart des Souveränen zu erfahren, das diskursive Gemurmel unterbrochen werden. Vgl. hierzu, Bischof, Souveränität und Subversion, S. 17. Lachen wird zum paradigmatischen Beispiel für Souveränität. Vom Lachen heißt es schließlich: »Das Lachen läßt sich nicht in ein Objekt des Denkens transformieren, ohne daß es aufhört, Lachen zu sein.« (Ebd., S. 19) 4. Wer verstehen will, darf nicht alles fressen. Er muss sich für eine Diät entscheiden. Denn: »The stupid-innocents are those who will eat anything;« (Avital Ronell, »The Uninterrogated Question of Stupidity«, S. 4) 5. »Georges Bataille hat darauf hingewiesen, daß die Bewegungen der Sphinkermuskeln des Mundes beim Lachen denen des Anus bei der Ausscheidung analog sind. Also ist es auch möglich im Lachen ein Organ zur Ausscheidung geistiger oder immaterieller Exkremente zu sehen.« (Bischof, Souveränität und Subversion, S. 42)
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Einleitung
»Als Löwy singend starb, […] steckten sie hinter seinem Rücken die Köpfe zusammen, um sich endlich einmal vom Publikum ungesehen (wie sie meinten) sattlachen zu können. Noch gestern als ich mich beim Mittagsmahl daran erinnerte, mußte ich lachen.«6
Um Tod, um Lachen und Essen geht es bei Tisch, wenn geschrieben oder gelesen wird. Gegenüber einem hermeneutischen Kannibalismus ist Lachen eine geisterhafte Wiederkehr des Totgeglaubten. Ist die hermeneutische Auslegung ein Aufessen und Sattessen, kommt im Sattlachen alles wieder hoch: Kafkas Hungerkunst. 003 Zum Lachen Kafkas Texte wenden sich nicht nur in der Reflexion der Frage des Lachens zu, sie setzen sich auch, so wird zu zeigen sein, dem Lachen aus. Wenn es zutrifft, dass Lachen eine Negativität in Kraft setzt, und wenn es darüber hinaus zutrifft, dass Lachen von der Sprache aus gedacht werden muss, dann muss im Schreiben über Lachen die Wahrheit, die sich mit dem Lachen für die Sprache anzeigt, berücksichtigt werden. Ein Text, der diese Hürde überspringen würde, wäre in seiner sicheren theoretischen Stabilität angesichts des Lachens fiktional, ohne diese Fiktionalität einzugestehen. Wenn es angesichts einer Sprache, die dem Lachen ausgesetzt ist, keinen fundamentalen Diskurs als Rückzugsort gibt, der diesem entkommt, stellt sich die Figur einer Aporie ein: Jeder Diskurs zum Lachen droht es zu verfehlen, oder selbst nicht ernst genommen zu werden. Literatur trägt dieses Risiko.7 Nicht beiläufig und nicht zufällig sind Franz Kafkas Texte komisch. Vielfältig – als linguistisches, epistemolgisches, zeitliches, semantisches, rhetorisches und als ästhetisches Problem – zeigt sich Komik bei Kafka als entscheidend für literarische Wissensproduktion. Auf der Fluchtlinie einer 6. Franz Kafka, Tagebücher 1909-1912, S. 179 7. Von Bachtin ist diese Bewegung, als Flucht des Komischen in die Literatur, in den Roman, als Genre der Neuzeit, sozialhistorisch verstanden worden und damit auch als Domestizierung des Lachens. Vgl. dazu, Literatur und Karneval. Diese Bewegung als Domestizierung zu verstehen, heißt aber, den Aufruhr der Literatur nicht ernst zu nehmen. Rita Bischof, Bachtin ergänzend, schreibt: »Parallel zum Prozeß der Entmächtigung des Lachens vollzieht sich seine Rettung durch die Literatur. Das Lachen wird sozial geächtet, geht aber ein in die literarische Struktur, wird von dieser sozusagen erhöht und sich im Medium der Sprache seiner Möglichkeiten erst bewußt.« (»Lachen und Sein. Einige Lachtheorien im Lichte Georges Batailles«, S. 61) Weiter heißt es: »Was die moderne Literatur inszeniert, ist eine Bewegung, die den gewöhnlichen Lauf des Lachens anhält und umkehrt. Von ihr wird alles an seine Grenze getrieben, bis zu dem Punkt, an dem sich die Umrisse der festen Erscheinungen auflösen. Das Sein blickt in den Abgrund seines eigenen Nichtseins;« (Ebd., S. 63)
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lachen lesen
Asemantik entwickeln Kafkas Texte eine Bewegung von der Ironie, über die Komik zum Lachen. Diese Passage zum ›Lachen‹ der Literatur, ist im Dialog mit anderen Textformen um 1900 und um 2000 zu lesen, die jeweils auf unterschiedliche aber verwandte Weise ihre ironischen, komischen oder lachenden Züge als konstitutiv zugeben. 004 Orte des Lachens Während Paul de Mans Texte helfen, die ironische Struktur der Texte Kafkas freizulegen, kann mit Charles Baudelaire ihre komische Dimension erkannt werden. Der entscheidende Schritt dieser Arbeit liegt jedoch in der Insistenz auf dem Lachen, ohne das Kafkas Ironie und Komik undenkbar wären, das diese Formen aber zugleich aufbricht und hinter sich läßt. Zur Analyse der Defigurierung, die das Lachen bewirkt, dienen die Psychoanalyse Jacques Lacans und Sigmund Freuds. Schließlich wird diese Arbeit in der Auseinandersetzung mit Jacques Derridas Überlegungen zur Gabe als textlicher Figur bzw. Defigurierung und damit als Ort des Lachens enden. In dieser Perspektive kann Lachen für das zwanzigste Jahrhundert nicht nur in seiner epistemologischen, ethischen und historischen Dimension bestimmt werden, sondern erscheint zugleich als eine Herausforderung für die Konzeptionen von Epistemologie, Ethik und Geschichte. 005 Nomadisch Wenn davon auszugehen ist, dass sich Literatur als Ort des Lachens lesen lassen wird, wirft die hier über Eigennamen vertretene, kurz genannte Textauswahl die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Philosophie oder Theorie auf. Ununterscheidbar sind philosophischer und literarischer Diskurs in dem Punkt, dass sich konzeptuelle Arbeit nicht unabhängig von Sprache als Rhetorik ereignen kann. In der rhetorischen Struktur von Sprache gibt es immer wieder keine Entscheidung darüber, was Literatur, was Philosophie ist. Die Forderung nach einer Unterscheidung ergibt sich erst unter der Bedingung ihrer Ununterscheidbarkeit. Sie geht von der Sprache aus und kann nur in der Sprache getroffen werden. Ein Anlass der Frage nach der Unterscheidung von philosophischem und literarischem Diskurs, die historisch seit Platons Vertreibung der Dichter aus der Republik,8 bis hin zu Austins Ausschluss des Literarischen von einer Theorie der Sprechakte als parasitär und unernst, sowie
8. Vgl. zum Verhältnis von Literatur and Lachen bei Platon Samuel Weber, »Die Zeit des Lachens«, S. 78ff. Bei Ritter heißt es zu dieser Frage: »Aber zugleich wird damit das Lachen für Platon aus dem ernsten und wahren göttlichen Leben der Vernunft und des Seins ausgeschlossen. Man muß, heißt es im ›Theaitetos‹, das Sein gegen das Lachen sicherstellen, und im ›Staat‹ wird das irdische Lachen der Götter bei Homer und Aristophanes als blasphemisch gebrandmarkt.« (S. 83)
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Einleitung
Gadamers Diffamierung der Ironie als ›Antitext‹,9 immer wieder bekräftigt worden ist, ist Lachen. Literatur als Szene des Lachens, im Unterschied zur Philosophie, ist keine Heimat, sie bleibt nomadisch und betrifft daher immer auch die Philosophie, die versucht, sich als Abwehr der Literatur her- und darzustellen. 006 Imperativ des Ernstes Erscheint das Argument in seiner Ausdrücklichkeit auch konventionell, es ist trotz Nietzsche bis heute nicht unwirksam: Im Unterschied zum literarischen wird der philosophische Diskurs über die Opposition von Ernst und Unernst gesteuert und gesichert.10 Lachen wird von der Philosophie verdrängt, um Ernsthaftigkeit als Imperativ des Denkens zu etablieren.11 Im Lachen wird Weisheit vergossen, sagt man. Erfolgt die Ernsthaftigkeit des philosophischen Diskurses unter Ausschluss des Lachens, wird es zum Anderen der Philosophie, zum abject obect.12 9. Vgl. hierzu Gadamers »Text und Interpretation«, in: Wahrheit und Methode. Zur Kommentierung der betreffenden Debatte zum Verhältnis von Ironie und Hermeneutik, siehe auch Behler, S. 19f. 10. Für die philosophische Wahrheit stellt seit Sokrates weniger die Ironie eine Gefahr dar, sondern das Lachen. Von der Gefährlichkeit des Lachens für die Philosophie erzählt auch Umberto Eco in seinem Roman Der Name der Rose. Damit liegt Ecos Roman gleichzeitig eine heimliche Faszination der Philosophie für das Lachen zugrunde. Am Anfang der Philosophie gibt es das Paar von Demokrit, dem lachenden, und Heraklit dem weinenden Philosophen. Im Lachen wie im Weinen wird Weisheit vergossen. Werden die Exzesse von Weinen und Lachen in der philosophischen Sprache unterdrückt, traute sich erst Nietzsche wieder, die Philosophie dem Lachen auszusetzen und behauptete, damit der letzte Philosoph zu sein; eine Figur, die sich seitdem wiederholt. 11. Gegenüber dem Lachen etablierte sich der philosophische Diskurs als einer der Hygiene und Gesundheit. Joachim Ritter schreibt: »In der antiken Metaphysiktradition wird von Platon und Aristoteles her das Lächerliche als, […] das Ausfallende, das Abständige, das, was sich zum positiv Seienden etwa so verhält wie die Krankheit zur Gesundheit, das Taube zum Hören, das Blinde zum Sehen [bestimmt].« (S. 82) 12. Vgl. hierzu Julia Kristeva, Pouvoirs de l’ horreur. Essai sur l’ abjection. Kristeva beschreibt ›abject‹ als abgewehrtes Objekt, das keinen Objektstatus erreicht und namenlos bleibt. Im Versagen des Sinns zeigt es sich als radikales Anderes, das der Ich-Konstitution droht, aber auch mit Faszination lockt. Seine primäre Form wäre allerdings der Ekel: »Le degoût alimentaire est peut-être la forme la plus élémentaire et la plus archaïque de l’ abjection.« (S. 10) Die anfänglich orale Dimension kündigt einen Zusammenhang von Lachen und ›abject‹ an. So lassen sich auch die Strukturmerkmale des ›abject‹ in den Theorien des Lachens wieder finden: Abzug von Sinn, Namenlosigkeit, Exzess, Unterdrückung und Wiederkehr, Grenzort usw. (vgl. hierzu Kristeva,
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lachen lesen
Aber auf diese Weise wird der philosophische Diskurs vom Lachen als sein Anderes nicht nur gestützt, sondern auch bedroht und wieder heimgesucht. Lachen wird weniger als ein Moment des Karnevals verstanden,13 das als vorübergehende Ausschreitung eine Befreiung mit sich lieferte, die die binäre Ordnung der Zeichen in ihrer momentanen Umkehr noch stützt, sondern als eine ernsthafte Befragung des Ortes der Grenze, an der sich permanent Begrenzung und Entgrenzung ereignen. Diese Heimsuchungen sind es, die es erlauben, in der Frage des Lachens einen Dialog zwischen Literatur und Philosophie zu eröffnen. Was wäre ein Lachen als Anderes, was wüßten wir davon und wie kann es verstanden werden? 007 Darstellen Ausgegangen von der Problematik des Lachens für den theoretischen Diskurs, wird das Paar Ernst/Unernst und seine Destabilisierung zu einer Frage der Darstellung; als Repräsentation und Präsentation, als Darstellung, die sich keiner stabilen Repräsentationsordnung verschreibt, sondern sich im Präsentieren selbst aufs Spiel setzt.14 Das bedeutet, der hier versuchte Lektüremodus für das sprachstrukturelle Problem des Lachens, wie es mit der Literatur auffällig wird, gilt als Maßgabe ebenso für die Lektüre von Texten, die ›theoretisch‹ genannt werden. Gelesen werden Texte nur, wenn sie Lachen zum ›Thema‹ haben,15 und zum Lachen sind. Lachen als ›Thema‹ allein ist kein verläßlicher Anhaltspunkt. Zum Lachen sein, nicht nur komisch, nicht nur ironisch, um das Verständnis dieser rätselhaften Figur geht es mit der vorliegenden Arbeit. 008 Melancholie des Lachens Die aporetische Spannung der Forderung, Lachen nicht vom Verständnis des Lachens auszuschließen, ist nicht zu unterschätzen, werden ›Lachen verstehen‹ und ›zum Lachen sein‹ nicht arbeitsteilig auf Text und Kommentar projiziert, oder noch langweiliger, auf Unterscheidungen wie die von hoher und niederer Kultur usw. Sich der Aporie einer Arbeit zum Lachen bewußt, beginnt Joachim Ritter seine S. 9ff.). Bei Kristeva heißt es weiter: »Situationiste en un sens, et non sans rire – puisque rire est une façon de placer ou de déplacer l’ abjection.« (S. 15) Literatur, Kristeva nennt in diesem Zusammenhang neben Proust, Joyce, Dostojewskij auch Kafka, wird zum Ort des ›abject‹ (vgl. S. 246). Schließlich heißt es deutlich: »Mais c’ est du savoir, d’ un savoir miné d’ oublie et de rire, d’ un savoir abject, qu’ il, qu’ elle, s’ apprête à traverser la première grande démystification du Pouvoir […]«. (S. 247f.) 13. Vgl. hierzu ebd., S. 32ff. 14. Helmut Plessner schreibt: »Zum Lachen ist ja nur, weil wir damit nicht fertig werden. Eine Theorie, die fertiger werden will als wir, hätte das Phänomen durch den Begriff erstickt.« (»Anlässe des Lachens«, S. 302.) 15. Immerhin ist die Bestimmung des Komischen auch ein altes Anliegen der Philosophie, der Ästhetik des Komischen und seit dem 18. Jahrhundert auch der Psychologie.
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Einleitung
Abhandlung mit folgendem Hinweis: »Man hat gesagt, daß das Nachdenken über Lachen melancholisch macht.«16 Nachdenken über Lachen macht melancholisch oder traurig,17 wenn im Nachdenken über Lachen, Lachen verloren geht. Es führt zu einer Trauer, der ich mich an manchen Tagen wiederum ganz gerne im Lachen entledigen würde. Muss eine Arbeit zum Lachen Lachen ernst nehmen, kann sie sich allerdings nicht leichtfertig komische Erleichterung verschaffen, und darin vielleicht der römischen Ökonomie des Witzes folgen, die Kofman im Unterschied zur jüdischen in Freuds Witzbuch erkennt, als Ablachen der Schuld (des Auffressens) und der Bestätigung der Repräsentationsökonomie im Modell des Ausgleichs.18 Lachen ist nicht leicht zu schlucken. 009 Trauer Eine ernsthafte Arbeit zum Lachen bleibt der Trauer verbunden. Eine Arbeit zum Lachen trauert zunächst, weil ihr ›Objekt‹ verloren ist. Wenige Theorien zum Lachen sind zum Lachen. Ist dieses kein Buch über Lachen geworden, oder, nur ein Buch über Lachen geworden? Lachen wird zum Fall eines allegorischen Wissens als Trauer. In der Trauer, stellt sich die Selbstreflexivität eines allegorischen Wissens aus, das nicht vergisst, was ihm fehlt.19 Welchen Namen wir auch wählen: ›Welt‹, ›Phänomen‹, ›Objekte‹, das allegorische Bewusstsein macht sich keine Illusionen über sein epistemologisches Vermögen, es etabliert sich über jenem Abgrund, der es von jeder Welt trennt. Seiner rhetorischen Vermögen ist es gewiss, nicht seiner referentiellen. Trauernd wissen wir, dass wir Lachen verloren haben. Doch das Wissen der Trauer wird leicht zum Trost.20 In einer Trauer, die nicht zum 16. Joachim Ritter, »Über das Lachen«, S. 62 17. Ich werde später auf diesen Unterschied zu sprechen kommen. Vgl. hierzu das Kapitel »Zu einer Historiographie des Lachens« in dieser Arbeit. 18. Vgl. hierzu Sarah Kofman, Die lachenden Dritten. Freud und der Witz, S. 10ff. Jüdischer oder römischer Witz, so wäre an dieser Stelle zunächst zusammenzufassen, sind als Frage von Macht zu verstehen. 19. Und hier unterscheiden sich nochmals philosophischer und literarischer Diskurs, denn, wie Jean-Luc Nancy schreibt, Philosophie kann nicht wirklich trauern: »Philosophy is ignorant of mourning. True mourning has nothing to do with the ›work of mourning‹: the ›work of mourning‹, an elaboration concerned with fending off the incorporation of the dead, is very much the work of philosophy, it is very much the work of representation. In the end, the dead will be represented, thus held at bay.« (»Introduction: The Birth to Presence«, S. 3) 20. Trauerarbeit wäre auch eine Erholung, soweit sie Bedeutung noch verspricht. Emmanuel Lévinas führt jedoch einen Trauerbegriff ein, der die stabilisierende Unterscheidung von Trauer und Melancholie selbst unterläuft: »[…] true mourning leaves a place for the other.« (Lévinas, The Trace of the Other, S. 356) Paul de Man
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lachen lesen
Abschluss kommt hingegen, zeigt sich Theorie als untröstlich. Die aporetische Spannung einer Theoretisierung des Lachens, in seiner Unbegreiflichkeit, trägt sich dem Text als Grenze ein. 010 Grenzen Als Grenze der Texte, die gelesen werden, ebenso, wie als Grenzen der eigenen Lektüre, die die Figuren der Texte wiederholt (die nicht deutlich als Unterschied von Allegorie und Allegorese getrennt werden können, der einen Unterschied von Text und Metatext zugleich behaupten würde). Diese Arbeit versucht, dem verstellenden Verständnis des Lachens wieder soweit zu entgehen, wie es die Grenzen von Verständnis aufdecken kann. Wird sich an diesen Grenzen der Lektüre ein Lachen zeigen? Weniger ein ›Römisches‹, sondern, Kofman folgend, vielleicht ein ›Jüdisches‹, das seinen Verlust nicht wettmacht, sondern zugibt und weitergibt? Ein solcher Text wäre allerdings auch einer, der in seiner Angemessenheit dem Lachen gegenüber droht, zum Gerede und Gestotter zu werden,21 der der Unverständlichkeit, Dummheit, Maßlosigkeit und Verrücktheit, die immer am Horizont der Frage nach dem Lachen lauern, nicht ausweicht.22 Diese Lektüre versucht einem doppelten Imperativ zu folgen: Lesen und Lachen, lachen lesen. 011 Defigurierung Von diesen Spannungen ausgehend, wäre der Ort des Lachens im Verhältnis zum Text zu beschreiben. Es stellt sich die Frage, ob es nur eine Beschreibung der Wirkungen dieses Nichtwissens geben kann und keine Beschreibung des Nichtwissens, wenn auf der Bedeutungslosigkeit des Lachens beharrt wird und diese nicht in anthropologischen oder formalen Bedeutungszuschreibungen verschwinden soll. Wenn Lachen weniger als Textfigur, sondern vielmehr als Defigurierung auftreten kann, wäre es dann noch formal bestimmbar und klassifizierbar? Wäre es schreibt: »Wahre ›Trauer‹ erliegt der Täuschung weniger. Das Äußerste, deren sie fähig ist, ist das Nicht-Verstehen zu erlauben und nicht-anthropomorphische, nicht elegische, nicht-rühmende, nicht-lyrische, nicht-poetische […] Formen der sprachlichen Gewalt aufzuzählen.« (de Man, »Anthropomorphismus und Trope in der Lyrik«, S. 202) Jacques Derrida kommentiert: »Die wahre ›Trauer‹ scheint allein ein Bestreben zu diktieren, das Nicht-Verstehen zu akzeptieren, ihm den Platz zu lassen […]« (Derrida, Mémoires. Für Paul de Man, S. 54) Wahre Trauer würde verstehen können, ohne die Leere zu besetzen. 21. Zu Gerede und Geschwätz als Redemodi der Negativität in der Moderne, vgl. Peter Fenves’ Kierkegaard-Lektüre in, Chatter. Insbesondere S. 1-27 22. Rita Bischof schreibt in ihrer Lektüre Batailles: »Das Lachen ist ein dem Denken unangemessener Gegenstand. Was es von den gewöhnlichen Gegenständen des Denkens unterscheidet, ist zuoberst die Tatsache, daß sich eine lachende Erkenntnis nur durch einen Lachausbruch verifiziert.« (»Lachen und Sein. Einige Lachtheorien im Lichte Georges Batailles«, S. 58f.)
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Einleitung
historisierbar und kann seine politische Funktion beschrieben werden? Oder verbleiben diese Fragen im kontaminösen Kontakt mit Lachen antwortlos? Gäbe es die Möglichkeit von Antworten auf diese Fragen, müssen sie dennoch von der textlichen Figuralität oder Defigurierung des Lachens ausgehen, deren Untersuchung ich mich in dieser Arbeit widme. 012 Keine Antwort Lachen wäre eine Figur in einem Dialog, der offen bleiben muß; Teil einer offenen Ökonomie. Im Dialog ist Lachen (k)eine Antwort.23 Nietzsche schreibt: »Lachen – das ist ungefähr, wenn nicht die klügste, so doch die weiseste Antwort […]«24 Lachen als Antwort ist eine Form von Schweigen, weil die Antwort fehlt. Lachen ist eine Antwort, die keine Antwort ist. Im Lachen übernimmt der ›Körper‹ (welcher Körper?25) die Antwort. Eine Antwort, von der wir nicht viel wissen. Sprache trifft auf einen ›Körper‹, der zurücklacht. Der Wunsch zu wissen, wird abgelöst und Wissen dabei aufgelöst, im Lachen. Angegriffen ist die Stabilität des Arguments. Es wird im Lachen abgebrochen. Im Lachen gibt es eine Tendenz zur Kürze des Arguments. Die Spannung läßt nach. 013 Lachend Lachen lachend zu denken ist unmöglich, insofern ›Lachen‹ als destruktive Kraft gegenüber einem Wissen zu verstehen ist, und ein Wissen, will es sich als solches erhalten, gegenüber dem Lachen sich zu schützen hat. Mit der Allegorie als Antwort wendet sich die Negativität des Lachens in ein Wissen. Eine Allegorie wäre eine andere Form der Antwort als ein Lachen. Eine passende Antwort auf ein Lachen wäre wieder ein Lachen. Damit überließe man Lachen sich selbst. Der Text droht, dieser Gleichgültigkeit ausgesetzt zu sein. Ein Schreiben, das das Lachen ernst nimmt, gefährdet sich durch Indifferenz. Verstehendes Wissen tritt demzufolge nicht nur als Sadismus und Gewalt, als Trauer, sondern auch als 23. Eine Antwort zu haben ist allerdings nicht unbedingt ein Zeichen von Intelligenz. Kommt eine Antwort zu schnell, kann sie ein Zeichen von Dummheit sein. Vgl. hierzu wiederum Ronells »The Uninterrogated Question of Stupidity«, S. 7. Ronell schreibt: »This is why, in a sense, tests such as those administered to children invariably belong to the realm of stupidity. To the extent that they demand an answer and instrumentalize the moment of the question, they escape the anguish of indecision, complication or hypothetical redoubling that would characterize intelligence. In the instance of producing an answer, the intelligent examinee has to play stupid.« Nietzsche folgend wäre Lachen als Nicht-Antwort demnach ein Zeichen von Intelligenz. 24. Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Band 13, S. 417 25. Eine Antwort bietet sich spontan an: Der lachende Körper ist der groteske Körper, nicht nur weil er ein Lachen hervorrufen kann, sondern, weil der »groteske Leib ein werdender Leib« ist. (Bachtin, »Die groteske Gestalt des Leibes«, S. 196) Ein werdender Leib entspricht keinem fixen Körperbild, er bleibt im Auf- und Abbau.
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lachen lesen
eine Figur der Angst hervor.26 Der Text beginnt zu zittern. Der Raum der Allegorie ist ruinös. Nicht stabil, ist er vom Zerfall gezeichnet. 014 Ironie In der Illusionslosigkeit eines figurativen Wissens tritt der Allegorie die Ironie zur Seite, als ihr Abbau. In ihrer Unausweichlichkeit ist Ironie ernst. Bei de Man zeigt sich Hermeneutik als ironischer Imperativ. Wäre ein ironischer Darstellungsmodus demnach jene Chance, Lachen im Schreiben Platz zu verschaffen? Vielleicht als Vermittlung, die den allegorischen Abstand zum Objekt verringert? Hat sich mit der Ironie dem Diskurs ein Lachen eingeschrieben? Dieser Gedanke hat eine verführerische Kraft und ich werde ihm einen großen Teil meiner Arbeit widmen. Ironische Texte, die sich der Möglichkeit von Lachen verdanken, und vielleicht zum Lachen führen. Ausgehend von einem Primat der Rhetorik gegenüber der Anthropologie, bietet sich eine Untersuchung der Ironie an, um sich der Defigurierung des Lachen vom Sprachmaterial her zu nähern, denn Ironie liefert in ihrer referentiellen Ungewißheit das Spannungsverhältnis von Sprache und Lachen mit. Die Figur der Ironie kommt dem soweit beschriebenen Problem nahe, insofern sie einen indirekten Bezug zum Lachen unterhält, es ermöglicht, ohne asemantisch zu werden, weil sie den hermeneutischen Imperativ nicht aufgibt. Mit der Ironie muß es nicht notwendigerweise zum Lachausbruch kommen. Ironie, die vielleicht zum Lachen führen kann – einem ironischen Lachen? – tendiert auch dazu, den Diskurs gegen Lachen abzuschirmen.27 015 Dreier Doch Ironie ist nicht nur masturbatorisch und auch nicht monogam. Allegorie als ihr zuverlässigerer Partner, stellt sich ihr zur Seite, indem sie die fehlende Gewißheit der Referentialität der Ironie als Trauer übersetzt und so sicher vom Verlust sprechen kann. Das Paar Ironie/Allegorie wird wiederum instabil, wenn Ironie Seitensprünge mit dem Lachen 26. Vgl. hierzu wiederum Kristevas Charakterisierung des ›abject‹ in Pouvoirs de l’ horreur, insbesondere S. 245ff. Zum Verhältnis von Hermeneutik und Angst vgl. v.a. Martin Heideggers existenziale Interpretation der Angst in Sein und Zeit. Gegenüber der Furcht kennt die Angst zunächst ihr Objekt nicht. Schließlich schreibt Heidegger jedoch: »Das Wovor der Angst ist das In-der-Welt-sein als solches […]« (S. 186) Im Verhältnis zur Angst wäre die Frage nach dem Fehlen des Lachens in Heideggers Text zu stellen. Siehe hierzu auch den Hinweis auf Heidegger bei Rita Bischof, »Lachen und Sein. Einige Lachtheorien im Lichte Georges Batailles«, insbesondere S. 67, wo es heißt: »Die Beziehung von Sein und Zeit aber läßt sich nur dann einer befriedigenden Lösung zuführen, wenn die heideggersche Angst im Lachen Batailles aufgelöst wird.« 27. Peter Fenves hat ausführlich darauf hingewiesen, daß der ironische Diskurs das Vermögen hat, sich in der Beschreibung von Strukturen der Negativität seinerseits zu retten. Vgl. hierzu, Chatter, S. 17f.
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Einleitung
zuläßt (nicht notwendigerweise ein ironisches Lachen, das die Figur der Ironie bestätigt, sondern ein Lachen, das die Ironie hinter sich läßt). Allegorie – Ironie – Lachen, dieser Dreier interessiert mich in seiner textlichen Gestalt. 016 Opfer Aber Ironie und Lachen sind nicht eins. In der ironischen Distanz geht das Lachen verloren – die ironische Distanz geht im Lachen verloren. Lachen ist ein gewaltsamer Kontakt (Lachen: Distanz in allergrößter Nähe erfahren). Der in der Repräsentation, auch oder gerade der ironischen, geopfterte Körper meldet sich mit dem Lachen zurück – Lachen wird zu einer Substitution des Opfers.28 Was zeigt sich mit dieser Rückkehr? 017 Performanz Während Ironie und Allegorie populäre Figuren der Rede für die Moderne sind, insbesondere seit Benjamin und de Man und ihren Rückblicken auf Barock bzw. Romantik, liegt das Interesse dieser Arbeit darin, Lachen als Defiguration in Beziehung zu diesen Figuren zu lesen und damit als Ergänzung, wie auch Kritik, an Lektüren, die sich zu sicher sind in ihrer allegorisch/ironischen Begrenzung. Lachen ist nicht ohne weiteres mit einer rhetorischen Figur zu identifizieren. Dieser Unterschied ist auch als Differenz von Rhetorik und Performanz zu verstehen. Mit dem Lachen geht Ironie in das performative Register über. Es gilt aber auch: Ironie bleibt Ironie nur, wenn sie Lachen nicht verliert. Eng beieinander, füreinander unerreichbar: Ironie und Lachen sind ein komisches Paar. Die Negativität, die sich mit der Ironie dem Text eingetragen hat, trägt sich als Lachen aus. Es wird zu fragen sein, wie sich der ›Ort‹ des Lachens präsentiert: als Gabe der Literatur. Eine Literatur, die sich im Geben des Lachens mitgibt, aufgibt. Auf der Fluchtlinie eines Verlustes semantischer Gewissheiten, wäre Lachen demnach eine radikalere Figur des Aufbruchs als Ironie. 018 Ein- und Austragung Im Text ist Lachen stumm, trägt sich leise ein oder wird ausgetragen, um lautbar zu werden. Eintragung heißt, Demontage stabiler Denkformen im ironischen Abbau. Austragung heißt, dass diese Bewegung nicht nur niemals zur Ruhe kommen wird, auch in keinem negativen Wissen, sondern vielmehr einer Figur der Umkehr folgend, im Ausdenken immer neuer erzählerischer Formen, sich dem Außen aussetzt und aus-denklich wird. In der Austragung ist Sprache auf dem Weg zu einer anderen Sprache, oder zu einem Anderen als Sprache: Lachen.
28. Vgl. hierzu Derrida, »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, S. 390
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Exkurs: Zu einer Historiographie des Lachens
Exkurs: Zu einer Historiographie des Lachens »›He who believes nothing but history is walking towards terror‹, warns Camus; but at the same time, ›he who believes nothing of history is authorizing terror.‹«1 »Only a criticism that butts up against the materiality of the text and of language, can be historical.«2
019 Leben – Geschichte Dieser Text ist keine ›historische Untersuchung‹ zum Lachen geworden. Eine ›historische Untersuchung‹ müsste ihr Objekt als Entität begrenzen können, um es anschließend mit seinen historisch differenzierbaren semantischen Möglichkeiten zu entfalten. Historische Anthropologie oder Kulturwissenschaften behaupten nach wie vor diesen Erkenntnishorizont.3 Beide gehen von der referenziellen Gewissheit ihres Objektes aus, das sich als ›Phänomen‹ oder ›Motiv‹ lesen lässt. Aber kein historisches oder anthropologisches Apriori würde der Frage nach dem Lachen gerecht werden, weil es Bedingungen der Lektüre feststellte, die nur unter dem Ausschluss des Lachens selbst in Kraft treten können, um einen stabilen Wissensgrund zu etablieren. In der Verwerfung dieser Aporie wäre der Wahrheits-Diskurs, der sich behauptet, fiktiv. Lachen aber setzt wirklich einen Verlust in Szene, der ernst zu nehmen ist. Kann auch die thematische Bezugnahme niemals aufgegeben werden, erscheint mit dem Lachen die Chance von Referentialität von Anfang an fraglich. Wenn Lachen für eine drohende Unintelligibilität einsteht, ist es dann noch kodifizierbar, historisierbar? Borch-Jacobson in seiner Bataille-Lektüre folgend, stellt sich Lachen in seiner Unzugänglichkeit für einen theoretischen Ansatz zunächst als Er-
1. Camus, zitiert bei Felman, »After the Apocalypse«, S. 174 2. Warminski, »Ending up/Taking back«, S. 26 3. Vgl. hierzu die Einleitung des von Dietmar Kamper und Christoph Wulf herausgegebenen Bandes Lachen – Gelächter – Lächeln. Reflexion in drei Spiegeln. Insbesondere S. 7f.
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fahrung heraus: »There is no theory of laughter, there is only an experience.«4 Wird Erfahrung in Opposition zu Theorie gedacht, kann es keine einfache Verbindung zwischen beiden geben. Lachen wäre demnach eine Erfahrung, deren Erfahrbarkeit nicht sicher ist, soweit sich in seiner Darstellung keine mimetische Übersetzung oder eine verlässliche Ausdruckslogik finden lässt, die einer Theoriebildung zur Grundlage dienen könnte. Wenn Lachen die Frage nach der Erfahrung dieser Unerfahrbarkeit hervorruft, damit sein Darstellungsmodus prekär wird und folglich die Möglichkeit, es theoretisch zu erfassen, muss sich jeder Verstehensansatz zum Lachen gegenüber dieser Lage verhalten. Daraus ergibt sich die Einsicht, dass auf einen in dieser Arbeit zu erwartenden geschichtlichen Abriss zum Lachen kein Verlass sein kann, solange er die Chancen, Lachen geschichtlich zu verstehen, nicht selbst befragt. Ist nicht sicher, ob ein historischer Ansatz der Frage des Lachens gerecht werden könnte, kann dieser Versuch nur unter der Bedingung unternommen werden, dass die Kategorie von ›Geschichte‹ in die Befragung mit hineingezogen wird. Lachen wirkt ansteckend, insofern es jedes Konzept, das zu seinem Verständnis auftritt, nicht unberührt lässt. Dringlicher als der Anspruch auf einen historischen Überblick erhebt sich vielmehr die Frage, was eine Geschichtsschreibung wäre, die dem Lachen folgen würde – eine Historiographie des Lachens? Die Problematik eines Geschichtsbegriffs, der sich konstituiert, indem er die Bedingungen seines Gegenstandes übersieht, anstatt sich in seinem Status von ihm berühren und begrenzen zu lassen, ist im Zusammenhang von Zeugenschaft und Trauma bekannt. Felman und Caruth haben auf das Problem hingewiesen, die Unlesbarkeit von ›Geschichte‹ in Geschichtskonzepten unter das Paradigma von Lesbarkeit zu stellen.5 Zur Verdeutlichung dieses Unterschieds beginnt Felman ihre Überlegungen mit einer Unterscheidung von Geschichte als Wissensform gegenüber Narrationen als Diskursformen oder literarisches Genre. ›Geschichte‹ erhebt einen anderen Anspruch auf epistemologische Stabilität als Narrationen. Dieser Imperativ ergibt sich aus ihrer vermeintlichen Nähe zum Ereignis. Geschichte soll sagen, ›was und wie es war‹. Mit dieser Forderung ist jedoch eine Spannung zwischen Geschichte als Wissensform einerseits und Geschichte als Ereignis andererseits eingeführt, denn wie kann ein Ereignis zur Wissensform werden? Für einen Geschichtsbegriff, der seine Stabilität über die Autorität des Ereignisses gewinnt, stellt sich die Frage nach der Übermittlung. In diesem Spannungs4. Borch-Jacobson, »The Laughter of Being«, S. 742 5. Felman, »Camus’ The Plague, or A Monument to Witnessing«. Vgl. außerdem Caruth, Unclaimed Experience. Trauma, Narrative, and History
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verhältnis tritt die Frage nach der Funktion von Narrativität für Geschichte hervor: Soll Geschichte die Dimension des Ereignisses bezeichnen, fällt der Narration die Aufgabe der Darstellung dieses Ereignisses zu. Ist Geschichte in dem Maße, wie sie sich darzustellen hat, zwar auf Narrativität angewiesen, wird diese dabei in den Dienst von Geschichte gestellt und so in eine Position der Sekundarität verwiesen. Dieser Repräsentationslogik folgend wäre das Verhältnis von Geschichte und Narrativität ein instrumentelles. In der Aufgabe Geschichte zu repräsentieren, kommt der Narration keine eigene Stimme zu. Eine solche Geschichtskonzeption verpasst, Felman folgend, allerdings den Ereignischarakter von Geschichte. Paradoxerweise erweist sich der historische Ansatz darin gerade als unhistorisch: »Paradoxically enough, the event historically occurs through its disappearance as an historic actuality and as a referential possibility.«6
Historizität wäre gerade im Moment des Nichtdarstellbaren zu suchen. Mit der Einführung eines Begriffs von Geschichte, der diesem Verschwinden keine Aufmerksamkeit schenkt, wird die Lebendigkeit von Geschichte dementiert. Das Reale der Geschichte wird im Begriff von Geschichte fetischisiert. Eine Öffnung dieses Problems kann sich nur über eine Betrachtung der dabei wirksamen Repräsentationslogik vollziehen. Narration als Instrument von Geschichte muss scheitern. Gerade in diesem Scheitern liegt aber die Möglichkeit begründet, einem fetischisierenden Geschichtsbegriff entgegenzutreten. Bei Felman heißt es weiter: »Narrative has thus become the very writing of the impossibility of writing history.«7 Ein Dialog zwischen Geschichte und Narration kann sich nur mit der Einsicht, dass Narrationen nicht in der Weise historisch sind, wie es ihnen von einem vermeintlich intakten Geschichtsbegriff zugemutet worden war, entwickeln. Was wäre demgegenüber eine nicht-ideologische Historiographie? Die Spannung zwischen Geschichte als Ereignis und Geschichte als Wissen kann nicht über einen instrumentellen Sprachbegriff vermittelt werden, vielmehr wird Schreiben zur Ausstellung dieser unmöglichen Vermittlung als versöhnliche Geste. Der Imperativ historiographischer Darstellung ist
6. Felman, ebd., S. 104 7. Felman, »After the Apocalypse. Paul de Man and the Fall to Silence«, S. 200f.
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demzufolge ein doppelter: als Signifikation, der sich zugleich die Grenze oder Unterbrechung von Signifikation einträgt.8 Eine ähnliche Anordnung ist auch Walter Benjamins ›Thesen zur Geschichte‹ abzulesen: »Der Klassenkampf, der einem Historiker, der an Marx geschult ist, immer vor Augen steht, ist ein Kampf um die rohen und materiellen Dinge, ohne die es keine feinen und spirituellen gibt. Trotzdem sind diese letzteren im Klassenkampf anders zugegen denn als die Vorstellung einer Beute, die an den Sieger fällt. Sie sind als Zuversicht, als Mut, als Humor, als List, als Unentwegtheit in diesem Kampf lebendig und sie wirken in die Ferne der Zeit zurück. Sie werden immer von neuem jeden Sieg, der den herrschenden jemals zugetroffen ist, in Frage stellen.«9
Mit der Zuversicht, dem Mut, dem Humor, kündigt sich bei Benjamin eine Skepsis gegenüber einer Widerspiegelungstheorie an, auch wenn an dieser Stelle offen bleibt, ob diese Repräsentationslogik nur solange unterbrochen werden kann oder muss, wie der Sieg den Herrschenden zufällt und anschließend ein anderes Gesetz – der Revolution – in Kraft treten könnte. Die Lebendigkeit von Geschichte, die hier von Benjamin als Zuversicht, Mut und Humor angesprochen wird, trägt im Trauerspielbuch den Namen Naturgeschichte. Nicht einer Geschichte der Natur, sondern Geschichte als Natur.10 Geschichte benennt damit einen Ort der Unvorhersehbarkeit, von dem nicht zu sagen wäre, ob er menschlich ist, so de Man, Benjamin folgend. Menschliche Existenz als endliche, wäre ihr ausgesetzt.11 Borch-Jacobson hat mit dem Unterschied von Theorie und Erfahrung, 8. Mit Nancy wäre diese Problematik weiter auszuführen, wenn er schreibt: »To write history – which is always the way history is made […] is not to re – present some past or present presence. It is to trace the otherness of existence within its own present and presence. And this is why history is essentially writing, if writing is the tracing of difference through the difference of the trace.« (»Finite History«, S. 160). An anderer Stelle heißt es bei ihm: »It is therefore the question of what happens when we risk saying ›we are inaugurating history,‹ instead of simply saying ›this has been history‹ – in other words, when we treat historicity as performance rather than as narrative or knowledge.« (Ebd., S. 144) Als Einleitung in die Problematik einer Historiographie für eine Lektüre Baudelaires mögen diese Hinweise jedoch reichen. 9. Benjamin, »Über den Begriff der Geschichte«, S. 252 10. Vgl. hierzu Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 70ff. Zu einer sehr präzisen Lektüre des Konzeptes von Naturgeschichte bei Walter Benjamin und zum Trauerspielbuch insgesamt, vgl. Bettine Menke, Sprachfiguren. Name. Allegorie. Bild nach Benjamin. 11. Vgl. hierzu nochmals Nancys »Finite History«, S. 157 ff.
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Exkurs: Zu einer Historiographie des Lachens
die sich nicht versöhnlich, sondern oppositionell zueinander verhalten, auf die Repräsentationsschwierigkeiten des Lachens hingewiesen. Lachen nimmt damit einen vergleichbaren Ort ein, wie das Trauma als Ereignis bei Felman und der Humor bei Benjamin, innerhalb einer nicht-fetischisierenden Historiographie.12 020 Lach-Schock Charles Baudelaires Text »Vom Wesen des Lachens« bietet sich an, der Frage einer Historiographie des Lachens, die dieser Problematik Rechnung trägt, nachzugehen, insofern Lachen hier weniger phänomenologisch, sondern vielmehr sprachtheoretisch und historisch situiert wird. Damit öffnet sich Baudelaires Text für ein Schlüsselproblem der Moderne: Newmark hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt,13 Baudelaire an einer Stelle das ›Phänomen‹ des Lachens mit jenem Begriff beschreibt, der Benjamin zufolge Grund legend für seine schriftstellerische Produktion sein sollte, dem Schock: »[…] en effet, comme le rire est essentiellement humain, il est essentiellement contradictoire, c’ est à dire qu’ il est à la fois signe d’ une grandeur infinie et d’ une misère infinie relativement ‘a l’ Être absolu dont il possède la conception, grandeur infinie relativement aux animaux. C’ est du choc perpétuel de ces deux infinis que se dégage le rire.«14
Benjamin liest Schock als Chiffre der ›Moderne‹, als einen ›historisch‹ bestimmbaren konstitutiven Zug ästhetischer Produktion, der einen Wandel der Erfahrungsstruktur anzeigt. In ihm treffen danach Fragen von Ge12. Mit Caruth kann diese Problematik auch folgendermaßen zusammengefasst werden: »The possibility that reference is indirect, and that consequently we may not have direct access to others‹, or even our own, histories.« (»Unclaimed Experience: Trauma and the Possibility of History (Freud, Moses and Monotheism)«, S. 10) 13. Newmark, »Traumatic Poetry: Charles Baudelaire and the Shock of Laughter« 14. Baudelaire, »De l’ essence du rire et généralement du comique dans les arts plastiques«, S. 379. Hervorhebung von mir. An dieser Stelle steht die französische Version des Textes, weil die deutsche im Unterschied zur englischen Übersetzung den choc unterschlägt; in der von Friedhelm Kemp und Claude Pichois in Zusammenarbeit mit Wolfgang Drost herausgegebenen Fassung steht an dieser Stelle Widerstreit. Vgl. Baudelaire, »Vom Wesen des Lachens und allgemein von dem Komischen in der Bildenden Kunst«, S. 292. Zieht man die konzeptionelle Bedeutung des chocs in den Texten Baudelaires und seiner Rezeption durch Benjamin in Betracht, muss diese Entscheidung als Übersetzungsfehler bewertet werden. Mit diesem Anlass kann die Haltung gegen die deutsche Fassung nicht anders als skeptisch sein. Ggf. wird auf die französische Version zurückgegriffen, oder die deutsche Übersetzung kommentiert.
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schichte, Erinnerung, Bewusstsein und Repräsentation zusammen. Bei Benjamin wird der Schock nicht nur als Gesetz von Baudelaires poetischer Produktion, sondern ebenso als formale Bestimmung des Films verstanden.15 Die Moderne zeigt sich in ihren Zeugnissen vom Schock getroffen. Was hieße es ausgehend von dieser zu entwickelnden ästhetischen und historischen Bestimmung des Schocks, Lachen als Schock zu verstehen? Wäre Lachen als Schock ein ›historisches‹ Zeichen? Kann in dieser Weise die Rede davon sein, dass Lachen als konstitutiver Zug der Moderne lesbar wird? In welcher Verfassung liegt so eine ›Moderne‹? Tritt sie als historischer Begriff in Kraft? 021 Literatur/geschichte? Diesen Text zur Bearbeitung der Frage nach einer ›Historiographie des Lachens‹ heranzuziehen, ist noch in anderer Hinsicht für diese Arbeit entscheidend, denn er ist seinerseits die wichtigste Quelle für einen der Texte, der zur Untersuchung der Frage der Ironie and des Lachens bei Kafka maßgebend sein wird: Paul de Mans »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«. Methodisch and materialbezogen hat dieser Abschnitt damit Konsequenzen für den weiteren Verlauf der Arbeit. 15. In Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit heißt es dazu: »In der Tat wird der Assoziationsablauf dessen, der diese (Film-, Anm. P.R.) Bilder betrachtet, sofort durch ihre Veränderung unterbrochen. Darauf beruht die Chockwirkung des Films, die wie jede Chockwirkung durch gesteigerte Gegenwart aufgefangen sein will. Kraft seiner technischen Struktur hat der Film die physische Chockwirkung, welche der Dadaismus gleichsam in der moralischen noch verpackt hielt, aus seiner Emballage befreit.« (Ebd., S. 39) In einer Fußnote zu dieser Passage ergänzt Benjamin auf derselben Seite: »Der Film ist die der gesteigerten Lebensgefahr, der die Heutigen ins Auge zu sehen haben, entsprechende Kunstform. Das Bedürfnis, sich Chockwirkungen auszusetzen, ist eine Anpassung der Menschen an die sie bedrohenden Gefahren. Der Film entspricht tief greifenden Veränderungen des Apperzeptionsapparates – Veränderungen, wie sie im Maßstab der Privatexistenz jeder Passant im Großstadtverkehr, wie sie im geschichtlichen Maßstab jeder heutige Staatsbürger erlebt.« Modernes Leben, d.h. vor allem medien- und technische Erneuerungen generieren danach diese neue ästhetische Form. Sie folgt einer anderen Verfasstheit des Wahrnehmungsapparates. Darin ist sie nach Benjamin historisch zu lokalisieren. Darüber hinaus stellen sich die Fragen von Technik und Medialität. Eine genauere Bearbeitung der Frage nach dem Zusammenhang von Schock und Technik, erforderte eine Untersuchung des Begriffes von Technik, die nicht an einer Lektüre Heideggers vorbeikäme. Diese Frage reicht über dieses Projekt hinaus. Ebenso wird die Frage der Medialität im Rahmen dieses Projektes nicht präzise weiterverfolgt. Dabei ist die Frage des Schocks nicht nur für den Film, sondern noch weiter, für das Fernsehen zu stellen. Vgl. dazu Ronell, »Trauma TV: Video als Zeugnis. Zwölf Schritte jenseits des Lustprinzips«.
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Exkurs: Zu einer Historiographie des Lachens
De Man erwähnt in seinem ersten Ironie-Text, der unter anderem eine Lektüre des Baudelaire-Textes zum Lachen beinhaltet, literaturgeschichtliche Stationen, an denen die Frage der Ironie bearbeitet wurde. Er findet sein Material bei romantischen und modernen Autoren, nicht nur bei Baudelaire, auch bei Friedrich Schlegel und E.T.A. Hoffmann. Auch wenn der Umstand, dass ein Epochenbegriff bei ihm zum Einsatz kommt, nicht zu übersehen ist,16 wird die Frage nach dem Historischen, als epistemologische Frage, als Frage nach dem Status von Geschichte, nicht gestellt.17 16. In »Widerstand gegen die Theorie« beschreibt de Man den Status von Literaturgeschichte für literaturwissenschaftliches Arbeiten. Die Antwort scheint pragmatisch: Muss auch der epistemologische Wert eines Epochenbegriffs mit jeder Rhetorik in Frage gestellt werden, ist ein nach geschichtlichen Epochen orientiertes Wissen dennoch Voraussetzung für die Arbeit. »Im Falle der Literatur umfaßt eine solche wissenschaftliche Bildung zumindest zwei einander ergänzende Bereiche: historische und philologische Tatsachen als die dem Verstehen vorausgehenden Bedingungen und Methoden des Lesens oder Interpretierens.« (Ebd., S. 81) Diese Bedingungen des Verstehens, als Tatsachen, stehen allerdings ihrerseits in keiner direkten Beziehung zu einem Wahrheitsbegriff, oder zu einer Bildung von Literaturtheorie. Denn die literaturtheoretischen Begriffe sind in erster Linie nicht historisch zu verstehen, sondern gehen von einem Problemhorizont sprachlicher Hermeneutik aus, den de Man als Rhetorik versteht und der seinerseits in der Lage ist, den der Literaturwissenschaft zugrunde liegenden historischen Wissensbegriff in Frage zu stellen. D.h. literaturwissenschaftliches Arbeiten verdankt sich einer Wissensorganisation, die sie ihrerseits kritisieren muss. Literaturwissenschaft spielt sich bezüglich ihrer Geschichte und der Geschichte von Literatur in aporetischer Selbstreflexivität ab. Ihr Verhältnis zur Geschichte als Organisation eines Wissens ist ironisch. De Man versteht diese Tatsache, Gadamer kommentierend, als Spannung von Wahrheit und Methode. Theorie als Reflexion von Methode führt nicht unbedingt zur Methode zurück. Newmark versteht den Status literaturwissenschaftlicher Begriffe, als Epochenbegriffe, bei de Man an anderer Stelle als Metapher. D.h. die Konstruktion von Geschichte ist ihrerseits in rhetorischen Begriffen zu denken. Vgl. dazu Newmark, »Paul de Man’s History«. Insbes. S. 123 17. Der Text verdankt sich einer Situierung des Historischen, die de Man in einer Reihe von anderen Texten deutlich äußert; seine Lektüren folgen einer Kritik des Historischen als A priori von Literaturwissenschaften. In »Genese und Genealogie (Nietzsche)« heißt es dazu: »In den Literaturwissenschaften werden Bedeutungsstrukturen häufiger in historischen als in semiologischen oder rhetorischen Begriffen beschrieben. Das ist an und für sich etwas überraschend, da die historische Beschaffenheit eines literarischen Diskurses keineswegs eine a priori gegebene Tatsache ist, hingegen jede Literatur zwangsläufig aus sprachlichen und semantischen Elementen besteht. Literaturwissenschaftler […] erklären die methodologische Zwangsläufigkeit, Fragen lite-
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Diese Frage bietet sich an, einerseits über die Materialauswahl seines Aufsatzes. Aber sie stellt sich noch auf andere Weise mit den Bedingungen des ironischen Bewusstseins, wenn Zeitlichkeit hier als bestimmendes Moment erkannt wird. Wie verhielte sich die Frage der Zeitlichkeit der Rhetorik zur Frage von Geschichte? Verbunden mit der Frage nach der zeitlichen Verfasstheit des ironischen Bewusstseins ist die Frage, was unter ironischen Bedingungen als ›Erfahrung‹ zu verstehen wäre, denn die Zeitlichkeit des Bewusstseins ist bei de Man als Verlust von Erfahrung markiert. Einer Theorie der Rhetorik sind damit die Fragen von Erfahrung und Geschichte eingetragen. Newmark rückt diese Fragen, die bei de Man in »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« nicht weiter verfolgt werden, in seiner Baudelaire-Lektüre ein.18 rarischen Bedeutens mit den Modellen nichtsprachlicher Referenz anzugehen, wie sie in der Literaturgeschichtsschreibung geläufig sind.« (S. 18) Vgl. ebenfalls, de Man »Anthropomorphismus und Trope in der Lyrik«, im selben Band. Der letztere Aufsatz beschäftigt sich auch mit Baudelaire, eröffnet aber keine Frage hinsichtlich des Zusammenhangs von Lachen und Geschichte. Mit der Priorität des Rhetorischen gegenüber dem Historischen entsteht bei de Man eine Gegensatz von Lesen und Geschichte. Die Unmöglichkeit eines Historischen Aprioris ist eine Erfahrung der Lektüre. Vgl. dazu de Mans Vorwort zur englischen Ausgabe der Allegorien des Lesens. (Allegories of Reading, S. IXff.) Zur Kommentierung dieser auf den ersten Blick vielleicht überraschenden Opposition vgl. auch Geoffrey Hartman, »Looking back on Paul de Man«, S. 7f. Hartman schreibt, »De Man’s failure to pass from the activity of reading to literary history has the effect of keeping the historical dimension free. It is not foreshorted by a master theory.« Auch Newmark kommt an anderer Stelle auf diese Frage zu sprechen und beschreibt sie als Disjunktion von Literatur und Geschichte. Vgl. Newmark, »Paul de Man’s History«, im selben Band wie Hartmans Text, S. 121-135; insbesondere S. 121 ff. Diese Haltung kann als Ausgangsfrage meines Textes verstanden werden. Wie kann ›Geschichte‹ gedacht werden, wenn sie nicht als System einer Lektüre vorausgesetzt wird, sondern sich erst mit ihr eröffnet? (Ebd., S. 8) Dominick LaCapra ist nicht bereit, diese intertextuellen Verweise bei de Man anzuerkennen. Deshalb sein Urteil über die ›undeutliche‹ Geschichtskonzeption im Aufsatz, »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«: »[…] dubious notion of historicity.« (LaCapra, »The Temporality of Rhetoric«, S. 92) Die Frage des ›Fehlens‹ des Historischen bei de Man wurde nach der Entdeckung und Veröffentlichung seiner journalistischen Arbeiten während des zweiten Weltkrieges, die sich ihrerseits als Schock ereignet hat, Anlass von Kritik und heftiger Polemiken. Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Frage siehe ebenfalls Hartmans Beitrag zu Reading de Man Reading. Insb. S. 18ff, ebenso wie Felmans Beitrag zu de Man in ihrem Testimony-Buch, »After the Apocalypse«. 18. Für Newmark ebenso wie für de Man liefert Baudelaires Text »Vom Wesen des Lachens – und allgemein von dem Komischen in der Bildenden Kunst« die ent-
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Exkurs: Zu einer Historiographie des Lachens
Mit Hilfe von Benjamins Perspektive auf Baudelaire, die eine Lektüre Freuds beinhaltet, unternimmt er den Versuch, Lachen nicht nur im Kontext ästhetischer, sprachphilosophischer, bewusstseinstheoretischer und psychoanalytischer, sondern auch geschichtsphilosophischer Diskurse der Moderne zu platzieren. Ich möchte zunächst – Newmarks Vorschlag Baudelaire ›geschichtlich‹ zu verstehen folgend – auf den Geschichtsbegriff eingehen, wie er sich bei Baudelaire lesen lässt, um anschließend die bei Benjamin auch ›historisch‹ situierte neue Erfahrungsstruktur, als eine Frage der Moderne, im Zusammenhang mit der Frage des Lachens zu beschreiben. Wenn Schock als konstitutiver Moment von Moderne anerkannt wird und dieser Schock ein Lachen sein kann, lässt sich für die Moderne eine Historiographie des Lachens erkennen? Wäre auf diese Weise die Frage nach der Historisierung des Lachens sogar gerade an das Problem von Moderne geknüpft? 022 Theologie oder Sozialismus? Baudelaire vermeidet es nicht, Fragen nach Geschichte zu stellen. Zunächst thematisch, im Hinblick auf eine Zivilisations- und Kulturgeschichte, die national ausdifferenziert wird und schließlich im Rahmen eines theologischen, bzw. geschichtsphilosophischen Schemas.19 Ich werde mich auf den letzten Punkt konzentrieren. Dabei wird zu fragen sein, ob Lachen historisierbar ist, oder aber jede Geschichtsschreibung unterbricht – diese Unterbrechung jedoch zugleich Geschichte wieder hervorruft. Zunächst bedarf es eines Blickes auf die geschichtlichen Entwürfe, die dabei im Spiel sind. Ein theologisches Geschichtsmodell kommt bei Baudelaire mit der Erzählung des Sündenfalls zum Einsatz.20 scheidenden Impulse. Gleichwohl wird Baudelaires Text in diesen beiden Aufsätzen in verschiedene textliche Anordnungen gebracht. Ihre Problematiken treffen sich aber soweit, dass Newmarks Text auch als Kritik an de Man gelesen werden kann. 19. Newmark schenkt dieser Frage Aufmerksamkeit. Baudelaire differenziert zwischen den nationalsprachlichen Kulturen Europas, England, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien. Wird Lachen stets in seinen national verschiedenen Färbungen verstanden, wird dabei zugleich sein Vorkommnis in jeder Kultur betont. Newmark fasst zusammen. »Extended by Baudelaire to encompass the entirety of the individual subject as well as of the nations and their mobile links, laughter comes to name the fallen mode of all experiences; it thus becomes another name for the radically secular, that is to say non-teleological and indeterminate mode of history.« (»Traumatic Poetry: Charles Baudelaire and the Shock of Laughter«, S. 525) 20. Wie auch bei Hegel, tritt in diesem Zusammenhang bei Baudelaire die Figur Christus auf. Bei Baudelaire wird Christus, als fleischgewordenes Wort, als Verkörperung des göttlichen Wortes, das keinen Mangel kennt, in Szene gesetzt. Diese Figur, die mit Lacan auch als imaginäre Figur der Schließung gelesen werden kann, ist zu-
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»Fest steht, versetzt man sich auf den Standpunkt der Orthodoxie, daß das menschliche Lachen aufs engste mit der Katastrophe eines frühen Falles, einer physischen und moralischen Erniedrigung verknüpft ist.«21
Als physischer und moralischer Fall, so hier die Definition des Sündenfalls, des Falls der Fälle, des Falls, der alle weiteren Fälle generiert, markiert Lachen die Zäsur zwischen einem mythischen Paradies und der menschlichen Geschichte der Vertreibung. Das Lachen als Trennung bezeichnet damit den Ort eines Übergangs: vom Fehlen der Komik im Paradies zum komischen, nachparadiesischen Menschen, »[…] das Komische [ist] eines der unverkennbar satanischen Merkmale des Menschen und einer der zahlreichen Kerne des symbolischen Apfels […]«.22
Als einer der symbolischen Kerne steht es in Analogie zu weiteren Übergängen, die der Verlust des Paradieses nach sich zog, von der Unschuld zur Schuld und von der Unwissenheit zum Wissen. Mit dem Lachen eröffnet sich hier eine Beziehung von Geschichte, Wissen und Moral. In einer von Baudelaire erfundenen Episode heißt es über die Figur Virginie, die die Jungfrau im Namen trägt und so als Allegorie der Unschuld auftritt, nachdem sie Paris besucht hat und die erste Karikatur ihres Lebens gesehen hat, »[…] in den Augen der Welt wird sie wissender sein, und
nächst fern vom Lachen. Als Verkörperung des göttlichen Wortes ist sie die Verkörperung von Ernsthaftigkeit. Lachen bedeutet für sie eine Erschütterung: der Weise lacht nur mit Zittern. D.h. gegenüber dieser Figur der Ganzheit betreibt Lachen eine Spaltung, mit der der Weise nicht länger eins mit sich selbst ist. Vgl. hierzu: Schuller, »Der Witz oder die Liebe zum ›leersten Ausgange‹«, S. 12. Christus hat im Text Baudelaires danach den unmöglichen Status einer ernsten Figur. Unmöglich, insofern mit dem Sündenfall Lachen als konstitutives Moment von Menschheitsgeschichte aufgetreten war. Für ihn ist Lachen eine Zumutung: der Weise lacht nur mit Zittern. Hegel beschreibt Komödie in der Phänomenologie des Geistes, nicht als Problem von Genre, sondern von Bewusstsein. Die Momente von Desubstantialisierung und Detranszendentalisierung werden mit der Komödie gegenüber der Tragödie radikalisiert. Dieser Epoche der Bildung eines subjektiven, komischen Bewusstseins gibt Hegel den Namen Christentum. Das Wesen des Komischen liegt demnach in der Figur Christus (vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 523), insofern in seiner Subjektivität eine Beziehung zwischen Tragischem und Komischen eröffnet wird. Danach wäre in Bezug auf Hegel die Frage zu stellen, welchen Status der Sündenfall hat. 21. Baudelaire, »Vom Wesen des Lachens«, S. 287 22. Baudelaire, ebd., S. 289
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sie wird lachen.«23 Lachen steht im Zeichen eines Wissens, das seine Unschuld verloren hat. Baudelaire merkt an: »Wie der Schmerz kommt auch das Lachen durch die Organe zum Ausdruck, in denen das Wissen von Gut oder Böse und die Herrschaft darüber ihren Sitz haben: die Augen und der Mund.«24
Dieses ›unmoralische‹ Wissen, das seinen Ausdruck im Lachen gewinnt, ist organisch platziert. Dabei unterliegen die organischen Orte einer Zeitlichkeit. Der lachende, wissende and unmoralische Körper, vielmehr seine Teile, seine Organe, der lachende Körper ist kein ganzer Körper, haben eine Geschichte. Der organische Körper, oder die Körper-Organe, treten hervor im Unterschied vom zeitlosen Mythos zur Zeitlichkeit der Geschichte. Die Geschichte der Vertreibung zeigt sich am Körper. Als Geschichte des Wissens und der Moral, ist diese Körpergeschichte theologisch. Ein theologisches Schema (dessen Beispiel fiktiv, episodisch und in die Moderne versetzt ist), das das Lachens strukturell an der Stelle des Bruchs ansiedelt, und einer Chronologie folgt. Diese Chronologie, vom Paradies, über das Lachen zur Vertreibung, so merkt Baudelaire an anderer Stelle an, ist nicht nur kollektiv oder individuell symbolisch, sondern auch umkehrbar. Die Möglichkeit der Umkehr, die an dieser Stelle von Baudelaire in Klammern hinzugefügt ist, verdient Aufmerksamkeit, es heißt »In dem irdischen Paradies (man denke es als vergangenes oder als zukünftig, als Erinnerung oder als Prophezeiung, wie die Theologen, oder wie die Sozialisten), [Hervorhebung, P.R.] in dem irdischen Paradies, daß heißt in einer Welt, wo alles Erschaffene dem Menschen zu sagen schien, daß es gut war, lag die Freude nicht im Lachen.«25
Die in Klammern gesetzte Hinzufügung ist nicht ohne Wirkung. Wird die Autorität theologischer Geschichtlichkeit auf den ersten Blick gestützt, indem ihr ein weiteres geschichtliches Modell zur Seite gestellt wird, ist diese Unterstützung durch ein zweites Beispiel zugleich eine Unterstützung. Die Unterstützung unterminiert die Stützung. Die stützende Funktion des sozialistischen Modells, kehrt sich um. Die theologische Erinnerung wird zweifelhaft in dem Maße wie ihr ein Beispiel an die Seite gestellt wird, und die Theologie damit ihrerseits zu einem Beispiel wird. Denn die zwei Beispiele verhalten sich verschieden: Die sozialistische Prophezeiung ist eine 23. Ebd., S. 290 24. Ebd., S. 287 25. Ebd., S. 287
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Umkehrung der theologischen Erinnerung an das Paradies. In der möglichen Inversion linearer Zeitlichkeit von paradiesischen und vor- oder nachparadiesischen Zuständen, wird die theologische Vorstellung in dem Maße verlassen, wie geschichtsphilosophische Theorien das Verhältnis von irdischem Paradies und Vertreibung umgekehrt denken. Für den Sozialismus liegt das Paradies am Ende von Geschichte, nicht am Anfang.26 Wird die sozialistische Prophezeiung als Umkehrung der Geschichte vom Sündenfall gelesen, wird deutlich, dass Lachen seinen eindeutig bestimmbaren historischen Ort verloren hat. Es wird zunächst verdoppelt. Dem Lachen am Anfang der Geschichte, nach der mythischen ›Zeit‹ des Paradieses – dem Lachen des Sündenfalls – tritt ein anderer privilegierter Moment zur Seite, der der Prophezeiung eines Paradieses. Dieser Moment wäre nicht der Anfang der Geschichte, ein Anfang mit Lachen, sondern ihr Ende. Er wäre auch das Ende des Lachens. Im sozialistischen Paradies gäbe es nichts mehr zu lachen.27 Damit wäre Lachen am Anfang und am En-
26. Mit der hier gelesenen Textstelle drängt sich außerdem die Frage nach dem Verhältnis von Lachen und Freude auf. Liegt im Paradies die Freude nicht im Lachen führt diese Unabhängigkeit voneinander nach dem Ereignis des Lachens nicht nur zur Zusammenführung von Freude und Lachen in nachparadiesischer Zeit, sondern muss Lachen als ein ambivalentes Zeichen gelesen werden, darauf weist Baudelaires Text immer wieder hin. Wird Lachen, nach dem Paradies, zum Ausdruck von Freude, ist es gleichermaßen Zeichen von Verzweiflung. Dieser Geschichte folgend gäbe es niemals ein einfaches, nicht ambivalentes Lachen. 27. Welche Schlüsse sind daraus für den Status des Lachens in sozialistischen Diktaturen zu ziehen? Bachtins Arbeiten zum Lachen sind von der Idee einer politischen Kraft des Lachens als Waffe gegen die Unterdrückung geleitet; zur Untersuchung dieser Frage wären nicht nur Bachtins Arbeiten zu analysieren, sondern ebenso die Publikationsgeschichte seiner Texte und ihre Rezeption. Lachmann schreibt im Vorwort zu Bachtins Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur: »Gegen den Dogmatismus und die Verdinglichung der Revolution wird die Idee der permanenten Revolution stark, gegen die positiven ›Errungenschaften‹, die immer Verrat sind und Perversion, tritt die ›negative‹ Revolution, die ihre ›Wahrheit‹ noch nicht ausgesprochen hat.« Weiter heißt es: »Und dies scheint der Angelpunkt der Konzeption: die Profilierung eines Mythos der Ambivalenz, der das Ende ausschließt, durch die Sublimierung des Todes im Lachen und durch das Lachen.« (S. 14f.) Eine genauere Situierung Bachtins im Kontext dieser Arbeit erforderte zunächst eine Analyse seines Zeichenbegriffs und seiner Rezeption durch die französische Semiologie. Vgl. hierzu beispielsweise Kristeva, Le texte du roman. Für Kristeva bietet die Überschreitung, die der Karneval zu bieten hat, kein kritisches Potential. In seiner konventionellen Beschränktheit bleibt er politisch wirkungslos und festigt über seine Ventilfunktion als Ausnahmezustand nor-
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de von Geschichte.28 Mit der Umkehrung wäre die geschichtliche Zeit von zwei privilegierten Orten des Lachens umklammert. 023 In der Geschichte lachen Im theologischen Schema leitet Lachen eine Geschichte ein. Eine Geschichte, in der es zum Lachen kommt. Ein erstes Mal. Aber nicht nur einmal, immer wieder. Eine Geschichte, die ihre Geschichtlichkeit im Unterschied zu einer mythischen Zeit etabliert hat, deren Geschichtlichkeit sich aber gerade im Lachen zeigt. Sie ist geschichtlich, insofern sich in ihr ein Lachen Platz verschafft. Das sozialistische Schema hingegen kündigt ein Ende des Lachens an der Grenze zum prophezeiten, zukünftigen, Paradies an. Das sozialistische Schema geht von einer Erfahrung des Lachens aus, die es hinter sich lassen will. Der prophezeite Ort ohne Lachen, läge am Ende der Geschichte, vielmehr jenseits von Geschichte.29 Mit der Umkehrung des historisch gedachten Ablaufs kann Lachen sowohl am Anfang der Geschichte, als auch an ihrem Ende platziert werden, als ein erstes oder letztes Lachen, nach theologischem oder sozialistischem Muster. Diese Platzierungen, die dem anfänglichen Lachen und seinem Ende einen außerordentlichen Ort im Geschichtsmodell zuweisen würden, gehen von einer Geschichte aus, in der bereits gelacht wurde, die gerade mit einem Lachen beginnt, oder aufhören würde.30 Mit der geschichtlichen Zeit innerhalb eines Modells von Geschichte verliert Lachen seinen einmamative Machtzustände. Mit dieser Kritik stellt sich noch einmal die Frage nach der Kontextabhängigkeit des Lachens. Die in ein semiologisches Register übersetzte Problematik wäre mit den ›Literaturbegriffen‹ de Mans und Derridas in ein Verhältnis zu setzen. Danach wäre auf die Rolle des ›Körpers‹ beim Lachen, auf der Bachtin insistiert, näher einzugehen. Von hieraus wäre die Frage zu verfolgen, in welchem Maße Bachtin als Kritik an de Man oder auch an Derrida gelesen werden kann. 28. Benjamin schreibt in »Über den Begriff der Geschichte«: »Freilich fällt erst der erlösten Menschheit ihre Vergangenheit vollauf zu. Das will sagen: erst der erlösten Menschheit ist ihre Vergangenheit in jedem ihrer Momente zitierbar geworden.« (S. 252) Und weiter: »Vergangenheit historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ›wie es denn eigentlich gewesen ist‹. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.« (S. 253) Und schließlich: »Wo das Denken einer von Spannungen gesättigten Konstellation plötzlich einhält, da erteilt es derselben einen Chock, durch den es sich als Monade kristallisiert.« (S. 260) 29. Pepper schreibt: »Communism, but only a communism beyond communism would be the end of history.« (»The Law – The Not Good Enough Father«, S. 3) 30. Ist es für die hier entwickelte Frage wichtig zu wissen, worüber gelacht wird? Der Inhalt des Lachens spielt zunächst keine Rolle. Wichtig ist, dass das Lachen in Folge eines frühen Falls bei Baudelaire als Zeichen der Spaltung verstanden wird.
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ligen privilegierten Status. Die Umkehrbarkeit der Modelle, von paradiesischer Verfallsgeschichte und teleologischer sozialistischer Prophezeiung, weist auf eine Vervielfältigung des Lachens hin. Geschichte konstituiert sich mit dieser Umkehrung als lachende, umklammert von mythischer Vergangenheit oder utopischer Zukunft (Umgekehrt heißt das: vom Standpunkt einer endlichen, lachenden Geschichte ausgehend, etabliert sich das geschichtliche Modell im Verhältnis zur Frage des Lachens, als sein Anfang oder Ende). ›Mythos‹ wäre der Name für die Zeit vor dem Lachen, oder ein Name für die Zeit nach dem letzten Lachen (falls es ein letztes Lachen gibt). Geschichte wäre nicht nur jene Zeit, in der gelacht werden darf, sondern in der gelacht werden muss. Es handelt sich um eine Geschichte, die keine Gewissheit eines teleologischen Verlaufes erlaubt, sondern als Endlichkeit sich keinem Geschichtsmodell fügt.31 Lachen trennt nicht einfach Mythos und Geschichte voneinander, sondern ist zugleich jener Moment, der Geschichte als solche kennzeichnet und darin ein geschichtliches Modell unmöglich macht und zugleich hervorruft. 024 Geschichtssprung Damit ist Lachen ›selbst‹ jedoch nicht mehr über ein geschichtliches Modell zu verstehen, das sich, indem es sich auf eine mythische ›Zeit‹ teleologisch einrichtet, kohärent wäre. Vielmehr wäre Lachen jener Moment, der die verschiedenen Geschichtsmodelle generiert und zugleich unterbricht. Lachen ruft Geschichtsentwürfe mit ihren mythischen Bezügen hervor, verliert dabei selber seine geschichtliche Bestimmbarkeit und bringt die so eröffnete Geschichte mit dem Lachen auch wieder zu Fall.32 Bei Newmark heißt es:
31. Bei Benjamin heißt es: »Die Tatsache der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der ›Ausnahmezustand‹, in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht.« (»Über den Begriff der Geschichte«, S. 254) An anderer Stelle heißt es: »Die Kritik an der Vorstellung dieses Fortgangs muß die Grundlage der Kritik an der Vorstellung des Fortschritts überhaupt bilden.« (S. 258) Zur Kritik eines teleologischen Geschichtsmodells, vgl. auch Fenves’, Chatter, S. 12ff. 32. Bei Hegel ist das Komische zunächst im historischen Rahmen angesiedelt, übersteigt aber zugleich das Historische, und wird zur ontologischen Frage. Der Komödie fällt nach Hegel die Funktion zu, das Ende der Kunst zu markieren. Mit der Komödie geht die Kunst in die Philosophie über, so dass bei Hegel die Kunst nicht länger für die Darstellung von Wahrheit in Frage kommt. Die Wahrheit des Wissens stellt sich danach nur noch in sich selbst dar. Aus der Komödie geht eine an sich selbst selig werdende Subjektivität hervor. Vgl. dazu Hegel, Phänomenologie des Geistes, insbesondere S. 529 ff.
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»The shock of laughter in Baudelaire’s text designates the loss of equilibrium that is always entailed by an actual fall into history, where history itself can be experienced only non – teleologically as a constant falling.«33
Geschichtlichkeit wäre mit dem Lachen eine Endlichkeit eingetragen, die Geschichtsmodelle provoziert und wieder zu Fall bringt. Geschichte ist dabei unvermeidlich, jedoch in der Weise, das sie als Fallgeschichte, vielmehr als Fallgeschichten, aus dem Lachen hervorgeht. Der stets wiederholbare, unaufhörliche Fall in Geschichtlichkeit strukturiert ihren Verlauf, der damit seinerseits nicht länger als teleologischer Rahmen für eine Untersuchung in Betracht kommt. Die strukturelle Funktion des Lachens ist also nicht ohne Effekt auf den Status geschichtlicher Modelle: Sie treten als Möglichkeiten auf, die jedoch in dem Maße, wie die sie generierende Logik des Lachens ihnen keine Teleologie zuweisen kann, stets dem Abbruch ausgesetzt bleiben. Wenn Lachen als konstitutives Element von Geschichtlichkeit angesehen werden kann, verliert Geschichte ihrerseits ihren garantierten Anspruch als Modell für Wahrheit. Sie bleibt möglich, aber verdächtig und umkehrbar. Das Verstehen kann sich somit nicht auf ein Geschichtsmodell verlassen, wenn Geschichte ihrerseits in ihrem permanenten Verfall verstanden werden muss. Das aber heißt, dass kein teleologisches Geschichtsmodell, können damit auch verschiedene Bedeutungen des Lachens auftreten, die Bedeutung des Lachens seinerseits in seinem Status klären kann, vielmehr ist es gerade das Lachen, das die Möglichkeit teleologischer Bedeutung aufhält. Soweit zeigen sich diese Modelle als Pseudogeschichte, »[…] to the extent that they are based on an ideal concept of a prior or subsequent unity, are not capable of fully accounting for laughter – laughter is indeed the symptom that the teleological model is susceptible of being exceeded at every point.«34
Unterbricht Lachen ein teleologisches Geschichtsmodell, wird es darin gleichzeitig zum Zeichen einer anderen Geschichte, dessen Raum es eröffnet. Paradoxerweise unterbricht und eröffnet Lachen die Möglichkeit von Geschichte. Geschichte spielt sich in jener Zwischenzeit ab, die das Lachen eröffnet, als Unterbrechung. So bleibt Geschichte stets eine sich er-
33. Newmark, »Traumatic Poetry: Charles Baudelaire and the Shock of Laughter«, S. 525 34. Newmark, ebd., S. 524
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öffnende, die bevor sie ihre Bedeutung verwirklichen könnte, wieder abgebrochen wird.35 Damit ist die Stelle des Ursprungs verschoben. Ist der Mythos vom Paradies, als Anfang oder als Ende, nicht ohne Beziehung zum Lachen zu denken, ebenso wie der Einfall der Geschichte, fällt dem Lachen die Aufgabe zu, ursprünglich zu sein. Ursprünglich, in einer Weise, die nicht mehr teleologisch verstanden werden kann, eröffnet das Lachen nur noch Sprünge.36 Geschichte wird heterogen. Als Sprung verliert der Ursprung das Pathos des Anfangs. In Sprüngen spielt sich Geschichte ab, eine Geschichte, die über ihre ›Ungeschichtlichkeit‹ zur Geschichte wird, als Geschichtlichkeit: »As a consequence, moreover it is laughter itself, rather than some transcendental principle of lost or promised unity, that is made here to provide the essential link between the individual and the larger structures of temporal and spatial experience […]«.37
Newmark folgert daraus, dass in diesem Horizont das Lachen sowohl seine rein physiologische, als auch, begründet in der Unmöglichkeit seiner theologisch-teleologischen Deutung, seine geschichtliche Bedeutung hinter sich gelassen hat, dass diese Lektüren gerade in ihren gesetzten Bedeutungen 35. In eben dieser Unterbrechung öffnet sich Geschichte aber für eine Zukünftigkeit. Heideggers Unterscheidung zwischen Verwüstung und Destruktion wird an dieser Stelle wichtig. Derridas Arbeiten nehmen bekanntlicherweise von hier aus ihre Richtung. Heideggers Destruktion wird als Dekonstruktion weitergeführt. Die Debatte, in welchem Maße dieses Projekt nicht als Methode zu verstehen ist, werde ich an dieser Stelle nicht führen. Wichtiger erscheint mir an dieser Stelle der Hinweis, dass Derrida v.a. in einigen seiner letzten Arbeiten, z.B. in Politik der Freundschaft (Frankfurt a.M. 2000) und »Den Tod geben« (Frankfurt a.M. 1994), auf die ethische Dimension seines Projektes hingewiesen hat. ›Dekonstruktion‹ ist ethisch, insofern sie eine Zukünftigkeit eröffnet. Impulse für das Denken einer Zukünftigkeit können insbesondere Nietzsches Arbeiten anbieten. Verwüstung wäre demgegenüber ein nihilistisches Konzept der Schließung, das keine Zukunft verspricht. 36. Gegenüber einer Pseudogeschichte, die sich als Metadiskurs aufspielt beschreibt Nancy ein Projekt von Geschichte, das sich dieser Anfänglichkeit widmet: »History therefore becomes a causality of causalities, which means the unending production of effects – but never the effectivity of a beginning. But it is precisely the question of beginning, of inaugurating or entering history, that should constitute the core of the thinking of history.« (»Finite History«, S. 146) 37. Newmark, »Traumatic Poetry: Charles Baudelaire and the Shock of Laughter«, S. 525
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Lachen verpassen. Jenseits dieser Bedeutungen müssen wir Lachen denken, falls wir es denken können. 025 Lachen und Erfahrung In Analogie zu Borch-Jacobson untersucht Newmark die Ur-sprünglichkeit des Lachens, die sich im Kontext von Geschichte abspielt, aber ihrerseits nicht geschichtlich geklärt werden kann, mit dem Begriff der ›Erfahrung‹, denn es ist die ›Erfahrung‹ des Lachens, die in ihrer unterbrechenden Funktion Geschichte als nicht-teleologische denken lässt. Um was für eine Erfahrung handelt es sich dabei? Wo wäre sie auffindbar? Es heißt, in der Dichtung stellt sich Lachen als ›Erfahrung‹ dar. Literaturgeschichtliche Epochen tauchen bei Newmark nicht länger vor dem Horizont einer Geschichtsphilosophie auf, sondern als Bühne für eine Literatur, in der sich die ›Erfahrung‹ des Lachens Platz verschafft hat. Periodisierung hat pragmatischen und nicht epistemologischen Wert. Nach diesem ›Platz‹ – nach der Performativität, der Darstellbarkeit – die hier in Szene tritt, wird zu fragen sein: »The laughter that emanates from shock, Baudelaire tells us, possesses the linguistic structure of a sign: corresponding to neither pure knowledge nor simple existence, laughter can only occur on the site of their mutual impossibility to achieve the fullness of presence as either simple being or thought.«38
Dieser zweifelhafte Ort des Lachens ist es, an dem Newmark für Baudelaire die Frage nach der ›Erfahrung‹ ansiedelt. Es handelt sich dabei um eine ›Erfahrung der Sprache‹. Um ein Ereignis, das sich eingeschrieben hat und als solches ›erfahrbar‹ wird. Der Erfahrungsbegriff, der an dieser Stelle wirksam ist, soll im Folgenden mit Benjamin untersucht werden. Dabei wird die Frage nach Geschichte wieder aufgenommen, als Frage nach der Moderne. 026 Schock und Erfahrung Benjamin als Theoretiker des Verlustes von Erfahrung in der Moderne, mit seinen Aufsätzen zu Baudelaire39 ebenso wie mit seinem Erzähler-Aufsatz,40 wird für Newmark zum Referenzpunkt der theoretischen Ausarbeitung des Problems der ›Erfahrung des Lachens‹. ›Erfahrung‹ taucht bei Benjamin im Unterschied zum ›Schock‹ auf, jenem Begriff, der für Baudelaires Ästhetik als konstitutiv erkannt wird, wie er seinerseits das Lachen auf diese Weise beschreiben konnte. Ausgehend von der Diagnose eines Kontaktverlustes zwischen moderner Lyrik und der Erfahrung ihrer Leser stellt Benjamin die Frage 38. Newmark, ebd., S. 533. Hervorhebung von mir 39. Siehe: Benjamin, Charles Baudelaire. Frankfurt a.M. 1974 40. Benjamin, »Der Erzähler«. In: Illuminationen. Frankfurt a.M. 1977, S. 385410
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nach einem Strukturwandel von Erfahrung in der Moderne. Benjamin denkt Schock als Symptom der Moderne. Modell dieser Diagnose ist der Verlust des Erzählens und der Möglichkeit von Erfahrung. Dabei ist zu fragen, in welchem Modell bei Benjamin ›Moderne‹ auftritt, und wie sich dieses Modell zu den mit Baudelaire ausgearbeiteten Fragen zur Geschichte verhält. 027 Die Entfernung des Erzählers Benjamin führt in diesem Zusammenhang die Figur des Erzählers ein, der schon etwas »Entferntes und weiter sich Entfernendes«41 ist. Lesen wir diesen Satz zunächst einfach, (ich werde auf diesen Satz zurückkommen) einfach so: mit der Kunst des Erzählens geht es zu Ende. Mit dem Erzählen steht für Benjamin nicht nur ein Genre, sondern vielmehr die Möglichkeit von Erfahrung auf dem Spiel: »Es ist, als wenn ein Vermögen, das uns unveräußerlich schien, das Gesichertste unter dem Sicheren, von uns genommen würde. Nämlich das Vermögen, Erfahrungen auszutauschen.«42
Die Möglichkeit von Erfahrung ist demnach weder über ihre anthropologische Bestimmung gesichert, noch als kognitives Vermögen unhistorische Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, sondern ihrerseits eine Möglichkeit, die in Gefahr steht, verloren zu gehen. Denn Erfahrungen konstituieren sich nicht nur in der ›Erfahrbarkeit‹, sondern vielmehr ist der Austausch von Erfahrungen, als Erzählen, für die Möglichkeit von Erfahrung mit konstitutiv, in dem Maße, »wie die Kunst des Erzählens zu Ende geht […] [ist] die Erfahrung […] im Kurs gefallen.«43 Dieser Verfall, der Verlust der Möglichkeit von Erfahrung, ist allerdings seinerseits eine Erfahrung: »Diesen Abstand und diesen Blickwinkel schreibt uns eine Erfahrung vor, zu der wir fast täglich Gelegenheit haben.«44 Das eingeschriebene Ereignis des Verlustes von Erfahrung als Erzählung, wird uns vorgeschrieben. Erfahrbar ist demnach der Verlust von Erfahrung. Sie zeigt sich in der Erfahrung des Verlustes von Erzählung. Paradigma des Zusammenhangs von Erzählung und Erfahrung ist nicht der Roman, ein modernes Genre, dieser steht seinerseits vielmehr schon im Zeichen des Verlustes von Erfahrung, sondern die Mündlichkeit: »Erfahrung, die von Mund zu Mund geht ist die Quelle, aus der alle Erzähler geschöpft haben.«45 Von dieser Erfahrung ist schon der vereinzelte Roman41. 42. 43. 44. 45.
Benjamin, ebd., S. 409 Ebd., S. 409 Ebd., S. 409 Ebd., S. 409 Ebd., S. 410
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cier, dessen Medium das Buch ist, abgeschieden. Seine Sprache erhebt keinen Anspruch mehr auf Exemplarität, sondern seine Schönheit, so Benjamin, liegt vielmehr in der im Roman ausgestellten Ratlosigkeit: »Einen Roman schreiben heißt in der Darstellung das Inkomensurable auf die Spitze treiben.«46 Das Genre Roman trägt danach die Züge der Moderne, als Verlust von Erfahrung im Verlust der Möglichkeit des Erzählens. Wird im Erzählen ein kohärenter Zusammenhang von Erfahrung und Weisheit gestiftet, entwirft sich der Roman als Negativ dieses geschlossenen Bildes. Für die Möglichkeit von Erfahrung im Erzählen ist die Erinnerung entscheidend. »Mnemosyne, die Erinnernde war bei den Griechen die Muse des Epischen.«47 Eine Gabe, die für die Moderne nicht mehr sicher ist. Für die mündliche Erzählung, die die Erfahrung nach Benjamin tradiert, bildet die Erinnerung jenen Ort, der die zeitliche Dauer garantiert: »Die Erinnerung stiftet die Kette der Tradition, welche das Geschehene von Geschlecht zu Geschlecht weiterleitet.«48 Nur im Zusammenspiel von Erzählung und Erinnerung, könnte Erfahrung etabliert und weitergegeben werden. ›Moderne‹ ist auch ein Name für die Trauer um diesen Verlust. Aber was kann unter diesen Voraussetzungen ›Moderne‹ heißen? Der Mythos einer homogenen Fassung von Erfahrung, Mündlichkeit und Erinnerung, homogen, insofern in ihrem Zusammenhang und ihrer Abfolge Erfahrung garantiert und gesichert tradiert werden sollen, ist nach Benjamin in der ›Moderne‹ zerbrochen. Eine Moderne, die aus dem Bruch mit der Tradition hervorgeht. Eine Tradition, die als mythischer Epos aber erst geschaffen wird; eine Moderne, die im Unterschied zum Mythos der Tradition liegt, eine Moderne die ihrerseits zerbrochen ist, insofern sie vom Schock des Lachens gekennzeichnet ist. 46. Ebd., S. 414 47. Ebd., S. 424. Vgl. hierzu auch Derrida, Mémoires – für Paul de Man; wo es heißt: »Aber was geschieht, wenn derjenige, der Mnemosyne liebt, nicht die Gabe der Erzählung empfangen hat? Wenn er nicht weiß, wie man eine Geschichte erzählt? Wenn er genau, weil er das Gedächtnis bewahrt, die Erzählung verliert?« (S. 17f.) Kann es sein, dass Gedächtnis nicht mehr der Ort von Erzählung wäre? M.a.W., ist die Anordnung von Gedächtnis, Erfahrung und Erzählung, wie sie bei Freud und Benjamin zu lesen ist, ihrerseits, so müsste man sagen, historisch verschoben? Ist die Bewahrung des Gedächtnisses vielleicht gerade die Unmöglichkeit von Erzählung? Wäre Gedächtnis nur als Allegorie denkbar? Aber was wäre danach, eine Erzählung, wenn es sie gäbe? Diese Fragen spielen gegen Ende dieser Arbeit noch einmal eine Rolle, wenn zu fragen ist, ob der Schock des Lachens tatsächlich als eine Unterbrechung gelesen werden kann, oder sich der Status des Lachens verschiebt, wenn wir vielleicht bereits in einem permanenten Schock leben; das wäre die Frage nach dem Trauma. 48. Benjamin, »Der Erzähler«, S. 424
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Moderne tritt hier als Doppelzeichen auf. Einerseits soll es die Zeit der Schockvorfälle im Unterschied zur mythischen Zeit des Epos benennen. Damit wäre sie in eine chronologische Ordnung eingetragen. Gleichzeitig ist Moderne aber ein Strukturprinzip, das diese Anordnung erst ermöglicht. Moderne schafft sich selbst stets neu in Abgrenzung zum Mythos. ›Moderne‹ hält sich bei Benjamin in eben dieser historisch-strukturellen Aporie auf. Der Schock ist nicht geschichtlich zu verstehen, außer im Namen einer Geschichte, die von ihm bereits getroffen ist. Gibt man diesem Schock den Namen Moderne, bringt sich die Moderne paradoxerweise stets durch sich selbst neu hervor. Die Moderne muss als Schock und als Zeit der Schockvorfälle verstanden werden. Zugleich schafft sie einen Mythos, der in der Moderne unzugänglich ist, aber dennoch als logische Voraussetzung des Bruchs gesetzt werden muss. ›Moderne‹ ist Effekt und Effektuierung zugleich.49 Das Ereignis als Schock eröffnet im Bruch mit der Tradition die Möglichkeit des Neuen. Die Neuheit der Moderne liegt in ihrer permanenten Erneuerung. Diese Erneuerung verdankt sich dem Unvermögen, sich als stabil zu etablieren, deshalb kann Moderne nicht alt werden. Hamacher schreibt, dass für die Moderne ironischerweise nichts sicherer als ihr Scheitern wäre.50 Moderne als Schock verstanden, bedeutet ein permanentes Scheitern der Moderne. Ironisch ist, wir wissen, dass das Scheitern der Moderne sicher ist. Moderne ist dieses Scheitern, erlaubt aber auch ein Wissen dieses Scheiterns. In diesem negativen, ironischen Wissen produzieren wir mit Sicherheit eine illusionslose Vorstellung der Moderne. Mo49. Derrida weist in einem anderen Kontext auf dieses strukturelle Problem hin: »Wie Rousseau mußte er (Lévi-Strauss, Anm. P.R.) die Entstehung einer neuen Struktur jeweils nach dem Modell der Katastrophe denken – Umwälzung der Natur in der Natur, natürliche Unterbrechung der natürlichen Verkettung, Abstand von der Natur.« (Derrida, »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«, S. 440) Setzt man hier für den Namen Natur, den Namen Moderne ein, wäre das gleiche Problem wie bei Benjamin formuliert. Die Neuheit der Moderne muss danach in der Figur der Katastrophe auftreten. Die sich daraus entwickelnden Schwierigkeiten, verfolgt der Haupttext. 50. Die Frage des konstitutiven Scheiterns der Moderne wirft Hamacher zu Beginn seines Essays über Benjamin und Kafka auf. Er platziert damit die Frage des Scheiterns, in dem Kontext, der auch für Benjamins Erzähler-Aufsatz maßgebend ist. Scheitern als Verlust traditioneller Ordnungen und Konventionen, sozialer und ästhetischer Codes; Die Unernsthaftigkeit dieses Scheiterns ergibt sich gerade aus der Insistenz der Moderne, der Insistenz auf ihrem Scheitern. Scheitern wird paradoxerweise zum Prinzip von Moderne. D.h. der Vorfall des Scheiterns wird der Moderne nicht nur attestiert, sondern zum Gesetz ihres Bewusstseins gemacht. Vgl. Hamacher, »Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«, S. 280f.
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derne tritt dabei als Allegorie des Scheiterns auf. Diese Figur gewinnt ihre Stabilität in der Gewissheit ihrer Ungewissheit, ihres Scheiterns, solange, wie ›Moderne‹ als Allegorie nicht in Frage steht. Betrifft das Scheitern die Figur von Geschichte selbst, ist Moderne kein historischer Zustand, der auf eine Vormoderne folgt, sondern der Name für eine Zeit- und Erfahrungssituation, wie sie sich mit der Sprache zeigt, als Allegorie. Im Zeichen des Schocks als Erfahrungsverlust kann sie die Züge der Trauer oder der Melancholie tragen. Würde sie um die Figur des Erzählers trauern, wäre sie nostalgisch. Muss jedoch die Frage gestellt werden, ob es den Erzähler jemals gab, oder ob er immer schon in Entfernung war (nachträglich konstituiert wird), droht der Trauer stets der Verlust ihres Objektes. Die Moderne wäre melancholisch, insofern sie nicht mit Sicherheit wüsste, was sie verloren hätte, sondern für ihre Konstituierung lediglich den Verlust annehmen müsste. Aber noch die Melancholie fetischisiert die Figur des Verlustes selbst, auch wenn sie sein Objekt nicht mehr kennt. Die Figur des Erzählers ist ein Entferntes und weiter sich Entfernendes, so ist bei Benjamin zu lesen. Die Entfernung des Erzählers markiert diese Unsicherheit des Wissens. Insofern wäre Benjamins Text melancholisch, genau in dem Maße, wie er um einen verlorenen Mythos trauert, die Möglichkeit dieser Trauer aber ihrerseits fraglich wird, in dem sich der Erzähler – vielleicht immer schon – in einer Entfernung aufhält. Melancholisch in einer Weise, die der Trauer ähnlich wäre, kann eine Moderne jedoch nur so lange sein, wie ihr, die ihren Verlust nicht kennt, sondern nur den Verlust noch kennt (die Tatsache des Verlustes noch kennt, nicht das Verlorene), eine analoge Trauer erzählt, dass es etwas zu verlieren gab, oder sogar, was sie verloren hat. In der permanenten Erneuerung wird diese Geschichte des Verlustes aber stets dem Vergessen ausgesetzt.51 51. Diese Aussage setzt eine Analyse der Figur der Analogie in Freuds Texten voraus. Analogie verfährt u.a. in der Weise, dass sie vergleicht, was nicht vergleichbar ist, d.h. sie konstituiert sich über einen Unterschied. Ist dieser Unterschied zwar konstitutiv, behauptet die Analogie zugleich seine Begrenztheit. Sie benutzt den Unterschied um eine Ähnlichkeit aufzuzeigen. Von dieser Rhythmik ist Freuds Aufsatz »Trauer und Melancholie« getragen. Über ihren konstitutiven Unterschied erlaubt die Analogie aber auch eine Lektüre, die die Unterscheidbarkeit betont. Fehlt der Melancholie im Unterschied zur Trauer das Wissen, was verloren ging, heißt das auch, mit der Analogie, wird der Melancholie erst erzählt, dass es dieses Wissen geben könnte. Die Melancholie weiß es nicht von sich aus. Sie kennt den Verlust nicht, nur die Tatsache des Verlustes. Von hier aus eröffnen sich mit den Figuren von Trauer und Melancholie zwei unterschiedliche Ökonomien. Die Trauer arbeitet nicht auf Rückkehr, aber auf Ersetzung, d.h. auf Ausgleich. Anders die Melancholie: in ihrer Unwissenheit bleibt sie verlustreich. Vgl. hierzu von Chamier, »Notizen am Wundrand«. Die Ökono-
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Mit dem Moment des Verlustes dieser Vergangenheit, droht oder hofft die Moderne komisch zu werden. Die permanente Erneuerung der Moderne eröffnet im Modus der Wiederholung die Möglichkeit der Komik. In der zeitlichen Distanz, die die Wiederholung einführt, löst die Ironie die Melancholie ab. Als Wiederholung, wird tragische Geschichte zur Farce, wusste Marx.52 Nicht jede Wiederholung führt zur Komik, aber Wiederholung bleibt Bedingung von Komik. Die Möglichkeit der Wiederholung führt zum Lachen.53 Was ist im Lachen verloren gegangen? Kennt das Lachen seinen Verlust? Wäre es überhaupt noch richtig zu sagen, im Lachen geht etwas verloren? Folgen wir noch einmal Benjamin, und fragen welche unterschiedlichen Vorstellungen der Genese der Moderne damit auf dem Spiel stehen. Im Schock wird keine Erfahrung mehr gemacht. Benjamin vermeidet es zielstrebig, einen genauen Zeitpunkt und eine Ursache für diesen Wandel anzugeben. Er erweckt vielmehr unterschiedliche Vorstellungen des Einschnitts von Moderne. Literaturgeschichtlich als Entstehung des Romans, soziologisch mit dem Anwachsen der Großstädte im 19. Jahrhundert und medien- und wahrnehmungsgeschichtlich von der Entstehung des Buchdrucks über das Zeitungswesen bis hin zum Film. Diese Koordinaten rufen unterschiedliche Vorstellungen von Moderne auf. 028 Nichts als Beispiele In Bezug auf Freud wird der erste Weltkrieg als weiteres Beispiel für den Strukturwandel der Moderne erwähnt, als mie der Melancholie leitet die Möglichkeit der Ironie oder Komik ein. Zur Unernsthaftigkeit der Moderne vgl. auch Hamacher, »Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«, S. 282f. 52. »Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.« (Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, S. 15). Bei Bergson berühren sich Wiederholung und Komik in zwei Punkten. Zum einen im Fehlen eines originalen Bildes, zum anderen in der Mechanik der Wiederholung, in der er das Wesen des Komischen erkannte. (Bergson, Das Lachen, S. 25ff.). De Man verhandelt diese Frage als Verhältnis von Allegorie und Ironie. 53. Mit der Negativität des Objektes entsteht die Möglichkeit, dass auch der Verlust verloren geht, nicht in dem er ersetzt, sondern indem er in der doppelten Negativität der Ironie überschritten und affirmiert wird. In seiner Lektüre von LéviStrauss wies Derrida darauf hin, dass es darum ginge, das Nicht-Zentrum anders denn als den Verlust des Zentrums zu denken. (Derrida, »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«) Die unmögliche Bejahung muss möglich sein: »[…] die alleinige bejahende Bejahung muß möglich sein: die alleinige bejahende Bejahung muß das Unmögliche bejahen, ohne dieses ist sie nur Feststellung, eine Technik, eine Aufzeichnung.« (Ebd., S. 55)
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Markierung einer Veränderung der Beziehung von Erfahrung und Erinnerung: »Hatte man nicht bei Kriegsende bemerkt, daß die Leute verstummt aus dem Felde kamen? Nicht reicher – ärmer an Erfahrung.«54
Und weiter heißt es: »Denn sind Erfahrungen gründlicher Lügen gestraft worden als die strategischen durch den Stellungskrieg, die wirtschaftlichen durch die Materialschlacht, die sittlichen durch die Machthaber?«55
Der erste Weltkrieg wird zum Beispiel eines Schocks. Er wird verstanden in seiner Pluralität, als technische, ökonomische, physische und moralische Katastrophe. Dieses Beispiel wiederholt noch einmal die Mehrstimmigkeit, in die sich der Begriff der Moderne bei Benjamin auffächert. Von dieser Mehrstimmigkeit ist auch das einzelne Beispiel gezeichnet. Das Beispiel, dem die Kraft der Ursache schon nicht mehr zuerkannt wird, wenn es um die Konstituierung der Moderne geht, zerfällt in weitere Beispiele. Für die Theorie des Schocks gibt es nichts als Beispiele, heterogene Erzählungen der Moderne.56 Der Schock treibt immer wieder unterschiedliche Erzählungen hervor. Die Exemplarität, die damit in den Vordergrund rückt, verliert in dem Maße ihrer Vervielfältigung die Kraft des Beispiels, das für einen systematischen Zusammenhang einzustehen hat. Der Schock liefert nichts als Beispiele. ›Moderne‹ ist demnach auch der Name, den Benjamin, der Wiederholung des Schocks gibt, wie die Beispiele erzählen. Aus der Ruine der Geschichtsphilosophie, die nur in dem Maße ›Ruine‹ heißen kann, wie an die Architektur einer Zeitlichkeit in dessen Vergangenheit die mythische Figur des Erzählers wartet, geglaubt wird, tritt die Zeitlichkeit einer Wiederholung hervor, deren Existenz keine kohärente
54. Benjamin, »Der Erzähler«, S. 410 55. Benjamin, ebd., S. 410 56. Weber macht darauf aufmerksam, dass immer, wenn Freud in theoretische Schwierigkeiten kommt, er darauf verfällt, Geschichten zu erzählen. Weit davon entfernt, diese Geste zu diffamieren, bedenkt Weber von diesen Momenten in Freuds Text ausgehend, das Verhältnis von Theorie und Erzählung. Mit dem Einbruch von Erzählungen in den Theoriekörper sind demnach die Orte seiner notwendigen Offenheit markiert. Vgl. Weber, Freud-Legende, insbesondere S. 141-143. Vgl. hierzu den dritten Teil dieser Arbeit, »Austragungen. Freud – Derrida – Kafka«.
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Geschichte mehr garantiert. Benjamin erwähnt in diesem Zusammenhang Lukács: »›Die Zeit‹, heißt es in der ›Theorie des Romans‹, ›kann erst dann konstitutiv werden, wenn die Verbundenheit mit der transzendentalen Heimat aufgehört hat. Nur im Roman trennen sich Sinn und Leben und damit das Wesenhafte und das Zeitliche.‹«57
Die Zeit des Bewusstseins ist eine Zeit, die nicht länger mit einem traditionellen Erfahrungshintergrund verknüpft bleibt, dem Benjamin emphatisch die Begriffe von Weisheit und Gerechtigkeit zuordnet, und dem es gelingen sollte, Individual- und Kollektivgeschichte zu verbinden. Zeitlichkeit tritt damit als Hinterlassenschaft von Geschichte auf. Es ist die Zeitlichkeit der Allegorie. Eine Allegorie, die sich gerade auf Kosten der Möglichkeit von Erfahrung konstituieren kann, und als Modus des Verständnisses von Moderne zurückbleibt.58 029 Träumende Unfallopfer Ein Modell für die neuartige Anordnung von Bewusstsein, Erfahrung und Erinnerung erkennt Benjamin in Freud. Freud steht vor der Frage, weshalb Unfallopfer den traumatischen Vorfall im Traum wiederholen, der ihnen bei Bewusstsein nicht gegenwärtig ist.59 Diese ›Erfahrung‹ des Schocks, der von der Erinnerung aus wiederholt auftritt, während er dem Bewusstsein verborgen bleibt, bringt Freud zu der Einsicht, dass das Bewusstsein nicht länger als Ort der Vermittlung von Erfahrung und Erinnerung gedacht werden kann, sondern vielmehr von einer Unvereinbarkeit der Systeme Bewusstsein und Erinnerung auszugehen ist: Bewusstsein entsteht anstelle von Erinnerungsspuren. Im Fall des Schocks tritt das Bewusstsein als Reizschutz auf. Das Bewusstsein, nicht in der Lage die von der Erinnerung aufnehmbaren und speicherbaren Schockvorfälle zu integrieren, rückt in eine defensive Position gegenüber der ›eigenen Erfahrung‹, die nun vielmehr in der Bedrohung als Schock auftritt. Entweder das Bewusstsein produziert als Schockabwehr ein Erlebnis, das nicht in die Erinnerung eingeht, oder die Erinnerung wird, ohne den Weg über das Bewusstsein zu nehmen, vom Schock getroffen. In beiden Fällen fällt das, was (vielleicht) einmal ›Erfahrung‹ genannt werden konnte, als Zusammenhang von Bewusstsein und Erinnerung auseinander. Freud interessiert die Rückkehr der Schockvorfälle im Traum, verstanden als Versuch, Kontrolle über die nicht integrierbaren Vorfälle zu gewin-
57. Benjamin, »Der Erzähler«, S. 400 58. Vgl. hierzu das Kapitel »Allegorie und Ironie« in dieser Arbeit. 59. Vgl. Freud, »Jenseits des Lustprinzips«
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nen. Auf einem anderen Wege, mit Hilfe des Traums, soll eine Möglichkeit von ›Erfahrung‹, d.h. des Zusammenhanges von Erinnerung und Bewusstsein, wieder hergestellt werden. 030 Poetische Prosa Literarische Produktion wird bei Benjamin zur Adresse nach der Frage einer anderen Historiographie. Benjamin erkennt in Prousts Romanwerk einen Versuch, unter den Bedingungen der Moderne die Möglichkeit von Erfahrung aufrechtzuerhalten. Ist die Erinnerbarkeit bei Proust über die mémoire involontaire zwar tatsächlich vom Zufall abhängig, liegen auf diesem Wege dennoch die Chancen, einen Zusammenhang von Erinnerung und Erfahrung wiederherzustellen. Dieses Projekt ist ein synthetisches Verfahren, insofern die konstitutive Trennung von Erinnerung und Bewusstsein in der ästhetischen Produktion wieder rückgängig gemacht werden muss. Die ›Monstrosität‹ von Proust achtbändigem Werk À la recherche du temps perdu, liest Benjamin als Symptom der Anstrengung, die Figur des Erzählers unter den Bedingungen der Moderne wieder zu installieren. Nach de Man ist dieses Projekt nur als Allegorie zu verstehen, d.h. als Bewusstseinsleistung, die sich etabliert, gerade in dem sie ihr Unvermögen kennt, eine kohärente Beziehung zur Erfahrung wiederzugewinnen.60 Benjamin versteht Baudelaire im Unterschied zu Proust. Auf einen Vorfall wird mit Schockabwehr des Bewusstseins reagiert, um die Erinnerung vor einer Reizfülle zu schützen. Das Erlebnis ist bei Benjamin eine Bewusstseinsleistung, insofern Koordinaten der Orientierung geschaffen werden: »Vielleicht kann man die eigentümliche Leistung der Chockabwehr zuletzt darin sehen: dem Vorfall auf Kosten der Integrität seines Inhalts eine exakte Zeitstelle im Bewußtsein zuweisen. Das wäre eine Spitzenleistung der Reflexion. Sie würde den Vorfall zu einem Erlebnis machen.«61
An dieser Stelle ist für Benjamin zunächst die Information angesiedelt, deren Funktion als Erlebnis genau darin besteht, die Erinnerung nicht zu berühren und damit die Chancen auf Erfahrung zu verspielen. Die Information ist demnach als Bewusstseinsleistung eine Form der Schockabwehr. Baudelaire findet für dieses Bewusstsein auch den Namen Spleen:
60. Um diese Fragen zu präzisieren, wäre eine genauere Analyse von Prousts Texten nötig; sowie ihrer Lektüren durch Benjamin und de Man. Diese Arbeit geht in eine andere Richtung. Vgl. zu diesem Punkt de Man, »Lesen (Proust)«. 61. Benjamin, Charles Baudelaire, S. 209
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»Fällt […] [er] aus, so würde sich grundsätzlich der freudige oder (meist) unlustbetonte Schreck einstellen, der nach Freud den Ausfall der Chockabwehr sanktioniert.«62
Bildet das Bewusstsein keine Information zur Schockabwehr, trifft der Vorfall die ungeschützte Erinnerung direkt, eine Erinnerung, die ihrerseits jedoch nicht dem Bewusstsein zur Verfügung steht. Die ›Erfahrung‹ dieses Schocks liegt, so Benjamin, der ästhetischen Produktion Baudelaires zugrunde. Wie die träumenden Unfallopfer Freuds, wäre Baudelaire also der Dichter, der nicht nur den Spleen als neue Bewusstseinsschärfe entwickelt, sondern der sich auch dem Schock aussetzt, ohne ihm mit dem Bewusstsein zu parieren, und dem es dennoch gelingt, diese verlorene Erinnerung zur Sprache zu bringen, ohne jedoch wie Proust vielleicht in synthetischer Bemühung die nostalgische Figur des Erzählers wieder zu errichten, sondern vielmehr die Verletzung ›selber‹, die der Schock der Erinnerung zufügte, sprachlich auszustellen und damit zum ästhetischen Verfahren zu machen. Eine solche Darstellung des Schocks in der Dichtung ermöglichte es schließlich, eine ›Erfahrung des Schocks‹ zu gewinnen. Unter dieser Maßgabe sieht Benjamin Baudelaires Projekt. »Wer unter uns hätte nicht schon in den Tagen des Ehrgeizes das Wunderwerk einer poetischen Prosa erträumt? Sie müßte geschmeidig und spröde genug sein, um sich den lyrischen Regungen der Seele, den Wellenbewegungen der Träumerei, den Chocks des Bewußtseins anzupassen. Dieses Ideal, das zur fixen Idee werden kann, wird vor allem von dem Besitz ergreifen, der in den Riesenstädten mit dem Geflecht ihrer zahllosen einander durchkreuzenden Beziehungen zu Hause ist.«63
Diese poetische Prosa wäre es, die in die Leerstellen gesetzt würde, die sich mit dem Schock auftun. Hier wäre der Ort, wo sich eine Historiographie des Lachens schreiben ließe. In Anlehnung an Freud und Benjamin heißt es bei Beicken über Kafka, »[…] geprägt von der mystischen als auch der Erfahrung der modernen Großstadt, übernimmt [er] den Gestus des überlieferten Erzählens, erfüllt aber nicht mehr das Versprechen der vertrauten Inhalte. Was er erzählt, hat durchweg den Charakter des
62. Benjamin, ebd., S. 209 63. Baudelaire zitiert in Benjamin, ebd., S. 211; ohne Seitenangabe für Baudelaires Text. Dieses Baudelaire-Zitat taucht auch bei Derrida auf (Falschgeld: Zeit geben I, S. 119f.) Es ist den Oeuvres complètes entnommen, Le Spleen de Paris, S. 275f.
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Fremden. Damit radikalisiert er die Erfahrung, die persönliche und die tradierbare. Hier liegt wohl der Grund für die andauernde Schockwirkung seiner Erzählkunst.«64
Auch wenn noch unklar ist, wie der Verlust der Inhalte sich mit Kafkas Literatur gestaltet, auch wenn klar ist, dass ein sozialhistorischer Erfahrungsbegriff es nicht vermag, die in Kafkas Literatur anzutreffenden Defigurierungen zu erläutern, ist die bisher noch vage Beschreibung der Fremdheit seiner Texte über das Schockmoment zutreffend. 031 Schock Einige Texte Franz Kafkas beginnen mit einem Schock. Josef K. muss sich – ohne dass er etwas Böses getan hatte – früh am morgen, seine ›Verhaftung‹ gefallen lassen; Gregor Samsa wacht auf und findet sich in ein Ungeziefer verwandelt wieder. Die Texte beginnen mit einem Schock, von dem allerdings nicht sicher ist, ob es sich nicht vielleicht um einen Scherz handelt. Im Proceß heißt es, »[…] man konnte zwar das Ganze als Spaß ansehen, als einen groben Spaß, den ihm aus unbekannten Gründen, vielleicht weil heute sein dreißigster Geburtstag war, die Kollegen in der Bank veranstaltet hatten, es war natürlich möglich, vielleicht brauchte er nur auf irgendeine Weise den Wärtern ins Gesicht zu lachen, und sie würden mitlachen.«65
Ich möchte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit auf die Unentscheidbarkeit von Schock und Spaß lenken, bevor ich mich der Frage der Deutbarkeit von Kafkas Texten zuwende.66 Mit größter Selbstverständlichkeit geben Kafkas Texte anfänglich ein unverständliches Rätsel auf, das in ihrem weiteren Verlauf nicht gelöst wird. Ihr selbstverständliches Erscheinen bleibt selbstverständlich ungeklärt. Gerade weil der ›Spaß‹ hier keine Bestätigung im Lachen gewinnt, ist unklar, wie ernst diese Textanfänge zu nehmen sind. Auch wenn der Text an dieser Stelle das Lachen als Ausweg nicht anbietet, bleibt seine Möglichkeit jedoch erhalten, unter der Bedingung, dass es nicht stattfindet. Damit bleibt aber auch die versöhnliche Bestimmung des Lachens hypothetisch. Nicht anders als der Schock, bleibt das Lachen auf diese Weise in seiner Ambivalenz bestehen. Wie soll man
64. Siehe hierzu Beicken über Kafkas »Erzählweise«, in: Binder (Hg.), KafkaHandbuch. In zwei Bänden. Band 2, S. 37 65. Franz Kafka, Der Proceß, S. 9 66. Adorno geht noch einen Schritt weiter: »Nicht das Ungeheuerliche schockiert, sondern dessen Selbstverständlichkeit.« So in seinen »Aufzeichnungen zu Kafka« (S. 328f.). Und an anderer Stelle schreibt er: »Unter den Schockmomenten ist nicht das schwächste, daß er die Träume à la lettre nimmt.« (S. 328)
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die Lektüre von Texten mit einem anfänglichen Schock, der ein Witz sein könnte, starten? In seinem Tagebuch schreibt Franz Kafka, »[…] ein Satz kommt mit einem so rohen Anfang anmarschiert, daß die ganze Geschichte in ein verdrießliches Staunen geräth. […] Es kommen daher immer nur abreißende Anfänge zu Tage, abreißende Anfänge […]. Würde ich einmal ein größeres Ganzes schreiben können wohlgebildet vom Anfang bis zum Ende, dann könnte sich auch die Geschichte niemals endgiltig [sic!] von mir loslösen und ich dürfte ruhig und mit offenen Augen als Blutsverwandter einer gesunden Geschichte ihrer Vorlesung zuhören, so aber läuft jedes Stückchen der Geschichte heimatlos herum und treibt mich in die entgegengesetzte Richtung. – Dabei kann ich noch froh sein, wenn diese Erklärung richtig ist.«67
032 Anfang Die Texte ergeben sich als Staunen über ihren Anfang, der nie einer ist, sondern übermäßig, selbstverständlich und roh und deshalb kein passendes Ende findet. Ein Staunen, das keine Antwort zulässt, aber den Text, der keine Antwort findet, nicht unberührt lässt. Die Anfänge werden nie zur ganzen Geschichte; nicht gesund, heimatlos und widerstreitend bewegen sich die Fragmente nach ihrem erstaunlichen Anfang. Am erstaunlichsten ist das ironische Ende, dieser allegorischen Selbstdeutung Kafkas: Dabei kann ich noch froh sein, wenn diese Erklärung richtig ist. Selbstverständlich unerklärlich bleiben die Sätze nicht nur in der Erzählung, sondern noch ihre Erklärbarkeit ist davon getrübt, soweit sie möglich ist, aber unsicher bleibt, wie Kafka in seinen Tagebüchern zu lesen gibt.68 67. Franz Kafka, Tagebücher 1909-1912, S. 177 68. Vgl. hierzu Joseph Vogl, S. 149 wo es heißt: »Erfahrung hat in den Texten Franz Kafkas eine Gestalt angenommen, wie sie sich im ersten Blick eines Erwachenden ergibt: bei Gregor Samsa zu Beginn der Verwandlung, bei Josef K. im ersten Kapitel des Prozesses, oder im Schloß-Roman, wenn K. gleich nach seiner Ankunft im Dorf einschläft, kurz darauf geweckt und verhört wird, wiederum einschläft und am Morgen danach von neuem erwacht. Die Bewegung dieser Figuren steht im Bann einer traumatischen Wiederholung und entspricht dem Bild desjenigen, der – wie Kafka in einem Fragment formuliert – ›aus einem tiefen Schlaf geweckt zu sein schien und sich mit aller Anstrengung nicht zurechtfinden konnte. Es war, wie wenn er immer wieder von neuem einschliefe und von neuem geweckt würde.‹« Gerade weil Kafkas Figuren immer drohen einzuschlafen, und permanent alles wieder vergessen, müssen sie andauernd wach bleiben. Das sind die Prüfungen von Kafkas Helden: nicht schlafen, nicht vergessen, wach bleiben. Die Frage der Müdigkeit korrespondiert mit der Frage von Bedeutung. Bedeutung wäre die Ruhestätte von Kafkas Figuren. Ironie hindert am Schlafen, weil sie Bedeutung vermeidet. Ironie führt zur Schlaflosigkeit. Die Narren, die Gehilfen
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Die Frage nach einer Historisierung des Lachens ergab, dass nur ein Geschichtsbegriff, der der unterbrechenden Funktion des Lachens nicht ausweicht, diesem gerecht werden kann. Insofern sich ›Moderne‹ bei Benjamin, Freud und Baudelaire in einer strukturell-historisch Aporie aufhält, kann Moderne zur historischen Beschreibung des Lachens herangezogen werden. Lachen ist ein modernes Phänomen, insofern es die Moderne in ihrer Konstituierung selbst betrifft. Moderne ist konstitutiv komisch. Die Erzählungen dieser Moderne können keine geschlossene Gestalt annehmen. Die komische Moderne ist heterogen. Diese Heterogenität manifestiert sich im Abbruch ihrer Erzählungen ebenso wie in der Problematik des Anfangs. Für diese Arbeit zum Lachen bedeutet das, dass zur Situierung des Lachens verschiedene Anfänge erprobt werden müssen. Bevor eine genauere Lektüre Kafkas unternommen wird, möchte ich anstelle eines Forschungsberichtes oder einer methodologischen Grundlegung, allerdings in der Adressierung dieser Fragen, anfänglich das Darstellungsproblem des Lachens als eines des Anfangs aufzeigen.
und die Studenten schlafen bei Kafka nie (Vgl. hierzu Benjamin, Benjamin über Kafka, S. 34) Ronell schreibt, »he defends the novel against potential lapses into meaning.« (»Doing Kafka […]«, S. 205) In einer dem Aufsatz angefügten Fußnote schreibt Ronell: »The Kafkan text, then, takes no narcotic relief from some comforting notion of the transcendental signified on any level, whether it be God, political authority, the literary work, or merely meaning itself.« (Ebd. S. 342) An anderer Stelle heißt es bei Vogl: »Es gehört zur Selbstironie von Kafkas Texten, daß sie sich nicht selten selbst zurücknehmen, daß sie sich um ein leeres Zentrum organisieren, in dem schlechterdings nichts ist, kein Ereignis, kein Gegenstand, kein Wissen, kein Sinn. Ein Mißverständnis scheint an ihrem Anfang zu stehen, das den Erzählvorgang auslöst und auf das er beharrlich zurückkommt, als ob er sich selbst revidieren wollte, als eine Bewegung im Stillstand, als Erzählen von Geschichten, die zuweilen kaum über ihr eigenes Beginnen hinauskommen.« (S. 150) Trauma zeigt sich demnach bei Kafka als Anlass von Ironie, die Kafkas schlaflose Literaturmaschine in Gang hält, die eine Unterbrechung vielleicht nur im Lachen kennt […].
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) vakat 050.p 138824703402
Lachende Schrift I: Eintragungen
Lachende Schrift I: Eintragungen 1.1. Um zu deuten »Laß die Deutungen!« Franz Kafka, Das Schloß1
033 Vorweg War der letzte Abschnitt als Variation zu einer historischen Grundlegung der Arbeit konzipiert, sind die nun folgenden als Variationen zu einem Forschungsbericht und zu einer Methodologie mit ihren Konsequenzen aufzufassen. Variationen, insofern in der Adressierung dieser Fragen ein Problem auf dem Spiel steht, das der Titel ankündigte: (Wie) ist Lachen zu lesen? Der Dreischritt sieht aus wie folgt: Ein Forschungsbericht zu Kafka, zu großen Teilen in den Fußnotenapparat verbannt, wird einer symptomatischen Lektüre unterzogen, wobei als Befund die Nähe der in der Kafka-Forschung unterschlagenen Probleme von Literatizität und Komik hervortritt, die eine Lektüre Kafkas mit de Man begründen, deren inhärente Spannung im darauf folgenden Abschnitt in einigen Punkten präzisiert wird. Die Konfrontation Kafka – de Man spitzt sich zu, wenn klar wird, dass in dieser Begegnung nicht nur das ›Thema‹ Lachen verhandelt wird, sondern zugleich seine Zugangsbedingungen in einer Lektüre. Der dritte Abschnitt dieses ersten Teils widmet sich schließlich der Frage, wie ist Lachen zu lesen, was für ein Schreiben erlaubt es? Ausgehend von einer Theorie der Rhetorik kündigt sich damit der für eine Arbeit zum Lachen entscheidende Konflikt zwischen konstativem und performativem Charakter von Sprache an. Im Mittelpunkt steht soweit der Begriff der Ironie, den ich anfänglich als Eintragung des Lachens ins Sprachmaterial verstehe. 034 Deutungszwang Wie wenige andere Autoren, die in der Germanistik unter Dach und Fach gebracht worden sind – nur Goethe kann hier
1. Franz Kafka, Das Schloß, S. 251
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noch mithalten2 –, haben Kafkas Texte Deutungen provoziert, deren invasierende Versammlung ohne Zweifel Paranoia für jeden Leser bereit hält. Deutungszwang.3 Dabei waren Kafkas Texte zunächst, auch nach seinem Tod, im Verhältnis zu dem Aufsehen, das sie später erregten, nur einem kleinen Kreis bekannt.4 Eine Unterbrechung zwischen früher und später Reaktion markiert der Naziterror in Deutschland und der Holocaust. Seit der Emigration, v.a. aber nach dem zweiten Weltkrieg über seine Rezeption im englischen und französischen Sprachraum,5 dann mit einiger Verspätung nachträglich in der Bundesrepublik und der DDR,6 haben 2. Und hier zeigt sich dann in der Tat eine Parallele zwischen Goethe und Kafka. Allen Thiher schreibt: »Kafka’s position in twentieth-century world literature is without parallel. He is the only writer in German to have influenced world literature in the way that Faulkner, Proust, and Joyce have done. He is in fact the first writer since Goethe to have achieved such recognition for works of literature written in German.« (Franz Kafka. A Study of the Short Fiction, S. IX) 3. Von ›Deutungszwang‹ spricht Wiebrecht Ries passenderweise in ihrer Einführung zu Kafka. Vgl. Ries, Kafka zur Einführung, S. 7 4. Der hier erwähnte Punkt wird in der Kafka-Forschung kontrovers diskutiert. Eine ausführliche Darstellung der frühen Rezeptionsgeschichte Kafkas bietet Peter U. Beicken. Franz Kafka. Eine kritische Einführung in die Forschung. Insbesondere S. 2151. Was verbirgt sich hinter der Frage, ob Kafkas Ruhm sofort kam oder mit Verzögerung? Die Frage erscheint deshalb prekär, weil mit ihr debattiert wird, ob Kafkas Texte z.B. prophetisch sind, ein Argument für den späteren Ruhm, denn demnach konnte Kafka zu Lebzeiten noch nicht verstanden werden, oder ob sich mit dem späten Ruhm nicht auch all die Mißverständnisse einstellten, von denen Walter Muschg sprach (Die Zerstörung der deutschen Literatur). Mir geht es an dieser Stelle darum, darauf hinzuweisen, daß Kafkas Ruhm und der Name ›Kafka‹, wie er heute auftritt, keineswegs selbstverständlich sind. Zur weiteren Diskussion siehe Beicken, S. 21ff. Eine weniger umfangreiche, dennoch sehr detaillierte Darstellung der Rezeptionsgeschichte bietet Michael Müller an: »So viele Meinungen! Ausdruck der Verzweiflung? Zur Kafka-Forschung«. 5. Vgl. hierzu die von Angel Flores herausgegebene Sammlung früher Aufsätze zu Kafka, The Kafka Problem, von 1946 6. Beißner beschreibt die Situation der Editionsgeschichte Kafkas nach Kriegsende sehr anschaulich. Konnten die ersten Bände noch in den 30er Jahren in Berlin bzw. später in Prag erscheinen, wurden sie zum ersten Mal gemeinsam 1946 in New York bei Schocken, in deutscher Sprache, aufgelegt. Vgl. hierzu Beißner, Kafka der Dichter, S. 6f. Kafkas Ruhm kehrte über das europäische Ausland und die Vereinigten Staaten ins Nachkriegsdeutschland zurück. Zunächst kamen nur der Ruhm und Gerüchte, die Bücher waren noch nicht erhältlich. Bei Beißner stellt sich die Frage, inwiefern das Deutungsdilemma bei Kafka auch im Zusammenhang mit allen Effekten
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Kafkas Texte schließlich Deutungen provoziert, mit denen sich die wichtigsten Theorien der Zeit einstellten.7 Zu lesen waren sie im Rahmen jüdisch-christlicher Theologie, als Zeugnisse der Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts, als Existenzphilosophie, als Fall der Psychoanalyse – um nur die wichtigsten Diskurse zu nennen.8
der Nachträglichkeit, der Verzögerungen, der Übersetzungen, in der Rezeption zusammenhängen. Thiher bemerkt: »In this respect Kafka’s work speaks with a kind of paradoxically ironic voice, gaining its full recognition after the Holocaust, and yet speaking from some point before this horrible event.« (S. IXf.) Mit der Problematisierung dieser Frage beabsichtige ich nicht das Ideal einer ›gelungenen Rezeption‹ zu setzen. Vielmehr ist zu fragen, ob sich bei Kafka gewisse, jede Rezeption generierende Effekte in besonderer Weise ausgestellt haben. Zur Spezifik der Kafka-Rezeption in der DDR, die in weiten Teilen auf Lukács zurückgeht, vgl. Beicken, S. 217, und ebenso Manfred Behn, »Auf dem Weg zum Leser. Kafka in der DDR«. In: Arnold (Hg.), Franz Kafka. S. 317-332 7. Beispielhaft für die Geschichte der Kafka-Rezeption ist die Biographie des Kafka-Forschers Heinz Politzer. Anfang der 30er Jahre begann er mit seiner Dissertation über Kafka an der Karls-Universität in Prag, er arbeitete mit Brod an der Herausgabe der Gesammelten Schriften, emigrierte nach Israel und später in die USA, wo sein Buch schließlich Anfang der 60er Jahre veröffentlicht wurde. (Franz Kafka. Parable and Paradox, Ithaka 1962). Die deutsche Ausgabe erschien 1965 in Gütersloh unter dem Titel, Franz Kafka, der Künstler. 8. So schrieb Adorno schon 1953 zur Rezeptionsgeschichte Kafkas: »Die Beliebtheit Kafkas, das Behagen am Unbehaglichen, das ihn zum Auskunftsbüro der, je nach dem, ewigen oder heutigen Situation des Menschen erniedrigt und mit quickem Bescheidwissen eben den Skandal wegträumt, auf den das Werk angelegt ist, weckt Widerwillen dagegen mitzutun und den kurrenten Meinungen eine sei’s auch abweichende anzureihen. […] Wenig von dem, was über ihn geschrieben wird zählt; das meiste ist Existentialismus. Er wird eingeordnet in eine etablierte Denkrichtung.« (Adorno, »Aufzeichnungen zu Kafka«, S. 325) Auch Adorno beschwert sich also über den außerliterarischen Bezugspunkt der Kafka-Lektüren, über das die Lektüre generierende Vorverständnis. Auch hier noch einmal der Hinweis auf Beickens sehr gute Arbeit zur Rezeptionsgeschichte Kafkas. V.a. S. 21-51. Es sei nur kurz erwähnt, die religiöse Deutung geht bekannterweise auf Brod zurück, der damit die Kafka-Rezeption erheblich steuerte, die psychoanalytische Lesart begann schon in den frühen 30ern, z.B. bei Kaiser und boomte nach dem zweiten Weltkrieg, nachdem Brods Kafka-Biographie sowie die Tagebücher veröffentlicht wurden, d.h. psychoanalytische Lesart war hier zugleich biographische.
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035 Kronzeuge Kafka Als Kronzeuge des zwanzigsten Jahrhunderts ist Kafka in den Zeugenstand gerufen worden.9 Faschismus, Stalinismus und Amerikanismus haben bei ihm schon an die Tür geklopft, schreiben selbst Deleuze und Guattari, die sonst gerne mit solchen Zuschreibungen aufräumen, in ihrer Polemik gegen herrschende Kafka-Lektüren. In jenen Texten soll Kafkas Name einstehen, für das Trauma, das das zwanzigste Jahrhundert ist.10 Bevor historisierende Zuschreibungen stattfinden, die soweit gingen, in Kafka den Propheten des Holocaust zu erkennen,11 ist zu verstehen, dass das Spezifische von seinen Texten, gleichwohl sie eine solche Lektüre ermöglichen, darin verpasst wird.12 Im von Nietzsche eingeführten Gesundheitsdiskurs ›Geschichte‹ hat Kafka immer schon eine Überdosis Historie abbekommen, und damit alle Kafka-Leser, bevor es richtig losgeht.13 Ironischerweise, denn das Verhält9. Bei Politzer heißt es ausdrücklich, »daß seine Visionen der Wirklichkeit des Lebens im Schatten von menschenfressenden Regimes und städteverzeerenden Bomben antizipiert haben, ist uns nachgerade schon bewußt geworden.« (Franz Kafka. Der Künstler, S. 12) 10. Zum hier diskutierten Punkt siehe wiederum Beicken, S. 63ff. 11. An vielen Beispielen analysiert Langer die Schwächen von Lektüren, die bemüht sind, Kafka als prophetischen Kronzeugen des Holocaust zu verstehen. Hier ist das Problem ein Doppeltes: nicht nur die Referentialität der Texte wird bedenkenlos angenommen, sie ist darüber hinaus auf eine Zukunft der Texte hin entworfen worden. Diese Logik stellt die Frage der Referentialität jedoch gerade aus. Die Frage der möglichen Zukünftigkeit von Texten wäre zu diskutieren. Denn es muß gesagt werden, daß eine Lektüre dieser Art immer möglich ist, in dem Maße, wie die referentielle Funktion nicht einfach aufgegeben werden kann. Vgl. hierzu Langer, »Kafka as Holocaust Prophet: A Dissenting View«, S. 113f. 12. Ronell bestimmt diese Spezifik mit einem Hinweis auf Kafkas Tagebücher, »[…] one has preferred to avert one’s gaze from the wound that Kafka inflicted upon something which at least according to the testimony of his diary amounts to nothing less than his proper name, his autonym: ›Literature‹.« (Ronell, »Doing Kafka in The Castle: A Poetics of Desire«, S. 185) 13. Für das Verhältnis von Kafkas Texten und seinen Kommentaren, läßt sich paradoxerweise sagen, daß die Deutungen den Texten voraus waren. Zumindest gilt das für seine Rezeption in der Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg. Beißner weist darauf hin, daß bevor ›Der Proceß‹ 1950 im deutschen Sprachraum allgemein zugänglich war, viele Vorurteile die Lektüre leiteten, seien es Max Brods theologische Deutungen oder z.B. jene Idee, die auf Hannah Ahrendt zurückgeht, »[…] dieser Roman sei eine einzige große Satire auf den korrupten Behördenapparat der österreich-ungarischen Monarchie.«(Beißner, S. 9). Zeigt sich dieses Problem bei Kafka auch in einer bestimmten Spezifik, markiert es zugleich ein grundsätzliches Problem von Litera-
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nis von Literatur und Geschichte ist für Kafkas Literatur alles andere als einfach zu bestimmen. Was hieße ›Geschichte‹ für die Texte Kafkas? Schon Adorno schrieb: »Hermetisch verhält sich sein Werk auch zur Geschichte: über ihrem Begriff liegt ein Tabu.«14 Keine Orte, keine Ereignisse, keine Personenprofile lassen sich identifizieren, die ein sozialhistorisches Porträt als Analyseergebnis versprechen könnten.15 Auch wenn solche Lektüren immer möglich bleiben,16 können sie die Frage, ›Was repräsentiert Kafkas Literatur?‹ nicht zufriedenstellend beantworten. Verbunden mit diesem Problem folgt Kafkas exponierte Stellung nicht nur in der Germanistik, sondern innerhalb der westlichen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, einem Paradox: In dem Maße, wie es gerade nicht gelingt, ihn literaturwissenschaftlich zu situieren,17 tritt er emblematisch für das ganze zwanzigste Jahrhundert ein.18 Zum Beispiel in der turwissenschaft: Warum sollte Literaturwissenschaft apriori vom Nichtsprachlichen ausgehen, und nicht, was viel naheliegender wäre, vom Semantischen oder Sprachlichen? Vgl. hierzu de Mans »Genese und Genealogie (Nietzsche)« und »Widerstand gegen die Theorie«, insbesondere S. 83 und S. 87 14. Adorno, »Aufzeichnungen zu Kafka«, S. 338 15. Einen Überblick der literatursoziologischen Untersuchungen zu Kafkas Werk bietet Hartmut Binder (Hg.), Kafka-Handbuch. Band 2. Das Werk und seine Wirkung, S. 807f. Vgl. ebenfalls Beicken, S. 214ff. 16. Die Möglichkeiten, die sich dabei eröffnen, vorgeführt an einem Beispiel, für das ich mich auch in dieser Arbeit entschieden habe, die Erzählung »In der Strafkolonie«, sind bei Hans Helmut Hiebel zu finden. Siehe dazu, Die Zeichen des Gesetzes. Recht und Macht bei Franz Kafka, S. 129ff. Auf die verschiedenen Möglichkeiten, Hiebel spricht von ›Direktionen‹ der Interpretation, werde ich im Zuge meiner Strafkolonie- Lektüre näher eingehen. 17. Dieses Problem liegt nicht nur in der verzögerten und unterbrochenen Rezeption Kafkas begründet oder in der »unkontrollierbaren Herausgebertätigkeit Max Brods« (Horst Steinmetz, Suspensive Interpretation, S. 9) – und keine Forschung, die die noch so interessantesten und bisher weniger bekannten Umstände der Textproduktion untersucht, ich denke hierbei an Mark Andersons Versuche Kafkas bisher weniger beachtete frühe Texte im Umfeld der Ästhetik des fin de siècle zu situieren, wird es lösen, insofern es den Bedingungen der Textlichkeit geschuldet bleibt. Steinmetz schreibt an anderer Stelle, »Gerade auch Kafkas Werke können in aller Deutlichkeit demonstrieren, wie schwierig die Einordnung derartiger Kunstwerke in einen umgrenzten kulturellen Verfügungsraum ist, als den man Literaturgeschichte sehen kann.« (»Negation als Spiegel und Appell«, S. 161f.) 18. Die Universalisierung geschieht unter der Bedingung, daß von Umständen der konkreten Produktion abgesehen wird, so Marthe Roberts These. Vgl. dazu Klaus-Michael Bogdal (Hg.). Neue Literaturtheorien in der Praxis. Textanalysen von Kaf-
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Rede vom Schicksal des ›modernen‹ Menschen, das bei Kafka auffindbar wäre.19 Dabei zeigte sich die Germanistik nicht immer von ihrer besten Seite.20 ›Kafkaesk‹ ist der Name dafür, dass wir glauben zu wissen, worum es mit ›Kafka‹ geht, worum es Kafka geht, obwohl es keiner sagen kann, oder alle anders.21 Mir ist nicht daran gelegen, diese Deutungen Kafkas als gleichgültig zu ignorieren oder gleichzustellen, geschweige denn miteinander zu versöhnen.22 Allerdings kann die Kafka-Forschung nicht als Summe aller mögli-
kas ›Vor dem Gesetz‹, S. 118. Auch wenn dieses Symptom nicht zu unterschätzen ist, wird ein näheres Eingehen auf die ›konkrete Produktion‹ keine befriedigenden Antworten auf die hier diskutierten Fragen liefern können. Die Möglichkeit einer ›Universalisierung‹ Kafkas kann nur im Zusammenhang der Frage nach dem Status von Literatizität verstanden werden. 19. Vgl. hierzu Wilhelm Emrich, Franz Kafka, S. 18 20. Ich bin nicht der erste, der sich über die Kafka-Forschung beschwert. Die beste Polemik liefern natürlich Deleuze und Guattari, aber auch Beicken schreckt vor deutlichen Urteilen, die Kafka-Forschung betreffend, nicht zurück. Ich schwanke: einerseits Wutanfällen und Frustrationen, andererseits bleibt zu fragen, inwiefern die Möglichkeit solcher Arbeiten in der Literatur begründet liegt und auf diese Weise in einer symptomatischen Lektüre sogar Sekundärliteratur manchmal interessant zu lesen ist (heute Morgen hatte ich das Gefühl, ich lerne etwas). 21. Zur Geschichte des inzwischen 60 Jahre alten Wortes ›kafkaesk‹ inklusive einer Quellenübersicht, die von englischen Zeitungen der späten 30er bis hin zu deutschen Feuilletons der 70er reicht, vgl. Hartmut Binder. Kafka-Handbuch. Band 2, S. 881ff. Beicken weist auf die Karriere des Wortes ›kafkaesque‹ im besetzten Frankreich und dem der Nachkriegszeit hin: »Angesichts der nationalen Katastrophe Frankreichs wurden die Leitvorstellungen des Existentialismus (Angst, Ekel, das Nichts, der Tod Gottes, die Absurdität der Welt) in dem Schlagwort kafkaesque zusammengefaßt.« (S. 189) Mittlerweile ist das Wort im Wahrig ebenso selbstverständlich zu finden, wie im Duden. Einmal bedeutet es »unheimlich, bedrückend, furchterregend«, einmal »auf rätselvolle Weise unheimlich, bedrohlich«. 22. Spätestens Ende der 60er Jahre war das Dilemma der Kafka-Deutungen ins Bewußtsein seiner akademischen Leser gedrungen. Erstmals tauchte damit die Möglichkeit einer versöhnlichen Geste auf, indem Kafkas Texten der Status der Vieldeutigkeit zugebilligt worden ist. Vgl. hierzu Ingeborg Henels Aufsatz, »Die Deutbarkeit von Kafkas Werken«. Die Autorin führt die Möglichkeit dieser Geste jedoch nur vor, um sie, indem sie ihrerseits die Konsequenzen v.a. der Arbeiten Beißners und Walsers entfaltet, zu widerlegen. Henel bietet dabei eine gute Zusammenfassung der Rezeption Kafkas in den 50er und 60er Jahren. Andere Autoren meinten es mit der Versöhnung ernst. Diese Geste ist nur möglich unter der Voraussetzung, dass die Kafka-Deutungen
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chen Aussagen zu Kafka anerkannt werden, die sich additiv zu einem Ganzen fügten. Das Archiv als Addition hat nichts über Kafka zu sagen.23 Mich interessiert es vielmehr, das Bild der Kafka-Forschung als Symptom zu verstehen, das zu befragen ist, in seinem Verhältnis zu Kafkas Literatur.24 Kaum einer hatte nichts zu Kafka zu sagen, und nur wenige verstummten gegenüber den Rätseln seiner Kunst.25 Dieser Umstand provoziert die Frage, ob die endlosen Kommentierungen nicht ihrerseits von einem Verstummen gegenüber der Literatur zeugen. 036 Verpflichtungen Das Dilemma der Deutungen Kafkas ist jedoch nicht so sehr in der Vieldeutigkeit,26 die damit historisch hervortritt, zu sehen – dieses Dilemma ist vielmehr notwendig, wie noch zu zeigen sein wird – sondern in der Beziehung, die sie zum literarischen Text selbst unnach einem positivistischen Modell addiert werden können. Zu einer Kommentierung der Lage vgl. dazu Steinmetz, Suspensive Interpretation, S. 10 23. Die metaphysischen und positivstischen Gefahren von ›Geschichte‹ beschreibt Nancy: »But as Nietzsche already knew, the more history becomes a broad and rich knowledge, the less we know what ›history‹ means, even if historical knowledge is also an excellent critical and political tool in the fight against ideological representations and their power. It does not, however, at the same time allow for the possibility or a radical questioning of representation – and/or the presentation – of history as such. Therefore, this word runs the risk either of silently keeping a kind of para – or post – hegelian meaning or of slowly returning to the Greek meaning of historia: the collection of data.« (»Finite History«. In, The Birth to Presence, S. 147) 24. So wünschens- und unterstützenswert ›authentische‹ und ›kritische‹ Kafka-Ausgaben sind, so sehr sich damit tatsächlich neue Wege der Kafka-Interpretation eröffnen, so wenig werden sich damit die ›gültigen Interpretationen‹ einstellen, wie Malcolm Pasley glaubt. Vgl. hierzu Pasley, »Kafka als Reisender« in: Schmidt-Dengler, Was bleibt von Franz Kafka?, S. 1-16, S. 1f. M.a.W., so sehr die Editionsgeschichte der Texte für ihre Rezeption generierend ist und bleibt, so wenig ist sie darauf zu reduzieren. 25. »Natürlich ist Kafka in erster Linie ein Künstler, und die Kunst ist seine einzige Idee«, schreibt Robert in Opposition zu ›außerästhetischen Interpretationsrichtungen‹ (Das Alte, S. 168) Aber was wäre eine Kunst, die an dieser Stelle als Argument gegen Interpretation dienen könnte, eine Kunst die als ›Idee‹ von Autorität auftreten könnte? 26. Zum Problem der Vieldeutigkeit siehe wiederum Beickens zuverlässige Arbeit zu Kafka, S. 99ff. Zu einer Diskussion dieses Problems vor dem Hintergrund rezeptionsästhetischer Einsichten, vgl. auch Steinmetz, Suspensive Interpretation, insbesondere S. 9ff. Bei Eco wurde Kafka zum Beispiel des ›offenen Kunstwerks‹. Vgl. Eco, Das offene Kunstwerk, S. 37f. Zur Diskussion von Ecos und anderen rezeptionsästhetischen Ansätzen siehe Steinmetz, Suspensive Interpretation, S. 70f.
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terhalten.27 Darin liegt das zu kritisierende Dilemma des Dilemmas. Über die Referenzpunkte, die den Texten in diesen Lektüren oft zugeschrieben worden sind,28 seien es ›historische Erfahrungen‹, seien es theoretische Systeme, Motive oder Themen,29 wird Literatur stets auf ihre mimetische Funktion verpflichtet.30 Wie Kafka zur Pflichtlektüre wird.31 Die Möglichkeit von Referentialität wird dabei nicht befragt, es handelt sich um thematische oder rein inhaltliche Lektüren. 27. Ronell, mit der ich diese Einschätzung teile, bietet dafür folgende Analyse: »A kind of Sorge for the predicament of the interpreter may explain why ›doing Kafka‹ has often resulted in the unconscious rehabilitation of something that Kafka had in fact systematically undone.« (Ronell, »Doing Kafka in The Castle: A Poetics of Desire«, S. 185) 28. Wie weiter oben erwähnt, bezieht sich diese Einschätzung auf die Kafka-Rezeption bis Ende der 60er Jahre. Das zu diesem Zeitpunkt auffällige Deutungsdilemma ist jedoch nur selten auf interessante Art befragt worden. 29. Steinmetz schreibt zu diesem Punkt: »Alle unsere hermeneutischen Ausgangspunkte und Hypothesen zielen letztlich auf die Bloßlegung einer internen Kohärenz des zu interpretierenden Textes, auf die Enthüllung einer im Text irgendwo angesiedelten semantischen Einheitlichkeit.« (»Negation als Spiegel und Appell«, S. 160) 30. Zu diesem Punkt bemerkt Charles Bernheimer: »In making this reproach, the critic is implicitly asserting his belief in the continuity, between the images presented in Kafka’s text and the outside world. Text and existence, mimetic image and semantic context, stand in symbolic relation to each other, and the critic’s job is to elucidate these relationships to which the protagonist himself is blind. Thus the critic’s viewpoint is moral and prescriptive, guiding his reader to those life-enhancing values the deluded Kafka protagonist has ignored.« (Flaubert and Kafka, S. 189) An dem Problem der Deutbarkeit kommt angesichts der vielen Veröffentlichungen zu Kafka keine neue vorbei. Neumann und Kittler sprechen in ihrer Vorbemerkung zu Franz Kafka: Schriftverkehr von einer ›identifikatorischen Tendenz‹ der Lektüren. (Vgl. ebd., S. 7) Dieser Kritik ist sicherlich zuzustimmen, und Kittlers und Neumanns Haltung ihrerseits kritisch zu befragen. Ihrer Kritik an der Kafka-Forschung stellen sie eine Haltung gegenüber, die die historische Distanz v.a. in medientechnischer Hinsicht in Rechnung stellt. Die Bezugnahme auf ›Außerliterarisches‹ ist von Beicken kritisiert worden. (S. 69) Martin Walser hat die Kritik an Kafka-Lektüren, die sich auf ›Außerliterarisches‹ beziehen, auf die Spitze getrieben: »Es scheint bei der Vielzahl der theologischen, soziologischen, psychologischen und der vielen anderen dichtungsfremden Kommentare, die Franz Kafkas Werk hervorgerufen hat, fragwürdig, ob er überhaupt Dichter ist.« (Walser, Beschreibung einer Form. Versuch über Kafka, S. 11) 31. Nicht in meinem neusprachlich-naturwissenschaftlichen Gymnasium in Hamburg-Niendorf. Auf den Wunsch hin, Kafka zu lesen, antwortete unser Lehrer des Deutsch-Leistungskurses: zu schwierig. Ich mußte zehn Jahre warten.
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037 Geistesgeschichte Die Möglichkeit der Bedeutung von Literatur steht mit diesen Deutungen nicht in Frage,32 sondern wird erst mit einer uneinheitlichen Rezeptionsgeschichte zum Problem. Diese Schwierigkeit kann noch mit dem Argument der historisch notwendigen Vielfalt von Positionen pariert werden, die als ›Geschichte‹ verstanden werden will, auch wenn sie ohne Sinn und Verstand ist, als absoluter Relativismus Gültigkeit gewinnen soll,33 oder als Metakommentar, z.B. eines Marxismus, eingesetzt werden soll. Die Macht des Konzepts von ›Geschichte‹, die als kollektive einen Konsens verspricht, stützt sich auf die referentielle Funktion von Sprache.34 ›Geschichte‹ wäre die Versammlung von Allegorien, die behaupten, keine Figuralität zu kennen; Allegorien, die nicht wissen, dass sie allegorisch sind und ihren Status nicht kritisch problematisieren. Geschichtliche Allegorien verdanken sich jedoch dem Umstand einer anfänglichen Unmöglichkeit von Geschichte, über ihre Unerfahrbarkeit werden sie (paradoxerweise) erfahrbar.35 D.h. Geschichte verdankt sich der Frage 32. Es gibt Ausnahmen in der Kafka-Forschung. Heinz Politzer schrieb schon 1973: »Kafka hat nicht nur die wissenschaftliche Methodik ihrer Eindeutigkeit beraubt, er hat auch die Deutbarkeit der Dichtung überhaupt ins Zwielicht der Fragwürdigkeit gerückt. Diese Fragwürdigkeit Kafkas macht seine Signifikanz selbst für eine Forschung aus, die sich immer noch als Wissenschaft begreift.« (Politzer (Hg.), Franz Kafka, S. IX) 33. Beicken schreibt: »Nicht ausbleiben konnte dabei, daß die Vielfalt, statt sich zu ergänzen, wegen der zunehmenden Unvereinbarkeit der diversen Standorte in Konkurrenz ausartete. Das Motiv von der Mehrdeutigkeit provozierte aber auch den Glauben an die Gleichberechtigung der verschiedenen Auslegungen. Bei einigen führte das zur unreflektierten Zementierung eines verhängnisvollen Relativismus, der die Besonderheit des Werkes zuschüttete.« (S. 101) 34. Paul de Man sagt es deutlich: »Literaturgeschichte ist, auch wenn sie den größten Abstand zu den Plattitüden eines positivistischen Historizismus hält, noch immer die Geschichte eines Verstehens, dessen Möglichkeiten für garantiert gehalten wird.« (De Man, »Der Widerstand gegen die Theorie«, S. 87) 35. So sehr eine Polemik gegen ein historisches Apriori der Interpretation reizt, und dafür nimmt man sich gerne Nietzsche zum Freund, so sehr die Annahme eines historischen Apriori in der Deutung kritikwürdig ist, können wir auch für Kafka die Frage nach Geschichte nicht mit gutem Gewissen vergessen. Vielmehr ist zu fragen, wie Kafkas Beziehung zu einer ›Geistesgeschichte‹, oder zu einer ›Geschichte der Germanistik‹, oder auch zu einer ›Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts‹ zu lesen wäre. Doch kann Historie nicht ohne weiteres als positive Größe in sich selbst verstanden werden, sondern geht selbst erst aus den Bedingungen von Deutbarkeit hervor, auf eine Weise, der sich das Problem von Deutbarkeit einträgt. Geschichte bleibt von Problemen der Repräsentation, wie sie Literatur anbietet, nicht unberührt. Zum Verhältnis einer Literatur als Trauma einerseits und Geschichte andererseits, schreibt
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der Deutbarkeit selbst. Demnach wäre Literatur ein Modell für das Wissen von Geschichte.36 038 Soviel ist deutlich Bevor Kafka also ›historisch‹ verstanden wird, wäre zu argumentieren, dass die Frage der Deutbarkeit selbst, und eben als Frage, deren Beantwortung der Text nicht garantiert, sondern vielmehr als Problem ausstellt, zum Kriterium literarischer Texte wird. Literatur bleibt zu deuten, soviel ist deutlich. Das Dilemma der Kafka-Forschung, zwischen ›rein inhaltlichen‹ und ›rein formalen‹ Lesarten, formal, insofern sie sich auf ›ästhetische Formgesetze‹ beziehen, wird dabei seinerseits lesbar und damit die Opposition von ›Form und Inhalt‹ selbst, als Symptome von Lektüren, die die literarische Ambivalenz übergehen.37 Literatur bleibt zu deuten, soviel ist deutlich.38 Das heißt zweierlei: Literatur versteht sich nicht (von selbst), darin liegt ihre Nichtigkeit, d.h. aber gleichzeitig auch, Literatur bedeutet immer zuviel.39 Wie sind die Nichtigkeit der Literatur einerseits und die im Verhältnis dazu auftretende Überbenennung andererseits zu verstehen?
Caruth: »For history to be a history of trauma means that it is referential precisely to the extent that it is not fully perceived as it occurs; or to put it somewhat differently, that a history can be grasped only in the very inaccessibility of its occurence.« (Caruth, Trauma. Explorations in Memory, S. 8) Vgl. hierzu auch das Kapitel »Zu einer Historiographie des Lachens«. 36. Zu den Konsequenzen dieser Einsichten vergleiche wiederum den Abschnitt »Zu einer Historiographie des Lachens« in dieser Arbeit. 37. Zu einer Klassifizierung der Kafka-Interpretationen in ›formal‹ und ›inhaltlich‹, vgl. Hans Helmut Hiebel, Die Zeichen des Gesetzes. Recht und Macht bei Franz Kafka, S. 11ff. Hiebel schreibt: »Wie in der formalen Beschreibung von (einsinniger) Perspektive, (uneigentlicher) Bildlichkeit und (zirkelhafter) Handlungsstruktur meist der soziale und psychologische Bezug, aus dem die Kafkaschen Formen und Figuren hervorgehen, verschwindet, so bleiben die nur an der Aussage interessierten theologischen, philosophischen, soziologischen und psychologischen Ereignisse oft die Antwort auf die Frage nach der Funktion der änigmatischen, polysemischen und paradoxen gestaltungsweise Kafkas schuldig.« Die Form/Inhalt–Debatte wird bei de Man diskutiert mit dem Zusammenfall von Extrinsik und Intrinsik im rhetorischen Sprachbegriff. Vgl. dazu Warminski, »Ending up/Taking back«, S. 16 38. Einen kurzen aber guten Überblick der Autoren, die dem Problem der Deutbarkeit bei Kafka angemessen Rechnung tragen, bietet Hart Nibbrig, »Die verschwiegene Botschaft oder: Bestimmte Interpretierbarkeit als Wirkungsbedingung von Kafkas Rätseltexten«, S. 459f. 39. Bei de Man heißt es dazu, »[…] we can say of literature that it overmeans.« (»Roland Barthes and the Limits of Structuralism«, S. 171)
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039 Literatizität Der als ›Rätselcharakter‹, als ›Signum der Moderne‹ verstandene Status der Texte Kafkas,40 ist dann zunächst kein Emblem im literarischen Werk paradigmatisch (oder prophetisch) erfahrener Geschichte,41 sondern darin ist zunächst die Literatizität von Texten, d.h. die Erprobung ›unmöglicher Möglichkeiten‹ als einer Erfahrung von Sprache zu entziffern.42 Blanchot spricht von der Verwirklichung ihrer Unwirklichkeit, Deleuze und Guattari von Experimenten und Versuchsanordnungen, Dentan von der, »l’ambiguité fondamentale de l’oeuvre dans sa signification.«43 Literarische Sprache wird dabei als diejenige Sprache verstanden, die gegenüber dem Diskurs der Politik oder der Alltagssprache nicht Bedeutungen setzt, sondern das Setzen von Bedeutungen stets dem Ausfall aussetzt.44 Dem Abfall und dem Abbau, der Dekomposition (Hiebel). Maurice Blanchot schreibt: »Die gemeine Sprache hat zweifellos recht; Sorglosigkeit ist uns nur um diesen Preis gewährt. Aber die literarische Sprache ist auch voller Unruhe, voller Widersprüche.«45
Dieses autonome und spezifische Potential von Sprache ist in seinen Funktionsweisen mit Hilfe eines linguistischen Vokabulars genauer zu untersuchen. Literatizität in diesem Sinne ist weder ästhetisch noch philosophisch; vielmehr wird mit Literatizität Sprache als sicheres Werkzeug des Zugangs zur ›Welt‹ in Frage gestellt.46 Wenn aber die setzende Funktion der Sprache dem Aussetzen ausgesetzt ist, dem Aus-satz oder auch aussätzig wird, verliert damit das Verhältnis von Zeichen und Referent seinen gesicherten Bestand und damit die Möglichkeit von Bedeutung. Literarische Sprache 40. Als Echo auf Robert Musil wurde für die Kafka-Lektüren der Begriff ›Jedermann ohne Eigenschaften‹ geprägt; Josef K. wurde dabei zu einem allgemeinen Menschentypus, zu dem modernen Menschen. So z.B. bei Politzer, Franz Kafka. Der Künstler, S. 262 41. Und z.B. auch keine Geschichte des ›anderen‹, das in historischer Differenz liegend, mediengeschichtlich umzingelt werden kann. Vgl. hierzu den von Kittler und Neumann herausgegebenen Sammelband, Franz Kafka. Schriftverkehr 42. Schmidt-Dengler fragt in seiner Kritik an Günther Anders Kafka-Lektüre zu Recht: »Ist durch das, was Anders weitgehend ausklammert, nämlich die Spezifikation der Werke Kafkas als Literatur, nicht der Eingang eröffnet, durch den die Literaturwissenschaft zu gehen hat?« (»Ein Modell der Kafka-Rezeption: Günther Anders«, S. 195) 43. Michel Dentan, S. 80 44. Martin Walser spricht von einer »permanenten Aufhebung«. Vgl. Walser, Beschreibung einer Form. Insbes. S. 79f. 45. Blanchot, »Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 34 46. Vgl. hierzu de Mans »Der Widerstand gegen die Theorie«, v.a. S. 89ff.
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führt an die Grenze der Möglichkeit von Sprache überhaupt. Bestätigt literarische Sprache die setzende sprachliche Bedeutung nicht, sondern, wie bei Kafka sehr genau zu lesen ist, baut sie auf dem Abbau von Bedeutung auf – ohne jemals dem Bedeuten zu entkommen – liegt die Literatizität literarischer Sprache gerade in ihrem fragwürdigen Verhältnis zu jeder möglichen Referenz.47 Literatur versteht sich darin, die Referentialität von Sprache zu erfragen.48 Verliert sie damit ihren gesicherten Anspruch von ›Welt‹ zu sprechen, spricht sie jedoch von der Unmöglichkeit, die Welt mit ihren Zeichen zu treffen. So ein negatives Wissen wäre ein ›Wissen‹ der Literatur. So verstanden stellt sich Literatur als Negativ dessen aus, was eine Ästhetik des Symbols ihr zusprechen wollte: das Privileg einer versöhnlichen Verbindung von Zeichen und Bedeutung. Stellt sich der Mythos unvermittelten Ausdrucks als ideologische Falle heraus, liegt das Privileg literarischer Sprache nicht in ihrem symbolischen Vermögen, sondern gerade in der Benennung der Leere, die diese Desillusion zeitigt.49 In dieser Schockwirkung öffnet sich literarische Sprache nicht nur dem Realen, sondern auch 47. Steinmetz schreibt: »[…] (man) kam […] nicht auf den Gedanken, daß die in der Kafka-Deutung auftretende Probleme und die einander relativierenden Interpretationen nicht nur ein spezifisches Kennzeichen gerade dieser Forschung bilden, sondern, von einem allgemeineren Standpunkt aus gesehen, die Möglichkeiten der Interpretation generell diskutabel machten.« (Suspensive Interpretation, S. 11) 48. Die Referentialität von Sprache zu erfragen, darin läge die Literatizität, die sich mit der Literatur ausstellt. »Kafkas Schreiben gehorcht einem Gesetz, das man als Entzug der Referenz begreifen muß. Der Text macht sich einen Spaß daraus (der zugleich Verzweiflung ist), einen von den Buchstaben evozierten Gegenstand nicht etwa darzustellen, sondern im Fortschreiten der Sätze zu demontieren.« So schreibt Lehmann in seinem kurzen, aber außerordentlich wichtigen Text zu Kafka, wo es weiter heißt, »so verlagert sich die jeweilige Bedeutung des Geschriebenen vom Referenten auf das Problem der Referentialität« (S. 214). Lehmann kann die ›Selbstinszenierung der Literatur‹ mit einer verblüffenden Stringenz aufzeigen. Er folgt Kafka bis hin zu den Allegorien der Buchstaben, die z.B. in dem kurzen Text »Der Ausflug ins Gebirge« durch die Landschaft wandern, »[…] diese vielen ausgestreckten und eingehängten Arme, diese vielen Füße, durch winzige Schritte getrennt! Versteht sich, daß alle im Frack sind. Wir gehen so la la, der Wind fährt durch die Lücken, die wir und unsere Gliedmaßen offen lassen.« (Zitiert bei Lehmann, S. 216) Lehmanns Analyseergebnis, daß Kafkas Texte erst sinnvoll werden, wenn sie als Allegorien der Schrift gelesen werden, ist ohne Zweifel zuzustimmen. Nur die gerade damit im Zusammenhang stehenden Aspekte Ironie und Lachen finden bei ihm leider kaum Beachtung. Vgl. »Der buchstäbliche Körper. Zur Selbstinszenierung der Literatur bei Franz Kafka« 49. Vgl. hierzu de Man, »Criticism and Crisis«, insbesondere S. 14ff.
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der Zukunft eines Denkens. In dieser Möglichkeit liegt die Chance ihrer Ideologiekritik. 040 Hermeneutischer Imperativ Gleichzeitig kann die literarische Sprache die Frage nach der Referenz nicht einfach verlassen.50 Nichts zu 50. Und von hier aus wäre das Kafka-Buch von Deleuze und Guattari zu kritisieren. Was einen bei Deleuze und Guattari skeptisch machen muß, ist die Geste der Verwerfung, die gleichzeitig ansteckend ist, in der Befreiung, die sie verspricht. Aber auch wenn der Akzent ihrer Lektüre, Kafkas Streben nach Asignifikanz, zutrifft, und diese Frage als Frage nach dem Lachen zu spezifizieren sein wird, übersehen sie die Aporie, in die sich dieser Versuch eines rein intensiven Sprachgebrauchs (Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 28), einer kleinen Literatur zwangsläufig stellt, insofern sie dem Verstehen nicht entkommt. Sonst käme es nicht zur Literatur, was der Text an einigen Stellen selber weiß, und insofern das Konzept einer kleinen Literatur nicht weit von einem de Man’schen Verständnis von Literatur zu stehen scheint: de Man wie Deleuze und Guattari beziehen die Literatur auf ihre eigene ›Nichtigkeit‹. M.a.W., der Status von Literatur als ›Objekt‹ einer Untersuchung ist immer kritisch, insofern er eben gerade nicht als existierend unbefragt gelassen werden kann. Von hier aus ergibt sich Literatur immer als Frage von Literatur; sowie Blanchot sagt: »Nehmen wir an, daß die Literatur in dem Augenblick beginnt, da die Literatur eine Frage wird.« (Blanchot, »Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 11) Und weiter heißt es bei Blanchot: »Man kann die Sorge, mit der die Literatur sich um sich selbst bekümmert, als eine Anmaßung verurteilen. Diese Sorge mag der Literatur ihre Nichtigkeit, ihre mangelnde Ernsthaftigkeit, ihre Unaufrichtigkeit vor Augen führen, gerade daß sie zur Übertreibung neigt, wirft man ihr vor.« (Ebd.) Wie ist die Frage nach der Literatur, die sich mit der Literatur stellt, zu beantworten? – ist sie zu beantworten? Thomas Pepper schreibt: »But what we call literary texts are thus because we keep reaching them, because we keep trying, and failing, to master the absolute singularity of the events of their constellation.« (Pepper, »Absolute constructions. An essay at Paul de Man«, S. 165) Pepper weist darauf hin, daß die Fraglichkeit von Literatur, die als Frage noch allgemein angenommen werden kann, in ihrer Beantwortung jedoch nur singulär sein kann. (Vgl. Pepper, ebd., 91f.) D.h. die Antworten ergeben sich erst in einzelnen Lektüren. Noch einmal zurück zu Deleuze und Guattari, ihnen bleibt entschieden zu erwidern, daß die emphatische Konzeption einer Politik des Verlangens die Gesetze der Sprache nicht einfach aufhebt; sich vielmehr erst aus ihnen ergibt. Darüber hinaus verfängt sich ihr Ansatz in dem Widerspruch, ohne ihn zur Kenntnis zu nehmen, daß bei aller Rede gegen eine Hermeneutik auch ihr Text nicht anders kann, als hermeneutisch zu verfahren; sonst könnte er keinen Anspruch darauf erheben, Aussagen über Kafkas Text zu machen. Auch eine Interpretation der Texte Kafkas als ›Literaturmaschine‹ bleibt als Interpretation hermeneutisch. Weniger diese Widersprüchlichkeit, als vielmehr die Haltung der Ignoranz ihr gegenüber ist problematisch. Dennoch ist die Arbeit von Deleuze und Guattari nicht nur wichtig, sondern immer noch einer der we-
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bedeuten ist nicht ohne weiteres möglich. Mehr noch, die Sprache kann den Versuch, die Welt zu meinen, nicht einfach aufgeben.51 Er bleibt ihr aufgegeben.52 Michel Dentan schreibt: »Il n’y a pas d’oeuvre de Kafka qui, suggérant un sens au delá d’elle-même, n’invite à l’exégèse.«53 In Jörgen Kobs Lektüre von Kafkas Prosastück »Die Bäume« heißt es: »Nicht mehrdeutig ist dieser Text, er läßt im Gegenteil gar keine konkrete Sinndeutung zu, obwohl er nachdrücklich zu ihr auffordert.«54 Absolute Selbstreferentialität würde Literatur zu ihrem Stillstand führen. Absolute Literatur wäre das Ende von Literatur.55 Deutung aber wird nicht nur wegen der Deutbarkeit, als Wunsch dieser positiven Gegebenheit, sondern auch gegen die Deutbarkeit, insofern die Deutbarkeit mit der Figuralität von Sprache die Möglichkeit ihrer Unmögnigen Texte zu Kafka, die begeistern. Ohne eine genauere Konzeption des Lachens zu liefern, gelingt es ihnen, jene Dynamik der Texte zu beschreiben, die zwangsläufig zum Lachen führt. Z.B. könnte das Lachen von hier aus als asignifikante Intensität gelesen werden. Das Versprechen, das sich darin artikuliert, ist jedoch in ein Verhältnis zur ironischen und allegorischen Sprachstruktur zu setzten. M.a.W. auch Deleuze und Guattari wären unter der Fragestellung des Verhältnisses von Ironie und Lachen zu lesen. 51. Hier ergibt sich eine Nähe zwischen meiner Lektüre und der Arbeit von Charles Bernheimer, wenn er schreibt: »I have developped a theory of psychopoetic structure that enables me to recuperate a subject primarily in the rhetorical shape of his writing rather than in the obsessive themes of that writing (though the two are, of course, interrelated).« (Flaubert and Kafka, S. XI) 52. Joseph Vogl, dem eine der interessantesten Veröffentlichungen der letzten Jahre zu Kafka zu verdanken ist (Vogl, Ort der Gewalt. Kafkas literarische Ethik), ist es gelungen, diese Aspekte einer literarischen Ethik freizulegen. Der rhetorische Verweiszusammenhang wird von Vogl als mimetischer und erkenntnistheoretischer Raum beschrieben, den die Texte verlangen zu verlassen, in dem Maße, wie ihr Begehren auf eine stabile Referenz zielt. In diesem Moment erkennt Vogl den ›Ort der Gewalt‹, als Moment einer unmöglichen textuellen Selbstüberschreitung. Daraus folgt für Vogl, daß das »Bild der Gewalt […] am Ende und zum Zeichen dieser unmöglichen Vermittlung steht"(ebd. S. 1), und somit zur privilegierten Trope der Texte aufrückt und dabei zu einem Verständnis auffordert. Ironie bleibt für Vogl dieser Bedingung geschuldet. Lachen ist von hier aus als Frage von Gewalt zu verstehen. Vgl. hierzu das Kapitel »Abfall« dieser Arbeit. 53. Dentan, S. 79 54. Kobs, S. 20 55. »Was wäre eine Literatur, die nur das wäre, was sie ist, Literatur?«, fragt Derrida und antwortet: »Sie wäre nicht mehr sie selbst, wenn sie sie selbst wäre.« (Préjugés. Vor dem Gesetz, S. 87)
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lichkeit mit einbezieht, zur hermeneutischen Aufgabe. Genau im Unterschied von referentieller und figurativer Bedeutung etabliert sich der hermeneutische Imperativ.56 Ohne eine Entscheidung treffen zu können, weil ihr ein Kriterium für diese Entscheidung fehlt, gestaltet Literatur die Aporie von Referentialität und Figurativität mit ihren zeichentheoretischen Problematiken als Pathos,57 als eine aus sich selbst hervorgebrachte Bewegung ohne die Sicherheit referentieller Identität.
56. Vgl. hierzu Hamacher: »Das Versprechen der Auslegung. Überlegungen zum hermeneutischen Imperativ bei Kant und Nietzsche«, insbes. S. 252-254. Verstehen ist nicht schlicht gegeben, sondern kann sich erst anläßlich seiner erkannten Unmöglichkeit als Forderung hervortun. Diese Forderung kann nicht nur als nachträgliche gedacht werden, sie ist mit der Sprache immer schon am Werk, also ebenso jeder Äußerung vorgängig, damit aber auch lediglich negativ zu lokalisieren. Dieser Imperativ spricht nur in der Bewegung der Sprache und ist nicht positiv als Rede des einen oder des anderen zu bestimmen. Ethisch ist die Sprache auch, weil sie mit der Unmöglichkeit, den anderen als anderen zu verstehen, zugleich die Forderung des Verstehens aufstellt; Hamacher diskutiert das bei Schleiermacher grundsätzlich aufgegebene Dilemma anschließend bei Kant und Nietzsche. Das Problem des ethischen Imperativs bei Kant läßt sich wie folgt zusammenfassen: um moralisch zu handeln, muß Moralität zunächst suspendiert werden und unerreichbar sein. Seine ethische Natur kommt von der Tatsache her, daß es sich um einen Imperativ handelt, der noch nicht erfüllt ist. Mit dem hermeneutischen Imperativ als negativer Anweisung ist der Sprache das Dilemma von Totalität und Endlichkeit eingeschrieben. D.h. ihr Anspruch auf Totalität wird durch eine Endlichkeit unterbrochen. Diese Paradoxie kann sich nicht anders denn als unendliche Analyse darstellen. Das Problem einer Hermeneutik ist damit nicht als ein erkenntnistheoretisches oder geschichtswissenschaftliches, sondern als ethisches formuliert, das mit der Sprache gegeben ist. Ethisch, insofern keine epistemologischen Kriterien von wahr und falsch mehr gefunden werden können, ebensowenig wie Anweisungen für ein praktisches Handeln. Vgl. außerdem, Hamacher, »LECTIO. De Mans Imperativ«, S. 110-175. Als unbedingter ist dieser ethische Imperativ kategorisch, er gehört der Sprache selbst an, d.h. er stellt sich mit der Sprache, von der Sprache aus, in ihrer Unversöhnlichkeit von referentieller und figurativer Bedeutung. Der ethische Imperativ ergibt sich aus der Bestrebung referentieller Möglichkeit in Beziehung zu ihrer Unterbrechung durch die Figuralität von Sprache. Sprache liefert kein Kriterium zur Unterscheidung dieser beiden Funktionen. In ihrer Gegenläufigkeit bleiben sie unentscheidbar. Zu den weiteren Konsequenzen dieser Lage, vgl. Hamacher, ebd. S. 189ff 57. Es geht dabei nicht um ein Pathos der Sprache, sondern Sprache ›selbst‹ zeigt sich als Pathos. Vgl. dazu noch einmal Hamachers, »LECTIO. De Mans Imperativ«, S. 163-169.
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041 Deutbar Unter dieser Perspektive sind die bisher erwähnten Deutungsweisen in dem Maße als Symptome der Schwierigkeiten einer rhetorischen Lektüre zu sehen, nicht nur, wie sie die Möglichkeit einer Polysemie oder Asignifikanz vor Augen führen, sondern – problematischer – soweit sie die spezifische Frage der Deutbarkeit selbst verdecken. So kann die These gewagt werden, gerade weil die Frage der Deutbarkeit bei Kafka derart ins Gewicht fällt (ins Gesicht fällt und blind macht), ist sie über unendliche Deutungen verdeckt worden – und kommt damit, in der Lektüre dieses Symptoms, wiederum zum Vorschein. Versteht man das Problem der Deutbarkeit also nicht als Dilemma, dem durch bloße Ausdeutung zu entgehen ist,58 sondern als für die Literatur konstitutiv, so treten Kafkas Texte vielleicht in einem anderen Sinne als hervorragendes Arbeitsfeld für die ›Literaturwissenschaft‹ hervor oder aus der ›Literaturwissenschaft‹ hervor (denn es ist fragwürdig, ob die Lektüren diesen Namen verdienen, und es wird zu fragen sein, ob sie ihn gewinnen können).59 Danach könnte sich Literaturwissenschaft nur auf die Weise in ein Verhältnis zu ihrem ›Gegenstand‹ setzen, dass sie die für die Literatur konstitutiven Aporien wiederholt. Keine Metasprache beschriebe und definierte ihr Objekt, sondern die mit der Literatur gegebenen rhetorischen Strukturen würden ebenfalls für eine Literaturwissenschaft gelten, die keine andere Sprache kennen würde.
58. Deshalb kann das Problem der Deutbarkeit nicht einfach in die Opposition einer ›freien Assoziation‹ gegenüber einer ›strengen Deutung‹, die sich im Unterschied zur ›Freiheit‹ einer Assoziation über eine detailgetreue Lektüre ihre Sicherheit gibt, überführt werden. Mit diesem Schritt, wie er in dem von Schirrmacher herausgegebenen Buch Die Verteidigung der Schrift. Kafkas ›Prozeß‹ unternommen wird, wird die aporetische Struktur einer unmöglichen aber notwendigen Deutung selbst übersprungen. 59. Hamacher hat darauf hingewiesen, daß die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Literaturwissenschaft als Wissenschaft, von diesen Fragen ausgeht, insofern sich mit der Selbstreferentialität an dieser Stelle die Frage nach der Spezifik eines Wissens zeigt, das die Literatur zu bieten hat. Vgl. Hamacher, »LECTIO. De Mans Imperativ«, z.B. S. 152
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1.2. Von der Komik zur Rhetorik »Merkwürdig, daß aus Komödie bei genügender Systematik Wirklichkeit werden kann.«60
042 Ist Kafka komisch? Einhergehend mit der Blindheit für die Literatizität der Texte Kafkas wich man der Frage aus, warum sie komisch sind.61 Zwar fiel die Frage des Komischen bei Kafka von Anfang an auf, schon Brod spricht von Kafkas ›Humor‹,62 ist aber als solche nicht befragt, also nicht ernst genommen worden.63 Die Frage fiel auf und ist gleichzeitig abwegig erschienen, als wäre es eine Komik, von der man nicht sicher sein
60. Kafka, Tagebücher 1914-1923, S. 208 61. Ich verwende an dieser Stelle den bisher nicht weiter bestimmten allgemeineren Begriff der ›Komik‹, weil sich Kafkas Texte, diesbezüglich zunächst schwer bestimmen lassen. Preisendanz hat trotz Freud auf die Schwierigkeit hingewiesen, die Genre des Komischen, Humor, Ironie, Groteske usw. voneinander zu unterscheiden, und von daher vorgeschlagen, von einer Unterscheidung von Komischem und Nichtkomischen auszugehen. Als Beginn einer Bearbeitung des Komischen erscheint mir dieser Hinweis sinnvoll, auch wenn im Laufe dieser Arbeit v.a. Ironie und Lachen an Gestalt gewinnen werden; ebenso wie etwas später, Komik im Unterschied zur Ironie. Noch einmal sei auch darauf hingewiesen, daß die Spezifik von Kafkas Schreiben zu dieser Problematik, der Möglichkeit einer Situierung innerhalb der Genre des Komischen, beiträgt. Vgl. zu diesem Punkt Preisendanz, über die Stichworte ›das Komische‹, ›das Lachen‹ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 4 62. Ebenso Felix Weltsch und Thomas Mann. Vgl. hierzu Binder (Band 2), S. 45. Bei Benjamin heißt es: »Als dieses Wesentliche erscheint mir bei Kafka mehr und mehr der Humor. Er war natürlich kein Humorist. Er war vielmehr ein Mann, dessen Los war, überall auf Leute zu stoßen, die aus dem Humor eine Profession machten: auf Klowns. Besonders ›Amerika‹ ist eine große Klownerie. Und was die Freundschaft mit Brod betrifft, so habe ich das Gefühl, der Wahrheit auf der Spur zu sein, wenn ich sage: Kafka als Laurel fühlte die lästige Verpflichtung, sich seinen Hardy zu suchen – und der war Brod. Wie dem nun immer sei – ich denke mir, dem würde der Schlüssel zu Kafka in die Hände fallen, der der jüdischen Theologie ihre komischen Seiten abgewönne.« (Benjamin in einem Brief an Scholem vom 4.2.1939, in: Benjamin über Kafka, S. 90f.) 63. Die frühe Kafka-Rezeption scheint in dieser Hinsicht interessanterweise tatsächlich klarsichtiger, als die späte. Tucholsky, Brod und Benjamin vermeiden es alle nicht, von Kafkas Ironie oder Humor zu sprechen. Auch in Milena Jesenkás Nachruf auf Kafka, der am 5. Juni 1924 in »Národnî Lîsty« erscheint, ist von seiner ›trockenen Ironie‹ die Rede. Abgedruckt in Ernst Pawel, Das Leben Franz Kafkas. Eine Biographie, S. 500
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könnte, ob es eine ist, oder wie man sie nennen sollte.64 Ist Kafka komisch, ironisch, humorvoll, witzig, scherzhaft oder lustig? Vorschnell ist er in die modische und inzwischen altmodische Kategorie des ›Absurden‹ einsortiert worden, mit der die ›widersinnige‹ Komik eher zurückgewiesen als verstanden worden ist.65 Abgesehen von der Kategorie des ›Absurden‹ als Geste der Abwehr, liegen zwei weitere Möglichkeiten, sich der Frage der Komik oder des Lachens bei Kafka zu nähern und sie dabei zu verpassen, auf der Hand. Ein biographischer oder ein rein formaler Ansatz verfehlen das Problem. So hat Petr die Arbeit auf sich genommen, die Hälfte seines Buches über Kafka mit dem Versuch einer biographischen Rechtfertigung für die Thematisierung des Lachens zu verbringen, um in der zweiten Hälfte mit Hilfe einiger Hinweise auf Bergsons und Ritters formale Beschreibungen, Momenten der Komik in Kafkas Texten nachzugehen.66 Er etabliert einen Rechtfertigungsdiskurs, der bemüht ist zu begründen, warum es erlaubt wäre, bei Kafka von einem Lachen zu sprechen. Lachen erscheint in diesem Kontext als Tabubruch: Petr spekuliert, ob Brod, sich seiner Verantwortung die Generierung der Kafka-Rezeption betreffend durchaus bewusst, ein Kafka-Bild befürchtet hat, das ihn als ›lustigen‹, und damit ›oberflächlichen‹ Dichter diffamieren würde. In der Vermeidung der Rezeption von
64. Die Thematisierung von Komik im Schreiben über Kafka läuft oft nach dem gleichen Muster ab: Der Interpret ist darauf gefaßt, daß seine Einsicht überraschend und nicht evident ist, und er sich schnell für seine Einschätzung rechtfertigen muß. So heißt es bei Herbert Kraft: »Manchem Leser mag es – zumindest bei der ersten Lektüre – als sehr abwegig erscheinen, bei Kafka von Komik zu sprechen.« (Kafka. Wirklichkeit und Perspektive, S. 33). Erst in jüngster Zeit ist Aussagen zu Kafkas Komik der Status einer Selbstverständlichkeit gegeben worden, z.B. in Ozicks Artikel »Translating Kafka« im New Yorker vom 11.1.1999. Zur Skizzierung eines Kafka-Bildes verweist Ozick selbstverständlich darauf, daß Kafka beim Vorlesen seiner Texte lachte. (Vgl. ebd. S. 80). Vgl. zu diesem letzten Punkt auch Abschnitt 075 dieser Arbeit. 65. »Es ist vielleicht an der Zeit, den Menschen nicht nur als das vernünftige Lebewesen zu fassen, sondern gerade als das Lebewesen, das dem Widersinn ausgeliefert, vom Widersinn beherrscht werden kann, das zwischen Sinn und Widersinn steht, bloß diesen Stand nicht wahrhaben will und deswegen diesen Widersinn als das Absurde von sich weist.« (Biemel, S. 19). Noch einmal genauer zum Unterschied von Komik und Absurdem: Mit der Einführung des Begriffs des Absurden, ist die Sinnfrage schon entschieden: es gibt keinen Sinn, der ›Mensch‹ hat sich in dieser Situation einzurichten. Vgl. hierzu Kobs, S. 18f. 66. Petr, Kafkas Spiele. Selbststilisierung und literarische Komik
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Kafkas Komik spricht sich die Sorge des Bildungsbürgers Brod aus.67 War Kafka Kalifornier?68 Ein schwerwiegenderes Problem wird dabei jedoch nicht angesprochen und zeigt sich so symptomatisch auch in Petrs Arbeit wieder. Lachen wird als Problem, das die Hermeneutik selbst betrifft, nicht ernst genommen. Lachen wird weniger als ästhetische oder epistemologische, sondern als soziologische und moralische Frage zum Problem. Weitreichender ist Dentans Buch.69 Wie einige andere Autoren auch weist er auf den Charakter der Ambiguität und des Paradoxen von Kafkas Sprache hin. Wurde diese meistens als ›düster‹ empfunden, bemerkt Dentan, dass sie zugleich ›heiter‹ sei: »Cette répresentation totale est ambigue. Elle a quelque chose de désespérant et se constitue dans une atmosphere oppressante. Mais elle comporte aussi, presque toujours, des éléments qui suggèrent l’idée d’effets comiques.«70
Die Frage der Komik tritt bei Dentan im Titel seines Buches, sowie im späteren Verlauf der Arbeit unter dem Begriff des ›Humors‹ auf.71 Wird ›Humor‹ bei ihm zunächst unterteilt in psychologischen und religiösen, wird er schließlich so weit gefasst, dass das damit angesprochene Problem als eine Frage von Textstruktur erscheint.72 So heißt es:
67. Vgl. Petr, S. 15 68. Man muß Kafka als Kalifornier lesen, sagt Ulrich Baer. 69. Humour et la création littéraire dans l’oeuvre de Kafka 70. Dentan, S. 80. Dentan führt dafür eine Reihe von Beispielen an, allen voran Die Verwandlung, Der Prozeß, und Das Schloß. 71. Der Begriff des Humors ist irritierend, insofern Humor als harmlose Gemütsbewegung verstanden werden kann, und damit eine Charakterologie oder Psychologie einführt. Über eine solche Engführung der Auffassung des Komischen weist Dentans Lektüre ansonsten aber hinaus. Der Begriff des Humors führt eine Irritation ein, der gegenüber sich Dentan nicht verschließt, und die dazu führt. Die Frage des Humors interessiert mich in diesem Zusammenhang nicht weiter. Einen Hinweis für eine interessante Diskussion des Humors bieten aber Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung. Humor ist demnach nicht länger möglich. Als verlorener erscheint er am vergangenen Horizont einer Gesellschaft, die noch kollektive Versöhnlichkeit kannte. Die allgemein heilende Funktion, die dem Lachen anthropologisch zugesprochen wird, ist demnach den Autoren der Dialektik der Aufklärung zufolge historisch verloren gegangen. Vgl. hierzu auch die Einleitung dieser Arbeit. 72. Vgl. hierzu insbesondere Dentan, S. 171ff.
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»Or c’est le language même des Kafka qui y force, un language de l’ambiguité, grâce auquel le sens de l’oeuvre n’est pas enfermé en elle comme un mystère à dechiffrer, mais se recrée sans cesse dans une tension entre l’oeuvre et le lecteur, dans le rapport problématique de l’un à autre.«73
043 Ist Kafka ironisch? Ist die Frage des Komischen und des Lachens bei Kafka nicht unter den Begriffen ›Komik‹ oder ›Humor‹ aufgetaucht, so als Thematisierung von ›Ironie‹. In der Frage nach der Ironie schien die Spezifik seiner Texte noch am ehesten getroffen, insofern die Ambivalenz von Kafkas Komik, ihre Uneindeutigkeit, dem Phänomen der Ironie als uneigentlicher Rede, von der nicht mit Sicherheit zu sagen ist, ob sie ernst oder unernst ist, am nächsten ist.74 Dennoch gibt es keine größere überzeugende Arbeit zum Komplex ›Ironie‹ bei Kafka, die ausführlicher darzustellen und zu diskutieren wäre.75 Angeblich ist ›Ironie‹ Thema bei Walter Sokel. Einige treffende Beobachtungen sind hier immerhin zu finden. So schreibt er: »Indem der Erzähler die Widerlegung so unmittelbar auf die Behauptung folgen läßt, ironisiert er die letztere, d.h. er läßt K. sich selbst ironisieren. Diese Selbstironisierung wird aber von K. nicht zur Kenntnis genommen, sie wird von ihm nicht reflektiert. Die Reflexion wird dem Leser überlassen.«76
73. Ebd., S. 182 74. Bei Weltsch, der nicht von Ironie, sondern von Humor spricht heißt es paradoxerweise, »[…] das ist nicht Humor im Sinne von witziger Lustigkeit und leichter Unterhaltung, es ist ein ernster Humor.« (Felix Weltsch, Religion und Humor im Leben und Werk Franz Kafkas, S. 79) 75. Vielversprechend, aber schließlich doch enttäuschend ist Frank Stringfellows Buch, The Meaning of Irony. A Psychoanalytic Investigation, in dem versucht wird, das Konzept der Ironie psychoanalytisch zu rehabilitieren (Freuds Desinteresse an der Ironie wird symptomatisch gelesen), und das neben einer Lektüre Swifts eine Lektüre von Kafkas Der Proceß anbietet. Trotz des interessanten Versuchs, Ironie psychoanalytisch zu verstehen, ist ein Problem von Stringfellows Buch, Psychoanalyse gerade im Gegensatz zu Rhetorik zu verstehen, als Möglichkeit, kommunikative Situationen zu analysieren, und damit auch das Unbewußte zu individualisieren. Wie viele andere Untersuchungen zur literarischen Ironie, bleibt seine Arbeit danach auf Fragen der Erzähltheorie begrenzt. 76. Sokel, »Kafkas ›der Prozess‹: Ironie, Deutungszwang, Scham und Spiel«, S. 44. Vgl. hierzu natürlich auch Sokels im Übrigen enttäuschendes Franz Kafka. Tragik und Ironie
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Kein Zweifel besteht an der Ironie von Kafkas Schreibverfahren. Fraglich ist, ob sie über den psychologischen Rahmen eines Produktions/Rezeptionsverhältnisses erklärbar wird. Dennoch ist wichtig festzuhalten, dass Kafkas Ironie sich in keiner Perspektive des Mehrwissens des Erzählers, wie etwa bei Thomas Mann, einrichtet.77 Das Problem der hier erwähnten Arbeiten ist vor allem, dass die Kategorie der ›Ironie‹ selbst unbefragt bleibt. Als wäre man sich der Ironie sicher, bzw. wüsste nur allzu gut, dass eine genauere Beschäftigung mit ihr das Interpretationsunternehmen vereiteln könnte. Friedrich Schlegel hatte rechtzeitig auf die Gefahren der Ironie hingewiesen.78 Diese Haltung ist lesbar als Symptom der Angst vor den Folgen einer Lektüre, die Ironie ernst nehmen könnte und damit der Möglichkeit von Verstehen selbst droht. Läst sich die Kafka-Forschung also fast ausschließlich als Negation der Forderung einer solchen Lektüre verstehen? »›Es wird hier viel geschrieben‹, sagte K., und blickte von der Ferne auf die Akten hin. ›Ja, eine schlechte Angewohnheit‹, sagte der Herr und lachte.«79 044 Lachen und Sprache Benjamin gehört in der Beobachtung komischer Vorfälle zu den hellsichtigsten Kafka-Lesern: »Bei Kafka ist die Neigung sehr bemerkenswert, den Vorfällen gewissermaßen den Sinn abzuzapfen. Siehe den Gerichtsbeamten, der eine Stunde lang die Advokaten die Treppe hinunterwirft.«80
An anderer Stelle wird deutlich, dass Benjamin dieses Verfahren durchaus nicht nur im Sinne motorischer Komik als Slapstick versteht. Es heißt: »Kafkas Konditionalsätze sind Treppenstufen, die immer tiefer führen, bis das
77. Weiter heißt es bei Sokel: »Während also die Sicht der Szenen ausschließlich von K. ausgeht, läßt ihre sprachliche Darstellung eine Sehweise zu, die K. entlarvt […]. Diese Ironie ist nur möglich durch eine Erzählperspektive, die sich von der K.s deutlich abhebt, die mehr von K. sieht, als er selbst zu sehen scheint, bzw. zu sehen zugibt. In diesem Mehrsehen des Lesers, das ihm der Erzähler gestattet, liegt die Ironie des Werkes verankert. Die Erzählperspektive des Prozesses spaltet sich also in zwei Teile: Die vom Protagonisten reflektierte Sicht und die Sicht, die von ihm nicht reflektiert wird.« (Sokel, ebd.) Das Problem eines erzähltheoretischen Verständnisses von Ironie liegt hier in ihrer Gebundenheit an Fragen der personalen Konstellation, des Verhältnisses von Erzähler, Protagonist und Leser. Es bleibt problematisch gerade bei jenen Kategorien in der Lektüre stehen zu bleiben, die die Lektürearbeit in der Tat in Frage stellt. 78. Fußnote zu Schlegel 79. Kafka, Das Schloß, S. 132f. 80. Benjamin, Über Kafka, S. 127
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Denken zuletzt in die Schicht gesunken ist, in der seine Figuren leben.«81 Kafkas Komik ist hier als sprachliches Verfahren ausgewiesen. Mit Bergson lässt sich sagen, »[…] so ist es jetzt die Sprache, die Komödie spielt.«82 Was wäre eine Sprache, die Komödie spielt? Lehmann hat die Komödie der Sprache für Kafka wie folgt beschrieben, »[…] die Zeichen [verweisen] immer wieder auf sich selbst, auf ihren eigenen Prozeß, und bleiben dabei zwischen Komik und Tragik, zwischen Spaß und Verzweiflung streng unentschieden.«83
Komik oder Tragik, über ihre semiotische Selbstbezüglichkeit sind sie an dieser Stelle nicht zu unterscheiden,84 ergeben sich aus einer Sprache, die die Bedingungen ihrer Darstellungsweisen ausstellt. Diese beiden Lücken der Kafka-Forschung – Literatizität und Komik – weisen auf das gleiche Dilemma hin: eine Lektüre, die sich auf den literarischen Status der Texte einlässt, kann deren Funktion als Bedeutungsträger nicht länger als gesichert annehmen – insofern die Selbstbezüglichkeit der Texte und das Problem der Referentialität die Lektüre leiten – und stößt damit unweigerlich auf das komische Element. Denn die Komik der Texte Kafkas entsteht genau in den Formen des semantischen Abbaus, d.h. in den Momenten, wo der Text sich hervorbringt unter der Bedingung seiner eigenen Unmöglichkeit. Der Blick auf eine Passage aus Kafkas Text »Forschungen eines Hundes« soll diesen Punkt erhellen: »In den sonderbarsten Berufen sind wir Hunde beschäftigt, Berufe, an die man gar nicht glauben würde, wenn man nicht die vertrauenswürdigsten Nachrichten darüber hätte. Ich denke hier am liebsten an das Beispiel der Lufthunde. Als ich zum erstenmal von einem hörte, lachte ich, ließ es mir auf keine Weise einreden.«85
Referentielle Sicherheit als Ernsthaftigkeit ist Voraussetzung dafür, dass die Unsicherheit von Referenz zur Frage von Komik werden kann und zum Lachen führt. Lachen ist damit (noch) die Gewissheit der Unwahrschein81. Benjamin, ebd., S. 128 82. Bergson, Das Lachen, S. 83 83. Lehmann, »Der buchstäbliche Körper. Zur Selbstinszenierung der Literatur bei Franz Kafka«, S. 236 84. Wie unterscheiden sich bei Kafka Tragik und Komik – unterscheiden sie sich? Es ist nicht zu vergessen, daß bei Nietzsche Tragik auch der Ort des Lachens ist, der sokratischen Heiterkeit entgegengesetzt. 85. Kafka, »Forschungen eines Hundes«, S. 65f.
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lichkeit, die sich der Negation nähert. Später wendet sich das Blatt, denn das Unsinnige wird wahrscheinlich. So heißt es an derselben Textstelle weiter: »[…] das Unsinnigste erschien mir in diesem unsinnigen Leben wahrscheinlicher als das Sinnvolle und für meine Forschungen besonders ergiebig. So auch die Lufthunde.«
Die Vertauschung der Wahrscheinlichkeiten führt, jenseits der einfachen Negation, zu einem ironischen Austausch (der vielleicht zu einem anderen Lachen führt, das nicht als Negation, sondern als Negativität, die die Möglichkeit von Referentialität, die noch mit der Negation bestätigt wird, in Frage stellt, zu beschreiben wäre). Die Beschäftigung mit den unwahrscheinlichen Lufthunden, die wahrscheinlich werden, eröffnet den Raum einer ironischen Unentschiedenheit. Damit ergibt sich die Frage, ob diese Ironie ihrerseits noch zu verstehen ist, gewinnt sie ihren Halt nicht in der einfachen Vertauschung von Aussagen, sondern zieht sie sich weiter als unaufhörliche Bewegung durch den Text und lässt dessen Aussagen im Schwebezustand der Frage zurück: Gibt es die Lufthunde? Kann Josefine singen? Ist K. verhaftet? Ist da überhaupt ein Schloß? Eröffnen sich mit der Figur der Ironie stets neue Möglichkeiten des Verstehens, drohen zugleich neue Unmöglichkeiten. Im stets bereitgehaltenen Unverständnis spiegelt sich die unbegrenzte Ironie der Texte und fordert zur Frage auf. Über das gefährdete Verstehen ist in den ironischen Texten Kafkas ein Problem von Wahrheit eingetragen. Ausgegangen von der fehlenden referentiellen Gewissheit besitzt sie keinen Ort, »[…] mitteilen kann man nur das, was nicht ist, also die Lüge.«86 In der Notwendigkeit die Figur der Lüge als generell anzuerkennen, verschiebt sich aber der Unterschied von Wahrheit und Lüge selbst: »Das alles ist Fortsetzung der Lüge, kommt aber in der Wirkung, wenn ich konsequent bleibe, der Wahrheit nahe.«87 In einer Sprache, die nicht anders kann als lügen, wird die konsequente Lüge paradoxerweise zur möglichen Annäherung an die Wahrheit, als Wahrheit einer Sprache, die ihre Negativität ausstellt. 045 Schlaflosigkeit In seinem Lektüreunternehmen ergeht es Paul de Man ähnlich wie Franz Kafkas schlaflosen Helden: Beide sind von dem Imperativ getrieben, keine Zuflucht bei der Bedeutung zu suchen. Nicht, indem Bedeutung vermieden wird, sondern weil im Durchspielen jeder 86. Franz Kafka, Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlass, S. 343 87. Franz Kafka, Tagebücher 1914-1923, S. 124
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denkbaren keine zurückbleibt. Sie geben sich nicht dem narkotisierenden Tagtraum der Übertragung hin,88 mit dem Ergebnis, in ihrer schmerzhaften Wachheit heimatlos zu bleiben.89 Nach de Man artikuliert sich das negative Wissen, das die Literatur dabei zu bieten hat, über die rhetorischen Figuren von Allegorie und Ironie, die nicht länger gegenüber den Ordnungen von Logik und Grammatik als deskriptive oder normative Redefiguren bestimmt werden;90 deren Grammatik oder Agrammatik noch die Instanz grammatischer und damit auch logischer Ordnungen bestätigen würde, insofern Grammatik und Logik durch eine konfliktlose Geschichte der Versöhnung verbunden blieben.91 Vielmehr lassen sie sich z.B. in den Texten der deutschen Romantiker und bei Baudelaire, als intentionale Redeweisen verstehen, die ihre grammatikalische Kohärenz in Frage stellen;92 nicht im Sinne einer Intentionalität, die psychisch motiviert wäre, sondern im Sinne einer Literatur, die ›selbst‹ 88. Vgl. hierzu Felman, »Turning the Screw of Interpretation«, S. 135 89. Meine Müdigkeit führt mich hoffentlich nicht zur narkotisierenden Betäubung der Bedeutung, sondern nur zu Unterbrechungen, Pausen und Aussetzern, bis das Lesen wieder von vorne beginnt. 90. Die Lösung der Ironie aus dem traditionellen Kanon einer Rhetorik geht auf Friedrich Schlegel zurück, in dessen Texten sich der Traditionsbruch mit der antiken Rhetorik von Aristoteles, Cicero und Quintilian vollzieht. Dieser Bruch in der Frühromantik ist als einer der Anfänge der ›Moderne‹ verstanden worden. Der Unterschied, der dabei mit der Ironie markiert wird, bezieht sich auf die Fragen von Genre und Kontext. Die einfache rhetorische Formel, etwas uneigentlich, in der der Bedeutung gegenteiligen Form auszudrücken, wurde um 1800 nicht nur zum literarischen Verfahren, sondern auch zum Gegenstand theoretischer Reflexion. Im Zuge dieses Interesses für Ironie wurden auch vergangene Autoren wie Cervantes oder Sterne als Ironiker entdeckt. Vgl. hierzu Behler, S. 8ff. De Mans Überlegungen widmen sich weniger der Frage von Genre und Geschichte, als den Untersuchungen der ironischen Struktur, wie sie z.B. bei Schlegel zu lesen sind. Die Wiederentdeckung der Allegorie erfolgte u.a. bekannterweise in Walter Benjamins Entzifferung des barocken Trauerspiels als Genealogie der Moderne. Ohne Zweifel verdanken sich viele der Einsichten de Mans einer Lektüre Benjamins, auch wenn seine Texte diese Verbindung eher herunterspielen. So ist Benjamin zwar gleich in der ersten Fußnote von »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« erwähnt, danach nur noch einmal kurz im Haupttext angesprochen und nicht weiter diskutiert. 91. Zum klassischen Verhältnis von Logik, Grammatik und Rhetorik gegenüber einer Rhetorik, wie de Man sie versteht, die sich auch den Einsichten der Semiologie verdankt, vgl. de Man, »Semiologie und Rhetorik«, insb. S. 34-44 92. Vgl. hierzu den für diese Arbeit wichtigsten Aufsatz de Mans, »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«
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als Intentionalität zu lesen wäre. Mit ihnen zeigt sich die Struktur von Sprache als Zeichen, deren Bedeutung nicht gesichert, aber auch nicht verloren werden kann, als unvermeidbare Fiktion, die doch stets mehr verlangt, als Fiktion zu sein, und als Zeichen dieser Zeichen, und damit als ein Wissen dieser Aporie, das doch ihrer Aufhebung nicht gleich kommt.93 Mit dieser Rhetorik geht es keineswegs um Rede- oder Überredungstechniken, sondern um die philosophischen Implikationen literarischer Sprache und damit auch um die literarischen der Philosophie.94 046 Paradox Ein weiterer Blick auf Kafkas Literatur soll helfen, dieses Problem zu präzisieren. »Nicht verzweifeln, auch darüber nicht, daß Du nicht verzweifelst«, schreibt Kafka am 21.7.1913 in sein Tagebuch.95 Wie wäre ein solcher Satz zu lesen? Die Aufforderung, im Fall fehlender Verzweiflung nicht zu verzweifeln, ist paradox, denn die Gültigkeit des anfänglichen Wunsches oder Imperativs Nicht verzweifeln setzt die Verzweiflung voraus, bezogen auf ihr Fehlen erscheint er überflüssig. Für den Fall der fehlenden Verzweiflung, müsste dieser Imperativ nicht mehr ausgesprochen werden. Im Aussprechen wird fehlende Verzweiflung über den Imperativ nicht zu verzweifeln allerdings zum Objekt möglicher Verzweiflung aufgebaut. Verzweifeln, das mit der Negation als Imperativ abgewehrt werden soll, wird positiv oder negativ selbstreflexiv auf sein Vorhandensein oder seine Abwesenheit bezogen. Der Imperativ, der zunächst bemüht zu sein scheint, die Verzweiflung zu vermeiden, führt sie in seiner paradoxen Gültigkeit erst als uneingeschränkt ein. In der Bezugnahme auf das Fehlen von Verzweiflung, erlaubt er kein Außerhalb der Verzweiflung mehr. D.h. der Imperativ betreibt das Gegenteil dessen, was er behauptet. Darin kann Verzweiflung aber nicht länger Verzweiflung sein. Eine Verzweiflung, die zugleich über das Fehlen von Verzweiflung verzweifelt, und darin die Uneingeschränktheit von Verzweiflung erst etabliert, ist keine Verzweiflung mehr. In der Uneingeschränktheit von Verzweiflung, ähnlich der Figur von Lüge und Wahrheit, kommt die Verzweiflung ›selbst‹ abhanden. Hiebel nennt, wie viele andere Autoren auch, das Paradox als eine Grundfigur von Kafkas Literatur.96 Nur über eine strikte Trennung von 93. Vgl. hierzu de Man, ebd., S. 83f. 94. Am deutlichsten tritt diese Wiederentdeckung der Rhetorik für die Philosophie der Moderne bei Nietzsche hervor, bei dem, de Man zufolge, weder von einem natürlichen, noch von einem mimetischen Sprachbegriff ausgegangen werden kann. Nietzsches Sprache ist nicht anders als rhetorisch zu verstehen. Rhetorik wird zur Bedingung eines literarischen/philosophischen Schreibens, ein Schreiben, das auf der Rhetorik gründend, diese Trennung gerade unterläuft. 95. Kafka, Tagebücher 1912-1914, S. 182 96. Vgl. hierzu Hiebel, S. 21ff. Ich folge seiner Beobachtung, nicht jedoch sei-
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Objektsprache und Metasprache, bei der der Metasprache eine Aussage über den Status der zuvor gemachten Aussage gelingt, könnte die Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Aussagen in der Figur des Paradoxes aufgelöst werden. Der semantische Widerspruch würde über ein hierarchisches Modell aufgehoben. Für dieses Beispiel hieße es, einerseits eine Aussageebene, auf der ein Unterschied von Verzweiflung und ihrem Fehlen möglich ist, andererseits eine Reflexionsebene, die beide Zustände über die Negation des Imperativs, der von einer Uneingeschränktheit der Verzweiflung auszugehen hat, betrifft, anzunehmen. Es wäre demnach zu fragen, nach welchem Kriterium es möglich werden würde, diese Unterscheidung zu treffen, wird es nicht von der sprachlichen Gegebenheit selbst zur Verfügung gestellt. Mit welchem Recht könnte die Frage der Verzweiflung bei Kafka hierarchisch gegliedert werden? Diese Unterscheidung könnte nur als logischer Imperativ eingeführt werden. In einer solchen Absicherung der Interpretation würde aber die Lesbarkeit, die Kafkas Paradoxien anbieten, gerade verfehlt werden. Vielmehr muss versucht werden, sie in ihrer aporetischen Dimension anzuerkennen. An anderer Stelle schreibt Hiebel: »In Kafkas Texten verdrängt die sich ausbreitende Konnotation allmählich die Denotation, das Buchstäbliche; aber dies nicht dergestalt, daß eine eindeutige metasprachliche Ebene des Vergleichenden sich gegenüber einer eindeutigen Ebene des Verglichenen etablierte, sondern so, daß das Buchstäbliche stets erhalten bleibt und durch dieses paradoxe Zugleich einen irrealen Status erhält.«97
Bei Benjamin hieß es über Kafkas ›Parabeln‹: »Sie sind nicht Gleichnisse und wollen doch auch nicht für sich genommen sein.«98 In der Unentscheidbarkeit zwischen Gleichnischarakter und Wörtlichkeit, Denotation und Konnotation, Vergleichendem und Verglichenem, behauptet sich die Figur des Paradoxes als ein Problem von Logik. Ein Problem, das sich in der Literatur im Verhältnis von Figürlichkeit und Referentialität abspielt und in dem
ner Deutung. Hiebel deutet diese Paradoxien als Merkmal der Verfassung des Subjekts, als Erfahrungstatsache. Für mehrere Beispiele dieser paradoxen Figuren in Kafkas Geschichten, siehe Hiebel S. 24f. Hamburger hat darauf hingewiesen, daß die Figur der Paradoxie als ein Merkmal ›fiktiver Zeiterfahrung‹ verstanden werden kann. Vgl. Hamburger, »Die Zeitlosigkeit der Dichtung«, S. 418. Von hieraus ergibt sich eine Nähe von Paradoxie als Figur der Zeitlichkeit und de Mans Figuren von Allegorie und Ironie als Formen von Zeitlichkeit. 97. Hiebel, S. 36 98. Benjamin, Über Kafka, S. 20
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Maße zu einer Frage von Literaturwissenschaft wird, die keinen anderen Grund hat, als die Figuren der Literatur, auch die Figur des Paradoxes. Nach Russell und Whitehead etabliert sich aber erst unter dem Ausschluss der Figur des Paradoxes nicht weniger als Wissenschaftlichkeit selbst.99 Im Zuge dieses Ausschlusses ist Logik auf einer negativen Bewegung gegründet. Um Kafka zu lesen, muss diese Negativität zu ihrem Recht kommen. Die gleiche Spannung von Zeichen und Referent, – worauf verweist das Paradox? – von Selbstbezüglichkeit und Referentialität, die sich in der Literatur ausstellt, suchte dann den literaturwissenschaftlichen Diskurs heim. Das Projekt einer Literatur, formuliert es sich nicht als Essenz oder als ästhetischer Wert,100 sondern als permanenter Versuch der Erarbeitung von Texten, die ihre Figuralität herausstellen,101 ohne auf ihre Referenz verzichten zu wollen, bliebe damit ebenso in Gefahr, wie das einer ›Literaturwissenschaft‹. Eine Gefahr, der sich die Literatur vielleicht erst verdankt, und die ihre Kommentare nicht beseitigen. Nimmt man diese Gefahr ernst, droht Komik. Eine Komik, die nicht auf formale Beschreibungen begrenzt werden kann, sondern ebenso wie Lüge und Verzweiflung bei Kafka als konstitutiv für literarische Sprache angenommen werden muss. Mit dieser uneingeschränkten Komik gilt aber komischerweise wiederum auch ihr Gegenteil. Nähert sich Kafkas Lügen der Wahrheit und kann seine Verzweiflung keine mehr sein, gilt für die Komik: »Auch verstehe ich Spaß, aber alles kann mir auch Drohung sein […] Auch darfst Du nicht vergessen, daß Scherz und Ernst zwar an sich leicht zu unterscheiden sind, aber bei Menschen, die so bedeutend sind, daß das eigenen Leben von ihnen abhängt, ist das doch auch wieder nicht leicht.«102
99. Vgl. hierzu Hiebel, S. 22 100. Viele von de Mans Arbeiten sind vielmehr der Frage nach der Stabilität der Kategorie des Ästhetischen gewidmet, sowie der damit einhergehenden ideologischen Funktion. Zur Unterscheidung von Poetischem und Ästhetischem bei de Man siehe v.a. »Zeichen und Symbol in Hegels Ästhetik«. Siehe hierzu auch Warminskis Einleitung »Allegories of Reference« zu den von ihm herausgegeben Texten de Mans, die er unter dem Titel Aesthetic Ideology veröffentlicht hat. 101. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf den besonders interessanten Aufsatz von Lehmann verweisen, sowie auf Bernheimers Buch zu Kafka und Flaubert. Lehmann und Bernheimer sind meiner Kenntnis nach bisher die einzigen, die Kafka in dieser Weise lesen. 102. Kafka, Briefe an Milena, S. 63f.
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1.3. Allegorie und Ironie 047 Verdacht Ich hatte immer den Verdacht, dass de Mans Rede von der Gleichwertigkeit der beiden Figuren Ironie und Allegorie unaufrichtig ist, und die Allegorie uneingestandener-, vielleicht auch notwendigerweise, in der Lektüre gegenüber der Ironie privilegiert wäre. Stellte man literarische and theoretische Texte auf eine Stufe, heißt das: Favorisiert de Man die Allegorie, während Kafka die Ironie zum Zuge kommen lässt? Es ist nicht zu vergessen, dass die Figur der Ironie für die Texte, die wir gewohnt sind ›Literatur‹ zu nennen, nicht nur konstitutiv ist, wie bisher angenommen, sondern es gilt außerdem, dass Ironie auch an ein Ende geführt werden muss, wollen wir diese Texte verstehen.103 Notwendig wäre eine Privilegierung der Allegorie in der Lektüre, insofern die allegorische Dimension die permanente Rettung des Kommentars ist, eine Permanenz, die durch Ironie provoziert und nötig wird. Hat für das Verstehen literarischer Texte, auch wenn wir diese in ihrer ironischen Dimension beschreiben, die Allegorie das letzte Wort? Wäre eine Zuordnung von Ironie und Literatur einerseits und Theorie und Allegorie andererseits zwar verführerisch, insofern sie einen narzisstischen Wissenswunsch befriedigen könnte, kann nicht vergessen werden, dass eine Genrezugehörigkeit der rhetorischen Figuren nicht guten Gewissens vorzunehmen ist. Ironischer Abbau und allegorischer Aufbau vollziehen sich in der Literatur ebenso wie in ihren Kommentaren. Hängt also alles ab von der Frage des Happyends: Wer bekommt das letzte Wort (und welches wäre das Happyend?). Entweder folgt dem Trauma der Ironie der allegorische Kommentar, mit seinem Versprechen von Schutz und Stabilität,104 oder der Kommentar wird abschließend von der Ironie beschädigt. Wenn dieser Unterschied kein epistemologischer sein kann, insofern beide Figuren in ihrem semiotischen Status gleich sind, wäre es also gleichgültig, ob ein Text allegorisch oder ironisch endet? Verdankt sich die Entscheidung darüber gerade der Schwierigkeit Ironie and Allegorie zu unterscheiden? Kann dieser Unterschied in der Lektüre nur zu strategischen oder heuristischen Zwecken gesetzt werden? 048 Lehre Diese Frage kann als Möglichkeit untersucht werden, einen Gedanken oder eine Figur in das, was wir ›Lehre‹ nennen, aufzunehmen. Bei Adorno heißt es dazu: »Der Gedanke wartet darauf, daß eines Tages die Erinnerung ans Versäumte ihn aufweckt und ihn in Lehre verwandelt.«105 103. Zur Debatte der Endlichkeit oder Unendlichkeit von Ironie, siehe de Mans Diskussion von Kierkegaard und Booth in »The Concept of Irony«, S. 165ff. 104. Vgl. hierzu de Man, »Rhetorik der Tropen (Nietzsche)«, S. 155 105. Adorno, Minima Moralia, S. 101
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Die Erweckung des Gedankens als Lehre bleibt allerdings nicht ohne Effekt auf diesen. Pepper schreibt über das Verhältnis von Lesen und Theorie hinsichtlich der Möglichkeiten ihrer Pädagogisierungen: »Theory can be taught, but then it is not reading. And a reading taught as theory also is not reading, but the theorization of that reading.«106 Der Unterschied, den Pepper hier zwischen Lesen und Theorie fasst, ausgehend von de Mans Text »Widerstand gegen die Theorie«, kann übersetzt werden in das Verhältnis von Allegorie und Ironie, verstehen wir Allegorie an dieser Stelle als eine Frage der Theorie und Ironie als eine Frage des Lesens, eine Möglichkeit, die auch Gasché nahe gelegt hat.107 Setzte sich Lesen dem ironischen Abbruch aus, baute sich Theorie darüber allegorisch auf. Von hier aus ergibt sich die Frage, inwieweit wir Kafka lesen können, um der Ironie seiner Texte gerecht zu werden, die ich ihrerseits als eine Frage von Gerechtigkeit verstanden habe. Wie ernst kann es im Lesen mit der Ironie werden? Notwendig wäre eine Privilegierung der Allegorie für eine Rhetorik, soweit sie eine Form der Lehre sein will, theoretisierbar und verallgemeinerbar.108 Demnach gibt es in der rhetorischen Lektüre eine notwendige Abwehr der Ironie.109 Ironie macht Angst, nicht unbedingt im Hinblick
106. Pepper, »Absolute constructions: an essay at Paul de Man«, S. 171. Schon dieser Satz zeichnet die pädagogische Alternative vor: Felman orientiert sich an der psychoanalytischen Kur und entwirft eine Pädagogik, die sich gerade auf Momente der Krise und das heißt anfänglich auch der Nicht-Theoretisierbarkeit stützt. Vgl. hierzu Felman, »Education and Crisis, or the Vicissitudes of Teaching«. 107. Für eine weitergehende Analyse der Figur des Lesens bei de Man, vgl. Gaschés »The Fallout of Reading«. In The Wild Card of Reading. Dort heißt es an einer Stelle. »The reading that we have just followed through its different phases and moves, seeks to locate in a text a point of unintelligibility, associated with figural undecidability, a point, moreover, that sends shock waves throughout the whole text […]« (S. 146) Gasché nennt diese Form der Lektüre auch »deaesthetization«. Das Problem von Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft liegt genau darin: Wie wäre ein Wissen, das eine Beziehung zum Lachen unterhält tradierbar – institutionell und pädagogisch? 108. »Was das Lachen und die Literatur der Moderne miteinander verbindet, ist daß beide eine Souveränität affirmieren, die vorab die Prinzipien der Institutionalisierung negiert.« (Bischof, Souveränität und Subversion, S. 41) 109. In Bezug auf das Verhältnis von Allegorie und Ironie bei de Man beschreibt Hamacher Ironie auch als eine Form des Traumas für die Allegorie. Vgl. Hamacher, »LECTIO. De Mans Imperativ«, S. 192. Vgl. hierzu außerdem Pepper, »Absolute constructions: an essay at Paul de Man«, S. 90, wo er die Funktion der Ironie als Bruch beschreibt. An anderer Stelle gibt er ebenso wie Hamacher diesem Bruch den Namen ›Trauma‹. Vgl. hierzu auch Abschnitte 092ff. dieser Arbeit.
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auf ihre referentielle Illusionslosigkeit, in dessen Negativität sich noch einzurichten wäre, und die sie mit der Allegorie teilt, sondern weil sie damit spielt, noch das Wissen dieser Negativität zu unterbrechen.110 049 Wissen Andererseits ist dieser Bruch aber produktiv als ein Modus von Textkritik: Allegorische Texte können in der Lektüre ironisch unterbrochen werden. Die Instabilität von Allegorien kann sich ironisch zeigen. Ironie ist nicht nur ein Darstellungs-, sondern auch ein Lektüremodus. Gleiches kann auch von der Allegorie gesagt werden.111 Ironische Texte werden in allegorischen Lektüren verständlich. Erst allegorisch kann sich in einer Lektüre ironischer Texte die Negativität eines Wissens aufstellen. Der Unterschied liegt zwischen einer allegorischen Lektüre, die Theorie werden will, und einem ironischen Lesen, das nicht verallgemeinert werden kann. Gehen wir davon aus, dass Texte niemals einfach nur allegorisch oder ironisch sind, stünde jede Lektüre im Spannungsverhältnis von Lesen und Theorie. Gasché, der die Bildung von Allegorien von Ironien und umgekehrt, im systemtheoretischen Vokabular als eine Dekonstruktion ›zweiten Gra-
110. Hier wäre der Ort, um die Frage nach dem Verhältnis von de Man und Heidegger zu stellen. Kann das Moment der Angst, zu dem die Argumentation führte, mit Heidegger weitergeführt werden? Kann das Verhältnis von Allegorie und Ironie mit der »Grundbefindlichkeit der Angst« bei Heidegger erhellt werden? Ich möchte nur einen Hinweis skizzieren: Heidegger versteht das Phänomen der Angst als »ausgezeichnete Befindlichkeit«, insofern das »Wovor der Angst […] das In-der-Welt-sein als solches« ist. (Sein und Zeit, S. 186, Hervorhebung von Heidegger). Demnach erschließt die Angst, »als Modus der Befindlichkeit allererst die Welt als Welt« (Ebd. S. 187, Hervorhebung von Heidegger). Zwei Momente wären zu verfolgen, erstens, die Unausweichlichkeit der Angst und zweitens, Angst als Bedingung für ein Verstehen, worin zugleich ihre Produktivität liegen würde. Heidegger in einer Arbeit zu erwähnen, die Fragen von Ironie und Lachen nachgeht, mag überraschen. Gleichzeitig ist vielleicht klar geworden, daß eine Rhetorik in der für sie konstitutiven Frage der Zeitlichkeit durchaus in Verbindung zu Heideggers Sein und Zeit steht; was sie verbindet, wäre die Frage der Endlichkeit. Unter dieser Perspektive drängt sich die Frage auf, warum ist Heidegger ernst? Aber das wäre ein anderes Projekt. Hinweise für eine solche Lektüre ließen sich auch in einer von Derridas Heidegger-Lektüren, Vom Geist, finden. Siehe ebd. S. 82 und auch S. 143. 111. Vgl. de Man, »Rhetorik der Tropen (Nietzsche)«, S. 159f. Über das Verhältnis von Allegorie, Ironie und Dialektik schreibt de Man: »Aber eine Dialektik, die von wiederholten Negationen zerstückelt wird, […]« (»Ästhetische Formalisierung: Kleists Über das Marionettentheater«, S. 229)
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des‹ versteht,112 der sich in endloser Wiederholung rhetorischer Lektüren weitere anschließen lassen, schreibt über de Mans Projekt: »It is a knowledge about the mechanics of knowledge, a knowledge destructive of knowledge, but a knowledge nonetheless. What makes this negative knowledge different from knowledge in the first place is, however, that it is an invitation to endlessly and in an infinite process debunk the totalizations of knowledge, its own included.«113
Damit ist der epistemologische Status eines Wissens, das sich als ironischer Abbruch und allegorischer Aufbau wiederholt im Spannungsfeld von Lesen and Theorie abspielt, entworfen. Bezeichnend dabei ist, dass an der Kategorie des Wissens festgehalten wird. Ist die Möglichkeit eines totalisierenden Wissens im Wechselspiel der Negativität von Allegorie und Ironie nicht länger gegeben, wird die Möglichkeit von Wissen jedoch nicht aufgegeben. Pepper schreibt zu diesem Punkt: »To the extent that they tell a story, they are theory; to the extent that they refuse to put a moral at the end of the fable of reading they tell they are no theory, for they do not enable a knowledge of any text other than themselves.«114
Die Wissensproduktion einer rhetorischen Lektüre wäre demnach nicht zu verallgemeinern, sondern legitimiert sich nur für den Text, der sie zeigt. 050 Unentscheidbar? Ich möchte die Schwierigkeit, eine rhetorische Lektüre zu verallgemeinern, mit einem genaueren Blick auf die Allegorie ausführen. Allegorien sind keine Figuren der Schließung, in dem Sinne bleiben sie immer an die Frage der Ironie gebunden. Ironie zeigt die Möglichkeit des Missverstehens oder Nichtverstehens, das mit jeder allegorischen Lektüre zwangsläufig gegeben ist, an.115 Die Möglichkeit Ironien von Allegorien zu bilden, verweist auf die grundsätzliche Unmöglichkeit
112. Womit die gleichen Probleme auftauchen, wie in der Diskussion der Figur des Paradoxes und hier zu diskutieren wäre, was der Status der zwei wäre, zeitlich oder hierarchisch? Vgl. dazu Abschnitt 062 dieser Arbeit 113. Gasché, The Wild Card of Reading, S. 27 114. Pepper, »Absolute constructions: an essay at Paul de Man«, S. 171 115. Bei Pepper heißt es dazu: »Every attempt of understanding will be such a misunderstanding, a méconnaissance that is, however, inevitable for every subject that reads, necessarily, with its own arbitrariness, in the strongest and most ironic sense.« (»Absolute constructions: an essay at Paul de Man«, S. 171)
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von Allegorien zum Abschluss zu kommen.116 Ironischerweise müssen Allegorien scheitern. Dieses Scheitern ist noch weiter zu spezifizieren. Es liegt in der Unmöglichkeit der Allegorie begründet, ›reine‹ Allegorie zu sein. Genau an dem Punkt, wo sich eine rhetorische Lektüre ›verwirklicht‹, wird sie zum Problem für den rhetorischen Status der Lektüre selbst. Allegorien scheitern in dem Maße, wie auch eine rhetorische Lektüre dazu tendiert, totalisierend zu werden, nicht in ihrer Bezugnahme auf einen Logos, sondern auf die Lexis.117 Paradoxerweise wird mit der erarbeiteten Ausstellung eines negativen Wissens von Sprache die rhetorische Lektüre, über die sich anbietende Figur des Abschlusses, ihrerseits referentiell. Das Erkennen des Scheiterns von Sprache kann nur referentiell gelingen, »[…] die Dekonstruktion stellt den Trugschluß der Referenz auf notwendig referentielle Weise fest.«118 Gerade dieser ›Rückfall‹ in Referentialität verhindert allerdings einen Sprachtotalitarismus, der sich in einer Lexis begründen würde. Bedeutung verstanden als referentielle Sicherheit, anfänglicher Anlass einer rhetorischen Lektüre als Kritik, erscheint hier ihrerseits als Kritik an Figuralität. In diesem Moment ist die gegenseitige Zerstörung von Referentialität und Figuralität zu erkennen. Darin liegt die Ironie einer Rhetorik. In diesem Sinn bauen rhetorische Lektüren nicht nur Theorien auf, sondern sind gleichzeitig die permanente Zerstörung von Theorien. 051 Mit Nietzsche Ich möchte dieses Problem noch einmal auf die Frage von Literatur und Theorie beziehen. Nietzsche kommentierend schreibt de Man: »Ein Text wie Über Wahrheit und Lüge bleibt durch und durch literarisch, rhetorisch und trügerisch, obgleich er sich selber zu Recht als eine Demystifikation literarischer Rhetorik darstellt.«119
Für das Verhältnis von Literatur und Philosophie, dessen Namen nach de Man die beiden intellektuellen Vermögen des Menschen bezeichnen, das
116. Hamacher schreibt: »Das schiere, referenzlose Sprechen der Sprache in ihrer positionalen Gewalt zerreißt das Gewebe ihrer Bedeutungen und bricht noch das System jener negativen Semantik, die den Allegorien eigen ist.« (Hamacher, »LECTIO. De Mans Imperativ«, S. 188) 117. Vgl. hierzu Gasché, The Wild Card of Reading, S. 23 118. De Man, »Rhetorik der Persuasion (Nietzsche)« , S. 170 119. De Man, »Rhetorik der Tropen (Nietzsche)«, S. 156f.
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er an anderer Stelle auch ›undurchdringlich‹ nennt,120 ergibt sich daraus folgende Frage: »Heißt das aber, daß er (Anm. P.R.; Nietzsche) in einer Erhebung der Literatur über die Wissenschaft enden wird oder, wie manchmal von Nietzsche behauptet wird, in einer bloß literarischen Konzeption von Philosophie?«121
Folgen wir der Einsicht, dass eine rhetorische Lektüre theoretisch und nicht-theoretisch zugleich ist, kann, solange wir bei dem Paar Ironie/Allegorie bleiben, kein befriedigender Unterschied in ihren Verfahrensweisen und damit auch nicht zwischen Philosophie und Literatur festgestellt werden, der sich nicht sofort wieder umkehren würde. Selbst wenn Texte eine allegorische oder ironische Akzentuierung aufweisen, ist damit kein Kriterium geliefert, sie in ihrem Status zu unterscheiden. Zeitlich zeigen sie sich verschieden, epistemologisch nicht. Der Blick auf Nietzsches Texte erlaubt es allerdings auch, diese Paarstruktur zu öffnen, in der Frage, was sie möglicherweise verwirft. Bei Nietzsche ist die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Theorie ausgestellt über das Verhältnis von Dionysischem, Apollinischem und sokratischer Ironie. Behandelt Kunst den Schein als Schein und wird darin wahr, oder als Schmerz und Lust, und damit als Wahrheit des Seins? Erreicht Kunst die dekonstruktivistische Funktion sokratischer Ironie und verlässt die Unmittelbarkeit dionysischer Musik?122 Trifft das zu, unterscheiden sich Literatur und Philosophie nicht weiter, als in ihrer gegenseitigen, endlosen Kommentierung, die über eine unaufhebbare konstitutive Blindheit in Gang gehalten wird und in deren Zeitlichkeit sich ein kritisches Bewusstsein aufhält. Zweifellos wäre an dieser Stelle de Mans Wunsch zu situieren: »Nur der Künstler, der die ganze Welt als Schein betrachten kann, ist im Stande, sie begierden- und trieblos anzusehen: das führt zum Gefühl der Freiheit und Schwerelosigkeit, das den von den Zwängen referentieller Wahrheit entlasteten Menschen cha-
120. Nietzsche wird für de Man »[…] eine jener Figuren […], deren Werk die beiden Aktivitäten des menschlichen Intellekts, die einander am nächsten und füreinander am undurchdringlichsten sind umschließt: die Literatur und die Philosophie.« (»Rhetorik der Tropen (Nietzsche)«, S. 146) 121. De Man, ebd., S. 157 122. Vgl. hierzu de Man, ebd.
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rakterisiert, und bezeichnet einen Zustand, den Barthes im Auge haben mußte, als er freilich in jüngerer Zeit, von ›la libération du signifiant‹ sprach.«123
De Man versteht diesen Zustand auch als Fröhliche Wissenschaft.124 052 Unterbrechen Doch, wenn Ironie eine der konstitutiven Figuren dieses Bewusstseins ist, und sich von der Allegorie unterscheidet, weil in der für sie charakteristischen Zeitlichkeit eine Beziehung zum Außen dieses Bewusstseins in Gang gehalten ist,125 auch wenn diese Beziehung keine der Kontinuität, sondern eine des Abbruchs und der Unterbrechung ist, bleibt die Frage nach dem Lachen, die sich mit der Ironie stellt.126 Denn Lachen, dessen Beziehung zur Ironie zwar nicht zwangsläufig erscheint, aber auch nicht ohne weiteres vergessen werden kann, das sich in einer fragwürdigen, zu befragenden Beziehung zur Ironie aufhält, ist nicht ohne weiteres einem ironisch-allegorischen Bewusstsein und seinen Zeitlichkeiten zuzuordnen. Ein rhetorisches Sprachbewusstsein wäre mit dem Lachen auf eine andere Weise zu unterbrechen, als mit der Ironie, indem das Lachen eine Unterbrechung ist, die keinem Wissen verpflichtet bleibt. Es reicht nicht von Ironie und Allegorie zu sprechen. Ironie hat one-nightstands mit dem Lachen. Ironie ist nicht monogam, sie unterhält nicht nur eine Beziehung zur Allegorie, sondern auch zum Lachen. Es geht um diesen Dreier. Die Frage nach dem Lachen drängt sich weiter auf. 053 Ironie oder Lachen Im Lachen kündigt sich die Frage des Dionysischen an, als Frage nach der Wahrheit des Seins, von der de Man in seiner Nietzsche-Lektüre spricht. De Man schreibt: »Der Künstler, der in der Anerkennung von Illusion und Lüge sich wahrhaftig verhält, gewinnt dadurch eine spezifische Art von affektiver Freiheit, eine Euphorie, die die 123. De Man, ebd. In mehreren Aufsätzen unternimmt de Man den Versuch die neuere amerikanische Literaturwissenschaft seit dem New Criticism in ein Verhältnis zu den europäischen Theoriebildungen jener Zeit zu setzten. Dabei spielt v.a. Roland Barthes immer wieder eine wichtige Rolle. Vgl. hierzu die Aufsätze »Criticism and Crisis«, »Form and Intent in the American New Criticism« und »The Dead-End of Formalist Criticism« alle in Blindness and Insight. Und v.a., »Roland Barthes and the Limits of Structuralism« 124. Vgl. hierzu Ronell, »The Rhetoric of Testing«, S. 45 125. Vogl hat das Verhältnis von Kafkas Literatur zu einem Außen, mit allen daraus folgenden Konsequenzen für die Lektüre in der Einleitung zu seinem Kafka-Buch auf bewundernswerte Weise beschrieben. Vgl. hierzu Abschnitte 092ff. dieser Arbeit. 126. Bei Gasché heißt es immerhin, »[…] literary theory, or reading, undermines the serious game of the theoretical disciplines, of philosophy first and foremost.« (The Wild Card of Reading, S. 8)
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einer fröhlichen Wissenschaft oder der homerischen Heiterkeit ist, völlig verschieden vom Lustprinzip, das an Libido und Begehren gebunden ist.«127
Ironie wäre demnach als homerische Heiterkeit einem libidinösen Lachen gegenüberzustellen. Halten wir uns mit den bisher vorgeschlagenen Kafka-Lektüren gänzlich im Raum Sokratischer oder Schlegelscher Ironien und Benjaminscher Allegorien auf, die wahr werden, solange sie den Schein als Schein verstehen, wie mit Nietzsche zu lesen wäre, oder meldet sich mit Kafkas Texten auch ein Lachen und damit eine Lust zurück, die de Man in der interesselosen Distanz des Ironikers gerne vergessen wollte? Diese Frage ist umso dringender, wie am Beispiel Nietzsche von Lacoue-Labarthe gezeigt wurde, dass Rhetorik und Dionysisches nicht als versöhnliche Momente in Nietzsches Texten auftreten, sondern in Konkurrenz zueinander. Bei Nietzsche ist die Rhetorik bemüht, die Musik zu verdrängen.128 Kafkas Ironie, wie noch zu zeigen sein wird, strebt demgegenüber die Asignifikanz des Lachens und der Musik an.129 Demnach kann das Verhältnis von Ironie und Lachen bei Kafka als ein Echo des Verhältnisses von Rhetorik und Musik, wie es in Folge der Geburt der Tragödie bei Nietzsche gelesen werden kann, oder des Verhältnisses von Ironie und Lachen im Zarathustra130 – allerdings in umgekehrter Richtung – verstanden werden. Führt Ironie zum Lachen, ist sie, anders als die Allegorie, keine Figur, auf die ein Wissen sich verlassen könnte. Als Modus von Performativität, baute Ironie permanent ab. Mit Schlegel versteht de Man Ironie als permanente Parekbase, als ein immer wieder Aus-der-Rolle-fallen. In der Ironie als Parekbase, ist Lachen das Heraustreten, aus dem zwar negativen aber noch intelligiblen Wissen der Ironie. Mit dem Lachen wird Ironie zu einer Ausschreitung, die nicht zum Bewusstsein zurückfindet.131 Ist Ironie als eine Figur des Bruchs ein Trauma, so ist Lachen das Trauma dieses Traumas. 054 Versprechen Ironie verspricht den Bruch auf eine Weise, die die Aporie des Versprechens in Szene setzt. Ein Versprechen, das sich verwirklicht, hört auf ein Versprechen zu sein. Wäre andererseits sicher, dass das 127. Vgl. de Man, »Rhetorik der Tropen (Nietzsche)«, S. 157 128. Vgl. hierzu Lacoue-Labarthe, »Der Umweg«, S. 93 129. Deleuze und Guattari haben Lachen und Musik bei Kafka auf einer Linie der Asignifikanz gelesen. Dennoch: Lachen tritt die Erbschaft von Nietzsches Musik an, während Musik bei Kafka in eine andere Richtung führt. 130. Vgl. hierzu Lippitt, »Laughter: A Tool in Moral Perfectionism« 131. Vgl. Gasché, The Wild Card of Reading, S. 45
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Versprechen als Versprechen aufrechterhalten bleibt, ist es ebenfalls kein Versprechen mehr. Es war ›nur‹ ein Versprechen – oder ein Versprecher. Kündigt das Versprechen eine Zukunft an, läuft es gleichzeitig Gefahr illusorisch zu bleiben. Darin liegt der drohende Zynismus der Ironie. Bleibt sie nur ein Spiel mit der Tragik, die sich im Lachen der Komik anbieten würde? Hinsichtlich der Frage des Bruchs erfüllt das Lachen das Versprechen der Ironie. In diesem Abbruch wird das Wissen, an dem die Ironie noch festhält und damit die Figur der Ironie selbst, jedoch zugleich bedroht. Von diesem Ort kann im Modus einer negativen Rhetorik nichts gewusst werden. Im Moment des Lachens realisiert sich der Ausfall, der Abbruch. Ein Ort, der nicht besetzt oder besessen werden kann. Lachen stellt sich dabei als jener Nicht-Ort heraus, dem nicht mit Verständnis zu begegnen ist, der sich Intelligibilität und Zeitlichkeit entzieht.132 Lachen markiert genau jenen Grenz-Ort, der nicht Theorie, nicht Rhetorik und nicht einmal Ironie ist.133 Im de Man’schen Diskurs bleibt Lachen reines Trauma, sein Fehlen markiert jene Distanz, die Sprache von Leben trennt.
132. Vogl hat auf diese Topologie in Kafkas Texten aufmerksam gemacht, ohne dabei näher auf die Frage des Lachens einzugehen. Dennoch stellen für ihn Kafkas Texte eine hermeneutische Problematik aus, bei der es zum Abbruch des Anspruchs auf Universalität kommt. Schleiermacher und Adorno folgend verwirklicht sich der hermeneutische Anspruch, das Andere in seiner Andersheit zu erkennen, erst im Abbruch des hermeneutischen Verfahrens selbst. Die damit eröffnete Relation erkennt Vogl als ethisch: »Wenn die Auslegung einem dialogischen Verhältnis von Frage und Antwort entspricht, so markiert das Gesetz der Auslegung bei Kafka eine Schwelle, an der die Selbstabschließung dem Einbruch eines Anderen gegenübersteht, das als Anruf, unbestimmte Verpflichtung und reine Äußerlichkeit die Dialektik des Selbst unterbricht, eine Relation des Verstehens, eine Wissensrelation auflöst und in eine ethische Beziehung transformiert: kein in der Erfahrung gegebener Gegenstand, kein Verhältnis zu einem Objekt, nicht im Erwartungshorizont präfiguriert, fordert die ethische Beziehung als ungefragte Antwort eine bloße Öffnung, die das ich aus dem Selbstbezug heraustreibt, mit einem Unvorhersehbaren konfrontiert und nur in diesem Bruch das Andere als Nicht-Eigenes erscheinen läßt.« (Vogl, S. 169) 133. Vgl. hierzu Gasché, The Wild Card of Reading, S. 31
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1.4. Lieber nicht über Kafka schreiben »[…] nur das Schreiben ist hilflos, wohnt nicht in sich selbst, ist Spass und Verzweiflung.«
055 Fragen Lesen heißt nicht Interpretieren. Interpretieren hieße, in der Übertragung Bedeutung einzusetzen.104 Denken wir Lesen demgegenüber als einen Versuch von Erkenntnis, der nicht-mimetisch, nicht phänomenal, nicht nach dem Modell des Sehens funktionieren soll und dabei wissend sein Objekt fokussiert,105 sondern als eine Aktivität, die sich den Gegebenheiten von Sprache aussetzt – der »[…] Zerstreutheit, […] Gedächtnisschwäche, […] Dummheit,«106 ist im Scheitern, von dem es ausgeht, der Ort von Autobiographie zu erkennen.107 Als Abbruch, trägt sich »Leben« ein, wo Lesen beginnt. Theorie, die nicht die Stabilität mathematischer Formen für sich beanspruchen kann, ist in einer permanenten Krise.108 Als sprachliche muss sich Interpretation dem Provisorischen, dem Abwegigen und dem Autobiographischen aussetzten. Aus theoretischer Sicht stellt Autobiographie sich dar als ein Symptom von Unlesbarkeit. Autobiographie wird zur Unterbrechung allegorischer Deutungen.109 104. Vgl. hierzu Felman, »Turning the Screw of Interpretation«, S. 137 105. Über de Mans Lektüreunternehmen schreibt Christopher Norris: »It is therefore a major part of his project to show how meaning cannot be reduced to any kind of phenomenal or sensory perception; how there always comes a point in the rhetorical study of texts where signifying structures no longer match up with any conceivable form of sensuos cognition.« (Paul de Man, S. XIII) Nancy weist darauf hin, daß der Poesie eine bilderlose Lektüre zugeschrieben wird: »Poetry is unimaginable, for it alone does not use words as images. Everywhere else, even in everyday language, words evoke images – more or less frequently, more or less knowingly, but they evoke images. Poetry is defined by its refusal or abondonment of images.« (»We need […]«, S. 308) 106. Kafka, Tagebücher 1914-1923, S. 97 107. Zum Unterschied von Lesen und Interpretieren und der Rolle der Autobiographie in diesem Zusammenhang, vgl. Burt, »Development in Character: Reading and Interpretation in ›The Children’s Punishment‹ and ›The Broken Comb‹«. Zu Beginn heißt es ebd.: »We could even define as autobiographical any textual pattern of interference, interruption, or crossing produced by the confrontation of a narrative of consciousness with effects of order produced in excess of the capacity of totalizing figures to regulate them.« (S. 192) 108. Bei Heidegger heißt es z.B.: »Die Philosophie wird von der Furcht gejagt, an Ansehen und Geltung zu verlieren, wenn sie nicht Wissenschaft sei.« (Über den Humanismus, S. 6) 109. Autobiographie wird zu einem dekonstruktivistischen Verfahren, das die
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Ich habe immer gezögert, über Literatur zu schreiben. Weniger aus Angst (das wäre auch ein Grund sie zu interpretieren, zu bannen), sondern aus Liebe.110 Aber Liebe ist auch ein Widerstand, in diesem Fall, der eine ideologische, historische und institutionelle Unterscheidung zwischen Literatur und Theorie bekräftigt. Theorie wäre Trauer um diese Liebe. Wie aber wäre Literatur zu lesen, ohne diese Liebe zu verraten? Ich habe immer gezögert, über Kafka zu schreiben. Ich habe lieber über Kafka gelacht. Ich zögere immer noch, über Kafka zu schreiben, aber es ist ein Zögern, das Fragen in Gang setzt: Kann ich über Kafka schreiben? Beweisen KafkaKommentare nicht das Gegenteil? Kann ich mich der Kafka-Kommentare entledigen, um zu Kafka zurückzukehren? Aber kann ich über Kafka schreiben? Wie wäre dieser Zirkel der Negationen von Hermeneutik zu unterbrechen? Diese Fragen verlassen an der Schwelle der Autobiographie bereits das Genre, soweit sie die Möglichkeit des Fragens selbst voraussetzen.111 Bleiben wir bei der Möglichkeit der Frage.112 In Frage steht allerBrutalität eines Bruchs riskiert, der zu affirmieren ist. Vgl. hierzu auch Derrida, »Fines hominis«, S. 121f. 110. Eine unmögliche Liebe, wie Nancy schreibt: »Bibliophilia as much as philosophy, is an impossible love, its objects discolored, faded, worn out, cut up, full of holes. The book is miserable, hateful. Descartes hates the craft of making books. The subject – the other, the same, he who says ›I (think)‹ – finds nothing for himself in those ›huge tomes,‹ nothing but a loss of time, a life uselessly consumed in reading the scraps of a science that I myself can found.« (»Excription«, S. 329) 111. Die Frage erscheint bei Heidegger als Ort der Nähe zwischen Dasein und Sein. Dasein heißt die Frage nach dem Sein stellen zu können, das paradoxerweise in unheimlicher Nähe und der Distanz der Vergessenheit in seinem Verhältnis zu Dasein liegt. Auch wenn sich an dieser Stelle bei Heidegger nicht länger von einem Bewußtsein sprechen läßt, ist hier der privilegierte Ort des Menschen markiert. Derrida erkennt in Heideggers Konzeption des Daseins das Erbe eines anthropologischen Humanismus‹. Vgl. hierzu Derridas Lektüre des Humanismus-Briefes und von Sein und Zeit in »Fines hominis«, S. 108ff. Über die Figur der Frage schreibt Felman: »To question, and thus to open up the possibility of knowing, is to forget the impossibility of asking, the analytic knot of answerlessness.« (»Postal Survival, or The Question of the Navel«, S. 71) Und bei de Man heißt es: »Von dem Augenblick an, wo das Subjekt derart fragt, hat es bereits jede Alternative ausgeschlossen und ist zum figürlichen Beispiel der Bedeutung geworden […]. Zu fragen bedeutet zu vergessen.« (»Shelleys Entstellung«, S. 172) Nietzsches wie auch Kafkas Texte sind demgegenüber an einem Rückschritt interessiert; jenseits hermeneutischer Gewalt ist diese Frage als eine der Geburt formuliert. Vgl. dazu auch Nancy, The Birth to Presence. 112. In den »Forschungen eines Hundes« schreibt Kafka: »Waren es also meine Fragen, über die man sich freute, die man für besonders klug ansah? Nein, man freute
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dings, ob diese Fragen Antworten erlauben.113 »Und so geht die Zeit mit Fragen hin,«114 schreibt Franz Kafka in seiner hermeneutischen Korrespondenz an Felice Bauer, in der er die Antwort schuldig bleibt.115 Ich stelle diese Fragen hier zu einem Zeitpunkt in meiner Arbeit, an dem Entscheidungen für eine Lektüre zu treffen sind, die weder frei wählbar wären noch determiniert sind, unmöglich und notwendig. Aber wie wäre eine Entscheidung zu fällen? Die anfängliche Unmöglichkeit über Kafka zu schreiben, führt zur Frage nach den Kafka-Kommentaren, die scheinbar aber keine Antwort zu bieten haben – wären sie damit suspendiert? Diesen Imperativ lässt Kafkas Literatur immerhin verführerisch erscheinen. Als insistierten seine Texte auf ihrer Immanenz. Vom Thron einer Literaturgeschichte aus gesehen, stört Kafka den Überblick des perspektivischen Feldes: Als erratischer Block in der literarischen Moderne ist er nicht aus dem Weg zu räumen, sondern leistet Widerstand. Er versperrt die Sicht, macht blind oder erschöpft unter dem Gewicht des Unverständlichen. Kann man also nicht über Kafka schreiben? Wenn der literarische Text eine Antwort auf die Frage nach seinem Sinn scheinbar verweigert, der Kommentar sich hilflos zeigt, steht mit der wiederholten Rückkehr zur Frage nach dem literarischen Text das hermeneutische Modell von Frage und Antwort selbst auf dem Spiel. »Ah, the old questions, the old answers, there’s nothing like them!« brabbeln Becketts Clowns, schon nicht mehr verzweifelt über eine erschöpfte Hermeneutik. Frage und Antwort treten nicht länger als Paar auf. Fragen bleiben zurück als Reste einer Hermeneutik der Endlichkeit, die an ihre Grenze gelangt. Im Fehlen der Antwort verbleibt eine Leere.116 Eine Leere, die wir selbst noch als Verlust verlieren und der gegenüber wir nicht länger verzweifeln können.117 Eine Leere, die wir als Lachen hören: Kafkas Texte sich nicht und hielt sie alle für dumm. Und doch konnten es nur meine Fragen sein, die mir die Aufmerksamkeit erwarben. Es war, als wolle man lieber das Ungeheuerliche tun, mir den Mund mit Essen zustopfen – man tat es nicht, aber man wollte es – als meine Frage dulden.« (S. 60f.) 113. Zum Entwurf einer Funktionsgeschichte von Frage und Antwort vgl. Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, S. 377ff. 114. Kafka, Briefe an Felice, S. 413 115. Die Frage lautet: Willst du mich heiraten? 116. Zum Mangel der Adresse dieser Literatur vgl. Hamacher, »Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«, S. 312ff. 117. In seinem Essay über Benjamin und Kafka schreibt Hamacher an andere Stelle: »Das Schreiben ist nicht autark, und es ist nicht ökonomisch: es untersteht nicht dem ›Gesetz des Hauses‹, wohnt nicht in sich selbst und ist hilflos in dem Sinn, daß es ohne Selbst und ohne in ihm gegründete Regel bleibt. Sein Gesetz ist, daß es kein Gesetz
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sind zum Lachen. Eine Erfahrung, von der ich ausgehe und die Anlass meiner Lektüre ist. Lachen anstelle einer Antwort, und damit eine Antwort, die keine ist;118 eine Figur, die auch Kafkas Texte ausstellen, »[…] dann bekommen wir eine Antwort, allerdings eine Antwort, die nichts ist als Scherz.«119 An anderer Stelle im Schloß heißt es: »Mit Spannung warteten wir, daß sich aus diesem fortwährenden Lachen endlich das klare Wort loslösen werde.«120 Eine Antwort, die nichts ist als Scherz, oder eine Antwort als anhaltendes Lachen, beinahe ein Schweigen. Gleichzeitig gewinnt das Lachen im Schloß dabei die Bedeutung eines Beweises oder des Vernünftigen: »Frieda lachte, und dieses Lachen schien noch beweisender als ihre Worte.«121 Und einmal heißt es, »[…] aber vernünftiger sei es zu lachen.«122 Wenn Lachen kein Zufall ist, vielmehr ein Zu-fall ist, wenn Lachen anstelle einer Antwort tritt, wenn diese Reaktion die Kraft des Beweises oder der Vernunft gewinnt, was hätte Lachen dann mit der Literatur zu tun? Weniger mit den Formgesetzen einer Komödie, Satire oder Parodie zunächst, sondern mit dem literarischen Diskurs in seiner Spezifik? Literatur ist zum Lachen. Können wir darin ein Gesetz von Kafkas Literatur erkennen, oder bewegt sich nach diesem autobiographischen Anfang, der auf dem Lachen insistiert, nichts mehr, und wird die Lektüre zum Rückzug gedrängt bevor sie beginnt? 056 Was ist Literatur? Literatur ist zum Lachen. Versuchen wir diesen Satz ernst zu nehmen. Aus einer vorzeitig enttäuschten Hermeneutik ergibt sich die Frage nach der Literatur »selbst«, gerade weil diese eine Antwort verweigert: Kafkas Texte fordern uns auf, die Frage danach, was Literatur wäre, zu wiederholen. Diese Frage scheint nicht nur über dem Anfang meiner, sondern vieler Kafka-Lektüren zu schweben. In diesem »Lesen«, als Unmöglichkeit von Interpretation, als ein Lesen, das vom Lachen ausgeht, ist also zugleich eine Erfahrung erkennbar, die geteilt und mitgeteilt werden kann. Anlässlich der Kafka-Forschung beobachtete Dentan schon vor über dreißig Jahren: hat. Wo es aber keine Norm für’s Schreiben gibt, wo jede vernünftige oder auch nur durchsichtige Kohärenz allenfalls durch Abwesenheit glänzt, da kann ach die Verzweiflung über ihr Fehlen nicht sie selber sein und muß als irrer Spaß erfahren werden.« (»Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«, S. 281) 118. Auf Englisch würde ich sagen: laughter is a response, but not an answer. 119. Kafka, Das Schloß, S. 72 120. Kafka, ebd., S. 194 121. Ebd., S. 128 122. Ebd., S. 122
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»Tout ce passe comme si chaque notion de la critique littéraire devait être définie à nouveau, en fonction de l’ application qu’ on veut en faire à l’ art de Kafka. Les notions de personnage, […], d’humour, de réalité, sont l’objet de continuels malentendus, dès le moment qu’on les utilise chez Kafka […]«123
Muss sich im Fall Kafka »Literaturwissenschaft« mit jeder Lektüre neu erfinden? Was ist Literatur? Kafkas Texte werfen nicht weniger als diese Fragen auf, als wüssten wir nicht was »Literatur« wäre und was ihre »Wissenschaft«. Mit seinen Texten wird der Status von Literatur als Objekt zweifelhaft und der ihrer wiederholten Untersuchungen. 057 Wieder und wieder lesen Nietzsche befand in »Menschliches, Allzumenschliches«, dass nur wenige Bücher der deutschen Literatur eine wiederholte Lektüre verdienten. Z.B. Goethes/Eckermanns Gespräche mit Eckermann/Goethe. Die Frage der Wiederholung von Lektüren ist nicht nur Ausdruck eines ästhetischen Werturteils, sie ergibt sich aus dem Status literarischer Texte selbst, wenn diese sich als hermetische und ein Lachen provozierende Singularität der Auslegung widersetzen. Wie funktioniert unter dieser Voraussetzung die Bezugnahme auf das Literarische in der Lektüre – in welcher »Funktion« wird es eingesetzt, in welchem Namen kann es gelesen werden? Adorno, der nicht nur einen Essay zu Kafka schrieb, sondern auch in anderen Texten immer wieder auf Kafka zu sprechen kommt,124 hatte Schwierigkeiten, ihn als Beispiel zu etablieren. Wofür stünden Kafkas Texte im Zusammenhang einer ästhetischen Theorie ein? Eine negative Antwort bietet Adorno in der Unterscheidung zur Philosophie: Kafkas Gebilde hüteten sich vor dem mörderischen Künstlerirrtum, die Philosophie, die der Autor ins Gebilde pumpt, sei dessen metaphysischer Gehalt. Wäre sie es, das Werk wäre totgeboren: es erschöpfte sich in dem was es sagt, und entfaltete sich nicht in der Zeit.«125
Die Negativität des literarischen Textes bindet ihn an eine Frage der Zeitlichkeit. Im Unterschied zu politischen Ereignissen, so wäre zu kontrastieren, haben literarische keine zwangsläufigen Konsequenzen. Die fehlende Zwangsläufigkeit ist es aber, die dazu führt, dass literarische Texte anhaltende, oder sich wiederholende Konsequenzen haben können. Wenn wir weiter versuchen, sie zu befragen. 123. Dentan, Humour et la creation littéraire dans l’ oeuvre de Kafka, S. 9 124. In Minima Moralia, der Ästhetischen Theorie und v.a. in »Versuch, das Endspiel zu verstehen« 125. Adorno, »Aufzeichnungen zu Kafka«, S. 327
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Endlichkeit ist Bedingung der Wiederholung, die sie einer Unendlichkeit übergibt, die wir nicht transzendental verstehen können. Die Wiederholung: Das Insistieren auf ihrer Immanenz treibt die Leser von Kafkas Texten, paradox und Not gedrungen, zu ihren Kommentierungen. Übergibt die Hermetik der Texte die Lektüre an die Kommentare, bringt deren Scheitern wiederum den literarischen Text in den Blick. In dieser Bewegung wird die Lektüre auf das anfängliche Element zurückgeworfen, dem sie sich verdankt. Die Zerstreutheit, die Gedächtnisschwäche, die Dummheit.126 Das Insistierende der Dummheit, gegen das ein Aufklärungsprojekt zu Recht aber auch vergeblich kämpft, darf nicht vergessen werden.127 Literarischer, literaturtheoretischer und psychoanalytischer Diskurs beharren auf der Figur der Blödheit. Sie erweist sich als produktiv für die Lektüre. Sie beginnt von neuem. 058 Allegorien über Allegorien Dummheit ist eine Figur von Unlesbarkeit. »›Lesen Sie‹, sagte der Offizier. ›Ich kann nicht‹, sagte der Reisende. ›Es ist doch deutlich‹, sagte der Offizier. ›Es ist sehr kunstvoll‹, sagte der Reisende ausweichend, ›aber ich kann es nicht entziffern.‹ ›Ja‹, sagte der Offizier, lachte und steckte die Mappe wieder ein, […]«128
Kafkas Texte werden lesbar als Allegorien ihrer Unlesbarkeit, denen sich eine Dummheit eingetragen hat: Der Lesende wird zum Reisenden, als Lesender, der der Unlesbarkeit ausgesetzt ist, bleibt er nicht. Er richtet sich nicht ein. Lesen ist eine Reise, eine Bewegung, die kein zu Hause kennt. Kein Wissen wird in Besitz genommen, das Buch wird wieder zugeklappt. Lesen, im Unterschied zur Interpretation, beginnt mit seiner Unmöglichkeit, beginnt langsam und bricht wieder ab, weil es sich seiner Gefahr weiterhin aussetzt. Mit der Unlesbarkeit, die Kafkas Texte ausstellen, verschiebt sich der epistemologische Imperativ von Interpretationen zu einem des Lesens. In seiner notwendigen Wiederholung wird Lesen zur ethischen
126. Bergson schreibt in seinem Buch vom Lachen über die »Zerstreutheit der Sprache selbst.« (Das Lachen, S. 71) 127. »Was im semiologischen Bruch des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck gebracht wird, ist zugleich die radikale historische Einsicht in das Ende der Vernunft als menschliches Privileg.« So Wetzel in »Verweisungen. Der semiologische Bruch im 19. Jahrhundert«, S. 85 128. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 172
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Geste,129 »[…] solange das Wort nicht gefunden ist, bleibt der Leser schuldig.«130 Wenn die Unverständlichkeit für die Lektüre konstitutiv bleibt, wird Wiederholung zu einer Frage von Schuld. Weil wir nicht lesen können, müssen wir weiter lesen. Als untoter Junkie lässt Kafka uns keine Ruhe, sondern lauert am Horizont der Frage nach Literatur. Kein Kommentar konnte Kafka still stellen. In der Unmöglichkeit von Interpretation, die sich mit jedem Lesen zeigt, wiederholt sich die in den literarischen Texten ausgestellte Unlesbarkeit. Kafka wieder zu lesen, heißt danach nicht nur die Allegorien der Unlesbarkeit zu entziffern, die seine Texte anbieten, sondern auch, die durch sie provozierte Unlesbarkeit der Kommentare zu lesen. Allegorien über Allegorien. Wie ist demzufolge das Verhältnis von Text und Kommentar zu verstehen? Zur Deutung Kafkas gehört es, über Deutungen Kafkas zu schreiben – dieser vermeintliche Allgemeinplatz folgt nicht nur schlicht literaturwissenschaftlicher Methodik, eine Methodik, die niemals sicher war und der deshalb niemals schlicht zu folgen ist, die sich im Fall Kafka in phantastischer Fülle zeigt. Zur Deutung Kafkas gehört es, über Deutungen Kafkas zu schreiben: Diese Aussage folgt vielmehr einer Figur der Spaltung. Nicht nur als Frage der Genre – des Unterschieds von »Literatur« und »Literaturkritik«, »Text« und »Kommentar«, »Text« und »Metatext« – sondern vor allem einer Spaltung der Sprache selbst, die nie sie selbst ist. Das auf den ersten Blick paralysierende, jede Lektüre verschließende, nicht eröffnende Phänomen der Kafka-Forschung, die die Unlesbarkeit der Texte wiederholt, ist symptomatisch zu verstehen: Als Allegorie der Situation von Sprache. Beide, Literaturen und ihre Theorien ergeben sich aus der Struktur von Sprache, die als gespaltene, niemals mit sich eins und im Reinen ist. Weil Sprache sich nicht von selbst versteht, kommt sie nicht ohne (ihre) Theorie aus131 – und »Theorie«, in dem Maße, wie sie sprachlich ist, bleibt ihrerseits nicht unabhängig, jenseits einer Sprache und ihrer Fehlleistungen, Blindheiten, Blödheiten und Witzigkeiten.132 Literarisches Schreiben und eine Philoso129. Über das Verhältnis von Ontologie und Ethik, genauer zu einem Denken, das dieser Unterscheidung vorläufig ist, vgl. auch Heidegger, Über den Humanismus, S. 43f. 130. Adorno, »Aufzeichnungen zu Kafka«, S. 327 131. Auch wenn diese Frage hier hauptsächlich aus der Lage der Kafka-Forschung heraus zu verstehen ist, möchte ich an dieser Stelle drei Texte nennen, die diese Lektüre leiten: Benjamin, »Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen«. De Man, »Der Widerstand gegen die Theorie«. Pepper, »Absolute constructions: an essay at Paul de Man« 132. Nicht nur Freud in seiner »Psychopathologie des Alltagslebens«, sondern auch Lacan gesteht der Blödheit eine konstitutive Funktion für den psychoanalyti-
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phie nach dem »Ende der Philosophie«133 kreuzen sich in den Figuren einer gespaltenen Sprache, soweit sich in ihnen ein Verhältnis von Wissen und Nichtwissen abspielt. Literatur und Theorie, falls wir dieser Opposition noch Gültigkeit zugestehen, weniger, weil es keine Differenz mehr zwischen ihnen gäbe, eher, weil sich die Differenzen vervielfältigen und damit schwerer zu ermitteln wären, zu denen sich ein kritisches Lesen in Beziehung zu setzen hat, sind demnach keineswegs gegeneinander auszuspielen (in ihren institutionalisierten Gestaltungen); sie können nicht anders, als sich (immer schon) gegenseitig ausspielen und sind dabei als Doppelfigur von Sprache mit im Spiel.134 schen Diskurs zu und fragt: »Wie ausgehen von der Blödheit?« (Encore, S. 17). Der psychoanalytische Diskurs zeichnet sich durch seine Blödheit aus, »[…] in den anderen Diskursen ist Blödheit das, was man flieht.« (S. 17). Demgegenüber bekennt er: »Es scheint mir schwierig, nicht blöde von der Sprache zu sprechen.« (S. 19). Und schließlich, »eine Art Blödheit, die der analytische Diskurs in ihr Recht setzt.« (S. 19) Zuletzt wird präzisiert, »der Signifikant ist blöde.« (S. 25) Grob gesagt verweist die Blödheit auf das Fehlen eines Metadiskurses. Auf die Rolle, die der psychoanalytische Diskurs im Verhältnis zum Literarischen oder Literaturtheoretischen hinsichtlich dieser Figur, die eine Nähe zum Lachen unterhält, einnimmt, werde ich später in dieser Arbeit zu sprechen kommen. Vgl. den zweiten Teil: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka 133. Eine entscheidende Station dieser Debatte markieren die Texte Heideggers. Im Humanismus-Brief heißt es: »Das künftige Denken ist nicht mehr Philosophie, weil es ursprünglicher denkt als die Metaphysik, welcher Name das gleiche sagt. Das künftige Denken kann aber auch nicht mehr, wie Hegel verlangte, den Namen der ›Liebe zur Weisheit‹ ablegen und die Weisheit selbst in der Gestalt des absoluten Wissens geworden sein. Das Denken ist auf dem Abstieg in die Armut seines vorläufigen Wesens. Das Denken sammelt die Sprache in das einfache Sagen.« (Über den Humanismus, S. 54). Vgl. hierzu außerdem Nancys L’oublie de la philosophie. 134. Über den Unterschied von Literatur und Philosophie schreibt Johnson: »The relation between literature and philosophy involves the repetitive set-up and collapse of their difference […], philosophy is defined by its refusal to recognize itself as literature; literature is defined as the rhetorical self-transgression of philosophy.« (»Rigorous Unreliability«, S. 76) Bei de Man heißt es: »Die wirkliche Diskussion führt die Literaturtheorie nicht mit ihren polemischen Gegnern, sondern vielmehr mit ihren eigenen methodologischen Voraussetzungen und Möglichkeiten.« (»Widerstand gegen die Theorie«, S. 94) Etwas später heißt es ausdrücklich: »Der Widerstand gegen die Theorie ist ein Widerstand gegen den Gebrauch von Sprache über Sprache.« (Ebd., S. 95). Auch wenn es angesichts der Kafka-Forschung eine gutwillige Annahme erscheint, sie mit jenem Ort zu identifizieren, der bei de Man ›Theorie‹ heißt, auch wenn die Kafka-Forschung in weiten Teilen unter
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Jede Abwendung von der Sekundärliteratur zu Kafka, mit dem Hinweis darauf, zur Literatur »selbst« zurückzukehren, ist kein Ausweg. Unkritisch wäre die Idee eines autonomen Kunstwerks. Das Kunstwerk ist nicht »es selbst« – so im Fall Kafka –, sondern kommentiert sich schon. Andererseits sind die Kommentierungen oder ist eine »Theorie« ihrerseits nicht stabil, in dem Maße, wie die Nichtigkeiten der Literatur nicht ohne Effekt auf ihre Theorien sind. In jedem Text eröffnet sich stets eine Spannung im Verhältnis zu dem, was »Theorie« heißen kann. Aber auch Der Widerstand gegen die Theorie ist Teil der Sprache, die stets die epistemologischen Erwartungen enttäuscht, die sie weckt. Muss man aber andererseits dem Widerstand gegen die Theorie widerstehen? Was hieße es, diesen Widerstand zu lesen? Wäre er psychoanalytisch auflösbar?135 059 Widerstand Am Grunde der Sprache hält sich ein unauflösliches Geheimnis ihrer Referentialität.136 Dieses Nichtwissen provoziert figuratijenen Voraussetzungen arbeitet, die de Man im Namen von ›Theorie‹ zu Recht kritisiert, spiegelt sich selbst noch in dieser Situation das hier ausgestellte Problem, insofern sich der Anspruch im Namen von ›Theorie‹ zu arbeiten, artikuliert. 135. Während der de Mansche Diskurs auf der Kategorie des Widerstands besteht, erscheint der Widerstand in der Psychoanalyse zunächst als analysierbar. Eine genauere Lektüre der Traumdeutung, ebenso wie späterer Texte Freuds, verschiebt allerdings diesen Unterschied. In einer doppelten Bewegung kann in der Psychoanalyse hinter dem Widerstand einerseits keine Präsenz angenommen werden, d.h. der Widerstand wird anfänglich, sowie andererseits die Analyse unendlich wird. Im Zuge der Traumlektüren wird der Widerstand weniger überwunden als produktiv: als Verschiebung, Verdichtung und Rücksicht auf Darstellbarkeit. Nähern sich auf diese Weise psychoanalytischer Diskurs und Literaturtheorie an, zeichnet sich ein anderer Unterschied ab: während bei de Man Widerstand zum generellen Problem von Sprache erhoben wird, trägt sich bei Freud an diesem Ort die Endlichkeit menschlicher Existenz ein. Vgl. hierzu den dritten Teil dieser Arbeit: »Austragungen: Freud – Derrida – Kafka«. 136. Zur Figur des Geheimnisses als für die Literatur konstitutiv vgl. Derrida, Given Time: I. Counterfeit Money, insbesondere S. 153f. Das auffälligste Beispiel für die Frage des Geheimnisses, verstanden als unauflösliche Verschlossenheit des Textes, der keine referentielle Gewißheit zuläßt, ist vielleicht Kafkas Schloß – Roman. Kafkas Texte wurden zum Horizont der Unmöglichkeit einer hermeneutischen Lektüre. Für ihre Chancen liefern seine Texte selbst den Testfall mit der Figur/Funktion K. K.s Schwierigkeiten, sich dem Schloß anzunähern, sind ernstzunehmen. Einerseits erscheint es in der (Un-)Gestalt erhabener Transzendenz, erhoben und jenseits des Dorfes, dann wiederum rhizomartig verzerrt und verzweigt und somit vom Dorf nicht verschieden. Es ist ein Schloß ohne Schlüssel und v.a. zuerst überhaupt nicht zu sehen. Ist denn da ein Schloß? Eine unübersehbare Architektur, die, falls sie überhaupt in Erscheinung tritt, sich hier und da ihren Weg bahnt, deren Eingänge sich aber vervielfältigen, be-
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ve Verdoppelungen, als eine Möglichkeit ihre Struktur zu realisieren. In der jeweiligen Gespaltenheit von »Literatur« und »Theorie« hat de Man Sprache anfänglich nicht nur als allegorisch, sondern auch als ironisch erkannt. Diese Verfasstheit der Sprache wird zu verfolgen sein. Die Struktur von Sprache zeigt sich jedoch nicht nur in ihren allegorischen und ironischen Wendungen, sondern auch in ihrem Abbruch. An dieser Stelle erscheint Lachen als Abbruch von Leseversuchen, »[…] ich kann es nicht entziffern.« »Ja«, sagte der Offizier, lachte und steckte die Mappe wieder ein […]«. Über den ironischen Abbruch allegorischer Figuren hinaus wird noch die Figur der Ironie verlassen, die ihrerseits einem Sprachbewusstsein in seiner Negativität Stabilität versprach und darin für die Literaturtheorie konstitutiv ist. »Ja«, sagte der Offizier, lachte und steckte die Mappe wieder ein […]«. Auch wenn Lachen unberechenbar bleibt, ist es nicht willkürlich oder zufällig, sondern ernst zunehmen. Lachen ist eine Antwort, die keine Antwort mehr ist. Im Lachen stellt sich eine Leere aus. Insofern kündigt sich im Lachen mehr an: Lachen wird zu einem Widerstand gegen die Theorie, der unwiderstehlich wird. Hier wäre der Ort der Frage nach dem Verhältnis einer Literaturtheorie, die unter dem Namen Paul de Man bekannt ist und einer Literatur, in diesem Fall Kafka, zu suchen. Lachen ist eine Textstörung, die als blinder Fleck im de Man’schen Diskurs unlesbar bleibt und daher eine Lektüre de Mans eröffnet. Mit der Frage nach dem epistemologischen Status des Lachens ist somit jene nach den Chancen seiner kritischen Funktion gestellt: einer Kritik der Literatur gegenüber ihrer Theorie, wenn Literatur zum Lachen ist. Gibt es eine Kritik, die sich auf ein Lachen stützen kann, oder geben wir mit dem Lachen die Möglichkeit von Kritik auf? Müssen wir uns vor dem Lachen hüten? Oder wäre es nicht nur nötig zu verstehen, sondern auch zu lachen? Müssen wir nicht nur lernen zu lesen, sondern auch lernen zu lachen? Das war Zarathustras Pädagogik: Lernt zu lachen! Aber kann es eine Lehre des Lachens geben, oder wäre Lachen immer jener Moment, der die Lehre bedroht? 060 Störungen De Man hat Kafka nicht gelesen,137 aber er bietet
vor sie einen Zugang erlaubten. Die Rückkehr zu Kafkas Texten zeigt: kein Leser kann mehr wissen als K. Die Verführung zur Ausdeutung, die Kafkas Texte provozieren, erweist sich als Falle. Die Hermeneutik läuft ins Leere, verläuft sich, um von vorne anzufangen. 137. Ohne Kafka gelesen zu haben. Diese Aussage bezieht sich auf de Mans wissenschaftliche Veröffentlichungen. De Man hatte allerdings früher zu Kafka geschrieben, während seines wartime journalism. Kafka nimmt dabei eine paradoxe Position ein. Ausgerechnet in jenem Artikel über jüdische Literatur, der am deutlichsten als
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uns an, zu verstehen, was Lesen wäre. Ein Lesen, das die Hindernisse und Fallen, die die Literatur dem Verstehen aufbaut, nicht umgeht. Im Kontrast dazu bietet sich eine Lektüre der Literatur über Kafka an. Kafkas Texte zeigen das Verhältnis von Literatur und Theorie als ein gestörtes. Weil Kafka stört, sich seine Texte aufspielen, als wüssten sie in ihrer Negativität dummerweise mehr als ihre Kommentare, werden sie wieder gelesen. Dieses Verhältnis ist noch schärfer ins Visier zu nehmen. Das Störende von Kafkas Literatur, mit dem das Verhältnis von Literatur und Kommentar und damit die Frage von Verstehen auf dem Spiel steht, ist eine Verstörung. Mir geht es wie vielen anderen:138 Kafkas Texte hören, trotz aller Deutungen, nicht auf, mich zu erschrecken, »[…] sie (haben) als Kunstwerke ihren irritierenden und provozierenden Charakter behalten, trotz der unzähligen vorliegenden Deutungen fragen sie nach wie vor um Auslegung, […] als gäbe es die in ihrem Umfang nicht mehr überschaubare KafkaDeutung nicht«,
schreibt Steinmetz.139 Scheinbar können die Deutungen den Texten das Erschreckende nicht nehmen. Mehr noch, Kafkas Texte stellten die Möglichkeit von Lektüren selbst in Frage, als gäbe es die in ihrem Umfang nicht mehr überschaubare Kafka-Deutung nicht. Das Werk droht jeder Interpretation. Gegenüber seinen Texten drohen die Kafka-Kommentare lächerlich oder überflüssig zu werden.140 Kafkas Literatur ist demnach nicht nur verstörend, sondern zerstörend. In der Zeitlichkeit der Wiederholung verdoppelt sich der Schrecken, den Kafka auszulösen vermag.141 Nicht nur ein anfänglicher Schrecken antisemitisch gelten kann, tritt Kafka als Beispiel für nicht-jüdische (!) Literatur ein. Vgl. hierzu z.B. Felmans, »After the Apocalypse: Paul de Man and the Fall to Silence« 138. Vgl. Dentan, S. 79. Vgl. auch Beicken, Franz Kafka. Eine kritische Einführung in die Forschung, der über die frühe Kafka-Rezeption schreibt: »Selbst das in seinem Einfluß nicht zu unterschätzende, ein nivellierende Kafka-Bild Max Brods hat die ernsthafteren Kritiker und Literaten nicht von dem Eindruck der Verwirrung, Erschütterung, Ratlosigkeit angesichts des geistig schwer lokalisierbaren Werkes befreien können.« (S. 27) 139. »Negation als Spiegel und Appell. Zur Wirkungsbedingung Kafkascher Texte«, S. 155f. 140. Das war das Projekt von Deleuze und Guattari, einen Text zu schreiben, der nicht lächerlich aussieht, neben Kafkas Literatur. Auch Theweleit gehört zu den wenigen, die sich dieses Dilemmas bewußt waren. 141. Adorno sagt es deutlich: »Unter den Voraussetzungen Kafkas ist nicht die geringfügigste, daß das kontemplative Verhältnis von Text und Leser von Grund auf ge-
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über die Texte, sondern auch ein Schrecken angesichts der Unmöglichkeit, über diese Texte zu schreiben. So zeigt es sich mit den Interpretationen, die von Kafka wieder heimgesucht werden. Über Kafka zu schreiben scheint von vornherein verhindert, von keiner anderen Instanz als den Texten selbst. Keine Instanz außerhalb der Texte, kein fremder Name, der nicht in der Begegnung mit Kafka zum Verlust führte.142 Wie sollte man über Kafka schreiben? wie nur? – wie? im Namen wovon, nach welchem Wert, nach welchem Kriterium? – wenn Kafkas Literatur als Nichtigkeit auftritt, die vernichtend wirkt. Kontaminös. Wie sollte man über Kafka schreiben, wie sollte man schreiben, ohne zu stottern? 061 Vor und zurück Es geht noch weiter. Ein paradoxer Effekt dieser Störungen wird sein: Kafka ist den meisten seiner Kritiker voraus: »Seine Literatur ist eine vorgehende Uhr.«143 Die Schrift läuft dem Gesetz vorweg. Gerade weil seine Texte eine Form des Wissens einführen, das nicht mehr mit Sicherheit »theoretisch« zu nennen ist, weil es von seiner eigenen Unmöglichkeit weiß, stellt sich die Frage: kann der theoretische Diskurs Schritt halten? Was wäre das Maß einer richtigen Geschwindigkeit? Bei Kafka bleibt Wissen an die Frage des Nichtwissens gebunden. Szenen hermeneutischen Scheiterns liefern Kafkas Texte in der Überzahl.144 Sie sind seinen Lektüren einen Schritt voraus, genau in dem Maße, wie sich seine Texte einem Zusammenbruch von Theorie verdanken, die in KafkaLektüren wieder versucht wird aufzubauen.145 Paradoxerweise liefert Kafka
stört ist. Seine Texte sind darauf angelegt daß nicht zwischen ihnen und ihrem Opfer ein konstanter Abstand bleibt, sondern daß sie seine Affekte derart aufrühren, daß er fürchten muß, das Erzählte käme auf ihn los wie Lokomotiven aufs Publikum in der jüngsten dreidimensionalen Filmtechnik.« (»Aufzeichnungen zu Kafka«, S. 326f.) 142. Benjamin erkannte, »Trotzdem erschöpft er sich in dem, was deutbar ist, niemals, hat vielmehr alle erdenklichen Vorkehrungen gegen die Auslegung seiner Texte getroffen.« (Benjamin über Kafka, S. 22) Deleuze und Guattari haben den Bau als Allegorie dieses Verfahrens gelesen. 143. Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 116 144. Fragen der Deutungen, der Unmöglichkeit von Deutungen, einem geforderten Ende der Interpretationen usw. spielen nicht nur im Schloß-Roman eine wichtige Rolle; hermeneutische Fragen ziehen sich durch den gesamten Textkorpus Kafkas. Die wichtigsten Beispiele: »In der Strafkolonie«, Der Proceß, »Zur Frage der Gesetze«, aber diese Reihe ist weiter fortzuführen. Ronell nennt ein Beispiel: »The Momus episode, which began with such an aura of dignity and seriousness of purpose, concludes on a comic note that deflates the putative importance of Momus’s texts.« (»Doing Kafka in The Castle: A Poetics of Desire«, S. 194) 145. Dieses Problem der Literaturkritik erkannte Adorno bereits in seiner
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die Dekonstruktion der Kommentare seiner eigenen Texte schon mit. Maurice Blanchot schreibt, »[…] die Literatur leugnet durch ihre eigene Bewegung die Substanz dessen, was sie repräsentiert.«146 Kafkas Texte stellen ihre eigenen epistemologischen Bedingungen als hermeneutischen Abbau aus. In den »Forschungen eines Hundes« schreibt Kafka: »Vor einem Gelehrten würde ich, ich habe leider dafür keine Beweise, auch in der leichtesten wissenschaftlichen Prüfung sehr schlecht bestehn. Das hat natürlich […] seinen Grund zunächst in meiner wissenschaftlichen Unfähigkeit, geringen Denkkraft, schlechtem Gedächtnis, und vor allem in dem Außerstandesein, das wissenschaftliche Ziel mir immer vor Augen zu halten. Das alles gestehe ich mir offen ein, sogar mit einer gewissen Freude.«147
Gelesen als Allegorie literarischen Schreibens, in der die eigene Dummheit eingestanden wird, werden die Hundeforschungen als ein Erkenntnismodell vorgestellt, das sich der Abwendung von Wissenschaft verdankt, in der exakten Begründung dieser Abwendung allerdings keineswegs als Geste der Verwerfung erscheint, sondern seinerseits »wissenschaftlich« verfährt, im exakten Angeben der Gründe dieses Scheiterns. Es wird zunächst nicht anders als in seiner Negativität, verglichen mit den Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens – abprüfbares Wissen, Denkkraft, Gedächtnis und Ausdauer – beschrieben. Ironischerweise ist diese Negativität, wie Kafka anfänglich bemerkt, nicht unter Beweis zu stellen. Sind diese Forschungen in ihrer Negativität bereits ironisch, ist dieses Projekt noch ein weiteres Mal gewendet, wenn es gerade in seiner Nichtigkeit nicht bewiesen werden kann. »Vor einem Gelehrten würde ich, ich habe dafür leider keine Beweise, auch in der leichtesten wissenschaftlichen Prüfung sehr schlecht bestehen.« Mit diesem Schritt kündigt der Text anfänglich die Überschreitung der Negativität gegenüber einem Wissenschaftsmodell an, insofern noch diese Negativität selbst zur Ungewissheit wird. »[…] ich habe dafür leider keine Beweise.« Die Kriterien, die ein Versagen in der Prüfung oder eine Dummheit noch beweisen könnten, indem sie nicht erfüllt werden, gehen im Zuge ihrer Negation selbst verloren. Die wissenschaftliche Unfähigkeit wirkt auf die Möglichkeit des Beweisens selbst zurück. Weil dieser Umstand anfänglich zugegeben wird, steht die ganze Passage im Zeichen der Ironie. Was heißt hier Ironie? Noch die Negation wird anfänglich und beiläufig negiert: eine doppelte Negation. Und weil die Negation paradoxerweise Beckett-Lektüre, wo es heißt: »Das deutende Wort bleibt deshalb unvermeidlich hinter Beckett zurück.« (»Versuch, das Endspiel zu verstehen«, S. 284) 146. Blanchot, »Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 20 147. Kafka, »Forschungen eines Hundes«, S. 92
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anfänglich ist, ist sie nicht aufzuhalten. Kierkegaard nannte die Ironie eine unendliche Negativität. In diesem Sinne ist Ironie immer schon die Ironie der Ironie, eine unaufhaltsame Bewegung. Ein Wissen riskiert mit der drohenden Bodenlosigkeit des Negativen – einem Zustand, an den die Reflexion nicht mehr heranreicht – in dieser Wendung seine eigene Unintelligibilität. Aber es ist auch lesbar: in einer Lektüre, die nur vorankommt, wenn sie einen Schritt zurückgeht; die einen Schritt zurückgehen muss, will sie verständlich bleiben und dabei die Ironie der Ironie aufhält. So wie wir jetzt anhalten, indem wir dieses Zitat lesen. Das war Booths Frage: How to stop irony? Im Lesen. Gegenüber der unendlichen Ironie der Texte ist jede Interpretation Kafkas ein Rückschritt.148 Sie hinkt den Texten hinterher:149 Eine hinkende Schrift. Auch wenn, weitergehend, die drohende Nichtigkeit der Literatur tatsächlich als Voraussetzung der Lektüre ernst genommen werden muss, wie bei de Man und Hamacher zu lesen ist, kann sich diese demzufolge bei immer drohender Unverständlichkeit nur als Rückschrittlichkeit etablieren. Liegt darin zwar die Ironie der Lektüre, ist eine Antwort auf die Literatur, auf diese Weise dennoch eine konservative Geste. Sichert sie darin ihre Erkenntnis, verschließt sie sich der Öffnung, die der Text vorstellte, um bestehen zu können. Erfüllte sich darin ihre ethische Pflicht? Das Problem scheint zunächst weniger auf der Ebene der Ironie zu liegen. Ironische Lektüren setzten sich ihrer Gefährdung aus, die sie dennoch meistern. Aber die Ironie von Kafkas Texten führt auch zur Frage des Lachens, das bei diesem Lesen auf der Strecke bleibt. Wäre Lachen im Lesen zu opfern? – oder kann es nicht nur eine ironische, sondern auch eine lachende Lektüre geben? 062 Manisch-depressiv Ziehen wir aus der Befragung einer Gegenüberstellung von Literatur und Theorie in einer Rückführung auf das Problem der Spaltung von Sprache »selbst« die Konsequenz, dass nicht nur einem wissenschaftlichen Ehrgeiz oder einem institutionell geforderten Masochismus folgend, sondern aus einer mit der Sprache gegebenen Notwendigkeit heraus, die Kommentierungen zu Kafka unmöglich beiseite gelassen werden können (weil sie die literarischen Allegorien noch einmal inszenieren, weil sich in ihrer Versehrtheit der Status des Literarischen bemerkbar macht und sie demgegenüber ihren eigenen Charakter zu er148. Nur die von Deleuze und Guattari nicht, die tatsächlich riskieren, ihn nicht zu verstehen. 149. So deutlich in Adornos Endspiel-Interpretation: »Es verstehen kann nichts anderes heißen, als seine Unverständlichkeit verstehen, konkret den Sinnzusammenhang dessen nachkonstruieren, daß es keinen hat.« (»Versuch, das Endspiel zu verstehen«, S. 283)
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kennen geben), heißt es, diesem Spannungsverhältnis folgend, keineswegs, dass der Status von Lektüre nun etwa sichergestellt oder unproblematisch wäre und wir jetzt unbehindert loslegen könnten. Wir bewegen uns nicht in einer Sicherheitszone, sondern in einem Spannungsfeld. Lesen bleibt instabil und zögernd. Wollen wir die Nichtigkeit und Unbestimmbarkeit in der Literatur nicht aus den Augen verlieren, droht auf der einen Seite Schreiblähmung, während auf der anderen der Gestus der Verwerfung verführerisch erscheint. Vor diesen Effekten einer Lektüre Kafkas und einer Lektüre der Lektüren Kafkas ist keiner sicher. »Writers block […] is simply a failure of ego« wird Macho Norman Mailer im New Yorker vom 9. November 1998 zitiert.150 Ganz so einfach ist es nicht. Ich versuche das Symptom des Versagens zu lesen. Die zerstörende Kraft Kafkas lähmt vielleicht. Demgegenüber baut sich die Macht der Interpretation auf. Sie droht das Werk zu verdecken. Kafka strikes back. Dem späten Leser Kafkas wird von beiden Seiten gedroht. Er entkommt kaum diesem Doublebind. Kaum lässt sich ein einzelner Satz zu Kafka schreiben. Kaum lässt sich ein einzelner Satz zu Kafka ohne Fußnote schreiben. Kafka ist ein Popstar, wusste Andy Warhol. Er ist Everyone’s Darling,151 und die besten Kritiker, die nimmermüden Narren, die niemals schlafen, wie die Studenten, die an der Unveränderlichkeit der Schrift nicht verzweifeln, sondern schlaflos weiter schreiben. Es ist nicht möglich, über Kafka zu schreiben; es ist nicht möglich, über Kafka zu schreiben, ohne über »Literaturwissenschaft« als Methodengeschichte zu schreiben. Im Stör-Fall Kafka ist in dieser Schreib-Situation mehr als ein literaturwissenschaftlicher Allgemeinplatz am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zu erkennen; der Gewissenhaftigkeit eines wissenschaftlichen Imperativs folgend, der in seinen Archiven vergangene Kommentare unendlich versammelt; letzte Stätte einer Liebe zur Schrift; deren Gesetz zu entziffern wäre, bevor ein weiteres Wort zu Kafka zu schreiben erlaubt ist. Schriften, die zu kennen jeder Kafka-Forscher aufgefordert und überfordert ist,152 unter dem Gesetz dieses Imperativs, so dass 150. S. 78 151. Titel und Einleitung von Kempfs Buch sind großartig, bilden aber leider nur die Klammer für eine ansonsten ordentliche aber weniger aufsehenerregende zusammenfassende Darstellung der Rezeption der Kurzgeschichten. 152. Kleinschmidt zählte 1994 circa zwölftausend Publikationen zu Kafka. Vgl. Kleinschmidt, Augenblick und Irritation: Figuren und Zeit in Kafkas ›Prozeß‹, S. 7. Petr meinte 1992 schon, es wären über 14.000. (Vgl., Kafkas Spiele. Selbststilisierung und literarische Komik, S. 5) Vergessen wir nicht: Kafkas Texte vernichten ihre Kommentare. Ich habe nicht noch einmal nachgezählt, was in den vergangenen Jahren verloren gegangen ist.
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das Archiv selber zur Allegorie von Unlesbarkeit wird. Auch oder gerade als Datenbank, die die archivarische Ruine (scheinbar) umcodiert, zum Phantasma von Verfügbarkeit. Eine Szene wie aus einem Kafka-Text. Als würde die Unendlichkeit des Archivmaterials die Antwort auf die Frage nach dem »Gesetz« bereitstellen. Aber Gesetz und Schrift sind nicht identisch, der Zugang zum Gesetz bleibt versperrt. Was die Versammlung der KafkaKommentare in dieser Dimension ausstellt, ist die Gewalt einer Hermeneutik, die sie in ihrer ungeheuren Versammlung ihrerseits parodistisch überschreitet. Aber könnten wir sie deshalb verlassen? 063 Kastration Die Frage nach dem Verhältnis von »Theorie« und »Literatur«, einer »Literatur« und ihrer »Kommentare«, wird zu einer aufdringlichen Frage, sobald man sich Kafka zuwendet. Sie gestaltet sich in der schwankenden Maßlosigkeit eines Zuviel oder Zuwenig, beides Effekte der Abgründigkeit, die in den Texten wartet.153 Gegenüber der verstörenden und zerstörerischen Kraft von Kafkas Texten droht die Chance einer Lektüre zu verschwinden, oder aber der drohenden Kastration wird mit phallischer Macht entgegengearbeitet. Die Kontrolle über Kafkas Texte wäre aber nur für den Preis der Ignoranz zu haben und verfehlt ihre Spezifik. Der Zusammenbruch von Philosophie macht sich in der Literaturkritik im gestörten Verhältnis von Text und Kommentar bemerkbar. Der Kommentar könnte sich nur über den literarischen Text erheben, als nostalgische Wiedererrichtung dessen, was nicht einmal als Verlust, sondern nur als Leere zu denken ist. Wie verhält sich ein Lesen zur Nichtigkeit der Literatur, will sie sie nicht ignorieren, im Zuge einer Machtgeste, in der Überfülle der Kommentare? Die Nichtigkeit der Literatur ist kontaminös. Schützt man sich nicht vor ihr, steckt man sich an. Literatur ist ansteckend wie ein Lachen. Paradoxerweise sind Kafkas Texte auf machtlose Weise entmächtigend: »Was Kafka so gefährlich macht, ist gerade die Kraft seiner Nicht-Kritik.«154 Kafkas Texte führen zu einer gewaltlosen Zerstörung. Dabei ist der Unterschied, den Heidegger zwischen der abschließenden Wirkung der Verwüstung und der eröffnenden der Zerstörung trifft, nicht zu vergessen.155 In der Zeitlichkeit der Wiederholung eröffnet sich eine Zukunft. Der zerstörende Effekt von Kafkas Texten ist auch psychoanalytisch zu verstehen. Er liegt in 153. Bernheimer schreibt in seinem hervorragenden Buch zu Kafka und Flaubert: »Lack suggests the absence of continuity, the rupture with presence and the undecidability of meaning; surplus suggests the excess of signification and the supplementation of reference.« (Flaubert and Kafka, S. 166) 154. Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 84 155. Heidegger blieb dabei ernst. Diese Frage verdiente eine gesonderte Untersuchung. Vgl. dazu auch Ronell, The Telephone Book, S. 15f.
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ihrer Kastriertheit begründet: »Er verherrlicht nicht die Welt durch Unterordnung, er widerstrebt ihr durch Gewaltlosigkeit.«156 064 Reading Performance Das Spannungsverhältnis zwischen Literatur und Lektüre ist nach Blanchot und Foucault v.a. bei de Man ausgearbeitet worden.157 Wenige Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts haben mit ihren Texten das Literaturverständnis radikaler auf die Probe gestellt als Franz Kafka und wenige Leser haben darauf radikaler geantwortet als Paul de Man (ohne Kafka gelesen zu haben). Der strategische Vorteil einer Lektüre Kafkas mit de Man liegt in dem Angebot, das de Man verspricht, der Frage des Lachens in der Literatur nachzugehen, ohne sich allzu schnell in den begrenzten Raum formaler Genregesetze zu begeben oder in die Fallen einer Anthropologie zu gehen, die mit dem Lachen immer warten. Die aporetische Ernsthaftigkeit de Mans oder Hamachers ist dabei ihrerseits vielleicht zum Lachen; ebenso wie Kafkas unendliche Negativität. Wären sie zu unterscheiden? Warten wir noch einen Moment mit der Beantwortung dieser Frage. Wir können jedoch bereits sagen: Kann sich die Lektüre weder auf den literarischen Text, noch auf die Theorie verlassen, bleibt sie in dieser Aporie haltlos.158 Vorschnell wäre es, darin ihre Willkür zu erkennen, vielmehr ist hier ihre Präzision, so heillos sie auch sei, zu suchen.159 Wir versuchen, uns aufs Lachen zu verlassen. Den Effekten und 156. Adorno, »Aufzeichnungen zu Kafka«, S. 352 157. Eine Unterscheidung der Lektüreweisen, die an dieser Stelle mit Eigennamen markiert sind, wäre mit Derrida zu unternehmen. In »The Ends of Man« unterscheidet Derrida zwischen zwei Wegen der Dekonstruktion. Auf der einen Seite die Möglichkeit, den Text von seinen eigenen sprachlichen Setzungen und ihren historischen Kodifikationen aus an seine Grenzen zu treiben. Andererseits besteht die Möglichkeit, einen radikalen Bruch in der Bezugnahme auf ein Außen zu inszenieren, als Ausgangspunkt der Lektüre. Wird mit der ersten Richtung das Außen der Dekonstruktion als teleologisches Moment eingeschrieben, wird der Text mit der zweiten einer effektiven Unterbrechung ausgesetzt. Heidegger (Derrida selbst und ebenso Paul de Man, so wäre zu ergänzen) gehören der ersten Richtung an. Ohne Namen zu nennen, kann im zweiten Weg das Verfahren Foucaults erkannt werden (Und so würde ich ergänzen, auf sehr verschiedene Art, das Blanchots). Vgl. hierzu Derrida, »Fines hominis«, S. 121ff. 158. Über die Arbeiten de Mans schreibt Christopher Norris: »It is this refusal to come down squarely on the side of either ›literature‹ or ›philosophy‹ which gives de Mans texts this peculiar way of resisting any kind of summary description.« (Paul de Man, S. XIV) 159. Im Humanismus-Brief hatte Heidegger ein Denken gefordert, das strenger verfährt, als das begriffliche. (Über den Humanismus, S. 47)
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Ökonomien der Kafka-Lektüren ist auch in jeder neuen nicht ohne weiteres zu entkommen. Gelingt es, Kafka zu lesen, dann entweder im Großen und Ganzen, oder aber in der Winzigkeit des Wörtlichen bis hin zum Buchstäblichen.160 Darin bleibt Lesen schwankend. Entweder Kafkas Leser sehen sich mit einer Nichtigkeit konfrontiert, die das Unternehmen des Verstehens selber gefährdet, wie Dentan schon früh erklärte: »Ce qui allait de soi devient avec Kafka réellement problématique; ce qui comportait une évidente vérité se découvre avec lui réellement à peu près vide de contenu.«161
Oder diese Problematik, die Kobs folgendermaßen präzisiert, wird ignoriert, »wie oft und mit welcher Leichtigkeit in der Kafka-Forschung nach einem positiven Sinn hinter und außerhalb des buchstäblich Dargestellten gesucht worden ist.«162
Mit Kafka wird Verstehen zweifelhaft. Die »Zweifelhaftigkeit« von Kafkas Literatur wiederholt sich in der Form der Zweifelhaftigkeit als Zweiheit, in der Literatur über Kafka. Im Zweifel zeigt sich eine doppelte und widersprüchliche Semantik. Im Zweifel zeigt sich eine Uneinheitlichkeit, die offen bleiben muss und zu wiederholen ist. In den Texten über Kafkas Texte zeigt sie sich zum zweiten Mal und immer wieder. »Die Kafka-Interpretation bildet in ihrer Struktur, in ihrer fundamentalen Grundeinstellung die Kafkasche Struktur und Grundeinstellung ab, sie ist zum Spiegel des strukturellen Zentralprozesses des von Kafka Erzählten geworden.«163
Wenn die Sekundärliteratur zu Kafka als Wiederholung der Figuren seiner Texte auftritt, als Zweifelhaftigkeit, als Ironie der Ironie oder als Allegorie der Unlesbarkeit, ist sie vor den Rückfällen in Gedächtnisschwäche, Zerstreutheit und Dummheit nicht sicher. Lesen bleibt instabil. Felman hat in ihrer Lektüre von Henry James« The Turning of the Screw auf die Wiederholung der Effekte des literarische Textes in seiner Rezeption hingewiesen.164 In diesem Verständnis entkommt die Deutung nicht 160. Vgl. hierzu Lehmanns hervorragende Analyse zu Kafka, »Der buchstäbliche Körper. Zur Selbstinszenierung der Literatur bei Franz Kafka« 161. Dentan, S. 179 162. Kobs, Kafka. Untersuchungen zu Bewusstsein und Sprache seiner Gestalten, S. 19 163. Steinmetz, »Negation als Spiegel und Appell«, S. 159. Vgl. zu diesem Punkt ebenfalls Krusche, Kafka und Kafka-Dichtung, insbesondere S. 155ff. 164. Felman, »Turning the Screw of Interpretation«
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dem Unerklärlichen der Dichtung als Anlass der Lektüre, sondern setzt es ihrerseits noch einmal in Szene, »which ever way the reader turns, he can but be turned by the text, he can but perform it by repeating it.«165 Dieses Argument bestätigt das gestörte Verhältnis von Text und Kommentar als eines der Wiederholung und formuliert es dabei als Frage nach dem Verhältnis des konstativen Charakter der Sprache einerseits zu und ihrem performativen andererseits. Ausgehend vom literarischen Text kann sich der Kommentar nicht auf seinen konstativen Charakter verlassen. Felman schreibt: »Criticism, to use Austin’s terminology, here consists not of a statement, but of a performance of the story of the text, its function is not constative but performative. Reading becomes not the cognitive observation of the text’s pluralistic meaning, but its ›acting out‹.«166
Welche Rolle hätte Lachen innerhalb dieser psychoanalytischen Lektüre von Lektüre als Performativität, wenn wir davon ausgehen, dass textliche Ironie (bisher bietet sich noch kein anderer Name an) bei Kafka zum Lachen führt? Barthes schreibt: »Die Ironie ist dann das, was dem Kritiker unmittelbar gegeben ist – nach dem Wort Kafkas: nicht die Wahrheit zu sehen, sondern sie zu sein.«167 Für das kritische Unternehmen hat Barthes zufolge die Ironie eine konstitutive Funktion. Kafka dient ihm als Beispiel. Wenn Ironie und Lachen bei Kafka aneinander gebunden sind, wären sie demnach nicht nur Fragen, die die literarischen Texte betreffen, sondern konstitutiv für die Lektüre selbst. Diese verführerische Position allerdings erfolgte unter dem Verlust des Besitzes von Wahrheit. Der performative Charakter von Wahrheit führte zur radikalen Ausstellung seiner Negativität. Der kritische Diskurs beanspruchte nicht länger den Phallus zu haben, er würde sich in der prekären Position des Phallus-Seins wieder finden. Seine Schönheit wäre auch sein Lachen.168 065 Lesezeit Der Versuch einer vorläufigen Positionierung, der Fragen nach Literatur und Theorie als Folge sprachlicher Gegebenheiten, die zum Lachen führen, mit dem schon der anfängliche Raum des Traumas, nicht-zu-fragen, nicht-weitergehen, lieber meine Autobiographie schreiben, verlassen ist, auch wenn er wieder einfällt, ist weit davon entfernt, dem Le-
165. Felman, ebd., S. 101 166. Ebd., S. 114f. 167. Barthes, Kritik und Wahrheit, S. 87 168. Mit Anders ist diese Schönheit von Kafkas Texten als gorgonisch zu lesen. Vgl. Anders, Kafka. Pro und Contra. S. 53ff.
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sen eine Versicherung der Identität anzubieten.169 Sie bleibt nicht nur in ewiger Entfernung, vielmehr entfernt sich Lesen von einer solchen Annahme, sollte sie eine Rolle gespielt haben, Schritt für Schritt. Lesen kann zunächst nur negativ bestimmt werden. Lesen spielt sich in jener Zone ab, deren Identifizierung sie zu jenem Ort machte, der sie nicht ist.170 Der Schauplatz der Schrift, ist nicht der begrenzte eines positiven Wissens, das als Besitz gesichert werden kann, sondern der Nicht-Ort einer Deterritorialisierung, in dem man Schritt für Schritt an Boden verliert so wie die Lufthunde. De Man hat den Versuch des Lesens, das vor der Nichtigkeit der Literatur nicht zurückschreckt, in seiner Uneindeutigkeit, seinen Blindheiten aber auch seinen Erkenntnismöglichkeiten beschrieben: »Lesen bedeutet zu verstehen, zu fragen, zu wissen, zu vergessen, zu löschen, zu entstellen, zu wiederholen – mit anderen Worten, Lesen ist die endlose Prosopopöie, durch die den Toten Gesicht and Stimme verliehen wird, mit der sie die Allegorie ihres Hinscheidens erzählen und wodurch wir die Möglichkeit haben, sie unsererseits anzusprechen.«171
Lesen kommt nicht ohne die Fehlleistungen aus, denen es sich verdankt. Liegt seine Versicherung nicht in Begriffen des Inhalts, des Sinns und des Verständnisses, verschiebt sich, so lässt sich zunächst sagen, sein Verstehen auf die Frage nach seiner Struktur. »To read on the basis of the unreadable would be […] to ask not what the unreadable means, but how does the unreadble mean? Not what is the meaning of the letters, but in what way do the letters escape meaning? In what way do the letters signify via, precisely their own in-significance?«172 169. »I have lost silence, and the regret I feel over that is immeasurable. I cannot describe the pain that invades a man once he has begun to speak.« (Blanchot, Death Sentence, S. 33) 170. Behler schreibt: »Es geht doch darum, das ›In-Between‹, die Phase der Allegorie, der Ironie und des Schreibens (écriture) nicht als bloße Übergangsphase oder als bloßen Verlust von Sinn zu denken, sondern als die Existenzweise von Sinn und den angemessenen Ort unser Wirksamkeit anzuerkennen.« (Ironie und literarische Moderne, S. 308) Vogl erkennt in diesen raum-zeitlichen Bedingungen einer Lektüre die Spezifik einer intransitivischen Literatur, die sich nach Roland Barthes als »verfehltes Engagement« zu erkennen gibt, um danach den Bedingungen ihrer eigenen Ohnmacht zu entkommen. Vgl. Vogl, Ort der Gewalt, S. 1. Verweilen wir noch etwas, bei der Geste des Zögerns, bevor wir die Provokationen der Frage Vogls aufnehmen. 171. De Man, »Shelleys Entstellung«, S. 176 172. Felman, »Turning the Screw of Interpretation«, S. 143
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Die Frage nach der Struktur betrifft sowohl die Möglichkeit zu bedeuten, wie auch jene, nicht zu bedeuten. Wie können wir Lachen lesen? Sicherer als in der Metaphorik eines instabilen Raumes, der im Bau bleibt – kann man mit Kafka sagen – der sich stets auch als Abbau erweist, kann die Struktur von Lesen als eine Frage von Zeitlichkeit verstanden werden. Zeit bleibt ontologische Bedingung einer Epistemologie des Lesens. Weniger ist Lesen Zeit als Anschauungsform oder innere Erfahrung im Sinne Kants geschuldet, vielmehr ist Zeitlichkeit im Lesen nichts anderes als der textliche Vorgang selbst. Lesen/Schreiben – wie wären sie an dieser Stelle zu unterscheiden? – wird an dieser Stelle spezifisch in der Frage seiner Geschwindigkeit. Während Freud die Hermeneutik der Psyche in der Statik einer begrenzten Guckkastenbühne als griechische Tragödie inszeniert, ist das Theater bei Kafka dynamisiert. Es ist zugleich eine Rennbahn; oder eine Zirkusmanege, in der man zwar nur im Kreis reiten, aber auch in die Luft springen kann. Lesen wir Kafkas raum-zeitliche Fluchtversuche als Allegorien des Schreibens, liegt seine Artistik nicht nur in der Präzision, sondern auch in der Geschwindigkeit: auf und davon. Ein Tempo, dem wir paradoxerweise nur folgen können, wenn wir Lesen als Geste der Verzögerung vollziehen. Darin wäre ein Unterschied im Verhältnis von Lesen und Schreiben zu erkennen. Schnell lässt sich schreiben, Schreiben ist schnell, Lesen langsam.173 Wir laufen Kafka hinterher. Aber auch die Paradoxie ihres Verhältnisses ist hier zu erblicken: Um ihn zu treffen, müssen wir langsamer werden; wir müssen aber auch versuchen, ihn zu überholen, wenn wir ihn ihm Verstehen nicht verpassen wollen. Lesen muss langsam und schnell sein. Damit ist aber der Unterschied von Lesen und Schreiben, als eine Frage von Geschwindigkeit, selbst dekonstruiert. So verstehe ich de Mans Pascal-Zitat, das der englischen Ausgabe der Allegorien des Lesens vorangestellt ist: »Quand on lit trop vite ou trop doucement on n’ entend rien.«174 173. In einem autobiographischen Epilog zu ihrem stupidity-Aufsatz schreibt Ronell: »Writing has been many things for me, and I shall never really know how to name it, except by pet names and metonymies, by different experiences of nausea and mania – a friend has said that, for him, writing is the experience of mania where reading marks the experience of mourning.« (»The Uninterrogated Question of Stupidity«, S. 17) 174. Gerechtigkeit, Recht und Richtigkeit also Ethik und Erkenntnis, sind alles Fragen von Geschwindigkeit. Zur Zeitlichkeit von Dummheit schreibt Ronell: »Obwohl sie andauernd mit Langsamkeit assoziiert wird, der endlosen Frustration des Nicht-Vorankommens, bewegt sich Dummheit in der Tat zu schnell.« (»Die Politik der Dummheit: Musil, Dasein, der Angriff auf Frauen und meine Erschöpfung«, S. 58) Zurückgehen oder Nicht-Vorankommen ist dabei nicht nur ein Merkmal von Kafka-Lektüren, sondern zunächst von Kafkas Texten und ihren Helden selbst; am prominentesten: Josef
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Die Kunst des Lesens liegt nicht in der mittelmäßigen Geschwindigkeit, sondern jedes Tempolimit muss über- und unterboten werden. Lesen muss eine Ungleichzeitigkeit in Szene setzten. Allegorie und Ironie als Figuren der Zeitlichkeit sind dieser Ungleichzeitigkeit geschuldet. Die Zeitlichkeit ironischer Allegorien ist es, die sich als einzige textliche Voraussetzung in einer Lektüre Kafkas bietet. Ihnen droht stets der Abbruch im Lachen. Über die Lufthunde heißt es, »[…] und trotzdem sie sich, was bei einem solchen Lotterleben selbstverständlich ist, durch Geisteskraft nicht besonders auszeichnen und ihre Philosophie so wertlos ist wie ihre Beobachtungen und die Wissenschaft kaum etwas davon verwenden kann und überhaupt auf so jämmerliche Hilfsquellen nicht angewiesen ist, trotzdem wird man, wenn man fragt, was die Lufthunde überhaupt sollen, immer wieder zur Antwort bekommen, daß sie zur Wissenschaft viel beitragen. »Das ist richtig«, sagt man darauf, »aber ihre Beiträge sind wertlos und lästig«. Die weitere Antwort ist Achselzucken, Ablenkung, Ärger oder Lachen […]«175
066 Viagra und Antibabypille Wenn Verstehen die Befriedigung des Ankommens (Kommens) ist, (eine Antwort bekommen) ist Kafka überhaupt noch nicht gekommen, er kommt noch, er ist noch nicht angekommen.176 »Seine Literatur ist keine Reise in die Vergangenheit; sie ist die Literatur unserer Zukunft.«177 Seine Texte sind in einer Weise gegeben, in der es beim noch nicht Angekommen bleibt; bei der Vorlust. Darin liegt seine verK. und K. Vielleicht, so beendet Ronell ihren Text zur Dummheit, erinnert die Dialektik von zu schnellem Urteil als Dummheit und einem Urteil, das alle Komplikationen in Betracht zieht und nicht mehr dumm wäre, zuletzt an die konstitutive Voreiligkeit des Urteilens selbst: »Aber wäre es nicht möglich, daß jegliches Urteil konstitutiv voreilig ist, der Gerechtigkeit, der es Folge leistet, immer voraus?« (Ebd., S. 73) Virilio bedenkt diese Frage im Zusammenhang neuer Technologien. Technische Erneuerungen geschehen immer im Namen von Geschwindigkeit. Wäre Zögern ein Zeitgewinn, ist Zeitverlust vielmehr ein Effekt von Technik, die in der Ideologie von Freizeit scheinbar wiederkehren sollte. Was in dieser Ökonomie verloren geht, ist gerade die Möglichkeit, daß in der Langsamkeit Zeit gegeben wird. (Vgl. hierzu Rasender Stillstand) 175. Kafka, »Forschungen eines Hundes«, S. 67f. 176. Zu den zeitlichen Konsequenzen der Figur des Ankommens, vgl. Anders, S. 20ff. 177. Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 115. Diese Frage wäre selbstverständlich an die ganze Problematik der Briefe zu richten, die in dieser Arbeit außer Acht gelassen wird. Kafkas Briefsorgen, die Ankunft betreffend, sind bekannt.
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führerische Impotenz: Kafka ist noch nicht gekommen.178 Gerade seine »Impotenz« wird zur perversen Provokation – oder kastrierenden Kastration. Diese in der Rezeption zu Kafka auffindbare Figur ist ebenfalls seinen Texten eingetragen. Im Register einer seit Freud bekannten Analogisierung von Sexualität und Narration verweigern Kafkas Texte die Befriedigung der Endlust.179 Ein Textbegehren, das sich als ewige Vorlust inszeniert. Eine Lust, die als Lust nicht zum Ende führt, anhaltende Lust: Lust nach Lust. Der Abschluss von Narration ist dabei nicht nur eine Frage der unvollendeten Romane, sondern auch der »vollendeten« Erzählungen, wie am Beispiel der Strafkolonie zu zeigen sein wird,180 oder nur einzelner Sätze. In diesem Sinne ist Kafkas Literatur eine perverse, oder eine homosexuelle, oder die eines Junggesellen, wenn die Perversion des Junggesellen jene des Homosexuellen noch übersteigt, in dem Maße, wie es bei der Vorlust bleibt, und eine Ödipalisierung verweigert wird.181 Kafka betreibt eine ungeheure Defamiliarisierung. Ihr Tabubruch ist die Parodie der Vaterspra178. 1958 heißt es in der gedruckten Fassung von Beißners Vortrag zu Kafka: »Er ist noch gar nicht angekommen: dieses recht Kafkaische Mißgeschick, wie es den Gestalten seiner Erzählungen je und je widerfährt, waltet auch über seinem Nachruhm.« (Kafka. Der Dichter, S. 5) Ich würde immer noch sagen: Kafka ist noch gar nicht angekommen. Friedrich schrieb 1956, »Manchmal scheint es, als ob modernes Dichten nur ein Notieren von Ahnungen und blinden Experimenten sei, aufbewahrt für irgendeine Zukunft, in der hellere Ahnungen und geglücktere Experimente sich an ihm entzünden könnten. Überall ein Zur-Verfügung-Stellen von etwas, worüber jetzt noch nicht verfügt werden kann.« (Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik. Von Baudelaire bis zur Gegenwart, S. 130) Eine Aussage, die Kobs in seiner Lektüre mit gutem Grund auf Kafka bezieht, obwohl Kafka ein ›ausgeprägter Prosaiker‹ ist. (Vgl. Kobs, S. 10f.) 179. In dieser Analogisierung ist Sexualität im psychoanalytischen Diskurs keineswegs eine stabile Größe die normativ funktionieren könnte, darauf hat u.a. Felman hingewiesen: »sexuality is essentially the violence of its own non-simplicity.« (Felman, »Turning the Screw of Interpretation«, S. 111) 180. Symptomatischerweise war Kafka mit den Schlüssen seiner Erzählungen oft nicht zufrieden, im Fall der Strafkolonie hielt er ihn für ›Stückwerk‹; aber auch das Ende von »Die Verwandlung« gefiel ihm nicht. Vgl. hierzu auch Bernheimer, S. 186f. 181. Der Status des Freud’schen Paradigmas ist in dieser Hinsicht bekannterweise ambivalent, insofern die Figur des Perversen paradoxerweise sowohl einem System der Normalisierung als Bedingung dient, soweit der Perverse nur als Kranker intelligibel wird, wie es gleichzeitig auch einen perversen Blick erlaubt, unter dem das System seinen Fetischcharakter verliert. Dennoch: in dieser Lokalität läge der strategische Vorteil unvollständiger Narrationen, multipler Narrationen, endloser Narrationen, Nicht-Narrationen. Vgl. hierzu Morrison, »End Pleasure«, Bersani, The Freudian Body und Roof, Come as you are
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che: des Gesetzes.182 Kafkas Texte werden zu »gescheiterten« Narrationen, zu abgebrochenen Allegorien. Daraus ergibt sich das Provisorische jeder Arbeit zu Kafka. Alles zu Kafka muss provisorisch sein, wenn seine Literatur noch nicht angekommen ist,183 wenn eine Lektüre versuchen will, dieser Frage gerecht zu werden und nicht unbedenklich im Namen des Vaters ihr Gesetz errichtet.184 Komischerweise muss gerade die Notwendigkeit des Provisorischen ernst genommen werden: als eine Frage von Endlichkeit. Kafka zu verstehen, wird zu einer Frage des Zukünftigen. Einer Zukünftigkeit, die in radikaler Disjunktion zur Gegenwart liegt, weil eine Gegenwart sie noch nicht als anderes am Horizont einer Teleologie im Auge hat. In der Unleserlichkeit wartet das Versprechen einer zukünftigen Erklärung. Im Lachen ist es zu hören. Nietzsche sprach von einer Zukunft des Lachens … Noch nicht angekommen zu sein, heißt bei Kafka auch, vor dem Gesetz auf diese Weise: Noch nicht geboren: »Noch nicht geboren und schon gezwungen zu sein, auf den Gassen herumzugehen und mit Menschen zu sprechen.«185 Die unmögliche Ungeborenheit, von der auch Nietzsche sprach, wird bei Kafka angeschrieben. Die Sprache der Literatur ist auf der Suche nach einer Sprache, die der Literatur vorhergeht. Einerseits wird Schreiben zur Geburt, wie Kafka in seinen die Niederschrift des Urteils beschreibenden Tagebuchseiten deutlich sagt; aber zu einer Geburt, deren Traumatik nicht verloren geht. Einer Geburt, die nicht gelingt: Die Geste der Geburt ist im Schreiben begleitet von jener, sie wieder rückgängig zu machen. Eher entwickeln seine Geschichten eine Ästhetik des Geborenwerdens, das den Zustand des Ungeborenseins nicht aufgeben will, als des Geborenseins. Von der Frage der Präsenz sind sie verschoben zum Geben einer Präsenz, das ein Geben oder Versprechen ist und darin eine Beziehung zur Zukünftigkeit unterhält. Beinahe, als wäre noch nichts geschehen. Trotz aller Kommentare lässt sich sagen: Kafkas Texte bleiben folgenlos, wir lachen. Anstatt eine Genealogie zu erzeugen, werden sie bezeugt. Meisterdiskurse müssen nicht bezeugt werden, sie zeugen ihre Schüler. 182. Eine genauere Lektüre der Texte »Das Urteil« und »Brief an den Vater« könnte diese Aussage weiterführen. V.a. Deleuze und Guattari haben dieser Frage Aufmerksamkeit geschenkt. 183. Ronell schreibt: »But will it have been possible for Kafka to receive his due? Has he begotten what’s coming? The nuclear desire of which the Kafkan corpus is an indicator remains unspoken, […]« (»Doing Kafka in The Castle: A Poetics of Desire«, S. 184) 184. Zum Verhältnis von Monstern und Vätern innerhalb oder jenseits einer familiären Namensökonomie, vgl. Hamacher, »Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«, S. 298ff. 185. Kafka, Tagebücher 1914-1923, S. 225
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067 Dumm oder verrückt? Kafka tritt nicht ein in die Funktion einer Literatur der Meister. Er wird nicht zur phantasmatischen Gestalt, wie Goethe, dessen Geist nach Eckermann, Nietzsche und Freud auch Kafka heimgesucht hat.186 Kafkas Angst vor Goethes killer-texten (Ronell) ist bekannt. In einer Tagebucheintragung vom 31.1.1912 heißt es: »Nichts geschrieben. Weltsch bringt mir Bücher über Goethe, die mir eine zerstreute, nirgends anwendbare Aufregung verursachen. Plan eines Aufsatzes ›Goethes entsetzliches Wesen‹. Furcht vor dem 2stündigen Abendspaziergang, den ich jetzt für mich eingeführt habe.«187
Goethes »entsetzliches Wesen« lag für Kafka in der Angst, dass die deutsche Sprache mit ihm zu einem Abschluss gekommen sei. »Goethe hält durch die Macht seiner Werke die Entwicklung der deutschen Sprache wahrscheinlich zurück.«188 Kafkas Frage: Wie soll man nach Goethe schreiben? In der nächsten überlieferten Eintragung aus den Tagebüchern dieser Zeit, heißt es unter dem Datum des 4.2.1912: »Der mich ganz durchgehende Eifer mit dem ich über Goethe lese (Goethes Gespräche, Goethes Studentenjahre, Stunden mit Goethe, Ein Aufenthalt Goethes in Frankfurt) und der mich von jedem Schreiben abhält.«189
Etwas früher in denselben Aufzeichnungen hieß es schon: »Ich glaube diese Woche ganz und gar von Goethe beeinflußt gewesen zu sein, die Kraft dieses Einflusses eben erschöpft zu haben und daher nutzlos geworden zu sein.«190
Über die Figur des Schriftsteller der Moderne, und dabei denkt er vor allem an Kafka, schreibt Maurice Blanchot: »Um zu schreiben, muss er die Sprache in der Gestalt, in der er sie vorfindet, zertrümmern und sie in einer anderen Form verwirklichen.«191 Kafkas Texte arbeiten am Abbau. Kafkas Texte, die 186. Vgl. hierzu Ronell, Der Goethe-Effekt. Goethe – Eckermann – Freud. 187. Kafka, Tagebücher 1912-1914, S. 28 188. Kafka, Tagebücher 1909-1912, S. 247 189. Kafka, Tagebücher 1912-1914, S. 29. Zu Schreiblähmungen und anderen Effekten nach einer Goethe-Injektion, noch einmal der Hinweis auf Ronells, Der Goethe-Effekt. Zur Funktion von Goethes Sprache hinsichtlich der Konzeption einer kleinen oder minderen Literatur siehe auch Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, insbes. S. 26ff. 190. Kafka, Tagebücher 1912-1914, S. 21 191. Blanchot, »Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 23
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noch nicht angekommen sind, inszenieren, um sich zu verwirklichen, eine Ästhetik des Verschwindens. Vom Kleinsten zum Kleinen, zur Nichtigkeit der Literatur, zum Lachen. Adorno hat in dieser Bewegung die Gefahr der Regression erkannt, die sich auf das Gestaltlose und Namenlose zurückzieht.192 Eine Unintelligibilität, die dem kritischen Denken droht, das sich diesem zuwendet.193 Aber diese Gefahr ist nicht nur eine Drohung, sie ist im Lesen auch unvermeidlich. Sie ist auch ein Wunsch: Nicht in den Kafka-Korpus einzudringen, kein Mark, keine thematische Narbe (Pepper) hinterlassen, auf der Schwelle der Scham zu verharren. Wie über Kafka schreiben? (Ist Zögern die einzige Geste, die bleibt, nach allen anderen, zu schnellen, zu vielen, Interpretationen? Aber kennen wir ein Maß, das diesen Satz erlaubte, was wäre das Maß eines Zuviel oder Zuschnell? Müssen wir deshalb bei der Vorläufigkeit eines vielleicht verharren?) Wie wäre dem Trauma von Kafkas Literatur gerecht zu werden, das Blanchot in seiner Negativität als Reinheit versteht.194 Was wäre, wenn die Möglichkeit auf Kafka zu antworten, verwehrt ist, das Denken seinen Ernst verliert, wenn es sich Kafkas Literatur zuwendet und zum Lachen führt?195 192. Adorno sieht hier eine Gefahr der Kafkaschen Texte hinsichtlich ihrer Intelligibilität, »[…] indem er unerbitterlich das Unterscheidende sich verbietet, die Kraft zur Unterscheidung einbüßt und von derselben Regression bedroht wird, über die Kafka als Darstellungsmittel so souverän verfügt, vom Vieldeutigen, Amorphen, Namenlosen.« (»Aufzeichnungen zu Kafka«, S. 343) Ist die Ambivalenz von Kafkas Wunsch, sein Werk zu zerstören, ebenfalls in diesem Zeichen zu lesen? Wäre diese paradoxe Geste eine Fortführung des semantischen Abbaus, den die Texte selbst betreiben, also ihre konsequente Verwirklichung? 193. Am Grunde dieser Bedrohung wartet das Diktum des sokratischen Humanismus‹, daß das unbefragte Dasein, nicht lebenswert wäre. (Vgl. hierzu Christopher Norris, Paul de Man, S. 125) 194. Bei Blanchot heißt es, »[…] die Literatur ist nicht nur illegitim, sondern nichtig, und diese Nichtigkeit bildet vielleicht, vorausgesetzt, sie wird im Reinzustand isoliert, eine außerordentliche, wunderbare Kraft.« (»Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 12) 195. Diese Möglichkeit ist ernstzunehmen. Bernheimer schreibt in einer bewundernswürdigen Passage. »I have no time to stop and laugh at my predicament or to be amused by my distorted image in a fake mirror. Perhaps I am afraid that if I do look at the grotesque image, the absurdity of the mission will overwhelm me and I will no longer be able to take my surveying task seriously. Will I than be lost, or mad, or saved? Lost professionally, that much is certain, since I will never complete my work, this book. If my sanity were closely bound up with my professional identity […], then the loss of that centering focus might result in madness. But maybe what I conceive as madness is
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Lachende Schrift I: Eintragungen
Verlangen Kafkas Texte einerseits diesen Rückzug, als ethische Geste gegenüber der eigenen Gewaltlosigkeit, zu dem Preis keine Aussagen mehr zu treffen sind, führen sie andererseits in ihrer Verschlossenheit zum Wiederlesen auf und setzten die ironische Spirale des Denkens wieder und wieder in Gang. Auch auf diese Weise führen sie zum Lachen. Lachen über Kafka und Lachen über sich selbst beim Lesen Kafkas. Lachen über sich selbst ist nicht nur, wie Baudelaire wusste, Zeichen des Philosophen, sondern auch Zeichen der Verrückten. Lesen, das vor dieser Bewegung nicht zurückschreckt, droht zum Delirium zu werden. Aber wer die Angst vor dem Verrücktsein verliert, ist frei, schreiben Deleuze und Guattari und wiederholen damit Schlegels Idee von Ironie als unendlicher subjektiver Freiheit. Adorno sah im Aufgeben der aristotelischen Tugend des Maßhaltens in der Figur der Übertreibung die Bestimmung des Denkens.196 Über den Gedanken schreibt er: »Ihm ist wesentlich ein Element der Übertreibung, des über die Sachen Hinausschießens, von der Schwere des Faktischen sich Loslassens, kraft dessen er anstelle der bloßen Reproduktion des Seins dessen Bestimmung, streng und frei zu gleich, vollzieht.«197
In der Übertreibung wartet eine Freiheit, von der wir getrennt leben müssen. Kafka schreibt, es gibt Hoffnung, nur nicht für uns. Die Lektüre von Kafkas Texten muss zur maßlosen Übertreibung einerseits werden und sich dem wiederholten Zusammenbruch andererseits aussetzen. Über- und Untertreibung benennen die Grenzen des theoretischen Diskurses; es sind die Orte des Lachens. Die Lektüre spielt sich ab actually liberation, the freedom to laugh at being lost amid multiple metaphors of myself. Much contemporary thought associates this kind of laughter with Nietzsche, although, as I pointed out earlier, Nietzsche himself does not consider total liberation from any and for a center to be humanly possible. Neither does Kafka, as I read him. But Kafka does suggest that a certain degree of ironic distance from the obsessive involvement with interpretation is necessary to lighten the burden of loss that oppresses the allegorical world. According to K.’s assistant Jeremiah, he and Arthur were explicitly sent by Klamm’s deputy Galater in order to cheer K. up since he was taking everything too seriously.« (Flaubert and Kafka, S. 221) 196. Über die Figur der Maßhaltung bei Aristoteles, siehe Adorno, Minima Moralia, S. 179 197. Adorno, Minima Moralia, S. 164f. Etwas später heißt es ebd.: »Denn der Gedanke muß über seinen Gegenstand hinauszielen, gerade weil er nicht ganz hinkommt, und der Positivismus ist unkritisch, indem er das Hinkommen sich zutraut und bloß aus Gewissenhaftigkeit zu zaudern sich einbildet.« (S. 166)
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zwischen der Verrücktheit eines Denkens und der Einfältigkeit des Dummen. Für die Toren, Kafkas Lieblinge, gibt es Hoffnung schreibt Walter Benjamin, als Antwort auf Kafkas Satz, es gibt Hoffnung, nur nicht für uns. Denken wird zu einer Grenzbewegung, das seine eigene Endlichkeit nicht vergessen kann. Das sich den Gefahren, Genüssen und der Freiheit übergibt, die an seinen Grenzen wartet, die es weder ignorieren noch kontrollieren kann. Es kann nur anhalten, zurückgehen und von vorne beginnen. Gelingt es den Ironien und Allegorien sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen, droht ihnen zugleich Dummheit oder Maßlosigkeit. Gelingt es, diese nicht zu verwerfen, sondern als notwendige Momente von Textarbeit hervor zu treiben, können sie als Orte der Kritik, gegenüber einem theoretischen Wissen, das sich allzu sicher einrichten wollte, aktiviert werden. Zwei Strategien zeichnen sich ab: Ironie ist textuell zu verfolgen, bis sie zur Ironie der Ironie wird und zum Lachen führt, was nur über strenge Textarbeit gelingen kann; oder wir setzten uns dem Einfältigen und Dummen aus, das als Unterbrechung des Denkens immer wieder einschreitet und dabei ebenfalls zum Lachen führt, und versuchen es zum Sprechen zu bringen, als Figur der Endlichkeit, sowohl des literarischen, wie des literaturtheoretischen Diskurses. Maßlosigkeit und Armut: Im Lachen werden sie ununterscheidbar.198 Kafkas Literatur ist kein Meisterdiskurs, in der Geste des Entzugs verweigert sie die Antwort. Seine Rückkehr ist die von einem Geist, der nicht zur Ruhe kommt und uns wieder heimsucht. Benjamin schreibt über die Texte Kafkas, »Das Geistige, sofern es noch eine Rolle spielt, wird zu Geistern.«199 Die Lektüre ist eine Heim-suchung, von der Ronell schreibt, sie erlaubt Besuche, ohne sich dabei einzurichten, als wäre es ein Zuhause.200 »The relation to understanding begins, when you leave home.«201 Geister sind still, schreibt Felman.202 Vielleicht lachen sie. Sie bewegen sich in der Trauma-Zone unendlicher Wiederholungen.
198. Zur Indifferenz eines Lachens in seiner Beziehung zum kritischen Diskurs, vgl. auch Adornos »Versuch, das Endspiel zu verstehen« 199. Benjamin, Über Kafka, S. 30 200. Vgl. Ronell, Der Goethe-Effekt, S. 9-17 201. Ronell, »The Rhetoric of Testing«, S. 45 202. Siehe Felman, »Turning the Screw of Interpretation«, S. 14
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Auf der Schwelle
Auf der Schwelle 2.1. Erster Besuch in der Strafkolonie »F. Kafka […] beschreibt einen Torturapparat und die pathologische Liebe seines Erfinders zu demselben vermutlich soll das eine psychol. Studie sein, man weiß es nicht recht, da das Buch zu langweilig ist, um zum Nachdenken oder Einfühlen anzuregen.«1 »Ihr müßt nicht fragen, was das soll. Das soll gar nichts. Das bedeutet gar nichts. Vielleicht gehört das Buch auch gar nicht in diese Zeit, und es bringt uns sicherlich nicht weiter. Es hat keine Probleme und weiß von keinen Zweifeln und Fragen. Es ist ganz unbedenklich. Unbedenklich wie Kleist.«2
1. So eine Kritik im Jahresbericht des Dürerbundes, München 1920f., S. 118. Zitiert bei Born, »Franz Kafka und seine Kritiker (1912-1924). Ein Überblick«, S. 153 2. Tucholsky über Kafkas »In der Strafkolonie« am 3. Juni 1920 in der Weltbühne. Zitiert in Born, Franz Kafka. Kritik und Rezeption zu seinen Lebzeiten 19121924, S. 96. Tucholsky lobte Kafka im Übrigen und verglich »In der Strafkolonie« mit Kleists »Michael Kohlhaas«. Er ist ein Beispiel dafür, dass die zeitgenössische Kritik Kafka gegenüber treffsicherer war als die späteren Auslegungen. Zu dieser Frage siehe Galle, »Zur Kafka-Rezeption«, insbesondere S. 199f. Jacob verfasste schon 1913 eine bewundernswürdige Kritik zum »Heizer«: »Ich habe diese Novelle dreimal gelesen, weiß weder aus noch ein und bin glücklich, daß mich die Macht eines großen Dichters wahrscheinlich für immer in diesem urteilsschwebenden Zustand verharren lassen wird. Denn Ironie und Nichtironie, Sinn und Nicht-Sinn seiner Novelle – anfangs scheinen sie wild auseinanderfahrende, sich ausschließende Linien zu sein – sind in Wahrheit Parallele, die (sagt nicht die zauberischste Wissenschaft Mathematik so?) sich in der Unendlichkeit schneiden. Die Unendlichkeit, Gott: sie werden wissen, wie die vierzig Minuten des Karl Roßmann gerechtest zu wägen, und wie granweise hier Scherz und Ernst zu bemessen sind; wir wissen es nicht. Und davon, daß Gott und die Unendlichkeit es wissen, wir aber nicht, leite ich das unendliche und göttliche Gefühl ab, das man beim Lesen dieser Novelle empfindet.« (Zitiert bei Born, Franz Kafka. Kritik und Rezeption zu seinen Lebzeiten 1912-1924, S. 43)
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046 Vor-lesen Die frühen Kritiken zu Kafkas »In der Strafkolonie«, einem seiner meistrezipiertesten Texte,3 dokumentieren eine Ratlosigkeit, die heiter angenommen oder mit Ärger abgewehrt wurde. Sehr deutlich wurde die zweite Haltung in München am 10. November 1916 in der Galerie Goltz, während der einzigen öffentlichen Lesung, die Kafka jemals außerhalb von Prag hielt. Nicht nur Unverständnis, auch Abscheu und Entsetzen waren die Reaktionen.4 Weniger abweisend ging es vermutlich knapp zwei Jahre zuvor zu, als Kafka am 2. Dezember 1914 seine Erzählung im Freundeskreis vorgelesen hatte: »Nachmittag bei [Franz] Werfel mit Max [Brod] und [Otto] Pick. ›In der Strafkolonie‹ vorgelesen, nicht ganz unzufrieden, bis auf die überdeutlichen unverwischbaren Fehler.«5
Weitere Reaktionen sind nicht genannt. Im deutlichen Unterschied zur öffentlichen Reaktion aber berichtet Brod anlässlich eines anderen Treffens im privaten Kreis der Freunde, denn dabei ging es um die komischen Momente beim Vorlesen. »Wenn Kafka selber vorlas, wurde dieser Humor besonders deutlich. So zum Beispiel lachten wir Freunde ganz unbändig, als er uns das erste Kapitel des ›Prozeß‹ zu Gehör brachte. Und er selbst lachte so sehr, daß er weilchenweise nicht weiterlesen konnte. – Erstaunlich genug, wenn man den fürchterlichen Ernst dieses Kapitels bedenkt. Aber es war so.«6 3. Der Text gehört zu den wenigen, die zu Lebzeiten Kafkas, d.h. also von ihm autorisiert, veröffentlicht wurden. Er erschien 1919 bei Kurt Wolff. Die Kritiken waren zunächst überwiegend ablehnend, mit der bereits erwähnten Ausnahme von Tucholskys Besprechung in der »Weltbühne«. Kaiser lieferte 1931 die erste psychoanalytische Lesart Kafkas am Beispiel der Strafkolonie, (»Franz Kafkas Inferno«) bevor seine Texte in den 30er Jahren in Deutschland nicht mehr erscheinen konnten. Erst als Teil der Erzählungen erschien »In der Strafkolonie« mit der Veröffentlichung der Gesamtausgabe in der Bundesrepublik 1951. (Vgl. hierzu Wagenbach, Franz Kafka. In der Strafkolonie, S. 63f.) 4. So ist es erwähnt, in Brods Kafka-Biographie. Vgl. dazu Deleuze, »Humor, Irony and the Law«, S. 85f. Vgl. dazu auch die bei Wagenbach erwähnten Rezensionen in der Münchner Presse (Wagenbach, Franz Kafka. In der Strafkolonie, S. 62. Diese Reaktion ist auch charakteristisch für die weitere Rezeption der Geschichte. So heißt es etwa bei Emrich: »Unmenschlich ist nur die menschliche Welt. […] Dieser Satz wird auf eine wahrhaft entsetzenerregende Weise durch die wohl grausigste Erzählung Kafkas verdeutlicht, durch die Erzählung »In der Strafkolonie«. (Emrich, S. 220) 5. Kafka, Tagebücher, S. 444 6. Brod, Franz Kafka. Eine Biographie, S. 217
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Weiter heißt es: »Gewiß, es war kein durchaus gutes behagliches Lachen. Aber eine Komponente guten Lachens war mit dabei, – neben den hundert Komponenten der Unheimlichkeit, die ich nicht verkleinern will.«7
Lassen wir Brods Spekulationen über den Charakter dieses Lachens beiseite and stellen lieber die Frage, wie diese unterschiedlichen Reaktionen auf Kafkas Texte zu bewerten sind. Könnten wir Kafkas Erzählung »In der Strafkolonie« mit Recht als einen komischen oder ironischen Text verstehen?8 Lachen wir beim Lesen? Selbst wenn wir die Beschreibungen Brods über das Vorlesen and Zuhören des Proceß‹ im Freundeskreis auf die Strafkolonie übertragen könnten, und somit als allgemein für seine Literatur annehmen würden, was wäre demzufolge der Status eines solchen Ausgangspunkts?9 Dentan fragt in Bezug auf Brods Zeugnis von Kafkas Lachen zu Recht: »Mais quelles conclusions ce témoignage autorise-t-il?«10 Welche Schlüsse wären daraus für eine Literatur und ihre Lektüren zu ziehen? Zumal, wie die anfänglichen Hinweise dokumentieren, die Kafka-Forschung die Frage des Lachens nicht gerade als zentral bestimmte. Schon sehr früh wurde »In der Strafkolonie« im Zusammenhang mit Kafkas ›Strafphantasien‹ gelesen,11 und es kann nicht gesagt werden, dass Kafka eine solche Lektüre verhindert hätte. Vielmehr ist bekannt, dass er 7. Ebd.; weitere Hinweise zu Kafkas Lachen, wie es in den Selbstzeugnissen dokumentiert ist sind bei Petr zusammengetragen. Vgl. ebd. S. 14ff. 8. Erst in jüngerer Zeit konnte die Kafka-Forschung wieder die komischen Züge der Geschichte lesen. So z.B. Thiher, der schreibt: »A German proverb holds that he who does not obey must feel, and Kafka’s rather literal application of this lesson points to the derisive, almost ›camp‹ side of the enactment of punishment as ritual murder.« Er fährt fort: »One may have to remind oneself at times that Kafka is a comic genius. It is, however, this comic sense that is at work forcing us to interpret the story at once in terms of the most banal proverbs and the great monuments of our cultural history, in terms of the Bible or at least the biblical overtones found throughout the story.« (S. 54) Im weiteren Verlauf, spricht Thiher von ›black comedy‹ und ›farce‹. Petr liest »In der Strafkolonie« als komischen Text und nimmt dabei Bezug auf Bergsons Theorie des Komischen als Überdeckung des Lebendigen durch Mechanisches, sowie auf Ritters Idee des Komischen als ausgegrenztes Nichtiges. Vgl. Petr, S. 130. Für eine Kritik an Petr vgl. auch Abschnitt 063 dieser Arbeit 9. Weitere Hinweise für ›Kafkas Komik‹ sind bei Petr zu finden. V.a. S. 9-78 10. Dentan, Humour et création littéraire dans l’oeuvre de Kafka, S. 10 11. Vgl. hierzu Kaisers, »Franz Kafkas Inferno« von 1931.
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einmal für die Erzählungen »Das Urteil«, »Die Verwandlung« und »In der Strafkolonie« zusammen den Titel Strafen vorgesehen hatte.12 Die Lieblingsthemen von Kafka-Forschern waren damit vorgeschrieben: ›Schuld‹, ›Masochismus‹, ›Vater‹, ›Religion‹ usw.13 Vielleicht drängen sie sich sogar auf: »L’ancien commandant de la colonie pénitentiaire n’est-il pas le Dieu de l’Ancien testament? Et que représente le nouveau commandant?«14 Ebenso erscheint eine Nähe zur psychoanalytischen Mythologie allzu evident.15 Hiebel fragt weit ausholend: »Geht es um eine historische Parabel oder eine ›subjektive Allegorie‹, um einen symbolischen ›Gesellschaftsroman‹ oder eine apokryphe Privatgeschichte […]? Oder ist der Gegensatz viel weitreichender und stellt die allgemeine, historische Zeit – seit des Moses‹ Rückkehr vom Sinai – der unseren, gegenwärtigen entgegen?«16 12. So ist es in Kafkas Briefen erwähnt. (Briefe, S. 134, zitiert bei Hiebel, S. 144) Vergleiche hierzu auch M. Norris, die einer thematischen Einteilung von Kafkas Werk ebenfalls kritisch gegenüber steht. Norris, »Sadism and Masochism in two Kafka Stories: ›In der Strafkolonie‹ and ›Ein Hungerkünstler‹«, insbesondere S. 430. 13. Zur Lage der Kafka-Forschung schreibt Ronell: »Our task, in conjunction with our assumed title, [»Doing Kafka in The Castle: A Poetics of Desire«, Anm. P.R.] will be to determine how Kafka’s literature does indeed undo a certain determinations that have become associated with his name.« (Ronell, »Doing Kafka in The Castle. A Poetics of Desire«, S. 187) Diese Themen können nicht einfach beiseite geschoben werden, sie bedürfen einer genauen Befragung. In der Kritik dieser Lektüren bieten Ronell, ebenso wie Deleuze und Guattari eine Orientierung. Hiebel schreibt: »Wie meist ergibt sich der moralische Aspekt – und damit die Hauptschwierigkeit der KafkaInterpretationen – aus dem hermeneutischen Rekurs auf die quasi-religiösen und moralischen Sentenzen Kafkas in den Briefen, Notizen und insbesondere den Gesprächen mit G. Janouch.« (S. 150) Eine eigentümliche und besondere Befragung verdienende Rolle spielt in diesem Kontext bekanntlicherweise Max Brod. Zur Frage der kanonischen Themen in der Kafka-Forschung vgl. auch Beicken, S. 24f., der ebenfalls eine sehr gute und umfassende Darstellung der Strafkolonie-Rezeption bis Mitte der siebziger Jahre bietet. Ebd., S. 287ff. Für die Dominanz der hier aufgereihten Schlagworte in der Kafka-Forschung siehe insbesondere auch Beickens Politzer-Lektüre, v.a. S. 119 14. Dentan, S. 79 15. Vgl. hierzu Hiebel, S. 145ff. Ries weist auf die Nähe des Stoffes zu Freuds »Totem und Tabu« von 1913 hin. Vgl. Ries, S. 74. 16. Hiebel, S. 129. Hiebel verfolgt anschließend vier semantische Direktionen, Despotie, neuzeitliche Gesellschaft, Psychologie und Theologie. Vgl. hierzu S. 129ff. Wir gehen einen anderen Weg. Auch Thiher weist darauf hin, dass der Bezugsrahmen der Erzählung immens ist, womit der Zugang zur Geschichte eher erschwert, als erleichtert wird: »What the immediate interpretive context should be is difficult to put
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Pasley hat außerdem darauf hingewiesen, dass sich Kafkas Erzählungen oft dem Wörtlichnehmen von Sprichwörtern verdanken, so auch die Strafkolonie, als Inszenierung von ›einem etwas einprägen‹, ›einem etwas einschärfen‹ und ›etwas am eigenen Leibe erfahren‹,17 und darin einer psychotischen Struktur folgen. Das Spektrum der Interpretationen reicht von weit reichenden Bedeutungen zur engsten Sprichwörtlichkeit. Hiebel schreibt zu Recht: »Die Rätsel, die Kafkas Literatur aufgibt, sind seit Max Brods allegorischen Interpretationen immer wieder eilfertig in Antworten umgemünzt worden.«18 Mit der Frage des Lachens haben diese Antworten zunächst nichts zu tun. Aber die Sicherheit, mit der diese Interpretationen scheinbar auftreten können, verliert sich in ihrer Akkumulation, die als solche für Kafkas Literatur symptomatisch zu verstehen ist, und damit ihren Charakter in den Blick bringt. Bei Hiebel heißt es an anderer Stelle: »Das Vorhandensein minimalster Hinweise auf eine figürliche Bedeutung und die gleichzeitige Unterdrückung deutlicher Indizien der Uneigentlichkeit konstituieren jene Kafkasche Ambivalenz, in welcher Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit in der Schwebe bleiben, eindeutige Auslegung mithin vereitelt wird.«19
Wie verhielte sich dieses Dilemma der Interpretationen einerseits, zum Zeugnis des Lachens, von dem Brod berichtet, andererseits, das seinerseits in der Forschung kaum Berücksichtigung fand und damit bezeugt, dass es zum Charakter des Themas dieser Arbeit gehört, übersehen zu werden, zu verschwinden. Über das Lachen schreibt Bergson, »ein winziges Problem, das einem, wenn man es fassen will, unter der Hand zerrinnt, verschwindet, gar nicht dagewesen ist und sich doch wieder aufwirft.«20 Verweist das Überlesen der Frage des Komischen auf seine Abseitigkeit, habe ich im bisherigen Verlauf der Arbeit versucht, dieses Problem als Symptomatik der KafkaForschung im Zusammenhang einer Rhetorik als Bedingung literarischer Sprache zu bestimmen. Dementsprechend wird der komische, parodistische oder ironische Zug, der sich durch die Geschichte zieht, leicht überlesen, gerade weil es sich dabei nicht um einen roten Faden handelt, sondern um einen Zug des Literarischen, der sich als Entzug herausstellt. Denn der succinctly, since this ›punishment‹ is a parable that takes the history of Western culture as its largest referential framework.« (S. 51) 17. In, Pasley (Hg.), Franz Kafka, Der Heizer – In der Strafkolonie – Der Bau. Mit einer Einleitung von Pasley, S. 20 18. Hiebel, S. 12 19. Ebd., S. 35 20. Bergson, Das Lachen, S. 5
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thematische Status jener ›Themen‹, die hier befragt werden sollen – Lachen und Ironie – steht gerade in Frage. Aber wie kann unter diesen Voraussetzungen eine Annäherung an das Lachen aussehen? Die Erfahrung des Lachens beim Lesen von Kafkas Literatur führte zur Frage der Verfasstheit des literarischen Diskurses. Der literarische Text soll hier nicht genrespezifisch als Witz oder als Komödie untersucht werden, sondern ausgegangen wird von einer für die literarische Sprache spezifischen Rhetorik, über deren referentielle Instabilität ihr konstitutiv eine Komik angehört, die nicht über Fragen von Genre zu erklären ist. An dieser Stelle wende ich das Verfahren der Arbeit. Führte die Frage nach dem Lachen zur Lektüre einer Theorie der Rhetorik, mit der Emphase auf der Figur der Ironie, kann jetzt die Frage nach dem Lachen mit einer ironischen Sprachstruktur der Rhetorik als Apriori wiederholt werden. Lachen, von dem ich ausgegangen bin, steht jetzt in Frage. Was kann unter diesen Voraussetzungen ›Lachen‹ heißen? Indem sich die Lektüre dieser Frage zuwendet, wird das Problem der Ironie, auf das die bisherige Lektüre zusteuerte, intensiviert. Ist die Unsicherheit von Referentialität für Ironie konstitutiv, intensiviert sie sich mit ›Lachen‹ als ›Referent‹. Im Lachen, das mit einer Ironie der Ironie beginnt, dupliziert sich das Problem der Referentialität, ohne dass diese Duplizierung lediglich als Fortsetzung der Ironie verstanden werden kann. Im Verhältnis von Lachen und Ironie ist ein Unterschied eingetragen, insofern sich Ironie nicht zwangsläufig als Lachen artikuliert. In der Negativität des Lachens wird noch die Ironie unterbrochen. Führte die Frage nach dem Lachen über Literatur zu deren ironischem Status‹, übersteigt es diesen wiederum. Um die Frage nach dem Lachen aber überhaupt stellen zu können, und Lachen nicht nur anzunehmen, muss die Ironie der Rhetorik als Apriori der Frage nach dem Lachen verstanden werden. Wenn die Erzählung In der Strafkolonie zunächst weniger als komische oder ironische Geschichte erscheint – verlasse ich mich für den Moment einer Gegenüberstellung auf diese Annahme – was ermöglichte es dennoch, in einer Lektüre von Kafkas Text von einem ›Lachen‹ zu sprechen?21 Das ist eine andere Weise zu fragen, warum Kafkas Komik gerne überlesen wurde. Selbst wenn vorausgesetzt wird, und hier Zitate eingesetzt werden, die ›beweisen‹, dass bei Kafka berechtigterweise die Frage nach dem ›La21. Meine Lektüre überspringt einige thematische Kontexte, die für den Text In der Strafkolonie geltend gemacht werden können. Zur Entstehungsgeschichte und zu den Quellen von Kafkas Erzählung, siehe: Franz Kafka, In der Strafkolonie. Eine Geschichte aus dem Jahre 1914. Mit den neuesten Entdeckungen: Pornographie, Bürokratie, Krieg, hg. von Wagenbach.
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chen‹ ernsthaft gestellt werden kann, wenn so weit gegangen wird, Kafkas Literatur als ›Lachen‹ zu verstehen, muss doch für jeden Text, mindestens für ein paar Sätze, gezeigt werden, worin das Lachen jeweils zu erkennen wäre. Mit welchem Recht, wäre von einem ›Lachen‹ bei Kafka zu sprechen? Wie ist dabei das Verhältnis von Szenen, über die der oder die Lesende lacht, so wie Kafka vielleicht gelacht hat, Szenen im Text, wo vom Lachen die Rede ist, einer Textstruktur, die ironisch genannt werden kann und einer Literatur die möglicherweise selbst als ›Lachen‹ erscheint, zu denken? Einfacher gefragt, in welchem sprachlichen Element lässt sich ›Lachen‹ präziser lokalisieren? 047 Dummer Anfang Spricht ein Text vom Lachen, kann man diese Stellen zum Ausgangspunkt der Frage wählen. Dieser thematische Zugriff ist selbstverständlich, er versteht sich fast von selbst, und selbstverständlich naiv (wenn er sich von selbst versteht, also nicht versteht). Der hermeneutische Imperativ, will er ein Wissen produzieren, muss von dieser ›Dummheit‹, nehmen wir die ironische Struktur von Literatur ernst, ausgehen.22 Dennoch, diese Textteile müssen nicht, (tragen wir einer Ironie als Zugangsbedingung von Literatur Rechnung erscheinen sie sogar willkürlich) können aber als Ausgangspunkte einer Lektüre, die der Frage des Lachens nachgehen will, genommen werden. Dieses Problem lässt sich noch schärfer formulieren: wie ist es möglich, sich methodisch der Frage des Lachens zu nähern, wenn Lachen im Zusammenhang einer Rhetorik verstanden werden soll, deren Einsicht eben gerade ist, dass es keine Sicherheit dafür geben kann, dass an den Stellen, wo vom Lachen die Rede ist, etwas über das Lachen erkennbar wird; steht ja gerade in Frage, ob der Text von dem handelt, was er darstellt, beschreibt oder ausdrückt – oder in welchen Abstand er sich von seiner Referenz rückt, so sehr er sie auch verlangt. Aber wird sich nicht auf dieses Verlangen verlassen, gibt es ein Problem mit dem Anfang. Wie soll die Lektüre eines literarischen Textes verfahren, die sich nicht auf die Kategorie des Themas oder Phänomens verlassen will? Wie geht eine Lektüre mit dieser anfänglichen Unmöglichkeit um, einer unerträglichen Aporie, die zu Beginn und immer wieder droht, das Denken zu lähmen, das sich gerne in der Geste interpretativer Gewalt zur Wehr setzt? In einem anderen Register als dem Rhetorischen, das dieses jedoch berührt, insofern es die Lektüre als Testfall versteht, bemerkten Deleuze und Guattari, dass kein Einstieg besser als ein anderer wäre, denn Kafkas Texte sind ein Labyrinth, nur ohne Ziel (Hiebel), ein Rhizom, ein Bau. Wäre demnach jede beliebige Textstelle als Einstieg zu testen? 22. Felman nennt diesen Zugang auch ›vulgär‹. Vgl. Felman, »Turning the Screw of Interpretation«, S. 108
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De Man erwähnt dieses Problem hinsichtlich der Befragung der Figur ›Lesen‹ in seiner Proust-Lektüre. Will man Hinweise für ein Thema bekommen, das nicht thematisch behandelt werden soll, muss man möglicherweise ganz woanders hingucken. Bei de Man heißt es dazu: »Diese sich im Kreis drehende Schwierigkeit sollte uns jedoch nicht davon abhalten, den Passus über wirkliches Lesen zu befragen, und sei’s auch nur, um herauszufinden, ob sie für sich exemplarischen Anspruch erhebt oder nicht.«23
Mit dem Zweifel an der referentiellen Identität eines Textes stellt sich anfänglich ein Problem der Exemplarität. Die Kontinuitätsbeziehung zwischen Beispiel und Thema ist unterbrochen, wenn Sprache nicht als Symbol verstanden wird. Weiter heißt es bei de Man: »Die Ungewißheit, […] schafft eine Stimmung des Mißtrauens […]«24 Wir haben zwei Möglichkeiten: entweder einfach anfangen, ganz dumm, oder anfangen, nicht mehr ganz so dumm, indem man der eigenen Lektüre zugleich misstraut. Im einfachen Vertrauen würden Unmöglichkeit und Ungewissheit still gestellt werden. Wäre es anfänglich (alles Weitere könnte die Lektüre erst zeigen) dumm, wäre es auch eine Entscheidung. Nimmt man den ironischen Status von Sprache jedoch ernst, darf man der Referenz nicht trauen. 23. De Man, »Lesen (Proust)«, S. 92 24. Ebd. Dieses ›Misstrauen‹ heißt im englischen Text suspicion und könnte auch mit ›Verdacht‹ übersetzt werden. Diese Möglichkeit der Übersetzung ist interessant, weil sie ein Verhältnis zur Frage des Gesetzes eröffnet. Diese Frage eröffnet sich in der Unmöglichkeit referentieller Identität. Indem Kafkas Schreiben sich diesen Fragen eines Verhältnisses von referentieller und figurativer Sprache zuwendet, taucht das Motiv des Verdachtes auf. Die Verdächtigkeit der Helden Kafkas – und Josef K. ist dafür das beste Beispiel – wäre danach als eine Verdächtigkeit, die von der Sprache ausgeht, zu verstehen. Kafkas Helden sind verdächtig in dem Maße, wie sie einer Sprache übergeben sind, deren referentielle und figurative Bedeutungen sich gegenseitig ausspielen, und die kein Kriterium liefert, zwischen diesen sich angreifenden Funktionen zu unterscheiden. In dem Maße sind sie auch immer schuldig, insofern sie keine Sprache kennen, die eine Unschuld erlaubte, d.h. den Verdacht beseitigen könnte. Diese Schuld ist aber gleichzeitig zum Lachen, worauf Deleuze und Guattari hingewiesen haben. Sie ist zum Lachen, weil sie auch nicht zu beweisen ist. Schuld ist demnach zugleich notwendig und unmöglich. Für eine weitergehende Lektüre der Verdächtigkeit von Kafkas Helden, vgl. Vogl S. 63ff. ›School of suspicion‹ nennt Felman in Folge von Ricoeur auch den psychoanalytischen Diskurs. (Vgl. Felman, »Turning the Screw of Interpretation«, S. 189) Der Beziehung von Literatur, Literaturtheorie und Psychoanalyse, die sich darin ankündigt, werde ich im nächsten Kapitel nachgehen.
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Diese Problematik eröffnet sich im Misstrauen. Misstrauen ist der Beginn einer kritischen Lektüre. Im fehlenden Vertrauen wird Naivität zum möglichen Zugang, unter der Bedingung, dass ein sie begleitendes Misstrauen seine Unmöglichkeit bereithält. Naivität wird möglich in der Stimmung des Misstrauens. Doch ich denke, die von de Man skizzierte Problematik des Anfangs einer rhetorischen Lektüre ist an dieser Stelle weiter zu treiben, in der Hinsicht, dass nicht nur versucht werden darf, trotz und mit anhaltendem Vorbehalt, thematisch einzusteigen, sondern dass gar keine andere Chance besteht, als thematisch zu beginnen, auch wenn dem Thematischen als Kategorie nicht getraut werden kann.25 Erscheint mit der Ernsthaftigkeit ironischer Sprache der thematische Einstieg auch zunächst als willkürlich, lässt er sich gerade in der ›Dummheit‹, als notwendig angenommene Referentialität, lokalisieren, gegenüber allen anderen Einstiegen, die willkürlich und unbestimmbar wären. Paradoxerweise tritt ›Dummheit‹ an dieser Stelle als größte Chance hervor. Doch ist damit das Problem von Exemplarität und Referenz keinesfalls behoben, sondern tritt als Dilemma vielmehr verschärft hervor. De Man folgend muss man auch sagen, dass dieses Verfahren zwangsläufig einer wichtigen Entscheidung ausweicht: a priori ist keine Sicherheit zu erlangen, ob die Szenen, in denen vom Lachen die Rede ist, auch Zugang zur Frage des Lachens gewähren. Eine Entscheidung kann an dieser Stelle nur pragmatischen Wert haben, sie basiert auf der grundsätzlichen Unmöglichkeit von Entscheidung am Anfang einer Lektüre, weil die Kriterien hierfür fehlen. Damit begibt sich das Befragen dieser Literatur in einen Raum der unsicher und unentschieden ist. Zunächst über eine anfängliche Unentschiedenheit, der wir nur pragmatisch begegnen können. Ob, oder in welchem Maße, im Verlauf der vorzunehmenden Lektüre hier eine Unsicherheit oder Unentschiedenheit aufgegeben werden kann, welches Wissen hier zu erwarten wäre, wird erst die Lektüre zeigen.26
25. Dieses Problem ist der de Man-Forschung nicht unbekannt geblieben. Christopher Norris schreibt: »Culler is not the only commentator to perceive this tension between the relentless demystifying drive of de Man’s criticism and the fact that comprehension without suspending that rigor at least to a certain degree.« (Paul de Man, S. XV) 26. Dieser Satz ist nicht nur einfach eine Verzögerung des Problems und der Beantwortung der Frage, sondern er verweist auf ein Dilemma: Der Bruch zwischen Theorie und Literatur, der an dieser Stelle hervortritt, ist zu verstehen als ein Problem des Verhältnisses von Universalität und Singularität. Können die Fragen allgemein theoretisiert werden, ergibt sich mit den Antworten ein Problem der Allgemeinheit.
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Solange Lesen der Produktion von Verständnis und Wissen verpflichtet bleibt, wie illusionslos es auch werden mag, muss man vom hermeneutischen Imperativ ausgehen, um einen Zugang zu finden. Dieser Pflicht verdankt nicht nur der literaturwissenschaftliche Diskurs seine Berechtigung, eine Berechtigung, die keineswegs sicher ist, sondern auch die Möglichkeit von Sprache.27 Die Schwierigkeiten, die sich am Anfang der Lektüre der Strafkolonie stellen, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, sondern stellen vielmehr gerade aus, dass ein Verlangen und eine Entscheidung zu Beginn jeder Lektüre stehen müssen. Diesem Akt, der auch die Attribute pragmatisch, performativ und positional verdient, hat Thomas Pepper den Namen thematic scar gegeben.28 Ein Eingriff, der sich nicht vom Textkörper her legitimieren lässt, insofern dieser auf seiner Unberührbarkeit insistiert, der, von außen kommend, gewaltsam sein muss und als Zeichen dieses Eingriffs der Lektüre sichtbar anhaftet. 048 In den Tropen lesen Aber gerade weil die Verlässlichkeit der Hermeneutik mit der Anerkennung einer Figuralität von Sprache in Frage gestellt wird, kann man sagen, diese Gefahr führt zunächst nicht zur Suspendierung einer Hermeneutik, sondern erfordert sie zuallererst, und fordert sie heraus. Eine Forderung, die auch in der Strafkolonie zu lesen ist: »›Lesen Sie‹, sagte der Offizier, ›Ich kann nicht‹, sagte der Reisende, ›Es ist doch deutlich‹, sagte der Offizier ›Es ist sehr kunstvoll‹ sagte der Reisende ausweichend, ›aber ich kann es nicht entziffern‹. ›Ja‹, sagte der Offizier, lachte und steckte die Mappe wieder ein […]«29
27. Benjamin wusste, dass es nicht sicher ist, ob Sprache menschlich ist. Vgl. hierzu Hartman, »Looking back on Paul de Man«, S. 17. Diese Frage ist für Kafkas Tiergeschichten umso interessanter. Seine Tiergeschichten sind nicht einfach als Fabeln mit Symbolfunktion, die auf ihre menschliche Bedeutung verweist, z.B. einen Charakter, der sich in der Gestalt eines besonderen Tieres ausdrückt, zu verstehen. Vielmehr befragen sie die Grenze von Menschlichem und Tierischem und einer Sprache, von deren Herkunft, wir nicht viel wissen können. »That language is, is not comprehensible.« So Frey in seinem Aufsatz »Undecidability«, S. 132 28. Vgl. Pepper, S. 93. Das Problem des Anfangs findet sein Echo im Problem des Endes. Ist der erste Schnitt als Einstieg der Lektüre ein Einschnitt, den der Kommentar dem literarischen Text zufügt, um seine Narration zu produzieren, ist das Ende eines Textes ein Schnitt, den sich der Kommentar selbst zufügt, der für ihn aber unlesbar bleibt. Er wäre nachträglich seinerseits zu kommentieren. Vgl. hierzu Pepper, »Absolute construction: an essay at Paul de Man«, S. 102 29. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 172
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Eine Lektüreszene: wir schlagen das Buch auf – die Mappe wird wieder eingesteckt. Zwischendurch wird der Reisende (nicht) zum Lesenden, oder zum Lesenden einer unleserlichen Schrift. Der, der den Text verwaltet, bewacht oder bewahrt, ein Offizier, lacht. Neben dem ›Lachen‹ steht in der Strafkolonie noch ein weiteres Thema, das zu berücksichtigen ist, wie diese kurze Szene erzählt: die Schrift, das Entziffern, später der Schriftapparat.30 Wir sind schon mitten »In der Strafkolonie«, es gibt kein Außerhalb der Tropen. Gleichzeitig ist dieses ›In-sein‹ auch ein ›Vor-sein‹, liest man Kafkas »Vor dem Gesetz« dazu. In den Tropen sind wir vor dem Gesetz. Die Tropen sind jene Sprache, die nicht Gesetz ist, und darin zum Gesetz wird. Die Tropen sind als Schwelle – vor dem Gesetz – ein Ort, der keine Ruhe und keine Gewissheit bietet, sondern, so erzählt es Kafka, zunächst nur ein Warten erlaubt. Die Schwelle als Ort vor dem Gesetz, teilt ihren Status mit den Tropen. »In der Strafkolonie«, wir sind in ihr. In den Tropen, in der Strafkolonie. Umstellt von ihren Figuren, selbst nur eine Figur – vielleicht nur zu Besuch, so wie der Reisende, wir wollen sie später wieder verlassen, vielleicht, dieses Verlangen gibt es – aber wohin? Worauf Kafka insistiert: das unmögliche Außen des Textes, sein Titel, gehört schon zum Text. Der Titel In der Strafkolonie und ein späterer Satz, Diese Uniformen sind doch für die Tropen zu schwer, geben das Problem der Figuralität von Sprache zu lesen. Schon bevor die Erzählung beginnt, schon beim Titel, der die Grenze der Erzählung markiert und in dieser Funktion gespalten ist, als Referenz auf eine Topologie und als Referenz auf einen folgenden Text, In der Strafkolonie, ist die Tropologie der Sprache wirksam. Wir wollen sie wieder verlassen und die Frage der Referenz nicht
30. Diese Anordnung ist nicht nur in der Erzählung In der Strafkolonie anzutreffen. An anderer Stelle heißt es bei Kafka: »›Es wird hier viel geschrieben‹, sagte K., und blickte von der Ferne auf die Akten hin. ›Ja, eine schlechte Angewohnheit‹, sagte der Herr und lachte wieder.« (Kafka, Das Schloß, S. 132f.) Avital Ronell hat ausführlich auf das Verhältnis von Ironie und Schrift im Schloß hingewiesen. Es heißt: »›The Castle‹ imparts an intention to subvert ironically its literary enframing by calling constant attention to the disfunctionality of its discourse […]« (Ronell, »Doing Kafka in The Castle: A Poetics of Desire«, S. 189). Ereignet sich diese Bewegung in der Strafkolonie über den Schriftapparat und das Gesetz, als Allegorie der Schrift, werden im Schloß eine Reihe von anderen Medien und Genre eingeschaltet, die für den Verfall einer Autorität der Schrift sorgen. Das Telefon, Akten, Briefe und Gerüchte. In der Bewegung dieser Textlichkeiten wird der Status von Schrift ›komisch‹ oder ›ironisch‹: »›The Castle‹ can be seen as a generator of texts that in turn produce other texts and which, in its automatic proliferation can finally produce only a comedy of its own reproduction.« (Ebd., S. 208)
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aufgeben. Deshalb müssen wir lesen, so wie ich hier die Topographie der Strafkolonie bereits als Allegorie figuraler Sprache lese.31 Aber beginnen wir zunächst nicht mit der unleserlichen Schrift, wie der Reisende in der Strafkolonie, sondern mit dem Lachen. Dabei ist ›Lachen‹ möglicherweise ebenso unleserlich, wie die ornamentalen Muster einer vergessenen oder geheimen Schrift, oder einer Schrift, die niemals zu lesen war. Vielleicht gibt es immer schon dieses heimliche Verhältnis von Lachen und Schrift, lesen wir ›Lachen‹. 049 Lachen lesen Es gibt in der Strafkolonie fünf Stellen,32 an denen vom Lachen die Rede ist:33 1. »›Lesen Sie‹, sagte der Offizier. ›Ich kann nicht‹, sagte der Reisende.‹ Es ist doch deutlich‹, sagte der Offizier. ›Es ist sehr kunstvoll‹, sagte der Reisende ausweichend, ›aber ich kann es nicht entziffern‹. ›Ja‹, sagte der Offizier, lachte und steckte die Mappe wieder ein.«34 2. »Der Verurteilte lachte ohne Worte leise vor sich hin.«35 3. »Als er dann Hemd und Hose anzog, mußte der Soldat wie der Verurteilte laut lachen, denn die Kleidungsstücke waren doch hinten entzwei geschnitten.«36
31. In einer der Variationen zu »In der Strafkolonie« heißt es: »Verdammte böse tropische Luft, was machst du aus mir? Ich weiß nicht, was geschieht, meine Urteilskraft ist zu Hause im Norden geblieben.« (erwähnt bei Wagenbach (Hg.), Franz Kafka. In der Strafkolonie, S. 59) 32. Das Zählen als Hilfestellung, die Lektüre zu systematisieren, hat in der Kafka-Forschung Methode, »[…] so aber machte ich mich daran, Türen und Fenster zu zählen und festzustellen, welche Figuren Zylinder und welche Bärte tragen, und warum Kafka so häufig ›allerdings‹ gebraucht. Über Gericht und Gnade wechselt man unter Umständen seine Ansicht schon bald, während das, was man lediglich seiner Funktion nach registrierte, seinen schlichteren Anspruch länger erheben darf, es sei denn der Zählende hätte sich grob verzählt. Das aber kann nachgeprüft werden.« So Walser am Ende seiner Dissertation über Kafka (S. 130). 33. In einer in den Tagebüchern auffindlichen Variation findet sich ein weiteres Lachen: »Der Reisende machte eine unbestimmte Handbewegung, ließ von seinen Bemühungen ab, stieß die zwei wieder vom Leichnam fort und wies ihnen die Kolonie, wohin sie sofort gehen sollten. Mit gurgelndem Lachen zeigten sie, daß sie allmählich den Befehl verstanden […]« (zitiert bei Wagenbach, (Hg.) Franz Kafka. In der Strafkolonie, S. 59). 34. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 172 35. Kafka, ebd., S. 187 36. Ebd., S. 188
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4. »Vielleicht glaubte der Verurteilte verpflichtet zu sein, den Soldaten zu unterhalten, er drehte sich in der zerschnittenen Kleidung im Kreise vor dem Soldaten, der auf dem Boden hockte und laut lachend auf seine Knie schlug.«37 5. »Ein breites lautloses Lachen erschien nun auf seinem Gesicht [des Verurteilten, Anm. P.R.] und verschwand nicht mehr.«38
Auf den ersten Blick erscheint es vielleicht möglich, diese verschiedenen Arten des Lachens, ›psychologisch‹ im Kontext der Erzählung, den ich hier zunächst unterschlage, zu verstehen. Genauer: als sarkastische Überlegenheit des Offiziers, der als letzter die alten Strafriten tradiert und schätzt; dem Unverständnis unter dem neuen Kommandanten begegnet, aufgrund der Ungebildetheit anderer (1.); als Zeichen der Erlösung des Verurteilten (2., 5.); oder schließlich als Situationskomik, wie in einem Chaplin-Film, in der Begegnung zwischen dem Soldaten und dem Verurteilten (3., 4.). Eine solche Lektüre bliebe jedoch nicht ohne Rest. Aus zwei Gründen. Einmal, weil die Verfasstheit der Erzählung diese semantische Lesart ins Schwanken bringt, zu 1.: Könnte man z.B. mit gutem Grund von einer ›Überlegenheit‹ des Offiziers sprechen, angesichts des zunächst eher überraschenden als notwendigen – wie hingegen der Reisende meint – Ausgangs der Geschichte? Es ist unklar, welches der Wert seines Wissens ist, es ist nicht ohne weiteres als ›überlegen‹ zu markieren, ebenso, wie unklar ist, warum der neue Kommandant dieses Strafverfahren prüfen lässt, wie behauptet wird; und es ist unklar, warum der Offizier dem alten Kommandanten, wenn es ihn jemals gab – die Geschichte ist nicht zweifelsfrei – treu bleibt. Fänden wir in dieser Dramatik die Verlässlichkeit einer individuellen Psychologie, die den narrativen Verlauf regelt?39 Können wir uns auf die Informationen, die wir diesbezüglich nur von dem Offizier erhalten, verlassen?40 37. Ebd., S. 188 38. Ebd., S. 190 39. Martin Walser schreibt, »Die Menschen, auf die der Held in Kafkas Dichtung trifft, die wir mit ihm und durch ihn sehen, sind, das fällt sofort auf, nicht ›wahr‹ im psychologischen Sinne, sie sind nicht wirklich im empirischen, nicht ›menschlich‹ im anthropologischen und nicht ›natürlich‹ im biologischen Sinne.« (S. 49) Henel bestätigt Walsers Einschätzung; sie schlägt deshalb den Begriff ›Figuren‹ anstelle von ›Personen‹ vor. (Vgl. Henel, S. 254f.) 40. Auch Biemel stellt diese Frage und damit jene, welche Aussagen als Grund einer Lektüre angenommen werden können. In diesem Punkt kritisiert er zu Recht Sokel, der den Status der Aussagen der Erzählungen hinsichtlich der Frage, ob sie ein zuverlässiges Wissen liefern, nicht in Zweifel zieht. Vgl. hierzu Biemel, S. 13. Bei Beißner und später bei Kobs wird die Frage der Erzählperspektive bei Kafka unter dem
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Zu 2. und 5.: ist der Verurteilte ›erlöst‹, wenn er doch gar nicht wusste, dass er verurteilt war? Können wir ihn als ›menschlich‹ identifizieren, oder ist er nicht eher – wie der Text an mehreren Stellen assoziiert – ein Hund?41 Jedenfalls steht er vollkommen abseits eines Pathos der Anklage, die eventuell zu Unrecht besteht. Es besteht ein Unrecht, aber es ist kaum interessant, anders als im Proceß, dass es diesen Verurteilten betrifft. Beiden Texten ist jedoch das Missverhältnis von begangenem, bzw. nicht begangenem, Vergehen und Schuldigkeit eigen, d.h. die Texte fordern dazu auf, Stichwort ›Einsinnigkeit‹ diskutiert. (Vgl. dazu Kobs, S. 25ff.) Gemeint ist damit die Perspektive einer einzigen Person, schreibt Kobs. Zweifelhaft ist, ob hier von einer ›Einheit‹ gesprochen werden kann und von einer ›Person‹. Richtig ist jedoch die bei Kobs beobachtete und ausführlicher entwickelte Methode der Verengung der Erzählperspektive. Kobs versteht sie im folgenden z.B. als ›Beschränkung auf den Augenblick‹. Die Konsequenzen für den epistemologischen Status der Sätze beschreibt er wie folgt: »In einsinniger Darstellung gibt es keine absoluten Sätze und keine unbezweifelbare Wirklichkeit. Nicht Fakten werden hier erzählt, sondern Meinungen, nicht Gegenstände geschildert, sondern subjektive Eindrücke.« (S. 33) 41. Anlässlich solcher Szenen und weiterer bemerkt Biemel zu Recht: »Wir sind von Anfang an in eine Atmosphäre des Widersprüchlichen versetzt, die sich beim weiteren Fortgang nicht auflösen sondern verdichten wird.« (S. 5) Weiter heißt es: »Diese Verkehrungen deuten auf die Grundstruktur der Erzählung, die sich in Widersprüchen entfaltet. Ihr Gang kann so verfolgt werden, daß von einem Widerspruch zum andern übergegangen wird.« (S. 6) Weitere Beispiele, der Offizier verlangt, dass einen Tag vor der Exekution kein Essen mehr an die Verurteilten ausgegeben wird. Einen Tag vor der Verurteilung wissen die Verurteilten in der Strafkolonie, sowie diese Geschichte es erzählt, aber noch nichts von ihrer Verurteilung. Alles dreht sich um das in den Körper geschriebene Urteil, es selber bleibt aber unlesbar. Wie kann ein hündisch ergebener Mensch überhaupt ungehorsam sein? Die Bedienung der Maschine ermattet den Offizier, damit ist die Aufgabe von Maschinen, dem Menschen Arbeit zu ersparen, verkehrt. Als sich der Offizier schließlich entkleidet, ordnet er seine abgelegte Uniform sorgfältig, um sie dann aber in die Grube zu werfen. Ähnliche Ironien lassen sich überall in Kafkas Werk finden. Vogl schreibt: »Diese Ironie arbeitet am Kern des literarischen Selbstverständnisses, an der Art und Weise, Okkultation und Aufdeckung, Text und Verstehen aufeinander zu beziehen, sie arbeitet an einer exegetischen Absicht, die – sowohl textimmanent wie hinsichtlich des Lesers – zugleich herausgefordert und blamiert wird: durch ein ›Schloß‹ etwa, das überall und nirgends, jedenfalls unerreichbar und vielleicht nur von Kinderhand gestrichelte Kulisse ist […], durch ›Gesetzte‹, deren Wortlaut niemand kennt und die es vielleicht nicht einmal gibt; durch einen ›Gesang‹, der bloß ein Pfeifen und vielleicht nicht einmal wirklich ist; durch eine ›Schuld‹ und einen ›Prozeß‹, die doch nur Betrug, Täuschung und Selbsttäuschung darstellen; […]« (S. 150).
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Schuld anders, denn als Folge innerhalb einer kausalen Beziehung, zu verstehen. Zu 3. und 4.: auch wenn die Szene zwischen dem Soldaten und dem Verurteilten ›komisch‹ ist, bleibt diese Komik für die Geschichte selber fremd und isoliert, weil sie keiner narrativen Ökonomie folgt.42 Die Erzählung ist dem Verurteilten gleichgültig gegenüber, ebenso wie gegenüber dem Soldaten. Die Szene ist fast lästig. Sie fällt aus dem Rahmen. Sie hält das Geschehen als Frage danach, was aus dem Apparat wird, auf. Wenn diese Geschichte ein Subjekt und ein Thema hat, dann wäre es hier zu suchen, beim Schriftapparat.43 Selbst die Geschichte des Offiziers ist der des Apparates untergeordnet. Die Szenen des Verurteilten und des Soldaten bleiben isoliert und verdanken sich nicht der Zugehörigkeit zu einem Genre und seinen Regeln, die ihm eine Position oder Bedeutung sichern würden. Diese Züge von Kafkas Literatur sind als mangelnder Realismus beschrieben worden.44
42. Kaiser bietet eine ökonomische Erklärung an: »Überhaupt werden die beiden primitiven Nebenfiguren, der Soldat und der Verurteilte, jetzt zum Schluß besonders lebendig und treiben allerlei kindlichen Scherz. […] Es ist so, als ob durch die Zerstörung und kritische Auflösung der kombinierten Wunschphantasie primitive Partialtriebe freigeworden wären.« (S. 84) Dieser Erklärung ist zuzustimmen, aber dennoch liegt sie abseits der Hauptökonomie der Geschichte. 43. Auch Ronell erkennt im Schriftapparat das Subjekt der Erzählung. Siehe Ronell, »Doing Kafka in The Castle: A Poetics of Desire«, S. 188. Ebenso Biemel, der schreibt: »Die zentrale Person ist der Offizier – aber eigentlich steht nicht er im Mittelpunkt, sondern der Hinrichtungsapparat.« (S. 20) 44. Beicken weist z.B. darauf hin, dass die raum-zeitliche Kontinuität des überlieferten realistischen Romans bei Kafka keine Geltung hat und auf diese Weise ein Problem für die Rezeption wird. Gleiches lässt sich für die Erzählungen sagen. Vgl. hierzu Beicken, S. 34f. In seiner Diskussion über den Realismus bzw. Irrealismus der Zeitlichkeit bei Kafka, kommt Kleinschmidt auf Maurice Blanchot zu sprechen. (Blanchot, Die wesentliche Einsamkeit, S. 24ff) Kleinschmidt schreibt: »Präzis hat Blanchot die Faktizität der Erinnerung als das Wesensmerkmal beim realistischen Erzählen deklariert: Es sei in erster Linie ein Gegenwärtigen der Vergangenheit.« (S. 211) Von hier aus eröffnet sich ein Zusammenhang der Frage von Realismus einerseits und Erinnerung oder Ironie andererseits. Die Frage von Realismus wird in den hier angemerkten Stellen als eine Frage der Zeit verstanden. Bei Kleinschmidt heißt es gleich zu Beginn ausdrücklich: »Kafkas Erzählprosa ahmt Zeiterfahrung nicht realistisch nach.« (S. 5) Diese Erkenntnis wird noch auf besondere Art bedeutend, wenn der mangelnde Realismus von Kafkas Geschichten über de Mans Figuren der Zeitlichkeit, Allegorie und Ironie verstanden wird.
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Zum anderen ist die Rede vom ›Lachen‹ selbst von einigen Eigentümlichkeiten geprägt, die Aufmerksamkeit verdienen. Denn es geht dabei gerade um die Frage, um was für ein ›Lachen‹ es sich hier handelt, oder ob es hier überhaupt um Lachen geht. Diesem zweiten Punkt, den Besonderheiten im Kontext der Erwähnung des Lachens, möchte ich nachgehen. Ich beschränke mich in meiner Lektüre auf die Textstellen 2. und 5. und beginne mit dem zweiten Lachen. Der Verurteilte lachte ohne Worte leise vor sich hin.
050 Kein Lachen Dieses ›Lachen‹ ist nicht einfach nur ein Lachen. Es zeichnet sich durch eine Merkwürdigkeit aus, denn es heißt, der Verurteilte lachte ohne Worte. Merkwürdig ist hier auf den ersten Blick nicht der beschriebene Umstand, die Wortlosigkeit des Lachens ›an sich‹, als vielmehr die Tatsache seiner Erwähnung, die fast zu überlesen ist. Merkwürdig ist, dass erwähnt wird, dass erwähnt werden muss, dass das Lachen ohne Worte ist. Als gäbe es ein Lachen mit Worten. Die Annahme eines Lachens mit Worten ist die Voraussetzung dieser Aussage. Aber man kann nicht gleichzeitig sprechen und lachen, messen wir diese Frage nach dem Kriterium referentieller Phänomenalität. Lachen und Sprechen können nicht zeitlich identisch sein, sie können nicht gleichzeitig stattfinden. Wollen wir die referentielle Chance dieser Aussage nicht aus den Augen verlieren, wie könnten wir, müssen wir an dieser Stelle sagen, Lachen ist immer ohne Worte. Hahaha ist kein Wort. Doch was bedeutet es, wird diese Selbstverständlichkeit extra erwähnt? Weil Lachen kein Sprechen ist, ist der Zusatz ohne Worte, so lässt sich zunächst sagen, eine tautologische Beschreibung. Aber handelt es sich hierbei wirklich um eine Tautologie – was hieße ›Tautologie‹ an dieser Stelle? Ist sie bloß redundant und überflüssig? Genau diese Redundanz und Überflüssigkeit wird aber zu lesen sein. Man kann die Frage stellen, wie Lachen, wenn es nicht aufzuschreiben ist, weil es kein Wort ist, in der Schrift also über sein Fehlen oder über den Signifikanten ›Lachen‹ zur Darstellung kommen kann, beschreibbar wird. Aber teilt Lachen dieses Schicksal nicht mit allen anderen Zeichen, die onomatopoetischen ausgenommen? Welchen Wert hat der Hinweis auf den Unterschied im Verhältnis von Zeichen und Referent in diesem Zusammenhang? Welchen Sinn macht es also, davon zu sprechen, dass Lachen nicht aufzuschreiben sei? Der Status des Lachens ist ein besonderer, d.h. hier zunächst sein referentieller Ort, insofern Lachen selbst keine sprachliche Äußerung ist, aber doch dem Sprechen in verschiedener Hinsicht immer nahe bleibt. Lachen ist ein Laut, aber kein Wort. Denn Lachen tritt im Feld des Sprachlichen auf, als Lautäußerung, die sich auf eine sprachliche Bedeutung bezieht, 130
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ohne selber sprachlich zu sein. Damit steht es aber in Beziehung zu Fragen von Bedeutung und Sinn. In der Linguistik gibt es die Idee eines Null-Phonems, eines leeren Signifikanten, der einer Signifikantenkette zugezählt wird, ohne aber Signifikate zu produzieren. Eine Möglichkeit, Lachen zu verstehen, wäre die Idee eines solchen leeren Signifikanten: Lachen ist als Null-Phonem, ein Null-Phänomen verstanden worden.45 Auf diese Weise wird aber die Frage nach dem Lachen selber prekär, insofern es vom Sprachlichen aus gesehen nur als Lücke, Bruch oder Abbruch bestimmt werden kann. Wie wäre also sein ›Sein‹ zu bestimmen? Wie kann es zum Referenten werden?46 Begnügen wir uns vorläufig, mit diesen Fragen, die in Kürze den Abgrund eröffnen, der sich mit der Frage des Lachens stellt, und dabei das Fragen seinerseits nicht ungefährdet zurücklässt. Diese Effekte eines ›Lachens‹ sind mit dem ›Lachen‹ als Referent, von 45. Vgl. hierzu Derrida, »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«, S. 438. Derrida diskutiert die bei Jakobson auftretende Idee eines Null-Phonems bezüglich der Frage des Supplements. Bei Jakobson ist die Null der Signifikant, mit dem kein Paar zu bilden ist, der in keine binäre Opposition zu stellen ist. Thomas Pepper weist auf eine Stelle in der Pascal-Lektüre de Mans hin, wo die arithmetische Funktion der Null im Zusammenhang einer figuralen Sprache gelesen wird. Mit der Null wird ein Element der Heterogenität eingeführt, insofern sie keine Zahl ist. »Whereas one is and is not a number at the same time, zero is radically not a number, absolutely heterogeneous to the order of number.« (De Man, »Pascal’s Allegory of Persuasion«, S. 58f.) Ist die Trennung von Raum und Zahl mit der Null aufgehoben, geschieht das zu einem hohen Preis: der Einführung eines heterogenen Elements, auf dem das System basiert. Für die Sprache entwickelt de Man folgende Analogie: »The notion of language as sign is dependent on, and derived from, a different notion in which language functions as rudderless signification and transforms what it denominates into the linguistic equivalence of the arithmetical zero. It is as sign that language is capable of engendering the principles of infinity, of genus, species and homogeneity, which allow for synechdochal totalizations, but none of these tropes could come about without the systematic effacement of the zero and its reconversion into a name. There can be no one, of a some(thing). The name is the trope of the zero.« (Pepper, »Absolute constructions: an essay at Paul de Man«, S. 157) Enthält auf diese Weise jeder Name ein Lachen? Vgl. hierzu Hamacher, »Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«. Zur Leere des Lachens im Verhältnis zum Lacanschen Register des Symbolischen, vgl. Schuller, »Der Witz oder die ›Liebe zum leersten Ausgange‹«, insbes. S. 25ff. 46. »Man höre nur genau hin: es ist kein artikulierter, scharfer, deutlich begrenzter Laut, sondern etwas, in dem es überall widerhallt, immer weitergehen möchte […]« (Das Lachen, S. 8).
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dem im Text die Rede ist, immer schon möglich. Bei Kafka werden sie herausgestellt. Kafka wählt zur näheren Bezeichnung des Lachens die Abwesenheit seines ›Anderen‹, lassen wir vorläufig in dieser Bestimmung auch offen, ob es sich um eine Opposition handelt, ob wir ›Sprechen‹ und ›Lachen‹ auf die Frage der Opposition begrenzen wollen, sondern insistieren lediglich auf dem Unterschied, der Worte: ohne Worte, heißt es. Da, wo keine Worte sind, ist Lachen, ist zu lesen. Hier wird nicht nur eine schlichte Opposition entworfen, sondern der Satz spielt gerade mit der Idee, das Lachen könnte Worte haben. Denn die Abwesenheit der Worte als nähere Bestimmung, die eine Eigentümlichkeit herausstellt, die – so könnte man ›phänomenologisch‹ sagen – jedoch eine Tautologie ist, setzt die Anwesenheit der Worte voraus. 051 Tautologie Die Logik des Satzes impliziert danach ein Lachen mit Worten. In der Tautologie liegt die überraschende Idee einer Identität von Worten und Lachen. Wie wäre sie zu lesen? Ist sie ernst zu nehmen? Könnte man behaupten, dass sich das Argument von der unmöglichen Darstellung des Lachens in der Schrift hier eventuell verkehrt? D.h., ist Lachen vielleicht nicht aufzuschreiben, nicht weil es sich als Laut oder als Artikulation gegen die einfache Bedeutungszuweisung sperrt, sondern weil es immer schon da ist? Kann man vom Lachen nicht sprechen, weil es immer schon mit den Worten gegeben wäre? Würden Worte lachen? Was könnte so eine Äußerung bedeuten, die mit der Tautologie implizit lesbar wird? In einem fragmentarischen Entwurf zum »Heizer« heißt es in den Tagebüchern: »Das war allerdings die klare Rede des Mannes und nach der Veränderung in den Mienen der Zuhörer hätte man glauben können, sie hörten zum erstenmal seit langer Zeit wieder menschliche Laute. Sie bemerkten freilich nicht, daß selbst diese schöne Rede Löcher hatte.«47
Durchlöchert ist selbst die Rede, die zunächst schön klingt, aber, so zeigt sich, Spuren des Traumatischen trägt. An anderer Stelle ist zu lesen: »Die Bitterkeit, die ich gestern Abend fühlte als Max bei Baum meine kleine Automobilgeschichte vorlas. Ich war gegen alle abgeschlossen und gegen die Geschichte hielt ich förmlich das Kinn in die Brust gedrückt. Die ungeordneten Sätze dieser Geschichte mit Lücken, daß man beide Hände dazwischen stecken könnte, ein Satz klingt hoch, ein Satz klingt tief wie es kommt, ein Satz reibt sich am andern wie die Zunge an einem hohlen oder falschen Zahn.«48 47. Franz Kafka, Tagebücher 1909-1912, S. 133 48. Ebd., S. 177
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Und schließlich: »Kein Wort fast das ich schreibe paßt zum andern, ich höre wie sich die Konsonanten blechern an einander reiben und die Vokale singen dazu wie Ausstellungsneger.«49
Die Unordnung der Sätze folgt ihrem unterschiedlichen Klang. Sie spielt sich auch auf der Ebene der Worte ab, bis hin zum Buchstäblichen. Mit Kafkas durchlöcherter Sprache stellt sich nicht die Frage versehrter Worte, sondern die des Klangs. Deleuze und Guattari verstehen die Bewegung des Signifikationsprozesses auf diesen Ort hin, als intensiven Gebrauch von Sprache.50 Wie wäre die Dissonanz der Sätze, Worte und Buchstaben, über die Kafka klagt, sprachlich zu verstehen? Klanglichkeit zeigt sich nicht homogen, sondern als Diskontinuierlichkeit mit Unterbrechungen und Reibungen. Auf der Ebene von Satz und Wort ist dabei, ohne dass Kafka diese Frage direkt adressiert, zugleich ein semantisches Problem angesprochen: denn der Konflikt des Klangs ergibt sich gerade aus dem Unterschied der semantischen und phonetischen Qualitäten von Sprache, die in ihrer arbiträren Beziehung nicht harmonisch werden. Wäre nur dem Klang zu folgen, fände er seinen Ausdruck als Musikalität;51 als Sprache bleibt er im Konflikt mit Bedeutung.52 Der Konflikt des Klangs ist ein Konflikt von Phonetik und Semantik. So wird mit der angesprochenen Frage des Klangs zugleich ein semantisches Problem verhandelt. Das Trauma einer durchlöcherten Sprache wäre demnach eine zeichentheoretische Problematik, die ihre Versöhnung nicht im Symbol findet. Die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens – sein Klang, seine Bedeutung – unterliegt selbst der Ironie, d.h., das sprachliche Zeichen ist über eine Spaltung verbunden. Im Streit von Semantik und Sound artikuliert sich ein konstitutiver Konflikt, der in den Texten Kafkas die Instabilität 49. Ebd., S. 103 50. Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 28ff. 51. Oder lässt zumindest an eine ideale Musik denken: Neumann schreibt: »So ist Musik – in dieser doppelten Negation – bei Kafka beides: das unerfüllte Ideal einer Kommunikation, die der segmentierten Zeichen nicht bedarf; und zugleich das Zeichen für das Scheitern von Kommunikation […] Musik ist paradoxes Zeichen jenes Störgeräusches […]« (Franz Kafka. Schriftverkehr, S. 221) 52. In seinem Beckett-Essay beschreibt Adorno dieses Problem für das expressionistische Drama, »[…] daß Sprache selbst, wo sie tendenziell zum Laut sich verkürzt, ihr semantisches Element nicht abschütteln, nicht rein mimetisch, oder gestisch werden kann, […]« (»Versuch, das Endspiel zu verstehen«, S. 305). Nach Benjamin wäre die Versöhnung von Laut und Bedeutung die Überwindung des Barock. Vgl. hierzu, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 186
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sprachlicher Figuren zur Folge hat. Folgt der Text dem Versuch einer Einverleibung des Unverständlichen, spuckt der Textkörper, Wort für Wort, buchstäblich, in rhythmischen Konvulsionen, das Unverständliche wieder aus. Diese Dissonanz ist nicht als Musik, sondern als Lachen zu hören. In der ironischen Gespaltenheit des sprachlichen Zeichens selbst, zeigt sich Kafkas Textur als lachend. Worte, die lachen. Nicht ganz. Denn den logischen Zusammenfall von Worten und Lachen, den der tautologische Satz in der Strafkolonie impliziert, stellt der Satz auf der Ebene der Aussage seinerseits ja gerade in Frage. So gibt der Satz Der Verurteilte lachte ohne Worte leise (leise – ich werde darauf noch zu sprechen kommen) vor sich hin doppelt zu lesen – darin liegt seine Ironie. Implizit herrscht eine Logik, die Lachen mit Worten gleichsetzt. Diese Logik ist ihrerseits eine Verkehrung eines phänomenologischen Bestandes, denn es ist ja immer möglich oder sogar notwendig zu sagen, Lachen, auch wenn es sich im Feld des Sprachlichen ereignet, ist wortlos. Auf der Aussageebene wird nun gerade diese verkehrte Logik, eines Lachens der Worte, ihrerseits verkehrt, so dass sie zur Tautologie phänomenaler Wahrnehmung wird. Diese Tautologie zeigt aber an, dass hier die eben genannte Logik mit im Spiel ist. Der Verurteilte lachte ohne Worte leise vor sich hin. Was gibt diese Relektüre des Satzes, in dem vom Lachen die Rede ist, also zu lesen? In der Repräsentation des Lachens, das mit jedem Lachen als Referent zur Frage wird, das als eine Grenze der Sprache angesehen werden kann, wird die Repräsentation ihrerseits zu einem Grenzfall. D.h. der asignifikante Status des Lachens wiederholt sich in den Modi seiner Repräsentierbarkeit, hier in der Figur der ›Tautologie‹. Lachen steht im Zusammenhang mit dem schwankenden Status des Textes. Schwankend ist der Text, in dem er die beschriebenen Strukturmomente einer ›verkehrten Identitätslogik‹, ihrer Verneinung auf der Aussageebene, die damit zugleich Tautologie und mehr als Tautologie ist, in Szene setzt. Eine Tautologie, die mehr als eine Tautologie ist, die als Tautologie mehr ist, wird zur Figur des Lachens. Schwankend ist die Semantik, gerade weil hier Sinnausfall, Lachen als leerer Signifikant, und Sinnüberschuss, Lachen als Worte, als Implikationen des Lachens zusammenfallen. Die scheinbare Redundanz des Satzes, Der Verurteilte lachte ohne Worte leise vor sich hin, die als Redundanz eine ›unmögliche Leere‹ des Lachens wiederholt, eröffnet eine Lektüre, die irritiert, insofern sie mit der Idee einer Identität von Lachen und Worten arbeitet. Dieses ›mehr‹, das überflüssig ist, gefährdet die stabile Semantik des Satzes, denn es ist die Behauptung einer Unmöglichkeit, eines Lachens mit Worten, die hier zu lesen ist. Als Unmöglichkeit ist sie zuviel. Diese Effekte einer Instabilität, einer Leere und eines Überschusses, sind mit dem ›Lachen‹ verknüpft. Lachen liefert eine redundante Leere, die 134
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zugleich zuviel wird: eine semantische Zumutung im Gewand einer beiläufigen Bemerkung Nehmen wir diese, in der Aussage implizierte, Unmöglichkeit einmal ernst. Gilt diese Annahme, des Lachens als Worte, stellt sich die Frage, über den Satz hinaus für den Rest des Textes; sie stellt sich als Frage nach den Worten. Lesen wir, Wort für Wort ein Lachen? Für diese Überlegungen nehme ich das fünfte Beispiel, von »In der Strafkolonie« hinzu, die wir noch nicht verlassen haben, eher sind wir noch tiefer in den Tropen. Ein breites lautloses Lachen erschien nun auf seinem Gesicht und verschwand nicht mehr.
052 Leise Wiederum ist Lachen über eine Negativität charakterisiert. Nicht ohne Worte ist das Lachen hier, aber lautlos. Doch diese Verneinung folgt einer anderen Logik. Bis hierhin betreibt der Satz hinsichtlich seiner Voraussetzungen im Unterschied zum ersten keine Verkehrung einer gängigen Logik, insofern die implizierte Logik dieser Verneinung einer vermeintlichen Faktizität entspricht. Lachen ist nicht lautlos, so dass die explizite Erwähnung des lautlosen Lachens der gemeinen Logik folgt, weil sie tatsächlich eine Besonderheit herausstellt, die ihrerseits zu lesen gibt. Was ist ein lautloses Lachen?53 Es lässt sich aber bereits sagen, dass Lachen in Kafkas Text als doppelte Negativität auftaucht: wortlos und lautlos. Auch wenn diese Negativitäten in unterschiedlichen Logiken arbeiten, einerseits die Rätselhaftigkeit eines vorausgesetzten Lachens, das nicht wortlos wäre, andererseits eine Aussage, mit der die Frage aufkommt, was ein lautloses Lachen sein kann, auffällig ist die ihnen gemeinsame Unmöglichkeit einer positiven Bestimmung des Lachens auf der Aussageebene. Diese Negativität spielt sich jeweils im Bereich der Artikulationsmöglichkeiten ab, ob als Wort, oder als Laut. Nimmt man also diesen zweiten Satz ernst, ist der Status des Lachens in seiner Negativität radikalisiert. Es ist nicht nur sprachlos, es ist selbst ohne Laut. Artikuliert sich Lachen bei Kafka also nicht? Aber wie wäre es dann, ohne Artikulation? Oder wäre es eine Artikulation jenseits nicht nur von Worten, sondern auch von Lauten? Seine Deartikulation, die sich nicht anders als im Unterschied zu einer Artikulation schreiben lässt, die ihrerseits nicht weniger irritierend ist, wenn wir an ein Lachen mit Worten denken, ist nicht ohne Rest. Immerhin heißt es über das erste Lachen ohne Worte, es sei leise. Lesen wir die beiden Sätze zusammen: Lachen ist nicht laut, es ist leise. Leise ist der Modus seiner Artikulation. D.h. das Lachen ist nicht so sehr unartikuliert, als viel53. Einige Figuren im Schloß lachen auch lautlos. Vgl. hierzu Walser, S. 71. Vgl. auch Abschnitt 084 dieser Arbeit.
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mehr eben an jener Grenze der Artikulation, die es irritierend in Szene setzt. Es ist nicht laut (kein Laut), es ist gerade noch zu vernehmen, es ist leise. Wie lesen wir ein leises Lachen – nicht laut (kein Laut), ohne Worte? 053 Metapher, Metonymie Mit dem ersten Satz trat das Lachen paradoxerweise in der Möglichkeit mit oder ohne Worte zu sein, auf. Innerhalb eines Modells der Zunahme unmöglicher Artikulationen des Lachens, bietet es sich an, ein lautloses Lachen als Radikalisierung dieser tautologischen Verschränkung zu lesen. Lachen ist nicht nur wortlos, es ist lautlos. Ist es aber zwangsläufig, die Aussage, es gäbe ein lautlosen Lachen, als Paradox zu lesen? Denn die Unwirklichkeit eines lautlosen Lachens entwirft als Voraussetzung auch ihr Gegenteil, einen ausdrucksstarken Lachausbruch. Wird sie demgegenüber nicht lesbar als innere Gemütsbewegung? So gelesen müsste ›Lachen‹ keine Laute haben. Ein ›lautloses Lachen‹ hätte den Status einer Metapher, die auf das ›Innere‹ einer Psyche verweist. Aber gibt es diesen psychischen Innenraum bei Kafkas Figuren? Eine Annahme, die für Kafka zumindest bezweifelt werden muss. Anders gesagt, die Möglichkeit eines ›inneren Lachens‹, die in dieser Szene zumindest angespielt wird, hat keine Konsequenzen für den Text. Diese Psychologie erzählt der Text nicht weiter. Dürfen wir sie dennoch annehmen, oder müssen wir sie annehmen, wenn wir dieses Lachen verstehen wollen? Aber, was steht im Text? Ein breites lautloses Lachen erschien auf seinem Gesicht und verschwand nicht mehr. Anstelle eines psychischen Innenraums gibt es eine Gesichtsoberfläche, auf der das Lachen zur Erscheinung gebracht werden kann. Selbst wenn wir dieser Erscheinung den Status einer Metapher zusprechen, gefährdet der Satz seinerseits schon die Möglichkeit von Metaphorik. Das erscheinende Lachen ist nur scheinbar eine Metapher. Es erscheint vielleicht als Metapher. Aber als äußerliches Zeichen, das auf dem Gesicht erscheint, ist Lachen hier von Dauer. Hier ist es und bleibt äußerlich, und – das ist das Besondere – es verschwindet nicht. Was kann das für ein Lachen sein, das auf dem Gesicht erscheint und nicht mehr verschwindet? Gibt es ein Lachen, das nicht mehr verschwinden kann? Als ein Lachen, das nicht verschwindet, kann dieses Lachen kein Lachen mehr sein, als empirisches Phänomen. Als solches wäre es immer endlich und diskontinuierlich. Weil es nicht verschwindet, wird aber auch sein Erscheinen als Metapher fragwürdig. Es gibt ein nicht verschwindendes Lachen nicht. Weder als Phänomen einer Realität, noch als Metapher. Ist es eine Metapher, ist es eine unmögliche Metapher. Denn noch die Metaphorik eines lautlosen Lachens stützt sich auf die Diskontinuierlichkeit eines Gemüts, das damit die Endlichkeit eines Lachens wiederholt. Wird 136
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aber weiter behauptet, dass dieses Lachen nicht mehr verschwindet, verliert auch die Metapher ihren begrenzten Sinn als Gemütsbewegung. Mit der auftretenden Zeitangabe, und verschwand nicht mehr, wird die Metapher metonymisiert, als Lösung löst sie sich auch wieder auf. 054 Allegorien der Ironie Liest man diese beiden Textstellen zusammen, zeichnet sich eine Möglichkeit der Lektüre ab, die ich im Folgenden noch einmal zusammenfassen möchte. Das Lachen, wie es sich mit diesen beiden Textstellen bisher darstellt, kann hinsichtlich des Textstatus durch zwei Merkmale beschrieben werden: erstens, an der äußeren Grenze der Artikuliertheit, als doppelte Negativität, die sich doch leise bemerkbar macht, als in sich paradoxe leise Wort – und Lautlosigkeit – paradox auf verschiedene Weise, weil entweder auf der Ebene der Aussage, oder ihrer Voraussetzung eine semantische Übertreibung im Spiel ist, mit der Idee eines Lachen mit Worten, oder als unmögliche Metapher, eines dauerhaften lautlosen Lachens. Diese Paradoxien verweisen auf einen zweiten Punkt: Lachen wird eine irritierende Dauer zugeschrieben, als Annahme eines Zusammenfalls von Worten und Lachen oder als anhaltende Erscheinung auf der Gesichtsoberfläche. Diese Möglichkeiten überraschen gegenüber der Endlichkeit und noch vielmehr gegenüber der Diskontinuierlichkeit des Phänomens des Lachens. Einmal wird auf eine mögliche Identifikation von Worten und Lachen angespielt, die paradox ist, als überflüssige Tautologie, einmal tritt eine dauerhafte Bildlichkeit auf die Bühne des Textes, die in ihrer Dauerhaftigkeit in ihrem Status als Metapher ebenfalls paradox wird, weil die erscheinende Metapher in der Zeit ihren metaphorischen Status zu verlieren scheint. Zunächst bleibt vielleicht einfach festzuhalten, dass in dieser Spezifik, die stets die Grenzen dessen überschreitet, was man gewöhnt ist, als Lachen zu verstehen, dieses Lachen also kein Lachen ist. Spielt die Repräsentation des Lachens damit vielleicht auf Schwierigkeiten an, die mit der Phänomenalität des Lachens gegeben sind, wie bereits erwähnt worden ist, auf seine Leere, auf seinen Ort am Rande der Sprache, muss man jedoch auch deutlich sagen, paradoxerweise wird das Lachen als seine Unmöglichkeit beschrieben. Ein Lachen, das kein Lachen ist, oder doch jedenfalls kein Lachen, wie man es kennt, gibt es oft bei Kafka. Im Schloß heißt es an einer Stelle: »›Kennen sie Herrn Klamm?‹ Olga lachte auf. ›Warum lachst du?‹ fragte K. ärgerlich. ›Ich lache doch nicht‹, sagte sie, lachte aber weiter.«54 Und über Amalias Vater heißt es:
54. Kafka, Das Schloß, S. 38
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»Dabei lacht er immerfort, wodurch er wohl sich und alle ein wenig beruhigen will, aber da er nicht lachen kann und man ihn noch niemals lachen gehört hat, fällt es niemandem ein zu glauben, daß das ein Lachen sei.«55
Eine stabile Semantik wird mit der Erwähnung des Lachens bei Kafka gefährdet. Es ist auch möglich umgekehrt zu sagen, gerade weil die Semantik in Kafkas Text immer schon instabil ist, bei ganz unverletzter Syntax, vielmehr insistiert seine Syntax auf ihrer Unversehrtheit, ist es möglich in der Beschreibung seiner Unmöglichkeit hier ein ›Lachen‹ zu lesen. D.h., wir können sowohl sagen, das Problem einer Referentialität des Lachens artikuliert sich, wie auch das einer figuralen Sprache. Ihre Beziehung ist unterbrochen. ›Unheimlich‹ ist dieser Bruch, der sich in der Sprache selbst vollzieht, indem sie sich nur auf ihre eigenen Möglichkeiten bezieht und sich selbst dabei sozusagen fremd wird. Die Sprache setzt sich unheimlicherweise ihrer eigenen Fremdheit aus. Im genaueren Blick auf die Szenen, in denen vom Lachen die Rede ist, lässt sich das Lachen dort nicht mehr erkennen. D.h. aber auch, dass, indem der Text gerade an den Punkten, wo vom Lachen die Rede ist, sich nicht als mimetisch, sondern in seiner figurativen Paradoxie gegenüber einer denkbaren Referenz zeigt, und sich auf diese Weise eine ›lachende Struktur‹ zeigt, wenn vom Lachen die Rede ist. Gerade weil diese Stellen nicht von einem gewöhnlichen Lachen berichten, zeigen sie die konstitutive Gewalt des Lachens für den Text an. Auf diese Weise können die Stellen in der Strafkolonie, wo vom Lachen die Rede ist, als exemplarisch für die ›lachende Struktur‹ des Textes verstanden werden, die auch ironisch genannt werden kann. In der Rede vom Lachen stellt sich der Text als ironisch heraus. Die rhetorische Form, die der Text in seinen Figuren als Tautologie oder unmögliche Metapher zu lesen gibt, ist ironisch. Sie ist ironisch, insofern die Figuralität der Sprache gegenüber ihrer referentiellen Funktion einen Unterschied herausstellt, indem sich die referentielle Identität der Sprache verliert. Diesen Text ironisch zu nennen, bedeutet an dieser Stelle, dass sich ironische Figuren, der Tautologie oder der unmöglichen Metapher, als Allegorien der Ironien des Lachens lesen lassen. Allegorisch, insofern in dieser Lektüre des Lachens, im Erkennen seiner ironischen Darstellung, im Konflikt von referentieller und figurativer Funktion, ein Wissen von der Verfasstheit sprachlicher Strukturen herausstellt. Allegorie ist hier der Name für den illusionslosen Abstand einer Lektüre des Lachens als möglicher Referenz im Konflikt mit seiner sprachlichen Figurativität. Ein Konflikt, der sich als ironisch herausstellt. Markiert ›Ironie‹ den Unterschied von referentieller und figurativer Bedeutung, etabliert sich Allegorie als Wissen dieser Markierung. Benennt 55. Ebd., S. 248
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Ironie den Umstand der Spaltung selbst, verdankt sich eine allegorische Dimension der Produktivität dieser Spaltung für ein Wissen in der Lektüre. Ein Wissen, dass vor dem Trauma der ironischen Spaltung aber nicht geschützt bleibt. Im Lesen produzieren wir Allegorien der Ironien des Lachens, die nicht aufhören, ironisch zu sein.
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2.2. Abbruch der Allegorien Zweiter Besuch in der Strafkolonie »Ja, vom Augenblick an, da der Offizier selbst sich dem Apparat ausliefert, verdrängt das traumhaft-expressionistische Erzählprinzip die allegorische Klarheit, die in der ersten Hälfte der Erzählung vorherrscht. Damit kommen wir nun zu der Frage, die wir vorher gestellt haben. Wie ist der Zusammenbruch der Maschine zu erklären?«56 »›In der Strafkolonie‹ hat den Interpreten sozusagen zum Exerzierfeld der Allegorie gedient. Beachtlich ist sowohl das Ausmaß wie auch die groteske Form, die dabei entstanden. Die Allegorie bei Kafka scheint in die Sackgasse des Allegorischen überhaupt zu führen. Benjamin hat die Allegorie im ›Trauerspiel‹ gelegentlich als ›Ruine‹ bestimmt, Ruine einer verlorengegangenen Ideenwelt. Diese scheinen die meisten Kafka-Deuter in der ›Strafkolonie aber wiederherstellen zu wollen.«57
077 Zeitfiguren Verlieren rhetorische Figuren in der Spannung der Unentscheidbarkeit von referentieller und figurativer Bedeutung ihre referentielle Garantie, generieren sie sich in dieser Disjunktion als Modi der Zeitlichkeit. Der Unterschied von Allegorie und Ironie ist von de Man dement56. Walter Sokel, Franz Kafka – Tragik und Ironie, S. 124. Sokels biographischer Ansatz verleitet leider immer wieder dazu, die durchaus bei ihm auffindbaren treffsicheren Bemerkungen zu übersehen. Die von Sokel verwendeten Begriffe ›Ironie‹ und ›Ambivalenz‹, oder auch ›tragische Ironie‹, die zunächst treffend wirken, bleiben jedoch unhinterfragt. Worte wie ›Komödie‹, die in Kafkas Texten auftauchen, werden nicht gelesen; eventuelle Paradoxien, unter der Kategorie ›absurd‹ versammelt. Eine theoretische Betrachtung von Kafkas ›Stil‹ oder ›Darstellungsweise‹ ist bei ihm nicht zu finden. Die Begriffe werden vielmehr als evident verstanden. Letztendlich bleibt Sokel damit einer inhaltlichen Betrachtungsweise verhaftet. M.a.W. Sokel liest Kafka nicht. Aber wie soll man solche Sätze Sokels lesen? »In der Strafkolonie hat Kafka die Ambivalenz im Reisenden zum Ausdruck gebracht – wie die Ironie, wenn auch keine satirische, sondern eine tragische, im Offizier.« (S. 131) Auf derselben Seite heißt es weiter: »Aus der Gestalt des Reisenden fühlen wir keine Ironie heraus, sondern eine sonderbare, verfremdete Stimmung, etwas Unausgesprochenes und Mehrdeutiges, das sich in seiner Gestik ausdrückt.« Das Unbehagen gegenüber einer Lektüre, wie der Sokels, die ich den Kafkaschen Texten gegenüber als unangemessen betrachte, rührt von der Geste der Selbstverständlichkeit her, des Realismus, der der Lesart eingetragen bleibt. Schlimmer wird es, wenn es heißt: »Für Kafka ist Schreiben also Flucht vor dem Vater, Flucht aus der höllischen Strafkolonie der Kindheit, Verurteilung ihres ganzen Systems und Befreiung von ihm.« (S. 133) 57. Beicken, S. 287
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sprechend als eine Frage der Zeitlichkeit ermittelt worden. Etabliert sich die Ironie über eine wiederholbare Plötzlichkeit und tendieren ironische Formen so zum Aphorismus, kann die Allegorie in ihrer imaginären Zeit eine Dauer einrichten. Insofern ist die Frage der Allegorie für die Genre der Erzählung und des Romans mit ihren narrativen Ausdehnungen entscheidend, ebenso wie für den theoretischen Diskurs. Der Zeitpunkt, an dem ein Text seine referentielle Sicherheit verliert, ist nicht einmalig zu bestimmen. Mit der Lektüre der Strafkolonie, sind wir von Anfang an, schon mit dem Titel, in den Tropen, in der Strafkolonie. Dennoch lässt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Rhetorik und Zeitlichkeit spezifizieren, insofern er Konsequenzen für die Form der Erzählung hat. Diese ist über ihr Personal strukturiert. Ich möchte vorschlagen, dass hier jene narrativen Eigenheiten wieder zu finden sind, die für Ironie und Allegorie als charakteristisch bestimmt werden können: narrative Dauer und ironischer Abbruch. Ein Verstehen des Personals der Erzählung als rhetorische Figuren und weniger als Träger von Handlung,58 setzt voraus, dass bei Kafka nicht der Unterschied zwischen auktorialem Erzähler und seinen Figuren für die Geschichte bestimmend ist.59 Es ist bekannt, dass Kafka dazu überging, in der dritten Person zu schreiben,60 die manchmal einen Namen trägt, manchmal nur einen Buchstaben als Markierung erhält oder namenlos in einer Funktion auftritt, z.B. als Reisender, Verurteilter oder Offizier. 58. Wobei nicht zu vergessen ist, dass es diese klassische Handlung durchaus gibt, was sich beispielsweise daran ablesen lässt, dass die Erzählung gut nacherzählbar ist, worauf Thiher hingewiesen hat (S. 52) – und worauf sich viele Interpreten nur allzu gerne konzentriert haben. 59. Auch Walser hat auf das Fehlen eines auktorialen Erzählers bei Kafka hingewiesen, er schreibt, »[…] bei Kafka fehlt der Erzähler, also fehlt der zeitlich fixierbare Punkt, von dem aus erzählt wird; da der Vorgang selbst außerhalb jeder bekannten Vergangenheit spielt, gewinnen die Romane eine Gegenwärtigkeit, die der epischen Dichtung sonst fremd ist.« (S. 33) Vgl. insgesamt dazu Walser S. 19-46. Zur ›Dekonstruktion‹ des klassischen Erzählers bei Kafka siehe auch Steffan, Darstellung und Wahrnehmung der Wirklichkeit in Franz Kafkas Romanen, S. 43. Bersani hat das gleiche Phänomen für Beckett erkannt. Vgl. The Freudian Body, S. 8 60. Dieser Übergang ist v.a. bezüglich des Schloß-Romans untersucht worden, der den Handschriften zufolge zunächst in der ersten Person Singular verfasst worden war. Der Wechsel vom ›Ich‹ zum ›Er‹ scheint, was das Gesamtwerk angeht, nicht linear zu verlaufen, sondern in mehreren Zyklen. Kraft hat diese Entwicklung als Form der Distanzierung aufgefasst. Vgl. dazu und zu einer Aufstellung der verschiedenen Schreibphasen, Kraft, S. 60
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Es fällt auf, dass ein großer Teil der Erzählung in wörtlicher Rede verfasst ist. Die Geschichten über die Vergangenheit der Strafkolonie sowie die Beschreibungen des Apparates sind als Äußerungen des Offiziers markiert. Es gibt keine andere Stimme, die ihre Glaubwürdigkeit garantieren würde.61 Die Beobachtungen der Erzählstimme weisen demgegenüber eine Nähe zur Position des Reisenden auf, sind aber keinesfalls mit ihr identisch.62 Es gibt zwar Passagen, wo sich die Ausführungen der Erzählstimme dem Reisenden nähern, und die Erzählstimme seine Gedanken trifft. In anderen Momenten allerdings erahnt die Erzählstimme lediglich die Motivationen des Reisenden und tritt ihnen mit Fremdheit gegenüber. Hat die Erzählstimme zwar gegenüber den Personen der Erzählung hier und da durchaus ein anderes Wissen aufzubieten, gewinnt dieses Wissen keinen verlässlichen Status, sondern schweigt oder fragt oftmals gegenüber dem Geschehen. Sie etabliert sich nicht als mehr wissende, stabile Instanz. Die Distanz der Erzählstimme zu diesen Figuren richtet sich nicht fest in einer Perspektive des Überblicks ein.63 Die Erzählstimme ist mit in den Tropen. Gibt es ein Außerhalb von Figuralität, so ist es für die Erzählung unbekannt. Kafka gestaltet diese Frage als Problem der Abreise.64 (Die Anreise wird nicht geschildert)
61. Thiher beobachtet sehr richtig bezüglich der Frage, was die Aufgabe des Reisenden wäre: »All of this is largely hypothetical because it is the machine’s guardian who supplies the reader with various conjectures as to why the explorer is there at all.« (S. 53) 62. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Thiher, mit dessen Idee eines Bewusstseins ich allerdings nicht übereinstimme, wenn er schreibt: »Narrative point of view only infrequently coincides directly with the explorer’s consciousness.« (S. 53) 63. Beicken weist auf die Reduktion der Erzählfunktion bei Kafka hin. Eine moralische Kommentierung, die sich z.B. über zeitliche Distanzierung zu den Figuren der Erzählung oder des Romans etablieren kann, fällt dabei aus. Beicken versteht dieses Phänomen historisch und unterscheidet dabei zwischen Thomas Mann und Kafka, eine Unterscheidung, die auf Lukács zurückgeht. Zu einer genaueren Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten der Reduzierung der Erzählperspektive bei Kafka, v.a. der räumlichen und zeitlichen, siehe auch Ramm, Reduktion als Erzählprinzip bei Kafka. Bei Rolleston (Kafka’s Narrative Theater) heißt es noch einmal ausdrücklich: »In the history of Kafka criticism one of the most significant events was the enunciation by Friedrich Beissner in 1952 of the principle of restricted perspective. Kafka, the author, while not identical with his hero, knows no more than the hero does, and compels the reader to share the hero’s obsession by excluding all other perspectives on events.« (S. XIII)
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078 Überredung und Unterbrechung Ein stabiles Erzählprinzip bietet also keinen verlässlichen Rahmen für den narrativen Aufbau der Erzählung. Ich möchte unter der Annahme dieser erzählerischen Problematik ausführen, auf welche Weise das »Personal« der Erzählung (nach diesen Bemerkungen eine problematische Kategorie, insofern sie sich im Unterschied zum Erzähler etabliert) im Sinne rhetorischer Figuralität verstanden werden kann. Das Personal der Erzählung ist durch zwei verschiedene Zeitlichkeiten zu charakterisieren. Die Rede des Offiziers über die ungewisse Zukunft des Apparates ist als Sprechakt der Versuch einer Überredung des Reisenden, die den Fortbestand der Maschine garantieren soll. Diese Überredung, die keine Überzeugung wird, kennzeichnet zugleich die zeitliche Struktur der Äußerungen des Offiziers. Über ihre persuasive Funktion hinaus ist es eine Überredung der Gegenwart, in der Weise, dass sie über die Gegenwart hinweg redet und dabei versucht, eine mythische und imaginäre Zeit einzurichten. Als solche ist die Über-redung aber in sich paradox. Sie verlangt die Zustimmung der Gegenwart und leugnet diese zugleich. Sie schwankt zwischen dem Drängen, keine Zeit zu verlieren, und der verführenden Rede zur Zustimmung. Wie häufig bei Kafkas Figuren ist das Problem des Offiziers eines der Zeit.65 Er steht vor der Schwierigkeit, seinerseits keine Beziehung zur Gegenwart eröffnen zu können, zu einer Gegenwart, die allerdings die Legitimation des Verfahrens sichern würde. Im gleichen Maße, wie die Gegenwart das Verfahren sichern würde, ist das Verfahren aber auch der Gegenwart als Gefahr ausgesetzt. Nur eine Instanz außerhalb des Strafverfahrens und seiner Agenten ist in der Lage, den Herrschaftsanspruch des Rechts zu legitimieren. Dieser Imperativ muss als sprachlicher Redeakt der Gegenwart erfolgen. 64. Die Schlussszenen von Kafkas Texten sind unter diesem Gesichtspunkt zu untersuchen. Kafkas Erzählschlüsse haben eine gewisse Leichtigkeit, ein Verschwinden, sie verflüchtigen sich. Ich lese diese Szenen als Schlüsse, die zu keinem Ende kommen. D.h. am Schluss des Textes eröffnet sich eine Bewegung, die über den Text hinausweist. Mit de Man wäre darin ein Pathos zu erkennen, d.h. eine Bewegung, die nach dem Verlust referentieller Identität zurückbleibt und zunächst unbestimmt bleibt. Im psychoanalytischen Register können wir dieses Pathos als Begehren verstehen. Avital Ronell schreibt in ihrer Lektüre von Das Schloß, »[…] interpretation is as dependent on a notion of breakdown as is the theory of desire set forth in the text.« (Ronell, »Doing Kafka in The Castle: A Poetics of Desire«, S. 203) Vgl. hierzu auch das Kapitel »Abfall« dieser Arbeit. 65. Der Offizier ist nicht der einzige Held Kafkas, der ein Problem mit der Zeit hat. Über die Zeit-Not einiger anderer, vgl. Kleinschmidt, S. 111ff. Dort heißt es, »Das Keine-Zeit-Haben ist ein wichtiges Merkmal fast aller Figuren im Gesamtwerk.«
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Ironischerweise, weil durch offensichtliche Willkür dazu bestimmt, fällt die Aufgabe der Legitimierung des Gesetzes dem Reisenden zu.66 Der Reisende ist eine Figur der Gegenwart.67 Er hat keine Geschichte, er ist nur Reisender. Er hat keine Vergangenheit und die Erzählung endet mit seiner Abreise, es ist nicht bekannt wohin.68 Doch ist keineswegs sicher, ob der Reisende, der nur reist, um zu sehen, nicht aber, um fremde Gerichtsurteile zu legitimieren oder zu ändern, diese Stimme besitzt. Der Versuch der Legitimierung des Gesetzes in diesem Dialog scheitert, weil die Verführung zur Ver-führung, zur Verkehrung der Verführung wird. Insofern die Erzählung der Möglichkeit der Ironisierung mit der Figur des Reisenden stattgibt, kann dieser Moment als Effekt der Ironie gelesen werden.69 In dieser Perspektive sind die rhetorischen Möglichkeiten von Ironie und Allegorie über das Personal der Erzählung positioniert: die allegorische Dimension, vertreten durch den Offizier, wird zerstört, indem die Erzählung mit der Figur des Reisenden der Ironie Raum gibt.70 66. Rolleston bietet eine gute Analyse dieser Situation an, »[…] the rationality of a Kafka character can never be taken at face value; the explorer’s rationality is an elaborate coordination of his public responses with what he views his position in life. […] the explorer’s identity is so well established that it conceals from him the real nature of his responses to events, while reducing the scope of events in order to confirm them to ›rational‹ behaviour patterns. The ironic result is that when the explorer finally makes ›decisions‹, these decisions reflect neither his own reality nor that of the conflict they are supposed to resolve.« (Rolleston, S. 90) 67. Geschichtslosigkeit ist bei einer ganzen Reihe von Kafkas Helden zu finden. Josef K. und K. gehören natürlich zu diesen erinnernungslosen Helden. Die Frage der Erinnerung ist auch die Frage nach der Familie, insofern sie eine ödipale Positionierung wiederholen würde, soweit ist auch Deleuze und Guattari zuzustimmen. Wie lässt sich von diesem Zusammenhang ausgehend die Notwendigkeit von Ironie denken? Ironie wäre demnach geschichtslos und antifamiliär. Bei Benjamin heißt es an einer Stelle: »Diese Worte schlagen eine Brücke zu jenen sonderbarsten Gestalten Kafkas, die als einzige dem Schoße der Familie entronnen sind und für die es vielleicht Hoffnung gibt.« (Über Kafka, S. 14) Vgl. hierzu den Abschnitt über Odradek. 68. Kafka war mit dem Schluss unzufrieden, er hielt ihn für ›Stückwerk‹ und versuchte verschiedene Variationen, blieb aber bei dieser 1919 veröffentlichten Geschichte bei der bekannten. 69. Thiher beschreibt die Struktur der Geschichte ähnlich, wenn er schreibt: »The machine itself is described with a precision that comically contrasts with the way it flies apart once it is finally set in motion.« (S. 55) 70. Fülleborn hat treffend beobachtet, dass der Offizier aus seiner hermetischen, parabolischen Welt herausgedrängt, während der Reisende genau in diese Welt hineingedrängt wird. Mit dieser Aussage bin ich sehr einverstanden, sie trifft sich mit
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079 Schrift und Gesetz Welche Allegorie kommt dabei zu Fall? Konnte in einem ersten Schritt diese in ihrer narrativen Funktion gebunden an die Position des Offiziers verstanden werden, ist sie nicht darauf zu beschränken. Denn der Zusammenbruch der Allegorie tritt in der Erzählung als des Endes des Offiziers und als Zusammenbruch des Strafapparates auf. Vergleichbare Allegorisierungen lassen sich auch in anderen Texten Kafkas finden.71 Während der eigentümliche Strafapparat der Strafkolonie zugleich eine Schreibmaschine ist, ist das Gesetz im Proceß an Aktenverkehr und Gesetzesbücher gebunden. Im Spannungsverhältnis von Gesetz und Schrift werden die Allegorien bei Kafka auf- und abgebaut. Der Gesetzesapparat in der Strafkolonie wird durch seinen übertriebenen Anspruch als auch über seine mangelnde und schließlich selbst zerstörerische Technik zur Parodie eines gültigen und wirksamen Rechtsspruchs. Seine Schrift ist unlesbar. Die mächtigen Bücher des Gesetzes im Proceß sprechen nicht vom Recht, sondern zeigen pornographische Bilder, das Gericht bleibt unauffindbar. In diesen plötzlichen Verwandlungen von Allegorien in Ironien, laufen die allegorischen Bedeutungen stets ins Leere. Die Allegorien, die der Text herausstellt, bleiben nicht stabil,72 die allegorische Bedeutung wird ironisch demontiert. Vielmehr muss gesagt werden, dass die sprachlichen Figuren ohne Chance, eine – sei es auch allegorische – Bedeutung zu hinterlassen, sogleich in ironische verwandelt werden.73 meinen Beobachtungen über das Verhältnis von Allegorie und Ironie bezüglich des Personals der Erzählungen. Vgl. hierzu Fülleborn, »Zum Verhältnis von Perspektivismus und Parabolik in der Dichtung Kafkas«, S. 301 71. Ronell hat in ihrer Schloß-Lektüre auf die ironischen Brechungen aller im Text vertretenden Ideen von Textlichkeit hingewiesen. »Kafka’s novel (i.e. The Castle) systematically breaks down (in the technological and nervous senses) its own iterative performance of meaning« (»Doing Kafka […]«, S. 189) An anderer Stelle wird dieser Zusammenbruch als ›ironisch‹ verstanden: »›The Castle‹ performs an ironic subversion of its literary premises by calling attention to the disfunctionality of its discourse.« (Ebd.) 72. Das Nicht-Allegorische von Kafkas Schreiben ist in der Kafka-Literatur bekannt. Vgl. hierzu z.B.: Bridgewaters, im übrigen enttäuschendes Buch, Kafka und Nietzsche, S. 49 73. Deshalb haben bei Kafka auch Metaphern keine Chance. Seine Abneigung gegenüber Metaphern ist bekannt. »Die Metaphern sind eines in dem Vielen was mich am Schreiben verzweifeln läßt.« (Tagebücher 1914-1923, S. 196) Metaphern können selbst nicht komisch sein, insofern Besitz oder Eigentum an Bedeutung Bedingung des metaphorischen Transports ist. Rodolphe Gasché hat darauf hingewiesen, dass auch für de Man die Metapher eine problematische Figur bleibt: »And indeed, metaphor for de Man is the totalizing instance par excellence.« (Gasché, The Wild Card of Reading,
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Der Schriftapparat als Allegorie einer Gesetzesschrift, die eine stabile Institution sein sollte, kommt zu Fall. Das heißt aber auch, dass die Bedeutungen nicht einfach umgangen werden können, also notwendig sind. Voraussetzung der Demontage ist das Insistieren auf der Möglichkeit von Bedeutung. Sie ist notwendig und unmöglich. Die Allegorien sind stets dem Verhör, der Frage ihrer Legitimität, einer endlosen Suchbewegung oder ernst zu nehmenden Zweifeln ausgesetzt. Ihnen wird der Prozess gemacht. Geht es mit dem Schreibapparat in der Strafkolonie um die Allegorisierung von Schrift und Gesetz, ist deren Zusammenhang zu klären.74 Vogl schreibt: »Wo immer Kafkas Protagonisten ihr Gleichgewicht in einer Sprache des Rechts suchen und mit gereiztem Rechtsgefühl alle Anstrengung darauf wenden, sich selbst allgemein zu werden, wanken sie angesichts eines unaufhebbaren Rests, der ihnen als Unbegreifliches entgegentritt: sei es eine Tierstimme, die mit einem Mal aus ihnen spricht, sei es eine ›Urteilssprache‹, die an sich selbst verzweifelt.«75
Bei Kafka gibt es keine ideale Sprache, in der sich das Gesetz verkünden ließe. Sprache und Gesetz sind nicht identisch und treffen sich nicht. Mehr noch, die Schrift, die das Gesetz vertreten sollte, greift es an. Das Gesetz erweist sich als unmöglich, soweit es einer Sprache/Schrift geschuldet bleibt, die mehr als ein Instrument ist.76 Ist Lachen von der Schrift nicht S. 21) An gleicher Stelle zitiert Gasché de Mans Allegories of Reading (S. 146), wo es über die Metapher heißt, »an exchange or substitution of properties on the basis of resemblance.« 74. Biemel bemerkt es deutlich: »Die Egge ist aus Glas gefertigt, damit auch die Zuschauer das dem Verurteilten eingeschriebene Urteil genau verfolgen können. Alles ist auf die Schrift hin angelegt – sie selbst ist aber unleserlich.« (S. 7f.) 75. Vogl, S. 187 76. Thiher schreibt, »[…] writing is, in a quite literal sense, the means of finding access to the law, and hence to redemtption, justification, and salvation.« (S. 51) Diese Aussage würde ich folgendermaßen verschieben: der Zugang, den die Schrift zu erlauben scheint, bleibt mit der Schrift zugleich auch versperrt. D.h. gäbe es einen Zugang, käme er der Schrift zu. Daraus ergibt sich für die Parabel ›Vor dem Gesetz‹ folgendes Paradox, »[…] perhaps the parable is a double for the law that it would represent. The text would then be a double for its own meaning, which again brings up the paradoxes of self-referential language […]. The parable represents itself as access to the meaning of the parable, and hence to writing, and consequently to writing as the law. But how can one know the meaning of the parable unless one knows the law – and vice versa.« (S. 56)
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zu lösen,77 und zeigt deren instabilen Zustand an, kann sie nicht Gesetz werden und setzt das Gesetz dem Lachen aus. Das Gesetz, das sich zu behaupten versucht, wird demzufolge gewaltsam und komisch. Im Insistieren auf seiner Gesetzmäßigkeit tritt in der Strafkolonie das Gesetz als Parodie des Gesetzes auf. 080 Gesetz und Parodie Deleuze bietet in seinem Kommentar zu Sacher-Masoch »Gesetz, Humor und Ironie«78 eine Lektüre ihres Zusammenhangs an, und kommt dabei auf Kafka zu sprechen. Seit Platon gibt es Deleuze zufolge zwei denkbare Modi, das Gesetz zu verstehen: entweder, von seinen Grund legenden Prinzipien her, oder gemessen an seinen Folgen. In der Notwendigkeit eines Gesetzes zeigt sich dabei, dass das Gute an sich nicht zugänglich ist, sonst wäre ein Gesetz überflüssig. Das Beste erscheint demnach gemessen an den Folgen, eine relativierte Form des unerreichbaren Guten und damit als Schauplatz politischer Philosophie. Ironie und Humor sind nach Deleuze Formen der Aneignung des Gesetzes, das immer nur ein vermitteltes sein kann. »Die Ironie ist das Spiel eines Denkens, das sich erlaubt, das Gesetz auf ein unendlich höheres Gutes zu gründen; der Humor das Spiel dieses Denkens, das sich erlaubt, jenes Gesetz durch ein unendlich gerechteres Bestes zu sanktionieren.«79
Reflektieren Humor und Ironie die Unmöglichkeiten eines direkten Zugangs zum Guten oder Besten, stellen sie die Existenz dieser Ideen ihrerseits nicht in Frage. Gegenüber Platons Ideen verhalten sie sich affirmativ. Seit Kant ist diese Logik gewendet: »Kant sagt selbst, daß das Neue seines Vorgehens darin bestehe, das Gesetz nicht mehr vom Guten abhängig sein zu lassen, sondern im Gegenteil das Gute vom Gesetz.«80
Die Verkehrung der Bezugnahme von Gesetz und Gutem bindet die Möglichkeit des Guten an das Gesetz selbst. Ohne Gesetz gäbe es kein Gutes. Damit verschieben sich die Ideen des Guten oder Besten selbst. Das Gesetz ist nicht länger Ausdruck dieser Ideen, sondern entwirft sie selbst als seine Begrenzung:
77. 78. 79. 80.
Vgl. dazu das Kapitel »Erster Besuch in der Strafkolonie« In, »Sacher-Masoch und der Masochismus«, S. 231-240 Deleuze, »Sacher-Masoch und der Masochismus«, S. 232 Ebd.
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»Der doppelte Spielraum, den die Begründung des Gesetzes durch das Gute und die Billigung des Weisen um des Besten willen konstituierte, ist zunichte geworden.«81
Das Problem des Guten oder Besten verschiebt sich, indem es erst vom Gesetz definiert wird, von einer Frage der Substantialität zu einer der Form. Damit wird das Verhältnis zum Gesetz eines unauflöslicher und permanent steigender Schuld, wie Deleuze mit dem Hinweis auf Freuds »Unbehagen in der Kultur« bemerkt: »Wenn nun das Gesetz sich nicht mehr aus einem ersten and höchsten Guten begründet, wenn es schon durch seine eigene Form gilt, ohne alle inhaltliche Bestimmung, dann wird es in der Tat unmöglich zu sagen, der Gerechte gehorche dem Gesetz um des Besten willen. Genauer: Wer dem Gesetz gehorcht, ist und fühlt sich deshalb nicht auch schon gerecht. Er fühlt sich im Gegenteil schuldig, und desto schuldiger, je unbedingter er gehorcht.«82
Ist das Gesetz nicht Ausdruck des Guten, sondern jenes eine formale Bestimmung, die sich dieses gibt, fällt moralische Versöhnung als Erreichen des Guten im Befolgen des Gesetzes aus. Verweist die Notwendigkeit des Gesetzes auf eine Schuld, kann sie diese mit dem Fehlen des Guten als Substanz nicht aufheben. Vielmehr muss sich in der Zeitlichkeit des Gesetzes, das keinen Zugang zum Guten kennt, weil es auf eine formale Bestimmung reduziert ist, unabhängig von der Frage, ob das Gesetz befolgt wird oder nicht, die Schuld steigern. Ohne die Substanz eines Guten wird Schuld zum unaufhörlichen Effekt eines formal existierenden Gesetzes. Fehlt die Substanz des Guten, so auch die des Bösen. Die Schuld, unausweichlicher Effekt des Gesetzes, das kein präexistentes Gutes kennt, ist deshalb, wie Deleuze and Guattari in ihrem Kafka-Buch bemerkt haben, gleichzeitig zum Lachen. In dieser Perspektive verschieben sich auch die Begriffe Ironie und Humor: »Aber dadurch gewinnen Ironie und Humor eine neue, moderne Gestalt. Noch immer sind sie Formen, in denen das Gesetz gedacht wird, aber jetzt wird es in der Unbestimmtheit seines Inhalts und der Schuldhaftigkeit dessen, der sich ihm unterwirft, gedacht. Diesem veränderten Status des Gesetzes entsprechend gibt Kafka der Ironie und dem Humor die eigentlich modernen Werte.«83 81. Ebd., S. 235 82. Ebd., S. 234 83. Ebd., S. 235
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Ironie und Humor sind nicht länger Formen der Aneignung des Gesetzes, weil das Gute oder Beste unerreichbar wären, ohne in dieser Unerreichbarkeit selbst in Frage gestellt zu werden. Sie sind keine Formen, die sich als relativierte im Kontrast zur Absolutheit des Guten ergeben. Radikaler unterhalten sie eine Beziehung zum Gesetz, das eines Guten oder Besten als Form bedarf, die jedoch inhaltlich leer bleibt. Sind Ironie und Humor Zugänge zum Gesetz, markieren sie zugleich dessen essentielle Leere. Somit wird es möglich zu sagen, das Gesetz ist zugleich die Parodie des Gesetzes. Die aporetische Dimension des Gesetzes, das auf seiner Form oder Performativität basiert, ist auch der Strafkolonie abzulesen. Dem Apparat, sowie dem Offizier, der ihn nicht nur genauestens kennt, sondern mit dessen Geschichte verbunden ist, wird von Anfang an mit Zweifel begegnet: »Es ist ein eigentümlicher Apparat«.84 Neue Augen, die eines namenlosen Reisenden, sollen dieses Instrument vergangener Macht, das im Verfall seiner Geschichte Erinnerungen als Legenden bereithält, als stabiles Machtinstrument, als Exekutive der Justiz, das nicht nur Exekutionen besorgt, sondern der Folter die Dauer eines halben Tages vorschreibt, in der Gegenwart bestätigen. Über diese Schreibmaschine, Foltermaschine, word processor, diesen eigentümlichen Apparat, der selber richtet, soll gerichtet werden. 081 Präsentieren So gelesen handelt die Erzählung In der Strafkolonie von der unmöglichen Autorisierung des Rechts selbst, die bei Kafka im Modus einer zufälligen Begebenheit auftritt. Wieso ist die Autorisierung des Rechts unmöglich? Sie ist unmöglich, in dem Sinne, dass es kein Kriterium a priori gibt, Deleuze folgend kein präexistentes Gutes, das das Recht inauguriert. Die Notwendigkeit des Urteilens selber begründet sich gerade in seiner Aporie, wie Derrida in seiner Lektüre von Kafkas »Vor dem Gesetz« gezeigt hat. Dort heißt es, »[…] ist die Abwesenheit eines Kriteriums das Gesetz, wenn man so sagen darf, wenn die Kriterien einfach verfügbar wären, wenn das Gesetz präsent wäre, da, vor uns,
84. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 161. Biemel hat auf die Eigentümlichkeit hingewiesen, einen Apparat, eine Maschine eigentümlich zu nennen, nicht einen Menschen. Dem ist insofern zuzustimmen, wie eine Eigentümlichkeit einer Maschine sich nur dann als verständlich herausstellt, wenn sie eben nicht als Maschine Aufmerksamkeit gewinnt, sondern als das, was als Maschine an ihr nicht Maschine ist. Vgl. hierzu Biemel, S. 3. Mit einem Blick auf Science-Fiction-Filme wäre diese Frage zu verfolgen.
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dann gäbe es kein Urteilen. Es gäbe höchstens Wissen, Technik, Anwendung eines Codes.«85
Gerade die fehlende Präsenz des Gesetzes evoziert das Urteilen. Eine unaufhebbare Lücke zieht von Beginn an eine Rechtspraxis nach sich.86 Diese unmögliche Präsenz des Gesetzes ohne Aufschub und Verzögerung scheint nun aber ihrerseits in der Strafkolonie als Schriftapparat aufzutauchen. Er soll der Ort des Guten sein, das sich unmittelbar zeigt. Versammelt er nicht die Merkmale, von denen Derrida spricht: Wissen, Technik und Anwendung eines Codes? Als reine Präsenz wäre das Urteilen keine Frage der Auslegung mehr. So erübrigte sich jedes Verfahren. Die Schuld wäre immer zweifellos: »Es bestünde kein Grund zu urteilen oder sich wegen des Urteils zu sorgen, man hätte sich nicht mehr zu fragen, ›wie urteilen‹.«87 In der Strafkolonie gibt es diese Frage scheinbar nicht. In der Strafkolonie sollen Anklage, Strafverfahren, Urteilsverkündung und -vollstreckung unter dem Schriftapparat zusammenfallen. Die unmögliche Idealität des Gesetzes soll technisch hergestellt werden.88 Als Präsenz soll sie sichtbar sein, erzählt die Legende, »alle kamen nur um zu sehen«.89 Was es hier unmöglicherweise zu sehen gibt, ist die unsichtbare Gerechtigkeit, »alle wußten: Jetzt geschieht Gerechtigkeit.«90 Doch schon diese »sichtbare« Gerechtigkeit scheint in Gefahr, »wie hielten wir unsere Wangen in den Schein dieser endlich erreichten und schon vergehenden Gerechtigkeit.«91 Der Zusammenfall von Anwendung eines Codes, Technik und Gesetz bleibt für den Text selbst phantasmatisch.92 Er ist der Erzählung als Legende der Vergangenheit eingefügt und wird sich in der Erzählung nicht bestäti85. Derrida, Préjugés, S. 23f. Zu einer neueren kritischen Auseinandersetzung mit Derridas Text vgl. auch Agamben, »Form of Law« 86. Thiher liegt auf der gleichen Linie, wenn er schreibt: »Kafka’s basic premise is that we never have a relation of the law before the judgement; or alternately, that we only deduce from the judgement that there must be a law.« (S. 56) 87. Derrida, Préjugés, S. 24 88. Dem ist hinzuzufügen, gäbe es ein Gericht, wo sich ein ideales oder göttliches Gesetz verwirklichte, wäre es ernst, wie auch die Legende in der Strafkolonie es beschreibt. 89. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 178 90. Ebd., S. 178 91. Ebd., S. 178 92. Wie schon bei der früheren Textstelle, wo vom Erscheinen des Lachens auf dem Gesicht die Rede ist, das nicht mehr verschwindet, wird auch hier ein Zusammenhang von Zeitlichkeit und Bildlichkeit gestiftet. Bildlichkeit tritt dabei im Modus des Scheins auf, d.h., sie bleibt nicht stabil.
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gen.93 Wenden wir uns dennoch dieser Legende zu: welche Gefahr droht schon der präsenten Gerechtigkeit? Sie muss präsentiert werden. Sie unterliegt der Dramaturgie einer Inszenierung. Der Arbeitstakt der Maschine im Zusammenspiel mit den physiologischen Reaktionen des Verurteilten gestaltet sich im zeitlichen Rahmen von zwölf Stunden. Die Präsenz von Gerechtigkeit, die die Maschine als Wunder vollbringen soll, wird durch ihren öffentlichen Charakter als Schauspiel einerseits bestätigt. Hier gibt es eine Verschiebung vom Schreiben zum Sehen. Als angeschauter (die Egge ist aus Glas) wird der Schreibakt präsent, ohne den Aufschub der Schrift. Gleichzeitig führt aber die Dramatisierung der »präsenten« Gerechtigkeit wiederum eine Zeit ein, die mit dem Zusammenfall der Schritte des Gerichtsverfahrens beseitigt werden sollte. Die genau bestimmten zwölf Stunden, nicht zwölf Geschworenen, des Gerichtsverfahrens stellen erst seine Präsentierbarkeit her.94 Das aber heißt, dass die Präsentierung der Gerechtigkeit, wiederum ihre Präsenz hintergeht: »Manche sahen nun gar nicht mehr zu, sondern lagen mit geschlossenen Augen im Sand; alle wußten: Jetzt geschieht Gerechtigkeit.«95 In der Zeit von zwölf Stunden erfolgt dabei ein Übergang vom Sehen zum Wissen. Die Gerechtigkeit ist dabei einer Endlichkeit übergeben: »Wie nahmen wir alle den Ausdruck der Verklärung von dem gemarterten Gesicht, wie hielten wir unsere Wangen in den Schein dieser endlich erreichten und schon vergehenden Gerechtigkeit! Was für Zeiten, mein Kamerad!«96
Die vom Text gestaltete »Präsenz« ist doppelt unmöglich. Sie tritt als Legende auf und wird schon in dieser Legende, als Schauspiel in der Verschiebung von Präsenz zu Präsentierung, hintergangen. Die Notwendigkeit der Präsentierbarkeit des Gesetzes wiederholt sich nun mit dem Besuch 93. Von diesen Modi der Erzählung hängt der unsichere Status des Gerichtsverfahrens ab, wie auch Thiher schreibt: »Kafka is a sharp critic of the deceitfulness of memory, for memory can claim to justify anything precisely because there are few criteria for checking the claims of memory. The guardian can presumably remember transfigurations brought about by the revelation of the law as it was written out, as it manifested itself as writing. But what can justify that memory when nothing on the island or in the barren valley speaks to the guardians claim.« (S. 57) 94. Die Anspielung auf die christliche Kreuzigung, v.a. mit der Betonung der sechsten Stunde, ist hier am deutlichsten. Im Wortlaut der Bibel heißt es bei Kafka: »Um die sechste Stunde«. Für eine weitergehende Lektüre dieser Stelle vgl. Kaiser, S. 91 95. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 178 96. Ebd., S. 178
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des Reisenden. Strebt die Exekution das Ineinanderfallen von Schrift, Gesetz und Körper an, produziert sich diesmal keine mythische Erzählung des Rechtes daraus, wie in den Erinnerungen des Offiziers, sondern gegenüber der Gegenwart als prüfender Instanz verliert die Maschine ihren Zusammenhalt. 082 Gerechtigkeit Die Frage nach den Allegorien der Schrift ist in der Strafkolonie, wie auch im Proceß, als Frage nach der Möglichkeit des Gesetzes gestellt. So arbeiten diese Texte an einer Legitimation des Gesetzes, die sich auf der einen Seite als unmöglicher Zusammenfall der Behauptung des Gesetzes in einem einzelnen Akt vollziehen soll, der mythisch bleiben muss – so in der Strafkolonie, während im Proceß das gleiche Problem als unendlicher Aufschub gestaltet wird. Mit einer figurativen Sprache, die mehr und weniger als ein Instrument ist, fallen Gesetz und Sprache nicht zusammen. Sprache bestätigt über ihre Performativität das Gesetz, das sie verwirklichen sollte, nicht. Darin zeigt sich die essentielle Leere des Gesetzes. Allerdings geschieht Gerechtigkeit in der Strafkolonie gerade unter dieser Bedingung. Der Fehlschlag das Rechtsverfahren zu autorisieren, führt zur Freiheit des zu Unrecht Verurteilten. Gerechtigkeit geschieht unter der Bedingung des Verfalls des Gesetzapparates, das Selbsturteil des Offiziers, sei gerecht, kann nur als Verfall der Maschine ausgeführt werden. Wird dieser Verfall als Konflikt von Gesetz und Schrift verstanden, führt die Schrift gegenüber dem Gesetz Gerechtigkeit erst ein. Unterscheidet sich diese Schrift gegenüber dem phantasmatischen Gesetz durch ihre zugegebene Leere, die das Lachen anzeigt, arbeitet Lachen bei Kafka gegen das Gesetz im Auftrag der Gerechtigkeit. Das Personal der Erzählung »In der Strafkolonie« tritt im Modus der rhetorischen Figuren Allegorie und Ironie auf. Gleichermaßen steht damit die Beziehung von Gesetz und Schrift auf dem Spiel. Bei Kafka haben die Allegorien einer stabilen Gesetzesschrift keine Chance. Sie werden über die dem Text eingetragene Ironie zerstört.97 In der Literatur hat die Iro-
97. Mit einer anderen Terminologie kommt Biemel zu einer Einsicht, die nicht weit entfernt von der hier vorgeschlagenen gelegen ist: »Was zunächst als einfacher Unsinn erschien, ist Widersinn in der Bedeutung, daß Sinn in sein Gegenteil verkehrt wird. Diese Umkehrung, dies Umschlagen von Sinn in Widersinn ist von Kafka sehr konsequent in der ganzen Erzählung durchgeführt, so daß wir sagen können, das AufbauPrinzip dieser Erzählung ist das Umschlagen von Sinn in Widersinn, bis zum Schluß der Widersinn sich selbst aufhebt.« (S. 22f.) Der inhaltlichen Bestimmung dieser Figur, als Perversion der Idee von Gerechtigkeit, die Biemel auf den darauf folgenden Seiten vorschlägt, ist nicht nur enttäuschend, sondern zu widersprechen.
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nie vorerst das letzte Wort. Damit nimmt sie eine ethische Pflicht auf sich, im Abbau eines phantasmatischen Gesetzes, setzt sich Gerechtigkeit durch. Hat die Reflexion in ihrer Hinwendung zur Literatur dabei jenen Ernst verloren, von dem Blanchot schreibt, oder ist sie in ihren allegorischen Deutungen nicht umso ernsthafter geworden?
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2.3. Fallgeschichten »Eine radikale Erschütterung kann nur von einem Außen her kommen«98 »Es wären also neue Wege im Denken des Körpers zu bahnen, ohne die Register des Diskurses aufzuspalten (Das Denken, die Philosophie, die biogenetisch-psychoanalytischen Wissenschaften, die Phylo- and die Ontogenese), um eines Tages dem nahezukommen, was zittern macht, oder dem, was weinen macht, […]«99
083 Zwischenbemerkung Die Frage des Lachens liegt außerhalb des theoretischen Diskurses. Als solche hat sie auf jeden Fall mit ihm zu tun. Durch einen Ausschluss eingeschlossen, führt sie zu einer heimlichen Faszination. Offener zeigt sich dieses Verhältnis mit der Literatur. Kafkas Texte ebenso wie die Texte zu Kafka erregen ein Lachen. Wie können wir es verstehen – können wir es verstehen? Zunächst führte diese Frage zur Frage nach dem Status des literarischen Diskurses. Dieses Lachen wurde spezifiziert als ironische Sprachstruktur, die für den literarischen Diskurs kennzeichnend ist. Droht dem Diskurs dabei immer wieder der Abbruch, etabliert sich in diesem Spannungsverhältnis ebenso sein Wissen. Mit Hilfe des Vokabulars einer ›Theorie‹ der Rhetorik war es nun in einer Wendung der Lektüre wiederum möglich, den Signifikanten ›Lachen‹ in Kafkas Strafkolonie genauer zu untersuchen. Er wird über tautologische und metonymische Verfahrensweisen gestaltet. Die Lektüre des Signifikanten ›Lachen‹ führt zu der Einsicht, dass Lachen dem Text fehlt, eben als dieses Fehlen aber eingetragen bleibt. Es fällt auf, dass es fehlt. ›Lachen‹ erweist sich bei Kafka als unerreichbares Außen, von dem der Text affiziert wird und seine illusionslose Negativität zu lesen gibt. Anstelle narrativer Stabilität zeigt sich Kafkas Erzählung über die Zeitlichkeiten von Allegorie und Ironie strukturiert: als ironischer Abbruch der Allegorien des Gesetzes, die einer Schrift übergeben sind. Literarischer Text und Kommentar halten sich danach jeweils und untereinander im endlosen Wechselspiel von Allegorie und Ironie auf. Mit diesem Schritt jedoch droht das Verfahren der Lektüre, die sich einem Außen verpflichtet sieht, zirkulär zu werden, wie Derrida es in einem anderen Zusammenhang beschrieben hat: »Die kontinuierliche Explikation auf eine Eröffnung hin läuft Gefahr, im Autismus der Umschließung zu versinken.«100 Die Unlesbarkeit des Lachens führte zu einer Theorie der Rhetorik und ihrer Figuren, die in ihrer Anwendung auf den Text, nichts weiter 98. Derrida, »Fines hominis«, S. 121 99. Derrida, »Den Tod geben«, S. 382 100. Derrida, »Fines hominis«, S. 122
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leisten, als diese Unlesbarkeit wiederum zu bestätigen. In dieser Bewegung bleibt Lachen sicher unlesbar. Was zu lesen ist, sind die sprachlichen Effekte dieser Unlesbarkeit und ihr narrativen Konsequenzen, die als Grenze dem Diskurs eingetragen sind und in figurativen Anordnungen aus ihm hervortreten. Ist diese Wiederholung insofern produktiv, wie sie der Spezifizierung sprachlicher Verfahren dient, mit denen sich ein Lachen eingetragen hat, ist zum Lachen noch nicht viel gesagt worden. Zeigt sich so notwendigerweise ein Scheitern der Lektüre des Lachens, vorausgesetzt wir wollten unser Objekt in Besitz nehmen, um seine Wahrheit zu erkennen? Gleichzeitig lässt sich aber auch sagen, ist der Objektstatus des Lachens gerade unsicher, dass dieses Scheitern möglicherweise der einzige Weg ist, Lachen im Lesen zum Zuge kommen zu lassen. Böte sich eine andere Möglichkeit, die mit dem Lachen auftretende Dimension des Außen zu thematisieren? Die Situierung des Lachens in einem Außerhalb, das nur in seinen sprachlichen Effekten lesbar ist, erschien als Alternative anthropologischer Festschreibungen, die mit den Theorien zum Lachen meistens geliefert werden.101 Was der anthropologische Diskurs allerdings berücksichtigt, und was ich mit der Befragung der Literatur bisher absichtlich übersehen habe, ist die Frage des Körpers. Wäre an den Grenzen, das Lachen für die Literatur anzeigt, der ›Körper‹ zu thematisieren? Wäre Lachen an der Schnittstelle von Sprache und Körper lesbar? Mit dem Lachen wird der Textkörper zu keiner stabilen Form.102 Wie in der Groteske sind seine Grenzen wuchernde Deformierungen, wie Bergson bemerkt hat, »[…] wenn die Sprache ein völlig einheitlicher Organismus wäre, der nie in selbstständige Organismen auseinanderfiele, so würde sie für das Komische nicht in Betracht kommen […]«.103
Auf welche Weise wären die dem de Man’schen Diskurs eingetragenen Grenzen, die sich mit einer Lektüre Kafkas zeigen, dementsprechend ver101. Die anthropologische Bestimmung des Lachens geht auf Aristoteles zurück und ist prominent bei Darwin zu finden. Zur Kritik einer Anthropologie vgl. Derridas »The Ends of Man«, insbesondere S. 117ff. 102. Zum Verhältnis von Körper und Textkörper insbesondere für den philosophischen Diskurs, vgl. Caruth, »The Falling Body and the Impact of Reference (de Man, Kant, Kleist)«. Caruth beschreibt die Einsicht des philosophischen Diskurses, den Körper als Referenz nicht treffen zu können, was sein Gewinn ist, in Bezugnahme auf die Geschichte der modernen Physik seit Newton als Problematik des Fallens. Vgl. hierzu S. 78f. 103. Bergson, Das Lachen, S. 87
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schiebbar? In einem ersten Schritt möchte ich zeigen, wie bei aller Aufmerksamkeit für die Ironie ›Lachen‹ bei de Man trotzdem verdrängt wurde.104 Dieses geschieht mit Hilfe einer Relektüre von Baudelaires Text »Vom Wesen des Lachens«, dem entscheidenden Ausgangspunkt von »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, der die Frage des Lachens mit der Berücksichtigung des komischen Künstlers anders artikuliert. Andererseits erscheint in de Mans späterem Text »The Concept of Irony« Performativität als Ort des Lachens und dabei als Selbstkritik gegenüber dem früheren Text zur Ironie, der noch der Idee eines Bewusstseins geschuldet blieb.105 In der gegenüber de Man anderen Konzeption von Ironie und Komik bei Baudelaire einerseits, und mit der Möglichkeit in de Mans späterem Text Lachen performativ zum Zuge kommen zu lassen andererseits, zeigt sich das Verhältnis von Textlichkeit und Lachen in radikalerer Gestalt, soweit es der Frage des Körpers nicht länger ausweicht.106 »Der Mensch, der stürzt, lacht niemals über seinen eigenen Sturz, es wäre denn ein Philosoph, einer der sich durch Gewöhnung die Fähigkeit erworben hätte, sich alsbald zu verdoppeln um den Phänomenen seines Selbst als interesseloser Betrachter beizuwohnen.«107
084 Baudelaire vergessen Nur wer lacht wird Philosoph. Bei Baudelaire lacht der fallende Philosoph über sich selbst, erst darin wird er zum Philosophen. Im Fallen konstituiert sich der Philosoph als Verdoppelung in einer Distanzierung, interesselos, gegenüber seinem gefallenen Selbst. Der Fall in dem gelacht werden kann, wird bei Baudelaire zur Szene einer radi104. Charles Bernheimer schreibt in seiner Kritik an de Man: »It is this dependence on the context of daily life (»and this is all we have«) that deconstruction tends to dismiss as naïve, nostalgic and mystified.« (S. 54) 105. Schon im Vorwort der zweiten Auflage von Blindness and Insight, die gegenüber der ersten auch den Aufsatz »The Rhetoric of Temporality« enthält, kritisiert de Man die in diesem Text vorherrschende ›Sprache des Bewußtseins‹. 106. Die Frage nach dem Ort des Körpers im Text ist bei de Man und in den Texten über de Man nicht einfach verschwiegen worden. Die hier akzentuierte Einschätzung bezieht sich speziell auf die Frage des Körpers, wie sie mit dem Lachen eingeführt wird und in den davon (nicht) sprechenden Texten de Mans. Zum Vergleich der Problematik des Körpers für eine Theorie der Rhetorik, die aber hier zur Diskussion nicht näher herangezogen werden, weil dort vom Lachen nicht die Rede ist, siehe de Mans »Shelleys Entstellung« und »Ästhetische Formalisierung: Kleists Über das Marionettentheater«, sowie Hertz’ »Lurid Figures« und Caruths »The Falling Body and the Impact of Reference (de Man, Kant, Kleist)« 107. Baudelaire, »Vom Wesen des Lachens«, S. 292
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kalen Spaltung zwischen empirischem und betrachtendem Selbst. In der Betrachtung, die sowohl im phänomenologischen wie auch im kognitiven Sinn verstanden werden kann, etabliert sich bei Baudelaire der Philosoph im Abstand zu seinem Selbst. Dieses Selbst kann er im Moment der Distanzierung nicht mehr selber sein, vom Moment des Lachens an ist der Philosoph (möglich), und ist er ein gespaltener. Als Philosoph interessiert sich das Subjekt für sein Selbst nicht mehr, erst unter der Bedingung wird es zum Philosophen.108 An die Stelle des Interesses rückt ein Sinn der Distanz. Die negative Reflexivität, negativ, soweit die Bezüglichkeit des Selbst einer anfänglichen Disjunktion unterliegt, des Er selbst, hat die Gestalt einer Verdoppelung, die über den Distanzsinn des Sehens oder die kognitive Distanz eingerichtet ist. Die Szene der negativen Reflexivität ist im Modus des Konjunktivs beschrieben – es wäre denn ein Philosoph. Philosoph zu sein, wird an dieser Stelle zu einer Möglichkeit, die keinesfalls gewiss ist. Vielleicht ist der Philosoph immer nur möglich (sicherer ist hier der Mensch, der stürzt). De Man übersetzt in seinem Text »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« die bei Baudelaire beschriebene Szene der möglichen Konstituierung des Philosophen als lachenden mit der Figur der Ironie.109 Die Szene dieses sicht108. In »The Concept of Irony« erwähnt de Man diese Interesselosigkeit als Voraussetzung eines gelungenen Schreibens: »In order to be able to write well upon a subject, one must have ceased to be interested in it; the thought which is to be soberly expressed must already be entirely past and no longer be one´s actual concern.« (S. 18) Gleichwohl geht er hier einen Schritt weiter, der Gedanke muss vollständig vergangen sein. Begreift man diese Situation auch zunächst temporal und entwirft damit ein zeitliches Nacheinander, entsteht die Frage nach dem Bezug zu diesem Gedanken als vollständig vergangenem. In welcher Zeit liegt der Gedanke, denn als vollständig vergangener ist er nicht mehr. Gibt es den vollständig vergangen Gedanken also überhaupt noch? De Mans Antwort auf diese Frage ist, dass dieser Abstand, den die Interesselosigkeit einführt, nicht einfach im zeitlichen Kontinuum verstanden werden kann, sondern selbst eine zeitliche Leere hervorruft. In diesem Raum entsteht seinerseits die Zeitlichkeit rhetorischer Figuralität. In »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« heißt es an einer Stelle über die Allegorie im Unterschied zum Symbol: »[…] bezeichnet die Allegorie in erster Linie eine Distanz in bezug auf ihren eigenen Ursprung, und indem sie dem Wunsch und der Sehnsucht nach dem Identischwerden entsagt, richtet sie sich als Sprachform in der Leere dieser zeitlichen Differenz ein.« (ebd., S. 104) Anstelle einer Referenz ist es diese Zeitlichkeit, die für die allegorische Rede konstitutiv wird. 109. Trotz der Unbestimmtheit seines Arguments ist der Einwand Dominick LaCapras gegenüber de Man an dieser Stelle gerechtfertigt: »But it is noteworthy that Baudelaire discusses caricature, the grotesque, the comic and laughter – that is to say, a larger ›family‹ or congeries of forces to which irony in some sense belongs.« (»The
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baren und kognitiven Schauspiels, der möglichen Geburt des Philosophen, der zuerst unter dem Namen Thales auftrat,110 wird zu einer sprachlichen Konfiguration, in der sich gegenüber dem empirischen Selbst ein Bewusstsein als ironisches herausbildet. Weil auf das empirische Subjekt als fallendes und ohne Distanz zu sich selbst kein Verlass ist, kann das Bewusstsein nur in der Abspaltung von ihm und damit, insofern dieser Bruch in seiner Negativität radikal ist, in der Erkenntnis seiner eigenen Inauthentizität als sprachliches gerettet werden. Nur als sprachliches kann sich ein Subjekt herstellen, im Unterschied zu seiner empirischen ›Realität‹, die als Rest verbleibt.111 Dieser Rest kann de Man zufolge seinerseits keinesfalls als ›authentisch‹ verstanden werden, weil er, wenn auch am Anfang der Konstituierung eines sprachlichen Bewusstseins, erst vom Moment der Spaltung an existiert und somit seinerseits keinesfalls nicht-sprachlich genannt werden kann. Mit einem anfänglichen sprachlichen Bewusstsein als Spaltung ist demnach nicht der Unterschied von authentisch und nicht-authentisch wirksam, sondern der von einer Inauthentizität, die sich selbst nicht weiß (das ›empirische‹ Selbst) und einem Selbst als Bewusstsein dieser Inauthentizität. Diese sind gleich-ursprünglich. Die Szene dieser Spaltung ist komisch: »Das Fallen bringt das spezifisch komische and letztlich ironische Element ins Spiel.«112 Komik, die anfänglich ein körperliches Versagen beinhaltete, wird in ihrer Konsequenz zur Ironie. Diese von de Man gegenüber Baudelaires Text betriebene Verschiebung wird über die argumentative Struktur des Textes »Vom Wesen des Lachens«, ebenso wie über intertextuelle Verweise in Bezug auf Baudelaires Werk legitimiert.113 MariTemporality of Rhetoric«, S. 118). Offen bleibt dabei allerdings, wie die Verbindung der einzelnen Genre des Komischen zur Ironie aussähe, auf welche Weise Ironie zu dieser ›Familie‹ gehören würde. 110. Ein Name der bei Baudelaire (anders als bei Kierkegaard, wenn es um Ironie geht) allerdings nicht fällt. 111. Vgl. hierzu de Man, »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, S. 108f. und S. 120f. 112. De Man, ebd., S. 111 113. »Baudelaire wendet mehrere Seiten seines Essays daran, den Unterschied begreiflich zu machen, zwischen einem einfachen Komischen, das auf andere Personen hin orientiert und daher auf der notwendigerweise empirischen Ebene der interpersonellen Beziehungen angesiedelt ist, and dem, was er ›le comique absolu‹ (an anderer Stelle seines Werkes auch ›Ironie‹) nennt, wobei sich dieses absolut Komische dadurch auszeichnet, daß es nicht als Beziehung zwischen Mensch und Mensch, also zwischen zwei wesensähnlichen Entitäten auftritt, sondern als Beziehung zwischen Mensch und dem, was er Natur nennt, also zwischen zwei wesensverschiedenen Entitäten.« De Man, »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, S. 109f.
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anne Schuller kommt in ihrer Baudelaire-Lektüre zu einem ähnlichen Ergebnis wie de Man, ohne jedoch ein Vokabular der Rhetorik einzusetzen, sondern indem sie ihn im Zuge einer psychoanalytischen Lesart versteht.114 Dem Text ist eine zeichentheoretische Problematik inne, der der Name Ironie gegeben werden kann. Aber die Verletzung, die das ironische Subjekt in diesem Fall generiert, heilt im Aufbau des ironischen Bewusstseins nicht, »Und der gefallene Philosoph, der über die Diskrepanz zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Zuständen nachdenkt, ist noch weiser, doch das bewahrt ihn nicht im mindesten davor, selbst zu Fall zu kommen.«115
Eine ironische Sprache unterliegt der Zeitlichkeit der Wiederholung, denn das Subjekt droht immer wieder zu fallen. Darin liegt noch die Instabilität eines ironischen Bewusstseins, die es zugleich hervorruft. In diesem Sinne bleibt der Philosoph, von dem Baudelaire im Konjunktiv sprach, lediglich möglich. Über den für das sprachliche Bewusstsein konstitutiven Bruch des Falls, ist die Sprache des Philosophen einer Fiktionalität übergeben, die den Weg zur ›Empirie‹, die in der für sie konstitutiven Nachträglichkeit in den Augen des Philosophen ihrerseits mythisch bleiben muss, nicht wieder finden wird. Das Bewusstsein dieser Inauthentizität eröffnet allerdings einen Bezug der Sprache auf sich selbst, während die faktische Empirie des Körpers im Verhältnis der Disjunktion gegenüber diesem ironischen Bewusstsein, als ein empirisches ›Selbst‹, das als ›Natur‹ für das Subjekt nur instrumentellen Charakter haben kann, auftaucht.116 De Man interessiert sich in »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« nicht weiter für die Verfasstheit des Körpers. Sei er ›sicher‹, ›mythisch‹, ›instrumentell‹, oder ›empirisch‹, in jedem Fall aber inauthentisch, ohne seinerseits eine Konzeptualisierung dieses Zustandes anbieten zu können. Diese kann nur in radikaler Disjunk114. Vgl. Schuller, »Der Witz oder die ›Liebe zum leersten Ausgange‹«, insbesondere S. 12f. Schuller fasst den Text im Hinblick auf ein psychoanalytisches Vokabular auf. Das ›Genre‹ Ironie kann also auch so beschrieben werden: »Ganz im Unterschied zu Jean Paul verharrt Baudelaires Text über das ›Wesen des Lachens‹ im Genießen des schrecklichen Blicks hinter die und hinter den Fassaden der sozialen Realität. In dem Maße, wie der Text gebannt an der grimmassierenden Deformation festhängt, bleibt auch das Lachen unerlöst, ohne Ausgang, eigentümlich stumm.« (Ebd., 21) 115. De Man, »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, S. 111 116. Bei de Man heißt es: »Der Fall, im wörtlichen wie im theologischen Sinne, gemahnt den Menschen an den rein instrumentellen, verdinglichten Charakter seiner Beziehung zur Natur.« (Ebd.)
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tion zu ihm erfolgen. De Mans Interesse ist es, die Bedingungen eines ironischen Bewusstseins zu ermitteln. Aus dieser Anordnung lässt sich aber auch die Frage verfolgen, welchen Ort der Körper innerhalb einer Theorie der Rhetorik einnimmt. Immerhin führte der komische Körper bei Baudelaire zum Lachen, das als Phänomen der Spaltung von ›empirischem‹ und betrachtendem Selbst seinerseits auch ein körperlicher Vorgang ist. De Man liest ›Lachen‹ als Zeichen der Instabilität eines sprachlichen Bewusstseins: »Es wird nun deutlich, daß die Disjunktion keinesfalls ein beruhigender and heiterer Prozeß ist, trotz des damit verbundenen Lachens.«117 Bleibt Lachen damit auch an die Ironie gebunden, nicht als ihre nachträgliche Bestätigung wie im Witz, sondern als ihr Ursprung, der sich als Unterbrechung wiederholt, droht es in der Konzeption der Ironie zugleich verloren zu gehen. Denn Ironie ist als sprachliches Verfahren ausgewiesen, Lachen markiert jedoch gerade einen Übergang von Körper und Sprache. Zwei Fragen stellen sich: zum einen die Frage des Körpers, die bei de Man mit der Rede vom ›instrumentellen Charakter‹ scheinbar beantwortet wird, sowie die Frage nach dem Lachen, das als Bruch ein ironisches Bewusstsein im Unterschied zur ›Faktizität‹ des Körpers einleitet und weiter einschreitet, sich seinerseits aber gerade am Unort dieses Bruchs aufhält und deshalb nicht ohne weiteres als körperlicher Vorgang ignoriert werden kann. Kann das ironische Bewusstsein in Bezug auf sich selbst zumindest ein Bewusstsein seiner Inauthentizität erlangen, bleibt der Ort des Körpers in seiner Instrumentalität unintelligibel. Dem dummen Körper gibt de Man an anderer Stelle auch den Namen Verrücktheit: »Der Ironiker erfindet eine Form seiner selbst, die ›verrückt‹ ist, aber um ihr eigenes Verrücktsein nicht weiß; dann geht er dazu über, auf seine dergestalt vergegenständlichte Verrücktheit zu reflektieren.«118
Das ironische Sprachbewusstsein gründet auf der Erfindung der Ver-rücktheit eines Selbst, das, an einem anderen Ort, selbst von nichts weiß. Auf diese Weise lokalisiert, kann es in der Objektivierung betäubt werden, um das Bewusstsein wach zu halten. So soll der Körper still gestellt sein. Diese Objektivierung geschieht in der Sprache und ist, insofern ihr mit diesem Akt eine Inauthentizität eingeschrieben ist, sofort weiteren Verdoppelungen übergeben. Das ironische Sprachbewusstsein wird sich stets seiner eigenen Inauthentizität versichern können. Kann diese Theorie vom Sprachbewusstsein ein, sei es auch negatives, Ideal als Verständnis seiner 117. Ebd., S. 112 118. Ebd., S. 114
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Unmöglichkeiten denken, das seinerseits stets in Gefahr ist, bleibt auf Seiten der faktischen Empirie und ihrer Thematisierungen die Frage nach den Chancen für eine Bearbeitung des Dilemmas der Spaltung die der Fall hervorruft, in seiner allzu schnellen Beantwortung, offen. In »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« sagt de Man nicht viel zum ›Körper‹ oder zum Lachen als körperlichem Vorgang. Ist es für eine Theorie der Rhetorik unmöglich eine Theorie des Körpers zu formulieren?119 Wie wäre diese Unmöglichkeit, die sich als Grenze dem de Man’schen Text einträgt, zu lesen? Wird in dem Maße, wie auf dem epistemologischen Wert der Literatur noch in ihrer Negativität beharrt wird, der Körper notwendigerweise ausgeschlossen?120 Geht es dabei um einen unvermeidlichen oder um einen strategischen Ausschluss? Im Folgenden wird den Momenten, an denen der Körper Erwähnung findet, nachgegangen, um Möglichkeiten zu suchen, ihm eine Perspektive einzuräumen.
119. Für das hier zur Debatte stehende Textmaterial ist diese Frage, d.h. die Frage nach dem lachenden Körper, meines Wissens bisher nicht bearbeitet worden. Neil Hertz ist allerdings der Frage nach dem Verhältnis von Analyse und Pathos in de Mans Texten nachgegangen und kommt v.a. in Bezug auf dessen Text »Shelleys Entstellung« auf die Frage des Körpers zu sprechen. Demnach schreibt sich das Ereignis von Shelleys Tod als performative Unterbrechung in Analogie zu anderen performativen Momenten, die auf kein bestimmtes Ereignis beziehbar sind, als Defigurierung seiner Dichtung ein. Der Textkörper würde sich demnach in einer Logik der Widerspiegelung zum physischen Körper des Schriftstellers verhalten. Der Bruch, den in diesem Fall der sterbende Körper markiert, steht für einen Bruch, der de Man zufolge in allen Texten, also mit der Sprache, wirksam ist und im Register der Performativität Bedeutung erlangt. Vgl. hierzu Hertz, »Lurid Figures«, insbesondere S. 94f. De Man weist an anderer Stelle seinerseits noch einmal deutlich darauf hin, dass das Fortschrittsprogramm der Aufklärung eine Reihe versehrter Körper am Rande zurücklässt. Gleichzeitig betont er aber auch, dass eine imaginäre Identifizierung in der Frage des Körpers auf jeden Fall vermieden werden sollte, weil es sich um textliche Modell handelt, die zur Debatte stehen, nicht um ihre historischen oder politischen Modelle als Korrelate. Vgl. hierzu »Ästhetische Formalisierung: Kleists Über das Marionettentheater«, insbesondere S. 230ff. 120. Dominick LaCapra kritisiert de Man in diesem Punkt, ohne seine Einsichten in die ironische Verfasstheit von Sprache in ihren Konsequenzen zu bedenken, »[…] for de Man himself seems symptomatically to underwrite certain ›modern‹ tendencies by extracing irony from its possible implication in a larger network of carnivalesque forces and construing it in rather narrow, intellectualistic terms.« (LaCapra, »The Temporality of Rhetoric«, S. 117)
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In »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« wird der Körper erwähnt in seiner Faktizität und empirischen Existenz. Im für die Ironie konstitutiven Moment kollidiert er kurz mit dem Sprachbewusstsein, das sich seiner Referenz nicht sicher sein kann, insofern es sich dieser Spaltung erst verdankt, d.h. über eine anfängliche Negativität generiert ist, um sich gleich wieder zu verflüchtigen. Einerseits wäre sicherlich zu argumentieren: im Modus der Ironie ist der Körper in der Rede effektiv, denn mit der Ironie als illusionsloser Rede formuliert sich die Unmöglichkeit, den Körper zu treffen. Bei de Man heißt es weiter: »Der Fall im wörtlichen wie im theologischen Sinne, gemahnt den Menschen an den rein instrumentellen, verdinglichten Charakter seiner Beziehung zur Natur.«121
Im Fall erinnert der Körper das ironische Bewusstsein an seinen instrumentellen Bezug zur Natur, von dem sich das Bewusstsein distanziert, vor dem es aber nicht geschützt ist. Während das ironische Bewusstsein droht, von einem Vergessen heimgesucht zu werden, das wäre seine illusionäre Heilung, schreitet der Körper als erinnernder ein. Weniger erinnert also die Ironie an den Körper, eher bringt sich der Körper für die Ironie in Erinnerung. D.h. aber auch, das ironische Bewusstsein ist ironisch, gerade weil es sich erinnern lässt. Gleichzeitig darf es dieser Erinnerung jedoch nicht nachgeben: »Das ironische zwiespältige Ich, das der Schriftsteller oder der Philosoph mittels seiner Sprache konstituiert, scheint sich nur auf Kosten seines empirischen Ichs ausbilden zu können, […]«.122
Dem erinnernden Körper muss widerstanden werden. Die Etablierung des Sprachbewusstseins geht nur auf Kosten des empirischen Selbst.123 An anderer Stelle heißt es deutlich, »Wenn wir also von der Ironie sagen, sie bilde sich auf Kosten des empirischen Ichs heraus, […]«124 Für diese ›Theorie‹ der Sprache, mit ihrer Urszene im Fall, bleibt der Körper notwendigerweise eine unmögliche Wirklichkeit, nicht nur weil klar ist, dass jede Rede über den Körper ihn verfehlen muss, als Folge eines ersten Falls, sondern auch weil sich Ironie erst im Unterschied zu ihm rettet. Damit ist nicht nur eine positive Theorie des Körpers ausgeschlossen, sondern findet der Körper 121. De Man, »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, S. 111 122. Ebd., S. 112 123. Christopher Norris bemerkt, »[…] de Man’s language is still haunted by ideas of sacrifice, loss and renunciation.« (Paul de Man, S. XIX) 124. De Man, »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, S. 114. Hervorhebung von mir.
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auch keinen Platz in der ironischen Rede, außer als Unterbrechung. Aber ist, weil jede ironische Rede den Körper zwangsläufig verfehlen muss, gerade weil sie ihrerseits dieser Körperszene entspringt, jede Rede vom Körper unmöglich, außer der empirischen, die de Man auch ›mythisch‹ nennt, d.h. einer notwendig fiktionalen, ohne Bewusstsein ihrer Fiktionalität, im Unterschied zum ironischen Bewusstsein, das um seine Fiktionalität weiß? Bleibt der Körper zwangsläufig im Bereich des Nichtwissens und des Unverständnis‹, der Ver-rücktheit – oder ist mit de Man eine darüber hinaus gehende Konzeptualisierung des Körpers denkbar? Die hier zitierten Textstellen lassen scheinbar nicht viel Spielraum für diese Fragen. Ich versuche dennoch auf dieser Möglichkeit zu insistieren, weil die Frage nach dem ›Körper‹ und damit die Frage nach dem Lachen, das auch körperlich verstanden werden muss, seltsam unausgesprochen bleiben in de Mans Text. Seltsam wenn man bedenkt, dass der entscheidende Text für »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, Baudelaires »Vom Wesen des Lachens« die Frage nach dem Lachen auch als körperlichen Vorgang anspricht, die Frage nach dem Körper in diesem Kontext also nicht unerheblich und deshalb signifikant gerade in ihrem Verschwinden ist. Es geht in dieser Lektüre also darum, die Fragen nach dem Körper und dem Lachen zu stellen und dabei nicht hinter die mit de Man gewonnenen Einsichten über die Verfasstheit des ironischen Bewusstseins zurückzufallen. Wäre eine solche Perspektive denkbar, oder wäre sie denkbar nur um den Preis der Unintelligibilität, die de Man dem Körper zuschreibt, und somit denkbar nur als Unterbrechung des theoretischen Diskurses, die radikaler ist, als die Unterbrechung der Ironie, die sich dieser Grenze nähert, um sich über sie zu überheben? Läst sich jenseits des ironischen Bewusstseins eine Theorie des Körpers, eine Theorie des Lachens formulieren, oder lassen sich der Körper und das Lachen darstellen auf eine Weise, die nicht mehr theoretisch wäre? In dem Maße, wie der Körper in »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« kaum zur Sprache kommt, man könnte auch sagen, de Man interessiert sich nicht für diese Frage (ein Desinteresse, das demzufolge aber symptomatisch zu verstehen wäre) ist der Text in diesem Punkt schwer einzuschätzen. Er schweigt.125 Aber der Körper drängt sich auf. Er erinnert. Im nächsten Schritt soll versucht werden, diesem Moment des Textes, der bei de Man eingetragen ist, sofern er sich auf Baudelaires »Vom Wesen des Lachens« bezieht, mit einem genaueren Blick auf Baudelaire herauszuarbeiten.
125. Die Lektüre des späteren Transkripts des Vortrages »The Concept of Irony« wird hier weiterhelfen. Siehe Abschnitt 089 dieser Arbeit
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»Or are we telling the story, of why all texts as texts, can always be said to be falling […]«126
085 Baudelaire lesen Unterschiede zwischen Baudelaire und de Man sind v.a. hinsichtlich der Textgestalt, sowie in der bei Baudelaire erscheinenden Gestalt des Künstlers zu finden. Bei Baudelaire,127 de Mans entscheidendem Text für die Rhetorik der Zeitlichkeit, wird der Körper angesprochen als wiederkehrende Episode, die an die ›Ironie‹, de Mans Wort und nicht Baudelaires in diesem Zusammenhang, gebunden bleibt, weil sich im Vor-Fall des Körpers die Spaltung des Subjekts, seine widersprüchliche Doppelnatur, stets wiederholt. Dieser unhintergehbare Ort des Körpers wird, ohne konkreter konzeptualisiert zu werden, bei Baudelaire stets Anlass von Geschichten – Fall-Geschichten. Baudelaire geht aus vom Bild des Körpers in der Karikatur. Über das Projekt einer Untersuchung zu diesem ›Genre‹, dessen Genrecharakter zweifelhaft ist, nicht nur, weil es nicht zum akademischen Kanon gehört und damit als Beispiel für das Schicksal des Lachens in der Geschichte der Philosophie einstehen kann, sondern darüber hinaus, weil die Frage der Regelhaftigkeit, die ein Genre konstituieren könnte, mit der Karikatur gerade zur Debatte steht, heißt es: »Ein so verstandenes Buch über die Karikatur ist offenkundig eine Geschichte von Ereignissen, eine ungeheure Galerie von Anekdoten.«128 Die mit den Karikaturen berichteten Ereignisse fügen sich zu keiner kohärenten Geschichte, sie bleiben anekdotisch und lückenhaft, so dass ihre Versammlung nicht anders als ungeheuerlich werden kann. D.h. ohne klare Grenzen, sie ufert aus und wird zur Ungestalt. Diese Galerie ist monströs, sie ist kein Werk und nicht einmal ein Archiv, das immerhin eine Ordnung kennen würde, und insofern selbst vom grotesken Zug der Karikatur getroffen, bei der die Grenzen der Körpergestalt stets von Wucherungen betroffen sind. Die Karikatur kann als Allegorie der Gestalt des Textes selbst gelesen werden, sofern der Text seinerseits die Grenzen der Philosophie verletzt. Eine Versammlung von Einzelheiten, stets neue Geschichten, werden für dieses Unternehmen erwartet: »Wie die fliegenden Blätter der Tagespresse verschwinden sie, dahingetragen von dem unaufhörlichen Wind, der uns neue 126. De Man, »The Resistance to Theory«, S. 16f. In der deutschen Übersetzung von Jürgen Blasius geht an dieser Stelle das Fallen verloren, wenn es heißt: »Oder erzählen wir die Geschichte davon, wieso man von allen Texten, als Texte stets sagen kann, daß sie Niederlagen sind, Fehlschläge?« (»Der Widerstand gegen die Theorie«, S. 100) 127. Baudelaire, »Vom Wesen des Lachens« 128. Ebd., S. 284
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herweht […]«.129 Die Karikatur ist keine Kunstform von Dauer. Sie wiederholt sich. Wie der Witz erscheint sie als ein flüchtiges ›Genre‹, das von der Veränderung und Bewegung getragen wird, deren Funktionsweise kontextabhängig ist und auch schnell wieder an Wert verliert.130 Baudelaire aber nennt seinen Aufsatz, in Abgrenzung zu dem zunächst erwähnten denkbaren Projekt, einer ungeheuren Galerie, bekannterweise Vom Wesen des Lachens, und schreibt damit seinen Text in ein philosophisches Genre ein.131 Er macht einen Unterschied, zwischen den Werken, die ihren Wert nur durch ihr Vorkommnis erhalten und jenen, die einen wesentlichen Zug des Lachens treffen. Baudelaire kündigt eine Ästhetik an, die sowohl die verschiedenen Arten des Komischen klassifikatorisch nebeneinander setzt, als auch das Lachen im Zuge einer Zivilisationsgeschichte verstehen lässt. Die analytische Zweiteilung in eine Geschichte der Ereignisse einerseits und eine des Wesens andererseits, die als philosophisches Genre und in ihrer Historizität situiert wird, die der Text vorwegschickt, um das zweite anzukündigen, wird vom Text selbst jedoch unterlaufen. Diese ›wesentliche‹ Untersuchung wird vom Anekdotischen heimgesucht. Dabei ist das Anekdotische keinesfalls immer Beispiel für ›wesentliche‹ Züge des Lachens. Baudelaires Text übergibt sich einer Vielstimmigkeit historischer und literarischer Quellen, phänomenologischer Beschreibungen und Eigendichtungen, die sich in ihrem Spektrum zu keiner Theorie des Lachens vereinheitlichen lassen: »Es gibt verschiedene Arten des Lachens.«132 Dieser Satz, der im Text als fingierter Einwand gegen seine Untersuchung auftritt, kann tatsächlich auch als Kommentar zu ihr gelesen werden. Baudelaire spricht (unausgesprochenerweise) von Christus,133 deutlich jedoch vom Christentum, erdichtet eine Geschichte der unschuldigen Virginie, er spricht vom Sündenfall, nennt Beispiele aus dem Alltagsleben, Melmoth, eine Figur des Dichters Maturin, die Grotesken des Altertums, eine englische Pantomime, E.T.A. Hoffmann usw.; eine sprunghafte Literatur-, Kunst- und Kulturgeschichte. Er springt in den Zeiten und Genre und in den Konventionen kultureller Hierarchien. Auf diese Weise ist sein Text auch eine Galerie, droht ihm das Ungeheuerliche, obwohl er ankündigt, 129. Ebd. 130. Zur Partikularität und Abhängigkeit des Witzes von zeitlichen und räumlichen Faktoren siehe Samuel Weber, Freud-Legende. 131. Witzigerweise ist dann später übrigens, außer in der Episode von Virginie, nicht mehr von der Karikatur die Rede. 132. Baudelaire, »Vom Wesen des Lachens«, S. 294 133. Zur Konstruktion der Christusfigur in Baudelaires Text, vgl. Schuller, »Der Witz oder die ›Liebe zum leersten Ausgange‹«
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eine wesentliche Geschichte zu schreiben. Mit Konsequenzen für die Form: Der Text bleibt Fragment.134 Insofern wäre die Gestalt des Textes symptomatisch zu lesen. Man könnte gleichzeitig auch sagen, der Text verfährt ironisch, indem er sein Versprechen bricht, vom Wesen des Lachens zu berichten. Dieser Vorfall ist Baudelaire nicht unerkannt geblieben. An einer Stelle, sich an die Absichten seines Projektes erinnernd, schreibt er: »Hier wäre nun ein kleines Resümee angebracht und eine überschaubare Anordnung der Hauptgedanken, die so etwas wie eine Theorie des Lachens darstellen.«135 Eine Theorie des Lachens setzt sich, wie dieser Imperativ als Imperativ zu erkennen gibt, im Text Baudelaires jedoch stets ihrem Abbruch aus. De Man liest: die Fall-Geschichten bringen den Körper stets zurück im Sinne einer unhintergehbaren Faktizität, deren ›Wirklichkeit‹ die Rhetorik der Ironie hervor treibt und zugleich stört. Die Unabschließbarkeit einer Theorie der Ironie, die Gefahren ernsthaft bereithält, die emphatisch aber auch als Unendlichkeit und subjektive Freiheit verstanden werden kann,136 ist begründbar mit dem fehlenden Gesetz der Sprache, wie es sich in der Lektüre der Strafkolonie gezeigt hat – aber auch der Körper, der nicht weiter als in seiner Empirie lokalisiert wird, soweit aber bedeutungslos ist, zeigt in seiner Vorhandenheit die Unabschließbarkeit der ironischen Theorie an, darauf insistiert Baudelaires Text, der von diesem Insistieren nicht unberührt bleibt. Es kommt immer wieder zur Kollision, zu neuen Ereignissen. Diese Kollisionen artikulieren sich als Unbeständigkeit der ›wesenhaften‹ Untersuchung und geben dem Text Baudelaires einen hybriden Status zwischen Geschwätzigkeit und Analytik. Dabei ist der Körper zugleich eines der wichtigsten Themen dieser Untersuchung. Auf den Körperorganen wird das Lachen platziert, Augen und Mund sind seine Zonen. Über die literarische Figur Melmoth heißt es, »[…] seine Organe ertragen seinen Geist nicht mehr. Daher dieses Lachen, daß einem das Eingeweide davon gefriert und sich zusammenzieht.«137 Gegenüber der späteren Stelle im Text, die ich eingangs zitiert habe, die das Lachen des Philosophen über seinen körperlichen Fall thematisiert, ist hier das Verhältnis umgekehrt: Nicht der Philosoph lacht über den Sturz seines Selbst, Schauplatz des Lachens sind die Organe, die den Geist nicht mehr ertragen.138 134. Vgl. Schuller, ebd. S. 11 135. Baudelaire, »Vom Wesen des Lachens«, S. 292 136. Wie bekannterweise vom frühen Friedrich Schlegel. Vgl. de Man, »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«, S. 116ff. 137. Baudelaire, »Vom Wesen des Lachens«, S. 291 138. Bei Walter Benjamin heißt es: »Wie also die irdische Traurigkeit zur Allegorese gehört, so die höllische Lustigkeit zu ihrer im Triumph der Materie vereitelten Sehn-
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Ähnlich heißt es bei Marx: »Die Materie lacht in poetisch-sinnlichem Glanze den ganzen Menschen an.«139 Und bei Bergson: »Wenn wir jetzt das Bild des Körpers, der die Seele nicht aufkommen läßt, weiterfassen, so erhalten wir etwas Allgemeines: die Form, die den Gehalt, der Buchstabe, der den Geist schikanieren will.«140
An dieser Stelle ist das Lachen die ›Stimme des Körpers‹, von der Nancy schreibt: »Laughter is the sound of a voice, that is not a voice, that is not the voice it is.«141 Lachen, keinesfalls selbstpräsente Stimme des Geistes, wird zum Geräusch des Körpers, eines Körpers, der den Geist nicht mehr erträgt. Lachen ist sein Kommentar. Lachen als Ort des Übergangs von Sprache und Körper erlaubt einen Wechsel der Perspektiven. Die Spaltung des reflexiven Bewusstseins, von der de Man spricht, beruht auf einer Spaltung des Lachens ›selbst‹: »Das Lachen ist der Ausdruck einer doppelten oder widersprüchlichen Empfindung und daraus erklärt sich sein krampfartiger Charakter.«142 Organe und Geist, Philosoph und stürzender Körper verlachen sich im Lachkrampf gegenseitig. Diese Gegenseitigkeit macht sich in der Konzeption von Baudelaires Text bemerkbar. Sein Text steht unter einem doppelten Zeichen: »Dies ist dennoch nur der Beitrag eines Philosophen und eines Künstlers.«143 Baudelaires Text ist der Beitrag eines Philosophen und eines Künstlers, darin unterscheidet er sich von de Man. Diese Verdoppelung, die Baudelaire für sich selbst in Anspruch nimmt, kann als Folge der Spaltung des Lachens selbst gelesen werden, wenn sie in ähnlicher Weise, in der Beschreibung der Vermögen des komischen Künstlers, gegen Ende des Textes wiederkehrt. Hierbei ist das Verhältnis von Künstler und Philosoph zunächst über den Unterschied von Wissen und Nichtwissen charakterisiert. Der Künstler ist durch eine konstitutive Unwissenheit charakterisiert, eine Perspektive, über dessen Aufgabe der Philosoph sich schafft. Dann heißt es allerdings,
sucht. […] Gerad im Gelächter nimmt mit höchst exzentrischer Verstellung Materie überschwenglich Geist an.« (Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 203) 139. Marx, Ökonomisch philosophische Manuskripte, S. 123. In, Wulf und Kamper, S. 310 140. Bergson, Das Lachen, S. 39 141. Nancy, »Laughter, Presence«, S. 388 142. Baudelaire, »Vom Wesen des Lachens«, S. 294 143. Ebd., S. 284
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»so sage ich, daß Hoffmann, wenn er das absolut Komische hervorbringt, dies freilich auch weiß; zugleich aber ist er sich bewußt, daß das Wesen dieses Komischen in dem Anschein liegt, als kenne er sich selbst nicht.«144
Es gibt eine Gleichzeitigkeit der Hervorbringung des Komischen und dem Wissen darüber. Dabei ist das Komische aber das, was sich nicht weiß. Der Künstler muss sich, um vollkommen zu werden, die Perspektive des Philosophen zu Eigen machen, ohne seine eigene aufzugeben. Unwissenheit sowie das Wissen dieser Unwissenheit sind Bedingung des Komischen. Wie ist dieses Paradox zu verstehen? Muss demnach das Wissen über das Komische entweder wieder verschwinden, oder aber ist das Komische nicht wirklich unwissend? Die Inszenierung des Komischen gelingt scheinbar gerade in der Realisierung dieses Paradoxes. Doch wie wäre es zu realisieren? Es reicht nicht zu wissen, was komisch ist, um komisch zu sein, sondern dieses Wissen muss zumindest wieder soweit zurückgehalten werden, dass der Anschein der Unwissenheit entsteht. Der Anschein, von dem hier alles abhängt, kann aber nichts anderes sein, als eine weitere Verdoppelung. Der Künstler-Philosoph ist als gespaltener dem Anschein nach unwissend, insofern die Unwissenheit von einem Wissen an einem andern Ort begleitet ist. Der Anschein ist der Weg, über den der wissende Philosoph seine Unwissenheit wieder er(findet). Es heißt weiter: »Die Künstler erschaffen das Komische; nachdem sie dessen Elemente erforscht und versammelt haben, wissen sie, daß ein bestimmtes Wesen komisch ist, unter der einen Bedingung, daß es über seine Beschaffenheit im Unklaren ist; ebenso, wie einem umgekehrten Gesetz zufolge, der Künstler nur Künstler ist unter der Bedingung, daß er ein Doppelwesen und über keine Erscheinung seiner Doppelnatur im unklaren ist.«145
Es gibt ein Wissen des Komischen, zu dem das Wissen seiner konstitutiven Unwissenheit dazugehört, dem ein Platz eingeräumt werden muss, damit die Kunst komisch bleibt. An dieser Stelle tritt ein umgekehrtes Gesetz auf. Der Künstler muss zugleich Künstler und Philosoph sein, um Künstler sein zu können. Dieses Bewusstsein ist sich über keine Erscheinung seiner Doppelnatur im unklaren. Als Philosoph kennt der Künstler-Philosoph jedes Moment seiner Doppelheit. Er wäre der, der sich durch und durch weiß. Die Doppelnatur des Künstler-Philosophen folgt der Unmöglichkeit eines doppelten Gesetzes.
144. Ebd., S. 305 145. Ebd.
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Der Künstler-Philosoph ist vollkommen, wenn er absolut wissend aber auch unwissend zugleich ist. Nur auf diese Weise wird er komisch. Die aporetische Struktur ist nicht aufzulösen, als notwendigerweise vollkommen unterrichteter, kann der Künstler-Philosoph nicht mehr komisch sein, da er alles weiß, während der Komik eine Unwissenheit, sei es auch dem Anschein nach, mit dem diese Spaltung wiederholt wird, zur Voraussetzung hat. Der Künstler-Philosoph unterliegt damit einem doppelten Gesetz, das durch eine Umkehrung markiert ist. Komik, als Realisierung der gespaltenen Natur des Lachens, als Lachen des Philosophen über sein gefallenes Selbst, aber auch als lachende Antwort eines Körpers, der den Geist nicht mehr erträgt, unterscheidet sich demnach vom Bewusstsein des Philosophen, das zwar ironisch ist, aber nicht komisch sein muss. Der komische Künstler ist auf die Perspektive des Körpers, der den Geist verlacht angewiesen, während der Philosoph sich auf Kosten des Körpers behaupten will. Auch wenn diese Behauptung, die einem Wissen dient, vom Künstler-Philosoph nicht vergessen werden darf, folgt er gleichzeitig einem anderen Gesetz. Er ist der Diener zweier Herren, die sich radikal widersprechen. Seine Kunst gewinnt er nicht nur auf Kosten des Körpers, sondern auch in dem Risiko, dessen Unintelligibilität nicht zu verwerfen. Lachen, das der Philosoph als Anlass nimmt, sein Wissen aufzurichten, wirft den Künstler auch stets zur Dummheit zurück. »De Man’s work has shown how cognition and performance diverge. But despite a number of excellent interventions devoted to this split, the extent to which performance undercuts modes of cognitions invites for further review, […].«146
086 Ironie ist kein Begriff De Mans zweiter wichtiger Text zur Ironie trägt den ironischen Titel »The Concept of Irony«. Ironisch ist dieser Titel, weil de Man zu Beginn klarstellt, dass Ironie eben gerade kein Begriff sein kann und sich gegenüber Definitionsversuchen sperrt. Insofern ist der Titel des Vortrages, eine Wiederholung des Titels von Kierkegaards Buch Über den Begriff der Ironie, eine ironische Wendung, die ihrerseits im Verlauf des Textes wiederum ironisch gewendet wird, wenn de Man schließlich eine Definition anbietet. Mit den Schwierigkeiten einer Definition korrespondiert das Problem der Identifizierung einer ironischen Rede als solcher. De Man zitiert in diesem Zusammenhang Schlegel, der zur Ironie anmerkte: »Wer sie nicht hat, dem bleibt sie auch nach dem offensten Geständnis ein Rätsel.«147 Der
146. Avital Ronell, »The Rhetoric of Testing«, S. 3 147. Schlegel, Zitiert bei Ronell, ebd., S. 3, aus dem Lyceum Fragment 110
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Unterschied zwischen einem ironischen Bewusstsein und einem unironischen, der hier im Modus eines Habens artikuliert ist, löst sich in der Erklärung der ironischen Rede nicht auf. Eine Erklärung der Ironie gewährt keinen Zugang zu ihr. Der Blick hinter die Maske der Ironie zeigt nichts, das Rätsel bleibt. Verstehensversuche der Ironie bleiben der Tautologie übergeben. Nur der Ironiker hat Zugang zu ihr. Ironie tritt als Gegebenheit auf, als Talent oder Begabung, die allerdings nicht abprüfbar sind. Testet Ironie permanent die referentiellen (Un-)Möglichkeiten von Sprache, ist sie selbst nicht zu testen. Demnach wäre sie auch nicht lehrbar. In de Mans Diskussion von Booths Text zur Ironie wird dieses Problem weiter geführt: Welche Anzeichen gibt ein Text zur Bestimmung von Ironie? Ist Ironie nicht identifizier- und lehrbar, steht im Versuch des Verständnisses von Ironie Verständnis selbst zur Debatte. Demnach gibt es weniger eine Hermeneutik der Ironie, als dass eine Hermeneutik jederzeit der Ironie ausgesetzt ist. In der Verdächtigung von Referentialität droht sie dem hermeneutischen Diskurs. Kann sie nicht lokalisiert werden, wirkt sie kontaminös. Diese Schwierigkeiten einer Bestimmung von Ironie können noch genauer gefasst werden. De Man behauptet, dass Ironie alle sprachlichen Tropen umfußt, ohne selber jedoch als Trope bestimmt werden zu können. Ironie betrifft das Tropische der Trope, den Moment, der den Unterschied zwischen wörtlicher und figurativer Bedeutung markiert. Als konstitutive Bewegung der Tropen weist sie über alle anderen Formen figurativer Sprache, die Synechdoche, die Metapher oder die Metonymie hinaus, die als Tropen arbeiten, ohne das Tropische zu benennen. Gegenüber den stabileren Formen figurativer Rede, die sich der Ironie als dem Tropischen verdanken, es aber in ihrer Figuralität fixieren, taucht die Frage auf, ob die ironische Bewegung als solche zu einem Stillstand geführt werden kann. Für die Frage, ob Ironie anzuhalten sei, haben die wichtigsten Autoren der Ironie, darunter Hegel, Kierkegaard, Benjamin, Szondi, Strohschneider-Kohrs und Booth eine Antwort gefunden, und zwar in der Weise, dass die in der tropischen Bewegung liegende Radikalität der Ironie in der Struktur eines reflexiven Bewusstseins, eines historischen Modells oder in einem ästhetischen Programm still gestellt worden ist. Schließlich betrifft de Mans Selbstkritik, als solche kündigt sich »The Concept of Irony« gegenüber »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« an, genau diesen Punkt. Die Selbstkritik liegt in der Frage, ob die Möglichkeit besteht, Ironie im Sinne eines reflexiven Bewusstseins zu verstehen, das sich durch die Kenntnis seiner eigenen Inauthentizität auszeichnet. Es gibt einen Perspektivenwechsel. War »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« der Möglichkeit der Etablierung eines ironischen Bewusstseins geschuldet, betont de Man in »The Concept of Irony« die für die Ironie konstitutive 170
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und zugleich unterbrechende Funktion aller Tropen. Wird die Frage des Falls in der Baudelaire-Lektüre mit seiner Situierung als Ursprungsmythos fallengelassen, um eine Allegorie der Ironie zu etablieren, in der die Ironie verständlich wird, insistiert de Man nun auf der Wiederkehr der Unterbrechung, die nicht ohne weiteres aufzuhalten ist. Ironie, im Unterschied zur Allegorie, geht ins performative Register über. In Anlehnung an Schlegel wird die Ironie hier als ein permanentes Aus-der-Rolle-fallen verstanden, als permanente Parekbase: »Parabasis is interruption of a discourse by a shift in the register of, in the rhetorical register.«148 Und weiter, und damit wäre de Mans ›Definition‹ von Ironie gegeben, »irony is the permanent parabasis of the allegory of tropes.«149 Lesen wir noch einen weiteren Satz dazu: »The allegory of tropes is, has its own narrative coherence, has its own systematicity, and it is that coherence, that systematicity, which irony interrupts, disrupts.«150
Paradoxerweise also, weil die Ironie das Tropische der Trope ausmacht, ist sie zugleich diejenige ›Trope‹, die die Kohärenz einer Theorie der Tropen stört. Um diese Bewegung in einem linguistischen Moment zu lokalisieren, greift de Man wiederum auf Schlegel zurück. Er liest Schlegels Idee einer ›Reellen Sprache‹ im Kontext der Theoretisierung von Ironie. Die ›Reelle Sprache‹, die bei Schlegel für die poetische Produktion unverzichtbar ist, wurde zunächst noch als das Sonderbare, das Widersinnige und als die geistreiche Naivität verstanden. Schließlich entscheidet sich Schlegel jedoch für eine Idee der ›Reellen Sprache‹, die von jeder Vorstellung romantischer Kunst als spielerische Phantasie und Irrationalität weit entfernt ist. Kurz, ›Reelle Sprache‹ ist nichts anderes als die Sprache des »Verkehrten und Verrückten, oder des Einfältigen und Dummen.«151 Eine vollkommen unzuverlässige Sprache, eine Sprache die nicht für Intelligibilität einsteht. Im Zusammenhang der Konzeption von Ironie kommt ihr die Aufgabe der Parekbase zu. Die Spaltung der Sprache zeigt sich an dieser Stelle zwischen einer naiven, buchstäblichen einerseits und einer wissend ironischen andererseits. So gesehen ist ›Ironie‹ auch der Name für den Einbruch des Einfältigen und Dummen, in die Kohärenz der Theorie oder des Bewusstseins. Schlegel folgend ist dieser Einbruch nicht zu vermeiden, sondern als Bedingung poetischer Produktion absolut notwendig und unhintergehbar. 148. 149. 150. 151.
De Man, »The Concept of Irony«, S. 34 De Man, S. 37 Ebd. Zitiert bei Ronell, »The Rhetoric of Testing«, S. 40
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Damit ist der ›Reellen Sprache‹, dem Verkehrten, Verrückten, Einfältigen und Dummen, der gleiche Status zugewiesen, wie der Rede vom Körper als reine Empirie, Faktizität und Ort von Unintelligibilität in de Mans früherem Text. In diesem Sinne wäre poetische Sprache eine ›Sprache des Körpers‹. An dieser Stelle wäre aber nicht mehr ohne weiteres zu sagen, dass sich ein ironisches Bewusstsein auf Kosten des Faktischen konstituiert. In der Abwendung vom Faktischen bleibt das Faktische, das Einfältige, das Dumme, ebenso absolut notwendig. Auf die Dummheit ist nicht zu verzichten. Mehr noch, sie ist Teil der Ironie. Ironie ist in diesem zweiten Text nicht nur der Name, den de Man einem Bewusstsein zuspricht, das wäre eine klassische Reduzierung, sondern es ist zugleich die permanente Unmöglichkeit dieses Bewusstseins. Das Bewusstsein unterhält notwendigerweise eine Beziehung zum Dummen, Einfältigen, Faktischen und Verrückten. Dieser Welt, kann man auch den Namen ›Körper‹ geben. Doch noch einmal genauer: Welche Hinweise enthält de Mans Text »The Concept of Irony« zum Körper? Ich möchte auf drei Punkte eingehen, mit denen privilegierte Passagen in seiner Argumentation markiert sind: 1. De Man nennt als literarisches Beispiel für Ironie in seinem Vortrag Friedrich Schlegels Roman Lucinde. Genauer, das darüber enthaltene Kapitel »Eine Reflexion«. Das Skandalon dieses Textes für die zeitgenössische, wie auch für die spätere Kritik, liegt bekannterweise in der Verwirrung, die darin besteht, dass anscheinend nicht sicher ist, ob es sich mit diesem Text um die Entwicklung eines theoretischen Arguments handelt, oder schlichtweg um die Beschreibung von Geschlechtsverkehr. 2. De Man führt an, dass unter den vorausgesetzten Schwierigkeiten der Thematisierung von Ironie eine nahe liegende Möglichkeit immer darin liegt, sie in der Dynamik einer personalen Konstellation von eiron und alazon, Über- und Untertreibung, die stets einem Austausch unterliegen, zu beschreiben. In diesem Kontext situiert de Man sich selbst während seines Vortrages über Ironie. 3. Der Text des Vortrages (!) weist seine performative Qualität aus: Das Transkript notiert an mehreren Stellen: »(laughter)« Im Folgenden geht es darum, herauszuarbeiten, ob und inwiefern diese Momente des Vortrages als andere Beschreibungen von ›Körper‹ und von ›Lachen‹ gelesen werden können, im Unterschied zu den Konzeptionen in »Die Rhetorik der Zeitlichkeit«.
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1. Eine Reflexion (Lucinde) »Es ist meinem Gemüt nicht selten sonderbar aufgefallen, wie verständige und würdige Menschen mit nie ermüdender Industrie und mit so großem Ernst das kleine Spiel in ewigem Kreislauf immer von neuem wiederholen können, welches doch offenbar weder Nutzen bringt noch sich einem Ziel nähert, obgleich es das frühste aller Spiele sein mag.«152
Wovon ist die Rede, vom Denken oder vom Sex? Schlegel inszeniert eine unausgesprochene Analogie, die als Vorzeichen den gesamten Text markiert und über semantische Verdrehungen an den Punkt der Unverständlichkeit führt. Bei de Man heißt es dazu: »These two codes are radically incompatible with each other. And they interrupt, they disrupt each other in such a fundamental way that this very possibility of disruption represents a threat to all assumptions which one has about what a text should be.«153
Wie kann es dazu kommen, dass ein Text zwei Register gleichzeitig bedient? Zwei formale Voraussetzungen sind zu treffen, intellektuelle Arbeit, genauso wie Sex, werden bei Schlegel als ›namenlos‹ markiert, als ›nutzlos‹ und ›ziellos‹. In der Unmöglichkeit sie zu bezeichnen, und sie als Wert zu bezeichnen, sind sie sich ähnlich. Sie treten beide in einem dichotomischen Verhältnis zueinander, als Paarstruktur, auf. Als Geschlechterdifferenz einerseits, als Opposition von Dummheit und Intelligenz andererseits. Unter diesen formalen Voraussetzungen erscheint der Körper für den Text als drohende Referenz im Modus des Verdachts. Es könnte gerade die Rede von Einzelheiten beim Sex sein. Dieser Text könnte pornographisch sein. Der Körper erscheint hier als eine referentielle Möglichkeit, die sich wieder zurückzieht, die ihre Bedeutung nicht aufgibt, aber auch nicht zu Ende führt, und die nicht ohne Effekt auf den theoretischen Diskurs bleibt. Der Verdacht der sexuellen Konkretion der Abstraktion bringt diese zum Einstürzen. Gerade weil nicht direkt die Rede vom Sex ist, sondern sich dieser Diskurs einschleicht, das Vokabular besetzt, oder klaut, wird die Sprache semantisch unsicher und damit der theoretische Diskurs selbst. Nun stellt sich die sexuelle Rede nicht einfach an Stelle der theoretischen. Sie infiziert diese und damit ist ein Wechselspiel der sprachlichen Referenz eröffnet, dass das Problem der Referentialität selber aufstellt. Das 152. Schlegel, Lucinde, S. 110 153. De Man, »The Concept of Irony«, S. 15
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Problem liegt hier gerade in der Ununterscheidbarkeit der Referenz. Wovon ist die Rede, vom Denken – oder vom Sex? Lucinde inszeniert eine permanente Parekbase als Shift der Register. Die Opposition von Intelligibilität und Unintelligibilität infiziert sich gegenseitig. Nicht nur droht der intellektuellen Arbeit der semantische Skandal für Sex gehalten zu werden, umgekehrt droht Sex intelligibel zu werden. Diese Ununterscheidbarkeit ereignet sich unter der Voraussetzung, dass die Register streng geschieden sind. Philosophie ist keine Pornographie! D.h. der Skandal liegt weniger im Verdacht der Pornographie, sondern vielmehr in der Ununterscheidbarkeit von philosophischem und pornographischem Diskurs. Somit kann Kierkegaard bemerken, dass Buch wäre nicht pornographisch genug.154
2. Zur Beschreibung der Ironie in einer personalen Konstellation 155 Es gibt eine literarische Tradition, die Ironie über das personale Gegensatzpaar von eiron und alazon thematisiert.156 Wie tritt in dieser Gegenüberstellung Ironie auf? Ein Beispiel hierfür sind Stan Laurel und Oliver Hardy, auf Deutsch, Dick und Doof. Die Komik entsteht u.a. dann, wenn sich herausstellt, dass Stan (Doof) klüger ist als Olli. (Das Beispiel hinkt in der deutschen Übersetzung ihrer Namen, die gerade die Beispielhaftigkeit herausfordert, auch gleichzeitig, weil dick und doof leider keine Gegensätze sind und man immer auch lesen kann, Olli ist dick und doof, aber wer ist dann Stan?) Oliver Hardy tritt in der Rolle desjenigen auf, der Bescheid weiß, der sich auskennt und der die Rede führt. Diese Szenen sind stets einer ironischen Verkehrung unterworfen, der scheinbar Schlaue stellt sich als dumm heraus und umgekehrt. Eine Vertauschung, die sofort in die Abgründe ironischer Rede führt, denn die mit der Ironie gegebene Verdrehung geht weiter: in dem Moment, wo der Dumme als klug dasteht, fängt er wieder an dumm zu sein usw.157 Jede Zuweisung innerhalb der Dichotomie von klug und dumm provoziert sofort ihr Gegenteil. De Man erwähnt das Paar eiron/alazon zu Beginn seiner Rede und merkt an, dass diese Personifizierung immer eine einfache Weise ist, Ironie zur Sprache zu bringen.158 Er situiert sich selbst im Rollentausch von 154. Vgl. Ronell, »The Rhetoric of Testing«, S. 83 155. Vgl. auch Ronell, »The Rhetoric of Testing«, S. 44 156. Vgl. hierzu auch Ronell, ebd., S. 50ff. 157. In dieser Clownerie, kann man sich auch Kafka vorstellen, wie Benjamin es getan hat: »Und was die Freundschaft mit Brod betrifft, so habe ich das Gefühl, der Wahrheit auf der Spur zu sein, wenn ich sage: Kafka als Laurel fühlte die lästige Verpflichtung, sich seinen Hardy zu suchen – und der war Brod.« (Benjamin an Scholem, 4.2.1939. Über Kafka, S. 90f.)
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eiron und alazon, im Kontext wissenschaftlicher Schulen der Ironie, im Unterschied von German/American criticism. Inwiefern kann nun die Rede davon sein, dass mit dem Paar eiron/ alazon, in deren Begegnung sich das Blatt stets ironisch wendet, der Körper beschrieben würde? ›Ironie‹ ist an dieser Stelle nicht lediglich ein sprachliches Konzept, sondern konstituiert mit ihren Identifikationsangeboten und deren Rückzug eine Körperszene und deren Situationskomik. In Szene gesetzt wird der Übergang von Ironie als einer Szene des Bewusstseins zum autobiographischen Slapstick. Damit wird die Ironie an die körperliche Performanz gebunden.159 Anfänglich ist für das ironische Bewusstsein die Referenz, die es verfehlt, der Körper. In der Personifizierung der Ironie ist dieses Problem dramatisiert: wer (welcher Körper, welches Körper-Ich) ist gemeint, welchen Körper hat die Unterscheidung zwischen schlau und dumm (wieder nicht) getroffen? Dabei markiert die personale Identifizierung genau jenen Moment der Umkehr. In dem Moment wo die Referenz ›getroffen‹ wird, kippt sie wieder um. Weil der Körper nicht getroffen werden kann, wird er zum Umschlagplatz. Er fordert zur Zusprechung auf, nur um sie wieder zurückzuweisen. Der Körper ist der Wendepunkt der ironischen Wendung.
3. (laughter) De Mans Text setzt Ironie in Szene. Er spielt das Spiel ironischer Vertauschungen nach dem Muster eiron/alazon. Nicht zu vergessen ist, es handelt sich hier um die Transkription eines Vortrages. Bei diesem Setting markiert »(laughter)« die Reaktion des Publikums im transkribierten Text. Die Klammern verweisen auf einen Status des Lachens, der zunächst so beschrieben werden kann, dass »(laughter)« nicht direkt zum Programm des Textes gehört; »(laughter)« gehört nicht zur erzählten Zeit der Rede, sondern markiert den Einbruch der Erzählzeit in die Rede. Andererseits provoziert die Rede diesen Einbruch, so dass es sich hierbei um eine Unterbrechung handelt, die der Text hervorruft, ohne dass sie ihm angehören könnte. Aber sie ist schriftlich markierbar: »(laughter)«. Die Unterbrechung gehört zum Text als Unterbrechung und weist damit aber über sei158. Dieses Paar kann natürlich auch als Spaltung des Subjekts verstanden werden, wobei de Man in diesem Text den situativen Wert der Spaltung betont. 159. Die Dimension der Performanz ist natürlich auch rhetorisch. Z.B. wenn de Man immer wieder ankündigt, jetzt geht’s erst richtig los, oder vorschnell das Ende seines Vortrages ankündigt, d.h. die narrative Ordnung des theoretischen Diskurses, wird immer wieder in Frage gestellt, der Diskurs spielt mit seiner eigenen Unmöglichkeit.
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nen semantischen Status hinaus. Denn »(laughter)« ist seinerseits nicht bedeutend, sondern Artikulation eines körperlichen Vorgangs, der zwar semantisch provoziert ist, ohne selber semantisch sein zu können. Ironie führt nicht zwangsläufig, aber möglicherweise, und eben in dieser Unvorhersehbarkeit zu körperlichen Effekten des Lachens, »[…] they give a sound beating to a language that closes in on itself.«160 087 Am Ende In einer Relektüre von de Mans »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« mit Baudelaires Text »Vom Wesen des Lachens« ebenso wie in de Mans späterem Text »The Concept of Irony«, ist eine Verschiebung gegenüber der bisherigen Konzeption von Ironie zu erkennen. Die Notwendigkeit des ironischen Bewusstseins, sich über den Körper zu erheben, wird auf radikalere Weise unterbrochen. Baudelaires Text setzt das philosophische Genre des Essays einer Erzählstruktur aus, die sich der Kollision, die dem Bewusstsein im Bruch mit dem Körper zustößt, verdankt. Lachen als Phänomen der Spaltung ruft zwei Register zugleich auf: Es inauguriert das ironische Bewusstsein ebenso, wie eine wiederkehrende Unwissenheit, die nicht nur die Namen ›Verrücktheit‹ oder ›Dummheit‹, sondern auch den Namen ›Körper‹ trägt. Während sich das ironische Bewusstsein auf seine Kosten etabliert, ist er für die komische Kunst unverzichtbar. Weit davon entfernt, eine dialektische Synthese von Körper und Bewusstsein zu vollziehen, bietet ihre Spaltung sich in der Komödie dem Lachen an. Damit tritt ihre Disjunktion in der komischen Kunst noch krasser hervor: als Doppelheit eines Lachens, in der sich Geist und Körper gegenseitig verlachen. Dieser Unterschied gegenüber de Man, kann hier als Unterschied von Ironie und Komik verstanden werden. De Mans zweiter Text zur Ironie, »The Concept of Irony«, der sich als Selbstkritik gegenüber »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« versteht, nähert sich dieser Konzeption eines gespaltenen Lachens, das der Perspektive des Körpers Rechnung trägt, an. In einem anderen Genre, einem Vortrag, zeigt sich Performativität als Modus, das ironische Bewusstsein seinem Abbruch auszusetzen. Ein komisches Rollenspiel inszeniert die ironische Struktur als komische Körperszene, als Slapstick der Kritik. In diesem Zusammenhang bezeichnet die Publikumsreaktion »(laughter)« einen Übergang zum Ort des Körpers, der dem Text sichtbar als Unterbrechung eingetragen ist, und auf diese Weise eine Beziehung zu ihm unterhält. Auch der Hinweis auf Schlegels Lucinde wird zum Beispiel einer für die Literatur konstitutiven Ironie. Auf andere Weise nähert sich Ironie hier der Frage des Körpers an: in der Ununterscheidbarkeit von kognitiver Arbeit und Sex, die der Text anbietet, drängt sich der Körper als Referent auf, ohne, wie in der Pornographie, imaginär sichergestellt werden zu können. 160. Ronell, »The Rhetoric of Testing«, S. 101
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2.4. Abfall – Letzter Besuch in der Strafkolonie 088 Philosophie und Psychoanalyse Die Wiederaufnahme der KafkaLektüre möchte ich mit einer methodologischen Frage einleiten: Kann mit dem Einsatz der Psychoanalyse der rhetorische Diskurs, dessen Grenze bisher im Register der Performativität bestimmt wurde, weiter geöffnet werden? Felman beschreibt die Beziehung der beiden Diskurse zueinander wie folgt: »It is well known that de Man resisted the discourse of psychoanalysis. And yet, he resisted it as one who was extremely close to it, as one who in a way knew everything about it.«161
Ausgegangen von einer Fremdheit zwischen rhetorischem und psychoanalytischem Diskurs liegt in der Disjunktion von Literaturtheorie und Psychoanalyse, an deren Stelle Felman folgend de Mans Widerstand zu finden sei, zugleich ihr Verhältnis zueinander begründet. De Man stünde im Kontakt mit der Psychoanalyse gerade über den Begriff des Widerstands. Wäre dieses Verhältnis als heimliche Nähe der beiden Diskurse zueinander zu bestimmen, deren scheinbare Distanz einer Unterdrückung oder Verwerfung geschuldet ist, die freizusetzen wäre – oder als notwendige Vermeidung, die unumgänglich ist? In dieser Spannung liegt die Frage nach dem Status des Wissens in Bezug auf die Psychoanalyse bei de Man, von dem Felman sagt, one who in a way knew everything about it. Es ist nicht unerheblich, dass gerade über die Kategorie des Widerstands das vermeintliche Verhältnis der beiden Diskurse zueinander beschrieben wird, denn die Frage des Widerstands ist ihrerseits ebenso im rhetorischen Diskurs vertreten wie im psychoanalytischen. Bietet die Psychoanalyse eine Lektüre des Widerstands an, dessen mögliche Auflösung zu debattieren bleibt, z.B. in der Frage der Endlichkeit der Analyse, wird ein unaufhörlicher Widerstand als der Sprache inhärent, bei de Man zur allgemeinen und notwendigen Blindheit von Erkenntnis erklärt.162 Für seinen Diskurs wäre die Kategorie des Widerstands nicht nur aus psycho161. Felman, »Post Survival, or The Question of the Navel«, S. 51f. Später heißt es ebd.: »[…] a refusal actively repeated, reasserted paradoxically enough, not out of blindness to but out of insight into the importance of psychoanalysis. I would like to mediate here on this refusal, which I take to be nothing other than a complex dialogue with psychoanalysis […]. The presentation of Lacan is indeed, unique in that it is the only text in which de Man implicitly acknowledges his closeness to rather than – as is usually the case – explicitly stakes his distance from, psychoanalysis.« (S. 52) 162. Vgl. hierzu de Man, »Widerstand gegen die Theorie«
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analytischer Perspektive in einer symptomatischen Lektüre anzuwenden, sondern – insofern sie für seinen Diskurs selbst konstitutiv ist – im Spannungsverhältnis von Psychoanalyse und Rhetorik zu ermitteln. Die Frage nach dem Verhältnis von Psychoanalyse und Rhetorik, die anfänglich über den Widerstand beschrieben wurde, führt also zur Lektüre verschiedener Widerstände. Psychoanalyse und Rhetorik weisen eine Nähe zueinander auf, in dem was sie scheinbar trennt: Widerstände. Wie verhielte sich der rhetorische Begriff des Widerstands gegenüber dem psychoanalytischen?163 Kann er psychoanalysiert werden? Würde eine solche Lektüre de Mans rhetorischen Bemühungen gerecht werden, und welche Konsequenzen wären für eine Theorie der Rhetorik aus dieser Vorantreibung des Widerstands zu ziehen? Widersteht de Man den Einsichten der Psychoanalyse und den mit ihr auftretenden Fragen nach Körper, Geschlecht, Sexualität und Begehren und wäre sein Widerstand demnach als blindness for bodies lesbar und auflösbar?164 Gleichzeitig, gerade weil auch Rhetorik den Anspruch erhebt, die Frage des Widerstands zu theoretisieren, wäre die psychoanalytische Kategorie des Widerstands aus rhetorischer Perspektive zu befragen. In welchem Maße wäre Psychoanalyse – mit ihren Figuren von Verschiebung, Verdichtung und Rücksicht auf Darstellbarkeit – ihrerseits als Rhetorik aufzufassen, und verdankte sich damit einem rhetorisch verstehbaren Widerstand?165 Für eine Theorie der Rhetorik ist paradoxerweise der Widerstand gegen Theorie, bekannterweise Anlass polemischer Debatten zu de Man, als mit der Sprache gegeben unumgänglich, auch wenn ihm wiederum zu widerstehen ist. Von de Man keinesfalls ignoriert, ermöglicht der anfängliche Ort des Widerstandes alternative Lektüren. Was hieße es, den Widerstand gegen Theorie ernst zu nehmen, ohne in eine vermeintliche und tautologische de Man-Kritik zu verfallen, die beansprucht, gegen ›Theorie‹ zu arbeiten?166
163. Vgl. hierzu Abschnitt 064 dieser Arbeit 164. Vgl. zu diesem Punkt wiederum Caruths »The Falling Body and the Impact of Reference (de Man, Kant, Kleist)« und Hertz’ »Lurid Figures« 165. Zu einer Lektüre der Freud’schen Texte als Rhetorik, insbesondere des Witzbuches, vgl. Jean-Philippe Antoines »Ars memoriae – Rhetorik der Figuren, Rücksicht auf Darstellbarkeit und Grenzen des Textes«. Neben einer Berücksichtigung der Freud’schen Techniken der Traum- und Witzarbeit als rhetorische Figuren ist vor allem der Antagonismus von Erinnern und Lachen interessant; er folgt den in dieser Arbeit angeordneten Figuren. 166. Vgl. Steven Knapp und Walter Benn Michaels, »Against Theory«
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Die Spannung von Nähe und Distanz zwischen Rhetorik and Psychoanalyse erlaubt es, diese Kritik aus einer anderen Perspektive als der rhetorischen oder ihrer Gegner aufzufassen. Felman versteht den Unterschied zwischen Widerstand gegen den Widerstand gegen Theorie und einer Annahme dieses Widerstands, als Unterschied zwischen Philosophie und Psychoanalyse. Während Philosophie sich als (Selbst-)Widerstand gegenüber den Widerständen gegen die Theorie aufbaut, wendet sich Psychoanalyse diesen Widerständen zu: »Analysis is about an inescapable human bondage. Philosophy is about the price of freedom.«167 Ich möchte diese Problematik auf die bisher gelesenen Texte de Mans und ihre Quellen beziehen. Widerstand gegen Theorie, als mit der Sprache gegebene Bedingung menschlicher Existenz, wird bei de Man in ein ironisches Bewusstsein übersetzt, deren Preis ein Verlust von ›Welt‹ ist, der es sich nur als Bewusstsein seiner eigenen Illusionslosigkeit negativ gegenüber verhalten kann. Als Endlichkeit ist ihm der Widerstand gegen Theorie eingeschrieben. Gleichzeitig muss es sich ihm gegenüber behaupten: als Widerstand gegen den Widerstand. Die illusionslose Erkenntnis des ›Scheiterns‹ eines ironisch/allegorischen Bewusstseins läuft trotz performativer Ausschreitungen reibungslos.168 Bei de Man gewinnt das Bewusstsein die Heiterkeit des theoretischen Menschen, den Nietzsche als Sokrates identifizierte. Aber im Lachen, dem die Ironie sich nähert, um sich wieder von ihm abzuwenden, macht sich der anfängliche Widerstand wiederum bemerkbar. Was mit dem Lachen aus psychoanalytischer Sicht demnach auf dem Spiel steht, ist die Frage nach der Sublimation. Desublimierung wäre danach allerdings weniger eine Figur der Befreiung als vielmehr ein Sich-Aussetzen gegenüber anfänglichen Widerständen. Im Dialog zwischen Psychoanalyse und Philosophie geht es demnach um die Frage eines Spannungszustandes unterschiedlicher Widerstände. Eine Relektüre de Mans mit Baudelaire konnte zeigen, dass die rhetorische Lektürearbeit eine Maschinerie ist, die der Vermeidung dient.169 Der 167. Felman, »Post Survival, or the Question of the Navel«, S. 72 168. Dennoch ist mit der Aufmerksamkeit für die Dimension der Performativität eine Grenzverschiebung zwischen frühen (»Die Rhetorik der Zeitlichkeit«) and späten Texten (»The Concept of Irony«) zu erkennen. 169. In Bernheimers Polemik gegenüber de Man heißt es: »A militant theory of uncertainty announces its aporia within a critical apparatus that functions with all the surety of a well oiled machine.« (S. 5) Zur Diskussion der Maschinen-Metapher in Bezug auf de Man siehe auch Benningtons »Aberrations: de Man (and) the Machine«. Mich interessiert an dieser Stelle weniger die Debatte um die vermeintliche Mechanik der Texte de Mans, als ihre Spezifik, Lachen nicht zum Zuge kommen zu lassen. Die Aufmerksamkeit, die seinen Texten in dieser Arbeit geschenkt wird, sollte aber klar
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Vermeidung von was? Dem Körper als Ort des Unintelligblen, das sich bei Baudelaire als für den Künstler-Philosophen notwendig erweist, der mit ihm eintretenden Komik, weicht de Man zunächst aus. Darin folgt er Bergsons Einsicht: »Sobald die Sorge um den Körper dazukommt, ist ein Einsickern des Komischen zu befürchten.«170 Während Baudelaire Komik und Ironie gleichermaßen zum Zuge kommen lässt, und in ihren gegenseitigen Beschädigungen Körper und Geist auftreten, die sich untereinander verlachen, verfährt de Man zunächst nur noch ironisch: Das ironische Sprachbewusstsein baut sich auf Kosten des Körpers auf. Gewinnt es darin sein Wissen, bleibt der komische Körper, der mit Dummheit droht, draußen. Gleichzeitig richtet sich das Verlangen der Sprache nach einem Ort jenseits der Ironie. Dieses Verlangen, das aus dem konstitutionellen Verlust der Ironie hervorgeht und sie markiert, bleibt dem Text eingetragen. Im Konflikt des performativen Charakters einer Rede mit ihren konstativen Chancen bringt sich der Körper in Erinnerung.171 Ironie wäre der performative als auch konstative Modus, in dem der Bruch des Körpers für die Sprache ausgestellt, aber auch sublimiert wird. Bei Bergson heißt es, »[…] auf der einen Seite die moralische Persönlichkeit mit ihrer intelligent vielseitigen Energie, auf der anderen der Körper, der immer mit seiner maschinenmäßigen Hartnäckigkeit dazwischenklappert.«172
Vom Geklapper des Körpers in de Mans Baudelaire-Lektüre bleibt nur ein schwaches Echo zurück. Anders bei Kafka.173 Teilen Kafkas und de Mans Texte ihre allegorischen und ironischen Strukturen, ist ein Unterschied darin zu erkennen, dass bei de Man die Ironie bemüht ist, das Lachen zumachen, dass, obwohl sie in diesem entscheidenden Punkt kritisiert werden, sie gleichzeitig erst eine Lektüre, die dieser Frage nachgeht, in die Wege leiten können. An dieser Stelle meiner Arbeit verfahre ich in Bezug auf de Man nicht nur ökonomisch verkürzt, sondern auch strategisch, d.h. nachdem ihm viel Kredit gegeben worden ist, nähere ich mich jetzt zu heuristischen Zwecken einem polemischeren Ton an. 170. Bergson, Das Lachen, S. 38 171. Zum Verhältnis des performativen Charakters von Sprache zu ihrem konstativen, vgl. auch Derrida, Psyché. Invention de l’autre 172. Bergson, Das Lachen, S. 37 173. Julia Kristeva verhandelt diese Beziehung als Verhältnis der symbolischen und semiotischen Dimensionen von Sprache. Der anfängliche Verlust wäre demnach der Körper der Mutter. Die Materialität von Sprache, wie sie sich in der Poesie als Klang oder Rhythmus zeigt, trägt diese Dimension der Alterität dem Symbolischen ein. Vgl. hierzu, Die Revolution der poetischen Sprache
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rückzuhalten, und schließlich die Allegorien überleben, um die Gefahren der Ironie zu bannen. Behält bei Kafka zunächst die Ironie das letzte Wort und bricht darin die Allegorie ab, reicht es nicht, wollen wir seinen Texten gerecht werden, von Ironie zu sprechen. Im wissenden Umgang mit ihrem referentiellen Scheitern rettet sich Ironie zugleich als unbegrenzte Immanenz eines Sprachbewusstseins.174 Ironischerweise wird sie als Figur des Abbruchs ihrerseits zu einer totalitären Figur, solange sie an die Allegorie gebunden bleibt. Bei Kafka hingegen hat die Ironie gegenüber der Allegorie nicht nur das letzte Wort, sie verfällt weiter zum Lachen. Ironie bietet sich dem Lachen an und ist darin nicht länger Ironie. In Baudelaires Textgestalt ebenso wie in de Mans eigenem, späteren Text, »The Concept of Irony« bricht der komische Körper aber als Widerstand gegen ein ironisches Bewusstsein aus. Was hieße es, das Geklapper des Körpers, von dem Bergson in Bezug auf die Komik spricht, bei Kafka zu lesen? Bei Deleuze und Guattari ist diese Frage folgendermaßen formuliert, »[…] welches Element die Rolle der Heterogenität spielt, des Körpers, der das Ganze schließlich auseinanderjagt, der die symbolische Struktur ebenso sprengt wie die hermeneutische Deutung.«175
Die Heterogenität, die sich dem Symbolischen als Ironie eingetragen hat, wirkt vom Körper aus. Diese Eintragung kann, übergibt man sich nicht ihrer widerständigen Kraft, gezähmt werden, um Erkenntnis zu sichern. Die Heterogenität des Körpers ist es aber, laut Deleuze und Guattari, die bei Kafka die symbolische Struktur nicht nur zeichnet, sondern auseinanderjagt und sprengt. Kafkas ironische Schriftmaschine bricht unter dem Gewicht ihrer Disfunktionalität zusammen. Im Zusammenbruch entwerfen Kafkas Texte »ein Grenzverhältnis zum Draußen«.176 Ein Ort, der mit dem bisherigen Textverständnis nicht mehr zugänglich ist. Hier treiben die Textkörper de Mans und Kafkas auseinander.
174. Hamacher schreibt in seinem Essay zu Kafka und Benjamin: »Tritt sie unter den Aspekt ihrer Selbstdefinition, dann ist es also der Moderne mit dem Scheitern nicht ganz ernst. Nicht ernst ist es ihr, solange sie sich unter das Prinzip des Wissens stellt und die Erfahrung des Zerfalls an das Gesetz vorstellender Erkenntnis bindet » (»Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«, S. 280). Ist noch die Haltung gegenüber dem Scheitern, das die Moderne mit der Ironie ankündigt, ironisch, bleiben die Gefahren der Ironie ironischerweise gerade vollkommen ungefährlich. 175. Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 12 176. Ebd., S. 17
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Während bei de Man die Unsicherheit der Referenz mit der ironischen Sprache zur Freiheit als Bewusstseinsleistung führen soll, wird sie bei Kafka über permanente Verdächtigungen zu einer Strafszene. Weit davon entfernt, eine metaphysische Macht zu restaurieren, führt der ironische Test, den die Sprache an sich selbst vollzieht, bei Kafka nicht zur Befreiung, sondern zur Bestrafung. Der ironische Schreibprozess steuert auf die Exekution zu. Die Faszination für ein Außen der Literaturmaschine stellen Kafkas Texte als Bilder der Gewalt aus. Jenseits der ironischen Sprachspiele werden die gewaltsamen Strafszenen tod-ernst. Gerade weil das Schreib- und Strafverfahren der Maschine fehlschlägt (im doppelten Sinne) wird der Offizier hingerichtet. Damit ist die Gewaltszene keine Manifestation des Gesetzes, sondern sein Abbruch. Keine Verwirklichung eines substantiellen Rechts, sondern sein Suizid.177 Weil seine Gewalt sich gegen sich selbst wendet, ist das Recht schließlich gerade in seinem Bemühen um Ernsthaftigkeit wiederum nicht ernst zu nehmen. Paradoxerweise ist der tödliche Gewaltakt zugleich ein komischer. In ihrer Selbstzerstörung unterscheidet sich diese Komik von der Ironie, die stets ihr Überleben arrangiert. Am Ende des Sprachprozesses entlädt sich Ironie bei Kafka in einer katastrophalen Komik. Die Komödie, die dabei entzündet wird, kommt keinen Schritt voran, sondern fällt in die Starre eines Schreckensbildes zurück. Die Bilder der Gewalt bei Kafka sind Orte des Widerstands. Sie widerstehen den ironischen Anordnungen der Textur, die sich ihrerseits erst über einen Widerstand gegenüber diesem widerständigen Ort von Sprache herstellt. Im Konflikt der Widerstände wenden sich Kafkas Texte im Nachlassen der ironischen Spannung dem Widerstand gegen Intelligibilität zu. In ihrem semantischen Skandal machen sie ernst mit dem zerstörerischen Spiel der Ironie. Die Fratzen, die hier warten, sind grausam komisch. Mit den psychoanalytischen Registern Lacans gesprochen, rückt in der Erschöpfung des Diskurses das Reale vor.178 In der Symptomatik, die diese
177. Butler schreibt: »Denn es gibt zwar ein ›Außen‹ gegenüber dem, was vom Diskurs konstruiert wird, aber es handelt sich dabei nicht um ein absolutes ›Außen‹, nicht um ein ontologisches Dortsein, welches die Grenzen des Diskurses hinter sich läßt oder ihnen entgegensteht; als ein konstitutives ›Außen‹ ist es dasjenige, was wenn überhaupt, nur in bezug auf diesen Diskurs gedacht werden kann, an dessen dünnsten Rändern and als dessen dünnste Ränder.« (Körper von Gewicht, S. 30) 178. Butler macht diese Bewegung, in Bezugnahme auf Zˇizˇek Lacan-Lektüren, produktiv gegenüber einer Foucaultschen Diskursanalyse oder einer Kommunikationstheorie im Sinne von Habermas. Vgl. hierzu Körper von Gewicht, S. 45ff. Mit Zˇizˇek versteht sie diesen Schritt als Kritik an einer Postmoderne, die dem Sprachidealismus
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Bilder ausstellen, manifestiert sich das Reale des Genießens, die einzige Substanz, die die Psychoanalyse anerkennt.179 Deleuze und Guattari versuchen diese Bewegung der Texte bei Kafka hervor zu treiben, »überall schneidet eine Fluchtlinie quer durch die Sinnsprache, um eine lebendige Ausdrucksmaterie freizusetzen.«180 Jede Rede vom Realen droht es zu essentialisieren, dieser Einwand gilt vor allem gegenüber Deleuze und Guattari, denn was wäre eine ›Freisetzung‹ des Realen, das seinerseits symbolischen Zuordnungen widersteht? Der Auftritt des Realen kann als Traumatismus bezeichnet werden, als wiederkehrendes Fehlschlagen des Versuches, einen ›unmöglichen‹ Kern, als unauflöslichen Widerstand, in die symbolische Struktur zu integrieren. Dennoch bleibt der Text von diesem Vorfall nicht unberührt. Nach Lacan ist das Reale nur in seinen verzerrenden Effekten in einer Realität erkennbar: als Grimasse, die jeder Gestalt mit Entstellung droht. Der Ironiker blickt den grausam komischen Grimassen, die das Reale produziert, und die in diesem Sinne Grimassen des Realen in der symbolischen oder sozialen Realität sind, das nur in der Verzerrung der Grimasse zugänglich ist, mit Angst entgegen. An der Grenze zum Realen beginnt der Text zu zittern.181 Die Beantwortung der Frage, was an diesem Ort ›Lachen‹ heißen kann, ist nur schrittweise in einer sich abzeichnenden Vielfalt möglich. Als Erstes lässt sich sagen, an der Grenze ist Lachen, als Grimasse ein das Antlitz entstellende Grinsen, zum (unmöglichen) Bild geworden. Lachen erscheint dem Ironiker an der Grenze des Symbolischen als Bild, das nicht stabil ist. Genuss aber auch Angst und Gewalt verschränken sich am Ort des Realen, der besetzt wird, ohne sich selbst zeigen zu können. Begeben wir uns ein letztes Mal in die Strafkolonie, diesmal mit dem Versuch, den Zusammenhang der Figuren und Bilder zu verstehen, die am Ort des Realen ihren Auftritt haben – ihn verstellen aber ebenso lesbar machen. Es wird sich zeigen, dass Kafkas Literatur kaum als ironisches Bewusstsein ohne Körper zu verstehen wäre.182 An der Grenze der Ironie
verfiel. Von der Zuwendung zum Realen, verspricht sie sich ein neues ethisches und politisches Gewicht von Theorie. 179. Vgl. Lacan, Television, S. 9 180. Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 30 181. Bei Baudelaire hieß es: »Der Weise lacht nur mit Zittern.« (»Vom Wesen des Lachens«, S. 286) 182. Ebenso wenig wie Becketts. Leo Bersani schreibt: »The Beckettion fiction is, however by no means the product of a disembodied consciousness.« (The Freudian Body, S. 8)
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schaltet sich der komische Körper ein. Der in Vergessenheit geratene Körper meldet sich zurück.183 Aber welcher Körper und zu wem?184 »Immer weiter muß man sich dem Augenblick nähern, an dem die Sprache ihre uneingeschränkte Macht zeigt, und aus all diesen armseligen Wörtern das Grauen hervorkommen läßt; aber dieser Augenblick ist genau der, an dem die Sprache nichts mehr ausrichten kann, wo sie den Atem anhält, wo sie schweigen muß und nicht einmal sagen darf, daß sie schweigt. Unendlich oft muß die Sprache vor dieser Grenze zurückweichen, die in ihr ist, die zugleich ihr Reich und ihre Grenze ist.«185
089 Postmoderne und Genuß Psychoanalytisch gesprochen ist der Ausbruch der Komik ein unmögliches Genießen, das im Lachens zu hören ist. Unmöglich ist der komische Genuss, insofern sich hier der Imperativ einer Aporie zeigt: »Du kannst nicht beides, Bedeutung und Genießen haben.«186 Genießen und Bedeutung treten in Zˇizˇeks Psychoanalyse-Rezeption als 183. »Weil aber die vergessenste Fremde unserer Körper – der eigene Körper – ist, versteht man, wie Kafka den Husten, der aus seinem Inneren brach, ›das Tier‹ genannt hat.« (Benjamin, Über Kafka, S. 31) Husten und Lachen sind bei Kafka oft nicht zu unterscheiden. Margot Norris hat darauf aufmerksam gemacht, dass bei Kafka häufig Tiere diesen negativen Ort von Erzählung besetzen. Vgl. Beasts of Modern Imagination. 184. Vgl. hierzu Butler, Körper von Gewicht S. 49-84. Wie sollen wir diese Verlagerung zur Frage des Körpers verstehen? Virilio kommt zu dem Schluss, analog zur historischen Aufmerksamkeit für die Frage von Schrift bei Derrida, dass in dem Moment, wo der Körper in Frage steht, er zum letzten Bezugspunkt des Denkens wird. (Vgl. Rasender Stillstand, S. 146f.) Wäre demnach einem historischen Wechsel von Schrift zu Körper zuzustimmen? Der New Historicism nimmt in der Folge von Foucault Körpergeschichte als Paradigma an (vgl. hierzu Seltzer). Wie wäre aber demgegenüber eine nicht-positivistische Körpertheorie aufzubauen, die die Einsichten der Dekonstruktion nicht im historischen Argumentationsmodell verwirft? Lachen, an der Schnittstelle von Sprache/Körper kann als Grenzfigur, die in beide Richtungen treibt, zu einer Skizzierung des Problems beitragen. Kevin Newmark schreibt über Baudelaires Text vom Lachen: »The laughter shakes his text as well as our attempts to understand, it emanates from the shock that in modernity dissociates once and for all the traditional cohesion of experience and cognition.« (S. 535) Gegenüber der Negativität einer ironischen Sprache etabliert sich nicht die Sicherheit eines stabilen Körpers, um als epistemologische Garantie an ihre Stelle zu treten. Vielmehr sind die Körper ihrerseits von einer Negativität gezeichnet. Zeigt sich das Paar Sprache/Körper als doppelte Negativität ist ihr Verhältnis zueinander seinerseits ein ironisches. Freud wird im nächsten Kapitel in dieser Frage weiterhelfen. 185. Foucault, »Das unendliche Sprechen«, S. 100f. 186. Zˇizˇek, Grimassen des Realen, S. 177
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Antagonismus auf. In diesem Antagonismus artikuliert sich der Spannungszustand unterschiedlicher Widerstände. Die Dimension des Genießens wird sowohl in der Strafkolonie, als auch in den Romanen Das Schloß und Der Proceß deutlich: Kafka verdeckt die Tatsache, dass es sich beim Strafvollzug in der Strafkolonie um eine Beischlafszene handelt kaum (der Offizier entkleidet sich, die Maschine ist ausgestattet wie ein Bett, in den Mund dringt ein Pfropfen, damit die Schreie des Gefolterten nicht zu hören sind). Genauso deutlich sind das Schloß und das Gericht im Proceß als Orte des Genießens zu erkennen (Der Aktenverkehr des Gerichts ebenso wie der Kontakt zum Schloß laufen über Szenen der Verführung und Prostitution). Gleichzeitig bleibt der Zugang zu diesem Genießen blockiert. Die Erlösung, auf die der Offizier wartet, bleibt aus. Die sexuellen Szenen im Schloß und Proceß lösen nicht ihr Versprechen ein, zum Gesetz zu führen. Als Genuss bleiben sie leer und verfehlen die gesuchte Bedeutung. Der Versuch sich der ironischen Endlichkeit der Sprache zu entledigen, zeigt sich bei Kafka nicht als Bild der Schönheit, das Stabilität gewinnt, indem es behauptet, außerhalb der Zeit zu stehen, sondern als Hässlichkeit der Fratze, in der sich das Begehren als Verzerrung eingezeichnet hat. Weniger ist ein blendender Fetisch zu sehen (in der Fetischisierung des Realen geht es verloren), der Fetisch blickt zurück, um die Kohärenz des Bildes zu zerstören. Gelingt es die Grimassen des Realen anzublicken? Was zeigt sich mit diesem Blick? Können die anamorphotischen Verzerrungen am Ort des Realen erkannt werden oder bleiben sie als blinde Flecken zurück? »Ich schaue weg und mache unbeherrscht Grimassen am hellen Tag.«187
090 Gewalt und kein Tod Am Ende der ironischen Demontage von Kafkas Schrift-Allegorien wartet eine Bilderwelt, die nicht länger ironisch verstanden werden kann. In der Strafkolonie lauert der Anblick der toten Fratze des Offiziers, »durch die Stirne ging die Spitze des großen eisernen Stahls.«188 Die tödliche Penetration des Hirns ist Ergebnis des merkwürdigen, ebenso komischen, wie monströsen Aktes des Offiziers, sich selbst unter den Apparat zu legen. Als Bild einer Galionsfigur kündigt es die folgende Abreise mit dem Schiff an. Im Kontext der Erzählung erscheint dieser Moment weniger zwangsläufig, als vielmehr überraschend, insofern die Geschichte als Versuch der
187. Kafka, Tagebücher 1914-1912, S. 140 188. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 59
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Verwirklichung des Rechts gelesen wird.189 Konsequent wäre sie in anderer Hinsicht, soweit sich der Rechtsanspruch mit der Geschichte ironisch verflüchtigt und in diesem Bild seine Unmöglichkeit ausstellt. In jedem Fall, denn beiden Lesarten entsprechend verfällt das Gesetz, wäre dem Suizid der Status eines Aktes einzuräumen, in dem ein Subjekt kein symbolisches Mandat verwirklicht, sondern, »das Netz von symbolischen Vorstellungen suspendiert.«190 Kein Urteil kann diesen Akt vorschreiben, eine Fundierung von Taten in Worten, m.a.W. Ideologie, scheitert.191 Im Akt des Offiziers verwirklicht sich eine Disjunktion von Wort und Tat, insofern kein Wort diesen vorbereiten kann. Genauer: Ironischerweise verwirklicht sich das Urteil, das der Offizier sich selbst gibt – sei gerecht –, gerade in seinem Fehlgehen als Zusammenbruch des Apparates. Gerechtigkeit verwirklicht sich unter der Bedingung des Verfalls des Rechts. Dieser Ort ist symbolisch nicht mehr zugänglich. Als ›Einschnitt ins Reale‹ ist dieser Akt damit eine Form von Gewalt.192 Gewalt in Form der Folter, glauben wie einem Brief, den er an Milena Jesénska schreibt, ist Kafkas Obsession: »Ja, das Foltern ist mir äußerst wichtig, ich beschäftige mich mit nichts anderem als mit Gefoltertwerden und Foltern.«193 Eine Tagebucheintragung vom 1. Februar 1922 wirft Licht auf diese Briefstelle: »Mit primitivem Blick gesehen, ist die eigentliche unwiderstehliche durch nichts […] gestörte Wahrheit nur der körperliche Schmerz.« Körperlicher Schmerz als Folge des Gefoltertwerdens wird bei Kafka als Ort reiner Wahrheit genannt. Wie repräsentierte sich Wahrheit als Schmerz? Im Narzissmus-Aufsatz führt Freud die Alternative von Krankheit und Liebe ein. Krankheit sei ein negativer Narzissmus; richtet sich die libidinöse Energie auf den Schmerz, komme im Unterschied zur Liebe kein imaginäres Bild zustande.194 Wäre 189. Von der Gemeinschaft ausgeschlossen, ist der Offizier auch schon symbolisch tot, bevor er tot ist. Es wird aber zu zeigen sein, dass dieser zweite Tod kein wirklicher ist. 190. Zˇizˇek, Grimassen des Realen, S. 51. Zˇizˇek fordert eine Ethik des Aktes. Ironische Positionen bleiben seiner Lektüre zufolge ethisch problematisch. Nach Lacan wäre der konsequenteste Akt, der ein Nichtwissen realisiert, der Selbstmord. Vgl. Television, S. 43 191. Thiher schreibt: »The guardian’s suicidal gesture might then be seen as the desperate attempt to communicate to the traveller the full measure of his belief.« (S. 38) 192. Vgl. Zˇizˇek, S. 52 193. Kafka, Briefe an Milena, S. 244 194. Eine Lektüre von Kafkas Briefe an Felice, könnte zeigen, wie sehr er, folgen wir Freuds Opposition, auf der Seite von Schmerz und Krankheit steht. Einer Krankheit und eines Schmerzes allerdings, die Anspruch auf Wahrheit erheben.
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Schmerz, der kein Bild wird, repräsentierbar? Wie Zˇizˇek versteht auch Vogl Gewalt als eine zeichentheoretische Problematik. Sie wird zu einem Ort, auf den eine in ihrer Referenz erschütterte Sprache zusteuert, um ›authentisch‹ zu werden. Für Kafkas Texte heißt das: »Diese Gewalt übernimmt letztlich eine entscheidende Rolle im mimetischen Prozeß. Sie ist Fluchtpunkt eines Verweisungszusammenhangs, Ausdruck einer Fahndung, authentisches Ereignis einer verschütteten Wirklichkeit und gerade darum unkenntlich mit sich selbst, und zwar in zweierlei Hinsicht: als unmittelbare Gegenwart, letzte Enthüllung und Durchbruch einer Wahrheit, die jedes Bild einschnitzt, und als ein Faktum, das nur aus Überresten und Spuren zusammengelesen und ebenso bezeichnet wie verfehlt wird.«195
Dieses Zitat situiert den mimetisch ambivalenten Ort von Gewalt am Rande der Sprache als Endpunkt des Textbegehrens. Die Zusteuerung auf diesen Un-ort kann bezüglich einer ironischen Sprache nicht als Kontinuitätsbeziehung verstanden werden, weil ihre Ankündigung negativ verfährt und nicht mehr als eine leere Bewegung erlaubt: »Vom Sinn bleibt nur soviel übrig, daß die Fluchtlinie eine Richtung erhält.«196 Das sich präsentierende Bild der Gewalt, auf das die Erzählung zusteuert, ohne es vorbereiten zu können, zeigt sich und zieht sich als solches wieder zurück. Scheint der Signifikationsprozess einerseits danach zu verlangen, kann dieses Bild andererseits keineswegs stabil etabliert werden. Im Bild der Gewalt am Rande sprachlicher Ordnung zeigt sich das Verlangen von Sprache zu sich selbst zu kommen, seinerseits als illusorisch. Es ist in der Doppelgeste von Eröffnung und Entzug gegeben.197 Es arbeitet am Auf- und Abbau des Bildes. Gewalt ist an dieser Stelle nicht nur ein Topos, sondern betrifft den mimetischen Prozess selbst. Nicht als ironisches Spiel, sondern als Zerstörung.198 In einer Stelle aus den Tagebüchern heißt es:
195. Vogl, S. 68 196. Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 31 197. Bei Butler heißt es: »Oder vielleicht sprechen auch beide Seiten der Debatte von einer unvermeidlichen Praxis der Signifikation, der Demarkation und Abgrenzung, von etwas, worauf wir dann ›referieren‹, so daß unsere ›Referenzen‹ immer diese vorgängige Abgrenzung voraussetzen – und oft verschleiern.« (Körper von Gewicht, S. 34) 198. Vogl liest die von ihm bei Kafka erkannte mimetische Anordnung mit Foucault sozial- und wissenshistorisch: »Kafkas Ironie, so ließe sich folgern, zeigt Gewalt als Trauma und Skandalon einer Kultur, die sich vor allem mit ihren Verdrängungen beschäftigt und sich, ihr Selbstverständnis und ihre Kontrollpraktiken vom Verschütteten her legitimiert.« (Vogl, S. 69)
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»›Unsere Kunst‹, schreibt Kafka in seinen 1917/18 entstandenen Aphorismen, ›ist ein von der Wahrheit Geblendet-Sein. Das Licht auf dem zurückweichenden Fratzengesicht ist wahr, sonst nichts.‹«199
Kunst wäre demnach nicht Ausdruck, sondern Effekt von Wahrheit, deren Anblick als reine Lichtquelle ihrerseits unzugänglich bleiben muss, aber das Kunstwerk, von ihr geblendet, wirksam versehrt. Im direkten Blick bleibt von der strahlenden Lichtmetapher einer aufklärerischen Wahrheit Blendung zurück. Diese ist jedoch nicht lediglich das Negativ von Erkenntnis.200 Die blendende Wahrheit produziert ein verzerrtes Gesicht, das einen Lichtschein spiegelnd, sich schützend zurückzieht. Mit dem verschwindenden Fratzenbild kehrt wieder Dunkelheit ein. Der schwache Lichtschein der Wahrheit bestimmt die Sichtbarkeit des Bildes selbst. Von ihm getroffen, zieht es sich zurück. Verfallen von diesem Ort her Schrift und Gesetz in ironischen Anordnungen, fordert das erscheinende und sich wieder zurückziehende Bild seinerseits zu einer Lektüre auf. Die außer Kontrolle geratene buchstäbliche Realisierung des Gesetzes am gemarterten Körper bringt eine Totenfratze hervor.201 Von diesem Gesicht heißt es: »Es war, wie es im Leben gewesen war«.202 Keine Zeichen einer Transzendenz stellen sich ein. Das Grauen dieses Todes liegt im Paradoxon von Leben und Leblosigkeit. Zu sehen bleibt das ›Leben‹, nur leblos. In der leblosen Starre wird ›Leben‹ zur Chiffre einer zeichenlosen Leere, die sich im Tod enthüllt. Im Tod wird das ›Leben‹ nicht im Bild seiner Vollendung gezeigt, sondern als Leere. Im Tod ist das Ich kein Ganzes geworden. Das Leben ohne den zu erwartenden Tod, das ›Leben‹ als Tod, ist leer. Was im Tod verloren geht, ist nicht nur das Leben, sondern die Möglichkeit des Todes. Blanchot schreibt: »Und zu sterben gewiß, ist unsere Sorge. Warum? Weil wir, wenn wir sterben, die Welt und den Tod zugleich verlassen. Eben das ist das Paradoxe der letzten Stunde.«203
199. Zitiert bei Ries, S. 23 200. Dementsprechend wäre Andersons Kommentar zu relativieren: »This is the harsh light obscuring, not illuminating, the ›tropical‹ landscape of Kafka’s text.« (Ornament and Aestheticism in the Habsburg Fin de Siècle, S. 193) 201. »Vielleicht hat kein anderer Autor wie er die Spannung sichtbar gemacht, die zwischen den Wünschen des Körpers und den Zeichen, die das Gesetz hervorbringt, sich entlädt.« (Kittler und Neumann, Schriftverkehr, S. 282) 202. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 193 203. Blanchot, »Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 44
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Das Ende ist der Verlust der Endlichkeit. Darin liegt die Leere des ›Lebens‹, das sich im Tod zeigt. Gewalt ist der Name für ein Bild, das seine Leere zeigt. Gewalt wäre der Akt zu zeigen, was nicht zu zeigen ist. Ohne besondere Zeichen ist dieser Tod eine nicht symbolisierbare Leere. Ohne allegorische Bedeutung bleibt der Körper zurück als Rest, als Abfall. Ein Abfall, der nicht einfach verschwindet – er fällt nicht von alleine in die Grube – er bleibt in der Schwebe, dort anzusehen. Er präsentiert sich im Zustand seiner Nichtpräsentierbarkeit. In seiner Bedeutungslosigkeit drängt er sich dem Blick auf: »Hierbei sah er fast gegen seinen Willen das Gesicht der Leiche.«204 Ein Rest, der abseits des aufgeschobenen Lebens nicht mehr symbolisierbar ist, insofern er nicht positiv bestimmbar wird. Der Körper stirbt nicht richtig, wenn sterben bedeuten würde, in eine andere Ordnung einzutreten, also bedeutsam zu werden. Er bleibt übrig, hängt nach, guckt weiter, mit dem unheimlichen Ausdruck der lebenden Toten, die in Kafkas Texten hausen. Er gehört zu jenen Untoten, wie der Jäger Gracchus, die umherreisen wie Geister und sich stets zurückmelden (und wiederholt damit das Schicksal des früheren Kommandanten –f.K. – oder Franz Kafkas). Was dem Offizier in dieser Hinrichtung gerade verweigert wird, ist paradoxerweise der Tod. Im Verfehlen des Todes bestätigt sich die Unmöglichkeit des Urteils. Der Mangel an Sein, der sich mit der ironischen Verfasstheit der Sprache und in den zertrümmerten Allegorien bemerkbar macht, zeigt sich in der Unmöglichkeit des Todes.205 Im Tod kommen Zeichen und Bedeutung nicht zueinander. Er realisiert sich nicht als Inkarnation des Gesetzes, sondern zeigt sich in seiner skandalösen Bedeutungslosigkeit. 091 Fucking the Father Gewalt und Tod – aber auch Sexualität und Sex gefährden an diesem Ort die Ordnung der Wörter,206 die sich diesem Schauplatz nähern, ohne ihn erobern zu können.207 Mit dem Striptease des Offiziers markiert eine sexuelle Szene die Grenze der ironischen Sprache. Der Schauplatz, an dem die Wahrheit des Gesetzes sich verwirklichen 204. Kafka, »In der Strafkolonie«, S. 193 205. »Wo ist das Ende? Wo ist jener Tod, der die Hoffnung der Sprache ist? Aber die Sprache ist das Leben, das den Tod erträgt und ihn in sich hält.« (Blanchot, »Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 43) 206. Ich zitiere noch einmal Vogl, der die Frage der Gewalt in den Kontext von Sexualität setzt: »Ähnlich wie Sexualität wird sie zum Inbegriff eines dunklen Vorfalls und eines irgendwie verborgenen Sinns, ihre latente und drohende Präsenz zeugt von einer gleichmäßig verteilten Schuld, sie zeugt von einer scheinbar authentischeren Wirklichkeit, die zuletzt aus wechselnden Arrangements von Tätern und Opfern besteht.« (S. 69) 207. Vgl. hierzu Vogl, S. 2
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soll, bietet Raum für das Begehren.208 Deleuze und Guattari schreiben: »Dort, wo man das Gesetz erwartet hat ist in Wahrheit Verlangen.«209 In der psychoanalytischen Theoriebildung gehört ›Sex‹ zum Register des Realen,210 der über die Frage der Geschlechterdifferenz in Szene gesetzt wird.211 ›Sexualität‹, im Unterschied zu ›Sex‹ als sich der Repräsentation entziehendem, stellt die Lücke des Realen aus und maskiert sie zugleich.212 Die Lee208. »Genau das ist das Wesen des Rechts – aufzuteilen, zu verteilen, umzuverteilen das, was mit dem Genuß ist.« (Lacan, Encore, S. 8) Zu Lacans Verständnis des Nießbrauchrechtes in Bezug auf Kafka vgl. auch Zˇizˇek, Liebe Dein Symptom wie Dich selbst!, S. 93f. 209. Deleuze und Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, S. 68 210. In seiner Kritik an Foucault führt Zˇizˇek eine Unterscheidung von Sexualität und Sex ein. Ihr Verhältnis ist ein antagonistisches. Den Sexualitäten, die Foucault historisch untersucht steht als Hindernis der Sex entgegen. Sex ist danach der traumatische Kern von Sexualität, der, insofern er sich nur über sie artikulieren kann, nicht als vorangehende Entität angenommen werden kann, sondern sich nur im ›Scheitern‹ von Sexualität zu zeigen vermag. Deshalb ist es möglich, dem Sex den Status des Realen zuzusprechen. Vgl. hierzu Zˇizˇek, Grimassen des Realen, S. 160. Butler folgt in Bodies that matter dieser Kritik an der Diskursanalyse aus psychoanalytischer Perspektive. 211. Leo Bersani ebenso wie Shoshana Felman haben die Frage aufgeworfen, inwiefern die Figur der Unlesbarkeit des literaturtheoretischen ebenso wie des psychoanalytischen Diskurses mit der Frage von Geschlechterdifferenz zusammenfällt, ob der unauflösliche Widerstand, der uninterpretierbar bleibt und der Sprache gegenüber exzentrisch, als Abgrund des Körpers zu verstehen ist, den die Sexualität vorführt. Bei Felman heißt es über »the radical unknown of sexuality as difference«, »[…] sexuality is, in the Irma dream, envisiond as a double reference – a connection/disconnnection – on the one hand, to the body, and on the other hand to speech. Human sexuality, in other words is here (self – analytically) envisioned on the one hand as differentiality of pain and on the other hand as the unspeakability of difference: as an irreducable bodily gap in language.« (»Postal Survival or The Question of the Navel«, S. 66) Bei Lacan hieß es: »Was vom Sein ist, von einem Sein, das sich setzte als absolutes, ist je nur die Fraktur, der Bruch, die Unterbrechung der Formel geschlechtliches Sein, insofern als das geschlechtliche Sein betroffen ist vom Genuß.« (Encore, S. 16) Vgl. hierzu auch Mark Seltzer über das Verhältnis von Verwundung und Sexualität beim Serienmörder. 212. Vgl. hierzu auch Butler, Körper von Gewicht, S. 21-48. Butler formuliert die Ambivalenz des Körpers mit dem Begriff des ›Sex‹ im Unterschied zu ›Geschlecht‹. Die Wirklichkeit des Sexes kann im Unterschied zu Geschlecht nicht als symbolische oder kulturelle Konstruktion allein verstanden werden. Sex wird zum Ort einer Materialisierung, die ambivalent bleibt, insofern sie nur über die ausgrenzenden diskursiven Ef-
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re, die zurückbleibt, wird von sexuellen Szenen besetzt. Kein stabiles Körperbild garantiert die Rede, sondern Szenen semantischer Maskierungen treiben ihr Spiel. An den Grenzen des ironischen Bewusstseins spielen sich sexuelle Szenen der Travestie ab.213 Im Sadomasochismus als dramatisierter Version von ›Sex‹, tritt dessen ontologische Leere hervor. Bersani schreibt, »[…] and the marginality of sadomasochism would consist of nothing less than its isolation, even its making visible, the ontological grounds of the sexual.«214 Der Schreib-akt in der Strafkolonie ist zugleich ein sexueller. In der homosexuellen Hinrichtung heißt das: Fucking the father (In both ways).215 Die Hinrichtung in der Strafkolonie wird zum Fick mit dem Vater: PenalColony. Die englische Übersetzung spricht die Latenz aus. Nicht nur enthält Penal anagrammatisch Pen – Schreibfeder –, sondern weitertreibend, Pen-al, Penis-anal – kündigt sich nicht nur Schreibverkehr, sondern Analverkehr an.216 Das ödipale Tabu Homosexualität wird gebrochen und gewendet. Einerseits könnte die Schreibmaschine als Apparat des Gesetzes gelesen werden, die den Offizier in der Identifikation des Sohnes gegenüber dem früheren Kommandanten in dessen imaginären Auftrag penetriert. Weil die Schriftallegorie in Gestalt des Apparates allerdings nicht stabil ist, ist sie als zusammenbrechende weniger Allegorie des Gesetzes, sondern zeigt die Ironie und Komik einer Literatur, die gesetzlos bleiben muss. In diesem Sinne wäre die strafende Schreibmaschine die Position des Sohnes oder Franz Kafkas, und der Offizier wäre in dem Maße, wie er
fekte der Rede selbst zugänglich wird. Bauen sich Hermeneutik und Historisierung des Körpers als sexuellem nur auf diesem Wege auf, insistiert der Körper als sexueller zugleich auf seiner Alterität gegenüber dem Diskurs. Diese Alterität führt zu imaginären Leistungen, die Körperbilder produzieren einerseits, und zu einer Widerständigkeit die in den unterschiedlichen Diskursen als traumatische Wiederkehr des Realen auftritt, andererseits. Mit dem Lachen kommt kein ganzes Körperbild zustande. 213. Vgl. hierzu auch die Schlussszene im Landarzt und die Prügler-Szene im Proceß. Nach Lacan sind sexuelle Szenen konstitutionell komödiantisch, insofern sie gegenüber der Leere des Sex versuchen, den Sinn einer sexuellen Beziehung aufzubauen. Komödie wäre ein Modus der Darstellung im Unterschied zur semiotischen Leere des Sexuellen. Gewalt und Komödie wären die beiden denkbaren Konsequenzen aus dieser Lage. Vgl. hierzu Lacan, Television, S. 8. Und derselbe, »Die Bedeutung des Phallus«. 214. Bersani, The Freudian Body, S. 41 215. »Man spricht da vom ficken – Verb, auf Englisch to fuck – und man sagt damit, daß es nicht geht.« (Lacan, Encore, S. 37) 216. Diesen Hinweis verdanke ich Valerie Manenti
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an einer Identifikation mit dem früheren Kommandanten festhält, seinerseits in der Position des Vaters. Vater und Sohn treffen sich in einem travestitischen Rollenspiel, dessen Positionen doppelt lesbar bleiben. Die Maschine, die den Vater oder den Sohn fickt, geht zu Bruch, Vater oder Sohn bleiben untot zurück. Am Ende des vernichtenden Schreib/Strafaktes sind beide am Ende. Vater und Sohn vernichten sich in dieser Travestie gegenseitig, weil nur der Vater den Sohn am Leben halten würde und umgekehrt. Vater und Sohn erhalten sich gegenseitig, solange sie eine parodistische Komödie spielen, wie Kafkas Urteil erzählt. Das ödipale Verhältnis von Vater und Sohn braucht das Gesetz oder seine Parodie, die es noch bestätigt. Ohne Gesetz auf der Fluchtlinie von Ironie und katastrophaler Komik, die gegen eine Ökonomie von Vater und Sohn arbeitet, wiederholt sich das Morden serienmäßig.217 Die Disjunktion, die sich hier ausstellt, wäre nur als Rausch oder narkotisierende Bedeutung zu verdecken.218 092 Gottlos Das geplante Opfer des Offiziers misslingt. Auf diese Weise ist der Tod in der Strafkolonie eine komische Variation der christlichen Kreuzigung. Keine Geschichte, kein Urteil werden eingeritzt, sondern unlesbare Zeichen, die keiner lesen kann. Noch diese einsame Mnemotechnik scheitert bei ihrer Anwendung. Als derangierte ornamentale Waffe terrorisiert sie den Körper, dem sie geleitet vom Phantasma des Fleisch 217. Der Serialkiller verwirklicht eine vaterlose Repräsentationspolitik. Deshalb ist er zugleich Monster und Modell in einer Zeit, die, diesem Unterschied in der Beziehung zum Vater folgend, nicht grundlos ›Postmoderne‹ genannt werden kann. Gäbe es eine Form, die Wahrheit, die der Serienmörder vorführt, gewaltlos zu erkennen? Was wäre eine Wahrheit des Schmerzes ohne die Logik des Opfers? Weist Kafka uns den Weg einer ironischen Opferlogik? Diese Frage ist nicht nur eine der Signifikationslogik, sondern v.a. eine politische. Welche individuellen oder öffentlichen Rituale wären denkbar, die nicht die Gewalt und Traurigkeit postmoderner Monster und ihrer medienöffentlichen Zuschauer wären? Michel Foucaults sadomasochistische Utopien wären an dieser Stelle zu lesen. Ansätze für eine kritische Lektüre des Spektakel des Serienmordes bietet Mark Seltzers Serial Killers. 218. Rausch besetzt im semiotischen Prozess den Ort des Symbols, bzw. der Psychose. Süchte sind demnach antimetaphysische Existenzweisen, die jedoch die narkotisierende Wirkung der Metaphysik imitieren. Religiös gedacht heißt das: Rausch als Rest von Offenbarung. Was dabei verloren geht, und ein Verständnis verstellt, ist Heidegger zufolge die Angst als Bedingung von Hermeneutik. Ronell, die Heideggers ›Drang‹ und ›Hang‹ als Modi der Sucht liest, schreibt: »Im reinen Drang ist die Angst noch nicht freigeworden argumentiert er, während im Nachhängen die Angst noch gebunden ist.« (Drogenkriege, S. 46f.) In Kafkas Fratzenbildern bricht demgegenüber die Angst aus und fordert die Lektüre heraus.
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gewordenen Wortes hinterher jagt.219 Der Tanz der Nadeln verwandelt sich von der ersehnten langsamen Folterschrift, die im maschinell erzeugten Schmerz Schrift und Wahrheit zusammenführen sollte, die als Opfer Sinn machen sollte, in direkte Messerstiche, die unmittelbar Mord bedeuten, während die Maschine zu Trümmer geht. Kein Opfer inauguriert eine neue Religion, keine Erlösung wartet. Die Übersetzung des Gesetzes ins Medium des Körpers misslingt.220 In der Hinrichtung fallen Gesetz und Körper (wiederum) auseinander. Diese Überschreitung des Textes auf eine Körperlichkeit hin, zu der keine Distanz zu gewinnen ist und die keine Erlösung verspricht, markiert als zeichentheoretisches Drama zugleich ein theologisches.221 Mit der Grenze einer Sprache, die sich nicht als Transzendenz lesen lässt, kündigt sich der Tod Gottes an.222 Blanchot folgend ist »Kafkas gesamtes Werk […] auf der Suche nach einer Bejahung. […] Der tote Gott hat in diesem Werk eine beeindruckende Vergeltung gefunden.«223 ›Gott‹ wäre der Name einer Funk-
219. Mark Seltzer weist in seinem Buch über Serialkiller auf den semiotischen Zusammenhang von brieflichem Geständnis und Serienmord hin, bei dem sich Körper mit Kommunikationstechniken verschränken: »The letter bomber is a writer with a direct physical impact. He dreams of words as weapons aimed at bodies: verboballistics.« (Serial Killers, S. 18) Kafkas Schreibmaschine in der Strafkolonie soll demnach den Traum vom Absender der Briefbombe verwirklichen. 220. Lyotard entwickelt in seiner Lektüre der Strafkolonie das unversöhnliche Verhältnis von Gesetz und Körper als eine Frage des Verhältnisses von Ethik und Ästhetik. Seine Frage lautet: bedarf eine wirkungsvolle Ethik zu ihrer Fundierung einer grausamen Ästhetik? Vgl. hierzu Lyotard, »Die Vorschrift«. 221. Als Parodie auf Heidegger schreibt Lacan: »’S gibt Ein! Von da eben geht das Seriöse aus, so blöd es aussehen mag, es auch.« (Encore, S. 27) 222. »[…] sie umfaßten einander, der kleine Körper brannte in K.’s Händen, sie rollten in einer Besinnungslosigkeit, aus der sich K. fortwährend aber vergeblich zu retten suchte, paar Schritte weit, schlugen dumpf an Klamms Tür und lagen dann in kleinen Pfützen Bieres und dem sonstigen Unrat, von dem der Boden bedeckt war. Dort vergingen Stunden, Stunden gemeinsamen Atems, gemeinsamen Herzschlags, Stunden in denen K. immerfort das Gefühle hatte, er verirre sich oder sei soweit in der Fremde, wie vor ihm noch kein Mensch, eine Fremde, in der selbst die Luft keinen Bestandteil der Heimatluft habe, in der man vor Fremdheit ersticken und in deren unsinnigen Verlockungen man doch nichts weiter tun können, als weiter gehn, weiter sich verirren.« (Das Schloß, S. 55) Später heißt es: »Dort lagen sie, aber nicht so hingegeben wie damals in der Nacht. Sie suchte etwas und er suchte etwas, wütend, Grimassen schneidend.« (Ebd., S. 75) 223. Blanchot, »Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 59
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tion der Schließung gegenüber der Gespaltenheit der Sprache.224 Deshalb ist Gottes Tod der Moment, mit dem alle Zeichensysteme einzustürzen drohen. Foucault beschreibt die poetologischen Konsequenzen dieses Ereignisses: »Das ist der Augenblick (oder er steht bevor), als Hölderlin sich bis zum Geblendetsein gewahr wurde, er könne nur noch in einem Raum sprechen, von dem sich die Götter abgewandt hatten, und daß er das Sprechen nur noch sich selbst verdanke, wenn es den Tod umgrinst.«225
Eine gottlose Sprache, der sich der Tod eingetragen hat, wird Schlegel folgend ironisch: »Welche Götter werden uns von allen diesen Ironien erretten können?«226 Spätestens seit Nietzsche ist die Ankündigung von Gottes Tod vom Lachen begleitet. Über das Lachen schreibt Nancy: »It’s ›mystery‹ is not that of the gods: it is rather that of their departure, of their absence of their turning away.«227 Am Ende einer komischen Sprache markiert Lachen die Stelle des fehlenden Göttlichen, das sich bereits in der Pluralisierung eines Monotheismus‹ ankündigt. Lachen ist darin zugleich der Rest des Göttlichen.228 Als Rest von Religion, der keine ist, kehrt Lachen, im säkularisierten Verhältnis von Erhabenheit und Vulgarität wieder. Vogl hat Erhabenheit als Fluchtpunkt von Kafkas Texten ausgemacht.229 Nancy schreibt: »Laughter is
224. Im Lacanschen Diskurs gehören die Götter dem Ort des Realen an. Vgl. hierzu Zˇizˇek, Grimassen des Realen, S. 78 225. Foucault, »Das unendliche Sprechen«, S. 95 226. Schlegel, »Über die Unverständlichkeit«, S. 349 227. Nancy, »Laughter, Presence«, S. 390 228. »[…] was unseren sokratischen Roman angeht, unsere infernalische Geschichte der Postkarte, daß ich sie ›komisch‹ gefunden habe, steht nicht im Mißverhältnis zum Sublimen. Sie ist das Heilige, für mich, noch heute, aber als solches macht sie mich auch lachen, sie läßt uns, Gott sei Dank, das Lachen.« (Derrida, Postkarte, 1. Lieferung. S. 216ff.) Früher hieß es in der Postkarte: »Meine ernsthaften Briefe beginnen also mit ›Gott‹, theos, und jene, die es weniger sind, mit ›die Götter‹, theoi« (S. 169). Vgl. hierzu ebenfalls Maurice Blanchot, »Das Gelächter der Götter«. 229. »Ohne hier eine weitläufige Diskussion aufzugreifen, die das Erhabene als Signatur moderner Kunst verhandelt, bleibt festzuhalten, wie die Position der Undarstellbarkeit – der negative Selbstbezug der Einbildungskraft, die Kapitulation des Darstellungsvermögens, die Erschütterung des Sinnlichen und der Einbruch eines Inkommensurablen und Zeichenlosen – einen ästhetischen Fluchtpunkt von Kafkas späten Texten abgibt.« (Vogl, S. 224)
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Auf der Schwelle
sublime – or, in this case, the sublime itself.«230 Versteht man Lacans Grimassen des Realen als zum unmöglichen Bild gewordenes Lachen, etabliert sein Diskurs ein ähnliches Verhältnis von diesem zur Erhabenheit: »Lacans Definition des Erhabenen (ein Objekt, das auf die Ebene des Dings erhoben ist) kann wie folgt wiedergegeben werden: das Erhabene ist ein Objekt, ein Stück Realität, in welches das Reale des Begehrens durch eine anamorphotische Grimasse eingeschrieben ist.«231
Der Ort des Erhabenen wird bei Lacan über die Differenz von Objekt und Ding beschrieben. Vom Erhabenen kann nur insofern die Rede sein, wie das unerreichbare Ding ein Verhältnis mit dem Objekt eingeht. Erhaben ist ein Objekt, das den Status des Dings gewinnt. Diese Beziehung etabliert sich im Begehren, insofern es auf das Reale als Objekt zielt. Für das Objekt manifestiert sich der Ding-Status in seiner Verzerrung. Am Objekt ist die Verzerrung Spur des Realen. Dieser symbolischen (Ver-)Nichtung ausgesetzt, kann das Objekt in seinem Wert für das Begehren nicht fixiert werden. Diese Gefährdung, die das Erhabene erst anzeigt, nehmen wir Lacans Sprache an dieser Stelle ernst, ist zugleich der Ort von Komik. Die Beziehung von Erhabenheit und Komik lässt sich der Geschichte der Ästhetik seit Ende des 18. Jahrhunderts ablesen. Vischer bestimmt das Erhabene als ein Übermaß der Idee im Verhältnis zur Erscheinung, demgegenüber die komische Kontextualisierung des Erhabenen dessen Entleerung bewirkt: »Das Komische dagegen hat bei der Auflösung des Erhabenen in ein Nichts keineswegs die Absicht, an dessen Stelle ein höheres Erhabenes zu affirmieren.«232 Kant hatte die negative Bewegung des Komischen als Auflösung einer gespannten Erwartung in Nichts beschrieben, die sich als Lachen entlädt. Zˇizˇek zufolge tritt das Erhabene in der Postmoderne als Komik auf. In der Komik ist das Erhabene konkretisiert, als solches ist es ein umgekehrtes Erhabenes, d.h. vulgär. Der Figur der Umkehrung folgend konnte Nancy, der Lachen als Erhabenheit bestimmte, gleichzeitig sagen: »Laughter is vulgar, man certainly knows no laughter which is not vulgar and prostituted.«233 In seiner vulgären Version als Komik hat das Erhabene sein Pathos verloren. 93 Nachspiel Für Kafkas Geschichten ist damit der radikale Punkt ihrer Nichterzählbarkeit erreicht. Sie überschreiten die Möglichkeit der Er230. Nancy, »Wild Laughter in the Throat of Death«, S. 725 231. Zˇizˇek, Grimassen des Realen, S. 186 232. Vischer, Über das Erhabene und Komische. Ein Beitrag zu der Philosophie des Schönen, S. 159 233. Nancy, »Laughter, Presence«, S. 392
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zählung, die innerhalb einer Rhetorik der Ironie noch stets wiederholbar bleibt. Kafkas Erzählung In der Strafkolonie ist an dieser Stelle, mit dem Bild des hingerichteten Offiziers, unterbrochen. Weil dieser Tod, kein richtiger Tod sein kann, können Kafkas Geschichten mit ihm auch nicht zum Ende kommen. Im folgenden Epilog wird diese Todesszene kontrastiert, mit der Grabstelle des alten Kommandanten, die in einem Wirtshaus gelegen, ihrerseits parodistische Züge trägt. Und auch dieser Tote ist nicht wirklich tot. Mit touristischer Leichtfertigkeit besucht der Reisende diesen Ort, bevor er hastig die Strafkolonie verlässt. Mit dem Tod des Offiziers und der Abfahrt des Reisenden gerät die Vergangenheit der Strafkolonie in Vergessenheit. Der eine Zeuge stirbt, der andere reist ab, die anderen beiden haben sowieso nichts verstanden, weil die ganze Zeit Französisch gesprochen wurde.234 Kafkas Geschichten enden nicht mit den Fratzenbildern. Dieses Ende ist in seiner Bedeutungslosigkeit eben kein Ende, sondern noch die Unmöglichkeit des Endes selbst. Kafkas Geschichten enden nicht mit dem Tod.235 Stets gibt es ein Nachspiel. Seine Erzählschlüsse haben eine gewisse Leichtigkeit, ein Verschwinden, sie verflüchtigen sich. Oft stehen Szenen der Reise oder der Bewegung am Ende. Nachdem Georg Bendemann das ›Urteil‹ des Vaters verwirklicht und sich, mit einer sportlichen Übung, ins Wasser fallen ließ, ging ein geradezu unendlicher Verkehr über die Brücke.236 Die Samsas machen nach Gregors Tod einen Ausflug mit der Elektrischen. Folgen wir ihnen? War es nur ein Besuch? Blanchot schreibt: »Um sprechen zu können, müssen wir den Tod erblicken, ihn hinter uns erblicken.«237 Ironische Sprache als Figur der Endlichkeit ist demnach, trotz und wegen ihrer permanenten Selbstgefährdung, weniger eine Gefahr des hermeneutischen Unternehmens, als vielmehr seine letzte Rettung. In ihr verwirklicht sich die affirmative Instabilität des Daseins, und wird darin zum ethischen Unternehmen, »[…] wo der feste Grund der Erkenntnis fehlt, verwandeln sich alle hermeneutischen Fragen in solche der Ethik.«238 Dabei lassen beide, 234. Dramatisiert ist damit noch einmal das Problem von Zeugenschaft gegenüber der Literatur oder dem Realen. Vgl. hierzu Abschnitt 047 dieser Arbeit 235. Man könnte denken Der Proceß mache eine Ausnahme. Vergleiche hierzu die Diskussion um Brods Editionspraxis bei Deleuze und Guattari. 236. Mark Anderson hat die Frage des Verkehrs, in seiner Bedeutungsvielfalt, von Straßenverkehr, Briefverkehr, Akten – und Parteinverkehr, Geschlechtsverkehr, bei Kafka ausführlich untersucht. Einmal hinsichtlich des biographisch-sozialhistorischen Zusammenhangs, zum anderen mit der These, Verkehr sei eine der wesentlichen sprachlichen Figuren bei Kafka. Vgl. Kafka’s Clothes 237. Blanchot, »Die Literatur und das Recht auf den Tod«, S. 44 238. Hamacher, »Das Beben der Darstellung«, S. 173
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Kafka und de Man keine Ruhe zu. Jede Rückkehr zu ihnen, wird nicht die letzte sein. Doch muss es mit dieser Rückkehr bei der Ironie bleiben? Zˇizˇek zufolge stört das Ding/das Reale das soziale Gefüge und sichert es zugleich. Das wäre die Sublimationsleistung der Ironie. Aber können wir nach diesem Ereignis, kurz vor Schluss der Strafkolonie, auf das eine ironische Sprache zusteuert, noch in gleicher Weise von einem ironischen Text sprechen? Nach dem Anblick der Grimasse des Realen hat sich ein Grinsen dem Text eingeschrieben, das in seiner semiotischen Gewaltsamkeit nicht länger ironisch verstanden werden kann, das monströs ist, weil jederzeit ein Lachen auszubrechen droht. Für den Text etabliert sich damit ein Verhältnis zum Lachen, das weder versöhnlich noch ironisch ist. Wir müssen Kafkas Schrift als komische, d.h. als lachende verstehen, die die Rückbindungen der Ironie nicht länger mitmacht. Eine Schrift, die aufbricht, ausbricht und zerbricht. Eine Schrift, die den Körper nicht vergisst – was wäre eine lachende Schrift?
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka 3.1. Wie witzig
094 Vorbemerkung Lachen über Kafkas Literatur brachte die Lektüre zu einer Theorie der Rhetorik, die Literatizität als Grundlage einer Epistemologie des Literarischen annimmt, mit der Akzentuierung der Figur der Ironie gegenüber der Allegorie. Im Dialog ausgewählter Passagen bei Kafka und Schlüsselfiguren de Mans, ist die Frage des Lachens zugleich als eine des Lesens behandelt worden, die auf den spezifischen Status des literarischen Textes verweist. Literatur ist zum Lachen. Aus einem Lachen als ›Antwort‹ auf einen Text lässt sich ein Lesen ableiten, das vor seiner eigenen Gefährdung nicht zurückschreckt. Die Bedingungen dieses Lesens sind entzifferbar sowohl im literarischen Text, als auch in seinen Kommentierungen. Ausgehend von einer gespaltenen Sprache, die die Unterscheidung von Literatur und Theorie stets hintergeht, ließen sich verschiedene Text-Figuren erkennen. Die Lektüre wendet sich einer Literatur als Entzug semantischer und hermeneutischer Gewissheiten zu, ohne sie zu ergreifen. Auf den zerstörerischen Zug einer Literatur reagiert die Kafka-Forschung mit Angst vor der Regression ins Namenlose, oder mit der Verwerfung jener paradoxen Strukturen, die es gefährden. Manie und Lethargie können jedoch im Lesen als zeitlicher Figur durch kein positives Wissen ersetzt werden. Vielmehr muss versucht werden, diesem Auseinandertreiben der Textur zu folgen, um es zu präzisieren. Eine Lachen provozierende Literatur treibt in zwei widerstreitende Richtungen: Über- und Untertreibung. Sie denkt an Dummheit und ans Delirium. Eine Lektüre vermag diese Exzessivität des Textes nicht aufzuhalten. Verstehen wir das Literarische als Bedingung der Theorie, wiederholt diese performativ die Bewegung des Textes. De Mans Literaturtheorie kommt dieser bei Kafka erkennbaren Lage nahe und eröffnet so ein Wissen der Verfasstheit des Literarischen. Werden de Mans Einsichten diesem Verhältnis von Text und Kommentar 199
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einerseits gerecht und nähert sich der literaturtheoretische Diskurs damit dem literarischen an, zeigen Kafkas Texte Ausschreitungen, die noch die Negativität eines ironisch-allegorischen Bewusstseins überschreiten. Mit de Man ließ sich Kafkas Erzählung »In der Strafkolonie« zunächst als eine Textur verstehen, bei der die Ironie gegenüber den Allegorien, die im Text verfallen, das letzte Wort hat. Gegenüber de Mans Allegorien des Lesens kündigt sich damit eine Verlagerung an. Wenn wir davon ausgehen, dass es kein Gleichgewicht zwischen Ironie und Allegorie gibt, sondern – so bei Kafka – die Ironie als radikalere Form des (Nicht-)Wissens sich erweist, insofern sie als performative ein Verhältnis zum Außen unterhält, ist damit zugleich die Grundlage des Lesens gefährdet, der bei de Man ihre Stabilität vor allem im allegorischen Wissen gelang. Im allegorischen Erkennen dieser Strukturen bei Kafka wiederum verpassen wir zwangsläufig die ironische Sprache, die mit Unintelligibilität droht. Gibt es einen Ausweg aus der heillosen Dialektik von Ironie und Allegorie? Auch einer ironisch-allegorischen Literaturtheorie ist Kafka noch voraus. Seine Texte betreiben einen Abbau, der mehr als ironisch ist. Es ist die Differenz des Lachens gegenüber der Ironie, die ein Verlassen des rhetorischen Sprachbewusstseins ankündigt. Wie wäre es zu lesen? Die Strafkolonie-Lektüre führt das Problem exemplarisch vor: Im Scheitern ›Lachen‹ zu lesen, baut sich ein rhetorisches Sprachbewusstsein auf und kann vom Lachen nichts sagen. In dieser Negativität schreibt es sich der Lektüre ein. Lachen wird zur Eintragung. Damit insistiert es zugleich auf seiner Alterität, die unlesbar bleibt und zum Wiederlesen auffordert. Eine Unterbrechung der Strafkolonie-Lektüre, die an diese Grenze kam, durch eine Gegenlektüre von de Mans Text »Die Rhetorik der Zeitlichkeit« mit Baudelaire, sowie der Hinzunahme von de Mans zweitem Text zur Ironie »The Concept of Irony«, sollten die Grenzen einer Theorie der Rhetorik ausloten. Dabei zeigte sich die Frage des Körpers als aufdringlich. Was das ironische Sprachbewusstsein verpasst, ist der ›Körper‹, der in komischen Ausschreitungen den Text stört. Lachen erscheint an dieser Stelle als eine Doppelfigur, bei der sich ›Körper‹ und ›Geist‹ gegenseitig verlachen. Ohne dass dieser Körper positiv zu bestimmen wäre, führt sein Einschreiten eine Unterbrechung herbei, die das gewonnene ironische Bewusstsein ins Aus setzt. Bei der bisher letzten Rückkehr in die Strafkolonie habe ich einen Registerwechsel erprobt. Die Vermeidung der Psychoanalyse seitens de Mans erweist sich als heimliche Nähe, vor allem in der sprachtheoretischen Konzeption der Psychoanalyse bei Lacan. Die Psychoanalyse zeigt sich als Möglichkeit, jene Orte des Lachens, die de Man als Negativität textueller Ausscheitungen zu erkennen gibt, weiter zu lesen: als Austragung. Die Symptomatik des Widerstands, die nicht zu einer analytischen Auflösung führt, 200
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treibt auf jenen Ort zu, der unter den Lacanschen Registern als Reales benannt wird. In Kafkas Strafkolonie wird dieses Textbegehren zunächst als Versuch, der Sprache ihre Gespaltenheit zu überwinden, inszeniert. Dieses illusorische Verlangen stellt sich in sexuellen Szenen und Bildern des Todes aus, die grauenhaft und komisch sind. ›Lachen‹, als unmögliches Bild, markiert einen Ort der Texte, der in der ästhetischen Tradition als Erhabenes benannt wurde und in seiner postmoderne Wendung als vulgäre Fratze erscheint. Damit ist eine Verschiebung des Textbegriffs entworfen: Bei Kafka führt die Hinwendung zu diesem Schauplatz zum Abbruch der Erzählung, der jedoch noch kein Ende ist, sondern dem ein leichtfertiger Epilog der Abreise folgt. Mit einer literarischen Sprache stellt sich die Frage, ob wir diesen Repräsentationsausfall nur fliehen können, oder zu einer Vorstellung gelangen, die jenseits des ironischen Sprachbewusstseins diese Ausschreitung aufnimmt, ohne sie zu beruhigen. Als Austragung. Was wäre ein Textbegriff, der seine Gefährdung nicht in endlosen ironischen Schleifen sublimiert, der sich nicht als ein Versprechen des Realen zeigt, das ein Versprechen bleibt, sondern der sich radikal dieser Ausschreitung hingibt und sie austrägt? Können die Textbewegungen der ersten beiden Teile dieser Arbeit als Eintragungen des Lachens im Sprachmaterial zusammengefasst werden, die an eine Schwelle führten, geht es jetzt darum, den Austragungen des Textes zu folgen, einer Exzessivität der Textur, die nicht länger ironisch verstanden werden kann und in dieser Bewegung, die den Text, der mit einem Außen konfrontiert wird, beschädigt. Psychoanalyse und de Man zusammen zu lesen bedeutet zunächst, die theoretischen Zusammenbrüche der Psychoanalyse als Orte von Unlesbarkeit zu verstehen. Davon ausgehend bietet die Psychoanalyse eine Überschreitung der Rhetorik an: Lachen kann als Ort des Realen bestimmt werden. Bekannterweise hat die Psychoanalyse ihrerseits auch eine Theorie des Lachens hervorgebracht. Mit Sigmund Freuds »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten« wird nun ein Text gelesen, der, ebenso wie de Mans Texte zur Ironie und Baudelaires Text zum Lachen, die Frage nach den Genre des Komischen sowohl thematisch als auch strukturell zu lesen gibt. Ein Unterschied liegt in dem behandelten Material, Witze anstelle literarischer Texte. Ich bin an dieser Stelle weniger an einer Analyse der Form ›Witz‹ interessiert, als an den Fragen, die Freuds Text über den Witz mit sich liefert. Zum einen an der Epistemologie des Psychischen, die mit Derrida als Frage einer Ökonomie der Schrift untersucht werden kann. Zum anderen an der Frage des Lachens, der Freud im Witzbuch eine prominente Stelle einräumt, und die mit Derridas Konzeption der ›Gabe‹ weiter gelesen wird. 201
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Verfolgt wird dabei die Frage aus den ersten beiden Teilen dieser Arbeit: Wir können mit dem sprachlichen Material, das Kafkas Literatur anbietet, und die de Mans Literaturtheorie und ihr radikaler Begriff von Ironie nicht alleine zu erklären vermag, eine Verfasstheit von Texten erkennen, die die Frage nach dem Verhältnis von Lachen und Sprache ausstellt. Können wir im Unterschied zur Figur der Ironie, die mit Kafka und Lacan gegen Ende des letzten Teils bereits überschritten wurde, mit der Textauswahl für diesen Teil, Freuds Psychoanalyse und Derridas Philosophie der Schrift, die Signatur einer Moderne erkennen, die den Namen ›lachende Schrift‹ verdient? In der sich die Frage des Körpers über die ungewisse Körperlichkeit, die der Witz bringt (Weber) anders zeigt, indem sich diese Frage weniger dem Text einträgt, als dass er sie austrägt? Der psychoanalytische Diskurs erweist sich in dieser Hinsicht als radikaler gegenüber dem rhetorischen. Die Beschädigungen eines ironischen Bewusstseins bei de Man gehen über in exzentrische Textvorfälle, die in ihrer Widersprüchlichkeit die psychoanalytische Textur aufbrechen. Freud, der auf diesen Widersprüchlichkeiten insistiert, beginnt, in jenen Momenten zum Erzähler zu werden. Von hier aus ergibt sich ein enges Verhältnis von Psychoanalyse und Literatur: Im 20. Jahrhundert werden beide zu epistemologischen Paradigmen von Textlichkeit.1 Erzählen erweist sich als ein Wissensmodus der Endlichkeit, der sich dem Scheitern von Theorie verdankt und am Ort des Abbruchs seine heillose Gestalt austrägt: als lachende Schrift. In der Verfolgung dieser Bewegung kann auch Kafka neu gelesen werden, von dessen Literatur die Insistenz des Lachens ausgeht, die im Konzept von Ironie nicht beruhigt werden kann, sondern weitertreibt. 095 Die Sprache des Witzes Freud schenkt dem Genre des Witzes eine unerhörte Aufmerksamkeit. Der marginale Ort des Komischen in der Philosophie, im theoretischen Feld, gilt a fortiori für den Witz. Werden Fragen des Komischen selbstverständlich verdrängt, droht hinter ihnen noch der Witz zu verschwinden. Als mindere Gattung gilt er nicht als denkwürdig. Für Freud jedoch drängte sich eine Analyse des Witzes auf,
1. In seiner Diskussion von Wittgenstein schreibt Pepper: »But the subtle put down of psychoanalysis is even more the most direct kind of praise: it says that the ontological status of an entity that may not even turn out to exist (namely literature) has to be thought along the lines, analogous if not identical, developed to discuss the kind of verbal phenomena taken seriously perhaps the first time by psychoanalysis.« (»Absolute construction: an essay at Paul de Man«, S. 91) Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Literatur, siehe auch Felmans »The Turning of the Screw«, S. 197ff.
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nachdem die Traumdeutung als zu witzig empfunden wurde.2 Gilt der Traum als via regia zum Unbewussten, und tritt dabei die Witzigkeit der Traumarbeit hervor, versprach die Analyse des Witzes weitere Klärung für die Frage nach dem Unbewussten. »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten« sollte im Verständnis des Phänomens des Witzes den Witzvorwurf, der von Fließ gegen die Traumdeutung erhoben wurde, und damit das neu errungene Konzept des Unbewussten instabil erschienen ließ, aus dem Weg räumen. Wie in der Traumerzählung liegt für Freud das Material des Witzes als Sprache vor. Andere Autoren des Witzes, Freuds Vorgänger, denen er einen ausführlichen Forschungsbericht widmet, stellen die Frage nach dem Witz nicht zwangsläufig von der Sprache aus. Gilt z.B. ›Kontrast‹ als eine formale Bestimmung des Komischen und des Witzes, wie die Forschungsliteratur Freud zu lesen gibt, ist dieser Kontrast nach Freud kein dem Bewusstsein immanentes Formgesetz, wie andere Witzforscher und Theoretiker des Komischen gerne meinen, sondern in seiner Sprachlichkeit zu spezifizieren. Das idealistisch gedachte Formgesetz einer Ästhetik des Komischen verschiebt Freud in Richtung auf das Sprachmaterial: »Der Kontrast bleibt bestehen, aber er ist nicht so oder so gefaßter Kontrast der mit den Worten verbundenen Vorstellungen, sondern Kontrast oder Widerspruch der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit.«3
Im Witz ereignet sich ein Wechsel von Bedeutung und Bedeutungslosigkeit. Damit wird das Problem des Witzes bei Freud einleitend als eines des Signifikationsprozesses beschrieben, also als sprachliches charakterisiert. In der Sprache des Witzes (oder im Witz der Sprache) spielt sich ein Wechsel von Bedeutung und Bedeutungslosigkeit ab. Der Signifikationsprozess umschließt die Möglichkeiten, zu bedeuten und nicht zu bedeuten. Der
2. Vgl. Weber, Freud-Legende, S. 112. Freuds Auseinandersetzung mit dem Vorwurf Fließ‹ ist nachzulesen in: Freud, »Aus den Anfängen der Psychoanalyse«, S. 256. Zur Kommentierung dieser Auseinandersetzung siehe wiederum Weber, FreudLegende, S. 112f. Freud rechtfertigt die Witzigkeit der Traumdeutung mit der Notwendigkeit der Überdeutung. Bei Weber wird Überdeutung im Unterschied zu einer Hermeneutik, die auf die Enthüllung des Sinns aus wäre, verstanden. Eine Deutung als einfache Übersetzung, lässt der Traum nicht zu, insofern er seinerseits überdeterminiert ist. Ein vereinheitlichender Sinn würde gerade die Heterogenität des Traumes verpassen. Vgl. dazu Weber, ebd., S. 100f. 3. Lipps, zitiert bei Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 8
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Witz eröffnet eine Bedeutungserwartung, die in der Zeitlichkeit der Witzerzählung anscheinend abhanden kommt. Mit diesem Phänomen sind eine Reihe von Fragen verknüpft: In welchem Verhältnis stehen Bedeutung und Bedeutungslosigkeit im Witz? Tritt an Stelle der verlorenen Bedeutung im Witz eine neue? Wie wäre der Auftritt einer zweiten Bedeutung möglich? Oder verliert sich der Witz in eine bedeutungslose Leere? Wie verhielte sich diese Leere aber zur Sprachlichkeit des Witzes? Wie realisierte sich diese Leere? Und welche Rolle spielt das Lachen, das erst jeden Witz als solchen beglaubigt, wie Freud betont? Und schließlich, gelingt es über das Unbewusste als Entdeckung der Psychoanalyse, das mit diesem Text Freuds nicht nur bestätigt, sondern gegenüber Fließ‹ Vorwürfen auch rehabilitiert werden soll, diese Momente des Witzes zusammenhängend zu klären?4 Mit dem Witzbuch soll bewiesen werden, dass das Unbewusste nicht witzig ist. Was paradox klingen mag, folgt jedoch der Einsicht, dass in der Theorie des Komischen, des Witzigen oder des Lachens, dieses selbst verloren geht. Insofern wäre Freuds Strategie mit dem Witzbuch die Unwitzigkeit des Unbewussten/der Psychoanalyse zu beweisen, folgerichtig. Wird sein Text dieser Forderung nach Ernsthaftigkeit in der Erklärung des Witzes mit Hilfe des Unbewussten gerecht? Freuds Problem liegt in der Verstreutheit dieser Fragen, der disiecta membra, die sich zu einem Theoriekörper zusammenfügen lassen sollen, wie der klassische Aufbau des Textes verspricht.5 Der jedoch seinerseits, in dem Maße, wie die Konstituierung von bedeutender Sprache mit dem Witz und dem Lachen selbst betroffen ist und an ihre Grenze geführt wird, Theoretisierbarkeit als kohärentes sprachliches System selbst in Frage stellt. Wie bei Baudelaire stellt sich die Frage, ob Freuds Theoriekörper nicht selber von einem Lachen gezeichnet ist (oder ›lacht‹) – einem Lachen, das seine organische Ganzheit zerstreuen würde. Als Analyse des Witzes (und des Lachens) soll der Theoriekörper den Zeichnungen des Lachens entkommen. Der Textkörper soll die geschlossene Form des Genres Biographie annehmen, und damit die Gefahr weichen, dass sich der Witz 4. Die Fragen gehen weiter. Zur Zeitlichkeit des Witzes und zur Rolle seiner verschiedenen Agenten vgl. Weber, »Die Zeit des Lachens«. Zur Funktionsweise jüdischer und römischer Witze bei Freud vgl. Kofman, Die lachenden Dritten. Freud und der Witz, insbesondere S. 10-24. Webers und Kofmans sind die bisher wichtigsten vorliegenden Arbeiten zu Freuds Witzbuch. Weber liefert entscheidende Einsichten und Hinweise für die vorliegende Arbeit. Kofmans Text, der in eine andere Richtung weist, liefert Hinweise, ist aber terminologisch und theoretisch nicht immer zuverlässig. 5. Zum Aufbau von Freuds Text und zu seinem Status in der Psychoanalyse, vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, S. 3f.
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seine eigene Biographie schreibt, seine Autobiographie schreibt, und darin seine zergliedernden Effekte ausstellt. 096 Wieder Wiederholungen Bevor die Lektüre weiter getrieben wird, möchte ich ein Problem nicht vermeiden, das schon mit Kafka auftrat. Ist Freud, ebenso wie auch Kafka, nicht bereits durchgelesen? Was erwarten wir von einer wiederholten Lektüre des Witzbuches? Ist die Frage nach dem Lachen, wie sie sich für und mit der Psychoanalyse stellt, von Samuel Weber in seinem ausgezeichneten Text zu Freud nicht schon erschöpfend bearbeitet worden? Warum sollten wir sie wiederholen? Es lässt sich argumentieren, dass jede Wiederholung – und das gilt a fortiori für den Freud’schen Diskurs – eine Veränderung herbeiführt, darauf hat auch Weber hingewiesen.6 Das Problem der Wiederholung stellt also gerade die Forderung nach der Wiederholung auf. Eine Wiederholung ist niemals ›nur eine Wiederholung‹, die das Identische zurückbringt. Als Wiederholung ist sie gerade keine Wiederholung, sondern bewirkt stets eine Verschiebung. In der Wiederholung zeigt sich die Unmöglichkeit der Wiederholung und fordert damit zur Wiederholung auf.7 Aber damit richtet sich das Schreiben bereits an den von Weber und Freud beschriebenen Koordinaten von Wiederholung und Erzählbarkeit als konstituierenden Kräften von Sprache aus, um diese verschoben fortzuführen. Die Psychoanalyse, ebenso wie die Literaturtheorie, erlaubt keinen Metadiskurs, der von den Effekten dessen, was er beschreibt, frei wäre. Ist keine Originalität gegenüber der Originalität der Psychoanalyse aufzubieten, weil diese immer schon am Werk ist? Begeben wir uns mit der Hinwendung zur Psychoanalyse, ebenso wie im Fall der Literaturtheorie, anfänglich in einen sprachli-
6. Bei Weber heißt es: »Der Traum zeigt sich dabei schon von vornherein als eine Wiederholung, die aber – weil überdeterminiert – sich auf nichts zurückführen läßt, was selbst nicht schon Wiederholung wäre. […] er erscheint im Text von Anfang an als eine Wiederholung – eine textuelle – d.h. aber ohne eigentlichen Ursprung.« (Freud-Legende, S. 102; Hervorhebung von Weber) Die konstitutive Bedeutung der Wiederholung für den psychoanalytischen Diskurs erlaubt weder eine Vorstellung eines Anfangs, noch eines Endes als fixierbare und verlässliche Instanzen. Diese Offenheit muss sich in Texte, die den psychoanalytischen Diskurs kommentieren, einschreiben, wollen sie nicht hinter die Einsichten der Psychoanalyse zurückfallen. In dem Maße, wie sich Texten eine Dimension der Alterität eingetragen hat, bleiben sie wiederholbar. 7. Einen der interessantesten Texte zu dieser Frage lieferte natürlich Kierkegaard. Die Unmöglichkeit und damit Verschiebung des Begriffes von Wiederholung, steht bei ihm im Zeichen der Melancholie. Vgl. Kierkegaard, Die Wiederholung, insbesondere S. 24ff.
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chen ›Immanenzzusammenhang‹, der keinen Ausweg kennt? Was wäre der Anlass der Wiederholung? Die Wiederholung verfolgt ein ›Motiv‹, eine ›Figur‹ oder ein ›Thema‹. Mit Lachen als ›Thema‹ bekommt die Lektüre eine Richtung, einen Antrieb, sie bewegt sich in Schritten (Gehen wir wenn wir denken? Werden wir getrieben? Folgen wir Heidegger oder folgen wir Freud? Bewegen wir uns? – gerade stürzte der Computer ab und nichts ging mehr). Die Insistenz geht vom Lachen aus. Lachen fordert nach einer Wiederholung, gerade weil es sich entzieht. Können die Theorien des Lachens nicht zum Abschluss kommen, das gilt für Webers Text nicht weniger als für Freuds, fordern sie eine Lektüre. Es muss gesagt werden (solange wir verstehen wollen – solange wir am hermeneutischen Imperativ festhalten können), dass gerade die Qualität dieser Texte in ihrer Unabgeschlossenheit liegt, insofern sie damit einer Dimension des Anderen Raum eröffnen (insofern sind sie nicht immanent). Diesem ›Anderen‹ kann man unterschiedliche Namen geben. Literatur, Unbewusstes, Sexualität, Leserin oder Lachen. Ich habe bisher versucht, Lachen über die Spezifik des Literarischen und seiner Theorien zu verstehen. Freud versuchte, das Lachen im Namen des Unbewussten zu untersuchen. In der Absicht, eine Theorie des Unbewussten zu artikulieren, aber nicht ohne in dieser Artikulation gerade von dem ›behindert‹ zu werden, was zu untersuchen war; einer Alterität, die im Freud’schen Diskurs vorrangig unter dem Namen ›Unbewusstes‹ auftritt, die nicht nur auftritt, sondern sich auch deplatziert zeigt, weil sie sich heimlich einschleicht. Weber wie auch Kofman gehen in ihren Lektüren von Freuds Witzbuch der Frage der Alterität nach, als Frage nach dem Zuhörer des Witzes, als Frage nach dem ›Dritten‹, vorausgesetzt, der Witz wendet sich an eine(n) abwesende(n) Zweite(n). Entscheidend für diesen Schritt ist die Frage des Lachens. Denn erst der Zuhörer lacht, und erst in diesem Lachen wird der Witz zum Witz. Lachen ist der Beweis des Witzes; ohne Lachen war es kein Witz. Witze sind Erzählungen, die zum Lachen führen. Lachen kommt von einem anderen Ort, den der Witzerzähler nicht unter Kontrolle hat. Die Narrativität des Witzes ist dieser Andersheit ausgesetzt. Sie kann zum Lachen, oder, wie Freud schreibt, im Unsinnswitz zum Ärger über den fehlenden Sinn des Witzes führen, der eine neue Erzählung, z.B. einen neuen (besseren)Witz einleitet. Heißt das, Lachen bestätigt die Bedeutung des Witzes, wenn der Witz gerade in der Nichtsprachlichkeit des Lachens seine Bestätigung findet? Aber was bestätigt das Lachen als Witz im Witz? Bestätigt es die Bedeutung seiner Unsinnigkeit? Welches wäre aber der Unterschied zwischen einem ärgerlichen und einem lustigen Unsinn? Welche Beziehung zum Sinn muss aufrechterhalten bleiben, damit der Witz zum Lachen führt? 206
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Begrenzen wir diese Fragen nicht auf das Genre Witz, sondern verstehen sie auch als Fragen, die die Literatur und theoretische Narrationen betreffen. Denn wenn es wahr ist, dass sich die Witzmechanik von der Sprache abhängt, kann diese Frage nicht unbedingt an Genregrenzen Halt machen. Ist aber die Frage der Andersheit, die das Lachen anbietet, in den Texten Freuds, Webers und Kofmans überhaupt schon angesprochen worden? Webers Analyse ist dem Verhältnis von narzisstischem Theoriewunsch einerseits, und dem Einbruch des narrativen Denkens in die Theorie andererseits, in Freuds Texten nachgegangen. Dabei droht, die in seinem Text immer wieder hervorbrechende Frage nach dem Lachen zu verschwinden. Das Dilemma, dass seine Arbeit in der Lektüre von Freud ihrerseits Gefahr läuft, Lachen zu verstellen, ist Weber aufgefallen: Der Freud-Legende ist ein Zusatz mit dem Titel »Die Zeit des Lachens« nachgetragen worden. Dieser spätere Text ist weniger der Befragung des Verhältnisses von Erzählung und Theorie gewidmet. Weber unternimmt hier eine genauere linguistische Analyse der Witzworte und ihrer Zeitlichkeit. Lachen wird dabei in seinem Zeichencharakter verstanden, soweit es sich sprachlich zeigt. Ist dieses Verfahren zwar anlässlich des Witzes als sprachliche Form sehr legitim, und zeigt sich dem Verfahren dieser Arbeit verwandt, erscheinen Ironie und Witz als die privilegierten Zugänge zur Frage des Lachens, die von einer Textlichkeit ausgeht und sich gegenüber anthropologischen Einsichten skeptisch verhält, bleibt die Analyse des Lachens ›selbst‹ wiederum am Rande. Gerade in dem Maße, wie die Frage des Lachens in ihrer Zeitlichkeit und als sprachliches Vorkommnis lokalisiert werden kann, wird sie auch verstellt. Aber kann es eine Analyse des Lachens ›selbst‹ überhaupt geben? Oder ist Lachen nicht immer nur über ein Anderes thematisierbar; weil es ›selbst‹ in einer Andersheit verharrt? Das hieße zum einen, vom ›Lachen selbst‹, wäre nie die Rede, das hieße aber auch, dass der Text, in dem sich Lachen zeigt, nicht ›er selbst‹ ist. Er wäre ein Anderes des Lachens. Verharrt Lachen in seiner Andersheit und gibt einen Text als Anderes zu lesen? Wie können wir diese beiden Momente, die Sprachlichkeit, in diesem Fall des Witzes und seiner Theorie, und die Frage des Lachens verstehen?
097 Ökonomien der Lust Für die Ätiologie des Lachen des Witzes in »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten« heißt das vor allem, dass das ökonomische Modell als Erklärung der Witzeslust problematisch wird. In der Psychoanalyse soll Lust nach dem ökonomischen Modell arbeiten. Als Gewinn von Lust im Witz oder als Unlustvermeidung im Traum. Im Witzbuch wird das ökonomische Modell an eine Grenze geführt, wie zu zeigen sein wird, womit gleichermaßen die Frage aufkommt, ob hier noch 207
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von ›Lust‹ die Rede sein kann – einer Lust jenseits der Ökonomie?8 Eine ähnliche Frage ergibt sich auch in den ebenfalls 1905 verfassten »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, in denen das Konzept der Libido vorgestellt wird. Folgen die früheren Texte Freuds dem Vorhaben die ›Herrschaft des Lustprinzips‹ nachzuweisen, wird dieses in dem späteren Text »Jenseits des Lustprinzips« über eine Reihe traumatischer Erfahrungen in Frage gestellt. Freuds Aufsatz »Das ökonomische Problem des Masochismus« trägt der Idee des in Jenseits eingeführten Todestriebes wiederum Rechnung. Dieses ›Konzept‹ der Psychoanalyse ist bekannterweise wie sonst keines in ihrer institutionellen Geschichte verloren gegangen; der ›Todestrieb‹ hat aber auch die interessantesten Spekulationen hervorgerufen.9 Auf verschiedene Weise bearbeiten diese beiden frühen und die beiden späteren Texte Freuds den erwünschten und zugleich in seiner Unzulänglichkeit erkannten homogenen hermeneutischen Anspruch unter dem Diktat ökonomischer Lust, dem später die Idee des Todestriebes zur Seite gestellt wird. In Freuds Witzbuch erstreckt sich die Rede von der Ökonomie auf verschiedene Ebenen. Zum Verständnis der Technik des Witzes tritt sie bereits als Erklärung auf, bevor sie geklärt ist. Das wird einer Erklärung bedürfen. Die Knappheit des Witzes und insbesondere das aus der »Traumdeutung« bekannte Verfahren der Verdichtung legen für Freud den Gedanken der Ökonomie nahe. Ökonomie wird an dieser Stelle zunächst als Tendenz zur Ersparnis verstanden. Was wird erspart? Die Antwort auf diese Frage wird aufgeschoben. Ökonomische Abläufe dienen als Erklärung, bevor sie selbst erklärt sind. Das Problem stellt sich folgendermaßen dar (und ist damit zugleich eines der Darstellung): bietet die Logik der Ökonomie möglicherweise auch Antworten auf die Frage nach dem Ablauf der Lust im Witz, wirft sie zugleich die Frage nach der Ökonomie und damit auch nach dem Psychischen selbst auf, wenn das ökonomische Modell neben dem topologischen und dem dynamischen als Gesetz der Psyche in Kraft treten soll. Regelt ›Ökonomie‹ als Prinzip die Abläufe im Psychischen, welche Konsequenzen wären daraus für das Psychische zu ziehen? Welches ist ihr Ort? Was für ein Ort ist es? Ist das Psychische ein Ort? Ist es? Wie stehen die Elemente einer Ökonomie im Zusammenhang mit psychischen Größen? Und noch prekärer: Welches wäre ihre ›biologische Realität‹, d.h. welches Verhältnis unterhalten sie zum ›Körper‹?
8. Derrida sagt es deutlich: »Die Definition des Lustprinzips ist stumm über die Lust, über ihr Wesen und ihre Qualität.« (Derrida, Die Postkarte, 2. Lieferung, S. 28) 9. Vgl. Ebd., S. 11
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Mit der Frage der Ökonomie als Prinzip, das den Ablauf psychischer Prozesse regelt, ist eine Grenze angeschnitten10 – man könnte sagen, die Grenze von ›Körper‹ und ›Geist‹ oder die Grenze von ›Kultur‹ und ›Natur‹ – die nach einer neuen Darstellungsweise verlangt.11 Freud setzt in diesen Momenten seiner Argumentation, die nach metapsychologischer (oder metasprachlicher) Klärung verlangen, stets naturwissenschaftliche Erzählungen ein,12 die weniger die sich an diesen Stellen hervortuende Kluft, z.B. zwischen Sprache und Biologie, überbrücken, als dass sie die Problematik dieser Grenze ihrerseits ausstellen. Denn sie führen vor, dass die zu erwartenden Erklärungen, in diesem Fall über den epistemologischen Status der Ökonomie, erst noch zu treffen wären. Für Freud werden sie nur in einem scheinbaren Wechsel der Register von Psychologie zu Biologie möglich, deren epistemologischer Status sich keineswegs von selbst versteht, und eben deshalb zu einer Lektüre auffordert, die die Möglichkeit des Registerwechsels selbst befragt. Im Verhältnis von Psychologie zu Biologie werden beide fraglich, wenn es um das Verständnis der Psyche geht. Psychoanalyse entwirft das Verhältnis von Psychologie und Biologie seinerseits als ein ironisches, insofern sich seine Darstellungsweise auf keines der beiden als Grund des Wissens verlassen kann, sondern beide in ihrem undurchdringlichen Verhältnis die Darstellung vorantreiben. Derrida hat Freuds naturwissenschaftlichen Darstellungsweisen des Psychischen den Status von ›Metaphern‹ zugewiesen, neurologischen Fabeln. Metaphorik heißt in diesem Fall, sind diese Darstellungsweisen einerseits notwendig, garantiert ihr Status keine Wahrheit, sondern tragen die Metaphern Spuren des Undarstellbaren. Sicherlich ist Freuds Verfahren ambivalent: vom Wissenswunsch getrieben, wird die allgemeine Herrschaft der Ökonomie einerseits blind anerkannt; andererseits ist er wiederum für diese Blindheit keineswegs blind, sondern riskieren seine Texte stets einen Weg, der ihre eigenen Voraussetzungen in Frage stellt. In diesem Spannungsverhältnis ist »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten« geschrieben. Ist die mit dem ökonomischen Erklärungsmodell vorgeschlagene Herrschaft des Lustprinzips im Fall der Witze zu akzeptieren, oder wird das ökonomische Modell mit den einzelnen Witzbeispielen und ihren unterschiedlichen Erklärungen an eine Grenze getrieben, an der der Begriff der Ökonomie rätselhaft wird und 10. Vgl. hierzu Schullers Hinweise auf den epistemologischen Ort der Grenze in ihrer Einleitung zu Moderne. Verluste 11. Vgl. hierzu Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift« 12. Vgl. hierzu wiederum Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, insbesondere seine Kommentierung von Freuds frühem Text »Entwurf einer Psychologie« von 1895
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nach einem anderen Verständnis verlangt? Gelingt es, über die ökonomische Grundlegung eine theoretische Kohärenz zu erstellen, die die verschiedenen Lüste des Witzes zusammenführt, oder markiert nicht die Rede von der Ökonomie gerade den Ort, wo eine Theorie der Witze ihre Kohärenz verliert?13 Ist das Lustprinzip in der Frage des Witzes entscheidend, 13. Ich möchte zum Verständnis dieser Fragen eine längere Passage aus Freuds Text zitieren, die die bisher skizzierten Probleme, die im Folgenden genauer bearbeitet werden sollen, benennt. Ich werde sie an dieser Stelle unkommentiert lassen. Alle Fragen, über die verschiedenen Quellen der Witzeslust, der Unsinnswitze und der Aufsitzer, werden in den beiden folgenden Abschnitten zur Sprache kommen. Das Verfahren dieser Arbeit, die sich bei Freud abzeichnende Problematik weniger im Überblick darzustellen, wie es z.B. bei Weber gelungen ist, sondern in der Lektüre von Freud, Kofman und Weber sehr spezielle Fragen zu klären, macht es meiner Ansicht nach notwendig an dieser Stelle eine längere Passage Freuds als exemplarisch für den Zusammenhang seiner Argumentation auftreten zu lassen. Am Ende des ersten von zwei Kapiteln des mittleren, des ›synthetischen Teils‹, steht diese Passage und die ihr nachträglich zugefügte Fußnote (vgl. zu diesem Punkt, Weber, Freud-Legende, S. 140) gewissermaßen im Zentrum von Freuds Arbeit. Soll sie die Aufgabe übernehmen, die bisherigen Ergebnisse des Textes zusammenzufassen, stellt sie nichtsdestoweniger ihre Lücken aus. Die nachträgliche Fußnote kann als ein Symptom dieses Umstands gelesen werden. »Wir können nun die Formel für die Wirkungsweise des tendenziösen Witzes aussprechen: Er stellt sich in den Dienst von Tendenzen, um vermittels der Witzeslust als Vorlust durch die Aufhebung von Unterdrückungen und Verdrängungen neue Lust zu erzeugen. Wenn wir nun seine Entwicklung überschauen, dürfen wir sagen, daß der Witz seinem Wesen von Anfang an bis zu seiner Vollendung treu geblieben ist. Er beginnt als ein Spiel, um Lust aus der freien Verwendung von Worten und Gedanken zu ziehen. Sowie das Erstarken der Vernunft ihm dieses Spiel mit Worten als sinnlos und mit Gedanken als unsinnig verwehrt, wandelt er sich zum Scherz, um diese Lustquellen festhalten und aus der Befreiung des Unsinns neue Lust gewinnen zu können. Als eigentlicher, noch tendenzloser, Witz leiht er dann Gedanken seine Hilfe und stärkt sie gegen die Anfechtung des kritischen Urteils, wobei ihm das Prinzip der Verwechslung der Lustquellen dienlich ist, und endlich tritt er großen, mit der Unterdrückung kämpfenden Tendenzen bei, um nach dem Prinzip der Vorlust innere Hemmungen aufzuheben. Die Vernunft – das kritische Urteil – die Unterdrückung, dies sind die Mächte, die er der Reihe nach bekämpft; die ursprünglichen Wortlustquellen hält er fest und eröffnet sich von der Stufe des Scherzes an neue Lustquellen durch die Aufhebung von Hemmungen. Die Lust, die er erzeugt, sei es nun Spiellust oder Aufhebungslust, können wir alle Male von Ersparung an psychischem Aufwand ableiten, falls solche Auffassung nicht dem Wesen der Lust widerspricht und sich noch anderweitig fruchtbar erweist.« Als Fußnote fügt Freud sieben Jahre später hinzu: »Eine kurze nachträgliche Berücksichtigung verdienen noch die Unsinnswitze, die in der
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wird damit auch die Möglichkeit von Lust fraglich. Mit dem Witzbuch wird rätselhaft, was ›Lust‹ heißen kann. Sechzehn Jahre später, in »Jenseits des Lustprinzips« stellt Freud die Frage nach dem Lustprinzip und seinen Grenzen neu. Weber, der zwar in der Freud-Legende seine Aufmerksamkeit sowohl dem Witz als auch dem Darstellung nicht zu ihrem vollen Recht gelangt sind. Bei der Bedeutung, die unsere Auffassung dem Moment ›Sinn im Unsinn‹ zugesteht, könnte man versucht sein zu fordern, daß jeder Witz ein Unsinnswitz sein müßte. Dies ist aber nicht notwendig, weil nur das Spiel mit Gedanken unvermeidlich zum Unsinn führt, die andere Quelle der Witzeslust, das Spiel mit Worten, diesen Eindruck nur gelegentlich macht und die mit ihm verbundene Kritik nicht regelmäßig aufruft. Die zweifache Wurzel der Witzeslust – aus dem Spiel mit Worten und aus dem Spiel mit Gedanken, die der wichtigsten Einteilung in Wort – und Gedankenwitze entspricht – tritt einer knappen Formulierung allgemeiner Sätze über den Witz als fühlbare Erschwerung entgegen. Das Spielen mit Worten ergibt offenkundige Lust infolge der oben aufgezählten Momente des Erkennens usw. und ist der Unterdrückung infolgedessen nur in geringem Maße unterlegen. Das Spiel mit Gedanken kann durch solche Lust nicht motiviert werden; es ist einer sehr energischen Unterdrückung verfallen, und die Lust, die es liefern kann, ist nur die Lust der aufgehobenen Hemmung; die Witzeslust, kann man demnach sagen, zeige einen Kern von ursprünglicher Spiellust und eine Hülle von Aufhebungslust. – Wir nehmen es natürlich nicht wahr, daß die Lust beim Unsinnswitz daher rührt, daß es uns gelungen ist, einen Unsinn der Unterdrückung zum Trotz freizumachen, während wir ohne weiteres merken, daß ein Spielen mit Worten uns Lust bereitet hat. – Der Unsinn, der im Gedankenwitz stehen geblieben ist, erwirbt sekundär die Funktion, unsere Aufmerksamkeit durch Verblüffung zu spannen, er dient als Verstärkungsmittel für die Wirkung des Witzes, aber nur dann, wenn er aufdringlich ist, so daß die Verblüffung dem Verständnis um ein deutliches Zeitteilchen voraneilen kann. Daß der Unsinn im Witze überdies zur Darstellung eines im Gedanken enthaltenen Urteils verwendet werden kann, ist an den Beispielen S. 59 u.f. gezeigt worden. Auch dies ist aber nicht die primäre Bedeutung des Unsinns im Witze. An die Unsinnswitze kann man eine Reihe von witzähnlichen Produktionen anschließen, für die es an einem passenden Namen fehlt, die aber auf die Bezeichnung ›witzig scheinender Blödsinn‹ Anspruch haben könnten. Es gibt deren ungezählt viele; ich will nur zwei als Proben herausnehmen: Ein Mann greift bei Tische, als ihm der Fisch serviert wird, zweimal mit beiden Händen in die Mayonnaise und streicht sie sich durch die Haare. Vom Nachbar erstaunt angesehen, scheint er seinen Irrtum zu bemerken und entschuldigt sich: Pardon, ich glaubte, es wäre Spinat. Oder: das Leben ist eine Kettenbrück‹, sagt der eine. – Wieso? fragt der andere. – Weiß ich? lautet die Antwort. Diese extremen Beispiele wirken dadurch, daß sie die Erwartung des Witzes erwecken, so daß man hinter dem Unsinn den verborgenen Sinn zu finden sich bemüht. Man findet aber keinen, sie sind wirklich Unsinn. Unter jener Vorspiegelung ist es für einen Augenblick ermöglicht geworden, die Lust am Unsinn freizumachen. Diese Witze sind nicht ganz ohne Tendenz;
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Todestrieb widmet,14 unternimmt in seiner Lektüre nicht den Versuch, das ökonomische Problem des Lachens, wie es sich mit dem Witzbuch herausstellt, auch an dieser Stelle weiterzuführen. Dabei lässt sich, liest man »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten« aus der Perspektive von »Jenseits des Lustprinzips«, die Frage stellen, ob der Todestrieb zur Erklärung des Lachens beitragen kann, wenn das Lachen als ›Verwirklichung‹ der Lust, das Lustprinzip gerade in Frage stellt. Hält sich das Lachen im Witzbuch an der Grenze der ökonomischen Erklärung auf, ist mit den Spekulationen über den Todestrieb ein anderer Fragetypus errichtet, der versucht jenes ›Jenseits‹ zu erblicken. Dieser Bezug ist umso interessanter, wie sich mit Benjamin bei Newmark und Baudelaire eine Perspektive eröffnet hat, Lachen als Schock zu lesen, und der Schock bei Freud zur Reihe jener traumatischen ›Erfahrungen‹ gehört, die die Frage nach dem Jenseits des Lustprinzips aufwerfen. Um diesen Weg zu gehen, ist es notwendig, die Probleme des ökonomischen Modells bei Freud genauer zu untersuchen. Diese Problematik soll im Hinblick auf den Status des Lachens gelesen werden. Dabei ist zu fragen, welche Beziehung die so im und jenseits des ökonomischen Rahmens skizzierten Momente des Lachens möglicherweise zur Idee des Todestriebes unterhalten. In der Erarbeitung dieser anderen Ökonomie, werden außer Freuds Texten, einige Texte Jacques Derridas zu lesen sein. Denn Derrida hat in seinen Freud-Lektüren und anderen Texten die Idee einer allgemeinen im Unterschied zu einer beschränkten Ökonomie verfolgt, die in seinen Texten unter dem Namen ›Schrift‹ auftritt. Im Blickpunkt steht dabei nicht nur die Frage nach dem Status der Freud’schen Theorie – eher sind jene Momente zu sammeln, die das Lachen – bei aller Anstrengung – nicht theoriefähig machen. Wie verhält sich die Frage der Schrift als Grenzbewegung, die sich dem Lachen aussetzt, dabei zur bisher ermittelten ironischen Struktur von Sprache?
es sind ›Aufsitzer‹, sie bereiten dem Erzähler eine gewisse Lust, indem sie den Hörer irreführen und ärgern. Letzterer dämpft dann diesen Ärger durch den Vorsatz, selbst zum Erzähler zu werden.« (Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 154f.) 14. Vgl. Weber, Freud-Legende, insbesondere S. 147ff
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3.2. Obdachlosigkeit der Schrift »Das Dienstmädchen stand neben mir. ›Man weiß nicht, was für Dinge man im eigenen Haus vorrätig hat‹, sagte es, und wir beide lachten.«15 »Sowenig diese Literatur – und diese Moderne – in sich selbst zu Hause ist, sowenig wohnt sie im Unzuhause ihrer Abwesenheit.«16
098 Evidenz und Leere In diesem Kapitel versuche ich, das Problem der Ökonomie zu verstehen, das nicht nur das Witzbuch, sondern auch einige weitere Texte Freuds zu lesen geben: »Vielleicht werden wir durch die Untersuchungen der Bedingungen des Lachens dazu kommen, uns eine anschaulichere Vorstellung von dem Vorgang der Hilfe des Witzes gegen die Unterdrückung zu bilden.«17
Gewinnen wir im Witzbuch Freuds eine anschauliche Vorstellung in der Untersuchung der Bedingungen des Lachens, Vorstellungen vom Vorgang des Witzes – oder ist das Lachen eine Bedingung des Witzes, die dazu führt, dass es in der Untersuchung der ›Bedingungen des Lachens‹ (können wir sie kennen-lernen?) zu keinen anschaulichen Vorstellungen mehr kommen kann? Die Rede von ›psychischer Energie‹, ›Hemmungsaufwand‹, ›Denkaufwand‹ usw., die auf das ökonomische Register verweisen, halten dieses metapsychologische Programm zugleich offen. Die Logik, die sie verbindet, wird von der Ökonomie gestiftet. Die Ökonomie übersieht dabei jedoch alle möglichen Fragen. Ich nehme nur ein Beispiel. Wie plausibel ist z.B. das Argument, die Kürze des Witzes erspare sich einen Denkaufwand? Die Evidenz des Beispiels ist zugleich sein Problem. Die Evidenz verdankt sich der Tatsache, dass sie unbefragt bleibt. Sie muss unbefragt bleiben, will sie evident sein. Evidenz behauptet, es gäbe keine Fragen. Fragt man aber weiter, und keiner könnte sagen, Freud hätte das nicht getan, kommt man zu unmöglichen Fragen, denn die Evidenz, die weiterhin behauptet werden soll, erlaubt keine Fragen.18 Die Fragen bleiben offen, mit der angenom15. Kafka, »Ein Landarzt«, S. 200f 16. Hamacher, »Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«, S. 281f. 17. Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 153 18. Shoshana Felman schreibt: »[…] how psychoanalysis proceeds not so much from Feud’s theoretical solutions as from Freud‹ s unconsciously charged, pregnant ways of asking questions at the level of the navel.« (Felman, »Postal Survival, or The Question of The Navel«, S. 68)
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menen Evidenz sind sie unmöglich. Ist etwas evident, stellen sich keine Fragen, in dem Maße auch, wie im ökonomischen Vokabular vielleicht psychische Prozesse beschrieben werden können,19 nicht aber das Psychische ›selbst‹. Was wäre ein Denkaufwand? Fällt noch die Frage des Aufwandes ins ökonomische Register, bleibt die Frage des Denkens zurück. Was heißt Denken? Diese Frage kann von der Ökonomie nicht beantwortet werden. Was heißt Denken? Vielleicht ist es eine Frage, die nicht beantwortet werden kann.20 Mit Adorno haben wir ›Denken‹ bereits als notwendige Übertreibung verstanden, der auch schreibt, an der Psychoanalyse sind nur ihre Übertreibungen richtig. Aber Übertreibungen können ihre Wahrheit nicht als Evidenz markieren. Paradoxerweise eröffnet die Psychoanalyse übertriebene Fragen und stellt ihnen gleichzeitig eine Logik der Evidenz gegenüber. In diese Spannung ist die Rede von der Ökonomie versetzt. Was heißt ›psychische Energie‹, ›Hemmungsaufwand‹, ›Denkaufwand‹? Diese Begriffe, so schreibt Freud, »sind mir zur Denkgewohnheit geworden.«21 Sind sie demnach als Gewohnheit legitimiert, bedürfen sie ihrerseits keiner Begründung. Ist die Gewohnheit ihre Begründung, eine Begründung, die keine Begründung ist, fehlt ihnen ihre Begründung. Sie sind ohne Grund und führen damit regelmäßig ins Bodenlose der psychoanalytischen Theorie. Freud ist bekannterweise der Versuchung, die Topologie ökonomischer Abläufe mit anatomischen Örtlichkeiten zu identifizieren, nicht erlegen.22 Mit dieser Strategie stellt sich ein kurioser Effekt für die Argu19. Vgl. hierzu Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift« 20. An dieser Stelle nur ein Verweis auf Heideggers, »Was heißt Denken?« Heidegger würde nicht nur an dieser Stelle Bezüge zu den hier auftretenden Fragen eröffnen. Gerade weil Lachen scheinbar keinen Ort in seinen Arbeiten findet, sondern vielmehr, Angst, wäre eine Konstellation sehr interessant. Es wäre aber ein anderes Projekt. So ist die Entscheidung getroffen, die Auseinandersetzung mit Heidegger zu verschieben. Vgl. zur Frage eines Lachens bei Heidegger Borch-Jacobsens BatailleLektüre: »The Laughter of Being«, insbesondere S. 743 21. Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 165 22. Vgl. zu diesem Punkt Derridas Freud-Lektüre, die die zunehmende Entfernung von naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen in Freuds Texten nachzeichnet. Für den frühen Text »Entwurf einer Psychologie« ist Freuds Vorhaben noch folgendermaßen bestimmt, »[…] psychische Vorgänge darzustellen als quantitativ bestimmte Zustände aufzeigbarer Teile.« (Freud, S. 305; zitiert bei Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 307) Derrida beschreibt die metaphorische Entwicklung in Freuds Texten danach folgendermaßen: »Ausgehend von einem System von Spuren, das einem Modell zufolge funktioniert, das nach Freud natürlich sein sollte, und in dem Schrift vollständig fehlte, orientiert er sich nun mehr nach einer Konfiguration von Spu-
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mentation des Witzbuches heraus: ›Ökonomie‹ ist ein Rest des naturwissenschaftlichen Diskurses, dem seine Grundlegung genommen wurde. Geblieben ist der universelle Erklärungsanspruch, verlassen ist dessen naturwissenschaftliche Begründung. Ökonomie spielt sich an der Grenze zur Naturwissenschaft ab, und wird in dem Maße, wie die Autorität der Naturwissenschaften gleichzeitig durchgestrichen wird, zur Grenze der psychoanalytischen Theoriebildung selbst, indem es in seiner paradoxen Figur das theoretische Dilemma der Psychoanalyse ausstellt. Soll das ökonomische Modell ständig zur Erklärung der Witzarbeit dienen, bleibt es ›selbst‹ vollkommen ungeklärt. »Der ökonomische Faktor markiert also eine Leerstelle der Theorie.«23 Derrida paraphrasiert diese erstaunliche Aussage Freuds: »Wir wissen nichts von der Natur des Erregungsprozesses im psychischen System. Dieser Inhalt bleibt ein ›großes X‹, mit welchem ›wir operieren‹.«24 Der Anspruch, der Hermeneutik der Witze ein Prinzip zugrunde zu legen, das überall auffindbar wäre, steht in einem Missverhältnis zur Ungeklärtheit dieses Prinzips. Die Psychoanalyse vergisst nicht so schnell, was sie nicht erklären
ren, die man nur noch mit Hilfe der Struktur und des Funktionszusammenhangs einer Schrift repräsentieren kann.« (Ebd., S. 306f.) In den Drei Abhandlungen, wo sich das Verhältnis von Psychoanalyse und Naturwissenschaften, in diesem Falle der Biologie, anlässlich der Sexualität noch eindringlicher stellt, heißt es dazu: »Neben der durchgängigen Abhängigkeit von der psychoanalytischen Forschung muß ich die vorsätzliche Unabhängigkeit von der biologischen Forschung als Charakter dieser meiner Arbeit hervorheben. Ich habe es sorgfältig vermieden, wissenschaftliche Erwartungen aus der allgemeinen Sexualbiologie oder aus der spezieller Tierarten in das Studium einzutragen, welches uns an der Sexualfunktion des Menschen durch die Technik der Psychoanalyse ermöglicht wird. Mein Ziel war allerdings zu erkunden, wie viel zur Biologie des menschlichen Sexuallebens mit den Mitteln der psychologischen Forschung zu erraten [Hervorhebung, P.R.] ist; ich durfte auf Anschlüsse und Übereinstimmungen hinweisen, die sich bei dieser Untersuchung ergaben, aber ich brauchte mich nicht beirren zu lassen, wenn die psychoanalytische Methode in manchen wichtigen Punkten zu Anlässen und Ergebnissen führte, die von den bloß biologisch gestützten erheblich abwichen.« (Freud, »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, Vorwort zur dritten Auflage, S. 4) Anstatt Rat von der Biologie einzuholen, er – rät die Psychoanalyse vielleicht etwas zur Biologie. Ist die autoritäre Position der Naturwissenschaften dabei durchgestrichen, tritt keine umgekehrte in Kraft. Die Psychoanalyse beansprucht gegenüber der Biologie keine ratgebende Autorität. Vielleicht er – rät sie nur etwas dazu. Einen Rat, der ein Raten bleibt. 23. Weber, Freud-Legende, S. 46 24. Derrida, Die Postkarte. 2. Lieferung, S. 110
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kann. Darin ist sie gerade nicht evident. In der Allgemeinheit, die Evidenz behauptet, bleibt mit jedem weiteren Beispiel eine Trübung zurück. 099 Verzicht und Verfehlung Zunächst ist festzuhalten, die vielen ökonomischen Szenen lassen sich nicht unter ein Prinzip der Ökonomie stellen, das nicht nur einen ›deskriptiven‹ Wert hätte, sondern einen ätiologischen. Sicherlich ist Freuds Arbeit von diesem Wunsch getragen. Der Mut, die Grenze dieser Vorhaben auszustellen, ist bekannt: Dichtermut. Die Frage, wie ›Denkaufwände‹ und ›Hemmungsaufwände‹ gleichermaßen im ökonomischen Register zu verstehen sind, wird an keiner Stelle im Witzbuch erläutert. Die Ökonomie arbeitet danach im Witzbuch mit einer unbekannten Größe, die das Psychische ›selbst‹ ist. In den im selben Jahr zum ersten Mal erschienenen »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« wird das Problem einer theoretischen Grundlegung der Psychoanalyse artikuliert. Der Mangel an ›theoretischer‹ oder ›metapsychologischer‹ Grundlegung wird im Vorwort der dritten Auflage, also dem Text nachträglich, vorweg geschickt: »Überall wird ein gewisser Instanzenentzug eingehalten, werden die akzidentellen Momente vorangestellt, die dispositionellen im Hintergrund gelassen […]«25 Freuds epistemologischer Rahmen ist sowohl durch eine anfängliche Nachträglichkeit, als auch, mit einem fehlenden Ende, einem Ende, das behauptet kein Ende zu sein, durch eine Unabschließbarkeit charakterisiert. Anfang und Ende des Textes, als Rahmengebung nicht nur des Textes selbst, sondern auch seiner ›Theorie‹, stellen sich als problematisch heraus. Wie der Text nachträglich angekündigt wird, so schließt er auch (nicht): »Der unbefriedigende Schluß aber, der sich aus diesen Untersuchungen über die Störungen des Sexuallebens ergibt, geht dahin, daß wir von den biologischen Vorgängen, in denen das Wesen der Sexualität besteht, lange nicht genug wissen, um aus unseren vereinzelten Einsichten eine zum Verständnis des Normalen wie des Pathologischen genügende Theorie zu gestalten. [Hervorhebung, P.R.]«26
Während im Vorwort zur dritten Auflage der Drei Abhandlungen die Biologie als Grundlage der psychoanalytischen Theoriebildung zurückgewiesen wird,27 tritt der Mangel an biologischem Wissen am Ende als Entschuldigung für die Mängel der Psychoanalyse auf. In der Geste der Ablebung der Verantwortlichkeit für diesen Umstand taucht die Figur des Paradoxes auf. Die Biologie ist verantwortlich, aber ihrerseits nicht zuständig. Gäbe es eine theoretische Grundlegung der Psychoanalyse, käme sie der Biologie zu. 25. Freud, »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, S. 3 26. Freud, ebd., S. 119 27. Vgl. nochmals ebd.
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Da sie der Biologie aber gleichzeitig nicht zukommt,28 kann es keine theoretische Grundlegung geben. In dieser Figur stellt die Psychoanalyse ihren notwenigen Verzicht auf Theorie oder auf metapsychologische Klärung aus.29 Ist dieser Umstand nicht lediglich als Verfehlung, vielmehr als notwendige Verfehlung, als Verfasstheit der psychoanalytischen Theoriebildung aufzufassen, sind daraus weitere Konsequenzen zu ziehen. Das Fehlen eines kohärenten Prinzips von Ökonomie im Witzbuch heißt, dass die ›Ökonomie‹ sich nicht anders als in einzelnen akzidentellen Szenen – den Witzen – abspielt. Was heißt dann noch ›Ökonomie‹? Die Rede von der ›Ökonomie‹ ist andererseits auch nicht einfach als ›deskriptiv‹ aufzufassen, insofern ein deskriptives Verfahren zwar keinen Anspruch auf Grundlegung behauptet, diese aber an einem anderen Ort voraussetzt.30 Dieser Ort fällt bei Freud gewissermaßen aus. D.h. aber wiederum, das ökonomische Prinzip ist nicht psychisch präsent, sondern liegt zunächst nur mit den verschiedenen Witzen vor. Wie ist das zu verstehen? Das Problem ist ferner, dass aus diesen ökonomischen Szenen stets unterschiedliche ›Qualitäten‹ hervorgehen, und sei es nur als unterschiedliche Arten der Lust, insofern sind sie singulär.31 Ist das ökonomische Problem vielleicht auch überall auffindbar, ist es doch immer ein anderes, sind seine Konsequenzen an Ort und Stelle stets verschieden, so dass ihre Sammlung zu keiner Vereinheitlichung führt. So gesehen ist »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten« eine Witzsammlung, die zu keiner Versammlung wird, ein Witzbuch.32 Die Logik, die mit dem 28. Vgl. nochmals S. 4 der »Drei Abhandlungen zu Sexualtheorie« 29. An anderer Stelle haben wir diese Schwierigkeit als traumatischen Kern von Sexualität, als Sex benannt. Vgl. hierzu das Kapitel »Abfall« dieser Arbeit. 30. In Derridas Freud-Aufsatz heißt es z.B.: »Er ist der erste, der nicht an den deskriptiven Charakter dieser hypothetischen Repräsentation der Bahnung glaubt.« (»Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 313) 31. Weber hat es nicht vermieden auf die Singularität und Kontextabhängigkeit der Witze hinzuweisen. Vgl. »Die Zeit des Lachens«, S. 77f. 32. Weber betont den besonderen Status des Beispiels in der Psychoanalyse. Sie folgt aus dem ›empirischen‹ Ansatz, nachdem die psychoanalytische Beobachtung für die Theoriebildung konstitutiv ist. Die Empirie liefert dabei nicht ohne weiteres positive Daten, sondern wird vielmehr zur Herausforderung der Theorie, die sich in ihrer Offenheit ebenso möglichen zukünftigen Beobachtungen überäßt. Vgl. dazu z.B. Freud-Legende, S. 39. Ein Problem von Kofmans Text liegt darin, dass sie ihre Ergebnisse weniger aus einer detaillierten Lektüre von einzelnen Passagen Freuds gewinnt, sondern von der Psychoanalyse vermeintlich generierten Grundannahmen ausgeht, die sie zu allgemeinen Schlüssen führen. Auffällig ist, dass sie Freud-Zitate in der Regel nicht im Text auftauchen lässt, sondern sie den jeweiligen Kapiteln anhängt, und ihrer
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Problem der Ökonomie im Witzbuch erscheint, ist von Derrida an anderen Texten Freuds untersucht worden, als Frage nach den Metaphoriken des Psychischen und dem System des Psychischen;33 ausgehend von Freuds frühem Text »Entwurf einer Psychologie«, bis hin zu der späten »Notiz über den Wunderblock«. Derridas Interesse gilt einer Schriftmetaphorik, die bei Freud zunehmend zum Zuge kommt, die dabei nicht nur naturwissenschaftliche Modelle ablöst, sondern die Frage nach der Schrift auch auf neue Weise artikuliert. Der ›Äußerlichkeit‹ der Schrift gegenüber einem phonologisch gedachten ›inneren‹ Logos räumt Derrida Priorität ein. Die in der westlichen Kulturgeschichte verdrängte äußere Schrift wird für Derrida ›anfänglich‹, d.h. sie verliert ihren Status als ›reine Darstellung‹, vielmehr wird Darstellung ihrerseits zum Modell des Denkens; Denken ist immer schon Darstellung, als Schrift.34 Insofern diese ›Schrift‹ anfänglich Arbeit einen Anhang mit Freud-Witzen hinzufügt. Diese Entscheidung ist nicht nur formal zu verstehen. Sie dokumentiert Kofmans Zitierverfahren. Zitate treten eher als Beweismaterial auf, weniger in der Funktion, die Logik der Freud’schen Begriffe zu entfalten. Dementsprechend wäre Kofman darin zu kritisieren, dass bei aller Evidenz ihrer Überlegungen, und mit der Anerkennung vieler Probleme, die bei Weber z.B. unbesprochen bleiben, sie Freuds Texte in dem Maße nicht gerecht wird, wie sie die seinem Schreiben eingetragenen Widersprüchlichkeiten zu schnell bewertet, ohne ihre Logik als Widersprüchlichkeiten zu entwickeln. Ich riskiere an dieser Stelle meinerseits eine allgemeine Bewertung, die anhand von Kofmans Text genauer zu belegen wäre. Vgl. Die lachenden Dritten. Freud und der Witz. 33. Derrida verfolgt die Entwicklung dieser beiden Metaphernreihen, die sich zusehends annähern. Zunächst wird der Unterschied z.B. noch als Unterschied zwischen technischem Instrument als psychischem System, einem Fernrohr, und seiner effektiven Leistung, d.h. eines Bildes, das es aufnimmt und gewissermaßen erzeugt, insofern es innerhalb des Apparates virtuell erscheint, als psychische Lokalität gedacht. Dieser Unterschied, trotz seiner Verschiebung, insofern nicht vom wahrgenommenen Objekt selbst die Rede ist, verdankt sich noch einer metaphysischen Ordnung von Objektwelt und instrumenteller Wahrnehmung. (Vgl. hierzu »Die Schrift und die Differenz«, S. 329) Die Differenz von psychischem System und Psychischem verringert sich mit dem Modell des Wunderblocks. Bleibt zwar die Faktizität des Wunderblocks selbst in einem metaphysischen Bezugsrahmen bestehen, insofern sie materielle Bedingung der Einschreibung in die Wachsplatte ist, ist die Einschreibung ihrerseits, mit dem Effekt ihrer gleichzeitig unbegrenzten Aufnahmefähigkeit und der Bewahrung von Erinnerungsspuren auf der Wachsplatte, bereits beides: Psychisches und psychisches System sind in diesem Vorgang untrennbar. (Vgl. ebd., S. 337) 34. Die Frage kann auch folgendermaßen gestellt werden: wie verhält sich der ›methodologische Wert‹ zum ontologischen ›Nicht-Wert‹? Dieses Problem ist nicht nur kennzeichnend für die Texte Freuds. Nach Derrida ist es als historisches Ereignis zu
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ist, kann sie nicht länger nach dem Modell der phonetischen, die ein Abbild des Lautes der primär wäre, gedacht werden: »Es ist jedoch kein Zufall, wenn Freud in den entscheidenden Momenten seines Werdegangs auf metaphorische Modelle zurückgreift, die weder der gesprochenen Sprache noch der phonetischen Schrift entlehnt sind, sondern einer Graphie, die nie der Rede unterworfen, ihr äußerlich oder nachträglich ist.«35
Wäre diese Metaphorik, die Derrida bei Freud lesen konnte, als Problem der Darstellung des Psychischen, mit den Fragen der Ökonomie, der Lust und dem Lachen in eine Verbindung zu bringen? Welche Hinweise wären hierfür aus Derridas Freud-Lektüre zu gewinnen? Freud verzichtet zunehmend auf die ›neurologischen Fabeln‹, im Witzbuch, wie auch in Jenseits, sind davon nur noch letzte Rückgriffe auf
verstehen, ein Ereignis mit dem sich die Erfahrung des Verlustes eines kohärenten Deutungszusammenhangs in den Texten einschreibt. In einem anderen Aufsatz in Die Schrift und die Differenz schreibt er: »Lévi-Strauss wird dieser doppelten Intention treu bleiben: als Instrument zu bewahren, was er in seinem Wahrheitswert beansprucht hat.« (»Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«, S. 430) In diesem Spannungsverhältnis, das einer Unterbrechung des Verhältnisses von Wahrheit und Methode Rechnung trägt, bleibt ein Instrument zurück, dessen instrumenteller Charakter seinerseits verloren ging, insofern seine ›Anwendung‹ durch keinen ihm zugrunde liegenden ›Wahrheitswert‹ gesichert ist. Eine Anwendung, die sich erst in der Anwendung hervortut und dabei wendet, an-wendet. Eine An-wendung, die erst im An ›ist‹, an der Wendung und seinen Bezug zum Angewendeten verloren hat. Bei Freud zeigt sich dieses Problem als eines der Darstellung. Ist dieses Darstellungsproblem hauptsächlich über Schriftmetaphoriken bearbeitet, wird dabei der Schriftbegriff gleichzeitig seinerseits jedoch in einer Weise verändert, die ihn auf andere Darstellungsformen hin öffnen: »(Die Darstellung ist die Repräsentation in ihrer verblichenen Bedeutung, oft aber auch in der Bedeutung visueller Figuren und manchmal in der Bedeutung theatralischer Darstellung.)« (Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 308) An anderer Stelle heißt es: »Aus der psychischen Schrift macht er aber eine derart originäre Erzeugung, daß die Schrift, wie man sie in ihrem eigentlichen Sinn, als codierte und sichtbare Schrift ›in der Welt‹ verstehen zu können glaubt, nur noch eine ihrer Metaphern ist. Die psychische Schrift, zum Beispiel die des Traums, die nach ›alten Bahnungen‹ geht, bloßes Moment in der Regression auf die ›primäre‹ Schrift, läßt sich nicht vermittels eines Codes lesen.« (Ebd., S. 319f.) 35. Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 305
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Fechner übrig.36 Andererseits taucht im Witzbuch, auch wenn die Verdichtung als ökonomisches Prinzip auf linguistischer Ebene, ebenso wie die Verschiebung, gleich zu Anfang erwähnt wird, Fragen die Freud in der »Traumdeutung« im Zusammenhang mit dem Problem der Schrift diskutiert, die Metaphorik der Schrift nicht weiter auf. Die Technik der Verdichtung ist nur ein Beispiel, sie markiert nicht die Universalität der Ökonomie,37 sondern wird dieser subsumiert, während Ökonomie ihrerseits universell auftritt.38 Demnach formuliert Freud dieses Problem im Witzbuch weniger als ein Problem von Schrift, sondern als ein Problem von Ökonomie.39 Eine Ökonomie, die ihrerseits keine Erklärung gewinnt. Hier klafft im ›Witzbuch‹ eine Lücke, eine Lücke, die dem Buch auch als Mangel an Theoriebildung anhaftete.40 Wie wäre von hier aus das Ver-
36. In Freuds Selbstdarstellung heißt es dazu: »Und da, wo ich mich entferne von der Beobachtung, habe ich es sorgfältig vermieden, mich der eigentlichen Philosophie anzunähern. Eine konstitutionelle Unfähigkeit hat mir eine solche Enthaltung sehr erleichtert. Ich war immer zugänglich für die Ideen Fechners und habe mich auch in wichtigen Punkten auf die Ideen dieses Denkers gestützt.« (Zitiert bei Derrida, Die Postkarte. 2. Lieferung, S. 16) Fechner hatte bereits Ende des 19. Jahrhunderts seine psychophysischen Gesetzte aufgestellt, die versuchen ›Lust‹ in einem Rahmen von Bewegung, Stabilität und Konstanz zu verstehen. Vgl. Hierzu nochmals Derrida, ebd., S. 34. Vgl. außerdem die entsprechenden Passagen bei Freud in »Jenseits des Lustprinzips«. 37. »Wird die Ersparnis an geäußerten Worten nicht durch den Aufwand an intellektueller Leistung mehr als aufgehoben? Und wer macht dabei die Ersparung, wem kommt sie zugute?« (Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 45) Die wörtliche oder sogar buchstäbliche Ersparung verweist auf andere Orte, an denen sich ihrerseits wiederum die Frage der Ökonomie stellt. 38. »Eine zusammendrängende oder ersparende Tendenz beherrscht alle diese Techniken. Es scheint alles eine Sache der Ökonomie zu sein, wie Prinz Hamlet sagt.« (Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 43) Hamlet ist als klassische Figur des Melancholikers bekannt. (So z.B. in Benjamins Trauerspielbuch) Interessant ist in diesem Zusammenhang Kofmans leider nicht weiter ausgeführte Bemerkung, der Witz würde sich die Melancholie ersparen. Vgl. Die lachenden Dritten, S. 22. Wäre mit Hamlet dieses Verhältnis von Ökonomie und Melancholie zu verstehen? Und: wie verhält sich Freuds eigener Text zur Melancholie? Gleichzeitig darf aber nicht übersehen werden, dass Freud nicht benennen kann, was erspart wird. 39. Man könnte auch sagen, nicht ohne Grund spielt das Witzbuch für Derrida eine geringere Rolle als andere Texte Freuds. 40. Vgl. z.B. Kofmans Kommentar zu diesem Punkt. In, Die lachenden Dritten, S. 3ff.
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
hältnis von Ökonomie und Schrift zu denken? Eine Lektüre der Idee von Ökonomie soll helfen, dieser Frage näher zu kommen. »Zu ihren Prädikaten oder irreduziblen semantischen Werten gehören zweifelsohne die des Gesetzes […] und des Hauses […]«41
100 Haushalt Zwei Ideen sind für die Konzeption von Ökonomie entscheidend: Ökonomie etabliert eine Beziehung des Verhältnisses von Haus and Gesetz. Das Haus ist ein begrenzter, stabiler Ort, der eine Grenze zwischen Innen und Außen einführt. Das Haus ist der Ort, der als Ort definiert werden kann. Das Haus bietet Schutz, es ist ein sicherer Topos. Diese Sicherheit ist dem Haus jedoch nicht in seiner gegebenen Stabilität garantiert. Das Haus braucht ein Gesetz, das die Ordnung des Hauses aufrechterhält und es vor Eindringlingen und vor Zerstörung sichert. Insofern gehört das Gesetz dem Haus an. Umgekehrt wäre zu sagen, das Gesetz braucht ein Haus, um Gesetz sein zu können. Das Gesetz braucht eine räumliche Ordnung, um als Gesetz in Kraft treten zu können. Eines der Probleme des Gesetztes in Kafkas Proceß ist die permanente örtliche Verschiebung der Gerichtszenen, die sich bekannterweise vorzugsweise auf Dachböden oder in Hinterzimmern abspielen, an Orten, die kaum noch zum Haus gehören. Die konstitutive Ortlosigkeit des Gesetztes, die das Gesetz nicht abschafft, seine Macht vielmehr bekräftigt, gerade indem es unzugänglich bleibt, muss nichtsdestotrotz etabliert werden, soll es als Gesetz arbeiten und nicht als Gesetz des Gesetzes gelten. Ist die Ortlosigkeit das Gesetz des Gesetzes, und davon wusste Kafka zu schreiben, stellt dieses Gesetz des Gesetzes zugleich die Forderung nach seiner Setzung an einem Ort auf. Es verwirklicht sich als Gesetz erst in der Setzung. In diesem Sinne ist das Gesetz stets performativ. Die Verkündung des Urteils realisiert das Urteil. »Über die Bedeutungen des Gesetzes und des Hauses, der Verteilung und Zuteilung hinaus impliziert die Ökonomie die Idee des Tausches, der Zirkulation, der Rückkehr.«42
Als Ökonomie arbeitet das Gesetz des Hauses auf Erhalt. Dieser Erhalt ist einer Zeitlichkeit unterworfen. Das Gesetz des Hauses ist damit einer Bewegung ausgesetzt. Ökonomie ist auf diese Bewegung angewiesen, will sie in der Zeit bestehen. In der Ignoranz dieser Zeit würde das Haus verfallen, und das Gesetz geriete in Vergessenheit. Ohne Zeit gäbe es keine Ökonomie. Diese Zeit aber ist eine Notwendigkeit, die Gefahren bereithält. Denn 41. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 16 42. Derrida, ebd.
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in dieser Zeitlichkeit muss sich die Ökonomie beweisen. Die Ökonomie als Gesetz des Hauses, diese beschränkte Ökonomie, muss von daher in der Bewegung der Zeit an einem Austausch partizipieren. Ist die Zeit für ihren Erhalt notwendig, garantiert sie diesen Erhalt keineswegs. Ökonomie droht immer zum Verlustgeschäft zu werden, oder sich zu verausgaben. In der Zirkulation von Werten, seien es Waren mit Gebrauchs- und Tauschwert, oder seien es psychische Energien, ist Ökonomie an einer Rückkehr der Werte interessiert. Die Werte müssen dem Haus wieder zugute kommen, will die Ökonomie bestehen bleiben. 101 Doppellust Behalten wir diese Vorstellung von Ökonomie im Gedächtnis, wenn es um die Frage geht, ob psychische Vorgänge, von denen bei Freud die Rede ist, entsprechend dieser beschränkten Ökonomie darstellbar sind, oder, ob Freuds Ökonomie, indem sie sich dem Lachen zuwendet, nicht verlustreich wird und den Weg nach Hause nicht zurückfindet. Voraussetzung für die homogene ökonomische Zirkulation von Lust ist, dass die Frage der Ökonomie ihrerseits nicht aufkommt.43 Tritt dabei eine Verschiebung ökonomischer Szenen in Kraft, von Witz zu Witz, insistiert Freud gleichzeitig auf der regulativen Kraft einer Lust. Dieses ist auf den ersten Blick u.a. deshalb möglich, weil der Witz, anders als Masochismus, Traum oder Trauma, scheinbar mit der Frage von Unlust nichts zu tun hat. Motiv des Witzes bleibt für Freud die Lust. Aber lässt sich Lust ohne Unlust denken? Oder, was wäre der Ort der Unlust im Witz, von der Freud sagt, sie spielt beim Witz keine Rolle? Die Herrschaft des Lustprinzips soll für den Witz bedingungslos anerkannt werden. Gibt es auch keine Etablierung der Ökonomie als Hausordnung der Psyche, scheint die Witzeslust von aporetischen Strukturen masochistischer Lust oder traumatischer Wiederholungen, Fragen denen sich spätere Texte Freuds widmen, zunächst entfernt. Dennoch ist die Ökonomie im Witzbuch nicht unproblematisch. Das Schwanken zwischen einer allzu großen Evidenz und dem Zweifel an ihr, zeigt sich bei Freud in einzelnen erstaunlichen Sätzen: »Die Lust, die er [der Witz, Anm., P.R.] erzeugt, sei es nun Spiellust oder Aufhebungslust, können wir alle Male von Ersparung an psychischem Aufwand ableiten, falls solche Auffassung nicht dem Wesen der Lust widerspricht und sich noch anderweitig fruchtbar erweist.« 43. Dass diese Ökonomie eine zirkuläre, eine des Austausches sein soll, verrät Freuds Sprache. Es ist von ›billigen Witzen‹ die Rede, vom ›Bezahlen mit gleicher Münze‹, vom ›Witzpreis‹ oder vom ›Leihen eines Sinns‹. Kofman hat dieser Ökonomie den Namen ›römisch‹ gegeben und unterscheidet sie von einer im Witzbuch tendenziell verdrängten ›jüdischen Ökonomie‹. Vgl. Die lachenden Dritten, S. 10-S. 24
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
In einem Satz spricht Freud das Gesetz der Witzeslust aus, um es sofort wieder in Zweifel zu ziehen (gerade weil der Evidenz der Grund fehlt). Mit diesem (Rück-)Zug zeigt sich Freuds Text selbst als ›witzig‹. Das Problem der Ökonomie zeigt sich im Witzbuch zum einen, wenn es um die Vorlust (oder Spiellust), zum anderen, wenn es um die Abfuhr im Lachen (oder Aufhebungslust) geht. Genau in jenen Momenten, wo die Lust homogen arbeiten soll – im Verhältnis von Vorlust und Lust, und d.h. im Verhältnis von Witz und Lachen – stellt sie sich als heterogen heraus.44 Denn die Lüste von Witz und Lachen sind nicht dieselben. Wenn Freud diesen Unterschied hier auch gerne überspringt, kündigt er sich im angefügten Zweifel wiederum an. Insofern Lachen den Witz erst nachträglich konstituiert haben wird, berührt diese Problematik, der Trennung der Lüste und des Verständnisses ihres Verhältnisses zueinander, die Möglichkeit überhaupt, Witze zu bilden, und auch die Möglichkeit, Witze zu verstehen. Die Homogenität der Lust wird gefordert und herausgefordert und zerfällt zum ersten Mal in dem Moment, wo anerkannt wird, dass sowohl Technik als auch Tendenz als Quelle für die Witzeslust in Frage kommen. Diese Trennung der Strukturmerkmale der Witze entspricht einer Trennung der Lüste. Die so getrennten Lüste arbeiten dennoch zusammen. Die Lust, die an der Technik hängt, ist als Vorlust auf weitere Lust aus, die spätere, eigentliche Witzeslust, im Dienste einer Tendenz, jedoch auf Abfuhr.45 Mit der Spaltung der Lust tritt diese also in einer Doppelrolle auf: als Lust nach Lust und als Lust nach dem Ende der Lust als Abfuhr. Gleichzeitig betont Freud aber, dass diese analytische Trennung der Lüste beim Witz nicht wahrgenommen werden kann. Wir wissen nicht, worüber wir lachen, die Lust ist stets eine gemischte.46 Als gemischte Lust ist die Lust aber in sich paradox, denn sie ist gleichzeitig Lust nach Lust und Lust nach dem Ende der Lust. Lust bedeutet demnach stets zweierlei: ihre Weiterführung und ihr Ende: anhaltende Lust. 44. »[…] all that we know about the desire is its non – location.« (Bloom, »Freud: Frontier Concepts, Jewishness, and Interpretation, S. 115) 45. Über die Vorlust heißt es im Witzbuch: »(Ich) halte es für zweckmäßig, die zur Auslösung der großen Lustenbindung dienende Lust als Vorlust und das Prinzip als Vorlustprinzip zu bezeichnen.« (Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 154) Demgegenüber heißt es vom Lachen: »Wir würden sagen, das Lachen entstehe, wenn ein früherer zur Besetzung gewisser psychischer Wege verwendeter Betrag von psychischer Energie unverwendbar geworden ist, so daß er freie Abfuhr erfahren kann.« (Ebd., S. 164) Dieses Lachen steht als Bedingung des Witzes im Zeichen von Lust: »Von Motiven des Witzes zu reden schiene überflüssig, da die Absicht Lust zu gewinnen als genügendes Motiv der Witzarbeit anerkannt werden muß.« (Ebd., S. 156) 46. Vgl. Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 148
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Diese ambivalente Verfasstheit der Lust ist nicht nur dem Witzbuch eingetragen. Gleich zu Beginn der Drei Abhandlungen gibt es eine Fußnote, in der der dem Wort ›Lust‹ inhärenten Ambivalenz Aufmerksamkeit geschenkt wird. Anlässlich einer anfänglichen Begriffsbestimmung des Sexualtriebes, der nach dem Modell des Hungers vorgestellt wird und dem der Name Libido gegeben wird,47 merkt Freud an: »Das einzig angemessene Wort der deutschen Sprache ›Lust‹ ist leider [Hervorhebung, P.R.] vieldeutig und benennt ebenso wohl die Empfindung des Bedürfnisses als die Befriedigung.«48
Achtzig Seiten später im selben Text wird diese frühe Fußnote wiederholt, diesmal jedoch, wo es nicht um die begriffliche Fixierung geht, sondern um die Frage, wie die mit der Vorlust eintretende Doppelheit der Lustökonomie darstellbar ist, nicht als Ambivalenz bemängelt, sondern gerade als solche willkommen: »Es ist übrigens lehrreich [Hervorhebung, P.R.], daß die deutsche Sprache die im Text erwähnte Rolle der vorbereitenden Erregungen, welche gleichzeitig einen Anteil Befriedigung und einen Beitrag zur Sexualspannung liefern, im Gebrauche des Wortes ›Lust‹ Rechnung trägt. ›Lust‹ ist doppelsinnig und bezeichnet ebenso wohl die Empfindung der Sexualspannung (ich habe Lust = ich möchte, ich verspüre den Drang) als auch die Befriedigung.«49
Was leider so war, die ambivalente Lust, wird lehrreich. 47. Auch diese Analogie benennt schon das ganze Problem der Ökonomie. Hunger scheint unter einem ökonomischen Diktat zu stehen, dessen Überschreitungen und ihre Folgen wohlbekannt sind. Er folgt einem ökonomischen Gesetz der Gesundheit: Wenn wir nichts essen, sterben wir, auch wenn es andere Gründe gibt zu sterben und die Idee der Gesundheit nicht zu regulativ etabliert werden soll. Hunger ist sowohl ein individuelles wie auch ein kollektives Problem, in der Frage des Überlebens. Anders ist es mit dem Sex. Wir sterben nicht, wenn wir keinen Sex haben. Dieses gilt mittlerweile nicht nur individuell, sondern gleichzeitig kollektiv. Man könnte denken, die Spezies Mensch drängt gerade darauf sexlose Fortpflanzung einzurichten. Dieses ist sehr knapp gesagt und bedenkt weder die medizinischen noch die ideologischen Fragen, die damit im Spiel sind. Dennoch: Mit der Analogie von Hunger und Libido fallen zugleich ihre Unterschiede auf, die alle Spekulationen über Lust erlauben und notwendig machen, insofern sich Lust nicht auf eine beschränkte Ökonomie reduzieren lässt. 48. Freud, »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, S. 7 49. Freud, ebd., S. 88
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
In der Verschiebung des Status von Lust in seiner ambivalenten Wörtlichkeit öffnet sich der Text einer anderen Ökonomie, die auf dem Wege ist, diese Ambivalenz zu denken. Um diese doppelsinnige Möglichkeit der Lust wiederum auseinander halten zu können, differenziert Freud in den Drei Abhandlungen zwischen Vorlust und Endlust, entsprechend dem Unterschied von Vorlust und Aufhebungslust im Witzbuch.50 In dem Maße, wie Perversionen dem Charakter der Libido zuzuzählen sind, d.h. eine Betonung der Vorlust seit der oralen Phase in der zweizeitlichen sexuellen Entwicklung immer schon am Werk ist,51 wird auch hier das Auseinanderhalten der Lüste, wie im Witzbuch, problematisch. Nur die regulative zwangsheterosexuelle Idee einer Fortpflanzungsfunktion als Diktat der Lust, könnte einen klaren Schnitt zwischen Vorlust und Endlust herbeiführen; d.h. auch zwischen Perversionen und normaler Sexualität. Sie würde eine Unterscheidung von Endlust und Vorlust kennen, indem sie ihr Ziel wüsste, den ›Erhalt des Lebens‹. Mit dieser Zielsetzung wäre der Todestrieb überflüssig, bzw. würde in einer zirkulären Logik sogleich substituiert. Diese Konzeption wäre ein sowohl ideologisches wie epistemologisches Problem. Die Fortpflanzung als Zielsetzung der Lüste kann nur in dem Maße aus der Verfasstheit der Lüste selbst abgeleitet werden, wie sie auf den Fall von beschränktem Hetensex mit Kinderwunsch reduziert wird. Ein Geltungsanspruch der über diese singulären Ereignisse hinausführt und regulativen Anspruch erhebt, hat nur die Chance als dogmatische Setzung, die die Verfasstheit der Lüste nicht berücksichtigt, aufzutreten. Die Problematik der Lüste ist beiden Texten eingetragen, dem Witz ebenso, wie den Drei Abhandlungen und kommt danach v.a. in Jenseits zum Zuge.52 50. Vgl. ebd., S. 85 51. Vgl. hierzu Freud, »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, insbesondere S. 26ff. Kofman hat deutlich auf die konzeptionellen Analogien Von Witzbuch und den im selben Jahr verfassten Drei Abhandlungen hingewiesen. Zur Frage der Vorlust in diesem Zusammenhang, vgl. insbesondere Kofman, Die lachenden Dritten, S. 114ff. Ist Sexualität in der Problematisierung der Lüste ein Modell, das alle sprachlichen Ambivalenzen generiert? Derrida kommt in einem ähnlichen Kontext, wenn es um die Frage der Nachträglichkeit in der Arbeit der Spur geht, zu folgender apodiktischen Antwort, der ich mich nicht nur aus ökonomischen Gründen gerne anschließe: »Ist die sexuelle Verspätung das beste Beispiel oder ist sie das Wesen dieser Bewegung? Falsche Frage zweifellos: das – für bekannt gehaltene Subjekt der Frage, die Sexualität nämlich, wird nur rückwärts und durch die Antwort selbst bestimmt, begrenzt oder entgrenzt.« (»Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 327) 52. Anlässlich der Problematik der Vorlust verweist Freud in den Drei Abhandlungen schließlich auch auf das im selben Jahr früher geschriebene Witzbuch. Vgl. »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, S. 86
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102 Todestrieb und Unlust In Jenseits erkennt Freud an, dass das Lustprinzip als lebenserhaltendes auf Veränderung arbeitet, während der Todestrieb als konservativer eine anfängliche Ruhe wieder anstrebt. Im Vokabular des Witzbuches gesprochen hieße das, die Lust der Libido ist stets nur Vorlust, Lust auf Lust. Die Annahme eines Todestriebes, der einen spannungslosen Zustand wieder herbeiführt, wird notwendig, wenn anerkannt wird, dass Lust auf Abfuhr aus ist, wie im Lachen. In der Logik von Jenseits gesprochen, wäre für das Witzbuch daraus die überraschende Konsequenz zu ziehen, dass das Lachen als geschlechtsloser Genuss der Ort des Witzes ist, wo der Todestrieb auftritt (ich werde darauf zurückkommen). Mit dieser späteren Ergänzung der Trieblehre wird das ökonomische Modell zwar vervollständigt, aber auch eine Dimension der Heterogenität eingeführt, von der sich die Theorie der Ökonomie nicht mehr erholen kann. Derrida kommentiert diesen Zug der Texte Freuds folgendermaßen: »Ich möchte zu lesen geben die nicht positionelle Struktur von Jenseits […], sein a-thetisches Funktionieren in letzter Instanz.«53 Wie wäre die sich dem Text eintragende Athetik zu lesen? Vermutet Freud in Jenseits, dass das Lustprinzip, sozusagen in der Abfolge von Vorlust und Endlust, mit der Privilegierung der Endlust als Ziel der Lust, in den Dienst des Todestrieb gerückt wird, eine problematische Annahme, wie er anmerkt, wird das Problem in dem späteren Masochismus-Aufsatz anders formuliert: Trifft der Todestrieb auf die Libido, nimmt er sie nicht einfach in seinen Dienst, sondern unterliegt seinerseits einer Verwandlung. In der Triebmischung von Todestrieb und Libido ist keiner mehr ursprünglich. Beide arbeiten – zusammen. Wie aber sieht diese Zusammenarbeit aus?54 In welcher Logik beziehen sich die Triebe aufeinander, wenn sie nicht teleologisch aufeinander folgen? Wie sähe ihre ›gegenseitige‹ Verwandlung aus? Komplizierter wird die Frage der Lüste, bei der Freud auf die Frage des Todes zu sprechen kommt, noch einmal, wenn die Frage der Unlust mit hinzugenommen wird.55 Will Freud die Frage der Unlust zwar aus dem 53. Derrida, Die Postkarte. 2. Lieferung, S. 11 54. Vgl. Freud, »Zum ökonomischen Problem des Masochismus«, S. 372 55. Vgl. zu diesem Punkt auch Derrida, Die Postkarte. 2. Lieferung. Insbesondere S. 29ff. Derrida verfolgt Freuds spekulative Schritte in Jenseits, vor allem in ihrem Bemühen ›nicht philosophisch‹ zu werden, und an der Evidenz der ›Erfahrung‹ festzuhalten. Die von Freud dabei entworfene Geste nennt Derrida ›teuflisch‹: »Das Vorgehen selbst des Textes ist teuflisch. Er nimmt das Gehen, hört nicht auf, zu gehen ohne voranzubringen, entwirft regelmäßig einen Schritt mehr, ohne einen Daumenbreit Terrain zu gewinnen. Hinkender Teufel, wie alles, was das Lustprinzip überschreitet, ohne je schließen zu lassen auf das Übersteigen.« (Ebd., S. 21)
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
Witzbuch ausschließen, drängt sie sich dennoch auf. Zum einen mit der Traumdeutung als Voraussetzung des Witzbuches, zum anderen nachträglich, mit dem Masochismus-Aufsatz, der die Frage der Ökonomie der Lust, die Frage des Witzbuches, in eine Anordnung mit der Frage der Unlust rückt. Vielleicht ist darüber hinaus dem Witz-Text diese Frage eingetragen, in Gestalt der einfachen und einfach unbeantwortet gelassenen Frage: Was erspart sich der Witz? Zielt die Ökonomie des Witzes auf Lustgewinn, liegt dann nicht die Ersparung in der Verminderung, oder Ersparung der Unlust?56 Hieß es zunächst in den Drei Abhandlungen noch: »Trotz aller in der Psychologie darüber herrschenden Meinungsverschiedenheiten muß ich daran festhalten, daß ein Spannungsgefühl den Unlustcharakter an sich tragen muß«57
– wird im gleichen Text zugegeben, dass unter dieser Voraussetzung das Verhältnis von Lust und Unlust nicht mehr zu klären ist.58 ›Teuflisch komisch‹ nennen Deleuze und Guattari Kafkas Texte. Teuflische Texte sind demnach Texte, die sich abbauen, die einer a-thetischen Schrift folgen, die weil sie hinken, im Gehen nicht recht vorankommen. Dabei öffnen sie sich einer Komik. Baudelaire hatte bemerkt, dass das Lachen ein satanisches Merkmal sei. Vgl. hierzu auch das Kapitel »Lieber nicht über Kafka schreiben« in dieser Arbeit. 56. Die Frage der Unlust ist weiter zu verfolgen. Wie Verhält sich Unlust zur Melancholie? Dann wäre weiter zu fragen, ob sich diese Unlust nicht ihrerseits durch eine Leere auszeichnet. Die Leere der Melancholie, aber auch die Leere in der ökonomischen Erklärung des Witzes. Außerdem: die Tatsache, dass Freud nicht erwähnt, was erspart wird, muss gleichzeitig ernst genommen werden. Ist auch die Vermutung, die Unlust würde erspart werden nahe liegend, ist nicht zu vergessen, dass gerade mit der Einführung der Unlust das dichotomische Verhältnis von Lust und Unlust, innerhalb eines ökonomischen Bezugsrahmens fraglich wird. D.h., die nahe liegende Vermutung Unlust nicht zu erwähnen, verweist zugleich auf die Lücke, die damit dem ökonomischen System eingetragen wird. Vielleicht ist auf diese Weise Freuds Zögern, die Ersparung zu identifizieren, zu lesen. 57. Freud, »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, S. 84 58. Für die Frage »Wie hängen nun diese Unlustspannung und dieses Lustgefühl zusammen?« (Freud, »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, S. 84) gibt es in den Drei Abhandlungen zunächst keine Antwort. An anderer Stelle heißt es: »In Sachen der Lust und Unlust tappt die Psychologie noch so sehr im Dunkeln, daß die vorsichtigste Annahme die empfehlenswerteste sein wird.« (Ebd., S. 58) Und noch einen Hinweis auf den Status der Lust/Unlust – Ökonomie in den Drei Abhandlungen: »Es scheint mir derzeit nicht möglich, diese allgemeinen Sätze zu größerer Klarheit und Sicherheit zu bringen, und ich mache dafür zwei Momente verantwortlich, erstens die Neuheit der ganzen
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103 Qualität und Quantität Unlust ist nicht als Negativ der Erregungsmenge von Lust zu denken, insofern Spannung und Entspannung nicht auf Lust oder Unlust verteilt werden können, sondern Lust ebenso wie Unlust als Spannungszustände verstanden werden müssen.59 Wenn die entgegen gesetzten Lüste jedoch im gleichen quantitativen Maß liegen, kann Quantität nicht länger zu ihrer Differenzierung dienen. Das Verhältnis von Lust und Unlust ist im selben ökonomischen Modell von Spannungsauf- und abbau nicht mehr vorstellbar, insofern sie im gleichen und nicht im entgegen gesetzten quantitativen Maß arbeiten. Ihre Differenzierung kann nicht mehr quantitativ, sondern muss ›qualitativ‹ verstanden werden. Worin liegt diese ›Qualität‹? Wie wäre ihr Verhältnis zur Quantität zu bestimmen? Freud bemerkt, dass zunächst nicht geklärt werden kann, was ›Qualität‹ heißt. Im Masochismus-Aufsatz, wo er auf dieses Problem zu sprechen kommt, fügt er dem aufgezeigten Dilemma folgende Vermutung hinzu: »Wir wären weiter in der Psychologie, wenn wir anzugeben wüßten, welches dieser qualitative Charakter ist. Vielleicht ist es der Rhythmus, der zeitliche Ablauf in den Veränderungen, Steigerungen und Senkungen der Reizquantität; wir wissen es nicht.«60
Freud kann sich also nicht auf eine nahe liegende Beziehung von Qualität und Quantität verlassen, d.h. Quantität hat Priorität gegenüber der Qualität, in dem Maße, wie Qualität zunächst vollkommen unbestimmt bleibt und nicht über wechselnde Quantitäten verstanden werden kann. Seine Vermutung führt von daher in eine andere Richtung: Kann Qualität, wenn nicht als unterschiedliche Menge, als Temporalität von Quantität gedacht werden? Führt Zeit und kein Mengenmaß Qualität erst ein? Mit dieser Annahme drohte allerdings, die vorausgesetzte Beziehung von Qualität und Quantität zu verschwinden. Liegt Qualität in der Zeitlichkeit von Quantität begründet, ist nicht nur Qualität als temporale Modulation von Quantität verstanden, sondern verändert sich auch der Charakter von Quantität ›selbst‹, denn umgekehrt gilt: Verändert Quantität ihren Charakter mit der Zeit und wird zu einer Frage von Qualität, scheint es kein autonomes Gewicht quantitativer Unterschiede mehr zu geben, sondern vielBetrachtungsweise und zweitens den Umstand, daß uns das Wesen der Sexualerregung völlig unbekannt ist.« (Ebd., S. 80). Freud verweist in dem 1924 herausgegebenem fünften Band der Gesammelten Schriften, die diesen Text enthalten, jedoch auf den aus dem selben Jahr stammenden Masochismus-Aufsatz (Ebd., S. 84), dem bereits die Einsichten aus »Jenseits des Lustprinzips« eingetragen sind. 59. Vgl. hierzu Freud, »Das ökonomische Problem des Masochismus«, S. 372 60. Freud, ebd., S. 372
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
mehr eine Quantität, die über ihre zeitliche Spezifik immer schon als Qualität anerkannt werden muss. Die Unterscheidung von Quantität und Qualität selber wird an dieser Stelle problematisch, wenn nicht das quantitative, sondern das zeitliche Maß zur Qualität führt. Das Verhältnis von Qualität und Quantität in der Ökonomie, das neu zu denken wäre, wird zu einer Frage von Zeitlichkeit.61 Derrida betont: »Die Zeit ist die Ökonomie einer Schrift.«62 Damit ist dem ökonomischen Problem, hier als Frage der Beziehung von Quantität und Qualität, eine Richtung gewiesen. Die Frage der Zeit wird entscheidend, und wirft die Frage auf, wie Unterscheidungen produziert werden, wird der Bezug von Quantität und Qualität als Differenz konstituierend selbst in Zweifel gezogen. Wenn sich unterschiedliche Qualitäten in der Zeit herausbilden, indem sich Quantitäten wiederholen, deren Maß nicht unbedingt entscheidend ist, führt diese Problematik auch zur Frage des Raumes. Qualität wird über die Frage der Verzeitlichung auf eine Weise zugänglich, die die Frage der Quantität und damit die des Raumes mitberührt. Raum wäre die Voraussetzung für Quantität. In welchem Raum hält sich Quantität auf, wenn Zeit konstituierend wirkt? Freuds früher und später verlassener Versuch in »Entwurf einer Psychologie« von 1895 zielte darauf, »eine naturwissenschaftliche Psychologie zu liefern, d.h. psychische Vorgänge darzustellen als quantitativ bestimmte Zustände aufzeigbarer materieller Teile.«63 Nur innerhalb eines chronologischen Zeitschemas kann die Existenz eines Raumes als präsent angenommen werden.64 Die Anschauungsformen von Zeit und Raum werden instabil, wenn Zeitlichkeit keinen homogenen Raum konstituiert, sondern selber differenzbildend wirkt. An dieser Stelle macht sich das Fehlen eines psychischen Bezugsrahmens bemerkbar,65 der den Freud’schen Begriffen ihren sicheren Boden garantieren würde. Ohne präsentes System, das sich 61. Bei Bloom heißt es: »Their mutual contamination of one another constitutes Freud’s implicit theory of temporality, in which time becomes the medium of exchange between the opposed dualities of body and mind.« (S. 126) 62. Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 343 63. Freud, »Entwurf einer Psychologie«, S. 308. Zitiert bei Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 307 64. Was ebenso zu der Frage führt, wie eine Qualität in einem Raume zu verstehen ist; vgl. hierzu Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 315 65. Die Frage des Bezugsrahmens bei Freud ist mit der Frage des Psychischen im Unterschied zum System des Psychischen schon angesprochen worden. Verkürzt gesagt, zeigt Derrida, wie die Möglichkeit eines Rahmens, eines Systems in Freuds Metaphernreihen zusehends verblasst und dem gegenüber eine Schrift zum Zuge kommt, die sich erst herstellt.
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seiner zeit-räumlichen Koordinaten sicher wäre, bringt sich das ›System‹ überhaupt erst hervor.66 Wie ist das zu verstehen? Nach Derrida bewegt sich Freud an dieser Stelle aus einem metaphysischen Bezugsrahmen heraus. 104 Perioden Derrida ist dieser Bewegung mit den Begriffen von Spur und Schrift in den Texten Freuds nachgegangen. Kann das Psychische nicht als Form der Präsenz verstanden werden, fehlt die metapsychologische Erklärung, setzt sie aus, oder wird über ihren Erklärungsanspruch hinausgetrieben, übertreiben wir, bedarf es eines anderen Modells, um die von Freud beobachteten Vorgänge zu verstehen, »[…] wir sind eben einer Durchlässigkeit und einer Bahnung begegnet, die aus keiner Quantität hervorgehen. Woraus denn? Aus der reinen Zeit, aus der reinen Verzeitlichung durch das, was sie an Verräumlichung bindet: die Periodizität. Allein der Rückgriff auf die Zeitlichkeit und auf eine diskontinuierliche oder periodische Zeitlichkeit erlaubt es, der Schwierigkeit beizukommen.«67
Der Hervorbringung von Zeitlichkeit und Räumlichkeit als psychisches System gibt Derrida den Namen Periodizität. Was heißt Periodizität? Sie setzt eine Unterbrechung in der zeitlichen Entwicklung voraus. Mit der Unterbrechung ist eine Markierung gegeben, eine Bindung von Zeitlichkeit an Räumlichkeit, eine Eintragung oder Einschreibung, die als Bezugspunkt Veränderung und Wiederholung ermöglicht. Überraschenderweise wird also die Unterbrechung zum denkbaren Bezugspunkt der Bewegung. Sie führt damit einen Ort ein, der nur als aus der Zeit hervorgegangen verstanden werden kann. Andererseits muss gefragt werden, wie die zeitliche Bewegung, die unterbrochen werden kann, beginnen konnte. Die einzige denkbare Antwort darauf ist, sie ist von Anfang an unterbrochen. Der Anfang kann nicht anders, als in einer paradoxen Figur gedacht werden: Er fängt mit dem an, was er hervorgebracht haben wird. Konstitutiv für diese Bewegung ist deshalb die Zeitform des zweiten Futurs, der Anfang wird gewesen sein. Das Modell dieser epistemologischen und ontologischen Problematik erkennt Derrida in einem Schriftbegriff, der als Verzeitlichung und Verräumlichung entfaltet wird. Diesem ›Begriff‹ kommt es zu, die Beziehungen von 66. Zum Vergleich, siehe Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 309. Derrida kommt zu dem Schluss: »Weder der Unterschied zwischen den vollen Quantitäten, weder der Zwischenraum zwischen den Wiederholungen des Gleichen, noch die Bahnung selbst lassen sich somit in der Opposition von Quantität und Qualität denken.« 67. Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 314
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
Lust und Unlust, Libido und Todestrieb, Quantität und Qualität darzustellen, im Modus einer athetischen Schrift.68 Nur in einer Logik der An- und Abwesenheit, einer Logik, an der sich Freuds Ökonomie abarbeitet, eine Arbeit, in der die beschränkte Ökonomie ab-gearbeitet wird, treten diese Begriffe als sich ausschließende Gegensatzpaare auf. Im Zuge einer Schrift, die nach Derrida bei Freud als Periodizität zu einem metaphorischen Durchbruch kommt, kommen die Aporien, so z.B. mit dem Wort Lust bei Freud, aber auch in zwei sehr unterschiedlichen Bemerkungen, die er im selben Text im Abstand von achtzig Seiten auftreten lässt, zur Darstellung. Schrift ist dabei keine Darstellung einer vorausgesetzten Logik des Phänomens, sondern ihrerseits ›Modell‹ des ›Phänomens‹, das außerhalb der Schrift ›existiert‹ aber nur nach ihrem Modell vorgestellt werden kann. »Das Leben muß als Spur gedacht werden, ehe man das Sein als Präsenz bestimmt. Das ist die einzige Bedingung, um sagen zu können, das Leben sei der Tod; die Wiederholung und das Jenseits des Lustprinzips seinen ursprünglich und gleichursprünglich, mit dem, was sie überschreiten.«69
Zum Vergleich, heißt es in Freuds Text »Das Ich und das Es«: »Die Entstehung des Lebens wäre also die Ursache des Weiterlebens und gleichzeitig auch das Streben nach dem Tode, das Leben selbst ein Kampf und Kompromiß zwischen diesen beiden Strebungen.«70
Werden die scheinbaren Gegensätze im Zuge eines aufschiebenden Prozesses verstanden, dem keine Präsenz vorausgeht,71 sondern dem Bedeutung erst nachträglich zugesprochen werden kann, eines Prozesses, für den Derrida in seiner Freud-Lektüre den Namen ›Schrift‹ oder ›Spur‹ findet, treten diese Gegensätze zunächst als unentscheidbar auf und werden erst im Zuge der Zeitlichkeit und Räumlichkeit einer Schrift, als materielle Eintragung, differenzierbar. Es lässt sich sagen, dieser Aufschub, als Bedingung von Schrift, wäre das ›Wesen‹ des Lebens.72 Das Leben wäre der 68. Vgl. hierzu Derrida, Die Postkarte. 2. Lieferung, S. 19 69. Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 311 70. Freud, »Das Ich und das Es«, S. 269 71. Derrida betont: »[…] die Vorstellung eines ersten Mals ist es, die rätselhaft wird.« (»Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 310) 72. Das ist nicht einfach zu sagen, wenn man den Aufschub anfänglich denkt, nicht als Frist innerhalb eines teleologischen Schemas. Vgl. hierzu Derrida, ebd., S. 311
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Tod, als Aufschub, oder der Tod wäre der Aufschub des Lebens. »Wenn der Tod nicht entgegensetzbar ist, ist er, schon, das Leben der Tod.«73 Die Gegensätze sind gleichursprünglich, weil es keinen einen Ursprung gibt, es mit der Schrift als Modell nur eine ursprüngliche Nachträglichkeit gibt. Damit verschiebt sich die Frage nach dem Ursprung zur Frage nach der Schrift.74 In ihrer differierenden und aufschiebenden Zeitlichkeit wird sich das Psychische herausgebildet haben. Lust kann demnach nicht länger als eine Frage der Ökonomie verstanden werden, einer Ökonomie jedenfalls, die sich ihres Ortes und ihres Gesetzes sicher wäre, sondern vielmehr als Zeitigung, die ihre Räumlichkeit mit hervorgebracht haben wird.75 Ökonomie ist nicht länger das Gesetz des Hauses. »Und wenn er [Freud, Anm. P.R.] die Neurologie und die anatomischen Lokalisierungen aufgeben wird, dann nicht, um von seiner topographischen Beschäftigung abzulassen, sondern um sie neu zu gestalten. In diesem Augenblick tritt die Schrift in Szene. Aus der Spur wird das Schriftzeichen und aus dem Milieu der Bahnung eine differierte Räumlichkeit.«76
Mit dem Modell der Schrift sind die psychischen Lokalitäten nicht mehr einfach vorhanden, sondern bilden sich erst im Prozess und können nur nachträglich erkannt werden. In dem Maße, wie sie von ihrer Darstellung selber abhängen – einer Darstellung, die für sie maßgeblich ist – sind sie nicht präsent. Wie wäre nach dieser Logik einer differierenden und aufschiebenden Schrift das Lachen des Witzes zu verstehen? 105 Witzschrift Indem die Frage der Ökonomie im Witzbuch mit der Vorlust und dem Lachen, sowie mit der Frage der Ersparnis von Unlust, zugleich erforderlich und überschritten wird, eröffnet sich der Weg für eine andere ›Ökonomie‹, eines Gesetztes ohne Haus.77 Diese Ökonomie verfährt nicht mehr im zirkulären Ausgleich, sie folgt keiner Rückkehr 73. Derrida, Die Postkarte. 2. Lieferung, S. 38 74. Ich werde im folgenden Kapitel, wenn es um die Frage der Gabe geht, darauf zurückkommen. Zur Diskussion der Frage des Ursprungs siehe insbesondere Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 310 75. Zum Übergang einer ökonomischen Terminologie hin zu einer Problematik der Zeitlichkeit vgl. auch Freuds Bemerkungen zum ›Psychischen Aufwand‹ auf den Seiten 146ff. von »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«. 76. Derrida, »Freud und der Schauplatz der Schrift«, S. 315 77. An andere Stelle beschreibt Derrida mit Bataille, wie Lachen aus der Ökonomie des Hegelschen Systems ausgeschlossen wird. Vgl. dazu: »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«
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nach Hause, sondern ist einer Bewegung der Schrift übergeben, die nicht mehr zurückführt. Mit ›Schrift‹ als Name einer anderen Ökonomie treten Libido und Todestrieb und Lust und Unlust in ein neues Verhältnis zueinander, sie werden unaufhörlich umgeschrieben werden. Von hier aus wäre die Frage des Witzes anders zu stellen. In der Ökonomie einer Schrift werden Witze nicht mehr im Rahmen eines homogenen Modells versammelt. Ihre Verschiedenheit kann erst nachträglich bestimmt werden. Beim Witz sind wir zunächst unwissend. Dient Schrift als Modell der Verschiebung des ökonomischen Problems des Witzes, und liegt dieses ›Modell‹ nicht anders als in seiner Darstellung vor, ist eine Witzigkeit für die Schrift selbst konstitutiv. Das Psychische als Schrift ist witzig. So musste die »Traumdeutung« witzig sein. So konnte auch das Witzbuch dem Witzvorwurf nicht entkommen. Die Frage bleibt, welche Rolle das für den Witz konstitutive Lachen dabei spielt. Ist Lachen Bedingung des Witzes, der nur über eine allgemeine Ökonomie verständlich wird, ist es auch Bedingung von Schrift. Gibt es eine lachende Schrift, gibt diese Schrift uns ein Lachen?
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3.3. Gabe des Lachens »(Laughter) is the gift that is not carried out as a gift, that is not simply inscribed in the economy that assigns mutually exclusive values to ›giving‹ and ›holding back‹. This is not to say that it is pure expenditure. It bursts on a limit where nothing lets istelf be purely spent or purely saved.«78
106 Lachen als Geschenk In der bisherigen Lektüre von Freuds Text »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, in Anordnung mit einigen weiteren Texten Freuds, ist versucht worden, sich der Frage des Lachens im Rahmen einer Problematik der Ökonomie anzunähern. Dabei kam ein Schrift-»Begriff« Derridas zum Einsatz, ein Begriff, der nicht greifen kann, zugreifen, festhalten, feststellen. Kein Begriff. Der nur geschrieben worden sein kann. Als Schrift lässt sich die ökonomische Problematik, sofern sie sich einem Jenseits der Ökonomie öffnet, darstellen. Einer Ökonomie, die nicht anders, als in dieser Darstellung ist: in der Schrift. Die Frage der allgemeinen Ökonomie ist der Schrift immanent; ein Immanenzzusammenhang, dem gegenüber wir keine Transzendenz kennen, aber eine für ihn konstitutive Öffnung. Ist Lachen als offenes Element einer allgemeinen Ökonomie bestimmbar, stellt es sich auf diese Weise als eine Frage von Schrift dar. Wie wäre somit das erschreibbare Verhältnis von Lachen und Schrift zu verstehen? Ist es in dem Maße, wie Schrift einer anderen Ökonomie, einem Gesetze ohne Haus folgt, Teil der »Immanenz«, hat es Anteil an ihr? Treibt es als offenes Element über die Immanenz der Schrift hinaus? Welches wäre sein Ort? An der Grenze von Schrift? Um diese Fragen weiter zu verfolgen, möchte ich von einer Äußerung Freuds ausgehend weiter schreiben, und eine zusätzliche Problematik einführen, über die sich die Fragen von Lachen und Schrift, wie sie mit Freud, Derrida und Nancy zu lesen wären, möglicherweise treffen können.79 Derrida hat die Figur der Gabe in der Lektüre eines Baudelaire-Textes angetroffen.80 Freud schreibt zur ökonomischen Bestimmung des Lachens: »Den psychischen Vorgang beim Hörer, bei der dritten Person des Witzes, kann man kaum treffender charakterisieren, als wenn man hervorhebt, daß er die Lust des Witzes mit sehr geringem Aufwand erkauft. Sie wird ihm sozusagen geschenkt.«81 78. Nancy, »Laughter, Presence«, S. 383 79. Was heißt treffen? Wer trifft aufeinander? Wie viele treffen sich? Was wird aus dem Getroffenen? Was aus dem der trifft? Treffen sie sich? Und wo? In der Schrift? Oder nur zwischendurch? 80. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I 81. Freud, »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten«, S. 166
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Von der Nähe der beiden Figuren Gabe und Geschenk ausgehend, ist das Verhältnis von Lachen und Schrift zu bedenken. Können wir das Geschenk des Lachens, von dem Freud spricht, als Gabe verstehen und wäre demzufolge Gabe eine treffende Charakterisierung des Verhältnisses von Lachen und Schrift? Ist Lachen ein Geschenk einer allgemeinen Ökonomie der Schrift? Lesen wir zur Beantwortung dieser Fragen zunächst Freud. Witzeslust, Abfuhrlust des Lachens, noch in einer Ökonomie der Lüste eingetragen, bewegt sich aus ihr heraus. Ihr Preis ist billig, sie ist mit sehr geringem Aufwand erkauft. Der Preis der Witzeslust ist nicht nur gering, er ist sehr gering. Der Preis der Lust ist so gering, dass er schon kein Preis mehr ist: sie wird ihm sozusagen geschenkt. Kündigt der erste Satz noch den sehr geringen Kaufpreis an, hat sich dieser im zweiten Satz verflüchtigt. Als Geschenk, wird die Witzeslust nicht mehr bezahlt (sozusagen). Witzeslust, Abfuhrlust des Lachens, wird zu einem Geschenk. Eröffnet sich damit eine Ökonomie ohne Rückkehr? »Verwirklicht« sich die Exzessivität einer allgemeinen Ökonomie im Geschenk des Lachens? Freud weist darauf hin, dass die Lust beim Witz dem anderen geschenkt wird. Das ist »sozusagen« eine treffende Charakterisierung. Sie wird ihm »sozusagen« geschenkt. Die Lust, die dem anderen geschenkt wird, ist die Lust des Lachens. Die geschenkte Lust wird als Lachen abgeführt. In der Abfuhr, im Verschwinden der Lust, in ihrer Auflösung, kommt es zum Lachen. Mit dem Lachen als Lust wird ein Geschenk gemacht, ein Geschenk, das man aber nicht behalten darf. Ein Geschenk, für das man sich vielleicht nicht einmal bedankt.82 82. Derrida hat in seiner Bataille-Hegel-Lektüre darauf hingewiesen, dass Bataille sich bei Hegel beispielsweise nicht bedankt. Das heißt nicht, dass er Hegels Arbeit ignorieren würde, ganz im Gegenteil. Aber die Anerkennung, der Gabe im Dank verwandelt sich bei Bataille, so kann Derrida mit Blanchot sagen, zur Frage des Abbüßens. Batailles Souveränität bejaht einen Ort jenseits der Anerkennung, jenseits des Dankes. Vgl. »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, S. 408. D.h. mit dem Dank wird die Ökonomie ihrerseits etabliert. Eine Ökonomie der Zirkulation von Ideen und Geschichte. Die Frage, die sich stellt, lautet, ist diese Ökonomie ihrerseits notwendig, ist diese Form des Dankes notwendig, oder welche Chancen eröffnen sich hinsichtlich einer anderen Ökonomie in der Konstituierung von Texten, wenn die Figur des Dankes verformt wird? Wie verhält sich die Frage des Dankes, zur Frage einer enttäuschenden Zirkulation der Gaben, aus der nichts Neues hervorgeht? An anderer Stelle erwähnt Derrida die absolute Notwendigkeit des Dankes. Die Rede ist natürlich von Heideggers Akt, die Widmung an Husserl in Sein und Zeit zu streichen. Im politischen Kontext dieser Stelle geht die Frage des Dankes über in die Frage nach der Schuld.
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Ein Geschenk, das nicht zu halten, anzuhalten, festzuhalten ist. Laughter is the gift, that is not carried out as a gift, schreibt Nancy. Es ist eine Gabe, die zugleich zurückgehalten wird. Sie wird zurückgehalten, insofern das Geschenk mit dem Lachen nicht in den Besitz des Beschenkten übergeht. Lachen ist nicht nur ein Geschenk, es zerstört auch das Geschenk als Gabe. Im Zerstören ist es ein Geschenk.83 Geschenk heißt, eine Gabe, die nicht bleibt und nicht zurückgegeben wird. Die Lust wird abgelacht. Die Lust im Lachen ist eine Lust nach dem Ende der Lust. Was wäre eine Gabe, die nicht ausgetragen wird, oder ein Geschenk, das sich selbst zerstört, das sich im Austragen zugleich austrägt. Wie können wir davon sprechen? 107 Sozusagen ein Geschenk Den psychischen Vorgang beim Hörer, bei der dritten Person des Witzes, kann man kaum treffender charakterisieren, als wenn man hervorhebt, daß er die Lust des Witzes mit sehr geringem Aufwand erkauft. Sie wird ihm sozusagen geschenkt. Sozusagen markiert den Übergang von einer Logik der Ökonomie, von Kaufen und Verkaufen, Von Geben und Nehmen, zu einem Ort, für den es keinen Preis mehr gibt, weil er ein Geschenk ist. Sozusagen ist die Schwelle der Ökonomie von der Möglichkeit der Gabe, zu einem Jenseits der Ökonomie als Unmöglichkeit der Gabe – oder als Geschenk, das sich verflüchtigt. Was sagt man, wenn man sagt, die Lust sei sozusagen, ein Geschenk? Sozusagen, sagt man etwas, das anders ist, als es ist; es ist sozusagen. Man sagt es so, auf diese Weise, anders, um es zu sagen, sozusagen; und warum sagt man es »sozusagen«, also nicht »richtig«? Dem Sozusagen fehlt die Möglichkeit es richtig zu sagen, anders, so wie es ist. Das, was »ist«, ist nicht, muss anders gesagt werden, wenn es gesagt werden soll, wenn es »sein« soll, um es zu sagen, darin liegt ein Imperativ. Wir müssen es sozusagen sagen, anders sagen, wenn es gesagt werden soll. Lachen ist nur sozusagen ein Geschenk. Wer trifft sich im sozusagen, wenn sozusagen ein Anderssagen ist? Geschenk und Lust? Geschenk und Gabe? Lust und Lachen? Wenn Lachen sozusagen ein Geschenk ist. Ist das eine treffende Bemerkung? Treffen sich Lust und Geschenk, Lachen und Gabe, sozusagen? Wäre von dieser Bemerkung ausgehend, weitergehend, Lachen als Gabe zu verstehen? Einer Gabe, die gegeben wird, aber nicht behalten wer83. Die Frage der Zerstörung teilt das Geschenk des Lachens mit dem Potlach. (Vgl. Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, S. 23ff.) Ist beiden Formen, mit der Zerstörung der Charakter der Exzessivität eigen, besteht dennoch ein Unterschied: beim Potlach wird gerade im Zerstören ein Wert erzeugt. Der symbolische Wert des Potlach geht aus eben dieser Zerstörung hervor. Damit wird er in der Zerstörung zur Gabe. Die Zerstörung des Geschenkes im Lachen führt in eine andere Richtung, sie etabliert keinen Wert.
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den kann? Ein Geschenk des Sicht-Kaputt-Lachens? Aber wäre es richtig, sozusagen zu sagen, das Lachen sei eine Gabe? Wie weit treffen sie sich, in welchem Maße, nach welchem Maß?84 Weil sozusagen sozusagen kein Volltreffer ist, sondern im sozusagen, die Möglichkeit des Treffens offen gehalten wird, eröffnet sich die Möglichkeit der Lektüre. Ist Verstehen ein Treffen, wenn auch vielleicht nur ein Treffen des Nichttreffens, ist Lachen kein Treffer. Der Rede vom Lachen als Geschenk haftet die Markierung des sozusagen an. Die Beschreibung des Lachens als Geschenk bei Freud bleibt uneigentlich. Folgen wir unter diesem Vorzeichen den Beschreibungen Freuds. Sagen wir zuerst, von Freud ausgehend, Lachen wird geschenkt, als Abfuhr der Lust. Als Abfuhr der Lust ist das Lachen ein Geschenk; ein Geschenk, das man nicht behalten darf. Ein kurzes Geschenk, wenn überhaupt, ein Geschenk, das gleichzeitig die Zerstörung des Geschenks ist. Sagen wir trotzdem, (in diesem »trotzdem« wird die Gewalt des hermeneutischen Imperativs erkennbar) ohne das Sozusagen zu vergessen, es ist ein Geschenk. Was wäre Lachen als Geschenk? Man darf es nicht behalten und es gibt nicht jeden Tag Geschenke. Geschenke müssen etwas Besonderes sein, damit sie Geschenke bleiben. Sie sind nicht selbstverständlich. Geschenke gibt es nur zu manchen Zeiten. Mit Geschenken stellt sich die Frage nach der Zeit, als Frage des Zeitpunktes oder des richtigen Moments. Laughter is the gift, that is not carried out as a gift, that is not simply inscribed in the economy that assigns mutually exclusive values to »giving« and »holding back«. Das Geschenk ist keine selbstverständliche, sondern eine besondere Gabe. Geschenke macht man nicht immer. Damit eine Gabe ein Geschenk wird, darf es nicht immer Geschenke geben. Ums Geben und Nehmen kommt man nicht herum. Vor einem Geschenk können wir uns drücken. Wir müssen keine Geschenke machen. Was würden wir verlieren? Woher wissen wir, wann wir ein Geschenk machen? Schenken wir nur zum Geburtstag, oder immer dann, wenn wir Lust haben? Geschenk ist eine Gabe, die es manchmal gibt, wenn man Lust hat, oder zu geregelten Anlässen, die es 84. Treffen muss die Möglichkeit des Nichttreffens offen halten, sonst kann es nicht zum Treffen kommen. Man kann ein Treffen planen, und vielleicht ist es sogar ein guter Plan und nicht nur ein notwendiger, kein Geschäftstreffen, sondern ein Treffen von Freunden, oder sogar ein Treffen von Liebenden, ein Rendez-vous. Trotzdem steht mit jedem Treffen das Treffen selbst auf dem Spiel. Vielleicht verpasst man sich, nicht nur, weil man eine Verabredung vielleicht nicht einhält, sondern auch weil zur Möglichkeit des Treffens gehört, das man sich nicht treffen kann. Weil man sich vielleicht nicht versteht. Weil wir nur sozusagen miteinander sprechen. Aber, solange wir verstehen wollen, müssen wir versuchen uns zu treffen – oder wir müssen versuchen zu verstehen, worin wir uns nicht treffen, wir müssen uns im Nichttreffen treffen.
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gibt, damit wir wissen, wann es richtig ist zu schenken, (vielleicht auch, wenn man vielleicht keine Lust hat). Ist es dann noch ein Geschenk? Ein Geschenk ist eine Frage von Lust und Unlust, ebenso wie eine Frage des richtigen Zeitpunktes. Wann haben wir Lust zu schenken und wann ist es richtig zu schenken? Wann gibt es ein Geschenk? Ein Geschenk stellt die Forderung nach Unvorhersehbarkeit und Unberechenbarkeit auf. Ein Geschenk ist eine Überraschung. Ein Geschenk darf man nicht zurückgeben. Man muss es behalten oder wegschmeißen. Aber man darf es nicht zurückgeben. Umgetauscht ist es kein richtiges Geschenk mehr. Die Gabe ist demgegenüber immer schon verbunden mit der Frage von Geben und Nehmen.85 Die Gabe ist einerseits eingetragen im Austausch von Geben und Nehmen, es gibt eine Zeit des Gebens oder eine Zeit des Nehmens, sonst gäbe es keine Gabe. Aber zur Gabe gehört auch, dass zurückgegeben wird. Gabe bezeichnet zunächst einen ökonomischen Kreislauf. Gibt es einen Unterscheid zwischen Gabe und Geschenk liegt er zunächst hier: Das Geschenk wird nicht zurückgegeben. Es war doch ein Geschenk! Das Geschenk betrifft die Frage der Gabe, insoweit sie jenseits des ökonomischen Austausches die Möglichkeit der Gabe als Bedingung der Ökonomie, die ihre Unmöglichkeit ist, zu lesen gibt. Eine Ökonomie von Geben und Nehmen hat die Möglichkeit einer Gabe ohne Rückkehr als Bedingung. Das Geschenk ist die Möglichkeit der Unmöglichkeit des Gebens, das schon ein Geben und Nehmen ist. Das Geschenk ist nur ein Geben, wenn es das gibt, wenn es Geschenke gibt. Das Geschenk wäre eine reine Gabe. Was für ein Verständnis könnte es dabei vom Lachen geben? Was ergibt sich aus dieser Anordnung, aus diesem Treffen? Sozusagen. Ist Lachen die Gabe einer Schrift als allgemeiner Ökonomie? Zwei Fragen sind zu klären: 1.
2.
Welche Perspektiven eröffnen sich aus einem Verständnis des Lachens mit der Figur der Gabe, als reine Gabe, die ein Geschenk ist und dem Austausch von Geben und Nehmen vorläufig? In welcher Weise können wir die Entwicklung dieser Figur an die Frage von Schrift zurück binden, wie sie mit Derrida in der Entwicklung der Problematik der Ökonomie bei Freud lesbar wurde?
Bevor das Problem der Ökonomie, das sich für die Frage des Lachens bei Freud im Zentrum bewegte, im Zusammenhang mit Derridas Text Falschgeld: Zeit geben I, der mit der Frage der Gabe entscheidend die Frage der Ökonomie behandelt, weitergeführt werden kann, ist die Frage zu stellen, ob Derrida seinerseits eine Verbindung dieser Art zieht. Tritt »Lachen« in Derridas Text auf? Zunächst ist auf diese Frage zu antworten: am Rande – 85. Vgl. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 11ff.
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tritt es dann noch auf, am Rande, oder balanciert es eher über einem Abgrund? – und daneben, in einem anderen Schritt, auf andere Weise, indirekt. (Sozusagen) 108 Am Rande: Witze und Komödie Am Rande: Derrida kommt auf die Frage der Enttäuschung über die Gabe zu sprechen. Eine Enttäuschung über die mangelnde Neuheit im Austausch der Gaben, und nicht nur der Gaben, sondern auch dem Schreiben über die Gabe, z.B. im Text von Mauss, der in der ethnologischen Erforschung der Gabe in der Fremde nur wieder findet, was zu Hause vor der Tür liegt. Diese Enttäuschung entnimmt Derrida einem Text Serres« über Mauss, den er als Fußnote auftreten lässt. Eine Bemerkung, die nur auf einem Bein steht, nicht auf beiden Füßen.86 »Öffnen Sie jetzt den Essai über Die Gabe, so werden Sie nicht umhin können, enttäuscht zu werden. Sie werden dort auf Partei und Gegenpartei stoßen, Almosen und das Gastmahl, das höchste Gesetz, das die Zirkulation der Güter auf gleiche Weise wie die der Frauen und Versprechen diktiert, Festessen, Riten, Tänze and Zeremonien, Vorführungen, Beschimpfungen und Vergnügungen (engl. Jokes!!!); [Anm. P.R., Hervorhebung von Mauss, Serres, oder Derrida!] Sie werden dort auf das Recht und die Religion stoßen, die Ästhetik und die Ökonomie, die Magie und den Tod, die Messe und den Markt, sowie schließlich die Komödie. [Anm. P.R., Hervorhebung von Mauss, Serres, oder Derrid] Mußte man drei Jahrhunderte auf dem blaugrünen Auge des Pazifiks umherirren, um langsam von den anderen zu erfahren, was wir bereits von uns selbst wußten, um in Übersee an archaischen Darbietungen teilzunehmen, denselben, die wir jeden Tag entlang der Seine, im Français [Anm. P.R., »Comédie Francaise« im Original] oder in der Kneipe gegenüber aufführen?«87 [Anm. P.R., Hervorhebung von Mauss, Serres, oder Derrida]
Jokes, Komödie und Comédie Francaise stehen im Kursivdruck. Was bedeutet diese Herausstellung der Genre, die mit dem Lachen verbunden sind und ihrer Institution, Molières Theater, das seine Komödien zur Aufführung brachte? Auf dessen Bühne er starb. Wie? Lachte er sich zu Tode?88 Was bedeuten diese Hervorhebungen in Mauss« Text über die Gabe? (Sind 86. Serres, »Le don de Don Juan«, S. 263 87. Zitiert bei Derrida. Falschgeld: Zeit geben I, S. 149 88. »Le 17 février, quatrième représentation du Malade. Molière, pris de convulsions en scéne, est transporté chez lui, rue de Richelieu. Il meurt dans la nuit, veillé par deux religieuses. Malgré son désire, il n’ a pas pu voir un pretre. Le curé de Saint – Eustache refuse l’ inhumation en terre sainte. Baran puis Armande interviennent auprès du roi, que recommande à l’ archeveque d’ éviter ›le scandale‹.« (Alfred Simon, Molière, S. 214f.)
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sie von Mauss oder von Serres? oder von Derrida? – Derridas Text verrät es nicht). Derrida, der sich an dieser Stelle für die möglicherweise notwendige Enttäuschung über die mangelnde Neuheit der Gabe interessiert, der versucht zu zeigen, dass diese Enttäuschung ihre Ursache nicht in einem Fehler hat, sondern mit der Frage der Gabe in Verbindung steht, mit der Unausweichlichkeit ihrer ökonomischen Begrenzung, wirft die Frage nach den komischen Genre und damit nach dem Lachen nicht auf. Im Zitat sind sie allerdings zu lesen. Serres erwähnt Witze oder Scherze als letzte in einer Aufzählung, so wäre zusammenzufassen, sozialer Erscheinungen. Warum treten die Witze an prominenter Stelle, als letztes Glied einer Reihe auf, warum treten sie als letzte auf, und sind ihrerseits durch den Kursivdruck noch einmal hervorgehoben? Man könnte diese hervorgehobene Stellung übersetzen mit: sogar Witze. Die Außerordentlichkeit der Witze liegt in ihrer Geringfügigkeit, ihrer Kleinheit als Phänomen und als Gattung. Witze wären das kleinste soziale Phänomen. Nicht nur allgemeine Fragen, wie die nach dem Gesetz, auch Witze, selbst Witze sind hier, ebenso wie in Paris, anzutreffen. Im Unterschied dazu arbeitet der Begriff comedy, der, so sagt es der Text, alle Fragen zusammenfasst. Bezeichnet joke ein Kleinstes, das Besondere, und stellt damit das Maß der Enttäuschung über die mangelnde Neuheit, das Phänomen der Gabe in der ethnologischen Forschung betreffend, aus, so erreicht comedy das gleiche Ziel in umgekehrter Weise, indem es das Allgemeinste bezeichnet. Alle sozialen Erscheinungen werden gefasst, erfasst, zusammengefasst, ihnen wird der Name comedy gegeben. Charakterisieren die komischen Genre damit einerseits die Umfassendheit einer Ökonomie der Gabe, ist die Zirkulation der Gabe vom Kleinsten bis zum Größten umspannt, werfen sie als Namen dieser Grenze zugleich die Fragen nach der Grenze selbst auf. Sie treten an der Grenze, als Grenze auf. Was heißt es den Witz einerseits und die Komödie andererseits an diese Grenze zu versetzen?89 89. Comédie bezeichnet im Französischen bekannterweise nicht nur das Genre Komödie, sondern umfasst sowohl Komödie als auch Tragödie, und wäre von daher eher mit ›Drama‹ zu übersetzten. Darüber hinaus ist es der Name der Akademie für die Französische Sprache. Diese Bedeutungen des Wortes comédie sind aber ihrerseits mit Molière und seinen Komödien verbunden. Als Gründer der Comédie Francaise brachte er dort Komödien zur Aufführung. Wurde diese Institution später zum Schauplatz klassischer Dramen Racines und Corneilles, dehnte sich damit der Begriff comédie aus und bezeichnete nun ebenfalls Tragödien; und wurde gleichzeitig zum Namen der Institution der Bewahrung der Französischen Sprache. D.h. im Zuge seiner Geschichte und Institutionalisierung erweiterte sich das Bedeutungsfeld von ›comédie‹. Nichtsdesto-
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Im Voranschreiten- oder treiben der Lektüre wird es möglich zu sagen, an dieser Grenze der Gabe, und die Grenze der Gabe artikuliert stets ihre Notwendigkeit als ökonomische (hier auch in Gestalt der Frage: warum gibt es überall die gleichen Gaben?) und ihre Unmöglichkeit als Ereignis jenseits der Ökonomie, wie noch zu zeigen sein wird, hält sich auch die Frage nach den Genre des Komischen auf. Wäre Lachen, dieser Textbewegung folgend, jenseits dieser Grenze? 109 Dummheit und Ironie Tritt die Frage nach dem Lachen in Derridas Text einerseits am Rande auf, in einer Fußnote, und in dieser Fußnote ihrerseits in der Markierung von Grenzen, an dieser Grenze in Beziehung zu der Frage der Genre des Komischen, stellt sie sich das andere Mal indirekt – mit diesem Wort ist schon die ganze Problematik angekündigt – jedoch an prominenter Stelle. Wenn es nämlich um die spekulativste Hypothese des Satzes geht, der Baudelaires Text den Titel gibt, und darüber hinaus in Derridas Titel wiederholt wird: It was the counterfeit coin. Derrida wirft die Frage nach dem Status dieses Satzes auf,90 dem, weil er als Äußerung von Seiten des Freundes des Erzählers inszeniert ist, kein anderes Wissen, weder von Seiten des Erzählers, noch von Seiten des Bettlers, mit seinen stummen Augen, gegenübergestellt wird. In dieser narrativen Anordnung trägt der Satz den Charakter eines Geheimnisses, über dessen Wahrheit keine Instanz Auskunft zu geben vermag. Es ist nicht sicher, ob der Freund nicht lügt. Derrida kommentiert die so eingeleitete Unsicherheit, die für literarische Texte kennzeichnend ist,91 in der Weise, dass der Satz über Falschgeld, selbst als Falschgeld lesbar ist. Als Betrug. Genauer: als Unentscheidbarkeit zwischen der Wahrheit des Betruges, es ist wirklich Falschgeld, und dem Betrug des Betruges, das Falschgeld ist kein Falschgeld und damit der Satz über das Falschgeld seinerseits Falschgeld. Indem er betreibt, was er (nicht) bezeichnet, ist er performativ. Mit der Möglichkeit von Falschgeld trotz steht die Komödie an ihrem Anfang. ›Comédie‹ als Komödie zu übersetzten erscheint deshalb legitim, weil dieses Genre den später erweiterten Begriff generierte und gerade dieser Anfang mit Molière den Kontext für Serres’ Text bietet. 90. Zu den verschiedenen möglichen Hypothesen, die in der Deutung dieses Satzes möglich werden, vgl. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 200ff. 91. Derrida unterscheidet zwischen Mysterium und Geheimnis. Geheimnis benennt den unhintergehbaren Status des secret als Geheimnis, das diesen Namen verdient, wenn es eins ist. Mysterium ist demgegenüber das inkorporierte Geheimnis, d.h. das Geheimnis, das behauptet keines mehr zu sein. Es ist die Latenz des Geheimnisses in vermeintlich geheimnislosen Körpern. Vgl. hierzu: Derrida, »Den Tod geben«, S. 348ff. Gibt es ein besseres Beispiel für das Geheimnis der Literatur als Kafkas Schloß?
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muss immer gerechnet werden, wenn Literatur im Spiel ist. Mit dieser Möglichkeit aber, und soweit geht Derrida nicht, er geht nur bis zu dieser Grenze, stellt sich die Frage nach der Figur der Ironie. Im einfachen Aristotelischen Sinne, wird Ironie als Äußerung eines Satzes mit den Mitteln einer gegenteiligen Äußerung verstanden. So verstanden ist Ironie zugleich eine Öffnung, auf eine andere, uneigentliche Äußerung hin, wie sie auch auf diese Doppelung begrenzt wird. Das Falschgeld der ironischen Äußerung ist bei Aristoteles, als Figur der klassischen Rhetorik, kein Falschgeld, weil es als Falschgeld kein Falschgeld ist. Es bleibt beim Falschgeld. Ironie sagt es sozusagen, darin soll sie treffen. Ironie wäre danach die Selbstreflexivität einer Aussage, die sich auf eine vorherige, vielleicht unausgesprochene, bezieht. De Man hat Konsequenzen aus dieser rhetorischen Figur gezogen. Der Unterschied, der sich mit der Ironie in der Differenz zweier Aussagen aufbaut, führt in dem Moment nicht mehr zur sicheren Bedeutungsproduktion, im Modus der Ironie, wenn die der Ironie vorausgesetzte erste Äußerung ihrerseits ihrer Referenz nicht sicher sein kann. Von einer beschränkten gelangen wir zu einer allgemeinen Ironie. Beziehen sich literarische Texte auf die Figur des Geheimnisses, indem sie keine Instanz kennen, der ein gültiges Wissen unterstellt wird,92 eröffnen sie die Möglichkeit für Ironie, im Sinne de Mans, für den Text ebenso, wie für die Lektüre. Ironie, die dem konstitutionellen Geheimnis der Literatur folgt, ist immer schon eine Ironie der Ironie.93
92. Ist gerade das Geheimnis die für Literatur konstitutive Instanz der Unwissenheit, heißt das auch, das Geheimnis ist vollkommen ahistorisch. Es kann der Geschichte nicht zugänglich gemacht werden, ruft aber gerade in seiner Ahistorizität Geschichte hervor: als Wiederholung eines Anfangs. Vgl. dazu Derrida, »Den Tod geben«, S. 406f. 93. Die Frage der Ironie stellt sich auch für Derridas Text »Den Tod geben«, wenn es heißt: »In einer gewissen Weise spricht Abraham freilich. Und er spricht gut. Doch mag er auch alles sagen können, es genügt, daß er über eine einzige Sachen Schweigen wahrt, daß man darauf schließen kann, daß er nicht spricht. Jenes Schweigen nimmt seine ganze Rede ein. Folglich spricht er und spricht er nicht. Er antwortet, ohne zu antworten. Er antwortet ausweichend. Er spricht, um von dem Wesentlichen nichts zu sagen, das er geheimhalten muß. Sprechen, um nichts zu sagen, ist stets die beste Technik, um ein Geheimnis zu wahren.« (Ebd., S. 386) Sprechen mit der Absicht, nicht über das Geheimnis zu sprechen, wäre auch eine Definition von Ironie. Ironie ist demnach eine Weise, indirekt zu sprechen. Ist dieses Geheimnis wirklich ein Geheimnis und kann es nur ein Geheimnis sein, und ist es für literarische Texte konstitutiv, kön-
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Die Möglichkeit von Lektüren liegt in der Produktion ironischer (oder allegorischer) Figuren. Die anfängliche Figur des Geheimnisses treibt die Figur der Ironie hervor, weil unter diesen Bedingungen in keiner nachträglichen Bearbeitung, als Lektüre, die anfänglich mit dem Status der Literatur als Geheimnis verlorene Bedeutungsgarantie wieder gewonnen werden kann. Von daher wäre die Ironie nicht zu begrenzen, und die Lektüre bliebe von ihr gezeichnet. Ein verlustreiches Geschäft. In der Selbstreflexivität der Figur der Ironie produziert sich in der Lektüre allerdings ein Wissen. Ein Wissen über den illusionslosen Status ironischer Sprache. Illusionslos, hinsichtlich der möglichen Garantie sprachlicher Referenz. Die mit dem Geheimnis der Literatur gegebene Möglichkeit der Ironie bedeutet aber nicht, das jeder Text, der ihm folgt – sei es der literarische Text »selbst« oder seine Kommentierung – auch seinerseits ironisch verfährt. Das ist nur möglich in Texten, die die Unmöglichkeit ihrer referentiellen Garantie zur Darstellung bringen, die ihre referentielle Unsicherheit riskieren und weiter sublimieren. Auf diese Weise werden sie ironisch.
Baudelaires Text ist nicht ironisch. Anstelle der Fragen nach einem ironischen Bewusstsein tritt in diesem Text die Frage nach der Dummheit. Einer Dummheit, die dem Text konstitutiv angehört, insofern er ein verschlossenes Geheimnis behält, das den Text mit einem Nichtwissen zeichnet. Wird dieses Nichtwissen seinerseits nicht gewusst, tritt es in Gestalt von Dummheit auf. Dummheit und Ironie als Ironie der Ironie teilen ihre Voraussetzungen. Dummheit ist demnach gegenüber der Ironie eine andere Figur, die sich aus dem konstitutiven Geheimnis von Literatur ergibt. Insofern ist sie ihr angehörig, ist sie in gewissem Sinne notwendig. Denn, wird die Dummheit mit der Ironie verlassen? Wie wäre das Verhältnis von Ironie und Dummheit zu verstehen, wenn sie ihre Voraussetzungen teilen? Ausgehend von dem konstitutiven Status des Geheimnisses für Literatur verdoppelt Ironie sich als Wissen von Unwissenheit. Insofern dieses Wissen der Unwissenheit nicht positiv sein kann, ist es vor weiteren ironischen Verdoppelungen nicht geschützt. Ironie vermag es nicht, das Geheimnis zu klären, aber sie produziert ein Wissen des Geheimnisses, das dieses Geheimnis seinerseits stets weiter trägt. D.h. aber auch, dass die Dummheit mit der Ironie stets wiederkehrt, oder der Ironie eine Dummheit angehört. Ironie ist eine Dummheit, die sich selbst weiß. Damit ist sie keine Dummheit mehr und kann die Dummheit trotzdem nicht einfach
nen sie nicht anders, als ironisch sprechen; vorausgesetzt, sie wissen, daß es dieses Geheimnis gibt, und daß es ein Geheimnis bleiben muß. Vgl. hierzu auch ebd. S. 403f.
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hinter sich lassen.94 D.h. auch, zum Schreiben können gehört eine Dummheit. Schlegel sagte, literarisches Schreiben, als reelle Sprache, ist vollkommen unzuverlässig, sie ist dumm. Sie folgt einer Dummheit, die notwendig ist. Ist Literatur auf diese Dummheit angewiesen, bringt sie nicht zwangsläufig das Bewusstsein dieser Dummheit als ironisches oder allegorisches mit sich. Es ist nicht zwangsläufig, dass Literatur sich (von) selbst versteht. Sie beginnt mit dem Erzählen, dem nicht zwangsläufig ein Wissen folgt (Literatur ist eine Uhr, die vorgeht). Der Text Baudelaires, »Counterfeit Money«, ist nicht ironisch, weil die aus dem Geheimnis des Textes hervorgehende Dummheit vom Text seinerseits nicht befragt wird. Der Erzähler glaubt dem Freund. It was the counterfeit coin. Der Erzähler könnte auch an der Äußerung des Freundes zweifeln. Aber er glaubt ihm. Er schenkt ihm Vertrauen.95 Darin verhindert er die Möglichkeit der Ironie. Es kann nicht entschieden werden, ob er Recht hat oder nicht. Aber, weil er glaubt, weil er Vertrauen schenkt, weiß er nicht, dass er vielleicht nicht Recht haben könnte. Und nicht nur das, sondern er weiß auch nicht, dass er nicht entscheiden kann, ob er Recht hat oder nicht. Er ist nicht ironisch, er glaubt. Er schenkt seinem Freund Glauben. It was the counterfeit coin. Darin ist er zugleich dumm. Was nicht heißt, dass es falsch wäre, dumm zu sein. Dummheit berührt hier weniger die Frage des Urteils, sondern die Frage von Literatur, von Sprache überhaupt, denn was wäre eine Sprache, die ihr Geheimnis kennen würde? Sie betrifft ebenso die Fragen von Verstehen, Vertrauen und Freundschaft. Gegenüber diesen Folgen der Dummheit der Sprache ist Ironie ein Verrat. Sie ist kein Verrat des Geheimnisses, das ist unmöglich, aber sie ist der Verrat, dass es dieses Geheimnis gibt. In diesem Verrat ist es ein Wissen. In ihrem notwendigen Betrug ist Ironie verräterisch, sie verrät nicht nur das Wissen des Geheimnisses, sondern sie verrät auch die aus diesem Geheimnis möglicherweise resultierende Dummheit als freundschaftliches Vertrauen. Ironie schenkt kein Vertrauen, sie verrät.
94. Darin liegt auch die Unheimlichkeit der Ironie. Derrida schreibt: »Ein Geheimnis gehört nicht, es ist niemals mit einem ›bei sich‹, einem ›zu Hause‹, einem ›Heim‹ vereint. Und damit hätten wir die Unheimlichkeit des Geheimnisses, […]« (»Den Tod geben«, S. 418.) D.h., das Geheimnis lässt keine Ökonomie als Gesetz des Hauses in Ruhe. Hat das Geheimnis keinen festen Platz, so auch nicht die Ironie, die aus ihr folgt. Unheimlicherweise ist sie nicht mehr sicher aufzufinden, an einem festen Platz. 95. Er gibt ihm sogar Vertrauen, nach dessen Betrug, Betrug auch der Freundschaft vielleicht; er gibt ihm sogar Vertrauen in seinem Betrug.
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Vielleicht eröffnet sie im Verrat die Möglichkeit einer anderen Freundschaft.96 Vielleicht macht der Freund nur einen Scherz. Nichts im Text Baudelaires verspricht eine Auflösung, die diese Möglichkeit ausschließt. Wir wissen es nicht, wir können nur wissen, dass wir es nicht wissen. Wenn Literatur als Falschgeld im Spiel ist, eröffnet sich die Frage der Ironie. In der Unentscheidbarkeit über eine Wahrheit ihrer Aussagen, eröffnet Ironie eine allgemeine Ökonomie der Schrift. 110 Lachen und Ironie Ein nächster Schritt: Wie verhalten sich Lachen und Ironie zueinander? Diese, die gesamte Arbeit in Gang haltende Frage, lässt sich an dieser Stelle noch einmal präziser beantworten. Lachen ist in einer anderen Weise Bedingung für die Ironie als für den Witz. Dennoch könnte es ohne die Möglichkeit des Lachens keine Ironie geben, oder auch, Lachen zeigt Ironie an, allerdings muss Ironie nicht mit dem Lachen beglaubigt werden, wie der Witz. Ironie schenkt sich das Lachen. Ironie ist ein Witz ohne Lachen unter der Bedingung seiner Möglichkeit. Lachen ist das Ereignis, dem sich die Ironie als Modus der Rede verdankt. Sie ist nicht das Ereignis des Lachens, sondern vielmehr die Möglichkeit dieses Ereignisses, das sich aber nicht verwirklicht und in dieser Potentialität bleibt: Man könnte darüber lachen. Wir müssen es nicht. Ironie fordert kein Lachen, wie der Witz. Es ist kein Ereignis mehr. D.h. es bleibt in seiner Potentialität und muss sich nicht verwirklichen. Verwirklicht es sich, wird Ironie zum Witz. Mit der Ironie ist Lachen immer mit im Spiel und zwar genau unter der Bedingung, dass es nicht ausbricht. Ironie entwickelt sich als Selbstreflexivität. Darin produziert sich ein Wissen ihrer Negativität. Ohne ihren Verlust zu kennen, darin bleibt das Geheimnis bestehen, etabliert sich Ironie im Wissen um diesen Verlust. Lachen kennt seinen Verlust nicht. Es ist keine Form des Bewusstseins. Spricht man vom Verlust im Lachen, mit dem Lachen, führt man den Verlust erst ein, um Lachen zu verstehen. Diese Weise Lachen zu lesen, ist ironisch oder allegorisch. Jenseits dieses Verständnisses wäre Lachen affirmativ. Eine unmögliche Affirmation, jenseits der Grenzen des Symbolischen. Unmöglich, insofern sie im Jenseits keine Bedeutung generiert. Zu sagen, Ironie ist immer schon die Ironie der Ironie heißt, der Ironie ist kein Moment immanent, das sie aufhalten könnte. Die Bewegung der Ironie kann aus sich heraus nicht zum Abschluss kommen. Sie wird in ihrem Voranschreiten keinen Moment hervorbringen, der sie aufhält. Damit eröffnet Ironie die Möglichkeit oder Gefahr des Wahnsinns, wie Schlegel und de Man bemerkt haben.
96. Siehe hierzu Derridas Nietzsche-Lektüre in Politik der Freundschaft. V.a. S. 30ff.
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Der Moment, der die Ironie aufhält, kann nur von einer anderen Seite kommen. Z.B. als Entscheidung des Erzählers in Baudelaires Text »Counterfeit Money«, dem Freund Vertrauen zu schenken. Diese Entscheidung ist ihrerseits von der Ironie nicht unabhängig. Gerade weil die Ironie keine Kriterien für eine solche Entscheidung liefern kann, muss entschieden werden. Ironie ent-scheidet nicht, sondern verfährt in einer Doppelung semantischer Möglichkeiten, die sich ihrerseits stets verdoppelt, so dass auf die Doppelung, die aus einer anfänglichen Ungewissheit oder einem Geheimnis hervorgeht, niemals Verlass ist. Gerade in dieser Unentscheidbarkeit fordert sie zur Entscheidung auf. Die Forderung nach einer Entscheidung ist eine andere Weise zu sagen, der Unendlichkeit der Ironie ist gerade in der Unmöglichkeit der Unendlichkeit als Totalität, eine Endlichkeit eingetragen. Die Unendlichkeit der Ironie ist ihrerseits unmöglich, weil sie als Unendlichkeit einer Endlichkeit unterliegt. Lachen, seinerseits erst Bedingung der Möglichkeit von Ironie, kann als Moment dieser Endlichkeit auftreten. Unterbricht die Entscheidung Ironie – als freundschaftliche Dummheit – und produziert damit eine Aussage, der Vertrauen geschenkt wird – it was the counterfeit coin – verfährt Lachen anders: Lachen führt Ironie zu einem Ende, an einen Punkt, wo sie endlich wird und endlich aufhört, indem sie mit einem Außen konfrontiert wird. Indem für die Zeit des Lachens keine Aussage getroffen wird, nicht einmal eine ironische. Der ironischen Rede ist mit der Möglichkeit des Lachens als nichtsprachliche Artikulation eine Endlichkeit eingetragen. Auch eine Endlichkeit der Sprache, selbst – oder vielmehr gerade – der ironischen. Die Unendlichkeit der Ironie ist zugleich ihre Endlichkeit. Diese Endlichkeit, die das Lachen herbeiführt, führt anders als das Vertrauen der Freundschaft, zu keiner Gewissheit, sondern zeigt an, dass die Ironie nicht das letzte Wort hat, insofern es kein letztes Wort gibt. D.h., der Struktur der Endlichkeit unterliegend, wird Ironie ein letztes Wort haben, weil sie nicht unendlich ist. Sagen wir an dieser Stelle verkürzt, also ökonomisch, wenn die Möglichkeit von Lachen als Bedingung von Ironie anerkannt wird, und wenn Ironie sich als eine Möglichkeit der Lektüre eröffnet, muss man auch sagen, dass Lachen eine Beziehung mit allen Fragen der Ökonomie und der Gabe unterhält, die Derrida in seiner Lektüre Baudelaires untersucht. Wie wäre diese Beziehung am Ort der Grenze lesbar? 111 Lachen, Lesen »Of that impossibility of reading which was his own, de Man made in that way, a gift to others: a gift of reading.«97 Wie können wir Lachen, an der Grenze, oder über die Grenze des Sprachlichen hinaus, lesen? Nicht nur als Eintragung in das Sprachmaterial, als Ironie, sondern als Bewegung auf dieses Außen hin, oder von diesem Außen ausgehend? 97. Felman, »Postal Survival, or The Question of The Navel«, S. 56
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
Fast fehlt Lachen in diesem Text Derridas. Es ist kein Thema. Es spielt sich nur am Rande und indirekt ab, indem die Spekulationen an einen Punkt getrieben werden, wo sie notwendigerweise ihren Ernst verlieren, an dem sie zwangsläufig zur Frage von Ironie werden. Die ironische Äußerung ist die ernsthafteste, d.h. die notwendigste und einzig mögliche. Wo liegt dann das Lachen? Mit der Ironie ist es einerseits dem Text eingetragen. D.h. auch, vielleicht lachen wir beim Lesen. Der Text wird verdächtig und ein Lachen immer möglich. Es ist eingetragen aber es wird auch ausgetragen, weiter getrieben, dabei sich verflüchtigend. Auf diese Weise wäre es ein Geschenk des Textes. Auf diese Weise wäre es eher eine Frage des Lesens als des Schreibens, oder genauer, eines Lesens, das sich den Bedingungen von Schrift verdankt, die sich in der Figur des Lesens wiederholen. 112 Jenseits der Ökonomie? Bei Derrida führt die Frage des Lachens zur Frage des Genießens und zur Frage des Geschenkes oder der Gabe. »Das Begehren und das Begehren zu geben wären demnach dasselbe, eine Art Tautologie.«98Lust wäre hier eine Lust des Gebens. Aber wäre es dabei immer die Lust des Gebens und Nehmens, oder gäbe es auch eine andere Lust, d.h. eine andere Gabe, die ein Geschenk sein könnte? Lesen wir dazu Freud. Die Frage der Lust wie auch der Ökonomie hängen beim Witz an der Frage des Lachens. Der Witz als Genre gibt die Möglichkeit eines Lachens im ökonomischen Austausch der Lüste von Geben und Nehmen, und seiner Rückführung zu lesen. Als eine Frage der Lust. Das ist Freuds Versuch, dem sich die Grenzen dieser Ökonomie eingetragen haben. Findet Freud darin eine vernünftige Weise, über Lachen zu sprechen? Derrida fragt: »Doch wie soll man vernünftig, sinnfällig und allgemeinverständlich von einer Gabe sprechen, die das, was sie war, nur unter der Bedingung sein konnte, nicht zu sein, was sie war?«99
Wie verhält sich die von Derrida beschriebene Schwierigkeit zur Lektüre der Ökonomie bei Freud? Freud spricht über Lust, um vom Lachen sprechen zu können. Sozusagen. Lachen fordert nach einer ökonomischen Erklärung, einer Ökonomie der Lust oder der Lüste ebenso wie nach einer Ökonomie des Symbolischen, des Erzählens, die auch ein Wettbewerb werden kann, eine Ökonomie des Dialogs100 – eine Ökonomie zwischen zwei Personen, 98. Derrida, Zeit geben: Falschgeld I, S. 14 99. Derrida, ebd., S. 50 100. Z.B. am Telefon, wer hat bezahlt und wer darf erzählen und wer lacht? Wer hat die besseren Sprüche auf Lager? Mit wem lacht man, mit Fremden, mit Freunden?
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eins und drei, die sich, z.B. bei der Zote, auf einen abwesenden Dritten bezieht, die Nummer zwei, in diesem Fall die Frau.101 Doch das wäre eine »ökonomische« Lust, eine Lust, die etwas anderes als Lachen ist. Es wäre nicht die Ökonomie des Lachens. Lachen wäre jener Moment, der diese Ökonomie unterbricht. Der die Ökonomie fordert und herausfordert. Der die Lust abfahren lässt, der die Lust der Abfuhr sozusagen ist und damit an die Ökonomie gebunden wäre, in seiner trennenden Funktion. Aber Lachen bietet dabei eine Lektüre an, die nicht mehr die Wiederholung der Ökonomie wäre.102 113 Notwendigkeit von Narrationen und Namen »Aber liebste Felice! Schreiben wir denn nicht über das Schreiben, wie andere über Geld reden? Ist das zweite schlimmer als das erste? Wenn Du nur meinetwegen schreibst, ist es schrecklich.«103
Kafka klagt über die drohende ökonomische Begrenztheit der Rede beim Schreiben. Eine Klage, die sich in seinen Texten an anderen Orten auch als Lachen zeigt. Verfolgt die Lektüre die Frage des Lachens, folgt sie der Insistenz des Lachens, die darin ihrerseits schon eine Wiederholung ist, wird sie von ihr gezeichnet. Dabei kann sie die Ökonomie nicht einfach verwerfen, denn Lachen, als Gabe, macht sich nur im Verhältnis zur narrativen Ökonomie bemerkbar:
Werden Fremde zu Freunden, wenn man lacht – oder umgekehrt, können mit dem Lachen Freunde zu Fremden werden, lacht man nicht zusammen? 101. Freud beschreibt die Transformation einer exhibitionistischen Szene zwischen Mann und Frau zur Zote, wobei sich die Zote genau über die Abwesenheit der Frau konstituiert. Vgl. dazu: Weber, Freud-Legende, S. 128ff. 102. Dann gäbe es einfach, einmal, ein Prinzip des Witzes, das z.B. bei Freud auffindbar wäre, dass als System in seiner Funktion anerkannt wäre und außer einer Widergabe nur noch seine ›Anwendung‹ provozieren könnte – dann hätte F. Kittler recht: der Diskurs zum Lachen wäre erschöpft. Nicht erst bei Weber, schon bei Freud. Wenn nicht, sind wir niemals ›fertig‹. Dann ist das Lachen niemals einfach. Es ist immer mehrfach. So wie Nancy in einem Text zum Lachen geschrieben hat, auf den ich noch zu sprechen kommen werde und dem ich viel verdanke, »[…] laughter is the giving of an infinite variety of possible faces and meanings.« Nancy, »Wild Laughter in the Throat of Death«, S. 729 103. Kafka, Briefe an Felice, S. 441
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
»Das Ding als gegebenes Ding, das gegebene der Gabe trägt sich, wenn es sich zuträgt, nur in der Erzählung und in ihrem poetischen Simulakrum, dem Prosagedicht zu.«104
Wird Lachen als Herausforderung und als Forderung, also als Bedingung einer Ökonomie der Lüste verstanden, kann es in der Ökonomie der Darstellung nicht existieren. Lachen ist kein Ding, es ist auch keine Sprache. Bleiben wir vorläufig bei diesen Negationen. D.h. zunächst, nur als ein Anderes, in einem anderen Namen, oder als Name, der ihm nicht gehört, z.B. als Lust, tritt Lachen im Text auf. Der Name, der dem Lachen gegeben wird, ist kein Eigen-name, er ist nur ein anderer Name. »Lachen« ist kein Name und fordert dazu auf, Namen zu (er-)finden, die immer andere Namen sind.105 Doch den Namen des Lachens bleibt eine Leere eingetragen. Ökonomie ist eine narrative Struktur, die Namen einführt, die dem Lachen folgen und von ihm verfolgt werden. Das aber wiederum heißt, gibt es eine Forderung nach Ökonomie, in der sich das Lachen darstellen soll, folgt diese Darstellung einer Notwendigkeit. Einer Notwendigkeit zur Darstellung und einer Notwendigkeit, anders dargestellt zu werden. Einer Notwendigkeit, die in dem Maße, wie sie dem Lachen folgt und von ihm verfolgt wird, das Lachen, indem es dargestellt werden soll, auch verfehlt, indem sie es benennt. Eine Darstellung, die hinter ihm her ist oder von ihm eingeholt wird. Indem sich Lachen so stets anders darstellt, z.B. als Ökonomie der Lust, bleibt es »selbst« in einer Andersheit.106 Das drohende Verschwinden des Lachens in der Darstellung, z.B. einer ökonomischen Narration, zeigt an, dass sein ontologischer Status prekär ist. Derrida schreibt zur Gabe: »Die bloße Identifikation der Gabe scheint sie zu zerstöAber es gibt Lachen. Sonst gäbe es nichts dazu zu sagen. Bevor wir uns ren.«107 noch in dieser ontologischen Unsicherheit allzu sicher fühlen, ist 104. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 59 105. Über die Unmöglichkeit des ›Namens‹ ›gift‹ schreibt Derrida: »Wenn zum Beispiel die Gabe unmöglich wäre, wäre der Name ›Gabe‹, das was ein Linguist oder Grammatiker als Name glaubt ansehen zu dürfen, kein Name. Zumindest würde er nicht benennen, was er der allgemeinen Ansicht nach benennt, nämlich eine einheitliche Bedeutung, die die der Gabe wäre.« (Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 20) 106. Lachen ›selbst‹ ist in Anführungszeichen zu setzen. Erstens, weil wir außerhalb der Ökonomie nicht mit Sicherheit von ihm sprechen können. Zweitens, weil das Wort, ›selbst‹ auf das der Metaphysik vorausgesetzte chronologische Zeitschema mit seiner Privilegierung der Gegenwart verweist. ›Selbstheit‹ macht nur Sinn hinsichtlich einer Präsenz als Anwesenheit, die das Sein des Phänomens sichert. Die Sicherheit einer Präsenz als Anwesenheit kommt Lachen aber nicht zu. 107. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 25
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zu fragen: Ist es sicher, dass Lachen nicht als Phänomen gelesen werden kann? Welche Begriffe können wir hinter uns lassen, wenn wir vom Lachen noch sprechen wollen? Was wäre gegenüber einer identifikatorischen Verfehlung eine Darstellung des Lachens, die als Präsentation zu verstehen wäre, eine Austragung? 114 Lachen, Schreiben Sicherlich bleibt es immer möglich, es bleibt sogar notwendig, wenn es ums Verstehen geht, Lachen als Phänomen zu verstehen, z.B. als Lust. Mit der Annahme dieser Vergegenwärtigung des Lachens z.B. innerhalb einer anthropologischen oder historischen Fragestellung,108 in der das Lachen erkannt wird, wird es jedoch zu einem Bedeutungsträger und wird damit zugleich die aufdringliche Bedeutungslosigkeit des Lachens, als unökonomisch, als abseits der Symbolisierung oder der Narration, durchgestrichen. Noch in der Negation, stehen wir im Rahmen dieser Ökonomie. Aber seine Repräsentation präsentiert sich als Verfehlung. »Laughter therefore, is neither a presence nor an absence, it is giving of a presence in its own disappearance.«109 Präsentation wäre eine Darstellung des Lachens als Negativität. Es wäre zuviel, dem Lachen einen Namen zu geben, deshalb hat es so viele.110 115 Wunden Will ein Text ernsthaft vom Lachen sprechen, heißt das nicht nur, er verfolgt Lachen, sondern er wird auch vom Lachen verfolgt. Dabei wird er auch verletzt. Lachen ist ein kaputtes Geschenk. Lachen führt dem Text Verletzungen zu. Verfehlt ein Text Lachen in der Darstellung, kann er zugleich Spuren der Verletzung tragen, die das Lachen bewirkt. Z.B. in dem er seine Wunden ausstellt.111 Ist damit ein Wissen vom Lachen erreicht? Was weiß die Wunde, oder welches Wissen bietet sie zu lesen an? Als Verwundung des Textes bleibt Lachen un-bewusst, un-gewusst (das wäre die Beziehung des Witzes zum Unbewussten). Führen wir diesen Gedankengang mit einem Blick auf Kafkas Literatur fort. Kafkas Erzählung »Ein Landarzt« wird einem Ruf der Nachtglocke gefolgt sein, der eine verlustreiche Ökonomie in Gang gesetzt haben wird. Diese Bewegung ist über eine Verschiebung des Motivs der Wunde strukturiert. Die Wunde ist von gewaltsamen ebenso wie von komischen Szenen 108. Vgl. hierzu den von Wulff und Kamper herausgegebenen Sammelband Lachen – Gelächter – Lächeln. Reflexionen in drei Spiegeln. Viele der Beiträge in diesem Sammelband bearbeiten das oben genannte mit einer Deutung des Lachens verbundene Dilemma nicht. 109. Nancy, »Wild Laughter in the Throat of Death«, S. 729 110. Vgl. auch Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 20 111. Aber eine Wunde, die offen bleibt, die nicht heilt und deshalb zugleich eine Öffnung ist. Vgl. dazu Derrida, »Von der beschränkten zur allgemeinen Ökonomie. Ein rückhaltloser Hegelianismus«, S. 395.
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umgeben. Der Verlust ist schon am Anfang. Das Pferd zur bevorstehenden Reise ist in der Nacht zuvor verendet. Dieser Verlust als Verhinderung gegenüber der Verpflichtung einen Arztbesuch zu machen, setzt die Erzählung in Gang. Nur das Dienstmädchen bietet ihre Unterstützung an. Es kann nicht helfen. Unerwartet zeigt sich ein Stallknecht: »Ich wußte nichts zu sagen und beugte mich nur, um zu sehen was es noch im Stall gab.«112 Dort wartet auch ein Pferd. Keine Logik der schon anfänglich verlustreichen Erzählung erklärt dieses Ereignis. Ich wußte nichts zu sagen. Man (Erzähler? Arzt?) weiß nichts darüber. Das Dienstmädchen, das noch keinen Namen trägt, sagt: »Man weiß nicht, was für Dinge man im eigenen Haus vorrätig hat« […] und wir beide lachten.«113 Der anfängliche Mangel schlägt um in einen unerklärlichen Überschuss. Nicht nur Pferd, sogar ein Stallknecht sind plötzlich vorhanden, so dass der Arzt zur Reise antreten kann. Dabei kommt es zum Lachen, und wir beide lachten, notiert der Text. Warum wird gelacht? Aus Erleichterung? Über die unwahrscheinliche Überraschung? Die Unwissenheit? Die gesetzlose Ökonomie des Hauses, die was fehlte, plötzlich im Übermaß anzubieten hat? Gleich darauf schlägt die Szene wieder um: im Tausch gegen das Pferd verlangt der Knecht das Mädchen. Kein Abkommen regelt diesen Tausch, unfreiwillig und unvorhersehbar wird das Mädchen geopfert. Das Opfer, das keiner geregelten Austauschlogik folgt, sondern einer sprunghaften Exzessivität, zeigt als Zeichen eine Verwundung, »kaum war es bei ihm, umfaßt es der Knecht und schlägt sein Gesicht an ihres. Es schreit auf und flüchtet sich zu mir; rot eingedrückt sind zwei Zahnreihen in des Mädchens Wange.«114
Das Dienstmädchen wird verwundet. Sie wird dabei zur Wunde. Ab jetzt trägt sie einen Namen, Rosa. Dem Namen Rosa haftet die Verwundung an, und er verweist zugleich auf den Namen als Verwundung. Später wird die Wunde des Patienten, der auf einen Arztbesuch wartet, Rosa genannt: »In seiner rechten Seite, in der Hüftengegend hat sich eine handtellergroße Wunde aufgetan. Rosa, in vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den Rändern, zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelndem Blut, offen wie ein Bergwerk obertags.«115
112. 113. 114. 115.
Kafka, »Ein Landarzt«, S. 200 Kafka, ebd., S. 200f. Ebd., S. 201 Ebd., S. 204
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Diese Szene folgt der gleichen überraschenden Dramaturgie, wie das Erscheinen des Pferdes und des Stallknechts zu Beginn der Erzählung. Plötzlich, aber nicht auf einmal, erst auf den zweiten Blick, ist sie zu sehen. Der nachträgliche plötzliche Blick folgt der Logik des Supplements, bei der ein Mangel in Überschuss umschlägt. Als bildreiche Wunde ist der Mangel plötzlich zuviel. Diese Bewegung der Wunde setzt die Geschichte in der Verschiebung von Rosa, dem Dienstmädchen, zur Rosa (am Satzanfang und großgeschrieben) Wunde, in Szene. Die Wunde ist ein Überschuss und ist zugleich als Wunde ein Mangel, die von ihr gezeichnete Ökonomie ist heillos. Übertrieben und arm zugleich. Ist das Mädchen nicht zu retten, so später auch nicht der Patient, der Junge. »Ich habe deine große Wunde aufgetan; an dieser Blume in deiner Seite gehst du zugrunde.«116 Die Wunde ist nicht nur struktureller Moment der Erzählung, sie wird zum Zeichen von Sterblichkeit, einer anfänglichen Sterblichkeit: »Mit einer schönen Wunde kam ich auf die Welt; das war meine ganze Ausstattung.«117 Die Wunde, die der Arzt entdeckt, war (paradoxerweise) immer schon da, von Anfang an, unabhängig von einem Blick oder einem Wissen oder einer Chirurgie des Arztes. Das Symptom der Wunde verweist auf eine anfängliche Verwundung. Wegen diesem Ausmaß der Wunde ist der Landarzt (komischerweise) nicht in der Lage, die Wunde zu heilen: »So sind die Leute in meiner Gegend. Immer das Unmögliche vom Arzt verlangen.«118 Der Arzt ist nicht der, der Wunden schließt, der heilt, sondern ein Arzt der Wunden entdeckt, oder: auf-findet, die schon da waren, aber erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. Er öffnet Wunden, die es schon gibt, weil die Verwundung anfänglich ist. D.h. aber auch, erst der Arzt ver-wundet. Im Finden der Wunden öffnet er sie. Damit ist er das Gegenteil eines Arztes, der Wunden heilen, also schließen soll. Sein »Wissen« selbst wird zur Verwundung. Bei Kafka werden Wunden in der Ent-deckung zu offenen Wunden, die niemals heilen. Der Arzt kann sie nicht verstehen, nur weiter (er)öffnen. »Ich habe deine große Wunde aufgefunden.«119 Er kann sie beschreiben. Er kann Namen geben. Rosa. Aber Namen, die verwundet sind und sich weiter öffnen. Ein Name, der zu einer Farbe wird, bis sich die Farbe verliert. Rosa, in vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend zu den Rändern, zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelndem Blut, offen wie ein Bergwerk obertags. Die Farbe verliert sich im Bild des offenen Bergwerks obertags, ein paradoxes Bild. Die Beschreibung 116. 117. 118. 119.
Ebd., S. 204 Ebd., S. 205 Ebd., S. 204f. Kafka, »Ein Landarzt«, S. 204
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
eröffnet eine Erzählung, die sich im paradoxen Bild nicht schließt, sondern als Öffnung bleibt. Der Arzt wird zum Erzähler dieser Eröffnung. Aus der Wunde ergibt sich kein Wissen der Heilung. Nur ein Wissen der Sterblichkeit und des Verlustes. Ein Wissen, das anlässlich der Wunde kein Wissen ist, insofern es untröstlich ist. Es ist ein Wissen der Gegebenheit und Unheilbarkeit der Wunden. Die Gewissheit der Sterblichkeit erreicht nicht die Spezifik einer Diagnose. Sie findet keinen lokalisierbaren Grund, dem ein Wissenssystem Bestimmung geben könnte. Im Diskurs des Arztes verschiebt sich Sterblichkeit von einer medizinischen zu einer ontologischen Frage. Als ontologische Frage bleibt die Frage der Wunde aber zugleich offen, sie ist ein anfängliches und unaufhörliches Symptom. Mit einer schönen Wunde kam ich auf die Welt, das war meine ganze Ausstattung. Mit diesem Wissen ist Wissen selbst verwundet, wenn die Wunde anfänglich und unabschließbar ist. Als Zeichen von Endlichkeit ist sie lesbar und unlesbar zugleich, denn die Wunde der Endlichkeit markiert einen Ort, der nicht verstanden werden kann. Sie stellt sich als Zeichen von Unlesbarkeit aus, in der Verschiebung vom Namen zur Farbe, zum Verlust der Farbe, zum paradoxen Bild, zur Öffnung. Die Unlesbarkeit der Wunde, die als Sterblichkeit oder als anfänglicher Verlust zu verstehen ist, eben als solche aber nicht verstanden werden kann, ist dabei eine Wunde des Textes. Es ist eine Wunde des Textes, insofern der Text kein Verständnis der Wunde anbietet. Darin ist der Text verwundet – und zugleich produktiv. Denn die verschiedenen, verschobenen, unerklärlichen Wunden, die mit keiner Erklärung des Arztes oder des Textes geschlossen werden können, sondern in einer metonymischen Bewegung immer weiter eröffnet werden, fordern in dem Maße, wie sie unlesbar sind, eine Beschreibung. In Namen, in Farben und deren Verlust. Wunden bleiben im Erzählen offen. Erzählen wäre die Er-öffnung von Wunden. An den Wundrändern des Textes, spielen sich bei Kafka komische Szenen ab: »Dann bin ich entkleidet und sehe, die Finger im Barte, mit geneigtem Kopf die Leute ruhig an. […] Zur Mauer, an die Seite der Wunde legen sie mich.«120 Im Verlust des distanzierenden ärztlichen Blicks wird der Arzt mit dem Patienten identifiziert. Auch er hat eine Wunde, so erinnert der Text, Rosa, »[…] was will ich Besseres, alter Landarzt, meines Dienstmädchens beraubt!«121 Komisch wird eine Medizin, die sich nicht über die Opposition von Wunden und Heilung etabliert, sondern, deren Ärzte Wunden eröffnen und ihrerseits verwundet sind. Die wuchernden Verwundungen des 120. Kafka, ebd., S. 205 121. Ebd., S. 205
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Text-Körpers, die bei Kafka eingetragen sind, eröffnen eine allgemeine Ökonomie, die ohne Wissen auskommen muss und die in keiner Opposition still gestellt werden kann. Der Heiland fehlt: »Den alten Glauben haben sie verloren; der Pfarrer sitzt zu Hause und zerzupft die Meßgewänder, eines nach dem anderen; aber der Arzt soll alles leisten mit seiner zarten chirurgischen Hand.«122
Weder Pfarrer noch Arzt können den Text heilen, oder heiligen. Ihnen bleiben nichts als komische Gesten, wenn der Grund des Wissens fehlt. Kafkas Erzählung mit seinen Motiven von nächtlichem Stall, Zuschauern und Pferden, die durchs Fenster gucken, ist auch eine Parodie biblischer Szenen. Der Platz des Heilands ist leer. Diese Leere, bewegt sich im Text als Wunde. Sie generiert die komischen und parodistischen Szenen. Über seine Wunden bringt der Text eine Komik hervor, die sich einer konstitutiven Unwissenheit verdankt. 116 Unwissenheit Freud weist mehrfach darauf hin, dass wir nicht wissen können, worüber wir lachen, dass gerade eine Unwissenheit für Lachen konstitutiv ist. Versuchen wir diese anfängliche Unwissenheit einzuholen, z.B. mit einer Theorie einer Ökonomie der Lüste, verlieren wir die anfängliche konstitutive Unwissenheit und damit einen entscheidende Bedingung des Lachens. Wir verfehlen die Möglichkeit, dass es uns geschenkt wird. Ein Geschenk darf man vorher nicht kennen. Mit der Ökonomie verfehlen wir die Möglichkeit, dass es uns trifft oder überrascht oder verletzt. Können wir aber die Unwissenheit wissen? Wir können die Unwissenheit des Lachens wissen als Wissen dieser Unwissenheit. Wir kämen zu ironischen Deutungen, die allegorischen Status gewinnen.123 Wir können sie aber nicht als Wunde ausstellen und gleichzeitig wissen. Wir können uns nur wieder verwunden lassen, wenn wir nichts davon wissen.124 117 Aussetzer/Aufsitzer Entweder wir setzen uns dem Lachen aus. Dann setzen wir aus. Dann setzten wir uns ins Aus. Oder wir setzen das Lachen aus. Dann setzt das Lachen aus. Wer sitzt wo, an welchem Platz, wenn wir schreiben oder lesen? (Und warum sitzen wir, wenn wir schreiben? Müssen wir uns mit dem Lachen bewegen? Und nicht nur am 122. Ebd., S. 205 123. Zur Diskussion des Verhältnisses von Allegorie und Ironie bei de Man, vgl. das Kapitel »Allegorie und Ironie« dieser Arbeit 124. Wir wissen, dass es Geschenke gibt. Nicht immer. Vielleicht auch nicht mehr, nur früher, oder nur für andere. Vielleicht auch nie wieder. Vielleicht haben wir auch nichts mehr zu lachen, irgendwann. Oder vielleicht wird es eine Zeit des Lachens geben.
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
Schreibtisch sitzen. Aufstehen, einen Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen und zum Telefon gehen. Oder lieber ins Gym). Freud schreibt, Unsinnswitze seien Aufsitzer. Wir sitzen dabei dem Glauben, dass der Witz Sinn mache, auf. Vielleicht macht der Witz aber keinen Sinn. Vielleicht ist er Unsinn, der sich an der Erwartung von Sinn misst. Dann wären Unsinnswitze die Witze, über die wir nicht lachen könnten. Wir können nicht über sie lachen, weil wir Sinn erwarten. Was wäre, fiele diese Erwartung weg? Nicht unbedingt der Unsinn verhindert das Lachen im Unsinnswitz, sondern die Erwartung von Sinn in Beziehung zum Unsinn. Ist nicht die Unwissenheit des Lachens gerade jener Moment, der Unsinn genießen lässt? Lachen wäre die Möglichkeit des Unsinns ohne Erwartung von Sinn. Einen Moment lang. Lachen folgt auf die Pointe als Bestätigung des Sinns des Witzes und zieht im Lachen diesen Sinn auch wieder ab.125 Der Sinn richtet sich nicht ein. Wir bringen im Lachen den Sinn hinter uns, es folgt ihm und entführt ihn wieder. Zur Arbeit des Witzes gehört die Erwartung von Sinn, doch noch diese Erwartung von Sinn, die sich in der Pointe realisiert, die beim Unsinnswitz fehlt, wird durch die Unwissenheit, und damit den Unsinn des Lachens, wiederum berührt. Sinn taucht mit der Pointe auf, bestätigt sich im Lachen und zieht sich im Lachen auch wieder zurück. Indem Witze vom Lachen abhängen, hängen sie auch von der Unsinnigkeit des Lachens ab. Das Geschenk geht kaputt. In gewisser Weise sind also alle Witze, einen Moment lang, Unsinnswitze, auch wenn sie die Frage von Sinn nicht einfach verwerfen – Unsinnswitze, deren Unsinn als Lachen einen Moment lang frei genossen werden kann. Unsinnswitze, die keine Aufsitzer sind, die die Frage von Sinn schon hinter sich haben. In gewisser Weise lachen wir nur über Unsinn(s)-witze, wenn wir lachen.
Aber was sind dann Aufsitzer? Weil die Energie im Aufsitzer, im Unsinnswitz, der am Sinn gemessen wird, vielleicht nicht abgelacht werden kann, sondern vielleicht zum Ärger führt, wird, so Freud, der Zuhörer seinerseits zum Erzähler. Aufsitzer sind demnach Texte, die das Lachen verpassen. Es sind Texte, die anstelle des Lachens treten. Indem sie dem Witz oder dem Lachen, in einer Theorie des Lachens, aufsitzen, setzen sie es aus, im Sitzen bleiben, damit sie selber nicht aussetzten, im Unsinn des Lachens. Sie bleiben sitzen. Sitzen bleiben.126 125. Weber macht darauf aufmerksam, dass Freud die Frage der Pointe beim Witz vergisst. Vgl. Freud-Legende, S. 138 126. Man kann Lachen nicht wollen. Es gibt eine entlarvende Echtheit des Lachens, der auch trotz eingemischter Lachchöre jede Sit-Com ausgesetzt bleibt. Ges-
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118 Vergessenheit Freud schreibt auch: Witze sind nicht einfach in der Erinnerung abrufbar. Sie werden vergessen. Wer kann sich gute Witze merken? Witze fallen einem ein, oder nicht. Lachen, das den Witz beglaubigt, stößt uns zu. Wir werden zum Lachen gebracht. Es wird uns gebracht. Von wo? Wo wäre das Lachen außer im gebracht werden? Witze werfen ein Problem der Erinnerung auf, weil ihnen ein Vergessen angehört.127 Vergessen ist immer ein Vergessen von etwas, so dass man z.B. die Tatsache, dass es diesen oder jenen Witz gibt, noch weiß, aber den Witz selbst vergessen hat. Vergessen ist immer auch ein Wissen, ein Wissen dessen, was vergessen worden ist. Das Vergessen hält diese Beziehung zum Wissen aufrecht. Der vergessene Witz unterhält eine Beziehung zum Wissen. Aber wenn wir sagen, Witze können vergessen werden, es ist sogar kennzeichnend für Witze, dass sie vergessen werden, können wir auch sagen, wir vergessen damit das Lachen, das jeden Witz erst als solchen beglaubigt? Können wir Lachen vergessen? Unterhalten wir darin eine Beziehung zum Lachen, wenn wir es vergessen? Können wir uns an Lachen erinnern, daran, wie lachen geht, so wie ein Witz geht? Lachen als Bestätigung des Witzes ist auch sein Abbruch. Der Sinn, der sich aufbaut, zieht sich zugleich zurück. Mit dem Lachen vergessen wir schon den Witz, der seinerseits vielleicht vergessen war. Wenn Lachen bereits das Vergessen des Witzes ist, in welcher Weise können wir dann vom tern Abend guckte ich Seinfeld, blieb vorm Fernseher sitzen und hörte dem Lachen der Anderen (Wer lacht in der Sit-Com? Die Götter, schreibt Zˇizˇek) nur noch zu. Gelangweilt oder sogar verärgert. Sicher gibt es Techniken des Witzerzählens und Komiken, die sich ihrer Gewalt sicher sind. Blondinenwitze, Türkenwitze, Schwulenwitze. Doch bleibt noch diese empirisch erprobte und in Stand-Up-Comedys trainierte Unterhaltungskultur der Unsicherheit ausgesetzt, die die Unwissenheit als konstitutioneller Zug des Lachens mit sich führt. Eine Episode der Simpsons: Bart öffnet eine Tür. Dabei fällt etwas um. Er konnte es nicht sehen, wegen der Tür. Er sagt: I didn’ t do it. Anstatt sich zu ärgern, wird gelacht. Worüber? Über seinen Satz? Über seine Traurigkeit? Über seine Unschuld? Mit einem Satz wird Bart zum erfolgreichen Komiker auf der Bühne. Ohne die Tür, ohne das etwas umfällt. Als I-didn’ t-do-it-boy, und das ist erst der Witz, es ist ein Unsinnswitz, der nicht zum Ärger führt, ist er plötzlich witzig. Eines Tages lacht plötzlich keiner mehr. Warum? Warum nicht? Warum nicht mehr? Lachen und Lachen-machen ist an diesem Punkt eine Gabe im doppelten Sinn des englischen Wortes gift: als Geschenk und als Begabung. Insofern die ›Begabung‹ aber ihrerseits von dem Lachen als Geschenk, vom Bringen, abhängt, ist sie niemals sicher. Sie ist irgendwann vorbei. Oder fängt wieder neu an. 127. Zur Frage der Vergessenheit der Gabe, vgl. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 26ff.
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
Lachen sprechen, wenn auch der Witz vergessen ist, wenn wir uns erinnern, dass es einen Witz gab, wir uns aber nicht an ihn erinnern können? Von hier aus wäre Lachen das vergessene Vergessen des Vergessenen. Wo wäre Lachen außer im Gebracht-Werden? In Vergessenheit? Als Vergessenheit hätte das Vergessen des Lachens kein spezielles Objekt – insofern ihr Objekt seinerseits bereits vergessen ist. In der Vergessenheit ist noch das Wissen, das dem Vergessen angehört, um ein solches sein zu können, vergessen. In der Vergessenheit ist schon vergessen, was vergessen worden ist. Darin liegt die Nichtigkeit der Vergessenheit, denn ohne ein Wissen des Vergessenen führt kein bekannter Weg zurück, von der Vergessenheit zur Erinnerung, zur Erzählbarkeit, zur Geschichte. Lachen tritt in Opposition zu Erinnerung auf. Nietzsche beschrieb das antonymische Verhältnis von Geschichte und Vergessen als eine Frage der Gesundheit. Nicht vergessen können macht krank. Eine Überdosis Geschichte. Mensch- und Kulturkörper hängen an der Frage der richtigen Dosierung. Ihre gesundheitliche Gefährdung einerseits, ebenso wie ihre Konstituierung überhaupt erst andererseits, stehen dabei auf dem Spiel: Ganz geschichtslos ist der Mensch ein Tier.128 Zur richtigen Dosierung von Geschichte gehört demnach ein aktives Vergessen. Vergessenheit aber liegt jenseits eines Vergessens, das noch Geschichte vergessen kann. Vergessenheit kann danach nicht als aktive Kategorie eines Subjektes gelesen werden, sondern mit der Vergessenheit ist das Subjekt einer anfänglichen Passivität übergeben. Vergessenheit, die nicht die Leistung eines Subjektes ist, muss jenseits der Psyche gedacht werden. Lachen kann nicht vergessen werden, weil es in einer Vergessenheit liegt. Vom Standpunkt der Narration aus, ist die Vergessenheit der radikale Ort der Unerzählbarkeit. Sie wird mit dem Lachen geliefert. Nicht nur weil Lachen vielleicht ein Mittel ist, um zu vergessen, und weil im Lachen schon der Witz vergessen wird, sondern weil Lachen seinerseits eine Vergessenheit liefert, in einer Vergessenheit liegt, und als Vergessenheit auftritt. Darin ereignet sich ein Zusammenbruch der Narration.
119 Denarration Die Vergessenheit ist der Moment der Denarration. Kafkas Romane werden zu Zerfallsprodukten von Erzählung.129 Ist diese Vergessenheit dann überhaupt? Wie kann man von ihr wissen? Das Lachen ist das Vergessen von allem und jedem, und das Vergessen selbst von diesem Vergessen und somit ein absolutes Vergessen. Eine Vergessenheit. Eine Vergessenheit, die als solche nicht mehr sagen kann, was sie verges128. Vgl. hierzu Nietzsche, »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben« 129. Vgl. Benjamin, Über Kafka, S. 165
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sen hat. Die Haupteigenschaft dieses Vergessens ist, das es sich selber vergisst, so Benjamin zur Frage des Vergessens in seinen Aufzeichnungen zu Kafka.130 Als Selbstvergessenheit zieht sich das Vergessen zurück. Lachen vergisst und vergisst dabei sich selbst, darin wird es zur Vergessenheit. Als Vergessenheit unterhält Lachen eine Beziehung zur Melancholie. Beide stellen sich als eine Figur des Verlustes dar.131 Eines Verlustes, von dem man nichts sagen kann, weil nicht nur das Verlorene, sondern der Umstand des Verlustes selbst sozusagen verloren ging. Vergessenheit ist auch eine Verlorenheit. Das Lachen als Vergessenheit ist zu unterscheiden von der Trauer, wenn die Trauer zugleich die Frage des Gedächtnisses und damit die Fragen von Narration und Geschichte aufruft.132 Trauern ist eine Art und Weise sich zu erinnern und diese Erinnerung als Geschichte zu erzählen.133 Erinnern ist Trauern. Lachen betrifft die Unmöglichkeit von Erinnerung. Lachen gibt die unmögliche Zeit der Vergessenheit und markiert damit jenen Ort, der keinem Gedächtnis angehören kann, als Vergessenheit ist es jener Ort der Unerzählbarkeit, der keine Narrativität zulässt. Dieser Ort kann als solcher nicht verstanden werden, insofern Verstehen eine kohärente Narration erfordert. Als Vergessenheit ist er der Ort der Unverständlichkeit. Eine Exterritorialität. Als Geben einer Vergessenheit bringt das Lachen kein Werk hervor. Wie ist es also zu lesen? Es macht sich literarisch bemerkbar, insofern Literatur als diejenige Sprache verstanden werden kann, die eine Beziehung zum Außen unterhält. Zum Außen als einer Dimension außerhalb des Werks, als einer Dimension des Entzugs semantischer, narrativer und historischer Ordnungen. Literatur (er-)findet Orte für diese Auftritte. Literatur wird zur Bühne dessen, was sich nicht darstellen kann.134 Literatur verschriftlicht »unsinnige Delirien«, deren Selbstbezogenheit und Leere als Rechtfertigung ihrer selbst ausgestellt werden. Zum asignifikanten Abfall, der in Vergessenheit gerät, würde es
130. Vgl. Deuring, Vergiß das Beste nicht!, S. 16 131. Vgl. Deuring, ebd., 38f. 132. Vgl. Derrida, Mémoires – für Paul de Man 133. Eine Lektüre von Freuds Aufsatz »Trauer und Melancholie« würde natürlich sofort zeigen, dass die Unterscheidung von Melancholie und Trauer als eine Operation des Wissens ihrerseits melancholische Züge trägt, d.h. nicht stabil ist und gerade Freuds Analogieverfahren die semantische Differenz zum Schwanken bringt. 134. Kittler versteht die Spezifik literarischer Diskursivität medien- und medizingeschichtlich: »Literatur im Aufschreibesystem von 1900 ist Simulakrum von Wahnsinn.« (Aufschreibesysteme 1800/1900, S. 311) Wahn-sinn ist hier nicht nur pathologisches Register, sondern der Rest, das was abfällt, jenseits der Signifikation.
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
sich nicht zum Fall der Literatur verwandeln, ist das Lachen hinzuzuzählen. 120 Odradek Lachen als Vergessenheit macht sich bemerkbar, bricht hervor, z.B. mit jenen Figuren bei Kafka, die Benjamin, unfertig genannt hat: »Odradek ist die Form, die die Dinge in der Vergessenheit annehmen. Sie sind entstellt.«135 Der Platz bei Kafka, an dem sich Lachen als Vergessenheit herausstellt, ist z.B. der kurze Text »Die Sorge des Hausvaters«. Odradek ist einer jener Hoffnungsträger bei Kafka,136 wie die Studenten,137 die Narren, die Gehilfen, auf der fröhlichen leeren Fahrt.138 Torheit ist das Wesen dieser Lieblinge Kafkas. Gerade beim Unzulänglichen, Kindischen könnte die Rettung liegen.139 Aber die Kindheit ist kurz, wenn es überhaupt eine gab, erzählt Kafka in »Josefine, die Sängerin und das Volk der Mäuse«. Ein Kennzeichen dieser Figuren ist ihre Beweglichkeit. Odradek ist ohne festen Wohnsitz. Er bewegt sich im Haus, ohne dem Gesetz des Hauses zu folgen. Die Gehilfen bewegen sich im Rhythmus von Slapstick und schlafen mal hier, mal da. Die Narren werden überhaupt nicht müde. Von dieser Beweglichkeit scheint nicht nur die Frage ihrer Sesshaftigkeit, es sind Nomaden, und die Frage ihrer Unruhe, ihrer Schlaf(un)fähigkeit genauso wie vielleicht die Fragwürdigkeit ihres Wachzustandes, sondern sogar die Frage ihrer Gestalthaftigkeit betroffen zu sein: Sie sind ohne festen Umriss.140 Unfertig sind sie. Phylogenetisch wie ontogenetisch verwirrt. Sind es Kinder oder Erwachsene? Haben sie z.B. eine kurze Kindheit, oder eher eine
135. Benjamin, Über Kafka, S. 31 136. Zur Frage der Hoffnung bei Kafka, vgl. Benjamin, ebd., S. 14 137. Den Studenten, so heißt es bei Kafka, sei die Schrift abhanden gekommen. Daher ihre Leichtigkeit, Leere usw. Wie ist das Lachen im Verhältnis zu diesem Fehlen der Schrift zu denken? Vgl. Benjamin, ebd., S. 37 138. Vgl. Benjamin, ebd., S. 37. Es sind auch Comic-Figuren, Mickey Mäuse und das Land ihrer Hoffnung ist natürlich Amerika, das Land der Vergessenheit, v.a. das Naturtheater von Oklahoma. Das Aufsehen, das Spiegelmans Maus erregte, lässt sich von hier aus gut erklären: Die Nutzung eines Mediums, dessen Spezifik die Vergessenheit ist: Comics. Im Konflikt damit steht die Trauer- und Geschichtsarbeit der Holocaust-Erzählung. Medial ist damit die Frage von Erinnern und Vergessen, um die die Erzählung selbst kreist, schon berührt. 139. Ich beziehe mich hier und im Folgenden immer wieder, wie auch im Einzelnen angezeigt, auf Stellen aus Benjamins Kafka-Lektüre. Gerade jetzt, Über Kafka, S. 15. Zum Stil und auch zur Gestalt von Benjamins Texten über Kafka, vgl. Deuring. 140. Vgl. hierzu Benjamin, Über Kafka, S. 15
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die niemals aufhört? Sind es Tiere oder Menschen?141 Und weiter: Sind sie tot oder lebendig? Odradeks Form wird »technisch« beschrieben, im Hinblick auf eine Technik allerdings, deren Funktion unbekannt ist. Kafkas Verfahren des komischen Details vollzieht sich an ihm; die minutiöse Beschreibung seiner Form steht in keinem Funktionszusammenhang, der diese Minutiösität legitimieren würde.142 Odradek wird zur komischen Kleinigkeit, weil das Winzige als narrativer Rest unter referentielle Hochspannung gesetzt wird, die funktionslos verbleibt. Das Winzige ist der letzte Punkt in einer Kette des semantischen Abbaus, der letzte Rest an Sinn, der keiner ist.143 Die Spitze des Sinns ist das Rätsel. Odradek ist das letzte Zeichen, das übrig bleibt, es ist das Zeichen, das nicht mehr figurativ werden kann, weil es da liegt, wo die figurativen Kräfte der Sprache längst erlahmt sind. An diesem Platz ist das Zeichen dreierlei: 1. 2. 3.
Ein Lachen Eine Namensgeste Ein organloser Körper
Als Lachen markiert Odradek den Punkt der Unerzählbarkeit, den letzten narrativen Bruch, den Punkt, an dem sich Vergessenheit Platz verschafft.144 Dieses geschichtslose Zeichen ist leer und fröhlich. Das Zeichen hat das Gewicht der Zeit der Erinnerung schon aufgegeben und bleibt leer zurück. Es schreibt sich in keine raum-zeitlichen Koordinaten mehr ein, erst recht in keine familiäre Genealogie. Man könnte sagen, es ist frei. Als freies Zeichen betreibt es ein anagrammatisches Spiel mit sich selbst, das etymologische Deutungen provoziert, die nicht bestätigt werden können, weil das sie begründende Gesetz selber fehlt.145 Dieses Lachen gehört zu keinem Körper, es ist ein Lachen, wie man es nur ohne Lungen hervorbringen kann. 141. Diese Frage ist bei Kafka, wie man weiß, außerordentlich wichtig, und genauso schwer zu beantworten. Im Rahmen dieser Arbeit fällt sie beiseite. Einiges ist dazu nachzulesen bei Deleuze und Guattari, Kafka – für eine kleine Literatur; und bei Margot Norris, »Kafka’s ›Josefine‹: The Animal as the Negative Site of Narration« 142. Zur Minutiösität bei Kafka im Zusammenhang mit der Frage des Komischen vgl. z.B. Schuller, »Der Witz oder die ›Liebe zum leersten Ausgange‹« 143. Vgl. auch Benjamin, Über Kafka, S. 127f. 144. Lachen und Vergessenheit, das sind die Verbindungspunkte, die Benjamin zwischen Odradek und dem Bucklicht Männlein sieht. 145. Zur Möglichkeit einer etymologischen Genealogie für Odradek und zur Rolle der Eigennamen bei Kafka, vgl. Hamacher, »Die Geste im Namen. Benjamin und Kafka«
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Wenn beim Lachen schon die Heterogenität des Körpers ins Spiel kommt,146 ist ein lungenloses Lachen, abgesehen davon, dass es keines ist, also eine radikalere Heterogenität, insofern es den Körper als möglichen Referenzpunkt hinter sich gelassen hat. Ein asignifikantes, reines, rohes Klangmaterial, ohne Klangkörper, also nur noch ein Klang. Ohne Lungen spielt auf die häufig bei Kafka zu findende Ähnlichkeit von Husten und Lachen an. Was der Husten der Tuberkulose anzeigt, ist der Verfall der Lunge. Ein Lachen ohne Lunge ist also auch ein Lachen am Ende der Tuberkulose. Es ist auch ein totes Lachen. Ohne Lungen ist das Lachen Odradeks das Lachen eines Leblosen. Die Frage, ob Odradek lebt oder nicht, ist eine der Sorgen des Hausvaters. Die Unmöglichkeit eines leblosen Lachens berührt eben diese Frage. Liest man Odradek als Frage des Lachens, erscheint das Lachen im Zwielicht von Leben und Tod. Als Präsentierung der Vergessenheit, die in ihrer radikalen Nichtigkeit, in ihrem Rückzug, noch als Vergessen des Vergessens auftritt, unterhält das Lachen eine Beziehung zum Toten. Wenn das Tote dasjenige ist, was außerhalb der Zeit steht, außerhalb der Symbolisierungen und Narrationen, das, was nicht erinnert und nicht einfach vergessen werden kann, weil es die Vergessenheit »selbst« ist. Im Lachen ist diese Vergessenheit jedoch nicht einfach nichts, in dem Maße, wie sie sich präsentiert. Was sich im Lachen präsentiert, ist demnach der Tod als nicht repräsentierbarer. Die Vergessenheit tritt im Lachen auf, nicht in dem sie erinnert wird, sondern als Vergessenheit zeigt sie sich. Odradek ist also nicht einfach tot, sondern als Lachen hält er die Schwebe – ist er von seiner Konstruktion her nicht eine Figur der Balance? – zwischen Tod und Leben – Leben, insofern er den Tod als absolutes Vergessen, als Nichterzählbarkeit präsentiert. Im Präsentieren liegt ein Zug des Lebens, denn in der Präsentation tritt die bezugslose Vergessenheit als rätselhafte Gestalt auf, damit ist sie noch nicht am Leben – keiner weiß, ob Odradek lebt oder nicht – aber mit der Präsentation als Rätsel können Fragen aufgestellt werden. Der Hausvater fragt. Im Modus des Befragens eröffnet sich ein Bezug zum Bezugslosen der reinen Vergessenheit, des Todes, der Nichterzählbarkeit. Die Frage markiert den Abstand, der im Verhältnis zu diesem Ort der Bewegung wirksam bleibt. In diesem Sinne erlaubt Odradek Fragen, keine Deutungen. Odradek ist ein Spielzeug. Odradek ist auch Heinerles Holzspule, die das Spiel von der An- und Abwesenheit in Bewegung hält. Odradek ist die 146. Über den Körper heißt es in Benjamins Kafka-Essay »Weil aber die vergessenste Fremde unserer Körper – der eigene Körper – ist, versteht man, wie Kafka den Husten, der aus seinem Innern brach, ›das Tier‹ genannt hat.« (Benjamin, Über Kafka, S. 31)
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Holzspule, die zugleich fort und da ist, genauer, die das Fortsein als Fortsein ins Dasein bringt. Odradek ist immer fort/da.147 Unbestimmter Wohnsitz. Insofern die fort/da-Struktur eine Beziehung von Trauerarbeit, Erinnerung und Erzählbarkeit eröffnet, für die die Unterscheidung von fort und da konstitutiv ist, bricht diese Narrativität im Zusammenfallen von fort/da auseinander. Odradek ist dieses zerbrochene Spielzeug. Ein kaputtes Geschenk. Benjamin schreibt, er ist entstellt. Diese Entstellung ist auch als Hässlichkeit zu verstehen, wenn man bedenkt, dass Schönheit nur bei Kafkas hoffnungslosen Helden erscheint, Odradek als entstellte/r/s (hat »es« ein Geschlecht?) jedoch für Hoffnung spricht.148 In der Entstellung stellt sich etwas heraus, es wird etwas ausgestellt, das es sonst nicht zu sehen gibt. Das Entstellte ist das, was nicht mehr verstellt ist. Doch ist die Ent-stellung nicht nur eine Ent-bergung des Verborgenen, sondern bleibt die Ent-stellung nicht ohne Effekt auf das, was es zu sehen gibt. In der Entstellung werden die Gegenstände verwandelt. Die Ansicht des Entstellten ist unheimlich. In seiner Überschreitung der Dichotomie von An- und Abwesenheit verschiebt sich das Vergessen von der Logik einer Präsenz zu einer Frage des Präsentierens. Schauplätze der ausrangierten Effekte bei Kafka, so schreibt Benjamin, sind die Dachböden und Treppenhäuser. Die Grenzorte von Privatem und Öffentlichem, von Sichtbarem und Verborgenem. Dachböden und Treppenhäuser, genauso wie Kellerräume, alles, was zum Haus gehört und eben nicht mehr ganz zum Haus gehört, sind die Schauplätze unheimlicher Effekte. Es sind die Orte der Geister. Die, weil sie vergessen sind, sich stets zurückmelden.149 In ihrer Vergessenheit. Im Lachen Odradeks, oder vielmehr im Lachen Odradek, hören, d.h. lesen, wir jene Vergessenheit. Darin ist Lachen ein Geschenk, insofern die Bedingung des Geschenkes als Gabe ohne Rückkehr, als Gabe jenseits der Ökonomie, ein absolutes Vergessen ist. Die Gabe, kann sie ein Geschenk sein, darf nicht anerkannt 147. Derrida schreibt: »Die Schrift eines fort/da ist stets ein fort/da, und man wird PP und seinen Todestrieb suchen in der Ausschöpfung dieses Abgrunds.« (Derrida, Die Postkarte. 2. Lieferung, S. 78) 148. Bei Benjamin heißt es: »Diese Hoffnungslosigkeit mag es sein, die an ihnen als den einzigen Kafkaschen Kreaturen Schönheit zum Vorschein bringt.« (Benjamin, Über Kafka, S. 13) 149. Anders als Odradek, und deshalb ist er vielleicht doch kein Geist, bringen die Geister genau keine Vergessenheit mit sich, sondern unterbrechen diese. Nietzsche wusste es: »Es ist ein Wunder: der Augenblick, im Husch da, im Husch vorüber, vorher ein Nichts, nachher ein Nichts, kommt doch noch als Gespenst wieder und stört die Ruhe eines späteren Augenblicks.« (Nietzsche, »Vom Nutzen und Nachteil der Historie«, S. 40f.)
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werden, sie muss vergessen sein; vergessen auf eine Weise, die noch die psychoanalytischen Kategorien des Vergessens, als Unterdrückung und Verschiebung, d.h. das Vergessene nicht in seiner Existenz betreffend, hinter sich lässt.150 121 Der Dritte Freud schreibt, das Lachen des Witzes findet immer woanders statt, beim Dritten. Das Lachen wird dem Dritten geschenkt. Auch wenn er bemüht ist, noch diese Witzsituation im Modell zirkulären Ausgleichs vorzustellen, der Dritte bringt die gleichen psychischen Voraussetzungen mit wie der Erste – wäre das Freundschaft? –, und das Lachen des Dritten ermöglicht es schließlich auch dem Ersten zu lachen (Freud bemerkt, dass das Lachen des Ersten niemals so stark ist, wie das des Dritten, schon darin verflüchtigt sich die Ökonomie als Logik der Rückkehr). Dennoch bleibt mit der Instanz des Dritten eine radikale Differenz. Das ökonomische Schema der Lüste steht und fällt mit der Frage, ob der Dritte über den Witz lacht, ob er zum Lachen gebracht wird. Darin ist der Witz performativ, aber in eben dieser Performativität unsicher. Nimmt der Dritte das Geschenk an, d.h. zerstört er das Geschenk? Lacht er sich kaputt? Lacht er sich vielleicht sogar tot? Die Ökonomie, als Ökonomie der ersten Person, von der Freud schreibt, ist mit dem Dritten einer radikalen Andersheit ausgesetzt. Die Ökonomie ist unterbrochen in dem Maße, wie die Zirkulation der Lüste vom Lachen des Dritten abhängt. Der Dritte ist der Zeuge des Witzes. Gleichzeitig funktioniert die ökonomische Zirkulation nur auf diesem Wege, wenn der Dritte (mit)lacht/macht.151 Freud betont: Dem Dritten wird das Lachen geschenkt. Lachen und Ökonomie treten dabei in ein prekäres Verhältnis zueinander. Lachen als Zeichen von Lust fordert nach einer ökonomischen Erklärung und ist jenes Moment, das diese Ökonomie zugleich unterbricht. Es ist die Bedingung der Ökonomie des Witzes und ruft seine Zeitlichkeit und Örtlichkeit hervor, steht selbst jedoch außerhalb dieses zeitlich-ökonomischen Rahmens. Die Lust geht hier zu Ende. Nach Derrida ist die Gabe zugleich Bedingung des ökonomischen Austausches und geht in ihm verloren, denn sie ist von Anfang an auch unökonomisch. 150. »Damit es Gabe gibt, darf sie dem Gabenempfänger oder dem Geber nicht bewußt sein, er darf sich ihrer nicht dankbar erinnern und das heißt er darf die Gabe erst gar nicht als solche wahrnehmen; zu diesem Zweck aber muß er sie augenblicklich vergessen und dieses Vergessen muß so radikal sein, daß es auch nicht mehr unter die psychoanalytische Kategorie des Vergessens fällt.« Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 28. Vom Psychischen wird absolutes Vergessen zu einer Frage des Seins. Vgl. dazu Derrida, ebd., S. 36 151. Über lachen/machen vgl. Derrida über Nietzsche in Politik der Freundschaft, S. 50ff.
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122 Exzess »Das Problem der Gabe ist ursächlich verknüpft mit ihrer von vornherein exzessiven, a priori übertriebenen Natur.«152 Eine paradoxerweise anfängliche übertriebene Natur, die als übertriebene »Natur« nicht heißen kann, wenn Übertreibung ein Maß voraussetzt, ein natürliches Maß, das fehlt, wenn die Übertreibung »natürlich« ist, also nicht natürlich ist, und deshalb ein Maß fordert. Die Übertreibung aber kennt keine vorherige Größe, auf die sie sich beziehen könnte, die ihre Übertreibung feststellte. Sie folgt der Logik des Supplements.153 Sie ist immer schon zuviel, weil sie zuwenig ist, weil ihr etwas fehlt.154 Im Exzess zeigt sich ein Mangel, sogar ein Mangel an Sein, denn wo wäre das Lachen außer im Gebracht-Werden, bei dem es auch wieder verloren geht? Die »natürliche« Übertreibung ist anfänglich und kann nur nachträglich anfänglich genannt werden. In dieser Weise ist die Gabe nicht eine Gabe der Natur, wie z.B. das Genie, das keine Bildung braucht, sondern gegen die Natur oder un-natürlich. Sie richtet sich gegen das Phantasma von Natur.155 Sie ist nicht im Paradies, sondern die Vertreibung aus dem Paradies. Nichts als die Vertreibung. Ein anfänglicher Schock.156 »An der Psychoanalyse ist nichts wahr als ihre Übertreibungen.«157 Gibt es ein angemessenes Lachen? Gibt es ein angebrachtes Lachen? Aber wäre ein Lachen, das sein Maß, seinen Anfang und sein Ende kennen würde, seine Lautstärke und seinen Rhythmus, noch ein Lachen? Gibt es einen Lachzwang? Es gibt ein Lachverbot.158 Der Unmöglichkeit eines Imperativs des Lachens steht sein Gegenteil gegenüber: Nicht Lachen! Franz Kafka, der Felice Bauer stets bittet, nicht über seine Briefe zu lachen,
152. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 55 153. Vgl. Derrida, »Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen«, insbes., S. 437ff. 154. Das Spannungsverhältnis von Zuviel und Zuwenig, wiederholt sich auch in den Interpretationen des Lachens. Nancy schreibt: »We always make too much of laughter, we overload it with meaning or nonsense, we take it to the point of tears or to the revelation of nothingness. But laughter bursts – laughter, which is never one, never an essence of laughter, not the laughter of an essence.« (»Laughter, Presence«, S. 368) 155. Zur weiteren Erläuterung des Verhältnisses von Natur und Gabe, siehe Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 165f. 156. Vgl. das Kapitel »Zu einer Historiographie des Lachens« in dieser Arbeit 157. Adorno, Minima Moralia, S. 56 158. Die Gefahr, die in der Maßlosigkeit des Lachens liegt, ist schon bei Platon, im dritten Buch der Politeia notiert. Vgl. Weber, »Die Zeit des Lachens«, S. 79
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
schreibt einmal: »Ich kann auch lachen, Felice, zweifle nicht daran, ich bin sogar als großer Lacher bekannt, […]«.159 Und dann kommt der Beweis: »Zuerst lachte ich nur zu den kleinen hie und da eingestreuten zarten Späßchen des Präsidenten; während es aber Gesetz ist, daß man zu solchen Späßchen nur gerade in Respekt das Gesicht verzieht, lachte ich schon aus vollem Halse, ich sah, wie meine Kollegen aus Furcht vor Ansteckung erschraken, ich hatte mit ihnen mehr Mitleid als mit mir, aber ich konnte mir nicht helfen, dabei suchte ich mich nicht etwa abzuwenden oder die Hand vorzuhalten, sondern starrte immerzu dem Präsidenten in meiner Hilflosigkeit ins Gesicht, unfähig das Gesicht wegzuwenden, wahrscheinlich in einer gefühlsmäßigen Annahme, daß nichts besser, alles nur schlechter werden könne und daß es daher am besten sei, jede Veränderung zu vermeiden. Natürlich lachte ich dann, da ich nun schon einmal im Gange war, nicht mehr bloß über die gegenwärtigen Späßchen, sondern auch über die vergangenen und zukünftigen und über alle zusammen, und kein Mensch wußte mehr, worüber ich eigentlich lache;«160
Kafkas Lachen lässt das Gesetz hinter sich. Sein Lachen wird kontaminös. Furcht und Angst stellen sich ein. Weil das Lachen exzessiv und auch ein exzessiver Term ist, muss es unterdrückt werden. Später heißt es: »Dabei schlotterten mir natürlich vor Angst die Knie während ich lachte, […]«.161 Die lachenden Konvulsionen, treffen den ganzen Körper und paralysieren ihn. Hilflos. Jenseits des Gesetzes ist das Lachen in Gang. Der Kontrollverlust betrifft nicht nur den Körper. Maßlos, fällt im Lachen die zeitliche Ordnung zusammen, in der noch zu unterscheiden wäre, was die Gründe des Lachens sein könnten. Von der verstreuten Partialität des Lachens, von einzelnen noch lokalisierbaren Momenten des Lachens, steigert sich Lachen, von einer Kleinheit und Begrenztheit, die die Gegenwart betrifft, zu einer Unbegrenztheit, die alle denkbaren Zeiten umfußt und gerade darin zeitlich nicht mehr zu erfassen ist. Kafka lacht über alles und nichts. Nachträglich, wird sich der exzessive Charakter des Lachens herausgestellt haben. Nachträglich wird man nicht wissen, was das Gesetz des Lachens sein könnte, das jenseits des Gesetzes in Gang gerät. Anlässlich des Lachens ist ein Gesetz, das soziales Verhalten regeln könnte, machtlos. In seiner Exzessivität kann Lachen nicht vom Gesetz getroffen werden. Diese Tendenz des Lachens, seine Maßlosigkeit, ist jedem ökonomischen Verständnis des Lachens vorgeordnet. Wir werden zum Lachen gebracht. Lachen »ist« schon, bevor es da war. Wo, an welchem Ort? Wer bringt wen wohin? Bevor Lachen verstanden ist, 159. Kafka, Briefe an Felice, S. 237 160. Kafka, ebd., S. 238 161. Ebd., S. 239
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als das Lachen, und kein Lachen (mehr) ist, ist es schon exzessiv. Seine Exzessivität provoziert ein Verstehen und ein Gesetz und verhindert es, denn Exzessivität bedeutet die Unmöglichkeit einer Begrenzung des Lachens. Lachen ist über-flüssig. 123 Wasser Im Lachen, wie auch im Weinen, werden Weisheit vergossen, sagt man;162 (und Weinen – wir weinen auch manchmal, wenn wir lachen; dennoch, was unterscheidet lachen von weinen?) in der Metaphorik des Vergießens setzt sich ein Exzess in Szene. Das Element von Flüssigkeit weist auf eine Instabilität hin, auf Ort- und Bodenlosigkeit. Wasser ist nicht ohne Grund, aber Wasser selber ist kein Grund. Der Grund des Wassers ist immer ein anderer Grund. Im Lachen als Vergießen von Weisheit steht nicht weniger auf dem Spiel, als Verständnis, nicht nur des Lachens, sondern Verständnis selbst. Sogar Weisheit. Lachen ist ohne Grund (raison, reason), d.h. auch es ist unvernünftig. Es kann mit keiner Kategorie der Vernunft begriffen, gegriffen werden: »Aufs Ganze gesehen gibt es keine Gabe für die Vernunft, nicht einmal für eine praktische Vernunft. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, daß es jemals die geringste Gabe gäbe. Die Gabe, wenn es sie gibt, müßte jenseits von allem passieren: vor allem und nach allem.«163
Nach Wasser kann man nicht greifen.164 Man kann es nicht be-greifen. Es fließt weiter, steht vielleicht einmal still, oder läuft aus. River with no return. Gibt es dann aber ein Verständnis des Lachens, das kein Begreifen wäre, das den Fluss nicht zurückleiten würde, dem Gesetz des Hauses folgend? In einer Hydraulik, in einem Kanalsystem, das das Wasser, vor dem Verfließen »rettet« und dieses für die Ökonomie nutzbar macht?165 Gibt es ein Verständnis, das nicht mehr wäre, als der bittere Nachgeschmack, der von dem Salz der Meereswellen übrig bleibt, von dem Bergson am Ende seines Buches über Lachen schreibt? Man kann Wasser einfrieren. Dann ist es kein Wasser mehr, es ist Eis. Man kann Lachen einfrieren, dann ist es aber 162. Vgl. auch Weber, »Die Zeit des Lachens«, S. 80. 163. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 105 164. Weber wies auf die Metapher des Meeres in Bergsons Text zum Lachen hin. Genauer, auf die Welle des Meeres, auf ihren Schaum, auf dessen salzigen Geschmack. Der salzige Geschmack des Schaumes, in dem sich das Element des Wassers seinerseits verflüchtigt, die Metapher selbst damit vergeht, kann nicht gegriffen werden. Er ist nur noch zu schmecken. Er hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Vgl. Weber, »Die Zeit des Lachens«, S. 78 165. Vgl. Weber zur Hydraulik bei Platon und Freud. (»Die Zeit des Lachens«, S. 78ff.)
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kein Lachen mehr, sondern ein Bild (Greta Garbo in Ninotchka, Madonna auf dem Cover von Ray of Light). Lachen ist keine Schrift. Es ist noch nicht einmal eine Gabe. Als Geschenk ist es weniger als die Gabe, es ist nur die Möglichkeit der Unmöglichkeit der Gabe, »[…] ich schreibe Dir Briefe eines Handlungsreisenden, hoffend, daß Du das Lachen und den Gesang hörst – die einzigen (die einzigen was?), die sich nicht senden, die Tränen auch nicht.«166
Lachen kann nicht gesendet werden. Prekär ist der Status der Gabe, weil eine Identifizierung ihrer selbst, ihre Anerkennung, sie bereits in den ökonomischen Austausch hineinzieht, dabei die Möglichkeit der Gabe jedoch verloren geht, denn will sie eine Gabe bleiben, hat sie paradoxerweise nur jenseits der Ökonomie Bestand, unzeitlich und atopisch. Die Möglichkeit der Gabe gibt es nur in dieser Unmöglichkeit. 124 Unzeitlich: Die Gabe ist die Gabe im Kreislauf der Ökonomie und zugleich eine Gabe jenseits der Ökonomie. Diese undenkbare Gleichzeitigkeit verdankt sich der Zeit, die die Gabe wiederum gibt, um Gabe sein zu können. Die Zeit des Gebens, bis zu dem Moment, wo die Gabe Gabe geworden ist, d.h., angekommen ist. Solange, zwischendurch, in der Zwischenzeit, bis die Zeit der Ökonomie, die Zeit von Geben und Nehmen, selbst eingerichtet ist, gibt es die undenkbare Gleichzeitigkeit einer Gabe, die zugleich zwei ist. Diese undenkbare Zeit ist eine Zeit jenseits der Gabe, sie bricht ihre Zeitlichkeit auf. Es ist auch die Zeit des Zweifels: »Dieser Widerspruch ist die logische und chronologische Form der unmöglichen Gleichzeitigkeit zweier Zeiten, das heißt zweier Ereignisse, die in der Zeit getrennt sind und mithin nicht zur selben Zeit gegeben sein können.«167
Diese Zeit ist unmöglich, insofern sie eine Gleichzeitigkeit von Ereignissen, die nur im chronologischen Auseinander verständlich sind, voraussetzt. Es ist eine unmögliche Zeit. Diese Unmöglichkeit als zeitliche Parallelität, als Gleichzeitigkeit, hängt ihrerseits von einem Moment, einer zeitlichen Unvorstellbarkeit ab, die sich in der Zweizeitlichkeit zeigt. Die unmögliche Zweizeitlichkeit verweist auf die Unzeitlichkeit der Gabe »selbst«. Sie ist nie. Weber beschreibt die Zeitform des »unterdes« als charakteristisch für den Witz. Unterdes bezeichnet dabei eine Gleichzeitigkeit. Der Witz lenkt mit 166. Derrida, Die Postkarte. 1. Lieferung, S. 21 167. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 50
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seiner sprachlichen Fassade die Aufmerksamkeit des Bewusstseins ab.168 168. Am Beispiel des Genres ›Witz‹ fasst auch Weber das Problem des Lachens als eines der Zeit auf. Zunächst bewirkt das Lachen als eine Angelegenheit des ›Mediums‹ Körper, im Unterschied zur semantischen Dimension des Witzes als Aussage, einen fatalen Effekt auf die ›Wirklichkeit‹ des Witzes: Insofern Freud am Lachen als Bedingung des Witzes festhält, eine Bedingung, die diesem paradoxerweise jedoch erst folgt, wird die Realisierung des Witzes in eine zweite Zukünftigkeit verwiesen. Erst das Lachen wird zeigen, ob der Witz gewesen sein wird. Dabei verdoppelt sich der Witz gewissermaßen und schließt mit jedem Lachen/Nichtlachen auch die Möglichkeit seines Scheiterns ein. Diese Spaltung in die Zweizeitlichkeit des Witzes über die Unmöglichkeit eines garantierten Lacherfolges verweist auf die Spezifik der Zeit des Lachens selbst. Insofern das Lachen nicht sicher ist, kann es nicht einfach in ein zeitliches Nacheinander einsortiert werden. Der Witz gliedert sich nicht einfach als Abfolge von Witz – Lachen – Witzverstehen. Im Gegenteil: Diese Vorstellung des Witzvorgangs in der Theorie lässt sich garantiert als gescheiterter Witzvorgang erfahren. Freuds Witzbuch zeigt: Alle theoretisierten Witze, alle der Analyse unterzogenen Beispiele, scheitern als Witze, während in der »Traumdeutung«, an falscher Stelle gewissermaßen, unwillkürlich die Witzigkeit auftritt, so Fließ’ Kritik. Dabei spielt nicht nur die Partikularität der räumlichen sowie zeitlichen Abhängigkeit des geglückten Witzes von seiner Umgebung eine Rolle, sondern die Zeitlichkeit, die im Witzvorgang selber wirksam ist, bleibt von Bedeutung. Weber charakterisiert die Zeit des Lachens, wie sie sich in Freuds Text lesen lässt, als ›unterdes‹. Die Zeitform des unterdes setzt verschiedene psychische Örtlichkeiten voraus, mit den ihnen zugehörigen Wissensmodi. »[…] im Witz geht etwas vor, wovon wir nichts wissen dürfen. Dieses Nichtwissen verlangt nicht, daß man überhaupt nichts weiß, sondern, daß man etwas anderes weiß, daß man an einen anderen Ort versetzt wird.« (S. 85) Während das Bewusstsein festgehalten oder durch die Fassade des Witzes auch abgelenkt wird, geschieht schon, unterdes, etwas anderes. Freud beschreibt diesen Vorgang im ökonomischen Modell von Hemmungsbesetzung und Abfuhr als Automatismus. Weber weist darauf hin, dass es problematisch bleibt, dieses Geschehen im topologischen Modell der Psyche zu lokalisieren. Bestimmbar bleibt das Unterdes zunächst über seinen Modus als Nichtwissen. Entscheidend aber ist, wie diese Zeit mit der Zeitlichkeit des Präsens im Vorgang des Witzes oder seiner Beschreibung auftritt: »[…] während wir nachzudenken beginnen, […] lachen wir bereits.« (S. 86) Indem sich die Witzerzählung sowie ihre Beschreibung dem Präteritum, das ein Geschehen als Abfolge gliedert, sperrt, richtet sie sich gegen eine Ordnung der Dinge im historischen Nacheinander. Das Insistieren auf der Gegenwärtigkeit, sowohl in der Erzählung des Witzes, als auch im Versuch seiner Beschreibung, repräsentiert zwar nicht das Lachen, aber markiert durchaus die Unmöglichkeit der Darstellung des Lachens und seiner Zeit mit der Wiederholung des Präsens. Mit dieser Zeitlichkeit der Witzerzählung präsentiert sich die nichtsymbolisierbare Zeit des Lachens. »Das Präsens hier bezeichnet also das Unvorstellbare eines Vorgangs, der seine
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
Unterdes wird die Lust zur Abfuhr frei. Unterdes wäre die Zeit des Lachens, als Freisetzung der Lust, die sich gleichzeitig mit der Witzerzählung abgespielt haben wird. In dieser Nachträglichkeit wäre die »Zeit des Lachens« aber ihrerseits verdoppelt. Erst das nachträgliche Lachen wiederum ermöglicht die Annahme des Unterdes. Ist mit der Ökonomie der Lüste bereits eine Zweizeitigkeit in Gang, die nach Weber in der Witzerzählung präsentiert wird, die in der Erzählzeit des Witzes als Präsenz Gestalt gewinnt, wird noch diese Präsenz im nachträglichen Präsentieren des Lachens nicht nur erkennbar, sondern zugleich abgebrochen. Lachen würde also nicht nur im Unterschied von Witzfassade und Freisetzung der Lust, in einer Parallelität, die das Aussetzten des Bewusstseins voraussetzt, verstanden werden, in der Witzerzählung, sondern, indem dieser Vorgang seinerseits am nachträglichen Lachen hängt, auch die Frage nach der Zeit der Unterbrechung stellen. Nicht nur die Witzerzählung ist von einer Zweizeitlichkeit geprägt, sondern diese Zweizeitlichkeit, die ihrerseits lesbar wird mit dem Präsens des Witzes, ist schließlich mit dem Präsentieren des Lachens abgebrochen. Die Zeit des Abbruchs, als »Zeit des Lachens« ist nicht die Zeit des Unterdes. Es ist die Zeit, die das Unterdes nachträglich zu lesen gibt. Im Unterdes des Witzes wird Lachen präsentiert und ist damit eben noch nicht, oder nicht mehr, ein Lachen. Lachen, die Zeit des Lachens, die nicht das Unterdes wäre, wäre in einem radikaleren Sinne eine zeitliche Unmöglichkeit. Unterhält sie im Verständnis des Witzes auch eine spezifische Beziehung zur Zeitlichkeit des Witzes, kann sie selber jedoch nicht zeitlich bestimmt werden. Sie ist weniger als eine Gegenwart, weil sie sich im Präsentieren zugleich zurückzieht. Sie gewinnt keine narrative Stabilität, nicht mal die Präsenz, den Präsens, des Witzes. Die einzige Möglichkeit diese »Zeitlichkeit« des Lachens ihrerseits zeitlich zu bestimmen, liegt darin, sie als Wiederholung zu verstehen:
eigene Zeit hat.« (S. 86) Eine eigene Zeit, d.h. auch, eine Zeit, die nicht in Bezug auf die anderen Zeitlichkeiten gedacht werden kann. Sie wird mit dem Präsens präsentiert, nicht repräsentiert. Eine Zeit, die die irritierende Zeitlichkeit des Witzes mit zu lesen gibt. Eine Zeit, von der man nichts wissen kann, weil man nicht dabei gewesen ist, immer nicht dabei gewesen ist, die sich nur zeigt in der Irritation, die die symbolisierte Zeitlichkeit unterdes erfährt, und die somit gegeben wird. Im Witz wird das Präsens, das keine ordentliche Chronologie liefert, zur Zeitlichkeit, mit der die unmögliche Zeit des Lachens mitgegeben ist.
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»Laughter bursts without presenting or representing its reasons or intentions. It bursts only in its own repititions: what then is laughter – if it »is« – what is it if not repitition.«169
Was sich wiederholt, ist die Unzeitlichkeit des Lachens, jener Moment, der die Zeitlichkeit der Narration immer wieder unterbrechen wird. Als Wiederholung wird Lachen kein Ende finden. Es wiederholt sich. Zukünftigkeit ist nicht der Name für eine Zukunft, die aus den Bedingungen einer Gegenwart als sicher angenommen werden kann und darüber inhaltlich bestimmbar würde. Als Wiederholung der Unterbrechung eröffnet Lachen damit eine Zukünftigkeit. Zukünftigkeit ist die Figur einer Öffnung, die kein letztes Wort kennt, die sich aus der Wiederholung einer Unterbrechung als Öffnung ergibt. 124 Ein Ereignis Die Gabe hält sich an der Grenze zum Nichts auf. Derrida muss mehrmals betonen, dass die Gabe, jenseits der Ökonomie, der Signifikation, der Phänomenologie und der Präsenz nicht nichts ist. Als Gabe wäre Lachen eine mögliche Bedingung, von Ökonomie, von Narration, von Seiendem, ohne selber als seiend bestimmt werden zu können. Als Bedingung wäre es ihm vor- oder nachgeordnet und würde stets mit Unterbrechung drohen. Selber nicht seiend, ohne den Charakter der Phänomenalität, hielte sich Lachen an der Grenze zum Nichts auf. Aber die Gabe ist nicht nichts. Die Gabe trägt, so Derrida, den Charakter eines Ereignisses.170 Als Unvorhersehbares ist dieses Ereignis überraschend. In der Überraschung bringt sie eine Neuheit mit sich. Ein Geschenk muss neu sein, man darf es nicht schon haben. In der Möglichkeit des Lachens jenseits ökonomischer Kalkulation stellt sich ein Effekt aus, ein Effekt, ohne Grund. Er ist grundlos, wir wissen nichts davon, denn mit dem Wissen wäre er in den Raum symbolischer Ökonomien getrieben, und mit diesem Schritt würde er seinen konstitutiven Charakter als Ereignis verlieren. Wir lachen nicht mehr. Aber es wiederholt sich, stets neu und anders. Überraschend. Ein Geschenk.171
169. Nancy, »Laughter, Presence«, S. 383 170. »Keine Gabe [pas de don] ohne das Eintreten eines Ereignisses, kein Ereignis ohne die Überraschung der Gabe.« Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 155 171. Zu Beginn des Nachtrages, seines Buches Freud-Legende, mit dem Titel Die Zeit des Lachens, schreibt Weber: »Ist das Lachen selbst nie unabhängig von den besonderen Umständen, in denen es stattfindet, so kommt seine wissenschaftliche Untersuchung ebenfalls auf Dauer nicht umhin, über die Zeit und den Ort, wo sie ausgetragen wird, sich Gedanken zu machen. Denn der Schein der Allgemeingültigkeit, die dem Thema anhaftet täuscht: über das Lachen heute in Freiburg, Tübingen oder Marburg zu
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Folglich und paradoxerweise ist vom Lachen auf diese Weise nicht mit Sicherheit zu sprechen, denn das Ereignis, das es gibt, ist alles andere als sicher, wenn es eine Überraschung bleiben soll. Ein Geschenk. Droht der Gabe das Verschwinden ins Nichts, gerade weil ihr Seinsstatus prekär ist, weil sie dem Seienden vor- oder nachgeordnet ist, wird ihre Lesbarkeit zum Problem. 125 Lachen lesen Jean-Luc Nancy hat in einem Text zu Baudelaire auf den radikalen Status des Lachens als Gabe hingewiesen.172 In seiner Lektüre eines Baudelaire-Gedichtes stellt Nancy die Frage des Lesbarkeit des Lachens heraus: »– if laughter is readable at all, which is more than doubtful.«173 Die Möglichkeit einer Lektüre des Lachens ist nicht nur zweifelhaft, sie ist mehr als zweifelhaft. Was ist mehr als zweifelhaft? Wenn Lachen einen Zweifel, und dabei zwei Aussagen als eine produziert, ist dieser Zweifel als zwei seinerseits schon ein Effekt des Lachens. Er ist seinerseits schon eine Form der Lektüre. Als Lektüre des Lachens ist sie zweifelhaft, in dieser zweifelhaften Lektüre wäre Lachen lesbar. Weil es aber mehr als zweifelhaft ist, ob Lachen lesbar ist, bleibt Lachen in der zweifelhaften Lektüre zugleich unlesbar. Mehr ist Lachen, insofern es unlesbar bleibt. Die Lektüre des Lachens bleibt nicht nur zweifelhaft, weil sie einen Zweifel produziert, sondern, dieser Zweifel als zwei seinerseits das Lachen nicht liest. Die zweifelhafte Lektüre des Lachens ist ihrerseits zweifelhaft, und hört nicht auf zweifelhaft zu sein: »We shall read this poem as a presentation of laughter, as itself a laugh, or laughter, where laughter is also the presentation of the poem itself.«174
Nancy schlägt vor das Gedicht selbst, als Lachen selbst zu lesen. Was bedeutet diese Analogie? Erstens, ist mit dieser Analogie schon eine Differenz eingeführt, we shall read. Das Gedicht ist kein Lachen, es soll als Lachen sprechen ist etwas anderes, als über ›le Rire‹ in Paris, oder über ›Laughter‹ in den Vereinigten Staaten. Freud bemerkt einmal, daß ›jeder Witz sein eigenes Publikum‹ verlange und von diesem nicht zu trennen sei; nicht anders scheint es um das Lachen bestellt zu sein, sogar wenn man darunter, wie hier, zunächst nur ein theoretisches Problem versteht.« (»Die Zeit des Lachens«, S. 77) Diese Einsicht hat auch Konsequenzen für die vorliegende Arbeit. Es ist ein Unterschied in Hamburg und Berlin über das Lachen zu schreiben, oder in Baltimore und New York. 172. Baudelaire, »The Desire to Paint«. Zitiert bei Nancy, »Wild Laughter in the Throat of Death«, S. 719f. Das französische Original ist Baudelaires Oeuvres complètes, t.I (Paris 1975, S. 340) entnommen. 173. Nancy, ebd., S. 720 174. Ebd.
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lachen lesen
gelesen werden. Aber nicht als das Andere des Lachens, nicht als ökonomische Repräsentation des Lachens, sondern als wäre das Gedicht sozusagen das Lachen selbst. Das Gedicht wäre keine Repräsentation des Lachens, es wäre selbst keine Lektüre des Lachens, sondern es wäre das Lachen »selbst«. Wir sollten es als eine Präsentation von Lachen lesen. Weil das Gedicht keine Lektüre des Lachens ist, sondern als Lachen gelesen werden soll, erfordert es eine Lektüre des Lachens. Das Gedicht, das wie Lachen gelesen werden soll, wiederholt die Unleserlichkeit des Lachens. Nancy unternimmt also keine Lektüre des Lachens, sondern beschreibt, die Unlesbarkeit des Lachens in Analogie zur Unlesbarkeit des Gedichts. 126 Abfuhr Als Abfuhr der Lust ist das Lachen in Fahrt. Wohin? Auf einer fröhlichen leeren Fahrt, so wie Kafkas Lieblinge? »Seine Gehilfen sind Gemeindediener, denen das Bethaus, seine Studenten Schüler, denen die Schrift abhanden kam. Nun hält sie nichts mehr auf der ›leeren fröhlichen Fahrt‹.«175
Es ist nicht unwichtig zu bemerken, dass sich die leere fröhliche Fahrt unter der Bedingung der Heimatlosigkeit, ohne Bethaus, und darüber hinaus nach dem Verlust der Schrift bewegt. Damit sind jene Fragen der Ökonomie angesprochen, die in dieser Arbeit bisher Beachtung fanden. Das Gesetz des Hauses als Ökonomie ist verloren, ebenso wie die Schrift. Verweist die Fröhlichkeit ohne Schrift, wenn wir Schrift als allgemeine, gegenüber einer beschränkten Ökonomie des Hauses lesen, auf ein Jenseits des Lachens, eines Lachens, das noch die allgemeine Ökonomie hinter sich lässt? Warten wir noch eine Weile mit der Bearbeitung dieser Frage, und stellen an dieser Stelle die vielleicht noch rätselhaftere Frage nach der Leere. Was ist eine fröhliche leere Fahrt? Wie kann eine Fahrt leer sein? Wir wissen nicht viel über diese Leere, von der Benjamin spricht.176 Es heißt nicht, volle Fahrt voraus! Der leeren Fahrt fehlt im Unterschied zur vollen Fahrt das Tempo, sogar die Höchstgeschwindigkeit, deren sie 175. Benjamin, Über Kafka, S. 37 176. Eine andere Möglichkeit, eine fröhliche leere Fahrt zu verstehen, bietet Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz an: »Unsere Kneipen und Großstadtstraßen, unsere Büros und möblierten Zimmer, unsere Bahnhöfe und Fabriken schienen uns hoffnungslos einzuschließen. Da kam der Film und hat diese Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunde gesprengt, so daß wir nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern gelassen abenteuerliche Reisen unternehmen.« (Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 35f.) Welche Konsequenzen wären für eine Filmtheorie aus einer Kamerafahrt als fröhliche leere Fahrt zu ziehen?
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
gewiss wäre. Ist sie eine Fahrt ohne Tempo? Weil sie aber eine Fahrt ist, setzt sie Bewegung und damit Geschwindigkeit voraus. Ist die leere Fahrt eine langsame Fahrt, oder ist sie nicht eher eine Fahrt, die ihr Tempo nicht kennt? Volle Fahrt, ist eine volle Fahrt voraus. Eine Fahrt, die ihre Richtung und ihr Ziel kennt. Die Kenntnis der Richtung erlaubt die volle Fahrt, sie ist Bedingung der vollen Fahrt. Selbst wenn diese Richtung unentschieden ist, ist noch in der vollen Fahrt diese Unentschiedenheit entschieden: Voraus! – egal wohin. Die Fahrt selber bestimmt die Richtung. Was wäre demgegenüber eine leere Fahrt? Eine, die nicht nur ihre Richtung und ihr Ziel nicht kennt, sondern sogar eine, die sich keine Richtung geben kann. Es ist auch eine Fahrt in die Leere. Aber betrifft die Leere denn die Geschwindigkeit und die Richtung und das Ziel? Wer fährt auf einer leeren Fahrt? Wer sind die Passagiere? Oder sind auch die Plätze leer? Die Leere betrifft die Fahrt, aber vielleicht betrifft sie auch die, die fahren. Weil die Fahrt leer ist, können wir nicht viel von ihr wissen. Die leere Fahrt verliert sich und verliert vielleicht auch ihre Passagiere, wenn es sie gibt. Kafkas reitenden Indianer, z.B. gibt es nur als Wunsch: »Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.«177
Was bleibt übrig von diesem einen, schließlich kopflosen, Satz, dem Kafka den Titel Wunsch, Indianer zu werden, gegeben hat, in dem beim Ritt, von Komma, zu Komma – mit jeder Hürde – die semantischen Chancen, die noch der Anfang des Satzes im Konditional verspricht, abgebaut werden? Im Ritt, im Satz, wird alles, was man zum Reiten, was man für einen Satz, der semantischen Wert beansprucht, braucht, verloren. Im Ritt, im Satz, wird es gelassen oder weggeworfen. Keine Zügel, keine Sporen, kaum das Land, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf. Im Ritt, Im Satz, wird Schritt für Schritt, Komma für Komma, die semantische Gewissheit abgebaut. Auf eine Leere hin. Der Satz, der niemals »voll« war, der höchstens möglich wäre, entleert »sich«. Er baut diese Leere auf, Schritt für Schritt. Er wird nachträglich als Leere zu lesen sein. Diese Entleerung, diese nachträgliche Leere, die mit dem Ende des Satzes geschrieben stehen wird, ist ein Wunsch. Dem Satz ist der Titel, »Wunsch, Indianer zu werden« gegeben. Ist es der Wunsch nach einer 177. Kafka, »Wunsch, Indianer zu werden«, S. 30
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lachen lesen
Leere? Ist der Wunsch eine Entleerung? Liest man diesen einen Satz, der sich an der Grenze der Möglichkeit bewegt, der sich von seiner Möglichkeit wegbewegt, als Wunsch, ist dieser Satz als Wunsch zugleich eine Entleerung und eine Leere. Der Wunsch wird die Leere gewesen sein, die der Satz als Wunsch in der Entleerung betreibt. Die leere Fahrt von der bei Benjamin die Rede ist, heißt fröhlich. Die konstitutive Leere der Fahrt wird fröhlich genannt. Lesen wir Benjamins Satz über Kafka, und lesen wir Kafkas Satz, Wunsch, Indianer zu werden, als Lachen. Lachen ist eine Abfuhr, schreibt Freud. Wer fährt ab? Wie? Wohin? Lachen ist eine Ab-fuhr. Ein Abbau der Fahrt als Ab-fuhr. Lachen baut ab und baut sich dabei ab. Es ist nicht anders als in diesem Ab-bau. Was abgebaut wird, ist die Fahrt selbst. Sie verliert ihre Richtung, ihr Ziel, ihre Passagiere. Sie wird leer. Eine fröhliche Leere, die sich wiederholt. 127 Verschwinden Wir haben schon gesagt: ebenso wie die Gabe unterläuft Lachen die Logik der Präsenz, indem es ihr vorläufig, oder nachträglich ist: »Laughter therefore, is neither a presence nor an absence, it is giving of a presence in it´s own disappearence.«178 Die Ordnung von An- und Abwesenheit, und damit die Ordnung des Seins, kann den Status des Lachens nicht beschreiben, wenn anerkannt wird, dass Lachen ohne selber als präsent bestimmt werden zu können, dennoch Präsenz gibt. Präsenz geben heißt nicht präsent sein. Es präsentiert sich. Dabei verschwindet es auch. Lenken wir die Aufmerksamkeit auf dieses Verschwinden. Verausgabt sich das Lachen im Geben, ist es nicht anders, als in dieser verschwindenden Gegebenheit, ein kaputtes Geschenk, verschwindet das Lachen gegenüber der Präsenz, die es gibt, kann es nicht anders als präsentierend und vergehend (d.h. auch: immer in Fahrt) aufgefunden werden. Man könnte diese Bewegung auch als traurigen Zug des Lachens beschreiben, es bleibt nie (darin liegt ebenso seine Fröhlichkeit). Wir können es nicht festhalten. Das von Nancy gelesene Gedicht Baudelaires trägt als Gabe des Lachens Zeichen seines Verschwindens.179
178. Nancy, »Wild Laughter in the Throat of Death«, S. 729 179. Es verschwindet auch in der Übersetzung von Baudelaires Gedicht vom Französischen ins Englische. So jedenfalls in Nancys Text »Laughter in the Throat of Death« von 1987. In dem späteren Text zu Baudelaire (1993), der sich demselben Gedicht widmet, aber von dem früheren Text deutlich abweicht, erscheint laughter in der Übersetzung ins Englische. Vgl. »Laughter, Presence«, S. 369f. Nancy merkt an, dass er in der zweiten veränderten Fassung seines Aufsatzes die Übersetzung von Louise Varèse, die auch dem ersten Aufsatz zugrunde liegt, verändert hat. Nicht unerheblich ist diese Veränderung, insofern sie die Frage betrifft, ob rire als laughter übersetzt wird, oder, wie im ersten Text mit »bursts […] a wide mouth« . (Vgl. ebd., S. 720)
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
128 Tod In dieser Bewegung des Entzugs eröffnet Lachen die Frage nach dem Tod. Als Abfuhrlust hat sich der Ökonomie des Lachens bei Freud der Todestrieb eingetragen. In dieser Lust, verlässt Lachen den ökonomischen Austausch. Die Lust des Lachens ist ohne Rückkehr. Als Lust nach dem Ende der Lust wird sie zur Lust jenseits der Lust, zur Lust eines Jenseits der Lust. Sie wird nicht nur ab-geführt, sie ist diese Abfuhr selbst. Genau in dieser unökonomischen Gegebenheit eröffnet sich ihre Möglichkeit als Gabe: »Nein, allein das »Leben« vermag zu geben, aber ein Leben, in dem diese Ökonomie des Todes sich darstellt und sich überborden läßt.«180 Nancy versteht Lachen als symbolische Unmöglichkeit. Dieser Unmöglichkeit wird der Name Tod gegeben. Lachen ist in eine Konstellation von Tod und Begehren gesetzt. Wird Lachen als unmögliches nicht-präsentes Objekt des Begehrens verstanden, richtet sich dieses unmögliche Begehren auf den Tod. Es wäre auch der Tod des Begehrens. Das Begehren des Todes wäre jener Moment, wo Freuds Ökonomie der Lust außer Kraft tritt. Wird Lachen bei Nancy, wie bei Freud, im Zusammenhang einer Ökonomie der Lust oder des Begehrens gelesen, und ist Lachen zugleich aufgrund seines Status« als Gabe als Objekt unmöglich, ist es jener Moment jenseits des Lustprinzips – oder einer anderen Lust, der der Name Tod gegeben wird, wenn das Begehren auf das Lachen zielt. 129 Schrift »Die Gabe wäre so stets die Gabe einer Schrift, einer Erinnerung [mémoire], eines Gedichts oder einer Erzählung, auf jeden Fall vermachte oder hinterließe sie einen Text; und die Schrift wäre demnach nicht das formale Hilfsmittel, die äußerliche Archivierung der Gabe […], sondern etwas, »irgendein Ding«, die Archivakte, die sich unmittelbar anschließt an den performativen Akt der Gabe.«181
An anderer Stelle heißt es: »Kurz, man muß sich nicht allein – mehr oder weniger schwärmend – fragen, wie es zustande kommt, daß geben und/oder nehmen sich auf diese oder eine andere Weise in einer Sprache ausspricht, sondern sich zunächst daran erinnern, daß die Sprache auch ein Phänomen von Gabe-gegen-Gabe, von Geben/Nehmen – und von Tausch ist.«182
180. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, S. 135 181. Ebd., S. 63 182. Ebd., S. 108f.
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lachen lesen
Die Gabe betrifft die Schrift nicht nur hinsichtlich ihrer narrativen Ökonomie. Sie betrifft Schrift selbst als Gabe. Kann, wie mit Derridas Schrift-»Begriff« versucht worden ist zu zeigen, ein Anfang der Schrift nur nachträglich und paradox gelesen werden, bleibt die Frage nach der Möglichkeit der Schrift selbst. Die einzige mögliche Antwort auf diese Frage ist: sie ist gegeben. Verwirklicht sich Schrift als Gabe, unterliegt sie zugleich, der Doppelstruktur der Gabe folgend, der Möglichkeit des Gebens, die nach Derrida in der realisierten Gabe selbst schon verloren gegangen ist. Die notwendige aber verloren gehende Bedingung, die mit der Gabe gegeben ist, Geben, erscheint als Bedingung von Schrift. Schrift als Gabe unterliegt der Bedingung des Gebens und ist ihr ausgesetzt. Schrift ist Gabe, in dem Maße, wie sie von einem Schock, der ein Schock des Lachens sein kann, getroffen wurde. Die Möglichkeit der Gabe der Schrift liegt für den Witz in der nachträglichen Bedingung des Lachens. Lachen wird sich als Bedingung des Witzes herausgestellt haben. Zeigt sich mit dem Witz die Notwendigkeit eines Schriftmodells, zum Verständnis einer anderen Ökonomie, unterliegt Schrift damit der Witzigkeit, kann sie als lachende auftreten. Dann hätte Lachen den Status der Bedingung von Schrift. Damit wäre es auch Jenseits der Schrift, das Jenseits der Schrift. Gewinnt Schrift den Status eines Modells unter der Bedingung ihres ökonomischen Zerfalls, wird sie damit zum Modell des Fehlens eines Modells. Von hier aus wird Webers Problematisierung des Status von Theorie noch einmal lesbar: Wenn die Ökonomie, indem sie als epistemologisches Problem anerkannt wird, zu einem Darstellungsproblem wird, zu einer Frage symbolischer Zirkulationen, zu einer Frage des Symbolischen damit, stellt sich heraus, welchen Sinn es macht zu sagen, Freuds Text wäre schon von einem Lachen getroffen. Der Text ist vom Lachen getroffen, in dem Maße, wie der Text seinerseits auf eine Ökonomie angewiesen ist, einer Ökonomie, die sich zugleich als notwendig und unzureichend zeigt. Die Frage einer lachenden Schrift hat sich immer schon angekündigt. Lachen ist jedoch unbedingte Bedingung von Schrift, tritt es auch im Modus der Wiederholung auf, tritt es nicht immer auf, ist nicht sicher, wann es auftritt, insofern die Wiederholung durch kein anderes Prinzip determiniert wird. Schrift ist danach Schrift auch in dem Maße, wie sich ihr verschiedene Figuren des Lachens eingetragen haben: als Aussetzer, Verwundungen, Unwissenheit, Vergessenheit, Exzess, als Frage einer anderen Zeit, die sich wiederholt und als unmöglicher Ort. Damit treten die Figur des Verschwindens und des Todes auf. Über diese Figuren wird es möglich zu sagen, Lachen sei ein Geschenk. Lachen trägt sich nicht nur ein, es wird auch ausgetragen. Erzählen 276
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Lachende Schrift II: Austragungen: Freud – Derrida – Kafka
zeigt sich mit Freud, Derrida und Kafka gegenüber den allegorischen oder ironischen Figuren de Mans als Darstellungsmodus einer Schrift. Die Realisierung des Lachens führt zum Unterschied zwischen Theorie und Erzählbarkeit. Erzählbarkeit aber stellt sich als Austragung des Lachens heraus. Die Erzählung markiert eine Wahrheit, die die Theorie nicht trifft, als Lachen.
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) vakat 278.p 138824704130
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